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Full text of "Die oper"

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Die  oper 


Oskar  Bie 


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Mit  133  Abbildungen  und  II  handfcolorierten  Tafeln. 
Alle  Rechte,  insbesondere  das  der  Übersetzung,  Vorbehalten. 
Copyright  1913  S.  Fischer,  Verlag,  Berlin. 


Ha  ocnoRflHin  .THTCparypHott  KOHBtmuin  Moae^y  Pocciefi  h Fop- 
nanit*ft  mri  ubtoikkLh  ltpnua  b%  Poccin  coxpaucnu  3a  airropoin.. 


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Inhalt 

DIE  PARADOXIE  DER  OPER 

Einleitung 

9 

Fünfter  Widerspruch: 

Die  Kunst  der  Widersprüche  . . . 

13 

rung 

Der  erste  Widerspruch  in  der  Musik 

'4 

Sechster  Widerspruch: 

Noch  ein  zweiter  Widerspruch  in  der 

Schaft 

Musik 

19 

Die  Bilanz 

Dritter  Widerspruch : Der  Text.  Zu- 

Das  Publikum  . . . 

erst  der  Stoff 

25 

Der  Erfolg 

Dann  die  Sprache 

32 

Schicksale  

Dann  die  Deklamation 

36 

Siebenter  Widerspruch:  i 

Endlich  die  Autoren 

4« 

Die  Geschichte  selbst 

Vierter  Widerspruch:  Das  Orchester 

43 

Widerspruch  .... 

DIE  KULTUR  DER  OPER 

Gluck  und  die  klassizistische  Oper 

Der  Harfenklang 

97 

Literarische  Beziehungen 

Die  altitalienische  Oper 

102 

Orpheus 

Die  alten  Franzosen 

104 

Alceste  

Neapel 

110 

Paris  und  Helena  . . . 

Händel 

in 

Die  aulische  Iphigenie  . 

Vergleiche 

1 13 

Armide  

Gluck  

"S 

Die  taurische  Iphigenie 

Das  Milieu  von  Paris 

121 

Orphica 

Die  Buf) 

ooper  und  Mozart 

Anfänge  der  italienischen  Buffooper 

H3 

Don  Juan 

Die  englische  Bettleroper  .... 

'47 

Cosi  fan  tutte  .... 

Deutsche  Singspiele 

149 

Tito 

Mozarts  Jugend 

152 

Zauberflöte 

Die  Entführung 

1 59 

Andere  Deutsche  . . . 

Figaros  Hochzeit 

163 

Andere  Italiener  . . . 

Fidelio 

Beethoven  und  die  Oper 

206 

Geschichte  des  Fidelio  . 

Cherubin  i 

209 

Die  Ouvertüren  .... 

Mehul 

214 

Die  einzelnen  Nummern 

Opera  comique 

Monsieur  Bourgeois 

229 

Generationen 

Anfänge 230  Pie  Werke 


Inhalte 


232 


Die  Details 


Lebenstypen 236  Offenbach 


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Die  große  historische  Oper 

Spontini 

Sänger  und  Orchester  . . 

. . . . 297 

Auber 

*77 

Prophet 

....  300 

Rossini 

*78 

Afrikanerin 

....  302 

Meyerbeer  .... 

*87 

Komisches 

....  303 

Robert  der  Teufel 

Halevy 

. . . . 303 

Hugenotten  .... 

*93 

Berlioz 

Deutsche  Romantik 

Weber 

112 

Spohr  

Freischütz  .... 

3*5 

Marschner 

. . . . 3*7 

Euryanthe  .... 

3*i 

Lortzing 

• • • • 33* 

Oberon 

3*4 

Die  Übrigen 

• ■ ■ ■ 34i 

Nationa 

le  Opern 

Exotisches  .... 

345 

Russen 

. . . . 361 

Gounod 

346 

Glinka 

. . . . 363 

Thomas 

349 

Serow 

. . . . 369 

Bizet  

35i 

Dargomyschski 

. . . . 370 

östliches 

355 

Mussorgski 

. . . . 371 

Ungarn 

356 

Borodin 

. . . . 374 

Tschechen  .... 

357 

Rimsky-Korssakow  .... 

. . . . 375 

Polen 

361 

Tschaikowski 

. . . . 377 

Verdi 

Bellini  ...... 

383 

Mittlere  Opern 

Donizetti 

385 

Maskenball 

. . . . 404 

Verdi 

387 

Aida 

Jugendopern  . . . 

39* 

Othello  

. . . . 413 

Rigoletto 

393 

Falstaff  

. . . . 415 

Troubadour  . . . 

397 

Das  Erbe 

Traviata 

398 

Wagner 

Die  Paradoxie  als  Erlebnis  ....  421 

Der  Gesang  

. . . . 449 

Leben 

4*3 

Das  Orchester  ..... 

. . . . 452 

Werke 

4*5 

Die  Musik 

. . . . 461 

Das  Drama  .... 

4*9 

Das  Erbe 

. . . . 478 

Die  Verse  .... 

447 

DIR  ANARCHIE  DER  OPER 

Die  Stile 

.......  485 

Zwischen  den  Völkern  . . 

. . . . 310 

Die  Verwaisten  . . 

486 

Deutsche  Gruppen  . . . 

. . . . 525 

Modernes  Italien  . 

489 

Richard  Strauß 

. . . . J37 

Caruso 

498 

Schluß 

. . . . 554 

Franzosen  .... 

5°4 

V emichnis  der  Bilder  . . . 556 

Sachregister 

00 

U3 

6 


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DIE  PARADOXIE  DER  OPER 


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Einleitung 


DIE  Oper  ist  ein  unmögliches  Kunstwerk.  Aus  einem  Mißverständnis, 
der  Nachahmung  antiker  Tragödien,  geboren,  kostet  sie  alle  Sünden 
thea|raji|^er  Schaustellungen  durch,  um  sieji  einenj  fürstlichen  Publikum  , 
redzubi'eten.  Unter  den  einfachen  Bürgertudustigungen  der  Jahrmärkte  ge- 
sundet sie  zu  einem  neuen  Leben,  das  schnell  genug  auf  den  beneideten  Thron 
eines  Königtums  unter  den  Künsten  führt.  Alle  die  Künste,  die  ihrer  Hof- 
fart dienen  können,  macht  sie  sich  untertan  und  nutzt  sie  aus,  bald  als  eine 
bloße  Schminke,  mit  der  sie  das  Volk  verführt,  bald  als  seelisches  Ausdrucks- 
mittel, um  das  die  Ernstesten  als  Erlösung  ihrer  Lebensnöte  buhlen.  Die 
Künste  in  ihrem  Gefolge  vertragen  sich  oder  vertragen  sich  nicht;  vertragen 
sie  sich,  so  redet  ihnen  dies  einer  der  Liebhaber  der  Oper  ein,  der  nichts  Eili- 
geres zu  tun  hat,  als  gegen  diesen  Vertrag  selbst  zu  sündigen  — und  vertragen 
sie  sich  nicht,  so  sinken  die  Verlassenen  unter  ihnen  bald  in  dieselbe  niedrige 
Sphäre,  in  der  ihre  Herrin  sich  einst  wohlgefühlt  hat,  um  auf  dem  kompro- 
mittierendsten  Punkte  ihrer  Karriere  plötzlich  wieder  einen  unstillbaren  Ehr- 
geiz nach  den  gesitteten  Salonen  zu  empfinden.  Sänger  und  Dichter  spielen 
in  diesem  Roman  ihre  zweifelhaften  Rollen,  das  Publikum  jongliert,  unbarm- 
herzig lächelnd,  mit  ihren  Schicksalen,  Rechnungen  werden  angestellt  und 
durch  galante  Abenteuer  aufgehoben,  Prachthäuser  erbaut  und  von  Fürsten 
dem  Volke  geschenkt,  blutende  Künstlerherzen  und  verschwenderische  Hof- 
feste — es  ist  ein  Traum,  der  niemals  ganz  Leben  werden  kann,  weil  er  un- 
wirklich wird,  wenn  er  seine  Illusionen  verliert.  An  diesem  Kunstwerk  zer-  ' 
schellt  die  Logik,  die  uns  auf  der  Bühne  den  wahrscheinlichsten  Ausschnitt 
des  Lebens  geben  möchte,  zerschellt  die  Geschichte,  die  sich  stetig  in  lang- 
samem Aufbau  einer  Idee  entwickelt,  zerschellt  das  Prinzip,  das  aus  einer 
klugen  Theorie  die  erfolgreiche  Praxis  bilden  will.  Es  ist  paradox  bis  zur  Toll- 
heit, immer  das  Gleiche  in  tausend  Veränderungen,  Medea,  Kundry,  Sa- 
lome, eine  Kokotte,  von  Philosophen  geliebt,  ein  Rätsel  der  spekulativen 
Kunst,  das  sich  nur  dadurch  löst,  daß  es  existiert.  Es  gibt  nichts,  was  voll- 
kommener gedacht  wäre  als  diese  Vereinigung  so  vieler  schönen  Künste,  und 
darum  nichts,  was  unvollkommener  in  die  Erscheinung  tritt.  Die  Opernauf- 
führung, die  höchste  Summe  von  Disziplin,  ist  von  so  zahllosen  Zufälligkei- 
ten menschlicher  Nerven  abhängig,  daß  cs  auch  nicht  eine  Minute  in  ihrei 


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Ausdehnung  gibt,  die  die  Absichten  des  produzierenden  und  reproduzieren- 
den Künstlers  ungeschmälert  herausbringt.  Keine  Kunst  verschwendet  so, 
um  mit  dem  Rest  ihrer  Laune  uns  noch  eine  zufriedene  Stunde  zu  geben. 
Keinen  Menschen  gibt  es,  der  das  Gesamtkunstwerk  gleichmäßig  empfinden, 
der  ohne  Abzug  hören,  verstehen,  sehen  könnte,  der  gleichmäßig  real  begreifen 
und  ideal  stilisieren  könnte,  der  die  gleichzeitige  Symphonie  und  Vokalmusik 
in  sich  balanzierte,  das  hohe  Niveau  aller  Künste  verlangte,  aushieltc,  steigern 
wollte  — die  Oper  bleibt  ein  Begriff,  ein  Wunsch,  ein  Ideal,  um  so  heißer  er- 
sehnt, als  die  bunte  Sinnlichkeit  ihres  geschichtlichen  Lebens  uns  zum  Glauben 
an  ihre  Macht  verführt,  um  so  heißer  umstritten,  als  die  besten  Kräfte  unserer 
Künstler,  ja  ganze  Lebensinhalte  sich  in  ihren  Dienst  stellen,  der  wunder- 
vollen babylonischen  Teufclin  und  Zauberin  und  — Heiligen  ...  Sie  ant- 
wortet: Teufelei?  Zauberei?  Heilig?  Ihr  werdet  in  der  tiefsten  Erniedri- 
gung meines  Lebens  starke  sinnliche  Kräfte  entdecken,  die  ich  aufziehen 
mußte,  um  eure  Organe  wach  zu  halten;  ihr  werdet  auf  den  Höhen  in  Ab- 
gründe sehen,  die  euch  die  Grenzen  alles  Lebens  erkennen  lassen;  Leben 
werdet  ihr  zerstören  sehen,  damit  Leben  entstehen  können,  Systeme  verflie- 
gen, Tafeln  zerbrechen,  Leidenschaften  einschlafcn  und  Leidenschaften  auf- 
brausen sehen,  Widersprüche  lachen  und  Unmöglichkeiten  atmen  sehen,  da- 
mit ich  sei.  Ihr  sollt  an  mir  lernen,  Irrtümer  anzubeten,  Visionen  zu  bewei- 
sen und  die  Toten  tanzen  zu  lassen.  Ihr  seid  erwachsene  Männer  und  Schrift- 
steller und  Gelehrte:  lebt  und  laßt  mich  leben,  macht  aus  euren  Dienern 
Masken,  aus  euren  Weibern  Sängerinnen,  aus  euren  Berufen  ein  Orchester. 
Was  ist  Unwahrheit  ? Die  Wahrheit.  Und  was  ist  Wahrheit  — seht  ihr, 
diese  Kußhand. 

Ich  weiß  nicht,  ob  sic  mit  mir  zufrieden  sein  wird.  Ich  will  noch  einmal, 
ehe  ich  alt  werde,  dies  heiter-ernste  Theater  an  mir  vorüberziehen  lassen, 
das  mir  so  oft  das  lieblichste  und  so  oft  das  rührendste  Erlebnis  gewesen  ist. 
Als  junger  Wagnerianer  sah  ich  darin  alles,  was  mich  von  höchsten  Idealen 
bewegen  konnte,  und  jetzt,  bei  Mozart  und  Verdi,  sehe  ich  darin  alles,  was 
mir  vorbeischwebte  und  im  Dämmer  des  Lebens  verloren  ging.  Es  war  nie 
das  bloße  Theater,  obwohl  diese  Schauform  einen  großen  Teil  der  angebore- 
nen Einstellung  unseres  Bcobachtungsvermögens  deckte.  Es  war  die  sinnliche 
Nähe  der  einzigen  Kunst,  die  über  das  Leben  herüber-  und  hinüberreicht, 
der  Musik,  in  Symbolen  verkörpert,  die  uns  die  Reinheit  der  absoluten  Kunst 
vergessen  ließ.  Es  war  die  Süßigkeit  der  Assoziation  geliebter  Klänge  mit 
Schicksalen  der  Helden  und  ihrer  Damen,  die  uns  wie  ein  Erinnerungsduft 
durch  die  Jahre  begleitete.  Es  waren  die  Wunder  schöner  Stimmen  und  die 
Triumphe  des  Beifalls  und  der  Rausch  großer  Abende,  die  wie  ein  Fest  zwi- 

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sehen  den  Alltäglichkeiten  standen,  soziale  erhebende  Empfindungen  von 
Abenteuern  und  Freuden  und  Leiden  der  Künstler  und  Sänger  und  der  dar- 
gestellten Menschen,  die  anhuben,  wenn  der  Vorhang  aufging,  und  nach- 
zitterten, wenn  er  sich  senkte.  Und  immer  dachte  ich:  vielleicht  wird  einst 
die  Stunde  kommen,  da  du  dich  entschließt,  dieses  gebannte  und  verdichtete 
Leben  einer  Kunst,  das  zwischen  dem  Auf-  und  Abgehen  eines  Vorhangs 
liegt,  aus  deiner  Erfahrung  niederzuschreiben,  nicht  zu  gelehrt,  nicht  archi- 
varisch oder  philologisch,  nein,  so  aus  dem  Reflex  heraus,  ein  Leben  im 
Leben,  eine  unendliche  Mannigfaltigkeit  in  dieser  mannigfaltigsten  Kunst, 
beziehungsreich  und  vollgesaugt  von  den  Gedanken  und  Gefühlen,  die  sich 
jahrzehntelang  da  herum  angesetzt  haben.  Ich  will  es  versuchen.  Ich 
glaube,  die  Oper  ist  dafür  ruhig  genug  geworden  und  ich  auch.  Der  Ge- 
lehrte, der  auf  das  Neue  gehen  muß,  wird  so  gut  wie  nichts  von  mir  er- 
warten. Wer  aus  den  undurchsuchten  Bibliotheken  und  Archiven  alle  ein- 
stigen Opern  herausschreiben  wollte,  brauchte  drei  Leben.  Wer  sie  ge- 
schichtlich beschreiben  wollte,  zwei.  Eines  reicht  allenfalls,  die  Hauptstücke 
zu  kennen  und  ihnen  ein  Buch  zu  widmen.  Ich  mache  in  den  Jahren,  da 
ich  dies  schreibe,  auf  nichts  Anspruch  als  eine  persönliche  Aussprache  über 
ein  Gebiet  menschlicher  Kultur,  der  ich  mich  reproduktiv  nahe  fühle,  weil 
ich  sie  produktiv  nicht  leisten  konnte.  Immer  ist  das  Schreiben  die  Rache 
am  Schaffen. 

Aber  wie  nun  darüber  schreiben  ? Die  bloße  Geschichte  dieser  Kunst- 
gattung zu  erzählen,  habe  ich  weder  Grund  genug,  noch  die  Geduld.  Über 
die  einzelnen  Abschnitte  sind  wir  ja  belehrt  worden.  Über  die  alten  Floren- 
tiner liest  man  Emil  Vogels  Aufsätze,  denselben  Autor  über  Monteverdi, 
über  die  alte  römische  Oper  Hugo  Goldschmidt,  über  die  spätere  vene- 
zianische Krctzschmar,  den  größten  Kenner  dieser  ganzen  Materie  und  auch 
als  Darsteller  den  glücklichsten,  über  die  frühen  Neapolitaner  schrieb  der 
Engländer  Dent,  der  Italiener  Leo,  über  die  späteren  Neapolitaner  ist  Aberts 
Jommellibuch  wenigstens  ein  Anfang,  über  Gluck,  Mozart,  Wagner  und 
alle  anderen  haben  wir  bedeutende  Spezialliteraturen,  die  Älteren  hat  Leich- 
tentritt  in  der  Ncuausgabe  des  vierten  Ambrosbandes  verarbeitet,  für  die 
Späteren  ist  vielleicht  Langhans’  Musikgeschichte  im  Historischen  immer 
noch  die  beste  Zusammenfassung  und  sie  verdiente  eine  musikalische  Aus- 
führung — ich  kann  das  nicht.  Ich  kann  nicht  eine  trockene  Geschichte 
einer  lebendigen  Kunst,  zumal  mit  dem  Bewußtsein  der  Unvollständigkeit, 
nacherzählen,  und  gar  die  Geschichte  einer  Kunst,  deren  Wesen  es  ist,  daß 
sie  eigentlich  gar  nicht  als  Geschichte,  sondern  mehr  als  Spirale  sich  abspielt, 
stets  wieder,  wenn  auch  auf  verschiedenem  Niveau,  von  demselben  Punkte 

1 1 


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anfangend.  Ich  möchte  vielmehr  in  meinen  Betrachtungen  von  diesem  re- 
sistenten Wesen  der  Oper  ausgehen,  weil  mir  das  mehr  zu  ihrem  Charakter, 
zu  meinem  Material  und  schließlich  zu  meinem  eigenen  Charakter  zu  passen 
scheint.  Ich  will  Leben  im  Leben  zeigen  und  den  Tod  im  Toten  lassen  — 
so  lehrte  es  mich  Frau  Oper.  Was  vorbei  ist,  ist  vorbei.  Nur  was  noch  leben- 
dig ist,  geht  uns  Lebende  an,  sofern  wir  uns  künstlerisch  dazu  stellen.  Das 
Leben  hat  eine  grausame  Gerechtigkeit;  es  stößt  ab,  was  es  verdaut  hat  oder 
unverdaulich  findet,  und  assimiliert  sich,  aus  allen  Zeiten  und  Gegenden, 
was  ihm  Nahrung  zuführt.  Dies  Prinzip  ist  nicht  methodischer,  aber  orga- 
nischer als  die  Wissenschaft,  und  es  ist  das  einzige  mir  mögliche  Bchandlungs- 
prinzip  dieses  Stoffes,  weil  es  eben  prinzipienlos,  durchaus  nur  vital  ist,  wie 
die  Oper  selbst.  Will  ich  ihren  Reflex  geben,  so  muß  ich  den  Spiegel  auch 
richtig  einstellen.  Will  ich  Kunst  von  Kunst  geben,  so  muß  sie  von  ihr  Cha- 
rakter und  Methode  nehmen.  Man  kann  einen  Wald  forstwirtschaftlich  be- 
handeln, aber  auch  malerisch.  Die  Wissenschaft  bleibt  ihrem  Stoff  gegenüber 
keusch,  die  Kunst  verheiratet  sich  mit  ihm.  Ich  möchte  künstlerisch  begrei- 
fen, also  über  die  Oper  opernmäßig  schreiben.  Man  versteht  das  als  Dank 
gegen  das  Leben. 

Somit  will  ich  zunächst  einmal  von  der  Unmöglichkeit  dieses  Kunst- 
genres ausgehen:  weil  sie  der  erste  Reiz  des  Schreibens  ist.  Eine  platte  und 
simple  Materie  in  ein  darstellendes  Kunstwerk  umzusetzen,  etwas,  was  eben 
nur  materiell  wirkt,  reizt  so  wenig,  als  eine  Landschaft  ohne  Luft,  Licht, 
Ausschnitt,  Flächenempfindung,  Farbenvaleurs,  Linienstil  zu  malen;  der 
Reiz  beginnt  mit  dem  Spielen  der  Reflexe,  den  Auffassungsmöglichkeiten 
in  Farbe  und  Form,  den  Medien,  die  die  Dinge  verwirren,  um  unserer  Phan- 
tasie das  Recht  und  das  Glück  zu  geben,  sic  einheitlicher  wiederherzustellen. 
Die  Oper  ist  so  ein  Ensemble  unwägbarer  Medien  und  Valeurs  und  Reflexe, 
innerer  Widersprüche,  balanzierender  Kräfte,  Sünden  und  Tugenden,  daß  sie 
uns  munter  hält.  Die  Paradoxie  der  vereinigten  Künste  verführte  die  ge- 
nialsten Meister  immer  wieder  zum  Schaffen,  sie  verführt  auch  den  ärmsten 
aller  nachzeichnenden  Schriftsteller,  sich  von  ihr  aus  einem  Stoff  zu  nähern, 
den  er  in  seinen  festen  Umrissen  abzukonterfeien  schaudert.  Jene  haben  viel- 
fach über  das  seltsame  Mischwesen,  das  sie  unter  den  Fingern  hatten,  nach- 
gedacht und  es  mit  weisen  Theorien  zu  erziehen  versucht,  aber  schließlich 
im  Komponieren  das  Problematische  vergessen  dürfen  — dieser  braucht  das 
Problem,  um  seine  Materie  im  Herzen  zu  treffen,  denn  im  Herzen  sitzt  das 
Blut,  und  von  dem  lebt  er.  So  ist  der  Beginn  leider  ein  Sezieren.  Eine  Ana- 
lyse. Eine  Operation.  Aber  es  wird  vorübergehen  und  vergessen  sein,  wenn 
wir  das  Tröpfchen  Blut  im  Wein  werden  trinken  dürfen. 

12 


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Die  Kunst  der  Widersprüche 

ViaVv 

ALSO  habe  ich  das  Wesen  der  Oper  in  einer  Reihe  von  inneren  Widcrsj^ü-^ 
■i  \cjiert  gefunden,  die  sie  am  Leben  erkalten  und  die  ihr  Leben  so  reizvoll^ 
so  Schwankend,  so  romantisch  gestaltet  haben.  Sie  ist  die  Kunst  der  Wider- 


prüche,  mehrmals  irgendeine  andere.  ^|a,  es  ist  ihr  Problem,  widersprechende 
Künste  aufeinander  zu  führen,  um  sie  in  ihren  letzten  Spannungen  zu  erpro- 
ben, und  da  es  im  Grunde  nur  eine  einzige  Ästhetik  gibt,  nämlich  die  des 
Widerspruchs  von  Kunst  und  Leben  und  von  Kunst  zu  Kunst,  so  ist  sie  eine 
leibhaftige  Lehre  alles  Ästhetischen  geworden,  das  wir  an  ihr  mit  lächelndem 
Munde  ablesen.  Sie  ist  der  große  Kriegsruf  der  Künste,  die  große  Illusion 
ihrer  Verwandtschaft,  die  wunderbarste  Enttäuschung  und  das  ungelöste 
Problem  — ein  ewig  Werdendes,  das  im  Spiel  der  Kräfte  sich  erhält  und  sich 
vergnügt. 

Die  Widersprüche,  die  in  ihr  sitzen,  sind  von  einer  geradezu  dramatischen 
Steigerung,  selbst  eine  Oper  der  Oper,  eine  Kontrapunktik  von  Feindselig- 
keiten, ein  System  von  Programmlosigkeitcn.  Sie  legen  sich  Akt  für  Akt 
komplizierter  zusammen,  bis  sie  schließlich  sich  selbst  aufheben  und  die  Ge- 
setze der  Entwicklung  zu  einem  Spott  machen.  Und  doch  tun  sie  dies  alles 
in  einer  bewundernswerten  Folgerichtigkeit  und  in  einer  Fruchtbarkeit  des 
Schaffens,  daß  man  sich  nichts  Positiveres  denken  kann  als  diese  Negationen. 
Es  ist  begeisternd,  dieser  Zersetzung  zu  folgen,  die  eine  Theorie  herstellt, 
während  die  Praxis  blüht. 

Ich  habe  nämlich  noch  gar  nicht  definiert,  was  eine  Oper  ist,  von  der  dies 
Buch  handelt.  Und  diese  Definition  kann  nichts  anderes  sein,  als  was  ich 
eben  vorhabe:  blühende  Widersprüche  aller  Künste  zu  zeigen,  aller  Prak- 
tiken, aller  Geschichte.  Die  Oper  ist  nicht  ein  Drama,  das  ganz  oder  teil- 
weise gesungen  wird  — was  wäre  das  besonderes  ? Sondern  die  Oper  ist  die 
Einbildung,  daß  es  möglich  ist,  stundenlang  eine  zusammenhängende  Musik 
zu  schreiben,  daß  einige  Noten  dieser  Musik  von  Sängern  zu  einem  richtigen 
Drama  als  Wortunterlage  gesungen  werden,  teilweise  sogar  alle  untereinan- 
der, daß  das  begleitende  Orchester  seine  Selbständigkeit  trotzdem  wahrt, 
daß  das  alles  auf  einer  Bühne  wirklich  gemacht  wird  mit  Dekorationen,  In- 
dispositionen, Eifersüchteleien  und  Balletten,  daß  dieser  ganze  Apparat  im 
Verhältnis  zum  Publikum,  welches  ja  im  Grunde  unmusikalisch  ist,  ein  gut- 
gehendes Rechenexempel  w'ird  und  daß  endlich,  nachdem  man  alle  diese 
Schwierigkeiten  eingesehen  hat,  sich  noch  Leute  finden,  die  eine  Oper  kom- 
ponieren. Man  mag  es  Tragödie,  man  mag  es  Komödie  nennen,  ein  merk- 
würdiger Konfliktsfall  bleibt  es,  so  traurig  und  heiter,  wie  ihn  keine  andere 


«3 


Kunst  kennt,  die  immer  nur  ein  Endchen  dieser  Komplikationen  streift. 
Nehme  ich  es  tragisch  oder  komisch  ? Zu  ernst  jedenfalls  nicht,  das  lernte 
ich  von  der  Oper.  Buffoklänge  schlagen  mir  ans  Ohr.  Hinter  der  Maske 
sitzt  der  Ernst,  hinter  dem  Ernst  lockt  das  heitere  Spiel.  Eines  ist  wahr: 
sinnlich  ist  dieser  Widerspruchskomplex,  lebenswarm,  temperamentvoll 
und  unwiderstehlich  in  den  Möglichkeiten  seiner  Launen.  Das  ist  die 
Oper.  Und  mehr  als  die  Oper. 


Der  erste  Widerspruch  in  der  Musik 

DER  erste  Widerspruch,  der  Kern  aller  lebensvollen  Widersprüche  liegt 
in  der  Musik  selbst.  Ich  sehe  in  der  Musik  das  Abbild  aller  Künste,  ihre 
Metaphysik  und  auch  ihre  Physik,  ich  sehe  die  Motoren  der  Künste,  ihre 
Agentien  und  Reagentien  hier  in  der  reinsten  Form.  Die  Musik,  die  so  lieb- 
lich, heiter  und  einfach  schön  scheint,  wird  von  einem  doppelten  Seelen- 
kampf bewegt,  den  beiden  großen  Prinzipienwidersprüchen  aller  Kunst:  dem 
Streit  zwischen  Zeitlichem  und  Räumlichem,  und  dem  Streit  zwischen  Dar- 
stellendem und  Baulichem.  Der  erste  Fall  ist  so:  die  Musik  geht  sowohl  hin- 
tereinander als  gleichzeitig  miteinander,  sie  ist  melodisch  und  sie  ist  harmo- 
nisch möglich.  Der  zweite  Fall  ist  so:  die  Musik  ist  sowohl  imstande,  psycho- 
logisch nachzuahmen,  zu  schildern,  Inhalt  zu  geben,  als  architektonisch  zu 
bauen,  rhythmische  Glieder  und  Wiederholungen  zu  bilden.  Diese  Doppel- 
fähigkeiten sind  unermeßlich  reich  und  unlösbar  feindlich.  Sie  sind  Krieg 
und  Seligkeit,  Friede  und  Gestaltungsdrang.  Die  Musik  ist  unser  größtes 
Glück,  aber  sie  ist  kein  Glück  ohne  Reue,  denn  ihre  Melodie  ist  ewig  auf  der 
Lauer,  die  Harmonie  nach  ihren  Wünschen  zu  lenken,  die  Harmonie  die  Me- 
lodie zu  verachten,  der  Inhalt  die  Form  zu  zerstören  und  die  Form  den  Cha- 
rakter zu  verleugnen.  Zeitalter  der  Musik  haben  sich  aus  diesen  Gegensätzen 
gebildet,  die  alte  homophone  Musik,  die  spätere  rein  harmonische,  die  unsere 
melodisch-harmonische,  wie  sie  keine  Kunst  in  solchen  prinzipiellen  Unter- 
schieden kennt.  Nationalitätcnkämpfe  haben  sich  gebildet  aus  dem  verschie- 
denen Geschmack  an  mehr  inhaltlicher,  mehr  formaler  Musik,  Kunstgattungen, 
Sinnenlüste  und  Geistestriumphe,  Lager  von  südlicher  Naivität  und  nördlicher 
Wahrheitssucht.  Die  Musik  hat  allen  recht  gegeben  und  weiser  als  die  Wala,  hat 
sie  niemals  aus  dem  offenen  Streit  das  Ende  prophezeit,  sondern  im  Gegenteil 
immer  wieder  erleben  lassen,  was  war,  ist  und  immer  wieder  sein  wird. 

Wenn  ich  sagte,  der  erste  Widerspruch  in  der  Musik  sei  der,  daß  sie  so- 
wohl zeitlich  als  räumlich  sein  könne  (womit  sie  die  beiden  existierenden  An- 

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schauungsformen  erledigt),  so  ist  das  so  gemeint:  sie  kann  die  Töne  sowohl 
aufeinander  folgen,  als  gleichzeitig  erklingen  lassen.  Die  Alten  taten  jenes, 
das  Mittelalter  dieses,  wir  tun  beides  und  das  gibt  uns  eine  unerhörte  musi- 
kalische Lebenskraft.  Die  Alten  waren  melodisch,  das  Mittelalter  kontra- 
punktisch, wir  verstehen  den  Reiz  der  Monodie,  aber  auch  die  Fülle  des  En- 
sembles — wir  können  das  Melodische  als  harmonisch  begründet  hören  (was 
im  Volkslied  dunkel  geahnt  war),  aber  auch  das  Harmonische  in  einer  melo- 
dischen Gesamtbewegung  (was  die  Niederländer  entbehrten).  Erst  war  die 
unharmonische  Melodie,  dann  die  Harmonie  als  Kontrapunktik  einzelner 
melodischer  Linien,  jetzt  ist  alles:  die  Musik  bewegt  sich  und  sie  steht  doch 
jederzeit.  Auf  die  Oper  angewendet  führt  das  zu  aufregenden  Problemen. 

Die  Oper  stellt  dar.  Die  Darstellenden  singen  Melodisches.  Die  Musik 
an  sich  treibt  sie  dazu,  auch  gleichzeitig  zu  singen.  Gleichzeitiges  Singen  ist 
unlogisch,  aber  schön.  Singen  sie  gleichzeitig,  so  stellen  sie  beinahe  schon 
nicht  mehr  sich  dar,  sondern  den  Stoff,  um  den  es  sich  handelt.  Wo  ist  die 
Grenze  ? In  dem  Augenblick,  da  sich  Darsteller  überhaupt  darauf  einlassen, 
zu  singen,  was  man  im  Leben  nicht  tut,  sind  sie  den  lieblichen  Intrigen  der 
Musik  ausgeliefert. 

Noch  ehe  unsere  Oper  getauft  war,  im  Jahre  1 597,  erschien  eine  „commedia 
harmonica“  von  Orazio  Vecchi,  unter  dem  Titel  L’Amfiparnasso.  Sie  ist  im 
26.  Band  der  Eitnerschen  Publikationen  neu  gedruckt,  die  interessanteste 
aller  alten  Madrigalopern.  Ein  merkwürdiges  Werk,  das  sich  lohnt,  an  dieser 
Stelle  zu  betrachten,  eine  Oper,  die  keine  Oper  ist,  sondern  nur  eine  Zusam- 
menstellung von  Madrigalen  oder  Chansons,  in  fünf  Stimmen  zu  singen,  wie 
sie  es  sonst  auch  gab,  hier  aber  vereinigt  als  Darstellung  eines  dramatischen 
Stoffes.  Der  Autor  sagt  in  der  Vorrede,  wie  ein  Maler  auf  seinem  Bilde  einige 
Hauptfiguren  in  ganzer  Größe  male,  andere  nur  als  Brust-  oder  Kopfstücke, 
den  Rest  in  der  Ferne  untereinander  gemengt,  so  sei  dies  Stück.  Nie  hat  ein 
Autor  seine  Arbeit  mit  einem  größeren  Mißverständnis  cingeleitct.  Das  Bild, 
wie  es  ihm  vorschwebt,  entspricht  der  späteren,  der  wirklichen  Oper,  die  ihre 
Hauptdarsteller  ganz  in  den  Vordergrund  bringt  und  die  Nebenfiguren  leicht 
darum  ordnet,  nach  dem  Muster  der  reifen  Renaissancekunst,  die  den  edlen 
Menschen  in  harmonischer  Umgebung  kultiviert.  Sein  Werk  aber  ist  byzan- 
tinische, ravennatische  Kunst:  Parallelismus  des  Mosaiks,  Korporation  des 
Gegenständlichen,  Projektion  des  Inhalts  in  ein  neutrales  dekoratives  En- 
semble. Hier  singen  irgendwelche  Stimmen  Szenen,  die  zwischen  bestimm- 
ten Menschen  spielen,  Szenen  zwischen  Herr  und  Diener,  Herr  und  Kurti- 
sane, ein  besseres  Liebespaar,  ja  sie  singen  die  Klage  der  Liebenden  allein, 
sie  singen  Eifersucht  und  sie  singen  Parodien,  in  vielen  Dialekten,  sie  singen 

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(als  Vorahnung  der  „Salome“)  eine  Szene  lärmender  Juden,  die  bei  der  Sab- 
batfeicr  keine  Zeit  haben,  einen  Diamanten  zu  beleihen,  halb  feierlich,  halb  ko- 
misch, Kontrapunktik  auf  hebräischen  Jargon  — sie  singen,  wie  unbeteiligte 
Instrumente,  irgendwelche  Szenen,  die  sie  von  der  Persönlichkeit  absichtlich 
loslösen.  Es  war  die  Anwendung  des  mittelalterlichen  Musikstils  auf  ein 
Drama:  geschehen  durch  den  Zufall,  daß  das  Instrument  des  Mittelalters 
der  Chor  war.  Das  ist  das  Merkwürdige. 

Wer  weiß,  vielleicht  hätte  unter  anderen  Umständen  aus  dieser  Kunst- 
form etwas  werden  können.  Sie  ist  durchaus  nicht  lächerlich.  Die  Chöre 
teilen  sich  vielfach  nach  den  Charakteren,  es  trägt  sich  in  einem  leicht 
sprechenden  Tone  vor,  sehr  biegsam  trotz  aller  Fugicrungen,  sehr  geschickt 
auf  Pointen  gestellt,  die  komischen  Szenen  von  ganz  modernem  Fluß,  im 
einzelnen  nicht  ohne  dramatischen  Effekt  (die  Stelle : „Lucio  lebt !“)  mit  hüb- 
schen musikalischen  Refrains,  in  den  Licbesszenen  so  reizend  in  einer  alten 
galanten  Stimmung,  wie  Kupferstiche  in  Musik.  Aber  die  Zeit  war  nicht  vor 
solchen  Versuchen,  sondern  hinter  ihnen.  Man  vertrug  nicht,  die  Menschen 
von  Menschen  geschildert  zu  hören,  sondern  w’ollte  sie  mehr  und  mehr  dar- 
gestellt, gespielt,  lebendig  gemacht  sehen,  man  vereinzelte  sie,  man  entriß 
sie  dem  Ensemble,  man  wollte  die  Musik  nicht  nur  hören,  sondern  auch 
sehen  — die  Renaissance  erwachte.  An  diesem  Punkte  zeigte  es  sich  strahlend. 

Die  neue  Oper  brachte  den  Sieg  der  horizontalen  Musik  über  die  vertikale. 
So  roh,  wie  ich  die  Perioden  vorhin  schnitt,  sind  sie  nicht  gewesen.  Die  Mo- 
nodie im  neuen  melodisch-harmonischen  Sinn  war,  wie  man  jetzt  weiß,  lange 
in  Italien  auch  kunstmäßig  vorbereitet  worden,  aber  der  Mut,  wie  ich  sagte, 
die  monodische  Stimme  nicht  bloß  zu  hören,  sondern  auch  zu  sehen,  war 
jetzt  erst,  in  der  Oper,  reif.  Auf  der  Bühne  stehen  einzelne  Menschen,  die  sie 
selber  sind.  Sie  singen  lange  Gesänge,  die  ihre  eigenen  Melodien  sind.  Die 
Gesänge  sitzen  auf  Begleitungen,  die  so  leicht  wie  möglich  gezimmert  sind. 
Alles  ist  gemacht,  das  Relief  der  Person  zu  erhöhen.  Diese  Begleitungen 
sind  zunächst  einfache  Baßnoten,  über  die  Ziffern  geschrieben  werden,  um 
ihren  Akkord  zu  bezeichnen : der  Generalbaß,  der  die  natürliche  Folge  der 
Konturmelodie  war.  Die  Italiener  spielen  den  Generalbaß  leicht  und  ein- 
fach. Rousseau  noch  bewundert  ein  zehnjähriges  Kind,  das  als  Baßspielcr 
auf  einem  Clavecin  eine  italienische  Operntruppe  begleitet:  es  spielt  mit 
zwei  Fingern  die  sparsamsten  Akkorde.  Die  Melodie  ist  emanzipiert  — bis 
wieder  der  Pendel  nach  der  anderen  Seite  geht,  bis  wieder  die  vertikale  Ton- 
fülle, die  das  Ohr  nicht  entbehren  mag,  über  dem  Generalbaß,  in  der  aus- 
geführten Begleitung,  im  reicheren  Orchester  sich  einschleicht,  breit  macht 
und  gefährlich  wird.  Und  nicht  am  wenigsten  auf  der  Bühne  selbst. 

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Wie  weit  die  harmonische  Musik  sonst  der  melodischen  Konkurrenz 
machte,  war  ihre  eigene  Sache,  war  Geschmack  der  Zeit  und  Trieb  des  Kom- 
ponisten. Auf  der  Bühne  war  es  Problem.  Nicht  bloß  die  logische  Unmög- 
lichkeit des  Zusammensingens  mehrerer  Personen  mußte  überwunden  wer- 
den, auch  ein  innerer  Widerspruch  trat  hervor:  die  Personen  haben  verschie- 
dene Charaktere,  im  Dialog  werden  sich  diese  Charaktere  absetzen  können, 
im  Duett  und  Terzett  — werden  sie  sich  vereinigen  können  ? Wagner  war 
vielleicht  der  einzige  wirklich  musikalische  Feind  der  Ensembles.  Er  war  es 
ja  auch  nur  theoretisch  und  nur  zeitweise  und  hat  sich  nicht  besser  wider- 
legen lassen,  als  er  es  selbst  tat.  Man  kann  sagen:  er  vermied  Chöre  und 
Duette  in  einer  gewissen,  theoretisch  zersetzten  Zeit  seines  Lebens.  Die  De- 
bussysche  Logik  (ist  Debussy  noch  Musiker  ?)  der  absoluten  Ablehnung  jedes 
Zusammensingens,  das  der  Möglichkeit  des  Redens  widerspricht,  durfte  und 
konnte  er  sich  nicht  antun.  Debussy  geht  in  seiner  Praxis  weiter,  als  die  fran- 
zösischen Enzyklopädisten  in  der  Theorie  gewünscht  hatten.  Rousseau,  des- 
sen musikalische  Befähigung  eine  recht  simple  war,  haßt  die  duos  engambes, 
diese  Verschränkungen  strengen  ihn  an,  er  verlangt  die  über  beide  Personen 
fortlaufende  Melodie,  die  höchstens  an  Stellen  lyrischer  Ekstase  sich  in  ein- 
fachen Terzen  oder  Sexten  vereinigen  dürften:  als  Muster  das  Duett  des 
ersten  Aktes  der  Pergoleseschen  Serva  padrona ! Und  Grimm  in  seiner  Lettre 
sur  Omphale,  ganz  unmusikalisch,  wie  er  ist,  weiß  nichts  zu  sagen  als:  les 
duos,  en  general,  ont  dejä  l’inconvenient  d’etrc  hors  de  nature.  II  n’est  pas 
naturel  que  deux  personnes  disent,  tournent  et  rctournent  les  meines  paroles 
pendant  une  demi-heure.  Auch  nur  in  den  leidenschaftlichsten  Momenten 
ihrer  Szene  erlaubt  er  ihnen,  von  diesem  Mittel  Gebrauch  zu  machen,  das 
die  Musik  als  ihr  Eigentum  proklamiert.  Arme  Rationalisten!  Die  Musik 
ließ  es  sich  durch  keinen  Einspruch  nehmen,  vor  der  Ekstase,  nachher  und 
mittendrin  die  Stimmen  zu  einem  Ensemble  zu  vereinigen,  wenn  sie  einen 
Grund  dazu  hatten.  Diese  Gründe  aber  waren  musiklogischer  Natur.  Die 
Musik  vereinigt  Gleichgestimmte  und  Gegengestimmte.  Sie  ist  keine  Über- 
setzung, sie  ist  eine  eigene  Sprache.  Sie  ist  die  Sprache  des  unbewußten  Mi- 
lieus, der  schwebenden  Versöhnungen,  des  Maßes  der  Leidenschaft,  der  hei- 
teren Menschlichkeit  und  des  zeitlosen  Weitblickes,  der  die  Geschehnisse  in 
ihrem  furchtbaren  und  in  ihrem  lächerlichen  Nebeneinander  sieht.  Sie 
scheint  den  Dialog  nur  zu  brauchen,  um  auf  diesem  gemeinen  Wege  ihre 
Figuren  so  weit  zu  führen,  daß  sie  nun  ihr  eigentümliches  Spiel  mit  ihnen 
treiben  kann,  ihre  Widersprüche  ineinander  hetzt,  ihre  Seelen  aufeinander 
entzündet,  ihre  Feigheiten  deckt,  ihren  Stolz  hcrausbrechen  läßt  und  dies 
ganze  wunderbare  stumme  Bild  der  zusammengeführten  und  sich  loslösenden 

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Menschen  aufklingen  läßt,  das  uns  täglich  vor  Augen  steht,  durch  keine 
Sprache  wiederzugeben,  zwischen  den  Worten,  zwischen  den  Taten.  Dies, 
o Enzyklopädisten,  ist  der  Wert  der  Ensembles.  Dies  ihre  höhere  Logik,  die 
ihre  weiten  Horizonte  zeichnet,  um  die  einzelne  Figur,  die  Stimme,  den  Aus- 
druck doppelt  zu  entfalten,  w'enn  er  sich  aus  den  Vielen  ablöst.  Französisch 
parallel,  italienisch  imitierend,  mit  dem  Solo  gemischt,  mit  dem  Chor  ge- 
mischt, werdend  und  vergehend,  fließend  und  stehend  — in  tausend  For- 
men hat  die  Musik  das  Ensemble  durchgearbeitet,  in  einem  höheren  Sinne 
das  Leben  nachahmend. 

Vom  Duett  bis  zum  Chor  sind  alle  Möglichkeiten  des  Ensembles  er- 
schöpft worden.  Der  Chor  war  der  feste  Punkt  auf  der  anderen  Seite 
des  Monologs.  Auch  nur  fest,  so  weit  es  die  vielfältigen  Theoretiker  der 
Musik  zuließen.  Die  Franzosen  liebten  ihn,  selbst  d’Alembert,  der  ge- 
rechteste, aber  farbloseste  unter  den  Enzyklopädisten,  billigt  ihn.  Die 
Italiener  schlossen  ihn  streckenweise  aus,  Bontempi  in  der  Vorrede  seines 
Paride  1662  fordert  seinen  Wegfall.  Seine  Seltenheit  erhält  die  italienische 
Oper  virtuoser  im  Solo,  intimer  im  Ensemble,  und  seine  Beliebtheit  gibt 
der  französischen  Oper  den  Glanz  und  die  Massensuggestion.  Aber  der 
Streit  um  ihn  war  mehr  ein  wirtschaftlicher  oder  persönlicher,  als  ein  ästhe- 
tischer und  logischer.  Niemand  bezweifelt,  daß  eine  Menge  Menschen 
in  einem  gleichen  Gefühl  sich  äußern  und  harmonisch  singen  kann,  um  so 
weniger  als  diese  Form  der  musikalischen  Betätigung  eine  althergebrachte 
und  erprobte  ist. 

Zwischen  diesem  Massenmenschen  und  jenem  Einzelmenschen  entwickeln 
sich  rapide  alle  die  dehnbaren  Künste  des  Ensembles,  in  den  merkwürdigen 
Ensemblerezitativen  der  italienischen  Oper  des  17.  Jahrhunderts,  überall  dort, 
wo  sich  Milieus  bilden,  nicht  bloß  lyrische,  wie  in  den  Liebesductten,  auch 
kanonische  Milieus  in  der  Art  des  Briefduetts  im  Figaro,  oder  dramatische  in 
der  Art  des  Rigoicttoquartetts,  das  zwei  feindliche  Paare  musikalisch  bindet, 
und  solche  mit  dem  Ausbruch  einer  schönen  Seele  aus  einer  dumpfen  Atmo- 
sphäre, wie  in  dem  Sextett  der  Verkauften  Braut.  Der  gegebene  Moment 
ist  ein  Aktschluß.  Zum  Aktschluß  sind  die  Wege  der  Personen  so  weit  ge- 
führt, daß  die  dramatische  Spannung  auf  der  Höhe  ist,  es  reizt  die  Musik, 
sie  zusammenzufassen  und  die  einzelnen  Stimmen  einzuregistrieren,  sie  zieht 
gleichsam  ein  stimmensymphonisches  Fazit  aus  ihren  bisherigen  Versuchen, 
und  sie  tut  das  um  so  geschäftiger,  wenn  sie  die  letzten  solistischen  Regungen 
mit  den  Ergüssen  des  Ensembles  noch  mannigfach  mischt  oder  gar  gerade  in 
diesem  turbulentenMilieu  noch  einen  besonderen  dramatischen  Akzent  nieder- 
gehen läßt  — es  ist  die  Geschichte  aller  Finales,  die  aus  diesem  Grunde  eine 

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so  wichtige  und  so  bunte  Gegend  der  Opernlitcratur  geworden  sind.  Es  ist 
lehrreich,  zu  erfahren,  aus  welchen  schüchternen  Anfängen  sich  das  große 
Opernfinale,  das  wir  in  seiner  fortreißenden  Gewalt  am  Ende  des  zweiten 
Tannhäuseraktes  kennen,  entwickelt  hat.  Die  Legende  wies  seine  Erfindung 
dem  Neapler  Logroscino  zu  und  die  neuere  Musikforschung  hat  ihr  nicht 
ganz  unrecht  geben  können.  Es  ist  schon  in  der  Buffooper  des  17.  Jahrhun- 
derts bescheiden  versucht,  aber  in  größerem  Stile  erst  viel  später  in  die  ernste 
Oper  übernommen  worden:  Neapel  vermittelt  es.  Dent  in  seiner  Mono- 
graphie über  Alessandro  Scarlatti,  den  Begründer  der  neapler  Oper,  teilt  ein 
Finalequartett  von  ihm  mit,  in  dem  eigentlich  nichts  geschieht,  als  daß  ein 
Hauptthema  durchgeführt  wird.  Die  Neapler  Vinci,  Leo,  Piccini  kennen 
es  auch  so:  in  der  Buona  figliuola  des  Piccini  ist  es  ein  Rondo.  Dagegen 
Logroscinos  Oper  Governatore,  über  die  Kretzschmar  im  Petersjahrbuch  von 
1908  nach  ihrer  merkwürdigen  Auffindung  in  Münster  geschrieben  hat  — 
die  Noten  sind  dort  nachzulesen  — zeigt  wirklich  ein  großes  Finaleensemble, 
das  erste  jedenfalls,  das  uns  in  dieser  Art  erhalten  ist,  ein  bißchen  monoton, 
aber  doch  frei  in  der  Form,  nicht  im  strengen  Dakapo,  sondern  aus  der 
Situation  gewonnen,  sogar  mit  dem  dramatischen  Akzent  eines  plötzlichen 
Haftbefehls.  Der  Governatore  ist  von  1747.  Dies  neapler  Finale  ist  der 
Kern  der  eigentlichen  Musikoper  innerhalb  der  Dialogoper  geworden. 
Durch  die  Kraft  des  Ensembles  und  seiner  Mischungen,  durch  die  freie 
Ausdehnung  der  vertikalen  Musik. 


Noch  ein  zweiter  Widerspruch  in  der  Musik 

ICH  habe  an  einigen  Punkten  den  Konflikt  aufgedeckt,  der  zwischen  der 
melodischen  und  harmonischen  Musik  in  der  Oper  besteht.  Ich  wende 
mich  zu  der  anderen  Antinomie:  zwischen  dem  psychologischen  Instinkt  und 
den  formalen  Ansprüchen.  Es  wird  ernst. 

Ein  natürlicher  Ausdruck  kann  nicht  gegliedert  sein,  und  eine  überlegte 
Gliederung  kann  psychologisch  nicht  wahr  sein.  Die  natürliche  Musik  folgt 
dem  Ausdruck,  die  gegliederte  dem  rhythmischen  Bedürfnis  des  Baus;  jene 
ist  ehrlich,  diese  schön  — da  aber  Ehrlichkeit  auch  immer  schön  und  Schön- 
heit immer  ehrlich  ist,  so  haben  beide  Prinzipien  recht,  sie  folgen  nur  ver- 
schiedenen Ansprüchen,  das  eine  mehr  inneren,  die  äußere  werden  wollen, 
das  andere  mehr  äußeren,  die  innere  werden  wollen.  Die  Musik,  Weltseele, 
die  sie  ist,  vereint  beides,  ja,  sie  zeigt,  daß  beides  nur  Koeffizienten  eines 
höheren  Produktes  sind,  der  Synthese  von  Form  und  Inhalt.  Sie  hat  der 

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Kunst,  dem  Geschmack,  den  Fähigkeiten  überlassen,  im  einzelnen  Falle  die 
Grenze  zu  ziehen. 

Es  müssen  große  Momente  gewesen  sein,  da  in  den  ersten  Opern  die  vor- 
tretenden Solistinnen  ihre  ganze  Seele  in  ausgedehnte  Monodien  ergossen.  Vor 
der  Ariadne  Monteverdis,  vor  der  Tetis  und  Medea  Cavallis  fühlte  man  das 
musikalische  Herz,  das  jahrhundertelang  starr  gewesen  war,  erweichen.  Der 
Abschied  von  Äneas  und  Creusa  in  Cavallis  Dido  rührte  zu  Tränen.  Die 
Geister  der  Untenveit  in  seiner  Tetis  und  dem  Giasone  offenbarten  eine 
ungeahnte  darstellende  Kraft.  Die  Sehnsucht  nach  natürlichem  Ausdruck 
hatte  die  Anfänge  der  Oper,  der  ganzen  neuen  Musik  beflügelt.  In  dem 
Dialog,  den  Vincenzo  Galilei  della  musica  antica  e della  moderna  1581  er- 
scheinen ließ  (dem  Grafen  Bardi  gewidmet,  dem  Protektor  der  neuen  Schule), 
weist  er  auf  den  seelischen  Charakter  der  Sprache  guter  Schauspieler,  vor 
allem  auf  die  Charakterunterschiede  in  der  Sprache  verschiedener  Stände  als 
Vorbild  der  musikalischen  Gestaltung  hin  — „sie  sollen  acht  geben,  wie  der 
Fürst  mit  den  Vasallen  oder  Bittstellern,  wie  der  Zornige,  wie  der  Eilfertige, 
wie  die  Matrone,  wie  das  Mädchen  redet,  wie  der  einfältige  Knabe  spricht, 
wie  die  schlaue  Buhlerin,  wie  der  Liebende  zur  Geliebten,  um  ihr  Herz  zu 
rühren,  wie  der  Klagende,  der  Schreiende,  der  Furchtsame,  der  Lustige  — 
hat  doch  selbst  das  Tier  seine  Stimme,  um  auszudrücken,  ob  ihm  wohl  oder 
wehe  ist“.  Galilei  sieht  man  jetzt  als  den  theoretischen  und  auch  praktischen 
Beginncr  der  neuen,  der  heutigen  Musik  an,  aber  was  er  anstrebte,  konnte 
erst  durch  die  Notwendigkeiten  der  Oper  gelöst  werden.  Die  Ausdrucks- 
wellen, die  aus  den  Werken  Monteverdis  und  Cavallis  hervorbrechen,  sind 
Lebensforderungen  auf  der  Bühne.  Monteverdi  liebt  diesen  stilo  concitato, 
der  Mimik  und  Ausdruck  auf  eine  ganz  andere  scharfe  Weise  vereinigt,  als 
der  gewöhnliche  Theaterstil,  den  er  „weich“  nennt.  Er  hält  sich  für  den 
Erfinder  des  „concitato“.  Er  schreibt  das  Halbballett  Combattimento  di 
Tancredi  e Chlorinda,  um  die  präziseste  Gleichzeitigkeit  von  Gebärde  und 
Musik  daran  zu  lehren,  der  erste  bewußte  Versuch  des  Gesamtkunstwerks. 
Was  ist  das  anderes  als  die  Anrufung  der  Musikscele  ? Wie  er  in  einem  Briefe 
aus  Venedig  vom  9.  Dezember  1616  sagt:  „Ariadne  rührte  uns,  weil  sie  ein 
Weib  war,  und  ebenso  rührte  uns  Orpheus,  weil  er  ein  Mann  war  — und 
nicht  ein  Wind.“  Die  Musik  entdeckt  sich  neu,  indem  sie  Sprache  wird, 
sie  öffnet  der  Melodie  den  Mund,  der  so  lange  nur  ein  Instrument  gewesen 
war,  nun  Menschliches  zu  künden;  sie  öffnet  den  Mund  der  Begleitung,  der 
Harmonie,  den  Violinen,  den  Bläsern,  und  das  Genie  Monteverdis  erfindet 
nicht  nur  neue  seelische  Instrumentalbehandlungcn,  w'ie  das  berühmte  Tre- 
molo, das  das  bange  Zittern  eines  dauernden  Seelenzustandes  wiederzugeben 

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scheint,  sondern  auch  die  Nuancen 
der  sprechenden  Akkorde,  der  Sep- 
timenakkorde, die  eine  Begierde  nach 
einer  dramatischen  Lösung  in  sich 
tragen,  farbig  wie  alle  Akkorde,  die 
mit  der  Zeit  seelische  Beziehungen 
so  unwillkürlich  ansetzen,  daß  Wil- 
helm Heinse  in  seinem  Opernroman 
„Hildegard  von  Hohenthal“  ganze 
Tabellen  des  Akkordausdrucks  an- 
legt, nach  den  bestehenden  Opern 
in  Beispielen  durchgeführt.  Und 
doch  — wie  ist  es  mit  dem  Aus- 
druck ? Man  hat  gesagt.  Glucks 
Orpheus  könnte,  ohne  die  Musik 
seiner  Arie  zu  verändern,  statt  „Ich 
habe  sie  verloren“  singen : „Ich  habe 
sie  gewonnen“  — und  die  Arie  wäre 
nicht  weniger  schön  und  nicht  weni- 
ger wahr.  Monteverdi  machte  aus 
seiner  großen  Ariadncklage  einen 
Gesang  der  Mater  dolorosa  mit  um- 
geändertem Text.  Mozart  machte  aus  alten  Chören  zum  Drama  König 
Thamos  kirchliche  Hymnen  mit  lateinischem  Text.  Der  Musikausdruck 
ist  keine  patentierte  Etikette.  Er  ist  spezifisch:  in  gewissen  kleinen  Zügen, 
die  er  nachmalt,  und  in  gewissen  Zeiten,  die  ihn  bis  zur  Photographie  der 
Seele  gesteigert  haben.  Aber  er  ist  im  allgemeinen  ein  Stimmungsfaktor, 
der  vielen  Auslegungen  freisteht  und  gutem  Zureden  gern  folgt.  Ist  er 
Kultur,  so  gibt  er  der  angesammelten,  assoziativen  Empfindung  einer  Zeit 
die  Gestalt.  Ist  er  Detail,  so  richtet  er  sich  nach  der  persönlichen  Farbe, 
Laune,  Seelenkonstitution  des  Komponisten.  Er  malt  hier  und  da  und  er 
malt  das  Ganze.  Wie  man  will.  Er  ist  nicht  zu  fassen.  Wäre  er  zu  fassen, 
so  wäre  die  Seele  der  Musik  eine  Farce  wie  der  Sprung  eines  Excentrics. 
Und  doch  ist  er  heiß  wie  das  Innere  der  Erde.  Im  18.  Jahrhundert 
schwärmte  man  für  die  psychologische  Beweglichkeit,  den  schönen  Ausdruck 
der  formellen  italienischen  Opernmclodic,  der  sich  in  jedem  Tempo  bewähre. 
Es  war  das  Klima  der  Zeit.  Verdi  läßt  auf  den  Dreivierteltakt  des  Walzers 
Klagen  ertönen,  daß  man  ihre  Weise  sein  Leben  lang  in  ähnlichen  Stim- 
mungen nicht  los  wird.  Ist  das  Leben  so  bunt  ? Aber  der  Walkürenritt  wird 

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nie  ein  Trauermarsch  und  die  Trauermusik  Siegfrieds  nie  ein  Liebeslied  sein 
— oder  doch  ? Die  Situation  der  Oper  fixierte  den  Ausdruck,  bis  man  ihn 
ihr  glaubte.  Der  Ausdruck  ist  Feuer,  heiß  und  gestaltlos.  Er  setzt  sich  an 
zündbare  Stoffe,  verfolgt  sie  ihren  Linien  nach  und  hat  ihre  Form  zerstört, 
wenn  er  sie  ohne  Hemmungen  in  Gase  verwandeln  darf. 

Darum  wahren  sie  sich  zuzeiten  ihre  Form.  Sie  appellieren  an  die  andere 
Kunst  der  Musik,  zu  bauen,  zu  schmieden,  zu  reimen,  in  rhythmischen  Wie- 
derholungen sich  zu  gliedern.  Sie  geben  der  Leidenschaft  die  Grenze  des 
Schönen,  und  der  Wahrheit  erlauben  sie,  sich  zu  schleifen,  lyrisch  zu  fazct- 
tieren,  als  Gebilde  aus  Menschenhand  zu  glitzern.  „Musik,  auch  in  der 
schaudervollsten  Lage,“  schreibt  Mozart,  „darf  das  Ohr  nie  beleidigen,  son- 
dern doch  dabei  vergnügen.“  Nun,  Vergnügen  ist  die  Wahrheit  auch  — 
aber  wer  weiß  cs,  wo  sie  aufhört  ? Das  Ohr  ist  das  große  Geräusch  der  Welt 
gewohnt,  das  aus  Dissonanzen  uns  zur  Musik  ruft.  Es  kehrt  zur  Welt  zurück: 
Monteverdi  setzt  den  verminderten  Septimenakkord  hin,  der  alle  Schauer 
und  Qualen  in  vier  aufeinander  folgenden,  höchst  konsonanten  kleinen  Ter- 
zen vereinigt.  Die  Wahrheit  ist  ohne  Ende  und  — das  Ohr  auch.  Aber  die 
Form,  die  gestaltenbildend  in  den  Strukturen  der  Dinge  lebt,  heißt  uns 
scheiden  und  wählen  und  anfangen  und  aufhören  und  Beziehungen  schaffen : 
eine  rhythmische  Räumlichkeit,  eine  musikalische  Kausalität.  Die  Oper,  das 
Abbild  dieses  und  jenes  Lebens,  lehrte,  zwang,  forderte  die  Ordnung.  Sie 
scheidet  das  Erzählende  und  das  Lyrische,  das  sie  im  Dramatischen  verbindet. 
Das  Erzählende  läßt  sie  in  einem  leichten  Sprechton  sich  abwickeln,  erhöhte 
Rede,  niedergedrückte  Musik:  das  Rezitativ.  Es  läuft  fast  taktlos,  von  spar- 
samen Harmonien  gestützt,  die  in  alten  Zeiten  der  Clavecinist  spielt.  Es  ist 
nichts  als  wahr:  der  stilo  rappresentativo,  mit  dem  die  Oper  begann.  Wie 
wenig  ist  es  darum!  Es  sehnt  sich  aus  seinem  trockenen  Zustande  (Secco- 
Rezitativ)  heraus.  Es  wird  pointierter  Ausdruck,  sorgsamer  deklamiertes  Rezi- 
tativ, Akkompagnato,  vom  Orchester  begleitet,  mit  Zwischenspielen,  Aus- 
brüchen, Malereien,  schon  nicht  mehr  erzählend,  sondern  dramatisch,  zu 
kolossalen,  explosiven  Steigerungen  sich  erhebend:  so  schreitet  cs  von  den 
psalmodierenden  Gesängen  der  ersten  Italiener  und  Franzosen  zu  Jommellis 
vielbewunderten  Hochrezitativen  vor. 

Das  Rezitativ  ist  der  Bruder,  die  Arie  die  Schwester.  Beginnt  er,  setzt 
sie  fort,  wie  es  das  Schema  der  meisten  Opern  war;  so  ist  die  Sexualität  der 
Musik  nach  allen  Seiten  gewahrt.  Die  Arie  entsteht  als  lyrisches  Korrelat 
zum  rezitativischen  Epos.  Die  Erzählung  ist  zum  Punkte  geführt:  nun  macht 
sich  das  Gefühl  breit,  cs  singt  sich  aus.  „Arien,“  sagt  Heinse,  „sind  gleich- 
sam reizende  Thuner  und  Genfer  Seen  nach  den  Stürzen  der  Aare  und  der 

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Rhone.“  Die  Arie  ist  kein  Lied.  Das  strophische  Lied,  dies  natürliche  Pro- 
dukt des  singenden  und  reimenden  Volkes,  sitzt  wohl  hier  und  da  in  der 
Oper,  aber  als  Blume,  als  Schmuck,  als  Zitat.  In  Nürnberg  wird  1644  eine 
Art  Oper,  „Seelewig“,  aufgeführt  (so  etwa  Herkules  am  Scheidewege),  von 
Harsdörfer  und  Staden,  gänzlich  verloren  in  der  Weltgeschichte,  eine  alte 
Oper  mit  deutschem  Text:  da  gibt  es  gar  kein  Rezitativ,  sondern  alle  Er- 
zählungen und  Dialoge  sind  liedmäßig  behandelt.  Wie  im  alten  französischen 
Singspiel,  wie  in  der  englischen  Volksoper  das  Liedchen  steht.  Man  könnte 
philosophieren,  ob  damit  nicht  eine  Kunstgattung  verloren  ging  — die  mon- 
däne Form  der  Arie  triumphierte  über  alle  solche  Versuche.  Wagner  haßte 
sie  ihrer  Mondänität  wegen,  er  sah  in  ihr  („Oper  und  Drama“)  ein  künst- 
liches Gezücht,  eine  Destillation  der  Natur,  eine  Melodie,  die  man  ebenso 
singen,  wie  spielen,  wie  pfeifen  könne  — den  Geschäftsartikel  von  Rossini. 
Wir  sind  unpolemischer.  Wir  verkehren  mit  ihr,  als  mit  einer  Dame  von 
Welt,  die  ihr  Kostüm  nach  der  Mode  schneidet,  ohne  damit  viel  herzu- 
machen — sie  ist  sich  ihres  Sieges  sicher,  sie  lächelt  mit  einem  Unterbewußt- 
sein von  Sinnlichkeit,  sie  kennt  die  Verlockungen  des  süßen  Dakapo  und  die 
Spielereien  der  Kadenz  und  die  instrumentale  Virtuosität,  die  kaum  noch 
der  Worte  bedarf,  um  verstanden  zu  werden : Sentiments  lösen  sich  in  guten 
Manieren  auf,  die  Situation  bewahrt  ihre  Haltung,  eine  dekorative  Moral 
schützt  vor  allzu  intimen  Konfidenzen  und  scheut  vor  gefährlichen  Avancen, 
unter  denen  nur  die  des  Erfolges  geduldet  und  sogar  gezüchtet  werden.  Ihr 
Kostüm  ist  meist  die  Dakapoform,  die  sich  schüchtern  schon  vorher,  schon 
in  Venedig  empfohlen  hatte:  in  der  Geburtsstadt  der  mondänen  Oper,  wo 
die  Koloratur,  das  Finale,  das  begleitete  Rezitativ  den  Schnitt  erfahren, 
wird  sie  sanktioniert.  Die  Historiker  finden  sie  fertig  schon  1661  bei  dem 
Florentiner  Tenaglia  oder  1686  im  Befreiten  Jerusalem  und  1687  in  der 
Antiope  des  Dresdeners  Carlo  Pallavacino,  aber  sie  geben  doch  dem  Neapler 
Scarlatti  die  Ehre,  sie  in  der  Oper  als  ständige  Institution  — 1693  mit  der 
Teodora  — eingeführt  zu  haben.  Die  Dakapoarie  wiederholt  ihren  Anfang 
zum  Schluß,  schiebt  also  einen  unterschiedenen  Mittelteil  dazwischen.  Ein 
Ritornell  leitet  sie  ein,  die  Melodie  verräterisch  anklingen  lassend:  dann  er- 
greift die  Stimme  diese  Weise,  führt  sie  durch  alle  ihre  Künste,  setzt,  wie 
in  einer  Anwandlung  ernster  Nachdenklichkeit,  den  zweiten  Teil  dagegen 
und  strahlt  ihre  Bravour  in  der  Wiederholung  aus,  die  das  entzückte  Ohr 
als  eine  Schmeichelei  seines  rhythmischen  Gewissens  empfindet.  Ist  es  die 
Rondoform,  so  wird  das  Prinzip  der  Wiederholung  (mit  wechselnden  Gegen- 
sätzen) noch  suggestiver.  Ist  es  die  Kavatine,  wiederholt  sich  einfach  der 
erste  Teil.  Oder  der  erste  Teil  der  Arie  wird  auf  der  Oberdominante  vvieder- 

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holt,  dann  kommt  der  Gegensatz  und  zuletzt  die  Wiederholung  in  der 
Grundtonart.  Es  finden  sich  alle  nur  möglichen  Varianten.  Alle  diese  Reize 
haben  die  Neapler  gekannt,  probiert  und  auf  lange  Zeit  in  die  Welt  gesetzt : 
Wiederholungen  von  Wiederholungen,  das  Dakapo  einer  Dakapoform,  das 
durch  Gewohnheit  und  Formsicherheit  triumphieren  mußte.  Mit  dem  Ge- 
setz der  großen  Welt  sollten  sich  selbst  die  Verständigen  abfinden  — Agri- 
cola  in  der  Bearbeitung  vonTosis  Gesangsschule  fordert  die  Textdichter  auf, 
ihre  Worte  so  zu  setzen,  daß  sie  durch  die  Wiederholung  der  Teile  nicht 
Sinn  und  Kraft  verlieren.  „Vielleicht  kann  man  es  sogar  so  weit  bringen, 
daß  die  Arien,  durch  die  Wiederholung  von  vorn,  noch  eine  neue  Stärke  be- 
kommen.“ Die  Wiederholung  ist  die  Erfüllung  eines  Versprechens,  ein  Ren- 
dezvous nach  der  ersten  Vorstellung,  und  schließlich  doch  die  gute  Sitte  der 
Refrainbildung  in  allem  Lyrischen.  Es  macht  den  Vortrag  zur  Nummer. 
Die  Nummer  kann  man  aus  der  Oper  in  den  Konzertsaal,  in  die  Gesellschaft 
exportieren  — sie  ist  ohne  Milieu.  Sie  ist  heimatlos  wie  die  große  Dame,  die 
heute  in  Neapel,  morgen  in  Wien  ihre  Abenteuer  hat.  Ihre  Formen  sind  die 
Formen  der  Welt.  Sie  sind  vorherbestimmt  nach  der  Konvention.  Das 
Schicksal  ist  in  Szenen  geregelt.  Die  Oper  setzt  sich  mit  ihren  Rezitativen, 
Ensembles,  Arien,  Kavatinen,  Romanzen,  Rondos,  Kouplets  aus  export- 
fähigen Nummern  zusammen.  Der  Inhalt  wird  numeriert,  der  Ausdruck 
paginiert,  die  Darstellung  schabionisiert,  das  Erlebnis  skandiert  — bis  die 
unnumerierte  Seele  dieser  Welt  endlich  revolutioniert!  Ist  dies  das  alte 
Buffolied  ? Der  alte  Weltenreim  ? Wie  das  epische  Rezitativ  sich  in  das 
Drama  zurücksehnt,  sehnt  sich  die  lyrische  Arie  ebendahin  zurück.  Sie  ver- 
liert ihre  Grenzen,  sie  schämt  sich  der  Coupierung,  sie  schwört  der  Psycholo- 
gie neue  Treue,  sie  verwirft  das  Kostüm  der  Dakapoform  und  den  Schmuck 
der  Koloratur  und  die  Koketterie  der  hohen  Töne  und  alle  ncapler  und 
europäischen  galanten  Manieren  und  kehrt  zurück,  woher  sie  gekommen : in 
den  Ausdruck.  Das  Drama  hat  seine  Bestandteile,  in  die  es  sich  zersetzte, 
um  nicht  zu  verfließen,  wieder  in  sich  aufgenommen  — um  einst  das  Spiel 
von  neuem  zu  beginnen  ? Das  Drama  ist  Gesang  geworden,  um  wieder 
Drama  zu  werden.  Die  Darstellung  Vortrag,  um  wieder  Darstellung  zu  wer- 
den. Ausdruck  — Form  — Ausdruck  — ein  anderer  Galilei,  der  Sohn  Vin- 
cenzos,  hatte  das  Gesetz  des  Pendels  gefunden. 


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Dritter  Widerspruch:  Der  Text 
Zuerst  der  Stoff 

DOCH  nun  genug  vorläufig  von  der  Musik.  Wenden  wir  uns  zur  Sprache, 
zu  dem  Verhältnis  von  Ton  und  Wort,  zu  der  neuen,  großen  Anti- 
nomie, die  sich  bildet,  indem  diese  Töne  nicht  bloß  tönende,  sondern  ge- 
sungene Töne  sind,  gesungen  von  dem  leidenschaftlichen  Instrument  der 
menschlichen  Kehle,  dem  scelen vollsten  und  farbigsten  aller  Instrumente, 
aber  auch  dem  anspruchsvollsten,  da  es  nicht  aufhören  will  zu  sprechen,  auch 
wenn  es  singt.  Wie  kommt  die  Sprache  mit  dem  Gesang  aus  ? Welche 
neuen  Schwierigkeiten,  Irrationalitäten  bilden  sich  da  ? Ist  die  Musik  die 
Führerin  oder  die  Poesie  ? Gibt  es  eine  Einigung  ? Ein  Wald  von  Meinungen, 
Widersprüchen,  Parteien  hat  sich  um  diese  Frage  aufgerichtet.  Ich  möchte 
nicht  in  das  Gestrüpp  geraten.  Ich  möchte  klar  fragen  und  antworten:  Welche 
Probleme  bilden  sich  dadurch,  daß  eine  Oper  eine  gesungene  Dichtung  ist  ? 

Vier  Probleme  bilden  sich.  Erstens  das  des  Stoffes,  des  Inhaltes  der  Oper. 
Zweitens  das  der  Sprache  und  Nationalität.  Drittens  das  der  Deklamation 
in  Musik.  Viertens  die  Personalfrage  der  Librettisten  und  Komponisten. 
Alles  geht  hinein  in  diese  vier  Szenen,  die  den  zweiten  Akt  der  Opernanti- 
nomie ausmachen.  Und  es  sind  Szenen  voll  dramatischen  Lebens,  wie  ich 
sie  sehe. 

Der  Inhalt  einer  Oper  breitet  sich  nicht  ungestraft  in  der  Verzweigtheit 
eines  gesprochenen  Schauspiels  aus.  Heut  werden  Dramen,  die  als  Schau- 
spiele geschrieben  sind,  wie  die  Salome,  die  Elektra,  Pelleas  und  Melisande, 
mit  geringen  Abzügen  in  Musik  gesetzt,  Dramen  wie  Hofmannsthals  „Ro- 
senkavalicr“,  der  als  Text  geschrieben,  als  Schauspiel  stark  genug  wäre  — 
w’enn  sie  nur  jenen  leichten  Hauch  noch  von  darübergelagerter  Musik  ahnen 
lassen,  wie  ihn  Rostands  „Romantische“,  der  nie  komponierte  und  muster- 
gültigste aller  Operntexte  am  jungfräulichsten  atmet,  ein  Blumenduft,  der 
aus  gutgezüchteten  Worten  aufzusteigen  scheint,  um  von  der  Musik  gefangen 
zu  werden.  Hier  hat  die  Poesie  gesiegt,  endgültig  gesiegt,  nachdem  sie  so  oft 
angestrebt  hatte,  der  Musik  durch  anständige  Haltung  zu  imponieren.  Wirk- 
lich endgültig?  Die  Musik  hat  sich,  zugestanden  oder  nicht  zugestanden, 
von  jeher  für  die  Hauptsache  einer  Oper  gehalten,  weil  sie  ihr  den  besonderen 
Charakter  gibt.  Sie  hat  ihre  Ansprüche  an  die  Poesie  gestellt  und  diese  hat 
ihr  willfahren  müssen,  um  eine  für  sie  unentbehrliche  Verschwisterung  nicht 
zu  verlieren.  Unentbehrlich  ? Ja,  ein  Fragezeichen  folgt  dem  anderen.  Man 
hat  sich  entschieden,  daß  Opern  existieren.  Man  hat  der  Musik  gar  nicht 

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das  Recht  zu  geben  brauchen,  die  Poesie  zu  zähmen,  denn  dies  Recht  lag  in 
der  Existenz  des  musikalischen  Dramas.  Und  weil  daneben  noch  das  litera- 
rische Drama  existierte,  kam  der  Poesie  die  Kraft,  ein  Gewissen  zu  besitzen 
und  Übergriffe  der  Musik  zurückzudrängen,  ja  sie  mitunter  zur  Dekoration 
herab-  und  heraufzuwürdigen.  Es  stritt  die  Musik,  der  an  sich  das  Wort 
wohl  entbehrlich  w'ar,  mit  dem  Drama,  dem  an  sich  die  Musik  wohl  entbehr- 
lich war,  um  die  Oper,  die  man  rasend  liebte. 

Der  hitzige  Neffe  Rameaus,  den  Diderot  der  Welt  vorstellte,  schreit 
aus:  „Die  Leidenschaften  müssen  stark  sein.  Die  Zärtlichkeit  des  lyrischen 
Poeten  und  des  Musikus  muß  extrem  sein.  Die  Arie  ist  fast  immer  am  Schluß 
einer  Szene.  Wir  brauchen  Ausrufungen,  Interjektionen,  Suspensionen,  Un- 
terbrechungen, Bejahungen,  Verneinungen.  Wir  rufen,  wir  flehen,  wir 
schreien,  wir  seufzen,  wir  weinen,  wir  lachen  von  Herzen.  Keinen  Witz, 
keine  Sinngedichte,  keine  hübschen  Gedanken,  das  ist  zu  weit  von  der  ein- 
fachen Natur.“  Die  Musik,  die  durch  diesen  Mund  spricht,  verwirft  alle 
Kompliziertheiten  der  Seele  und  des  Denkens,  sie  ruft  nach  einfachen,  ver- 
ständlichen Situationen,  nach  den  großen  Leidenschaften,  den  allgemein 
menschlichen  Szenen.  Die  Iphigenien  treten  hervor,  die  Alceste  und  Or- 
pheus und  Daphne  und  Thetis  und  Jason  und  alle  mythologischen  Figuren, 
deren  Schicksale  einfache  und  bekannte  sind.  Das  Sagenhafte  rückt  sie  aus 
den  realen  Bedingungen,  idealisiert  ihre  Lebensführung,  empfiehlt  sie  der 
Musik,  deren  Ehrgeiz  sich  auf  abgearbeiteten  Stoffen  besser  erfüllt.  Die  Mu- 
sik umgibt  sie  dafür  mit  einer  Aureole,  nach  der  sie  sich  sehnten,  als  sic  sich 
entschlossen,  den  Weg  vom  Drama  in  die  Oper  zu  nehmen,  umkleidet  sie 
mit  den  Künsten  der  Virtuosität,  mit  den  letzten  Rührseligkeiten  ausströ- 
mender Seelen.  Und  die  Völker  folgen  nach,  die  Völker  aller  Mythologien, 
bis  nach  Persien  und  dem  Nordland,  die  Völker  der  neuentdeckten  deutschen 
Mythologie,  keltische  und  slawische  Verwandte,  die  Heiliggesprochenen  aus 
der  Geschichte  um  Nero  und  Alexander,  die  romantischen  Wesen  um  Ar- 
mida  und  Roland  und  Tankred,  alles,  was  je  die  Literatur  oder  die  Historie 
in  das  allgemeine  Bildungsbewußtsein  der  Menschen  senkte,  als  Namen  für 
bekannte  Schicksale,  als  Träger  der  ewig  wiederkehrenden  Empfindungen 
von  Herrschsucht,  Liebe,  Neid  und  Rache.  Sobald  sich  ein  Litcraturstoff 
genügend  abgesetzt  hat,  um  Zitat  werden  zu  können,  greift  die  Musik  nach 
ihm  und  knechtet  sich  ihn.  Ein  Fischfang  sondergleichen  von  einer  Kunst 
in  der  anderen,  keine  Umsetzung  wie  in  der  Malerei,  sondern  ein  Fischfang 
mit  Zubereitung  und  Sauce.  Ist  cs  künstlerisch  hoch  zu  schätzen  ? Ich 
glaube:  niemals  hatte  eine  der  vielen  textgedichteten,  auch  keine  der  fertig 
komponierten  Iphigenien  ihre  höchsten  Rivalinnen  aus  dem  literarischen 

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Fach  nur  ansehn  dürfen,  ohne  zu  erröten.  Aida  war  ein  frei  erfundener 
Text,  eine  schöne  Maske.  Hans  Sachs,  der  nicht  errötet,  hat  immerhin  ge- 
lebt. Er  war  der  erste  textgedichtete  Mensch,  der  sich  nicht  zu  schämen 
brauchte. 

Grimm  sagt  in  der  Lettre  surOmphale:  „Ein  Gott  kann  staunen  machen, 
aber  kann  er  interessieren  ?“  Mehul  schreibt  einmal:  „Ich  habe  immer  emp- 
funden, daß  es  leichter  ist,  Paladine  als  Senatoren  und  Konsuln  singen  zu 
lassen.“  Der  eine  ist  für  das  reale  Leben,  der  andere  dagegen.  Sie  einigen 
sich  in  der  Mitte,  bei  der  Romantik,  die  die  Verarbeitung  zur  Oper  am  ehe- 
sten verträgt.  Was  tut  denn  die  Oper  ? Soll  sie  immer  ein  Schäferspiel  sein, 
wie  sie  es  war,  als  man  der  Gegenwart  nicht  ins  Auge  sehen  konnte  ? Sind 
Opernfiguren  Gespenster,  anakreontischc  Puppen,  unkontrollierbare  Ritter 
oder  Halbgötter  aus  einer  wesenlosen  Zeit  ? Ah,  sie  singen.  Man  singt  nicht 
im  realen  Leben  und  die  Götter  sind  nicht  unsere  Götter.  Also  nehmt  die 
Mitte,  Menschen,  die  immerhin  noch  Menschen  sind,  aber  doch  singen  dür- 
fen, weil  sie  in  einer  zeitlosen  Zeit  lebten,  wo  man  ihnen  alles  zutraut,  selbst 
diese  wunderbare  Gabe,  im  Gesang  ihre  Seele  zu  öffnen,  die  erschütterndste 
Kunst,  die  wir  kennen.  Welche  Zweifel!  Die  erschütterndste  Kunst  und 
wesenlose  Wesen,  menschliches  Glück  und  Schmerz  und  Geschichte,  Mytho- 
logie, Romantik  oder  gar  — Bibel  ? Die  Hamburger  Oper  am  Gänsemarkt, 
in  deren  Komitee  ein  Lizentiat  war,  begann  ihre  Tätigkeit  1678  mit  einem 
Singspiel  „Adam  und  Eva“,  das  nächste  Jahr  gab  es  Die  Makkabäische 
Mutter,  zwei  Jahre  darauf  die  Oper  Die  Geburt  Christi.  Heut  entsetzen 
sich  die  Milliardärstöchter  von  New  York  vor  der  Wilde-Straußschcn  Sa- 
lome, die  an  Ernst  und  Tiefe  sämtliche  Hamburger  Texte  glatt  nieder- 
schlägt. Vielleicht  wenn  man  einen  Hanswurst  an  den  Hof  des  Herodes 
brächte  ? Damals  genierte  man  sich  nicht.  Joseph  in  Ägypten  und  Samson 
ist  erlaubt,  das  Alte  Testament.  Ist  die  Bühnenmusik  eine  so  vergnügliche 
Dirne,  daß  man  ihr  das  Neue  Testament  nicht  anvertraut  ? So  leidet  sie  an 
den  Sünden  ihrer  Väter.  Schreibt  Militäropern.  Die  Uniform  ist  die  letzte 
Möglichkeit  einer  modernen  Mythologie. 

Ich  schweife  in  den  Stoffverlegcnhciten  der  Oper  umher  und  rette  mich 
in  die  Buffa. 

Ich  weiß  nicht,  ob  die  Oper  sich  entschloß,  dem  alltäglichen  Leben  näher 
zu  treten,  weil  es  furchtbar  komisch  für  die  Musik  ist,  Milchfrauen  und 
Bauernlümmel  in  Töne  zu  setzen,  oder  weil  es  die  Poesie  kitzelte,  rührende 
und  einfache  Geschichten  aus  dem  Dorf  dem  reinen  Ausdruck  dieser  seelen- 
vollen Kunst  zu  übergeben.  Jedenfalls  traf  es  sich.  Die  Romantik  der  See- 
jungfern und  Ritterabenteuer  schleicht  sich  unter  der  Decke  der  Musik  in 

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die  Mythologie,  und  das  Leben  Venedig»,  galante  und  bissige  Szenen  schlei- 
chen sich  in  die  romantische  Oper.  Der  Momus  in  Cavallis  Tetis,  der  stot- 
ternde Demo  in  seinem  Jason  sind  Volkstypen  vom  Markusplatz.  Sie  singen 
zu  hören  macht  unbändigen  Spaß.  Es  ist,  als  ob  sich  die  musikalische  strenge 
Form  belebte,  wenn  sie  unmusikalischen  Regungen  angepaßt  wird.  Sie  wird 
Witz.  Der  Buffoton  ist  die  reizendste  Paradoxie,  zu  der  die  Musik  fähig  ist, 
ein  wirkungsvoller  Widerspruch  zwischen  einer  höchst  alltäglichen  Laune 
und  dem  feierlichen  Ernst  einer  gegliederten  Form:  eine  Anwendung  von 
gewöhnlichen  Begrüßungen,  höchst  gleichgültigen  Erzählungen,  ungeheuer 
wichtigtuenden  Renommagen,  tausendmal  dagewesenen  Lamentationen,  Duck- 
mäusereien, Verstellungen  und  Feigheiten  auf  die  ehrbare  und  festgenictete 
Form  des  Rondos,  der  Arie,  des  Marsches,  des  Tanzes.  Erkennt  man,  was 
das  bedeutet  ? Der  Widerspruch  der  Oper  wird  These,  die  Paradoxie  Stil. 
Die  Buffooper  wurde  die  Lösung  des  ganzen  Opcrnrätsels,  indem  sic  aus  dem 
Schmerz  eine  Wollust  machte,  aus  der  Unmöglichkeit  einen  Witz.  Die  Opera 
seria  ist  noch  halb  möglich,  darum  sehr  problematisch;  dicBuffa  ist  ganz  un- 
sinnig, darum  durchaus  möglich.  Gegen  Iphigenie  kann  man  einwenden,  daß 
sie  sich  pathetisch  maskiert.  Gegen  Papageno  kann  man  nichts  sagen : es  ist 
der  Karneval  aus  Absicht.  Von  den  ersten  Buffofiguren  konnte  man  Großes 
prophezeien:  Hier  hat  die  Musik  die  Waffen  niedergclegt  und  gelacht,  dar- 
aus wird  Wundervolles  werden,  daraus  wird  Echteres  werden  als  aus  allem 
vergeblichen  Ernst,  der  sich  spreizt  und  langweilt,  daraus  wird  Geist  sprühen, 
Feuer,  Erfindung,  Witz  und  Laune,  und  schließlich  wird  man  diesen  von  der 
Musik  so  flott  auf  die  Beine  gebrachten  Leuten  vielleicht  mehr  Mitleid  und 
Rührung  gönnen  als  allen  hehren  singenden  Wesen,  die  uns  die  Ungeheuer- 
lichkeit ihrer  hundertmal  dagewesenen  literarischen  Empfindung  schildern 
wollen.  Es  melden  sich  die  kleinen  Leute  zur  Oper,  die  gänzlich  unmytholo- 
gischen. Die  Oper  fühlt,  daß  in  deren  einfachen  Empfindungen  vielleicht 
mehr  musikalische  Hoffnungen  liegen  als  in  den,  oft  durch  unendlich  ge- 
häuftes Material  barock  verwickelten  hohen  Gcsellschaftsszenen  der  alten 
Seria.  Die  komische  Oper  setzt  ihre  Lyrik  an.  Ja  sie  setzt  zeitgenössisches 
Kulturgefühl  an.  Figaro  wird  aus  einem  Barbier  ein  Revolutionär.  Ja  sic 
vergißt  ganz  ihre  komische  Herkunft  und  gibt  sich  als  musikalisches  Lebens- 
stück mit  dem  letzten  Ausdruck  aller  gesungenen  Schmerzen  und  Freuden. 
Ganz  schnell  kommt  die  Oper  auf  diesem  Wege  dem  realen  Leben  nahe.  Bis 
zur  Tragödie  des  Dorflebens  im  neuen  italienischen  Stil,  bis  zur  Fedora,  bis 
— keine  Grenze  ist  mehr  zu  sehen.  Wo  ist  nicht  Musik  ? Die  musikalische 
Anschauungsfähigkeit  durchdringt  alle  Stoffe.  Musik  ist  unter  den  Nihi- 
listen, im  großen  Salon,  im  Erwachen  des  Pariser  Tags,  unter  einer  Lampe, 

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Dlpakt  des  Comeuiens  Italiens  en  .b«»? 

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Abzug  der  italienischen  Truppe  1697.  Stich  von  Jacob  nach  Watteal 

in  einem  Baum,  auf  den  Lippen  eines  Narren  und  in  der  Mü 
rufs.  Wo  ist  nicht  Musik?  Ja,  wo  ist  nicht  Mythologie  und  E’ 
Stimmung  und  Erinnerung,  wenn  die  Musik  sie  uns  lehrt  zu  fi 
Musik  macht  alles  zur  Poesie  und  die  Poesie  lohnt  cs  ihr  durch 
Haltung.  Immer?  Wenn  die  Musik  alles  poetisch  macht,  so  verf1 
Poesie  zum  Leichtsinn  und  Dilettantismus;  wenn  die  Poesie  abcr| 
Parole  ausgibt,  verführt  sie  die  Musik  zur  Aufdringlichkeit  und  G' 
keit.  Wieder  sind  wir  auf  dem  Punkte.  Die  Buffooper  der  Tragöi 
Tragik  der  Buffooper. 

Was  geschieht?  Der  Kampf  zwischen  den  musikalischen  und 
sehen  Ansprüchen  hört  niemals  auf.  Ich  kenne  Musiker,  die  jedes 
eine  Oper  prüfen,  und  Dramatiker,  denen  jede  Tristanaufführung 
liehe  Schmerzen  bereitet.  Die  Wahrheit  ist,  daß  die  Musik  in  jed 
sehen,  in  dem  sie  sitzt,  alle  Energie  durchstrahlt  und  in  jedem  Wer 
sie  teilhat,  unbedingt  nach  der  Macht  strebt  und  sich  selbst  Schäc 


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setzen  weiß.  In  der  Oper  suchte  sie  erst  das  Unreale,  um  ein  breiteres  Feld 
zu  haben,  dann  macht  sie  das  Unreale,  um  ein  größeres  Recht  zu  besitzen. 
So  wächst  ihre  Herrschaft.  Gleichzeitig  wächst  die  Selbständigkeit,  Freiheit 
und  Schönheit  der  Poesie,  und  die  Spannung  ist  nun  eine  doppelte. 

Die  Rechte,  die  die  Musik  dem  Stoff  gegenüber  ausübte,  bestanden  zu- 
nächst in  einer  starken  Vereinfachung.  Der  Text  soll  etwas  Typisches  be- 
kommen, die  Szenen  konventionell  und  gleichsam  immer  bekannt  sein,  da  die 
Musik  gute  Voraussetzungen  braucht,  um  auf  ihre  Art  tüchtig  arbeiten  zu 
können.  Es  gibt  daher  ein  ganzes  Arsenal  typischer  Szenen,  die  sich  mit  Nu- 
ancen stets  wiederholen.  Ich  rolle  einige  der  F'ilme  auf,  die  unermüdlich  in 
diesem  Genre  kopiert  worden  sind.  Das  Echo  antwortet  dem  Klagenden, 
zwei  Verliebte  nehmen  Abschied,  ein  Trinklied  wird  geschmettert,  ein  Zank- 
duett abgefeuert,  oder  die  Feierlichkeit  des  Orakels  (seit  Cavallis  Tetis),  eine 
Aufführung  in  der  Oper  (seit  dem  Paris-Urteil-Intermezzo  in  demselben 
Stück),  ein  plötzliches  Gewitter,  die  Stille-Stille-Chöre,  oder  die  große  Rache- 
arie, der  hohe  Fluch,  Soldaten  im  Krieg  mit  Marsch,  Jagd,  Ständchen,  Ver- 
führung und  Entführung,  Ausrufer,  Verspottungen,  Tierstimmen,  das  Flehen 
um  ein  Leben,  die  Soloarie  der  weiblichen  Hauptfigur,  Verklcidungsmotive, 
Befreiungsmotive,  Himmelsszenen  und  Höllenszenen  mit  Feuerzauber,  der 
schlafende  Held  in  der  schönen  Natur  (Rinaldo  und  Siegfried),  die  große  Er- 
zählung im  dritten  Akt,  der  solenne  Aufzug  — man  könnte  eine  alte  Oper 
beinahe  aus  diesen  etikettierten  Szenen  zusammensetzen,  die  sich  als  musik- 
dankbar erwiesen  haben.  Man  könnte  nicht  bloß  Szenenepidemien,  auch 
ganze  Stoffepidemien  konstruieren:  vom  Donjuanballett  Glucks  bis  zur 
Buffooper  Mozarts,  die  an  dem  Ubergangspunkte  zur  Tragödie  steht,  von 
der  Cestischen  La  Dori,  wo  ein  Mann  als  Frau  verkleidet  seine  gefangene 
Gattin  rettet,  bis  zu  den  Fidelioopcrn  des  Gaveaux,  des  Paer,  zu  der  „Farsa 
sentimentale“  dieses  Inhalts  bei  Simon  Mayr,  bis  zu  Beethovens  einsamer 
Oper,  die  Josephepidemien  nach  Mehul,  die  germanistische  Epidemie  nach 
Wagner  — man  studiere  die  erschreckend  gleichartigen  Themen  in  Rie- 
manns  Opernlexikon,  man  lese  einen  Artikel  von  Prcibisch  im  zehnten 
Sammelband  der  I.  M.  G.  bloß  über  sämtliche  Türkentexte  und  alle  Kom- 
positionen der  Serailentführungen.  Wenn  es  ein  Recht  der  Musik  war,  sich 
diese  typischen  Stoffe  so  billig  einzurichten,  so  hat  sie  dieses  heute  sicherlich 
durch  die  Ansprüche  der  Poesie  so  ziemlich  verloren.  Wir  sehen  noch  ty- 
pische Zusammenhänge  zwischen  dem  Vampyr,  Hans  Hciling  und  dem 
Fliegenden  Holländer,  der  Euryanthc,  Templer  und  Jüdin  und  dem  Lohen- 
grin,  Alberich,  wenn  er  flucht,  erinnert  sich  schwach  noch  seiner  fluchenden 
Opernvorfahren,  die  Nixen  der  Nereiden,  Kundry  der  Armida  und  Falsirena. 

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die  Erda  der  Deae  ex  machina,  aber  im  allgemeinen  hat  die 
Textes  aufgehört.  Richard  Strauß  weiß  gar  nicht,  daß  Gri 
Elektra  komponiert  hat.  Man  hütet  sich  davor.  Man  vermeic 
Die  Musik  ist  machtvoll  genug,  alle  Szenen  des  Lebens  und  » 
in  ihre  Sphäre  zu  heben,  und  die  Poesie  ist  selbständig  g 
Klischees  originelle  Erfindungen  zu  überliefern.  Die  Int 
ist  gewachsen.  Aber  die  Doppelschaukel  geht  dadurch  nur 
nach  beiden  Seiten:  bis  man  den  Dichter  unter  der  Musi 
versteht. 

Und  noch  eine  Wendung:  die  Musik  neigt  zur  Versöhn 
Brahms  sein  Schicksalslied  aus  den  pessimistischen  Niederunge 
linschen  Gedichtes  musikalisch  wieder  in  die  milden  Regione 
zurückführt,  so  scheut  oder  scheute  die  Musik  immer  vor  den 
nis  der  Tragödie.  Die  Mystiker  unterscheiden  eine  seraphische 
monische  Musik.  Ich  glaube,  diese  Kunst  liegt  noch  vor  der  Dif 
in  Engel  und  Teufel.  Sie  gibt  selbst  dem  Leid  eine  Verklärung, 
seines  Schmerzes  entkleidet  und  es  als  ruhige  Tatsache,  als  Nat 
den  Ring  alles  an  sich  so  neutralen  Geschehens  einreiht.  Es  d; 
Zeit,  bis  sie  sich  in  der  Oper  dazu  entschloß.  Von  den  sinnlosen 
nicht  zu  reden,  denen  sie  in  den  rohen  Texten  der  sensationellen 
Oper  oder  in  allen  willkürlich  zusammengestcllten  Opernteik 
sticci,  Spectacles  coupes,  Quodlibets,  zu  dienen  hatte  — im  Ern 
dete  sie  das  Geschick  ihrer  Textbefohlenen  gern  zu  einem  freund 
und  verbesserte  manche  Winterlandschaft  alter  Sagen  bewußt  in  e 
klima,  das  dem  idealen  künstlerischen  Bedürfnis  zu  entsprechen  s 
Malerei  drang  in  den  Winter  ein,  die  Musik  in  den  Schmerz, 
zählt  in  seinen  „Erinnerungen  an  Auber“,  wie  erschütternd  neu 
gischer  Schluß  in  der  „Stummen“  auf  die  Zeitgenossen  wirkte  - 
Spontini  noch  weigerte,  seine  Vestalin  mit  der  Bcgräbnisplatzszen 
lassen,  nein,  es  mußte  noch  der  Rosenhain  mit  dem  Venustempi 
und  das  glückliche  Paar  zum  Altar  geleitet  werden.  Wer  empfi 
den  tragischen  Opernschluß  als  Kühnheit  ? Man  sucht  in  der  Gcsc 
Oper  langsam  nach  den  ersten  Wahnsinnigen  (in  der  Nina  Dalayr 
den  ersten  Verzweifelnden,  stumm  Tragischen,  die  sich  an  den  Si 
gen  (die  Armida  Glucks,  die  Kalypso  in  Mayrs  Telemaco).  Es  gal 
viele  Lucias,  die  ihren  Wahnsinn  in  Koloraturen  ausströmen,  und  L 
verklärte,  die  aus  poetischer  Gerechtigkeit  sich  hinreißend  schön  eir 
opfern,  die  ihren  eigenen  lyrischen  Vorteil  davon  hat.  Nichts  ist  so 
lieh,  daß  cs  von  Musik  nicht  gehoben  werden  könnte,  und  nichts  so 

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daß  es  die  Musik  nicht  trösten  könnte  — sagt  die  Musik  und  damit  erweitert 
sie  ihre  Macht  und  stachelt  die  Poesie  nur  zu  neuen  Taten  an  — Teurer 
Heide,  wie  liebt’  ich  dich  — ließ  ich  dich  nicht  ? Aber  wer  weiß,  wie 
ihr  das  bekommen  wird:  kurzlebig  ist  alles  Tragische  auf  der  Erde  wie 
auf  der  Bühne. 


Dann  die  Sprache 

IN  dem  Kampfe  um  den  Stoff  der  Oper  ist  es  beiden  Gegnern  nur  gelungen, 
sich  stärker  zu  machen.  Sehen  wir  weiter  zu,  gehen  wir  zur  Sprache  über, 
und  dann  zur  Deklamation.  Nun  wird  es  schwierig.  Die  Musik  hat  so  viel 
elementare  Kraft,  Beweglichkeit,  Sinnlichkeit  auf  ihrer  Seite,  daß  die  Poesie 
gehörig  ihre  Points  wird  vermehren  müssen,  um  ihr  standzuhalten.  Die 
Sprache  scheint  ihre  Domäne.  Die  Musik  ist  international,  die  Sprache  na- 
tional. Wie  verträgt  sich  das  ? Die  Sprache  trennt  die  Völker  mehr  als  ihre 
Rasse,  die  Musik  vereinigt  sic  mehr  als  alle  Verkehrsmittel.  Das  Musikdrama 
ist  in  einer  bestimmten  Sprache  geschrieben,  deren  allgemeine  Verständlich- 
keit nicht  über  die  Grenzen  des  Landes  hinausreicht,  deren  Atmosphäre  und 
Klima  dem  Lande  eigen  ist,  deren  Verhältnis  zur  Musik  im  Gesänge  ein  ver- 
schiedenes wird  sein  müssen.  Sehen  wir  zu. 

Die  italienische  und  die  französische  Oper  lagen  in  dein  heftigsten  Kriege, 
den  die  Musikgeschichte  kennt.  Es  tritt  eine  ganz  scharfe  Differenzierung 
des  Geschmacks  und  Stils  ein.  Aber  dieser  Krieg  hat  zwei  verschiedene  Ge- 
sichte. Politisch,  als  Machtfrage,  wird  er  lange  Zeit  zugunsten  der  Fran- 
zosen entschieden,  indem  vom  17.  Jahrhundert  an  alle  Versuche  der  italieni- 
schen Oper,  in  Paris  festen  Fuß  zu  fassen,  nach  gewisser  Zeit  abgeschlagen 
werden,  von  den  ersten  Herüberziehungen  der  Italiener  unter  Mazarin  bis 
zu  dem  Siege  Glucks  über  Piccini.  Diese  Repressalien  sind  Notwehr.  Denn 
die  französische  Nationaloper,  die  von  Lully  begründet  ist,  fühlt  sich  un- 
sicher vor  der  erobernden  Liebenswürdigkeit  der  Italiener,  verbietet  und 
schließt  ihnen  immer  wieder  ihre  Theater.  Literarisch  genommen  sieht  die 
Sache  ganz  anders  aus.  Die  Kunstregierung  liebte  wohl  die  französische 
Oper,  das  Volk  neigte  zu  den  Italienern.  Die  ganze  Literatur  des  eigenen 
Landes  tritt,  mit  geringen  polemischen  Ausnahmen,  für  den  Stil  der  Frem- 
den ein.  Bis  man  sich  schließlich,  durch  die  Persönlichkeit  Glucks  bezwungen, 
sowohl  machtpolitisch  als  kunstlitcrarisch  für  dessen  Oper  einsetzt,  die  ja  gar 
nicht  national  französisch,  sondern  von  einem  Deutschen  in  fremder  Sprache- 
besorgt  war.  Welches  Schauspiel!  Tatsache  ist:  die  gebildeten  Franzosen 
•opfern  ihre  eigene  Sprache  den  bestechenden  Vorzügen  einer  fremden  Musik. 

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Man  lese,  wie  Raguenet  1702  in  seiner  Parallele  des  Italiens  et  des  Fransais 
die  Werte  beider  opcrnliebcnden  Nationen  abwägt:  die  Italiener  machten  zu 
konventionellen  Arien  einen  Canevastext,  die  Franzosen  liebten  das  wirkliche 
Drama,  jene  neigten  zu  weichlichen  und  kastrierten  Stimmen,  diese  haben 
die  vollen  schönen  Tielbässe,  jene  haben  zur  Abwechslung  nur  ihre  Buffo- 
intermezzi, diese  die  großen  Tänze  und  Chöre,  und  wären  in  Kostümen 
besser  und  spielten  gebundener  die  Geige  — aber,  aber  was  kommt  gegen 
die  italienische  Sprache  an,  wie  stramm  und  kühn  sind  ihre  Arien  gebaut 
(„sie  hasardieren,  aber  sicher  des  Erfolgs“),  wie  verbindet  sich  bei  ihnen  das 
Zarte  und  das  Lebhafte,  und  Raguenet  schreibt  einen  berauschten  Hymnus 
auf  die  italienische  Melodie.  Ein  gewaltiger  Literaturstreit  hebt  von  dieser 
Schrift  um  den  Wert  der  beiden  Operngenres  an,  blendende  Parodien  auf 
die  Langweiligkeit  der  französischen,  unbeschränkte  Loblieder  auf  die  Be- 
weglichkeit und  Ausdrucksfähigkeit  der  italienischen  Oper,  bis  hin  zu  den 
Enzyklopädisten,  deren  musikalischer  Wortführer  Rousseau  seine  flammende 
Lettre  sur  la  musique  framjaise  gegen  die  französische  Sprache  verfaßt:  ein 
Werk,  wie  einst  das  Raguenetsche,  schön  geschrieben  für  eine  fremde  Me- 
lodie gegen  das  eigene  Idiom,  das  dem  Autor  ein  so  williges  Instrument  ist. 
War  je  eine  solche  Verwicklung  der  Instinkte  da  ? Italiener,  sagt  Rousseau, 
singen  Arien  von  Lully  ohne  jedes  Gefühl,  wie  man  arabische  Worte,  die 
man  nicht  versteht,  in  französischen  Buchstaben  lesen  würde.  Ein  Armenier, 
erzählt  er,  hört  französischen  Gesang  — er  ist  stutzig,  er  hört  Italiener,  sein 
Herz  lacht  ihm.  Die  italienische  Sprache  ist  süßer  und  sie  ist  kühner  in  ihren 
Modulationen  und  sie  ist  präziser  in  ihrem  Rhythmus.  Wer  von  den  Völkern 
der  weiten  Erde  gibt  ihm  nicht  recht  ? Die  Musik  fand  in  dieser  Sprache 
ein  Instrument,  so  weich  und  vokalig  und  rhythmisch,  daß  sie  ihren  größten 
Trumpf  ausspielen  konnte:  vor  Schönheit  der  Sprache  die  dramatische  Ehre 
des  Inhalts  zu  verachten,  das  Wort  unterzulegen  und  den  Sinn  zu  zerstören. 
In  dieser  Oper  herrschte  die  Musik,  war  die  Sprache  als  nationaler  Gehalt 
an  dramatischen  Empfindungen  Null  — eben  weil  sie  so  musikalisch  war. 
Der  italienische  Text  wurde  ein  Singtext,  kein  Drama  der  Italiener.  Die 
Frage  war,  ob  die  anderen  Sprachen  sich  das  gefallen  lassen  würden.  Wer 
die  Musik  leidenschaftlich  liebte,  konnte  ihr  wohl  das  italienische  Kostüm 
gestatten.  Wer  den  Text  in  der  Oper  als  Teil  der  nationalen  Poesie  hoch 
hielt,  mußte  remonstrieren  — oder  aus  seinem  Klima  heraus  etwas  Neues 
versuchen. 

Man  mache  sich  die  Gegensätze  klar:  der  Italiener  komponiert  Opern 
aus  Musik  und  macht  den  Text  dazu  — der  Franzose,  ein  Sprachenmensch 
viel  eher  als  ein  Musiker,  schafft  sich  ein  nationales  Drama  und  komponiert 


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1 


es.  Die  Musik  siegt  immer.  Darum  siegte  Italien  und  versuchte  Frankreich, 
sich  offiziell  zu  halten,  während  es  künstlerisch  längst  kapituliert  hatte.  Nach- 
dem der  Sieg  der  Musik  entschieden  war,  findet  kein  Franzose  mehr  darin 
eine  Schwierigkeit,  eine  französische  schöne  Oper  zu  schreiben.  Seine  Poesie 
beugt  sich  dem  musikalischen  Genie  seiner  besten  Meister,  und  dieses  Genie 
beseitigt  alle  Paradoxien  sprachlicher  Scheidung,  indem  es  sie  nur  schafft, 
um  sie  zu  überstrahlen. 

Der  dritte  war  der  Deutsche.  Der  Deutsche  kommt  immer  zuletzt,  aber 
dann  auch  gehörig.  Der  Deutsche  kam  so  spät,  daß  nicht  einmal  mehr,  wie 
die  Franzosen  gegen  die  französische  Oper,  die  Deutschen  gegen  die  deutsche 
Oper  schreiben  wollten  oder  konnten.  Erst  als  sie  vollständig  mit  der  italieni- 
schen Oper  durchsetzt  waren,  erhoben  sie  den  Kopf  und  fragten  schüchtern 
nach  der  Nationaloper.  Burney  reist  durch  Deutschland  und  wundert  sich, 
daß  man  hier  gar  keine  eigene  Oper  habe  — dann  hört  er  von  Hiller.  Heinse 
schreibt:  „Vielleicht  schon  binnen  wenig  Jahren,  wenn  eine  Nationaloper  er- 
scheint, das  ist  eine  deutsche  Oper  mit  Volks melodicn,  die  allgemein  gefallen, 
gleichen  die  deutschen  Städte  Neapel,  Paris  und  London.“  Und  Mozart : 
„Jede  Nation  hat  ihre  Oper,  warum  sollten  wir  Deutsche  sie  nicht  haben  ?“ 
Der  „Freischütz“  ist  die  erste  wirkliche  deutsche  Oper,  nachdem  ganz  lang- 
sam und  vorsichtig  die  deutschen  Residenzen  die  eingebürgerte  italienische 
Opernwirtschaft  durch  heimatlichen  Personalbestand  und  deutsche  Texte 
umgewandclt  hatten  — Wien  mit  Umlauff,  Mannheim  mit  Holzbauer.  Erst 
Weber  beendet  den  Krieg  gegen  Italien.  Vor  Webers  Tätigkeit  in  Dresden 
wird  Mozarts  Zauberflöte  und  Weigls  Schweizerfamilie  für  diese  Bühne 
noch  italienisch  umgedichtet,  um  gegeben  werden  zu  können  — was  ein 
Onkel  Richard  Wagners,  Adolf  Wagner,  besorgte.  Welche  Ironie.  Weber 
kollidiert  in  Dresden  mit  dem  italienischen  Kapellmeister  Morlacchi,  dessen 
Andenken  noch  in  den  vierziger  Jahren  bei  der  Dresdener  Intendanz  höher 
stand  als  das  seine,  er  wird  in  Berlin  als  der  passive  Führer  gegen  Spontini 
ausgespielt.  An  dem  denkwürdigen  Abend,  da  Spontini  das  Berliner  Pult 
unter  dem  Hohn  des  Publikums  verlassen  mußte,  ist  erst  der  deutsche  Sieg 
ganz  entschieden.  Das  aber  war  ein  reinlicher  und  gerader  Kampf  gewesen. 
Es  kam  Wagner  und  der  europäische  Siegeszug  der  deutschen  Oper.  Und 
wieder  rückte  die  Cavalleria  ein  und  — wieder  beginnt  man  das  alte  Italien 
mehr  zu  lieben  f Aber  es  ist  ungefährlich  geworden,  weil  es  Stil  wurde. 

So  stehen,  von  den  kleineren  musikalischen  Völkern  abgesehen,  die  drei 
großen  Opernnationen  in  ihrer  Selbständigkeit  nebeneinander.  Die  italieni- 
sche Bemutterung  wird  abgelehnt.  Durch  die  Betonung  der  eigenen  Sprache 
wird  das  eigene  Klima  gestärkt.  Und  durch  die  Stärkung  des  Klimas  wird 

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auch  die  internationale  Musik  nationaler  gefärbt.  Es  gibt  eine  italienische, 
eine  französische,  eine  deutsche  Opernmusik,  im  Charakter  verschieden.  In 
diesem  Sinne  wirkt  die  Allgemeinheit  der  Musik,  die  die  Differenzierung 
in  der  Sprache  nicht  vermeiden  konnte,  schließlich  auf  sich  selber  zer- 
setzend und  dennoch  befruchtend.  Die  gesangliche  Oper  Italiens, 
die  lyrische  Frankreichs,  die  symphonische  Deutschlands  werden  Kunst- 
gattungen. 

Die  Geschichte  ruft  nach  einem  Ausgleich.  Wie  kann  man  die  Antinomie 
der  Musik  und  der  Sprache  überwinden  ? Die  Musik,  wenn  sie  stark  ist, 
bleibt  nicht  im  Lande,  die  Sprache  geht  nicht  gern  aus  dem  Lande.  Die 
Musik  hat  ein  deutliches  Bestreben  zum  Gleichgewicht,  die  Sprache  zum 
Spezifikum.  Und  nun  hebt  eine  gewaltige  Freizügigkeit  und  LImlogiererei 
an,  die  die  Opern  und  Komponisten  aller  Orte  unheimlich  durcheinander 
bringt.  Was  bedeutet  sie  ? Den  Herrschaftsdrang  der  Musik,  die  die  wider- 
strebenden Eigensinnigkeiten  der  Sprache  zu  überwinden  trachtet.  Entweder 
wird  geschwindelt,  wie  bei  Weigl  und  Mozart  in  Dresden,  überall,  wenn  es 
nötig  erscheint,  ein  heimisches  Werk  unter  italienischer  Flagge  besser  einzu- 
führen. Oder  man  importiert  Stückchen  fremder  Opernsprache  in  die  in- 
ländische: wie  jene  italienisch-französischen  Einschiebsel,  die  sich  die  Ham- 
burger deutsche  Oper  gefallen  lassen  mußte,  und  die  italienischen  Intermezzi 
der  Opera  comique  in  ihren  Anfängen.  Oder  die  Musik  verpflanzt  ihre 
Jünger  zum  Zwecke  ihrer  Propaganda  in  fremde  Residenzen:  der  Italiener 
Cesti  wird  Kapellmeister  und  Komponist  in  Wien,  Steffani  zieht  nach  Han- 
nover, Lotti  und  Porpora  nach  Dresden,  Galuppi  nach  Petersburg,  Caldara 
und  Conti  nach  Wien,  Jommelli  nach  Stuttgart,  Händel  nach  London, 
Bononcini  nach  Berlin,  und  so  fort  alle  Träger  des  italienischen  Opernruhms 
an  den  Stätten  ihrer  Triumphe.  Oder  der  Komponist  verleugnet  seine  hei- 
matliche Sprache  und  komponiert  zu  einem  ausländischen  Text:  die  Ita- 
liener Lully,  Duni,  Rossini,  die  Deutschen  Gluck  und  Meycrbecr  franzö- 
sisch, die  Deutschen  Händel,  Mozart,  Nicolai  italienisch,  der  Italiener  Sa- 
lieri sogar  eine  deutsche  Oper,  „Der  Rauchfangkehrer“.  Oder  man  macht 
die  nötigen  Bearbeitungen  — von  Cavallis  Serse  über  den  Orpheus  von 
Gluck  bis  zum  Tannhäuser  eine  ganze  Reihe  charakteristischer  Verparise- 
rungen.  Oder  — enfin,  man  übersetzt.  Die  Übersetzungen  werden  die 
schlimmste  Rache,  die  die  Musik  an  dem  Eigensinn  der  Sprache  nimmt.  Sie 
haben  zu  einer  unendlichen  Folge  von  Sinnverdrehungen  und  Sprachver- 
zerrungen  geführt,  die  man  literarisch  nicht  für  möglich  halten  sollte.  Die 
üblichen  Übersetzungen,  besonders  neuerer  ausländischer  Werke,  Carmen, 
Troubadour,  Cavalleria,  sind  Martern  für  das  deutsche  Sprachgefühl.  Sol- 

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len  wir  fremde  Opern  in  ihrer  Originalsprache  aufführen  ? Es  hat  sich  ge- 
zeigt, daß  das  in  Ländern  ohne  starke  Nationaloper,  wie  England  und  Ruß- 
land, möglich  ist,  daß  es  sich  aber  nur  aus  Rücksicht  auf  Bühnengäste  bei 
uns  ausnahmsweise  einführt.  Der  ideale  Zustand  wäre  es.  Nie  wird,  selbst 
Hermann  Levi,  eine  Übersetzung  gelingen,  die  das  fremde  Wort  genau  un- 
ter die  gegebene  Melodie  preßt,  und  nie  wird  sich  das  fremde  Idiom  so  har- 
monisch der  gegebenen  Musik  anschmiegen.  Es  hat  sich  die  Poesie  gegen- 
über der  Siegesbewußtheit  der  Musik  eine  kleine,  aber  feine  und  unglaublich 
wirksame  Revanche  bewahrt:  sic  hat  in  der  nachdrücklichen  Betonung  einer 
guten  Deklamation  aus  der  in  der  Sprache  schlummernden  Musik  eine  wache 
Musik  geschaffen,  die  ihrer  Heimat  nicht  mehr  ganz  untreu  sein  kann.  Die 
schmelzende  italienische  Sprache  hat  ihrer  Musik  die  Flügel  der  Freiheit  ge- 
geben, die  französische  weiche  Sprache  ihrer  Musik  den  lyrischen  Zauber, 
die  harte  und  kräftige  deutsche  Sprache  ihrer  Musik  den  Kxplosionston  und 
die  Sehnsucht  nach  dem  konsonantischen  Orchester. 

Dann  die  Deklamation 

SO  kommen  wir  auf  die  Deklamation.  Madame  de  Motteville  sagte,  das 
Opernsingen  sei  ihr  zuwider.  Es  störte  sie  (was  bei  der  langweiligen  alt- 
französischen Oper  kein  Wunder  war)  die  Musik  zum  Texte.  Sie  sprach 
offen  aus,  was  nach  ihr  viele  verheimlichten.  Viele  finden  cs  unerträglich, 
daß  man  sich  hinstellt  und  Worte  singt.  Kann  überhaupt  die  Sprache  und 
die  Musik  einträchtig  Zusammengehen?  Es  scheint  nicht.  Entweder  ist  die 
Musik  selbständig  in  ihrer  Form  und  Linie,  dann  knechtet  sie  die  Sprache 
— oder  diese  wahrt  ihre  Gesetze,  dann  ist  jene  nur  eine  Art  Erhöhung  von 
ihr  und  maßlos  eintönig.  Um  die  Wahrheit  zu  sagen : dieser  Fall  ist  nie  ganz 
ausgefochten  worden,  er  ist  nicht  auszufechten.  Die  Musiker  können  nicht 
ganz  gegen  die  Deklamation  sündigen,  und  die  Deklamatoren  sich  nie  der 
schönen  Wirkung  einer  absoluten  musikalischen  Wendung  ganz  entschlagen 
— cs  sei  denn,  sie  sind  Puritaner  wie  Debussy.  Man  macht  es  ein  biß- 
chen so  und  ein  bißchen  so.  Schubert  ist  nicht  undeklamatorisch  und  Hugo 
Wolf  nicht  unmelodisch.  Die  Praxis  des  wundervollen  Liedes  schlägt  alle 
Betrachtungen  nieder.  Es  geht.  Es  muß  gehn.  Weil  es  unmöglich,  unlo- 
gisch ist,  ist  es  schön.  Der  Gedanke  leuchtet,  die  Sprache  entfaltet  sich,  die 
Musik  bricht  heraus  — in  diesem  Kampfe  enthüllt  sich  das  Herz.  Das  Lied 
ist  der  Sieg  des  irrationalen  Gefühls. 

Gehen  wir  der  Reihe  nach.  Die  Pantomime  ist  das  LTmgehen  des  Worts. 
Der  Fall  ist  der  einfachste.  Der  Effekt  des  stummen  Spiels,  das  in  den  höch- 

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sten  Lebensszenen,  denen  des  Todes  und  denen  der  Liebe,  das  Wort  nicht 
mehr  kennt,  nicht  mehr  braucht,  ist  rein,  aber  beschränkt.  Ich  hätte  sehen 
mögen,  wie  die  Pantomime  wirkte,  als  die  staatlichen  Pariser  Bühnen  der 
komischen  Oper  selbst  den  Dialog  verboten  und  die  Szene  unter  Erklärung 
von  Plakaten  nur  gemimt  wurde.  Das  Schweigen  des  Worts  darf  nicht  Not, 
sondern  kann  nur  Pointe  sein.  Gewisse  magnetische  Situationen  gestatten  es: 
wenn  Othello  die  Desdemona  würgt,  wenn  Walther  und  Eva  sich  im  Hause 
von  Sachs  Wiedersehen,  wenn  Beckmesser  Walthers  Lied  findet.  Oder  die 
Pantomime  scheidet  ganz  aus  dem  Betriebe  der  Oper  und  wird  selbständiges 
Werk.  Noverre  dichtete  darin  Tragödien  derselben  mythologischen  Texte, 
wie  die  Opern  seiner  Zeit  sie  liebten.  Adams  Giselle  ist  der  beste  Nieder- 
schlag der  Oper  in  eine  Pantomime:  angereihte  Schatten  von  Rezitativen, 
Arien,  Chören,  die  Operntechnik,  vom  Orchester  vermittelt,  auf  Mimik 
übertragen.  Ist  Nichtsprechen  wahrscheinlicher  als  Singen  ? Nun,  es  ist 
eine  Sache  für  sich,  und  die  Oper  nimmt  sich  daraus,  was  sic  brauchen  kann. 
Sie  nimmt  überall. 

Die  nächste  Stufe:  man  läßt  gesprochenes  Wort  und  begleitende  Musik 
nebeneinander  laufen.  Man  nennt  das  Melodrama.  Rousseau  schrieb  seinen 
sehr  schwächlichen  Pygmalion  und  Benda  machte  gleich  nach  ihm  mehrere 
mythologische  Melodramen,  die  Aufsehen  erregten.  Goethe  ließ  seine  Proser- 
pina  so  aufführen.  Bis  heute  ist  in  gewissen  Kreisen  die  Sehnsucht  nach  dem 
Melodrama  nicht  geschwunden:  man  sicht  darin  eine  Lösung  des  Opern- 
problems. Es  ist  aber  keine  Lösung,  sondern  eine  Vermeidung.  Die  Oper 
hat  auch  davon  stellenweise  Gebrauch  gemacht,  sie  nimmt  überall.  Zu 
Beginn  des  19.  Jahrhunderts  war  das  Melodrama  eine  typische  Szene. 
Bisweilen  bleibt  aber  nur  das  kurze  gesprochene  Wort  über  der  Musik 
stehen:  am  wirksamsten,  wenn  es  einen  erregten  Umschlag  des  Gesanges 
in  die  tonlose  Sprache  darstellt,  wie  an  den  Schlüssen  der  Cavalleria 
und  der  Bajazzi.  Im  allgemeinen  ist  für  die  Abneigung  des  Musikers 
gegen  das  Melodrama  die  Metamorphose  von  Humperdincks  Königskindern 
bezeichnend.  In  der  ersten  Fassung  war  die  Deklamation  mit  stummen 
Noten  angedeutet.  Aus  dem  verschämten  Gesang  ging  dann  die  reguläre 
Oper  hervor. 

Die  nächste  Stufe : gesprochener  Dialog  und  gesungene,  begleitete  Musik 
w'ird  hintereinander  gelassen.  Man  verlegt  das  Tatsächliche  in  die  Sprache 
und  das  Lyrische  in  die  Musik:  eine  Opernform,  die  lange  Zeit  sich  gehalten 
hat,  besonders  in  Paris,  wo  die  niedere  komische  Oper  als  eine  Art  Dome- 
stikenklasse sich  gesetzlich  nicht  der  höheren  rezitativischen  Musik  der  großen 
Oper  bedienen  durfte.  Cherubini,  Kreutzer,  Lesueur  verleugnen  die  Rczi- 

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tative  und  schreiben  Dialog,  um  auf  dem  Theätrc  Feydcau  aufgeführt  zu 
werden.  Der  Geschmack  dafür  ist  verschieden.  Stradella  hatte  schon  den 
Dialog  benutzt,  die  venezianische  Oper  neigte  nicht  dazu,  in  Deutschland 
sah  man  es  gern.  Heut  ist  es  das  Recht  der  Operette.  Mozart  gibt  man  bald 
mit  Dialog,  bald  mit  Rezitativen.  Wie  ist  das  ästhetische  Urteil  ? Wird 
halb  gesprochen,  halb  gesungen,  gewinnt  die  Musik  an  stilisierender  Kraft, 
sie  isoliert  sich  mehr  in  ihrem  Charakter,  sie  entwickelt  mehr  ihre  Zauber- 
formel. Andererseits  ist  die  Umschaltung  eine  gefährliche  und  paradoxale. 
Die  Widersprüche  der  Oper  werden  greller  beleuchtet,  das  Nichteinheitliche 
wird  schärfer  betont.  Es  ist  eine  Konzession  an  die  Selbständigkeit  der 
Sprache,  die  man  nicht  für  immer  ausgehalten  hat.  Die  Dialogoper  blieb 
inferior.  Die  Musik  hat  mehr  und  mehr  diese  Keile  unkomponierter  Dramen 
ausgetrieben.  Eine  Oper,  die  etwas  auf  sich  hält,  duldet  heut  keine  Sprech- 
intermezzi mehr.  Sie  fühlt  sich  einfach  zu  symphonisch  dafür.  Was  sie  ist, 
will  sie  ganz  sein  — das  ist  so  die  Art  der  Musik. 

Also  läuft  Wort  und  Ton  gleichzeitig  in  einem.  Nachdem  die  Musik  dies 
fertiggebracht  hat,  beginnt  der  Kampf  um  die  Silbe.  Die  schöne  Melodie 
will  sich  unabhängig  vom  Wort  behaupten.  Sie  zerreißt  den  Sinn  und  den 
Akzent  des  Wortes  in  alten  deutschen  Liedopern  bis  zur  Erkenntlichkeit: 
sie  frißt  es  auf,  wenn  sie  nur  ihre  Linie  bewahrt.  Oder  sie  läßt  das  Wort 
stehen,  wo  es  steht,  und  entwickelt  über  ihm  ihre  ganze  Beweglichkeit,  in 
beliebig  langgezogenen  Silben,  in  sprühenden  Koloraturen,  die  über  irgend- 
einen Vokal  ihre  eigenen  Läufe  besorgen,  bis  sie  nach  Minuten  absoluten 
musikalischen  Vergnügens  das  Wörtchen  wiederfinden,  das  sie  einst  verließen. 
Oder  sie  wiederholt  die  Worte,  so  oft  sie  sie  braucht,  stellt  sic  um,  bröckelt 
sie  ab,  ohne  Rücksicht  auf  deren  sprachliche  Seele,  rein  als  Material  ihres  ge- 
sanglichen Stils,  tote  Steine  für  die  Paläste  ihrer  Melodien.  Es  gibt  keinen 
Musiker,  nicht  bloß  die  alten  Italiener,  sondern  ganz  puritanische  neue 
Deutsche,  dem  nicht  an  einigen  Stellen  seines  Werks  das  musikalische  Herz 
so  aufgegangen  wäre,  daß  er  sich  zu  diesem  Morde  an  der  Poesie  nicht  ent- 
schlossen hätte.  Der  Rausch  dieser  unwiderstehlich  machtvollen  Kunst 
blendet  Bildung,  Sprachgefühl,  Logik,  Sinn  und  Verstand  ab.  Das  Wort  de- 
mütigt sich  und  fühlt  sich  fortgerissen  im  Strome  der  Melodie,  deren  Schwung 
und  Feuer  nun  doch  alle  die  kleinen  Ausdruckswahrheiten  überstrahlt,  die 
in  seinen  Buchstaben  ruhen  mögen.  Schon  der  alte  Caccini,  der  Erneuerer 
des  deklamatorischen  Gesangs,  sündigt  in  seiner  Euridice  munter  gegen 
das  Gesetz.  Ist  euch  an  der  Weise  nichts  gelegen  ? Mich  dünkt,  ’s  sollt 
passen  Ton  und  Wort.  Ja,  Hans  Sachs,  so  sagst  du  zu  Beckmesser.  Und 
wenn  du  das  schöne,  logisch  unmögliche  und  musikalisch  überwahrschein- 

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liehe  Quintett  zum  Schlüsse  führst,  so  brichst  du  doch  in  sein  Thema  aus 
und  singst  auf  seine  neun  Noten  die  zwei  Silben  „Weise“  — „diese  Weise, 
was  sie  leise  mir  anvertraut  im  stillen  Raum“  mit  dem  hochgenommenen 
„sie“  und  „an“  und  dem  Akzent  auf  „was“  und  „traut“,  und  verlierst  dich 
wonnevoll  in  seiner  Melodie,  im  Spiel  dieser  fünf  klingenden  Stimmen  — 
denn  du  liebst  die  Musik. 

Kein  Wunder,  daß  das  Wort  mit  allen  Mitteln  sprachlicher  Logik  gegen 
eine  solche  Überherrschaft  sich  auflehnt.  Es  besteht,  so  oft  und  so  viel  es 
kann,  auf  der  richtigen  Deklamation,  deren  Akzente  und  Hebungen  die 
Grundlage  der  Musik  bilden  sollen.  Eine  lange  Reihe  von  Kämpfen  wird 
durchgefochten.  Ist  der  gereimte,  ist  der  skandierte,  ist  überhaupt  der  Vers 
einer  singenden  Musik  angenehm  ? Schon  Cavalli  mühte  sich  ab,  die  weib- 
lichen Versfüße  harmonischer  in  Noten  umzusetzen,  Heinse  noch  konstruiert 
bei  Gluck,  der  sich  von  der  französischen  Jambik  freier  macht,  die  ganze 
Folge  alter  griechischer  Versmaße,  die  er  im  Rhythmus  seiner  Musik  wieder- 
zuerkennen meint,  nach  dem  abgeblaßten  Muster  der  alten  Odenkompo- 
nisten. Die  gereimte  und  skandierte  Verspoesie  hat  lange  Zeit  geglaubt,  mit 
ihren  Maßen  die  Maße  der  Musik  zu  geben.  Verwickelte  Probleme  erheben 
sich.  Kann  der  Takt  der  Verse  dem  der  Melodie  überhaupt  entsprechen  ? 
Ist  der  Verston  in  der  Musik  möglich,  ohne  zu  ermüden  ? Vielleicht  ist  er 
es  im  Komischen,  weil  durch  die  Verbindung  beider  Akzentarten,  der  im 
Verse  und  der  im  Musiktakte,  Effekte  erzielt  werden,  die  in  ihrer  Unnatür- 
lichkeit witzig  sind.  Aber  im  Ernst  — die  Versrhythmik  wird  für  die  Musik 
niemals  die  Bedeutung  haben  wie  die  Ausdrucksrhythmik,  die  mit  ihr  in  der 
Regel  nicht  zusammcnfällt.  Ich  sage  ein  Gedicht  auf:  der  Nachdruck  fällt 
auf  die  Vershebungen  und  die  Schlüsse  reimen  sich  — die  Musik  wird  da- 
durch nur  gefesselt,  oder  ist  sic  frei,  geht  der  Versakzent  und  der  Reim  in 
ihr  spurlos  unter,  ist  also  überflüssig.  Aber  in  der  Deklamation  des  Gedich- 
tes ist  noch  ein  anderer  Akzent  zu  merken:  der  des  Ausdrucks,  das  innere  Be- 
tonen der  Wortfolge  nach  Bedeutung  und  Stellung.  Dieser  Akzent  wird  der 
Musik  sympathisch  sein.  In  jenem  fing  sie  die  Poesie,  in  diesem  können  sie 
sich  vereinen.  Menetricr  in  seinen  Rcprescntations  en  musique  von  1681  lobt 
schon  die  kurzen  wogenden  Verse  des  Teofili  als  besonders  musikglücklich: 
„Choix  et  arrangement  des  mots,  repos,  cadences,  rimes“  — der  Musiker 
könne  nicht  genug  darauf  achten.  Die  aufgelösten  Verse,  versi  sciolti  alter 
Italiener,  die  Perrin  bei  den  Anfängen  der  Pariser  Oper  liebte,  eine  Poesie, 
fast  nur  als  erhöhte  Prosa,  von  nichts  beengt  als  dem  natürlichen  Akzent  der 
Sprache,  wird  das  Ideal.  Die  deutsche  Sprache  hat  den  Vorzug,  wenigstens 
Versakzent  und  Wortakzent  nie  in  Konflikt  geraten  zu  lassen.  Hier  tritt  die 

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Sehnsucht  nach  dem  freien  Text  stärker  als  überall  sonst  hervor.  Mozart 
sagt:  „Bei  einer  Oper  muß  schlechterdings  die  Poesie  der  Musik  gehorsame 
Tochter  sein.“  Verse  seien  im  Text  gut,  Reime  aber  schädlich  und  gefähr- 
lich. Goethe  in  dem  Brief  an  Kayser  vom  23.  Januar  1786  sagt,  wie  er  der 
ewigen  Jamben,  Trochäen,  Daktylen  müde  geworden  und  davon  abgewichen 
sei,  als  Unterlage  der  Musik.  „Vorzüglich  hat  mich  Gluckens  Komposition 
dazu  verleitet.  Wenn  ich  unter  seine  Melodien  statt  eines  französischen  Textes 
einen  deutschen  unterlegte,  so  müßte  ich  den  Rhythmus  brechen,  den  der 
Franzose  glaubte  sehr  fließend  gemacht  zu  haben.  Gluck  aber  hatte  wegen 
der  Zweifelhaftigkeit  der  französischen  Quantität  würklich  Längen  und 
Kürzen  nach  Belieben  verlegt  und  vorsätzlich  ein  anderes  Silbenmaß  ein- 
geleitet, als  das  war,  dem  er  nach  dem  Schlender  hätte  folgen  sollen  . . . ich 
fing  also  an,  den  fließenden  Gang  der  Arie,  wo  Leidenschaft  eintrat,  zu  unter- 
brechen, oder  vielmehr  ich  dachte  ihn  zu  heben,  zu  verstärken,  welches  auch 
gewiß  geschieht,  wenn  ich  nur  zu  lesen,  zu  deklamieren  brauche.“  Er  meint, 
daß  durch  die  freien,  unterbrochenen  Rhythmen  der  Musiker  nur  zu  neuen 
Schönheiten  angeregt  würde,  „wie  der  Bach  die  lieblichste  Krümme  durch 
einen  entgegenstehenden  Fels  gewinnt“. 

Nun,  dieser  Fels  war  eine  Forderung  des  Bachs  geworden.  Die  Poesie 
hatte  sich  gerüstet,  mit  Versmaßen,  Reimen,  Strophen,  ihrem  eigenen  rhyth- 
mischen Material  der  Musik  auf  den  Leib  zu  rücken  (sie  verwechselte  es), 
da  sagte  ihr  diese,  daß  sie  sich  aus  Reimen  nichts,  aus  Versen  etw-as  mehr, 
aus  einer  schönen,  rhythmisch  ausdrucksvollen  Sprache  alles  mache.  Und 
schon  eilt  ihr  die  Poesie  zu  dienen.  In  allen  Zeiten  und  Ländern  sitzen  die 
Komponisten  deklamierend  und  gut  sprechend,  ehe  sie  komponieren.  Me- 
tastasio  läßt  seine  Texte  erst  laut  lesen,  ehe  er  sie  dem  Komponisten  anver- 
traut. Lully  lernt  die  Worte  Quinaults  auswendig,  bis  sich  die  Melodie  aus 
ihnen  erhebt.  Gretry  in  seinen  Memoiren  kommt  von  diesem  Problem  über- 
haupt nicht  los:  einmal  schlägt  er  vor,  erst  solle  der  Musiker  eine  Symphonie 
etwa  wie  Haydn  machen,  dann  erst  kämen  die  Worte  dazu,  in  Prosa  skizziert, 
endlich  sei  beides  zusammen  als  Oper  fertigzustellen.  Er  korrigiert  die  Mu- 
sik nach  der  Deklamation  der  Clairon.  Mit  Voltaire  unterhielt  er  sich  lange 
über  das  stumme  e.  Dieser  sagt  zu  ihm:  „Sie  sind  Musiker  und  haben  Geist, 
das  ist  selten.“  Er  meint:  auf  dem  Theater  genüge  es  nicht,  Musik  über  die 
Worte  zu  machen,  man  muß  sie  mit  den  Worten  machen.  Heinrich  von 
Preußen  sagt  zu  ihm:  „Vous  avez  le  courage  d’oublier  que  vous  etes  musicien 
pour  etre  poetc.“  Scheibe  in  seinem  „Kritischen  Musikus“,  der  besten  der 
vielen  barocken,  pamphletischen  Musikschriften  Deutschlands  im  18.  Jahr- 
hundert, ist  vielleicht  der  erste,  der  über  die  deutsche  Gesangssprache  ge- 

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nauere  Untersuchungen  anstellt  und  das  Gewissen  des  Stils  wachruft.  Von 
Bach  verstand  er  nichts,  vom  Theater  wußte  er  gründlich  Bescheid.  Die 
französische  Sprache  ist  niemals  so  verzerrt  worden  wie  die  unsere.  Was 
Goethe  sich  überlegte,  was  Scheibe  etwas  methodisierte,  ist  erst  langsam 
Verpflichtung  geworden.  Wagners  Deklamation  war  der  Sieg.  Trotz  aller 
Sünden  an  sich  selbst  (die  Gretry  genau  so  beging)  hat  er  die  Notwendigkeit 
sinngemäßen  Worttons  so  evident  gefordert  und  bewiesen,  daß  selbst  die 
neuen  Italiener  davon  abkommen,  die  Worte  nur  als  Spielball  der  Musik  zu 
nehmen.  Als  Strauß’  Salome  französisch  übersetzt  wurde,  entspann  sich 
eine  fast  wissenschaftliche  Diskussion  zwischen  Romain  Rolland  und  ihm 
über  die  Deklamation  der  einzelsten  Silben.  Man  verglich  unter  dem  Mi- 
kroskop Sprachausdruck  und  Melos.  Die  Poesie  rieb  sich  schmunzelnd  die 
Hände.  Aber  die  Musik  kicherte  schon  hinter  der  Kulisse.  Sie  kennt  ihre 
Sünder.  Sie  weiß  ganz  genau,  daß  sic  durch  diesen  äußersten  Vorstoß  der 
Sprache  schließlich  doch  nichts  verlieren,  sondern  den  Feind  nur  in  ihre 
eigenen  Gärten  locken  wird. 


Endlich  die  Autoren 

TON  und  Stoff,  Ton  und  Sprache,  Ton  und  Wort  — und  endlich  der  Ton- 
dichter und  der  Textdichter.  Die  Konflikte  der  Objekte  setzen  sich 
in  den  Subjekten  fort.  Bontempi  in  seiner  ersten,  in  Dresden  aufgeführten 
italienischen  Oper  Paride  (1662)  sagt:  „Meine  Kunst  in  der  Poesie  erstreckt 
sich  nicht  weiter  als  etwa  ein  Wcrklein  zur  Musika  gehörend  zu  verfertigen; 
und  solches  mehr  zum  Gebrauch  meiner  eigenen  als  fremden  Sätze;  mehr 
wegen  Mangels  anderer  Poeten  als  wegen  Profession.“  Aber  der  Entschluß, 
selbst  schlechte  Texte  zu  schreiben,  oder  die  Fähigkeit,  selbst  gute  zu  dich- 
ten, findet  sich  selten  beim  Musiker.  Die  Personalunion  des  Librettisten  und 
Komponisten  ist  eine  Ausnahme.  Marcello,  die  sächsische  Prinzessin  Maria 
Antonia,  Schülerin  von  Porpora  und  Hasse,  Rousseau,  Lortzing,  Wagner  — 
cs  sind  abnorme  Fälle  von  doppelter  Veranlagung,  die  sogar  der  Gabenver- 
teilung, die  die  Natur  liebt,  widerspricht.  Der  Musiker  hat  zu  allen  Zeiten 
krampfhaft  den  Dichter  gesucht,  der  ihm  den  Text  zurechtmacht.  Wie 
Gretry  es  beschreibt  (mit  vorzüglichen  Analysen  der  Menschen),  wie  er  mit 
der  Laterne  seine  Dichter  sucht,  besucht,  antreibt,  erzieht  — so  ist  es  die 
Regel.  Die  Musik,  immer  die  erste,  gibt  dem  Komponisten  den  Vorrang. 
Der  Dichter  ist  angestellt.  Die  Verschiedenheit  der  Musik  ist  in  früherer 
Zeit  das  Unbedingte,  die  des  Textes  das  Bedingte.  Operntexte  werden  ge- 
druckt, den  Bühnen  verschickt,  wahllos  und  rücksichtslos  von  den  Kompo- 

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nisten  bearbeitet.  Sie  scheinen  Gemeingut.  Reichardt  auf  seiner  Pariser 
Reise  1802  kommt  in  ein  Opernhaus,  sieht  einen  Tamerlan  über  einen  Text, 
den  er  einst  selbst  komponierte,  ahnungslos,  und  mit  allen  möglichen  Ballett- 
einlagen. Die  Texte  des  Rinuccini,  der  die  ersten  Florentiner  Opern  dichtet, 
werden  unbesorgt  von  verschiedensten  Komponisten  nacheinander  vertont. 
Metastasios  Texte  sind  jeder  fünf-  bis  sechsmal  komponiert  worden  (von 
Hasse  allein  meist  doppelt,  einige  sogar  vierfach),  noch  Mozart  nahm  seinen 
Titus,  der  56  Jahre  alt  war.  Glucks  Innocenza  wird  als  Pasticcio  aus  den 
verschiedensten  alten  Szenen  Metastasioscher  Texte  bunt  zusammengesetzt. 
Die  Zeiten  haben  sich  geändert.  Die  Würde  der  Poesie  duldet  keine  Vogel- 
freiheit der  Operntexte  mehr.  Nicolai  und  Verdi  komponieren  dieselbe 
Falstaffepisode,  Puccini  und  Leoncavallo  dieselbe  „Boheme“,  aber  die  Texte 
wiederholen  sich  nicht.  Damals  stellte  man  Hofpoeten  an,  die  für  das  Ma- 
terial zu  sorgen  hatten.  Am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  sitzt  an  jedem  Hofe 
einer:  in  Wien  Silvio  Stampiglia,  in  Hannover  Hortensio  Manso,  in  Dresden 
David  Schirmer,  später  in  Wien  Zeno  und  der  berühmteste  von  allen,  Meta- 
stasio,  der  aus  einem  Wunderkind  ein  Philister  geworden  war,  der  Hofmytho- 
logiedichter mit  einer  Routine,  wie  sie  nur  noch  Scribe  für  die  moderne 
Oper,  als  Typ  des  Librettisten,  wiederholt.  Aus  ernstem,  gemeinsamem 
Streben  oder  einfach  aus  Gewohnheit  bilden  sich  die  Ehen  zwischen  Kom- 
ponisten und  Librettisten,  besonders  in  Frankreich  en  vogue:  Perrin  mit 
Cambert,  Quinault  mit  Lully,  Dauchet  mit  Campra,  Sedainc  mit  Monsigny, 
Calsabigi  und  Roullet  mit  Gluck.  Ein  königliches  Dekret  von  1713  gibt  in 
Paris  dem  Dichter  den  gleichen  Honoraranteil  wie  dem  Komponisten.  In 
Deutschland  herrscht  lange  eine  strafbare  Gleichgültigkeit  gegen  den  Text. 
Die  erste  deutsche  Opernaufführung,  die  es  gab,  Schützens  Dafne  auf  dem 
Schlosse  Hartenfels  in  Torgau  1627  (sic  ist  verloren)  war  eine  Bearbeitung  des 
alten  Rinuccinischen  Textes,  den  schon  Peri  komponiert  hatte.  Die  Bearbei- 
tung machte  Opitz  — man  weiß  nicht,  ob  er  nach  Schütz,  der  Rinuccini 
komponierte,  oder  Schütz  nach  ihm,  da  Peris  Musik  nicht  mehr  paßte.  Dit- 
tersdorf in  seiner  Autobiographie,  Mozart  noch  bei  der  Erwähnung  seiner 
„Entführung“  kennen  wenig  ihre  Textdichter,  verwechseln  sie,  nennen  sic 
kaum  — den  Figaro  wünschte  Mozart,  den  Don  Juan  schlug  Dapontc 
vor,  Cosi  fan  tutte  war  ein  Auftrag,  bei  der  Zauberflöte  blutete  er  unter 
Schikaneders  Einsprüchen.  Webers  Erfahrungen  mit  seinen  Librettisten  sind 
voller  Hohn.  Was  bedeutete  Wagners  Tat,  mit  jedem  Texte  nicht  nur  ein 
ausgewähltes  Werk,  sondern  ein  Stück  Leben  zu  geben,  wie  er  es  in  der 
„Mitteilung  an  meine  Freunde“  darstellt!  Das  literarische  Gewissen  war 
gewachsen.  Verdis  Korrespondenzen  mit  seinen  Textdichtern  haben  noch 

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etwas  von  der  alten  italienischen  Zuschneidermanier  auf  die  Wirkung  der 
Musik.  Deutschland,  das  Land  der  besten  Deklamation,  ist  auch  in  der  Per- 
sonalfrage aristokratisch  genug  geworden.  Strauß  dringt  bis  zu  Hofmannsthal: 
ein  Zug  eines  Musikers  auf  das  Niveau  der  bestehenden  Literatur,  wie  er  nur 
noch  bei  den  französischen  Maeterlinck-Komponisten  sich  findet.  Die  Eigen- 
heit des  Dichters  im  Stoff,  in  der  Sprache,  in  dem  Rhythmus,  in  dem  lite- 
rarischen Wert  ist  gewahrt.  Der  Musiker  ladet  ihn  gelassen  dazu  ein,  weil 
er  in  diesem  großen  Kampfe  der  beiden  Kunstäußerungen  des  schließlichon 
Sieges  und  der  Machtsteigerung  seines  Idioms  sicher  zu  sein  glaubt.  Ein 
Friede  aber  ist  geschlossen,  der  nur  ein  Krieg  in  Glaces  ist.  Es  ist  ein  Pakt 
auf  Selbständigkeit  zweier  Gegner,  die  dazu  berufen  sind,  sich  zu  schlagen  und 
zu  küssen. 

Das  Kapitel  „Oper  und  Drama“  wird  nie  zu  Ende  sein.  Wir  wollen  es 
hier  mit  diesen  Andeutungen  beschließen,  die  nichts  beabsichtigen,  als  das 
Problem  ohne  Einseitigkeit  (auch  ohne  Wagnersche)  hinzustellen.  Ich 
brauche  die  Klarheit  dieser  Paradoxen,  um  in  Ruhe  mich  in  Werke  und 
Menschen  versenken  zu  können,  die  auf  diesem  vulkanischen  Boden  doppelt 
fruchtbar  erwuchsen.  Denn  niemals  wird  uns  wieder  gelingen,  an  einem 
Objekt  so  lebenswahr  zu  zeigen,  wie  aus  dem  Zwiespalt  der  Kräfte  die 
Größe  des  Geistes  entspringt. 


Vierter  Widerspruch:  Das  Orchester 

ICH  gehe  zunächst  in  dem  Drama  dieser  Paradoxien  weiter.  Ich  habe  die 
Differenzierung  der  Musik  gezeigt,  ich  habe  ihren  Kampf  mit  dem  Wort 
durchgenommen,  ich  stelle  jetzt  dieses  Ensemble  von  Ton  und  Wort  einem 
neuen  freundlichen  Feinde  gegenüber:  dem  Orchester.  In  demselben  Augen- 
blick, da  auf  der  Bühne  die  melodische  Linie  des  Gesanges  durchgeführt 
wird,  muß  sich  die  Harmonie  in  dem  begleitenden  Orchester  niederlassen, 
und  dieser  neue  Apparat  wächst  naturgemäß  an  Selbständigkeit,  wie  alles 
Keimfrohe,  was  in  die  Erde  gelegt  wird,  wachsen  will.  Die  Antinomie  der 
Oper  ist,  daß  der  von  den  Stimmen  zur  Begleitung  herangezogene  Apparat 
so  frei  und  frech  wird,  daß  er  schließlich  droht,  die  Stimmen  zu  verschlingen 
und  sich  selbst  zum  republikanischen  Herrscher  zu  machen:  ein  Krieg,  der 
so  andauernd  und  zielbewußt  geführt  wurde,  daß  man  kaum  sagen  kann,  daß 
seine  Chancen  schwankten.  Auf  einem  wunderbar  breiten  Boden,  geogra- 
phisch bedingt  im  Verlauf  der  Entwicklung,  siegt  die  deutsche  Symphonie 
über  den  italienischen  Gesang.  Das  Problem  heißt:  wie  kann  die  Stimme 

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bleiben,  wenn  das  Orchester  selbständig  wird,  und  wie  kann  das  Orchester 
etwas  leisten,  wenn  cs  sich  nicht  nach  allen  Seiten  entfaltet  ? Legen  wir  die 
Stationen  fest. 

Es  gibt  begleitende  Orchester  vor  der  Bühne  und  Bühnenmusiken  auf 
ihr.  Die  Bühnenmusiken  reizen  als  Beigabe  von  Aufführungen,  als  Musik  in 
der  Musik  zu  allen  Zeiten.  Sie  komplizieren  den  Apparat  aus  Logik:  indem 
sie  instrumentales  Spiel  als  einen  wirklichen  Teil  der  Vorgänge  auf  der  Bühne 
hineinziehen.  Das  geht  von  den  Lauten  und  Flöten  der  alten  Italiener  bis 
zu  Mozarts  drei  Bühnenorchestern  in  Don  Juans  Saal,  den  Morgenruftrom- 
peten  im  Lohengrin  und  dem  Blasorchester  Verdischer  Feste.  Virtuose  Jäger, 
Ständchenbringer,  Pianisten,  Sackpfeifer  und  Trompeter  rücken  hier  ein  — 
das  macht  keine  Schwierigkeit. 

Unproblematisch  sind  auch  die  selbständigen  Stücke,  die  das  Orchester 
absetzt.  Zunächst  die  Ouvertüre,  die  in  alter  Zeit  zwischen  allen  möglichen 
Formen  schwankt.  Die  Form  Lullys  (langsam,  schnell,  langsam)  siegte  zu- 
nächst über  die  Form  Scarlattis  (schnell,  langsam,  schnell).  Doch  gibt  es 

keine  Regel.  Es  wird  ein  beliebiges 
; ' 7-’’  & - ‘ ‘ 1 ['  B Konzertstück,  das  man  sich  selbst 

4L  ^ i = V T - ;—-V  von  einer  zur  andern  Oper  oft  borgt. 

Rameau  borgt  sich  seine  Zoroastcr- 
ouvertürc  für  seinen  Castor  und 
Pollux,  obwohl  er  einst  damit  den 
Zoroaster  des  Lichts  hatte  schildern 
wollen,  wie  in  der  „Nais“  den  Ti- 
tanenkampf, im  „Platec“die  Stimmen  der  Natur  — eine  Milieuvorbereitung 
des  Dramas.  Dann  wieder  bevorzugt  und  verfeinert  man  die  italienische 
Ouvertüre.  Die  eigentliche  thematische  Beziehung  zur  Oper  beginnt  bei 
Gluck.  Gluck  liebte  dafür  die  Sonate,  die  späteren  Franzosen  das  Potpourri, 
wir  die  motivische  symphonische  Dichtung.  Die  ganze  Freiheit  sympho- 
nischer Gestaltung  liegt  hier  offen.  Noch  mehr  in  den  Zwischenspielen. 
Aus  Cavallis  Sinfonia  infernale,  die  die  Hölle  herauflockt,  seiner  Sinfonia 
di  Viole  in  Tctis,  die  einen  Licbcsgram  zu  heilen  hat,  entwickeln  sich  die 
zahllosen,  unnennbaren,  unwiderstehlichen  Zwischenspiele,  die  Szenen  über- 
leiten, stumme  Bühnen  beleben.  Wie  kann  das  Orchester  sprechen,  fragt 
Rousseau,  wenn  auf  der  Bühne  niemand  spricht  ? Ja,  das  Theater  ist  leer, 
aber  der  Zuschauer  nicht.  Das  Orchester  nourritet  contient  cette  impression. 
Hier  hat  die  Musik  eine  klare  und  einfache  Aufgabe  — sie  arbeitet  für  sich, 
einer  einzigen  Stimmung  hingegeben,  die  durch  Erinnerungen  getränkt,  durch 
Aussichten  belebt  ist  und  dazu  den  Vorteil  genießt,  als  unkomplizierte  Aus- 


llassrs  Dresdner  Orchester  nach  Rousseau 
(Dictiunnaire): 

i)  u.  2)  Cembalo,  3)  Celli,  4)  Bässe,  5)  erste  Viol., 
6)  zweite  Viol.,  7)  Obom,  8)  Flöten,  a)  Bratschen, 
b)  Fagotte,  c)  Hörmr,  d)  Trompeten  und  Pauken 


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spräche  inmitten  einer  Reihe  bewegter  und  verwebter  Kunstansprüche  eine 
ersehnte  Ruhe  darzubieten.  Das  ist  nicht  schwierig. 

Die  Schwierigkeit  beginnt  im  sogenannten  begleitenden  Orchester,  das 
neben  der  Handlung  läuft.  Der  Clavecinist,  der  in  der  ersten  Zeit  seine  Har- 
monien hält,  nach  einem  bloßen  bezifferten  Baß,  von  einfachen  Streichern 
und  Bläsern,  die  nur  im  Notfall  ausgeschrieben  sind,  unterstützt,  gibt  schüch- 
tern selbständigen  Regungen  nach.  Aber  das  Orchester  wächst,  während 
die  Stimmen  nicht  wachsen.  Die  Singmöglichkeiten  stehen  fest,  sind  be- 
grenzt — das  Orchester  wird  der  gewaltigste  Apparat,  den  eine  Kunst  kennt, 
es  läßt  sich  auch  in  der  Oper  nicht  darauf  ein,  Diener  zu  bleiben,  es  drängt 
nach  Entfaltung,  es  drängt  nach  Betätigung,  ja  aktiver  Teilnahme. 

Es  sieht  sich  vor  Möglichkeiten:  entweder  begleitet  es  einfach  den  Ge- 
sang oder  — und  hier  wird  es  schon  rüstiger  — es  illustriert  durch  eigene 
Ausdruckslinien  das  Leben 
der  Bühne,  oder  — und  nun 
ahnt  es  seine  ganze  große 
Mission  — es  teilt  uns  Dinge 
mit,  die  auf  der  Bühne  ver- 
schwiegen werden  und  wer- 
den sollen,  cs  sagt  die  Wahr- 
heit, wenn  sie  dort  oben 
sich  belügen,  cs  spricht  un- 
sere unmittelbaren  Emp- 
findungen aus,  wenn  sic 
dort  oben  die  ihrigen  innerhalb  der  Befangenheit  ihres  Dramas  produzieren. 
In  Melanis,  des  alten  Sängerkomponisten,  Buffooper  Tancia  (1612)  gibt  cs 
noch  eine  Stelle,  wo  das  Orchester,  weil  einer  davon  spricht,  daß  er  nicht 
schlafen  kann,  ein  Schlafliedchen  spielt  — dumm,  auf  das  Stichwort  Schlaf. 
Heut  geht  das  nicht  mehr.  Lügen  die  Instrumente,  so  lügen  sie  absichtlich, 
als  Parodie:  sie  können  in  die  Verlegenheit  kommen,  mit  der  Hexe  aus  Hän- 
sel  und  Gretel  alle  guten  Kinder  zu  umschmeicheln.  Aber  dann  hört  man 
es  ihnen  an,  dann  bedienen  sie  lachend  die  lügnerischen  Worte.  Glucks  Orest 
behauptet,  er  sei  ruhig;  das  Orchester  wird  unruhig;  man  tadelt  Gluck  und 
er  ruft : Orest  lügt,  die  Bratschen  haben  recht,  er  hat  die  Mutter  erschlagen ! 
Der  Mund  kann  lügen,  die  Instrumente  lügen  nicht.  Sie  rufen  Verzauberten 
Erinnerungen  wach,  sie  künden  Verschämten  das  Unausgesprochene.  Sie  sa- 
gen Siegmund  und  Sieglinde,  daß  sie  sich  lieben,  ohne  daß  diese  es  ausspre- 
chen, ja  ahnen.  Das  Orchester  hat  den  Blutstropfen  Fafners  gekostet:  es 
hört  hinter  die  Natur.  Es  hört  auch,  daß  Mime  Siegfried  töten  will  und  ist 

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IH-H-H  M Hi WH, 


£3  HTH-H  & 


Grundriß  de«  Bayreuthcr  Orchc«crs  beim  Parsifal 


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so  berauscht  von  dieser  Entdeckung,  daß  es  Mime  die  entgegengesetzten 
Worte  in  den  Mund  gibt  als  die,  die  er  spricht.  Er  sagt  zu  Siegfried : ich  will 
dich  töten.  Ja,  Siegfried  hört’s,  wir  wissen’s,  aber  sagen  dürfte  er’s  nicht. 
Der  Kontrast  des  Wortes  und  der  Musik  muß  bestehen,  damit  diese  ihr  Recht 
hat.  Wie  konnte  Wagner,  der  die  Wahrhaftigkeit  des  Orchesters  zum  Siege 
brachte,  diesen  Übergriff  dulden?  In  der  Salome  dagegen  spricht  Hero- 
des  von  dem  Winde,  den  er  in  der  Luft  fühle.  Das  Orchester  spielt  den  Wind. 
Man  fragt  erstaunt:  wie  kann  es  den  Wind  spielen,  der  nur  eine  Einredung 
von  Herodes  ist?  Aber  es  antwortet:  ist  er  eine  Einredung?  Geht  nicht 
etwas  wie  neuer  Wind  durch  diese  Luft  ? Und  cs  streut  das  Johannesmotiv 
in  seinen  Wind  — und  es  hat  recht. 

Im  Gegensatz  zum  Wort  ist  das  Orchester  die  Seele  der  Bühne.  Es  ist 
das  tönend  gewordene  Auge  des  Wahren.  Es  ist  die  zweite  Sprache,  die 
hinter  der  konventionellen  Sprache  ruht  — weil  es  wortlos  ist  und  die  Lüge 
des  Wortes  nicht  braucht,  nicht  kennt.  Es  zeichnet  wahrnehmbar  den  Ho- 
rizont der  Stimmung,  das  Milieu  der  Sceleneinstellung,  die  innere  Regie  der 
Instinkte,  die  das  gesprochene  Drama  zwischen  den  Zeilen  ruhen  läßt. 
Alles,  was  zwischen  dem  Wort  und  dem  Zuhörer  liegt,  wird  sein  Reich.  Aus 
einem  Begleiter  wird  ein  Prophet. 

Eine  unerhörte  Aufgabe  stellt  sich  dem  Orchester.  Es  fühlt  die  Zügel 
der  Oper  in  seiner  Hand.  Es  holt  alle  Ressourcen  heran,  die  ihm  zur  Ver- 
fügung stehen,  sein  Machtbewußtsein  wächst  ins  Unendliche.  Um  dauernd 
zu  illustrieren,  jede  Landschaft,  jede  rhythmische  Bewegung,  jede  innere 
Regung,  jede  Charakterverschiedenheit,  jede  Stimmung,  jede  Erinnerung  zu 
schildern,  nutzt  es  die  Quantität  und  die  Qualität  der  Instrumente  um  so 
mehr  aus,  als  sich  gerade  in  der  Oper  die  Assoziationsmöglichkeiten  der  ab- 
soluten Musik,  die  Deutungen  des  bloßen  Tons  durch  einen  gegebenen  In- 
halt doppelt  leicht  ergeben.  Mit  Monteverdi  beginnen  sofort  diese  Regungen 
im  Orchester.  Er  benutzt  in  seinem  Orfeo  auf  eine  mystisch  seltsame  Art 
die  Farben  der  alten  Instrumente,  er  gründet  später  das  Streicherkorps  als 
festen  Bestand  der  neuen  Oper,  um  das  die  Bläser  kolorierend  spielen,  wäh- 
rend Akkordinstrumente  die  Harmonien  halten.  Die  Streichmusik  blüht  in 
den  beiden  Orchesterkörpern  von  Paris,  der  grand  bande  von  24  Musikern, 
den  petits  violons  von  16  Musikern,  in  der  Zeit  Lullys.  Scarlatti  teilt  die 
ersten  und  zweiten  Geigen  bisweilen  (wie  Richard  Strauß)  in  je  vier  Stimmen, 
verstärkt  sie  durch  Oboen,  fügt  Hörner,  Flöten,  Fagotte  hinzu:  das  Solo- 
instrument beginnt  seine  Sprache.  Lajarte  in  seinem  Katalog  der  Pariser 
Opernbibliothek  gibt  folgende  interessante  Statistik  des  dortigen  Opern- 
orchestcrs : 1671 — 97  sechs  Streicherpartien,  zu  fünf  oder  drei  zusammengezo- 

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gen,  für  Rczitative  Baß  und  Clavecin,  sehr  selten  Pauken  und  Trompeten,  zwei 
Flöten  und  zwei  Oboen  gehen  mit  den  beiden  Violons,  ein  Fagott  mit  dem 
Baß.  1697 — 1733:  zu  vier  Streichern  im  Violoncharakter  kommen  noch  vier 
im  Baßcharakter,  wobei  auch  fünfsaitige  benutzt  werden.  Der  Kontrabaß, 
1716  in  den  Fetes  de  l’ete  von  Monteclair  das  erstemal  benutzt,  wird  von  Be- 
deutung. 1733—74:  die  Holzbläser  werden  selbständiger,  Hörner,  Trom- 
peten, Pauken  wirkungsvoller,  der  Streichkörper  ist  wie  heut  fünffach  — die 
erste  Klarinette  findet  sich  in  d’Herbains  Celince  1766;  Rameau,  der  große 
Instrumentenkolorist,  gebraucht  sie  höchstens  in  seinen  letzten  Werken. 
Und  später:  die  Posaune  tritt  bei  Gluck  hervor,  die  Schlaginstrumente  er- 
weitern sich  durch  die  orientalischen  Opern,  vier  richtige  Hörnerreihen  zeigt 
erst  Kreutzers  Astyanax  1801,  der  alte  Serpent  bereitet  das  Kontrafagott 
vor.  Diese  Tabelle  ist  die  ungefähre  Statistik  der  Orchesterbesetzung  im  all- 
gemeinen. Wir  haben  noch  wenig  Studien:  Hugo  Goldschmidt  schrieb  die 
Geschichte  des  Orchesters  im  17.  Jahrhundert  mit  seinen  wundervollen  Mi- 
schungen absterbender  Instrumente,  Fritz  Volbach  eine  leichte  Übersicht 
des  modernen  Orchesters  in  seiner  rapiden  Entwicklung.  Ich  zeichne  hier  nur 
die  Konturen.  Ich  erinnere  an  die  in  Rousseaus  Musiklexikon  enthaltene,  von 
Burney  bestätigte  berühmte  Grundrißzeichnung  des  Dresdener  Orchesters: 
in  der  Mitte  der  Clavecin  maitre,  links  an  der  Seite  das  Clavecin  d’accom- 
pagnement,  neben  diesem  und  rechts  an  der  Seite  je  ein  Cello  und  ein  Kontra- 
baß, immer  mit  dem  Klavier;  rechts  vorn  acht  erste  Geigen,  hinten  (mit  dem 
Rücken  gegen  die  Bühne)  sieben  zweite;  links  fünf  Oboen  und  zwei  Flöten; 
vor  den  zweiten  Geigen  vier  Bratschen;  zwei  Hörner  und  fünf  (!)  Fagotte  links 
vorn,  an  den  Seiten  Pauken  und  Trompeten.  Ich  erinnere  an  Gretrys  feinen 
Orchestersinn  — er  lobt  einmal  die  Instrumente,  die  ein  Mädchen,  welches  die 
Liebe  leugnet,  reizend  verraten  — wie  er  die  Trauer  der  Fagotte,  den  nicht 
so  pathetischen  Schmerz  der  Klarinette,  die  Hoffnung  der  Oboe,  die  Liebes- 
süßigkeit  der  Flöte,  den  Ruhm  der  Trompete,  die  Jagdlust  des  Horns  malt. 
Ich  erinnere  an  die  frühe  Entwicklung  der  Tonsprachc  des  Orchesters,  wie 
man  sic  bei  Simon  Mayr,  dem  von  Goethe  Verehrten,  beobachtet:  der  einen 
näselnden  Advokatenchor  in  der  Buffooper  Belle  ciarli  e fatti  tristi  schon 
von  Sordinentrompeten  begleiten  läßt,  Streicher  und  Bläser  mit  Mozartscher 
Delikatesse  gruppiert,  das  Pizzikato  nach  italienischer  Art  kennt,  das  Eng- 
lischhorn benutzt,  den  Solostellen  des  Cello,  der  Viola,  Violine,  Oboe  ihre 
Wirkung  gibt.  Ich  denke  an  das  Experiment,  das  Mehul  in  seinem  „Uthal“ 
machte:  eine  Oper  ganz  ohne  Violinen  zu  schreiben.  Welche  Entwicklung, 
um  nur  bis  zu  dieser  Zeit  zu  gehen,  vom  alten  Peri,  in  dessen  Euridice 
ein  Klavizimbel,  ein  Chitarrone,  eine  Tenorlaute  und  eine  Lira  grande  (von 

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Adligen  gespielt)  neben  den  drei  Flöten  des  Schäferritornells  die  ganze  In- 
strumentalbegleitung darstellten,  bis  zum  berühmtesten  und  größten  Or- 
chester des  18.  Jahrhunderts,  dem  Neapler  S.  Carlo  mit  seinen  achtzehn 
ersten  Violinen,  die  selbst  heutige  Elektra -Forderungen  noch  übertreffen. 
Der  Damm  ist  gebrochen.  Das  Orchester  des  19.  Jahrhunderts  zieht  alle  Far- 
ben auf  diePalettc — schon  unregistrierbar.  Die  malerischen  Fähigkeiten  ver- 
breiten sich  von  den  Streichern  zu  den  Holzbläsern,  zu  den  Blechbläsern,  zu 
den  Pauken.  Alle  beginnen  selbständige  Gruppen  zu  bilden,  durch  neue  Er- 
findungen sich  zu  ergänzen,  ihre  Dimensionen  auszufüllen,  und  die  Ton- 
wellen dieses  beweglichen,  singenden,  ehernen  Orchesters,  von  allen  Arten 
rhythmischer  und  harfenähnlichcr  und  auch  absichtlich  archaistischer  In- 
strumente unterstützt,  fluten  gegeneinander,  das  Gemälde  eines  inneren 
Seelenlebens  der  Bühnenfiguren  darzustellen.  Es  ist  die  letzte  Emanzipation, 
derTriumph  eines  technischen  Zeitalters.  Das  Salome-Orchester  umfaßt  über 
hundert  Mitglieder.  Ein  ungeheurer  Apparat  wird  eingestellt,  die  Farben  einer 
Symphonie  dem  Drama  aufzulegen:  wir  hören  keine  Oper,  wir  hören  eine 
Opernsymphonie. 

Ich  werde  mich  an  dieser  Stelle  nicht  in  die  feinen  Details  der  instrumen- 
talen Kunst  von  Mozart,  Weber,  Berlioz,  Wagner,  Strauß  zersplittern,  ich 
habe  jetzt  nur  den  Finger  auf  alle  die  Ausdrucksmöglichkeiten  zu  legen,  die 
durch  diese  Erweiterung  und  Verfeinerung  des  Orchesters  in  die  Oper  ge- 
langten. Das  Orchester  malt  nicht  bloß  Szenen  und  Menschen,  es  etikettiert 
sie  auch.  Von  den  Anfängen  bei  den  Florentinern,  den  Römern,  bei  Monte- 
verdi,  dem  „sinnigen  Zitieren“  Scarlattis,  über  die  Erinnerungen  der  Ro- 
manzen in  der  opera  comique,  die  Anspielungen  bei  Weber,  Lortzing,  bis 
zu  Wagner,  ist  das  Leitmotiv  eine  wachsende  Gewohnheit,  durch  bestimmte 
Phrasen  an  Personen  oder  Situationen  zu  mahnen,  die  sich  mit  ihnen  das 
erstemal,  da  sie  erschienen,  verbanden.  Es  ist  das  Zeichen  für  den  Einbruch 
des  Orchesters  auf  die  Bühne.  Es  begleitet  nicht  mehr,  ja  es  illustriert  nicht 
mehr  allgemein,  sondern  cs  formt  nach  den  Vorgängen  der  Bühne  knappe 
instrumentale,  charakteristische  Wendungen,  die  es  bei  der  Wiederkehr  der 
Personen  und  Situationen  den  veränderten  Umständen  entsprechend  va- 
riiert. Konsequent  durchgeführt,  wie  zuerst  bei  Wagner,  der  ganze  Szenen 
nur  aus  der  Kombination  von  Leitmotiven  im  Orchester  zusammensetzt,  be- 
deutet cs  die  Übertragung  der  Bühne  in  eine  Symphonie,  die  in  ihrer  eigenen 
wortlosen  Sprache  die  Ereignisse  des  Dramas  miterzählt.  Das  Drama  wird 
das  literarische  Programm  für  eine  symphonische  Dichtung,  die  beinahe  auch 
ohne  dieses  aufführbar  und  verständlich  wäre.  Es  ist  möglich,  und  cs  ist 
geschehen,  die  leitmotivische  Arbeit  nach  Nummern  und  Unternummern  so 

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zu  analysieren,  daß  jede  Nüance  der  Bühne,  jede  Abwechslung  im  Personen- 
stand wie  von  einem  Zettel  ablesbar  wird.  Motiv  des  Ringfluchs,  Motiv  der 
Familicnliebe,  Schönheitsmotiv,  Siegschwertmotiv,  Motiv  des  Hausfriedens. 
Den  Komponisten  darf  die  Lächerlichkeit  dieser  Etikettierung  nicht  wundern. 
Er  ist  bis  an  die  Grenze  der  Bühnensymphonie  gegangen,  er  hat  die  Themen 
absoluter  Musik  mit  wirklichen,  sichtbaren  Inhalten  gefüllt,  er  darf  keine 
Unbewußtheit  vorschützen  in  einer  Methode,  die  ganz  auf  klare  und  über- 
legte Bewußtheit  gestellt  ist  und  auch  davon  nichts  verliert,  wenn  der  Hörer 
unfähig  sein  sollte,  ihrer  Systematik  im  Augenblick  genau  zu  folgen.  Früher 
baute  sich  die  Oper  aus  Gesangsnummern.  Jetzt  baut  sie  sich  aus  Leit- 
motiven. Ein  Bau  ist  es  immer  noch.  Nur  war  jener  in  die  Sinne  fallend, 
und  dieser  ist  eine  fast  unsichtbare,  zuerst  kaum  merkliche  innere  Konstruk- 
tion. Wird  sie  nicht  gemerkt,  ist  sie  doch  überflüssig.  Wird  sie  gemerkt, 
ernüchtert  sie.  Das  Orchester  fraß  die  Bühne,  weiter  konnte  es  nicht  gehen. 
Dcbussy  leugnet  die  leitmotivische  Methode.  Die  Zukunft  wird  sie  mit 
leiser  Reaktion  verlassen. 

Das  Orchester  frißt  die  Bühne  und  frißt  die  Stimmen.  Es  ist  bisher 
jedem  Opernkomponisten  gegen  seine  Vorgänger  vorgeworfen  worden,  daß 
er  ein  zu  lautes  Orchester  habe.  Die  Enzyklopädisten  bedauerten  cs,  Mozart 
wurde  es  nachgesagt,  Wagner  hörte  es  wieder,  Strauß  hört  es  jetzt.  Gretry 
schlug  schon  das  unsichtbare  Orchester  vor,  Bayreuth  führte  es  ein.  Es  war 
eine  Tugend  aus  der  Not,  aber  hinwiederum  kam  die  Not  aus  der  Tugend 
des  modernen,  des  deutschen  Symphonikers,  sich  im  Orchester  blendend 
ausdrücken  zu  können.  Die  größte  Not  betraf  die  Stimmen  der  Sänger. 
Nicht  nur  in  ihrer  Dynamik  — das  wäre  eine  Kraftfrage,  aber  mehr  noch  in 
ihrer  Melodik.  Die  Stimme  wird  von  der  Gesamtsymphonie  cinbczogen.  Sie 
ist  ein  Teil  der  ganzen  Musik,  nicht  ihre  Kontur,  ihre  Höhenlinie.  Gretry 
sagt  von  Gluck,  er  mache  eine  Symphonie  mit  oft  unwesentlicher  (accessoire) 
Stimme,  er  selbst  versuche  das  Gegenteil,  Sacchini  stehe  in  der  Mitte.  Was 
hätte  er  von  uns  Heutigen  gesagt  ? Selbst  der  Italiener  kann  sich  nicht  mehr 
ganz  der  symphonischen  Anschauung  der  Stimme  verschließen.  In  Höhe- 
punkten gewinnt  der  Gesang  die  Herrschaft,  im  Fluß  der  Begebenheiten 
sinkt  er  als  eine  der  vielen  Linien  in  das  symphonische  Gewebe  hinein.  Das 
Orchester  begleitet  ihn  nicht  mehr,  er  begleitet  das  Orchester.  Er  müht 
sich  der  schönsten  Deklamation,  des  literarischesten  Gewissens,  des  wahrsten 
Ausdrucks  und  ist  doch  oft  nicht  viel  mehr  als  eine  Oboe  oder  gar  zweite 
Violine  — der  Träger  einer  dramatischen  Farbe,  der  in  das  Orchester  ein- 
gestellt ist.  Puccini  schreibt  noch  gut  für  Gesang,  der  Deutsche  hat  auch 
dies  verlernt.  Er  ist  sehr  gebildet  in  seinem  Schaffen,  aber  mit  seinem  gc- 

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liebten  und  wirklich  so  wundervollen  Orchester  tötet  er  alles,  was  er  in  lang- 
samer Erziehung  auf  der  Bühne  sich  eroberte.  Es  ist,  als  ob  die  Musik  für 
den  Vorstoß  der  Poesie  da  oben  sich  hier  unten  durch  einen  ihrer  gewaltig- 
sten Schläge  rächte.  Und  wieder  stehen  wir  vor  der  Unmöglichkeit.  Sie  muß 
in  ihren  Pol  Umschlägen. 


Fünfter  IViderspruclt : Die  Aufführung 

SO  rückt  das  Schauspiel  der  Künste  in  der  Oper  vor.  Monodie  und  En- 
semble, Form  und  Ausdruck,  Musik  und  Stoff,  Heimat  und  Welt,  Rede 
und  Melodie,  Komponist  und  Librettist,  Gesang  und  Orchester  sehen  sich 
scharf  ins  Auge,  Vorteile  zu  erspähen,  Niederlagen  zu  ergänzen,  Lücken  zu 
füllen,  die  Macht  der  eigenen  Sphäre  zu  erweitern.  Aber  das  alles  ist  gleich- 
sam erst  die  geschriebene  Oper,  in  der  die  Paradoxien  noch  unbewußt  ruhen. 
Jetzt  wird  sie  gespielt  und  ein  neuer  Akt,  ein  Akt  voll  furchtbarer  Kämpfe, 
Ärgernisse,  Tyranneien  und  Verzichte  beginnt,  in  dem  die  ganze  theore- 
tische Unmöglichkeit  dieser  Kunstgattung  ihre  praktische  Bestätigung  findet. 
Eine  Antinomie  erhebt  sich  zwischen  Werk  und  Aufführung.  Die  Oper  ist 
nicht  nur  da  — sie  wird  von  jemandem  gegeben.  Dieses  „Von  Jemandem“ 
stellt  eine  neue,  sehr  schwierige,  sehr  nervöse  Gruppe  von  Interessenten  der 
Familie  von  W ort  und  Ton  und  Orchester  gegenüber,  die  sich  da  zusammen- 
getan haben,  eine  frohe  Geburtsstunde  zu  erleben.  Die  Aufführung  ist  sonst 
eine  Frage,  bei  der  Oper  ist  sie  ein  Problem.  Sie  greift  tief  und  schmerzlich 
in  das  Kunstwerk  ein.  Fin  des  plaisirs,  commcncement  des  desagrements 
schreibt  Mehul  unter  eine  seiner  Opern. 

Indem  ich  hier  die  täglichen  Aufführungssorgen  der  Oper  als  eine  ästhe- 
tische Antinomie  zusammenfasse,  sie  nach  ihren  wichtigsten  Befunden  ordne, 
stelle  ich  folgende  Tatsachen  nebeneinander. 

Die  gegebenen  Verschiedenheiten  der  menschlichen  Stimmregister  wir- 
ken auf  die  Disposition  der  Oper.  Ganz  allgemein  zunächst.  Schon  Doni, 
der  große  Musikschriftsteller  der  Renaissance,  bemerkt  in  seinem  Trattato 
della  musica  scenica,  Jesus  müsse  Tenor  singen  (ein  weicher  Tenor  wie  der 
des  Francesco  Bianchi),  Gott  Bariton,  die  Engel  Sopran  und  Alt,  der  Teufel 
tiefen  Baß,  Apollo  Tenor  oder  Kontraalt,  Merkur  Falsett  (wegen  des  Be- 
trügerischen) : ein  rechtes  Einteilungssystem  für  einen  mythologischen,  anti- 
kisierenden Methodiker,  der  auch  für  jeden  Gott  seine  Tonart  empfiehlt,  für 
Venus  die  lydische,  für  Saturn  die  hypodorische,  wobei  er,  wie  Ambros  sagt, 
an  alles  gedacht  hat,  nur  nicht  an  die  Menschen.  An  die  Menschen  auch  als 

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Sänger  dachten  die  alten  Italiener  überhaupt  wenig,  sie  ergötzten  sich  am 
Klang  der  schönen  Stimme  an  sich,  und  sic  scheuten  nicht  davor  zurück, 
den  Mann  zu  verstümmeln,  damit  er  die  männliche  Ausdauer  und  die  weib- 
liche Klanghöhe  zu  einer  perversen  Einheit  verbinde,  die  die  Feinschmecker, 
die  Orecchianti,  entzückte.  Der  erste  Kastrat,  der  in  eine  päpstliche  Kapelle 
aufgenommen  wird,  ist  der  Pater  Girolamo  Rossini  aus  Perugia  um  1601. 
Es  vergeht  nur  kurze  Zeit,  und  die  Kastraten  dringen  in  die  Oper  ein.  Wäh- 
rend in  Peris  Euridice  noch  ein  Knabe  die  Rolle  der  Dafnc  singt,  ist  Ca- 
vallis  Alcibiades  als  Sopran,  sein  Xerxes  als  Alt  Kastrat.  Die  natürliche  Ver- 
teilung der  Register,  die  in  den  älteren  Opern  noch  Regel  ist,  wird  auf  den 
Kopf  gestellt.  Der  Fall  aus  Scarlattis  Trionfo  dell’onore  wird  als  Ku- 
riosum oft  genannt:  der  Liebhaber  ist  Sopran,  die  Geliebte  Alt.  Schließlich 
verbietet  Clemens  XII.  ganz  das  Auftreten  der  Frauen  auf  dem  Theater, 
und  die  Kastraten  erobern  noch  dazu  das  Reich  aller  weiblichen  Rollen. 
Heinse  baut  die  Pointe  seines  Opernromans  Hildegard  von  Hohenthal  dahin 
aus,  daß  Hildegard  in  Rom  als  Weib  auf  einer  Opernbühne  singt.  Es  war 
dies  ein  Ereignis,  wie  heut  der  Flug  über  den  Kanal.  Gluck  schreibt  seinen 
Orfeo  in  Althöhe  noch  für  den  Kastraten  Guadagni.  Da  man  in  Paris  trotz 
der  Schwärmerei  Raguenets  und  aller  Italienfreunde  diese  Sorte  Sänger  nicht 
verwendet,  ändert  er  die  Rolle  in  die  Tenorlage  um.  Das  Weib  als  Mann  aber 
bleibt  für  lange  Zeit  ein  Typ  der  Oper.  Den  Genuß  an  der  Kastratenstimme 
ersetzt  der  Reiz  des  verkleideten  Geschlechts.  Der  Page,  vom  Chcrubin  über 
den  Hugenottenurban  bis  zum  Rosenkavalier  ist  der  legitime  Erbe  eines  ver- 
schnittenen Sängervolks,  bei  dem  ein  Stück  Mann  das  Weib,  ein  Stück  Weib 
den  Mann  sang  — abenteuerliche,  hermaphroditische  Künste  des  Chevaliers 
d’Eon,  die  der  paradoxen  Geschlechtslosigkeit  der  Oper  schmeichelten. 

Burney  auf  seiner  italienischen  Reise  (1770)  erkundigt  sich  lebhaft  nach 
der  Fabrik  der  Kastraten.  Aber  es  wird  ein  absichtliches  Dunkel  über  ihre 
Herkunft  gebreitet.  In  Mailand  sagen  sie,  es  geschehe  in  Venedig  — in  Ve- 
nedig, es  sei  in  Bologna ; von  Bologna  w-eise  man  nach  Florenz,  von  dort  nach 
Rom,  nach  Neapel.  Der  britische  Konsul  in  Neapel  sage,  sie  kämen  aus 
Leocia  in  Puglia.  Sie  würden  ent  geprüft,  ehe  man  die  Operation  vornehme. 
Und  doch  stehe  die  Todesstrafe  darauf  — man  rede  sich  oft  mit  einer  Krank- 
heit aus.  Was  will  man  mehr  von  der  Muse  der  Oper  ? Sie  nimmt  den  Men- 
schen das  Geschlecht  und  tötet  das  Gesetz  aus  Genuß.  Sic  zieht  hundert 
Jahre  lang  die  Kastraten  groß  und  sendet  sie  mit  der  italienischen  Musik 
in  die  weite  Welt.  Sie  teilen  Ruhm  und  Niedergang  dieser  Musik.  Die 
Deutschen  wenden  sich  mit  dem  Brustton  logischer  Empfindlichkeit  dagegen. 
„Die  Symphonie  geht  zu  Ende,“  schreibt  Scheibe  im  „Kritischen  Musikus“, 

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„der  Vorhang  wird  aufgezogen.  Man 
hört  eine  weibische,  doch  helle  Stim- 
me, welche  von  einem  Körper  gespro- 
chen wird,  dessen  Kleidung  uns  das 
Bildeines  Helden  darstcllen  soll.  Lasset 
uns  einmal  in  dem  Buche  nachsehen, 
ob  dieses  ein  verkleidetes  Frauen- 
zimmer, eine  Amazoninn  oder  eine 
Person  aus  der  verkehrten  Welt  ist  ? 
Nein,  keines  von  allen  Dingen,  es  ist 
der  große  Alexander.  Wie  ? Der  große 
Alexander  ? Seit  welcher  Zeit  hat 
man  diesen  gewaltigen  Weltbezwinger 
in  einen  Unvermögenden  oder  wohl 
gar  in  ein  Weib  verwandelt  ? Doch 
wer  ist  denn  dieser,  der  anitzo  mit 
einer  matten  Altstimme  auf  den  Knien 
>-^■"“1  um  die  Gunst  seiner  holden  Göttinn 

Kastrat  FarineUi  in  Gala.  Alte  IYdermichnung  50  beweglich,  SO  Weibisch  und  SO 

niederträchtig  seufzet  ? Ist  es  nicht 
einer  von  den  Hofpagen  des  großen  Alexanders  ? Nein,  keineswegs.  Es  ist 
der  stolze  Hephästion,  einer  der  vornehmsten  Generäle  dieses  berühmten 
Königes.  Es  ist  Hephästion,  der  durch  seine  Klugheit  und  Tapferkeit  alles, 
was  sich  ihm  entgegensetzte,  zu  Boden  trat.  Wir  werden  aber  doch  einmal 
einen  ähnlichen  Charakter  finden.  Lasset  uns  nachsehen,  wer  dieser  ist,  der 
sich  anitzo  in  einer  kreischenden  Diskantstimme  über  die  Grausamkeit  des 
Glückes  und  über  die  Unbarmherzigkeit  einer  vermählten  Dame  beklaget? 
Unfehlbar  wird  dieses  ein  wollüstiger  Schmaruzer  sein  ? Weit  gcfehlet.  Es  ist  der 
tugendhafte  Lisimachus,  der,  bloß  mit  seinen  Händen  und  ohne  die  gering- 
sten Waffen,  einen  Löwen  überwand;  der  sich  durch  seine  Tugend  und  Ge- 
duld die  ihm  durch  den  Neid  seiner  Feinde  entzogene  königliche  Gnade  auf 
das  rühmlichste  wieder  erwarb.  Endlich  werden  wir  einen  Chor  der  Helden 
hören.  Wie  ? Es  sind  ja  lauter  Diskant-  und  Altstimmen.  Hat  denn  Alexan- 
der mit  einer  Menge  Weiber  die  Welt  bezwungen  ?“ 

Nun,  die  Geschlechter  sind  wieder  arrangiert,  Sopran,  Alt,  Tenor  und 
Baß  haben  ihre  natürlichen  Funktionen  übernommen  und  dem  rationellen 
Musiker  an  Charakter  ersetzt,  was  dem  alten  Theaterbesucher  an  sinnlichem 
Reiz  zugute  kam.  Noch  immer  schreiben  die  Italiener  für  die  Stimme,  wie 
die  Deutschen  für  die  Instrumente,  und  jene  für  die  Stimme  in  diesen,  wie 

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diese  für  die  Instrumente  in  jenen. 

Die  Instrumente  stehen,  die  Stimme 
wandelt  sich,  wie  die  instrumentalen 
Möglichkeiten  sich  wandeln,  und  die 
Stimmöglichkeitcn  stehen.  Gegen- 
spiele und  Paradoxe.  Der  Deutsche 
ist  individueller,  der  Italiener  schreibt 
für  Individuelleres,  für  diesen  ganzen 
wechselnden  Zauber  farbiger  Stim- 
men, die  jede  Rolle  in  neue  Valeurs 
setzen,  jedem  Abend  eine  neue  Dis- 
position geben,  erst  leben,  wenn  sie 
da  sind,  erst  Leben  wecken,  wenn  sie 
selbst  leben.  Farblos  und  neutral  auf 
dem  Papier,  wird  die  italienische  Oper 
Melodie  und  Genuß  und  Erfindung 
und  Klangreiz,  wenn  sie  gesungen 
wird,  ihre  Existenz  ist  eine  fliegende, 
aber  ihre  Kraft  eine  stehende.  Sie  ist 
nur  Geist,  wenn  sie  Materie  wird. 

Und  nun  wimmelt  diese  Schar  Künstler  mit  dem  nervösesten  aller 
Instrumente  um  den  Komponisten  herum  und  bringt  ihn  in  Verlegenheit, 
stößt  ihn,  liebt  ihn,  bittet  ihn,  verleugnet  ihn  und  läßt  ihn  im  Stich.  Die 
Geschlechter  sind  eingerichtet,  die  Charaktere  versprochen,  aber  die  Men- 
schen sind  keine  Klarinetten.  Burney  erzählt,  wie  ein  fehlender  Tenor  durch 
einen  Einhelfer  aus  einem  Loche  ersetzt  wird.  Gretry,  wie  einer  eine  ganze 
Orange  ißt,  bis  der  Partner  sein  Rezitativ  beendet  hat.  Solche  Geschichten 
gab  es  hunderte.  Verkehr  und  Disziplin  sind  besser  geworden,  aber  die  Verant- 
wortlichkeit ? Die  Schröder-Devrient  wirft  Wagner  die  Rienzipartitur  an 
den  Kopf  und  fast  alle  ihre  Kollegen  sind  gegen  fast  alle  neuen  Werke, 
die  ihnen  immer  zu  schwer,  immer  zu  unverständlich  sind.  Ein  halbes 
Jahr  Tristanproben  in  Wien,  und  es  kommt  zu  keiner  Aufführung.  Unter- 
scheiden wir.  Die  Italiener  schrieben  vokal,  die  Deutschen  schreiben  instrumen- 
tal, auch  für  die  Stimme.  Die  Italiener  gaben  ihre  Arien  dem  Gutdünken 
der  Sänger  preis,  aus  deren  Kehle  und  für  deren  Kehle  sie  komponierten. 
Die  Rosinenarie  aus  dem  Barbier  ist  in  Tonart  und  Koloratur  frei  gewor- 
den wie  ein  Vogel.  Zahlreiche  Stücke  werden  für  bestimmte  Sänger  auf 
Wunsch  eingefügt.  Sacchini  schließt  sich  bei  seiner  Primadonna  ein,  bis  er 
mit  seiner  Oper  fertig  ist.  Keiser  in  Hamburg,  Purcell  in  London  schreiben 

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ihre  berühmten  Riesenkoloraturen,  weil  sic  wissen,  für  wen  sie  schreiben. 
Mozart  komponiert  seine  Königin  der  Nacht  für  diese  eine  Josepha  Weber. 
Dafür  leben  auch  alte  Stücke  oft  nur  mit  ihren  Sängerinnen  und  sterben  mit 
ihnen,  auch  wenn  ein  Meister  sie  hält.  Die  Norma  ist  tot,  weil  sie  nie- 
mand mehr  singt.  Man  hilft  sich  mit  Änderungen  und  Strichen.  Man  än- 
dert, streicht,  kombiniert  an  alten  Opern  mit  einer  Nonchalance,  die  inner- 
halb des  Schauspiels  unerhört  wäre.  Das  Schauspiel  kann  jeder  lesen,  die  Par- 
titur nur  wenige  — die  Oper  will  gehört  sein.  Sie  lebt  auf  der  Bühne  und 
findet  dort  erst  ihre  endgültige  Form.  Es  gibt  keine  Oper,  die  jemals  zu 
allen  Zeiten  und  an  allen  Orten  so  aufgeführt  wurde,  wie  sic  geschrieben 
war.  Nur  Pietät,  eine  sehr  untheatralische  Tugend,  gestattet  originale  For- 
men. Und  doch  Pietät!  Mahler  streicht  aus  dem  Fidelio  die  Roccoarie  als 
dumm,  setzt  die  dritte  Leonorenouvertüre  vor  die  letzte  Szene  ein,  als  wirk- 
samstes, symphonisches  Zwischenspiel,  und  komponiert  für  den  Figaro  neue 
Rezitative  hinzu,  aus  der  Beaumarchaisschen  Gerichtsszene,  die  die  revolutio- 
näre Tendenz  steigern.  Was  die  Italiener  früher  an  Stimmpersönlichkeit  ver- 
langten, verlangen  die  Deutschen  jetzt  an  Stimmdynamik.  Hans  Sachs,  als 
Rolle  zusammengerechnet,  singt  länger  als  eine  ganze  alte,  kleine  Oper  dau- 
erte. Sie  verlangen  eine  Schauspielfähigkeit,  die  den  Sängern  selten  gegeben 
ist.  Sie  „denken“  sich  die  Rollen  und  sind  zufrieden,  wenn  die  Hälfte  ihrer 
Absichten  auf  der  Bühne  verwirklicht  wird.  So  steht  der  Konflikt.  Die  Alten 
gaben  sich  in  den  Dienst  der  Sänger  und  setzten  ihre  eigene  Selbständigkeit 
herunter.  Die  Neuen  zwingen  die  Sänger  auf  ihr  Niveau  und  kümmern  sich 
nicht  darum,  ob  ihnen  dabei  der  Atem  ausgeht.  Jene  Werke  litten  dadurch 
an  ihrer  Einheit,  diese  leiden  an  ihrer  Energie.  Ist  diese  Differenz  jemals 
auszugleichcn  ? 

Bei  der  alten,  der  italienisierenden  Oper  sind  erst  die  Sänger  da,  dann  wird 
komponiert  — später  war  es  umgekehrt.  Die  Italiener  hatten  den  Vorteil, 
aus  einer  bestehenden  Kunst  und  vollendeten  Ausbildung  der  Kehle  ihre 
Werke  herzuleiten,  in  Deutschland  mangelt  cs  zuerst  überhaupt  an  Sängern, 
dann  an  den  passenden.  Im  alten  Hamburg  muß  Mattheson  falsettieren,  um 
seine  Kleopatra  zu  singen.  Ein  Fräulein  Conradi,  Tochter  eines  Dresdener 
Barbiers,  cxzelliert  als  Sängerin,  obwohl  sic  nicht  Noten  lesen  kann.  Dann 
wird  das  Material  besser,  aber  andere  Nöte  entstehen,  die  größten,  als  die 
Wagnersche  Oper  aufgeführt  werden  soll.  Der  Briefwechsel  Wagners  mit 
seinen  Künstlern  ist  eine  einzige  Bemühung  um  passende  Darsteller,  die  aus 
der  italienischen  Überlieferung  sich  befreien  und  seinen  dramatisch-dekla- 
matorischen Absichten  Verständnis  entgegenbringen.  Langsam  erzieht  er 
sie  sich.  Wie  die  italienischen  Sänger  ihre  Musik  geschaffen  hatten,  so 

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schafft  hier  die  deutsche 
Musik  ihre  Sänger.  Der 
Natursänger,  bei  dem  ein 
glücklicher  Instinkt  den 
konventionellen  Akzent  er- 
setzt (wie  schon  Gretry  von 
Garat  sagte),  gewinnt  an 
Ansehen  und  — — ge- 
fährdet die  Oper. 

Der  Umstand,  daß  die 
Oper  erst  in  der  Auffüh- 
rung ihre  sinnlich-endgül- 
tige Form  erhält,  wirkt 
auf  die  Autoren  der  älte- 
ren Zeit  beinahe  demora- 
lisierend. Die  Noten  sind 
oft  ein  unverantwortliches 
Material,  erst  die  Szene 
gibt  Wert  und  Tatsäch- 
lichkeit. Die  Originalität 
der  Persönlichkeit  ist  nicht 
die  Hauptsache.  Peri  und 
Caccini  am  Beginn  der 
Florentiner  Oper  arbeiten 
zusammen,  fügen  sich  ge- 
genseitig Nummern  ein.  In  Peris  und  Gaglianos  Opern  stehen  Stücke, 
von  adeligen  Dilettanten  eingesetzt,  denen  die  Autoren  noch  schmeicheln. 
Im  Jahre  1721  wird  in  London  eine  Oper  „Muzio  Scaevola“  aufge- 
führt, deren  erster  Akt  von  Mattei,  zweiter  von  Bononcini,  dritter 
von  Händel  stammt.  Rebel  hat  mit  Francoeur  zehn  Opern  zusammen- 
gearbeitet. Herold  machte  seine  Marquise  de  Brinvilliers  mit  neun  anderen 
zusammen,  darunter  Boieldicu,  Aubcr,  Cherubini,  Pacr.  Die  Benutzung 
älterer  Opernstücke  in  neuen  Werken  ist  ebenso  geläufig:  Rameau  nimmt 
Teile  seines  wegen  kirchlichen  Widerspruchs  unaufgeführten  Samson  in  den 
Zoroaster  auf,  dessen  Ouvertüre  er  sich  wieder  zum  Castor  borgte.  Gluck 
borgt  sich  eigene  Ouvertüren  und  Arien,  Händel  mit  Vorliebe,  Rossini 
desgleichen  — noch  Weber  macht  solche  Sclbstanlcihcn,  er,  der  auf  den 
Proben  des  Oberon  dieser  Oper  überhaupt  erst  die  endgültige  Gestalt  gibt. 
Anleihen  bei  Fremden  sind  nicht  ganz  so  häufig,  aber  sie  sind  nicht  immer 

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Apotheose  Farinelli*.  Stich  von  Wagner  nach  Amiconi 


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illoyal.  Händel  nimmt  von  Keiser,  Gluck  von  Feo  und  Bach,  Philidors  Lc 
Sorcier  enthält  eine  Romanze,  Note  für  Note  nach  Glucks  Objet  de  mon 
amour  im  Orpheus.  Die  Ausarbeitung  weniger  wichtiger  Partien  wird  andern 
überlassen:  Lully  und  Gretry  übertragen  Mitarbeitern  die  Instrumentation; 
die  Rezitative  — in  Paris  beim  Freischütz,  bei  Carmen,  um  sie  „akademiefähig“ 
zu  machen  — werden  unzählige  Male  von  andern  besorgt.  Die  Opernproduktion 
nimmt  eine  unheimliche  Ausdehnung  an.  Die  typischen  vierzehn  Tage,  in 
denen  noch  Donizetti  den  Liebestrank  komponierte,  kehren  auf  den  Arbeits- 
listen vieler  berühmter  Italiener  wieder.  Die  Blätter  fliegen  unter  der  Hand, 
oft  gar  nicht  gedruckt,  in  Abschriften  verbreitet,  die  Bühne  verschlingt  sie,  sie 
braucht  jährlich  neue.  Rossini  wird  eine  Zeitlang  von  Barbaja  engagiert,  um 
jährlich  zwei  neue  Opern  zu  liefern.  Sacchini  hatte  im  Alter  von  36  Jahren, 
in  dem  Wagner  erst  aufzusteigen  begann,  schon  50  Opern  geschrieben.  Scar- 
latti  machte  1 1 5 Opern,  noch  Gluck  107.  Hasse  konnte  sich  selbst  kaum 
aller  seiner  Opern  erinnern,  nachdem  sie  Friedrich  der  Große  bei  der  Be- 
lagerung von  Dresden  verbrannt  hatte.  Es  ist  klar,  daß  diese  Produktions- 
menge auf  den  Stil  der  Komposition  wirken  mußte  — sie  stilisiert  die  Form, 
versteinert  das  Gerüst,  macht  Ausdruck,  Verteilung  und  musikalische  Ge- 
stalt stereotyp,  aber  stärkt  die  Schule  und  die  Routine.  Die  neue  Oper  kennt 
diese  Massenwirtschaft  nicht  mehr.  Sie  verliert  dadurch  die  formale  Über- 
lieferung, gewinnt  an  innerer  Tiefe,  an  persönlicher  Durchdringung. 

Das  Einheitsmaß  zwischen  Bühne  und  Orchester,  den  Rhythmus  der 
lebendigen  Aufführung  gibt  der  Taktstock  des  Dirigenten,  dieser  Zauber- 
stab, der  alle  die  hier  vereinigten  Kräfte  und  alle  persönlichen  Divergenzen 
in  die  Herrschaft  seines  eigenen  Tempos  zwingt.  Das  Tempo  ist  der  ob- 
jektive Zusammenhalt  der  tönenden  Massen  — aber,  indem  es  einem  Ein- 
zigen anvertraut  ist,  wird  es  wieder  zu  einer  subjektiven  Äußerung,  die  sich 
aus  Temperament,  Laune,  Klima  und  momentaner  Rücksicht  merkwürdig 
zusammensetzt.  Die  Geschichte  des  Taktschlagcns  ist  eine  Geschichte  der 
Wandlung  roher  Disziplin,  wie  sie  noch  der  heftige,  aufschlagendc  Taktstock 
des  französischen  18.  Jahrhunderts  zeigt,  in  die  nervöseste  Äußerung  per- 
sönlichen Empfindens,  wie  sie  den  Dirigenten  seit  Wagner  auszeichnet. 
Rousseau  in  seinem  Musiklexikon  unterscheidet  den  italienischen  Taktschlag 
mit  wiederholten,  nur  senkrechten,  sinnfälligen  Bewegungen  vom  französi- 
schen, der  schon  mit  eingelegten  wagerechten  Linien  für  die  mittleren  Takt- 
teile arbeitet.  Heut  ist  er  nicht  mehr  zu  definieren  — er  wird  ein  irratio- 
naler Ausdruck  von  Mimik  des  Tempos  und  der  Dynamik,  der  seine  Schul- 
regeln vergessen  muß.  Gretry  erzählt,  daß  man  im  nördlichen  Frankreich 
langsamer,  im  südlichen  schneller  dirigierte,  im  nördlichen  Italien  schneller, 

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in  Rom  sehr  langsam,  daß  man  Lullys  und  Rameaus  Tempi  akzeleriert  habe. 
Wir  finden  heut  oft,  daß  der  Italiener  dieselben  Passagen  langsamer  singt 
als  der  Deutsche  — weil  seine  Technik  zuverlässiger  ist.  Wir  erleben,  daß 
Tempi  sich  in  Bayreuth  verlangsamen,  aus  einer  Art  Verfeinerung  und  Ver- 
tiefung schon  konventioneller  rhythmischer  Werte,  und  daß  Richard  Strauß 
am  Pulte  den  Nibelungenring,  aus  der  Veranlagung  seines  reißenden  Tem- 
peraments, so  hetzt,  daß  ihm  die  Sänger  nicht  mehr  folgen  können  und 
wollen.  Ich  erwähne  das,  um  innerhalb  aller  Paradoxien  des  Opernwesens 
auch  diese  nicht  zu  vergessen,  daß  die  feste  Schiene,  auf  der  die  Aufführung 
in  die  Zeit  hinein  zu  gleiten  hat,  weder  aus  Eisen  ist,  noch  auf  der  Erde 
ruht.  Das  Schauspiel  hat  seinen  Regisseur  für  das  Tempo,  der  vor  der  Auf- 
führung arbeitet.  Die  Oper  hat  ihren  Temporegisseur  während  der  Auf- 
führung — er  ist  ein  Mensch,  ein  Künstler,  oder  gar  der  Komponist  selbst. 

Die  Regie  der  Bühne  tritt  in  neue  Schwierigkeiten,  da  sie  aus  einem  dra- 
matischen Milieu  einer  musikalischen  Aufgabe  entgegensieht.  Wie  verhält 
sich  die  Natürlichkeit  der  Bühnenvorgänge  zu  der  Abhängigkeit  vom  Diri- 
genten ? Die  Alten  sangen  ihre  Arien  über  die  Rampe  ins  Publikum,  von 
Zeit  zu  Zeit  durch  eine  Handbewegung,  eine  leichte  Umarmung  oder  Rück- 
wendung die  Forderungen  des  Dramas  markierend.  Die  Chöre  stellten  sich 
auf,  die  Ensembles  reihten  sich  an.  Wenn  es  heute  natürlicher  geworden  ist, 
ist  es  nur  schwieriger  geworden.  Bühnendirigenten  helfen  dem  Chor,  der 
den  Lohengrinschwan  nur  sehen  kann,  wenn  er  dem  Kapellmeister  den  Rücken 
kehrt.  Gregors  Komische  Oper  in  Berlin  zeichnete  sich  durch  diese  rationelle 
dramatische  Regie  aus,  durch  ungestörtes  Volksleben  im  ersten  Carmenakt, 
im  zweiten  Bohemeakt,  durch  den  Versuch  der  vollkommenen  Ausschaltung 
des  Konvergierens  auf  den  Dirigenten.  Man  fühlte,  daß  die  Musik  oft  dabei 
zu  kurz  kam.  Ist  das  Problem  zu  lösen  ? Der  Dirigent  ist  unsicher,  er  hat  nicht 
nur  Musik  unter  sich,  sondern  auch  ein  selbstisches  Drama.  Geht  man  ins 
Drama,  verliert  man  gegenüber  der  disziplinierten  Musik,  geht  man  in  die 
Musik,  verliert  man  gegenüber  der  Illusion  der  Bühne.  Im  alten  Stil  machte 
man  Scheinkonzessionen:  einen  sogenannten  Idealismus,  der  seine  Frontbe- 
wegungen in  einer  großzügig  unbeweglichen  Monumentalität  verbirgt,  in  der 
Art  der  klassischen  Faustina,  der  pompösen  Schauspielerin  mit  dem  Cantar 
granito.  Und  die  konzertierende  Haltung  der  alten  Oper  war  ja  auch  zu- 
gleich Ursache  und  Wirkung  dieses  Kompromisses.  Aber  die  realistische  mo- 
derne Oper  kann  das  nicht,  sie  sitzt  so  tief  in  dem  Dilemma,  daß  man  oft 
nicht  mehr  weiß,  ob  die  Darsteller  den  Dirigenten  oder  dieser  jene  mehr 
irritiert.  Schließlich  muß  es  irgendwie  gemacht  werden,  und  man  findet  eine 
anständige  Mitte,  die  keinen  von  beiden  Kontrahenten  beleidigen  soll,  wäh- 

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I 


rend  sie  tatsächlich  nur  die  Unmöglichkeit  einer  endgültigen  Aussöhnung 
kaschiert. 

Und  so  komme  ich  zum  Kapitel  der  Sichtbarkeit  der  Oper,  die  mit  ihrer 
Hörbarkeit  sich  auseinanderzusetzen  hat.  Hier  scheint  kein  Kompromiß 
mehr,  hier  scheint  offene  Feindschaft  und  Gegensätzlichkeit.  Der  Rahmen 
der  Bühne,  die  Dekoration,  die  Ausstattung  sind  eine  beharrende  Kunst,  die 
Musik  eine  laufende  — und  dennoch  soll  auch  dieses  Drama  sich  vor  ein- 
drucksvollen Bildern,  in  wirksamen  Stellungen  abspielen.  Jetzt  sage  ich  schon 
vorsichtiger:  gerade  weil  cs  kein  gesprochenes,  sondern  ein  musikalisches 
Drama  ist,  wird  die  offene  Gegensätzlichkeit  der  Raum-  und  Zeitkünste  nicht 
ohne  weiteres  zugegeben,  sondern  sie  suchen  sich  zu  beeinflussen,  anzuähneln, 
zu  steigern  — die  einzige  Vertragsbrüderschaft,  die  die  beiden  Kategorien 
jemals  versucht  haben.  Der  Oper  bleibt  auch  dieses  Experiment  nicht  ver- 
sagt: sie  schlägt  alles  zusammen  und  alles  auseinander. 

Zunächst,  wie  stellt  sich  die  Regie  zur  detaillierten  Musik  f Nicht  die 
technische  Regie  der  Abhängigkeit  vom  Dirigenten,  sondern  diese  künstle- 
rische Regie  des  Verhältnisses  vom  Schauspiel  zur  Musik  ? Gagliano  in  der 
Vorrede  seiner  Dafnc  macht  bereits  eine  Reihe  weiser  Bemerkungen  über 
die  Lösungen  dieser  Inkongruenz.  Die  Reformatoren  haben  sich  immer  da- 
mit aufgeregt:  Rousseau  schwärmt  für  die  genaue  Befolgung  der  Musik- 
phrasen durch  das  Spiel.  Wagner  denkt  sich  eine  ganze  Tanzkunst  der  Mimik 
in  präziser  Übereinstimmung  mit  der  gehörten  Gebärde  des  Tons.  Das  Or- 
chester wird  dadurch  gebärdenreicher,  die  Mimik  musikalischer.  Susanne  und 
Cherubin  spielen  die  Achtel  ihres  Duetts,  das  Wotansschwert  wird  gezogen, 
wenn  die  Trompete  es  bedeutet,  Loge  dreht  sich  mit  seiner  Chromatik, 
Quickly  verbeugt  sich  dalle  due  alle  tre  und  Basilio  erhebt  sich  in  ganzer 
Größe  mit  dem  Kreszcndo  der  Calomnia.  Ist  die  Präzision  vollkommen,  ist 
ein  Buffoeffekt  sicher:  ist  sie  nicht  durchgeführt,  spalten  sich  die  Organe  des 
Auges  und  Ohres.  In  diesem  Falle  ist  das  Spiel  wahrscheinlicher,  aber  un- 
tänzerischer — in  jenem  tänzerischer,  aber  karikaturhafter:  Gliederpuppen 
mit  Gebrauchsanweisung.  Die  Praxis  schwankt  auch  hier  in  einer  unklaren 
Mitte  zwischen  den  festen  Bühnenbildern,  die  die  Konturen  stellen,  und  der 
beweglichen  Musik,  die  die  Innenzeichnung  liefert,  halb  in  diese,  halb  in  jene 
schielend.  Das  sind  die  doppelten  Sorgen  der  Opernregie. 

Die  Dekoration  macht  in  der  Oper  mehr  als  sonst  Anstrengungen,  der 
Beweglichkeit  der  Musik  zu  folgen.  Die  Wandcldekoration  des  Parsifal  ist 
die  letzte  von  vielen.  Die  Prozessionen,  in  hundert  Abarten,  oft  willkürlich, 
bisweilen  motiviert,  sind  typische  Mobilisierungen  der  ruhigen  Bühne.  Alles 
Zauberische  und  Technisch-Verblüffende  der  Dekoration  verbindet  sich  am 

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Burnacini,  Dekoration  zu  Cestis  Porno  d’oro.  Wien  1667 


liebsten  mit  der  Oper,  nicht  bloß  weil  sie  das  Schaustück  aller  Schaustücke 
ist,  sondern  auch,  weil  die  festliche  Zeitlichkeit  der  Musik  zu  solchen  Dar- 
stellungen reizt.  Bis  zur  geschmacklosesten  Prachthäufung  und  Material- 
verschwendung geht  das  Fest  der  alten,  und  nicht  bloß  der  alten  Oper  vor. 
Die  Riesenfeste  mit  Pferdeballetten,  Göttererscheinungen  und  Landschafts- 
illusionen in  der  Renaissance  drängen  sich  nach  der  Kunstgattung  der  Oper 
hin.  Was  Menetrier  1681  in  seinen  representations  en  musique  beschreibt, 
sind  solche  Monstra : bis  zum  Orpheus  mit  Militärcinlagc.  Das  ist  ein  wei- 
tes Feld,  auf  dem  wir  etwas  verweilen  müßten.  Ambros  fand  ein  beson- 
ders amüsantes  Beispiel  auf  der  Prager  Bibliothek:  die  „Liebespfeile“  mit 
einer  schlechten  Musik  von  Boschetto-Boschetti  im  Stil  der  ersten  rezitati- 
vischen  Oper,  1616  in  Viterbo  aufgeführt  — auch  eine  Geschichte  von  der 
Liebe  des  Mars  zur  Venus,  von  Vulkan  entdeckt.  Nackte  Zyklopen  in  Rauch- 
grotten, Vulkan  aus  dem  Olymp  geworfen,  die  Wolke  mit  Amor  (Locken  aus 
Gold,  Edelstcinkleider),  neue  Wolken  mit  Mars  und  den  Venusgrazien.  Venus 
in  lichtrotem  Brokat,  darunter  Silber,  Rosenhaar  und  Rosenschleier,  azurner 
Mantel  — die  Grazien  nur  in  dünnen  Gazen.  Die  Nacht  steigt  aus  der  Erde, 
mohnbekränzt,  im  Sternenmantel,  mit  der  „Ruhe“,  einem  grauen  Greis,  dem 
„Vergessen“,  einem  blinden  Jüngling,  dem  „Schweigen“,  einem  Alten  im 
Wolfsfell,  und  dem  „Schlaf“  im  Dachsfell.  Aurora,  in  Scharlach,  drückt  von 
oben  die  Nacht  herunter.  Zuletzt  die  Fama,  mit  Augen  und  Ohren  bemalt, 

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eine  Trompete  in  der  Hand.  Diese  Wesen  singen  teils  direkt,  teils  indirekt 
den  sogenannten  Inhalt  der  Oper.  Ein  Beispiel  für  viele  — die  mythologische 
Dekoration  in  ihren  wiederkchrenden  Typen,  die  mythologischen  Kostüme 
in  ihren  bunten  allegorischen  Zustutzungen,  Pracht,  Prunk,  Pomp,  Renais- 
sancerohheit und  methodisierte  Symbolik  beherrschen  die  Bühne.  Schließ- 
lich wird  die  Handlung  auf  diese  Schaustellungen  hin  eingerichtet  — die  Oper 
sieht  lächelnd  zu,  selbst  ein  Werk  wie  der  Pomo  d’oro  des  Venezianers  Cesti, 
das  musikalisch  ernst  zu  nehmen  ist  — wie  ist  die  Proserpinaarie  in  A-moll 
von  einer  fast  Gluckschen  Schönheit,  wie  walzerfein  sind  die  melodiösen  Ko- 
loraturen der  Venus  (cingetemi  il  crine),  wie  offcnbachsch  temperamentvoll 
ist  das  Terzett  der  drei  Parisgöttinnen.  Und  welche  Klangfarben!  Die 
schöne  Melancholie  der  verlassenen  Eunone  wird  von  Graviorgano  und  Gam- 
ben begleitet,  die  Proserpina  von  dem  Unterweltsorchester  zweier  Zinken, 
dreier  Posaunen,  Fagott  und  Regal.  Und  doch  war  dieses  berühmte  Stück 
nichts  als  eine  Fest-  und  Gelegenheitsoper,  zur  Hochzeit  Leopolds  1667  in 
Wien  gegeben,  in  einem  Extratheater  von  5000  Personen,  das  der  Festkünst- 
ler Burnacini  baute.  Sie  ist  ganz  erhalten,  mit  aller  Musik  und  allen  Deko- 
rationen, und  in  den  „österreichischen  Denkmälern“  neu  gedruckt.  100  000 
Taler  waren  die  Kosten.  Sängerinnen  stehen  erst  nicht  in  den  Verzeichnissen, 
sie  sind  nur  provisorisch  beschäftigt.  Apollo  ist  Alt,  Alceste  Alt,  Adrast  Alt, 
die  Amme  ist  Tenor,  Alcindo,  zweiter  Liebhaber  ist  Alt,  also  höher  als  die 
Amme.  Pluto  hat  glücklich  das  tiefe  C.  Der  Sbarraschc  Text,  in  akademi- 
schen Dialogen,  meist  Sechszeilern,  die  sich  in  der  Leidenschaft  verkürzen, 
behandelt  unter  Zulassung  der  üblichen  komischen  Personen  (Momo,  Amme, 
Caron)  in  67  Auftritten  die  Legende  vom  Erisapfel  und  Parisurteil,  zurccht- 
gemacht  in  etwa  folgende  Dekorationen:  Schauplatz  des  österreichischen 
Ruhms,  Unterwelt,  Olymp,  Wald  auf  dem  Ida,  Palasthof  des  Paris,  Garten 
der  Freude,  Hafen,  Hölle,  Waffenplatz,  Tritonischer  Sumpf,  Äolushöhle,  Tal 
des  Xanthus,  Zeughaus  des  Mars,  Meer,  Kampfplatz,  Cedernhain,  Pallas- 
tempel, Himmel  mit  Milchstraße  und  Feuerkugel,  Venusatrium,  Marsfestung, 
Parisvilla,  Waffcnplatz  des  Mars,  Himmelreich  und  irdisches  Reich  mit  See- 
ausblick. Alle  Maschinenkunststücke  kann  man  nachlesen.  In  der  Licenza, 
der  Schlußwendung,  erhält  natürlich  die  Kaiserin  den  Apfel,  der  auf  diese 
Weise  durch  sämtliche  typischen  Reiche  der  alten  Prachtoper  gewandert  ist. 
Sie  möge  ihn  behalten.  Ein  einziges  Mal  sollten  wir  den  Vorhang  lüften  vor 
einer  Oper,  in  der  alle  anderen  Künste  sich  nur  dadurch  zu  vertragen  scheinen, 
daß  sie  der  unwesentlichsten,  der  Dekoration,  selbstlos  dienen. 

Aber  ist  sie  so  unwesentlich  ? Sie  gibt  dem  Fluß  des  musikalischen  Dra- 
mas einen  bleibenden  Fond,  eine  Stimmungszentrale,  einen  Horizont  von 

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Berain,  Dekoration  zu  Collasscs  Thcti*  und  Peleus. 
Paris  1669 


grundlegender  Lyrik.  Sie  ist  der 
sichtbare  Generalbaß  der  wechseln- 
den Vorgänge.  Sie  bringt  in  das 
Drama  das  Bild,  das  Zusammen- 
fassende, die  Atmosphäre,  das  Milieu 
— es  ist  nicht  unmusikalisch  von  der 
Bühne,  so  zu  empfinden.  Man  merkt 
Wagner  an,  wie  er  diese  sichtbaren 
Grundrhythmen  absichtlich  ver- 
teilt: Tag  und  Nacht,  Freies  und 
Geschlossenes,  Weites  und  Intimes 
in  Kontrast  setzend.  Das  Schau- 
stück der  Dekoration,  der  Regie,  der 
Intermezzi  als  Selbstzweck  ist  ge- 
fallen. Die  italienische  Anschauung, 

Gesehenes  und  Gehörtes  sinnfällig  zu 
rahmen,  ist  auch  hier  der  nordischen 
gewichen,  Gesehenes  und  Gehörtes 
zu  einer  organischen  Verfassung  zu 
zwingen.  Die  Aufzüge  werden  motiviert,  die  Ballette  in  das  Drama  einbezogen, 
die  Kostüme  (in  Italien  heut  noch  öfters  in  typischer  Phantastik)  realisiert. 
Um  1770  schwindet  in  Paris  mit  der  gesamten  Reaktion  gegen  Kastratentum, 
Maskentänzer,  mythologischen  Aufputz,  militärische  Festphrase,  der  Reif- 
rock und  die  Perücke,  der  symbolische  Doktrinarismus  des  Kostüms.  Die 
Bühne  wird  entgöttert.  Noch  immer  will  man  das  Auge  nicht  langweilen,  aus 
einer  geheimen  Hoffnung,  durch  dieses  leichter  zugängliche  Organ  etwaige 
Mißstimmungen  des  Ohrs  zu  besänftigen  oder  zu  unterbinden.  Noch  immer 
ist  von  der  alten  Oper  Schaulust  zurückgeblieben,  Gelegenheitsmachcrei  für 
Entwicklung  von  Riesendimensionen  in  Massen,  Kostümen,  Kulissen,  tech- 
nischen Wundern  — aber  die  Augenweiden  sind  legitimer.  Ja,  wie  einst  die 
Musik  sich  vor  der  Dekoration  auf  die  Knie  warf,  so  erleben  wir  jetzt  eine 
Harmonisierung,  Stilisierung  der  Dekoration  aus  dem  Wesen  der  Musik. 
Karl  Walsers  Arbeiten  für  die  Oper,  viele  Versuche  Gregors  in  der  Berliner 
Komischen  Oper  betonten  das  Bild  im  Bilde,  das  Hintergrundhafte  der  Deko- 
ration, ihren  lyrischen  Refrain,  ihre  sichtbaren  Reime  zu  der  laufenden,  fliehen- 
den Musik.  Vor  allem  das  Licht,  als  ihr  bester  Leiter,  wirkt  seine  leisen  Zauber : 
es  ist  das  besondere  Interesse  Appias  in  seiner  Schrift  über  Inszenierungen. 
Das  Konsequenteste  lieferte  Roller  in  Wien.  Aus  Mozarts  stilisierter  Oper  stili- 
siert er  seine  Dekorationen  in  variablen  Turmvorbauten  mit  schnell  wech- 


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selnden  Fonds.  Die  Grundfarbe  des  revolutionären  Figaro  nimmt  er  Rot. 
Jedes  Kostüm  ist  ein  Produkt  historischer  und  symbolischer  Überlegung: 
das  Ganze  ein  einheitliches  Farbenbild,  dessen  Teile  in  Dekoration  und  Tracht 
zueinander  stehen,  genau  wie  Harmonie  und  Melodie.  Die  Bühne  ist  voller 
Musik.  Sie  klingt  auch  dem  Auge.  Und  wieder  ist  ein  Kreis  merkwürdiger 
Antinomien  geschlossen  ? So  bunt  und  klingend  ist  der  Inhalt,  daß  wir  der 
Gefahren  kaum  noch  achten,  die  in  dem  Bewußtsein  der  Selbständigkeit  und 
in  dem  malerischen  Richtungsbekenntnis  der  Dekoration  ruhen:  am  bezau- 
berndsten im  feinen  Sezessionismus  des  modernen  Rußlands. 


Sechster  Widerspruch:  Die  Gesellschaft 

DIES  alles  ist  nun  die  Oper,  die  von  jemandem  gespielt  wird : es  geht  weiter 
im  Kreise  — die  Oper  wird  auch  für  jemanden  gespielt.  Zu  der  gesang- 
lichen, der  textlichen,  der  orchestralen,  der  szenischen  Antinomie  kommt 
eine  neue,  sehr  bittere  und  sehr  aufreizende:  die  gesellschaftliche. 

Die  Gesellschaft  steht  nicht  außerhalb  der  Oper,  sie  ist  in  ihr  Wesen  ver- 
flochten. Es  ist  nicht  da  oben  ein  Stück  und  da  unten  eine  Gruppe  Zu- 
schauer, sondern  cs  besteht  Rücksicht  von  oben  nach  unten,  von  unten  nach 
oben,  gegenseitige  Beeinflussung,  ein  Budget  der  Finanzen,  aber  auch  der 
Schicksale  und  des  gesellschaftlichen  Zuschnitts,  wie  in  keiner  anderen  öffent- 
lichen Kunst.  Die  Musik,  die  Trägerin  des  Ganzen,  wird  sich  ihrer  beiden 
Seiten  bewußt:  der  tief  innerlichen  Metaphysik  und  der  höchst  dekorativen 
Unterhaltung. 

Die  Oper  ist  kein  Volksgewächs  wie  das  Drama,  sie  ist  eine,  wie  wir  immer 
mehr  sehen,  unwahrscheinliche,  unmögliche,  künstliche  Kunst.  Sic  ist  nicht 
erst  Bedürfnis,  um  dann  am  Leben  erhalten  zu  werden,  sie  wird  erst  ins  L( 
ben  gerufen,  um  dann  Bedürfnis  zu  bleiben.  Adlige  ersehnen  sie,  Fürsten 
brauchen  sie,  das  Volk  übernimmt  sie,  Schicksale  von  Sängern  und  Kompo- 
nisten ketten  sich  vom  Leben  zu  ihr  hinüber  und  zurück.  Sie  ist  fcstgclegt, 
ein  geliebter  künstlicher  Schmuck,  ein  künstlerisches  verzweiflungsvolles 
Ideal,  Not  und  Tugend,  Sünde  und  Bekenntnis,  von  niemandem  begehrt, 
und  von  allen  umworben  — das  Schmerzenskind  der  buhlenden  Musen.  Sie 
ist  geboren,  ohne  Wollen,  sie  ist  schön,  ohne  Hygiene,  sie  ist  gefällig,  ohne 
Charakter,  liebenswürdig,  ohne  Geschlecht  — man  ist  verpflichtet,  sie  zu 
erhalten,  weil  man  mit  Inbrunst  Paradoxien  zu  pflegen  auf  der  Erde  ist.  Ein 
Fürst  küßt  seine  Primadonna  — die  Oper  erhält  sich.  Es  kommt  die  Revolu- 
tion. Statt  der  Galanterien,  die  der  Maitre  des  Plaisirs  vermittelt,  setzt  der 

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Staat  die  budgetgcrcgclte  Subvention  ein.  So  ist  cs  in  Paris,  so  ist  es  ähnlich 
überall.  Aus  einem  Ressort  der  Vergnügungen  und  Mätressen  wird  ein 
öffentliches  Obligo  der  Unterhaltung,  schließlich  der  Erziehung.  Aber  nichts 
ist  schwerer  zu  demokratisieren  als  die  Oper,  das  uneheliche  Kind  der  Feu- 
dalzeit. Finanzprobleme  zerbrechen  an  ihr.  Das  Volk  wird  zugelasscn, 
cs  soll  bezahlen.  Fs  reicht  nicht.  Die  galante  Quelle  wird  nicht  gestopft,  die 
wachsende  moralische  Verantwortlichkeit  aber  mindert  den  Zufluß.  Schießt 
der  Fürst,  der  Staat  zu,  verlangt  er  seine  Rücksicht;  schießt  das  Volk  zu,  dies 
die  seine.  Das  Rechenexempel  geht  niemals  auf.  Niemals  erhält  sich  eine 
vollkommene,  musterhafte  Oper  von  selbst.  Und  wenn  sie  sich  nicht  von 
selbst  erhält,  ist  sie  von  ihrem  Mäzen  abhängig.  Und  wenn  sie  abhängig  ist, 
wird  die  Gesellschaft  ein  produzierender  Bestandteil  ihres  Wesens.  An  der 
Oper  haben  nicht  nur  Künstler,  sondern  auch  Zuhörer  mitgearbeitet.  Der 
Konflikt,  die  Beziehungen  zwischen  beiden  sind  Fluidum  ihres  Lebens. 


Die  Bilanz 

ZUNÄCHST,  um  die  Unmöglichkeit  einer  finanziellen  Balanzierung  ein- 
zuschcn,  rechne  man  die  Ausgaben  für  die  hier  versammelten  Künste 
zusammen,  die  bindend  sind,  während  die  Einnahmen  fakultativ  sind,  und 
bedenke,  daß  die  Tendenz  der  Darsteller  eine  steigende,  die  des  Publikums 
eine  abnehmende  ist.  Fürstenau  in  seiner  Geschichte  des  Dresdener  The- 
aters stellt  fest,  daß  die  Ausgaben  für  die  italienische  Oper  1718  über 
45000  Taler  betrugen,  wobei  Lotti  und  seine  Frau  mit  10000  berechnet 
wurden  — und  dies,  nachdem  man  kurz  vorher  die  Erfahrung  eines  voll- 
kommenen Opernbankerotts  gemacht  und  das  Theater  in  eine  katholische 
Hofkapcllc  verwandelt  hatte.  Der  berühmte  Hasse  und  seine  Frau,  die  große 
Sängerin  Faustina  Bordoni,  werden  berufen  und  erhalten  6500  Taler  Jahres- 
gehalt mit  Reiseurlaub.  Die  erste  Blütezeit  Dresdens  beginnt  — nur  aus 
persönlichem  Interesse  und  Opfermut  Augusts  III.  Er  stirbt,  der  Etat  wird 
gestrichen.  In  der  Hamburger  bürgerlichen  Oper  gab  man  Telemann  ein 
Komponistengehalt  von  300  Talern,  zahlte  aber  1 5 000  Taler  für  die  Deko- 
ration eines  Salomotempels:  der  Krach  war  unvermeidlich.  Die  Ausgaben 
für  die  Bühnenausstattung  sind  in  der  ersten  Zeit  die  größten,  sie  gehen  in 
den  Hoffestspielen  bis  ans  Irrationale.  Es  folgt  die  Steigerung  der  Ausgaben 
für  Sänger  und  Dirigenten.  Nach  einer  alten  Statistik  von  Ricci  über  das 
Theater  in  Bologna  war  der  Verdienst  Jommellis  an  seiner  Eumene  bei 
27  Aufführungen  900  Lire,  aber  der  des  Sängers  Appiani  3400.  Die  altitalie- 

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nische  Primadonna  erhielt  ungefähr  1600  Mark  für  die  Karnevalsaison.  Seit 
den  Zeiten  der  Paris-Londoner  Glanzoper  gingen  diese  Rechnungen  rapide 
herauf.  Rubini  bekam  in  London  156000  Mark  die  Saison,  1862  Titicns  in 
Neapel  für  acht  Aufführungen  16000  Mark.  1866  erhielten  Mario  und  die 
Giulia  Grisi  für  einen  Abend  zusammen  6000  Mark;  während  der  Yorkfeste 
in  London  bekam  die  Grisi  für  einen  Abend  schon  4000  Mark,  Caruso  er- 
hält heut  über  10  000  Mark.  Der  Dirigent  von  Drury  Lane  hatte  1858 
noch  160  Mark  monatlich,  1875  bezog  Costa  schon  1000  Mark,  Richard 
Strauß  bekam  für  die  Leitung  der  Elektra  in  Covent  Garden  ein  kleines 
Vermögen.  Fünf  Elektraaufführungen  in  London  kosteten  über  150000 
Mark.  Zuletzt  rangieren  in  ihrer  geschichtlichen  Steigerung  die  Autoren- 
ausgaben. Man  muß  das  alte  venezianische  Theater  San  Cassiano  bewun- 
dern, das  dem  Cavalli  gegen  die  Verpflichtung,  nur  diesem  Institut  jährlich 
eine  Oper  zu  liefern,  ungefähr  2500  Franken  zahlt.  Aber  die  Briefe,  Kon- 
trakte, Dokumente  dieser  Zeit,  die  Kretzschmar  im  14.  Petersjahrbuche  ver- 
öffentlichte, reden  trotzdem  von  keinem  großen  Glück,  keiner  wirtschaft- 
lichen Selbständigkeit.  Cesti  ist  auf  Cavalli  eifersüchtig,  er  müsse  mehr  be- 
kommen, da  er  ein  Hofkomponist  sei  — was  tut  der  Hof  ? Er  beordert  ein- 
fach die  von  ihm  gewünschten  Sänger,  mit  denen  sich  der  arme  Komponist 
auseinanderzusetzen  hat.  Metastasio  bekam  als  Hofpoet  600  Louisdor,  sei- 
nen Reichtum  hatte  er  von  den  Martinez,  die  ihn  aushielten.  In  Paris  wächst 
es  zuerst.  Rameau  genoß  außer  einer  höfischen  Pension  von  2000  Franken 
noch  eine  zweite  lebenslängliche  von  der  Akademie,  1500  Franken.  Gluck 
bekam  von  Wien  jährlich  2000  Gulden,  von  Paris  3000  Franken  und  für 
jede  Pariser  Oper  20000  Franken.  Als  der  Großunternehmer  Barbaja  Ros- 
sini für  12  000  Lire  engagierte,  ihm  jährlich  zwei  Opern  zu  schreiben,  wurde 
diese  alte  italienische  Gepflogenheit  des  Opernauftrags,  der  Scrittura,  kapi- 
talistische Spekulation.  Die  neue  Zeit  brach  an.  Meyerbeer  setzte  in  Berlin 
die  Tantiemebeteiligung  durch.  Verdi  bekam  vom  ägyptischen  Khedive  für  die 
Aida  80  000  Mark.  Das  alte  deutsche  Opernhonorar  von  50 — 100  Talern 
wurde  lächerlich.  Richard  Strauß’  Verlagseinnahme,  die  Tantiemen  nicht 
gerechnet,  beträgt  das  fünfhundertfache.  Die  erhöhten  Verlagsforderungcn 
wirken  wieder  auf  das  Budget  der  Theater  zurück.  Wenn  je  eine  Kunst,  ist 
die  Oper  in  eine  unlösbare  Differenz  des  Idealen  und  Wirtschaftlichen  ge- 
raten. Ihre  Glieder  sind  in  das  System  der  modernen  Industrie  eingespannt, 
pressen  sich  gegenseitig  hoch.  Einst,  1700,  wurde  die  Pariser  Oper  mit  einer 
noch  heut  bestehenden  Armenabgabe  belastet,  dafür  gab  man  ihr  die  Ein- 
nahmen der  Opernbälle.  Die  Gagenkosten  eines  mittleren  Operntheaters  be- 
tragen heutzutage  etwa  3000  Mark,  die  durchschnittliche  halbe  Kassenein- 

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Alt  französisches  Opernballcttkostüm:  ein  Grieche.  Paris,  Opernarchiv 


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nähme  deckt  dies  erst,  und  es  bleiben  die  übrigen  Kosten.  Eine  Ausgabe  wie 
die  300000  Mark  für  das  Berliner  Ballett  Sardanapal  kann  nur  durch  starke 
Zuschüsse  bewältigt  werden,  die  anderen,  besseren  Aufgaben  wieder  schäd- 
lich sind.  Die  Zeiten  sind  vorüber,  da  Gye  und  Mapelson  1 869  in  Covent- 
garden  bei  einem  Ausgabenetat  von  890  000  Mark  710  000  Mark  verdien- 
ten. Festspiel  weise,  durch  Konzentration  großer  Abende  in  wenigen  Wo- 
chen oder  Monaten  bei  stärksten  Billettpreisen  ist  allenfalls  eine  Balanzierung 
möglich.  Der  Berliner  Parkettpreis  vor  130  Jahren  ist  12  Groschen,  heut 
8 — 10  Mark.  20  Mark  ist  der  internationale  Durchschnitt.  Bayreuth  erhielt 
sich  zur  Not  mit  diesem  Preise,  und  muß  nun  auch  aufschlagcn.  Metropoli- 
tan verlangt  die  Deckung  eines  Defizits  von  seiten  seiner  Milliardenaktionäre 
— die  Kosten  sind  wöchentlich  80  000  Dollar,  die  Einnahmen  60  000.  Die 
Hoftheater  und  Stadttheater  haben  die  Subvention  ihrer  Fürsten,  Staaten, 
Gemeinden.  Das  private  kleine  Opernhaus  muß  an  Material  sparen,  um  sein 
Leben  zu  fristen.  Die  Pariser  Große  Oper,  die  2000  Leute  beschäftigt,  hat 
für  den  Abend  17000  Franken  Kosten.  Wien  hat  2 Millionen  Kronen  De- 
fizit, die  Scala  300  000  Lire.  Wohlhabenheit,  Glanz  und  Reichtum  liegt  über 
diesem  Kunstunternchmcn.  Da  es  nun  einmal  wider  Recht  und  Gewissen  in 
dieser  Welt  existiert,  will  es  sein  Leben  genießen,  schöne  Frauen  verführen, 
blendende  Gesellschaft  sehen  und  wirtschaftlich  jedem  hinwerfen,  was  er  in 
der  Spannung  der  ökonomischen  Kräfte  erreichen  mag.  Mit  der  Schönheit 
deckt  es  die  Industrie,  mit  der  Verschwendung  die  Logik,  mit  der  unerhörten 
Großartigkeit  seiner  Dimensionen  die  lügnerische  Mathematik,  die  die  Über- 
lieferung einer  galanten  Epoche  mit  dem  Rechnungssinn  einer  bürgerlichen 
Demokratie  in  Einklang  zu  bringen  sucht. 

Die  Wirtschaftsgeschichte  der  Oper  würde  an  ihrem  besten,  weil  para- 
doxesten Beispiel  alle  ökonomischen  Versuche  aufweisen,  die  Menschen  ge- 
macht haben,  um  eine  Institution  voller  persönlicher  Interessen  und  nervöser 
Verfassungen  (wie  auch  das  Leben  ist)  mit  der  Sicherheit  papierner  Berech- 
nungen auszugleichen  (wie  auch  die  Wissenschaft  ist).  Durch  die  Laune  eines 
Geldgebers,  mit  dem  Temperament  eines  Liebhabers  entsteht  und  stirbt  die 
Oper.  Donna  Elvira  ist  vergessen,  Donna  Anna  singt  die  Rachearie,  aber 
Zerline  wird  in  das  Schloß  geführt.  In  Spanien  mehr,  in  Deutschland  we- 
niger. Wo  das  Auge  leuchtet,  wo  das  Glas  perlt,  wo  das  Ständchen  klingt,  ist 
die  Heimat.  Leporello  führt  die  Rechnung  und  wird  doch  nur  zum  Narren 
gemacht.  Er  hat  auch  nichts  dagegen  einzuwenden.  Läßt  sich  das  berech- 
nen ? Gut,  man  liebt  und  spielt  nicht  täglich.  Man  spielt  in  der  Karnevals- 
zeit, auch  etwas  vorher  zum  Winterbeginn,  auch  etwas  nachher  zu  Ostern. 
Sind  Liebcsorgien  Ferien  der  Religion  ? Es  kostet  zu  viel.  Man  beschränkt 

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die  Saison,  in  London,  in  New  York.  Aber  es  reicht  nicht.  Man  wagt  es 
doch  wieder  täglich,  man  wirft  das  Geld,  man  bedienert  die  Fürsten;  geht 
es  nicht,  so  geht  es  nicht.  Händel  gründet  in  London  die  Royal  Academy, 
Hofkreisc  unterstützen  ihn,  der  König  gibt  1000  Pfund,  er  engagiert  in 
Dresden  seine  Sänger,  wo  der  Kurprinz  Hochzeit  feiert  und  Opern  befiehlt. 
Nach  acht  Jahren  ist  man  fertig,  es  geht  nicht.  Die  Leute  laufen  in  die  Gay- 
sche  Bettleroper,  wo  kleine  Verliebte  bürgerliche  Liedchen  singen.  Ein  Di- 
rektor Heidegger  kauft  das  Haus,  die  Reste,  die  Materialien  und  macht 
Händel  nächstes  Jahr  zum  Leiter  einer  neuen,  privaten  Oper:  neue  Italiener, 
neue  Krache,  neue  Leiden.  Der  Kastrat  Senesino  wird  entlassen,  eine  Kon- 
kurrenz tut  sich  auf  mit  diesem  Kastraten  Senesino,  und  mit  Farinelli  und 
Porpora  und  Hasse,  Heidegger  gibt  ihnen  sein  Haymarket,  Händel  versucht 
Covent-Garden  auf  eigene  Rechnung  zu  halten.  Er  übernimmt  sich,  gibt 
es  verloren.  Gleichzeitig  sind  die  Gegner  auch  fertig.  Heidegger  ist  zur 
Stelle  und  sammelt  aus  beiden  Ruinen  eine  neue  Oper,  die  noch  kurzlebiger 
ist.  Alles  liegt  am  Boden  — aber  eines  steht  durch  diese  ganze  Zeit  fest, 
Handels  Werke,  die  er  für  seine  treulosen  geliebten  Theater  geschrieben. 
Auch  sie  sind  heut  zerbröckelt.  Ein  Wind  weht  über  die  Steppe. 


Das  Publikum 

WIE  schützt  man  sich  vor  den  Tücken  Don  Juans?  Man  reicht  sich  die 
Hände  und  gründet  Genossenschaften.  Der  Fürst  hat  seine  Tage,  die 
Sänger  haben  ihre  Stunden,  nur  der  Genuß  bleibt.  Der  Genuß  wird  soziali- 
siert, das  Amüsement  in  Aktien  ausgegeben.  Das  genossenschaftliche  Prinzip 
geht  stark  durch  die  Geschichte  der  Operngründungen.  Das  Abonnement 
ist  die  Grundlage  der  Berechnung.  Die  Mailänder  Oper  im  18.  Jahrhundert 
hat  einen  Stamm  von  dreißig  Edclleuten  als  Subskribenten,  das  übrige  wird 
vermietet.  17Z7  in  der  Hamburger  Oper  zahlt  der  Subskribent  25  Taler.  In 
Italien  wandert  die  Truppe,  in  Deutschland  ist  sie  mit  dem  Theater  ver- 
fassungsmäßig verbunden.  Dort  hat  die  Truppe  ihr  Repertoire,  hier  das 
Theater.  Dort  haben  die  Abonnenten  ihre  sichere  Abwechslung,  hier  ist 
ohne  den  Zulauf  von  Fremden  ein  dauerndes  Interesse  unmöglich.  Opern- 
repertoires sind  schwieriger  zu  erneuern  als  Schauspielrepcrtoires.  Das  mas- 
sivere Repertoire  gleicht  sich  im  Süden  eher  mit  der  Freizügigkeit  der  Sänger 
aus.  Dafür  nimmt  man  im  Norden  das  Stück  ernster  und  macht  es  nicht  so 
sehr  von  der  Konstellation  der  Sänger  abhängig.  In  diesem  Sinne  rechnet 
die  südliche  Oper  mehr  auf  ein  ständiges  Publikum  und  wechselnde  Sänger, 

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die  nordische  auf  ein  wechselndes  Publikum  und  ständige  Sänger.  Die  süd- 
liche bildet  das  Abonnentenwesen  in  den  Logen  aus,  die  nördliche  das  de- 
mokratische System  im  Amphitheater.  Die  Loge  bestimmt  den  gesellschaft- 
lichen Charakter.  Sie  gibt  dem  Abonnenten  Freiheit  und  Benehmen,  Hal- 
tung und  Ungeniertheit,  sie  kultiviert  eine  besondere  Art  von  Verkehr  unter 
der  Einstellung  auf  den  scheinbaren  Zweck  der  Bühne  und  doch  mit  aller 
Öffentlichkeit  der  leicht  abgetrennten  Interessen.  Man  besucht  sich,  man 
verbindet  die  befreundeten  Logen,  man  beobachtet  sich  vis-a-vis,  man  zieht 
sich  zurück,  geht  und  kommt  nach  Wunsch  — eine  öffentliche  Intimität, 
um  die  die  Musik  ihre  gesellschaftlichen  Zauber  schlingt.  Man  darf  schweigen 
und  ist  doch  beieinander.  Man  darf  sich  treffen  und  hat  sich  doch  nicht  ver- 
abredet. Man  simuliert  eine  Absicht  und  hat  doch  keinen  anderen  Tic  als 
den  der  Geselligkeit.  Man  verdeckt  seine  eigenen  Augen  mit  dem  Opernglas, 
um  die  fremden  desto  sicherer  zu  verfolgen.  Die  Paradoxie  des  Kunstwerks 
schlägt  auf  die  Paradoxie  der  Gesellschaft  zurück.  Dieser  Reiz  aber  wirkt 
auf  den  Abonnenten  und  kommt  dem  Kunstbudget  zugute.  Die  Loge  reicht 
schon  von  Italien  über  Wien  nach  London  und  Amerika.  In  Deutschland  je- 
doch abonniert  man  das  Parkett  und  die  Balkonreihen.  Die  Loge  ist  hier  ver- 
kümmert, sie  ist  rudimentär.  Der  Deutsche  sitzt  mit  sachlicher  Begeisterung 
in  der  Oper,  haßt  seinen  Nachbar,  verdammt  das  Zuspätkommen,  entrüstet 
sich  über  unzeitgemäße  Gespräche,  sieht  mit  dem  Opernglas  auf  die  Bühne 
und  belächelt  den  Frack.  Er  ist  ein  Arbeiter  und  Ernstnehmer.  Darum  hat 
er  gesiegt.  Aber  die  Rache  der  Unsachlichkeit  wird  süß  sein. 

Der  Franzose  Gretry  hat  das  deutsche  Normaltheater  vorgeahnt.  Er 
denkt  sich  in  der  Direktion  drei  Dichter  und  drei  Musiker,  die  Zusammen- 
arbeiten und  eine  Jury  für  die  Einsender  bilden.  Der  Zuschauerraum  ist  ein 
Amphitheater,  das  tausend  Personen  faßt  — braun  gehalten,  ainsi  les  femmes 
seraient  jolies  et  la  scene  eclatante!  Keine  Logen.  Das  Orchester  unsichtbar. 
Eine  geschlossene  Opern-  und  Tanzschule  ist  angegliedert  mit  Klassen  und 
Preisen.  Alles  ist  abonniert.  Das  Honorar  ist  Tantieme.  In  Bayreuth  ist 
diese  Oper  erstanden  — auf  die  Initiative  eines  einzelnen  Geistes.  Die  drei 
Dichter  und  drei  Musiker  waren  in  ihm  vereinigt.  Eine  Jury  war  nicht  nötig, 
da  er  das  Haus  nur  für  sich  baute.  Das  Honorar  fiel  nicht  ab,  da  die  Kosten 
unermeßlich  waren.  Die  Subskribenten  fanden  sich  schwer,  und  der  Khe- 
dive  von  Ägypten  zahlte  das  meiste.  Aber  das  amphitheatralische  Haus  ist 
erstanden,  gegen  den  Glauben  der  Masse,  aus  dem  Willen  des  deutschen  De- 
mokraten. Niemals  in  der  ganzen  Kunstgeschichte  ist  eine  ähnliche  Tat  ge- 
schehen. Es  war  in  einem  einzigen  Wurf  der  Protest  gegen  das  Jahrhunderte 
alte  italienische  Gesellschaftstheater.  Und  unglaublich:  es  hat  sich  mit  den 

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Jahren  rentiert.  Es  hat  Nachahmung  gefunden.  Es  ist  Mode  geworden.  Es 
ist  Gesellschaft  geworden.  Selbst  die  jolies  femmes  fehlten  nicht.  Und  es 
ist  immer  ausverkauft,  ohne  nur  einen  Abonnenten  zu  haben.  So  wirkt  der 
Mut  eines  einzigen  unwirtschaftlichen  großen  Menschen  wirtschaftlicher  auf 
die  Organisation  der  Oper,  als  alle  flüsternden,  kichernden,  kerzenhellen, 
spiegelnden,  duftenden  Logen  es  je  getan  haben. 

Die  unwillkürliche  Neigung  des  Volkes  geht  dahin,  sich  selbst  die  Oper 
zu  verdanken  und  zu  pflegen,  und  doch  wird  es  in  großem  Maßstabe  nie 
dazu  kommen,  sie  der  Sorge  und  Bestimmung  des  Fürsten  und  Mäzens  ganz 
zu  entziehen.  Die  Museen  sind  ruhige  halbstaatliche  Anstalten,  selten  nimmt 
der  Fürst  Gelegenheit,  in  ihren  Gang  cinzugreifen,  nachdem  sie  wie  seine  un- 
bewohnten Schlösser  und  Parke  demokratisiert  worden  sind,  und  das  Mäze- 
natentum wirkt  still  und  unter  der  Decke.  Die  Oper  ist  aktiver.  Der  Hof 
gibt  sie  nicht  ganz  aus  der  Hand,  das  private  Mäzenatentum  wieder  scheut 
vor  ihrer  Beweglichkeit,  das  Volk  nimmt  sie  in  Pacht,  aber  besitzt  sie  nicht. 
Es  ist  ein  Zustand,  der  in  seinen  Einflüssen  nicht  unklarer  gedacht  werden 
kann.  Beim  Fürsten  Lobkowitz  fand  1809  eine  italienische  Aufführung  von 
Paers  Camilla  statt,  der  Fürst  selbst  machte  den  Schloßvogt,  sonst  wirkten 
Dilettanten  und  Künstler  mit  und  ein  eigenes  Orchester.  In  solcher  Sphäre 
ist  die  Oper  aufgewachsen.  Sie  hatte  eine  gute  Kinderstube  in  den  Adels- 
häusern der  Italiener,  die  sie  erfanden,  in  den  Privattheatern  der  Fürsten 
und  Mäzene,  die  sie  pflegten.  Aber  ihre  magnetischen  Eigenschaften  reizten 
das  Volk,  die  Industrie,  alle  Vergnügungssüchtigen  und  Eiteln  und  Missions- 
bedürftigen und  Spekulanten,  und  diese  alle  zusammen  oder  gegeneinander 
buhlen  um  sic,  wie  um  den  Ring  Alberichs,  den  ein  Zauberwort  zum  Welt- 
herrscher macht,  ohne  verhindern  zu  können,  daß  er  dem  Besitzer  selbst  ent- 
rissen wird.  Der  Kampf  der  deutschen  Oper  gegen  den  Fürsteneinfluß  litt 
deutlich  unter  diesen  verwickelten  Interessen.  Die  deutsche  Oper,  in  allen 
kleinen  Residenzen  eine  Gründung  des  Fürsten,  meist  über  die  Zeit  hin  ita- 
lienisch, wird  dem  zahlenden  Publikum  erst  sehr  spät  erschlossen.  Friedrich 
der  Große  sitzt  hinter  seinem  Dirigenten  und  verfolgt  mit  ihm  die  Partitur. 
Er  liebt  den  schwachen  Graun  und  übersieht  den  großen  Gluck.  Sein  Nach- 
komme hält  sich  heut  von  den  bedeutenderen  Neuaufführungen  fern,  emp- 
findet gegen  seine  Epoche,  protegiert  die  hohle  historische  Phrase  von  Meyer- 
beer bis  Leoncavallo  und  verschiebt  den  Ausgabenetat  zuungunsten  derer, 
die  mit  Recht  auf  Berlin  warten.  Hier  liegt  einer  der  letzten  Fälle  vor,  da 
das  Monarchcnintercsse  sich  noch  nicht  von  der  aktiven  Beteiligung  an  der 
Oper  lossagen  kann.  Inzwischen  haben  sich  die  Zeiten  so  geändert,  daß  diese 
Sorge  um  sein  Haus,  einst  ein  schöner  und  fruchtbarer  Vorzug  adliger  Mä- 

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Moreau,  la  petite  löge 


zene,  eine  fossile  Behinderung  des  gegenwärtigen  Lebens,  der 
Kunst  wird  — und  eben  leider  doch  nicht  entbehrt  werden  kann.  Hier 
die  Oper  in  der  Klemme,  sie,  die  dem  Volke  geben  will,  was  des  Volkes 
und  dem  Kaiser,  was  des  Kaisers  ist,  und  dabei  ihre  liebenswürdige  Se 
aushaucht.  Der  Landtag  bewilligt  die  Erhöhung  der  Dotation  und  hü 
sich  in  ehrfurchtsvolles  Stillschweigen  über  diese  Paradoxie. 

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Das  funktionelle  Verhältnis  der  Völker  zur  Oper  ist  ein  verschiedenes. 
Die  Italiener  nehmen  sie  sofort  als  Volksbesitz  in  Anspruch,  die  Franzosen 
behandeln  sic  als  eine  politische  Angelegenheit  der  Parteien,  die  Engländer 
als  eine  Industrie,  und  die  Deutschen  als  ein  Fürstengeschenk,  das  man  mit 
der  gebührenden  Hochachtung  hinnimmt,  wenn  nicht  gerade  einmal  der 
Stolz  eines  Revolutionärs  oder  die  Philistrosität  eines  biederen  Stadtpubli- 
kums zu  einer  anständigen  Opposition  begeistert.  Lesen  wir,  was  Heinse 
über  die  gute  Gesellschaft  der  Operndeutschen  seiner  Zeit  schreibt:  „Die 
Produkte  der  Kunst  müssen  in  Deutschland  wie  das  Unkraut  wachsen;  da 
ist  keine  Pflege  und  Wartung  und  sie  gehen  selten  ins  wirkliche  Leben  über. 
Das  was  man  bei  uns  gute  Gesellschaft  nennt,  der  Hof  und  der  Adel  und  die 
Gelehrten  selbst,  welche  alle  gleich  der  Frühlingssonne  sie  erziehn  und  zur 
Reife  bringen  sollten,  bekümmern  sich  wenig  um  sie,  betrachten  sie  als  un- 
nütz, als  schlechten  Zeitvertreib,  und  haben  sie  niemals  zur  Beschäftigung 
gemacht,  um  echten  guten  Geschmack  an  ihnen  zu  gewinnen.“  Dies  war 
vor  der  Zeit  der  deutschen  Nationaloper.  Er  geißelt  das  Italienertum  aller 
damaligen  deutschen  Mäzene.  Was  hat  sich  geändert  ? Die  gesamte  gute 
deutsche  Oper  hat  sich  gegen  das  Interesse  der  meisten  F’ürsten  durchgesetzt, 
und  nur,  wo  der  Einfluß  des  Hofes  heut  aus  Bequemlichkeit  sich  nicht  be- 
merkbar macht,  gedeiht  die  Gegenwart.  Ludwig  II.  war  eine  Ausnahme  aus 
Schwärmerei,  und  Dresden  ist  ein  Vorort  aus  Gleichgültigkeit  des  Königs. 
Diese  Gleichgültigkeit  des  Mäzens  ist  der  scheinbare  Sieg,  den  das  deutsche 
Opernvolk  errungen  hat.  Es  ist  nicht  einmal  eine  Verfassung,  die  aus  Kraft 
und  Charakter  nicht  eingehalten  wird. 

Das  alte  Venedig  ist  typisch  für  die  italienische  Kongruenz  von  Publikum 
und  Oper.  Nach  den  ersten  Versuchen  in  den  Palästen  der  Adligen  wird  schon 
1637  das  öffentliche  Opernhaus  S.  Cassiano  gegründet,  einer  der  Unterneh- 
mer, Ferrari,  Textdichter  und  Komponist,  spielte  im  Orchester  selbst  die 
Theorbe  mit.  1639  folg*  die  Oper  S,  Giovanni  c Paolo  (sie  w'ird  immer  nach 
den  naheliegenden  Kirchen  benannt),  1641  S.  Mose.  Bis  1699  werden  acht- 
zehn Operntheatcr  errichtet,  acht  bestehen  mitunter  gleichzeitig.  Die  Text- 
bücher werden  gedruckt  und  verkauft.  Die  Leute  sitzen  mit  Wachskerzen, 
sie  zu  beleuchten.  Als  Reste  dieser  ersten  Andachten  öffentlicher  Opern- 
besucher haben  alle  alten  reizenden,  schön  gedruckten,  mit  zahlreichen 
Szenenkupfern  geschmückten  Texte  (mit  ihren  Wachsflecken)  einen  beson- 
deren Sammlerwert  erhalten.  Die  venezianischen  und  die  späteren  Ham- 
burger Texte  sind  bibliophil  — nicht  zufällig  gerade  Texte  von  Volkstheatern. 
Schatz  in  Rostock  war  einer  ihrer  bedeutendsten  Sammler.  Die  italienische 
Oper  bleibt  Volksliebhaberei  bis  in  unsere  Tage.  Niemals  sind  hier  politische 

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Konflikte  aufgetreten.  Ob  die  Scala  oder  San  Carlo  Fürsten-  oder  Volks- 
gründungen sind,  überlegt  man  sich  kaum.  Und  weil  die  italienische  Oper 
solchen  übereinstimmenden  Beifall  hatte,  brauchte  sie  nicht  zu  kämpfen,  er- 
schlaffte und  versank  in  ihrer  traditionellen  Größe.  Kaum  entschließen  sich 
ihre  Gelehrten  heut  noch,  die  alten  Drucke  und  Manuskripte  systematisch 
herauszugeben,  wie  cs  Franzosen  und  Deutsche  längst  tun. 

Der  Blick  in  die  französische  alte  Oper  ist  diffiziler.  Es  sitzen  zwei  Par- 
teien im  Theater,  die  sich  bis  auf  das  Messer  befehden.  Die  Oper  stachelt 
die  aktiven  Interessen  auf,  nach  links  und  nach  rechts.  Nach  links  für  die 
leichtere,  italienisierende  Buffoart,  nach  rechts  für  die  ernste  und  langweilige 
französische  Nationaloper.  Es  gibt  einen  traditionellen  Coin  du  roi  und  einen 
revolutionären  Coin  de  la  reine.  Buffonisten  und  Antibuffonisten,  Picci- 
nisten  und  Gluckisten  sprechen,  singen,  brüllen  und  schreiben  gegeneinan- 
der. Von  der  Polemik  Raguenets  für  die  Italiener  und  Lecerf  de  Vionvilles 
für  die  Franzosen  bis  in  die  letzten  Schriften  der  Enzyklopädisten,  bis  in  die 
Reformationsbestrebungen  Glucks,  der  gar  nichts  Persönliches  gegen  Pic- 
cini  hatte,  geht  durch  das  18.  Jahrhundert  der  offene  Parteistreit  des  Ge- 
schmacks, eine  Spaltung,  die  durchaus  nicht  bloß  von  Nationalitätenhaß  ge- 
nährt ist.  Die  Oper  bleibt,  statt  nur  fürstlich  oder  nur  populär  zu  sein,  ein 
Spielball  zwischen  Akademie  und  Persönlichkeit,  zwischen  Amüsement  und 
Gestaltungskraft.  Sie  erhält  sich  dadurch  lebendig,  sie  vibriert  mit  den  Ner- 
ven der  Zeit.  Die  Italiener  sind  Melodiker,  die  Franzosen  Sprachmenschen 
— sic  sind  dem  Stofflichen  gegenüber  zugänglich.  Die  kleine  bürgerliche 
Spieloper,  in  der  sich  Figaro  langsam,  ziclbewußt  hcranbildet,  zittert  vor 
Erregung  der  kommenden  Revolution.  Die  Revolution  kommt,  die  Tuile- 
rien  werden  gestürmt.  Die  Königin  soll  sich  noch  einmal  dem  Publikum 
zeigen,  sic  geht  in  die  Comedie  italienne  zu  Gretrys  Evenements  imprevus. 
Ein  Beifall  begrüßt  sie  in  der  Loge.  Sie  weint,  und  der  Dauphin,  auf  ihren 
Knien,  sieht  gerührt  zu  ihr  auf.  Da  singt  die  Dugazon  ihr  „J’aime  mon 
maitre  tendrement,  Ah,  combien  j’aime  ma  maitresse“  — und  blickt,  die 
Hand  aufs  Herz,  die  Königin  an.  Das  wird  das  Signal.  Die  Jakobiner  stür- 
men, man  springt  auf  die  Bühne,  die  Sängerin  zu  lynchen,  man  jagt  die  Kö- 
nigin aus  dem  Theater.  Die  Revolution  nimmt  die  Oper  für  ihre  Zwecke  in 
Anspruch.  Aus  literarischen  Parteien  werden  politische.  Man  ist  sich  der 
suggestiven  Kraft  der  Musik  bewußt.  Gretrys  Memoiren  sind  in  ihren  ersten 
beiden  Teilen  voll  von  sprühender  Lebenslust,  Menschenkenntnis,  Weit- 
läufigkeit der  Musik  — dann  wendet  er  sich  an  die  Citoyens,  wird  moralisch, 
langweilig,  rücksichtsvoll  und  entsetzlich  pädagogisch.  Die  Wendung  in  die- 
sem Buch  ist  die  Wendung  in  der  Zeit.  Die  Opernsängerin  Maillart  muß  in 

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Notredame  auf  dem  Altäre  in  mythologischem  Kostüm  als  Göttin  der  Ver- 
nunft die  Scharen  der  Freien,  Brüderlichen,  Gleichen  vor  sich  knien  sehen 
— die  paradoxeste  Oper,  die  sie  jemals  darzustellcn  hatte.  Mehuls  Phro- 
sine  und  Melidor  wird  nur  geduldet,  wenn  er  einige  Einlagen  macht,  in 
denen  das  Wort  liberte  genügend  vorkommt.  Sein  Jeune  Henri  entflammt 
die  Royalisten,  erzürnt  die  Republikaner  so  heftig,  daß  der  Lärm  die  Auf- 
führung nicht  über  die  erste  Szene  gelangen  läßt.  Aber  alle  diese  Aufregun- 
gen sind  heut  vorüber.  Der  letzte  Fall  war  die  Auslösung  der  Belgischen 
30er  Revolution  durch  die  Stumme  von  Portici.  Beim  Sardanapal,  der  ein 
großer  Jäger  und  Beschützer  der  Künste  ist,  blieb  hier  alles  ruhig. 

Wir  haben  ein  wenig  in  die  Seele  dieses  gemischten  Publikums  hinein- 
geleuchtet, das  in  Verlegenheit  vor  einer  so  hybriden  Gattung  der  Kunst 
bald  sich  in  der  Musik  unterhalten  will,  bald  die  Texte  politisch  beschnüffelt, 
bald  den  Geschmack  seinem  Fürsten  bestreitet  oder  nicht  bestreitet  und 
schließlich  doch  nichts  tut,  als  ein  schlechtes  Drama  auf  seine  Äußerlich- 
keiten anzusehen,  entschuldigt  durch  die  Musik,  die  es  nicht  versteht.  Der 
Glanz  des  gesellschaftlichen  Lebens,  dieser  höchsten  repräsentativen  Gesell- 
schaft, die  sein  Fürst  kennt  und  die  es  ihm  nachahmt,  bestrahlt  seine  Anwesen- 
heit und  beschattet  alle  Zweifel.  Das  Berliner  Opernhaus  ist  das  bestbelcuch- 
tete.  In  Pest  kommt  auf  den  Platz  4000  Mark  Baukosten.  Das  Wiener 
Opernhaus  kostete  10  Millionen,  das  Pariser  30.  Die  Pariser  Oper  ist  die 
Mitte  der  Welt.  Man  ist  vergnügt  und  zufrieden.  Ein  Kaiser  hat  sie  gebaut. 

Diese  Fürsten,  diese  Großen,  diese  Kleinen,  Geber  und  Nehmer,  selbst 
ein  so  widerspruchsvolles  Publikum,  dem  die  Repräsentation  das  mangelnde 
Verständnis  entschuldigt  und  das  keimende  Verständnis  die  mangelnde 
Loyalität,  die  Liebe  verschwenden  und  Verschwendung  lieben,  alle  diese 
sitzen  vor  der  Oper  wiederum  nicht  ohne  Herrschaft  und  Einfluß  gegen 
Werke  und  Menschen  da  oben,  die  sie  sich  selbst  holten  und  erzogen.  Merk- 
lich und  unmerklich  modellieren  sie,  wirken  auf  die  weiche  Masse,  die  sich 
im  Chaos  ihrer  unverschmelzbaren  Teile,  in  der  Unsicherheit  ihrer  ökono- 
mischen Bilanz  dem  geringsten  Druck  völlig  hinzugeben  scheint,  und  for- 
dern ihren  Titel  an  einer  Verfassung,  die  niemals  eine  werden  wird.  Die 
Oper  buhlt  um  ein  Publikum,  dessen  Launen  so  unberechenbar  sind  — wie 
sie  selbst. 

Leopold  I.  komponiert  fast  zu  jeder  seiner  Wiener  Opern  ein  paar  Num- 
mern hinzu.  Sein  Sohn  Karl  VI.  stellt  sich  an  die  Spitze  des  Orchesters  und 
dirigiert  Fuxens  Elisa.  Friedrich  der  Große  begleitet  die  zu  engagierenden 
Sänger  häufig  beim  Probesingen.  Er  dichtet  Texte  für  Graun  und  kompo- 
niert Metastasios  Verse.  Auch  ohne  die  alten  Prologe  und  Epiloge,  in  denen 

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irgendein  Stoff  auf  zwangvolle  Art  zu  einer  Huldigung  des  Ersten  der  Zu- 
hörer gedreht  und  geschraubt  wird,  ist  die  Rücksicht  auf  den  Fürsten  maß- 
gebend — eine  Rücksicht  im  Betriebe  der  Oper,  wie  jene  eine  Rücksicht  in 
der  Form  der  Oper  war.  Napoleon  befiehlt  plötzlich  eine  Probe  der  Pro- 
serpina  seines  Lieblings  Paesicllo  bei  sich.  Alle  werden  in  Eile  zusammen- 
gcholt.  Er  bleibt  ruhig  sitzen,  hört  zu  — dann  beginnt  er  die  Deklamation 
zu  tadeln.  Paesiello  ist  höchst  betroffen,  da  er  gerade  sich  berufen  glaubt, 
französische  Texte  mustergültig  zu  komponieren.  Der  Kaiser  sagt  zu  Me- 
hul,  sie  könnten  da  in  Paris  doch  nie  eine  Buffooper  machen  — Mehul  kom- 
poniert seinen  Irato  als  eine  Art  Parodie  auf  die  Buffa,  Napoleon  lobt  es, 
aber  er  ist  tief  beleidigt,  da  er  es  ihm  nun  auch  widmet  — es  ist  für  immer 
aus.  Eine  1807  komponierte  miserable  Oper  Triomphe  de  Trajane  von 
Lesueur  und  Persuis  wird  eine  so  grobe  Verherrlichung  des  Kaisertums,  daß 
Napoleon  dagegen  selbst  protestiert  — der  Polizeipräsident  hatte  sie  aus 
Liebedienerei  den  Autoren  empfohlen.  Sie  kostete  1 00  000  Franken  und 
brachte  520  000.  Andere  Monarchen  waren  nicht  so  maliziös.  Boieldieu 
kam  zum  Zaren  und  verpflichtete  sich,  jährlich  drei  Opern  zu  machen, 
deren  Texte  der  absolute  Herrscher  selbst  zu  bestimmen  habe.  Der  deutsche 
Kaiser  bat  Leoncavallo  um  den  Roland  von  Berlin.  Was  will  man  mehr? 
Eine  Oper  ist  ein  schweres  Risiko  und  sie  hat  schon  halb  gewonnen,  wenn 
sie  unter  den  Augen  des  Fürsten  entsteht.  Der  Fürst  bestimmt,  daß  sie 
hundertmal  gegeben  werden  muß  und  bezahlt  das  leere  Haus.  Das  Publikum 
ist  nicht  so  freigebig,  aber  es  ist  noch  tyrannischer.  Es  gibt  keine  Opern  in 
Auftrag,  aber  es  will  dauernd  interessiert  sein.  Was  am  Hof  durchfällt,  war 
ein  altes  Opernsprichwort,  reüssiert  in  Paris.  Was  in  Berlin  durchfällt, 
könnte  man  auch  sagen,  reüssiert  bei  seinem  Hofe.  Das  Publikum  hat  in  der 
Oper  nicht  so  viel  eigene  Meinung  als  im  Schauspiel,  aber  es  ist  um  so  schwerer 
zu  gewinnen.  Seine  Interessen  und  seine  Mitarbeit  sind  die  entgegenge- 
setzten des  Hofes.  Der  Fürst  arbeitet  vor  der  Oper,  das  Publikum  nachher. 
Der  Fürst  arbeitet  — viel  zugespitzter  als  im  Schauspiel  — für  seine  Zwecke, 
als  Regisseur,  Komponist,  Repräsentant,  eben  weil  die  Oper  ein  verantwor- 
tungsvoller Posten  im  Budget  seines  Prestiges  ist,  die  suggestivste  Kunst  der 
Machtentfaltung.  Ist  sie  fertig,  ist  sein  Interesse  zu  Ende  und  das  des  Pu- 
blikums beginnt,  nicht  minder  verantwortlich  von  dieser  Seite  — denn  auch 
das  Publikum  hat  sein  Opernprestige  und  weiß  es  zu  verwalten.  Alle  Mei- 
ninger Schauspielinteressen,  alle  Hamburgischen  Dramaturgien  sind  nichts 
gegen  die  Vitalität  dieser  zweifelhaften  Kunst,  die  sich  immer  zum  Mittel- 
punkt des  geistigen  Salons  einer  Gemeinde  zu  machen  versteht,  immer  um 
die  Gunst  der  Menge  buhlt,  wenn  sie  auch  Jahrzehnte  warten  muß,  eine 

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Buhlerin  von  langem  Atem  und  blutsaugenden  Küssen.  „Die  Aktschlüsse 
müssen  laut  und  schnell  sein,“  schreibt  Mozart,  „damit  die  Leute  zum  Klat- 
schen nicht  kalt  werden.“  O,  die  Leute  verschlingen  die  Oper  und  stoßen 
sie  ab,  verhöhnen  sie  und  umarmen  sie,  wie  man  sic  ihnen  gibt.  Die  Italiener 
rühmen  sich  der  Zahl  der  Wiederholungen,  die  sie  von  einer  Oper  sahen, 
und  registrieren  die  Nummern  der  Szenen  gleichwie  die  ihrer  Logen,  indem 
sie  die  Sänger  als  wandelnde  Gäste  dieser  Nummern  einladen,  bewillkomm- 
nen, wieder  fallen  lassen,  vergessen.  Die  deutsche  Oper  buhlt  um  den  Ar- 
beitssinn und  Ernst  ihrer  Zuhörer,  gibt  ihnen  Rätsel,  deren  Mystik  sie  be- 
wundern, überschüttet  sie  mit  Polyphonien,  deren  Gelehrsamkeit  sie  anstau- 
nen, hält  sie  mit  Weltanschauungen  stundenlang  gefesselt,  ohne  daß  sie  sich 
nach  dem  Vorhang  sehnen  dürfen.  Hundert  Jahre,  bevor  Wagner  die  2*/t 
Stunden  reinsten  Rheingoldes  wagen  durfte,  ist  es  in  England  vorgekommen, 
daß  man  (und  dieser  Mann  war  der  jüngste  Sohn  von  Bach  mit  seinem  Kom- 
pagnon Gugliclmi)  zum  Gluckschcn  Orpheus  Zusätze  von  Gassenhauern 
machen  mußte,  um  die  Leute  zu  fangen.  In  Paris  richtet  man  gleichzeitig 
die  Zauberflöte  als  Mysteres  d’Isis  zu  (man  sagt  Misercs  d’ici)  mit  eingeleg- 
ten Arien  aus  Don  Juan  und  Titus  und  einem  gewaltigen  Papagenoballett. 
Gleichzeitig  in  Wien  schließt  man  den  Don  Juan  mit  einer  Pantomime,  die 
die  Eingeweide  der  Hölle  enthüllt.  Was  hat  das  Publikum  an  diesem  Don 
Juan  allein  gearbeitet.  Die  Buffofassung  Mozarts  genügte  ihm  nicht,  es  ver- 
weigerte den  freundlichen  Schluß,  es  geheimnißte  mit  F..  T.  A.  Hoffmann 
die  schwierigsten  Lebensproblemc  hinein,  es  wurde  romantisch  und  machte 
einen  romantischen  Don  Juan,  es  ließ  die  Oper  mit  seinem  dämonischen 
Tode  zu  Ende  gehen,  es  erfand  je  nach  seiner  Stimmung,  der  komischen, 
tragischen,  romantischen,  klassischen,  realistischen,  stilisierten  und  sogar 
pietätvollen,  einen  neuen  Don  Juan  und  freute  sich,  wie  stark  der  alte  war, 
alles  das  auszuhalten. 

Schließlich  arbeiten  sie  alle  zusammen  mit,  die  Oper  — nicht  wie  ein 
Drama  durch  Striche  lebensfähig  zu  halten,  in  der  Aufführung  der  Zeit  zu 
assimilieren  — , sondern  wie  einen  Schmuck,  der  nicht  verloren  gehen  soll, 
neu  zu  fassen,  gegen  den  Einspruch  des  Materials,  gegen  Gerechtigkeit  und 
Wahrheit,  zu  zerstückeln,  zu  verlängern,  zu  montieren,  zu  schleifen  und  dann 
wegzuwerfen.  Auch  heute  noch,  da  man  wegen  äußerer  Wirkungen  den 
Oberon  in  Wiesbaden,  den  Orpheus  in  Berlin  umfassen  läßt,  zum  Mc- 
hulschen  Josef  hochdramatische  Rezitative  komponiert,  die  aulische  Iphi- 
genie mit  dem  W'agnerschen  Schluß  beibehält,  Meyerbeer  und  Verdi  mit 
Zwischenspielen  versieht  — man  kann  nicht  sagen,  daß  in  unserer  sachlichen 
Zeit  das  Gebilde  der  wiederholten  Oper  fester  und  unzerstörbarer  geworden 

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wäre.  Es  ist  Auffüh- 
rungssache, gut,  aber 
es  ist  noch  mehr 
Zuhörersache,  Sache 
des  Genießenden  und 
Liebenden,  sich  ein 
Werk,  dessen  Kost- 
barkeiten er  schätzt, 
zu  erhalten  und  zu 
sichern.  Für  ihn  ge- 
schieht das  alles,  oft 
erbärmlich,  oft  aber 
auch  eigensinnig  groß 
und  tyrannisch,  oft 
buhlerisch,  oft  aber 
auch  gestaltend  und  in  einer  sonderbaren  zeitlosen  Art  mitschaffend 
ihn  erfüllt  sich  das  Paradoxon,  daß  man  ein  Objekt,  um  es  zu  erh: 
ändert,  und  weil  man  es  liebt,  auflöst. 

Seit  Jahrhunderten  sitzt  der  Zuhörer  vor  der  Oper  in  dem  spanne 
Gefühl,  ob  sie  seiner  Revision  standhalten,  ob  er  sie  wird  umschalten 
neu  verpacken  müssen.  Die  junge  deutsche  Oper  in  ihrer  straffen  Ein 
lichkeit  wird  ihm  einst  darin  Schwierigkeiten  machen.  Wird  ihre  Zeit 
kommen  sein,  wird  sie  wie  ein  Koloß  in  den  Abgrund  sinken.  Die  alte  N 
mernoper  durfte  sich  spielender  verlieren.  Sie  hatte  ein  Generationsgt 
im  Glanze  ihrer  Gesellschaft.  Da  schreibt  Campra  1710  seine  Fetes  t 
tiennes  — tänzerische  Intermezzi,  die  zu  pieces  ä tiroir  werden,  beli 
umzustellen  und  zu  verändern.  Es  ist  ein  wahres  Repertoire  der  Zcitverj 
gungen:  weissagende  Zigeuner,  dann  der  Amor  als  Seiltänzer,  dann  die  C 
der  Oper  (eine  Liebesszene  mit  Gesangsunterricht  und  Aufführung),  d 
die  Oper  des  Tanzes  (als  Wettbewerb  der  kolorierten  Künste  eines  Mt 
und  eines  Tanzlehrers),  zuletzt  Serenaden  mit  reizenden  italienischen  1 
dern  — die  Gesellschaft  wirft  diese  „Entrees“  wie  Bälle  und  jongliert  mit 
Szenen,  die  alle  Vorzüge  unzusammenhängender  Amüsements  haben,  wie 
es  am  liebsten  mit  jeder  Oper  tun  möchte.  Lullys  Theseus  wird  das  eri 
mal  am  16.  Februar  1677  aufgeführt:  die  berühmten  Tänzer  Magny,  Nob 
Beauchamps,  Allard,  Pecour  wirken  mit.  Die  siebente  Wiederholung  fin 
am  29.  November  1729  statt  mit  der  Pelissier  als  Aegle,  dem  Thevenard 
Egee,  den  nunmehr  weiblichen  Tänzerinnen  Camargo,  Salle.  Weitere  V 
derholungen  bringen  schon  Tanzeinlagen  der  Camargo,  der  Herren  Blo> 

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THfcATRE 
DE  LOPtBA-COMIQUE. 


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LOGE 

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iflnffcu.  d (otrfrte  /tour 
Ce 


Logenentree  in  der  Restaurationszeit 


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und  Dumoulin.  1767  arbeitet  Mondonville  die  ganze  Musik  um.  Das  Publi- 
kum jedoch  ist  noch  nicht  so  weit:  es  verlangt  stürmisch  seinen Lully  wieder. 
Mondonville  wird  viermal  gespielt,  Lully  wieder  zwanzigmal  hintereinander. 
Aberdas  Unvermeidliche  tritt  trotzdem  ein:  am  28.  Februar  1782  erscheint 
Text  und  Musik  so  renoviert,  daßnur  eine  einzige  ursprüngliche  Lullyarie  übrig- 
bleibt! Dann  ist  dieser  Thcseus  für  immer  erledigt.  Genau  ebenso  geht  es 
mit  Marais’  Alcyone,  die  allmählich  außer  dem  berühmten  „Sturm“,  einer 
der  ersten  großen  Operprogrammusiken,  durch  andere  Nummern  ersetzt 
wird.  Ist  so  etwas  in  der  Literatur  je  vorgekommen  ? Hat  je  ein  Publikum 
sich  einen  Racine  oder  Shakespeare  gefallen  lassen,  dessen  Szenen  von  anderen 
durch  andere  ersetzt  worden  sind  ? Und  mit  welcher  Ausdauer  hängt  es  an 
der  Literatur  einer  Epoche,  aus  deren  gleichzeitigen  Opernwerken  sich  kaum 
noch  der  Name  des  Autors  erhalten  hat.  Die  Dichtung  berührt  das  große 
bleibende  Leben,  die  Musik  hat  ihren  wechselnden  Stil  und  ihre  Zeitornamen- 
tik. Die  Dichtung  ist  leichteren  Körpers  und  fliegt  durch  die  Geisteswelt, 
die  Musik  ist  kostbarer  und  will  sich  bezahlt  machen.  Die  Oper,  die  einmal 
zur  Repräsentation  einer  Epoche  wurde,  w'ill  nicht  ungesühnt  von  der  Bild- 
fläche verschwinden.  Der  junge  Autor  im  Paris  des  18.  Jahrhunderts  wartet 
mit  dem  Druck  seines  Werkes  häufig,  bis  das  Publikum  sein  Urteil  gesprochen, 
oder  veröffentlicht  im  Mercure  Reueartikel  über  Fehler,  die  er  gemacht, 
um  zu  retten,  was  zu  retten  ist.  Und  die  alte  Oper  schminkt  sich  immer 
wieder  mit  Salben  und  Pflastern,  um  ihre  Ehre,  ihren  Erfolg  nicht  zu  ver- 
lieren. Was  nützt  es  ihr  ? Sacchinis  Oedipe  de  Colone,  seine  erfolgreichste 
Oper,  die  er  übrigens  nicht  mehr  erlebte,  zu  deren  Generalprobe  (wie  nur 
noch  bei  Glucks  aulischer  Iphigenie)  ein  öffentliches  Publikum  für  3 Fran- 
ken zugelassen  worden  ist,  wurde  in  Paris  5831^1  aufgeführt  und  ist  versun- 
ken. Rousseaus  Devin  de  Village,  dessen  Erfolg  ein  Kapitel  der  Confessions 
füllt,  ist  während  66  Jahren  4C>omal  dort  gegeben  worden  und  ist  versunken. 
Ein  grausames  Geschick  wirft  die  teuerste  und  repräsentativste  Kunst  einer 
schwankenden  Menge  vor  die  Füße,  die  ihre  Bitten  mit  ebensoviel  Liebe  als 
Haß  beantwortet.  Und  alle  Mühe,  die  auf  diesen  Worten,  dem  Gesänge, 
dem  Orchester,  der  Szene  ruht,  wird  dem  Erfolge  ausgeliefert,  der  para- 
doxesten aller  menschlichen  Einrichtungen,  die  aus  Mißverständnis  Tugen- 
den belohnt,  die  sie  nicht  erkennt,  Hoffnungen  erweckt,  die  sie  nicht  befrie- 
digt, Enttäuschungen  bereitet,  die  sich  zu  spät  zum  Siege  wenden.  Der  Er- 
folg ist  die  letzte  der  Komödien  dieses  Theaters  des  Theaters. 


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Der  Erfolg 

DER  Erfolg  — das  Budget  des  Lebens,  das  auch  nicht  aufgeht,  nie  aufgeht, 
wie  die  Oper,  deren  Rechnung  eine  irrationale  ist.  Da  lärmt  das  südliche 
Publikum  im  Parterre,  wie  Instrumente,  die  gestimmt  werden,  gestimmt  zur 
Entscheidung  über  Lebensschicksale,  dort  eine  Angelegenheit  voll  Aufre- 
gung und  Parteinahme,  heute  im  Norden  eine  stumme  Wahlhandlung.  Sie 
schwatzen,  essen,  bestürmen  die  Verkäufer,  lesen  sich  die  Zettel  vor,  galante 
Mädchen  sprechen  ihre  Nachbarn  an,  Engländer,  so  unaufmerksam  wie  sie 
Burney  aus  seinen  Pariser  Reisen  schildert,  staunen  über  eine  Publikumszene 
im  Feydeau:  Boieldieus  Ma  tante  Aurorc  wird  gegeben,  ein  inszenierter 
Skandal  erhebt  sich,  man  spielt  kaum  zu  Ende,  der  dritte  Akt  wird  gestrichen, 
es  wandelt  sich  in  einen  Riesenerfolg.  Boieldieu  f Er  wird  in  der  Gesellschaft 
nicht  mehr  aufgenommen,  weil  er  die  Tänzerin  Clotilde  geheiratet  hat.  Alle 
inszenierten  Skandale  bis  zum  Jockeyklub  des  Tannhäuser  wandeln  sich  in 
solche  Erfolge.  August,  der  Chef  der  Claque,  der  sich  erlaubte,  Meyerbeer 
auf  den  Proben  Ratschläge  für  Änderungen  zu  geben,  hätte  sich  kein  besseres 
Mittel  zur  Organisation  des  Beifalls  erdenken  können.  Die  Organisation  des 
Beifalls  ist  die  Rhythmik  der  südlichen  Temperamentsausbrüche.  Sie  ist 
ebenso  verächtlich  als  interessant.  Wer  die  Geschichte  der  Beifallsbezeugun- 
gen schriebe,  hätte  die  Claque  auf  ihre  rhythmischen  Fähigkeiten  zu  kriti- 
sieren, wie  sie  die  Höhepunkte  zu  fassen  versteht  und  die  angesammelte  Be- 
geisterung des  Publikums  zu  regulieren,  ohne  den  Sänger  zu  stören.  Sie 
gräbt,  würde  der  Philosoph  der  Claque  sagen,  dem  Applaus  seine  sicheren 
Bahnen,  die  auch  schwankende  und  in  der  Richtung  unentschiedene  Neben- 
flüsse mit  sich  ziehen  und  durch  diese  Kanäle  für  den  Erfolg  und  die  Sug- 
gestion fruchtbar  werden,  also  latente  Massengefühle  auslösen  und  produktiv 
machen  — und  doch  niemals  etwas  Ernstliches  erreichen,  wenn  die  Gefühle 
nicht  ehrlich  sind.  Dieses  Fluidum  des  Erfolgs  schwebt  um  die  Oper  mit 
mythologischen  Flügeln  — es  hat  seine  abergläubischen  Götzen,  Fetische 
und  alle  Teufel  der  jettatori  gefunden,  es  koboldet  in  den  Hörnern,  es  patzt 
in  den  Ensembles,  in  tausend  Kleinigkeiten  flunkert  es  ab  und  leuchtet  es 
auf,  bei  der  nervösen  Oper  legendarischer  und  romantischer  als  je  sonst  im 
Theater.  Der  Unternehmer  kennt  seine  geheimnisvolle  Kraft,  wie  sie  aus 
zwei  Handflächen,  die  sich  berühren,  schicksalswendend  hervorgeht.  „Der 
Claqueur  ist  übrigens  nur  eine  etwas  übertrieben  bewundernde  Natur,“  sagt 
Gautier.  Aber  Monsieur  August,  den  Bcrlioz  besungen  hat,  wie  er  in  kühler 
Würde  seine  Schlachtpläne  entwirft,  auffällig  durch  einen  grünen  oder  röt- 
lichen Rock,  ein  wahrer  Dirigent  der  von  ihm  psychologisch  haarfein  be- 

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obachteten  Publikumsstimmung,  Monsieur  August,  der  Patriarch  aller  Cla- 
queure, wird  vom  Direktor  Veron  vor  jeder  Oper  befragt  und  um  Rat  ge- 
beten, das  Werk  wird  außer  seinem  Inhalt  noch  auf  eine  zweitcOper  in  dcrOper 
vorher  durchgenommen,  auf  das  Kreszendo  und  die  Ritardandi  des  Beifalls,  au  f 
die  Rhythmik  des  Erfolges,  die  man  zu  lenken  hat : man  verabredet  eine  chro- 
matische Tonleiter,  deren  höchste  Töne,  erzählt  Veron  in  seinen  Memoiren, 
eine  Aufforderung  zum  Beifall  bedeuten,  die  tiefen  aber  kühles  Verhalten  — 
je  nach  dem  Kredit,  den  man  den  Sängern  zu  bewilligen  gedenkt.  Dr.  Veron 
ist  der  skrupellose  Impresario  der  Pariser  Großen  Oper,  deren  Pacht  er  mit 
einem  Vermögen  übernahm,  das  er  an  Hustenbonbons  verdient  hatte.  Die 
Julirevolution  hat  ihn  heraufgebracht  und  er  verbürgerlicht  sein  Theater: 
die  Geldaristokratie  erobert  die  Logen  der  Geburtsaristokratie.  „Die  Oper 
soll  das  Versailles  der  Menge  werden.“  Von  Musik  aber  verstand  er  nichts. 
Der  Typus  des  geschäftsmäßigen  Opernunternehmers  in  großem  Stile  ist 
hier  das  erstemal  ganz  getroffen:  man  lese  seine  Karikatur  in  Heines  Pariser 
Briefen.  Barbaja,  der  in  den  Spielhöllen  Neapels  als  Kellner  sich  das  Geld 
verdient  hatte,  mit  dem  er  in  S.  Carlo  und  am  Kärntnertor  seine  Truppen  in 
Bewegung  hielt,  war  nur  ein  kleiner  Vorläufer  gewesen  gegen  diesen  „Gott 
des  Materialismus“  mit  dem  roten  Gesicht  in  der  ungeheuren  weißen  Kra- 
watte, deren  Vatermörder  bis  über  die  Ohren  reichten. 


Schicksale 

DIE  Schicksale  der  auf  der  Drehscheibe  der  Bühne  thronenden,  trium- 
phierenden, gleitenden,  fallenden  Künstler  sind  ein  Kampf  der  angebore- 
nen Instinkte  mit  den  Bewegungsgesetzen,  der  Zentrifugalkraft  dieser  wir- 
belnden Institution,  deren  Erfolge  auf  der  einen  Seite  Mißgeschicke  auf 
der  anderen  bedeuten,  deren  Lachen  nicht  ohne  Weinen,  deren  Pracht  nicht 
ohne  Rücksichtslosigkeit  abgeht.  Hier  ist  das  freie  Leben  des  Künstlers, 
dort  ist  eine  spielerisch-ernste  Kette  von  Notwendigkeiten  und  Zufällen 
— nun  fangt  oder  laßt  euch  fangen.  Der  große  Akt  der  Lebensparadoxie 
wird  auf  seine  Formel  gebracht. 

Aus  den  ersten  Zeiten  der  Oper  leuchten  uns  Renaissancemedaillons  ent- 
gegen. Der  beneidete  Ruhmeskranz  wird  auf  die  schönen  Haare  der  Sängerin 
gesetzt.  Über  die  Leonora  Baroni  erscheint  ein  Band  in  allen  Sprachen: 
Applausi  poetici  alle  glorie  della  signora.  Sie  singt  schamhaft  und  wohl- 
anständig, sic  spielt  selbst  die  Thcorbe,  die  Mutter  die  Lyra,  die  Schwester 
die  Harfe,  alle  drei  singen  dazu  (welches  feine  alte  Bild!),  daß  Maugars  in 

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Repertoire  des  Theaters  von  Fontainebleau  8.  Oktober  — iz.  November  1765 


seiner  Lobschrift  auf  italienische  Musik  im  Jahre  1639  von  ihnen  sagt:  so 
schön,  daß  ich  meine  condition  mortelle  vergaß. 

Beweglicher  wird  das  Bild  der  Sängerin  in  den  nächsten  Generationen. 
Von  der  Maupin  erzählt  Laborde  in  seinen  Essays:  sie  ist  1673  geboren,  Toch- 
ter des  Sieur  d’Aubigny,  des  Sekretärs  des  Grafen  Armagnac.  Herr  Maupin 
aus  St.  Germain  en  Laye  heiratet  sie  sehr  jung  und  läßt  sie  unvorsichtiger- 
weisc  während  einer  Reise  zu  Hause.  Sie  verliebt  sich  in  ihren  Fechtlehrer. 
Sie  fliehen  und  treten  aus  Not  in  Marseille  in  die  Oper  ein  — beide  stimm- 
begabt, besonders  sie.  Sie  hat  für  ihr  eigenes  Geschlecht  viel  übrig,  ohne  das 
andere  zu  verachten.  Sie  verführt  eine  junge  Marseillcrin  — Skandal  — 
diese  wird  in  ein  Kloster  gesteckt.  Die  Maupin  läßt  sich  sofort  dort  als  No- 
vize aufnehmen.  Nach  einiger  Zeit  stirbt  eine  der  Nonnen,  wird  begraben, 
die  Maupin  gräbt  sie  aus,  legt  sie  ins  Bett  der  Freundin,  entzündet  ein 
Feuer  und  entführt  im  Trubel  die  Geliebte.  Sie  wird  verfolgt,  gefaßt,  zum 
Feuertod  verurteilt.  Die  Freundin  wird  nach  Hause  geschickt,  das  Urteil 
nicht  vollstreckt.  Die  Maupin  kommt  nach  Paris,  nimmt  ihren  Namen,  den 
sie  verborgen  gehalten  hatte,  wieder  an,  debütiert  als  Pallas  im  Cadmus 
1695  mit  größtem  Erfolg,  wird  als  Stern  der  Oper  Nachfolgerin  der  Rochois, 
dieser  kleinen  und  gewöhnlichen  Person,  die  wenigstens  eine  gute  Schauspie- 
lerin auf  der  Bühne  gewesen  war.  Sie  ist  es  auch  im  Leben.  Sie  bekommt 
Streit  mit  dem  Kollegen  Dumcnil,  verkleidet  sich  als  Mann,  stellt  ihn  mit 

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dem  Degen  — er  will  sich  nicht  schlagen,  sie  verhaut  ihn  und  nimmt  ihm 
Uhr  und  Tabatierc.  Den  nächsten  Morgen  renommiert  Dumcnil,  er  habe 
sich  gegen  drei  Räuber  verteidigen  müssen.  Sie  blamiert  ihn  vor  den  Kol- 
legen, indem  sie  die  Zeugen  ihres  Renkontres  zeigt.  Bei  einem  Ball  des  Bru- 
ders von  Louis  XIV.  verkleidet  sie  sich  wieder  als  Mann,  diesmal,  um  eine 
Dame  zu  verführen.  Drei  Herren  verteidigen  diese,  zitieren  und  stellen  sie 
— sie  hätte  sagen  können,  wer  sie  ist,  sie  tut  es  nicht,  tötet  die  drei,  geht 
kalten  Sinnes  in  den  Saal  zurück  und  erhält  vom  Prinzen  Pardon.  Sie  liebt 
die  Fanchon  Moreau  und  macht  einen  Selbstmordversuch,  da  sie  sie  nicht 
erhört.  Schließlich  geht  sie  nach  Brüssel,  wird  Mätresse  des  Kurfürsten  von 
Bayern.  Der  verläßt  sie  für  die  Gräfin  Arcos  und  schickt  ihr  durch  deren 
Mann  40  000  Livres.  Sie  wirft  dem  Grafen  Arcos  die  Börse  an  den  Kopf 
und  kehrt  wieder  an  die  Pariser  Oper  zurück.  Sie  stirbt  1705,  32  Jahre  alt. 

Hier  ist  der  Schwung  eines  Lebenswurfs  vor  zweihundert  Jahren.  Das 
Teufelsrad  ist  schön  und  dreht  und  wirft  sie,  wie  sie  es  aushaltcn  und  wie  sie 
fallen.  Es  ist  großer  Atem  darin,  derselbe  Atem,  mit  dem  in  dieser  Zeit  der 
Kastrat  Ferri  die  chromatische  Tonleiter  durch  zwei  Oktaven  nahm,  ohne 
Luft  zu  holen,  mit  einem  Triller  auf  jedem  Ton.  Der  Kastrat  Caffarelli,  der 
Ludwig  XV.  Vorschriften  machen  durfte  für  die  Geschenke,  die  er  ihm  zu 
geben  habe,  kauft  sich  von  seinen  Ersparnissen  ein  Herzogtum  und  schreibt 
über  sein  Tor:  Amphion  Thebas,  ego  domum.  Farinelli,  der  für  50  000  Fran- 
ken jährlich  angestellt  ist,  Philipp  V.  von  Spanien  zur  Erheiterung  seines  Ge- 
müts jeden  Abend  dieselben  vier  Arien  vorzusingen,  scheint  in  seiner  Kunst 
eine  Wendung  von  der  Virtuosität  zur  Einfachheit  und  Ehrlichkeit  durch- 
gemacht zu  haben:  Burney  erzählt,  daß  ihn  der  Kastrat  Sencsius,  sein  Ri- 
vale, aus  Bewunderung  auf  einer  englischen  Bühne  — er  fiel  einfach  aus  der 
Rolle  — umarmt  habe.  Die  Cuzzoni  und  die  Bordoni  brachten  es  nicht  so 
weit.  Ihr  Leben  ist  im  Gegensatz  zur  Tesi  (die  nicht  schön  war  und  friedlich 
als  Lehrerin  in  Wien  auslebte)  bewegt  und  mannigfaltig.  Quanz,  dessen  Me- 
moiren voll  sind  von  den  Schicksalen  der  Opernprimadonnen  und  erfolg- 
hungrigen Komponisten,  nennt  die  Cuzzoni  einen  Drachen  an  Charakter. 
Sie  hat  ihretr  Mann  ermordet.  Sie  hat  sich  geweigert,  unter  Händel  in  Lon- 
don zu  singen : Händel  reißt  sie  in  der  Probe  ans  Fenster  und  droht,  sie  her- 
unterzustürzen, wenn  sie  nicht  nachgibt:  „Oh,  Madame,  ich  weiß  wohl,  daß 
Sie  eine  wahre  Tcufelin  sind,  aber  ich  werde  Ihnen  zeigen,  daß  ich  Beelze- 
bub bin,  der  Herrscher  der  Teufel.*'  Die  Cuzzoni  hat  einen  angenehmen 
hellen  Sopran,  rein,  von  c’  bis  c”’,  mehr  rührend  als  virtuos,  eine  schlechte 
Schauspielerin.  Wie  scharf  sind  Leben  und  Kunst  gegeneinander ! Es  bilden 
sich  im  Publikum  Parteien  der  Francesca  Cuzzoni  und  der  Faustina  Bordoni, 

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wie  sich  einst,  1626  in  Rom,  um  zwei  Sängerinnen  die  Parteien  der  Costisten 
und  der  Cecchisten  gebildet  hatten,  so  scharf,  daß  ihnen  das  gemeinsame 
Auftreten  verboten  wurde.  Diesen  wird  es  nicht  verboten.  Sie  geraten  so 
aneinander,  daß  sie  sich  bei  einer  Vorstellung  des  Astyanax  von  Bononcini 
in  London  auf  offener  Bühne  unter  dem  Gejohle  und  Gezische  des  Publi- 
kums verprügeln.  Die  Cuzzoni  endigt  arm  als  Knopfarbeitcrin,  die  Bordoni 
in  glänzenden  Verhältnissen  bei  ihrem  Gatten  Hasse.  Noch  einmal  entfaltet 
sich  in  der  Sophie  Arnould,  deren  Biographie  Goncourt  schrieb,  der  bunte 
Stil  des  Primadonnenlebens  mit  aller  Macht  der  Instinkte  — wir  werden  sie 
in  der  Gesellschaft  Glucks  wiederfinden.  Dann  wird  diese  Region  bürger- 
licher, freilich  noch  lange  nicht  bürgerlich  genug  für  die  Maße  des  industriel- 
len Instituts,  das  im  Budget  seiner  Kräfte  mit  den  ungebrochenen  Trieben 
der  Opernzuchtlosigkeit  nicht  rechnen  will. 

Eifersucht,  Ruhmbegier,  Übermut  und  wieder  höchstes  ideales  Gewissen 
wirbeln  die  Künstler  und  Autoren  durch  die  Opern  der  Welt  — eine  Kette 
Trunkener  von  Glück  und  Unglück.  Wer  erkennt  sie  immer?  Hinter  dem 
Pseudonym  Piva  verbarg  sich  der  große  Steffani,  dessen  diplomatischem  Ge- 
schick das  Haus  Hannover  mindestens  so  viel  Ehre  verdankte,  als  seinen  Opern 
Vergnügen.  Er  war  ein  Weltmann  mit  doppeltem  Gewissen.  Ehe  er  Händel 
nach  Hannover  berief,  hatte  ihn  Mattheson  in  Hamburg  protegiert,  aus  Eitel- 
keit. Mattheson  singt  in  seiner  eigenen  Oper  Cleopatra  den  Antonius  un- 
ter Handels  Direktion.  Antonius  stirbt  eine  halbe  Stunde  vor  Schluß.  Mat- 
theson stürzt  ans  Dirigentcnpult,  Händel  zu  verdrängen.  Sie  ohrfeigen  sich 
und  ziehn  den  Degen.  Matthesons  Klinge  zerbricht  Gott  sei  Dank  an  einem 
metallenen  Knopf  Händels.  Welche  Aufregung!  Der  größte  Hamburger 
Komponist  Keiser  fährt  wie  ein  Kaiser  durch  die  Stadt  mit  Bedienten  in 
Auroralivree,  während  seine  Schulden  ins  maßlose  wachsen.  Bononcini,  dessen 
Opern  in  Berlin  die  Königin  Sophie  Charlotte  selbst  am  Klavier  begleitet, 
tritt  in  London  in  die  großartige,  durch  ihre  Protektoren  geradezu  politisch 
gefärbte  Rivalität  zu  Händel  und  geht  als  Plagiator  gebrandmarkt  zugrunde, 
von  einem  Alchimisten  aufs  letzte  beraubt.  Mattheson  aber  schreibt  sein 
Lexikon : die  „Ehrenpforte“  und  gibt  vielen  großen  vergessenen  Namen  ihre 
Artikel,  auch  dem  Meister  „Stradel“.  Stradella  wurde  das  opernhafteste  Le- 
ben aller  Opernautoren  angedichtet : die  Entführung  der  venezianischen  Mä- 
tresse, die  Dingung  der  Mörder,  deren  Rührung  vor  seinem  Gesang,  und 
wieder  neue  Mörder  und  endlich  in  Genua  beider  Tod  — noch  immer 
herrscht  legendarische  Unklarheit  über  diese  Geschichte,  die  Flotow  zur 
Oper  erweiterte.  Oper  über  Oper!  Die  Autorenschicksale  machen  eine 
Wandlung  durch  von  der  allgemeinen  Boheme  aller  Komödianten  zum  tra- 

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gischen  Konflikt  mit  dem  Theater.  Die  alten  Italiener  werden  mit  der  Oper 
herumgeworfen,  die  neuen  werfen  sich  gegen  die  Oper  herum.  Jommelli,  in 
Neapel  ein  Gott,  wird  in  Stuttgart  deutsch  vertieft  und  kehrt  unverstanden, 
trostlos  in  seine  Heimat  zurück.  Monsigny  wie  Rossini  erleben  ihre  großen 
Schweigezeiten.  Weber  findet  noch  im  Tode  keine  Heimat.  Lortzing  hun- 
gert unter  Erfolgen.  Wagner  verzweifelt  gegen  eine  Welt  von  Unverständnis. 
Es  ist  wunderbar  zu  sehen,  wie  sich  diese  Geschicke  ihre  Melodie  suchen, 
und  wie  sie  sie  finden  — eine  Melodie,  so  irrational  wie  möglich,  wenn  man 
sic  mathematisch  ausrechnet,  und  doch  zuletzt  so  ganz  Seele  und  Einheit, 
auf  den  wandelnden  Harmonien  der  Erfahrungen,  ganz  organische  Tona- 
lität, mit  allen  Bitterkeiten  der  Fermaten  und  Ritardandi,  und  mit  allen 
Süßigkeiten  selbst  der  spielenden  Koloratur. 

Denn  hier  ist  unsere  letzte  Station.  Hier  werden  Kräfte  wach  und  Orga- 
nismen lebendig  auf  diesem  vulkanischen  Boden.  Hier  keimt  die  Frucht 
aller  dieser  Paradoxien.  Hier  steht  der  große  Mensch. 


Siebenter  Widerspruch:  Die  Theorie 

UND  noch  einmal  blicken  wir  auf  dieses  Schauspiel  einer  unmöglichen 
Kunst  zurück,  das  in  allen  seinen  widerspruchsvoll-fruchtbaren  Szenen 
jetzt  vor  uns  liegt.  Die  mütterliche  Musik  ist  die  geheime  Tyrannin  in  die- 
sem Familienkreise  und  macht  dem  väterlichen  Drama,  diesem  sachlichen 
und  berufstüchtigen  Genre,  das  Leben  nicht  leicht.  Sie  hat  zu  wenig  kon- 
krete Interessen,  um  die  in  sich  gekehrte  Arbeit  des  Rivalen  ganz  verstehen 
zu  können.  Sie  verlangt  von  ihm  eine  Geselligkeit,  die  er  nicht  bieten  kann, 
eine  Verstellungsgabe,  die  seine  Ehrlichkeit  nicht  leistet,  Galanterien,  zu 
denen  er  sie  nicht  geheiratet  hat,  und  eine  Verehrung  ihres  Geschlechts,  die 
mit  seinem  Gewissen  und  seinem  Ruf  nicht  in  Einklang  steht.  Er  weiß, 
daß  schließlich  doch  sein  Prinzip  den  Ausschlag  gibt,  seine  Vorstellungen  die 
Formel  und  seine  Qualitäten  der  Boden  sind,  auf  dem  sich  diesesUntemehmen 
bewegt.  Er  weiß  auch,  daß  er  die  nervösen  Zustände  seiner  Partnerin  nur 
steigert,  wenn  er  ihr  zu  scharf  widerspricht,  und  daß  jede  dauernde  Diskussion 
mit  ihr  die  schwebenden  Differenzen  vergrößert.  Denn  sie  ist  unlogisch.  Er 
sorgt  für  sie,  ohne  große  Gebärden,  er  läßt  ihr  ihre  Meinungen,  ihre  Klagen, 
ihre  Begierden  in  der  ruhigen  Zuversicht  auf  den  eisernen  Gang  aller  Ent- 
wicklungen, die  sich  durch  die  bloße  Macht  der  Tatsachen  so  bewegen,  wie 
es  gut  für  sie  ist.  Reden  und  Programme  kehren  wieder,  aber  helfen  nichts. 
Bestenfalls  lächelt  er  ein  wenig  zynisch  und  zählt  die  Perioden  ab,  in  denen 

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sich  diese  Ehekonflikte  regelmäßig  wiederholen  müssen,  während  die  Leute 
seine  Güte  und  Tüchtigkeit  und  ihre  Gefälligkeit  und  Liebenswürdigkeit 
rühmen,  ohne  von  dem  wahren  Sachverhalt  eine  Ahnung  zu  haben.  Er  weiß, 
daß  diese  Ehe  nur  durch  die  Schwäche  eines  Teils  bestehen  kann;  sind 
beide  schwach,  versandet  sie;  sind  beide  stark,  zerspringt  sie.  Die  Frau 
weiß  nichts,  sie  lebt  ihr  Tricbleben,  behauptet  immer,  anderen  die  Wahr- 
heit zu  sagen  und  hört  es  wenigstens  nicht  gern,  wenn  man  sie  ihr  sagt. 
Sie  will  geschmeichelt  sein.  Sie  liebt  die  große  Welt  und  löst  die  eine 
Leidenschaft  durch  die  andere  ab,  immer  ein  wenig  melancholisch  gefärbt 
über  die  entrissene  Vergangenheit.  Sie  macht  das  Budget  und  rechnet  den 
Kindern  gern  etwas  zugute,  die  sie  einst  klein  und  bescheiden  begleitet 
haben  und  jetzt  zu  großen  selbständigen  Orchestermusikern  aufgewachsen 
sind  — ihre  Kinder,  denen  der  Vater  nur  mitunter  eine  kleine  Pantomime 
Vormacht.  Es  ist  sehr  unruhig  in  dieser  Familie,  desto  unruhiger,  je  genauer 
man  zusieht.  Beobachtet  man  bei  den  periodischen  Konflikten  die  Vorwürfe 
durch  das  ganze  Genre,  die  sie  sich  hier  gegenseitig  machen,  die  ganze 
aufgestapelte  Masse  von  Kränkungen  und  Verzerrungen,  die  der  Stolz  der 
einen  Seite  dem  der  anderen  ins  Gesicht  wirft,  die  unendlichen  Verwicklungen 
von  Diplomatie,  Neugierde,  Offenheit,  Instinkt,  Berechnung  und  Nieder- 
tracht, die  sich  da  ergeben,  die  Verdeckungen  des  Lebensdefizits,  die  Aus- 
sichtslosigkeiten des  Budgets,  die  Posen  gesellschaftlicher  Haltung,  die  Lügen 
aller  geheimen  Reserven  und  zum  Gleichgewicht  notwendigen  Dcbauchen, 
die  Geniertheit  vor  den  Kindern  und  deren  unwillkürlichen  Sinn  für  gele- 
gentliche Chancen  in  diesem  Kampfe  — so  glaubt  man,  alles  sei  zu  Ende, 
diese  Einrichtung  müsse  sich  selbst  zerstören,  sich  aufreiben  in  ihrer  Kräfte- 
vergeudung. Aber  die  Kunst  ist  stärker  als  das  Leben.  Sie  gewinnt  aus  diesen 
Reibungen  eine  leidenschaftliche  Kraft  zur  Produktion,  und  sie  erlebt  kaum 
eine  Trübung,  so  wird  diese  schon  ihre  Farbe,  kaum  eine  Reizung,  so  wird 
diese  schon  Vertiefung.  Die  Kunst  erkennt  und  erlebt  sich  in  dieser  Oper, 
die  unmöglich  scheint,  selbst.  Denn  nichts  ist  die  Kunst,  als  in  den  Schein 
der  Dinge  eine  Ordnung  zu  bringen,  die  ihr  das  Leben  selbst  immer  wieder 
zerstört,  um  sie  immer  wieder  zu  locken. 

Andächtige  und  Ketzer  der  Oper,  beide  gehören  zu  ihrem  Dasein,  sind 
selber  Figuranten  in  diesem  großen  Schauspiel,  dessen  nächster  Akt  immer 
die  Antithese  und  zugleich  Sanktion  des  torhergehenden  ist.  Sie  stehen  nun 
lächelnd  um  unsere  Betrachtung  herum  und  wir  gehen,  ihnen  allen  die  Hand 
zu  schütteln.  Gottsched  hatte  die  Oper  das  ungereimteste  W'erk  genannt, 
welches  der  menschliche  Verstand  jemals  erfunden  habe.  Er  hat  recht. 
A.  W.  Schlegel  weiß  das  auch,  in  seinen  dramaturgischen  Vorlesungen,  und 

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Nietzsche  weiß  es  auch,  aber  sein  Organ  für  Paradoxie  ist  entwickelt  genug, 
um  eben  aus  dieser  Ungereimtheit  die  Wunder  der  Oper  zu  erklären.  Er 
hat  in  der  „Fröhlichen  Wissenschaft“  einen  schönen  Aphorismus  (Nr.  80), 
in  dem  er  erklärt,  was  kaum  zu  erklären  ist,  wie  hier  eben  der  gemeine  Reiz 
der  Illusion  einem  höheren  Reiz  zu  weichen  hat  — Rossini  wäre  logisch  ge- 
wesen, seine  Sänger  bloß  la-la-la  singen  zu  lassen,  aber  die  „Unnatürlichkeit, 
derentwegen  man  in  die  Oper  geht“,  sei  nicht  weniger  wert  als  die  Unlogik, 
mit  der  der  Grieche  die  wildeste  Leidenschaft  in  schöne  Rede  kleide.  Neben 
den  Leugnern  stehen  die  Parodisten.  Die  Parodie  der  Oper,  des  beau  monstre, 
wie  Voltaire  sagt,  ist  so  billig,  daß  sie  sehr  gut  sein  muß,  um  nicht  als  Ernst 
zu  wirken.  Sulzer  parodiert  sie  in  seinem  Lexikon,  Simon  Mayr  in  seiner 
Schrift  über  die  Agenten  (I  sensali),  Addison  in  seinem  Spectator  von  1710, 
1720  erscheint  die  berühmteste  aller  Opernsatiren:  Marcellos  Teatro  alla 
moda,  nicht  so  witzig  wie  Addison,  aber  breiter  und  lohnender  — die  ty- 
pischen Requisiten  der  konventionellen  Oper,  die  Lügen  des  Erfolgs,  die 
Unverständlichkeit  der  Handlung,  der  monumentale  Blödsinn  der  über- 
lieferten Bewegungen,  das  falsche  Altersverhältnis,  die  Provinzialismen  der 
Dekorationen,  das  System  der  Freibillette  und  das  der  Reklame,  die  über- 
triebenen Ratschläge  an  Protektoren,  Masken,  Kopisten,  Schneider,  Pagen 
und  nicht  am  schlechtesten  das  Orchester  und  ganze  Szenen  voll  Klatsch 
und  Dialekt  zwischen  den  Müttern  der  Sängerinnen.  Man  kann  viele  alte 
Satiren  heut  im  Neudruck  nachlesen : Marcello  in  einer  venezianischen  Aus- 
gabe von  1887,  Addison  im  9.  Sammelband  der  I.  M.  G.,  Simon  Mayr  in 
der  Schiedcrmairschen  Übersetzung.  Die  letzten  geistvollen  Opernsatiren 
schrieb  Berlioz  in  seinen  Soirees  d’orchestre  — moralische  Studien  über  Pu- 
blikum und  Tenöre.  Aber  lebendiger  blüht  der  Streit  um  die  Oper  in  den 
wiederholten  Meinungsverschiedenheiten  und  schwankenden  Zweifeln  ihrer 
Betrachter,  die  hier  ein  Objekt  finden,  das  sich  für  literarische  Ästhetik 
außerordentlich  zu  eignen  scheint  und  doch  zerfließt,  sobald  man  es  fest- 
halten  möchte.  Ein  Stimmengewirr!  In  jedem  Künstler  und  Kritiker  vi- 
briert, doppelt  furchtsam  bei  diesem  Vexierspiel  der  Oper,  die  Angst  um  die 
Zukunft.  Hasse  schimpft  auf  die  Gegenwart,  Metastasio  schimpft,  Paesiello 
hält  Mozart  für  übertrieben  orchestral,  Schlegel  Mozart  für  zu  weichlich. 
Heut  ist  Mozart  die  Richtung  des  Ideals  geworden.  Metastasio  sagt,  die 
Musik  sei  nur  das  Kleid,  Mozart  sagt,  die  Poesie  sei  nur  die  Dienerin.  Rous- 
seau bekehrte  sich  zu  Gluck,  Forkel  hielt  ihn  für  ekelhaft.  Ambros  rettet 
gegen  die  Überschätzung  Glucks  die  alten  Neapler,  Wagner  weist  gleich- 
zeitig auf  die  allumfassende  Musik  der  Zukunft,  die  er  in  der  Gegenwart  er- 
füllt. Welcher  Wirrwarr!  Welche  Gelegenheit  zu  schöngeistiger  Literatur! 

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Moreau,  Sortic  de  l’opira 

Die  Literatur  über  die  Berechtigung  der  Oper  und  ihre  nationalen  Grenzen 
geht  durch  das  Frankreich  des  ganzen  18.  Jahrhunderts,  spielt  sich  in  engerem 
Kreise  um  die  Hamburger  Oper  ab,  läßt  heut  noch  nicht  nach.  Addison 
war  gegen  die  Benutzung  der  englischen  Sprache  in  der  Oper  gewesen. 
Grimm  schwärmt  für  die  englische  Volksliedopcr  als  Milieu.  Er  schreibt  die 
Satire  Le  petit  prophete  de  Bcemischbroda  gegen  die  nationale  französische 
Oper.  Die  französische  Oper  exzelliert  durch  ihre  Tänze,  Grimm  und  Rous- 

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seau  bekämpfen  diese  unlogischen  Störungen.  Für  Rousseau,  gegen  Rous- 
seau, fürRameau,  gegen  Rameau  — es  ist  eine  Bibliothek  von  Prinzipienstreitig- 
keiten, die  die  Enzyklopädisten  aufstellen,  unaufzählbar  viele  Schriften,  die  von 
einer  stillen  Liebe  zur  italienischen  Melodie  und  einer  unmöglichen  Konstruk- 
tion eines  Opernrationalismus  ihren  geistreich-schwankenden  Charakter  erhal- 
ten. Unter  ihnen  steht  Voltaire  nicht  bloß  als  der  abgesagte  Feind  der  Oper, 
sondern  als  ihr  Verächter  und  Warner  in  einer  schrecklichen  Konsequenz  auf- 
recht: in  der  Vorrede  zu  seinem  Ocdipus  liest  man  die  Worte:  „Die  Oper 
ist  ein  ebenso  bizarres,  wie  prächtiges  Schauspiel,  wo  Auge  und  Ohr  sich  mehr 
befriedigt  als  der  Geist,  wo  die  Dienstfertigkeit  gegen  die  Musik  zu  den 
lächerlichsten  Fehlern  führt,  wo  man  Lieder  singt  bei  der  Zerstörung  einer 
Stadt  und  tanzt  um  ein  Grab  — man  erträgt  die  Extravaganzen,  oder  man 
liebt  sie  gar,  weil  man  im  Lande  der  Feen  ist,  und  vorausgesetzt,  daß  es  etwas 
zu  sehen  gibt,  schöne  Frauen,  gute  Musik,  einige  interessante  Szenen,  ist  man 
zufrieden.“  Voltaire  hat  recht:  für  den  Rationalisten  gibt  cs  keine  Oper. 
Gleichzeitig  prophezeit  Herder  sein  „Odeum,  das  zusammenhängend  ly- 
rische Gebäude,  in  dem  Musik,  Poesie,  Aktion  und  Dekoration  eines  sind“. 
Und  gleichzeitig  im  Troisieme  Entretien  sur  le  fils  naturel  schwärmt  Diderot 
von  der  Zukunftsoper,  die  die  Philosophie,  Musik  und  Poesie  zu  einem  ein- 
heitlichen Kunstwerke  verbinde,  w'obei  zwei  Arten,  der  einfache  tragisch- 
orchestrale  Stil,  und  der  figurierte  gesungene  Stil  zur  Verfügung  stehen  — 
eine  Idee,  die  in  ihrer  unentschiedenen  Zwiespältigkeit  Goethe  in  der  An- 
merkung „Musik“  zu  seiner  Übersetzung  von  Rameaus  Neffen  ähnlich  aus- 
führt, als  letzten  Nachklang  der  Geschmacksdifferenz  von  Gluckisten  und 
Piccinistcn.  Drehen  wir  uns  im  Kreise  f Rousseau  hatte  erst  die  franzö- 
sische Opernsprache  geleugnet,  dann  selbst  den  Devin  de  village  geschrieben, 
und  Diderot  komponiert  ihn  nach  dem  Modell  seiner  eigenen  idealen  Zu- 
kunftsoper um!  Wo  ist  das  Heil?  Der  Messias  der  Oper  aber  ist  in  dieser 
Literatur  oft  ersehnt  worden,  während  er  schon  lebte.  Gretry  (il  faut 
reunir  tous  les  arts  dans  un  seul  cadre,  ils  doivent  se  faire  sacrifice  mutuel) 
sagte  noch  1812:  er  sähe  in  Gedanken  ein  liebenswürdiges  Wesen,  das,  begabt 
mit  melodiösem  Instinkt,  mit  dem  schönsten  Naturell  einen  Teil  des  harmo- 
nischen Reichtums  unserer  jungen  Athleten  verbinden  wird  — und  sieht 
nicht  Mozart.  Graf  Algarotti,  der  Freund  Friedrichs  des  Großen,  hatte  in 
seinem  Saggio  sopra  l’opera  in  musica  noch  1763  in  Verachtung  der  flachen 
und  inkongruenten  Oper  seiner  Zeit  auf  das  einzig  erstrebenswerte  Gesamt- 
kunstwerk hingewiesen : und  Glucks  Orpheus  datiert  von  1762.  Alle  bauenden, 
alle  andächtigen  Freunde  der  Oper  werden,  wie  Gluck,  wie  Wagner,  immer 
wieder  dazu  verführt,  eine  Natürlichkeit  in  dieser  Kunst,  eine  Gleichberech- 

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tigung  ihrer  Teile,  eine  Ausdruckseinheit  und  Seelenwahrheit  theoretisch  zu 
verlangen,  die  ihnen  die  Zweifel  schlichten  soll,  welche  sie  in  ihrer  künstle- 
rischen Arbeit  empfinden  müssen.  Innerhalb  der  Theorie  der  Oper  wieder- 
holen sich  die  Widersprüche  ihrer  Praxis.  Recht  haben  allein  ihre  Feinde  — 
denn  cs  ist  auch  kleineren  Geistern  als  Voltaire  bequem,  die  Unmöglichkeit 
dieser  Kunst  nachzuweisen.  In  einem  inneren  Konflikte  sind  alle  ihre  theore- 
tischen Liebhaber,  die  zwischen  den  Anforderungen  ihrer  Sinne  und  ihrer 
Vernunft  nicht  entscheiden  können.  Tragisch  sind  die  Produktiven,  die  über 
sic  nachdenken:  denn  sie  werden  nie  die  Beruhigung  der  Ästhetik  über  ihre 
Zerrissenheit  finden  und  wiederum  nie  ihre  schöpferische  Kunst  in  das 
strenge  Reglement  ihrer  Theorie  geben.  Lully  machte  es  empirisch.  Gluck 
fand  seine  Opern  noch  glimpflich  mit  seinen  Vorreden  ab.  Wagner  schwebte 
beständig  in  der  Polarisation  des  Gedankens  und  der  Kunst,  und  wenn  schließ- 
lich auch  die  Kunst  siegte,  hat  er  doch  Epochen  durchmachen  müssen,  in 
denen  sie  in  Gefahr  war,  von  einer  Theorie  anzublassen,  die  zu  nichts  anderem 
taugte,  als  widerlegt  zu  werden. 

Denn  was  dürfen  wir  sagen,  die  wir  uns  im  Mittelpunkt  dieses  unend- 
lichen Kreises  befinden : die  Oper  ist  unmöglich,  aber  sie  ist  groß.  Die  Oper 
ist  nicht  wert,  daß  man  nur  einen  Funken  kritischen  Verstandes  auf  sie  an- 
wendet,  aber  sie  ist  überwältigend  in  ihrer  produktiven  Kraft  und  Intensität. 
Sie  ist  richtig,  nur  wenn  man  sie  komisch  nimmt,  aber  sie  ist  das  tragischeste 
Erlebnis  der  Kunst  auf  Erden.  Sie  ist  der  Beweis,  daß  das  Schaffen  irrational 
ist,  daß  Narrheit  und  Genie  Geschwister  bleiben,  daß  das  bloße  Dasein, 
Wachsen,  Streben,  Leben  und  Sterben  die  Wahrheit  ist  und  alles  Analysieren, 
Berechnen,  Messen,  Zählen  und  Berichten  ein  Gespenst.  Auch  dieses  Buch. 
Die  Oper  ist  da  — wer  über  sie  schreibt,  ist  ihr  erster  Narr,  aber  er  ist  ein 
Narr,  wie  der  Dichter,  der  sich  von  der  Welt  befreit,  indem  er  sie  darstellt. 
Indem  dieses  Buch  ein  solches  Eingeständnis  macht,  darf  es  beinahe  schon  — 
innerhalb  der  Opernweltanschauung  — existieren.  Es  ist  der  letzte  Schluß 
der  Antithesen,  die  wir  erlebten.  Und  ist  dennoch,  oder  ist  deswegen  eine 
Produktion,  wie  die  Oper  selbst  — trotz  seiner  ist  es  da ! Es  wird  die  Voltaires 
gegen  sich  haben,  die  Enzyklopädisten  werden  sich  bei  ihm  unterhalten  und 
belehren,  die  Produktiven  werden  seine  Tragik  fühlen  und  es  verbessern.  Ich 
steige  nun  zu  ihnen  hinauf.  Ich  lasse  Widerspruch  Widerspruch  sein  und 
beuge  mich  vor  der  Größe.  Ich  will  Schöpfung  sehn  und  Kräfte  fühlen. 
Ich  will  Menschen. 


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Die  Geschichte  selbst  als  letzter  Widerspruch 

DIE  großen  Werke  der  Oper  hat  ihre  Geschichte  abgesetzt,  als  Kulturen, 
die  sie  in  ihren  geheimnisvollen  und  schmerzreichen  Geburtsstunden  zeit- 
los, bedingungslos,  als  ewige  Schönheit  aus  sich  heraus  erfand.  Die  Geschichte 
der  Oper  ist  eine  geschichtslose  Geschichte,  die  sich  im  Kreise  schließt  wie 
ihre  Theorie.  Sie  ist  ein  Problem,  das  durch  die  Jahrhunderte  und  Nationen 
und  Klimata  geworfen  wird,  ohne  sich  Schaden  zu  tun.  Es  nuanciert  sich, 
aber  bleibt  dasselbe.  Denn  es  ist  mehr  als  ein  Kunstproblem. 

Jetzt  ist  es  am  Ort,  diese  Geschichte  im  Abriß  zu  geben,  weil  sie  uns  die 
Widersprüche  löst,  indem  sie  sich  selbst  aufhebt.  Die  Zeit  im  Wandel  macht 
aus  der  dogmatischen  Antithese  die  fruchtbare  Entwicklung  des  Werkes  und 
der  Persönlichkeit.  Sie  bringt  den  Fluß  in  die  Fluten,  die  sich,  auf  engen 
Raum  zusammengedrängt,  stauen  müßten.  Sie  bringt  Lebensfrist  und  Ver- 
gänglichkeit in  die  Arbeit  am  Unlösbaren  und  setzt  den  Menschen  in  die 
chaotische  Verwirrung  hinein.  Ich  lege  das  trockene  Land  hin,  das  wir  zu 
bevölkern  haben.  Ich  erzähle  die  Hauptepochen,  nenne  die  ersten  Namen 
und  Titel  und  füge  die  Zahlen  hinzu.  Das  ist  das  letzte,  was  ich  in  diesem 
Abschnitt  noch  zu  erledigen  habe.  Es  muß  ganz  schnell  vorübergehen. 

Die  Oper  ist  wirklich  nicht  vom  Himmel  gefallen.  In  der  italienischen 
Renaissance  setzt  sich  die  Musik  bereits  an  die  Tragödie,  und  die  Intermezzi 
unterbrechen  die  Komödien.  Die  Favola  pastorale  bringt  Monodien,  mit- 
ten im  Zeitalter  der  Chöre  Einzelgesänge,  deren  halb  vergessene  Übung  man 
jetzt,  besonders  in  Florenz,  bis  in  das  Mittelalter  zurückdatieren  kann.  Die 
Madrigale  werden  mehrfach  szenisch  zu  einer  Art  Oper  zusammengesetzt; 
in  einer  Sammlung  von  Intermedii  et  Concerti,  die  Malvezzi  1591  herausgibt, 
finden  sich  madrigaleske  und  auch  schon  monodische  Musiken  von  Cavalieri, 
Peri,  Caccini  zu  Texten  von  Rinuccini  — die  Reformgemeinde  von  Florenz 
noch  ohne  Opernbewußtsein.  Die  Instrumente  beginnen  farblich  abgestimmt 
zu  werden.  Große  Feste  führen  Gesänge  und  Tänze  zu  einer  unterhaltenden 
Mischgattung  zusammen  — bis  in  das  Ballet  de  la  reine,  von  Katharina  von 
Medici  in  Paris  veranstaltet.  Nebenbei  wirken  von  der  anderen  Seite  die 
geistlichen  musikalischen  Schauspiele.  Die  Kulturen  der  Feste  und  der  My- 
sterien bereiten  den  Boden.  Es  fehlt  nur  noch  der  klare  Begriff.  1574  wird 
in  Venedig  eine  Tragödie  von  Frangipano,  Musik  von  Merulo  aufgeführt, 
mit  Chören,  verschiedenem  Orchester,  „in  der  Art  der  Antike“,  wie  es  in 
der  Vorrede  zur  zweiten  Auflage  heißt,  quando  soli,  quando  accompagnati 
— hier  und  da  mag  es  in  der  Luft  gelegen  haben.  Die  Tat  geschieht  in 
Florenz. 

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Abreise  des  Direktors  in  der  Provinz.  Alte  französische  Lithographie 


Im  Hause  des  Florentiner  Grafen  Bardi  war  die  neue,  rezitierende,  mono- 
dische, ausdrucksvolle  Musik,  der  stilo  rappresentativo,  zuerst  diskutiert  wor- 
den. Im  Hause  des  Edlen  Corsi  wurde  die  Anwendung  auf  die  Oper  gemacht. 
Jacopo  Peri,  der  rote  Lockenkopf,  war  der  Liebling  dieses  mäzenatischen 
Salons.  Rinuccini,  der  leidenschaftlich-ritterliche  Dichter,  ein  interessanter 
Mensch  von  Tassophysiognomic,  dichtet  seine  vornehme  und  geschliffene 
Dafne,  Peri  komponiert  sie,  sie  wird  im  Hause  Corsis  1594  aufgeführt  con 
gusto  indicibile  della  cittä  tutta.  Das  war  die  erste  Oper.  Ihre  Musik  ist  ver- 
loren. Es  war  die  erste  bewußte  Anwendung  der  neuen  Tonkunst,  die  Ga- 
lilei, der  musikalische  Bahnbrecher,  in  seinen  Gesängen,  Bardi  und  Corsi  in 
ihren  dilettantischen  Anregungen,  Cavalieri  kurz  darauf  auch  im  Oratorium, 
Caccini  in  jenen  berühmten  Nuove  musichc  von  1601  verkündeten,  die  für 
das  Publikum  das  Programm  der  neuen  Richtung  wurden.  Caccini,  offenbar 
ein  etwas  unreinlicher  Mensch,  ein  kluger  und  eitler  Virtuose,  und  der  freund- 
liche Peri  streiten,  nicht  ohne  Perfidie,  um  den  ersten  Opernruhm.  1600 
komponiert  Peri  die  F.uridicc  von  Rinuccini  und  gleichzeitig  auch  Caccini. 
Beide  Stücke  sind  erhalten.  Die  Oper,  die  favola  in  musica,  war  bei  ihrer 
Entstehung  als  eine  aristokratische  Nachahmung  der  antiken  Tragödie  emp- 
funden worden,  deren  Ideal  in  der  Florentiner  Camerata  verfochten  wird. 
Jetzt  rückt  sie  in  die  altgewohnte  Festunterhaltung  ein  — die  Euridice 
wird  zur  Vermählung  des  von  Rubens  verklärten  Heinrich  IV.  von  Frank- 

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reich  mit  Maria  von  Medici  in  Florenz  aufgeführt  — und  Nummern  beider 
streitenden  Komponisten  werden  untereinander  gesungen.  1608  wird  der 
umgearbeitete  Text  der  Dafne  Rinuccinis  von  Gagliano  neu  komponiert, 
zu  einer  fürstlichen  Hochzeit  in  Mantua  aufgeführt.  1628  macht  er  für  eine 
Farnesehochzeit  in  Florenz  seine  Flora.  Peri  stellte  ihn  über  sich  selbst. 
Er  schließt  die  erste  Periode  der  Oper,  die  Florentiner  Zeit,  ab.  Drei  Jahre 
vorher  war  der  Ruggiero  der  Francesca  Caccini  gegeben  worden,  der  gro- 
ßen Sängerin  und  Spielerin,  berühmten  Tochter  des  berühmten  Vaters  — 
die  erste  Opernkomponistin,  die  erste  romantische  Oper,  aber  trotz  aller  Be- 
gabung ein  Spektakelstück  mit  Pferdeballett,  der  Florentiner  Reflex  der  be- 
ginnenden Prachtoper  mit  allegorischem  Prologe.  Der  polnische  F'ürst  La- 
dislaus Sigismund  wurde  in  der  Villa  Poggio  reale  mit  ihr  begrüßt. 

Die  neue  Richtung,  der  deklamatorische  Gesang  auf  dem  bezifferten 
Generalbaß,  der  höchste  Ausdruck  der  Monodie  auf  der  mathematisch  ge- 
ordneten Harmonie,  gewinnt  schnell  Italien.  Hier  und  da  in  der  Provinz 
taucht  die  neue  Oper  auf.  Eine  geschlossene  Gruppe  läßt  sich  in  Rom  be- 
obachten. Die  römische  Oper  hat  den  Zusammenhang  mit  dem  geistlichen 
Schauspiel  bewahrt.  Cavalieris  Rappresentazione  dell’  anima  e di  corpo 
von  1600,  Agazzaris  Eumelio  von  1606,  ein  allegorisches  Schäferspiel,  sind 
die  Stufen.  Stefano  Landis,  des  bedeutendsten  altrömischen  Opernkompo- 
nisten, „Orfeo“  datiert  von  1619.  1634  kommt  sein  San  Alessio,  dessen  Text 
von  Rospigliosi  stammt,  dem  nachmaligen  Papst  Clemens  IX.  Mit  diesem 
Werk  wird  der  Theatersaal  des  Palazzo  Barbcrini  eingeweiht,  der  die  mäze- 
natische  Stätte  der  neuen  römischen  Oper  bleibt.  Beide  Opern  von  Landi 
sind  Tragikomödien  — der  Orfeo,  der  die  ungewohnten  späteren  Schick- 
sale von  Orpheus  behandelt,  enthält  ein  Lethetrinklied  Charons,  das  als 
eines  der  ersten  Buffostücke  angesehen  wird.  Die  Buffobegabung  der  Römer 
wirkt  wie  eine  Reaktion  gegen  die  vorherrschende  geistliche  Stimmung.  Ro- 
spigliosi selbst,  der  eine  ganze  Reihe  Texte  verfaßt,  schreibt  „Che  soffre, 
speri“,  von  Mazzocchi  und  Marazzoli  komponiert  (1639)  und  „Dal  mal  il 
bene“,  von  Marazzoli  und  Abbatini  komponiert  (1654),  zwei  richtige  rusti- 
kale Buffoopern.  Der  San  Alessio  Landis,  die  Geschichte  des  Heiligen,  der 
unter  der  Treppe  des  väterlichen  reichen  Hauses  wohnt,  schließt  buffoneske 
Volkselcmente  ein,  Pagenduette,  aber  auch  große  Familienterzette,  Final- 
steigerungen. Die  musikalische  Behandlung  ist  polyphoner  und  ensemble- 
voller, reicher  an  Kammersymphonien,  als  die  der  Florentiner  Oper,  dem  römi- 
schen Geschmack  entsprechend.  Die  geschlossenen  tanzartigen  Formen,  die 
breite  kontemplative  Lyrik  in  Mazzocchis  d.  Ä.  Catena  d’Adone  (1626),  die 
pastoralen  Einlagen  in  Michelangelo  Rossis  Erminia  (1637),  Vittoris  von  ihm 

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selbst  gedichtete  Galatea  (1639)  mit  dem  oft  gerühmten  madrigalartigen 
Trauerchor  sind  die  interessantesten  Beispiele  der  römischen  konzertierenden 
geistlich-schäferlichen  Oper.  Die  Blüte  der  Barberinioper  wird  durch  die 
Vertreibung  dieses  Geschlechts  nach  Paris  eine  Zeit  lang  unterbrochen. 
In  Paris  sprechen  sie  von  der  neuen  Gattung,  Mazarin  beruft  1646  den 
Luigi  Rossi  hin  — er  kommt  aus  Rom  mit  zo  Musikern,  worunter 
8 Kastraten.  Sein  Orpheus  wird  1647  dort  französisch  aufgeführt,  mit  einem 
Prolog  an  Louis  XIV  — die  erste  Opernbrücke  Italiens  nach  Frankreich. 

Der  Charakter  der  altvenezianischen  Oper  ist  Öffentlichkeit  und  Geni- 
alität. Der  Chor  verschwindet  allmählich,  die  Arie,  nicht  ohne  Einfluß  der 
befreiten  Kirchenmusik,  emanzipiert  den  Sänger  als  Virtuosen,  den  Kompo- 
nisten als  Erfinder,  das  Publikum,  das  in  öffentlichen  Theatern  sitzt,  als  Be- 
urteiler. Monteverdi  ist  das  Genie  der  ersten  rein  künstlerischen  Oper.  Er 
wird,  aus  Mantua  berufen,  1613  Kapellmeister  der  Markuskirche.  Sein  Or- 
feo,  in  dem  mit  dem  Zauberklang  einer  fast  noch  mittelalterlichen  Mystik 
die  Ara  der  primitiven  Oper  abgeschlossen  wird,  entstand  schon  1607.  Es  ist 
das  älteste  Opernwerk,  das  noch  gelegentlich  (und  nicht  bloß  historisch  in- 
teressant) aufgeführt  wird.  1608  folgt  seine  Arianna  (Text  von  Rinuccini) 
— ihre  Rezitative  schrieb  Peri  — nur  die  Klage  der  Ariadne,  heut  noch 
so  oft  gesungen,  ist  als  einziges  Stück  dieser  Oper  auf  uns  gekommen.  Von 
späteren,  erhaltenen  Werken  sind  die  wichtigsten:  der  Tancred  (1624), 
halb  episch  mit  verbindendem  Text,  II  ritorno  d’Ulisse  (1630),  L’incoro- 
nazione  di  Poppea  (1642)  — in  Farbe  des  Orchesters,  Kraft  der  Harmonien, 
Wahrheit  des  Ausdrucks,  dramatischer  Atmosphäre  die  Grundlagen  aller 
Opernerfindung.  Cavalli  stärkt  den  Ausdruck  zu  ergreifender  Emphase, 
mischt  geschickt  effektvolle  Buffoarien  hinein,  schreibt  42  Opern  — 1660 
den  Serse  für  die  Hochzeit  Ludwigs  XIV.  Cesti,  nicht  ohne  Lieblichkeit 
und  Süße,  erscheint  äußerlicher  — wird  nach  Wien  berufen,  wo  unter 
Leopold  I.  eine  sehr  prunkvolle  Nachblüte  der  venezianischen  Oper  statt- 
findet. 

Der  Charakter  der  Neapler  Oper  ist  der  Sieg  des  Sängers  über  den  Kom- 
ponisten : die  Ausbildung  des  bei  canto,  die  Virtuosität,  das  Schlußensemble, 
die  Selbständigkeit  des  Buffo.  Sie  wird  von  Alessandro  Scarlatti  begründet 
(t  1725),  der  in  Rom  angefangen  hat.  Leo,  Porpora,  Vinci,  Jommelli,  Hasse, 
Piccini,  Sacchini,  Majo,  Traetta  (in  Parma),  Logroscino,  Pergolesi,  Pae- 
siello,  Cimarosa  mehr  im  komischen  Genre,  sind  die  Meister.  Unter  dem 
Einfluß  der  französischen  Oper  und  Ästhetik  tritt  am  Ende  des  18.  Jahrhun- 
derts ein  Umschwung  ins  Seelenvollere,  Monumentale,  Ausdrucksechte  ein, 
gleichzeitig  nehmen  die  Chöre  und  Tänze  wieder  zu.  Über  diese  Reformen 

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der  Neu-Neaplcr,  besonders  Tracttas,  hat  die  Musikgeschichte  noch  zu  arbei- 
ten. Die  Reformoper  Neapels  ist  das  Teatro  del  Fondo,  die  später  auch 
Paers  Griselda  bringt  — es  ist  die  Zeit  der  ersten  großen  Mischungen,  die 
sich  bis  in  den  Eklektizismus  Simon  Mayrs  verlaufen  (stirbt  erst  1 845),  in  dem 
der  Glanz  Frankreichs,  das  leidenschaftliche  Akkompagnato  Jommellis,  das 
deutsche  Lied,  die  farbige  Orchestertechnik  sich  treffen.  Die  Kraft,  die  aus 
diesen  Mischungen  ihre  Größe  zog,  hieß  Gluck. 

Die  französische  Oper,  reich  an  Chören,  Tänzen,  Dekorationen,  war  aus 
privaten,  vornehmen  Anfängen  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  unter  Perrin  in 
die  feste  Form  der  privilegierten  Akademie  gelangt  — 1671  eröffnet  mit  Cam- 
berts  Pomone,  deren  Text  er  gedichtet.  Perrin  verband  sich  mit  Cham- 
pöron,  der  an  der  Kasse  saß,  und  Sourdeac,  dem  Maschinisten  — beides  waren 
Ausbeuter,  Kapital  gab  es  nicht.  Nuitter  und  Thoineau,  die  Verfasser  der 
Origincs  de  l’opera  franjais,  haben  Perrin  seinen  nationalen  Nimbus  ge- 
nommen und  Lully  gerechtfertigt,  der  nicht  ohne  Brutalität  das  Patent  der 
Akademie  an  sich  brachte,  aber  nun  auch  mit  praktischer  Genialität  die  na- 
tionale Oper  durchsetzte:  Reinheit  der  Deklamation,  Keuschheit  des  poeti- 
schen Gewissens.  Lully  stammte  aus  Florenz:  seine  Karriere  Küchenjunge, 
Musikpage,  Geiger,  Leiter  des  Orchesters,  Tänzer,  Schauspieler,  Chef  des 
ganzen  Opernressorts,  Vertrautester  Ludwigs  XIV.  Seine  Werke  sind  die 
erste  Reaktion  gegen  Opernauswüchse:  eine  Wiederaufnahme  Florentiner 
Prinzipien  in  langweiliger  französischer  Akademiedoktrin.  Rameau  vergei- 
stigt, färbt,  beseelt  seine  Richtung:  der  Begründer  der  modernen  Harmonie- 
anschauung.  Lully  lebt  1632 — 1687,  Rameau  1683 — 1764. 

Italienische  Buffonisten  (die  zweite  Invasion  in  Paris)  geben  1752  Pcr- 
golesis  Serva  padrona  und  lösen  die  französische  komische  Oper  aus.  Sie 
geben  auch  Rinaldo  da  Capuas  Zingara,  die  einzige  Buffooper,  die  von  die- 
sem Liebling  seiner  Zeit  erhalten  ist.  Aus  der  Pariser  Jahrmarktsoper  bildet 
sich  (die  Buffonisten  werden  ausgewiesen)  die  opera  comique  in  einem  gra- 
ziösen Stil,  der  im  Gegensatz  zur  Akademie  die  bessere  Hälfte  des  französi- 
schen Wesens  fortwirkend  zum  Ausdruck  bringt:  Rousseau,  Duni,  Monsigny, 
Philidor  und  Grctry  (zum  Teil)  sind  die  Meister,  Hier  erfolgt  die  Mischung 
mit  Italien.  Piccinis  Buona  figliuola  ist  Paris  in  Neapel.  Andere  ernstere 
Opern  schreibt  er  für  Paris  französisch.  Er  tritt  wider  Willen  in  den  Wett- 
kampf mit  Gluck,  dessen  Persönlichkeit  ihn  schließlich  nicht  bloß  äußerlich 
bezwingt. 

Einige  Splitter  sind  noch  zu  erwähnen:  die  Hamburger  bürgerliche 
Oper,  die  von  1678  an  fünfzig  Jahre  wirkte  — Hauptmeister  Keiser,  Händel, 
Matthcson,  Tclemann.  In  England  Purccll  mit  einer  nur  in  der  Sprache 

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nationalen  Oper  — stirbt  1695.  Alles 
nur  Ausläufer  der  italienischen  Oper, 
die  beide  Hälften  der  Erde  erobert. 

Die  ganze  Entwicklung  der  Seria 
faßt  sich  in  der  Persönlichkeit  Glucks 
zusammen,  der  Frankreich  und  Ita- 
lien verbindet,  die  der  Buffa  in  Mo- 
zart, der  Deutschland  und  Italien 
verbindet.  Mit  ihnen  beginnt  die 
lebende  Oper.  Es  ersteht  der  ein- 
same Fidelio.  Es  plaudert  die  fran- 
zösische komische  Oper.  Es  wälzt 
sich  die  Pariser  historische  Oper  da- 
her. Es  blüht  die  deutsche  Roman- 
tik. Es  pulsiert  die  nationale  Oper 
exotischer  Nationen.  Es  faßt  Verdi 
die  melodienreiche  neue  Oper  Ita- 
liens zusammen.  Es  faßt  Wagner 
die  letzte  Romantik  des  deutschen 
Geistes  zusammen.  Dieses  werden 
unsere  neun  Musen  sein.  Und  es 

schiebt  sich  die  Musik  von  Italien  Leopold  I.  stich  von  Kilian 

nach  Frankreich  und  von  Frankreich 
nach  Deutschland  und  ist  immer  wieder  neu  und  immer  wieder  dasselbe  — 
und  Wagner  erlebt,  was  Monteverdi  erlebt  hatte,  und  Lully  sagt,  was  Galilei 
gesagt  hatte,  und  die  ganze  moderne  Oper  spielt  alles  wieder  zusammen, 
was  sie  alle  gesagt,  erlebt  und  gewollt  hatten,  und  wir  werden  Italien  nicht 
los  und  bleiben  doch  deutsch,  und  es  löst  sich  nie  auf  zwischen  Mystik  und 
Reformation,  Sinnlichkeit  und  Vernunft,  im  Zauber  der  Zeiten  und  Länder, 
unberechenbar,  unentwickelt,  eine  Historie  wie  das  Leben  — voller  Ziele 
und  doch  ziellos,  ein  Prozeß,  ein 
Geschehen,  dessen  einzige  Wahrheit 
die  Größe  des  Menschen,  die  Größe 
des  Werkes  ist. 

Es  ist  Zeit.  Wir  sehnen  uns 
heraus  aus  diesem  Kreis  der  Kreise 
und  wollen  die  Linien  gehen,  die 
neun  großen  Linien  der  Schöpfung. 


's  V'S*'  • 


ft  - 


Handschrift  der  Schröder-Dcvricnt 


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DIE  KULTUR  DER  OPER 


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GLUCK  UND  DIE  KLASSIZISTISCHE  OPER 


Der  Harfenklang 

DIE  steinerne  Ruhe  liegt  für  uns  über  der  antiken  Welt.  Alles  Bewegliche 
ist  starr  geworden,  alle  Leidenschaften,  Stürme,  Elend,  Rausch  und  Blut 
sind  eine  geologische  Schicht  der  Kultur  geworden,  unvergeßlich,  aber  fest. 
Dionysos  ist  geflohen,  und  Apollon  sitzt  auf  den  Trümmern,  die  eine  gold- 
gelbe Patina  ansetzten.  Das  Malerische  ist  ein  Schatten  geworden,  die  Ge- 
schichte ein  Lehrbuch,  die  Poesie  ruht  rhythmisch  wohlgeordnet  in  Büchern, 
der  Mythos  wurde  Bildung:  alles  steht  zu  uns  in  dem  Symbol  der  Form,  in 
der  sich  die  antike  Plastik  erhielt,  die  einzige  ihrer  Äußerungen,  die  durch 
die  Jahrtausende  substantiell  blieb.  Ihre  politischen  Organisationen,  ihre 
rhetorischen  Künste,  ihre  Dekoration  und  Literatur  ist  für  uns  eine  einzige 
große  Statue  geworden,  an  der  wir  unsere  romantische  Sehnsucht  nach  dem 
Nichtromantischen  befriedigen.  Wir  nennen  diese  Geistesrichtung  klassi- 
zistisch, wir  fassen  in  ihr  alles  zusammen,  was  als  formaler  Trieb  und  ab- 
strakter Stil  in  uns  wirksam  bleibt.  Es  ist  eine  innere  Nötigung,  im  Alltags- 
leben des  Realen  Zeichen  letzter  Vollendung  zu  träumen,  Gebilde  aus  we- 
sentlichen, gleichbleibenden,  neutralen  und  normalen,  gesetzlichen  und  or- 
ganisierten Kräften,  denen  der  Wohlklang  ewiger  Schönheit  eignet.  Wir 
haben  die  Antike  zu  dem  goldenen  Zeitalter  gemacht,  aus  dem  uns  diese 
erste  Formwerdung  der  Natur  wie  ein  Vermächtnis  der  Schöpfung  erhalten 
ist.  In  der  antiken  Statue  wurde  zum  erstenmal,  seit  die  Erde  bestand,  der 
Begriff  des  schönen  Menschen  formal  ganz  rein  gefaßt.  Die  antike  Statue 
ging  in  unsere  Augen  ein,  als  Maßstab  alles  Gleichen  und  Entgegengesetzten. 
Die  antike  Welt  steht  vor  unserer  Phantasie,  im  Gegensatz  zu  der  unfor- 
malcn,  innerlich  verwebten  Bibel,  als  eine  äußerlich  verstrebte  andere  Bibel, 
heidnisch  kühl  und  ein  Harfenklang  über  ausgeruhten  Schicksalen. 

Doch  der  Harfenklang  ist  unser.  Aus  dieser  ganzen,  großen,  trocken  schö- 
nen, heiter  ausgelebten  Welt  klingt  kein  Ton  zu  uns,  kaum  ein  Widerhall 
philosophischer  Schwärmer.  Der  Saft  der  Musik,  der  in  ihr  gebunden  war, 
ist  entwichen,  als  ob  die  steinerne  Form  sich  vor  diesem  belebenden,  feurigen, 
wandelnden  Ingredienz  gefürchtet  hätte.  Kein  Sterblicher  noch  kann  sich 
eine  wahre  Vorstellung  von  der  antiken  Musik  machen.  Fruchtlos  rekon- 

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GLUCK  UND  DIE  KLASSIZISTISCHE  OPER 


Der  Harfenklang 


D 


kIE  steinerne  Ruhe  liegt  für  uns  über  der  antiken  Welt.  Alles  Beweglic 
:arr  geworden,  alle  Leidenschaften,  Stürme,  Elend,  Rausch  und  Bl 
sind  eine  geologische  Schicht  der  Kultur  geworden,  unvergeßlich,  aber  fe‘ 
ist  geflohen,  und  Apollon  sitzt  auf  den  Trümmern,  die’cine  eol 


ist  starr  j 


sind  eine  geologische  öcMcnt  aer  ivuitur  geworden,  unvergeßlich,  aber  fe< 
Dionysos  ist  geflohen,  und  Apollon  sitzt  auf  den  Trümmern,  die  eine  goh 
gelbe  Patina  ansetzten.  Das  Malerische  ist  ein  Schatten  geworden,  die  Gi 
schichte  ein  Lehrbuch,  die  Poesie  ruht  rhythmisch  wohlgeordnet  in  Büchcri 
der  Mythos  wurde  Bildung:  alles  steht  zu  uns  in  dem  Symbol  der  Form  i 
der  sich  die  antike  Plastik  erhielt,  die  einzige  ihrer  Äußernm.™  j.  ’ 


der  Mythos  wurde  Bildung:  alles  steht  zu  uns  in  dem  Symbol  der  Form  i 

der  sich  die  antike  Plastik  erhielt,  die  einzige  ihrer  Äußerungen,  die  du'rc 

die  Jahrtausende  substantiell  blieb.  Ihre  politischen  Organisationen  ihr 

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ging  in  unsere  Augen  ein,  als  Maßstab  alles  Gleichen  und Entpepr  ° StatUC 
Die  antike  Welt  steht  vor  unserer  Phantasie,  im  Gegen«  tzTT^'"™' 
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struieren  sie  die  Gelehrten.  Fruchtbarer  nahmen  die  Künstler  die  antike 
Welt  mit  ihrem  eigenen  musikalischen  Organ  auf,  mit  dem  intensivsten  aller 
Organe,  das  romantische  Künstler  besitzen,  die  sich  nach  dem  Paradies 
dieser  unromantischen  Gegend  zurücksehnen.  Der  Wahn  der  Wicdererwek- 
kung  der  antiken  Tragödie  ist  eine  der  besten  Triebkräfte  für  die  moderne 
musikalische  Kunst  geworden.  Er  hat  der  kühlen  Ruhe,  mit  der  der  alte 
Mythos  inmitten  der  Gelehrsamkeit,  Bildnerei  und  Poesie  liegt,  nichts  an- 
haben  können,  aber  er  hat  dem  Musiker  einen  Bestand  an  fester  Materie  für 
sein  Drama  verschafft,  der  in  seinem  Wert  für  die  Produktion  weit  über 
das  Mißverständnis  ging,  mit  dem  diese  in  Szene  gesetzt  wurde. 

Es  gibt  keinen  reformatorischen  Kopf  in  der  älteren  Geschichte  der  Oper, 
der  nicht  von  dem  Gedanken  beseelt  und  geleitet  worden  wäre,  die  antike 
Tragödie  zu  erneuern.  Es  ist  sogar  vorgekommen,  daß  Wagner,  der  nicht 
einmal  mit  antiken  Stoffen  arbeitete,  seinen  Philosophen  fand,  der  aus  einer 
merkwürdigen  dichterischen  Quellung  seiner  philologischen  Interessen  den 
Tristan  für  die  „Geburt  der  Tragödie  aus  dem  Geiste  der  Musik“  in  an- 
tikischem  Sinne  ausgeben  durfte.  Nietzsches  Jugendschrift  liegt  auf  der 
Grenze  seiner  erkennenden  und  seiner  prophetischen  Periode.  Die  Idee  des 
wiederzuweckenden  Dionysos  erwacht  in  ihm,  die  Verachtung  der  Sklaven- 
moral bildet  sich  als  erster  Gegensatz  in  leichten  Umrissen,  als  zweiter  be- 
ginnt die  Abwendung  vom  „theoretischen  Menschen“,  der  seit  den  Tagen 
des  Sokrates  gegen  den  dionysischen  Zwang  der  Produktion  erkennend  und 
zersetzend  bis  zur  „heiteren  Wissenschaft“  gelangt  sei.  Er  habe  das  diony- 
sische Element  zerstört,  er  trage  noch  die  Schuld  dieser  schrecklichen  bleichen 
Gelehrsamkeit,  die  über  der  altitalienischen  Oper  liege,  er  sei  erst  endgültig 
besiegt  in  dem  neuen  dionysischen  Drang,  der  hervorbrechend  und  im 
Rausche  fordernd  in  Wagner  erstanden  sei.  Als  Nietzsche  den  Pol  seiner 
Drehungen  später  von  Wagner  in  die  eigne  Idealgestalt  verlegte,  kam  er  dar- 
um, die  großartigen,  selbst  dionysischen  Irrtümer  zu  widerlegen,  die  in 
dieser  schwärmerischen,  zum  Teil  blendend  fazettierten,  zum  Teil  unge- 
regelt vulkanischen  Schrift  enthalten  sind,  die  allermißverständlichste  und 
allerstärkstc  der  Reihe  von  Rcgenerationsillusionen,  die  die  antike  Tragödie 
in  unseren  Köpfen  gezeitigt  hat. 

Die  grausamen  und  scharfen  Züge  der  griechischen  Sage  und  Geschichte 
scheinen  für  uns  wie  in  einer  Maske  versteinert,  die  nach  der  Belebung  des 
modernen  Menschen,  der  immer  ein  romantischer  ist,  verlangt.  Die  furcht- 
baren Schicksale  in  der  Familie  Agamemnons,  die  entsetzlichen  Erfahrungen 
des  Ödipuskreises,  alle  homerischen  Erzählungen  von  den  blutigen  und 
fruchtlosen  Kämpfen  um  Troja  und  von  den  unverschuldeten  Qualen  des 

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Odysseus,  die  Klagen  des  Or- 
pheus und  Admet,  alle  diese 
schaurigen  Niederlagen,  die 
ein  unversöhntes  Geschick 
den  Sterblichen  bereitet, 
würden  uns  Menschen  des 
freien  Lebens  wenig  berüh- 
ren, würden  uns  vielleicht 
abstoßen,  wenn  sie  nicht  in 
einer  literarischen  Fassung 
auf  uns  gekommen  wären, 
die  ihnen  mindestens  den 
Anteil  an  jeder  allgemeinen 
Bildung  sicherte.  Es  ist  der 
Inhalt  der  ersten  europä- 
ischen Kunstwerke,  es  ist  die 
verbriefte  Phantasie  unserer 
Kulturahnen,  es  ist  der  Stoff 
für  die  große  Form,  die 
wir  rückschauend  verehren. 

Mehr  als  irgend  eine  später 
entdeckte  heimische  Sage  ist 
diese  der  feste  Grund  unseres 
mythischen  Besitzes  gewor- 
den, nicht  so  sehr  das  innere 
Eigentum,  als  der  Fond  un- 
serer Vorstellungen,  eine  zweite  Natur  der  dichtenden  Phantasie,  wie  die 
erste  Natur  da  draußen  immer  der  Fond  der  bildenden  ist.  Von  den  Alten 
bis  zu  diesen  Tagen,  bis  zu  dieser  Stunde,  da  eine  lyrisch  gestimmte  Pessi- 
mistin ihre  Erfahrungen  in  die  Konturen  der  Danaelegende  gießt  oder  ein 
ironischer  Geist  die  Schatten  des  Prometheus  und  Epimetheus  immer  und 
immer  heraufruft,  niemals  ist  das  Symbol  des  antiken  Mythos  ausgestorben. 
Es  liefert  die  Typen,  die  wir  mit  immer  neuem,  persönlichem  Leben  füllen, 
es  gibt  zur  Not  die  Etikette,  in  der  wir  uns  auf  einen  besonderen,  gänzlich 
unantiken  Fall  erklären.  Es  ist  der  Cantus  firmus  der  Figurationen  aller 
Welt.  Nicht  einmal  immer  der  Cantus  firmus,  denn  seine  Melodie  wird  nach 
den  Wandlungen  der  Zeit  und  Empfindung  verändert  und  umgebogen.  Fs 
bleibt  ein  unverrückter  Bestand  an  Personen  und  Ereignissen,  heilig  wie 
irgend  eine  Überlieferung,  immer  bereit,  verarbeitet,  umgedichtet,  neu 

99  T 


Titel  von  Caccini«  Euridicc 


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motiviert,  neu  verwickelt,  neu  entfaltet  zu  werden.  Die  Unsterblichkeit  der 
trojanischen  Helden  und  mykenischen  Mörder  ist  weniger  ein  Beweis  ihrer 
Vollendung,  als  des  Bedürfnisses  einer  späteren  Zeit,  nicht  ohne  festen  Grund 
zu  phantasieren.  Der  Mythos  bildete,  die  Dichter  legten  aus.  Die  Bildform 
des  Mythos  wirkte  statuenhaft  auf  sie.  Sie  gaben  sich  ihm  hin,  wenn  sie 
formal  zu  empfinden  vorzogen,  oder  er  bildete  sie  formal,  wenn  sie  in  ge- 
reiften Lebensepochen  sich  ihm  anvertrauten.  So  decken  sich  ganze  Strecken 
der  französischen  Literatur  oder  die  zweite  Hälfte  der  Goetheschen  Produk- 
tion in  ihren  formalen  Bestrebungen  mit  antikisierendem  Inhalt.  Die  Iphi- 
genie wird  modernisiert,  indem  Goethe  antikisiert  wird.  Auch  das  Wieland- 
Kleistsche  Satyrspiel  fehlt  dieser  Neigung  nicht. 

Die  Masken  der  antiken  Literatur  sind  verschieden  — die  satirische  des 
Aristophanes,  die  bürgerliche  des  Terenz,  die  hieratische  des  Äschylos,  die 
rednerische  des  Sophokles,  die  realistische  des  Euripides,  Lukians  Feuilleton 
und,  der  Vater  aller  Flüsse,  der  ruhige  breite  Strom  Homers:  von  jedem 
gehen  Reize  aus.  Für  die  Oper  warten  vor  allem  die  drei  attischen  Tragiker 
auf  Antwort,  auf  eine  Beseelung  ihrer  Maske,  die  tonlos  wurde  und  starr  wie 
ein  gedrucktes  Buch.  Da  liegen  die  antiken  Dramen.  Wer  führt  uns  ihre 
alte  lebendige  Form,  die  in  Musik  aufklang,  wieder  vor?  Die  Musiker  sind 
ungelehrt  genug  zu  glauben,  daß  sie  es  können,  und  sie  raffen  aus  der  ganzen 
antiken  Mythologie  und  legendarischen  Geschichte  Stoffe  und  Themen  zu- 
sammen, die  sie  nach  diesem  Muster  auf  die  Bühne  bringen.  Es  ist  die  naivste 
Eingießung  unseres  Geistes  in  die  überlieferte  antike  Form,  die  wir  kennen, 
es  ist  aber  auch  die  ehrlichste  aller  dieser  Bestrebungen,  weil  sie,  im  Glauben, 
wiederherzustellen,  zerstört,  was  da  ist,  so  umformt,  daß  nur  Namen  und 
Dinge  bleiben  und  nicht  der  Schimmer  eines  literarischen  Zwanges  besteht. 
Der  Dichter  versucht  den  Seelengängen  und  Handlungsmotiven  der  Figuren 
nachzugehn,  die  ihm  das  antike  Buch  überläßt,  der  Musiker  sucht  die  er- 
habene und  gelassene  Stimmung  herzustellen,  die  über  diesen  Worten  einst 
schwebte.  Sie  sprechen  und  handeln,  aber  sie  singen  auch,  und  der  Stil  ihrer 
Musik,  der  monumentale  Ton  ihrer  Melodie,  die  Weiträumigkeit  ihrer  Har- 
monie hinterläßt  einen  Eindruck  von  Größe  und  Maß,  der  uns  das  Bild  des 
antiken  Paradieses  mit  unseren  Mitteln  viel  eindringlicher  zurückruft,  als 
es  die  dichterische  Umgestaltung  und  Weiterbildung  je  vermag.  Die  Größe 
Racines  ist  die  des  französischen  Hofes,  die  Größe  der  Goetheschen  Iphigenie 
ist  die  unermeßliche  seiner  persönlichen  Wandlung  — die  Größe  von  Glucks 
Orpheus  ist  elementarer,  suggestiver,  allgemcingültiger : sie  ist  klassizistische 
Stimmung,  weil  sie  mit  der  Antike  nichts  mehr  zu  tun  hat,  sondern  nur  mit 
unserer  Vorstellung  einer  schönen,  edlen,  erhabenen,  ausgeglichenen  Welt, 

IOO 


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Handschrift  Montcvcrdi»  (Poppea) 


die  wir  mit  unserer  Kunst  uns  vorzaubern,  mit  der  Musik,  der  wahren  Kunst 
der  Erinnerung  und  Feier.  Es  ergibt  sich,  daß  alle  literarische  Fortpflanzung 
der  Antike  einen  unschätzbar  wertvollen  persönlichen  und  klimatischen  Er- 
folg hatte,  daß  aber  für  das  Gefühl  allein  diejenige  Kunst,  die  aus  jener  Welt 
verloren  ging,  in  unserer  Welt  die  Sehnsucht  ganz  zum  Ausdruck  brachte, 
die  wir  klassizistisch  nennen.  Sie  stirbt  nicht  aus,  so  lange  Menschen  sind. 
Sie  steigert  sich,  wenn  das  Leben  über  seine  Mitte  wächst,  und  die  Beruhi- 
gung der  Form  uns  not  tut,  das  Ideal  als  Gesetz  seine  ewigen  Forderungen 
stellt.  Sie  blickt  zurück  auf  die  Kultur,  die  uns  als  Organisation  der  ersten 
Form  gilt.  Sie  ziert  sich  mit  den  Vorstellungen  der  Namen  und  Legenden 
ihres  Mythos,  der  unseren  ersten  Kunstwerken  seinen  Inhalt  gab.  Im  Wahne, 
die  antike  Tragödie  neu  zu  entdecken,  hat  die  Musik  in  einer  bestimmten 
Epoche  unserem  Klassizismus  sein  Bekenntnis  gefunden.  In  einem  anderen 
und  höheren  Sinne,  als  sie  selbst  konnte  und  glaubte,  hat  sie  für  die  Nach- 
geborenen erreicht,  was  sie  wollte  und  sollte.  Heut  nach  anderthalb  Jahr- 
hunderten wissen  wir,  daß  das  so  war.  Denn  es  ist  nicht  wiedergekommen 
und  so  geblieben. 


IOI 


Die  altitalicnische  Oper 

SEHEN  wir,  wie  cs  reif  wurde.  Hätte  Gluck  die  alten  Florentiner 
Opern  gehört,  so  wäre  ihm  die  Empfindung  einer  merkwürdig  primi- 
tiven Form  desselben  Stils  gekommen,  den  er  anstrebte.  Die  unendlichen 
Rezitative,  die  sich  auf  dem  Generalbaß  als  ein  leicht  gesanglich  deklamiertes 
Drama  hinschleichen,  mögen  ihn  langweilen.  Aber  was  ist  das  ? In  einer 
natürlichen  sprachlichen  Pathetik  wiederholt  Orpheus  sein  Venga,  venga  in 
Caccinis  Euridice.  Venga,  venga!  Er  findet  diese,  er  findet  ähnliche  schüch- 
terne melodische  Regungen.  Er  beobachtet  die  Unterschiede.  Welche  Ab- 
wechslung schon  bei  Gagliano  im  Ensemble,  im  Takt,  in  der  Melodie,  in 
der  Harmoniestellung.  Über  denselben  Text  schreibt  Caccini,  der  bewußte 
Sänger,  eine  schon  viel  plastischere  Musik  als  Pcri,  nicht  ohne  Koloratur, 
die  dann  wieder  in  Gaglianos  Dafne  oft  eine  eigene  träumerische  Art  zeigt, 
wie  Interjektionen  von  Urvölkern,  die  sich  im  absoluten  Genuß  der  musi- 
kalischen Folge  ergehen.  Er  untersucht  mit  Vorliebe  die  Anfänge  der  Lied- 
gestaltung in  Orpheus’  Rückkehrarie  bei  Peri  „Gioite  al  canto  mio“  mit 
dem  süß  abklingenden  Schluß,  in  Apolls  Arie  bei  Gagliano  mit  ihren  be- 
wegten Fiorituren  und  dem  dreimal  gleichen  Anfang.  Ein  Akkordzwischen- 
spiel ertönt  dazu  auf  Apolls  Lyra  (scheinbar  — denn  versteckte  Streicher 
führen  es  aus),  wie  zu  der  Tirsiarie  bei  Peri  ein  Triflauto-Ritornell  gehört. 
Ritornelle,  Sologesänge,  rhythmische  Wiederholungen  der  Chöre:  muß  ihm 
diese  oratorienstrenge  Anordnung  nicht  wie  eine  erste  Linie  seines  klassi- 
schen Schemas  erscheinen  f Sospirate  aurc  cclesti,  singt  bei  Caccini  ein  alt- 
modisch schöner  fünfstimmiger  Chor  als  Refrain  zu  den  Soli.  Non  vede  un 
simil  par  d’amanti  ’l  sole  singen  der  Pastore  del  coro,  die  Ninfa  del  coro, 
der  Chor  refrainiert  es  vierstimmig.  Die  Chöre  lehnen  sich  leicht  motivisch 
an  die  lyrischen  Phrasen  der  Soli  an,  die  sie  aufnehmen.  Der  wundervollste 
seiner  Art  ist  der  Chor  Odi  il  pianto  aus  Gaglianos  Dafne,  der  in  seiner  aus 
vier  und  zwei  Stimmen  abwechselnden  melancholischen  Schönheit,  als  Ri- 
tornell  nach  sehr  kantilenenhaften  Soli,  schärfer  im  Ohr  bleibt  als  irgend  ein 
Stück  altflorentiner  Opernmusik.  Hätte  ihn  seine  ausgeglichene  Feder  nicht 
schreiben  können  ? Wie  edel  und  ruhig  stehen  diese  Ritornellchöre  und  w'ie 
klingen  sie  rhythmisch  wieder  in  den  abwechselnden  Chor-  und  Solotänzen, 
in  denen  die  Oper  sich  zum  Schluß  monumentalisiert.  Aus  dem  Begriff 
der  Neutralität  des  Chors  ist  in  einem  lyrischen  Rezitativdrama  das  klassi- 
zistische Empfinden  Stil  geworden.  Ja,  Stil  — aber  doch  noch  wenig  Musik. 

Und  nun  lernt  er,  denke  ich  mir  gern,  den  Orpheus  von  Montcverdi 
kennen,  um  eine  Musik  zu  finden,  bei  der  er  die  Forderungen  des  klassischen 

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Stils  vor  den  Schönheiten  der  dramatischen  Leidenschaft  zu  vergessen  meint. 
Die  Partitur  zeigt  ihm  2 Klaviere,  2 Kontrabässe,  ioArmgeigen,  I Doppelharfe, 
2 kleine  französische  Violinen,  2 große  Gitarren,  2 Flötenorgcln,  3 Celli,  4 Po- 
saunen, 1 Zungen-Regal,  2 Zinken,  1 kleine  Flöte,  1 hohe  Trompete  mit 
drei  gedämpften  Trompeten  — war  das  alles  schon  da,  war  schon  eine  solche 
Partitur  da,  die  in  ihren  mystisch  tiefen  Farben  gleich  durch  das  Orchester 
dem  Drama  sein  Halbdunkel  gab  f Und  er  liest  die  merkwürdig  eigenen 
Symphonien,  die  Vor-  und  Zwischenspiele  des  Orchesters,  das  C-Dur-Trom- 
petenstück  zu  Beginn,  die  achtstimmige  moderne  Architektur  zum  Schluß 
des  fünften  Aktes,  er  erkennt  das  rhythmische  Genie  in  der  Freude  erster 
Entdeckungen,  das  Antizipieren  der  Harmonie  durch  melodische  Noten, 
den  Effekt  aller  Wiederholungen,  die  Ausbreitung  der  Kantilene  in  schönen 
Durchgängen  und  Brechungen  der  Akkorde,  mit  allen  Konsequenzen  der 
Dissonanz,  die  Stöße  der  Synkopen,  alles  Ausnutzen  der  verwandten  Töne 
in  der  Harmonie  mit  den  schönen  verhauchenden  Abfällen  in  die  Dominante 
und  Tonika,  das  Edle  und  Distingierte  der  Modulation,  die  Septimen  der 
gravi  sospici,  die  Kühnheit  der  freieren  Nonen,  die  Berauschungen  der  stei- 
genden Melodiephrase  und  den  Sieg  der  Wahrheit  im  Ausdruck.  Das  Wort 
Morto  auf  plötzlichem  A-Moll  nach  Gis-Moll  und  E-Moll,  darauf  Orpheus’ 
Oime  auf  D-Dur  — welche  Kraft  der  geschlossenen  Charakteristik  in  jenem 
Dialog  zwischen  Orpheus  und  der  Botin,  der  an  Gestalt  der  Linie  und 
Tonart  ganze  Opernjahrhunderte  vorauszunehmen  scheint  ? Und  lange 
hört  er,  gerade  er,  der  Gluck,  der  sich  mit  antikischen  Träumen  trägt, 
den  großen  Offenbarungen  dieses  ersten  musikdramatischen  Genies  zu: 
solchen  schönen  kleinen  Arien  mit  der  Dakapoahnung,  wie  Orpheus  am 
Anfang  des  zweiten  Akts,  seinen  reinen  melodischen  Phrasen  tu  se’  morta, 
addio  terra,  addio  cielo,  seinem  rendetemi  il  mio  ben,  das  er  auf  dem 
Boot  fahrend  in  die  Weite  singt,  und  von  allen  schönen  Chören  dem 
seltsamsten  Geisterchor,  murmelnde  Bewegungen,  ins  Bodenlose  gespenstisch, 
mittelalterlich  niedersinkend,  von  krächzenden  Instrumenten  begleitet.  Ein 
gewaltiges  Werk  ist  aus  mittelalterlicher  Farbe  von  einem  gestaltenden 
Genie  auf  die  Bühne  gestellt  worden,  und  Apollon  fährt  mit  Orpheus 
kolorierend,  duettierend  in  den  Himmel,  während  unten  eine  Moresca 
getanzt  wird. 

Die  Chöre  lassen  nach,  das  Drama  der  Solisten  beginnt,  das  Schaustück 
macht  sich  breit,  die  Singstimme  nimmt  die  Verse  immer  leichter,  die  Wir- 
kung immer  schwerer,  immer  mehr  setzt  sie  in  Pausen  aus,  die  das  Orchester 
füllt,  verhält  sich  zum  Ritornell  geschmeidiger,  trotzt  auf  ihrem  ganzen  Um- 
fang, formuliert  die  Kadenzen,  die  Dakapos,  alle  Schönheit  des  Vortrags, 

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alle  Gesetze  der  Isolierung  — Gluck  hat  die  ersten  Ahnungen  seines  Stils 
in  der  Geschichte  kennen  gelernt  und  sie  überwunden  gesehn,  die  Klassik 
durch  das  Genie,  die  Lyrik  durch  das  Drama:  wird  es  möglich  sein,  dies 
einst  so  zu  vereinen,  daß  antike  Stimmung  und  musikalische  Erfindung, 
lyrische  Hoheit  und  dramatisches  Leben  sich  durchdringen  ? Nehmen  wir 
Montevcrdis  Orfeo  ihm  wieder  aus  der  Hand,  sein  Glaube  könnte  irre  werden 
an  dieser  mittelalterlichen  Antike  im  Geiste  des  modernen  Genies.  Noch 
mußte  alles  auseinandergehn. 

Wo  ist  antiker  Geist  in  Monteverdis  Poppea,  dieser  unauflöslichen  In- 
trigengeschichte aus  der  Nerozeit  mit  ihren  Mischungen  von  Indolenz, 
Charakteristik,  Buffoepisodik,  Schlummerliedern,  Liebesrausch,  plötzlicher 
Dramatik,  feierlichem  Dreiklangedikt  und  Virtuosenkoloratur  ? Wo  in  Ca- 
vallis  leidenschaftlicher  Erotik  und  herzlichem  großen  Ausdruck,  in  der 
Gefühlsvirtuosität  seines  gesanglich  und  musikalisch  herausblühenden  Gia- 
sone  ? Instrumente,  Stimmen,  Ensembles  individualisieren  sich  und  das  mu- 
sikalische Drama  ringt  nach  seiner  Form  in  Tausenden  von  versunkenen  Wer- 
ken, die  den  Schutt  für  Glucks  Bau  bilden.  Die  Antike  wird  Name  der  Ver- 
gangenheit, das  Drama  Sehnsucht  der  Zukunft.  Die  römische  Oratorium- 
oper wird  noch  bei  Lebzeiten  vergessen,  die  virtuose  Neapler  Oper  erobert 
die  Welt,  weil  sie  so  unantik  wie  möglich  ist.  Nur  aus  Büchern  dringt  die 
Kunde  der  antikischen  Anfänge  zu  uns,  die  kühlen  Dramen  von  Florenz  mit 
ihren  bescheidenen  melodischen  Blüten  und  stilisierten  Chören,  über  die 
erst  alle  unantike  Musik  gegossen  werden  mußte,  damit  ihr  Geist  in  ewiger 
Form  auflebe.  Darauf  wartet  Gluck,  der  verwickelten  Differenzierung  dieses 
Prozesses  gänzlich  unkundig.  So  legt  er  den  Orfeo  Monteverdis  aus  der 
Hand,  ein  Zittern  im  Auge,  eine  merkwürdige  Bewegung  in  den  Fingern, 
wie  Zweifeln  und  Ahnen  und  Fürchten.  Ist  da  etwas  unwiederbringlich 
verloren  ? 


Die  alten  Franzosen 

LULLY  hatte,  wie  Mattheson  ihn  beschreibt,  kleine  Augen,  eine  große 
-v  Nase,  einen  großen  Mund,  erhabene  Lefzen  und  ein  kurzes,  schwaches 
Gesicht.  Er  war  ein  cholerischer  Herr,  der  die  Violinen  auf  dem  Buckel 
seiner  Orchestermitglieder  zerschlug,  um  diese  dann  feierlich  einzuladen. 
Seine  Energie,  die  die  Librettisten,  Sänger  und  Tänzer  bis  zu  der  letzten 
Kraftspannung  brachte,  machte  nur  vor  der  Kirche  Halt.  Wir  denken  ihn 
uns  als  einen  zielbewußtcn  Ehrgeizigen,  der  zum  erstenmal  erkannte,  wieviel 
französischer  Geist  in  der  Repräsentation,  Deklamation,  Schaufreude  und 

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Lully.  Stich  von  Roullct  nach  Mignard 


Tanzlust  der  Oper  geborgen  lag.  Nach  seinen  nicht  unbedeutenden  An- 
lagen und  dem  Geschmack  seiner  hohlen  Zeit  brachte  er  sic  so  heraus,  daß 
er  trotz  aller  Langweiligkeit  oder  vielleicht  gerade  deswegen  als  der  National- 
heros der  Pariser  Oper  an  den  Sternenhimmel  versetzt  wurde.  Die  pseudo- 
nyme lettre  de  Clement  Marot  von  1688  ist  eine  ebenso  witzige  wie  phan- 
tasievolle, satirische  Apotheose  dieses  seines  Ruhms,  ein  Zeitkulturbild,  wie 
cs  wenige  in  der  Geschichte  dieser  Literatur  gibt.  Lully  zieht  in  die  Champs- 
Elysees  vor  Proserpinas  Thron,  mit  seinen  Freunden  Orpheus,  dem  mythischen 
Ahnen,  und  Beaujoyeux,  dem  Intendanten  und  Komponisten  des  Ballet 
comique  de  la  reine,  der  ersten  unklaren  Ahnung  französischen  Tanz-  und 
Singspiels,  und  erst  recht  mit  seinen  Feinden  Perrin,  dem  Gründer  der  paten- 
tierten Akademie,  und  Carissimi,  Orlando  Lasso,  Moliere,  die  ihm  seine 
Sünden  Vorhalten.  Schließlich  marschieren  alle  nach  dem  Palast  des  Guten 
Geschmacks,  der  bei  Vorführung  einer  Lullyschcn  Schlafszene  aus  dem 
Atys  selbst  einschläft,  die  offenherzigste  Genugtuung,  die  ihm  werden 
konnte. 

In  Lullys  Opern,  die  bis  zu  Gluck  lebendig  blieben,  kleidet  sich  die  An- 
tike in  das  klassizistische  Gewand  des  Stils  Louis  XIV.,  nicht  nur  die  Antike, 
sondern  alle  Stoffe,  die  auf  eine  wenig  verschiedene  Art  nach  ihrem  Muster 
behandelt  werden:  mit  Prologen  im  Charakter  höfischer  Reverenzen,  mit 
einer  sprachlich  stolzen  und  reinlichen  Deklamation,  mit  allen  Verpflich- 
tungen steifer  Konventionen,  mit  den  Kreuzungen  der  Intrigen  und  dem 
höchsten  musikalischen  Pathos.  Die  üblichen  prächtigen  Dekorationen  wan- 
deln die  Sagenmotive  nach  ihrem  Effekt,  burschikose  komische  Elemente 
(die  Diener  Lynkas  und  Straton  in  der  Alceste)  sind  eine  seltene  Unter- 
brechung. Die  Schlachtmelodien  — aux  armes,  aux  armes  — , die  schon  die 
Venezianer  entzückt  hatten,  schmeicheln  den  Franzosen  in  typischer  Wieder- 
kehr. Die  in  alter  Weise  häufig  noch  überschüssige  Rhythmik  der  Takte,  die 
kontrapunktischcn  Zwischenspiele,  die  zahlreiche  Verwendung  diatonisch 
absteigender  Bässe  sind  dem  Ohr  von  Italien  her  gewohnt.  Ein  eigentümlich 
neues  Leben  regt  sich  in  Chören  und  Tänzen.  Die  Niederträchtigkeiten,  die 
den  balletthaftcn  Chor  des  „Hasses“  in  der  Armide  bilden,  die  Passacaglia  der 
Geister,  die  Renaud  bezaubern,  die  Schattenchöre  zu  der  berühmten  Cha- 
ronarie in  der  Alceste,  ebenda  die  Totenklage  mit  den  plötzlichen  naturali- 
stischen Einzelstimmen,  am  Schlüsse  dieser  Oper  die  besonders  schönen  alt- 
väterlichen Tänze  sind  viel  bewußtere  rhythmische  Wirkungen,  als  sie  Ita- 
lien je  kannte  und  liebte.  Hier  monumentalisiert  sich  die  Oper  auf  Gluck 
hin,  ohne  daß  die  musikalische  Dramatik  immer  darunter  leidet.  Die  Soloaric 
der  Armide  „vcncz,  hainc  implacable“  auf  ihrem  polonäsenartigen  Rhythmus 

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ist  von  reißender  Kraft.  Die 
Schlummerarie  Renauds,  in 
der  Wirkung  ja  nie  zu  ver- 
fehlen, ist  ein  sehr  weiches 
und  träumerisches  Stück.  Der 
Dialog  zwischen  dem  sterben- 
den Admet  und  der  weinen- 
den Alceste  ist  voller  Rüh- 
rung und  Charakter.  In  der 
„Isis“,  die  neben  den  berühm- 
testen Opern  „Armide“  und 
„Thesee“,  als  die  feinste 
„opera  des  musiciens“  ge- 
nossen wurde  (sie  behandelt 
die  Jo-Sage)  sind  in  den  rezi- 
tativischen  Dialogen  zwischen 
Jupiter  und  Juno,  und  Ju- 
piter und  Jo  bei  aller  schwim- 
menden Gestaltung  im  Detail 
große  Ausdruckswahrheiten, 
ein  Stil,  der  in  einer  merkwürdig  starken,  freien  Arie  des  Hierax  im  dri 
Akt  Form  gewinnt,  eine  Ahnung  der  späteren  leidenschaftlichen  Akk 
pagnati.  In  der  Isis  finden  wir  sehr  originelle  Schäferspielc,  in  einem  al 
tiimlichen  Moll,  mit  zwei  konzertierenden  Flöten,  die  auch  programmat 
als  Seufzer  der  Nymphen  verwendet  sind.  Die  Nymphen  singen  „N’ain. 
jamais“,  die  Satyrn  „Aimons  sans  cesse“.  Syrinx,  der  Liebe  zu  entflieh 
stürzt  sich  ins  Wasser  und  wird  in  Schilf  verwandelt,  auf  dem  die  Sat 
flöten.  Diese  „Klage  der  Syrinx“  ist  ein  holdes  Intermezzo  der  Jo-O| 
die  durch  alle  Dekorationen  und  Himmelsstriche  führt  — bis  in  die  gr< 
Kälte  bei  den  Skythen  im  vierten  Akt,  wo  die  Furie  die  arme  Jo  quält  un 
Chören  der  Einwohner,  die  vor  Frost  in  gestoßenen  vier  Achteln  zittc 
Ist  Lully,  der  geborene  Italiener,  der  Italiens  Tradition  dem  Klii 
von  Frankreich  anpaßte,  der  Gründer  des  Versailles  der  Oper,  so  ist  Rame 
Trianon.  Dort  die  abgezirkelte  Größe  und  Macht,  die  Energie  des  Intellek 
hier  die  erfinderische  Menschlichkeit,  das  musikalische  Genie.  Ramea 
Opern,  Hippolyte,  Castor,  Dardanus,  Indes  galantes,  Zoroastre,  an  dem 
sich  offensichtlich  Glucks  Anschauung  bildete,  sind  uns  heute  noch  eil 
Quelle  musikalischer  Genüsse,  im  Ausdruck  und  im  Stil.  Das  Charakterg 
fühl  dieses  hageren,  schweigsamen  Menschen  ist  durchgebildet  bis  in  d 

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Ouvertüren,  in  alles  Motivische,  in  die  Dramatik  der  Harmonien,  die  er  — 
ihr  theoretischer  Begründer  — mit  intuitiver  Praxis,  kühn,  bewußt,  dehnend 
und  straffend,  vorbereitend  und  verblüffend,  aber  immer  in  geordnetem 
Bau  verwendet.  Im  Zoroastrc  (1749),  der  den  Sieg  des  Strahlenden  über  das 
Dämonische  schildert,  ist  es  schön,  wie  die  Sonne  in  reinen  wallenden  G-Dur- 
akkorden  erscheint,  Violinen,  Oboen  und  Flöten,  woraus  sich  dann  Marsch 
und  Hochzeitstanz  entwickelt.  Aus  Zoroastres  Palast  brechen  die  Feuer  in 
breitem  E-Dur,  wie  die  Unterweltsdonner  sich  in  verminderten  Septimen 
malen.  Dieser  große  Kolorist  versteht  die  Wirkungen  starker  gebrochener 
Akkorde  und  schleichender,  rollender  Skalen  gegeneinanderzusetzen,  die  zu 
Motiven  des  Zoroastre  und  des  Abramane  werden,  er  malt  in  jeder  Beglei- 
tung. Seine  deklamatorische  Phrase  ist  fester,  gesanglicher,  dimensionaler 
als  diejenige  Lullys.  Die  Arie,  in  aller  klassischen  Keuschheit,  bindet  die 
Forderungen  freien  rezitativischen  Ausdrucks  mehr  an  die  Formen  des  ver- 
pflichtenden Dakapo.  Die  G-Mollarie  des  Abramane  im  vierten  Akt  des 
Zoroastrc,  die  Arie  des  Pollux  im  Castor  und  Pollux  (1737)  „Ah  laisse  moi 
percer  jusqu’aux  sombres  bords“,  Jupiters  heroische  Ansprache  „Et  la  beaute 
fait  les  deesses“,  am  Schlüsse  dieses  Werks  in  einem  fast  Wagnerschen  Helden- 
ton, sind  geschlossene  Gesänge  von  durchdringender  Dramatik.  Seine  Chor- 
und  Tanzstimmungen  erreichen  das  Ideal  dieses  pathetischen  Stils.  Das 
Unterweltsbild  des  vierten  Aktes  Zoroastre  ist  ein  grandioses  Gemälde  dämo- 
nischer Ensembles,  die  Trauerszene  im  Castor  in  ihrer  gedämpften  geheimnis- 
vollen Lyrik  ist  vor  der  Schwelle  des  Gluckschen  Orpheus.  Die  Tanzlieder 
der  glücklichen  Schatten,  mild  und  einfach  gegen  Glucks  selige  Gefilde,  sind 
von  einer  lieblichen,  erfindungsfrohen  Melodik.  Losgelöst  von  den  vergesse- 
nen Opern  leben  Ramcaus  Tänze  heut  noch  fort,  die  feinsten  Blüten  eines 
archaischen  Stils,  der  in  seinem  herben  Wohllaut  und  in  seinem  pathetischen 
Melos  die  rhythmische  Linie  der  klassischen  Kunst  in  einer  rührenden  Schön- 
heit unserm  inneren  Auge  bewahrt  hat. 

In  den  Chefs  d’oeuvre  classiques  de  l’opera  framjais,  die  Weckerlin  heraus- 
gab, finden  sich  die  wichtigsten  Opern  dieser  Epoche  von  Beaujoyeux  bis 
Sacchini  in  Neudruck  mit  gehaltvollen  Einleitungen.  Sie  geben  das  groß- 
artige, organisierte  Bild  einer  nationalen  Entwickelung,  deren  Texte  ebenso 
im  Alexandriner  gebunden  waren,  wie  ihre  Musik  im  stolzen  Schritt  höfischer 
Erziehung  ging.  Persönlichkeiten  der  Musiker  sind  Nuancen,  die  rhythmische 
Macht  des  Ensembles  und  Tanzes  ist  die  klassische  Note.  Ich  möchte  wenig- 
stens noch  auf  ein  späteres  Werk  der  französischen  Schule  hier  hinweisen,  das 
nicht  ohne  die  straffe  Erziehung  der  Buffoüberlieferung  entstanden  wäre,  die 
sehr  bald  dem  höfischen  Einfluß  die  Wage  hielt.  Philidors  Ernelinde  ist  ein 

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Aufführung  in  Ver*aille#  1745.  Alter  Stich 


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ausgezeichnetes  Stück  (1767/77),  weil  es  nicht  mehr  rein  pariserisch  ist  und 
doch  ohne  die  Atmosphäre  dieser  nationalen  Musikdramatik  nicht  zu  denken 
wäre.  Kaum  klassisch  zu  nennen,  trifft  cs  doch  die  Mitte  zwischen  Dekla- 
mation und  Rhythmik,  die  für  die  Gestaltung  der  endgültigen  Form  frucht- 
bar werden  sollte,  die  Mitte  zwischen  dramatischem  Sinn  und  der  Disziplin 
des  Taktes,  die  Italien  indessen,  die  besonders  die  Buffooper  ausgebildet 
hatte.  Die  italienisch  gemessene  Arie,  die  mesuree,  tritt  in  die  Oper  ein, 
gegen  Rameaus  noch  altgewohnt  psalmodierende,  taktwechselnde  Deklama- 
tion von  einer  stupenden  melodischen  Knappheit,  die  Rezitative  parlando 
mit  präzisen  Harmonien,  die  Lieder  von  gesehener  und  doch  beweglicher 
Schönheit,  merkwürdige  Männerenscmbles  als  Schwurchöre,  spielende  Duette, 
Finales  von  Händelscher  Schlagkraft,  seelenvolle  Soli  und  Instrumente,  Kon- 
traste langgedehnter  Gefangenenchöre  mit  reißenden  Arien  (eine  Situation 
wie  Aida  mit  Ahnungen  des  Florcstan),  eine  Meisterarbeit  in  der  Stimmfüh- 
rung, Partitur  und  musikalischen  Gebundenheit  — einzig  vielleicht  auf 
Kosten  des  Wortes.  Ein  Buffokomponist,  Schachspieler,  Weltmann  befreit 
in  diesem  außergewöhnlichen  Werk  die  französische  Deklamation  ihres 
klassizistischen  Pathos  und  gibt  dem  Gesänge  die  Kraft  und  Baulichkeit,  die 
die  Tänze  seiner  Heimat  längst  besaßen.  Seine  Ernelinde  hatte  den  typischen 
Mißerfolg  der  Premiere.  Man  begreift,  daß  Cesar  Frank  sich  dafür  interes- 
sierte, die  Herausgabe  des  Neudrucks  zu  übernehmen. 


Neapel 

FRANKREICH  gibt  die  Atmosphäre,  Italien  den  Boden,  dort  gedeiht 
das  Monumental-Dramatische,  hier  das  Musikalisch-Dramatische.  Es 
ist,  als  ob  ein  Jahrhundert  mit  allen  Kräften  in  allen  Ländern  arbeite,  um 
die  Blüte  Glucks  hervorzubringen  — der  große  Mann  ist  immer  ein  persön- 
liches Genieprodukt  aus  den  Mischungen  des  Zeitstroms.  Gewiß  scheint 
die  Neapler  Oper  sehr  unklassisch,  von  allen  Zielen  antikischer  Renaissance 
weit  entfernt  — aber  Renaissance,  Hochrenaissance,  um  im  Sinne  der  Ge- 
schichte bildender  Künste  zu  sprechen,  ist  sic  doch  darin,  daß  sic  das  Maß 
und  den  Rahmen  der  klassischen  Oper  schafft.  Renaissance  heißt  Rahmen. 
Die  Abgrenzung  der  Soli-  und  Ensembleformen  ist  bewußte  Arbeit  für  den 
formalen  Schluß  und  Rahmen  des  musikalisch  dahinfließenden  Dramas.  Die 
ersten  plastischen  Akkompagnati  bei  Vinci,  die  vokale  Tektonik  bei  Scarlatti 
und  Fco,  die  die  Stimmen  kanonisch  eintreten  läßt,  um  sie  homophon  weiter 
zu  bewegen,  die  sorgsame  Faktur  Leos  und  seine  strenge  Bedachtsamkeit 

HO 


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in  gutem  Satz,  die  konzertierenden  Instrumente, 
die  sich  bald  in  die  Selbständigkeit  von  Mittel- 
stimmen (zunächst  den  zweiten  Violinen)  über- 
tragen, die  absichtliche  Dynamik,  zunächst  in 
scharfen  Absätzen  der  Stärkegrade,  dann  (in 
Jommellis  Artaserse  frühestens  beobachtet)  als 
richtiges  schwellendes  Orchesterkreszendo,  alle 
routinierte  Zunahme  der  kleinen  Ensembles 
und  die  Gestaltung  des  Finale,  die  Dakapo- 
ausbildung der  Arie  und  gleichzeitig  die  rczita- 
tivische  Erhöhung  der  Deklamation  bis  in  ein 
Akkompagnato,  dem  gar  keine  Arie  mehr  folgt 
— das  sind  verschiedene  Wege  zu  der  einen  not- 
wendigen Individualisation  und  Spezifikation 
des  Tonkörpers,  die  eine  klare  und  übersicht- 
liche Einteilung  geben  will,  nicht  anders  wie  ein 
Bau  Palladios  oder  ein  Bild  der  Bologneser  Aka- 
demie : und  zwar  rein  auf  das  Musikalische  ge- 
dacht, auch  in  der  Musik  individualisiert  gegen 
die  übrigen  Künste.  Vielleicht  war  es  ein  gefährlicher  Prozeß,  aber  er  war 
organisch  und  fruchtbar.  Das  Begleitsame,  Phantastische,  Malerische  bleibt 
zuerst  im  Rückhalt.  Es  beschränkt  sich  auf  die  beliebten  Glcichnisarien,  in 
denen  ein  wirksames  Motiv  vergleichender  Stimmung  aus  dem  Naturleben 
durchgeführt  wird.  Es  verdichtet  sich  in  typischen  Ausdrucksgenres,  wie  den 
Ombraszenen,  in  denen  ein  visionärer  Geist  zitiert  wird,  oder  den  Lamento- 
szenen, die  seit  der  prachtvollen  Dannatomonodie  Gaglianos  mit  ihren 
alten  Koloraturschleppen  und  Harmoniewolken  oder  der  tiefmelancholischen 
Ariadneklage  Monteverdis,  dem  einzigen  Rest  seiner  verlorenen  Oper,  eine 
der  dankbarsten  musikalischen  Situationen  gewesen  sind. 


Händel 

IM  Kampf  ums  Dasein  der  Oper  gibt  es,  ausgehend  von  den  keuschen 
Anfängen  des  Neapler  Stils,  noch  eine  außer  der  französischen  und  ita- 
lienischen Art  dritte  Gattung  von  musikalischer  Sprache,  die  wir  polyphon 
nennen  und  als  deutsch  bezeichnen  könnten.  Es  w'ird  sich  zeigen,  daß  sie  mit 
dei  Zeit  abfällt,  weil  sie  den  Extremen  der  Pariser  Augenmusik  und  Neapler 
Ohrenmusik  nicht  standhalten  kann.  Wir  finden  sie,  rein  oder  gemischt,  in 

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einer  Gruppe  von  Komponisten,  wie  Hasse,  Kciser,  Händel,  denen  sich  ge- 
wisse Italiener  wie  Bononcini  anschließen.  Sie  ist  gänzlich  unopernhaft  und 
von  einer  Monumentalität,  die  nicht  auf  der  Bühne,  sondern  in  der  Kirche 
oder  im  Saal  gewachsen  ist.  Gut  gearbeitete  gleichmäßige  Stücke  ohne  be- 
sondere dramatische  Akzente,  stark  kolorierte  Arien,  eine  instrumentale  Be- 
handlung der  Stimme,  Chöre  wie  ein  gesungenes,  polyphones  Orchester,  in 
einem  höchst  achtbaren  Schema,  reich  und  beweglich,  aber  in  Ausdruck, 
Nuance  und  Takt  theoretisch  konzertierend,  eine  solche  Oper  kann  wohl 
in  diesem  und  jenem  glücklichen  Einfall  die  Wirkung  absolut  musikalischer 
Kraft  ausüben,  aber  sie  kann  nichts  darstellcn  als  ein  Surrogat  des  Oratoriums 
auf  der  Bühne.  Gleichviel  war  auch  sie  eine  Zeitlang  nötig  zur  Schule  des 
guten,  ja  gelehrten  Satzes.  Daß  wir  von  Hasses  solider  Musique  ecrite  heut 
noch  unmittelbare  Wirkungen  verspüren,  darf  nicht  behauptet  werden. 
Lesen  wir  Keisers  Ottavia  mit  ihrem  deutschen  amüsanten  Text  (ein  blödes 
Chasser  croise  von  Paaren,  zu  dem  Seneca  sagt:  O Eitelkeit),  in  den  italie- 
nische Koloraturarien  eingestreut  sind,  so  kommen  wir  aus  der  Stillosigkeit 
nicht  heraus:  die  leichten  Rezitative  und  die  beladenen  Arien,  Ottavias 
grandioser  Selbstmord  und  die  komische  Totengräberszene,  falsch  betonte 
Senecalieder  und  ein  verblüffender  Aufruhr  während  des  Tanzes,  Neros 
Flucht  unter  Koloraturen  und  die  Flöten-  und  Violinenombraszene  der 
Oktavia  — hier  fehlt  in  Hamburg  etwas  zwischen  Neapel  und  der  Spieß- 
bürgerei, cs  fehlt  die  große  künstlerische  Reinigung.  Händel  vollzieht  sie 
zweifellos.  Handels  zahlreiche  Opern  sind  im  Repertoire  verschwunden,  ihre 
musikalische  Genialität  konnte  sie  nicht  vor  dem  Schicksal  retten,  das  im 
Konzertsaal  dankbar,  auf  der  Bühne  unbarmherzig  ist.  Ihr  Unterschied  von 
seinen  Oratorien  ist  verschwindend.  Sie  entwickeln  sich  in  demselben  fresko- 
haften, plastischen,  emotionellen  Stil,  der  auf  alle  seine  Nachfolger  den  musi- 
kalisch stärksten  Einfluß  gehabt  hat,  aber  sie  sind  nicht  von  der  Bühne  ge- 
boren. So  italienisch  sie  sich  geben  wollen,  sie  haben  das  abstrakte  Naturell 
des  Deutschen,  das  das  Drama  nicht  genug  liebt,  um  ihm  die  Musik  anzu- 
vertrauen, und  die  Musik  zu  sehr,  um  ihren  sinnlichen  Freuden  alles  zu  opfern. 
Es  gibt  überraschend  viel  Szenen  aus  seinen  Opern,  die  im  Lichte  göttlicher 
Eingebung  strahlen,  monumentale  Rezitative,  Malereien  des  Orchesters, 
plötzliche  harmonische  Wendungen,  scharfe  unbegleitete  Rufe,  rührende 
Lamentos,  geniale  melodische  und  rhythmische  Einfälle,  grandiose  Schlacht- 
lieder, idyllische  Tänze,  archaische  Anmut,  polyphone  Sehnsüchte,  schlagende 
Rachearien,  fliegende  Flammen,  blühende  Gleichnisse  — aber  es  sind  nur 
Szenen,  die  im  Gedächtnis  bleiben,  nicht  Dramen.  Woran  erinnern  wir  uns  ? 
Das  synkopisch  begleitete  Liebesduett  aus  dem  „Otto“,  das  graziöse  Liebes- 

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Neapel  1749.  Aufführung  de*  „Sogno  di  Olympia“,  Text  von  Calsabigi,  Musik  von  Giuseppe  di  Map 
Fünftes  Blatt  der  „Narrazione  dellc  solenne  feste  reale“ 


duett  aus  dem  „Rinaldo“,  die  Arie  der  „Alcina“  am  ersten  Aktschluß  in 
den  strengen  Dominantenwendungen,  die  Gluck  und  Beethoven  vorbereiten, 
die  gefühlvolle  langsame  E-Durarie  Ruggieros  ebendaher,  die  Almirenaklage 
aus  Rinaldo,  das  leidenschaftliche  Trinklied  aus  dem  Xerxes  — hier  war 
eine  Kraft  der  Gestaltung,  eine  Vielseitigkeit  des  Ausdrucks,  die  nach  außen 
so  viel  umfaßte,  als  Bach  nach  innen.  Die  Rezitative  des  Jcphtha,  die  rei- 
zend naiven  Arien  der  Susanna,  das  Himmelsduett  der  Semele,  die  schleierige 
Gefängnisklage  der  Theodora,  das  spannungsweite  Belsazargebet  — es  ist 
keine  musikalische  Grenze  zwischen  den  Gesängen  seiner  Opern  und  Orato- 
rien, starke  und  lichte  Gesänge,  die  man  zu  einem  Kranz  ohnegleichen 
vereinigt,  abgepflückte  Blumen,  nach  ihren  Spezies  geordnet,  in  den  sechs 
Händelbänden  der  Victorie  Gervinus  findet.  Dies  ist  ihr  Ende. 


Vergleiche 

DAS  europäische  Interesse  verweilte  nicht  lange  bei  diesen  Abzweigungen 
Neapels  in  den  Norden  hinein.  Hasse  war  gefeiert  und  international. 
Keiser  blieb  zwischen  den  Klimaten  stecken.  Händel  wurde  unsterblich 
außerhalb  der  Bühne.  Europa  wendete  sich  den  schnell  bereiten  und  nach- 
haltigen Genüssen  der  späteren  Neapolitaner  zu,  deren  Opern  es  verglich  und 
zu  einem  letzten  leidenschaftlichen  Wettbewerb  aufrief.  „Es  gehört  mehr 
warmer,  zarter  Sinn,  scharfer  Verstand,  Kunst  und  Erfahrung  dazu,  eine 
Armida  vonjommclli  zu  machen,  als  diese  und  jene  Schlacht  zu  gewinnen,  wo 
oft  das  Glück  entscheidet.“  Man  einigt  sich,  daß  alle  Armidakomponisten, 
Gluck,  Jommelli,  Sacchini,  Traetta,  Salieri,  Righini  die  Armida  besser  treffen 
als  den  Rinaldo.  Man  spricht  von  der  schönen  Altarie  in  der  Olimpiade 
Jommellis,  die  seine  Geliebte,  die  Buonani  singt.  Wieviel  hat  Traetta  der 
Gabrieli  zu  verdanken  ? Seine  Ombraarie  aus  der  Antigone  hat  sie  berühmt 
gemacht.  Das  Interesse  für  die  Oper  und  für  die  Sänger  ist  nicht  zu  trennen. 
Man  vergleicht  die  Dido-Opern.  Bei  Jommelli  ist  Aeneas  ein  Chevalier 
d’industrie  und  Dido  verlobt  sich  mit  dem  Narren  Jarbas,  um  ihn  eifersüch- 
tig zu  machen.  Bei  Piccini  verzeiht  sie  ihm  noch  auf  dem  Scheiterhaufen.  Die 
Dido-Arie  „Qu’ils  portent  le  fer“  mit  den  Oktavenrucken  auf  veränderter 
Harmonie  sei  eine  der  schönsten  aller  Musik.  Traettas  Dido  sei  wenig, 
Fuxens  kindisch.  Ein  blühendes,  heiteres,  junges  Talent  ist  Majo,  von  dem 
man  viel  erhofft.  Das  Publikum  zieht  seine  taurische  Iphigenie  der  Jom- 
mellischen  vor.  .Traettas  Iphigenie  sei  voller  Bravour  und  Glucks  gebe  dem 
Publikum  nach  — wer  spricht  so?  Es  sind  Gedanken,  die  durch  Heinses 

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Hildegardroman  fliegen,  wie  man  immer  mehr  erkennen  wird,  ohne  jedes 
tiefe  Urteil,  aber  ein  Echo  der  plaudernden  Zeit,  die  die  Namen  Glucks, 
Jommellis,  Piccinis,  Sacchinis,  Majos,  Traettas  im  Munde  führt,  beliebte  Arien 
wie  Galuppis  „se  per  me“,  Sacchinis  „se  cerca,  se  dice“,  Piccinis  „se  il  ciel“ 
gegeneinander  setzt,  wie  Preise  eines  musikalischen  Rennens.  Florimo,  der 
erste  Historiker  von  Neapels  Oper,  definiert  es  so:  Piccini  original  fruchtbar, 
Sacchini  fröhlich  leicht,  Paesiello  lebendig  neu,  Cafaro  harmonisch  gelehrt, 
Galuppi  bühnenerfahren.  Gluck  eine  filosofia  economica.  All  dies  Geplauder 
ist  Unterhaltung  italienischer  Logen. 

Soweit  man  es  übersehen  kann,  hebt  sich  Jommelli  als  interessanter  Typ 
heraus,  mit  dem  uns  Aberts  Monographie  sehr  vertraut  gemacht  hat.  Meta- 
stasios  Operntexte,  in  der  geschraubten  Manier  höfischen  Stils,  reich  an  Fi- 
guren und  Intrigen,  voll  pathetischer  Szenen  und  F.rgüsse,  beherrschen  die 
Zeit.  Jommelli  stellt  sich  zu  ihnen  bald  kritisch.  Er  komponiert  sie  auf  ihre 
Wesentlichkeit,  auf  die  psychologischen  Momente.  Aristokratische  Wiener 
Kreise  um  den  Grafen  Durazzo  schüren  die  Gegnerschaft.  Man  liebt  unter 
französischem  Einfluß  das  Orchester  und  den  Chor  gegen  den  Neapler  Solo- 
gesang. Jommelli  gibt  sich  diesem  Einfluß  zeitweise  hin,  es  ist  ein  Vorspiel 
der  Gluckschen  Tat.  Als  er  nach  Stuttgart  kommt,  wird  es  Methode.  Das 
große  Akkompagnato,  die  Malereien  des  Orchesters  nach  dem  Muster  der 
feinen  Mannheimer  Partitur,  Refrainrundgesänge,  alle  Chöre  und  Ensembles, 
bis  zum  Quintett,  sind  die  Merkmale  seiner  Stuttgarter  Opern.  Gleichzeitig 
wirkt  dort  Noverres  Einfluß  auf  die  Tänze,  des  dramatischen  Reformators 
französischer  Ballette.  Aus  guten  deutschen  Satzkünsten,  aus  französischen 
Tanz-  und  Chorstücken,  aus  italienischer  Erinnerung  bildet  sich  ein  Produkt, 
das  nur  des  genialen  Musikers  bedarf,  um  Leben  zu  werden.  Gespenstische 
Unisonochöre,  Athletenchörc,  Chöre  in  die  Ouvertüre  herein,  die  freien  dra- 
matischen Formen  der  Oper  Fctonte,  die  furiose  Leidenschaft  tu  me  da  me 
dividi,  barbaro,  die  tiefe  Klage  se  cerca,  se  dice  l’amico  dov’e  (aus  der  Olim- 
piade):  hier  ist  ein  Italiener  so  intensiv  und  stark  geworden,  daß  Mozart  ihm 
seine  Gelehrsamkeit  vorwarf!  Novcrrc  und  Jommelli  am  Stuttgarter  Hofe: 
es  hätte  wirklich  werden  können.  Die  Bedingungen  waren  da.  Aber  sie 
vertrugen  sich  noch  nicht.  Denn  dieser  Stuttgarter  Hof  war  eine  Hölle  von 
Frivolität  und  Leichtsinn,  ein  luxuriöser  Markt  für  Ankauf  und  Verkauf  von 
Menschen. 

Um  Glucks  endliche  Tat  liegen  gute  und  schöne  Werke,  die  die  Zeit 
gewaltig  interessierten,  aber  heut  nur  noch  das  Studium  der  Gelehrten  bil- 
den, die  „Vorläufer“  suchen.  Tractta,  der  Reformator  im  Kleinen,  ist  ver- 
sunken. In  Sacchinis  Ocdipe  bewundern  wir  mozartisch  holde  Chöre  und 

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Arien,  gefühlvolle  Liebesszenen, 
einige  hinreißende  Steigerungen, 
einen  knappen  und  edlen  Satz, 
dessen  sich  Gluck  nicht  hätte  zu 
schämen  brauchen.  Aus  Piccinis 
Dido  und  Roland  erinnern  wir  uns 
mancher  zarten  Regung  und  reizen- 
den pastoralen  Erfindung,  seine 
Iphigenie  beginnen  wir  durchzu- 
sehen, aber  — was  ist  es,  das  uns 
immer  wieder  mit  einem  kalten 
historischen  Luftzug  ins  Gesicht 
weht  ? Wir  vergleichen  es  mit 
Gluck  und  finden  es  schwächer. 

Wir  legen  alle  Notizen  mit  den 
melodischsten  Noten  und  anmu- 
tigsten Arientexten,  alle  augen- 
blicklichen Bewunderungsausrufe, 
die  uns  das  Studium  entlockte, 
unverwcrtet  beiseite,  um  uns  die 
breite  Ruhe  im  Hafen  Glucks 
nicht  zu  stören.  Wir  wollen  verstehen,  wie  die  Geschichte  recht  gehabt 
hat,  aus  allen  diesen  klassizistischen  Versuchen,  die  wir  nicht  ungerührt 
wieder  verlassen,  den  einen  als  Reifen  uns  zu  bewahren,  der  sie  tilgt,  indem 
er  sie  ersetzt. 


Jommelli.  Zeichnung  von  Ghezzi  1731 


Gluck 

ES  ist,  als  ob  die  Götter  der  Klassik  Glucks  Leben  so  geführt  hätten,  daß 
die  Bedingungen  seiner  Mission  sich  möglichst  vollkommen  erfüllten. 
Um  ihn  nicht  zu  französisch  und  nicht  zu  italienisch  werden  zu  lassen  gibt 
ihm  das  Schicksal  seine  Heimat  in  Mittelfranken,  nahe  dem  musizierenden 
Böhmen:  2.  Juli  1714  zu  Weidenzwang.  Ein  natürliches  musikalisches 

Talent  macht  sich  bemerkbar,  das  in  der  Zukunft  nicht  unnötig  verbildet 
wird.  Sein  Vater  ist  Förster  beim  Lobkowitz,  und  er  selbst  spielt  in  den  Dör- 
fern zum  Tanze  auf,  oft  genug  mit  Eiern  bezahlt.  Dies  ist  eine  hübsche,  klein- 
deutsche Jugend,  die  man  sich  seit  den  ersten  Kapiteln  von  Marx’  ausführ- 
licher (etwas  kindergärtnerischer)  Biographie  in  Gedanken  mehr  als  einmal 
ausgemalt  hat.  Jetzt  kommt  der  lombardische  Fürst  Melzi  auf  eine  Soiree  zu 

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Lobkowitz,  bemerkt  den  22  jährigen  Christoph  Willibald  und  gibt  ihn  nach 
Mailand  zur  Ausbildung.  1741  erscheint  die  erste  Oper  dieses  Spätgereiften, 
der  fortan  in  seinem  ganzen  Leben  nur  einmal  für  die  Kirche  schrieb.  Die 
Opern,  konventionellen  italienischen  Stils,  womit  die  Neapler  Sphäre  er- 
ledigt wird,  machen  ihn  berühmt  genug,  daß  er  für  London  aufgefordert 
wird.  Mit  einem  eigenen  Pasticcio  aus  früheren  Opern  fällt  er  durch,  aber 
er  hat  die  Musik  Händcls  dort  in  sich  aufgenommen,  dessen  Bild  später  über 
seinem  Bett  hing.  Die  dritte  Beimischung  vollzieht  sich  in  Paris:  er  sieht 
Rameaus  Opern,  der  erst  mit  fünfzig  Jahren  sich  der  Bühne  zugewendet  hat, 
in  letzter  Reife.  Vor  den  Trauer-  und  Dämonenchören  des  Castor  und  Pol- 
lux müssen  in  seiner  Seele  sich  die  ersten  Ahnungen  des  Orpheus  vollzogen 
haben.  Von  1750  an  wohnt  er  in  Wien,  von  54 — 64  Hofkapellmeister,  vom 
Papste  zum  Ritter  ernannt.  Das  Neapolitanische,  das  Pariserische,  das  macht- 
voll Deutsche  und  Polyphone  beginnen  sich  in  seinem  einfachen  und  musi- 
kantenhaften  Gemüt  zu  einer  neuen  Einheit  zu  finden,  für  die  Wien  der  vor- 
bereitende, Paris  der  fruchttragende  Boden  wird.  Dies  ist  eine  ausgezeichnete 
Fuge  der  Vorsehung. 

In  Wien  wachsen  seine  Opern  langsam  an  musikalischem  Gehalt  und 
monumentaler  Größe.  Schon  die  Semiramis,  schrecklich  verworren  im  In- 
halt, hatte  Stellen  von  Händelscher  Schwungkraft.  Die  Innocenza  giustifi- 
cata,  aus  Operntextstücken  Metastasios  zusammcngestcllt,  eine  Vestalin- 
geschichte, neigt  zur  Verinnerlichung.  Allerlei  Werke  des  Hofdienstes,  deren 
Namen  vergessen  werden  sollen,  deren  Noten  er  oft  in  spätere  Arbeiten 
rettete,  bleiben  Parerga.  Wichtig  werden  die  Beziehungen  zum  französischen 
Singspiel.  Auf  Anraten  Favarts,  der  seine  gute  französische  Deklamation  in 
einem  schmeichelhaften  Briefe  an  den  Wiener  Direktor  Durazzo  rühmt, 
komponiert  er  teilweise  oder  ganz  eine  Reihe  von  kleinen,  feinen,  graziösen 
Buffonerien,  aus  denen  für  unsere  Jahre  (in  neuen  Bearbeitungen)  der  „be- 
trogene Kadi“  und  die  „Maienkönigin“  übrigblieben,  Zeichen  eines  plötz- 
lich sehr  beweglichen  Naturells.  Eine  neue  Ader  war  entdeckt.  Dies  Stück 
der  Erziehung  auf  knappe  melodische  Form  hatte  noch  gefehlt.  Jetzt  war 
die  Zeit  ganz  in  ihn  aufgenommen  und  der  Reformationsgedanke  war  reif. 
Tira  sangue,  sagt  er. 

Raniero  de  Calsabigi,  Rat  bei  der  niederländischen  Rechnungskammer  in 
Wien,  Herausgeber  des  Metastasio,  den  er  zuerst  anschwärmt,  um  sich  dann 
zu  der  herberen  Art  Alfieris  zu  entwickeln,  ein  literarisch  fein  gebildeter  und 
zärtlich  empfindender  Mann,  dichtet  ihm  den  Orpheus,  dessen  Einfachheit 
und  Großzügigkeit  das  intelligente  Produkt  ihrer  beider  Wünsche  ist.  Calsa- 
bigi, wie  uns  der  Vergleich  seiner  Schriften  durch  Heinrich  Welti  (Viertel- 

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jahrsschrift  1891)  gezeigt  hat,  ist  in  seiner  dichterischen  Prätention  und  ge- 
samtkünstlerischen Begeisterung  nicht  immer  sehr  klar  gewesen.  Er  brauchte 
Gluck  zu  seiner  Erschließung,  wie  dieser  ihn  zur  Festigung.  Beide  gaben  sich 
einander.  Der  Dichter  warf  die  verzwickte  Intrige  seiner  Zeit  aus  dem 
Drama  heraus,  der  Musiker,  angefüllt  mit  routinierten  Konventionen  der- 
selben Epoche,  sehnte  sich,  auf  dieser  ruhigen  Grundlage  die  Erfindung  seiner 
Phantasie  blühen  zu  lassen.  Dieser  Drang  nach  musikalisch  erhebender 
Sprache  ist  das  Wesentliche.  Er  setzte  die  Kräfte  in  Bewegung.  Er  sprach 
das  Stichwort  der  Revolution  aus.  Hätte  Gluck  diese  Offenbarung  nicht  in 
sich  gefühlt,  ihm  hätten  zehn  lyrische  Dramatiker  nicht  helfen  können. 

Der  Orpheus  wird  1762  in  Wien  aufgeführt,  die  Alceste  1767,  „Paris 
und  Helena“  1770,  alle  von  Calsabigi  gedichtet,  in  einer  musikalischen  Ent- 
wickelung, die  uns  gesondert  interessieren  wird.  Allerlei  Metastasio-Opern 
in  der  altgewohnten  Form  liegen  dazwischen:  dies  ist  wohl  zu  beachten. 

Einst  hatte  Gluck  am  eigenen  Leibe  eine  kleine  Intrigen-  und  Liebes- 
oper  erfahren,  die  sich  in  seinem  Leben  gut  ausnimmt.  Er  liebte  die  Tochter 
des  reichen  Wiener  Wechslers  Pergin,  ohne  die  Zustimmung  des  Vaters  zur 
Heirat  erhalten  zu  können.  In  dieser  Zeit  folgt  er  einem  Ruf  nach  Rom,  er 
reist  dahin  in  einer  Kapuzinerkuttc.  Dort  wird  sein  Telemacco  gemacht, 
eine  wüste  Entstellung  der  Circesage,  wo  Telemach,  der  seine  Mutter  tot 
glaubt,  sich  in  eine  gewisse  Asteria  verliebt,  den  Vater  bei  der  göttlichen 
Zauberin  findet  — Gluck  rettete  auch  aus  dieser  Musik  manches  in  spätere 
Opern.  Immerhin  starb  der  alte  Pergin  indessen,  und  er  heiratete.  Kinder 
waren  ihm  nicht  beschert.  Er  nahm  eine  singende  Nichte  in  sein  Haus,  die 
ihn  mit  seiner  Frau  auf  Reisen  begleitete.  Marianne  hatte  eine  feine,  kleine 
Stimme  und  wir  lesen  von  den  Studien,  die  er  in  seiner  behaglichen  Häus- 
ichkeit  mit  ihr  machte,  wobei  Tracttas  Opern  eine  nicht  unbedeutende 
Rolle  spielten. 

Sein  Einzug  in  Paris,  24  Jahre  später,  gestaltet  sich  anders.  Le  Blanc  du 
Roullet,  Attache  der  französischen  Gesandtschaft  in  Wien,  bearbeitet  ihm 
Racines  aulische  Iphigenie,  die  nach  langen  Verhandlungen  endlich  in  Paris, 
französisch,  1774  auf  der  Großen  Oper  ihre  weltbewegende  Premiere  erlebt. 
Gluck  ist  sechzig  Jahre.  Der  Wert  seiner  Musik  wird  vor  Europa  verhandelt. 
In  bitteren  Kämpfen  literarischer  und  persönlicher  Art  siegt  er  noch  bei  Leb- 
zeiten über  alle  Zweifel.  Er  bearbeitet  einige  Singspiele,  gallisiert  Orpheus 
und  Alceste,  schreibt  die  Armidc  (1777)  und  die  Taurische  Iphigenie  (1779), 
alles  für  die  Pariser  Bühne,  auf  der  der  deutsche  Meister  eine  ungewohnte 
Zucht  einführt.  An  diesem  Orte,  dessen  Herrschaft  über  alle  Kolonien 
der  Oper  ausging,  hatte  sich  das  Resultat  seines  sich  wundervoll  steigernden 

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Lebens  vollzogen.  Er  kehrte  dann  endgültig  in  die  Altersruhe  von  Wien 
zurück,  wo  er  1787  starb:  man  erzählt,  an  einem  verbotenen  Likör,  wie  man 
von  Lully  erzählte,  daß  er  an  einer  Verletzung  beim  Taktschlagen  starb. 
Die  gemeine  Geschichte  braucht  solche  ironischen  Genugtuungen.  Seine 
Büste  von  Houdon,  aus  der  man  seine  Güte  im  Leben,  seinen  Ernst  im  Amte, 
seine  geistige  Helläugigkeit,  seine  melodische  Grazie  herauslescn  kann,  wurde 
neben  Rameau  in  der  Pariser  Oper  aufgestellt,  mit  der  Inschrift:  Musas 
praeposuit  Sirenis. 

Das  Praeposuit  ist  richtig,  denn  man  kann  ehrlicherweise  nur  sagen,  daß 
er  die  Musen  den  Sirenen  vorzog,  nicht  daß  er  die  Sirenen  vertrieb  oder 
haßte.  Gluck  war  kein  Märtyrer,  er  war  Kind  genug  des  18.  Jahrhunderts, 
um  in  dieser  Mischung  von  System,  Zweifel,  Genuß  und  Grazie  der  Logik 
eine  Haltung  zu  bewahren,  die  dem  Weltmann  nichts  nahm.  Wir  können 
ihn  uns  schwer  in  dem  schweigsamen  Ernst  vorstellen,  den  ihm  E.  T.  A. 
Hoffmann  in  seinen  Phantasiestücken  gespenstisch  andichtete.  Er  war  zu 
klug  dazu.  Er  schrieb,  während  der  Jahre  seiner  reformatorischen  Tätigkeit, 
Ballette  und  Fcstopcrn  für  den  Hof,  der  ihn  bezahlte,  und  er  nutzte  das  große 
Einzelhonorar,  das  ihm  die  Pariser  Oper  anbot,  nach  Kräften  in  Bearbeitung 
älterer  Stücke  aus.  Er  legte  sein  Geld  gut  an,  war  Spekulationen  nicht  ab- 
geneigt und  hinterließ  an  600000  Franken.  Wir  sind  nach  den  Beispielen  spä- 
terer Zeiten  nur  zu  leicht  geneigt,  uns  starre  Typen  zu  konstruieren  von  hei- 
ligen deutschen  ernsten  Männern,  die  aus  Idealismus  jede  Lebenschance  vor- 
beilassen, und  wieder  von  gewinnsüchtigen  Opportunisten,  die  ihre  Über- 
zeugung für  den  geringsten  Vorteil  verkaufen.  Gluck  ist  zweifellos  Idealist, 
aber  es  hindert  ihn  nicht,  auch  Opportunist  zu  sein,  ja  es  läßt  sich  schwer 
sagen,  wie  weit  seine  Reformation  nicht  den  Stachel  des  Erfolges  in  sich  trug 
und  seine  Dienstfertigkeit  nicht  seinem  Ideale  auf  den  Weg  half.  Es  werden 
Gespräche  überliefert,  in  denen  er  sich  zum  Gelderwerb  als  offenem  Ziele 
bekennt.  Sie  mögen  parteiisch  verzerrt,  einseitig  aufgegriffen  sein  — doch 
denke  ich  mir  Gluck  sehr  wohl  in  heiterer  Unterhaltung  recht  praktisch  und 
smart  genug,  seinem  Jahrhundert  keine  Unehre  zu  machen.  Ich  sage:  er 
war  kein  Märtyrer,  denn  was  er  erlitten  hat,  ist  wenig  gegen  das,  was  er  in 
der  Fülle  der  Kraft  erreichte.  Die  Zielbewußtheit  macht  aus  seinem  Leben, 
das  ein  Kunstwerk  der  Vorsehung  war,  auch  ein  inneres  Kunstwerk. 

Alles  Sirenenhafte,  Dienstfertige,  Gelegentliche,  Zeitgemäße  ist  aus  den 
zahllosen  Opern,  die  er  geschrieben,  in  die  Vergessenheit  gesunken.  Heut 
lebt  er  in  den  Reformopern,  auf  die  hin  sich  schließlich  sein  Leben  gipfelte, 
Orpheus,  Alceste,  Paris  und  Helena,  Armide  und  die  beiden  Iphigenien. 
Eine  höfliche  Schonung,  sagte  A.  W.  Schlegel  von  den  Opern  Metastasios, 

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liegt  bei  ihnen  in  allem,  in  der  Behandlung  der  Leidenschaften  wie  des 
Unglücks  und  der  Verbrechen,  cs  ist  eine  Beobachtung  der  Schicklichkeit 
und  eine  scheinbare  Sittsamkeit,  denn  die  Wollust  wird  in  diesen  Schau- 
spielen nur  eingeatmet,  nicht  genannt,  und  es  ist  immer  nur  vom  Herzen 
die  Rede.  Die  Giftbecher  werden  immer  zur  gehörigen  Zeit  von  den  Lippen 
weggestoßen,  Dolche  entfallen  den  Händen  oder  werden  ihnen  entrungen. 
Die  Scheu  vor  dem  Lächerlichen,  dieses  Gewissen  aller  Dichter,  die  für  die 
schöne  Welt  schreiben,  ist  sehr  sichtbar  in  der  Vermeidung  aller  nicht  schon 
hergebrachten  Kühnheiten,  in  der  Enthaltung  vom  Übernatürlichen,  weil 
solch  ein  Publikum  selbst  zu  der  bunten  Schaubühne  der  Oper  keinen  Wun- 
derglauben mitbringt.  Das  sagt  der  Romantiker  von  dem  steifsten  Typus 
der  klassizistischen  Oper,  der  in  seiner  höfischen  Kultur  und  gemessenen  Zu- 
rückhaltung das  Gegenteil  seiner  eigenen  Wünsche  darstellt.  Man  zitiert 
diesen  Ausspruch  oft,  um  die  Unmöglichkeit  der  Texte  des  weltberühmten 
Metastasio  durch  eine  literarische  Autorität  zu  beweisen.  Und  doch  beweist 
er  nur  die  Unmöglichkeit  des  Romantikers,  sich  in  die  klassizistische  Welt  zu 
versenken.  Gluck  und  seine  Dichter  haben  nicht  in  einem  einzigen  dieser 
Punkte  den  Einfluß  Metastasios  überwunden,  sie  haben  nur  die  Anschauung, 
die  aus  diesem  Drama  spricht,  von  ihrer  sentenziösen  Gespreiztheit  gereinigt 
und  auf  das  Wesentliche  und  Musikalisch-Dankbare  gebracht,  viel  klarer,  als 
der  Musikdilettant  Metastasio  es  sich  eingebildet  hatte.  Es  ist  die  Anschau- 
ung, die  die  Welt  der  alten  Sagen  als  einen  ruhigen  Spiegel  menschlicher  Lei- 
denschaft in  einen  abgestimmten  Rahmen  faßt  und  die  nur  aller  Kreuz- 
und  Querzüge,  aller  französisch-pikanten  Intrigen  und  Nebenmotive  ent- 
kleidet zu  werden  braucht,  um  ihr  Pathos  als  eine  dankbare  und  breite  Stim- 
mung der  Musik  zur  Vertiefung  darzubieten.  Schlegels  Worte  sind  die  Kritik 
der  romantischen  Oper  an  der  klassischen.  Glucks  Reformen  sind  die  Kritik 
der  zeitlosen  Schönheit  an  der  zeitgebundenen,  innerhalb  des  Klassizismus. 
Dies  wird  gut  einander  entgegenzuhalten  sein. 

Wenn  Gluck  zu  sagen  pflegte,  er  vergesse,  daß  er  Musiker  sei,  so  war  das 
eine  verzeihliche  Koketterie,  selbst  wenn  man  an  die  Deklamation  seines 
Textes  denkt,  die  sich  so  wenig  wie  bei  Caccini,  Monteverdi  oder  Rameau 
scheut,  die  musikalische  Schönheit  zu  achten  — höchstens  hat  ihn  Lullys 
trockene  Strenge  darin  übertroffen.  Er  wußte  selbst,  daß  wahr  deklamieren 
noch  nicht  heißt,  unschön  deklamieren.  Daß  er  die  Zcrfleischung  der  Poesie, 
die  dem  Italiener  in  seiner  Koloratur  geläufig  war,  nicht  mitmachte,  ist  selbst- 
verständlich. Im  übrigen  war  er  Musiker  genug,  der  reizvollen  Wendung  des 
Gesanges  alles  zu  geben,  was  sie  verlangte,  und  das  Versschema,  besonders 
des  gänzlich  unmusikalischen  Alexandriners  mit  seinen  gejagten  Reimen, 

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nicht  über  das  Maß  zu  achten.  Seine  gereinigte  Vorstellung  des  neuen  ly- 
rischen Musikdramas  setzte  er  zunächst  im  Orpheus  als  Tat  hin.  Dann 
schrieb  er  zur  Alcestc  und  zum  Paris  je  eine  berühmt  gewordene  Vorrede,  in 
der  er  die  Prinzipien  der  Wahrheit  und  Einfachheit  nicht  anders  ausdrückte, 
als  es  jeder  Reformator  getan  hat.  Er  wendet  sich  gegen  die  blühenden 
Schilderungen,  die  unnützen  Bilder,  die  kalten  und  wortreichen  Sitten- 
sprüchc  der  konventionellen  Texte,  die  Forderungen  der  Sängereitelkeit. 
„Ich  suchte  demnach  die  Musik  zu  ihrer  eigentlichen  Bestimmung  zurück- 
zuführen, nämlich  die  Dichtung  zu  unterstützen,  um  den  Ausdruck  der  Ge- 
fühle zu  verstärken  und  die  Handlung  in  ihren  verschiedenen  Entwicklungs- 
phasen verständlicher  zu  machen,  ohne  sie  durch  unnütze  Verzierungen  des 
Gesanges  zu  unterbrechen.“  Er  meint,  die  Musik  verhalte  sich  zum  Drama 
wie  die  Farbe  und  Schattierung  zur  Zeichnung  (eine  falsche  Bescheidenheit 
im  Sinne  der  gebildeten  Ästhetik  seiner  Zeit)  und  denkt,  er  habe  nie  mehr 
Farbe  gegeben,  als  es  die  Zeichnung  verlange  (welcher  große  Maler  hält  sich 
für  einen  sparsamen  Austuscher  fremder  Zeichnungen  ?).  Er  will  ein  maß- 
volles Orchester,  keine  unnötigen  Zwischenspiele,  vor  allem  die  bella  sem- 
plicitä.  Welche  entzückten  Verwirrungen  sehen  wir  hier  in  der  Seele  eines 
klassizistisch  gestimmten  Musikers!  Er  beruft  sich  auf  die  Logik  des  gesun- 
den Menschenverstandes  und  lebt  durch  die  Größe  seiner  Phantasie.  Er  ge- 
riert  sich  als  Diener  des  Zeichners  und  hat  alle  diese  Zeichnungen  nur  durch 
die  Gewalt  seiner  Farbe  gerettet.  Es  lebt  in  ihm  das  Winckelmannsche  Ideal 
einer  edlen  und  stillen  Einfalt,  aber  nicht  in  der  Plastik,  die  darin  beruhen 
mag,  sondern  Musik  ist  in  ihm,  die  aus  einer  tiefen,  fließenden  Empfindung 
den  Worten  ihre  Landschaft  gibt.  Nein,  seine  Farbe  ist  Zeichnung,  sein 
Text  Papier,  seine  Einfachheit  Naturell,  seine  Größe  die  musikalische  Erfin- 
dung. In  der  Vorrede  zum  Paris  setzt  er  die  Charaktertypen  seiner  Opern 
und  der  Szenen  in  den  Opern  gegeneinander  und  flucht  den  Barbaren,  die 
ihn  nicht  verstehen.  Er  hätte  daran  merken  können,  daß  seine  Reform  nicht 
eine  Sache  der  Logik  war,  sondern  der  Kraft,  der  Größe,  der  Stilreinheit, 
der  Tiefe,  die  immer  die  Wahrheit  ist  gegen  die  Fläche. 

Also  sind  auch  diese  Vorreden  nur  Beruhigungen  eines  Gewissens,  das 
sich  staunend  vor  einem  Gebilde  der  eigenen  Intuition  entdeckt  und  den 
Wahrheitsbeweis  antreten  möchte,  weil  es  die  Gründe  des  Instinkts  miß- 
achtet sieht.  Aber  keine  Vorrede  hätte  ihm  durchgesetzt,  was  die  Kraft  sei- 
ner Musik  tat.  Das  Bild  der  reinen  Klassizität,  durch  eine  starke  und  stilvolle 
Musik  aus  den  Netzen  der  Zeitlichkeit  gehoben,  verdrängte  eine  Weile  leicht- 
sinniges Italienertum,  um  als  letztes  reifes  Produkt  einer  langen,  vielfältigen 
Entwickelung  in  unserem  Besitz  zu  bleiben.  Der  Kampf  geht  weniger  gegen 

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eine  künstlerische  Rich- 
tung, als  gegen  das  kon- 
servative Beharren  in  einer 
Welt,  die  sich  mit  Frivo- 
lität schützte.  Als  Roullet 
Glucks  Iphigenie  in  Paris 
anbringen  will,  schreibt  er 
einen  sehr  geschickten  Brief 
an  den  Direktor  der  Aca- 
demie  royale,  in  dem  er 
Wien  gar  nicht  als  den 
Triumphplatz  Glucks  er- 
wähnt, sondern  nur  seine 
Aufführungen  in  Italien 
nennt,  und  andererseits 
den  französischen  Text  des 
verbesserten  Racine  in  sei- 
ner Sprachwahrheit  gegen- 
über den  Verführungen  der 
italienischen  Vokale  lobt. 

Direktor  Dauvergne  läßt 
den  Brief,  der  an  den  Pariser  Nationalstolz  appelliert,  im  „Mercurc“ 
drucken,  und  Gluck  antwortet  ebenda,  indem  er  das  antike  Ideal  anruft 
und  für  die  Internationalität  der  Oper  plädiert.  Der  Direktor  hatte 
recht:  er  meinte,  nur  wenn  Gluck  ihm  gleich  sechs  solche  Opern  schriebe, 
könne  er  diese  nehmen,  denn  sie  schlüge  alles.  Trotz  dieses  literarischen  Vor- 
spiels kam  die  Annahme  der  Iphigenie  erst  zustande,  als  sich  seine  einstige 
Schülerin  Marie  Antoinette  (die  es  mit  allen  gut  hielt)  cinsctzte.  Das  war 
das  rechte  Vorspiel  für  die  Pariser  Diskussionen.  Sie  waren  literarischer 
Natur  oder  persönliche  Intrige.  Da  die  Feinde  seiner  Größe  eine  Maske 
brauchten,  liehen  sie  sich  die  italienische. 


Englische  Karikatur  Handels 


Das  Milieu  von  Paris 

SEIT  Lullys  strengem  Regiment  hatte  die  Pariser  Oper  nicht  solche  Tage 
der  Zucht  gesehen  wie  vor  der  Premiere  von  Glucks  aulischcr  Iphi- 
genie. Was  Lully  aus  Herrschergefühl  erreichte,  versuchte  Gluck  aus  ange- 
borenem deutschen  Ernst,  der  — wie  man  das  Leben  leicht  als  Spiel  nahm  — 

I 2 I 


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das  Spiel  wiederum  nur  als  Disziplin  verstand.  Hier  bildet  sich  der  persön- 
liche Gegensatz  einer  frivolen  und  eingebildeten  Truppe  und  eines  strengen 
und  sachlichen  Meisters.  Larrivee  ist  auf  der  Probe  ein  mäßiger  Agamemnon. 
„Warten  Sie  auf  mein  Kostüm,“  sagt  er  zu  Gluck,  „Sie  werden  mich  nicht 
wiedererkennen.“  Als  er  im  Kostüm  singt,  ruft  ihm  Gluck  zu:  „Larrivee, 
Larrivee,  ich  erkenne  Sie!“  Vestris,  der  berühmte  Tänzer,  will  sich  nicht 
dreinreden  lassen  — er  wird  „der  Gott  des  Tanzes“  genannt.  Gluck  sagt 
zu  ihm:  „Tanzen  Sic  im  Himmel,  wenn  Sie  der  Gott  des  Tanzes  sind,  nicht 
in  meiner  Oper.“  Bei  der  Umarbeitung  des  Orpheus,  in  der  die  Altrolle  für 
Tenor  umgeschrieben  wird,  verlangt  Legros  seine  besondere  Arie.  L’espoir 
renait  dans  mon  äme  wird  ihm  zugestanden,  aber  diese  Bravourarie  ist  aus 
dem  Tankred  von  Bertoni  und  Gluck  gibt  unbegreiflicherweise  seine  Sanktion. 

Der  typische  Gegensatz  des  sachlichen  Meisters  und  der  Primadonna  von 
einer  Frivolität,  die  ebenso  biologisch  entzückend  war,  wie  sie  tatsächlich 
recht  schwierig  wurde,  stellt  sich  im  Verhältnis  Glucks  zu  seiner  Iphigenie 
dar,  der  berühmten  Sophie  Arnould,  mit  der  er  die  heftigsten  Szenen  hatte. 
Ich  möchte  ihr  Bildchen  mitten  in  diese  Erzählung  von  den  Schicksalen  und 
Werken  des  großen  deutschen  Klassizisten  einsetzen,  nachdem  die  Goncourts 
ihr  Leben  in  einem  Bande  voll  süßer  Frechheiten,  dokumentarischer  Notizen 
und  großer  Einsicht  in  die  Kultur  und  das  Dasein  beschrieben  haben.  Denn  so 
wie  wir  es  aus  diesen  Briefen,  Aufzeichnungen  und  Räsonnements  kennen 
lernen,  ist  es  das  wahre  Widerspiel  zu  Glucks  Leben,  und  es  ist  eine  der  wun- 
dervollsten närrischen  Weisheiten  des  Theaters,  daß  in  der  Kreierung  der 
Iphigenie  diese  beiden  Lebenslinien  Zusammentreffen  sollten. 

Die  Arnould  ist  in  dem  Zimmer  geboren,  in  dem  Coligny  ermordet 
wurde.  Ihre  Amme  ist  eine  Ziege.  Durch  eine  zufällige  Vertretung  kommt 
sie  dazu,  zu  singen,  mit  einem  durchschlagenden  Erfolg,  daß  sich  die  Lec- 
zinska  und  die  Pompadour  in  einer  unbarmherzigen  Rivalität  um  sie  streiten. 
Sie  heiratet  früh,  ohne  dadurch  sich  gehindert  zu  fühlen,  mit  anderen 
Männern  zu  leben.  Ihre  Galerie  reicht  vom  Prinzen  bis  zum  Friseur  — ah 
c’etait  le  beau  temps,  j’etais  bien  malhcureuse.  „Die  Natur  hatte,“  schreibt 
sie  über  sich  selbst,  „den  musikalischen  Geschmack  unterstützt  mit  einer 
Stimme,  die  recht  angenehm,  zwar  nicht  groß,  aber  sonor  war,  ohne  indessen 
ersten  Ranges  zu  sein,  sie  war  rein  und  timbriert,  mit  schöner  Aussprache, 
ohne  jeden  Fehler  außer  einem  kleinen  Anstoßen  der  Zunge,  das  aber  nicht 
schlimm  war,  so  daß  man  auch  in  den  größten  Räumen  nichts  vom  Gesang 
verlor.“  Also  ihre  Stimme  ist  nicht  groß,  nicht  bedeutend,  aber  sie  ist  be- 
seelt von  einem  Atem,  für  den  Galiani  Phrasen  der  Bewunderung  hat,  und 
von  einem  sentimentalen  Ausdruck,  der  einem  Gesicht  entspricht,  wie  es  im 

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Geschmack  der  Zeit  La  Tour  malte:  mit  schön  zusammengchenden  Augen- 
brauen, glänzenden  Augen,  die  zu  beten  scheinen,  gen  Himmel  gewendet, 
mit  einem  entzückenden  Oval,  das  ein  leises  Leiden  zu  verhüllen  scheint, 
den  Mund  halbgeöffnet,  daß  auf  ihm  eine  letzte  Bitte  oder  ein  letztes  Lä- 
cheln erstirbt.  Sie  singt  die  Rollen,  deren  Titel  und  Kostüme  man  bei  den 
Goncourts  nachlesen  kann,  sie  wechselt  die  Liebhaber,  deren  Romane  man 
dort  findet.  Unter  den  Parteien  der  lesbischen  Nuancen  huldigt  sie  der  rein- 
sten Form,  deren  Messen  am  Donnerstag  in  ihrem  Hotel  gelesen  werden. 
An  den  Dienstagen  empfängt  sie  Literatur  und  Kunst.  Rousseau,  Garrick, 
Sedaine,  der  Prince  de  Ligne,  Dorat,  d’Alembert,  Duclos,  Diderot,  Helvetius, 
Marmontel,  Beaumarchais,  Voltaire  haben  ihren  Salon  beehrt.  Sie  ist  ebenso 
gebildet  wie  witzig,  wie  lügnerisch.  In  den  Jahren,  da  sie  sich  zurückzieht, 
gießt  sie  ihre  zärtliche  Seele  in  Briefe,  die  nach  dem  Tempo  ihrer  Epoche 
aus  wehmütigen  Klagen,  schwärmerischen  Erinnerungen  und  scharfen  Be- 
obachtungen sich  mischen.  Sie  schreibt  an  ihren  Jugendverführer  Laura- 
guais,  an  den  Baumeister  ihres  Hauses,  Beianger,  an  alle  alten  Freunde,  die 
den  Triumph  ihres  Körpers  und  ihres  Gesanges  erlebten.  Es  geht  ihr  nicht 
mehr  gut,  ihre  Honorare  waren  nie  sonderlich  gewesen,  ihre  Ausgaben  sind 
unökonomisch,  die  falsche  Rührseligkeit  eines  billigen  Landlebens  tröstet  sie 
nur  scheinbar.  Sie  ist  einsam  gestorben.  Aus  dem  Denkmal,  das  ihr  die 
Goncourts  setzten,  löse  ich  unter  den  Briefen  eine  reizend  ungebildete  Im- 
provisation ab,  die  ich  als  Zeugnis  späterer  Jahre  hier  einfüge.  Sie  schreibt 
am  21.  Januar  1800  an  den  Minister  des  Inneren,  Lucien  Bonaparte: 

„Citoyen  ministre.  Ich  nenne  mich  Sophie  Arnould,  vielleicht  kennen  Sie 
mich  noch  nicht,  aber  einst  war  ich  sehr  bekannt  am  Theätre  des  Dieux.  Je 
chantais,  ne  vous  deplaise.  Doch  ich  möchte  Ihnen  nicht  die  Zeit  rauben, 
Sie  nicht  mit  einer  langen  Vorrede  ennuyieren,  um  Ihnen  meine  26  Un- 
glücksfälle zu  schildern.  Ich  hatte  mir  schon  erlaubt,  meine  Klage  dem 
Ersten  Konsul  einzureichen,  aber  ich  höre  eben,  daß  er  sie  nur  durch  Sie 
aufnehmen  will,  und  so  habe  ich  mir  gesagt : Sei  zufrieden,  Sophie,  geh  , das 

ist  ein  Familienherz,  erzähl  ihm  deine  Aussichten seit  meinen  jungen 

Jahren,  ohne  irgendwie  anders  dafür  bestimmt  zu  sein  als  durch  den  Zufall, 
der  so  viele  Dinge  beherrscht,  zwanzig  Jahre  meines  Lebens  sind  dem  Theätre 
des  Arts  gewidmet  gewesen,  wo  einige  natürliche  Anlagen,  eine  sorgfältige 
Erziehung,  alles  gepflegt,  gefördert  von  Ratschlägen  der  Leute  von  Ge- 
schmack, Gelehrten,  Künstler,  kurz  mit  Recht  berühmter  Leute:  so  viel  an 
mir  lag,  hatte  ich  als  Empfehlung  ein  glückliches  Naturell,  große  Jugend, 
Lebhaftigkeit,  Seele,  schlechten  Kopf  und  gutes  Herz  — unter  solchem  Stern 

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war  ich  recht  glücklich,  das  Ziel  meines  Lebens  zu  erreichen  und  eine  gewisse 
Berühmtheit,  Vermögen  und  eine  große  Anzahl  von  Freunden  zu  erwerben. 
Ach,  heute  ist  alles  umgekehrt.  Was  die  Berühmtheit  anbelangt,  mein  Name 
wird  noch  mit  etwas  Ehrfurcht  genannt  als  Psyche,  Thelaire,  Iphigenie,  Egle, 
Pomone,  kurz  am  Theätre  des  Arts  — und  die  Freunde,  ich  kann  sagen,  ich 
habe  sic  so  gut  gehalten,  daß  nur  der  Tod  mir  einige  nahm  oder  das  Beil 
der  Dezemvirn  — dieses  tückische  materielle  Schicksal  allein,  ohne  Sinn  und 
Verstand,  hat  mir  sein  Wort  nicht  gehalten,  und  unter  welchen  Umständen! 
Da  ich  zu  alt  bin  für  die  Liebe,  und  zu  jung  für  den  Tod.  Sehen  Sie,  citoyen 
ministre,  wie  sehr  grausam  ist  es,  nach  so  viel  Glück  in  eine  so  elende  Lage 
zu  kommen,  und  nachdem  man  so  viel  Flammen  entzündet,  heut  nichts  zu 
haben,  womit  man  ein  Scheit  im  Kamin  anzünde,  denn  die  Wahrheit  ist, 
seitdem  mich  die  Nation  hochgehoben  hat,  daß  ich  mich  nicht  niederlegen 
kann  und  nichts  zu  beißen  habe  — ich  will  keine  Reichtümer,  gewiß  nicht, 
aber  nur  das  Nötige,  um  mein  Leben  zu  vollenden  und  kein  böses  Alter  zu 
haben;  ich  habe  große  Lasten,  weil  ich  in  den  guten  Zeiten  meines  Lebens 
die  Armen  aus  der  Familie  unterstützte,  das  mußte  sein,  meine  Armut  aber 
gibt  ihnen  keinen  Reichtum  wieder.  Also,  citoyen  ministre,  ich  bitte  Sie, 
helfen  Sie  mir,  setzen  Sie  mir  die  Unterstützung  fort,  die  mir  mein  Freund 
Francois  de  Neufchateau,  als  er  Minister  war,  besorgte  — ich  schulde  diese 
Wohltat  seinem  Herzen.  Im  Unterstützungsetat,  den  er  anderen  Künstlern 
gab,  war  ich  mit  200  Franken  monatlich  registriert,  bitte  setzen  Sie  das  fort; 
und  ich  hätte  Sie  noch  um  eine  Gnade  zu  bitten,  deren  Bewilligung  meinen 
alten  Kameraden  — es  ist  eine  Benefizvorstellung  für  mich,  aber  wenn  es 
wahr  ist,  wie  man  mir  sagt,  daß  ich  eine  Hauptrolle  dann  übernehmen  müßte, 
mich  verkleiden  als  Thelaire,  Iphigenie  etc.  — o,  das  ist  unmöglich!  Das 
würde  mich  so  lächerlich  machen,  wie  die  alte  Mme.  Turcaret  , En  Venus, 
ma  chere,  en  Venus!1  Also,  citoyen  ministre,  ich  erwarte  von  Ihnen  alles, 
was  ich  beanspruchen  darf,  alles,  was  das  Unglück  erwartet  von  einer  guten 
und  zärtlichen  Seele,  wie  die  Ihre,  Sie  sind  zu  jung,  um  mich  zu  kennen, 
aber  viele  Ihrer  Freunde,  Gelehrte,  Literaten,  Künstler  aus  Ihrem  Kreise 
machten  einst  meine  Gesellschaft;  sie  werden  Ihnen  sagen,  wer  das  ist,  diese 
Sophie  — aber  welche  Vorzüge  sie  mir  auch  geben  werden,  sie  werden  Ihnen 
zu  wenig  sagen,  wenn  sie  nicht  die  Empfindung  der  Bewunderung,  der  Liebe, 
der  tiefen  Achtung  schildern,  von  der  ich  durchdrungen  bin  für  mein  Vater- 
land, unsere  Gesetze  und  Ihre  Tugenden.  Sophie  Arnould.“ 

Gluck  hatte  einmal  bei  der  Arnould  für  die  Alceste  probiert.  Ihr  Lieb- 
haber, der  Prince  d Henin  tritt  plötzlich  ein  und  benimmt  sich  ärgerlich 

124 


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gegen  die  Musik  Glucks. 

Der  beachtet  ihn  nicht. 

Der  Prinz : „Es  scheint  mir 
Sitte  in  Frankreich,  daß 
man  aufsteht,  wenn  ein 
Mann  von  Nameneintritt.“ 

Gluck : „In  Deutschland 
steht  man  vor  niemandem 
auf,  den  man  nicht  achtet. 

Fräulein  Arnould,  wenn 
Sie  nicht  Herrin  in  Ihrem 
Hause  sind,  gehe  ich  und 
komme  nicht  wieder.“  Er 
ging  und  gab  Rosalie  Le- 
vasseur  die  Alceste.  Epi- 
gramme hagelten  herüber 
und  hinüber.  Die  Alceste 
fiel  zunächst  durch.  Jemand 
rief : „Die  Alceste  ist  gefal- 
len.“ „Ja,  vom  Himmel,“ 
antwortete  Gluck.  Viel- 
leicht war  Sophie  die  in- 
trigante Teufelin  gewesen. 

In  diesem  Milieu  stand 
er.  Das  Publikum  folgte  ihm  langsam,  und  die  Szenen,  da  Offiziere  vor  lauter 
Begeisterung  bei  einer  Achillarie  die  Degen  ziehen,  gehörten  nicht  zur  Regel. 
Seine  Kraft  bildete  Parteien  und  die  Parteien  mißverstanden  ihn  beide,  seine 
Feinde,  indem  sic  ihn  gegen  Italien  ausspieltcn,  seine  Freunde,  indem  sie  ihn 
als  Nachfolger  Lullys  und  Rameaus  priesen,  während  er  in  Wahrheit  die 
Synthese  Italiens  und  Frankreichs  war.  Hat  er  sich  nicht  selbst  mißver- 
standen? Er  schreibt  vor  der  Armidc  an  Roullet,  daß  deren  Musik  anders 
sei  als  Alceste,  er  habe  angestrebt,  mehr  Dichter  und  Maler  als  Musiker  zu 
sein,  habe  jeder  Person  ihre  Sprache  gegeben  — der  Brief  ist  die  Fortsetzung 
jener  Vorreden,  in  denen  er  seine  Musik  zurückdrängte,  weil  er  sie  recht- 
fertigen  zu  müssen  glaubte.  Er  ist  immer  mehr  Musiker  als  Dicht^  und 
Maler  gewesen.  „Ich  habe  die  Musik  schon  so  eingerichtet,  daß  sie  nicht  so 
leicht  veralten  wird.“  Eingerichtet! 

Das  gesamte  Material  an  Schriften  und  Briefen,  das  sich  auf  den  Streit 
um  Gluck  bezieht,  sammelte  Leblond  1781  unter  dem  Namen  Memoires 

125 


Mrtastatio.  Stich  von  Succhi  nach  de  Maitcns 


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pour  scrvir  ä l’histoire  de  la  revolution  operee  dans  la  musique  par  Monsieur 
le  Chevalier  Gluck.  Siegtjieyer  gab  es  1821  deutsch  heraus.  Es  ist  ein  heute 
recht  veraltetes  unendliches  Gerede  über  den  Wert  oder  Unwert  Glucks 
(„Agamemnon  und  Achill  können  nicht  gleichzeitig  reden  — aber  sie  reden 
ja  nicht,  sie  singen !“),  aus  dem  als  bedeutendste  Äußerung  der  Brief  Arnauds 
an  den  gelehrten  und  wohlwollenden  Padre  Martini  vom  2.  Dezember  1777 
hervorragt.  Arnaud  und  Suard  sind  die  ersten  Parteigänger  Glucks,  Mar- 
montel,  Guingcne  und  Laharpc  die  Führer  der  Gegner.  Marmontel  war  für 
Piccini  interessiert,  mit  dem  er  seine  Texte  genau  so  ernst  durcharbeitet,  wie 
Gluck  die  seinen  mit  seinen  Dichtern.  Piccini  war  von  Laborde  (Kammer- 
diener Ludwig  XV.,  Generalpächter,  Musikhistoriker,  stirbt  unter  der  Guil- 
lotine) nach  Paris  berufen  und  kam,  ohne  zu  wissen  wie,  in  den  Strudel  der 
literarischen  Kämpfe  um  die  Zukunftsoper.  Die  gluckfeindlichen  Literaten 
erheben  ihn  auf  den  Schild.  Die  Parteien  der  Gluckisten  und  Piccinisten 
werden  künstlich  geschürt.  Es  gilt  für  unanständig,  neutral  zu  sein.  Die 
Schriftsteller  ergötzen  sich  in  Szenen,  da  man  die  Wache  holt,  weil  ein  Herr 
in  der  Oper  seine  Farbe  nicht  bekennen  will.  Sie  werfen  sich  Beleidigungen 
über  die  Logen  zu.  In  einem  Heftchen  Suite  des  entretiens  sur  l’etat  actuel 
de  l’opera  de  Paris  1779,  dem  gemeinsten  der  Pamphlete,  lesen  wir  von  Gluck, 
das  sei  ein  Genre,  das  sich  von  der  guten  Musik  entfernt  und  mit  seinen 
Schreien,  Klagen  und  Bewegungen  nur  auf  ein  Volk  wirkt,  das  nichts  Besseres 
will.  Piccini  übertreibe  niemals.  Melodiendiebstahl  wird  Gluck  massenhaft 
vorgeworfen  und  belegt.  Schließlich  sei  alles  Gute  an  ihm  doch  italienisch. 
Die  italienfreundlichcn  Enzyklopädisten  sind  ihm  außer  d’Alcmbcrt  nicht 
abgeneigt.  Rousseau,  der  Lully  entgöttert  hatte,  bekehrt  sich  zu  ihm:  „Ich 
finde,  der  Gesang  dringt  ihm  aus  allen  Poren.“  Grimm  beschreibt  die  ge- 
waltige Wendung,  die  die  Iphigenie  hervorgerufen,  in  journalistischer 
Hitze.  Es  war  viel  Journalismus  und  Dilettantismus  in  diesem  Streit,  aber 
so  falsch  eingestellt  er  war,  er  half  schließlich  durch  die  Beflissenheit  der 
Freunde  und  die  Niedrigkeit  der  Feinde  dem  deutschen  Meister.  Er  hat  uns 
nur  einen  Verlust  gebracht:  den  Roland  von  Gluck.  Der  Roland  war 
ihm  in  Paris  in  Auftrag  gegeben  worden,  da  hört  er  in  Wien,  daß  man  Pic- 
cini mit  demselben  Stoff  beehrt  habe  — eine  Wut  überkommt  ihn  und  er 
zerreißt  die  Skizzen.  Die  Piccinisten  waren  hinterlistig,  Gluck  schlug  sie  mit 
seiner  Kraft,  die  mit  einer  solchen  lächelnden  Milde  gepaart  war,  daß  er 
scKJMHÄ  dem  ängstlichen  Piccini  noch  bei  den  Rolandproben  half.  Bei  der 
taurisoptr  Iphigenie  versuchten  die  Gegner  noch  einmal  denselben  Streich 
und  ließen  Piccini  wieder  dasselbe  Sujet  komponieren.  Diesmal  kam  ihnen 
Gluck  zuvor  und  errang  den  entscheidendsten  Sieg,  im  Augenblick  — Pic- 

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cini  ließ  seine  Iphigenie  nachlaufen,  aber  nach  wenigen  Aufführungen  gab 
sie  den  Wettbewerb  auf.  Als  Gluck  starb,  zeigte  sich  Piccini,  der  ihm  musi- 
kalisch längst  gefolgt  war,  so  anständig,  eine  große  Feier  für  ihn  veranstalten 
zu  wollen.  Aber  nicht  einmal  das  gelang  ihm. 


Literarische  Beziehungen 

ES  war  eine  Gesellschaft  von  altgewohnten  Koterien  und  mäßigen  dichte- 
rischen Veranlagungen,  in  die  sich  Gluck  in  Paris  versetzt  sah,  das  für  die 
Weltherrschaft  seiner  Musik  unumgänglich  wurde.  Im  Grunde  stand  der 
Klassizismus  literarisch  dort  schon  auf  der  Rückseite  und  nur  epigonische 
Talente,  wie  Chateaubrun  oder  Laharpe,  wie  in  der  Malerei  Lairesse  oder 
Werff  pflegten  seine  Erinnerungen.  Das  Rührstück,  das  bürgerliche  Schau- 
spiel, die  englische  Aufklärung  sind  die  wahren  Triebkräfte  der  Literatur, 
selbst  bei  Voltaire,  der  die  klassizistische  Form  noch  nicht  aufgibt.  Boileaus 
Theorie  wurde  erst  wieder  lebendig,  als  die  Revolution  in  einer  anderen 
Form  die  antike  Schulung  und  das  spartanische  Heldengefühl  aus  politischer 
Parallele  empfahl.  Die  Glucksche  Musik  ist  dazwischen.  Sie  ist  der  letzte 
reife  Ausdruck  einer  Stimmung,  die  Jahrhunderte  strenger  Renaissance  be- 
herrschte, und  wieder  ein  Vorklang  gereinigter  Empfindung,  die  als  Resultat 
der  neuen  Revolution  in  die  griechischen  Geister  des  kommenden  Jahrhun- 
derts einzog.  Alles  Antike  liegt  in  dieser  ihrer  schwebenden  Atmosphäre. 
Zwischen  Schule  und  Revolution  steht  die  Schöpfung  eines  Genies,  das  aus 
persönlicher  Kraft  einer  dauernden  Veranlagung  unseres  Geistes  die  zeitlose 
musikalische  Form  gibt.  Gluck  lebte  mit  der  Literatur  seiner  Zeit  oder  gar 
seines  Landes  nicht  in  intimer  Beziehung.  Er  sehnte  sich  hier  und  da,  er 
tastete  da  und  dort,  er  komponiert  Klopstock,  er  sieht  sich  um  und  findet 
noch  nicht  die  Lösung  — er  bleibt  der  Musiker.  Es  ist  reizvoll  für  unsere 
historische  Phantasie,  sich  zu  denken,  W’ie  alles  sich  gestaltet  hätte,  wenn  der 
Zusammenschluß  dieser  ersten  großen  deutschen  Opernbegabung  mit  der 
ersten  großen  deutschen  Literatur  sich  vollzogen  hätte.  Wenn  Weimar  auch 
sein  Ort  geworden  wäre.  Wenn  sein  Leben,  das  in  der  Entwicklung  des  musi- 
kalischen Ideals  so  fein  organisiert  scheint,  der  Teil  eines  weiten  künstlerischen 
deutschen  Strebens  nach  der  Vollendung  der  Bühne,  unter  dem  Lichte  des 
aufgehenden  Goetheschen  Klassizismus,  geworden  wäre.  Wo  ihn  der  empha- 
tische Herder  begrüßte  als  einen  Retter  der  reinen  musikalischen  Empfindung 
und  ohne  Erfolg  ihm  seinen  Text  des  Brutus  anbot.  Wo  der  naive  Wieland 
sagt,  daß  er  gezeigt  habe,  was  die  Musik  tun  könnte,  wenn  in  diesen  unseren 

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Tagen  irgendwo  in  Europa  ein  Athen  wäre,  und  in  diesem  Athen  ein  Peri- 
kies aufträte,  der  für  das  Singspiel  tun  wollte,  was  jener  für  die  Tragödie  des 
Sophokles  und  Euripidcs  tat.  Ein  Jahr  später  schrieb  Wieland  an  Gluck  beim 
Tode  seiner  Nichte  folgenden  Brief,  den  ich  als  ein  Zeugnis  gefühlter  und  nie 
gewordener  Beziehungen  mit  Bedeutung  hierher  setze. 

Weimar,  den  13.  Juli  1776. 

„Ich  bin  ganz  beschämt,  verehrungswürdigster  Mann,  auf  Ihre  freund- 
liche, vertrauensvolle  Zuschrift  aus  Paris  so  lange  geschwiegen  zu  haben,  und 
jetzt  doch  mit  leeren  Händen  vor  Ihnen  zu  erscheinen.  In  der  Verfassung, 
worin  mich  Ihr  Brief  antraf,  könnt’  ich  mit  Ihnen  weinen,  Ihren  Verlust 
innig  fühlen  und  beklagen,  aber  etwas  hervorbringen,  das  des  entflohenen 
Engels  und  Ihres  Schmerzes  und  Ihres  Genius  würdig  wäre,  das  könnt’  ich 
nicht,  und  werd’  ich  niemals  können.  Außer  Klopstock  konnte  das  nur 
Goethe.  Und  zu  dem  nahm  ich  auch  meine  Zuflucht,  zeigte  ihm  Ihren  Brief; 
und  schon  den  folgenden  Tag  fand  ich  ihn  von  einer  großen  Idee  erfüllt,  die 
in  seiner  Seele  arbeitete.  Ich  sah  sie  entstehen  und  freute  mich  unendlich 
auf  die  völlige  Ausführung,  so  schwer  ich  diese  auch  fand;  denn  was  ist  Goethe 
unmöglich  ? Ich  sah,  daß  er  mit  Liebe  über  ihr  brütete,  nur  etliche  ruhige, 
einsame  Tage,  so  würde,  was  er  mich  in  seiner  Seele  sehen  ließ,  auf  dem  Papier 
gestanden  haben:  aber  das  Schicksal  gönnte  ihm  und  Ihnen  den  Trost  nicht. 
Seine  hiesige  Lage  wurde  um  selbige  Zeit  immer  unruhvoller,  seine  Wirk- 
samkeit auf  andere  Dinge  gezogen,  und  nun,  da  er  seit  einigen  Wochen  dem 
unbeschränkten  Vertrauen  und  der  besonderen  Affektion  unseres  Herzogs, 
zugleich  eine  Stelle  im  geheimen  Conseil  einzunehmen,  sich  nicht  entziehen 
konnte,  nun  ist  beinahe  alle  Hoffnung  dahin,  daß  er  das  angefangene  Werk 
sobald  werde  vollenden  können.  Er  selbst  hat  zwar  weder  den  Willen,  noch 
die  Hoffnung  aufgegeben;  ich  weiß,  daß  er  von  Zeit  zu  Zeit  ernstlich  damit 
umgeht;  aber  in  einem  Verhältnisse,  wo  er  nicht  von  einem  einzigen  Tage 
Meister  ist,  was  läßt  sich  da  versprechen  ? Indessen  sehen  Sie,  theuerster 
Herr,  was  mich  von  einer  Woche  zur  anderen  zurückhielt,  Ihnen  zu  schrei- 
ben; denn  immer  hoffte  ich,  mit  dem  beiliegenden  Zeugniss,  wie  sehr  Karl 
August  Sie  liebt  und  an  Ihrem  Schicksal  Antheil  nimmt.  Ihnen  zugleich 
entweder  das  ganze  Stück,  welches  Goethe  dem  Andenken  Ihrer  liebens- 
würdigen Nichte  heiligen  wollte,  oder  doch  wenigstens  einen  Theil  desselben 
schickenT.u  können.  Goethe  selbst  hoffte  immer,  und  vertröstete  mich:  ich 
bin  auch  gewiß,  so  wie  ich  den  herrlichen  Sterblichen  kenne,  daß  es  noch 
zu  Stande  kommen  wird  — und  so  spät  es  auch  kommen  mag,  Freude  wird 
Ihr  Genius  und  der  Geist  Ihrer  Seligen  daran  haben,  das  bin  ich  gewiß  — 

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Sophie  Arnould,  in  „Pyramus  und  Thbbc1*. 


Nach  Carmontcllc  gcz.  von  I,ant£,  gest.  von  Catinc 


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aber  länger  könnt’  ich’s  doch  un- 
möglich anstcher  lassen,  Ihnen  von 
allem  diesem  Nachricht  und  also 
von  meinem  seltsamen  Stillschwei- 
gen Rechenschaft  zu  geben. 

„Ich  habe  Augenblicke,  wo  ich 
eifrig  wünsche,  ein  lyrisches  Werk 
hervorbringen  zu  können,  das  werth 
wäre,  von  Gluck  Leben  und  Un- 
sterblichkeit zu  empfangen.  Zuwei- 
len ist  mir  auch,  ich  könnt’  es.  Aber 
dies  ist  nur  vorübergehendes  Gefühl, 
nicht  Stimme  des  Genius.  Übrigens 
fehlt  cs  mir  an  Sujets,  die  zugleich 
dem  lyrischen  Drama  anpassend 
wären.  Vielleicht,  liebster  Ritter 
Gluck,  kennen  Sie  Eines,  das  Sie 
ausgeführt  und  alsdann  bearbeiten 
möchten.  Irre  ich  mich  hierin  nicht, 
so  theilen  Sie  mir  Ihre  Gedanken  mit, 
und  ich  will  versuchen,  ob  ich  die  Muse  .noch  einmal  geneigt  machen  kann. 
Einmal  war  mir  Antonius  und  Klcopatra  stark  im  Kopf  und  Herzen  — aber, 
wenn  ich  mich  auch  hineinarbeiten  könnte,  so  ist  dieß  wenigstens  kein  Sujet 
für  Wien,  wo  dieser  Exzeß  von  Liebe,  wie  ich  nicht  zweifle,  zu  anstößig  ge- 
funden würde.  Die  drei  größten  Sujets,  Orpheus,  Alceste  und  Iphigenie 
haben  Sic  schon  bearbeitet  — und  was  ist  noch  übrig,  das  Ihrer  würdig  wäre  ? 
Ohne  Zweifel  giebt  es  noch  interessante  Gegenstände  und  Situationen  — 
aber  werde  ich  sie  ausführen  können  ? Ja,  wenn  ich  neben  Ihnen,  unter  Ihren 
Augen,  von  Ihrem  Feuer  erwärmt,  von  Ihrer  Allgewalt  über  alle  Kräfte  der 
Musik  ergriffen,  arbeiten  könnte!  Aber  hier  in  Weimar!  — 

„Dieses  Blatt  von  Karl  August  ist  schon  lange  in  meinen  Händen.  Ver- 
zeihen Sie  mir,  daß  ich’s  Ihnen  so  lange  vorenthalten  habe.  Ich  habe 
Ihnen  die  Ursache  gesagt,  und  doch  entschuldigt  sie  mich  kaum  gegen  Ihn 
und  Sie. 

„Möchten  Sie  in  Wien  einige  Entschädigung,  wenigstens  durch  dieses 
Nepcnthe,  diesen  Zaubertrank,  den  Parthenia  dem  leidenden  Admet  an- 
bietet (in  Wielands  Alceste)  finden  können!  Und  o möchten  wir  einst  glück- 
lich genug  sein.  Sie  hier  zu  sehen  und  zu  hören ! Und  ich  den  Mann  von  An- 
gesicht sehen  und  in  seiner  Gegenwart  mich  eines  Thciles  der  Empfindungen 

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entledigen  können,  womit  mich  selbst  das  Wenige,  was  ich  (nur  sehr  unvoll- 
kommen vorgetragen)  von  seinen  herrlichen  Werken  gehört  habe,  auf  ewig 
für  ihn  erfüllt  hat!“ 

Wielands  deutsche  Alcestc,  deren  Text  er  hiermit  Gluck  sandte,  hatte 
ein  gewisser  Schweitzer  komponiert,  im  hergebrachten  italienischen  Stile. 
Die  erste  Aufführung  fand  in  Weimar  1773  statt.  Man  täuschte  sich  in  der 
Erwartung  der  großen  deutschen  Operntat  und  hatte  nur  Goethes  Spott 
herausgefordert. 


Orpheus 

DIE  Ouvertüre  zum  Orpheus  hat  indessen  begonnen,  ein  gleichgültiger 
Satz  in  Sonatenform,  von  C über  G nach  C zurückkehrend.  Wir  haben, 
von  ihm  zerstreut,  alles  vergessen,  was  rings  um  die  Werke  Glucks  liegt,  alle 
schönen  Dissertationen,  die  Calsabigi  und  andere  über  die  Bedeutung  der 
Oper  als  antikes  Drama  schrieben,  und  sollen  uns  nun  sammeln,  sie  selbst  zu 
hören.  Der  Vorhang  geht  auf  und  die  monumentalste  aller  Trauerszenen 
hält  uns  gefangen.  Ein  steinerner,  edelgeformter  Chor  trauert  um  F.uridice, 
Orpheus  setzt  seine  Stimme  in  abgerissenen  Klagerufen  darüber.  Er  ergeht 
sich  in  einem  kleinen  Rezitativ.  Eine  Pantomime  von  süßester  Traurigkeit 
bewegt  die  Gruppen  ein  wenig.  Und  w ieder  erstarrt  alles  zu  dem  ersten  Chor, 
dem  ein  Nachspiel  folgt,  das  das  Vorspiel  in  niederhängenden  Stimmungen 
ausführt.  Orpheus’  Klage  verdichtet  sich  in  eine  kurze  Arie,  deren  End- 
phrasen  von  einem  Echo  wiederholt  werden.  Diese  atmosphärische  Ausdeh- 
nung bleibt  in  den  Rezitativen,  die  das  Triptychon  dieser  Arie  zweimal  unter- 
brechen. Nun  w'ird  sein  Rezitativ  etwas  dramatischer.  Amor,  ohne  jede  Er- 
regung, mischt  sich  ein  und  verspricht  ihm  die  Geliebte,  wenn  er  sic  ungesehen 
aus  dem  Hades  heraufführen  könne.  Daran  schließt  sich  im  Kontrast  das 
leichte  und  frohe  Lied  Amors.  Das  Ende  des  Akts  ist  ein  knappes  Akkom- 
pagnato  des  Orpheus,  das  seinen  Entschluß  schildert. 

Der  zweite  Akt  zerfällt  in  Hölle  und  Himmel.  Die  Hölle  singt  in  einem, 
dem  Wortakzent  folgenden  scharfen  rhythmischen  Chor,  der  sich  steigert,  um 
schließlich  Orpheus’  Gesang  zu  weichen.  Er  wird  von  einer  Pantomime  und 
den  drei  Gesängen  des  Orpheus  unterbrochen.  Der  himmlische  Teil,  die  se- 
ligen Geister,  beginnt  mit  einem  Ballett,  es  folgt  die  große  landschaftlich 
ausgestattete  Orpheusarie  Che  puro  ciel,  ein  wiederholter  Chorsatz,  in  dessen 
Rahmen  ein  Ballett  und  Rezitativ  eingeschlossen  ist,  führt  ihm  Euridice  ohne 
besondere  Akzente  zu. 


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Der  dritte  Akt:  erst  die  langen  rezitativischcn  Verhandlungen  zwischen 
Orpheus  und  Euridice,  die  in  einem  Duett  sich  kristallisieren,  dann  die 
Klage  der  Euridice  in  Rezitativ  und  Arie,  das  Akkompagnato,  das  die 
Schuld  des  Orpheus  und  Euridices  zweiten  Tod  ausführt,  die  berühmte 
Klage  des  Orpheus  Che  farö  senza  Euridice  (ach,  ich  habe  sie  ver- 
loren), das  erneute  versöhnte  Einschreiten  Amors,  Euridice  erwacht, 
Ballett,  der  Schluß  rondohaft  mit  den  verschiedenen  Soli  des  Orpheus, 
des  Amor,  der  Euridice,  die  von  Chören  im  Refrain  gleich  beantwortet 
werden. 

Wer  sich  diesen  Bau  ansieht,  wer  ihn  gleichsam  tabellarisch  registriert, 
wird  seine  organische  Gliederung  bewundern  müssen.  Es  sind  nicht  nur  aus 
den  Formen  der  verschiedenen  Genres  der  Rczitative  und  Arien,  den  Chören 
und  Soli,  den  Tänzen  und  Zwischenspielen  Einheiten  geworden,  sondern  es 
ist  ein  monumentales  Ganzes  hingestellt,  das,  auf  eine  Kontrastentfaltung 
und  Differenzierung  seiner  Elemente  bewegt,  doch  niemals  die  ruhigen  Li- 
nien einer  lyrischen  Grundstimmung  verläßt.  Die  wenigen  dramatischen 
Momente,  das  Erscheinen  Amors,  die  Wiederfindung  und  das  Wiederver- 
lieren Euridices  brechen  das  Gesetz  nicht.  Es  ist  die  Architektur  einer  Mu- 
sik, die  dem  Gesicht  so  wohltut  wie  dem  Gehör.  Es  ist  das  große  Sonett 
eines  Parnassien,  das  uns  die  formale  Macht  klassizistischer  Empfindungen 
in  einem  Maß  überliefert,  wie  es  alle  historischen  Nachahmungen  der 
antiken  Tragödie,  alle  Massenchorversuche  unserer  Zeit  nicht  vermögen. 
Es  bleibt  das  Wunder  einer  plastischen  Schönheit  in  Tönen.  Was  wir 
in  das  goldene  Zeitalter  der  Antike  zurückträumen,  ist  hier  erreicht  und 
gegeben. 

Ungern  zerlegen  wir  diesen  Bau  in  seine  Glieder,  um  ihre  Zeitlichkeit  zu 
prüfen.  Dann  gewinnt  die  Fröhlichkeit  Amors  einen  störenden  Beigeschmack, 
und  die  unmögliche  dramatische  Situation  zu  Beginn  des  dritten  Aktes  läßt 
die  Frage  offen:  warum  sagt  er  ihr  nichts  von  dem  Verbot,  damit  seine  Qual 
und  Schuld  noch  größer  werde  ? Er  würde  die  lyrische  Stimmung  brechen. 
Nehmt  es  als  eine  Folge  lyrischer  Bühnenbilder,  legendarisch  begründet,  und 
an  diesem  Werke  wird  kaum  eine  Patina  sein,  die  nicht  den  Stilreiz  seines 
Alters  erhöht.  Seine  ungekünstelten  Harmonien,  sein  absichtlich  gleich- 
mäßiger Rhythmus,  der  Frühlingsduft  seiner  erdgewachsenen  Melodien  geben 
ihm  heute  Schönheiten  wie  am  ersten  Tage.  Ein  unbeschreiblicher  silberner 
Glanz  liegt  auf  den  Gesängen  und  Tänzen  der  seligen  Geister.  Die  graziöse 
Beweglichkeit  des  schwebenden  Basses,  die  göttliche  Sprache  dieser  melodi- 
schen Linien,  die  bald  eine  himmlische  Freude  verheißen,  bald  eine  süße 
Strenge  verraten,  oder  eine  empfindsame  Rührung,  die  Kontur  ihrer  Ent- 

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faltung  aus  stillen  Träumereien  zu  herzlichen  Gebärden,  die  Tonartenfolgc 
in  ihrer  reichen  und  doch  so  einfachen  Lagerung,  diese  seligen  Geister  um- 
klingen uns  von  allen  Orpheusgesängen  am  verheißungsvollsten  durch  unser 
Leben.  In  hellen  Gewändern,  langsamen  Schrittes,  zeitlos  und  sorgenlos  be- 
wegen sich  die  Genien  durch  paradiesische  Fluren,  jedes  Drama  zu  einem 
Gedicht  wandelnd,  das  längst  im  Schoße  der  Ewigkeit  gelöst  ist,  jedes  Erleb- 
nis seiner  Materie  entlastend.  Eine  Solooboc  führt  Orpheus  durch  das  Ely- 
sium in  breiten,  breiten  Gängen.  Die  ersten  Violinen  wiegen  ihre  Triolen, 
die  geteilten  Bratschen  geben  ihre  Terzenachtel,  zweite  Violinen  und  Flöten 
streichen  hindurch,  Horn,  Fagott  und  Ccllosolo  halten  das  Pedal,  der  Baß 
setzt  ein  leichtes,  aber  bestimmtes  Pizzikatofundamcnt  darunter,  und  darüber 
singt  Orpheus  seinen  Sonnenruf,  das  sehnsüchtige  Auge  auf  die  Geliebte  ge- 
richtet, die  ihm  die  balsamische  Luft,  immer  wieder  in  einer  wundersamen 
Ruhe  wogender  Ewigkeit  über  seine  Seufzer  sich  hinunterlegcnd,  zuzuführen 
scheint. 

Die  selige  Ruhe  des  für  Wien  italienisch  geschriebenen  Orpheus  wurde 
vielfach  gestört,  als  die  Oper  1774  nach  Paris  versetzt  und  umgearbeitet 
wurde.  Die  Bravourarie  des  Orpheus,  die  gänzlich  aus  dem  Stil  fällt,  eine 
neue  Amorarie,  ein  großes  Furienballett,  neue  Himmelballette,  der  an  sich 
so  holdselige  Satz  der  Euridice  mit  dem  Chor  (der  sie  unlogisch  auf  die 
Bühne  führt,  ehe  sie  noch  Orpheus  sucht),  wieder  noch  neue  Tänze,  ein 
Schlußterzett,  bringen  den  Bau  ins  Wanken,  oder  wenigstens  gliedern  ihn 
anders,  theatralischer,  vielleicht  dramatischer,  sicherlich  dankbarer,  zumal  in 
der  Instrumentation  vieles  aus  neuen  Erfahrungen  verbessert  ist.  Aber  man- 
ches wird  auch  schlechter.  Der  Zinken  in  der  Trauermusik  fällt  fort,  das 
Englischhorn  verblaßt  in  eine  Klarinette,  die  Altstimmen  werden  auch  in 
den  Chören  in  hohen  Tenor  umgeschrieben,  den  haute-contre,  der  in  Paris 
bis  etwa  1800  dem  ungewohnten  Kontraalt  vorgezogen  wird.  Die  nachlässig 
geschriebene  Partitur  Glucks  verleitet  zu  Torheiten.  Berlioz  erzählt,  daß 
man  durch  früheren  Einsatz  der  Posaunen  ihre  Wirkung  abschwächte,  — sie 
sollten  erst  durch  ihren  plötzlichen  Stoß  zu  dem  No  des  Höllenchors  er- 
schrecken. Kurz:  die  Partitur  des  Orpheus  geriet  trotz  manchen  Zutaten 
und  durchgehenden  Revisionen  in  eine  gewisse  Verwirrung,  die  ihr  bis 
heut  geblieben  ist.  Von  da  ab  sind  die  Aufführungen  in  einer  gemischt  ita- 
lienischen und  französischen  Form.  Wir  in  Deutschland  haben  gewöhnlich 
die  italienische  Form,  aber  nehmen  die  schöne  Stelle  der  Euridice  mit  dem 
Chor  der  Seligen,  die  Pariser  Ursprungs  ist,  hinzu.  Der  Willkür  der  Sänger 
war  alles  freigegeben.  Auch  in  Paris  wird  der  Orpheustenor  wieder  ein  Alt, 
eine  weibliche  Rolle.  Die  Viardot  singt  das  j’ai  perdu  mon  Eurydice  erst 

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zurückhaltend,  dann  das  zweitemal  sotto  voce,  bebend,  tränenerstickt,  dann 
über  die  Bühne  stürzend,  indem  sie  die  tote  Euridice  verläßt,  in  einer  wahn- 
sinnigen Verzweiflung,  fortissiino,  mit  entstellten  Worten,  Akkorden,  mit 
einer  virtuosen  Fermate  auf  dem  hohen  G. 


Alccste 

DIE  Pariser  Umarbeitung  der  italienischen  Wiener  Alccste  war  noch 
viel  durchgreifender.  Es  ist  weniger  als  die  Hälfte  des  ursprünglichen 
Stücks  übriggeblieben,  das  andere  hinzukomponiert.  Die  Freundin  Alcestes, 
Ismene,  fällt  fort,  die  Kinder  sind  stumm  geworden,  die  ganze  Szene  in  der 
Unterwelt  fehlt,  und  ein  Herakles  wird  eingefügt,  der  eine  drollige  Ver- 
gangenheit hat.  In  der  lächerlichen  Komödie  des  Euripides  ist  er  nur  betrun- 
ken und  rettet  Alceste  aus  Liebe  zu  seinem  Gastfreunde  Admet.  In  dem 
Quinaultschen  Texte  ist  er  sogar  in  sie  verliebt  und  rettet  sie  aus  einem  Egois- 
mus, der  schließlich  nur  seiner  Dummheit  weicht.  Calsabigi  eliminierte  ihn, 
aber  sein  Pariser  Bearbeiter  beging  den  kaum  von  Gluck  gebilligten  Fehler, 
ihn  neben  Apollo,  dem  deus  ex  machina,  als  Todbezwinger  wieder  einzu- 
führen und  ihm  eine  Arie  zu  geben,  die  so  schlecht  komponiert  ist,  daß  man 
Gossec  als  ihren  Autor  betrachtet.  Calsabigi,  Glucks  Dichter,  hatte  das 
Motiv  des  Gattenopfers  wirklich  aus  dem  Wust  von  Betrügereien,  Taktlosig- 
keiten, Klatschereien,  Liebesintrigen,  der  sich  in  der  Literatur  an  diese  ein- 
fache Sage  angesetzt  hatte,  gereinigt.  Admet  soll  sterben,  im  Tempel  kündet 
das  Orakel,  daß  der  Gottheit  ein  freiwilliges  Opfer  genehm  wäre,  Alceste, 
seine  Gattin,  nimmt  es  auf  sich;  sie  nähert  sich  den  Pforten  des  Hades;  Freu- 
denchöre klingen  um  den  genesenden  Admet;  er  erfährt  erst  nach  langem 
Drängen,  daß  sie  es  ist,  die  sich  für  ihn  opfere ; beide  streiten  aus  Liebe  um  den 
Tod,  bis  Apollo  gerührt  ihnen  beiden  das  Leben  gibt.  Hier  war  das  Wesentliche 
hingestellt  und  die  dankbaren  dramatischen  Möglichkeiten  daraus  entwickelt. 

Der  Opferkonflikt,  der  den  Inhalt  von  Glucks  Alccste  bildet,  stellt  uns 
diese  Oper  dramatischer  in  die  Erinnerung  als  seinen  Orpheus.  Die  Lei- 
denschaften gehen  höher,  die  Kontraste  spitzen  sich  schärfer.  Wir  kennen  sie 
fast  nur  in  der  französischen  Fassung,  die  straffer  und  eindrucksvoller  ist. 
Die  ernste  Ouvertüre  führt  hier  sofort  in  einen  um  Rettung  schreienden  Chor, 
das  Rezitativ  des  Herolds,  mit  den  einzigen  Trompeten  des  Stücks,  der  stark 
zusammengefaßte  Klagechor,  der  zum  Doppelchor  anwächst,  das  Heraus- 
wachsen von  Alcestes  Gesang  aus  den  Wiederholungen  dieser  Chöre,  das  gibt 
eine  schnelle  Entwicklung,  die  die  ähnliche  Anlage  des  ersten  Orpheusaktes 

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an  Schwung  übertrifft.  Mit  der  wundervoll  archaistischen  Pantomime  treten 
wir  in  den  Apollotempel:  Posaune,  Horn,  Fagott  in  C-Dur  und  die  Stimme 
des  Oberpriesters,  der  gewaltige  Phöbuschor  mit  der  unendlich  wiederholten 
dreitönigen  Phrase,  die  zwischen  dem  Priester  und  der  Menge  hin  und  her 
geht,  unter  dem  schwirrenden  und  fliegenden  Orchester,  eine  zweite,  noch 
gefühlvollere  Pantomime,  auf  mächtigen  Dreiklangflügeln  der  Glanz  des 
Gottesbildes,  das  Kreszendo  des  Priesterrezitativs,  der  Ausbruch  der  Blech- 
bläser, das  Orakel  auf  Posaunen,  die  Flucht  des  Chores,  die  Ausdrucksfüllc 
von  Alcestens  Rezitativ,  ihre  noble  entschlossene  Arie  Non  cc  n’est  point 
un  sacrifice,  ihr  grandioser  Ruf  an  die  Nacht  und  endlich  ihre  berühmte  ra- 
pide gesteigerte  Arie  Divinites  du  styx  — diese  Seiten  gehören  zu  den  größten 
dramatischen  Äußerungen  der  alten  monumentalen  Oper.  Man  wird  ihr  Tem- 
perament ebenso  bewundern  wie  ihre  musikalische  Schönheit  im  einzelnen. 

Marx  hat  die  italienische  Fassung,  die  ganz  anders  disponiert  ist  und  viele 
andere  Stücke  enthält,  mit  Unrecht  vorgezogen.  Ich  will  das  Detail  hier 
nicht  vergleichen,  ich  opfere  die  ältere  Form  unbedingt  dieser  neuen.  Ich 
opfere  auch  gern  die  große  Unterwcltszene,  mit  der  der  zweite  Akt  zuerst  begann, 
Chöre  und  Tänze  der  Hölle,  Gesänge  des  Nume  infernale,  Arien  der  Ismene 
und  Alccste,  zumal  das  interessanteste  Stück,  die  Alcestearie  Chi  mi  parla, 
naturalistisch,  in  gestoßenen  Worten  auf  zitternder  Begleitung,  häufig  in  die 
moderne  Fassung  an  anderer  Stelle  übernommen  wird.  Die  Freudenchöre, 
die  um  den  genesenden  Admet  klingen,  haben  ihr  bestes  Teil  aus  „Paris  und 
Helena“  entlehnt,  den  reizenden  schaukelnden  G-Dursatz  in  Dreiviertel  auf 
Pizzikatobeglcitung.  In  ausdrucksvollen  Rczitativen  spannt  sich  der  Konflikt 
zwischen  den  Gatten  und  eine  nicht  unvirtuose  Arie  der  Alceste  führt  zum 
F.nde.  Ein  rührendes  Stück  ist  das  Lamento  Evanders,  das  den  dritten  (fran- 
zösischen) Akt  eröffnet  mit  dem  Nachhallen  des  Chors  in  den  Palast  hinein  — 
bei  der  Flucht  des  Tempelchors  hatte  die  italienische  Ausgabe  einen  ähnlichen 
guten  Effekt  in  einem  zitternden  Baßchor  im  Innern  des  Hauses.  Die  grausig 
unfruchtbare  Landschaft  der  Höllengeister,  Charons  Hörner  (mit  den  Stürzen 
gegeneinander)  und  der  von  Bcrlioz  zu  Unrecht  verurteilte  Schlußchor  mit 
seiner  konsequenten,  beethovensch-eisernen  diatonischen  Phrase  (er  stand  im 
Italienischen  schlechter  am  ersten  Aktschluß)  sind  die  Hauptmomente  dieses 
Aktes,  der  in  der  langsamen  Entwicklung  des  schleichenden  Dramas  auf  der 
Bühne  an  Wirkung  verliert. 

Ich  bewege  mich  durch  ein  Werk,  das  seine  Zeit  aufregte.  Angebrochener 
als  der  Orpheus,  hinterläßt  es  uns  Erinnerungen  an  große  Momente,  an 
edle  Arien,  an  die  rauschende  Tempclszenc,  aber  es  beginnt  zu  sterben.  Wie 
liebevoll  beschäftigte  sich  mit  ihm  noch  Bcrlioz  in  seinem  „A  travers  chants“, 

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Gluck.  Lithographie  nach  Maurin 


dessen  beste  Abschnitte  Gluck  gelten.  Mit  besonderem  Interesse  lesen  wir 
seine  Betrachtungen  über  das  Glucksche  Orchester,  das  tremolo  appogiato, 
ein  Fingerbeben  auf  der  Saite,  das  unter  den  festen  Tönen  der  Oboe,  der 
Klarinette  und  des  Horns  Alcestes  Ruf  an  die  Töchter  der  Nacht  gespen- 
stisch begleitet,  die  \\  irkung  der  hohen  Kontrabässe,  die  Katarakte  der  Strei- 
cher in  der  Tempelszene,  und  doch  wieder  die  allgemeine  Glanzlosigkeit  des 
Klanges  infolge  durchgehender  Anwendung  der  Mittellage  hoher  Instru- 
mente. Hier  spricht  ein  Fachmann.  Sein  gar  zu  schwärmerisches  Urteil  über 
die  Divinites-Arie,  seine  Rettungsversuche  schwächerer  Partien  des  zweiten 

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und  dritten  Aktes  werden  wir  nicht  so  immer  unterschreiben.  Zum  Schluß 
führt  er  uns  die  fünf  Pariser  Alcestes  bis  zu  seiner  Zeit  vor:  die  Lcvasseur  mit 
großer,  aber  ungeschulter  Stimme,  die  St.  Huberti  als  vollendete  Künstlerin, 
die  Maillart,  schön,  aber  dumm,  die  schwarzäugige  Branchu,  ebenso  tempera- 
mentvoll wie  kultiviert  im  Deklamieren  und  Nuancieren,  und  die  Viardot, 
ausgezeichnet  in  ihren  antikischen  Stellungen. 


Paris  und  Helena 

CALSABIGIS  Orpheus  wurde,  zum  Vergessen,  auch  von  Bertoni  kom- 
poniert, seine  Alceste  auch  von  Guglielmi,  mit  einer  Bravourarie  Ad- 
mets  und  graziösen  Höllenchören,  sein  „Paris  und  Helena“  ist  bei  Gluck  ge- 
blieben, der  ihm  selbst  nicht  viel  helfen  konnte.  Helena  ist  die  Verlobte  des 
Menclaos,  Paris  kommt,  sie  zu  holen,  es  entwickelt  sich  ein  Streit  der  Ge- 
ständnisse und  Gefühle,  schließlich  gibt  sie  trotz  der  Warnung  Athenas 
nach.  Wieder  sind  es  nur  drei  Hauptpersonen,  aber  die  dritte,  der  als  Erasto 
verkleidete  Zwischenträger  Amor  erinnert  mit  dem  ganzen  Intrigenspiel 
und  Liebesgerede  an  die  schlechtesten  Masken  der  gleichzeitigen  italienischen 
Libretti.  Die  Ouvertüre  hat  die  ausgesprochene  dreisätzige  Symphonie- 
form, eine  marschförmige  Einleitung,  ein  Moderato,  ein  Allegro  — die  Mo- 
tive sind  zum  größten  Teil  der  Oper  selbst  entlehnt.  Was  bleibt  uns  aus  der 
Oper  ? Ich  streiche  nur  Stellen  an.  Der  hübsche  Venuschor  zu  Beginn,  der 
in  die  Alceste  übernommen  wurde,  die  gute  Parisarie  mit  dem  reizenden 
Echo  der  Oboe,  der  plötzliche,  merkwürdig  gewagte  dramatische  Abbruch 
seines  Spinge  amate,  diese  und  jene  kleine  feine  Malerei,  wie  in  Amors  rosiger 
Beschreibung  von  Paris,  die  harten  Athletenchöre  und  -tänze,  der  charakte- 
ristische aspro  cd  ingrato  canto  der  Spartaner  im  Gegensatz  zur  weichlichen 
Melodie  der  Phryger,  das  flüssige  Duett  im  dritten  Akt,  das  neckische  Terzett, 
das  etwas  virtuose,  aber  stark  einsetzende  Schlußduett  — viel  ist  es  nicht  und 
das  Wenige  verblüht  in  einer  flauen  Atmosphäre.  Es  ist  genug  seichtes  Tän- 
deln. Es  fehlen  die  festen  Striche  seiner  monumentalen  Szenen.  Ein  Intermezzo. 


Die  aulische  Iphigenie 

DER  aulischen  Iphigenie  hat  sich  Wagner  angenommen.  Ist  es  heut 
schwer  möglich,  Gluck  unbearbeitet  zu  geben,  so  ist  Wagners  Bearbeitung 
ein  Muster  an  dramatischer  Einbindung.  Das  Original  und  seine  Partitur  zu 
vergleichen  gibt  Genüsse  philologischen  Entzückens,  besonders  wenn  er 

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seine  Handschrift  nicht  verstellen  kann.  Ich  denke  wenig  an  die  Gerichtsver- 
handlung, die  Euripides  aus  dieser  Sage  machte,  oder  an  das  edle  Vexierspiel, 
das  Racine  mit  ihr  anstellte.  Roullet  hat  sich  redliche  Mühe  gegeben,  aus 
seinen  Vorlagen  einen  dankbaren  Text  herzustellen.  Es  ist  ja  gleich,  so  gleich- 
gültig, wenn  wir  Glucks  Musik  hören,  die  hier  eine  neue  Blüte  erzielt.  Sie 
ist  von  einer  außerordentlichen  herben  Strenge  und  bitteren  Melodik,  die 
sich  in  dem  Ernst  der  großzügigen  Ouvertüre  sofort  ankündigt,  einem  So- 
natensatz, der  auf  symphonische  Zeitalter  wirkte,  Agamemnons  Gesicht  vor- 
ausweisend. Inmitten  der  holden  Begrüßungen  Iphigeniens  und  zarter 
Frauenchöre,  neben  dem  Hochdruck  der  Klytämnestraarien,  dem  Stolz  der 
Achillarien,  den  starken  Duetten  des  Liebespaares,  unter  dem  Säuseln  be- 
wegter Lüfte  in  Iphigeniens  zierlichem  F-Durstück,  den  ziehenden  Vorhal- 
ten, reizenden  Augenaufschlägen  ihrer  Väterliche,  nach  dem  C-Durauf- 
schwung  des  großen  drängenden  Terzetts  von  Mutter,  Tochter  und  Gelieb- 
ten, wir  hören  nur  immer  die  gewaltige  berühmte  Soloszene  Agamemnons, 
ausbrechend,  fortreißend,  ein  Sturm  von  Dramatik,  der  alle  Kräfte  der  Zeit 
zu  lösen  scheint.  Ein  Akkompagnato  beginnt,  von  rollenden  Läufen  unter- 
brochen, auf  Schlägen,  auf  Tremoli  fühlt  er  sein  Flerz  bluten  über  das  ver- 
langte Opfer,  lento,  presto  hart  aufeinander,  Schreie,  denen  die  Figur  des 
Orchesters  mit  rasender  Begierde  folgt,  eine  lange  Pause,  das  Wüten  er- 
schöpft sich  in  chromatischen  Abstiegen,  das  Orchester  singt  mit  ihm  das 
dechircr  mon  coeur,  ein  ruhiger  A-Moll-Satz  (Wagner  kürzt),  dakapo  angelegt, 
bringt  seine  Stimmung  in  geordneten  Fluß,  ein  Allegro  in  A-Dur  gibt  den 
pathetischen  Schluß  (den  Wagner  erweiterte):  er  bietet  sich  der  grausamen 
Göttin  und  ihrem  Priester  selbst  an,  Wahrheit  und  Wirkung.  Wagner  streicht 
die  Figur  des  Patroklos,  er  vereinfacht,  wo  es  ihm  recht  scheint,  er  knüpft 
organische  Bindeglieder,  er  erweitert,  wo  die  Aktschlußwirkung  es  ihm  emp- 
fiehlt, er  stellt  die  lebensfähigen  Arien  und  Chöre  scharf  zusammen,  vermin- 
dert die  Tänze,  er  gibt  der  Iphigenie  ein  ganzes  schönes  Abschiedslied  im 
vollendeten  Lohengrinstil,  Lohengrinakkorde  begleiten  sie  zum  Altar  und  er 
läßt  sie  retten  durch  die  Erscheinung  der  Artemis,  die  derselben  Oper  hul- 
digt. Dieser  Schluß  hat  seine  Geschichte.  Ursprünglich  sagte  Kalchas  nur,  der 
Scheiterhaufen  hätte  sich  von  selbst  entzündet,  die  Götter  seien  gut,  der  Wind 
wehe  gen  Troja.  Eine  Griechin  sang  ein  Liedchen,  das  der  Donzellearie  aus 
„Paris  und  Helena“  nachgebildet  war,  und  nach  einer  Chaconne  brach  ein  Uni- 
sonochor hervor,  partons,  volons  ä la  victoire,  wie  ein  Volksgesang  gallischen 
Akzentes,  eine  erste  Marseillaise,  mächtig  im  Rhythmus,  Bühne  und  Zuhörer 
im  Taumel  des  Sicggcfühls  fortreißend,  eine  der  strahlendsten  Eingebungen 
Glucks.  Warum  er  dann  fortfiel,  weiß  ich  nicht.  Alte  Klavierauszüge  kennen 

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ihn  nicht.  Man  findet  ihn  im  Anhang  von  Marx  neugedruckt.  Aber  schon 
in  alten  Korrekturen  läßt  Gluck  die  Artemis  selbst  die  Versöhnung  übernehmen. 
Wagner  wußte  das  kaum,  er  komponierte  sie  neu.  Er  schließt  mit  dem  Ruf 
„nach  Troja“,  ohne  Erinnerung,  daß  Gluck  diesen  Ruf  einst  ausgeführt  hatte. 

Die  Einfachheit  der  Orpheusmelodie  hat  einem  größeren  Zug  weichen 
müssen.  Die  monumentale  Härte  Ramcaus,  die  schwer  bewegte  Händelsche 
Polyphonie,  die  Lieblichkeiten  feiernder  junger  Stimmen  und  die  dramatische 
Kraft  des  großen  Akkompagnato,  alle  diese  Zeitelemente  finden  eine  Form 
genialer  Prägung  und  höchster  Elastizität.  Was  an  ihnen  nicht  mehr  ganz  lebt, 
ist  die  gewisse  Monotonie  ihres  gesanglichen  Schemas  und  der  orchestralen 
Gräue ; was  lebt,  ist  die  reine  Anschauung  eines  hohen  Pathos  und  einer  formalen 
Dichtigkeit,  die  keine  dramatischen  Willkürlichkeiten  kennt.  Alle  diese  Achill-, 
Iphigenien-,  Klytämnestra-,  Agamemnonarien  leben  in  unserer  Erinnerung 
trotz  ihres  persönlichen  Charakters  als  Gebilde  allgemein  musikalischer  Abso- 
lutheit, Teile  einer  letzten  Auseinandersetzung  eines  Genies  mit  seiner  Zeit. 
Ich  schreibe  hier  nicht  von  dem,  was  war,  sondern  was  für  uns  ist.  Wir  alle 
stellen  uns  dazu  wie  Wagner,  das  Starke  bindend,  das  Peripherische  verlierend. 

Armide 

WIR  bearbeiten  uns  innerlich  seine  Armide,  indem  wir  die  musika- 
lischen Charaktere  seines  Dramas  loslösen.  Er  übernahm  den  alten  Qui- 
naultschen  Text,  trotz  seiner  Verästelungen  vielleicht  einen  der  besten  derTra- 
dition,  weil  er  verhältnismäßig  dankbare  und  einfache  Situationen  bietet.  Die 
Verherrlichung  der  Armide  im  ersten  Akt,  die  Verführung  des  feindlichen 
Ritters  Rinald  im  zweiten,  die  Szene  der  Armide  mit  dem  verbündeten  „Haß“ 
im  dritten,  die  Episode  Ubalds  und  des  dänischen  Ritters  im  vierten  (ein  über- 
flüssiges Illusionspendant  im  Kabarettstil),  die  Liebesszene,  Rettung  Rinalds, 
die  Verzweiflung  Armidcns  im  fünften  Akt  gaben  gute  Kontraste.  Gluck  stellte 
sich  nicht  sonderlich  romantisch  dazu,  er  gab  von  seinen  Formen  nichts  an  das 
Zaubermärchen  ab,  aber  er  suchte  schärfer  als  je  die  Charaktere  und  ihre  Gegen- 
sätze herauszubilden.  Nach  der  gleichgültigen  Ouvertüre,  die  er  schon  im  Tele- 
mach  und  in  den  Feste  d’Apollo  verwendet  hatte,  findet  er  liebliche  Töne  für 
die  Dienerinnen  der  Armide.  Der  Charakter  kehrt  wieder  bei  den  Najaden- 
gesängen,  die  Rinald  einschläfern,  reizende  Stücke  in  G-Dur  voll  delikater 
melodischer  Wendungen.  Der  sich  anmutig  schlängelnde  Gesang  der  seligen 
Geister  um  Rinald  C’est  l’amour  trifft  denselben  Ton.  Der  scharfe  Gegen- 
satz liegt  in  den  Furienchören,  noch  mehr  in  dem  ausgezeichneten  Furien- 
tanz, der  eine  dämonische  Kraft  entwickelt.  Stark  im  Rhythmus  stößt  das 

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Ensemble  Armidens  mit 
dem  Haß  und  seinem 
Chor.  Der  stürmisch- 
ste aller  Chöre  ist  der 
Kriegschor  poursuivons, 
der  unter  dem  Triolen- 
gcschmetter  des  ürche- 
sters,von  den  Solisten  ge- 
führt, ineine  berauschen- 
de Steiger  ungaus  wächst. 

Hidraot,  der  Vater,  \er- 
trittdasschwerePrinzip : 
pour  vous,  quand  il  vous 
plait,  tout  l’enfer  est 
arme  ist  schlagend,  zer- 
rissen, hochgezogen,  un- 
geordnet, wie  Barbaren- 
tum. Seine  Beschwö- 
rungsszene mit  Armida 
(aus  dcmTelemach  um- 
gearbeitet) ist  ein  wil- 
des Rollen,  in  das,  ähn- 
lich wie  in  Agamemnons 
Wut,  Oboe  oben,  Fa- 
gott unten  drohend  einschneiden.  Armide  selbst,  die  abtrünnige  Tochter 
der  Hölle,  ist  voll  ritterlicher,  stolz  punktierter  Träume,  sehr  gefühlvoll  mit 
Ritenuto  und  Nachdenklichkeiten  der  Begleitung,  besonders  wirksam  in  der 
musikalisch  ergreifenden  Schlußwendung  des  dritten  Aktes,  Oh  ciel,  auf 
schwirrendem  Orchester,  das  seltene  melodische  Blüten  in  Verdis  Art  auf- 
steigen läßt,  und  am  Ende  des  Ganzen,  wo  ihre  ohnmächtige  Wut  unter 
starken  Schlägen  des  Orchesters  und  gewaltigen  Aufschreien  tremolo  da- 
niedersinkt. Rinald  ist  voll  Sinnigkeit.  Der  Ritter  verliert  irn  Zaubergarte!) 
der  Feindin  und  Geliebten  seine  Schwertfreude  und  wird  ein  empfindsamer 
Held.  Eine  Komposition  ohnegleichen  ist  das  Schlummerlied,  das  ihn  in  eine 
wogende,  flüsternde  Landschaft  sich  verlieren  läßt,  von  allen  Rinaldo- 
schlummerliedern das  genialste  an  breiter  Empfindung  und  musikalischer 
Feinheit.  Eine  entzückende  Instrumentation,  so  vielfarbig  wie  nur  je  in  der 
orchestral  ziselierten  Armide,  gibt  den  Bläsern  ihre  Melodien,  Haltenoten, 
Kolorismcn  in  den  wiegenden  Streichern.  Rinald  und  Armide  vereinigen  ihre 

>39 


Glucks  Handschrift:  Erste  Seite  der  Armide 


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Gefühle  in  dem  großen  Liebesduett,  dessen  musikalische  Faktur  man  nur  mit 
derjenigen  Lullys  über  denselben  Text  zu  vergleichen  braucht,  um  das  alte 
Schwache  und  das  neue  Starke,  um  zwei  Zeitalter  zu  unterscheiden. 

Lully  beginnt  mit  einem  allemandenartigen  Vorspiel.  Armide,  vous 
m’allez  quitter  wird  eine  altertümliche  Schlußfigur,  ritornellartig.  Vous 
brülez  pour  la  gloire,  Armide  geht  in  Dreiviertel  über,  wird  melodischer, 
liedmäßiger  mit  hübscher  archaischer  Schlußrepetition.  Rinald  bleibt  im 
selben  Takt:  la  gloire  gibt  ihm  immer  wieder  eine  melodische  Hebung.  Er 
singt  ein  paar  nette  Kantilenen,  wenn  er  behauptet,  die  Liebe  dem  Ruhm 
vorzuziehen.  Er  bleibt  in  der  Mittellagc,  auf  einige  leichte  Silben  schwingt 
er  sich  zum  as  und  b empor.  Beide  bleiben  monoton  im  Dreivierteltakt, 
C-Dur,  C-Moll,  C-Dur,  C-Moll,  bis  zum  Duett  Aimons-nous,  auch  wieder 
monoton,  aber  in  Vierviertel.  Schließlich  fordert  Armide  die  Geister  rezi- 
tativisch  auf,  während  ihrer  Abwesenheit  ihm  eine  Passacaglia  vorzumachen. 

Gluck  beginnt  mit  gefühlvollen  Vorhalten,  die  den  Ruf  an  Armide  moti- 
visch aufnehmen.  Schon  entwickelt  sich  dramatisches  Leben.  Sie  reizt  ihn 
lieblich  in  Bindungen  herunter,  er  entgegnet  ihr  heroisch.  Un  noir  pressen- 
timent  — verminderter  Septimenakhord.  Das  Liedmäßige,  Melodische  ge- 
winnt. Die  Tonarten  gehen  scharf  vorwärts,  F,  B,  Es,  über  C-Moll,  plötzlich 
eintretend  C-Dur  mit  dem  Duett:  jauchzend,  in  diatonischer  Größe,  Domi- 
nantenakzentc  auf  die  „Non“,  auf  „Flamme“  steigende  Figur,  in  Sexten  über 
dem  tiefen  G,  über  d,  e,  f,  bis  a,  von  einer  jubelnden  Stimme  her  empfunden. 
Noch  stärker:  non,  rien  ne  peut  changer  mon  äme  in  schlagender  Leidenschaft, 
beethovensch  hart  auf  Tonika  und  Dominante  abwechselnd,  mit  dem  breiten 
Opernschluß  a,  herunter  f,  e,  d zum  c.  Ein  sanftes  Armidcnrezitativ  leitet 
zart  nach  B-Dur,  worin  die  reizende  Chaconne  der  Geister  beginnt. 

Die  taurische  Iphigenie 

DER  Stoff  der  taurischen  Iphigenie  war  im  Laufe  der  Zeiten  verwirrt  und 
intrigiert  worden,  wie  irgendeiner.  Bei  Euripides  erkennt  Iphigenie  den 
Orest  durch  den  Kniff,  daß  sie  Pylades  für  etwaige  Schiffsunfälle  den  Inhalt 
des  Briefes,  den  sie  ihm  in  die  Heimat  gibt,  mündlich  mitteilt.  Er  ist  der  Mann 
der  Elektra,  und  sic  ein  dummes,  neugieriges  Mädel.  In  der  Oper  des  Majo 
war  Klytämnestra  nur  aus  Versehen  von  Orest  getötet  worden,  während  schon 
Jomnielli  und  Traetta  gerade  in  der  Furien  Verfolgung  ein  dankbares  Motiv 
ausbildeten.  Die  Goethesche  Wendung,  daß  Iphigenie  dein  Thoas  einfach 
ihre  List  gesteht  und  daß  er  begütigt  einwilligt,  wäre  dem  dramatischen 
Trieb  dieser  Textdichter  sicher  nicht  sympathisch;  lieber  ließen  sie,  wie 

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GuiUard,  der  Librettist  Glucks,  die  ganze  Rettung  und  Waschung  des  Ar- 
temisbildes überhaupt  fort  und  entwickelten  das  Drama  katastrophal.  Pylades 
ersticht  den  Thoas  und  Orest  wird  erst  am  Opferaltar  erkannt. 

Gluck  stürzt  sich  in  dieses  Drama.  Das  Vorspiel,  am  Schluß  motivisch 
wiederholt,  führt  sofort  in  den  Sturm  mit  Pikkoloflöte,  zur  Iphigenie,  zu  den 
Priesterinnen.  Die  Ruhe  kehrt  zurück  und  Iphigenie  ergeht  sich  in  ausdrucks- 
voller Klage.  Thoas  kontrastiert  mit  wuchtigen  niederfallenden  Akkorden. 
Das  Barbarentum  steigt  auf:  ein  Skythenchor  mit  Pikkolo,  Klarinette,  Oboe, 
großer  Trommel,  Becken,  Triangel.  Orest  erscheint,  nicht  ohne  italienisches 
Pathos;  mit  einer  Reminiszenz  aus  Glucks  Tclemach,  während  Pylades  in 
seiner  reizenden,  gefühlvollen  A-Durarie  den  milderen  Gottheiten  sich  an- 
vertraut. In  Sextenrezitativen  verteidigen  sie  sich  gemeinsam.  Im  Gefäng- 
nis singt  Orest  seine  berühmte  Arie  le  calme  rentre  dans  mon  coeur:  auf  den 
wirbelnden  Bratschen  Schumannschc  Empfindung.  Die  Ruhe  war  erlogen. 
Die  Furien  erscheinen,  ein  schaudernd  schöner  Chor,  in  den  seine  Erbar- 
mungsrufe  hineinschneiden.  Wundervoll  das  Rezitativ,  in  dem  Iphigenie  das 
Unglück  ihrer  Familie  beklagt,  süße  Trostchörc  der  Priesterinnen,  und  ihre 
Arie  O malheurcuse  mit  der  obligaten  Oboe,  die  Bachsche  Erinnerungen  durch 
frühere  Bearbeitungen  in  eine  neue  zarte  Schönheit  wendet,  und,  Kranz  von 
Melodien,  contemplez  ces  tristes  apprets,  Chor  und  Iphigenie  in  einem  La- 
mento süßester  Tränen.  Die  Seele  einer  abschiednehmenden  Musik  spricht 
aus  dem  Gesang  Iphigeniens,  da  sic  Einen  unter  den  Beiden  zum  Opfer 
wählt,  sie  schürt  den  edlen  Wettstreit  der  Freunde,  deren  Duett  ihr  Leben 
noch  einmal  zuckend,  sinkend  vereint.  Die  drei  Schläge  der  Furien:  Orest 
ersehnt  das  Ende,  die  Tempi  werden  schnell  blaß  und  wieder  rot  (ich  kürze), 
sein  synkopisch  atmender  Dank,  der  mozartisch  reine  Chor  Chaste  fillc  de 
Latone,  die  zitternde  Erregung  des  Opfermessers,  der  Moment  der  Erken- 
nung Orests  und  das  Gewitter  der  über  Thoas  hereinstürzenden  Katastrophe. 
Es  war  die  erste  Oper,  die  ganz  ohne  Liebe  vorbeiging  (Richard  Strauß  hat 
sich  ihrer  in  einer  neuen  Bearbeitung  angenommen),  aber  sie  hatte  eine  an- 
dere Leidenschaft,  die  der  Bühne,  die  noch  nie  so  schlagend  dreingefahren 
war.  Hier  siegte  der  Dramatiker  Gluck  über  Italien,  Paris  und  uns  alle. 

Orphica 

ORPHEUS  hatte  der  Liebe  entsagt,  als  er  Euridice  nicht  wiederfand. 

Bacchus  läßt  ihn  dafür  von  den  Mänaden  zerreißen.  Jupiter  aber  setzt 
ihn  als  Halbgott  in  den  Himmel.  Diese  Version  der  Orpheussage  hatte 
Stefano  Landi,  den  römischen  Komponisten,  zu  einer  Oper  begeistert,  die 

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symbolischer  war,  als  er  dachte.  Liebe  und  Drama,  Orpheus  und  Dionysos, 
Gefühl  und  Leidenschaft  fochten  ihren  Streit  aus  um  die  Bühne.  Vergils 
tragischen  Ausgang  verwarf  Rinuccini,  der  Dichter  Caccinis  und  Peris  — sie 
kennen  kein  Verbot  Plutos,  sie  vereinen  konfliktlos  Orpheus  und  Euridice  und 
schließen  in  Freude.  Diese  freudige  Euridice  cröffnete  die  erste  Epoche  der 
Oper,  die  zweite  der  Orfeo  Monteverdis,  der  den  Konflikt  kennt,  aber  von 
Apollo  im  Himmel  schlichten  läßt,  die  dritte  der  Orpheus  und  die  Euridice 
Glucks,  die  an  der  Schwelle  des  neuen  Dramas  nicht  mehr  von  einem  deus 
ex  machina,  sondern  von  der  „Liebe“  selbst  dazu  geführt  werden,  sich  in 
keine  Tragödie  zu  stürzen.  Liebe  und  Drama!  Seine  letzte  große  Oper  ist 
ohne  Liebe,  aber  sie  ist  das  höchste  Drama  der  Opferkonflikte  und  des 
Freundschaftseifers,  die  er  einzeln  vorher  besungen.  Und  Orpheus  wird 
doch  ein  Halbgott. 

Gluck  gab  seiner  Zeit,  so  viel  er  an  Gestaltung  der  Charaktere  und  Passion 
des  Dramas  erreichen  konnte.  Sein  Bild  bleibt  uns  aber  in  diesem  Orpheus, 
der  die  monumentale  Form  der  klassischen  Oper  in  ihrer  reinsten  und  in 
einer  bisher  unübertroffenen  Größe  hingestellt  hat.  Das  Drama  wurde  nach 
ihm  leidenschaftlicher,  die  Charaktere  noch  schärfer,  die  Klassik  der  lyrischen 
Situation  ist  ihm  geblieben.  In  Poussins  Armide  spielt  der  Glanz  eines  pa- 
thetischen Idealismus,  in  Marces  Hesperidcn  erkalten  die  Farben  eines  frag- 
mentarischen Koloristen,  in  Feuerbachs  Medea  erstarrt  die  Form  einer  stili- 
sierenden Bühne,  das  antike  Orpheusrelief  mit  dem  unentwegten  Rhythmus 
seiner  Gestalten  und  der  ewigen  Ruhe  seines  schamhaften  Gefühls  bleibt 
durch  die  Geschichte  ein  Wahrzeichen.  Glucks  Rezitativ  ist  von  diesem 
rührend  unverfälschten  Ausdruck,  seine  Deklamation  ist  keusch  und  rein, 
seine  Ensembles  sind  ein  gefügter  Bau,  seine  Arien  sind  Linien  voll  ruhiger 
Ehrfurcht,  die  der  Bodcngestaltung  seiner  wohlgeschichteten  Harmonien, 
ohne  alle  Erregungen  des  willkürlichen  Augenblicks,  folgen,  seine  Tänze  sind 
das  Bild  gleichbewegter  Rhythmen,  seine  Chöre  sind  Stereometrie  von  mas- 
siver Gesetzmäßigkeit.  Die  Soli  und  die  Ensembles  verbinden  sich  zu  sym- 
metrischen Gebilden  von  der  Ornamentalität  des  alten  Reliefs.  Alles  ist  auf- 
einander bezogen,  aneinander  gerichtet  und  wohl  abgemessen  im  Verhältnis 
des  Dramas  zum  Tableau,  des  Lyrischen  zum  Bewegenden,  des  schattierten 
Orchesters  zur  leibhaftigen  Person.  Die  Szenen  seines  Orpheus  sind  das 
Vermächtnis  einer  Zeit,  die  das  stehende  Oratorium  auch  auf  der  Bühne  den 
letzten  Anforderungen  der  Dramatik  nicht  opferte.  Es  sind  die  seligen  Geister 
des  Klassizismus. 


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DIE  BUFFO-OPER  UND  MOZART 


Anfänge  der  italienischen  Buffooper 

DIE  italienische  Buffooper  ist  von  einem  Papst  begründet  worden.  Als  er 
noch  nicht  Clemens  IX.  hieß,  dichtete  Giulio  Rospigliosi  die  Komödie 
Che  soffre,  speri,  die  Mazzocchi  und  Marazzoli  in  Musik  setzten.  Uber  die 
Eindrücke  der  ersten  Aufführung  in  Rom  1639  'st  sogar  ein  Brief  Miltons 
erhalten.  Heut  wäre  der  Eindruck  nichts  als  Langeweile.  Denn  die  Musik 
besteht  zum  größten  Teil  aus  leichten,  hingeworfenen  Sekkorezitativen,  deren 
Parlandostil  hier  zum  erstenmal  sich  bewährte.  Wenig  geschlossene  Nummern, 
einfache  Chöre,  Aber  es  hatte  einer  gewagt,  neben  den  (schwächlichen)  F-del- 
leuten  Bauern  und  Volksfiguren  der  Musik  zu  empfehlen,  deren  Typen  durch 
die  florcntinische  Bauernkomödie  genug  realistisch  vorgearbeitet  waren,  um 
sich  musikalisch  illustrieren  zu  können.  Der  Inhalt?  Hugo  Goldschmidt  in 
seinen  Studien  zur  Geschichte  der  italienischen  Oper  entwickelt  ihn  für 
historische  Philologen.  Unerzählbar.  Die  beiden  großen  Motive  der  Buffa, 
Hunger  und  Verkleidung,  sind  da.  Ein  Jahrmarkt  mit  den  kontrapunktierten 
Stimmen  der  Ausrufer,  die  schon  die  alte  programmatische  Vokalmusik  ge- 
liebt hatte.  Die  Sprache  in  den  unteren  Schichten  Dialekt. 

So  ganz  Buffostil  ist  dieses  Stück  trotzdem  nicht.  Es  ist  nur  mit  Musik 
begossen,  nicht  in  Musik  gesetzt.  Der  Buffostil  will  Spott.  Er  will  die  Schick- 
sale der  Menschen  auf  ihre  geheimen  tänzerischen  Qualitäten  anspielen,  sie 
sollen  ihre  Empfindungen  zu  Liedchen  machen  und  im  scharfen  Takte  laufen 
lassen  und  sollen  sich  über  diese  reizende  Unart  mit  ein  wenig  Lyrik  trösten. 
Kommt  her,  geschwätziger  Doktor  Graziano  aus  Bologna,  und  du,  alter  gei- 
ziger, betrogener  Pantalon  aus  Venedig,  und  der  schlagfertige  Bergamasker 
Diener  Harlekin,  ihr  renommistischcn  Soldaten  des  Plautus  und  Terenz,  die 
liebe  Bande  der  Commedia  dell’  arte,  der  Pulcincll  mit  der  ganzen  Reihe 
seiner  Geliebten,  Lucrezia  oder  Zeza  zuerst,  dann  Rosina,  Carmine,  Pimpi- 
nella,  Colombine,  singt  lustig  und  zärtlich,  wie  ihr  seit  alten  Zeiten  singt, 
in  den  Intermezzi,  die  man  in  die  ernsten  Schauspiele  einschiebt,  macht 
Spanier,  Deutsche,  Juden,  Sizilianer  in  feinen  Chören  nach,  wie  Orazio 
Vecchi  es  euch  in  den  Veglie  di  Siena  empfahl,  verstellt  euch  als  Tiere  und 
geniert  euch  nicht  vor  Naturlauten,  tritri  die  Grille,  quaqua  der  Frosch, 

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bebe  das  Lamm,  cucchericö  der  Hahn,  und  die  Kanone  bon-bon  und  gar 
der  glucksende  Wein  im  Bauch  clo-clo,  — ihr  habt  eine  Welt  da  auf  der  Bühne 
zu  erobern,  die  kleinen  Leute  für  die  kleinen  Leute.  Und  das  wird  das  Größte 
werden. 

Schon  zuckt  es  allerorten  vom  Spott  gegen  das  Pathos,  in  manchem  Cha- 
ron, in  manchem  Stotterer,  in  manchem  Renommiersoldaten.  Da  lacht  Vul- 
kan in  Cestis  Disgrazie  d’amore,  da  mozartelt  leise  in  seiner  Magnaminitä 
d’Alessandro  die  Aliffa  „Bella  usanza  ccrto  si“,  da  flucht  der  Soldat  in  Ca- 
vallis  Doriclea  auf  den  Krieg  und  verulkt  die  hundertfach  gehörten  Rufe 
All’  armi,  da  spottet  in  Landis  San  Alessio  (von  unserem  Freund  Rospi- 
gliosi)  so  zierlich  melodiös  das  Duett  der  Pagen  und  Luigi  Rossis  Orfeo 
schämt  sich  nicht  der  Operette  — Rospigliosi  hatte  1654  eine  zweite  komische 
Oper  gedichtet,  Dal  mal  il  bene,  nach  Motiven  des  Calderon,  dessen  Hei- 
mat er  unterdessen  als  Nuntius  besucht  hatte:  steife  Edelleute  und  lustige 
Volksfiguren,  HerrTabacco  und  Fräulein  Marina.  Abbatini  hatte  den  ersten 
und  dritten  Akt  komponiert,  Marazzoli  den  zweiten.  Abbatini  macht  die  ersten 
richtigen  Finales,  natürlich  noch  ohne  Individualisierung,  aber  er  fühlt  doch 
die  Konsequenz  des  Buffostils  zum  Ensemble.  Leporelloklagen  des  Dieners, 
verzwickte  Verwechslungen,  Wiedererkennungen,  Schlußpaare  sind  typisch. 
Tabacco  ist  ein  Ahn  des  Figaro.  Er  proklamiert  eine  Weltanschauung,  die 
die  Moral  aller  Buffoopern  sein  könnte:  Traurigkeit  schadet  der  Gesundheit. 
Seine  trällernden  Liedchen,  während  er  versteckt  beobachtet,  seine  tänze- 
rischen Bekenntnisse,  deren  lustige  Melodie  er  schließlich  nur  noch  auf  do  re 
mi  fa  fortsummt,  sind  sehr  sympathisch.  Musikalische  Reize:  die  ausgehal- 
tenen Töne  über  wechselnden  Bässen,  ein  Terzett  im  Dakapostil,  hübsch  me- 
lodische Aricttcn,  mehrstimmige  Rczitative,  Ansätze  zur  Charakteristik  — 
und  doch  ist  das  Genre  noch  etwas  literarisch  geblieben,  viel  sprühender  als 
der  erste  Versuch  es  war,  aber  mehr  über  das  Volk,  als  aus  dem  Volk.  Nicht 
anders  die  komische  Oper  Tancia  von  Moniglia  und  Melani:  Liebeserklä- 
rung des  Tölpels,  Abweisung,  Rache,  Verwechslungen,  Ständchen,  Prügel, 
Erkennung  der  Tochter,  Entführung  beim  Fest,  Tierstimmenimitation,  ab- 
sichtlich falscher  Dialekt,  Parodie  venezianischer  Beschwörungsszene  — jeder 
Akt  schließt  mit  einem  Ensemble.  Das  Springende  und  Spottende  ist  mehr 
eine  Einlage  in  das  Gewebe  einer  halbseriösen  Oper  im  halbvenezianischen 
Stil.  Die  Tancia  eröffnete  1657  das  Pergolatheater  in  Florenz. 

Die  Stadt  des  Pulcinell  wird  die  wahre  Buffostadt.  Ganz  klar  ist  es 
nicht,  weil  es  so  ganz  aus  dem  Volke  kam.  D’Arienzo  hat  versucht,  in  seiner 
„Entstehung  der  komischen  Oper“  das  Dunkel  dieser  lustigen  Epoche  zu 
lichten.  Der  Komponist  Cirillo  taucht  auf,  als  Überleiter  von  Florenz  nach 

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Hogarth:  Dritter  Akt  der  Bettlcropcr,  Miss  Fenton  alsPolly. 


Der  Herzog  von  Bolton  und  Gay  unter  den  Zu 


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Neapel,  im  17.  Jahrhundert,  der  dieselbe  Orontea  vertonte  wie  Cesti. 
Und  neben  ihm  Provenzale  mit  seinem  Schiavo  della  sua  moglie  (1671). 
Er  ist  Scarlattis  Lehrer,  dessen  Trionfo  dell’  onore  1719  (ein  Don  Juan- 
stoff)  die  älteste  erhaltene  Neapler  Buffooper  ist,  und  dieser  der  Lehrer  Lo- 
groscinos,  bei  dem  der  Stil,  das  Parlando,  das  Finale  fertig  wird.  In  Vincis 
Zite’n  galcra  sprechen  alle,  außer  einem,  Dialekt,  das  Finale  hat  fünf  Per- 
sonen, die  Verspottung  der  tragischen  Effekte  ist  der  Witz  eines  Duetts  — 
und  lyrische  Ergüsse  sind  die  Sauce.  Liebe  und  Prügel  sind  der  Inhalt,  wie 
sie  der  Inhalt  von  Pergolesis  Frate  innamorato  sind,  der  an  musikali- 
schem Gehalt  die  Vorläufer  in  Schatten  stellt.  Das  war  1732.  Im  nächsten 
Jahr  schrieb  dieser  meteoraufleuchtende,  früh  sterbende  Komponist  die 
Serva  padrona,  die  erste  reine,  die  erste  durchbrechende  Buffooper,  die 
heut  noch  nicht  verschwunden  ist.  Man  muß  immer  bedenken,  daß  diese 
alten  Meister  ihre  Buffoopern  neben  den  ernsten  Werken,  durchaus  nicht 
als  einziges  Lebensziel,  arbeiteten.  Wer  weiß  noch  etwas  von  Pergolesis 
Olimpiade  oder  Flaminio  ? In  der  Kirchenmusik  und  auf  der  Buffo- 
bühne ist  er  geblieben.  Das  Schicksal  der  Serva  padrona  ist  wunderbar. 

Das  Stück  hat  nur  drei  Personen.  Eine,  der  Diener,  ist  stumm  und  gibt 
sich  zu  den  üblichen  Püffen  und  Verkleidungen  her,  um  die  Eifersucht  zu 
wecken,  die  die  Serva  braucht,  ihren  Padrone  zur  Ehe  zu  zwingen.  Diese 
beiden  singen,  von  einfachen  Streichern  begleitet,  ihre  Parlandi,  ihre  kleinen 
Soloarien  und  am  Schlüsse  jedes  der  beiden  Akte  ein  Duett.  Die  Musik  ist 
von  einer  kristallnen  Klarheit,  die  Melodie  von  süß  bewegten  Reizen,  der 
mimische  Ausdruck  ihres  Buffocharakters  schlagend  und  alles  auf  so  knappe 
und  präzise  Faktur  gebracht,  daß  es  den  einfachen  musikalischen  Sinn  nicht 
weniger  befriedigt,  als  es  dem  verwöhnten  Ohr  durch  seine  archaisch  gebun- 
dene Ehrlichkeit  schmeichelt. 

Am  4.  Oktober  1746  wird  die  Serva  padrona  in  Paris  zum  erstenmal 
im  Theätre  des  Italiens  gegeben.  Des  Venezianers  Sacrati  Finta  pazza  war 
hundert  Jahre  vorher  schon  in  Paris  gespielt  — und  vergessen  worden.  Der 
Mercure  schrieb  nur  darüber:  Es  scheint  ähnlich  zu  sein,  wie  die  Buffoauf- 
führungen 1729  in  der  Opera  comique  italienne,  gemischt  mit  Prosa,  die 
Musik  fand  man  exzellent,  von  einem  auteur  ultramontain  „Pergolese“,  mort 
fort  jeune.  1752  geben  cs  die  Bouffons  in  der  Großen  Oper  als  ein  Inter- 
mezzo zu  Acis  und  Galathee.  Sie  werden  ausgewiesen.  1754  wird  es  fran- 
zösisch übersetzt  und  in  der  Comedie  italienne  gegeben,  als  so  großer  Erfolg, 
daß  es  die  ganze  antifranzösischc  Stimmung  in  Fluß  bringt,  die  Buffonisten- 
parteien  weckt,  die  französische  komische  Oper  ins  Leben  ruft  und  somit 
aller  Welt  zeigt,  wie  man  jung  und  frisch  werden  könne,  wenn  man  lieb  und 

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nett  ist.  Die  Wellenkrcise  gingen  in  die  gesamte  Oper,  bis  an  den  letzten 
Rand  des  Pathos. 

Welche  dunklen  oder  gelehrten  Namen  habe  ich  da  in  die  Anfangs- 
geschichte der  komischen  Oper  geworfen,  bis  ich  an  diesem  Punkte  war. 
Aber  ich  wollte  wissen,  wie  es  um  diese  Laune  zur  Musik  aussah,  ehe  Mozart 
wurde.  Es  ist  kein  Roman,  es  ist  ein  Stückchen  Liebhaberei  des  Volkes,  die 
die  Künstler  zielbewußt  aufnehmen.  Alles  Literarische,  der  marinistische 
Ton  der  Edlen  und  das  Volksgespringe  und  realistische  Getue  der  Niederen, 
der  Spott  und  die  Parodie  in  Venedig  und  in  Florenz,  alles  das  versank  vor 
der  Laune  Pulcinells,  der  sich  in  Bürgerkreise  begab,  um  die  Tragikomödie 
des  täglichen  Lebens  in  Liedern  zu  belachen  und  zu  besingen.  Er  selbst  zog 
vor,  hinter  den  Kulissen  zu  bleiben  und  die  Regie  zu  führen.  Der  Spott  war 
nur  das  Kostüm,  ein  rührsames  Herz  schlug  dahinter.  Der  Adel  lebt  woll- 
lüstig,  der  Diener  wird  gefoppt,  der  Bürger  hat  sein  Recht  auf  die  Musik. 
In  der  Parodie  steckte  Revolution,  in  der  Klage  die  Sanftmut  einer  schön 
beruhigten  Form.  So  kam  die  Form  über  das  Pathos  und  der  Geist  wieder 
über  die  Form.  Man  sang  und  tanzte  das  bürgerliche  Leben  zwischen  der 
Geste  der  vornehmen  Welt  und  der  Karikatur  des  Sklaven,  zwischen  Spanien 
und  Terenz,  in  dieser  lichtvollen,  klingenden  Neapler  Heimat.  Man  war 
ganz  frei  und  musizierte  nach  Lust,  schöne,  gefaßte,  heimlich  tanzende  und 
liedmäßige  Musik,  ein  wohlgeordneter  Ball  von  Gefühlen,  der  mit  der  Kraft 
aller  vergnüglichen  Disziplin  auf  die  große  Oper  hinüberwirkte. 

Von  Neapel  aus,  nach  Neapel  hinüber  folgt  Buffooper  auf  Buffooper. 
Wer  zählt  sie  auf!  Ein  Abschnitt  scheint  wieder  mit  Piccinis  Buona  figliuola 
erreicht,  die  in  Rom  1760  ihren  Welterfolg  hat.  Adel  und  Bauern.  Die 
Bäuerin  ist  schließlich  Adelskind.  Viel  Dialekt  und  ungebildete  Sprache. 
Ein  naiver  und  dummer  Text:  wenn  einer  in  eine  dramatische  Verlegenheit 
kommt,  sagt  er  einfach  „vivement“  die  Wahrheit.  Aber  in  der  Musik  sind 
geschliffene  Schönheiten:  die  berühmten  Finales,  mit  Wiederkehr  der  An- 
fangsmotive, also  noch  rondomäßig,  dazwischen  sauber  rhythmisch  gesetzte 
Repliken,  das  famose  Lied  unseres  alten  Freundes,  des  Renommiersoldaten 
Taillefer,  feine  Kontraste  im  Duett  zwischen  diesem  derben  Kerl  und  dem 
sensiblen  Marquis,  das  reizend  melodische,  auf  Tonika  und  Dominante  wie- 
gende Duett  zwischen  den  Sopranen  Marton  und  Annette  und  vor  allem  im 
letzten  Akt  das  Duett  des  Marquis  mit  der  Rosette,  in  Linie  und  Bau  des 
Meisters  würdig,  auf  den  alle  diese  Wege  hinzielen. 


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Die  englische  Bcttlcroper 

ITALIEN  hatte  gleichzeitig  eine  ernste  und  eine  komische  Oper  von  Be- 
deutung gehabt,  Frankreich  kam  ihm,  wenn  auch  zögernd,  in  dieser  Doppel- 
seitigkeit  nach,  Deutschland  erst  viel,  viel  später,  und  England  zog  sich  sehr 
teilweise  aus  der  Affäre.  Man  bezcichncte  Purcell  im  17.  Jahrhundert  als 
nationalen  Komponisten,  weil  seine  großen  Opern  englischen  Text  hatten  — 
in  Wahrheit  waren  sie  italienische  Derivata.  Aber  1727  passierte  etwas  Merk- 
würdiges. Man  war  cs  gewohnt,  auf  der  Bühne  Volkslieder  zu  hören,  auch 
mit  neuem  untergelegtem  Text,  der  aus  der  Situation  schöpfte.  John  Gay 
entschloß  sich,  ein  ganzes 
solches  Stück  zu  machen. 

Es  war  seine  berühmte 
„Bettleroper“,  das  epoche- 
machende Werk  dieses 
Genres  der  Ballade-opera. 

Er  griff  in  die  Hefe  des 
Volkes.  Wirklich  lebende 
Personen  wurden  persi- 
fliert. Jonathan  Wild  war 
ein  Polizeispitzel  gewesen, 
ein  überzeugter  Deist,  was 
ihn  nicht  gehindert  hatte, 

35  Räuber,  22  Einbrecher, 
to  anderweitige  Verbre- 
cher der  Gerechtigkeit  zu 
überliefern  und  fünfmal  verheiratet  zu  sein.  Aus  Swiftschen  Anregungen, 
oppositionell  gewappnet,  machte  Gay  seinen  Text,  der  vielleicht  das 
Witzigste  und  Lebensvollste  ist,  was  je  einer  Oper  geboten  wurde.  Herr 
Jonathan  Wild  wurde  das  Modell  eines  Spitzels,  namens  Peacham,  dessen 
Tochter  Polly  mit  dem  Verbrecher  Macheath  verheiratet  ist.  Peacham  in 
seiner  natürlichen  Abneigung  gegen  diesen  Beruf  verhaftet  seinen  Schwie- 
gersohn, der  sofort,  seiner  gemeinen  Veranlagung  getreu,  Polly  abschwört. 
Daß  er  schließlich  doch  nicht  gehängt  wird,  ist  das  Resultat  einer  der 
Operntragik  abgeneigten  Unterhaltung  zwischen  dem  Player  und  dem 
Bcggar,  die  Prolog  und  Epilog  des  Stückes  bestreiten.  Wir  sind  mitten  unter 
Apachen  und  Dirnen,  atmen  die  Luft  ihrer  versteckten  Lokale,  verkehren 
mit  ihnen  unter  ihren  Gaunernamen,  sprechen  mit  ihnen  in  ihrer  Verbrecher- 
sprache und  verstehen  sie  durch  die  Musik.  Die  Musik  ist,  außer  einer  von 

1 47 


Hogarth.  Ticket  zur  Bcttlcroper 


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Pepusch  komponierten  kleinen  Ou- 
vertüre, nichts  eigen  Erfundenes, 
sondern  alles  sind  Volkslieder,  Bal- 
laden, Tänze,  wie  sie  reicher  als  je 
im  englischen  Mund  leben  und  das 
englische  Publikum  entzücken.  Wel- 
cher Rhythmus,  welcher  kräftige 
Schnitt  in  den  Figuren,  welcher 
herbe  Reiz  in  den  alten  knochigen 
Kanten  und  plärrend  weiten  Inter- 
vallen. Bald  singen  sie  diese  Lieder 
allein,  bald  wechselnd  im  Duett, 
bald  im  Refrain  des  Chors : der 
akrobatische  Tanz  bewegt  sie,  eine 
klowneske  Parodie  auf  die  große 
Arie,  die  Gauner  im  Kontretanz, 
die  Gefangenen  in  Ketten  tanzend, 
aber  der  Trost  der  verspotteten 
heroischen  Gebärde  heißt : The  grea- 
test  heroes  have  been  ruined  by 
women.  Die  neu  hinzugcdichtctcn 
Texte  zu  diesen  Volksliedern  sind 
literarisch  ein  Genuß,  sie  stehen  in 
ihren  scharfen  und  feinen  Rhythmen 
als  vollendete  Lyrik  mitten  in  dem 
breiten  und  witzigen  Dialog.  Ich 
habe  einen  Originaldruck  der  Bcggar’s  opera  in  der  Hand.  Die  Noten  sind 
nur  einstimmig  gegeben,  der  ursprüngliche  Text  des  Volksliedes  steht  im 
Stichwort  immer  darüber.  Die  Begleitung  kann  sich  jeder  machen. 

Das  englische  Genre,  das  die  einfachsten  musikalischen  Instinkte  auf  eine 
sehr  anständige  Weise  befriedigte,  hatte  seine  unübersehbaren  Fortsetzungen. 
Es  wirkte  ins  Leben,  in  die  Kunst,  in  die  Malerei  — zu  Hogarth.  Die  Dar- 
stellerin der  Polly,  Miß  Fcnton,  heiratet  den  Herzog  von  Bolton.  Indessen 
pflanzt  sich  die  literarische  Polly  fort  zu  einem  zweiten  Stück  dieser  Art 
„Polly“,  das  in  Amerika  spielt  mit  Indianerepisoden,  auf  der  einen  Seite  ein- 
facher und  rührender,  auf  der  anderen  aber  schon  degeneriert  durch  italie- 
nische Arien  und  französische  Chansons  als  Einlagen.  Man  liest  das  Nähere  in 
Sarrazins  Schrift  über  Gay,  der  den  Text  neu  druckt.  Die  Ballade-operas  wach- 
sen ins  maßlose.  In  Berlin  finden  sich  noch  ganze  Manuskriptbündel. 

148 


I «7  I 


THE 


BEGGAR’S  OPERA. 


ACT  i. 

SCENE  Peachum’s  Ha,/,. 

Pcichura  ßlting  at  aTablt,  w'tbalatjt  Bcok  §f  AictvMt 
btfert  bim. 


AIR  I.  An  old  vornan  cloathcd  in  gray. 


1%: 

j T*HROUGIi  üU  tbt  tmp'ojnrnis  ef  life 
Ejtb  ntifchbour  abufti  bis  bretber ; 

Wbore  r.nd  Rc^me  tb*y  teil  Haftend  and  fVtfi  s 
AU  prefeßtas  be  reit  9 nt  anetbtr. 

Tbe  Prieft  falls  tbi  Laufet  a tbeat% 

The  Lau-? er  beknavts  tbe  Dtvitt  5 
Jad  tbe  Statt/ man,  betcufe  kt  s fo  grtaf, 

7btuh  bis  (rede  es  bcutjl  at  mint. 

B ALawycf 

Eine  Seite  au*  der  Bettleropcr.  Druck  von  1777 


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Deutsche  Singspiele 

ENGLISCHE  Einflüsse  mischen  sich  in  Paris  mit  denen  der  italienischen 
Buffooper,  um  die  geistsprühende  französische  komische  Oper  zu  wecken, 
in  Deutschland  regen  sie  ein  Singspiel  an,  das  sich  bald  als  die  Quelle  einer  Kunst 
erweist,  die  viel  nationaler  gefärbt  ist  als  alle  große  Oper.  In  Wien  war  die 
große  Oper  venezianisch  geblieben  bis  hinunter  zu  Fuxens  Costanza  e for- 
tezza,  deren  Bombenaufführung  in  Prag  uns  Quantz  geschildert  hat  — das 
Stück  ist  mit  seinem  ganzen  Apparat  in  den  österreichischen  Denkmälern 
neu  gedruckt.  In  Deutschland  herrschte  die  Maske  des  Italienertums  von 
Schützens  Dafne  bis  Holzbauers  Günther,  auch  vor  den  deutschen  Text- 
worten. Die  Hamburger  um  Keiser,  die  vielen  Opern  des  Wolfcnbüttlers 
Schürmann,  Scheibes  Thusnelda,  Müllers  Niobe,  die  deutschen  Opern 
Schweitzers,  die  ihre  Zeit  in  Aufregung  setzten,  waren  Enttäuschungen. 
Der  Mannheimer  Hof,  der  das  beste  Orchester  züchtete  und  die  Anfänge 
der  modernen  Symphonie  kultivierte,  ließ  auch  diesen  Schweitzer  kommen, 
er  gab  sich  um  die  deutsche  Oper  Mühe,  er  setzte  seine  größten  Hoffnungen 
auf  Holzhauer,  dessen  Günther  von  Schwarzburg  1777  (von  Krctzschmar 
in  den  Deutschen  Denkmälern  herausgegeben)  für  die  Verwechslung  der 
Phrase  mit  dem  Naturell  bezeichnend  war.  In  diesem  Texte,  der  einen  na- 
tionalen kriegerischen  Stoff  unter  Beziehungen  auf  die  Pfalz  in  Metastasioart 
mit  Liebesgeschichten  verquickt,  geht  es  hoch  her  mit  Schildklappern  und 
Vater-Teutrufen  und  Günther  stirbt:  „Entnervender  als  Zwietracht  ist 
Hang  zu  fremder  Sitte.  Stolz,  deutsch  zu  sein,  ist  Eure  Größe.“  Es  hatte 
noch  Zeit  bis  zu  den  Meistersingern.  Das  unbeschreiblich  kindische,  sprach- 
lich-deklamatorisch ganz  willkürlich  behandelte  Libretto  wird  in  der  Musik 
entnationalisiert,  die  im  allgemeinen  symphonisch  arbeitet  und,  einige  glück- 
liche Stellen  ausgenommen,  ebenso  mechanisch,  wie  äußerlich,  wie  undeutsch 
ist;  aber  kontrapunktisch  anständig,  monoton  bald,  bald  koloriert  wie 
Hasse.  Das  Beste  ist  das  fein  behandelte  Orchester,  das  die  treffliche  Mann- 
heimer Schule  zeigt.  Die  vielen  Akkompagnati  mit  gemaltem  Beben,  mit 
Wüsten,  Donner,  Nacht,  empörten  Elementen,  W'ind,  Blättern,  Wogen, 
Klüften,  Himmeln  sind  die  typischen  italienischen.  Die  große  Szene  der 
Pfalzgräfin  geht  in  diesen  Übertreibungen  unter,  die  sonst  in  ihren  Arien 
manche  Zärtlichkeiten  aufweist.  Ein  Sturmchor,  einiges  Temperament  im 
Liebesductt,  vor  allem  die  Es-Dur-Arie  Rudolfs  „Wenn  das  Silber  deiner 
Haare“  bleiben  in  der  Erinnerung.  Der  Timbre  dieser  Arie  mahnt  wirklich 
schon  etwas  an  Mozarts  Zauberflötengesang,  mit  dem  man  auch  sonst  gern 
diese  Oper  in  eine  leise  Berührung  bringt,  weil  sic  dem  Meister  gefallen  hat. 

149 


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Die  Berührung  ist  nur  äußerlich.  Anständige  Gesinnung  und  Genie  ver- 
pflichten einander  nicht.  O,  es  ist  all  das  so  ungeschickt. 

Die  innerlich  deutsche  Art  kam  langsam,  auf  Umwegen,  plötzlich  er- 
leuchtet von  Mozarts  Genie,  reif  erst  in  Weber,  aus  dem  Singspiel.  Die  Wege 
dieser  ersten  deutschen  Singspiele  sind  selbst  eine  kleine  Buffooper  der  Ge- 
schichte, an  Intrigen,  Verwechslungen,  Verkleidungen  und  Hanswurstereien 
überreich.  Springen  wir  hindurch.  Gay  und  Coffey  arbeiten,  als  Folge 
der  Bcttleroper,  in  England  1728  den  Devil  to  pay  und  1735  als  zweiten 
Teil  den  Merry  cobler.  Volkslieder  sind  darin  und  auch  Neukomponiertes. 
Die  Schönemannsche  Truppe  in  Berlin  macht  es  sich  zunutze,  gibt  danach 
ein  Singspiel  „Der  Teufel  ist  los“,  1743,  aus  Vorsicht  im  Manuskript,  über- 
setzt von  Brock,  dem  ersten  Übersetzer  von  Shakespeares  Cäsar.  Einige 
Jahre  darauf  hat  die  Kochsche  Truppe  das  Stück,  zwei  Teile  „Der  Teufel  ist 
los“  und  „Der  lustige  Schuster“.  Dort  handelt  es  sich  um  die  Vertauschung 
einer  reichen  schlechten  und  einer  armen  guten  Frau  durch  einen  Zauberer 
— hier  wird  ein  grober  Schuster  gefügig  gemacht.  Die  Texte  hat  Koch  selbst 
und  Weiße  bearbeitet,  die  Musik  Standfuß  gemacht,  der  deutsche  Singspicl- 
begründer:  einfache,  derbe  Melodien,  nicht  ohne  italienischen  Buffoein- 
schlag, die  Begleitung  gern  etwas  realistisch.  Standfuß  stirbt.  Weiße  arbeitet 
den  Text  noch  einmal  um  nach  des  Parisers  Sedaine  Diable  ä quatre,  einem 
der  hundert  Singspiele  der  Franzosen,  die  nach  derselben  englischen  An- 
regung ihre  Texte  mit  Volksliedern  oder  Parodien  großer  Arien  beleben,  — 
ihre  Herkunft  festzustellen  ist  wieder  einer  Doktordissertation  würdig.  Den 
neuen  Weißeschen  Text  komponiert  Hiller.  F.r  ist  ein  grämlicher  Mann  und 
hat  Kopfschmerzen,  aber  er  bringt  das  deutsche  Singspiel  auf  seine  erste  spie- 
ßige Höhe.  Er  liebt  Hasse  und  stellt  sich  gebildet:  Koloraturen,  Sequenzen. 
Er  will  höher.  Favart  hat  in  Paris  seine  Fee  Urgele  gemacht,  eine  Zauber- 
oper, wo  eine  Art  Leporello,  eine  Art  Papageno  und  ein  Verlieben  in  ein  Bild- 
nis vorkommt:  genug,  um  als  Vorstufe  Mozarts  angesehen  zu  werden.  1764 
bearbeitet  Schicbelcr  danach  einen  deutschen  Text,  der  französisch  Lisuart 
und  Dariolette  heißt,  und  Hiller  macht  eine  proto-romantische  Musik  dazu, 
die  aber  ganz  italienisch  ausfällt.  Großer  Erfolg  der  Kochschen  Truppe. 

Johann  Adam  Hiller,  der  Gründer  der  Gewandhauskonzerte,  Musikzei- 
tungserfinder, Popularisierer  des  deutschen  Liedes,  der  berühmte  einfache 
deutsche  Mann,  war  ein  Philister.  In  ihrer  Schrift  über  die  ersten  deutschen 
Singspiele,  die  dies  reizende  Material  sehr  interessant  zusammenbringt,  stellt 
Calmus  die  französischen  Originale  und  die  Hillerschen  Singspiele  neben- 
einander: welcher  Abstand!  Grazie  und  Suff.  Die  rhythmische  Beweglich- 
keit, die  Ensemblefreudigkeit,  der  elegante  Schliff  und  das  skeptische  Lächeln 

I5° 


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des  Parisers  wird  plump,  steif,  bür- 
gerlich dumm  und  gräßlich  senti- 
mental. Hiller  ereifert  sich  gegen 
das  französische  Verfahren  mit  persi- 
flierten, geborgten  Liedern : er  fühlt 
sich  besser  als  Gluck  und  Gretry, 
auch  er  verwechselt  Gesinnung  und 
Genie.  In  dem  Qui  pro  quo  dieser 
alten  internationalen  Singspiele 
spielt  er  die  Rolle  des  Michel,  der 
seine  Zipfelmütze  für  eine  Krone 
ausgibt : man  zieht  sie  ihm  über  seine 
treuen  Augen,  damit  er  seinen  Hei- 
land nicht  sehe. 

Der  Italiener  Ciampi  hatte  seinen 
Bertoldo  in  corte  gemacht,  danach 
Favart  seine  Ninette  ä la  cour, 
danach  Weiße  und  Hiller  ihre  Lott- 
chen  am  Hofe:  schließlich  ging  die 
Geschichte  wieder  nach  Italien  zu- 
rück und  zuletzt  wirkte  sie  womöglich 
auf  Beaumarchais’  Figaro.  Schlechte 
Edelleute  und  gute  Bürger,  ein  Mädel 
wird  vom  Hofmann  verführt,  die  Gräfin  statt  ihrer  im  Finstern,  Verderbnis, 
Entdeckung,  Anspielungen  — Hiller  war  in  diesem  Stück  leichter  geworden, 
er  vermeidet  das  Dakapo,  er  versucht  die  Einheit  zwischen  dem  Volkslied  der 
niederen  Guten  und  dem  Arioso  der  adligen  Schlechten.  Frau  Favart,  die 
große  Brettldiva,  einst  die  Mätresse  des  Marschalls  von  Sachsen,  wie  Casanova 
von  ihr  berichtet,  hatte  einen  Freund,  den  Abbe  Voisenan,  genannt  Archiveque 
de  comedic  italienne.  Er  machte  ihr  Annette  et  Lubin  und  nach  diesem  und 
anderen  Stücken  schweißte  Weiße  die  „Liebe  auf  dem  Lande“  zusammen,  die 
Hiller  komponierte.  1753,  in  der  Serva-padrona-Zeit,  war  gegen  die  Buffo- 
nisten Mondonvilles  Titon  et  Aurore  aufgeführt  worden.  Favarts  Lubin  pa- 
rodiert jetzt  noch  (1762)  die  Arien  Titons,  Annette  aber  verspottet  ihn  mit 
einem  Volkslied.  So  waren  die  Zeiten.  Die  deutsche  Übersetzung  nimmt  es 
ganz  naiv  auf.  Was  wollte  Hiller  von  den  französischen  Parodien  f Sie  waren 
so  geistvoll,  daß  in  ihnen  sich  sogar  Herr  und  Frau  Favart  gegenseitig  aufzogen. 
Doch  ich  komme  in  das  entzückende  Fahrwasser  der  Pariser  komischen  Oper 
— die  Tour  ist  zu  lohnend,  sie  muß  für  einen  besonderen  Tag  bleiben. 


Hiller.  Alter  Stich 


Es  geht  mit  Hiller  so  weiter.  Die  „Jagd“,  1770  in  Weimar  aufgeführt, 
Anna  Amalia  gewidmet,  ist  einer  der  Schlager  der  Kochschen  Truppe  ge- 
worden. Wieder  aus  französischen  Mustern  zusammengesetzt.  Der  König, 
unerkannt  im  Volke,  wird  von  dessen  Liebe  gerührt,  die  Guten  werden  be- 
lohnt, die  adligen  Verführer  bestraft.  Ein  Gewitterduettchen  mit  rollenden 
Passagen.  Ein  Sturmorchester,  Zwischenspiel  bei  leerer  Szene.  Das  welt- 
berühmte Hannchenlied  „Als  ich  auf  meiner  Bleiche  ein  Stückchen  Garn  be- 
goß“. Hiller  sinkt  in  das  Herz  der  Deutschen.  Noch  Spohr  liebte  ihn.  Seine 
Ensemblechen,  auch  am  Aktschluß,  alle  kleinen  drastischen  Soli  mit  Sprech- 
witzen und  Orchesterbildchen,  das  Schnarchen  und  Brummen  und  Hüpfen, 
die  lieben  Melodien  und  sonntäglichen  Gefühle,  das  Vornehmgetue  und  das 
Volkstümliche  in  ihrer  harmlosen  Trennung  und  Vereinigung  mischten  end- 
lich das  englische  Lied  mit  der  italienischen  Buffokunst,  und  so  hatte  der 
Deutsche  von  allem,  was  er  wollte.  „Das  liebe  Patschgen  zu  küssen,  ist  eine 
Panacee,“  heißt  es  im  Doifbarbier.  Es  traf  Instinkte.  Noch  Lortzing  be- 
arbeitete die  Jagd.  Bis  1890  hielt  sie  sich. 


Mozarts  Jugend 

HERR  Meßmer,  der  berühmte  Magnetiseur,  hatte  reich  geheiratet  und 
besaß  ein  Landhaus  bei  W'ien.  Dort  wurde  im  Jahre  1768  ein  kleines 
deutsches  Singspiel  aufgeführt,  „Bastion  und  Bastienne“,  das  einen  zwölf- 
jährigen Knaben  namens  Wolfgang  Amadeus  Mozart  zum  Komponisten 
hatte.  Der  Text  war  von  einem  Herrn  Weiskern  nach  einer  französischen 
Vorlage  der  Madame  Eavart  bearbeitet  w'orden,  die  wieder  eine  Parodie  auf 
Rousseaus  berühmten  „Devin  de  village“  gewesen  war,  nicht  so  pastoral- 
idyllisch  wie  das  Original,  sondern  derb-bäuerlich,  mit  Dialekt,  und  Madame 
Favart  hatte  selbst  darin  als  Bäuerin  mit  Holzpantinen  die  Herzen  der  kleinen 
Leute  hingerissen.  Es  ist  die  einfache  Geschichte  eines  Bauern  und  einer 
Bäuerin,  die  ihre  gegenseitige  Liebe  anzweifeln  und  schließlich,  nicht  ohne 
Vermittlung  eines  vermeintlichen  Zauberers,  wiederfinden,  was  zu  einer  Reihe 
Liedchen  und  Duettchen  Veranlassung  gibt,  die  der  Dialog  verbindet.  Wer 
war  aber  der  kleine  Kerl,  der  da  so  hübsche  Melodien  setzte,  die  mindestens 
auf  der  Höhe  der  Hillerschen  standen  ? Man  brauchte  es  niemandem  in  dieser 
Gesellschaft  mehr  zu  sagen.  Jeder  kannte  ihn.  Das  war  das  Weltwunder  von 
Salzburg,  das  halb  Europa  schon  in  Aufregung  versetzt  hatte.  Onkel  Schacht- 
ner,  der  Trompeter,  hatte  es  so  vielen,  schon  erzählt,  wie  er  bereits  mit  vier 
Jahren  eine  Art  Klavierkonzert  hingekleckst  hat,  und  die  Violine  spielte  er, 

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fast  ohne  sie  zu  lernen  — aber  seine  Trompete,  die  mochte  er  nicht  leiden, 
die  tat  ihm  weh.  Und  erst  das  Klavierspielen!  Nannderl,  die  fünf  Jahre  älter 
war,  und  er,  der  Bub  von  sechs  Jahren,  waren  mit  dem  Vater  gereist  und 
hatten  gespielt,  erst  in  München  und  Wien,  dann  in  der  ganzen  Welt,  in 
Weimar,  Frankfurt,  Aachen,  Trier,  Brüssel  und  in  Paris  und  London  und  im 
Haag,  in  der  Schweiz,  drei  Jahre  waren  sie  fort  gewesen,  manches  Ungemach, 
manche  Krankheit  hatten  sie  durchgemacht,  aber  die  Könige  und  Fürsten 
hatten  ihnen  kostbare  Geschenke  gegeben,  und  sic  verkehrten  an  allen  Höfen, 
und  die  Musiker  hatten  Wolfgang,  dessen  Violinsonatcn  schon  gedruckt  und 
Symphonien  aufgeführt  wurden,  aufs  Gewissen  geprüft:  Gott,  er  spielte  auf 
verdeckter  Klaviatur,  er  improvisierte,  komponierte,  las  vom  Blatt,  Schwierig- 
keiten gab  es  nicht.  Mit  zehn  Jahren  hatte  er  schon  ein  Oratorium  geschrie- 
ben. Kaiser  Joseph  II.  hatte  ihm  auch  eine  Oper  zu  machen  gegeben:  „La 
finta  semplice“.  Es  war  ein  richtiges  Buffostück  mit  Ensembles.  Aber  Intri- 
gen verhinderten  die  Aufführung,  der  Direktor  mit  dem  schönen  Namen 
Afflisio  war  ein  fauler  Kopf,  er  hatte  sich  ein  Offizierspatent  erschwindelt  und 
soll  zuletzt  als  Fälscher  auf  die  Galeeren  gekommen  sein  — unter  Casanovas 
Bekannten  wimmelt  auch  er  herum. 

Erst  später,  in  Salzburg,  wurde  dieses  Stück  aufgeführt,  und  so  blieb  das 
kleine  deutsche  Singspiel  Bastien  und  Bastienne,  sehr  bezeichnenderweise, 
sein  öffentliches  Theaterdebüt.  Nun,  es  ist  ganz  nett,  aber  nicht  weiter  be- 
deutend. Die  Formen  der  Arien  sind  nicht  zu  streng,  gar  nicht  schulmäßig, 
und  die  Ensembles  sind  gar  leicht.  Wir  suchen  unbesonnen  nach  dem  späteren 
Mozart.  Das  naturalistische  Gis  im  D-Dur  des  Dudelsacks  fällt  uns  auf, 
manche  melodische  Wendung  in  der  Arie  der  Bastienne  läßt  uns  aufhorchen, 
die  Hokuspokusarie  des  Zauberers  amüsiert  uns  und  — in  der  Bastienarie,  im 
Duett  fliegen  nicht  Figarotönc  an  unser  Ohr? 

Verfolgen  wir  den  jungen  Mann  weiter  auf  den  Stationen  seiner 
Opern,  der  Opern,  denen  die  Nachwelt  ein  besonderes  Andenken  bewahrt 
hat,  so  treffen  wir  ihn  wieder  in  München,  im  Winter  1774/»  775»  wo  seine 
von  dem  musikliebenden  Kurfürsten  Maximilian  III.  für  den  Karneval  be- 
stellte Oper  La  finta  giardiniera  der  Aufführung  harrt.  Nannderl  ist  mit  da  und 
viele  Salzburger,  sogar  der  Erzbischof,  obwohl  dem  nicht  arg  an  Mozart  lag. 
Was  hatte  er  indessen  erlebt!  Er  war  beim  alten  Bischof  mit  dreizehn  Jahren 
erzbischöflicher  Konzertmeister  geworden,  hatte  dirigiert  und  gespielt,  eine 
große  italienische  Reise  gemacht,  bei  der  berühmten  Bastardclla  gespeist,  die 
noch  auf  dem  dreigestrichenen  F trillerte,  vor  dem  verwöhntesten  Publikum 
und  den  gelehrtesten  Musikern  bestanden,  war  zum  Cavaliere  ernannt  wor- 
den und  Mitglied  der  gestrengen  Bologneser  Akademie,  und  hatte,  vierzchn- 

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jährig,  in  Mailand  mit  der 
Seria-OpcrMitridateunge- 
hcucrcn  Erfolg  gehabt.  Ein 
neuer  Erzbischof  kommt, 
Hieronymus,  zu  dessen  Ein- 
führung er  dieOper  Traum 
des  Scipio  schreibt  und  im 
selben  Jahre,  1 772,  ist  schon 
wieder  in  Mailand  eine  neue 
Premiere: Lucio Silla.  Nun 
fließt  die  Komposition,  die 
Messen,  die  Kammermusik 
und  Symphonien,  die  Be- 
gleitmusik zum  KönigTha- 
mos,  deren  Chöre  die  Zau- 
berflöte ahnen  lassen.  Es 

Mozart.  Alte  Lithographie  nach  dem  verlorenen  Bilde  des  . . 

Schwagers  Lange  lst  nur  gerecht,  wenn  die 

Münchener  Aufführung 
der  Finta  giardiniera  endlich  auch  einmal  in  Deutschland  seinem  theatra- 
lischen Genie  die  Genugtuung  gibt,  die  Italien  ihm  so  eifrig  gewährt  hatte. 
Der  Erfolg  ist  groß,  seine  musikalische  Erfindung  strahlt  zum  erstenmal  im 
vollen  Glanze  ihres  Frühlings.  Noch  war  Wien  ihm  nicht  so  geneigt.  Im 
selben  Jahre  wird  dort  die  Finta  giardiniera  aufgeführt,  aber  mit  der  Musik 
von  Anfossi. 

Der  Text  ist  haarsträubend  und  verhindert  heut  eine  Aufführung  dieser 
Mozartschen  Buffooper,  die  das  Publikum  durch  ihre  entzückende  Musik 
in  Staunen  setzen  würde.  Liebcsintrigcn  und  Verkleidungen,  die  gar  nicht 
auszuwickeln  sind.  Eine  Marchesa  sucht  ihren  Geliebten  als  verkleidete  Gärt- 
nerin und  sticht  in  ein  Wespennest  von  Galanterien.  Auf  dem  Zettel  ist 
gleich  der  Versuch  einer  Orientierung  gemacht : der  Podestä,  Liebhaber  San- 
drinas,  diese  Sandrina,  die  finta  giardiniera,  liebt  Belfiorc,  Belfiore  liebt  jetzt 
Arminda,  Arminda  ehemalige  Geliebte  Ramiros,  Ramiro  jetzt  von  Arminda 
verschmäht,  Zofe  Serpctta,  in  den  Podestä  verliebt,  Diener  Roberto  von 
Serpetta  verschmäht.  Es  ist  kein  Wunder,  daß  Sandrina  und  Belfiore  zeit- 
weise wahnsinnig  werden,  bald  Pastorales  singen,  bald  sich  cinbilden,  Me- 
duse und  Herkules  zu  sein,  bald  die  wildesten  Tänze  aufführen.  Mozart 
bringt  eine  himmlische  Ordnung  in  diese  Verhältnisse,  indem  er  gänzlich 
unliterarisch  eine  Musik  darüber  schüttet,  die  an  Einfällen,  Schönheit,  Geist- 
reichtum und  Hingebung  die  ganze  Epoche  schlug.  Zum  erstenmal  komme 

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ich  in  die  nahe  Berührung 
mit  dem  größten  musika- 
lischen Genie,  das  die  Welt 
erlebte.  Wie  folge  ich  mit 
Worten  seinem  Fluge  ? Ich 
wiege  mich  im  Genuß, 
lesend  und  spielend.  Im 
ersten  Ensemble  gleich,  wie 
scharf  werden  die  Charak- 
tere gegeneinander  abge- 
setzt, das  reizende  Vöglein 
der  Ramiroarie  schwingt 
sich  auf,  der  Podestä  schä- 
kert mit  den  Orchester- 
instrumenten, die  süßen 
Linien  der  Melodie  in  Ar- 
mindas  A-Dur-Ane,  der  Bi|dc  des  Sch„,gcr,  Llngc 

Buffostolz  von  Belfiores 

Ahnengalerie,  die  wehende  zarte  Turteltaubenarie  der  Sandrina,  die  spaßige 
Persiflage  Nardo-Robcrtos  der  Liebeserklärungen  sämtlicher  Sprachen,  dieser 
Garten  von  mozartischcn  Melodicblüten,  und  die  pointierten  Septimen-  und 
Nonenakkorde,  und  das  Buffounisono  des  Basses  und  all  das  Geschnatter  der 
lustig  hervorstürzenden  Sechszehntelworte  und  die  rührende  Malerei  des 
Orchesters  in  Landschaften  der  Natur  und  der  Seele,  und  vor  allem  San- 
drinas  großzügiges  Stück  in  C-Moll  mit  der  reizend  bewegten  Begleitung 
und  dem  herzlich  gehobenen  Rezitativ  und  dann  dem  lächelnden  Schluchzen 
in  A-Moll,  wundervoll  zuletzt  das  Sichsuchen  von  Belfiore  und  Sandrina  in 
schüchternem  Erwachen  und  das  Sichfindcn  im  Duett,  das  sich  jubelnd  über- 
singt und  überspannt  in  den  Tonikaquinten  und  Dominantseptimen,  die 
einander  das  Wort  vom  Munde  nehmen,  und  über  allem  unvergeßlich  die 
beiden  großen  Finales,  Ensembles  aller  Personen,  eine  Kette  von  blühenden 
Melodien,  die  einander  im  Takte  ablösen,  immer  wieder  die  neue  Situation 
einspinnend  und  jeder  Figur  darin  ihren  musikalischen  Platz  anweisend,  ein 
Sichneigen,  Wiederaufnehmen,  Abbrechen,  Hochführen,  Kränzen  und  Jauch- 
zen von  Musik,  durch  Harmonien  aufgezogen  und  hinabgesenkt  — o Piccini, 
deine  Buona  figliuola  ist  nur  ein  paar  Jahre  älter,  aber  sie  versinkt  völlig 
vor  diesem  Genie,  das  die  alten  Neapler  Arien  und  Akkompagnati  und  Fi- 
nales mit  einem  ungeahnten  musikalischen  Leben  füllt,  bewundernswert  bis 
zu  den  zögernd  wartenden  Akkorden  und  dem  hervorstürzenden  Sopransolo 

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des  Schlußchors  auf  der  allerletzten  Seite.  Es  ist  die  Handschrift  des  Figaro- 
meisters. Sein  Autograph  aber  ist  nur  vom  zweiten  und  dritten  Akt  erhalten. 
Die  alte  deutsche  Übersetzung  überwachte  er  selbst. 

Über  alle  äußeren  Umstände  seines  Lebens  und  seiner  Werke  unterrichtet 
die  von  Deiters  bearbeitete  Jahnsche  Biographie,  ein  deutsches  Muster 
an  Treue  und  Fleiß,  den  Leser  genügend.  Ich  habe  das  hier  nicht  zu  wieder- 
holen, ich  möchte  das  Bild  Mozarts  malen,  das  unserer  Zeit  geblieben  ist, 
dieses  liebenswürdig  heitere,  seelisch  beschwingte  Bild,  dessen  Züge  uns  eine 
seltene  und  von  Jahr  zu  Jahr  fruchtbarere  Gnade,  eine  himmlische  Offen- 
barung geworden  sind.  Und  schon  stutze  ich  vor  dem  patriarchalischen  Spe- 
zialismus Jahns,  wenn  ich  mich  der  opera  seria  Mozarts  zuwende.  Ich  lese 
Kretzschmars  kurzen  Aufsatz  „Mozart  in  der  Geschichte  der  Oper“  im 
12.  Petersjahrbuch  und  frage  mich:  ist  dieses  Urteil  eines  ebenso  sachlich  ge- 
bildeten wie  künstlerisch  feinfühligen  und  selbständig  prüfenden  Gelehrten 
nicht  wertvoller,  ich  meine,  anregender  als  der  ganze  Jahn  ? Kretzschmar  er- 
klärt den  Mangel  der  Seriabegabung  Mozarts  mit  der  ganzen  Art,  wie  er  in 
diese  Richtung  hineingekommen  ist.  Es  ist  wahr,  Majo,  der  „Benjamin“  der 
Neuneapler,  und  Pergolesi,  die  ebenfalls  schon  in  sehr  jungen  Jahren  Opern 
schrieben,  wuchsen  in  dieser  Branche  auf;  Mozart  trat  ihr  auf  Umwegen 
näher,  auf  den  Umwegen  über  die  Instrumentalmusik,  die  seine  Jugend  war. 
Er  lehnte  Jommelli  ab,  Hasse  und  Tractta  wurden  nicht  seine  Gegend,  er 
war  beleidigt,  als  ihn  Grimm  selbst  auf  den  Piccinischen  Roland  hinwies, 
dessen  Glucksche  Einflüsse  ihn  wenig  interessierten,  die  Glatteren  und  Leich- 
teren, Lampugnani,  Latilla  wirkten  auf  ihn,  und  so  läßt  sich  nicht  sagen, 
daß  er  in  seinen  Seriaopern  Hasse,  Sarti  oder  Gluck,  selbst  den  Salieri,  der 
sich  an  Gluck  anlchnte,  als  er  ihn  nicht  umwerfen  konnte,  übertroffen 
habe.  Bis  in  die  Konstanze,  die  Elvira,  die  Königin  der  Nacht  verfolgt 
Kretzschmar  diese  schlechten  Muster.  Aber  wir  fragen  uns:  warum  — war- 
um blühte  ein  Genie,  das  in  sämtlichen  anderen  Zweigen  der  Musik  blühte,  in 
diesem  einen  nicht  ? Warum  war  er  schwach,  w-enn  wir  schon  zugeben,  daß 
er  es  war  ? Bloße  Abhängigkeit  von  Kastraten,  einseitige  Erziehung,  zufälliges 
Hören  erklärt  es  nicht.  Und  hätte  er  wirklich,  anders  gestellt,  der  alten  Seria 
soviel  Zuwachs  bringen  können  ? Nein,  diese  Form  war  mit  Neapel  und  Gluck 
erfüllt.  Sie  war,  in  ihrer  seelischen  Provinz,  nur  wieder  zu  finden  von  einem 
anderen  Wege  her,  der  mit  ungezwungener  Zielrichtung  und  durch  schöne 
Prospekte  dahin  führte:  durch  die  Vertiefung  der  Buffa.  Das  war  seine  Mis- 
sion, sowie  es  darauf  Wagners  Mission  war,  den  dritten  Weg  von  der  Sym- 
phonie her  zu  finden.  Beide  wußten  es  nicht.  Mozart  schreibt  noch  1778  an 
den  Vater:  ich  will  eine  Seria  machen,  keine  Buffa.  Er  tat  es  später,  anders 

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als  er  meinte.  Die  richtigen  Serias  aber,  die  er  schrieb,  blieben  konventionell, 
ohne  daß  er  es  merkte. 

Mit  solchen  Gedanken  treffen  wir  ihn  wieder  in  München,  beim  Karneval 
1781,  der  seine  Seriaoper  Idomeneo  brachte.  Er  war  unterdessen  in  der 
Welt  wieder  umhergereist.  Salzburg  begann  ihn  abzustoßen.  Der  hoch- 
mütige, scharfe,  musiklose  Bischof  Hieronymus,  den  die  Geschichte  wegen 
seines  verständnislosen  Benehmens  gegen  Mozart  auf  ihre  schwarze  Liste  ge- 
setzt hat,  bevorzugte  die  Italiener.  Mozart  reiste  mit  der  Mutter  nach  Mün- 
chen, nach  Mannheim,  nach  Paris,  wo  sie  ihm  wegstarb.  Zu  aller  Verwirrung 
kommt  die  erste  starke  Liebe  in  Mannheim  über  ihn:  Aloysia  Weber,  die 
Sängerin,  — es  gibt  schlimme  Stunden,  Vorwürfe,  Heimlichkeiten,  Tränen, 
Befehle,  Ergebungen,  schließlich  löst  ihre  Heirat  mit  Lange  seine  Verlegen- 
heit und  er  komponiert  ihr  zum  Abschied  die  erste  Alcestearie  aus  Glucks 
Oper  — als  ein  Bravourstück!  Und  fügt  für  seine  Mannheimer  Freunde 
Ramm  und  Ritter  obligate  Oboe  und  Fagott  hinzu.  Opernpläne  und  -ver- 
suche werden  erwogen  für  Mannheim,  für  Wien,  sogar  für  Paris,  wobei  die 
anonyme  Musik  zu  Noverres  Petits  riens  abfällt,  man  sieht  Fäden  sich  zu- 
sammenziehen, wie  sie  bei  Gluck  zu  einem  festen  Gewebe  geführt  hatten, 
hier  werden  sie  nicht  aufgesponnen  oder  sie  werden  fallen  gelassen,  und  end- 
lich ist  das  einzige  Resultat  der  pfälzisch-bayrischen  Interessen  dieser  Auf- 
trag des  Idomeneo,  in  dem  nichts  anderes  Neues  herauskam  als  ein  feines 
Orchester  im  Mannheimer  Stil.  Es  ist  nicht  das  zielbewußte  Kunstwerk  in 
Mozarts  Leben,  es  ist  ein  Spiel  mit  seinem  Genie.  Dies  sind  die  beiden 
Lebenstypen  von  Gluck  und  Mozart:  ein  Serio-  und  ein  Buffotyp.  Wie  lie- 
ben wir  den  Buffo. 

So  tritt  von  ungefähr  der  Idomeneostoff  an  ihn  heran,  den  nach  franzö- 
sischen Vorbildern,  nicht  besser,  aber  milder,  sein  Landsmann,  der  Salzburger 
Hofkaplan  Varesco  für  ihn  arbeitete.  Idomeneo,  der  für  seine  Rettung  Po- 
seidon als  Opfer  den  ersten,  den  er  trifft,  versprochen  hat,  tötet  nicht  mehr 
seinen  Sohn,  der  eben  dies  Opfer  sein  soll,  sondern  eine  Götterstimme,  der 
einzige  Baß  in  der  Oper,  legt  die  Sache  gütlich  bei,  Ilia,  die  Glückliche,  hei- 
ratet den  Sohn  und  Elektra,  die  Intrigantin,  die  ihn  vergeblich  geliebt  hat, 
stürzt  davon:  etwa  Niveau  des  Metastasio.  Mozart  nimmt  die  Sache  halb 
italienisch,  halb  französisch,  Bravourarien  mit  Sekkorezitativen  und  Chören, 
die  nötigen  Requisiten,  Stürme,  Seeungeheuer,  Aufzüge,  Gebete,  Tänze  sind 
vorhanden  — wie  es  Brauch  ist,  arbeitet  er  während  der  Proben  das  Stück 
fertig,  nach  persönlichen  Wünschen,  den  Idomeneo  für  den  alten,  guten, 
eitlen  Raaff,  den  Sohn  Idamante  für  den  dummen  Kastraten  del  Prato,  die  Ilia 
für  die  famose  Dorothea  Wendling,  vielleicht  hat  er  den  dritten  Akt  gar  erst 

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in  München  gemacht,  denn  er  ist  so  viel  besser.  Von  der  Aufführung  wissen 
wir  nicht  viel,  Vater  und  Schwester  waren  da,  also  existieren  keine  Briefe. 
Aber  über  die  Proben  schrieb  er  ausführlich  und  mit  so  sicherem  Erfolgs- 
gefühl, daß  man  meinen  könnte,  Hasses  Prophezeiung  (bei  Gelegenheit  der 
Ascanio-Aufführung  in  Mailand),  Mozart  werde  die  Zukunft  der  Seria  sein, 
sei  jetzt  schon  eingetroffen. 

Der  Idomenco  ist  für  uns  ziemlich  leere  Vergangenheit.  Sein  Genie 
leuchtet  w'enig.  Die  Phrasen  sind  charakterlos,  die  Koloraturen  äußerlich, 
die  Motive  abgebraucht,  die  Herzlichkeit  Gott  sei  Dank  nicht  zu  viel  vor- 
handen. Lichtblitze  machen  den  Schatten  nur  schwärzer:  die  melodische 
Blüte  mitten  in  Ilias  Es-Dur-Arie,  das  gefühlvolle  Thema  der  G-Dur-Arie 
der  Elektra,  die  Grazie  der  Zephyrettenarie  der  Ilia,  der  schöne  Todesangst- 
chor mit  dem  wirksamen  Zwischensatz  des  Oberpriesters,  überhaupt  die 
Chöre,  der  Männerdoppelchor  der  Schiffbrüchigen  in  Akkorden  und  des  Volks 
auf  der  Bühne  mehr  imitatorisch,  von  geteiltem  Orchester  begleitet,  der  lieb- 
liche Chor  über  die  Meeresstille,  der  etwas  Glucksche  Gebetchor  und  noch 
besser  die  Ensembles,  das  frische  Duett  des  Liebespaares,  das  ausgezeichnet 
gebaute  und  warm-musikalische  große  berühmte  Quartett,  das  Mozart  am 
meisten  aus  dieser  Oper  liebte,  mit  dem  Gesang  des  Idamantes  „dem  Tod 
seh  ich  entgegen“,  der  sich  in  den  Schluß  verliert,  wie  er  den  Anfang  herauf- 
führte, und  vielleicht  noch  wertvoller  das  Terzett,  ein  Sichsuchen  der  klagen- 
den Stimmen  von  Idomeneus,  Idamantes  und  Elektra,  bis  sie  sich  in  Wehmut 
verschlingen,  um  von  dem  gewaltigen  Chor  über  den  erneuten  Sturm  auf- 
gesaugt zu  werden.  Nun,  das  alles  bleibt,  aber  es  wäre  nicht  zu  nennen,  wenn 
es  nicht  von  Mozart  wäre,  dessen  Seria  der  dunkle  Fond  ist,  auf  dem  sich 
für  uns  seine  strahlende  Buffokunst  abhebt.  Reichardt  hielt  den  Idomeneo 
für  sein  feinstes  Werk.  Wir  halten  cs  für  eine  schwache  Nachgeburt  der 
französisch-italienischen  Stilmischung,  die  Gluck  längst  vollendet  hatte.  Mo- 
zart war  sehr  lustig,  als  es  vorbei  war.  „In  München,  das  ist  wahr,  da  hab  ich 
mich  zu  viel  unterhalten  — doch  kann  ich  Ihnen  bei  meiner  Ehre  schwören, 
daß  ich,  bevor  die  Opera  in  Seena  war,  in  kein  Theater  gegangen  und  nir- 
gends als  zu  den  Cannabichschen  gekommen  bin.  — Daß  ich  hernach  zu 
lustig  war,  geschah  aus  jugendlicher  Dummheit  — ich  dachte  mir,  wo  kömmst 
du  hin  ? — nach  Salzburg,  mithin  mußt  du  dich  letzen.“  Jetzt  sind  wir  wie- 
der bei  ihm. 


I 


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Die  Entführung 

ABER  Salzburg  war  schnell  erledigt.  Der  gänzliche  Bruch  mit  dem  un- 
heiligen Hieronymus  war  unvermeidlich  und  Mozart  zog  einfach  nach 
Wien,  wo  wir  ihn  im  nächsten  Jahre  bei  der  Aufführung  der  Entführung 
wiedertreffen.  Was  hatte  er  in  Wien  ? Aussichten  und  Möglichkeiten.  Vor 
allem  hatte  er  die  Familie  Weber,  von  der  ihn  das  Schicksal  seit  Mannheim 
nicht  trennte.  Aloysia  war  in  Wien  engagiert  und  sie  hausten  alle  da  bei- 
sammen. Mozart  nahm  bei  ihnen  Wohnung.  Es  heißt,  er  hänge  an  einer 
jüngeren  Schwester,  Konstanze,  jetzt  wie  einst  an  der  Aloysia.  Da,  über  die 
Themen  einer  Klaviersonate,  schreibt  er  den  Namen  Sophie,  da  den  Namen 
Konstanze.  Der  Vater  mahnt.  Er  antwortet  ihm:  „Gott  hat  mir  mein 
Talent  nicht  gegeben,  damit  ich  es  an  eine  Frau  henke  und  damit  mein  junges 
Leben  in  Unthätigkeit  dahin  lebe  . . . wenn  ich  die  alle  heyrathen  müßte, 
mit  denen  ich  gespaßt  habe,  so  müßte  ich  leicht  ioo  Frauen  haben.“  Er  be- 
schreibt die  Töchter:  „Die  älteste  Josepha  ist  eine  faule,  grobe,  falsche  Per- 
son, die  es  dick  hinter  den  Ohren  hat.  Die  Aloysia  ist  eine  falsche,  schlecht 
denkende  Person  und  eine  Coquette.  Die  jüngste  Sophie  ist  noch  zu  jung, 
um  etwas  seyn  zu  können,  ist  nichts  als  ein  gutes,  aber  zu  leichtsinniges  Ge- 
schöpf — Gott  möge  sic  vor  Verführung  bewahren!  Die  mittelste  aber, 
nämlich  meine  gute,  liebe  Konstanze  ist  — die  Marterin  darunter,  und  eben- 
deswegen vielleicht  die  gutherzigste,  geschickteste  und  mit  einem  Worte  die 
beste  darunter  — die  nimmt  sich  um  alles  im  Hause  an,  und  kann  doch  nichts 
recht  tun.“  Nun  war  er  verlobt.  Er  zog  aus.  Er  heiratete.  Das  Haus,  in 
dem  Webers  wohnten,  hieß  „das  Auge  Gottes“.  Er  nannte  die  Heirat  die 
Entführung  aus  dem  Auge  Gottes.  Konstanze  nahm  sich  auch  bei  ihm  im 
Hause  um  alles  an  und  konnte  nichts  recht  tun.  Es  ging  so  la-la.  Es  war  ein 
Wohnen  bei  offenen  Türen. 

Da  war  die  andere,  die  komponierte  Entführung  der  Konstanze  eine  etwas 
sicherere  Sache,  und  keineswegs  hatte  er  sein  Talent  an  die  Frau  gehenkt. 
Denn  es  gibt  bis  heut  nichts  Entzückenderes  in  diesem  Genre  und  es  schlug 
damals  an  Bedeutung  und  Genialität  alles,  was  da  war.  Joseph  II.  war  ge- 
sonnen, nach  dem  Muster  des  Nationaltheaters  auch  eine  deutsche  Oper  zu 
gründen,  ein  Nationalsingspiel.  1777  war  es  mit  Umlauffs  „Bergknappen“ 
eröffnet  worden,  einem  etwas  schweren,  üppigen,  altmodischen,  kontrapunk- 
tischen Stück,  nicht  sehr  volkstümlich  trotz  seines  Bergleuteliedes  und  des 
Schlußrundgesanges.  Man  w'ollte  es  besser  machen  als  in  Norddeutschland, 
wo  es  eine  Unmasse  leichter  Singspiele  und  wenig  Sänger  dafür  gab.  Man 
nahte  sich  dem  Singspiel  in  Wien  nicht  vom  Spielen,  sondern  vom  Singen  her. 

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Die  „Bergknappen“  waren  literarisch  ungebildet,  aber  musikalisch  geschult, 
ganz  und  gar  nicht  Hillcrsch.  Für  musikalische  Naturen  war  das  eine  Hoff- 
nung. Und  Mozart,  der  noch  lange  keine  Anstellung  in  Wien  bekam,  war 
wenigstens  zufrieden,  den  Auftrag  zu  einem  Singspiel  in  deutscher  Sprache 
zu  erhalten.  Endlich  zeigte  sich  eine  Frucht  der  langjährigen  Verhandlungen 
mit  Wien.  Aber  hatte  er  nicht  noch  so  etwas  liegen  ? Da  war  ein  Operchcn, 
schon  1780  fast  fertig,  niemals  ganz  zu  Ende  geführt  (es  heißt  heut  Zaide), 
mit  einem  Text  von  Schachtner,  die  Liebe  eines  Christen  zu  einer  Sultans- 
dame, sogar  vom  Sklavenaufscher  unterstützt,  Flucht,  Einfangen,  hoffentlich 
ein  guter  Schluß,  mit  vielen  reizenden  Musikstücken,  einem  echt  mozartschen 
Quartett  und  einigen  merkwürdigen  Melodramen  statt  der  begleiteten  Re- 
zitative  — ginge  das  nicht  wieder  vorzunehmen  ? Es  scheiterte  am  Text,  und 
Stephanie,  der  Inspizient,  machte  ihm  einen  anderen  türkischen  Vorschlag: 
er  bearbeitete  ihm  Bretzners  Beimont  und  Konstanze  oder  die  Entführung 
aus  dem  Serail.  Mozart  war  davon  sehr  eingenommen:  aus  der  Zaide  ret- 
tete er  nichts  als  ein  Motivehen  für  eine  Konstanzearie.  Und  es  war  doch  viel 
besser.  Jetzt  hatte  er  einen  rührenden  Liebhaber  und  eine  annehmbare  Ge- 
liebte, die  der  Sultan  in  Gewahrsam  hielt.  Und  ein  hübsches  Nebenliebes- 
pärchen.  Und  den  famosen  Aufpasser  Osmin,  dem  er  aufpacken  konnte,  so 
viel  er  wollte,  denn  der  glänzende  Bassist  Fischer  sollte  ihn  singen,  und  Adam- 
berger den  Beimont  und  die  virtuose  Cavalieri  die  Konstanze.  Und  diese 
ganze  Entführungsoperation,  die  ursprünglich  sogar  ein  großes  Ensemble 
noch  im  dritten  Akt  werden  sollte,  von  dem  nichts  als  das  Ständchen  Pedrillos 
musikalisch  übrig  blieb.  Und  der  hochherzig  versöhnte  Schluß.  „Ich  freue 
mich  sehr  auf  diese  Oper,  das  muß  ich  gestehen.“  Er  war  längst  fertig,  es  gab 
Intrigen,  endlich  befahl  der  Kaiser:  den  16.  Juli  1782.  Der  Kaiser  sagte: 
„Zu  schön  für  unsere  Ohren,  und  gewaltig  viel  Noten,  lieber  Mozart.“  Mo- 
zart erwiderte:  „Gerade  soviel  Noten,  F.w.  Majestät,  als  nötig  sind.“  Gluck 
hörte  sie  noch  und  lud  ihn  zum  Essen  ein.  Die  Spießer  zogen  vielleicht  immer 
noch  Hiller  vor,  aber  cs  ging  mächtig  durch  die  Welt.  Goethe  schrieb  an 
seinen  Singspielmitarbeiter  Kayser:  „Alles  unser  Bemühen,  uns  im  Einfachen 
und  Beschränkten  abzuschließen,  ging  verloren,  als  Mozart  auftrat.  Die 
Entführung  aus  dem  Serail  schlug  alles  nieder.“ 

Es  war  freilich  noch  etwas  anderes  als  die  Finta  giardiniera,  denn  es  war, 
ganz  in  Mozarts  innerstem  Sinne,  nicht  bloß  so  ein  Buffostück,  sondern  es 
war  für  ein  deutsches  Nationaltheater  geschrieben,  mit  Herzlichkeit  und  Ge- 
fühl, ein  verfeinertes  Singspiel,  eine  kleine  deutsche  Oper  mit  allen  Finessen 
der  italienischen  Schule.  Wieder  trafen  Ströme  zusammen.  Das  Deutsche, 
von  England  über  Frankreich  her  angeregt,  und  das  Italienische,  in  einer 

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großen  Tradition  durchgebildet.  Das  Genie  führt  es  zusammen.  Und  der 
Buffone  beginnt,  in  seiner  Brust  ein  merkwürdig  zartes  Gewissen  zu  fühlen, 
wie  der  Singspieler  beginnt,  in  seiner  Kunst  eine  weitzügige  Anlage  durchzu- 
bilden. Das  war  das  Ereignis. 

Mit  Janitscharenklang,  Pickclflöten,  Trompeten,  Pauken,  Becken,  Tri- 
angel, großer  Trommel  empfängt  uns  die  neckisch  wilde  Ouvertüre.  Sie  kehrt 
sich  nicht  an  die  Form.  Sie  bringt  einen  zarten  Mittelsatz  in  C-Moll  — 
und  was  ist  dieser  Mittelsatz  ? Er  ist,  in  Dur  verwandelt,  Beimonts  erste 
Arie,  die  die  Violine,  Oboe,  Flöte  wie  in  einem  Traume  geahnt  hatten,  diese 
hauchende,  zitternde,  im  Atem  bewegte  und  begleitete  Melodie,  die  keinem 
traditionellen  Buffomunde  mehr  entstammt.  Osmins  Liedchen  „Wer  ein 
Liebchen  hat  gefunden“,  wie  wendet  es  sich  reizend,  immer  verschieden  be- 
gleitet, zum  Schluß  immer  verschieden  harmonisiert,  Beimont  macht  ihm 
nach,  legt  seine  Melodie  über  seinen  stoßenden  Baß,  beide  vereinigen  sich 
zur  Wut,  bis  in  das  Presto.  Osmin  ist  in  Stimmung,  er  schnellsingt  seine 
große  Arie,  ein  Meisterstück  der  Kollerei,  dessen  F in  A-Moll  mündet,  im 
ganzen  Trubel  des  Janitscharenorchesters,  immer  mit  den  Vorschlägen  über 
dem  E von  Fagott  und  Oboe,  dieselbe  eigentümliche  Klangwirkung  wie  im 
Figaromarsch.  Er  hat  sich  beruhigt.  Beimont  tritt  hervor  mit  dem  hellen 
A-Dur,  von  der  Oboe  gereizt,  seine  Konstanze  zu  besingen,  begleitet  von  den 
vibrierenden  Sechszehntelschlägen,  die  eine  unbeschreiblich  suggestive  Atmo- 
sphäre um  seine  Melodie  breiten.  Krach,  ein  Janitscharenchor,  mit  sämt- 
lichen Instrumenten  bis  zur  Pickelflöte,  im  Rhythmus  von  hinreißender 
Verve.  Die  Konstanzearie  in  B,  ein  wenig  virtuos  — aber  wie  rührend  ist 
dieses  süße,  verständnisvolle  Liebesblicken  da  in  der  F-Dur-Melodie,  die  sich 
so  vielsagend  in  den  Mittelsatz  einschiebt.  Der  erste  Aktschluß  das  Terzett, 
der  rollende,  paukende  Baßbuffo  mit  den  darüber  fliegenden  Stimmen  des 
Beimont  und  Pedrillo  zu  einem  Musikstück  vereinigt,  das  am  ehesten  in  dieser 
Oper  seine  Buffoherkunft  nicht  verleugnet,  wo  sonst  alles  gar  nicht  so  sehr 
nach  der  italienischen  Vorlage  gesetzt  ist,  als  vielmehr  nach  einem  Muster 
deutscher  Lieder,  die  instrumental  angeregt  sind.  Welche  Folge  schon  in 
diesem  ersten  Akt!  Welches  musikalische  und  dramatische  Leben!  Was  be- 
wundern wir  mehr  f Es  ist  so  bescheiden  und  niedlich,  und  doch  so  angefüllt 
mit  Ideen  und  Charakteren,  daß  wir  nicht  wissen,  wohin  zuerst  sehen.  Wir 
freuen  uns  auf  den  zweiten  Akt. 

Da  stehen  Blonde  und  Osmin : er  geht  mutig  bis  zum  Es  hinab,  in  seiner 
großherrlichen  V'crliebnis,  und  das  Mädel  fliegt  lustig  wie  ein  Schmetterling 
in  Stakkati  und  Figuren  ihm  davon.  Konstanze  singt  ihre  große  und  traurige 
Arie  mit  den  seltenen  Bassetthörnern,  den  alten  Baßklarinetten,  wie  schön, 

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wie  ausdrucksvoll  die  Unisono-Leere  „welkt  mein  banges  Leben  hin“,  und 
das  zweite  Mal,  wie  es  klagend  auf  Akkordstufen  über  dem  D heruntersinkt. 
Ein  Orchesterzwischenspiel:  die  obligate  Sprache  der  Oboe,  Violine,  Flöte, 
des  Cello,  die  folgende  Konstanzearie  aber  ist  ein  Opfer  an  die  Zeit  — ein 
Bravourstück,  das  wir  mitleidslos  streichen.  Wir  werden  durch  Blondchens 
liebliches  Rondo  „Welche  Wonne,  welche  Lust“  geschmeichelt,  wir  lachen 
über  Pedrillos  Kampfarie,  das  alte  und  doch  so  sublimierte  typische  Soldaten- 
stück, wir  berauschen  uns  am  übermütigen  Trinkduett  des  Osmin  und  Pe- 
drillo,  fühlen  noch  einmal  mit  Beimont  die  Kantilcne  seiner  Schmerzen  und 
stehen  nun  vor  dem  großen  Quartett.  Die  herabziehenden  Achtelfolgen  der 
Sehnsucht  im  Duett  der  ersten  Liebenden,  die  zweiten  in  Stakkato- Verab- 
redungen — war  der  Augenblick  schon  da,  herab  auf  A,  das  Orchester  sagt : 
er  ist  da,  herab  auf  D,  alle  zusammen  in  D freudig  bewegte  Hoffnung,  Mittel- 
satz Sorgen,  Zweifel  (für  die  Musik  eingeschoben),  Beimont  ernst,  Pedrillo 
stoßend,  Oboe  und  Flöten  suchen  vergeblich  zu  versöhnen,  zitternde  Beglei- 
tung, Tonartenwechscl,  die  Paare  treffen  sich  gegenseitig  fragend,  endlich 
Adagio  alle  zusammen,  cs  geht  nach  A-Dur,  wiegendes  */«,  cs  ist  alles  gut  und 
die  Melodien  fließen  in  A weiter,  Blonde  erregter  in  Triolen,  Konstanzc 
fester  in  *lt,  gleichzeitig,  schließlich  alle  gleichzeitig  in  kunstvollem  Satz,  der 
breiter  wird,  um  in  einem  freudigen  D-Dur,  der  Anfangstonart,  die  Stimmen 
über  kanonische  Treppen  kletternd  zum  Jubel  in  geraden  Akkorden  zu  ver- 
einen. Es  ist  wahr,  so  etwas  hatte  es  auf  deutsche  Texte  noch  nicht  gegeben. 

Aber  vergessen  wir  nicht  die  Musik  über  dem  Bau  ? Welche  Kostbar- 
keiten. Im  dritten  Akt  immer  diese  unendlich  wohligen  melodischen  Sticke- 
reien, die  Mozart  auf  Tonika  und  Dominante  in  schöner  Arabeske  auszu- 
führen versteht,  in  Beimonts  Eröffnungsarie,  oder  das  aparte  Ständchen  Pe- 
drillos vom  Mädel  im  Mohrenland,  eine  geniale,  im  Schluß  leicht  nuancierte 
Melodie  auf  Pizzikatostrcichern  (ohne  Kontrabaß),  exotisch  bunt,  fremdartig 
von  D auf  C sinkend,  um  im  Fis  zu  landen,  Osmins  weitsprüngiges,  kolo- 
raturheulendes, sprühend  humoristisches  „Ha,  wie  will  ich  triumphieren“, 
die  ergreifende  Wendung  der  Konstanze,  chromatisch  sinkend  „Beimont,  du 
stirbst  meinetwegen“,  das  todestriumphierende  Duett,  Dur  und  Moll  scharf 
aufeinander,  das  Orchester  die  Dominante  (Mozart  und  Verdi)  umspielend, 
und  zum  Schluß  die  unvergängliche  Melodie  des  Vaudeville,  das  alle  nach- 
einander singen  (nur  Osmin  findet  sich  natürlich  nicht  zurecht)  mit  dem 
zündenden  Marschrefrain,  erst  auf  dem  wiegenden  Solocello,  dann  Tutti  mit 
ganzem  Baß,  ein  Abschied,  aus  dem  Musik  lacht,  die  des  Sieges  ihrer  bezau- 
bernden Liebenswürdigkeit  sicher  ist. 


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Figaros  Hochzeit 

AM  i.  Mai  1786  findet  in  Wien  die  Premiere  der  italienischen  Buffo- 
■ oper  Le  nozze  di  Figaro  statt.  Mozart  steht,  im  roten  Pelz  und  Tres- 
senhut, bei  der  Generalprobe  auf  der  Bühne  und  ruft  dem  Figaro  des  Benucci 
sein  lautes  Bravo  zu.  Es  ist  allgemeine  Siegesstimmung,  die  das  Publikum 
am  Abend  bestätigt.  Intrigen  hat  es  genug  gegeben,  Parteien  der  Sänger 
und  der  Komponisten.  Neben  Mozart  mit  seinem  Figaro  hatte  Righini  mit 
seinem  Demogorgone  und  vorher  auch  Salieri  mit  seiner  Grotta  di  Trofonio 
um  Bevorzugung  gestritten,  Mozart  heftig  und  stolz,  Righini  wie  ein  Maul- 
wurf im  Dunkeln  und,  wie  der  Sänger  Kelly  erzählt  (der  Basilio  im  Figaro), 
Salieri,  der  eine  crooked  wisdom  nach  Bacons  Wort  besaß,  eine  Schlauheit 
der  krummen  Wege.  Mozart  war  überraschend  mit  seinem  Werk  gekommen. 
Er  hatte  Interesse  gefunden  an  Beaumarchais’  Figaro,  der,  nach  langen  Kämp- 
fen aufgeführt,  in  Wien  noch  nicht  zugelassen  war.  Es  reizte  ihn,  das  zu  kom- 
ponieren. Da  lernte  er  den  Lorenzo  da  Ponte  kennen,  einen  wegen  seiner 
freien  Gesinnungen  flüchtigen  Venezianer,  der  von  Salieri  nach  Wien  emp- 
fohlen, aber  nach  dem  Mißerfolg  eines  für  ihn  gedichteten  Librettos  fallen 
gelassen  war.  Da  Ponte,  kaiserlicher  Thcatraldichter,  war  ehrgeizig  und 
suchte  Mozart.  Sie  treffen  sich,  Mozart  schlägt  ihm  den  gefährlichen  Figaro 
vor,  da  Ponte  nimmt  die  Idee  auf,  bearbeitet  den  Text,  in  größter  Heim- 
lichkeit, Mozart  komponiert  ihn  ebenso  heimlich,  in  angeblich  sechs  Wochen, 
da  Ponte  geht  zum  Kaiser,  der  zweifelt  an  Mozart,  dessen  Entführung  „keine 
große  Sache“  gewesen  sei,  schließlich  hört  er  einige  Nummern  und  befiehlt 
die  Aufführung,  in  der  Meinung,  der  gesungene  Figaro  sei  ungefährlicher 
als  der  gesprochene.  So  erzählt  da  Ponte  in  seinen  Memoiren  und  spricht 
sich  das  Verdienst  zu,  gegen  alle  Zweifel  und  Intrigen  Mozart  durchgesetzt 
zu  haben  — dem  er  jetzt  seine  Unsterblichkeit  verdankt.  Ein  Wunder  in 
der  Geschichte  des  Komponierens  bleiben  diese  kurzen  Monate,  in  denen 
der  Figaro  geschrieben  wurde,  gleichzeitig  mit  allen  möglichen  Sonaten  und 
Konzerten,  die  das  Werk-Tagebuch  Mozarts  für  den  Zeitraum  vom  5.  No- 
vember bis  29.  April  angibt. 

Mit  der  offizieEen  deutschen  Oper  war  es  nämlich,  trotz  Mozarts  und 
mancher  anderer  Einsichtigen  Hoffnungen,  in  W’icn  bald  wieder  vorbei.  Die 
Versuche  wurden  wiederholt,  schließlich  siegte  die  italienische  Oper,  die 
im  April  1783  mit  Salieris  Scuola  dei  gelosi  eröffnet,  im  Mai  mit  Sartis  Fra 
due  litiganti  einen  ungeheuren  Erfolg  hatte.  Die  guten  Sänger  reizen  ihn 
zuletzt  doch.  Er  sieht  an  „hundert  Büchel“  durch,  etwas  zu  finden,  er  be- 
ginnt die  Oca  del  Cairo,  wieder  mit  Varesco  (einige  figarowürdige  Skizzen 

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sind  erhalten),  beginnt  den  Sposo  deluso  (aus  Resten  beider  Opernskizzen 
mit  anderen  Stücken  ist  neuerdings  eine  Mozart-Pasticciooper,  L’oic  de 
Caire  von  Victor  Wilder  hergestellt  worden),  das  einzige,  was  zunächst  wirk- 
lich wird,  ist  der  kleine  Scherz  „Der  Schauspieldirektor“,  der  sogar  ein  Auf- 
trag des  Kaisers  war.  Im  Februar  1786  war  eine  Feier  in  Schönbrunn:  Salieri 
machte  dafür  ein  italienisches  Gelegcnheitsstück,  Mozart  das  deutsche.  Es 
beginnt  mit  einer  sehr  frischen  und  lieblich  thematisierten  Ouvertüre,  ent- 
wickelt den  Wettstreit  zweier  Sängerinnen,  zwischen-  denen  ein  Tenor  laviert, 
ebenso  charakteristisch  wie  musikalisch  amüsant,  und  schließt  mit  einem  ent- 
zückenden Vaudeville,  in  das  sich  noch  ein  Baßbuffo  mischt,  Aloysias  Mann, 
der  Schauspieler  Lange,  der  zur  Not  auch  einmal  singen  mag.  Die  Madame 
Herz  war  Aloysia  selbst,  die  andere  Sängerin,  Madame  Silberklang,  die  Ca- 
valieri, also  die  Konstanzc  der  ersten  Entführung.  Stephanie  hatte  es  ge- 
macht und  gab  den  Schauspieldirektor,  der  in  dieser  Verlegenheit  der  En- 
gagements Mozarts  Theatererfahrungen  in  ein  so  nettes  Ensemble  verwan- 
delte: ein  momentanes  Stück  Bühncnleben,  das  niemals  ganz  ausgestorben 
ist.  Goethe  nahm  die  Musik  in  seine  Bearbeitung  von  Cimarosas  Theatra- 
lischen Abenteuern  mit  auf,  so  wurde  es  in  Weimar  1797  gegeben.  Später 
haben  sowohl  L.  Schneider  wie  R.  Gcnee  Operetten  gemacht,  in  denen  diese 
Musik,  mit  anderen  Mozartschen  Stücken,  auch  dem  Bandlterzett,  der  Ge- 
legenheitskomposition im  Jacquinschen  Hause,  verwendet  wird  und  Mozart 
selbst,  sei  es  in  der  Zauberflötezeit  bei  Schikaneder,  sei  es  bei  seinem  Besuch 
in  Berlin  in  persona  auftritt.  Das  ist  ein  Ring  von  persönlichen  Erlebnissen 
und  künstlerischen  Äußerungen,  halb  frei,  halb  gewaltsam,  der  seines  ge- 
schichtlichen Interesses  nicht  entbehrt:  ein  Stückchen  Buffonerie  des  Berufs 
und  der  Historie. 

So  kommt  es.  Mozart  liebt  die  Maskerade.  Auf  einem  Tanzfest  soll  eine 
Pantomime  aufgeführt  werden.  Er  selbst  macht  den  Harlekin,  die  Aloysia 
die  Kolombine,  Lange  den  Pierrot,  der  Maler  Grassi  den  Dottore,  und  die 
Musik  natürlich  der  Harlekin,  der  gegen  seine  einstige  Geliebte  und  jetzige 
Schwägerin  Kolombine  kühl  genug  geworden  ist.  Mozart  tanzt  leidenschaft- 
lich, er  spielt  Billard,  er  trinkt,  wenn  er  komponiert,  er  scherzt  und  ist  guter 
Dinge,  wenn  es  auch  daheim  genug  Sorgen  gibt.  Die  Konzerte  und  Stun- 
den müssen  es  machen,  die  Opernhonorare  steigen  langsam  — der  Figaro 
bringt  hundert  Dukaten.  Aber  es  reicht  schwer.  Man  muß  sich  gut  kleiden, 
man  muß  leben.  Auf  den  anderen  Bühnen  bekommt  er  nichts,  Schulden 
lassen  sich  nicht  vermeiden.  Was  macht  es?  Wer  einem  die  Ehre  kränkt, 
der  soll  nur  ein  Tänzchen  wagen  (Hallo,  Graf  Arco,  du  erzbischöflicher 
Schuft,  der  du  den  Mozart  in  Salzburg  mit  Fußtritten  herausspediertest,  in 

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Handschrift  Mozarts:  Figaros  Hochzeit 


einer  berühmten  Figaroarie  sollst  du  es  für  ewige  Zeiten  kriegen)  — sonst 
lieber  sterben,  als  sich  graue  Haare  wachsen  lassen.  Im  Ausgabenbuch  von 
1784  steht  beim  ersten  Mai  zwey  Mayblumcl  1 Kr,  und  27.  Mai  Vogel  Stahrl 
34  Kr.  Daneben  eine  Vogelmelodie,  die  er  später  in  einem  Rondo  verwendet. 
Dazu  schreibt  er:  „Das  war  schön!“  Hier,  armer  alter  Klavierstimmer,  du 
verlangst  einen  Taler,  hier  hast  du  ein  paar  Dukaten.  Lacht  ihr  mich  aus  ? 
Kinder,  ich  liebe  euch.  Ich  liebe  euch,  die  Welt  ist  schön  und  Gott  hat  mir 
die  Musik  gegeben. 

Er  improvisiert  und  sein  Antlitz  strahlt.  Ein  kleiner  Mensch  mit  kleinen 
Händen,  blassem  Gesicht,  matten  Augen,  nicht  bedeutenden  Zügen  wird  jetzt 
ein  Seher,  eine  Gottheit  spricht  aus  ihm.  Kr  schreibt  nicht  gern,  er  wartet 
bis  zum  letzten  Augenblick.  Im  Freien  singt  er  ein  Thema,  freut  sich  seiner 
und  denkt  mit  Schrecken  an  die  Ausarbeitung  in  der  Stube.  Musik  arbeitet 
jede  Sekunde  in  ihm.  Er  sieht  einen  an  und  denkt  innerlich  Noten.  Er  ist 
nie  ruhig,  zappelt,  wackelt,  spielt  Klavier  auf  dem  Hut,  den  Taschen,  dem 
Uhrband.  Er  kann  gleichzeitig  Musik  ausschalten,  um  seine  eigene  zu  hören, 
er  arbeitet,  während  man  sich  unterhält.  Während  er  niederschreibt,  wächst 
ihm  im  Kopfe  schon  neue  Musik.  Er  sitzt  die  Nächte  lang  am  Klavier,  sich 

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anzuregen.  Aber  wenn  er  schreibt,  braucht  er  das  Instrument  nicht,  er 
schreibt  Noten  wie  Briefe.  Als  er  den  Figaro  macht,  verlegt  er  alle  Stunden 
auf  den  Nachmittag,  er  arbeitet  früh  und  arbeitet  in  der  Nacht.  Das  Noten- 
papier ist  immer  zur  Hand,  noch  können  wir  die  Skizzen,  die  Änderungen 
verfolgen.  Eine  feine  Folge  wichtiger  Änderungen  in  seinen  Opern  stellt 
Jahn  zusammen,  dessen  Buch  voll  ist  solcher  kleinen  Züge,  die  wir  neugierig 
sammeln,  um  ein  irdisches  Bild  dieses  Göttlichen  zu  haben  — würden  wir 
es  aushalten,  ihm  zu  begegnen  ? 

In  einem  himmlischen  Lichte,  wie  kein  zweiter,  strahlt  er  uns  von  fern: 
jung  im  Leben  und  jung  im  Tode.  Es  sind  125  Jahre  verflossen  seit  dem 
Figaro,  und  ich  schreibe  dies  wie  vor  einem  Wunder  unserer  Tage.  Die 
Partitur  liegt  seit  langem  neben  mir,  und  immer  von  Zeit  zu  Zeit  blättere 
ich  darin,  ein  Cherubinlied,  ein  Finale,  um  zu  schlürfen  wie  einen  langen 
Trunk,  der  alles  Leben  erträglich  macht  und  verstehen  lehrt.  Mein  Geist 
entzückt  sich  und  meine  Sinne  laufen  süße  Bahnen.  Die  Jahre  sind  da, 
da  wir  erst  ganz  wissen,  was  dieses  musikalische  Genie  uns  bedeutet.  Prüf- 
stein für  die  Sänger,  Schule  aller  Komposition,  Korrektiv  aller  Sorgen, 
Maß  aller  Leidenschaften,  stille  und  sichere  Beobachtung  der  Menschen  und 
ihrer  Charaktere,  wundersam  versöhnliche  Bindung  aller  ihrer  einzelnen  Re- 
gungen in  ein  unauflösliches,  sachte  bewegtes,  harmonisch  gestimmtes  En- 
semble, Form  und  Inhalt  in  einem,  das  ist  Wesen  der  Musik  als  erlösender 
Kunst,  und  Schönheit  über  allem,  die  ewig  gerufene,  ewig  bedankte  Schön- 
heit, deren  Stärke  Anmut  ist,  deren  Trauer  ein  Lächeln,  deren  Witz  ein 
Tanz  — reicht  mir  Verse,  die  sich  binden,  um  der  Liebe  und  Bewunderung 
ein  Gefäß  zu  bilden.  Die  dramatische  Kraft  von  einer  einfachen  Fertigkeit 
und  Unbeirrtheit,  die  Staunen  erregt:  Beaumarchais’  Geist  versank  vor  die- 
ser Konzentration  der  persönlichen,  der  szenischen  Stimmung.  Die  rhyth- 
mische Kraft  ohnegleichen  in  der  Vielseitigkeit  ihres  Ausdrucks,  in  dem 
lichten  und  feinen  Spiel  ihrer  stets  bereiten  Mittel.  Die  harmonische  Kraft 
in  ihrer  dauernden  Abwechslung  und  kultivierten  Verteilung,  eine  Archi- 
tektur von  lieblicher  Notwendigkeit  und  organischer  Einfühlung.  Und  die 
Melodie!  Welches  ist  der  Zauber  der  Mozartschen  Melodie?  Ist  es  Dia- 
tonik,  ist  es  Chromatik,  ist  es  die  Kongruenz  mit  dieser  Harmonie,  ihr  Licht- 
schimmer in  der  Kontur  der  wandelnden  Akkorde  und  Tonalitäten  ? Schwer 
zu  sagen.  Es  ist  ihre  bildnerische  Kraft,  die  in  jedem  Augenblick  zugleich 
ihrer  harmonischen  Basis  folgt  und  diese  wieder  mit  sich  formt,  die,  schon 
aus  der  Erfindung  fließend,  durch  eine  ungeahnte,  entzückende  Wendung 
dem  Genuß  des  nächsten  Taktes  zustrebt,  Blüte  aus  Blüte  sprießend,  immer 
schmiegsam,  immer  wieder  neu  geboren,  neu  gebogen  und  gelenkt,  eine  neue 

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Schönheit,  die  sich  in  der  vorigen  entdeckt  und  eine  dritte  schon  heranlockt. 
Ein  inneres  Leben  voll  musikalischer  Phantasie  eingeordnet  in  den  Stil  des 
wirksamen  und  wohnlichen  Formenbaus,  eine  dramatische  Gesichtsstärke  und 
Gefühlstiefe  eingeordnet  in  die  Gesetze  der  absoluten  musikalischen  Schön- 
heit — das  ist  die  zentrale  Gewalt  und  Macht  Mozarts  — welche  Worte! 
— das  ist  seine  himmlische  Güte.  Bleibt  von  mir  mit  Geschichte  und  Sta- 
tistik, laßt  mich  in  der  ersten  Morgenstunde  diese  Töne  hören  und  damit 
zur  Ruhe  gehen.  Ohne  Pathos,  ohne  Gebärde,  in  aller  stillen  und  feinen 
Liebe  zur  Musik,  über  die  man  nicht  sprechen  kann,  ohne  sie  an  das  deutende 
Wort  zu  verraten.  Aber  wir  werden  jung  bei  ihr  und  dieser  unserer  ersten 
und  letzten  Jugend,  dieser  unserer  einzigen  und  wahrhaften  Liebe  hat  das 
Geständnis  gar  wohlgetan.  Jetzt  sitzen  wir  verlegen  da  und  starren  auf  die 
Fäden  dieses  Gewebes.  Zurückspinnen! 

Das  reißende  Tempo  der  Ouvertüre  bringt  uns  in  den  Strudel.  Mozart 
hatte  einen  langsamen  Mittelsatz  beabsichtigt,  aber  diese  spielenden  Fluten, 
aus  denen  so  feine  Melodien  hervorlugen  (sie  baden  sich  in  den  plätschernden 
Achteln,  und  manchmal  lächeln  sie  uns  zu),  haben  alles  verschlungen,  es  ist 
eine  Buffosonate  geworden. 

Jetzt  mißt  Figaro  das  Zimmer,  und  Susanne  probiert  den  Hut,  die 
Violinen  mit  dem  Baß  bilden  aus  dem  Messen  ein  reizend  gezogenes  Thema, 
die  Bläser,  von  den  Streichern  immer  am  Ende  gestreichelt,  ein  zweites  lieblich 
auf-  und  absteigendes  Glücksthema,  dann  wird  alles  verwechselt,  umgekehrt, 
verknüpft,  und  das  erste  freudige  Duett  hat  sein  Musikbild  gewonnen. 

Gleich  ein  zweites  Duett,  din,  din,  don  don,  graziös  übermütig,  zum 
Schluß  in  koketten  Zweifeln  zögernd : noch  harmlose  Beziehungen  der  Diener 
zum  Grafen  und  zur  Gräfin.  Figaro  wird  stutzig:  er  bietet  dem  Grafen  das 
Menuett-Tänzchen  an,  in  ein  Presto  sich  überstürzend. 

Die  Gegenpartei  tritt  auf:  Bartolo  singt  eine  Arie,  deren  Rhythmen  aus 
den  Akzenten  der  Bosheit,  schleichenden  Akkorden  und  kriechenden  Triolen 
zusammengesetzt  sind.  Nun  hat  er  seine  Schuldigkeit  getan.  Gegen  Beau- 
marchais’ Original  schrumpfte  er  zusammen,  und  man  muß  nicht  darüber 
reden,  wie  Mozart  ihn  musikalisch  illustrierte.  Marcelline  schrumpfte  noch 
mehr,  sie  wurde  eine  kleine  Koloratursängerin,  und  dies  ist  am  wenigsten  ihr 
Charakter  gewesen,  mindestens  in  dieser  Epoche  ihres  Lebens.  Vorläufig 
singt  sie  mit  Susanne  das  hübsche  Komplementierduett,  aus  einem  neckisch 
aufgereizten  Motiv  gebildet,  mit  famosen  sich  überkletternden,  übertrumpfen- 
den Phrasen. 

Der  Page  erscheint,  die  holdseligste  Figur  von  allen,  so  dankbar  für  die 
Musik,  die  das  erwachende,  sentimentale  Liebcsleben  zu  zeichnen  sich  freut. 

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Non  so  piti  cosa  son,  diese  wunderbar  gebaute,  in  ihren  Gelenken  so 
weiche,  in  ihren  Gefühlen  so  hingegebene  Melodie,  in  deren  Sordinenbe- 
gleitung die  Bläser,  voran  die  Klarinette,  deutend  und  verstehend  hinein- 
spielen. 

Es  schürzt  sich.  Im  Terzett  steht  der  maliziöse  Basilio,  halb  wahr,  halb 
falsch,  zwischen  dem  bösen  Grafen  und  der  ängstlichen  Susanne.  Die  Ent- 
deckung Cherubins  auf  dem  Sessel  bildet  die  Mitte.  Eine  genial  gefundene 
chromatisch  gewellte  Akkordfolge,  ein  zweites  scharf  geschnittenes  Motiv, 
rhythmisch  geschlagen,  kehren  in  beiden  Situationen  wieder : das  rhythmische 
Motiv  von  Basilio  erst  in  höhnischer  Entschuldigung  benutzt,  dann  als  Be- 
kräftigung seines  sospetto,  dann  vom  Grafen  aufgenommen  bei  der  Cherubin- 
entdcckung  und  mit  dem  Heben  der  Decke  nach  oben  entwickelt,  endlich 
von  Basilio  wiederholt,  diesmal  fünf  Töne  höher,  in  ironischer  Transposition. 
So  schaukelt  noch  reizend  die  Musik. 

Wir  sollen  uns  vergnügen : hört  den  zierlichen  Landchor  und  den  Militär- 
marsch Figaros  mit  Cherubin,  Trompeten  und  Pauken,  die  Melodie  im  Or- 
chester, die  Stimmen  eingewebt,  Malereien  zu  Tänzen. 

Stimmungen  beginnen  sich  zu  entschleiern,  das  Orchester  horcht  auf. 
Die  Gräfin  singt  allein  ihre  kurze  Arie,  zu  der  das  Orchester  fast  ebensoviel 
allein  spielt.  Und  Cherubin  hält  sein  zweites  Lied,  die  Kanzone,  wieder  so 
zart  und  ergebungsvoll  profiliert,  so  jugendlich  und  doch  so  kultiviert  in 
seiner  Anatomie,  auf  Pizzikati,  über  die  die  Bläser,  wie  Engelsseelen,  ihre 
schwebenden,  schwingenden,  einzeln  oder  gemeinsam  ziehenden  Rufe  streuen 
— Mozart,  der  Erlöser  der  Holzbläser!  Das  Orchester  vor  ihm  hat  die  Holz- 
bläser noch  als  Beamte  der  Streicher,  wie  er  selbst  noch  die  Blechbläser 
hat.  Das  Orchester  seit  ihm  hat  ihre  Innerlichkeit,  ihr  Menschentum  er- 
kannt: Mozart,  der  Schöpfer  des  berühmten  Quintetts  für  Klavier,  Horn, 
Oboe,  Klarinette,  Fagott,  das  die  Offenbarung  dieser  seclenvollen  Instru- 
mente wurde.  Wie  spielen  sie  reizend  und  himmlisch  unbefangen  um  die 
Arie  der  Susanne,  die  den  Cherubin  verkleidet  — das  Fagott  ladet  die  Vio- 
line zu  einer  gemeinsamen  Phrase  ein:  wenn  ihn  die  Mädchen  lieben,  so 
wissen  sie  warum. 

Die  Atmosphäre  zieht  sich  zusammen.  Der  Graf  vermutet  im  Neben- 
zimmer den  Galan,  die  Gräfin  will  ihn  nicht  verraten,  und  Susanne,  ver- 
steckt, beobachtet  den  Handel,  den  sie  in  eine  leichte  Koloratur  aufzulösen 
versucht : das  gibt  ein  Terzett  von  gedrängter  Stimmung,  das  sich  in  wirk- 
samer Wiederholung  gegenseitig  die  Phrasen  abnimmt,  wenn  auch  der  ge- 
strenge Herr  Graf  den  Gang  des  C-Dur  durch  ein  energisches  As-Dur  zu 
stören  sich  unterfängt. 

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Pause:  Susanne  und  Cherubin,  von  fliegenden  Streichern  gehetzt. 
Cherubin  fliegt  aus  dem  Fenster  — und  alles  ist  zum  Finale  gestellt, 
dem  reichsten  und  schönsten  Finale,  das  bis  dahin  geschrieben  wurde, 
heut  noch  einzig. 

Es  zerfällt  in  seine  scharf  getrennten  Abschnitte.  Die  Abschnitte  machen 
die  Situationen.  Der  Graf  und  die  Gräfin  stehen  vor  der  Tür,  die  die  Ent- 
scheidung birgt : ihre  verschiedenen  Charaktere  staffeln  sich,  die  melodischen 
Wendungen  nehmen  sie  sich  ab,  vor  jeder  Zäsur  tritt  die  musikalische  Form 
in  ihr  Recht  und  sammelt  die  Stimmen  und  Harmonien.  Zweiter  Abschnitt: 
statt  des  erwarteten  Cherubin  tritt  Susanne  ein,  zerrissener,  überraschter 
Rhythmus,  auf  dem  sich  Melodie  nistet,  immer  in  dem  schön  verteilten, 
glättenden,  beruhigenden  Liedschema,  das  Mozart  selten  verläßt.  Nächster 
Teil:  versöhnliche  Stimmung,  ausgebreitet  auf  dem  Kanevas  rühriger  Achtel- 
bewegung, unterbrochen  von  den  schwirrenden  Stakkati  der  Susanne,  die 
die  Flöten  mitmachen,  allmähliche  Verwebung  eines  netten  Giebelmotivs 
in  Stimmen  und  Instrumenten.  Viertens:  Figaro  tritt  ein,  plötzliche  forsche 
Fröhlichkeit,  aber  bald  mißliche  Situation.  Figaro  weiß  nicht  recht,  wie  er 
sich  zu  der  Frage  nach  dem  Brief  verhält,  den  er  als  spaßigen  Warner  dem 
Grafen  sandte  — der  Graf  erwartet  Marcelline,  die  das  Eheversprechen  Fi- 
garos einlösen  will,  wodurch  Susanne  ihm  frei  wird.  Musikalisch  sehr  miß- 
lich. Was  tut  Mozart  ? Er  erfindet  zwei  Melodien,  mit  die  schönsten  der 
Oper,  eine  lustig  hüpfende  in  C,  eine  getragen  bewegte  in  G,  und  spannt  die 
ganze  Geschichte  in  Sonatinenform  darauf.  Ist  es  denn  so  wichtig,  was  er 
für  ein  musikalisches  Drama  aus  dem  von  da  Ponte  zurechtgeschnittenen 
Beaumarchais  machte  ? Nein,  sein  Wert  liegt  in  den  Einfällen,  die  er  zu 
den  Szenen  hatte,  wie  die  Szene  ihm  ein  Musikbild  wird,  wie  er  erfindet, 
vertieft,  rettet,  plaudert,  Noten  macht  und  Melodien  singt,  mit  Musik  das 
Drama  erobert  — er  löst  keine  Aufgaben,  er  gestaltet  aus  einem  reichen 
Innern.  Bei  Opernstoffen  interessieren  ihn  die  musikalische  Begabung  der 
Figuren,  die  Möglichkeit  von  Ensembles  — das  übrige,  es  kommt  schon. 
Seine  Erkenntnis  liegt  nicht  in  einer  schulmäßigcn  Logik,  sie  liegt  im  intui- 
tiven Genie.  Aber  schon  tritt  der  betrunkene  Gärtner  ein,  der  Chcrubins 
Fensterflucht  entdeckte.  Erst  ein  eifriges,  dann  ein  beruhigteres  Clairobscur 
im  Orchester,  Verlegenheiten,  Zischeln,  Geheimnisse,  eine  bewegte  Handlung, 
deren  Ensemble  der  Abschnittschluß  zusammentreibt.  Endlich  Bartolo,  Ba- 
silio,  Marcelline,  ein  Gewirr,  durch  das  des  Grafen  Silenzio  einschneidet. 
Deutlich  gruppieren  sich  die  Vier  gegen  die  Drei.  Die  Scheidung  der  Par- 
teien ist  jetzt  ausgesprochen,  auch  musikalisch.  Der  Schluß  schmiedet  sie 
in  starken  Akkorden  scheinbar  wieder  zu  einer  Masse : die  Musik  wird  sie 

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schon  fangen.  Es  ist  die  Hälfte  des  Stücks:  nicht  bloß  Musikbilder,  sondern 
eine  Taktik,  eine  Strategie  der  Musik. 

Die  Verstellungen,  die  alle  ernste  Spannung  lösen  sollen,  beginnen,  und 
Mozart  wird  im  Gegenteil  ernster,  verstellungsloser.  Welches  starke  Gefühl 
in  der  Szene  des  Grafen  mit  der  Susanne,  mi  sento  dal  contento,  ein  Aus- 
bruch echter  Liebe.  Vcdrö,  mentr’  io  sospiro,  felice  un  servo  mio  — seine 
Arie  mit  einem  heißen  Strom  wahrer  und  stolzer  Herzenstöne!  Mozart 
nimmt  ihn  schwer.  Er  entfernt  sich  weit  von  der  Harmlosigkeit  des  Buffo. 
Es  keimt  in  ihm  ein  Großes:  die  wahren  Menschen,  zu  denen  ihn  keine  Seria 
führte,  entdeckt  er  in  der  Buffa  und  legt  seine  ganze  deutsche  Gefühlsstärke 
und  Seelentiefe  hinein.  Die  Gelehrten  haben  darüber  geschrieben,  in  wel- 
chen Punkten  er  sich  von  Beaumarchais  unterschied.  Kein  Urteil  ist  rich- 
tiger als  das  Stendhals:  er  habe  von  der  Grazie  des  südländischen  Geistes 
nichts  getroffen,  Cimarosa  und  Fioravanti  hätten  das  besser  gemacht.  Wich- 
tiger als  alle  Unterschiede  ist  diese  Trennung.  Er  lächelt  nicht  über  seine 
Menschen,  er  führt  sie  nicht  in  anmutiger  Frivolität  über  eine  Bühne  skep- 
tischen Geistes,  sondern  er  glaubt  ihnen,  weil  er  so  musikalisch  ist,  daß  er 
nur  die  Tiefe  und  Wahrheit  verträgt.  Er  hat  hier  einen  Stoff  voller  Intrigen 
und  Verkleidungen,  außen  und  innen,  aber  seine  Musik  enthüllt  diese  Mas- 
ken, noch  ehe  sie  das  Drama  enthüllt.  Glaubte  er  vorhin  noch  eine  Buffo- 
oper zu  schreiben,  die  lustige  Farcen  mit  Geschick  und  Witz  hinstellt  f 
Er  glaube  uns  jetzt,  daß  er  das  längst  aufgegeben  hat  und  daß  er  Menschen 
hier  erlöst  hat,  weit,  weit  mehr  noch,  als  alle  Holzbläser. 

Es  ist  das  Sextett  nach  dem  Gericht.  Die  Melodie  der  Marcelline  leitet 
es  ein,  noch  ist  die  Situation  ungeklärt,  die  Marcellinenmelodie  kehrt  wieder, 
aber  Susanne  überzeugt  sich,  daß  Bartolo  und  Marcelline  Figaros  Eltern 
sind.  Sie  geht  zu  deren  Partei  über.  Der  Graf  und  der  Richter  singen  sotto 
voce  in  traurigem  Unisono  dazwischen.  Eine  neue  Konstellation  in  den  En- 
sembles ist  eingetreten,  von  rührender  Empfindung  gelenkt. 

Die  Musik  gibt  die  Taktik  auf,  sie  sucht  nur  Wahrheit  und  Herzlichkeit. 
Die  Gräfin  schmachtet  in  weicher  und  tief  gefühlter  Erinnerung  und  sie 
weiß  nun,  wie  die  Bläser  ihre  Seele  verstehen.  Sie  schreibt  mit  Susanne  den 
Brief  und  es  ist  ein  Brief,  wie  er  ernster  nie  geschrieben  wurde,  in  diesem 
entzückenden  Hinundher  des  Diktats,  das  Oboe  und  Fagott  beneiden. 

Aber  es  scheint,  die  Musik  will  sich  aus  ihrer  Beseelung  erholen.  Der 
Rosenchor  bringt  sein  Intermezzo,  der  Marsch  geleitet  uns  festlich  hinüber, 
die  zwei  holden  Mädchenstimmen  lösen  sich  ab,  das  kleine  Ballett  (das 
schönste  des  18.  Jahrhunderts),  entwickelt  sich  über  einer  alten  Fandango- 
melodie, sprühend  instrumentiert,  nur  Fagott  und  Oboe  stoßen  einen  leich- 

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ten  Seufzer  aus,  da  sich  der  Graf  in  die  Nadel  sticht,  die  das  billet  doux  ver- 
schließt. 

Das  kleine  Nadelliedchen  der  Barberina,  die  Konzessionsarie  der  Mar- 
celline,  die  Eselshautgeschichte  des  Basilio  — noch  ist  Buffotechnik  und  Ko- 
loraturvirtuosität nicht  vergessen.  Vorsicht! 

Nun  sitzt  Figaro  im  Garten.  C’ctait  la  revolution  dejä  cn  action,  sagte 
Napoleon  von  der  großen  zürnenden  Rede,  die  er  an  dieser  Stelle  bei  Beau- 
marchais hält.  Mozartsch  war  das  nicht.  Die  politische  Erregung  des  fran- 
zösischen Schriftstellers,  die  einem  Diener  in  den  Mund  gelegt  wird,  gehört 
nicht  zu  seinen  Motiven.  Es  bleibt  eine  gewöhnliche  Weiberklage  übrig. 
Vorsicht,  die  Figarooper  ist  in  Gefahr! 

Schon  stockt  das  Menschliche  und  also  auch  das  Musikalische,  denn  es 
ist  in  Mozart  eines  der  Grund  des  andern.  Da  erscheint  Susanne  als  Ret- 
terin. Ihr  hauchendes  Rezitativ,  ihre  holdselige  Gartenarie,  ein  Ständchen 
wieder  auf  Pizzikati,  die  die  Bläser  schmeichelnd  umspielen,  bannt  uns  sofort 
in  den  Kreis  eigentümlich  Mozartscher  Rührung. 

Beschämt  verzeihen  wir  ihm,  und  fürchten  für  ihn.  Denn  die  letzte  Ge- 
fahr liegt  im  zweiten  Finale.  Die  Verkleidungskomödie  wird  durchgeführt. 
Es  ist  wunderbar,  wie  Mozart  sie  nimmt.  Drei  Männer  werden  hier  düpiert. 
Cherubin  von  der  Gräfin  (als  Susanne)  scharf  zurückgewiesen  — so  kommt 
Wahrheit  in  ihren  Ton.  Figaro  von  der  Susanne  (als  Gräfin)  genasführt, 
doch  er  erkennt  sie  bald,  und  indem  er  die  Täuschung  ihr  weiter  vortäuscht, 
dringt  ein  heimlicher  Ton  echten  Gefühls  in  ihre  Szene,  der  musikalisch  in 
denselben  Wendungen  von  der  ganzen  Täuschung  durch  die  verstellte  in  die 
aufgehobene  Täuschung  beibehalten,  nur  so  brennender  und  wärmender  hin- 
durchschlägt. Die  Susanne  sang  bei  der  Premiere  die  Storace,  später  legte 
er  für  die  Ferrarese  eine  Arie  ein,  die  höchst  pathetisch  die  Gefühle  der  Gräfin 
schildert,  die  Susanne  vorgibt  — so  nahe  war  er  immer  wieder  der  Gefahr, 
zugunsten  der  persönlichen  oder  dramatischen  Illusion  die  Vorzüge  seiner 
Musik  zu  opfern.  Es  bleibt  als  einzig  ganz  Düpierter  der  Graf,  dessen  Hei- 
lung durch  diesen  Spaß  endlich  das  schöne  Resultat  hat,  daß  sie  sich  alle 
in  jener  überirdischen  G-Dur-Melodie  vereinen,  die  er  anstimmt:  Contessa, 
perdona.  Nun  hat  sie  die  Musik  gefangen,  weil  sie  die  Wahrheit  in  ihnen 
herausbrachte  durch  alle  Scherze  hindurch,  die  das  Drama  ihr  aufbaute. 

Ich  aber  bitte  um  Verzeihung,  daß  ich  den  ganzen  Weg  des  Figaro  mit 
Mozart  abgegangen  bin.  Ich  wollte  einmal  zeigen,  welcher  Wechsel  seiner 
musikalischen  Taktik  darin  zu  beobachten  ist  und  welche  Klippen  sein  Genie 
glücklich  umgangen  hat.  Er  begann  ein  Drama  zu  Musik  zu  machen,  und 
er  endete,  indem  er  Figuren  zu  Menschen  machte.  Ein  System  hatte  er  da- 

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bei  nicht,  er  komponierte  ohne  Problem  und  Prinzip.  Die  Musik  selbst 
führte  ihn  tiefer,  als  er  sie  hatte  führen  wollen.  Dies  war  das  Ereignis  des 
Figaro  und  dies  ist  seine  Mission  geworden  — wir  aber  haben  es  unwieder- 
bringlich verloren.  Wir  sind  zu  klug  geworden,  so  klug,  daß  wir  dies  sogar 
wissen. 


Don  Juan 

AM  29.  Oktober  1787  sitzt  Mozart  in  Prag  am  Dirigentenklavier  und 
k leitet  die  erste  Aufführung  seines  Don  Juan.  Warum  in  Prag  ? Die 
Wiener  waren  nicht  dankbar  genug  für  den  Figaro.  Sie  bejubelten  Martin 
mit  seinem  Burbero  di  buon  core  und  erst  gar  mit  seiner  Cosa  rara,  sie  zogen 
Dittersdorf  vor,  der  ihrem  populären  Buffogeschmack  mehr  zusagte,  sie  ga- 
ben sogar  zwei  Jahre  lang  den  Figaro  gar  nicht  mehr.  Wogegen  er  in  Prag 
unbeschreiblich  reüssierte,  fast  jeden  Abend  gespielt  wurde,  dem  Theater- 
unternehmer alles  Glück  brachte,  und  es  gab  keinen  Harfenisten  auf  der 
Bierbank,  der  nicht  das  non  piü  andrai  hören  ließ.  Was  hatte  Mozart  viel 
von  Wien  ? Er  arbeitete  nach  Kräften,  er  schrieb  Arien  für  die  Sänger,  be- 
sondere Arien  auf  Texte  alter  Opern  und  Einlegearien  in  die  Opern  anderer 
(eine  ganze  schöne  Literatur  von  Opern-Parerga),  er  enthüllte  eine  staunens- 
werte Vielseitigkeit  in  sämtlichen  Genres  der  Musik  von  der  Messe  bis  zum 
Kanon  für  lustige  Gesellschaften,  dirigierte,  spielte  — eine  Stellung  bekam 
er  erst  Ende  1787,  als  Kapellmeister  in  wirklichen  Diensten,  also  eine  Art 
Nachfolger  des  eben  verstorbenen  Gluck,  als  k.  k.  Hofkompositeur,  nur  gab 
ihm  der  k.  k.  nichts  zu  komponieren  auf  und  seine  amtliche  Tätigkeit  bestand 
in  dem  Arrangement  der  Maskenballmusiken.  Der  Vater  war  im  Mai  dieses 
Jahres  gestorben.  Da  war  es  ihm  ganz  recht,  daß  der  Prager  Direktor  ihm 
den  Wunsch  geäußert  hatte,  das  nächste  Werk  für  die  Saison  87/88  zu  be- 
kommen. Da  Ponte  wurde  zitiert  und  er  schlug  Mozart  den  Don  Juanstoff 
vor,  sie  fanden  sich  schnell  einig.  Mozart  reiste  mit  dem  halbfertigen  Werk 
hin  und  erlebte  in  Prag  eine  Zeit  voll  Lustigkeit  und  Wohlbehagen,  die 
Sonncnzcit  seines  späteren  Lebens,  die  Zenithzeit,  die  fast  schon  ein  wenig 
Mythologie  angesetzt  hat.  Er  liebelt  mit  den  Sängerinnen,  er  komponiert 
fünfmal  um,  bis  es  den  Herren  gefällt,  er  plaudert  mit  da  Ponte  über  den 
Text  von  Fenster  zu  Fenster  der  Straße,  er  bringt  der  Zerline  auf  eine  ge- 
hörige Weise  den  Angstschrei  bei,  er  debattiert  mit  den  Posaunisten  (der  Fi- 
garo war  ganz  posaunenlos  gewesen)  über  die  berühmte  Akkordbegleitung 
des  Komturs  in  der  Kirchhofszene  und  gibt  ihnen  schließlich,  da  sie  strei- 
ken, die  Holzbläser  zur  Stärkung  zu,  er  schreibt  diese  und  jene  Arie  neu 

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Don  Giovanni . 

rt'// B .1 
JW  * 77  ^ 


Bassi. 


der  erste  Don  Juan.  Stich  von 
Thoencrt 


hinein  (man  sieht  das  an  den  Einlegeblättern 
des  Autographs)  und  in  der  letzten  Nacht, 
wohl  vor  der  Generalprobe,  entschließt  er 
sich  endlich  noch  die  Ouvertüre  hinzu- 
schreiben, so  eins,  zwei,  drei  aus  dem  Kopf 
— vieles  davon  mag  nicht  wahr  sein,  aber 
alles  ist  schön  erfunden.  Der  Duft  von 
Mozarts  Persönlichkeit,  der  noch  immer  an 
einigen  Erinnerungen  in  Prag  haftet,  hat 
Mörike  zu  einer  Novelle  begeistert,  die 
freilich  weder  für  Mozart  sehr  charak- 
teristisch ist,  noch  für  Mörike  selbst.  Immer- 
hin — es  ist  ein  Rokokokranz  auf  dies 
göttliche  Haupt. 

Der  Prager  Erfolg  des  Don  Juan  hat 
sich  nicht  sogleich  fortgesetzt.  Am  7.  Mai 
1788  fiel  er  in  Wien  ab.  Das  Publikum 
war  mehr  für  Salieris  Axur,  dessen  Text 
da  Ponte,  gleichzeitig  mit  dem  Don  Juan, 
aus  dem  Französischen  umgearbeitet  hatte. 

Der  Kaiser  sagte,  Don  Juan  sei  schöner  als  Figaro,  aber  keine  Speise  für 
die  Zähne  seiner  Wiener,  und  Mozart  antwortete : „Lassen  wir  ihnen  Zeit 
zu  kauen.“  Allmählich  kauten  sie  sich  auch  in  dieses  wirklich  neue  Genre 
hinein  und  dann  ging  es.  Mozart  hatte  Konzessionen  gemacht.  Er  schrieb 
für  die  Elvira  der  Cavalieri  die  schöne  Es-Dur-Arie  hinzu,  mit  den  wunder- 
baren Akkompagnatostellen,  und  dem  Ottavio  des  Morella  nahm  er  die 
große  Arie  ab  und  stellte  ihm  die  in  G-Dur  zur  Verfügung.  Beide  Wiener 
Arien  sind  heut  noch  im  Gebrauch,  aber  man  hat  längst  beobachtet,  daß 
die  Es-Dur-Arie  der  Elvira  nur  einen  Sinn  hat  nach  einem,  als  dritte 
Einlage  für  Wien  geschaffenen  Duett,  in  dem  Zcrlinc  den  Leporello  be- 
schimpft und  festbindet  — ein  Stück,  so  mäßig  in  Geschmack  und  Phan- 
tasie, daß  man  es  mit  Recht  jetzt  wieder  fortläßt.  Daher  kommt  cs,  daß 
die  Elvira  in  Es  heut  in  der  Oper  so  verlassen  und  stellenlos  umherirrt, 
wie  im  Leben!  Opfern  wir  doch  den  Ehrgeiz  der  Cavalieri  und  lassen  wir 
die  Prager  Form  zu  Recht  bestehen.  Muß  eine  Oper  heut  verschoben  sein, 
weil  vor  125  Jahren  eine  Sängerin  ihre  Bravour  zeigen  wollte?  Schade,  daß 
die  Arie  so  gut  ist.  Opernschicksale!  Schicksale  des  Don  Juan,  der  durch 
die  Welt  zieht,  nicht  heiter  und  froh  wie  Figaro,  sondern  an  allen  Ecken  und 
Enden  mißverstanden,  zugestutzt,  entstellt,  im  Genre  zwischen  Buffa  und 


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Seria,  Gefühl  und  Virtuosität,  das  sich  nirgends  sofort  einregistriert,  weil 
es  nirgends  die  gewohnten  Rubriken  trifft.  Die  Berliner  sagen : Grille,  Laune, 
Stolz,  aber  nicht  das  Herz  war  Don  Juans  Schöpfer.  Italien,  überhaupt  nicht 
mehr  sehr  mozartfreundlich,  lehnt  ihn  vielfach  als  langweilig  ab.  In  Paris 
wurde  er  zunächst  nur  durch  unglaubliche  Zutaten  und  Verstümmelungen 
möglich:  in  demselben  Paris,  das  heut  durch  eine  unverzeihliche  Nachlässig- 
keit Deutschlands  als  Erbe  der  Viardot  in  der  Konservatoriums -Bibliothek 
die  Originalhandschrift  des  Don  Juan  besitzt. 

Der  Mozartsche  Don  Juan  hat  eine  Literatur  für  sich,  die  man  bei  Jahn 
findet  — bis  zu  der  „mathematisch-harmonischen  Analyse“  Gustav  Engels, 
die  die  Zerstörung  eines  Kunstwerks  durch  die  ätzende  Wissenschaft  bedeutet. 
Dort  wird  man  auch  über  alle  die  Inszenierungsfragen  nachlesen,  was  der 
Bremenser  Bulthaupt  in  seiner  Dramaturgie  der  Oper  Schlechtes  sagte,  was 
der  Wiener  Kalbeck  und  andere  Vernünftiges.  Und  man  wird  die  ganze 
Reihe  der  Übersetzungsversuche  finden,  von  Mozarts  eigenen  Anfängen  über 
die  schrecklichen,  naiven  Entstellungen  späterer  Zeit  bis  zu  den  vielfachen, 
leider  unpopulären  Reinigungen  in  unserer  hygienischen  Epoche.  Es  ist  nicht 
viel  zu  sagen:  gibt  man  heut  den  Don  Juan  in  der  Prager  Form,  in  ita- 
lienischer Sprache  und  mit  einfachen,  historisch  nicht  gerade  falschen,  aber 
auch  nicht  zu  phantastischen  und  stilisierten  Dekorationen,  in  einer  vernünf- 
tigen Einrichtung  des  Ab-  und  Zugangs  der  Personen,  so  läuft  man  keine 
Gefahr,  mehr  Probleme  zu  stellen  als  Musik  zu  genießen.  Nur  keine  Philo- 
sophie über  so  ein  unbefangenes  Werk!  Keine  großartigen  Deutungen  der 
Charaktere  und  mystischen  Dämonien.  Da  Ponte  hat  sich  kaum  den  Kopf 
darüber  zerbrochen.  Es  gab  eine  ganze  Herde  von  Don  Juan-Dichtungen 
vor  ihm,  auch  ein  paar  Opern,  zehn  Jahre  vorher  die  von  Righini,  1787  allein 
drei  andere,  von  Fabrizi  in  Rom,  von  Gardi  in  Venedig  und  von  Gazzaniga 
auch  in  Venedig,  von  denen  die  letzte  besonders  im  Anfang  der  Mozartschen 
so  ähnlich  ist,  daß  man  im  Ernst  darüber  disputiert  hat,  nicht  nur  ob  die 

Librettisten  sich  benutzten,  sondern  ob  auch  Mozart nun  in  der  großen 

Geschichte  des  Don  Juan-Motivs  ist  sicherlich  weniger  durch  da  Ponte, 
der  einen  sehr  bescheidenen  Text  lieferte,  als  durch  Mozart  hier  ein  gewal- 
tiger Einschnitt  geschehen.  Don  Juans  Diener  hieß  bis  dahin  noch  Arlekin 
oder  Sganarell  oder  Pasquariello.  Jetzt  bekommt  er  seinen  bürgerlichen  Na- 
men Leporello.  Der  Arlekin  ist  gestrichen.  Das  Stück  wird  motivierter  und 
menschlicher.  Die  früheren  Don  Juan-Opern  hießen  meist  „Der  steinerne 
Gast“.  Da  Pontes  Stück  hieß  II  dissoluto  punito  o il  Don  Giovanni.  Der 
bestrafte  Wüstling  fällt  langsam  ab.  Es  bleibt  die  Figur  eines  dämonischen 
Don  Juan,  zu  der  Mozarts  Musik  das  Bild  liefert.  So  entzündet  er  Hoff- 

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II.  DlSSOliUTO  PUiMTO 

II  Don  Gk a:\nni 


Dramma  tjioco.so  in  due.  AUi 


in  Partitur  a 


/jfimuo  r-'ftr+i/hyi tri, 

Titelblatt  der  Don  Juan  Partitur.  Zeichnung  von  Kinningcr 


manns  Phantasieseele,  so  geht  er  in  Byron,  in  Grabbe,  in  Lenau  ein,  so  kehrt 
er  sich  in  Shaw  um.  Die  Wendung  in  der  Operngeschichte  wurde  auch  eine 
Wendung  in  der  Sagengeschichte  — durch  die  innere  Wendung  Mozarts. 

Diese  innere  Wendung  geht  von  der  Tradition  der  Buffa,  vom  dramma 
giocoso,  als  das  Don  Juan  begonnen  wurde,  an  die  Grenze  des  Tragischen, 
dort,  wo  aus  tiefen  Menschlichkeiten  der  Ton  in  das  ernste  Bekenntnis  sich 
erhebt  und  die  Musik  Seelenlandschaftcn  schildert,  die  in  des  Lebens  wahren 
Leiden  leuchten.  Die  antike  Maske  ist  fortgeschleudert,  die  Buffonerie  in 
eine  untere  Etage  verwiesen,  wo  sie  als  Kontrapunkt  fortwirken  mag,  aus  der 
Realität  des  Stoffes  wächst  die  Angst  und  die  Gewalt  und  die  Erlösung  der 
hohen  Funktionen  des  Lebens,  Lust  und  Tod,  Genuß  und  Rache,  eine  enorme 
Machtsteigerung  dieser  Gefühle,  die  zwischen  der  harmlosen  Idylle  und  der 

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eitlen  Virtuosität  sich  ein  Reich  von  unwiderstehlicher,  wahrer  und  tiefer 
Wirkung  erobern.  Dies  hat  Mozart  so  aus  sich  heraus  gemacht,  es  wuchs 
ihm  schon  während  des  Figaro,  hier  stürzte  cs  alle  Überlieferung.  Der  Text 
war  mäßig,  aber  dieser  Stoff  war  grandios  für  ihn.  Und  darum  soll  man 
da  Ponte  dankbar  sein,  auf  dessen  Schemen  von  diesem  mächtig  hervor- 
brechenden Licht  ein  Schimmer  zurückfiel. 

Masetto  und  Zerline,  deren  VV'esen  sehr  gut  eine  alte  Buffooper  aus- 
gefüllt  hätte,  sind  in  die  untere,  freilich  sehr  freundliche  Etage  verwiesen, 
wie  das  zweite  Liebespaar,  das  in  der  hohen  Zeit  der  deutschen  Literatur 
die  Erinnerung  des  Schäferspiels  gegenüber  der  ernsten  Tragödie  vertritt. 
Ihr  liebliches  Tanzlied  mit  dem  Chor,  die  lustige  Masettoarie  Ho  capito 
ganz  im  populären  Schnitt,  das  unnachahmlich  entzückende  Rondo  der  Zer- 
line Batti,  batti  mit  dem  obligaten  Cello,  nicht  weniger  das  überaus  an- 
mutige Vedrai  carino  sind  Blumen  an  diesen  Fenstern:  die  graziösesten  Me- 
lodien, die  diese  Zeit  erfand.  Leporello  ist  Satire.  Die  Registerarie  ist  ein 
Muster  parodistischer  Laune,  das  pickende,  rollende  Orchester,  in  das  er 
schließlich  hineingerät,  malt  ihm  in  einem  zweiten  Menuettsatz  die  Typen 
der  schönen  Frauen  (bekanntlich  haben  die  alten  Übersetzungen  hier  alles 
zerstört)  in  einer  reizenden  Galerie  von  ausdrucksvollen  Persiflagen.  In  der 
Arie  Ah  pietä  erregt  er  ein  komisches  Mitleid,  indem  er  eine  flehend  gestreckte 
Dreiklangsfigur  dauernd  mit  seiner  Stimme  herzieht.  Seine  Ensembles  mit 
Don  Juan  bleiben  im  Buffoton : selbst  bei  der  Einladung  der  Komturstatue, 
mit  den  zappelnden  Septimen,  den  plötzlichen  Wechseln  der  Tonart,  verharrt 
die  Malerei  der  gespenstischen  Angst  im  Stil  der  Karikatur,  den  Don  Juan 
nicht  unterbricht.  Ein  merkwürdig  einheitliches  Stück  ist  das  Terzett  ge- 
worden: Don  Juan  und  Leporello  tauschen  nicht  bloß  die  Kleider,  auch  die 
Phrasen  nehmen  sie  sich  ab  und  geben  sie  an  Elvira  weiter.  Eine  eigenartig 
schürfende  Melodie  geht  motivisch  durch  die  Szene,  sie  lockert  das  Erd- 
reich in  einer  Freudigkeit  der  Gesangs-Imitation,  daß  kein  Pathos  aufkommt. 
Diese  drei  verstehen,  sich  gut  anzusingen.  Die  reine  Gesangsfreude,  die 
bloße  schöne  Form  der  Melodie,  die  man  aus  einer  guten  Laune  bildet  und 
wie  einen  Tanz  der  Sinne  durchkostet  — diese  Buffokunst  hat  Don  Juan 
selbst  durchaus  nicht  vergessen.  Ja,  sie  ist  seine  natürliche  Äußerung,  wenn 
ihn  niemand  stört.  Er  bleibt  ein  Buffo  und  ist  weit  entfernt  davon,  groß- 
artige romantische  Expektorationen  über  seine  Weltanschauung  loszulassen: 
zumal  das  einem  Bariton  in  dieser  Zeit  gar  nicht  anstände.  La  ci  darem, 
so  ist  er.  Fin  ch’an  dal  vino,  so  fängt  er  den  Atem,  Deh  vieni  alla  fincstra, 
so  singt  er  zur  Mandoline  und  — nicht  bloß  als  Leporello  verkleidet  — wenn 
er  die  Leute  verteilt,  sich  selbst  zu  fangen,  Meta  di  voi  quä  vadano,  verfaßt 

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Garcia  als  Don  Juan.  Pariser  Lithographie 


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er  eine  Musterbuffoarie  mit 
höchst  spaßiger  Malerei  und 
höchst  genialen  melodischen 
Einfällen.  Er  ist  und  bleibt 
Buffo,  und  deswegen  muß 
eruntergehen.  Denn  Mozart 
liebt  Donna  Anna.  An  ihr 
erwacht  sein  Ernst  und  seine 
Tiefe,  ihr  gibt  er  das  letzte, 
was  er  zu  geben  hat,  aber  dem 
Don  Juan  hat  er  nur  edlere 
Singemelodien  gegeben  als 
Zcrline,  nur  feinere  Buffo- 
manieren als  Leporello,  er 
hat  niemals  zu  da  Ponte 
gesagt:  mir  fehlt  noch  die 
Hauptarie,  in  der  ich  Don 
Juans  Abgründe  zeige.  Er  ließ  ihn  singen  und  spielen.  Don  Juan  ist  ein 
Bufforitter,  Leporello  ein  Buffodiener,  Zerline  eine  Buffobäuerin. 

Die  Atmosphäre  um  Donna  Anna  schuf  das  Gewitter,  unter  dessen  Blit- 
zen Don  Juan  sein  Gesicht  faltete.  Sie  sammelt  seine  Sünden,  die  ihn  zum 
großen  Sünder  machen.  Sie  treibt  die  Vergeltungen,  die  sein  Leben  zum 
großen  Schicksal  machen.  Sie  offenbart  die  Tiefen,  die  diese  Oper  zum  Be- 
ginn einer  musikalischen  und  romantischen  Liebe  der  Tragik  machen.  Das 
Gewitter  bricht  in  der  ersten  Szene  los.  Tod  und  Feuer.  Leporellos  dumme 
Klagen,  die  den  lustigen  Opernton  markieren,  werden  verschlungen  von  die- 
sem dramatischen  Leben,  das  noch  keine  Oper  gekannt:  im  schüchternen 
Buffobaß  klingt  Leporellos  feige  Stimme  zum  Liebesringkampf  Don  Juans 
mit  Donna  Anna,  zum  Tode  des  Komturs.  Ein  Verbrechen  ist  geschehen, 
leise  weinend  sinken  die  Bläser  darüber  herunter.  Eine  ungeheure  Klage  er- 
hebt sich,  ein  Duettrezitativ  Donna  Annas  und  Don  Ottavios,  von  seelen- 
vollen Zwischenspielen  gedeutet,  und  die  gewaltige  Vereinigung  im  Schwure, 
von  gebrochenen  Akkorden  geleitet,  an  die  die  Stimme  angstflehend  sich 
klammert,  in  trotzigen  Septimen,  schluchzenden  Synkopen,  schaurigen  Pau- 
sen, das  Bild  einer  tragischen  Verzweiflung,  so  erschütternd,  musikstark,  wie 
es  Gluck  niemals  geschrieben  hatte.  Anna  hat  den  Mörder  ihres  Vaters  er- 
raten. Das  Orchester  krallt  sich,  Trompeten  schneiden  hinein,  es  zieht  den 
Schmerz  aus,  es  dehnt  ihn  und  bereitet  das  Feld  für  die  Rachcaric,  die  in 
ihrer  penetranten  Leidenschaft  nun  ihrerseits  das  Orchester  bis  zur  Raserei 

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Roller.  Dekoration  zu  Don  Juan 


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aufwühlt:  die  Verinnerlichung  der  Virtuosität,  die  Steilheit  des  Ausdrucks, 
die  Lust  am  stilisierten  Schrei,  als  Schönheit  geboren  in  den  Grenzgebieten 
Italiens  und  Deutschlands,  zwischen  Passion  und  Bravour,  wo  die  Tragik 
sich  ihres  Pathos  nicht  schämt  und  das  Pathos  sich  im  Stil  wieder  festigt. 
Das  Gemüt  beruhigt  sich.  Die  F-Dur-Arie  bringt  in  das  vorangehende  Re- 
zitativ schon  ihre  melodisch  süße  Ahnung,  dann  breitet  sie  ihre  feingezogenc, 
seelenzarte  Stimmung  über  Annas  Wesen,  das  wie  in  einer  Erinnerung  an 
seine  Herkunft  noch  einmal,  in  dem  Allegro-Nachsatze,  der  bloßen  Kolo- 
ratur und  virtuosen  Verve  Lebewohl  sagt.  Sie  ist  darüber  längst  hinausge- 
wachsen und  ist  entschlossen,  ihren  tatenlosen  Ottavio  und  ihre  sentimentale 
Helferin  Elvira  dort  zurückzulassen,  wo  das  bloße  schöne  Ariensingen  und 
der  konzertmäßige  Vortrag  rührender  Empfindungen  dem  Bedürfnis  nach 
Aussprache  genügt.  Es  ist  merkwürdig,  daß  Don  Juan  und  Leporello  in  der 
Arie  Nr.  3 ihre  Elvira  nicht  erkennen,  die  bei  der  Ausdrucksweise  der  ge- 
wohnten Abbandonata  bcharrt,  obwohl  ihr  die  beiden  durch  das  reizend 
neckische  Spiel  über  der  federnden  Dominante  allen  Anlaß  dazu  geben,  an 
ihrem  Rutschpathos  irre  zu  werden. 

Schon  im  Quartett  versucht  Elvira  die  Sphäre  der  Anna  cinzusaugen: 
Te  vuol  tradir  ancor,  so  schlägt  sic  dies  einsam  klagende  Motiv  an,  das  sich 
durch  den  ganzen  Satz  in  den  Stimmen,  im  Orchester  durchzieht,  um  ihm 
noch  nachklingend  seine  mahnende  Einheit  zu  geben.  Aber  während  Ottavio 
durchaus  in  den  ernsten  Bann  des  gemäßigten  Stils  der  Donna  Anna  ge- 
rät, versagt  sich  Elvira  nicht  einige  koloraturfreudige  Ausbrüche  und  findet 
sich  teilweise  mit  Don  Juan,  der  sie  im  Buffoton  für  verrückt  erklärt,  in 
diesem  Genre  zusammen.  Die  alte  Operntradition  muß  noch  besser  einge- 
fangen werden.  Don  Juan  vermag  es  nicht,  aber  Mozart  versucht  es.  In 
den  beiden  Finales  und  im  Sextett  ist  das  geschehen. 

Das  erste  Finale,  in  vielen  kleinen  Stücken  aneinandergereiht,  sogar  sze- 
nisch unterbrochen  (man  sollte  es  möglichst  ohne  Pause  arrangieren)  hat 
vier  große  Teile,  die,  wenn  man  es  kurz  sagen  will,  die  Zerstörung  des  Tanz- 
festes in  Don  Juans  Schloß  durch  den  Geist  der  Rache  und  Verschwörung 
wachsend  schildern.  Zuerst  idyllisches  Vorspiel  mit  heimlicher  Erregung: 
Masetto,  Zerline,  Don  Juan,  die  liebliche  F-Dur-Stcllc,  aus  dem  Palast 
dringen  acht  Takte  des  Konters,  alle  drei  finden  sich  zusammen,  aber  nur 
musikalisch.  Dann  zweiter  Abschnitt,  die  drei  Rächenden  kommen,  eine 
innerliche  Dreiheit,  zitternde  Bewegung  im  Orchester,  das  Menuett  tönt 
aus  dem  Palast,  Leporello  ruft  sic  hinein  und  der  Augenblick  ergibt  ihr 
wundersames  Terzett,  zu  dem  alle  Streicher  schweigen,  in  einer  absolut  mu- 
sikalischen Gesangsschönheit,  auf  dem  dunklen  Fond  der  Bläser,  wiegend  und 

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wechselnd  und  drohend  und  flaggend,  Anna  und  Elvira  einig  in  der  Figura- 
tion und  Koloratur,  die  sie  aus  ihrer  Vergangenheit  zu  einer  neuen  zeitlosen 
Monumentalität  verbindet.  Das  Fest,  drittens,  findet  statt  und  der  Tanz 
erringt  die  Herrschaft,  er  kompliziert  sich,  nach  der  vergnügten  •/«  Einlei- 
tung, zu  einem  Ensemble  von  drei  Tänzen,  dem  Menuett  für  die  Edlen,  der 
Follia  (Konter)  für  Don  Juan  und  Zerline,  der  Alemana  (Walzer)  für  Masetto 
und  Leporello.  Die  Tänze,  von  verschiedenen  Bühnenorchestern  gespielt, 
staffeln  sich,  trotz  ihres  verschiedenen  Taktes,  ineinander  ein.  Der  Schrei 
der  verführten  Zerline  unterbricht  diese  Epoche  und  leitet  den  letzten  Teil 
ein:  den  Sieg  des  Rachegesangs  über  das  Tanzfest.  Immer  gewaltiger  steigt 
das  Drohen,  Rollen,  Fugieren,  Schlagen  der  Angreifer  gegen  das  Paar  des 
stolzen  Don  Juan  und  des  affigen  Leporello  an,  immer  breiter  und  breiter, 
die  Katastrophe  scheint  vor  der  Tür  — aber  es  geschieht  nichts,  sie  treffen 
sich  schließlich  alle  im  gemeinsamen  C-Dur,  wie  sie  sich  immer  am  Ende  der 
katastrophalen  Finales  trafen,  und  statt  zur  Tat  zu  schreiten  bleiben  sie  im 
Gesang  stecken.  Der  Tanz  scheint  besiegt,  aber  die  Buffotradition  hat  sich 
doch  durchgesetzt.  Mozart  muß  weiter  gegen  seinen  Don  Juan  streiten. 

Das  Sextett  gruppiert  sich  um  den  als  Don  Juan  verkleideten  Leporello. 
Donna  Elvira  hat  eine  kurze  Szene  mit  ihm,  in  Es,  plötzlich  Trompeten, 
D-Dur,  Ottavio  und  Anna  treten  ein  (welcher  unsagbare  Schwung  in  ihrer 
Gebärde),  eine  schleichend  chromatische  Figur  senkt  sich  herab,  wir  sind  in 
F.s  zurück,  als  C-Moll,  Masetto  und  Zerline  kriechen  mit  unter  diese  chroma- 
tische Decke,  alle  gegen  Leporello,  der  dieselbe  Figur  in  seine  flehenden 
Finger  nimmt  — er  wird  erkannt.  Alle  andern  schließen  sich  in  rhythmisch 
knappen  Maßen  gegen  ihn  zusammen  — che  mai  sarä!  Und  doch,  so  lächer- 
lich sie  den  Moment  empfinden,  sie  erheben  sich  zu  einem  absoluten,  philo- 
sophischen, schicksalsschweren  Stil,  in  Akzenten  der  Tonarten,  im  Wett- 
eifern der  Konturen,  zuletzt  fast  in  reiner  Akapella-Mystik,  immer  wieder 
von  dem  tragischen  Gefühl  ihrer  Mission  aufbegeistert,  die  an  dem  Gesetz 
der  Buffos  zu  scheitern  scheint.  Wird  Mozart  über  Don  Juan  siegen  l 

Das  letzte  Finale  beginnt  lustig  mit  dem  schmausenden  Don  Juan  und 
hungernden  Leporello.  Die  andern  Don  Juan-Opern  brachten  an  dieser 
Stelle  Toaste,  die  das  Publikum  apostrophierten.  Mozart  hatte  eine  geist- 
reiche Idee:  er  läßt  die  Tafelmusik  erst  aus  Martins  Cosa  rara,  dann  aus 
Sartis  Fra  due  litiganti,  endlich  aus  seinem  Figaro  spielen  — in  Worten  ge- 
sagt, ihr  kennt  den  Martin  und  den  Sarti,  deren  beliebte  Arien  mich  über- 
all verdrängen  wollen,  euch,  meine  Prager,  danke  ich  den  Erfolg  des  Figaro, 
der  mich  stolz  macht.  Man  stelle  sich  diese  Wirkung  bei  der  Premiere  vor. 
Alle  wiegen  sich  in  Wohlbehagen,  alle  fühlen  sich  persönlich  angesprochen 

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von  diesem  Komponisten,  diesem  Dirigenten,  der  einen  Tafelschmaus  be- 
liebter Opernstücke  veranstaltet,  ein  freudiges  Murmeln  geht  durchs  Theater 
— da  öffnet  sich  die  Tür  und  der  weiße  Komtur  erscheint,  das  Lächeln 
erstirbt,  es  hebt  eine  Szene  an,  wie  sie  noch  keine  Buffooper  kannte,  wie  sie 
mehr  Bedeutung  und  Erfolg  und  Zukunft  für  Mozart  und  alle  Oper  wurde, 
als  diese  Zitate  je  ahnen  ließen:  von  Elvira,  der  Warnenden,  von  Leporello, 
dem  Zitternden,  vorbereitet,  von  dröhnendem  Blech  begleitet,  auf  schwer- 
lastenden Akkorden,  von  klagenden  ziehenden  Streichern  umgeben,  einge- 
hüllt in  die  Wolken  steigender  und  plötzlich  im  Piano  fallender  Skalen, 
drängend,  hart,  steinern  bis  auf  das  unweigerliche  D,  ausweichend  im  Kampfe 
des  No  und  Si,  der  nun  einen  neuen  tragischen  Klang  erhält,  durch  Ton- 
arten der  Nähe  flüchtend,  in  gewaltigen  Schlägen  zusammenbrechend  und 
im  D-Moll  versinkend,  vollendet  sich  das  Schicksal  Don  Juans.  In  D-Moll? 
Im  Momente  seines  Höllensturzes  wandelt  sich  die  Terz  f in  die  Terz  fis, 
das  Moll  in  Dur  und  ein  heiterer  Schluß  in  G setzt  ein.  Sie  kommen  alle, 
zu  fragen,  ein  artiges  Larghetto  besänftigt  den  Schrecken,  ein  Endensemble 
vereinigt  sie  in  einer  Art  kirchlicher  Weltanschauung,  in  der  die  einzelnen 
Charaktere  noch  tiefer  untertauchen  als  sonst  in  solchem  Finale.  An  diesem 
Schluß  hat  man  herumprobiert.  Er  wurde  schon  in  alter  Zeit  ganz  fallen 
gelassen,  oder  nur  teilweise,  oder  in  das  Camposanto  verlegt,  oder  durch 
ein  Stück  aus  Mozarts  Requiem  oder  gar  fremde  Kompositionen  ersetzt. 
Aus  der  Sphäre  dieser  Oper  muß  er  bleiben.  Bei  aller  Tragik  — Don  Juan 
hat  sich  sein  Los  allein  bereitet  und  der  Komtur  tut  nichts,  als  Gleiches 
mit  Gleichem  vergelten.  Ja,  eine  Gewitteratmosphäre  ist  um  Donna  Anna, 
es  zuckt  und  donnert,  aber  diese  Wolken  hängen  nur  über  Don  Juan,  sie  sind 
es  nicht,  die  ihn  treffen.  Noch  im  Tode  hat  seine  Buffoehre  Macht  genug, 
alle  seine  Feinde  in  versöhnlicher  Stimmung  zu  vereinen  und  einen  schönen 
Schlußgesang  verfassen  zu  lassen.  Sein  Buffoschicksal  liegt  eingeschlossen  in 
dieser  Landschaft  hoher  und  heiliger  und  tragischer  Gefühle,  die  nun  ein- 
mal erst  erschaffen  war,  um  dann  ihre  Menschen  zu  finden  und  zu  erhalten, 
die  nur  ihren  eigenen  Gesetzen  folgen.  Es  ist  eine  stehende  tragische  Land- 
schaft, noch  beziehungslos,  noch  unverbindlich,  aber  schön  bis  in  alle  Tiefen 
des  Herzens,  die  hier  gebildet  wurde.  Deutsches  und  Italienisches,  Ernstes 
und  Komisches,  Virtuoses  und  Empfindungsvolles,  Ausdruck  und  Stil  haben 
von  beiden  Seiten  an  ihr  gearbeitet.  Die  Insel  ist  im  Meere  geboren  und 
dort  legt  Donna  Anna  den  Kranz  auf  Don  Juans  Grab,  der  für  sie  starb. 
Die  Oper  ist  fertig.  Mozart  geht  an  das  letzte  Stück,  die  Ouvertüre.  Er 
setzt  die  Klänge  der  Komturszenc  an  den  Anfang.  Er  gibt  dem  folgenden 
Allegrosatz  ein  drohendes,  faustballcndes,  diatonisch  absteigendes  Motiv, 

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inmitten  ritterlicher  Zwischenrufe  und  neckischer  Ablenkungen,  er  verviel- 
fältigt, verstaffelt,  verbohrt  dieses  Motiv,  aber  dann  läßt  er  es  milder  werden, 
und  bescheidener,  und  leitet  mit  sanfter  Hand  ohne  Schluß  in  die  Späße 
Leporellos  hinüber.  So  zeichnete  er  seine  Oper  und  seine  eigene  Bestimmung. 


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Fin  Rrirfanfnna  vnn  H 


Ein  Briefanfang  von  Mozart 


Cos/  fan  tutte 


ZU  einem  sonderbaren  Spaß  wurde  er  einige  Jahre  später  berufen.  Cosi 
fan  tutte  erscheint  von  ihm,  am  26.  Januar  1790  in  Wien.  Ein  Auf- 
trag des  Kaisers  und  zwar  mit  diesem  Text  da  Pontes,  der  ihm  befohlen 
wurde.  Wenigstens  ein  Auftrag.  Glücklich  w:ar  er  nicht.  Es  fehlt  an  Geld 
und  die  Frau  kränkelt.  Er  hatte  wieder  mal  eine  Künstlerreise  versucht  und 
wäre  beinahe  in  Berlin  stecken  geblieben,  wo  ihm  der  interessierte  König  die 
erste  Kapellmeisterstelle  für  joooTalcr  angeboten  hatte.  Unnütze  Träumerei, 
was  geworden  wäre,  wenn  er  cs  annahm!  (Ich  glaube,  er  wäre  von  Intrigen 
erstickt  worden.)  Rechnerisch  war  er  gar  nicht,  er  schlug  es  ab,  um  in  Wien 
zu  bleiben.  Der  Dank  des  Kaisers  war  Cosi  fan  tutte.  Wirklich  nicht: 
tutti.  Der  Kaiser  hatte  wenig  Ahnung  von  ihm.  Er  hätte  ihm  Goldoni  und 
Moliere  vor  die  Füße  legen  sollen.  Cosi  wurde  kein  großer  Erfolg.  Es  ist 
damals  nur  zehnmal  in  Wien  gegeben  worden.  Dresden  wachte  erst  an  dieser 
Oper  auf:  es  war  1791  dort  die  erste  Mozartpremiere,  aber  bis  1812  folgte 
in  der  Originalform  keine  andere.  Bis  heut  ist  das  Stück  nicht  populär  ge- 
worden. 

Man  hat  den  Text  dafür  verantwortlich  gemacht.  Man  sagte,  zwei  Lieb- 
haber, die  sich  verkleiden,  um  kreuzweise  ihre  Bräute  zu  verführen  und  sich 
so  von  ihrer  Untreue  zu  überzeugen,  der  Freund  Alfonso  als  malitiöser  An- 
stifter, die  Zofe  Dcspina  als  verkleideter  Arzt  und  Notar,  das  sei  zu  unwahr- 
scheinlich, ja  sei  zu  frivol,  um  irgend  jemanden  zu  fesseln:  also  unwahrschein- 


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lieh  frivol,  durch  die  beste  Musik  nicht  zu  retten  ? Man  änderte.  Man 
machte  Alfonso  zu  einem  Zauberer,  Despina  zu  einem  Ariel;  man  schob 
eine  lange  Reise  vor  die  Wette;  man  verkleidete  statt  der  Liebhaber  helfende 
Freunde;  man  ließ  sie  parallel  verführen,  statt  kreuzweise;  man  verriet  den 
Personen  vorher  ihr  eigenes  Stück,  so  daß  sie  die  Täuschung  nur  vortäusch- 
ten. Oder  man  eliminierte  den  ganzen  Text  und  setzte  einen  funkelnagel- 
neuen unter  die  Musik,  Barbier  und  Carre  schoben  Shakespeares  Verlorene 
Liebesmühe  unter,  Scheidemantel  hat  soeben  einen  ähnlichen  Versuch  ge- 
macht. Geholfen  hat  das  alles  nichts.  E.  T.  A.  Hoffmann  war  ziemlich  der 
einzige,  der  das  Stück  als  „Ausdruck  der  ergötzlichsten  Ironie“  verteidigte,  in 
dem  weisen  Gespräch,  das  Dichter  und  Komponist  in  den  „Serapionsbrüdern“ 
führen.  Man  nehme  es  mir  nicht  übel,  wenn  ich  mich  ihm  anschließe.  Ich 
brauche  nicht  zu  versichern,  daß  ich  das  nicht  mit  literarischem  Kennerblick 
tue,  sondern  im  Gegenteil,  ich  bin  froh,  daß  ich  dies  Kennerauge  zudrücken 
darf.  Es  ist  mir  möglich,  die  Unmöglichkeit  dieses  Stückes  mit  der  ganzen 
Heiterkeit  meiner  Buffoseele  zu  empfinden.  Ich  weiß,  sie  verkleiden  sich;  ich 
weiß,  das  geht  alles  nicht  und  ist  ein  Spiel  mit  singenden  Scherzen;  ich  weiß, 
daß  das  Leben  ernst  ist  und  die  Wahrheit  langweilig  und  die  Logik  tödlich 
und  die  dramatischen  Gesetze  nach  einem  Bremenser  Kodex  zu  untersuchen 
sind.  Aber  ich  fühle  ein  wenig  von  Don  Alfonso  in  mir,  der  mit  einem  be- 
haglichen Lächeln  diese  Künste,  obwohl  er  sie  kennt,  spielen  läßt,  und,  ob- 
wohl er  sie  verachtet,  anstiftet,  und  ich  bin  imstande,  mich  so  buffonesk  zu 
stilisieren,  daß  ich  alle  Frivolität  der  Croises  und  alle  kleine  Tierquälerei  der 
Liebe  wie  einen  Maskenscherz  mir  vormachen  lasse,  hinter  dem  ich  ein  Leben 
sehe,  das  ich  vergessen  will.  Gern  gebe  ich  dabei  zu,  daß  der  Librettist  seine 
Sache  noch  viel  besser  hätte  machen  können,  und  ich  stimme  Jahn  vollkom- 
men bei,  der  den  zweiten  Akt  für  zu  gleichmäßig  hält  und  statt  des  Quartetts, 
in  dem  Alfonso  und  Despina  die  Parteien  der  Zögernden  übernehmen,  lieber 
ein  großes  verwickeltes  Ensemble  gesehen  hätte.  Aber  da  Ponte  zu  mo- 
nieren ist  weder  ein  Grund,  mich  zu  entrüsten,  noch  mich  zu  langweilen, 
da  ich  ihn  in  Mozarts  Gesellschaft  finde.  Sein  einziger  Mißerfolg  ist  die  Un- 
fähigkeit der  Hörer,  sich  auf  eine  feine  Ironie  einzustellen.  Mozart  fand  den 
inneren  Ton.  Die  Leute  finden  ihn  nicht. 

Es  ist  eine  köstliche  Feinheit,  eine  spielende  Ironie,  mit  der  er  diesen 
Maskenball  der  Wahlverwandtschaften  in  Töne  setzt.  Hinter  den  Figaro- 
personen hatte  er  Menschen  gesucht,  hinter  Don  Juans  Frauen  ein  Schick- 
sal, immer  gesucht,  nicht  vollendet,  denn  er  hatte  keine  Probleme  und  Ten- 
denzen — hier  suchte  er  gar  nichts,  sondern  er  spielte  nur,  und  darum  ist 
diese  Oper  vielleicht  die  problemloseste,  aber  auch  die  einheitlichste  von  allen 

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geworden,  eine  wunderbare  Selbst- 
zersetzung dieser  Gattung,  eine 
Vollendung  der  Ironie,  ein  Ziel  des 
Buffowesens,  das  seine  Wesenlosig- 
keit kennt  und  in  schöner  Musik 
befriedigt.  Dieses  Stück  läßt  sich 
vernichten,  wenn  man  von  Charak- 
teren, Logik  und  Gefühl  spricht, 
aber  am  nächsten  Tag  steht  es 
wieder  auf  und  lächelt  uns  so  ver- 
führerisch an,  daß  wir  uns  schämen 
und  fragen:  wissen  wir  noch,  was 
Wahrheit  ist?  Ist  alles  nur  Spiel? 

Wäre  es  doch 

Elvira  ist  zur  Fiordiligi  gewor- 
den, die  Ferrarese  singt  sie.  Dok- 
toranden arbeiten  über  die  Arien, 
die  Mozart  für  einzelne  Sänger  und 
Sängerinnen  schrieb  und  rekonstru- 
ieren deren  Stimmgattung  aus  die- 
sen Indizien.  Mozart  verwechselt 
und  vertauscht  während  der  Arbeit  die  Rollen  der  Schwestern.  Einmal  ist 
Fiordiligi  oben  (da  Ponte  hatte  ein  Verhältnis  mit  der  Ferrarese),  einmal 
die  Dorabella,  die  die  Villeneuve  singt,  selbst  wieder  eine  Schwester  der 
Ferrarese.  Dorabella  ist  entschieden  impulsiver,  Fiordiligi  treuer  und  stol- 
zer. Das  Spiel  verwechselt  sie,  das  Spiel  bringt  den  weicheren  Ferrando 
zur  herrischen  Fiordiligi,  den  unbesorgten  Guglielmo  zur  temperament- 
vollen Dorabella.  Hat  das  Spiel  vielleicht  recht  ? Sie  werden  sich  nach 
dem  Austausch  weniger  gut  vertragen.  Denn  dann  beginnt  das  Leben 
und  hier  ist  noch  die  Kunst,  die  sie  mit  einer  Fülle  von  Phantasie  und 
Illusion  beschüttet,  an  die  sie  sich  gern  erinnern  werden.  Wie  schön  war  diese 
Ouvertüre,  sie  sagte  nur  Cosi  fan  tutte  und  dann  jagte  sie  die  Instrumente  in 
einem  Wirbeltanz  nacheinander,  daß  sic  sich  ihr  Feuer  holten,  in  dem  sic  das 
ganze  Stück  durch  sprühten,  so  beweglich  und  zierlich  und  fein  und  verständ- 
nisvoll, die  liebenden  Klarinetten,  die  pochenden  Oboen,  die  kriegerischen  Pfei- 
fen, die  klingenden  Pizzikati,  die  eitlen  Hörner,  die  philosophischen  Fagotte, 
alle  sie,  die  den  großen  Vorteil  haben,  nicht  sprechen  zu  müssen,  was  man  von 
den  Personen  da  oben  verlangt,  um  ihnen  ihre  Gedanken  nachzurechnen,  die 
ihre  ungefragt  blühende  Musik  verraten.  Wie  töricht.  Diese  Musik  blüht  wie 

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Herr  und  Frau  Lange.  Stich  von  Berger 


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die  Wiesenblume.  Ist  Wolfsmilch  unecht  ? Ist  der  Mohn  ein  Unkraut  ? Wir 
wissen  nur  noch,  zu  wieviel  schönen  Sexten  und  Terzen  die  Melodien  dieser 
Paare  führen  mußten,  wie  zierliche  chromatische  Wendungen  im  Diskant 
lagen,  wie  viel  neue  und  zarte  Durchgangstöne  in  den  Mittellagen,  wie  drol- 
lige Ecken  die  Akkorde  bildeten,  wie  frisch  die  Tonarten  sich  ablösten.  Diese 
unaufhörlichen  Ensembles,  in  denen  sich  die  Stimmen  immer  wieder  in  an- 
deren Nachahmungen  fanden  und  das  Orchester  immer  wieder  neue  Farben 
ihnen  hinterspannte.  Zerstören  wir  uns  nicht  die  Erinnerung  durch  die  Er- 
zählung aller  dieser  Feinheiten,  deren  unermüdlichen  Zauber  wir  in  unseren 
glücklichsten  Stunden  nur  stumm  am  Klavier  w'iederherzustellen  versuchen. 
Gab  es  eine  hoffnungsvollere  Zeit,  als  da  wir  in  dem  Quintett  Abschied  nah- 
men und  uns  eine  nie  gefühlte  deutsche  Romantik  überschlich,  von  wiegen- 
der Begleitung  getragen,  langsam  sich  verdichtend,  bis  diese  eine  melodische 
Phrase  sich  von  Fiordiligis  Lippen  löste,  diese  eine  Melodie,  die  uns  mehr 
rührte,  als  alle  gesprochene  Literatur  es  je  vermochte  ? Und  weißt  du,  dieses 
Motiv  im  folgenden  Terzettino,  dieses  Flehen  und  Schmeicheln  der  Winde 
und  Wellen,  umwogt  von  flüssigen  Terzen,  umhaucht  von  weichen  Harmo- 
nien, sagte  es  uns  nicht  mehr  als  alle  Librettisten  ahnten  ? Es  kam  irgend- 
woher aus  weiter  silberner  Ferne,  wo  wir  es  kannten,  als  wir  noch  keine 
Menschen  waren.  Der  gute  Alfonso  zitierte  indessen  Metastasio  und  sang 
immer  so  zweideutig  sein  finem  lauda,  Despina  und  die  beiden  Männer  mach- 
ten entzückende  chromatische  Durchgänge,  wenn  sie  vor  den  Damen  knieten, 
um  in  einem  Walzer  abzubrechen,  Fiordiligi  stürmte  mit  ihren  weiten  Inter- 
vallen in  der  Felsenarie  los,  Guglielmo  überlegte  sich,  ob  er  sein  anmutiges 
G-Dur-Liedchen  singen  solle  oder  die  große  Arie  mit  der  Mythologie  und 
den  Nachtigallen,  beide  waren  sie  hübsch,  aber  schließlich  entschied  er  sich 
für  die  spielende  Grazie  und  reichte  die  pathetische  Parodie  dem  Autor  mit 
Dank  zurück,  der  ihm  lachend  recht  gab.  Die  Männer  lachten  im  Terzett, 
Ferrando  sang  ein  wundervolles  Andante  cantabile,  dessen  Motive  das  Or- 
chester wie  in  einem  gerechten  Stolz  auf  ihre  schöne  Erfindung  weiterspann 
und  hochhob,  die  Herren  wanden  sich  chromatisch  in  ihrer  simulierten 
Vergiftung,  in  reizender  Verwirrung,  Stakkato  hüpfend,  dann  legato  biegend, 
näherten  sich  ihnen  die  Damen,  sie  sangen  gar  erhebend  und  kunstvoll  zu- 
sammen, Despina  kam  als  Arzt,  apostrophierte  den  alten  Freund  Mesmer, 
machte  höchst  amüsante  altmodische  Sperenzien  und  es  ging  in  reißendem 
Laufe  dem  Schlüsse  des  Finale  zu.  Kinder,  welch  ein  Finale  war  das.  Wel- 
cher Bau,  welches  Tempo,  welcher  süße  Zwang  in  unseren  verschiedensten 
Maskeraden.  Welcher  Alfonso  gibt  uns  heut  eine  solche  Erziehung?  Wir 
lebten  unter  einem  Rausch  von  Rhythmus  und  Melodie,  der  unsere  Fähig- 

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keitcn,  unsere  Lust  zur  Musik  gegeneinander 
trieb,  daß  wir  kaum  merkten,  wie  er  sie 
dirigierte.  Despina  singt  ihren  verlockenden 
Walzer,  die  Damen  nehmen  sich  die  reizenden 
Phrasen  vom  Munde  ab,  die  Herren  eröffnen 
eine  artige  Serenade,  Guglielmo  und  Dora- 
bclla  finden  sich  in  einem  Duett  von  einer 
unbeschreiblich  atmenden  Süßigkeit,  die  bei- 
den anderen  machen  ein  großartiges  Akkom- 
pagnato,  Ferrando  läßt  das  A von  F-Dur 
und  das  A über  C-Dur  in  fröhlichster  Laune 
Zusammenstößen,  Fiordiligi  konzertiert  mit 
den  Hörnern,  und  eine  Arie  fällt  ihr  ein, 
deren  erstes  Motiv  den  Kuß  Ferrandos  ver- 
dient, der  endlich  nach  vielen  lustigen  Liedchen,  erhabenen  Schmerzens- 
schreien und  witzigen  a parts,  an  einer  prachtvollen  Stelle  der  Partitur 
erfolgt.  Was  wollt  ihr  f Die  Croiseküsse  verraten  den  Parallelismus  der 
Liebe,  aber  die  Musik  feiert  gerechtere  Triumphe.  Die  zwei  Paare  ver- 
einigen sich  im  zweiten  Finale  zu  einem  Larghetto  von  solcher  Pracht  und 
Schönheit,  daß  man  ihnen  die  Gedanken  streichen  müßte,  die  sie  aussprechen. 
Nur  die  Gedanken,  die  Pflicht,  die  Loyalität  bringen  sie  wieder  auseinander, 
die  im  Gesang  so  zärtlich  zusammenpaßten.  Sie  kleiden  sich  um,  sie  singen 
ihre  Leitmotive  und  die  Komödie  ist  zu  Ende,  die  Ehe  beginnt.  Was  ist 
die  Seligkeit  des  Buffo  ? Das  Opfer  der  Vernunft  an  die  Musik. 


Tito 

IN  Prag  ist  am  6.  September  1791  wieder  eine  Mozart-Premiere:  die  Clc- 
menza  di  Tito.  Sie  hatten  sich  dort  gern  an  ihn  erinnert  und  zur  böh- 
mischen Krönung  des  neuen  Kaisers  Leopold  II.  die  Oper  bei  ihm  bestellt. 
Er  war  nie  mehr  ganz  froh  und  fühlte  sich  nicht  sehr  wohl.  Er  war  wieder 
gereist,  aber  es  kam  nicht  viel  dabei  heraus.  Diese  Musik  mußte  er  ganz 
schnell  machen,  im  Wagen,  im  Gasthaus.  Der  Text  war  der  alte  von  Meta- 
stasio,  den  schon  viele  Großen  komponiert  hatten,  er  wurde  etwas  gereinigt 
und  verändert,  die  Ensembles  kamen  hinzu.  Besser  wurde  er  schließlich  nicht. 
Diese  triefende  Milde  des  römischen  Kaisers  gegen  alle  Kabale  und  Liebe 
seiner  Umgebung,  diese  Intrigen,  die  immer  zu  früh  kommen,  und  Arien, 
die  immer  zu  spät  kommen,  können  selbst  als  Festspiel  keine  Entschuldigung 

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* 


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finden.  Sextus  und  Annius  waren  als  Weiberrollen  gedacht,  das  ganze  Stück 
ist  ein  Weiberstück.  Und  wie  regten  sich  die  Zeitgenossen  auf.  Manche 
verglichen  es  im  Ernst  mit  Torquato  Tasso.  Stendhal  versichert  in  der  kleinen 
(zum  Teil  entlehnten)  Schrift  über  Mozart,  Haydn  und  Metastasio:  beim 
Titus  könne  man  kaum  die  Tränen  zurückhaltcn.  Metastasio  ist  für  ihn 
Ideal.  Diese  Klarheit  ohne  Träumerei!  Metastasio  sagt  gleichsam:  soyez 
heureux  au  fond  de  votre  löge.  Wie  macht  er  das?  Seine  Technik  sei  so: 
es  gibt  sechs  Personen,  tous  amoureux,  der  erste  Sopran,  die  Primadonna, 
der  Tenor  haben  jeder  fünf  Arien,  patetica,  bravura,  parlante,  demi-carac- 
tere  und  brillante,  die  ordentlich  gemischt  werden;  der  erste  und  zweite  Akt 
schließen  mit  wichtigeren  Arien,  der  zweite  und  dritte  haben  in  schönen  Nischen 
das  obligate  Rezitativ  und  das  große  Liebcsduett.  Fallt  ihr,  o Tränen  ? Nun,  der 
Titus  in  der  Mozartschcn  Form  hat  diese  Regeln  schon  verlassen,  er  hat  seine 
Ensembles  und  Finales.  Weinet,  weinet!  Stendhal  hält  Idomcneus  und  Titus 
für  die  besten  opere  Serie.  Er  sah  Titus  nach  dem  Rückzug  aus  Rußland,  in 
Königsberg,  wo  sie  zwanzig  Tage  ausruhten.  Vielleicht  war  er  besonders 
empfänglich.  Er  hält  Mozart  für  eine  Mischung  von  Geist  und  Melancholie, 
ohne  jeden  Humor.  Cosi  fan  tutte  hätte  Cimarosa  machen  müssen  — der 
kann  badiner  avec  l’amour,  die  Liebe  zerstört  bei  ihm  nicht  das  Wesen  der 
Menschen,  wie  bei  den  Deutschen.  Gewiß,  hier  versteht  man  die  südliche 
Laune  Stendhals,  das  Unitalienische  von  Mozart  — aber  darum  den  Titus 
ernst  zu  nehmen,  heißt  den  Schatten  zum  Lichte  machen.  Damals,  1814, 
verachtete  Stendhal  noch  Rossini.  Die  Sevigne  hatte  gesagt,  der  Cafe  und 
Racine  werde  vorübergehen.  Sie  hat  ebenso  recht  behalten  wie  Stendhal 
über  Rossini  und  Mozart. 

In  den  Essais  über  Haydn  zählt  Stendhal  einmal  die  Legenden  der  ver- 
schiedenen Komponistenmethoden  auf:  Gluck  arbeite  auf  der  Wiese  mit 
Klavier  und  zwei  Sektflaschen,  Sarti  im  einsamen  finsteren  Zimmer,  Cima- 
rosa im  Lärm  der  Freunde,  Sacchini  mit  seiner  Mätresse  und  seinen  Katzen, 
Paesiello  im  Bett,  Zingarclli  nach  der  Lektüre  der  heiligen  Väter,  Anfossi 
beim  gebratenen  Huhn  — jedenfalls  schmecken  alle  Opern  dieser  Herren 
nicht  so  nach  ihrem  Milieu  wie  Mozarts  Titus  nach  Post  und  Hotel.  Er  hat 
eilig  etwas  ziemlich  Wertloses  zusammengeschrieben  und  nicht  einmal  seinen 
Idomenco,  zumal  er  diesen  später  veränderte  und  verbesserte,  erreicht.  Was 
bleibt  in  Erinnerung  ? Die  Melodie  des  Duetts  von  Annius  und  Scrvilia, 
gefühlvoll  geschwungen,  im  Nachspiel  auf  sinnige  Harmonien  gesetzt.  Vi- 
teilias zerrissene  Sextusrufe  im  Terzett  des  ersten  Akts.  Die  trauernden  En- 
sembles im  ersten  Finale  nach  dem  Kapitolsbrand.  Einige  rührende  Wen- 
dungen in  Annius’  Trostarie  an  Sextus.  Die  schwere  Ruhe  der  Szene,  da 

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der  verurteilte  Sextus  vor  Titus  erscheint:  gleich  wieder  aufgehoben  durch 
die  unfreiwillige  Komik  des  A-Dur-Allegro,  das  eines  Buffo  würdig  wäre. 
Was  noch  f Das  Menuett  der  Servilia  ist  ein  reizendes  Stück,  weil  es  ganz 
herausfällt.  Sextus’  Rcucgcsang  zu  Beginn  des  zweiten  Finales  — es  ist  ein 
Klang  darin  — aber  die  Schablone  siegt,  Einfälle  gibt  es  wenig,  wahres  Ge- 
fühl ist  ausgeschlossen,  kaum  erkennt  man  Mozarts  Züge.  Seine  Sonaten, 
seine  Symphonien  haben  eine  organisierte,  steigende  Entwicklung.  Die 
Kirchenmusiken  schon  weniger.  Die  Opern  sind  ein  Spielball.  Man  kann 
nicht  mehr  sagen,  als  daß  er  an  diesem  Tage  die  opera  seria  schnell  noch  ein- 
mal in  die  Hand  nahm  und  für  immer  wegwarf.  Metastasio  kann  zu  Tüten 
gedreht  werden. 


Zaubcrflöte 

VIERUNDZWANZIG  Tage  nach  dem  Titus  hatte  Mozart  die  Premiere 
der  Zauberflöte,  in  einem  privaten,  aber  k.  k.  privilegierten  Theater 
an  der  Wieden  in  Wien,  das  Schikaneder  leitete.  Schikaneder  war  ein  Filou, 
wahrscheinlich  ein  sehr  netter  Kerl,  frech,  lebenslustig  und  eine  Va  Banque- 
Natur.  Vielleicht  hatte  er  von  einer  Art  Chanteclerdichtung,  die  er  einmal 
verbrochen,  noch  einen  Fundus  von  Vogelfedern  übrig  und  erfand  daraufhin 
den  Papageno,  den  er  selbst  spielte.  Den  übrigen  Text  schusterte  er  aus  dem 
Zauberflötenmärchen  in  Wielands  Dschinnistan  zusammen  und  fügte  allerlei 
hinzu,  wer  weiß  woher.  Seine  Ungebildetheit  ist  in  seinen  Versen  monu- 
mental geworden,  sein  Leichtsinn  in  der  Fabel  des  Stücks.  Die  Königin  der 
Nacht  wird  mittendrin  ein  schlechter  Charakter,  im  Augenblicke,  da  Sarastro, 
der  ursprünglich  ein  böser  Zauberer  war,  menschenfreundlich  und  freimau- 
rerisch wird.  Wohin  die  schönen  drei  Knaben  gehören,  weiß  man  nun  schon 
gar  nicht  mehr:  die  Nacht  sendet  sie  zum  Geleit,  aber  sie  führen  Tamino 
und  Pamina  zum  Licht.  Monostatos,  der  Mohr,  besinnt  sich  rechtzeitig  auf 
seine  Herkunft  und  desertiert  zur  Nachtkönigin.  Die  Mission  und  die  Liebe 
Taminos  sind  miteinander  so  verquickt,  daß  die  ursprünglich  ganz  dumm- 
naive Pamina  in  schreckliche  Verlegenheit  kommt.  Diese  Widersprüche  im 
Text  haben  die  Philologen  längst  erklärt.  Gerade  als  Schikaneder  in  der 
Arbeit  war,  kam  in  der  Leopoldstadt  W'enzel  Müllers  Kaspar  der  Fagottist 
oder  die  Zauberzither  heraus  (die  einen  „zweiten  Teil“  zeugte,  wie  die 
Zauberflöte,  wie  Cosa  rara,  wie  einst  die  Bettleroper  und  „Der  Teufel  ist 
los“  und  viele  andere).  Es  war  derselbe  Inhalt.  Um  der  Konkurrenz  zu  be- 
gegnen, drehte  Schikaneder  den  Spieß  um  und  leitete  die  Fabel  in  die  hei- 
ligen Hallen  Sarastros:  es  stimmte  zwar  nicht,  aber  er  hatte  die  Neuheit 

«8? 


s 

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und  die  Brüderlichkeit  auf  seiner  Seite.  Und  den  Erfolg.  Denn  bei  aller 
Haltlosigkeit  wirkten  der  Volkston,  die  triefende  Ethik,  die  überzeugende 
Symbolik  von  Nacht  und  Licht,  und  nicht  zuletzt  die  vielen  drastischen 
Späße  und  eleganten  Ausstattungsmöglichkeiten  so  gewinnend  auf  die  Sinne 
der  Leute,  daß  sie  auch  bessere  Geister  irritierten. 

Die  größte  Frechheit  Schikaneders  war  gewesen,  sich  an  Mozart  um  die 
Musik  für  sein  Stück  zu  wenden.  Der  größte  Übermut  Mozarts  war,  sich 
darauf  einzulassen.  Jenem  half  der  Instinkt,  diesem  das  Genie  — eine  lustige 
Brüderschaft,  die  das  nicht  mißzuverstehende  Feuer  einer  Sängerin,  der  Pa- 
pagena  Madame  Gerl,  kräftig  schürte.  Mozart  sitzt  in  einem  Gartenpavillon 
neben  dem  Theater  und  arbeitet  unter  Klausur  die  Musik.  Schikaneder 
verwirft  dies,  lobt  jenes,  manches  wird  mehrere  Male  vorgenommen,  bis  es 
dem  Herrn  Direktor  gefällt.  Die  erste  Aufführung  hat  einen  mäßigen  Er- 
folg. Aber  langsam  setzt  es  sich  durch  und  es  wird  der  größte  Sieg,  den 
Mozart  erlebte : volkstümlich  durch  alle  Welt.  Schikaneder  schwindelt  wei- 
ter. Bei  der  1 35.  Aufführung  zählt  er  auf  dem  Zettel  die  200.  Er  wird  reich 
und  baut  sich  davon  ein  neues  schönes  Theater  mit  seinem  Bildnis  als  Pa- 
pageno. 

Mozart  aber  war  tot,  noch  nicht  ein  Vierteljahr  nach  der  ersten  Auffüh- 
rung, so  unbegreiflich,  wie  er  gelebt  hatte. 

Man  sucht  und  reißt  sich  um  die  einzelnen  Blätter  der  in  die  Partitur 
nicht  aufgenommenen,  von  Schikaneder  verworfenen  Stücke.  Man  über- 
schüttet die  Zauberflöte  mit  allen  Phantasien  der  Dekoration,  von  den  ägyp- 
tischen Bildern  bis  zu  den  klassischen  Edelarchitekturen,  die  Schinkel  für 
Berlin  entwarf,  von  den  Stilisierungen  Rollers  in  Wien  bis  zu  den  Pracht- 
monstren der  modernen  Technik.  Und  man  nimmt  den  Arbeitspavillon 
Mozarts  und  setzt  ihn  als  Museumsobjekt  in  seine  Vaterstadt  Salzburg. 

In  dieser  Zauberflöte  war  uns  eine  Welt  von  Musik  hinterlassen  worden. 

Ich  sage:  eine  Welt  — denn  über  diesem  Libretto  hat  Mozart  eine  Summe 
von  musikalischen  Formen  erfunden,  die  in  ihrer  Kombination  ebenso  einzig 
ist  wie  in  ihrer  liebenswürdigen  Schönheit.  Er  hatte  endlich  wieder  mal 
einen  deutschen  Text,  ohne  Rezitativdialog,  ohne  strenge  Buffotradition, 
märchenfrei  und  zauberleicht,  mit  vielen  Ensemblemöglichkciten,  gemischt 
aus  Ernst  und  Spott,  Moral  und  Kaprice,  miserabel,  aber  dankbar,  und  er 
schlug  ein  Album  auf,  in  dem  jede  Gattung  ihr  reizendes  Plätzchen  fand. 
Eine  Welt  von  Musik,  eine  Welt  als  Musik  — so  mußte  er  von  uns  Abschied 
nehmen.  Gehen  wir  diesen  Garten  durch,  indem  wir  Schikaneder  zurück- 
lassen und  die  Mozartbeete  ordnen,  pflegen,  begießen,  diese  Blumen  des 
Unvergeßlichen. 

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Handschrift.  Mozarts:  Zauberflöte 

Als  Vorplatz  empfange  uns  die  alte  feierliche,  orchestische  Einleitung, 
der  Priestermarsch  zum  Beginn  des  zweiten  Akts,  melodisch  ernst  bewegt, 
koloriert  von  der  Flöte,  dem  Fagott,  dem  Bassetthorn,  gefüllt  von  Hörnern 
und  Posaunen,  die  die  drei  hieratischen  Akkordgruppen  im  Rhythmus  des 
Freimaurerzeichens  wiederholen. 

Zum  Wort  leite  uns  über  das  große  dramatische  obligate  Rezitativ  Tami- 
nos  mit  dem  Priester,  im  ersten  Finale,  ein  ausgedehntes  Akkompagnato 
von  einer  ganz  neuen  Kraft  und  Wahrheit  des  Ausdrucks,  wenig  stilisiert 
von  den  einfallenden  unsichtbaren  Chören,  frei  dem  Inhalt  der  Sprache  und 
der  wechselnden  Empfindung  hingegeben. 

Und  schon  sprießen  die  Lieder.  Da  ist  Papagcnos  Vogelfängerlied  mit 
der  Rohrpfeife  und  den  Hörnern,  auf  Harmonien  süß  sich  schaukelnd,  und 
vom  Glockenspiel  begleitet,  sein  „Mädchen  oder  Weibchen“,  das  alten  Cho- 
ral- und  Volksmelodien  folgt.  Da  ist  das  Schnell-Licd  des  Monostatos,  flok- 
kiger  Wirbeltanz  der  Stimme  mit  der  Pickelflöte.  Da  ist  Sarastros  Isis-  und 
Osirisarie,  auf  den  tiefen  Streichern,  nur  Bratsche  und  Cello  mit  sonoren 
Bläsern,  vom  Chor  refrainiert,  ein  schönes  Baßlied,  das  den  ruhigen  und 
ernsten  Charakter  dieses  Registers  auch  melodisch  in  einer  beglückenden 
Reinheit  herausbrachtc,  die  neu  war,  neu  auch  den  Oberpricstern  der  Pariser 
Opern.  Deutsch  und  gut  sind  alle  diese  Lieder,  und  sie  geben  der  Zauber- 

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flöte  ihren  nationalen  Halt.  Und  da  ist  das  zweite  Baßlied  Sarastros,  die 
heiligen  Hallen,  in  denen  eine  romantische  Luft  wehte,  die  die  Skalen  der 
aus  mächtigen  Tiefen  schön  aufsteigenden  Kantilene  in  einer  träumerischen 
Großartigkeit  belebte,  wie  Schatten  und  Kühle  des  Waldes. 

Allmählich  aber  (denn  eine  ägyptische  Landschaft  ist  in  dieser  Musik 
nicht)  bewegen  wir  uns  von  dem  französischen  Marsch  durch  die  deutschen 
Lieder  in  die  Gefilde  der  italienischen  Arie,  wenn  wir  auch  niemals  mehr  in 
ihre  Neapler  traditionellen  Bezirke  gelangen.  Paminas  G-Moll-Arie,  die  Mo- 
zart nicht  zu  langsam  nahm,  ist  das  gefühlvollste  Stück  dieser  Oper,  getragen 
von  einem  unendlichen  Wohllaut  in  schmerzvoll  steigenden  und  bald  ver- 
söhnten Septimen,  auf  einem  dumpf  pulsenden  Orchester,  das  ihr  wunder- 
volle Tränen  nachweint:  nicht  ohne  das  Pathos  südlichen  Temperaments 
und  seine  Lust,  in  Figuren  sich  zu  ergehen.  Tamino,  da  er  ihr  Bildnis  be- 
zaubernd schön  findet,  nimmt  die  Gelegenheit  wahr,  eine  Arie  in  bewegter 
Rührung  zu  singen,  die  zwar  frei  und  fließend  in  der  Form  ist,  aber  die 
Ornamentik  italienischer  Bauglieder  zu  vermeiden  keinen  Grund  findet.  In 
der  C-Dur-Arie  des  ersten  Finales  spielt  er  sich  das  Ritornell  selbst  auf  der 
Flöte  und  gestattet  sogar  ein  baldiges  Dakapo  und  eine  Coda,  die  ins  Presto 
stürzt,  das  einzige  Mal,  daß  er  seine  italienische  Erziehung  offen  eingesteht. 
Wir  sind  vor  der  Grenze  der  Bravour,  die  das  Reich  der  Nachtkönigin  ist. 
Sie  zielt,  ohne  große  Formbindung,  auf  die  Koloratur,  die  in  der  Kehle 
von  Mozarts  Schwägerin  Josepha  saß.  In  der  ersten  ihrer  Arien  macht  sie 
noch  die  solenne  Entwicklung  der  Einleitung,  des  Rezitativs,  des  langsamen, 
melodisch  gehobenen  Satzes,  des  verzweifelten  Allegro  durch,  um  dann  am 
Schluß  mit  einem  Virtuosenlächeln  ihre  Kunstfertigkeit  zu  zeigen.  In  der 
zweiten  Arie  mischt  sie  schneller  Pathos  und  Koloratur,  die  in  doppelten 
Zügen  einander  folgen.  Kein  Mensch  wird  sie  deswegen  in  Schutz  nehmen, 
und  Mozart  hat  sie  früher  gerichtet,  als  sein  Textdirektor.  Aber  im  Garten 
der  Zauberflöte  stehen  nun  einmal  auch  diese  Figuren. 

Wir  haben  ihre  Prüfungen  überstanden  und  nahen  uns  dem  Tapis  der 
Ensembles.  Es  wächst  in  wunderbarer  Vielgestaltigkeit  auf.  Das  Edikt  des 
Schweigens,  das  über  den  Tenor  und  seinen  Baßbuffo  zeitweise  verhängt 
wird,  hindert  sie  nicht  sonderlich:  denn  singt  man  nicht  Ja,  so  singt  man 
eben  Nein.  Da  stehen  zuerst  ein  paar  reine  Duette.  Papageno  singt  mit 
Pamina  von  den  Männern  und  Weibern,  welche  Liebe  fühlen:  eine  Situa- 
tion, die  der  Regisseur  retten  kann,  wenn  er  sich  daran  erinnert,  daß  diese 
Dame  die  Tochter  der  Nacht  ist,-  aber  eine  Musik,  die  so  einschmeichelnd 
und  schmiegsam  ist,  daß  man  ihnen  auch  so  die  Sünde  verzeihen  wird.  Dann 
das  Duett  der  beiden  Priester,  das  uns  in  C-Dur  vor  W'cibertücken  bewahren 

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Schinkel:  Dekoration  zur  Zauberflötc 


soll,  aber  eine  so  verführerische  Wendung  nach  G-Dur  hat,  daß  wir  der  Er- 
fahrung dieser  Herren  mehr  glauben  als  ihrem  Rate.  Jetzt  geht  es  in  die 
Terzette.  Die  drei  Damen  haben  die  Schlange  getötet  und  verlieben  sich 
in  Tamino,  mit  reizenden  imitatorischen  Wendungen,  die  dritte  immer  höchst 
selbständig,  mit  rührenden  Schlußbildungen,  ein  fein  geschriebener  und  cin- 
geteilter  Satz,  der  gleich  am  Anfang  uns  das  klangliche  Symbol  dieser  Oper 
ins  Ohr  zaubert:  weibliche  Terzette.  Ein  wenig  dahinter  das  Terzett,  in 
dem  Papagcno  den  Monostatos  erschreckt,  da  er  der  Pamina  den  Hof  macht: 
ein  rhythmischer  Spaß  ohnegleichen.  Am  Beginn  des  Finales  das  schöne 
Knabenterzett,  so  seltsam  feierlich  punktiert,  ohne  Kontrabässe,  mit  Po- 
saunen, gedämpften  Trompeten  und  Pauken,  ein  lichtes  Himmelsbild.  Und 
da  sie  zum  zweitenmal  kommen,  eine  ganz  andere  Farbe:  irdisch  heiter 
bewegt,  so  unnachahmlich  lustvoll  die  Stimmen  auseinander  und  gegenein- 
ander fließend,  das  Orchester  ein  Heer  von  Schmetterlingen.  Wie  lieblich 
ist  diese  Gegend,  welcher  Duft  und  welche  Anmut  einer  überirdischen  Selig- 
keit. Welches  Gleichmaß  und  welche  Bescheidenheit.  Aber  bald  dabei  ist 
das  Terzett  Sarastros  mit  den  beiden  Liebenden,  das  wiederum  ein  Muster 
darstcllt  an  dramatischer  Bewegung  und  gegenseitiger  Wendung  im  Fluß  der 
vollendeten  Musik.  Wie  sie  sich  bald  zweifach,  bald  dreifach  gruppieren  nach 
der  Stellung  der  Gefühle,  wie  sie  jede  Biegung  des  Gedankens  mit  einer 
neuen  harmonischen  Abzweigung  und  einer  freudigen  melodischen  Blüte  cr- 

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widern,  wie  sie  sich  die  Schönheit  der  musikalischen  Phantasie  in  einer  ge- 
meinsamen Erregung  untereinander  teilen  und  wieder  überraschend  zurück- 
geben, wie  sie  beim  Abschiedswort  in  einer  plötzlichen  Hingebung  eine  kurze 
Phrase  in  dreifacher  Erhöhung  zu  einem  wrundcrsamen  hängenden  Blumen- 
kelch hinzaubern!  Regen  wir  uns  ein  wenig  ab  beim  Terzett  der  Pamina 
und  des  Papagcno  mit  Monostatos  im  ersten  Finale.  Es  ist  ein  lockeres  Buffo- 
stück voll  schnell  singenden  Übermuts  mitten  in  der  Jagd,  die  Taminos  Flöte 
und  Papagenos  Pfeife  miteinander  anstellen:  der  Glöckchentanz  bringt  die 
Mohren  auf  die  Beine,  und  ein  Duettliedchen  im  Volkston  bleibt  übrig,  ach 
Schikaneder!,  eine  sprudelnde  Folge  lachender  Musik.  Das  klinget  so  herr- 
lich, das  klinget  so  schön;  nie  hab  ich  so  etwas  gehört  noch  gesehn. 

Aber  schon  erweitert  sich  der  Garten.  Da  ist  die  wundervolle  Gegend, 
am  Beginn  des  letzten  Finales,  wo  die  drei  Knaben  in  einem  lyrisch  reizenden 
Gesänge  den  Sonnenaufgang  verkünden,  um  sich  bald  in  eine  Szene  mit  der 
leidvollen  Pamina  einzulassen,  die  ihre  Stimmen  gegeneinander  und  w'ieder 
gegen  Pamina  und  erregter  mit  ihr  zusammen  zu  einem  einzigschönen  Ge- 
webe verbindet,  in  immer  neuen  Gängen  und  immer  rührenderen  Rufen. 
Wir  können  nicht  aufhören,  in  diesem  Wohllaut,  in  diesem  natürlichen  Gegen- 
spiel einer  heiteren  Traurigkeit  zu  wandeln.  Doch  schon  locken  uns  die 
Quintette.  Da  ist  das  eine,  wo  die  beiden  Kandidaten  der  Seligkeit  von  den 
drei  Damen  ihre  Geschenke,  die  Flöte  und  das  Glockenspiel  erhalten,  aus 
einer  Buffolustigkeit  zu  einem  sinnigen  Märchen  entwickelt,  das  freundlich 
nachklingt.  Und  dann  das  andere,  zwischen  denselben  Personen,  wo  die  Da- 
men ihre  Helden  so  lange  warnen,  bis  sie  vom  Teufel  geholt  werden  — 
durchzogen  vom  Silberfaden  einer  synkopisch  wiegenden  Figur,  die  den  Fond 
dieser  wunderlichen  Begebenheit  belebt.  Und  erst  die  vielgestaltigen  En- 
sembles des  letzten  Finales!  Denn  wir  trennen  gern  die  losen  Stücke  dieser 
Finales,  um  in  ihren  Bezirken  frei  nach  unserer  Wahl  zu  spazieren.  Feuer 
und  Wasser  drohen  als  letzte  Prüfung.  Die  geharnischten  Männer  mit  Ta- 
mino,  dann  dieser  mit  Pamina,  und  beide  mit  beiden  in  einer  schmeichelnden 
Figur,  die  sich  um  die  Dominante  dreht,  wandeln  durch  des  Tones  Macht 
und  tragen  das  Volkslied  durch  Feuer  und  Wasser,  die  von  dem  Marsch  der 
Flöte  bezwungen  werden,  so  seltsam  fremd  und  mystisch  auf  den  Spitzen 
der  Akkorde  von  Blechbläsern  und  den  Schlägen  der  Pauke.  Folgt  mir  gleich 
darauf  in  die  große  Pa pagenoszene,  ein  Tal  von  geschäftiger  Lustigkeit  und 
Betulichkeit,  auch  da  er  sich  den  Tod  geben  will,  so  schön  aufschluchzend 
„drum  geschieht  es  mir  schon  recht“,  und  immer  wieder  diese  schluckende 
Phrase,  und  Sterbewalzerchen,  und  gar  ein  überzeugtes  Moll  — aber  schon 
kommen  die  Knaben,  das  Glockenspiel  ertönt,  die  Papagena  steht  da,  und 

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Unzrlmann  und  Ambrosch  als  Lux  und  Adam,  in  Schenks  Dorfbarbur.  Ahe  Berliner  Lithographie 


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aus  allen  alten  Erinnerungen  aller  Buffo- 
narrenliebeleien wird  ein  Stakkato-  und 
Plapperstückchen,  Papageno,  Papagena 
von  porzellanener  Puppensüßigkeit. 

Folgt  mir  in  die  nächste  Szene:  immer 
wieder  ein  andersfarbiges  neugcstaltiges 
Ensemble.  Monostatos  mit  den  drei 
Damen  und  der  Nachtkönigin  versuchen 
in  den  Tempel  zu  dringen:  ein  ergötz- 
liches Motiv  von  dämonischcrTapsigkeit 
begleitet  sie  bis  zur  Versenkung.  Durch 
grüne,  gelbe,  schwarze  Beete  lustwandeln 
wir,  und  die  reizende  Verwirrung  der 
Stimmen  löst  sich  in  eine  wohlgeordnete 
musikalische  Regie  auf.  Die  Wäldchen 
der  Chöre,  lauter  verschiedene  Wäld- 
chen, umfangen  uns  jetzt.  Der  einfache 
Isis-  und  Osirischor,  auf  tiefen  Strei- 
chern, metallischen  Bläsern,  von  Flöte 
und  Oboe  konturiert,  erhebt  sich  wie  ein 
würdiger  Hain.  Der  Chor  der  letzten 
Apotheose  spielt  als  freudige,  ins  Allegro  Zcttel  der  Urjuf(ahtun(f  der  Zaubcrflste 
sich  steigernde  Bewegung,  ein  Schwingen 

von  Zweigen.  Der  Schluß  des  ersten  Aktes  hat  die  Elemente  des  Finales  in 
schneller  Dramatik  auf  nivelliertes  Terrain  gesetzt:  in  herzlicher  Rührung 
Sarastro  mit  Pamina  und  Tamino,  von  kitzelnden  Lüften  gehetzt  Mono- 
statos, alle  im  heißen  Wechselspiel  ihrer  Empfindungen,  von  Jubelchören 
gerahmt.  Welche  Blumen  pflücken  wir  dazwischen!  Aus  dem  Herzen  Sara- 
stros  blüht  es  und  glüht  es  im  zarten  Leuchten  der  Melodie.  Wir  sind  reif, 
daß  uns  der  Meister  auch  in  die  Regionen  der  strengen  und  gebundenen 
Musik  führe.  An  der  Grenze  des  Kirchlichen  stehen  die  Gesänge  der  gehar- 
nischten Männer  vor  den  Wasser-  und  Feuertoren.  Sie  singen  einen  Cantus 
firmus  als  Choral,  umspielt  von  fugiertem  Orchester  und  tropfendem  Or- 
nament in  altem  Stil,  vielleicht  sogar  nach  einem  Muster  des  Kirnberger. 
Wie  aufrecht  sie  stehen  in  dieser  flirrenden  und  bunten  Welt!  Aber  die  Fuge, 
das  äußerste  System  der  gesetzmäßigen  Kontrapunktik,  erleichtert  sich  zu 
einem  transparenten  Spiel  neckisch  absichtlicher  Stimmen  in  der  Ouvertüre, 
die  zwischen  den  Priesterposaunen  aus  einem  überbrachten  Motiv,  wohl  von 
Clementi,  in  allen  Mustern  der  Schule  und  doch  so  genial  frei  im  leichten 

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Wurf  aller  Beantwortungen  und  Engführungen  und  V'crstaffelungen  des 
schnellfüßigen  Themas  das  letzte  Zauberland  der  Musik  eröffnet.  Einen  herr- 
lichen Weg  sind  wir  bis  dahin  gegangen,  oft  umgekehrt  als  der  Weg  Schikane- 
ders, nicht  in  den  Tempel,  wo  Tamino  die  Tochter  der  bösen  Nacht  aus  Liebe 
zum  Licht  führt  und  sich  zur  Erkenntnis  der  Menschlichkeit  reift,  sondern 
einen  anderen,  viel  schöneren  und  aussichtsvollcren  Weg,  den  Mozart  uns 
durch  die  Welt  der  Musik  führte  und  dessen  Lehre  heißt:  mache  dein  Leid 
zum  Lied  und  deine  Widerstände  zum  Ensemble.  Wir  sinken  vor  dir  auf 
die  Knie,  göttlicher  Mann,  und  danken  dir,  daß  uns  dieser  Garten  täglich 
geöffnet  ist.  Niemals  wirst  du  gestorben  sein. 


Andere  Deutsche 

ICH  spiele  Mozart  weiter,  während  ich  mich  mit  den  Buffoleuten  und  Sing- 
spielkomponisten beschäftige,  die  ungefähr  in  seiner  Zeit  gearbeitet  haben. 
Während  ich  ihn  spiele,  entdecke  ich  täglich  neue  Feinheiten,  geniale  Züge 
seiner  Faktur,  überraschende  Details,  reizende  Einfälle,  treffende  Ausdrücke, 
die  ich  in  der  Partitur  lasse,  um  durch  ihre  Darstellung  nicht  ein  Buch  zu 
erdrücken,  das  ihm  nicht  mehr  bieten  kann  als  einen  Gruß.  Bei  seinen  Mit- 
bewerbern habe  ich  diese  Gewissensregung  selten.  Die  Geschichte  hat  recht 
und  billig  gesiebt.  Sie  versinken  sämtlich  gegen  seine  Bedeutung  und  es 
bleibt  nicht  sonderlich  viel  zu  notieren,  was  als  interessant  oder  merkwürdig 
der  Nachwelt  zu  retten  wäre.  Welche  Namen  und  Werke  stehen  da  herum, 
um  zunächst  mal  in  der  deutschen  Gegend  zu  bleiben.  Haydn  selbst  streckte 
gern  die  Waffen  vor  Mozart,  den  er  mit  ganzer  Gerechtigkeit  bewunderte, 
und  machte  nicht  viel  Redens  von  seinen  Opern,  die  meist  für  den  Privat- 
bedarf Esterhazys  geschrieben  waren  und  selten  für  unsere  Zeit  aufgefrischt 
wurden.  Reichardt,  der  Überzeugte,  und  Himmel,  der  Bonvivant,  schrei- 
ben eine  Unzahl  von  Operchen  für  ihre  Residenz  Berlin,  gern  darauf  be- 
schränkt, das  Singspiel  zu  einem  Liederspiel  zu  machen,  das  ist  ein  Schauspiel 
mit  eingelegten  Liedern,  wie  es  Goethe  empfahl  und  mehrfach,  zu  beschei- 
den für  die  Literatur  und  für  die  Musik  zu  wenig  ergiebig,  versucht  hat. 
Benda,  der  berühmte  Melodramenkomponist,  Vogel,  der  Gluckianer,  der 
Bonner  Ncefe,  der  biedere  Zumsteeg  ruhen  mit  ihren  ernsten  und  komischen 
Opern  im  Archiv  der  Geschichte.  Ein  wenig  lebendiger  winkt  Dittersdorf 
zu  uns  herüber,  schon  weil  er  sein  Leben,  das  sich  an  kleinen  und  sonder- 
baren Höfen  abspielte,  so  nett  beschrieben  hat.  Sein  Doktor  und  Apotheker, 
die  ihre  Kinder  unter  Spaß  und  List  verheiraten  müssen,  ist  noch  nicht  ganz 

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tot.  Und  das  Stück  ist  wirklich  recht  hübsch.  Gut  verzwickte  Ensembles 
sind  darin,  mit  wirksamen  Buffozwischenrufen,  gefühlvolle  Nachspiele,  die 
angenehme  Folge  diatonisch  steigender  Phrasen,  viel  Eilen  und  Schlagen  und 
Drehen  des  Buffostils,  auch  das  beliebte  lateinische  Kanonisieren,  viel  Ma- 
lerei von  Trunkenheit,  Verlegenheit  und  Einschlafen,  gute  rhythmische 
Kunststücke  in  italienischer  Art  ohne  sonderliche  Melodieblüten,  genügend 
Koloratur  und  Dakapogewohnheit,  alles  italienischer  als  Mozart,  dessen  Ge- 
fühlsticfc  keiner  hat,  und  doch  wiederum  von  deutschem  Klange  im  Lied- 
und  Volksmäßigen.  Das  Anfangsquintett  auf  den  schönen  Abend  mutet  uns 
wie  einer  jener  populären  Chöre  aus  der  Verkauften  Braut  an.  Die  Marsch- 
tanzlieder Sichels  „Wenn  man  will  zu  Mädchen  gehn“  und  „Nur  nicht 
lange  sich  besonnen“  pulsieren.  Berühmt  ist  die  Steigerung  des  gesamten 
Orchesters  und  Personals  im  ersten  Finale  auf  einer  erst  von  unten,  dann 
von  oben  genommenen,  dauernd  wiederholten  Quarte  der  verschiedenen 
freudig  und  ängstlich  pochenden  Herzen,  und  ähnlich  ist  eine  repetierte 
Skalenfigur  im  zweiten  Finale  beim  Erscheinen  der  Polizei,  nur  noch  viel 
pedantischer.  Diese  Phrasenwiederholungen  lähmen  ihm  oft  das  Drama  und 
das  Sextett  leidet  unter  dem  gleichmäßigen  Takt,  den  Mozart,  wenn  er  auch 
äußerlich  oft  nicht  viel  abwechseltc,  doch  innerlich  stets  so  weise  vermied. 
Am  besten  bleiben  bei  Dittersdorf  lustig  bewegte  Duette,  wie  hier  zwischen 
Krautmann  und  Gallus  das  amüsante  Duett  über  den  Wert  des  Arztes,  oder 
das  Schimpfduett  zwischen  Doktor  und  Apotheker,  das  der  Kern  des  Stückes 
ist.  Der  „Hieronymus  Knicker“  ist  zweifellos  schwächer:  die  Geschichte 
eines  Geizhalses,  der  durch  ein  Liebespaar  hintergangen  wird,  ebenso  von 
Stephanie  d.  J.  zurechtgemacht.  Das  sehr  nette  erste  Finale  habe  ich  ein- 
mal mit  Vergnügen  in  einem  Konzert  gehört:  Personen,  die  immer  mit  dem- 
selben Motiv  nacheinander  im  Finstern  auftreten,  mit  einer  reizenden  fran- 
zösisch-eleganten Finalefigur  in  G-Dur,  die  sehr  graziös  zum  Schluß  abfällt, 
mit  dem  altmodischen  Nachtwächter  und  der  großen  Steigerung  Pum,  Pum, 
Knall.  Eine  Parodie  auf  die  Opernrezitative  mit  Blitz,  Donner  und  Meer, 
oder  auf  das  Zitieren  von  Geistern  (hier  ein  türkischer  Hokuspokus),  oder 
von  dem  tauben  Filz,  der  Donner,  Glocken,  Kanonen,  Trompeten,  Ochsen, 
Orgel  und  Nonnen,  Trommel  und  das  ganze  Orchester  mit  der  nötigen  In- 
strumentalmalerci  hört,  nur  die  Sänger  versteht  er  nicht,  was  sic  sagen  — 
solche  Parodien  sind  in  dieser  Zeit  typisch,  typisch  wie  alle  diese  Soldaten- 
lieder oder  die  Liebesszenen  mit  Ja,  Ja,  Nein,  Nein,  oder  die  abgehaspelten 
Schnellmelodien:  Mein  Onkel  ist  ein  halber  Narr,  hat  niemals  Gold  und 
Geld  genug  (wiederholt),  und  Gold  und  Geld  und  Gold  und  Geld  und 
Gold  und  Geld  genug  (Achtelpause),  niemals  Gold  und  Geld  genug.  Mit 

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mehr  oder  weniger  Witz  wird  der  Prozeß  der  Buffomelodie  ausgestattet: 
erst  ein  Vorspiel,  dann  erhebt  die  Stimme  ihre  Kantilcne,  dann  legt  eine 
bewegte  Figur  los,  die  Stimme  holt  sie  ein,  sie  rasen  um  die  Harmonien, 
drehen  sich  zuletzt  um  Tonika  und  Dominante,  die  Stimme  fliegt  plötzlich 
auf,  wirft  ihre  Koloraturen  über  die  Stackete  der  Akkorde  und  trumpft 
schließlich  auf  Unterdominante,  Oberdominante  zur  Tonika,  das  Orchester 
spielt  den  Rhythmus  nach,  man  tanzt  ab.  So  ist  im  allgemeinen  der  gute, 
liebe,  schlaue  Dittersdorf.  Er  lacht  und  weint  mit  Berechnung.  Im  „Roten 
Käppchen“  das  Lied  „Es  war  einmal  ein  alter  Mann“  oder  Hedwigs  Arie 
„Ach  höre  mich,  Bruder“,  in  der  „Liebe  im  Narrenhaus“  wenigstens  in 
einigen  Teilen  des  zweiten  Aktes  ist  viel  echte  Volksart,  oft  ist  so  etwas  wie 
die  Vorstufe  zu  Lortzing  geschaffen,  bei  allem  Gedudel  und  Gefiedel 
ein  gewisser  kultivierter  Bürgerton,  das  Arienlied  mit  der  banalen  Lebens- 
weisheit. 

Die  Operettenmischung  dieses  Genres  scheitert  für  unseren  Geschmack 
oft  an  der  unglaublichen  Albernheit  der  Texte,  die  immer  irgend  eine  listige 
Heirat  mit  Erpressungen  und  Verkleidungen  schildern,  und  der  Langmut 
der  Musik,  die  zwischen  der  Posse  und  dem  Lied  sich  ohne  viel  eigene  Schwer- 
kraft hin  und  her  stoßen  läßt.  Ein  schlechtes  Beispiel  ist  Schenks  seinerzeit 
so  berühmter  Dorfbarbier,  trotz  der  Liedchen  des  Barbierlehrlings  und 
der  Suschenpolonäse,  ein  übler  VVechsclbalg.  Als  ein  viel  besseres  und  rein- 
licheres Muster  empfiehlt  sich  der  urwienerische  Wenzel  Müller,  der  an  dem 
Leopoldstädter  Theater  Operette  nach  Operette  verzapfte  und  doch  nicht 
die  Puste  verlor.  Nimmt  man’s  nicht  zu  schwer,  wird  man  an  seinen  „Schwe- 
stern von  Prag“  heut  noch  ein  tänzerisches  Vergnügen  finden.  Der  Titel 
ist  gesucht,  der  Inhalt  derselbe  wie  alle  diese  Stücke.  Frische  Couplets, 
lustige  Lieder,  nette  Parodien  zeugen  von  einem  einfachen,  aber  unverdor- 
benen Geschmack.  „Ich  bin  der  Schneider  Kakadu“,  singt  Schneider  Kris- 
pin,  „Ich  bin  der  Doktor  Sassafras“,  singt  der  verkleidete  Liebhaber  und 
kopiert  das  Thema  der  Zauberflötenouvertüre.  Sein  Diener  verkleidet  sich 
als  Tante  aus  Prag  und  gibt  eine  ergötzliche  illustrierte  Beschreibung  seiner 
schwierigen  Postfahrt  zum  besten,  in  Falsett  parodierend,  in  einer  Koloratur 
zusammenbrechend.  Ein  Ständchencnsemble  von  vormeistersingerlicher  Art 
füllt  das  erste  Finale.  Eine  Flöte  wetteifert  mit  einer  Geige,  ein  Diener 
kommt  die  Posaune  machend,  Krispin  dazu  mit  einer  Leier,  Kaspar  (der  alte 
Kaspar-Hausknecht)  gar  mit  einem  Hackebrett,  und  Flöte,  Geige,  Posaune, 
Drehleier  und  angehendes  Pianoforte  mit  den  p.  p.  Gesängen  ihrer  Herren 
veranstalten  einen  nächtlichen  Spaß,  der  nicht  nur  in  eine  Keilerei  übergeht, 
sondern  auch  seinen  Nachtwächter  findet. 

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Wie  lieb  ist  es,  in  diesem  Zusammenhänge  auch  Schuberts  gedenken  zu 
dürfen.  Die  Opern,  die  er  uns  hinterlicß,  sind  entweder  Bruchstücke  oder 
keine  Dramen,  so  durchsättigt  von  seiner  frühlingsgrünen  Lyrik,  daß  sie 
kaum  auf  beiden  Beinen  stehen  können  und  im  musikalischen  Rausch  den 
Boden  unter  den  Füßen  verlieren,  so  schön  empfunden,  so  lang  ausgedehnt, 
so  herzlich  bühnenlos.  Mit  dem  „Häuslichen  Krieg“  haben  die  Rettungs- 
versuche noch  das  meiste  Glück  gehabt.  Schon  weil  das  textliche  Motiv 
sich  auch  sonst  bewährte:  das  Lysistratamotiv  vom  Streike  der  Weiber  gegen 
die  Männer,  hier  kriegerische  Ritter,  die  sich  mit  einem  Gegenstreik  rächen, 
der  sehr  hübsch  eingefädelt  wird,  bis  alles  aus  Liebe  und  Güte  sich  zum 
versöhnlichen  Schlüsse  wendet.  Immerhin  mal  etwas  anderes,  von  Castelli 
mit  mehr  Geschick  als  Witz  in  einem  Akt  zurechtgemacht.  Aber  ein  Schu- 
bert vom  ersten  bis  zum  letzten  Takt.  Er  läßt  die  Leute  eben  seine  Lieder 
und  Ensembles  singen,  und  im  übrigen  wartet  er  mit  der  Aufführung  bis 
33  Jahre  nach  seinem  Tode.  Ein  Duett  zwischen  dem  Dienerliebespaar  ist 
die  Einleitung,  mit  jenen  entzückenden,  lächelnden,  überraschenden  Wen- 
dungen in  die  Tonika  zurück,  die  seine  Physiognomie  verraten.  Nun  die  ge- 
fühlvolle schöne  Romanze  der  liebenden  Helene,  ein  melancholisches  F-Moll- 
Stück  mit  dem  erheiternden  Schluß  in  Dur.  Jetzt  das  Ensemble  der  bera- 
tenden Frauen,  in  eine  Polonäse  eingefügt,  von  der  Gräfin  geleitet,  ins 
Weinerliche  umschlagend,  zuletzt  ein  eifriges  Allegro,  mit  einer  Melodie 
zum  Küssen,  neckischem  Spiel  um  die  Dominante,  lustiger  Stimmenjagd. 
Und  noch  ein  zweites  Frauenensemble,  ein  Schubertscher  Frauenchor,  die 
Verschwörung,  so  fein  disponiert,  Flüstern  des  zukünftigen  Glücks,  wiegende 
Hoffnung,  ein  tränendes  B,  das  das  Nachspiel  schon  in  H auflöst.  Aber  schon 
erklingt  der  Marsch  der  Herren,  ein  Kabinettstück  Schubertschcr  Tanzbe- 
haglichkeit. Nun  umgekehrt  das  erste  Männerensemble,  vielfach  gewendet, 
Solisten  mit  dem  Chor  spielend,  alle  so  musikfroh  gegeneinander,  bis  zum 
übermäßigen  Es-Dur-Akkord,  der  ihnen  ordentlich  eine  ernste  Miene  gibt. 
Jetzt  Frauen  und  Herren  zusammen,  eine  gereimte  Lyrik  im  Austausch  schö- 
ner Musik,  an  der  sie  sich  nicht  satt  singen  können,  mit  dem  plötzlichen  Son- 
nenlicht auf  dem  C-Dur-Akkord,  allen  möglichen  Tanzrhythmen,  großer 
Baßvergnügtheit,  melodischen  Einfällen  von  göttlicher  Ungcnicrthcit  und 
einem  süßen  Ausklingen  im  Orchester,  das  dramatisch  wird,  wo  es  abzieht. 
Der  meistliebende  Herr  und  die  meistliebende  Dame  singen  ein  Duett  in 
einem  heißatmenden,  kurzgebundenen  Dreiachteltakt,  in  wohlerzogener 
Symmetrie,  trotz  einer  gewissen  Steigerung  über  umspielte  wachsende  Do- 
minanten, die  W’agner  lieben  lernen  sollte,  auf  einer  None  jauchzend  im 
schnelleren  Nachsatz,  — gab  es  in  Opern  sonst  diesen  Ton  ? Ritterlich, 

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deutsch,  innig  — es  bilden  sich  Sphären.  Der  meiststreikende  Herr  und  die 
meiststreikende  Dame  folgen  in  einer  Doppclarie,  deren  Refrain  „Für  dich“ 
die  lyrische  Disposition  gibt  — woher  kennen  wir  diesen  Ton  ? Das  deutsche 
große  Lied  ist  in  die  Oper  eingetreten,  Schubert,  Schumann  — wo  sind  wir? 
Wir  sind  in  einer  Singspicloper  alter  Zeit  mit  deutschem  Dialog  und  elf 
komponierten  Nummern,  die  ein  musikalisches  Genie,  das  das  größte  der 
Welt  geworden  wäre,  hätte  es  nicht  so  frühen  Tod  gefunden,  vom  Tanze, 
vom  Liede,  von  keimenden  neuen  Landschaften  her,  beglänzt.  Das  Finale 
bringt  eine  strahlende  Polonäse,  einen  zuckenden  Marsch  mit  dem  Akzent 
auf  der  None,  einen  seltsam  skandierten  Doppelchor  mit  herausblühendem 
Sopransolo,  ein  B-Dur-Quartett  mit  dem  Erdgeruch  alter  Volksbildkraft 
und  einen  schmeichelnden  Wechselschlußchor,  wie  ein  Abschiedsständchen. 
Sprach  ich  schon  einmal  von  den  Vorklängen  der  Verkauften  Braut  ? Hier 
sind  sie  in  deutscher  Schlichtheit.  Wienerisch-deutsch.  Was  zwischen  den 
Buffospäßen  und  Coupletliedern  aller  dieser  Leute  in  heimlicher  Lyrik  lag, 
einsam,  unaufdringlich,  bühnenfremd,  auch  sonst  ohne  Anspruch,  ohne  Pro- 
gramm und  Problem,  ohne  Kampf  und  Erlösung,  nur  so  musikalisch,  so 
schön  und  so  ewig,  — wer  weiß,  was  es  war,  gewiß  keine  Oper. 

Aber  Weigls  Schweizerfamilie  war  sicherlich  eine  Oper  und  hatte  ra- 
senden Erfolg:  Ein  Rührstück,  schrecklich  in  die  Länge  gezogen  und  Hel- 
leicht  zum  erstenmal  ganz  berechnet  auf  die  eigentümliche  Kraft  der  Musik, 
Unausgesprochenes  zu  sagen,  Erwartetes  zu  vollenden.  Die  Schweizerfami- 
lie ist  vom  Gutsherrn  aus  Dank  für  seine  Lebensrettung  nach  Deutschland 
verpflanzt  worden,  er  hat  ihnen  eine  künstliche  Szenerie  nach  dem  Muster 
ihres  Heimatdorfs  aufgebaut,  aber  leider  vergessen,  der  jungen  Emmeline 
ihren  Liebsten  mitzutransportieren,  über  den  sie  nicht  spricht.  So  bewegt 
sich  in  diesen  Erwartungen  das  erste  Finale,  gut  und  recht  gearbeitet.  Der 
Liebste  kommt  ganz  von  selbst,  wird  ihr  aber  noch  nicht  gezeigt.  Letzte 
Szene:  Großes  Melodram,  leitmotivische  Erinnerungen  an  die  ganze  Oper, 
sie  naht  sich  schweigend  seiner  Hütte,  es  tönt  eine  Schalmei,  sie  nimmt 
deren  Melodie  solo  auf,  er  singt  solo  dazu,  das  Orchester  beteiligt  sich 
allmählich,  sie  sehen  sich,  sie  duettieren,  der  Vater  singt  noch  einmal  das 
Schalmeimotiv  und  alles  wird,  wie  es  in  jeder  Oper  wurde  — auf  diese 
originelle  und  nicht  unrühmlich  gearbeitete  Stelle  wartete  das  ganze  Stück. 
Tränen  und  Applaus.  Auch  dies  gebe  ich  als  ein  Muster  seiner  Gattung, 
des  idyllischen  Rührstücks,  das  seine  unwiderstehlichen  Reize  durch  die 
Musik  erhöhte.  Heut  lächelt  man,  wo  man  einst  weinte.  Sauberer  als 
unsere  Rühroperette  ist  es  immer  noch  gewesen.  Und  man  wird  einst 
weinen,  wo  man  heut  lächelt. 

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Die  romantische  Farbe,  die  Volksstimmung,  das  Rührende  und  Bewe- 
gende, das  Moralische  und  Sinnige,  das  zwischen  den  Touren  der  Buffos 
von  jeher  in  diesen  Opern  schimmerte,  will  sich  gestalten.  Figaro  ist  ruhig 
geworden,  die  Revolution  hat  gesiegt,  die  Reaktion  macht  gefühlvoll.  Die 
Zauberflöte  hatte  nicht  nur  schön,  auch  zeitgemäß  gespielt.  Wieder  wendet 
Goethe,  der  einen  dunklen  Trieb  zu  dieser  spielenden  Ethik  hatte,  seinen 
Sinn  dorthin.  Er  versucht,  nachdem  er  seine  Singspiele  Mozart  gern  geopfert 
hatte,  die  Zauberflöte  seinerseits  fortzudichten,  und  das  erhaltene  Fragment 
spricht  von  der  hohen  Vergeistigung  Sarastros,  der  Lichtwelt  der  Flöte,  der 
Rache  der  Nachtkönigin,  selbst  von  Papagenos  Beruf,  — cs  war  so  innerlich 
voller  Musik,  daß  es  keine  äußere  mehr  brauchte  und  fand.  Der  banalere 
und  erfolgreichere  Fortsetzer  der  Zauberflöte  hätte  am  liebsten  für  Tamino 
und  Pamina  noch  einen  wahren  Lunapark  von  Prüfungen  erfunden,  die  sic 
zu  bestehen  haben,  um  der  letzten  Rache  der  Nachtprimadonna  zu  entgehen. 
Er  begnügt  sich  mit  einem  Labyrinth,  einer  Pa pagenofamilie,  diversen  Teu- 
feln und  einem  großen  Kriege  beider  Parteien,  der  im  Zweikampf  Taminos 
mit  Typheus,  dem  Nachtbräutigam  Paminas,  für  Sarastros  Weltanschauung 
ruhmvoll  endet.  Peter  von  Winter,  der  vielgereiste  Münchener  Meister, 
komponiert  dies  „Labyrinth“  als  zweite  Zauberflötenoper,  freilich,  zu  sei- 
nem Glück,  ganz  unmozartsch,  mehr  im  Stil  der  großen  Pariser  Oper,  mit 
mächtigen  dramatischen  Aufschreien,  viel  Maestoso,  Doppelchören  und  dem 
ganzen  szenischen  Apparat  der  Hochoper,  den  er  auch  in  seinen  „Pyramiden 
Babylons“,  wo  eine  halbe  Stunde  Mädchen  am  Seil  schwebend  zu  singen 
haben,  nicht  gespart  hatte.  Im  übrigen  ist  die  Musik  nicht  so  schlecht.  Er 
benutzt  Mozarts  Posaunenmotiv  der  Priester  und  das  Rohrpfeifenmotiv  Pa- 
pagenos geschickt  leitmotivisch,  mit  viel  Variation  und  Gelenkigkeit,  schlägt 
aus  den  drei  Damen  (die  hier  in  Venus,  Amor  und  Page  zur  Verführung  Ta- 
minos verwandelt  sind)  neues  Kapital,  macht  sehr  artige  Papagenostückchen, 
entwickelt  die  Baßsphärc  Sarastros  zu  neuen  Wirkungen,  arbeitet  für  das 
Gefühl  kräftig  mit  Vorhalten  verminderter  Septimen  und  hat  eine  gewisse 
harte  und  anständige  Hand  bei  der  Faktur  der  Ensembles:  wie  sich  im  La- 
byrinth Taminos  und  Paminas  Stimmen  suchen,  über  der  punktiert  rücken- 
den Phrase  der  Königin  der  Nacht,  das  ist  aller  Ehre  wert.  Winter  steht  zwi- 
schen der  Singspielzauberoper  und  dem  kommenden  historischen  Musik- 
drama, Fäden,  die  sich  über  Gluck  von  hierher  nach  dorthin  herüberziehen. 
Sein  bekanntestes  Werk,  das  Unterbrochene  Opferfest,  von  1796,  bereitet 
die  historische  Prunkoper  vor,  aber  ist  musikalisch  viel  schlechter  als  die 
fortgesetzte  Zauberflöte : ehrenwert  wieder  in  der  Arbeit,  aber  bodenlos  leer, 
in  hohlen  Choreffekten  und  Bravourismen,  im  Ausdruck  ganz  unpersönlich. 

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Ein  Engländer  ist  durch  Schicksale  beim  Inka  von  Peru  (die  Peruaner  singen 
ein  Leitmotiv  Kohe,  Kohe)  Feldherr  geworden,  er  wird  aus  Eifersucht  ver- 
raten, zum  Holzstoß  verurteilt,  zuletzt  gerettet;  alle  nötigen  Liebhaberinnen, 
Gespielinnen,  Intriganten,  Freunde,  Priester,  Buffodiener  sind  ihm  zuge- 
geben. Ein  peruanischer  Metastasio.  Schließlich  war  der  ungemeine  Erfolg 
dieser  Oper  ein  Rührerfolg,  unterstrichene  Menschlichkeiten,  die  in  dem 
exotischen  Aufputz  besonders  erschütternd  wirken  mußten,  zumal  man  ge- 
wöhnlich alle  Buffoarien  wegließ.  Man  trennte,  was  Mozart  vereint  hatte. 
Damit  rührte  man  wohl  Instinkte  auf,  aber  überlieferte  das  Werk  seinem 
Schicksal.  Heut  sind  alle  diese  Vorgänge  nur  die  Folie  für  Mozarts  Größe, 
der  durch  die  Macht  der  Musik  Freuden  und  Leiden  dieser  Welt  aus  Einem 
erfassen  durfte  und  darum  allein  geblieben  ist. 


Andere  Italiener 

X BF.R  auch  Form  und  Inhalt  dieser  Welt  — darum  mußten  ihm  die 
■I~\  Italiener  weichen,  die  nichts  als  Form  geworden  waren,  tadelloser  Bau, 
spielende  Technik,  gewiegte  Routine.  Es  sind  silberne  Stäbchen,  die  in  der 
italienischen  Buffooper  klingen,  Klang  als  Instrument,  Klang  als  Stimme, 
auf  dem  Papier  ein  trockenes  Notensystem,  auf  der  Bühne  lebende  Sinnlich- 
keit. Eine  anmutige  Konvention  schaltet  das  allzu  Persönliche,  allzu  Ver- 
trauens- und  Gefühlsselige  aus,  kaum  achtpt  man  noch  auf  schöne  Verse, 
die  einst  Metastasios  Eifer  und  Stolz  gewesen  waren;  die  Deklamation,  im 
Deutschen  fast  immer  grausam,  erleichtert  sich  hier  durch  die  neutralen  Va- 
leurs einer  wohllautenden  Vokalisation;  Parlandorezitative  beflügeln  gewöhn- 
lich den  Dialog  — Hauptvergnügen  ist  die  Situation,  ihre  scharfe  rhyth- 
mische Fassung,  die  vollendete  Form  ihrer  musikalischen  stilisierten  Faktur. 
Maestro  di  musica,  finta  pazza,  pazza  per  amore  — die  Stoffe  kehren  unend- 
lich wieder;  nicht  neu,  sondern  unterhaltend  zu  sein,  bei  geringsten  Vor- 
aussetzungen, ist  Aufgabe  und  Genuß.  In  Stradellas  uraltem  Duett  quel  tuo 
petto  di  diamantc  gibt  es  schon  das  No,  no  — si,  si  als  Pointe  der  Imitation, 
es  ist  tausendmal  wiedergekehrt.  Schon  dort  fand  man  dieselbe  Phrase,  mit 
der  Papageno  sich  aufhängen  möchte,  Mozartsche  Wendungen  trifft  man  bei 
Gugliclmi,  Anfossi,  Sarti,  Tractta,  aber  zwischen  dem  Geloso  in  cimento, 
dem  Cavaliere  errante  und  Mozart  bleibt  doch  derselbe  Unterschied,  wie 
zwischen  seiner  empfindungsvollen  Figaro-Gräfin  und  der  kalten  Gräfin  in 
Sartis  Fra  due  litiganti.  Mozart  hat  Herz,  die  Italiener  haben  Konvention. 
In  Hasses  Numa  Pompilio  gibt  es  ein  reizendes,  wortspielendes  Duett 

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zwischen  Marcantonio  und  Pimpinella  über  die  zukünftigen  Kinderfreuden 
— und  doch  sind  Papageno  und  Papagena  eine  Stufe  höher.  Die  Anlehnun- 
gen, die  Zitate  sind  Zeichen  der  äußeren  Verwandtschaft,  und  doch  ist  es 
nicht  dasselbe,  wenn  Traetta  im  Cavaliere  errante  die  Orpheusarie  Che  farö 
zitiert  und  Mozart  im  Don  Juan  Martins  Cosa  rara.  Glaubt  man,  daß  Martins 
Bauernszenen  auf  diejenigen  des  Don  Juan  gewirkt  haben  ? Die  Cosa  rara 
ist  nicht  übel,  man  versteht  den  immensen  Erfolg  der  Oper  dieses  vielge- 
wandten Spaniers.  Wir  ziehen  sie  dem  noch  erfolgreicheren,  aber  schwäche- 
ren „Baum  der  Diana“  vor.  Man  könnte  fast  für  jede  Cosa  rara-Stelle  Pa- 
rallelen Mozarts  finden,  und  doch  ist  es  nicht  dasselbe.  Die  glänzend  straffe 
Form,  die  ernsteren  Mollweisen,  die  schäkernden  Duette  des  zweiten  Liebes- 
paares, die  dramatischen  Ensembles,  die  Finsternisscherze,  die  Zittoliedchen, 
das  Buon-Giornowünschen,  die  Schauerarie  von  der  Eifersucht,  der  Anfang 
der  A-Dur-Arie  der  Lilla  — es  ist  die  Brücke  von  Mozart  zu  Rossini,  Musik, 
die  existiert,  indem  sie  klingt,  ohne  jeden  Rest  von  Unschuld,  aber  in  Lieb- 
kosungen, die  ihre  Wirkungen  den  Erfahrungen  der  großen  Welt  angepaßt 
haben  und  nicht  durch  Prätention  zerstören,  was  sie  durch  Haltung  und 
Kennerschaft  gewinnen.  Kein  Wunder,  daß  diese  Genüsse,  die  im  Augenblick 
lebten  und  nur  wie  durch  ein  leichtes  Netz  einer  allgemeinen  Amüsements- 
Verfassung  gehalten  wurden,  im  Dasein  der  Oper  aufrauschten  und  ver- 
gingen. Portugal,  der  genannteste  portugiesische  Komponist,  amüsierte  fast 
jedes  Jahr  seine  Landsleute,  die  Italiener,  die  Pariser,  die  Brasilianer  mit 

einer  neuen  Oper  in  diesem  Genre er  ist  nicht  mehr.  Fioravanti  hatte 

einen  Riesenerfolg  mit  seinen  „Dorfsängcrinncn“,  es  gab  da  die  beliebte 
Parodie  des  ernsten  Gesanges  in  karikierten  Musikstunden,  die  Parodie  einer 
Opernaufführung,  oder  das  Dirigieren  einer  Symphonie,  indem  die  einzelnen 
Instrumente  moniert  werden,  Soldatenangstarien,  Finalcstörungen  durch 
plötzliche  Ehemänner,  alles  ohne  viel  Erfindung,  aber  mit  dem  nötigen  Tem- 
perament und  rhythmischen  Witz.  In  Pacrs  „Kapellmeister“  war  solche 
Musikparodie  der  Hauptinhalt  bei  einem  unbeschreiblich  albernen  Text : 
zwei  Soldaten  verstellen  sich  als  Musiker,  um  das  Mündel  des  Kapellmeisters 
zu  kriegen.  Schon  sieht  man  überall  die  Linie  des  „Barbiers“.  Duette  mit 
Persiflage  der  italienischen  Aussprache,  Gesangsstunde,  Soldatenangst,  Goui- 
mandie,  das  sind  die  typischen  Beigaben  zu  einer  großen  Szene,  in  der  der 
Kapellmeister  seine  eigene  Oper  Antonius  und  Cleopatra  beschreibt,  mit 
Nachahmung  des  Orchesters,  der  malenden  Instrumente,  des  italienischen 
Vortragsstils,  er  mimt  den  ganzen  musikalischen  Verlauf  und  Erfolg  des  Stücks 
als  Oper  in  einer  Oper!  Paer,  viel  herumgeworfen  durch  Venedig,  Wien, 
Dresden,  Warschau,  Paris,  ist  einer  der  Lieblinge  des  Publikums  der  napole- 

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onischen  Welt.  In  seinen  Donne  cambiate  nimmt  er  das  alte  englische 
Possenmotiv  des  „lustigen  Schusters“  mit  der  Vertauschung  der  reichen  und 
der  armen  Frau  noch  einmal  auf,  wobei  ihm  gut  treibende  Ensembles  und 
eine  höchst  anmutig  rollende  Rondoarie  der  Luise  gelingen : alles  Schablone 
und  Konvention  gegen  Mozart.  Seine  berühmteste  Oper  Camilla  zeich- 
net sich  nicht  nur  durch  die  reizend  sinnige  Ghittaarie  im  ersten  Akt  aus, 
sie  hat  auch  einen  starken  humoristischen  Ehrgeiz  und,  was  das  Wichtigste 
scheint,  einen  etwas  romantischen  Beigeschmack,  Lieder  und  Balladen,  die 
einen  deutschen  Einschlag  verraten 

Cimarosa  ist  von  all  diesen  der  beweglichste.  Seine  Büste  steht  im  rö- 
mischen Pantheon  neben  Sacchini  und  Paesiello.  Er  reiste  mit  seinen  Opern 
durch  die  Welt,  bis  nach  Rußland,  ein  Abgott  des  Geschmacks,  so  daß  er 
sogar  nach  der  Teilnahme  am  98er  Neapler  Aufstand  vom  Todesurteil  be- 
gnadigt wurde.  Die  Werke  sind  das  Muster  dieses  aus  rhythmischem  Gesang 
lebenden  Stils,  hundertmal  dagewesene  Phrasen  in  Bewegung  gebracht,  Baß- 
sprünge, breite  Sopranmelodien  über  dem  Toben  der  Stimme,  Unisonoläufe, 
Pendeln  der  Tonika  und  Dominante,  kleine  Malereien  in  den  Instru- 
menten. Man  lese  die  Renommierarie  des  Fabrizio  in  seinem  Matrimonio  per 
raggiro  auf  die  bullernde  Realistik.  Man  lese  ebenda  die  Wutarie  des  Bab- 
bione  und  man  hat  den  Typ.  Es  ist  eine  Art  Rennen  der  Stimmen  in  solchen 
Buffonummern.  Ein  Melodiechen  der  Streicher,  die  Stimme  läuft  aus,  Sep- 
timen machen  ihre  Barrikaden,  es  geht  weiter,  immer  breiter,  mit  allen  alten 
Schulsprüngen  und  allen  alten  Hindernissen:  der  Akkord  auf  der  Sekunde 
der  Tonika  (was  fang  ich  an  ?)  bis  zum  Übermaß.  Das  Orchester  wird  in 
löteln  und  32teln  angetrieben,  gewirbelt,  gekitzelt,  die  Phrasen  wiederholt, 
mehrere  Personen  dakapo  auf  dieselbe  Phrase  oder  Arie,  die  typische  Gebärde 
des  Auslaufens,  die  Tempivariationen,  das  Ensemblerennen  mit  imitatori- 
schem Start  und  gleichem  Ende  — wetten  wir  auf  die  Pferde  oder  Sänger  ? 
Bravo,  dieser  Lauf  war  ein  Rekord.  Alle  Völker  der  Erde  werden  in  der 
„Reise  um  die  Welt“  auf  die  Phrase  hdac  geplappert.  Die  „heimliche  Ehe“ 
ist  der  größte  Schlager,  der  jubelnde  Erfolg  Wiens  1792  und  noch  die  Lieb- 
lingsoper Stendhals.  Jedes  Gefühl  tanzt  mit  dem  Buffo,  kleine  blumige  Melo- 
dien im  Orchester,  von  Neapler  Düften  umfächelt,  versüßen  die  Situation, 
in  tiefem  Schweigen  singt  man  spielende,  kokette  Ensembles.  Sie  sind  heim- 
lich verheiratet,  und  es  kommt  heraus,  nicht  zu  viel  Geschehnisse,  nur  dank- 
bare Singgelegcnheiten : daß  sie  mit  den  Stimmen  picken  können  oder  ein 
Schnellparlando  unter  eine  Melodie  legen  oder  unisono  mit  dem  Orchester 
laufen  oder  ein  paar  Koloraturen  hincinwerfen.  Heimliche  Liebe,  hin  und 
her,  von  leichten,  leisen  Tönen  umtanzt!  Carolina  mit  ihrer  Arie  Perdo- 

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nate  Signor  mio  stellt  jene  fliegende  Gesangsmelodie  dar,  die  wir  heut  noch 
von  Rossini  kennen.  Noch  besser  ihr  Paolino  mit  der  flüsternden  Entfüh- 
rungsarie Priache  spunti  in  ciel  l’aurora.  Und  beide,  noch  heimlicher  in  dem 
Duett  des  letzten  Finales.  Das  schwirrt,  schleicht,  gleitet  substanzlos.  Ein 
Humorstück  ist  des  Grafen  Son  lunatico,  in  dem  er  sich  der  Lisetta  unaus- 
stehlich machen  will:  eine  Buffobeichte  menschlicher  Ehefehler.  Das  Ende: 
er  verzichtet  auf  Carolina,  nimmt  Lisetta:  Melodie,  Stakkato,  Triolen.  Mu- 
sikalische Wesen  sind  cs,  die  man  nicht  greifen  kann  — sie  klingen  durch  die 
Luft,  Rhythmus  ist  ihre  Essenz,  den  Ton  leihen  sie  sich  aus  der  Kehle. 
Aber  eine  wunderbare  Schule  leichter  Anmut  hat  sie  zu  einem  vollendeten 
Ensemble  vereinigt,  das  selige  Erinnerungen  an  schöne  Lebensstunden  auslöst. 

Rossini  steigt  freudig  bewegt  aus  dieser  Schule  auf,  lebendiger  als  Paesiello. 
Paesiello  ist  der  Konkurrent  Cimarosas,  von  Neapel  bis  nach  Petersburg, 
mit  dem  Intermezzo  in  Paris  am  Hofe  des  ihn  verehrenden  Napoleons.  Man 
hat  über  hundert  Opern  von  ihm  gezählt.  Soweit  wir  sie  kennen,  sind  sie  ohne 
besondere  Physiognomie,  das  ewige  neckische  rhythmische  Spiel  mit  Figür- 
chen  und  Melodiechen  über  dummen  Texten,  mit  Verkleidungen  und  Notar- 
späßen. Für  Petersburg  schrieb  er  auch  den  Barbier  von  Sevilla,  der  aus 
Beaumarchais’  Lustspiel  mit  allerlei  possenhaften  Hinzufügungen  nach  dem 
Geschmack  der  typischen  Buffoszenen  zurechtgemacht  war.  Mit  diesem 
verhältnismäßig  praktikablen  Text  hatte  er  den  größten  Erfolg,  der  sich  auch 
auf  seine  schwächliche  Musik  ausdehnte.  So  sehr,  daß  Rossinis  Barbier,  der 
über  denselben  Text  1816  in  Rom  seine  Premiere  erlebte,  deswegen  durch- 
fiel. Man  sah  es  als  Blasphemie  an.  Rossini  ist  verstimmt  und  dirigiert  die 
zweite  Aufführung  nicht.  Diesmal  hat  er  einen  ungeheuren  Erfolg  und  ist 
erschüttert,  in  seinem  Hause  ein  jubelndes  Publikum  zu  empfangen,  das  ihm 
mit  improvisierten  Fackeln  gratuliert.  Er  schlug  Cimarosa,  er  schlug  Pae- 
siello, er  schlug  sie  alle,  und  wir  werden  diesem  merkwürdigen  Menschen 
noch  ausführlicher  zu  begegnen  haben.  Heute  gibt  er  uns  in  seinem  Barbier 
das  Resultat  dieser  ganzen  italienischen  Buffonerie,  deren  Stil  er  durch  die 
Schärfe  seines  musikalischen  Geistes  für  alle  Zeiten  annehmbar  machte. 

Das  letzte  Rokoko  atmet  hier.  Wir  hören  mit  Vergnügen  und  heiteren 
Sinnes  diese  Töne,  die  keine  neuen,  die  nur  die  besten  ihrer  Zeit  waren, 
und  denken  zurück  an  die  Tage  der  galanten  Welt,  der  Welt  Casanovas, 
die  im  Spiel  ihre  Existenz  fand  und  in  der  Liebe  ihr  Spiel.  Warum  kommen 
uns  solche  Träume?  Substanzlos  schwirrt  diese  Musik  an  uns  vorüber,  ein 
gläsernes  Spiel  blinkender  Rhythmen,  eine  transparente  Form,  unirdisch,  un- 
sentimental. Eine  späte  Blüte,  und  darum  die  reizvollste  und  bunteste. 
Mieten  wir  uns  einen  Garten  in  der  Zuecca,  verborgene  Liebesabenteuer  zu 

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bestehen  ? Wie  flirrt  dieses  beinahe  posaunenlose  Orchester,  von  der  Pickel- 
flöte erhellt,  im  Wurf  der  leicht  gewordenen,  sich  jagenden  Instrumente. 
Leise,  leise,  ein  Gitarrenständchen.  Schlag  C,  E,  D,  G und  sofort  D,  A,  G,  C 

— Figaro,  Figaro  ist  da,  plötzliche  Tonarten,  plötzliche  Schläge,  mit  dem 
Grafen  in  reißenden  Triolen.  Lächelnde  Verschwörung  mit  einer  süßen  Me- 
lodie. Der  Walzer  seines  Ladens,  mit  dem  Grafen  duettiert.  Es  ist  Karne- 
val, das  Publikum  sitzt  in  Masken.  Wer  lüftet  sie  ? Wer  ist  wirklich  da  vor- 
handen? L?na  voce  poco  fa,  heut  in  der  Tonart,  morgen  in  einer  andern, 
heut  mit  dieser  Koloratur,  morgen  mit  jener  — wer  ist  Rosine  ? Ein  schwe- 
bendes Figürchcn,  das  nur  in  den  Kehlen  der  Sängerinnen  lebt,  schon  durch 
hundert  Jahre:  faßt  sie  nicht,  sie  geht  in  Luft  auf.  Lüftet  die  Masken  nicht, 
ihr  werdet  erkannt  und  die  Zuecca  rächt  sich.  Groß  ist  die  Malerei  der 
Verleumdung,  die  dieser  Basilio  herrichtet  — aus  drei  Zeilen  Beaumarchais’ 
macht  er  ein  Gebirge  von  Musik,  zum  Totlachen,  von  ganz  unten  bis  ganz 
oben,  von  ganz  leise  bis  ganz  stark,  die  rhythmische  Landschaft  der  steigenden 
Calomnia  und  des  abziehenden  Calunniato  — wie  wir  ihn  abziehen  sehn, 
wie  er  das  mimt!  Noch  lebt  Harlekin  und  Pantalone  und  noch  ist  aller 
Dramen  Inhalt  dieselbe  listige  Heirat  und  aller  Musik  Gebärde  dieselbe  dra- 
stische Tanzfigur.  Figur  wird  alles:  Rosinchen  in  G-Dur,  die  lange  Doktor- 
aric  Bartolos,  die  Architektur  des  Finales.  Almaviva  als  Soldat,  als  Betrunkener 

— zerrissener,  rhythmisch  funkelnd  geschlagener  Takt  (denkt  ihr  noch  aller 
alten  Soldatenlieder?),  kletternde  Ensembles,  der  rutschende  Bartolo  ein- 
gebaut, der  walzende  Figaro  (signor,  prudenza  per  caritä  — unisono  a la  Mo- 
zart), die  Erwartung  geheimnisvoller  Akkorde  beim  Erscheinen  der  Wache, 
der  schüttende  Kanon  der  Beteiligten  vor  der  Polizei  (o  Rosenkavalier!),  der 
stockende  Kanon  der  aus  der  statuarischen  Verschnupftheit  niesend  Erwa- 
chenden, ein  Streicherzwischenspiel,  als  ob  auf  zwei  Takte  Schubert  Rossini 
besucht  hätte,  der  unisono  punktierte  und  triolenwirbelnde  Schluß  — , ach, 
ich  habe  meinem  Fräulein  Theresa  oder  Christine  oder  Henriette  oder  C.  C. 
die  Hand  zerdrückt.  Fein,  fein  — das  gibt  es  nicht  mehr,  diese  italienische 
Buffomusik  ist  eine  körperliche  Musik,  das  ist  Laune,  Takt,  Leben,  Tanz, 
Freude,  Schmuck,  Zärtlichkeit,  Besitz,  Abwechslung,  Morgenröte.  Ja,  kör- 
perlich gemimte  Musik,  gerade  weil  sie  so  himmlisch  luftig  ist.  Vorhang, 
Foyer.  Wir  lachen  mit  den  Sängerinnen,  wir  besuchen  sie  in  der  Garderobe, 
in  der  Ecke  wird  eine  Pharaobank  aufgelegt.  Wir  kommen  zu  spät,  aber 
diese  Arie  ist  ja  gar  nicht  von  Rossini  — diese  Gänseleberpastete  ist  eher  von 
ihm.  Lassen  wir  den  Grafen  als  Gesangslehrer  Herrn  Bartolo  begrüßen, 
welche  Farce:  pace  e gioja  sia  con  voi,  er  wird  nicht  fertig  und  wird  nicht 
fertig.  Gesangsstundenscherze  klingen  durch  die  Logentür.  Rosine  singt  ihre 

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Einlage  — was  singt  sie  da  ? Cherubins  Non  so  piu  cosa  son,  cosa  faccio. 
Ich  werde  einen  Augenblick  sehr  nachdenklich.  Was  trifft  mich,  was  erin- 
nert mich  ? Aber  schon  stößt  mich  C.  C.  mit  dem  Fuße,  ich  muß  lachen  und 
weiß,  was  ich  zu  erwidern  habe.  Jawohl,  Sie  haben  ein  Koloraturfieber, 
lieber  Basilio,  buona  sera,  buona  sera,  mein  Herr,  sehr  lustig,  das  reine  buona 
sera- Vaudeville.  Seifenschaum  und  Violinsechzehntel.  Eine  Triolenjagd 
durchs  Zimmer.  Es  klopft  jemand  an  die  Logentür,  Marzellina  wird  ge- 
schenkt (immer  wieder  diese  arme  Marzellina  geschenkt!)  und  das  Gewitter, 
ein  Operngewitter  Nummer  333  seit  Marais’  Alcyonc,  geht  vonstatten.  Ich 
höre  noch  das  fliegende  Terzett,  wo  die  Instrumente  Rosine  und  dem  Grafen 
nachmachen,  und  Figaro  ihnen  nachmacht,  und  ich  mache  Figaro  nach. 
Zitti,  Zitti  — entzückend  hüpft  es  mir  im  Blute,  sachte,  sachte,  Fräulein 
C.  C.,  kommen  Sie,  noch  zwei  Viertel,  noch  zwei  Viertel,  Stakkato,  kom- 
men Sie.  Polonäse.  Der  Wagen  rollt  davon. 

Ich  erkläre  Fräulein  C.  C.,  daß  hier  schon  Ahnungen  von  Donizetti  und 
Verdi  sind,  Arientanzlieder,  Unisoni  mit  solchen  feurigen  Melodien  — sie 
lacht.  Ich  spreche  ihr  von  der  Herrschaft  der  bloßen  Form  und  dem  nack- 
ten Rhythmus  — sie  lacht  noch  mehr.  Ich  schwärme  von  den  Instrumenten 
und  will  ihr  erklären,  wie  berühmt  einst  der  Opernkomponist  Simon  Mayr 
in  dieser  Kunst  gewesen  sei,  den  aber  Rossini  vollständig  aus  dem  Felde 
schlug  — sie  findet  den  Namen  abscheulich.  Sie  brauchte  nicht  lange  Zeit, 
bis  ich  ihr  in  allem  recht  gab,  und  sie  lehrte  mich  lieben,  ohne  zu  denken. 
Addio,  Pulcinella,  sagte  ich  ihr,  das  waren  gute  Stunden.  Pace  e gioja  sia 
con  voi. 


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FIDELIO 


Beethoven  und  die  Oper 

BEETHOVEN  in  einem  Wiener  Opernhause  sich  vorzustellen  gibt 
einen  scharfen  und  herben  Geschmack  auf  die  Zunge.  In  den  Bravour- 
arien der  Italiener  sieht  er  eine  fremde  Virtuosität,  die  ihn  belästigt,  obwohl 
er  sie  als  eine  Art  weltumfassender  Macht  und  Größe  nicht  ganz  mißachten 
möchte.  Sein  Geist  wälzt  sich  zwischen  der  Überlieferung  des  virtuosen 
Triumphes,  der  internationalen  Schule  und  einer  Romantik  voll  Menschheits- 
gefühl und  rhythmischer  Ehrlichkeit  der  persönlichen  Empfindung.  Sieht 
er  etwas  in  diesen  Iphigenienopern  und  Bauernsingspielen  ? Sieht  er  sinnlich 
oder  sieht  er  moralisch : Hört  er  Wirkungen  oder  hört  er  Anschauungen  1 Es 
quält  ihn.  Mit  einem  Wohlwollen,  das  ganz  leicht  und  unbestimmt  um  den 
Rand  seiner  schöpferischen  Seele  flutet,  faßt  er  ehrliche  Arbeit,  guten  Satz, 
alle  Möglichkeiten  der  unmittelbaren  Emotion  dankbar  lächelnd  auf.  Heut 
schreibt  er  einen  Brief  über  eine  gelungene  Don  Juan-Aufführung,  schaden- 
froh gegen  Pacsicllo.  Morgen  gesteht  er,  daß  es  ihm  unverständlich  sei,  wie 
man  Don  Juan  oder  Figaro  komponieren  könne.  Die  Zauberflöte  in- 
teressiert ihn  als  Formenmuster.  Er  lehnt  sich,  besser  zu  hören,  an  die  Or- 
chesterbrüstung des  Theaters  an  der  Wieden,  und  bei  diesen  beiden,  bei  Cheru- 
bim und  Mehul,  hält  er,  wie  Seyfried  erzählt,  bis  zum  letzten  Bogenstrich  aus, 
„stumm  wie  ein  Ölgötze“.  Er  schreibt  an  Cherubini:  „Wahre  Kunst  bleibt 
unvergänglich,  und  der  wahre  Künstler  hat  inniges  Vergnügen  an  großen 
Geistesprodukten.  Ebenso  bin  ich  auch  entzückt,  sooft  ich  ein  neues  Werk 
von  Ihnen  vernehme,  und  nehme  größeren  Anteil  daran  als  an  den  meinigen.“ 
Naiv  gegen  die  Stoffe,  zornig  gegen  Frivolität,  streng  gegen  die  Musik,  steht 
er  da,  Beethoven  im  Opernhaus,  immer  in  einem  heißen  Bemühen,  seinen 
rhythmischen  Puls  mit  den  Vorgängen  eines  unkeuschen  Musikschauspiels  in 
Einklang  zu  bringen.  Was  reden  sie  da,  was  singen  sie?  Eine  Fremdheit  bil- 
det sich  zwischen  ihm  und  der  Bühne.  Aber  diese  Fremdheit,  in  ihrer  elek- 
trischen Spannung  sehnsüchtig  nach  dem  Funken,  hatte  eine  verborgene 
Fruchtbarkeit.  Sie  konfrontierte  den  Symphoniker  mit  dem  Drama. 

Fremd  mußte  in  ihm  liegen  bleiben,  was  in  Wagner  reif  wurde,  da  dieser 
eine  dramatische  Natur  war,  Beethoven  eine  wunderbar  undramatische,  eine 

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direkte,  menschliche,  aus- 
brechende  Natur,  in  jeder 
Weise  ohne  Maske,  ohne 
Bedürfnis  der  Künste  des 
Außersichscins.  Wie  ein 
Hohn  klingt  sein  nach 
den  Fideliomißerfolgen  an 
dasHoftheatergerichtetes 
Gesuch,  ihm  eine  Anstel- 
lung für  jährliche  Opern- 
komposition und  sonstige 
Gelegenheitsmusik  zu  ge- 
ben ; cs  wurde,  Gott 
sei  Dank,  rundweg  abge- 
lehnt. Wie  darf  ich  sagen : 
ein  Hohn  ? Ihm  war  alles  Ernst,  er  hat  nie  sich  prinzipiell  gegen  die  Oper  ge- 
äußert, er  hat  sie  immer  angestrebt,  er  wußte  nicht,  wie  fremd  sie  ihm  war. 
Über  seinen  Tisch  gingen  Pläne  zu  Macbeth  und  Faust,  zu  Mctastasio- 
opern,  zu  einer  Melusine  Grillparzers  — er  hat  nur  einmal  gesagt,  es  lohne 
sich  nicht  mit  den  Wiener  Opern,  sie  würden  zu  schlecht  bezahlt.  Der 
Fidelio  blieb  die  einzige  Schwergeburt  dieser  künstlichen  Ehe.  Dieses 
Werk  krallt  sich  in  die  Operngeschichte  ein,  ein  Unikum,  ein  Zentaur  mit 
Menschcnantlitz  auf  den  vier  Füßen  der  Konvention.  Denn  er  war  der  erste 
Sprecher  in  der  Musik,  aber  ohne  Worte,  der  erste  Singer,  aber  ohne  Kehle. 
So  stieß  in  ihm  die  Kraft;  ungebunden,  wie  sie  war,  brauchte  sie  diese  Ge- 
bundenheit. 

Er  machte  die  Symphonie  reden.  In  dem  von  Nottcbohm  veröffentlich- 
ten Skizzenbuch  von  1803  stehen  Entwürfe  der  Eroika  neben  Entwürfen 
des  Fidelio.  Welches  Drama  wurde  größer  ? Die  Eroika  war  die  erste 
dramatische  Aussprache  in  Symphonieform,  die  es  in  der  Welt  gegeben  hat. 
Noch  heut  starrt  uns  das  Blut,  wenn  wir  diese  lebensdrängenden,  ausein- 
ander kreisenden  Gänge  einer  musikalischen  Phantasie  bewundern,  die  nur 
in  Instrumenten  redet,  aber  sinnlicher,  erschütternder,  körperlicher  als  hun- 
dert Opern  um  sie  herum.  Fort  ihr  Kulissen  mit  eurer  kindischen  Pracht, 
ihr  lächerlichen  Kostüme,  ihr  falschen  Worte,  dieser  ganze  Plunder  einer  mas- 
kierten Schaustellung,  der  sich  aus  Eitelkeit  und  Gcfühlsanlcihc  zusammen- 
setzt - könnt  ihr  je  die  Wahrheit  erreichen,  die  dieses  tief  innerliche  und 
schmucklose  absolute  symphonische  Gemälde  darstellt  ? Aus  einem  Spiel 
von  Mozarts  Bastienouvertüre  wird  das  Thema  dieses  Es-Dur-Helden  destil- 

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Einladung  der  Milder 


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liert,  das  in  den  Celli  beginnt  und  sie  alle  so  heftig  aufruft,  daß  die  Solobläser 
es  begütigen  müssen,  bis  zum  zweiten  Thema,  einem  Zwiegespräch  zwischen 
Streichern  und  Bläsern,  wenn  man  dieses  alles  Thema  nennen  kann.  Es  sind 
leibhaftige  Wesen,  die  in  einem  Leitmotiv  leben,  sich  darstcllcn,  verändern, 
aufregen,  beruhigen,  abwägen,  unterhalten,  hineingesetzt  in  eine  Atmosphäre 
greifbarer  Stimmung  und  Rhythmik.  Unruhe,  Schläge,  Brüten,  die  große 
Durchführung,  die  krampfhaften  Zuckungen  bis  in  den  Schrei  des  e mit 
dem  f,  Beben,  Zurückfallcn,  die  Sanftmut  der  E-Moll-Episode,  von  deren 
Konzeption  Beethoven  ausging,  neue  Kämpfe  zwischen  dem  aufbäumenden 
Heldentum  und  den  herabsinkenden  Beruhigungen,  neues  Drohen,  Lauern, 
Zittern,  das  Zittern  auf  der  dissonierenden  Dominantseptime,  zu  der  das 
Horn  wie  einen  Weckruf  das  erste  Thema  zitiert,  die  Rückkehr  mit  erneutem 
Interesse  der  ringsherum  lagernden  Instrumente,  ein  Wogen  auf  Es,  unver- 
mittelt auf  Des,  plötzlich  fortissimo  auf  C — die  Faust  des  Helden,  und  der 
Schlußtriumph  wrie  in  einem  wachsenden  Chorensemblc.  Wer  dies  Drama 
beschriebe,  würde  es  entstellen;  wer  es  dichtete,  töten.  Zweiter  Akt : Violinen 
und  Oboe  sprechen  die  Trauer  aus,  der  C-Dur-Satz  windet  seine  Kränze, 
die  Fuge  stärkt  das  Gewissen,  auf  dem  einsamen  As  sinnt  die  erste  Violine, 
ein  Schrei,  Trompeten,  die  Wiederholung  in  reichen  Gehängen,  die  Coda 
auf  wiegendem  As-Dur-Geläut,  das  zerreißende  Thema:  wer  wagt  diese 
Trauermusik  in  Kostüme  zu  stecken  ? Dritter  Akt : das  gespenstische  Treiben 
im  Streichertrab,  von  Bläsern  erhellt  und  thematisiert,  bis  dann  endlich  alle 
in  Es-Dur  zusammenwirbeln,  rings  um  den  romantischen  Hörnermittelsatz: 
Beethoven  opferte  ein  Menuett  dieser  unerhörten  Malerei.  Vierter  Akt: 
ein  Thema  aus  seinem  Prometheusballett  tritt  nackt  auf,  wird  variiert,  eine 
zweite  Prometheusmelodie,  schön  wie  von  Gott,  legt  sich  darüber,  sie  gewinnt 
thematische  Macht,  beide  Themen  tanzen  ihr  Prometheusballett,  einen  un- 
getanzten  Tanz  in  unendlichen  Phantasien  miteinander,  gekrönt  von  einem 
dritten  Motiv,  dem  G-Moll-Satz,  der  Girlanden  über  das  Variationsthema 
wirft:  das  melodiöse  Motiv  steht  still,  besinnt  sich,  wird  Andante,  singt, 
versöhnt,  verschönt  w'ie  ein  Figaroschlußensemble  — die  Tonarten  schwingen 
sich,  alles  wird  Spiel,  und  das  Presto  läßt  den  Vorhang  fallen.  Heldentum, 
Erinnerung,  Nachtgespenster,  Festesklang  — es  ist  ein  Drama  der  Welt,  zu 
groß,  um  Napoleon  gewidmet  zu  sein.  Seine  Leidenschaften  sind  wortlos 
ewig  und  seine  Landschaften  vom  Horizont  der  Seele.  Ich  habe  es  mir 
vorüberzichen  lassen  als  wahre  und  ehrliche  Oper  Beethovens  und 
schaudere  einen  Augenblick  vor  der  Sünde  des  Theaters.  Ich  lasse  alle 
seine  Symphonien  mir  so  vorüberziehen  und  weiß  keinen  Theaterdichter, 
der  ihre  dramatische  Überzeugungskraft  erreichte.  Seit  ich  über  Opern 

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schreibe,  seit  ich  dieses  Buch  begann,  höre  ich  sie  leibhaftiger  als  alle 
Bühne. 

Beethoven  gehört  zu  den  großen  Untheatralischen,  die  von  Bach  bis 
Brahms  reichen.  Ihre  musikalische  Anschauung  ist  so  rein  und  absolut, 
daß  sie  sich  scheut,  eine  angewandte  Kunst  zu  werden.  Weil  sie  ihre  Sympho- 
nie oder  ihr  Oratorium,  alle  nicht  dargestellte  Musik,  so  voller  Bilder  und 
Körper  sehen,  liegt  es  ihnen  nicht,  die  Bühne  so  voller  Musik  zu  sehen.  Selbst 
die  menschliche  Stimme  wird  ihnen  nur  ein  Instrument.  Und  weil  sie  die 
Bühne  so  voller  Prostitution  und  Selbstgefälligkeit  sehen,  geben  sie  der  Wort- 
losigkeit  und  Dienstbarkeit  ihrer  Instrumente  allen  Segen  des  subjektiven 
Ausdrucks  und  der  malerischen  Suggestion.  Es  sind  die  Glücklichen,  die 
keine  fremde  Materie  brauchen,  sich  im  Spiegel  darzustellen.  Der  lasterhafte 
Kreis  der  Opernkünste  dreht  sich  um  ihre  Unschuld  herum.  Sie  stehen  in 
der  Mitte  und  sind  die  Könige.  Der  Sünder  aber,  der  die  Oper  liebt,  im 
Spielen  und  auch  im  Schreiben,  sinkt  vor  ihnen  auf  die  Knie  und  bittet  um 
Gnade.  Sie  lächeln.  Denn  sie  wissen,  daß  auch  ihnen  der  Versucher  genaht 
ist.  Außer  dem  unnahbaren  Bach,  der  nicht  einmal  die  Inbrunst  dieser 
Beichte  versteht,  weil  er  die  Sünde  nicht  kannte. 


Cherubim 

ES  sei  erlaubt,  an  dieser  Stelle  Cherubini  gegenüber  Beethoven  Platz 
nehmen  zu  lassen.  Wir  verstehen  heut  die  Verwandtschaft  und  Hoch- 
achtung, die  Beethoven  für  ihn  fühlte.  Aber  es  genügt  uns  nicht,  die  Ähn- 
lichkeiten und  Unterschiede  in  ihren  Werken  aufzuzcigen,  wir  vergleichen 
gern  auch  den  Künstlertyp  miteinander  und  erkennen  in  Cherubini  ein  in 
seiner  Art  bewundernswertes  Gegenbeispiel.  Er  litt  an  Zartheit,  wie  Beet- 
hoven an  Stärke  litt.  Seine  italienische  Abstammung  wies  ihn  auf  die  Oper, 
für  die  er  gar  nicht  die  ursprünglichste  Begabung  gehabt  hat.  Seine  äußere 
Heimatlosigkeit  spiegelt  sich  in  seiner  immer  geistvollen,  aber  niemals  boden- 
ständigen Musik  wieder,  oder  auch  umgekehrt.  Rein  artistisch  von  ähnlicher 
Phantasie  wie  Beethoven,  findet  er  niemals  ganz  sein  eigenes  Klima,  seine 
gerade  eigentümliche  Linie,  wie  dieser  Gewaltige.  Der  Fidelio  steht  unter 
Beethovens  Werken  wie  ein  krampfhafter  Griff  in  eine  fremde  Welt,  Cheru- 
binis  Opern,  sonderbar  und  ganz  außer  der  Zeit,  scheuen  im  Gegenteil  vor 
einer  brutalen  Wirklichkeit  zurück  und  erwecken  in  ihrer  absoluten  musi- 
kalischen Vortrefflichkeit  fast  ein  Gefühl  des  Mitleids  um  ihre  Schönheit. 
Fidelio  lebt  in  Beethoven  weiter,  Cherubini  wird  allen  Kennern  immer 

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interessant  und  sogar  ge- 
liebt sein,  aber  er  ist  tot, 
weil  er  nur  halb  lebte.  Na- 
turen wie  die  seine  haben 
früh  zu  sterben;  gleich- 
wohl wurde  er  8z  Jahre  alt. 

Es  ist  kein  Zufall,  daß  er 
mit  Kirchenkompositionen 
begann  und  endigte.  Seine 
leicht  abstrakte  Begabung 
fand  darin  ihr  eigentliches 
Feld.  Die  ersten  italieni- 
schen Opern  von  ihm  sind 
vergessen,  doch  iibte  er  ihre 
Routine  immer  weiter,  in- 
dem er  mitten  in  seinem 
neuen  Pariser  Stil  Einlagen 
für  das  Repertoire  arbei- 
tete. Die  Psychologie  seiner 
Pariser  Wandlung  scheint 
Cherubinw  Handschrift:  Wasserträger  Unklar;  sie  war  sicherlich 

nichts  anderes  als  die  Not 
der  Verfeinerung.  Mit  dem  Demophon  I 788  in  der  Großen  Oper  fallt  er  durch. 
Damit  war  jede  Anlehnung  an  Gluck  endgültig  erledigt.  Seine  weiteren  Werke 
werden  an  dem  kleinen  Theätre  Fcydeau  aufgeführt,  dem  früheren  Theätre 
Monsieur,  das  der  Friseur  Marie  Antoinettes  gegründet  hatte.  Es  ist  ein 
Opernhaus  ohne  Rezitative,  mit  gesprochenem  Dialog.  Cherubini  ist  dort  drei 
Jahre  lang  Dirigent  und  die  Große  Oper  bleibt  ihm  so  gut  wie  verschlossen, 
zumal  er  sich  mit  Napoleon  immer  in  den  Augenblicken,  da  es  darauf  an- 
kommt, schlecht  stellt.  Lodoiska,  Elisa,  Medea,  der  Portugiesische  Gast- 
hof, der  Wasserträger  sind  die  Hauptstaffeln  des  Pariser  Ruhms.  1806 
schreibt  er  für  Wien,  das  ihn  liebt  und  fetiert,  die  deutsche  Faniska.  Es 
scheint,  daß  ihn  Friedrich  Wilhelm  III.  (aus  irgendeinem  Mißverständnis) 
1815  nach  Berlin  ziehen  wollte.  London  hat  er  mehrfach  besucht.  Ein  Welt- 
ruf ging  von  ihm  aus,  merkwürdig  genug,  bei  der  Ungewöhnlichkeit  seiner 
Musik  — er  strahlte  aus  seinem  reinen  und  edlen  Wesen.  Ungeheuren  Beifall 
und  furchtbare  Feindschaft  hat  er  am  Theater  erlebt,  das  nur  die  Hälfte  seines 
Lebens  füllt.  Man  muß  denken,  daß  er  zwanzig  Jahre  im  hohen  Alter  noch 
Direktor  des  Pariser  Konservatoriums  war,  das  er  einst  mit  organisiert  hatte. 

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Ich  muß  bei  seiner  Musik 
etwas  verweilen,  denn  ihre 
Feinheit  und  Originalität 
entzückt  uns  immer  wieder, 
wenn  wir  sie  aus  alten  Pa- 
pieren hervorsuchen,  und  wir 
erkennen  die  Ahnen  des  Fi- 
delio  wie  in  Euryanthe  den 
Lohengrin.  Seine  Opern  sind 
fast  alle  Rettungs-  oder  Wie- 
dervcrcinigungsstücke , die 
dem  rührseligen  Geschmack 
der  hart  geprüften  Revolu- 
tionsepochc  entsprechen : der 
Wasserträger  (deux  journees), 
der  unmittelbare  Vorgänger 
der  Rettungsoper  Fidelio,  ver- 
einigte gleich  mehrere  Be- 
freiungsmotive. Elisa  hatte 
für  die  Wiederfindung  das 
dankbare  Milieu  der  Alpen. 

Nur  Medca  entzieht  sich 
diesem  Geschmack,  sie  steht  auf  einer  experimentellen  Mitte,  zwischen 
der  alten  klassischen  und  der  kommenden  romantischen  Oper,  so  mächtig 
und  stark  immerhin,  daß  Kretzschmar  in  seinem  lesenswerten  Cherubini- 
Essai  (Petersjahrbuch  13)  von  ihr  sagen  konnte:  hätte  sie  mehr  Bedeu- 
tung gewonnen,  so  hätte  sie  Weber  und  Wagner  manche  Not  erspart. 
Medeas  leidenschaftliche  Arien,  die  gewaltigen  Duette  mit  Jason,  die 
rhythmisch  heftige  G- Moll -Arie  der  Neris  sind  wolkiger  als  es  je  die 
italienische  Musik  der  Zeit  war;  am  stupendesten  aber  müssen  die  Ouver- 
türen gewirkt  haben,  besonders  die  zum  zweiten  Akt,  ein  kurzes  beet- 
hovensch  stoßendes  Stück,  und  die  zum  dritten,  eine  in  der  Opernwelt  bis 
dahin  unerhörte  Symphonie,  klimatisch  zwischen  Beethoven  und  Wagner 
gelegen,  ein  zweimaliges  Aufbrausen  in  wogenden  Akkordklängen  zwischen 
leisen  monodischen  Klagen.  Cherubinis  Ouvertüren  selbst  zu  seinen  weniger 
bekannten  und  doch  sehr  merkwürdigen  Opern,  Anacreon,  Abencer- 
ragen,  Alibaba,  heut  noch  nicht  ganz  abgestorben,  offenbaren  einen 
genialen  symphonischen  Willen,  der  zwischen  die  Akte  der  Oper  sich  drängt, 
weil  er  sonst  keinen  Weg  zu  finden  glaubt.  Das  mußte  Beethoven  rütteln. 

211  14* 


Cherubini.  Lithographie  nach  Vigncron.  1832 


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Das  war  geradewegs  deutsch  empfunden,  war  der  Anfang  des  Kriegs,  den  die 
Symphonie  gegen  die  Oper  eröffnete,  noch  unklar  in  einem  südländischen 
Gehirn,  das  etwas  Pariser  Orchestermalerei  ererbt  und  einen  natürlichen 
Instinkt  für  Instrumente  gepflegt  hatte.  Wäre  die  dritte  Leonore  sonst 
geboren  worden  f 

Cherubinis  Feder  ist  selten  dramatisch  erregt.  Im  Wasserträger  ist 
allein  der  Schluß  bei  Armands  Entdeckung  bühnenmäßig  empfunden.  In 
der  Elisa  die  große  Szene  mit  der  Lawine,  Florindos  Rettung,  Elisas  Ohn- 
macht, in  der  Lodoiska  das  zweite  Finale  — es  gibt  wenig  solche  Aus- 
brüche. Die  Tugenden  des  Komponisten  liegen  mehr  auf  dem  Gebiete 
der  absoluten  und  instrumentalen  Musik,  selbst  stimmlich,  wenn  er  auch 
mit  Recht  an  Beethoven  die  Gesangsschule  seines  Konservatoriums  zur 
freundlichen  Benutzung  schenken  durfte.  In  der  Faniska  interessieren 
wiederum  am  meisten  die  drei  Ouvertüren,  die  erste  übermütig  pickende, 
die  zweite  ein  kurzes  solistisches Larghetto, diedritte  ein  sonderbar  schwanken- 
der Achtelzug.  An  aparten  Einfällen,  eigenartigen  Wendungen,  ungewohnten 
Bewegungen  scheint  Faniska  nicht  übertroffen  zu  sein,  oft  versteht  man 
heut  noch  den  Vorwurf  der  Bizarrerie.  Cherubini  ist  frei  vom  laufenden 
Strom  der  italienischen  Melodie,  er  liebt  die  knappe  Phrase,  die  er  gern  als 
Erinnerungsmotiv  wiederholt,  die  Wirkung  des  musikalischen  Gedankens 
und  des  Solos,  der  nackten  Homophonie,  der  sprechenden  Instrumente,  der 
weit  geöffneten  Vorhalte  (wie  das  Wagncrsche  Motiv  vor  dem  Faniska- 
terzett  Nr.  4),  der  Unisonobegleitung,  der  zwischengeworfenen  Orchester- 
figuren, der  kühnen  Enharmonien,  der  bloßen  Akkordtatsachen,  alle  Dinge, 
die  sich  aus  einer  nicht  von  der  Bühne  erlebten,  sondern  auf  die  Bühne 
projizierten  Musik  ergeben.  Seine  Bravour  selbst  hat  einen  ernsten,  herben 
Schnitt,  wie  in  dem  schönen  Duett  Rasinski-Faniska  des  zweiten  Aktes; 
von  Beethovenschem  Adel  ist  das  Quartett  und  die  Wiedervereinigung  am 
Schluß  der  Lodoiska.  Eigentümlich  sind  ihm  die  Ensembles  mit  dem 
ruhig  gleitenden  Kanon  einer  lastenden  Stimmung,  wie  wir  sie  aus  dem 
Fidelioquartett  kennen:  „venez  dans  ces  lieux“  in  der  Elisa,  oder  in  der 
Faniska  „Hoffnung,  du  trocknest  wieder“.  Es  ist  ein  Vergnügen,  seinen 
Ensemblesatz  zu  lesen,  so  scharf  und  fein  ist  er  gezeichnet  und  registriert, 
so  süß  biegen  die  Konturen  der  Eckstimmen  heraus  und  so  sicher  geht  die 
Mittelstimme,  niemals  konventionell  und  doch  nicht  unnatürlich:  wie  eine 
gütige  Gelehrsamkeit.  Im  Portugiesischen  Gasthof  erscheinen  die  Ensem- 
bles fast  w'ie  eine  wissenschaftliche  Komik,  und  neben  den  reizenden  Schmet- 
terarien  des  Roselbo  interessiert  das  genial  erfundene  Schlußvaudeville  durch 
seine  intellektuelle  Harmonisation.  Ein  Kunststück  in  der  Lodoiska  bc- 

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steht  in  der  Kontrapunktierung 
eines  ernsten  Liedes  mit  einer 
verwegenen  Polonäse.  Sein  sym- 
phonisches Gefühl  treibt  ihn 
immer  entweder  zum  unter- 
strichenen Einton  oder  zum  dif- 
ferenzierten Gegenton.  Obli- 
gate Hörner,  Oboen  sind  natür- 
lich sehr  beliebt.  Aber  wichtiger 
ist,  daß  der  Sänger  sich  gegen 
die  Melodie  der  Orchesterarie 
recht  selbständig  benimmt:  die 

Vielleicht  hat  sich  der  Was- 
serträger länger  gehalten  durch 
die  anständige  Form  seinesTex-  Die  Schröder  Dcvricnt.  Lithographie  von  Cramolini  1835 
tes,  der  die  Rettung  eines  ver- 
folgten Paares  durch  die  Treue  und  List  des  Savoyarden  ohne  die  sonstigen 
Schauerrequisiten  schildert,  vielleicht  auch  durch  die  Musik,  die  die  vor- 
romantischen Züge  des  Komponisten  am  rührendsten  zeigt.  Die  sympho- 
nische Begabung  hat  hier  weniger  Gelegenheit.  Gleich  die  zwei  ersten  Lieder, 
die  Savoyardenballade  und  das  Wasserträgerlied,  müssen  in  ihrer  harten, 
keuschen  Melancholie  deutsche  Seelen  gefangennehmen.  Beide  kehren  als 
Motive  in  der  Oper  mehrfach  wieder,  Michelis  Lied  in  dem  Melodram,  eine 
Szenenform,  wie  sie  fast  alle  diese  Rührungsopern  aus  einer  gut  berechneten 
Wirkung  zierte.  Das  Terzett  des  ersten  Aktes  mit  seiner  wundervollen  Nonen- 
auflösung und  das  Finalesextett  sind  Cherubinische  Meisterwerke.  Nicht  nur 
ihre  klare  Disposition,  auch  diese  schön  und  voll  ausbrechenden  Akkorde 
„Gütge  Gottheit“,  der  aufsteigende  Bogen  des  Soprans,  der  ruhige,  absolut 
musikalische  Lauf  müssen  Beethoven  getroffen  haben.  Antons  Trostlied  ist 
eine  Probe  der  aparten  lyrischen,  tonal  farbigen  Schreibart  des  Autors.  Wie 
absolut  er  schreibt,  erkennt  man  aus  dem  Soldatenchor  des  zweiten  Aktes 
(mit  dem  merkwürdig  plötzlichen  B),  der  im  Mittelsatz  mit  seinen  gezogenen 
Akkorden,  den  gebauten  Stimmen  fast  eine  kirchliche  Faktur  verrät.  Das 
Terzett  und  das  Finale  auch  dieses  Akts  entzücken  wieder  durch  die  Fein- 
heit ihrer  Gliederung.  Alles  das  interessiert  wie  schönes  Kunstgewerbe. 
Das  dumpfe  Punktieren  während  Armands  Flucht  ist  höchst  malerisch 
und  der  hüpfende  Marsch,  mit  den  Bitterufen  Michelis  dazwischen,  ein 
witziger  Einfall.  Den  dritten  Akt  eröffnet  einer  jener  ländlichen  Reigen, 

213 


Gefängnisarie  Lodoiskas. 


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die  Cherubini  (wie  in  der  Elisa)  mit  besonderer  Grazie  behandelt.  Wir 
beachten  die  beinahe  Schumannsch  gezogenen  leeren  Akkorde,  die  die 
letzte  Szene  einleiten,  um  in  dieser  die  einzige  leidenschaftliche  Erhebung 
des  ganzen  Stückes  zu  erleben.  Wie  ein  dumpfer  Fidelio  — liegt  cs  für  uns 
in  diesem  Werk,  von  zarter,  allzu  feiner  Hand  zurückgehalten,  in  mancher 
Wendung,  wie  in  der  Orchestermelodie  des  zweiten  Melodrams,  geahnt, 
ein  bitteres  und  hartes  Gefühl,  noch  nicht  ganz  hingegeben,  sehr  ,vriel  Kunst, 
vielleicht  nur  Kunst  ? 


Mehul 

AUCH  Mehul  ist  keine  abnorm  dramatische  Seele,  und  er  gehört  neben 
l.  Cherubini  in  diesen  Kreis  Beethovenscher  Figuren,  aber  seine  Physiog- 
nomie ist  noch  undeutlicher  geworden.  Pougin  hat  seine,  wie  Cherubinis, 
ausführliche  Biographie  geschrieben,  ein  Material,  aus  dem  nichts  als  der  Joseph 
in  Ägypten  leben  blieb.  Mehul  stand  ebenfalls  nicht  sehr  gut  mit  der  Großen 
Oper,  und  hat  eine  bedeutende  Anzahl  von  rezitativlosen  Opern  geschrie- 
ben, komische,  halbkomische,  die,  soweit  man  sie  kennen  lernt,  kein  son- 
derliches Relief  haben.  In  den  Deux  aveugles  de  Tolede  treiben  sich  noch 
die  alten  Scherze  der  Gesangsproben  in  verschiedenem  Stil  und  Orchester- 
imitationen herum,  eine  hübsche  Alkaldenszene  bleibt  allein  im  Gedächtnis 
aus  dieser  Mischung  von  Bufforesten  mit  feinen  französischen  Ensembles. 
Aus  dem  Tresor  suppose  erinnere  ich  mich  einer  reizend  punktierten  Ouver- 
türe. Die  Folie,  eine  Verkleidungsgeschichte  von  demselben  Bouilly,  der 
den  Wasserträger  und  die  Original- Leonore  machte,  hat  vielleicht  die 
zierlichsten  dieser  gut  gesetzten  Ensembles.  Im  Joseph  ist  die  Ensemble- 
kunst sicher  das  Wertvollste.  Man  versucht  diese  oratorische  Oper  immer 
wieder  zu  retten,  kürzlich  hat  Zengcr  dazu  hochdramatischc  Rezitative  ge- 
schrieben, die  die  Nerven  ein  wenig  aufregen  und  die  musikalische  Einheit 
hersteilen  sollen.  Aber  seit  1807  ist  mehr  daran  alt  geworden  als  der  Dialog. 
Merkwürdig  bleibt  das  Wagnis:  es  ist  die  erste  Oper  ohne  Liebesmotive  und 
die  einzige,  in  der  nicht  einmal  eine  weibliche  führende  Rolle  vorkommt, 
eine  weiblich  kostümierte  — denn  Benjamin  ist  Sopran.  Der  dramatische 
Moment  ist  die  Wiedererkennung  Josephs  durch  Vater  und  Brüder  — und 
der  liegt  im  Dialog.  Das  große  Schuld-Ensemble  verläuft  in  einer  fast  doktri- 
nären Koordination.  In  dem  Verzeihungsensemble  ist  der  Ton  verfehlt. 
Jakob  ist  nicht  frei  von  Trivialitäten.  Alles  Festliche  (mit  der  Tuba)  ist 
recht  gewöhnlich.  Zwei  Lieder  heben  sich  heraus:  das  berühmte  „Ich  war 
Jüngling“  in  einer  vorlortzingschen  deutschen  Gefühlsseligkeit,  und  Ben- 

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jamins  Romanze,  im  Dreiachteltakt  leicht  erzählend,  wie  eine  französische 
Chanson.  Einzelne  Wendungen  lassen  an  Gluck  zurückdenken:  das  sich 
öffnende  „si  vous  pouvez  repentir“  des  Joseph,  das  zärtliche  „seul  appui 
de  ma  vieillcsse“  des  Jakob.  Unter  den  liebenswerten  Stücken  stehen  voran 
Simeons  Selbstanklagen,  starr  wie  ein  Tannhäuserfluch,  mit  gurgelnden 
Gängen  in  der  Begleitung  und  den  schönen  Melancholien  der  Brüder.  Die 
Instrumentation  ist  überall  sehr  lebendig  vom  Orchester  aus  gedacht,  die 
Arbeit  nobel  und  ernst,  der  Satz  edel,  der  Gesang  eindringlich,  aber  gegen 
Cherubinis  Geist  sind  diese  Seiten  nüchtern  und  farblos  und  ersetzen  durch- 
aus nicht  in  Musik,  was  ihnen  an  Drama  fehlt. 

Geschichte  des  Fidelio 

UNTER  dem  Einfluß  des  französischen  Rührstücks  ist  der  Same  in  Beet- 
hoven gefallen.  Cherubini  wird  in  seinen  Hauptwerken  hintereinander 
in  Wien  gegeben,  die  Faniska  wird  ihm  aufgetragen  und  gleichzeitig 
Beethoven  um  die  Leonore  gefragt.  Bouilly  hatte  einen  Text  Leonore 
ou  l’amour  conjugal  für  Gaveaux  gemacht,  wobei  er  wie  im  Wasserträger 
Begebnisse,  die  er  als  Gouverneur  von  Tours  erlebte,  dramatisch  verwertete. 
Seine  Routine  in  wirksamer  Sentimentalität  half  ihm  dabei,  aber  aus  Vor- 
sicht verlegte  er  die  Geschichte  nach  Spanien.  Die  Oper  von  Gaveaux  wurde 
am  Feydeautheater  1798  gegeben.  Der  Stoff  wurde  auch,  mit  vielen  Albern- 
heiten, ins  Italienische  übertragen  und  von  Paer  komponiert — 1809,  zwischen 
der  zweiten  und  dritten  Bearbeitung  des  Fidelio  gab  man  diese  Paersche 
Leonore  sogar  in  Wien.  Auch  der  Wasserträger  war  außer  von  Cheru- 
bini noch  von  vier  anderen,  darunter  Simon  Mayr,  komponiert.  Beethoven 
reizt  der  Leonorenstoff : das  Edle,  Menschliche,  Sittliche.  Vielleicht  hat 
er  ihn  mit  angeregt.  Sonnleithner  bearbeitet  den  Text  in  das  Deutsche, 
und  das  Jahr  1805  füllt  sich  mit  der  Komposition.  Am  20.  November  findet 
der  erste  Durchfall  statt.  Die  Franzosen  haben  eben  Wien  besetzt,  aber  nicht 
bloß  künstlerisch,  auch  politisch.  Es  ist  wenig  Aufmerksamkeit  vorhanden, 
es  wird  nur  dreimal  gegeben.  Eine  zuerst  geplante  Ouvertüre  (Leonore  I) 
ist  schon  durch  eine  andere  ersetzt  worden  (Leonore  II),  Krakeele  mit  den 
Sängern  gingen  voraus,  die  Milder-Hauptmann  bejammert  diese  Ungesang- 
lichkeit  (und  hat  den  Fidelio  berühmt  gemacht),  der  Pizarro,  Herr  Mayer, 
der  Mozarts  Schwägerin,  Frau  Hofer,  geheiratet  hatte,  ruft:  solchen  ver- 
fluchten Unsinn  hätte  mein  Schwager  nicht  geschrieben.  Beethoven  hatte 
es  „Leonore“  nennen  wollen,  das  Theater  nannte  es  „Fidelio“  wegen  der 
drohenden  Verwechslung  mit  Paer.  Die  Partitur  erschien  nicht.  Jetzt, 

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nach  einem  Jahrhundert,  hat  der  ausgezeichnete  Erich  Prieger,  der  25  Jahre 
mit  dem  Sammeln  zubrachte,  aus  alten  verstreuten  Papieren  die  vergessene 
Form  dieser  ersten  Leonore  wiederhergestellt  und  in  einem  Klavierauszug 
mit  musterhaft  instruktiver  Eintragung  der  Instrumente  veröffentlicht.  In 
seiner  Einleitung  findet  man  alle  nötigen  Hinweise. 

Beethoven  versucht  auf  das  Drängen  seiner  wahren  Freunde  eine  Um- 
arbeitung. Röckel,  der  zweite  Florestan,  erzählt  von  dieser  Konferenz  bei 
Lichnowskis,  die  von  7 bis  1 dauerte,  die  Fürstin  Lichnowski  und  der  Geiger 
Clement  begleiten,  Röckel  und  Mayer  singen,  so  gut  es  geht,  alle  Stimmen. 
Beethoven,  in  Qualen,  kämpft  um  jeden  Takt,  entschließt  sich  endlich  zu 
bedeutenden  Strichen  und  Ausschnitten.  Breuning  bearbeitet  den  Text. 
Für  den  29.  März  1806  ist  die  Neueinstudierung  angesetzt.  Beethoven  schreibt 
einmal  an  Mayer:  „Ich  bitte  den  Herrn  von  Seyfried  zu  ersuchen,  daß  er 
heute  meine  Oper  dirigiert,  ich  will  sie  heute  selbst  in  der  Ferne  ansehen 
und  anhören,  wenigstens  wird  dadurch  meine  Geduld  nicht  so  auf  die  Probe 
gesetzt,  als  so  nahebei  meine  Musik  verhunzen  zu  hören!  Ich  kann  nicht 
anders  glauben,  als  daß  es  mir  zu  Fleiß  geschieht.  Von  den  blasenden  Instru- 
menten will  ich  nichts  sagen,  aber  — daß  alle  pp.  cresc.,  alle  decrcsc.  und  alle 
f.  ff.  aus  meiner  Oper  ausgestrichen!,  sie  werden  doch  alle  nicht  gemacht. 
Es  vergeht  alle  Lust,  wieder  etwas  zu  schreiben,  wenn  man’s  so  hören  soll! 
Morgen  oder  übermorgen  hole  ich  Dich  ab  zum  Essen.  Ich  bin  heute  wieder 
übel  auf.  P.  S.  Wenn  die  Oper  übermorgen  sollte  gemacht  werden,  so  muß 
morgen  wieder  Probe  davon  im  Zimmer  sein,  sonst  geht  es  alle  Tage  schlech- 
ter.“ Diesmal  wurde  Fidelio  nur  einmal  wiederholt.  Die  oft  gesammelten 
Kritiken  jener  Tage  sind  von  einer  haarsträubenden  Blödigkeit.  Den  Ge- 
fangenenchor erklärt  man  für  mißraten.  Am  wehesten  tut  der  „Freimütige“ 
in  Berlin,  der  in  der  Ouvertüre  die  gräßlichen  Harmonien  der  schneidendsten 
Modulationen,  das  Unzusammenhängende,  Grelle,  Verworrene,  das  Ohr 
Empörende  festnagelt,  den  Freunden  Beethovens  vorwirft,  daß  sie  groß 
und  erhaben  nennen,  was  nur  dem  gebildeten  Schönheitssinn  widerstrebt 
und  „die  klare  Schönheit  ohne  Weichlichkeit,  die  kräftige  und  doch  nicht 
überladene  Anwendung  aller  Instrumente,  ein  volles  inneres  Leben  ohne 
erkünstelte  Spannung  und  Überspannung“  vielmehr  in  einer  herrlichen 
Ouvertüre  von  Andreas  Romberg  findet,  die  er  ausdrücklich  als  Gegenstück 
empfiehlt  und  deren  Autor  ja  heut  nach  hundert  Jahren  auch  den  Ruhm 
Beethovens  weit  überstrahlt.  Zu  der  zweiten  Bearbeitung  hatte  Beethoven 
nämlich  diese  neue,  aus  der  vorigen  umgewachsene  Ouvertüre  geschrieben: 
die  dritte  Leonore.  Von  der  Form  des  Jahres  1806  sammelte  Otto  Jahn 
die  vollständige  Musik,  die  der  alte  Czernysche  Auszug  nicht  gehabt  hatte, 

2IÖ 


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Anna  Mildcr-Hauptmann.  Lithographie  von  Leybold 


und  gab  sie  1851  als  Klavierauszug  heraus  mit  einer  Vorrede,  die  das  philo- 
logische Material  vor  Prieger  zusammenfaßt. 

Möglich,  daß  das  Publikum  bei  dieser  zweiten  Bearbeitung  dankbarer 
war.  Aber  Beethoven,  erzählt  Rockel,  war  auf  Tantieme  gestellt,  glaubte 
sich  betrogen,  rannte  zur  Direktion  und  beklagte  sich.  Baron  Braun  sucht 
ihn  zu  beruhigen:  die  Einnahme  würde  steigen,  wenn  sich  erst  die  oberen 

217 


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Ränge  füllten.  Beethoven  schreit : Ich  schreibe  nicht  für  die  Galerien.  Sie 
ereifern  sich  und  er  zieht  seine  Oper  zurück.  So  bleibt  sie  bis  1814  liegen. 
Treitschke  bearbeitet  den  Text  noch  einmal,  wieder  in  zwei  Akten  (die 
erste  Form  hatte  noch  drei),  Beethoven  komponiert  cs  zur  Hälfte  neu,  macht 
die  Ouvertüre  in  E-Dur  davor  und  erlebt  2z  Aufführungen.  Dies  ist  die 
Fassung,  in  der  Fidelio  heut  erscheint.  Er  schrieb  damals  an  Treitschke: 
„Ich  bin  mit  dem  meisten  unzufrieden,  und  es  ist  beinahe  kein  Stück,  woran 
ich  nicht  hier  und  da  meiner  jetzigen  Unzufriedenheit  einige  Zufriedenheit 
hätte  anflicken  müssen.“ 

Fidelio  ist  niemals  ganz  populär  geworden.  In  Berlin  wurde  vor 
kurzem  nach  den  Priegerschen  Anweisungen  einige  Male  die  erste  Form 
gegeben:  es  blieb  nur  ein  musikhistorischer  Genuß.  In  Rom,  wo  er  erst 
1886  die  erste  italienische  Aufführung  erlebte,  wurde  er  abgelehnt  und  unter 
Hohn  und  Spott  verrissen.  Die  vier  existierenden  Ouvertüren  werden  über- 
all mit  großer  Aufmerksamkeit  behandelt:  Mendelssohn  führte  sie  schon 
hintereinander  auf.  In  der  edelsten  Fidelioaufführung,  die  unsere  Zeit 
erlebte,  unter  Gustav  Mahler,  war  die  dritte  Leonorenouvertüre  als  ein 
symphonisches  Zwischenspiel  zwischen  Kerker  und  Ministerszene  eingescho- 
ben, in  den  Tonarten  merkwürdig  passend  und  im  Inhalt  so  erschütternd 
an  dieser  Stelle,  halb  Erinnerung,  halb  Gipfel  des  Dramas,  daß  sich  die 
Philologie  gern  vor  dieser  Eigcnwilligkeit  beugte  — die  vielleicht  im 
letzten  Grunde  gar  nicht  so  unbeethovcnsch  war.  Ich  empfand  den 
wahren  Ausbruch  des  Symphonikers.  Auch  andere  versuchten  es  so,  und 
cs  ist  dringend  zu  empfehlen.  An  den  Anfang  gehört  die  E-Dur-Ouvertüre. 
Sie  verschlägt  nichts.  Und  der  zweite  Akt  muß  sein  Florestanvorspiel 
wahren. 

Schindler  und  Breuning  teilte  Beethoven  seine  letzten  Wünsche  mit. 
Man  suchte  alle  Papiere  zusammen,  die  an  Rochlitz,  den  von  ihm  selbst 
ausersehenen  Biographen,  geliefert  werden  sollten.  Stücke  der  ersten  Leo- 
nore  lagen  seit  Jahren  schon  vergraben,  zu  unterst  eines  großen  Haufens 
von  Musikalien,  unter  dem  — berichtet  Schindler  — „wir  sie  auf  Beet- 
hovens Geheiß  hervorgesucht  und  in  größter  Unordnung  fanden.  Als  unser 
Freund  dieses  Durcheinander  gesehen,  machte  er  noch  gute  Witze  über 
seine  häusliche  Ordnung  und  äußerte  dabei,  daß  (und  dies  hebt  Schindler 
durch  besonderen  Druck  hervor)  dieses  sein  geistiges  Kind  ihm  vor  allen 
anderen  die  größten  Geburtsschmerzen,  aber  auch  den  größten  Ärger 
gemacht  habe,  es  ihm  daher  auch  am  liebsten  sei,  und  daß  er  es  der  Auf- 
bewahrung und  Benutzung  für  die  Wissenschaft  der  Kunst  vorzugsweise 
wert  halte.“ 

218 


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Beethoven*  Handschrift:  Leonore 


Diese  geliebte  Oper,  heilig  in  ihrer  Brüchigkeit,  stoßweise  aufgeführt, 
liegt  nun  vor  uns  in  Stücken,  die  wir  mit  neugierigem  Blick  aus  den  drei 
Bearbeitungen  herausfinden.  Die  zw'eite  ist  wesentlich  eine  Kürzung  der 
ersten,  die  dritte  übertrifft  in  manchem  die  erste,  in  anderem  steht  sie  ihr 


wir  die  einzelnen  Nummern  und  die  Vorspiele,  vergleichen  sie,  genießen  sie, 
verspüren  den  Hauch  des  Unendlichen  auch  in  diesem  sterblichen  Leibe. 


IE  vier  Ouvertüren  zeichnen  die  Stellungnahme  Beethovens  zu  seiner 


Oper.  In  der  ersten  Leonorenouvcrtüre  steht  er  ihr  noch  etwas  in- 
different gegenüber.  Das  tiefgründige  Florestanmotiv  aus  seiner  großen 
Arie  (dieses  bitter  lächelnde  Auge)  sitzt  in  der  Mitte,  sonst  ist  nichts  von 
der  Oper.  Akkorde,  Skalen  leiten  ein,  ein  allgemein  symphonisches  Spiel 
mit  fremden  Motiven  wird  durchgeführt,  leicht  bewegt,  aber  mit  ernsten 
Biegungen  und  rhythmischen  Wutanfällen.  In  der  zweiten  Ouvertüre 
rückt  das  Florestanmotiv  vor,  von  erwartungsvoll  schwer  herabziehenden 


nach.  Aus  dem  gewöhnlichen,  aber  immerhin  erträglichen  Dialog  fischen 


Die  Ouvertüren 


219 


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Skalen  eingeleitet,  von  wolkig  aufsteigenden  Akkordbrechungen  umspielt, 
beschäftigt  es  uns,  mannigfach  variiert,  von  rhythmischen  Stößen,  dumpfem 
Sinnen  umgeben,  bis  das  Allegro  den  Kampf  in  Gang  bringt.  Das  berühmte 
C-Dur-Motiv,  ein  rhythmisiertes  Drängen  über  diatonische  Folgen,  steigert 
sich  in  gewaltigem  Aufschwung  zu  den  großen  Schlägen  in  C und  G,  die  die 
Bcethovcnsche  Faust  weisen,  biegt  in  Fis  um,  über  H nach  E,  um  das  Flore- 
stanthema  in  veränderter  Gestalt  als  Nebenmotiv  sich  anzuketten,  in  wilden 
Forzati  und  Synkopen  geht  es  zum  ersten  Thema  zurück,  der  Konflikt 
bereitet  sich  vor,  die  Durchführung  bringt  die  beiden  Themen  mit  ihren 
Nebenformen  in  Hitze,  es  wechselt  die  Farbe:  es  wird  Moll,  ein  riesiger 
Ausbruch  erfolgt  — da  erscheint  zweimal  in  Es  das  Trompetensignal,  das 
in  der  Oper  die  Erlösung  bedeutet,  eine  Erinnerung  an  das  Florestanthema, 
der  reißende  Unisonolauf  und  ein  strahlender  Durschluß  im  ersten  Thema, 
mit  einer  kleinen  harten  Mahnung  an  das  zweite.  Nur  das  Florestanmotiv 
und  das  Trompetcnsignal  gehören  der  Oper  an,  aber  nicht  nur  ihre  Verarbei- 
tung, mehr  noch  die  ganze  Disposition  des  Stückes  verrät  das  Drama  in  der 
Symphonie:  Hoffnung,  Kampf,  Befreiung.  Und  dennoch,  kaum  für  mög- 
lich zu  halten,  in  der  dritten  Ouvertüre  schärft  und  steigert  sich  diese 
eruptiv  dramatische  Anschauung  noch  weiter.  Die  symphonischen  Dogmen 
fallen  nicht  ganz:  im  Gegenteil,  eine  regelrechte  Wiederholung  des  ersten 
Teils  wird  hier  wieder  eingeführt,  dennoch  ist  die  absolute  Dramatik  auf 
symphonischem  Wege,  im  Detail  ihrer  Fläche  noch  reiner  durchempfunden. 
Es  gibt  keinen  lehrreicheren  Beitrag  zur  Künstlergeschichte,  als  diese  dritte 
Leonorenouvertüre,  das  ragende  Denkmal  Beethovenscher  Symphonie- 
dramatik, in  den  Einzelheiten  mit  der  zweiten  zu  vergleichen,  aus  der  sie 
geworden  ist,  wie  der  Mann  aus  dem  Kinde.  Die  Naiven  müssen  jene  mehr 
lieben,  die  Reifen  diese.  Das  einleitende  Adagio,  ebenso  angelegt,  wird 
schärfer,  knapper,  einfacher,  größer.  Die  Überleitung  zum  Allegro  selbst- 
bewußter. Das  Allegro  in  seinem  Aufschwung  heller  und  intensiver.  Das 
aus  dem  Florestanmotiv  entwickelte  zweite  Thema  ist  reicher  und  ge- 
schlossener, es  beginnt  eigenartiger  zu  wuchern,  sich  fortzupflanzen.  Die 
Schläge  sind  männlicher,  die  Synkopen  enger.  Statt  der  schulmäßigen 
Durchführung  findet  ein  wundervoll  brütendes  phantastisches  Spiel  statt 
in  Stößen,  Läufen  und  Stakkati  über  der  aus  Thema  II  abgeleiteten  Zelle, 
die  schon  am  Adagioschluß  sich  deutlich  ankündigt:  zerrissene,  sinkende 
Vorhalte,  wie  Er  sie  liebt  in  seinem  rhythmischen  Atem.  Das  Trompeten- 
signal erscheint  in  B,  in  einer  neuen,  viel  präziseren  und  eindringlicheren 
Form.  Beide  Male  spinnt  es  sich  in  verhaltenen  Melodien  des  Orchesters 
fort,  die  ein  Zitat  derselben  Stelle  aus  der  Oper  bilden.  Das  zweitemal 

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wie  in  ferner  Vision  in  Ges,  aus  Ges  wird  fein  G,  Thema  I im  milden  Flöten- 
spiel, schreiende  Synkopendissonanzen,  zurück  in  C,  die  Wiederholung, 
auch  Thema  II  in  C eingeschlungen,  aus  ihm  steigt  der  reißende  Unisono- 
lauf erst  zögernd,  dann  mächtiger  und  mächtiger,  in  ungeheurem  Aufschwung 
jubelt  I empor,  bis  auf  den  Gipfel  a und  as,  und  ohne  Hemmung  durch  II 
geht  es  zu  Ende.  Aufgefressen,  verschlungen  hatte  Beethoven  mit  diesem 
Werk  die  ganze  Oper.  Was  er  ihr  gegenüber  fühlte  an  Herbheit,  Schicksal, 
Hoffnung  und  Leid,  hatte  er  vor  weitem  Horizont  gezeichnet.  Seine  einzigen 
Figuren  waren  Florestan,  die  Trompete  und  das  C-Dur-Motiv,  das  ihm 
mehr  Atmosphäre  gab,  als  die  ganze  Bühne.  Man  kann  sagen,  er  war  nun 
fertig  mit  dieser  Oper.  Zu  ihrer  letzten  Bearbeitung  fügte  er  die  Fidelio- 
Ouvertüre  in  E-Dur,  ohne  jede  Opernthematik,  idyllisch,  reizend  wie  ein 
letzter  Sonatensatz:  also  gut,  ich  werde  euch  die  Oper  nicht  in  der  Ouvertüre 
wegnehmen,  ich  leite  Jaquino  und  Marzelline  ein,  oder  was  ihr  wollt.  Oper 
ist  Oper. 


Die  einzelnen  Nummern 

DIE  Arie  der  Marzelline,  ursprünglich  die  erste  Nummer,  macht  ihm 
Beschwerden.  Er  hat  keine  so  oft  umgearbeitet.  Jedesmal  wird  es 
wirklich  besser  und  fester.  So,  bis  ihr  kleiner  Seufzer  auf  dem  Solo-F'is  von 
Flöte,  Oboe  und  Fagott  sicher  untergebracht  ist,  vor  der  schönen  Stelle 
mit  der  Hoffnung,  zu  der  er  eine  Melodie  erfand,  würdig  einer  Iphigenie 
oder  auch  Schillerschen  Luise.  Wie  er  in  den  Bearbeitungen  auch  diese 
Deklamation  verbessert,  daß  sic  nicht  mehr  „schon“  betont,  sondern  die 
„Hoffnung“!  Doch,  was  sind  Worte.  Diese  Dur-Melodie  war  gleich  in  der 
ersten  Form  so  herrlich  da,  wie  sie  geblieben  ist.  Nur  kam  sie  später  viel 
mehr  zur  Geltung,  da  das  ursprüngliche  Dur  des  Hauptteils  aus  Kontrast 
in  Moll  .geändert  wurde.  Doch  liegen  alle  diese  Künste  vor  der  ersten  Auf- 
führung. Bis  zum  Fidelio  hat  sich  in  diesen  leichten  Regionen  nicht  viel 
geändert. 

Ihr  Duett  mit  Jaquino  steht  seit  dem  „Fidelio“  vor  dieser  Arie;  wieviel 
besser  war  es  zuerst  dahinter.  Zuerst  waren  alle  diese  Szenen  bis  zum  Pizarro 
ein  Akt,  der  im  Zimmer  Roccos  spielte,  schlicht,  intim  und  in  dieser  Reihen- 
folge eine  nette  Steigerung.  Denn  das  Duett  ist  so  allerliebst,  daß  es  die 
Arie  schlägt,  also  ihr  nicht  vorwegkommen  darf.  Welch  reizend  neckisches 
Spiel  in  süßer  Bewegung  und  feingliedrigcm  Bau,  der  zweimal  von  dem 
Türklopfen  skandiert  wird.  In  der  Mitte  das  gefühlvolle  Geständnis  von 
Marzellinens  Fidelioliebe,  zuletzt  ein  bißchen  Koloratur.  Das  stand  alles 

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von  Anfang  an  fest  und  ist  in  den  Versionen  nur  immer  etwas  gekürzt 
worden. 

Um  das  folgende  Terzett  der  beiden  mit  Rocco  ist  es  gewiß  nicht  schade. 
F.s  wurde  im  Fidelio  ganz  weggelasscn  und  schon  in  der  zweiten  Form 
mit  einer  schlechten  Kürzung  ad  libitum  gestellt.  Die  Musik  ist  gleichgültig. 
Man  vergißt  sie  in  dem  folgenden  berühmten  Quartett  dieser  drei  mit 
Fidelio,  das  schon  in  der  ersten  Leonore  sich  seines  Daseins  freute 
und  später  nur  unwesentlich  zusammengezogen  wurde.  Hier  haucht  uns 
zuerst  Beethovens  Geist  an,  eine  eigentümliche  Spannung  breitet  sich  aus, 
eine  absolut  musikalische  Stimmung  entwickelt  sich,  schwebend,  unfaßbar  — 
diese  vier  Menschen  werden  gleichsam  symphonisch,  werden  Instrumente, 
die  einen  Kanon  singen,  der  nichts  bedeutet  als : hier  liegen  Schicksale  in 
der  Luft.  Im  Text  ist  davon  wenig  zu  spüren,  in  der  Charakteristik  noch 
weniger  — denn  die  auf  Fidelio  hoffende  Marzelline,  die  ihre  Entdeckung 
fürchtende  Leonore,  der  diesem  Trugschluß  zustimmende  Rocco  und  der 
über  Marzellines  Kühle  verärgerte  Jaquino  haben  trotz  ihrer  ganz  verschie- 
denen Gedanken  dieselbe  Melodie.  Die  Instrumente  helfen  ihnen  freilich. 
Mit  Marzelline  beginnen  die  Klarinetten,  mit  Leonore  die  Flöten,  mit  Rocco 
die  Hörner  und  mit  Jaquino  das  Fagott;  aber  was  sie  an  spezifischer  Farbe 
gewinnen,  verlieren  sie  durch  die  Mischung  mit  den  ergänzenden  Pizzikato- 
Streichergruppen,  die  klanglich  das  instrumentale  Gleichgewicht  wieder- 
herstellen. Ich  erkläre  dies,  weil  man  an  keinem  Stück  die  absolute  Anschau- 
ung Beethovens  besser  erkennen  kann.  Dramatisch  ist  es  sofort  zu  widerlegen, 
musikalisch  aber,  schon  nach  dieser  wie  zur  Besinnung  mahnenden  Ein- 
leitung der  tiefen  Streicher,  ist  es  nicht  widerlegt  worden,  solange  es  eine 
Oper  gibt. 

Die  anschließende  Goldarie  des  Rocco  reißt  uns  aus  allen  Himmeln. 
Sie  ist  in  den  ersten  Bearbeitungen  oft  schon  fortgelassen  worden,  später 
wieder  eingestellt.  Mahler  strich  sie  unbarmherzig.  Sicherlich  hat  sie  Ga- 
veaux  pikanter  komponiert.  Und  doch  in  ihrer  Frivolität  — es  sind  ein  paar 
Stellen,  da  man  Beethovens  schwielige  Hand  fühlt. 

Dieser  gefährlichste  Teil  der  Oper  endet  mit  dem  Terzett,  in  dem  Rocco 
der  Leonore  den  Gefängnisbesuch  verspricht,  während  Marzelline  von  diesem 
Plan  nicht  sonderlich  begeistert  ist.  Sie  singt  von  ihrer  Fidelioliebe,  und 
Fidelio  singt  auf  dasselbe  Motiv  von  seiner  Florestanliebe.  Fidelios  Mut 
erzeugt  ein  herrisch  punktiertes  Thema,  das  Wagnersche  Rhythmik  vor- 
ausnimmt, auch  seine  Farbe,  wenn  es  die  Holzbläser  mit  den  Hörnern  noch 
etwas  rauh  nachahmen.  Eine  wunderbar  vertiefte  Stelle  in  Es-Moll  hat 
Beethoven  zuletzt  wieder  so  hergestcllt,  wie  sie  in  der  ersten  Fassung  war: 

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ein  seltener  Fall,  da  die  Änderungen 
sonst  in  Erneuerungen  oder  in  Stri- 
chen bestehen.  Über  die  mangelnde 
Dramatik  leuchtet  die  Musik  hin- 
über. Die  Folge  der  Inspirationen 
im  letzten  Allegroteil,  die  harte 
gestoßene  Melodie,  das  quarten- 
schwingende Thema,  die  synkopisch 
sinkenden  Terzen,  der  schroffe 
Wechsel  des  Dominantenvorhalts  in 
Moll-  und  Dur-Farbe  sind  seine 
Sprache  — was  die  drei  Figuren 
sprechen,  ist  nur  der  Wind  dazu. 

Die  Szene  wandelt  sich  in  den 
Gefängnishof,  durch  einen  kleinen 
Marsch  übergeführt,  sowie  man  ihn 
in  den  französischen  Opern  machte, 
auffallend  durch  den  nackten  Quar- 
tenstoß mit  Pauken,  Bässen,  Kontrafagott.  Pizarro  tritt  auf,  mit  der  über- 
lieferten italienischen  Intrigantenmiene,  erst  Moll,  dann  Dur,  dämonisch 
im  finsteren  Ton  wetternd,  trotzdem  er  dem  Dakapo  nicht  abgeneigt  ist, 
das  Akkordthema,  das  Quartenthema,  das  Triolcnthema  der  Reihe  nach 
bewältigend,  mit  Posaunen,  in  gewaltigem  musikalischen  Faltenwurf.  Sein 
„ins  Ohr  schreien“  wird  ihm  im  „Fidelio“  etwas  verkürzt,  wofür  die  dumpfe 
Wache,  die  ihn  im  Chor  begleitet,  vergrößert  wird.  Dieser  murmelnde 
Chor  gibt  der  italienischen  Szene  einen  neuen  romantischen  Hintergrund. 

Eines  der  beiden  ganz  dramatischen  Stücke  der  Oper  ist  Pizarros  Duett 
mit  Rocco.  Die  stockende  Einführung  „Jetzt,  Alter,  hat  es  Eile“,  die  kühnen 
Septimen  „Morden“,  die  mystische  tiefdunklc  Malerei  „der  kaum  mehr 
lebt“,  die  Posaune  auf  die  Zisterne,  der  schrille  Bläserakkord  mit  vier  Hörnern 
und  Posaunen  vor  „ein  Stoß“,  die  wehevoll  daraus  aufsteigende  Melodie, 
aller  scharfe  Gegensatz  der  Singweise  beider:  hier  durchbrach  Beethovens 
inneres  Gesicht  die  Konvention,  der  Dämon  wird  sein  Erlebnis,  wird  Ge- 
stalt und  Bühne,  ein  Stück,  das  im  Fidelio  darum  nur  wenige  Kürzungen 
erfuhr. 

In  der  ersten  Leonore  folgte  ein  starker  Kontrast,  das  Duett  zwischen 
Marzcllinc  und  Fidelio.  Eine  unmögliche  Situation,  aber  ein  ganz  reizendes 
Spiel  mit  obligater  Violine  und  Cello,  in  neun  Achtel  wiegend,  flüssig, 
melodiös,  ein  Triumph  Beethovenschcr  absoluter  Musik  über  die  Sprache, 

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die  bis  zur  Unkenntlichkeit  verzerrt  wird.  Nehmt  die  Worte  weg,  es  bleibt 
etwas  ganz  anderes,  etwa  eine  anakreontische  Szene  an  einem  Bach,  irgend 
etwas  Duftendes  aus  Schuberts  Regionen.  Die  Nummer  wird  erst  gekürzt, 
dann  ganz  gestrichen. 

Die  große  Fidelioarie  schließt  ursprünglich  also  an  dieses  Duett  und 
Fidelio  bleibt  allein  zurück.  In  der  dritten  Form  schließt  sie  an  Pizarros 
Weggang,  und  so  beginnt  sie  mit  dem  Fluch  auf  den  Abscheulichen.  1805 
war  ihr  Rezitativ  einfach,  die  wundervolle  Leonorenmelodie  zeigte  sie  in 
ihrer  ganzen  Schönheit,  diese  Arie,  die  Beethoven  in  seinem  arienlosesten, 
deutsch-knorrigen  Herzen  erfand,  aber  sie  mischte  sie  mit  den  absonderlichen 
Komplimenten  gegen  welsche  Bravour,  Koloraturen,  dick  und  massiv,  daß 
sie  die  Kehle  kratzten.  „Komm  o Hoffnung“  und  Beethoven  ist  wieder 
da.  Allmählich  gerät  er  in  die  Allegromelodie,  „süßer  Trost“  wird  zweimal 
in  seiner  rührendsten  Gestalt  kredenzt,  aber  das  erstemal  läuft  er  in  eine 
Floskel  aus.  Wie  strömt  das  in  ihm  zusammen.  F.r  hat  sich  vom  Adagio- 
anfang ein  Orchester  ausgedacht,  Streicher  nur  mit  drei  solistischen  Hörnern 
und  einem  Fagott.  Eine  schwere,  schwelende,  dickflüssige,  dunkelbärtige 
Romantik  lag  darin  — irgendein  Wunderland  kommender  Phantasie,  zwischen 
Riesen  und  Nibelungen:  aber  Leonore?  Er  behielt  dies  berühmte  Or- 
chester, das  sich  im  Allegro  zerpustete,  bis  in  die  letzte  Bearbeitung  bei. 
W'ic  ist  das  alles  so  seltsam.  Dieses  Orchester  spielt,  und  wenn  er  glaubt, 
es  spielt  zu  lange  allein,  schreibt  er  noch  Worte  darüber:  „sprechend  oder 
singend“.  Schweres,  tiefes  Herzeleid  und  finster  rauchende  Koloratur 
liegt  nebeneinander.  An  der  Sängerin  selbst  scheitert  cs.  1806  hat  sie  schon 
ihre  Kürzungen.  1814  hat  sie  ein  fast  neues  Stück.  Das  Rezitativ,  jetzt 
auf  den  Abscheulichen,  ist  eine  große  dramatische  Szene  geworden.  Ein 
neuer,  still  leuchtender  Farbenbogen,  eine  erste  Ahnung  des  Wolframschen 
Abendstemes  führt  sanft  wirksam  zur  unverändert  hehren  Adagiomelodie 
über.  Doch  nun  beginnen  die  Renovationen  im  einzelnen.  Viel  ist  ein- 
gerissen, manches  umgebaut,  das  meiste  verbessert,  nur  der  plötzliche  ge- 
schniegelte Allegroeintritt  bringt  uns  um  den  ersten  „süßen  Trost“.  Aber 
Beethoven  hätte  man  keinen  Text  geben  sollen,  als  die  Worte  Hoffnung, 
Trost,  Mensch,  Brüder,  Freiheit,  namenlose  Freude  — da  ist  er  immer  wie 
durch  einen  Zauber  ganz  vorhanden. 

Geheimnisvolle  Streichercinleitung  zum  Finale:  der  Gefangenenchor 
beginnt  auf  wiegend  breiter  Begleitung,  dieses  Stück,  das  man  die  populärste 
Rührung  aller  existierender  Opern  nennen  kann.  Wie  es  aufwächst,  wie  es 
in  das  Licht  blickt,  unterbrochen  von  dem  volksliedhaften  Tenorsolo,  das 
in  ihnen  allen  nachzittert,  abfallend  in  das  „Sprecht  leise“,  ein  Giebelbau 

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mit  Melodiespitze  — das  ist  Seine  Hand.  „Noch  heute“  Fidelios  Ruf  klingt 
uns  unvergeßlich  im  Ohr,  und  immer  ist  es  so  schön,  wenn  sie  von  dem  armen 
Manne  da  unten  sprechen:  der  Gouverneur  bleibt  leitmotivisch  — vier  an- 
deutendc  Töne  — im  Hintergrund.  Plötzlich  erscheint  die  seltsame  Sechs- 
achtelpartie, sehr  schwierig,  vielleicht  ein  Oktettsatz,  übertragen  in  Bläser 
mit  steigender  Anteilnahme  der  Streicher,  aber  sicher  nicht  Rocco  und  Fidelio, 
die  sich  in  einem  mozartelnden  „O  säumen  wir  nun  länger  nicht“  zu  trösten 
wissen.  Von  dieser  Stelle  an  trennen  sich  die  Wege  der  ersten  und  der  letzten 
Bearbeitung.  Aber  beide  sind  nicht  gelungen.  Dort  legt  Pizarro,  der  von 
dem  Spaziergang  der  Gefangenen  noch  nichts  weiß,  eine  Riesenbrüllarie 
hin,  mit  der  Wache  und  dem  großen  Lärmnachspiel.  Hier  kehren  die  Ge- 
fangenen wieder,  natürlich  mit  einem  neuen  Gesang,  und  ein  mäßiges  En- 
semble aller  Beteiligten,  auf  einen  blöden  Text,  baut  sich  darüber.  Be- 
teiligte ? Nichts  haben  sie  miteinander  gemeinsam  als  den  Zwang  eines  ab- 
soluten Musikstücks. 

Die  Florestanarie  im  Kerker  ist  in  der  ersten  Opernform  das  Herz  des 
ganzen  Werkes.  Sie  hat  sich  bei  allen  späteren  Bearbeitungen  nur  verschlech- 
tert. Man  kennt  die  dunkelschöne  Graveeinleitung  mit  den  vier  Hörnern, 
den  Pauken,  die  gespenstisch  in  der  verminderten  Quint  a es  gestimmt  sind. 
Auf  diesen  Seiten  ist  nur  ein  Wehen,  ein  Pochen,  ein  Klagen,  ein  Brüten 
und  fernes  Gewittern,  ohne  banale  Substanz,  ein  Schauen  neuer  Welten  in 
neuen  Farben,  die  trächtig  wurden.  Man  kennt  die  in  die  Leonorenouver- 
türen  übergegangene  bittersüße,  tiefwühlende  Adagiomelodie  in  As,  wieder 
mit  einem  rührenden  „süßen  Trost“,  mit  ihren  unbeschreiblich  ausgearbei- 
teten Details,  die  eine  kleine  Synkope  oder  irgendein  B nuanciert.  In  der 
„Leonore“  folgte  ein  Andante  in  F-Moll,  mit  Sordinen,  eine  keusche  Trauer, 
von  Bläsern  umspielt  und  gehoben.  Der  Schluß  blieb  mild  und  wehmuts- 
voll. Nirgends  in  der  Oper  ist  das  Orchester  so  fein  verwebt,  so  reich  und 
farbig  und  wechselvoll,  wie  in  diesem  Stück.  Und  dies  wenigstens  hat  Beet- 
hoven beibehalten.  Aber  die  Musik  selbst  hat  er  in  der  zweiten  Ausgabe 
schon  wesentlich  verändert  oder  gekürzt,  in  der  dritten  ging  er  wohl  in 
manchem  wieder  auf  den  Ursprung  zurück,  erweiterte,  kürzte,  aber  gab 
zum  Schluß  dem  Virtuosen  nach.  Der  gequälte  Übergang  in  die  As-Dur- 
Melodie  auf  das  Wort  „Leiden“  ist  ganz  unstimmlich  gedacht,  und  der 
neue  Allegroteil,  der  von  dem  uralten  Ombratypus  noch  den  schönen  Anruf 
der  geliebten  Frau  übrig  behielt,  mit  dem  Oboensolo  und  den  zwei  Hörnern 
fein  schattiert,  ist  gegen  die  Stimmung  empfunden,  in  der  diese  Szene  er- 
dacht wurde.  Der  erschöpfte  Orchesterschluß  kann  daran  nichts  mehr 
ändern. 

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Wie  wirft  uns  diese  Oper  aus  Tiefen,  die  zu  Höhen  werden,  auf  Höhen, 
die  Abgründe  scheinen.  Rocco  und  Fidclio  steigen  ins  Gefängnis  herab, 
um  Florestans  Grab  zu  graben.  Man  gibt  ihnen  in  der  dritten  Form  das 
beliebte  Melodram,  das  mit  leitmotivischen  Erinnerungen  arbeitet.  Sie 
graben  „hurtig“,  Posaune  und  Kontrafagott,  Erlkönigrhythmus,  ein  har- 
monisches Wogen  mit  zeitweilig  schöner  Lichtkontur.  Aber  nun  begibt 
sich  ein  Wunder,  Beethoven  übermannt  die  reine,  schöne  Musik.  Die  beiden 
hurtigen  Gräber  finden  sich  mit  Florestan  im  Terzett,  das  aus  dieser  steinern 
großen  und  erhabenen  Melodie  in  blühenden  Wendungen,  natürlichem 
Aufbau,  süß  steigenden  Korresponsionen,  wiegenden  Begleitungsfiguren, 
schmeichelnden  Tonartenbiegungen,  gipfelnd  in  der  rührenden  Brot- 
reichung  an  den  gefesselten  Mann,  mit  der  musikalischen  Genialität  Mozarts 
sich  entwickelt.  Als  ob  es  Beethoven  zu  „schön“  gewesen  wäre,  verschlech- 
tert er  es  in  den  Änderungen.  Die  zweite  Form  hat  ganz  schädliche  Um- 
stellungen und  Kürzungen,  die  dritte  ist  nur  zum  Teil  wieder  besser,  wenn 
sie  sich  der  ersten  erinnert. 

In  vollem,  vielfachem  Orchester  gibt  sich  das  Quartett  aus,  scharf  in  seine 
Charaktere  gespalten,  die  zweite  dramatische  Gelegenheit  der  Oper,  da 
Pizarro  hinzutritt,  den  feigen  Mord  an  Florestan  zu  verüben.  In  der  Mitte 
steht  das  doppelte  Signal,  das  des  Ministers  rettende  Ankunft  verkündet. 
Ringsherum  kracht  es  von  Erregungen  und  drängenden  Willensentladungen 
in  all  jenen  eisernen  Tonkonsequenzen,  die  Beethovens  Handschrift  sind, 
im  stieren  diatonischen  Vorrücken,  im  rhythmischen  Herausstoßen  der 
Dominante  und  in  der  Dissonanz,  deren  äußerstes  Wagnis  das  hohe  H der 
Leonorc  war,  da  sie  sich  als  Florcstans  Weib  zu  erkennen  gibt,  ein  H auf 
G Des  Es!  Und  den  Schluß  dieser  wilden  Szene  siegelte  kein  gewohnter 
Dreiklang  — ganz  unaufgelöst  und  glotzäugig  ein  verminderter  Septimen- 
akkord! Es  braucht  nicht  gesagt  zu  werden,  daß  beides  später,  auch  schon 
im  alten  Klavierauszug,  salonfähig  gemacht  wurde.  Der  Leonore  wurden 
ordentlich  die  Haare  gekämmt. 

Leider,  leider  auch  im  Liebesduett,  wenn  man  dies  Jubellied  jauchzen- 
der Leidenschaft  so  nennen  kann.  Ja,  schwer  war  es  zuerst,  aber  ungeheuer 
schön.  Ein  großes  Rezitativ  mit  Oboensolo  leitete  es  ein,  Florestan  rief 
seine  Leonore,  wie  später  das  Orchester  den  Tristan  ruft,  es  wogt  herüber, 
wogt  und  wogt  höher  in  G-Dur  und  das  Duett  der  namenlosen  Freude 
schwingt  sich  gen  Himmel.  So  streng  und  einfach  in  aller  Expansion,  bald 
imitierend,  bald  parallel,  in  der  Mitte  wie  ein  Schluchzen  des  Herzens  milder 
und  freundlicher,  die  letzte  Spannkraft  dieser  zusammenschlagenden  In- 
strumente in  unserer  Kehle,  und  doch  nur  eine  Tristanvorstufe.  Reich  und 

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breit  ausladend  war  es  in  der  ersten  Konzeption,  es  hatte  blühende  Mittel- 
sätzc,  cs  führte  die  Motive  durch  die  verwandten  Harmonien  hoch,  und 
zweimal  kehrte  cs  in  das  Thema  zurück.  Alles  ward  frisiert.  In  der  zweiten 
Form  ist  das  Rezitativ  und  Duett  stark  zusammengezogen.  In  der  dritten 
das  Rezitativ  ganz  fortgelassen. 

Problematisch  wird  wieder  das  letzte  Finale.  F.s  beginnt  in  den  ersten 
zwei  Ausgaben  mit  einem  Rachechor,  in  der  dritten  mit  einem  Heilchor  — 
die  Wahl  bleibt  ziemlich  gleich.  Fernando,  der  menschliche  deus  ex  machina, 
tritt  auf  (es  muß  eine  weite  und  helle  Szene  sein),  er  bessert  sich  von  1805 
bis  1814  merklich,  zuletzt  appelliert  er  wirksam  an  die  Bruderfreundschaft. 
Die  Unterschiede  sind  groß,  aber  die  rührende  Stelle  der  Kettenabnahme 
ist  immer  dieselbe  geblieben.  Welch  ein  Augenblick!  Jetzt  stimmt  das 
himmlische  F-Dur  an,  das  in  absolutem  Oratoriensatz  ausströmende  Dank- 
gefühl, auf  ein  altes  Beethovcnsches  Motiv  gebaut,  in  doppeltem  Quarten- 
anstieg, lieblichem  Achtelgeflecht  und  mildem  Durskalaabstieg.  Es  hat 
seine  breiteste  und  beste  Form  in  der  ersten  Fassung:  die  Solisten  nehmen 
hier  den  Chor  erst  später  dazu.  In  der  zweiten  Fassung  hat  es  der  Chor  eiliger, 
in  der  dritten  ist  wohl  eine  gute  wachsende  Verteilung  der  Ensemblc- 
stimmen,  aber  die  Kürzung  ist  nicht  aufgehoben.  In  diesen  Körpern  klaffen 
blutige  Wunden. 

Der  Schlußgesang  steht  jetzt  aus.  Man  gelangt  um  so  hastiger  zu  ihm, 
je  später  die  Bearbeitung  liegt.  Dieser  selbst  verdient  in  der  letzten  Fas- 
sung den  Vorzug.  „Wer  ein  holdes  Weib  errungen“  ist  eine  harte,  starke, 
rhythmisch  geschlagene  Mannesmelodie,  nicht  unwert,  dem  Freudenchor  der 
Neunten  an  die  Seite  gestellt  zu  werden.  Beethoven  läßt  die  Oper  gut  sein, 
Florestan  und  Leonorc  sind  vereint,  Pizarro  wird  bestraft  werden  (wenn 
auch  zu  mild),  und  alles  steht,  den  großen  Oratorienabschluß  zu  singen. 
In  der  ersten  Ausgabe  variieren  erst  die  Solisten,  dann  der  Chor,  dann  Flore- 
stan über  dem  Chor,  in  der  zweiten  noch  Leonore  über  dem  Chor,  eine  fremde 
Stretta  schließt.  Das  ist  Symmetrie.  In  der  dritten  Ausgabe  beginnt  der 
Chor,  es  folgt  Florestan  mit  dem  Chor,  es  lösen  sich  die  Solisten  unter  Lco- 
nores  Führung  und  als  letzte,  breiteste,  gewaltigste,  durchgreifendste  Varia- 
tion findet  ein  reißendes  Gegenspiel  der  Solisten  mit  dem  Chor  statt.  Das 
ist  Kreszendo,  ist  symphonische  Dramatik  mit  den  Stimmen  als  beredtesten 
aller  Instrumente:  Variationen  über  die  absolute  Moral  einer  Oper,  die  ge- 
wesen ist. 

Zwischen  tiefster,  innerer  Ergriffenheit  und  der  sauren  Koloratur,  zwi- 
schen harter  italienischer  Konvention,  dramatischen  Wutausbrüchen  und 
ungeheurer  symphonischer  Landschaft  wird  diese  Oper  hin  und  her  gestoßen, 

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der  wahnsinnig  schöne  und  doch  verstümmelte,  vielleicht  verfehlte  Torso 
eines  Gottmenschen.  Ist  Mozart  Ton,  so  ist  Beethoven  Rhythmus.  Aber 
obwohl  er  Rhythmus  ist,  gehen  seine  ursprünglichen  Instinkte  nicht 
auf  das  Drama.  Mozart  ist  alles  in  einem,  er  ist  eines  in  der  ganzen 
Kraft.  Dies  ist  die  Beethovenreligion.  Er  schafft  und  zersplittert  in  der- 
selben Bewegung.  Er  erfindet  nur  von  der  absoluten  Musik  her,  von  der 
innerlich  webenden  und  stoßenden  Musik,  von  ihrem  Begriff,  von  ihrer 
Dynamik.  Selbst  die  Instrumente  empfindet  er  nicht  funktionell.  Vom  Ge- 
sang her  projiziert  er  niemals  sein  inneres  Bild.  Noch  weniger  vom  Wort, 
wie  cs  wenigstens  Wagner  zugestand.  So  einseitig  ist  er  und  so  groß  in  seinem 
Prinzip.  So  erhaben  über  Opernwesen.  Aber  taucht  inmitten  seiner  dyna- 
misch wahrhaften,  mit  ihrer  Menschenseele  atmenden  Phrasen  und  Motive 
einmal  die  schöne  Melodie  auf,  so  ist  sie  wie  gesättigt  von  der  umherlagern- 
den Tonlosigkeit  und  hat  das  Meer  und  die  Unendlichkeit,  die  wüstenweite 
Sehnsucht  im  Auge.  Dieses  sind  die  Arien  Florestans  und  Leonores. 


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OPERA  COMIQUE 
Monsieur  Bourgeois 

MONSIEUR  Bourgeois  wohnte  in  einem  bescheidenen,  aber  behaglichen 
Quartier,  nicht  weit  von  der  Banlieue,  durch  deren  Straßen  er  Soldaten 
in  den  Feldzug  ziehen  und  Landleute,  festlich  geschmückt,  in  die  Stadt 
kommen  sah,  was  sein  ständig  wiederkehrendes  Vergnügen  bildete  in  der 
Reihe  gleicher  Tage,  die  sein  Leben  füllten.  Es  war  eine  geräumige  Lustig- 
keit in  seinem  Herzen,  und  die  rührenden  Familienszenen,  die  sich  von  Zeit 
zu  Zeit  vor  ihm  abspielten,  hatten  im  Gegenteil  nur  den  Erfolg,  seine  wohl- 
wollende Weltanschauung  zu  festigen  und  einen  gewissen  romantischen 
Humor  in  ihm  zu  wecken,  der  allen  Stürmen  trotzte.  Er  las  Räubergeschich- 
ten, hatte  einen  gediegenen  Appetit  und  noch  gediegeneren  Durst  und  ließ 
sich  nach  dem  Souper  gern  von  Gevatter  Handschuhmacher  und  Schneider 
zu  einem  kleinen  Tänzchen  abholen.  Er  verehrte  seine  Nation,  die  Armee 
und  die  schönen  Damen. 

In  seinem  Garten  lag  von  alten  Jahren  her  ein  Lusthaus,  wie  alle  Lust- 
häuser mit  zwei  Eingängen,  über  der  einen  Tür  war  eine  Urne  mit  einer 
Flamme  in  Relief  geschnitten.  Das  Lusthaus,  einst  ein  verschwiegenes  Juwel 
der  Regence,  war  jetzt  in  Schönheit  verfallen,  seine  großen  Platten  waren 
losgelöst,  grünlicher  Schimmel  deckte  die  stolzen  Blöcke,  der  Wind  pfiff 
durch  die  Löcher.  Im  Innern  war  mancherlei  gut  erhalten,  das  gelbe  chine- 
sische Bett,  die  große  Muschclpendulc,  ein  Gemälde  der  vier  Jahreszeiten 
en  camaieu  und  verschiedene  merkwürdige  Porträte,  die  das  besondere 
Interesse  und  den  heimlichen  Haß  des  Herrn  Bourgeois  erregten.  Das  eine 
stellte  eine  Dame  als  Diana  dar,  schneeweiß  gepudert,  in  einem  himmel- 
blauen Kleid,  den  Halbmond  auf  der  Stirn,  in  der  Rechten  den  Bogen, 
in  der  Linken  ein  Rebhuhn  und  den  Windhund  zu  Füßen.  Man  konnte 
zweifeln,  ob  es  die  Mätresse  des  weiland  Besitzers  dieses  Schlößchens  war 
oder  gar  die  Marquise  selbst.  Jedenfalls  zeigte  das  andere  Bild  auch  un- 
verkennbare Porträtzüge,  eine  Omphale  auf  einem  Gobelin,  die  ihr  kleines 
Aschenbrödelfüßchen  in  einen  Herkuleskothurn  gesteckt  hatte  und  sehr  ver- 
liebt zu  diesem  Halbgott  aufblickte,  der  als  Galan  am  Spinnrocken  saß, 
von  Amor  und  dem  ganzen  Chorpersonal  der  alten  Oper  umgeben.  In  da- 

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maliger  Zeit  kam  Theophile  Gautier  häufig  das  Lusthäuschen  besuchen, 
das  er  für  eine  Novelle  brauchte.  Bourgeois  aber  hatte  so  deutliche  Zeichen 
der  Verachtung  für  diesen,  wie  er  sagte,  frivolen  Rest  eines  hermaphro- 
ditischen  Klassizismus,  daß  er  sicherlich  den  Pavillon  zerstört  hätte,  wären 
nicht  Historiker  und  Dichter  Hand  in  Hand  für  seine  Erhaltung  eingetreten. 
So  begnügte  er  sich  auf  gutes  Zureden  schließlich  damit,  das  gelbe  chinesische 
Bett  und  die  Muschelpendulc  in  seine  Wohnung  herüberzuholen  und  konnte 
später  nicht  leugnen,  daß  er  sich  mit  ihnen  einige  lustige  Stunden  verschafft 
hatte. 

Dieser  Bourgeois  war  dem  Schicksal  aller  liberalen  Herzen  unterworfen, 
am  Tage  zu  träumen  und  in  der  Nacht  zu  wachen.  Nachdem  ihm  die  Revo- 
lution den  Berechtigungsschein  der  Selbständigkeit  gegeben  hatte,  blieb 
er  zwar  durch  alle  Zeiten  sämtlicher  Kaisertümer,  Königtümer,  Restaura- 
tionen und  Republiken,  unter  allen  klerikalen  und  allen  bürgerlichen  Herr- 
schern seinem  harmlosen  Ideale  treu,  das  er,  von  Tagesereignissen  selten  er- 
schüttert, mit  einem  lachenden  und  einem  weinenden  Auge  pflegte,  aber  er 
verlängerte  doch  die  Stunden  nach  dem  Souper  bald  so  bedenklich,  daß  ihm 
während  der  einst  so  heiligen  Morgenandacht  noch  die  Tanzmelodien  des 
vergangenen  Abends  verführerisch  im  Blute  lagen  und  seine  Beine  heimlich 
hüpfen  machten.  Er,  der  Mann  der  Prinzipien  und  der  konsequenten  Morali- 
tät, er,  der  Volksbeglücker  und  überzeugte  Rechtsstaatler,  kennt  jetzt  kaum 
noch  eine  Situation,  die  er  nicht  in  ein  Tänzchen  auflöst,  kaum  eine  These, 
die  ihm  nicht  zur  Parodie  wird,  kaum  eine  Freude,  die  nicht  die  Ausspannung 
der  Frivolität  verlangt.  Er  hat  sich  ein  Theater  geschaffen,  das  ganz  sein 
Werk,  aber  auch  seine  Nahrung  ist,  beschränkt  genug,  um  eine  außerordent- 
liche Popularität  zu  erlangen  in  der  zärtlichen  Leichtigkeit  des  Gefühls, 
das  der  Geist  seiner  Nation  nach  Möglichkeit  vor  dem  Überschwang  bewahrt, 
und  in  der  rhythmischen  Wohlgefälligkeit,  die  den  Genuß  nur  empfiehlt, 
indem  sie  seine  musikalische  Methode  feststellt.  Der  Bourgeois  ist  der  Lehrer 
und  der  Schüler  der  opera  comique,  in  der  er  denselben  Fürsten  dekouvriert, 
mit  dessen  Requisiten  er  sich  möblieren  muß. 


Anfänge 

ER  gründet  sein  Theater  in  einer  Art  brusterweiternder  Opposition,  und 
er  führt  es  in  diesem  selben  Gefühle  fort,  das  sowohl  seinem  Freiheits- 
drang wie  seinem  Philisterium  genügt.  Er  stellt  sich  tapfer  gegen  die  eigene 
nationale  Oper,  weil  er  von  ihr  nichts  versteht,  und  er  wird  von  den  Enzy- 

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klopädisten,  die  seine  demokratische  Stimmung  in  Wissenschaft  bringen, 
eifrig  unterstützt.  Er  nennt  sich  stolz  Buffonist,  weil  er  in  den  einfacher 
und  rührenden  Scherzen  der  Italiener,  die  Paris  besuchen,  viel  mehr  Er- 
quickung findet  als  in  den  langweiligen  Klassizismen  der  Academie  royale. 
Das  berühmte  Jahr  1752  schreibt  er  sich  mit  goldenen  Lettern  in  sein  Ver- 
gnügungsbuch, denn  damals  kamen  die  Bouffons  mit  der  herrlichen  Serva 
padrona  in  die  Oper,  und  damals  schrieb  Rousseau  seinen  Devin  de  village, 
der  die  Huldigung  eines  so  großen  Mannes  an  die  Empfindungen  des  Volkes 
war  und  dennoch  französischen  Text  hatte.  Man  wies  die  Bouffons  zwei 
Jahre  darauf  aus,  aber  die  Freiheit  ließ  sich  nicht  knebeln.  Schon  hatte 
d’ Auvergne  seine  Troqueurs  geschrieben,  schon  folgten  überall  den  Über- 
setzungen und  Parodien  italienischer  Buffostücke  eigene  Arbeiten,  die  rüh- 
rigen Singspiele  Favarts,  und  selbst  Goldoni  gab  zu,  daß  die  Handlungen 
der  französischen  Opern  besser  seien  als  die  seiner  Landsleute.  Um  keinen 
Posten  zu  verlieren,  war  es  unbedingt  nötig,  die  Jahrmarktsbühnen  zu  stützen, 
die  seit  langen  Zeiten  dem  unverdorbenen  Geschmack  des  Volkes  in  kleinen 
Coupletstücken  schmeichelten.  Aber  niemand  verträgt  sich  schlechter 
als  die  Vorkämpfer  der  Freiheit,  und  nichts  ist  tyrannischer  als  die  Revo- 
lution. Die  Comedie  italiennc  sah  durch  den  stark  besuchten  Jahrmarkt 
ihre  Intermezzi  und  Vaudevilles,  die  die  französischen  Bürger  lockten,  be- 
droht und  führte  einen  heftigen  Kampf  gegen  ihn,  daß  die  Budenbesitzer 
zeitweilig  gar  nicht  oder  nur  stumm  oder  gar  mit  Marionetten  spielen  mußten. 
Endlich,  1762,  gelingt  die  Versöhnung,  und  das  Institut  der  Opera  comique 
wird  geboren,  später  auch  so  getauft.  Aber  sofort  gibt  es  eine  ganze  Reihe 
von  Theatern  der  komischen  Musik  in  Paris,  die  sich  ebenso  befehden,  wie 
die  Spezies  einst  von  der  Regierung  befehdet  wurde : von  der  offiziellen  Oper, 
die  ihnen  allen  noch  lange  verbot,  eine  durchlaufende  Musik  zu  bringen. 
Nun  so  hatte  der  Bürger  wenigstens  seinen  Dialog,  den  er  sicherlich  ver- 
stand. Er  hatte  seinen  Freihandel  und  seine  getreue  Opposition.  Er  hatte 
die  Wahl  in  seinen  Theatern,  ob  die  salle  Favart  oder  das  Feydeautheater, 
das  Variete,  das  Renaissance,  das  Lyrique  und  dann  die  Bouffes  des  Herrn 
Offenbach,  die  den  alten  Namen  wieder  zu  Ehren  brachten.  Er  sah  den 
sozialen  Wettkampf  seine  Früchte  tragen,  und  schnell  wuchs  die  Gattung 
aus  dem  Singspiel  zur  Oper.  Man  verehrte  Duni  als  ihren  ersten  rechten 
Meister.  Er  war  aus  Parma  gekommen,  also  französisch  gebildet,  und  sein 
„Milchmädchen“  mit  dem  Vaudevillerefrain  le  pot  au  lait  verse  par  terre 
ist  heut  noch  ein  nettes  Beispiel  dieser  frühen,  halb  italienischen  strengen 
Manier.  Man  verehrte  Monsigny,  der  noch  bis  1817  lebte  und  fleißig  mit 
Sedaine  arbeitete : sein  Deserteur,  mit  vielen  Liedchen,  etwas  flauem  Gefühl 

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und  reichlichem  Witz  ist  heut  noch  nicht  ganz  tot.  Man  verehrte  Philidor, 
der  von  seiner  großen  Begabung  gerade  dieser  leichten  Kunst  viel  Fortbild- 
sames zufließen  ließ,  und  verehrte  vor  allen  Gretry,  der  einzige,  den  Grimm 
bis  zum  Ende  ernst  nahm,  den  alle  Parteien  hochschätzten,  der  endlich  die 
letzte  italienische  Erinnerung  überwand  und  nicht  bloß  die  Opernmöglich- 
keit in  französischem  Genre  bewies,  sondern  auch  eine  Musik  schrieb,  die 
vortrefflich  war. 


Inhalte 

IN  diesem  beschränkten  Kreise  pflegte  man  eine  bestimmte  Reihe  von 
Szenen  und  Figuren,  die  sich  um  so  lieber  wiederholten,  als  man  Grund 
hatte,  alle  Überraschungen  fremdartiger  Stoffe  oder  Probleme  zu  vermeiden. 
Man  wollte  genießen  und  sich  nicht  anstrengen,  man  mischte  Gefühl  und 
Satire,  um  das  Herz  und  den  Kopf  nicht  auf  gegenseitige  Kosten  zu  überlasten. 
Der  Sinn  für  einfache  liedartige  Liebesscntiments  war  in  dem  alten  Sing- 
spiel Adam  de  la  Haies  aus  dem  13.  Jahrhundert  bereits  in  ganzer  Klarheit 
durchgebildet  und  sein  Jeu  de  Robin  et  Marion,  eine  Perle  der  archaischen 
französischen  Musik,  hatte  28  Nummern,  echte  oder  künstliche  Volkslieder, 
die  auch  ein  späterer  Adam  sich  in  seine  Opern  einzusetzen  nicht  geniert 
hätte.  Zu  der  Liebe  trat  der  Spott,  als  die  französische  Zunge  spitzer  und 
der  Geist  geschliffener  wurde.  In  der  Zeit  der  Favartschen  Singspiele, 
als  dessen  vielbewunderte  und  vielbegehrte  Frau  die  Pariser  durch  ländliche 
Couplets  und  satirische  Parodien  in  eine  doppelte  Bewegung  setzte,  war 
der  Spott  das  unumgängliche  Salz  dieser  populären  Speise.  Und  er  hat  bis 
zur  Schönen  Helena  niemals  in  seinem  Übermut  nachgelassen,  kleine  geistige 
Empörungen  zu  inszenieren,  die  mindestens  so  gewohnt  wurden  wie  die 
politischen.  Niemals  sonst  sind  Spott  und  Lyrik,  die  beiden  Seelen  dieser 
Musik,  in  solche  Beziehungen  und  auch  Verlegenheiten  geraten,  wie  hier. 
Der  Spott  mußte  zu  einer  Akrobatik  der  Gefühle  führen,  die  deren  Echtheit 
zur  Farce  machte.  Entschloß  man  sich  vom  Geiste  des  Tanzes  aus  ohne 
Skrupel  zu  diesem  Schritt,  so  war  die  Operette  geschaffen,  deren  Wesen 
darin  besteht,  daß  sich  niemand  mehr  ernst  nehmen  darf.  Entschloß  man  sich 
aber  nicht  zu  dieser  letzten  Konsequenz,  so  mußte  der  Tanz  aus  getäuschter 
Eitelkeit  zum  Verbrecher  werden  und  ordinäre  Gesten  annehmen.  Paris 
schwankte  zwischen  der  intimen  balladesken  Lyrik  der  Chopinschen  Tänze 
und  der  sinnlich  schweren  Luft  der  Walzer  und  Polkas  im  Salon  des  um- 
schwärmten Tanzlehrers  Cellarius  und  draußen  auf  den  rasend  besuchten 
öffentlichen  Bällen.  Die  Atmosphäre  wechselte  in  beiden  Stimmungen,  sie 

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Par  per  Mission 

LES  CO  MED  I EN  S 

FRANQOIS  ET  ITALIENS 


MAHOMET  1 OU  LE  FANATISME 

TrajfaU  4«  Mi  J*  VcUjf».  arte  As  fcn  SpaOacJe  et  San» 

DES  CHASSEURS  OU  LA  LAITIERE 

OH»  BmuSoh  ta  un  A&*  At  Mi  Arfcafav  «au  en  m-afiqu*  ptf ! '.r.Diry. 


Theaterplakat  1768 


lag  in  ihren  Witterungs- 
einflüssen meßbar  auf 
allen  Opern  der  Zeit. 

Colin  und  Colette  sind 
ein  wenig  eifersüchtig  auf- 
einander, aber  ein  Dorf- 
wahrsager vereinigt  sie 
schließlich  durch  seine 
schlauen  Künste.  Diese 
einfache  Geschichte,  die 
den  Inhalt  von  Rousseaus 
Devin  bildete,  wäre  harm- 
los genug  gewesen,  wenn 
nicht  die  eingefügte  Pan- 
tomime eines  Hofmannes, 
der  einem  Landmädchen 

nachstellt,  den  Bauern  bedroht,  aber  sie  zuletzt  auf  ihr  Flehen  zusammenläßt 
der  Szene  eine  bewußt  bourgeoise  Pointe  gegeben  hätte.  Der  Typ  wai 
damit  festgestellt,  der  sich  unendlich  oft  wiederholte.  Die  genauen  Vor- 
schriften des  Komponisten  beim  Rezitativ  „ferme“  oder  „ironie  et  depit“, 
,,anime“,  „menace“,  „douleur  tendre“  mußten  den  Ausdruck  und  das  Ge- 
bärdenspiel so  heben,  wie  es  dieses  Genre  wünschte.  Seine  Musik,  in  den 
ursprünglichen  wie  in  den  nachkomponierten  Stücken,  brauchte  nicht  gar  zu 
bedeutend  zu  sein,  um  den  natürlichen  Erfolg  seines  Werkes  zu  machen, 
das  die  Wahrheit  mit  einem  Körnchen  Ironie  gegenüber  der  Phrase  und 
Konvention  vertrat.  Die  reizenden  Ländler,  Menuette  und  Couplets  hingen 
als  leicht  verständliche  Volksmusik  genug  im  Ohr,  und  die  Lieder  auf  die 
simple  nature,  die  naivete  de  l’amour,  Colcttes  Anklage  des  fracas  de  la  ville 
schmeichelten  dem  erwachenden  Sinn  für  gesunde  und  unverdorbene  Tu- 
genden des  Landes.  Es  war  in  der  Tat  ein  musikalischer  Protest  gegen  die 
Degeneration  der  Kultur,  dessen  Ehrlichkeit  sicherlich  reiner  war  als  die  der 
Schriften  seines  Autors,  wenn  er  ihnen  auch  an  geistiger  Potenz  nachstand. 
Rousseaus  Bekenntnisse,  nicht  am  wenigsten  dort,  wo  er  von  dieser  seiner 
Oper  spricht,  sind  theatralisch  genug,  um  dieses  sein  wirkliches  Theater 
untheatralisch  erscheinen  zu  lassen. 

Der  Ausbau  der  komischen  Oper  hatte  noch  nicht  einmal  nötig,  alle 
Laster  zu  persiflieren,  die  Moliere  aufdeckte,  und  alle  Tugenden  zu  preisen, 
die  Racine  und  Corneille  übersahen,  um  ein  ganzes  schönes  kleines  Theater 
voll  Herzlichkeit  und  Spottseligkeit  zu  erfinden,  das  Generationen  genügte. 

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Man  wurde  nicht  müde,  die  Eleganz  des  Städters  und  die  Schlichtheit  des 
Landbewohners  gegenüberzustellen,  man  variierte  das  Motiv  bis  in  die  Ver- 
kleidungen von  Landmenschen  zu  Stadtmenschen,  die  wir  aus  dem  „Postil- 
lon“ kennen,  wie  wir  das  Umgekehrte  aus  Flotows  Martha  kennen.  Man 
übernahm  von  der  Buffooper  die  Persiflagen  der  sogenannten  hohen  Kunst, 
alles  Deklamierens,  Opernspielens,  Virtuossingens,  des  resoluten  Orchesters 
und  der  archaischen  Geziertheit.  Man  verspottete  den  Geiz  und  lobte  die 
Armut,  lachte  über  das  Gefängnis  und  pries  die  wunderbaren  Rettungen, 
die  zuweilen  schon  bis  zu  modernen  Erlösungen  auswuchsen.  Man  parodierte 
die  Geistcranrufungen  und  erfand  köstliche  Märchenträume  in  einer  neuen 
klingenden  Romantik.  Man  ließ  die  Diener  als  Herren,  die  Herren  als  Diener 
alle  Standesunterschiede  verlernen  und  erreichte  durch  verblüffende  Briefe 
oder  Testamente  Schlußheiraten,  die  alle  Gesetze  und  Vorurteile  aufhoben, 
so  daß  liebende  Geschwister  plötzlich  als  Nichtgeschwister,  liebende  Bauern 
plötzlich  als  geborener  Adel  entlarvt  werden.  Man  schwärmte  für  Räuber, 
Soldaten,  Jagd,  Trinken,  Spielen,  vor  allem  die  schelmische  Lotterie,  und 
konnte  keine  Bühne  mehr  vertragen,  auf  der  nicht  etliche  dieser  Vergnügungen 
vorgeführt  wurden.  Ein  bißchen  Beten  war  als  Gewissenserleichtcrung  da- 
bei immer  angebracht,  und  nichts  verdiente  einen  gerechteren  Tadel  als  der 
tatenlose  Schlaf,  der  mit  allen  seinen  optischen  und  akustischen  Neben- 
erscheinungen einem  periodischen  Spott  verfiel.  Um  in  guter  Gesellschaft 
zu  sein  bevorzugte  man  alle  ehrlichen  Handwerker,  die  lustigen  Studenten, 
die  armen  rührenden  Savoyardcn,  die  singenden  Spinnerinnen  und  klappern- 
den Müller,  die  Marktweiber,  die  Brauer,  die  Konditoren,  die  Parfümeusen, 
kurz  die  kleinen  Leute,  die  die  Szene  unseres  täglichen  Lebens  bevölkern 
und  das  musikalische  Herz  auf  dem  rechten  Fleck  haben.  Ein  wenig  exo- 
tische Würze  aus  Spanien,  Italien,  Schottland,  Indien  oder  gar  China  ent- 
spricht dem  steigenden  geographischen  Bewußtsein  der  Weltausstellungs- 
epoche, und  Offenbachs  Brasilianer  mit  seiner  Handschuhmacherin  em- 
pfehlen sich  als  letzte  Nachkommen  dieser  zeitgemäßen  Mischung. 

Einer  Bühne,  die  solch  bunten  Apparat  in  Bewegung  setzt,  um  die 
Hochzeit  zweier  Liebender  in  gebührender  Variation  zu  schildern,  mußte 
die  Musik  ihre  liebenswürdigsten  Dienste  widmen.  Es  kam  nicht  so  sehr 
auf  die  Originalität  und  Eigensinnigkeit  der  Erfindung  an,  und  man  machte 
sich  gewiß  nichts  daraus,  dieselben  diatonischen  Schritte  oder  Dominanten- 
spiele oder  tänzerischen  Exzesse  immer  wieder  zu  hören.  Im  Ehernen 
Pferd  sang,  wie  mir  gerade  einfällt,  Taogin  ein  reizendes  Liedchen  oh  raon 
mari,  mon  petit  mari,  das  man  in  Dreiviertel  umgesetzt  in  Caspers  „Die 
Tante  schläft“  wiedersah,  was  natürlich  niemanden  verhinderte,  diese  alte 

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Operette  sehr  anziehend  und  wirksam  zu  finden,  so  daß  man  sie  jetzt  sogar 
neu  druckte.  Nein,  der  typische  Bestand  an  elegantem,  melodischem,  an 
sauberem  harmonischem  Material  war  in  der  Regel  nicht  sehr  bedeutend 
und  zog  vielmehr  seine  größere  Kraft  aus  den  rhythmischen  Verschieden- 
heiten, die  dem  Temperament  dieser  Nation  besser  lagen.  Gestoßene  Achtel, 
punktierte  Ketten,  das  Weben  fliegender  Sechzehntel,  die  Takte  der  Polonäse, 
des  Bolero,  des  Gitarrenständchens  und  aller  europäischen  Tänze,  phan- 
tastische Rhythmen  in  komischer  Zerrissenheit  und  grotesker  Nachahmung 
und  alles  buffolustige  Einbauen  der  Sprache  in  die  architektonische  Gliede- 
rung geben  der  Melodie  und  Harmonie  hier  erst  ihr  Blut,  ihren  Lebens- 
saft. Abnormitäten  sind  selten,  und  Stellen  wie  der  Fünfviertelmittelsatz 
in  Georgs  Cavatine  aus  der  Weißen  Dame  oder  auch  nur  fünftaktige 
Perioden  wie  in  der  Chanson  provenfale  des  Eremitenglöckchens  werden 
fast  als  Raffinements  empfunden.  Diese  Musik  liebt  klare  Nummern  und 
eine  Einfachheit  der  Stimmführung,  die  sie  selbst  in  den  großen  charakte- 
ristischen und  oft  bedeutenden  Ensembles  nie  verläßt.  Ihr  Hauptmaterial 
ist  das  Lied,  das  strophenförmige  Couplet,  das  Rondovaudeville,  auch  die 
Erzählung  in  Liedform,  vor  allem  die  Romanze,  an  der  alle  musikalischen 
Jünglinge  arbeiten  und  die  das  Entzücken  der  Salone  ist  und  die  Stütze 
der  Oper.  Sie  gibt  dem  Stück  sein  Interieurlicht,  seine  Farbe  und  Einheit. 
Ihr  zu  Liebe  läßt  man  sich  auch  ein  bißchen  Arie  gefallen  und  alle  Koloratur, 
die  für  die  Triumphe  der  Sänger  vonnöten  ist.  Dann  aber  tritt  das  Lied 
vor  und  reicht  dem  Tanz  die  Hand,  lächelnd  ihre  alte  Liebe  durch  einen 
Kuß  besiegelnd,  dem  kein  Zuschauer  widerstehen  kann.  Und  wieder  wird 
alles  Rhythmus  und  Gleichtakt,  Marschlicd,  Soldatenlied,  Jagdlied,  Trink- 
lied, von  Jahr  zu  Jahr  mehr  Tanz,  bis  sich  kein  Ariensänger  und  kein  En- 
semble mehr  halten  kann,  ohne  in  eine  Galoppade  auszubrechen.  Die  Wollust 
des  Hörers  aber  ist  die  Vorbereitung  auf  diesen  großen  nationalen  Moment 
des  Tanzes,  dieses  Warten  und  Stechen  und  Kitzeln  auf  der  Dominante, 
noch  einmal  und  noch  einmal,  beinahe  ebensoviel  Vorbereitung  als  Genuß, 
ein  Neugierigmachen,  ein  Kokettieren,  ein  Stückchen  Pariser  Liebesschule  — 
die  Regence  hatte  es  nicht  anders  getrieben  als  das  second  empire,  und  das 
chinesische  Bett  wird  neu  bezogen.  Arme  Colette,  du  bist  von  derselben 
Musik  betrogen,  der  du  einst  dein  treues  Herz  geöffnet  hast.  Wie  singt 
Offenbachs  Blaubart  ? 

Ma  premicrc  femme  cst  mortc 

Et  que  le  diable  m’emportc 

Si  j’ai  jamais  su  commcnt. 


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Lebenstypen 

EINES  Tages  wohnte  Rameau  einer  Probe  bei,  die  Rousseau  von  seinem 
Werke  veranstaltete.  Rousseau  konnte  sich  nicht  enthalten,  ihn  nach 
seinem  Urteil  zu  fragen,  aber  Rameau  war  vorsichtig  und  schien  zu  zögern. 
Dreimal  fragte  ihn  Rousseau,  dreimal  antwortete  Rameau : „Soll  ich  die  Wahr- 
heit sagen?“  Rousseau  war  unklug  genug,  darauf  zu  bestehen,  und  der 
andere  sagte  frei  heraus:  einiges  sei  gut,  einiges  sei  schülerhaft,  die  Rezi- 
tative  zeigen  eine  andere  Hand.  Seitdem  war  die  Feindschaft  der  beiden 
besiegelt,  die  ja  tiefere  Gründe  hatte.  Gretry  erzählt  diese  Geschichte  in 
einem  Briefe  an  den  Padre  Martini  und  faßt  Rousseaus  Erbitterung,  die  in 
dem  berühmten  Artikel  des  Dictionnaire  über  Rameau  zum  Ausdruck  kam, 
als  bloße  persönliche  Ranküne  auf.  Er  hatte  wohl  Grund  dazu,  denn  ihm 
selber  war  Rousseau  nicht  anders  begegnet.  Es  ist  bei  der  Aufführung  von 
Gretrys  Fausse  Magie.  „Ich  bin  glücklich.  Sie  kennen  zu  lernen,  Herr 
Gretry.“  „Sehr  liebenswürdig.“  „Haben  Sie  auch  eine  Frau?“  „Ja,  sie 
ist  eine  Künstlertochter.“  „Das  ist  gerade  das  Rechte,  ich  liebe  die  Natur- 
kinder, wir  wollen  recht  oft  Zusammensein.“  Die  beiden  gehen  zusammen 
fort  und,  da  gerade  auf  der  Straße  gearbeitet  wird,  ist  Gretry  so  höflich, 
Rousseau  beim  Übergang  ein  wenig  zu  stützen.  Rousseau  aber  stößt  ihn 
zurück  und  sagt:  „Lassen  Sie  mich  bitte.  Ich  helfe  mir  allein.“  Er  nahm 
es  todübel,  und  sie  haben  sich  nicht  wieder  gesehen.  Gleichwohl,  wie  das 
Schicksal  ist,  Gretry  wohnte  später  in  derselben  Montmorencywohnung,  die 
Rousseau  berühmt  gemacht  hat. 

Aber  schalten  wir  Rousseau,  den  philosophischen  Begründer  einer  höchst 
unphilosophischen  Kunstgattung,  aus;  seine  persönliche  Reizbarkeit  fällt 
ganz  aus  dem  Stil  der  Komponisten  dieser  Schule,  die  stets  von  einem  großen 
Wohlwollen  und  oft  einem  selbstlosen  Interesse  für  einander  beseelt  waren. 
Der  einzige  Intrigante  unter  ihnen  war  Isouard,  den  dafür  heut  das  Volk 
auch  vergessen  hat.  Er  schuf  dem  jungen  Auber  Schwierigkeiten,  und  er 
trat  mit  Boieldieu  in  einen  persönlichen  Konkurrenzkampf.  Er  machte  die 
Erfahrung,  daß  die  Akademie  ihn  nicht  nach  dem  Maße  einschätzte,  wie  er 
sich  selbst.  Nach  Monsignys  Tode  fanden  Wahlen  statt  für  dessen  Nach- 
folger. Die  Entscheidung  fiel  schwer,  und  erst  nach  zwölf  Touren  gab  man 
Catel  den  freien  Sitz.  Mehul  starb,  und  Boieldieu  kam  an  dessen  Stelle. 
Isouard  wurde  sehr  traurig  und  soll  an  diesem  Arger  dahingesiccht  sein. 
Die  anderen  aber  hielten  gut  zusammen  und  fanden  sich  mit  Vergnügen  be- 
reit, Gelegenheitsopern  gemeinsam  zu  arbeiten.  Eine  solche  Kompanie- 
arbeit wie  in  dieser  Zeit  hat  es  nie  wieder  gegeben  und  Stücke,  die  von 

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mehreren  Librettisten  ver- 
faßt und  von  noch  mehr 
Komponisten  vertont  wa- 
ren, gehörten  nicht  mehr 
zu  den  Ausnahmen.  Jeder 
machte  seine  Nummern, 
und  das  Ganze  gewährte 
dem  Publikum  den  Spaß, 

Namen  zu  raten,  und  der 
Kritik  den  Ruhm,  Namen 
zu  deuten.  Boicldieu  führte 
in  einer  solchen  Oper,  Char- 
les de  France,  den  jungen 
Herold  ein,  Cherubini  kom- 
ponierte nicht  nur,  son- 
dern malte  sogar  mit  Boiel- 
dieu  zusammen,  und  Adam 
schätzte  Auber  so  hoch, 
daß  er  dessen  Jugendwerke 
gern  seinen  ängstlichen 
Schülern  zeigte : „Seht  ihr, 
das  schrieb  er  im  Anfang, 
es  war  nichts,  und  er  ist 
doch  ein  so  großer  Meister 
geworden.“  Sobald  einer 
außerhalb  dieser  Gruppe  zu  Wort  kam,  klang  das  Urteil  gleich  anders.  Berlioz 
hat  im  Journal  des  Debats  eine  vernichtende  Kritik  über  Zampa  ge- 
schrieben, die  so  ungerecht  wie  möglich  ist:  er  wirft  Herold  die  vielen  Vor- 
halte vor,  die  die  Akkorde  denaturieren,  die  Herbheit  der  Dissonanz  zur 
Diskordanz  steigern  und  Süßigkeit  in  Fadheit  wandeln.  Gewiß  ist  Zampa 
kein  Meisterwerk,  aber  gerade  die  Ouvertüre,  die  Berlioz  vor  allem  treffen 
will,  ist  noch  ihr  Bestes  und  von  solchen  Fehlern  ganz  frei.  Herold  begnüge 
sich,  sagt  er,  mit  Motiven,  so  winzig  und  unbedeutend,  wie  Rossini  sie  etwa 
mal  fallen  lasse,  wenn  er  müde  sei.  Rossini  selbst,  wohl  bewußt,  was  ihm 
viele  dieser  Kollegen  an  Rhythmus  und  Linie  verdankten,  stellte  sich  bedeu- 
tend freundlicher.  Er  wohnte  eine  Zeitlang  mit  Boieldieu  im  gleichen  Hause 
Boulevard  Montmartre  io.  Rossini  lobt  die  Versteigerungsszene  der  Weißen 
Dame  über  alles,  die  gute  Führung  und  das  stilvolle  Ensemble.  „Wir, 
lieber  Boieldieu,  wir  Italiener  hätten  viel  mehr  Lärm  dabei  gemacht  mit 


Rousseau.  Stich  von  Jugouf 


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felicitä,  felicitä  und  solchen  Dingen.“  Boieldieu  ist  gerührt,  und  als  er  sich 
empfiehlt,  um  in  seine  höhere  Etage  hinaufzugehn,  sagt  er  zum  Abschied: 
„Ich  bin  Ihnen  doch  nur  über,  Meister,  wenn  ich  schlafe.“  Die  Bewunde- 
rung Rossinis  geht  in  dieser  Zeit  über  alles  hinaus,  was  wir  uns  heut  vor- 
stellen können.  Er  war  ein  Gott,  ohne  Widerspruch.  Man  sagte,  Haydn 
und  Mozart  könne  man  nachmachen,  aber  schlecht,  Rossini  sei  unnachahm- 
lich, er  habe  einen  neuen  Stil  geschaffen,  der  sein  Eigentum  sei.  Sein  Bonmot 
ist  das  Orakel  dieser  ganzen  Familie  von  Autoren,  die  füreinander  lebt,  wirbt, 
arbeitet  und  hofft.  Ein  natürliches  Mittel,  dieser  Gemeinsamkeit  Ausdruck 
zu  geben,  finden  sie  in  der  Schriftstellerei.  Von  Favart  bis  zu  Adam  schreiben 
sie  fast  alle,  Erinnerungen,  Kritiken,  Hymnen,  mit  vielem  Geist  und  noch 
größerer  Herzlichkeit,  selten  etwas  Abfälliges  über  ihre  Kollegen.  Die  ganze 
Zeit  ist  förmlich  belegt  mit  plaudersamen  Memoiren  der  Autoren,  die 
dieselbe  Behaglichkeit  ausströmen  wie  ihre  Werke  und  zu  der  Hochschätzung 
dieser  Stücke  so  viel  beigetragen  haben,  daß  wir  uns  heut  wundern  müssen, 
wie  ernst  man  die  kleinste  komische  Oper  nahm.  Der  nationale  Familien- 
sinn der  Opern  selbst  scheint  sich  in  ihnen  widerzuspiegeln  und  hat  bis 
auf  ihren  jüngsten  Biographen  fortgewirkt,  Pougin,  der  Boieldieu  gegen 
Wagner  ausspielt  und  Herold  mit  Weber  vergleichen  möchte. 

In  dieser  Familie  gibt  es  freilich  keine  Rossinis,  es  sind  alles  nette  kleine 
Leute,  bald  etwas  fleißiger,  bald  etwas  leichtsinniger,  die  im  allgemeinen 
ihren  gleichen  Trab  gehen  und  von  der  Bourgoisie  ihrer  Werke  sich  so  viel 
angeeignet  haben,  daß  sie  von  ihrer  Biederkeit  abfärben.  Die  meisten  von 
ihnen  fangen  ein  bißchen  dilettantisch  an,  um  dann  durch  ernstere  Studien 
die  innere  Wandlung  zu  erleben,  und  viele  geben  eine  Kaufmannskarriere  auf, 
um  dem  schöneren  Ziel  zu  folgen,  als  Romanzenkomponisten  die  Damen 
zu  entzücken.  So  sehen  wir  den  jungen  Auber  in  den  Salonen  des  Fürsten 
Chimay  mit  seinen  leichten  Liedern  glänzen,  bis  ihn  der  Tod  des  Vaters 
zum  Beruf  zwingt  und  er  zu  Cherubini  geht  — „arbeite!“  — „ich  bin 
es  nicht  gewohnt“  — „so  stürz  dich  zum  Fenster  hinaus.“  Auber  nennt  die 
Zeit  vor  dieser  Katastrophe  die  seines  Brautstandes  mit  der  Musik,  sic  war 
seine  Geliebte  gewesen,  jetzt  wurde  sie  seine  Frau.  Boieldieu  fühlte  es  nicht 
anders;  auch  sein  Erweckcr  und  Gewissenspeiniger  ist  Cherubini,  und  von 
diesem  Augenblick  an  hört  er  auf  „glücklich  zu  sein“.  Obdachlos  war  er  von 
Rouen  nach  Paris  gekommen,  seine  erste  Oper  erlebt  er,  als  er  die  Nacht 
auf  der  Flucht  bei  Hirten  zubringt.  Was  soll  er  in  Paris?  Er  will  sich  in  die 
Seine  stürzen,  ein  alter  Diener  seines  Hauses  rettet  ihn.  Zweite  Oper. 
Er  verliebt  sich  in  die  Tänzerin  Clotilde  Malfleurai,  er  heiratet  sie,  aber  sie 
bleibt  die  Dirne,  die  sie  gewesen  ist.  Er  flüchtet  vor  ihr  nach  Rußland, 

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Grctry.  Lithographie  nach  Le fc vre- Maurin 


den  Spuren  Garats  folgend,  der  einst  seine  ersten  Romanzen  in  den  Salonen 
gesungen.  Dritte  Oper?  Ach,  das  sind  alles  keine  großen  Erlebnisse  und  er 
muß  ruhig  warten,  bis  diese  Frau  stirbt.  Eine  ähnliche  Geschichte  kehrte 
schon  in  friedlicherer  Form  bei  Adam  wieder.  Da  war  es  ein  Vaudeville- 
mädel, und  er  muß  sie  gegen  den  eigenen  Willen  heiraten.  Alle  brechen 
mit  ihm.  Aber  er  erreicht  die  Scheidung,  und  als  auch  er  nach  Rußland 
geht,  ist  es  nicht  aus  solchen  Gründen.  Diese  Leute  machen  nicht  viele 
Reisen,  sie  sitzen  in  Paris  fest  und  haben  nichts  von  der  Fremde  und  von  der 
Natur.  Adam  beschreibt  in  seinen  Erinnerungen  eine  Reise  nach  Grindel- 
wald. Es  kommt  dabei  nichts  heraus  als  Angst  vor  Gletschern.  Sie  sind 
große  Arbeiter  und  spinnen  sich  ein.  Sie  schreiben  so  unendlich  viel,  daß 

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man  gar  nicht  klug  daraus  wird.  Selten  entschließen  sie  sich,  wie  Monsigny 
und  Boieldieu,  Schluß  zu  machen,  wenn  sie  merken,  daß  es  nicht  mehr  geht. 
Sie  müssen  auch  verdienen.  Nicht  alle,  wie  dieser  Monsigny,  verstehen  sich 
auf  Nebeneinnahmen  aus  Domänen-  und  Kanalinspektionen.  Das  war  noch 
die  alte  Zeit.  Jetzt  ist  man  ja  nichts  als  ein  Berufsmusiker  und  kann  nicht 
mehr  mit  dem  Ruhme  auskommen,  wie  Gretry,  der  wenig  Ämter  hatte. 
Man  wird  Direktor  und  Lehrer  am  Konservatorium,  Hofkapellmeister 
oder  so  etwas,  aber  die  politischen  Wellen  spülen  diese  Stellen  weg  wie  Sand. 
Da  gibt  es  im  besten  Fall  kleine  Pensionen.  Oder  die  neue  Gründerwut 
entflammt  auch  die  Komponisten.  Adam  gründet  schon  ein  Theätre  Natio- 
nal und  verkracht  erst  recht.  Also  komponiert  man  eben  ruhig  weiter  und 
wie  es  kommt,  so  ist  es.  Das  Leben  ist  ja  immer  dasselbe,  und  bleibt  man 
heiter,  so  tut  es  einem  nicht  viel.  Man  schreibt  und  schreibt  und  richtet 
sich  ein,  auch  mit  dieser  verfluchten  Politik,  die  einem  den  Stuhl  unter 
dem  Rücken  fortzieht  und  die  einen  doch  so  herzlich  wenig  interessiert. 
Man  hat  seine  freiheitliche  Gesinnung,  die  aus  England  gekommen  sein  soll, 
wie  diese  Musik  aus  Italien  gekommen  sein  soll.  Man  weiß  das  schon  gar 
nicht  mehr.  Gelegentlich  wird  ein  aktuelles  politisches  Stück  komponiert, 
je  nach  der  Lage  Barras,  Denys  lc  tyran,  Henri  IV.  oder  Bayard  ä Mezicres, 
sonst  seien  wir  froh,  mit  dieser  Angelegenheit  nichts  zu  tun  zu  haben.  Es 
kommt  vor,  daß  Opern  politische  Erregungen  auslösen,  sagt  man  uns.  Wir 
wissen  nichts  davon,  das  muß  ein  Zufall  sein.  Die  Musik  ist  eine  unpolitische 
Macht,  und  vielleicht  wird  sie  gerade  darum  unsere  Opern  viel  länger  am 
Leben  erhalten.  Legt  die  Liste  von  Aubers  Opern  neben  die  Geschichts- 
tabelle, sie  berühren  sich  nicht  im  geringsten.  Freilich  haßte  er  die  Kommune, 
und  es  war  ein  Glück  für  ihn,  als  er  mitten  in  ihrem  Trubel  1871  starb, 
daß  man  erst  geordnete  Zustände  abwartetc,  ehe  man  ihn  beerdigte.  Eben 
weil  er  das  Geordnete  liebte,  war  er  unpolitisch.  Denkt  nur  an  den  guten 
Boieldieu,  den  sie  beinahe  für  einen  Verschwörer  gehalten  und  dem  sie 
ein  Finale  machen  wollten,  für  das  er  sich  bedankt  hätte.  Er  sandte,  als  er 
sich  in  der  Stellung  des  Petersburger  Hofkompositcurs  von  seiner  Clotilde 
erholte,  einmal  eine  Oper  in  verschiedenen  Paketen  nach  Paris  und  nume- 
rierte sie  si,  mi,  sol.  Aha,  denkt  der  Grenzwächter,  dich  haben  wir,  das  heißt 
six,  das  heißt  mille,  das  heißt  soldats.  Tableau!  Mag  sein,  daß  diese  Kom- 
ponisten sechstausend  Soldatenlieder  geschrieben  haben,  aber  das  war  für 
die  Armee  der  Großherzogin  von  Gerolstein. 


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Ellcviou  als  Jean  de  Paris.  Lithographie  Dclpcch 


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■ 


Generationen 


ZWEI  Generationen  von  Komponisten  lösen  sich  in  dieser  Familie  ab, 
den  größten  Lebensbogen  spannt  Auber,  der  89  Jahre  alt  wurde  und 
das  ganze  Schauspiel  der  Operngeschichte  von  Grctry  bis  Wagner  zu  sehen 
bekam.  Seine  Memoiren  hätten  so  ziemlich  dieses  Buch  sein  können,  aber 
er  ist  einer  der  wenigen  gewesen,  die  nicht  geschrieben  haben.  Und  er  hat 
sogar  bis  jetzt  nicht  einmal  eine  ordentliche  Biographie  bekommen.  Wer 
weiß,  was  hinter  seinem  schweigsamen  Mund  ruhte  und  hinter  seinem 
sichtlichen  Phlegma,  mit  dem  seine  feurigen  Augen,  wie  Bouillys  Memoiren 
ihn  malen,  in  dauerndem  Widerspruch  standen.  Er  sitzt  in  seinem  weiß- 
goldenen Salon  und  „sammelt  wie  eine  Biene“.  Er  pflegt  die  Pferde  und  ruft 
seine  Lieblinge  Figaro  und  Almaviva.  Er  lebt  und  weiß  und  sagt  cs  nicht: 
eine  vergnüglich  zynische  Kälte,  nennt  es  Wagner.  Im  großen  Premieren- 
winter 1800  war  er  18  Jahre,  hatte  seine  jugendlichen  Romanzen  hinter  sich 
und  wartete  als  Kaufmann  in  England  auf  den  Schicksalsruf.  In  diesem 
Jahre  kam  der  Wasserträger  Chcrubinis  heraus,  Mehuls  Ariodant,  Bertons 
Delire,  des  guten  Dalayrac  Maison  ä vendre  (er  machte  jedes  Jahr  zwei 
Opern),  die  Dame  voilec  des  Mengozzi,  der  mit  seinen  Kompositionen  dem 
eigenen  Gesangsruhm  (eine  Pariser  Spezialität  wie  einst  der  Bariton  Solie) 
gefährlich  wurde,  bis  er  sich  in  der  Abfassung  der  großen  Singschule  des 
Konservatoriums  beruhigte,  und  dann  gab  es  im  selben  Jahre  noch  Boicl- 
dicus  Boniowski  und  Kalif  von  Bagdad,  mit  denen  dieser  25  jährige 
Autor  seine  ersten  wohlbeachteten  Visitenkarten  abgab.  Gretry  war  da- 
mals 58  Jahre  alt,  aber  noch  rüstig  genug;  nachdem  er  1794  gleich  vier 
Revolutionsoperchen  in  einem  Jahre  verfertigt  hatte,  war  er  jetzt  gelassener 
geworden  und  setzte  alle  zwrei  Jahre  ein  gut  bürgerliches  Stück  ab.  Mon- 
signy,  der  nur  einige  Monate  weniger  zu  leben  hatte  als  Auber,  war  in 
seinem  72.,  aber  er  ließ  längst  keine  Oper  mehr  aus  seinem  Schreibtisch 
heraus  und  dachte  behaglich  alter  Zeiten.  Man  setzte  neue  Hoffnungen 
auf  den  Rodolphe  Kreutzer,  den  Violin-Kreutzer,  der  die  Geigenschule 
des  Konservatoriums  schrieb,  oder  auf  Catel,  der  dessen  Harmonicschulc 
übernahm,  — Bruni,  Carafa,  es  gab  keinen,  der  nicht  mal  durch  eine  komische 
Oper  von  sich  reden  machte.  Am  meisten  aber  sprach  Rodolphe  Kreutzer, 
dessen  persönliche  Beziehungen  heut  noch  ihre  Wärme  uns  nachfühlen  lassen, 
von  dem  jungen  Isouard,  der  in  Malta  geboren,  Maltheserkapellmeistcr 
gewesen  und  nun  unter  dem  Namen  Niccolo  nach  Paris  gekommen  war, 
sein  Glück  zu  versuchen.  Damals  begann  er,  genau  so  alt  wie  Boieldieu, 
seine  Karriere  und  ist  mit  ihm  immer  im  Wettstreit  geblieben,  ein  leicht- 

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sinniger,  und,  wie  wir  sahen,  ränkesüchtiger,  aber  sicherlich  begabter  und  inter- 
essanter Mensch,  der  unruhigste  Geist  unter  allen  diesen  und  darum 
der  erfolgloseste.  Sein  Name  ist  damals  in  aller  Munde,  achtzehn  Jahre 
darauf  war  er  schon  tot. 

So  etwa  zeigt  sich  ein  Durchschnitt  durch  das  Jahr  1800.  Steigen  wir 
36  Jahre  herunter,  so  ist  das  Bild  noch  sehr  frisch,  nur  im  Personalbestand 
verändert.  Adam  ist  soeben  mit  einem  seiner  populärsten  Werke  aufgetreten, 
dem  Postillon  von  Lonjumeau,  der  vielbewegliche  Adam,  Komponisten- 
sohn des  Pianistenvaters,  Adam,  der  immer  überall  ist,  in  jedem  Theater, 
vif  wie  kein  zweiter,  in  der  engen  Taille,  die  Hände  trollend,  mit  seinem 
bärtigen,  etwas  maliziösen  Gesicht,  immer  tätig,  immer  spielend,  immer 
schreibend,  im  besten  Alter,  33  Jahre  und  voller  Pläne  für  sein  Glück.  Sein 
Lehrer  und  Wecker  Boieldieu  war  vor  zwei  Jahren  gestorben,  nachdem 
er  klug  genug  gewesen,  seinen  Deux  nuits  keine  Oper  mehr  folgen  zu  lassen. 
Auber  aber  war  auf  dem  Zenith.  Dieses  Jahr  gab  es  seine  Ambassadrice,  die 
so  viel  in  der  Welt  herumreiste  und  von  Adam  für  sein  Meisterwerk  erklärt 
wurde.  Nicht  weniger  regte  sich  Adam  über  den  „Blitz“  von  Halevy  auf, 
der  soeben  seine  Premiere  bestanden  und  die  überraschende  Begabung 
des  Großopernkomponisten  für  das  Genre  der  eleganten  Komik  bewiesen 
hatte,  in  diesen  schmalen  Grenzen  von  nur  vier  Personen,  zwei  Tenören  und 
zwei  Sopranen,  ohne  Chor  — eine  feingeführte  Melodie,  eigenartige  Knapp- 
heit des  Rhythmus  und  sorgsame  Faktur  der  Ensembles,  die  uns  heut  einer 
besseren  Gelegenheit  würdig  zu  sein  scheinen.  Kurz  vor  dieser  Arbeit 
hatte  Halevy  das  traurige  Amt  übernommen,  die  nachgelassene  Oper  Herolds 
zu  bearbeiten.  Herold,  den  alle  liebten,  die  ihn  kannten,  hatte  als  Wunder- 
kind begonnen,  dann  sich  kläglich  als  Begleiter,  Chordircktor  und  Repetitor 
durchgeschlagen,  bis  ihm  in  schneller  Reihenfolge  die  Opern  Zampa  und 
Schreiberwiese  eine  Popularität  brachten,  die  er  leider  nicht  mehr  aus- 
kosten konnte  — er  starb,  weil  er  keine  Zeit  und  kein  Geld  gehabt  hatte, 
sich  zu  pflegen.  Indessen  traten  schon  neue  Bewerber  heran,  die  sein  Anden- 
ken schneller,  als  man  dachte,  vergessen  lassen  sollten.  Aus  Mecklenburg 
war  ein  Friedrich  Freiherr  von  Flotow  nach  Paris  gekommen,  der  gerade 
in  diesen  Jahren  seine  ersten  Bühnenproben  im  Genre  der  leichten  komischen 
Oper  ablegte.  Er  attachierte  sich  an  den  vier  Jahre  älteren  Grisar,  auch 
einen  Ausländer,  Belgier  wie  Gretry,  der  seinem  Chef  in  Liverpool  ausge- 
rückt war  und  bei  dem  Böhmen  Rcicha,  dem  Nachfolger  Boieldieus  am 
Konservatorium,  Unterricht  nahm.  Dort  trafen  sie  zusammen,  der  junge 
Antwerpener  mit  dem  Mecklenburger  Diplomaten,  und  mit  ihm  arbeitete 
er  manche  Opern  gemeinsam,  wie  dieser  später  mit  Offenbach  arbeitete. 

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Pariser  Sänger.  Lithographie  von  Planta  1832  : Lafont,  Lablache,  Donzclli,  Nourrit,  Chollct,  Lcvawur, 

Ponchard,  Bordogne 


Die  internationale  Familie  findet  sich  auf  diesem  lockenden  Boden  und  die 
Theaterluft  schwebt  fühlbar,  ein  Gemisch  von  Lichterdunst,  Kulissenleim, 
Parfüm  und  Stallgeruch,  um  die  Schicksale  abendlicher  Menschen.  Man 
streift  sich  durch  die  langen  Haare,  diskutiert  über  die  letzte  Premiere, 
klatscht  über  einen  Sänger,  stürzt  aus  einer  Akademiesitzung,  gibt  einer 
Sängerin  das  Rendezvous  im  Mabille,  lobt  einen  jungen  Mann  wegen  einer 
Romanze,  schwärmt  cn  passant  für  das  Landleben  und  freut  sich  auf  seine 
nächste  Oper  ä grand  tralala.  Adam  schreibt  freundlich  und  galant  über 
sie  alle,  Kritiken  und  Briefe  (aber  keine  Briefe  sind  scharmanter  als  die  von 
Boieldieu  an  Berton),  er  schreibt  über  Masse,  der  einst  Aubers  Nachfolger 
in  der  Akademie  werden  wird,  er  erwischt  gerade  noch  Maillarts  Eremitcn- 
glöckchen  und  das  erste  Operchen  von  Delibes,  dessen  graziöse  Ballette 

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uns  heut  noch  amüsieren,  während  seine  Lakme-Oper  an  derselben  ver- 
steckten Stilmischung  sterben  mußte,  die  Offenbach  zum  offenen  Bekenntnis 
der  Operette  führte.  Und  wieder,  wenn  die  Saison  naht,  fliegen  die  Briefe 
nach  Paris,  von  Petersburg,  von  Wien,  von  den  Landsitzen,  Briefe  über  die 
Theater  und  die  Sänger,  Wünsche  und  Befürchtungen  — sechsmal  muß 
die  Komische  Oper  schließen,  Cholera,  Bankerott,  wer  weiß  was  alles,  hier 
und  da  auf  den  vielen  wechselnden  Bühnen.  Wird  der  große  Tenor  Pon- 
chard  zur  Stelle  sein  und  der  natürlich  ebenso  große  EUeviou  und  der  große 
Baß  Chcnard,  wird  der  große  Bariton  Martin  singen  dürfen  ? Er  rettete 
Boieldieu  eine  Ammenarie  aus  der  riskanten  Tante  Aurorc,  mit  der  seine 
Weltkarriere  begann,  — Boieldieu  soll  „Neige“  komponieren.  Neige  ? Nein, 
das  macht  er  nicht,  es  ist  für  Martin  keine  Rolle  drin.  Lnd  Auber  macht 
Neige  und  gewinnt  sein  erstes  Spiel.  Die  Vestalin  ? Nein,  keine  Rolle  ist 
darin.  Und  Boieldieu  lehnt  sie  ab,  und  Mehul  lehnt  sie  ab,  bis  Spontini 
sie  macht  und  auch  sein  erstes  Spiel  damit  gewinnt.  Boieldieu  ist  für  die 
Regnault,  die  an  Charme  ersetzt,  was  ihr  an  Musik  fehlt,  natürlich  ist  Isouard 
für  die  St.  Aubin,  die  eine  große  und  schwere  Stimme  hat,  aber  so  kurzen 
Atem.  Isouard  ist  schlau  und  schreibt  für  beide  Damen  Rollen  in  seinem 
Aschenbrödel.  Boieldieu  bleibt  nicht  zurück  und  macht  denselben  Trick, 
zwei  Jahre  später,  im  Johann  von  Paris.  Wenn  sich  diese  Herrschaften  nur 
wenigstens  während  der  Aufführung  vertragen!  Es  naht  die  Premiere  des 
Postillon.  Adam  setzt  sic  gerade  auf  Freitag  an,  auf  Freitag,  den  13.  Ok- 
tober. Chollet  singt  den  Chapelou,  seine  Frau,  die  Prevost,  die  Madeleinc. 
Natürlich  zanken  sie  sich  vorher  w\e  die  Irrsinnigen.  Sie  wollen  in  den  Proben 
nicht  zusammensingen.  Wer  weiß,  was  er  wieder  auszufressen  hat.  Aber 
er  arbeitet  der  Weltgeschichte  vor  und  legt  ihr  nach  dem  ersten  Akt  ein 
Bracelet  in  die  Garderobe.  Das  Bracelet  rettet  die  Stimmung,  und  das 
Publikum,  in  seiner  Sensation  befriedigt,  sieht  eine  Oper  die  Ehe  zusammen- 
binden, die  schon  zu  sehr  Oper  geworden  war,  cs  bereitet  einen  doppelten 
Triumph. 

Madeleine:  Den  heitern  Sinn  soll  uns  jetzt  nichts, 

ja  nichts  mehr  rauben. 

Ich  liebe  dich, 

ich  liebe  ewig  dich  allein. 

Chapelou:  An  leidge  Prophezeiung  will  ich  nimmer  glauben  . . . 


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Die  Werke 


ES  ist  kein  Roman  an  Opern,  den  diese  Autoren  uns  hinterlassen  haben, 
auch  keine  offenherzige  Selbstbiographic  in  Werken,  es  kommt  mir  so 
vor,  als  habe  jeder  einen  Novellenband  gemacht,  Geschichten,  die  die  Jahre 
aneinanderreihten,  immer  wieder  Geschichten  und  Geschichten,  von  denen 
manche  schon  im  Augenblick  verblaßten  und  wenige  bis  zum  heutigen  Tage 
frisch  geblieben  sind.  Die  wenigen  berühmten  aber  sind  auch  die  besten, 
und  die  Historie  hat  mit  einer  Gerechtigkeit  gesiebt,  die  bewundernswert 
ist.  Es  ist  eine  große  und  unermüdliche  Plauderkunst  in  dieser  Opern- 
gattung, ein  musikalisches  Erzählertalent,  wie  es  nicht  wiederkam  — in  diesem 
reichen  und  pointierten  Dialog,  den  der  Franzose  liebt,  eine  Konversation 
in  Tönen,  die  die  ganze  Welt  verstand  und  eifrig  aufnahm.  Reife  und  Lebens- 
kenntnis sind  das  Signalement  solcher  Kunst.  Gretry  sagte,  mit  zwanzig 
Jahren  könne  man  wohl  eine  gute  Tragödie  schaffen,  doch  mit  vierzig  erst 
eine  gute  Komödie.  Aber  Herold  schrieb  einmal  in  einem  Briefe:  „Es  ist  viel 
schwerer,  eine  italienische  Oper  zu  machen,  als  zwei  französische  komische.“ 
Beides  ist  richtig.  Denn  es  ist  in  der  opera  comique  noch  mehr  Lebenser- 
fahrung als  Kunsterfahrung,  und  ein  unverbildeter  Ton  der  Unterhaltung 
gibt  ihr  den  Reiz  einer  gewissen  mondänen  Selbstverständlichkeit,  den  Fluß 
eines  Stils,  der  halb  schon  gekannte  Dinge  in  eine  gern  zugestandene  und 
immer  wieder  liebenswürdige  Konvention  bringt. 

Je  weiter  die  schönen  Novellenbände  zurückliegen,  desto  weniger  scheint 
uns  diese  Konvention  zu  interessieren,  die  ja  im  allgemeinen  der  Erhaltung 
des  komischen  Genres  günstiger  ist  als  der  des  tragischen.  Bei  einer  Auf- 
führung des  Devin  de  village  1829  flog  schon  eine  alte  Perücke  auf  die  Bühne. 
Und  der  überaus  fruchtbare  Gretry  ist  wohl  nur  mit  zwei  Werken  in  unserem 
Gedächtnis  geblieben:  der  Geschichte  von  Blondel,  der  als  blinder  Geiger 
mit  seiner  Romanze  „Richard  Löwenherz“  im  Gefängnis  erkennt  und  seine 
Befreiung  und  Vereinigung  mit  Margarete  bewirkt,  eine  Oper  voll  einfacher 
Herzlichkeit,  frischer  Volkstümlichkeit  und  mannigfacher  dramatischer 
Grazie,  und  dann  mit  der  Komödie  der  „beiden  Geizigen“,  einem  geist- 
vollen, rhythmisch  sehr  belebten  und  überaus  scharmanten  Stück,  das  das 
Thema  einer  Heirat  durch  List  gegen  den  Geiz  mit  einer  musikalischen  Ge- 
nialität behandelt,  die  den  Typus  beschämt. 

Boicldicu  arbeitete  verhältnismäßig  langsam  und  ersetzte  vieles,  was  ihm 
an  Eingebung  fehlte,  durch  Anstand  und  Haltung  seines  ritterlichen  Stils. 
Der  Johann  von  Paris  ist  die  erste  seiner  Geschichten,  die  man  heute 
noch  bisweilen  liest  — er  widmete  sie  Gretry.  Der  als  Bürger  verstellte 

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Herr  zwingt  die  Prinzessin  seiner  Liebe,  mit  ihm  in  dem  Gasthof  zu  essen, 
den  er  gemietet  hat;  sie  durchschaut  ihn  und  geht  auf  den  Scherz  ein;  sein 
Page  Olivier  und  ihr  Seneschall  kräuseln  die  Peripherie  dieser  Begebenheit, 
die  eine  im  Gefühl  kühle,  im  Bau  klare,  gerade  so  viel  als  nötig  nuancierte 
Musik  färbt,  eine  einfache  Musik,  die  uns  plötzlich  einige  scharfe  Takte 
lang  „tout  ä l’amour,  tout  ä l’honneur,  d’un  bon  Fran^ais  c’est  la  devise“  — 
im  Ohre  bleibt,  um  dann  seitenlang  nicht  mehr  nachzuklingen.  Wogegen 
die  wie  ein  Satyrspiel  dazu  gestellte  Erzählung  vom  „neuen  Gutsherrn“, 
ein  Einakter,  der  alle  Konsequenzen  des  als  Herrn  verkleideten  Dieners  im 
Stile  der  Zeit  besingt,  durch  die  altfranzösische  Buffonerie  und  enggebaute 
Lustigkeit  uns  heut  noch  sehr  freundlich,  auch  in  musikalischer  Beziehung, 
erregen  kann.  1812  war  Johann  von  Paris  erschienen,  1818  kam  erst  das 
Rotkäppchen,  das  nur  in  der  Programm-Ouvertüre  Beziehung  auf  das 
Märchen  nahm,  in  der  Oper  selbst  aber  der  Sage  eine  Liebesgeschichte 
substituierte:  von  einem  Grafen,  der,  als  Hirt  verkleidet,  sein  Rosliebchcn 
erhält,  während  sein  Konkurrent  Rudolph,  der  in  eine  Eremitenkutte 
schlüpft,  sich  damit  trösten  muß,  daß  sie  eigentlich  seine  Nichte  ist.  Man 
kann  nicht  sagen,  daß  die  Musik,  die  von  den  phantastischen  Lizenzen 
der  Träume  und  Zauberdekorationen  ihren  guten  Gebrauch  macht,  sehr 
eigen  wirkt;  es  sind  wieder  nur  einzelne  Schönheiten,  die  ihr  eine  nicht 
vergängliche  Farbe  geben.  Aber  Boieldieu  hatte  auch  nicht  nötig,  diesen 
für  ihn  großen  Erfolg  in  die  Ewigkeit  herüberzunehmen,  da  ihn  die  Weiße 
Dame  sieben  Jahre  später  wirklich  unsterblich  gemacht  zu  haben  scheint. 
Die  Popularität  dieser  Oper  gestaltete  sich  sofort  so  enorm,  daß  sich  fast 
um  jede  ihrer  Nummern  eine  Legende  bildete.  Man  erzählte,  welcher  Ge- 
lehrte ihm  die  schottischen  Weisen  gebracht,  wie  ihm  Adam  bei  Scribc 
die  Chorballade  des  dritten  Aktes  noch  nachträglich  besorgt,  wie  er  ihm 
auch  die  halbe  Ouvertüre  schnell  vollendet  habe  und  w'ie  dann  schließlich  — 
eine  ganze  Omnibuslinie  nach  der  Oper  benannt  worden  sei.  In  der  Tat 
hat  Boieldieu  in  diesem  Werk  seine  etwas  unpersönliche  Persönlichkeit  am 
besten  Umrissen.  Der  ritterliche  Grundton,  die  nicht  übertriebene  Origi- 
nalität, die  sich  oft  künstlich  zu  helfen  weiß,  die  behagliche  Symmetrie  bei 
aller  dramatischen  Charakteristik,  die  flüssige  Arbeit  und  die  bedeutende 
F.nsemblekunst  geben  der  nicht  ungefährlichen  Geschichte  des  wieder- 
gefundenen Julius,  der  sein  Schloß  durch  Anna,  die  weiße  Dame,  sich  selbst 
ersteigert,  ein  sympathisches  und  eindringliches  musikalisches  Leben,  das  sich 
dauerhafter  bewährte  als  das  Scottsche  Textvorbild.  Boieldieu  veröffentlichte 
nur  noch  eine  Oper:  die  Deux  nuits,  die  bei  aller  Breite  der  Melodie  und  guten 
Führung  ihre  innere  Unlebendigkeit  sofort  bewährte  und  untergegangen  ist. 

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ßoieldicu.  Lithographie  von  Grcvedon  nach  Riescncr  1826 


Der  Band  Isouards  ist 
heut  zurückgestellt.  Eine 
Heirat  durch  Geldgewinn 
mit  harmloser  Musik  ohne 
Chor  — das  ist  sein  einst 
gefeiertes  Billet  de  loterie. 

Sein  Aschenbrödel  kehrte 
das  Los  seines  Sujets  um: 
einst  gefeiert,  versank  es  in 
die  Kellerräume  der  Ge- 
schichte, und  hätte  doch 
mit  seiner  reinlichen,  an- 
ständigen, zarten,  oft  et- 
was populären,  aber  doch 
besser  erzogenen  Musik  ein 
anderes  Schicksal  verdient. 

Das  Duett  des  Prinzen  mit 
seinem  astrologischen  Leh- 
rer ist  von  einer  klassischen  Arbeit  und  edlen  Innerlichkeit;  in  vielen 
Ensembles  spricht  sich  ungewöhnliche  Begabung  aus.  Der  Inhalt  war  das 
richtige  Märchen  von  Aschenbrödel,  nach  allen  Seiten  ausgeputzt,  und  die 
beiden  Schwestern  waren  dankbare  Opernfiguren  geworden,  indem  die  eine 
das  Tanzen,  die  andere  das  Singen  lernte.  Aber  vielleicht  war  der  strenge 
Ton,  in  dem  Isouard  schrieb,  für  die  Dauer  nicht  geeignet,  ein  Märchen 
populär  zu  halten,  und  langweilte  die  Nachkommen.  Isouard  selbst  hat  dieses 
Niveau  nie  wieder  erreicht.  Im  Joconde  gibt  er  sich  dem  Einfluß  Boieldieus 
nicht  zu  seinem  Vorteil  hin.  Er  hatte  im  Grunde  nicht  das  Gallisch- 
Tänzerische,  das  ihn  in  diesem  Kreise  hätte  durchsetzen  können,  und  mußte 
mit  seinem  etwas  altmodischen  Musikertum  vor  dem  französischen  Esprit 
versagen. 

Im  Buche  Herolds  wird  man  sich  nur  zurechtfinden,  wenn  man  an  sein 
Leben  denkt,  das  ihm  im  allzufrühen  Tode  erst  die  Ruhe  gab.  Er  ist  ein 
hastiger  Eklektiker,  der  nicht  von  Berechnung  frei  ist  und  eine  Summe  von 
Talent  auf  halbgegorene  Texte  verwendet.  Liest  man  seine  Tagebücher, 
so  glaubt  man  einen  kleinen  Meyerbcer  vor  sich  zu  haben  — so  sehr  scheint 
er  zu  wissen,  woher  man  es  nimmt  und  wozu  man  es  macht.  Aber  sieht 
man  seine  Opern,  so  erkennt  man,  daß  er  dies  fremde  Wissen  nicht  gemeistert 
hat.  Man  versteht,  daß  er  ein  tüchtiger  Ballettkomponist  war.  Drei  Stücke 
machten  seinen  Ruhm.  „Marie“,  ein  harmloses,  idyllisches  Werkchen,  das  in 


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zwölf  Monaten  die  hundertste  Aufführung  erlebte,  was  die  Weiße  Dame 
schon  in  acht  Monaten  erreichte.  Dann  der  Zampa,  der  ihn  in  Deutsch- 
land populär  machte,  die  Geschichte  eines  Räubers,  der  im  Augenblicke, 
da  er  gerade  wieder  eine  Frau  unglücklich  machen  will,  von  der  Statue 
einer  früheren  Geliebten  in  die  Hölle  besorgt  wird.  Die  Statuendramatik 
verpufft,  die  Hochzeitsmelodien  verfallen  ins  Triviale,  Zartes  wechselt  mit 
der  Koloratur,  Italienisches  mit  Gefühlstönen,  Rossinische  Fortissimorache 
mit  balladesker  Romantik  und  deutschen  Serenadenchören,  Bellinische 
Duette  der  Hauptpersonen  mit  konventionellen  Buffoncricn  der  Niederen, 
es  ist  eine  Musterkarte  von  Stilen  mit  hübschen  Liedchen  und  begabten 
Details,  aber  ohne  Physiognomie  und  Anschauung  — die  besten  Partien 
rettete  sich  die  Ouvertüre.  Die  dritte  Oper  ist  die  Schreiberwiese,  in  Frank- 
reich seine  populärste.  Hier  ist  etwas  von  Meyerbeer,  was  noch  nicht  „Caval- 
leria“ geworden  ist,  und  etwas  Italienisches,  was  Aubersche  Possen  treibt. 
Herold  sehnte  sich  nach  dem  „höheren  Genre“  — dies  ist  die  Ruine  davon, 
gewöhnliche  Erfindung  und  bequeme  Arbeit,  ordinär  oft  in  dankbaren 
Situationen,  Requisiten  beliebter  Amüsements,  Soldaten,  Maskenbälle,  Volks- 
belustigungen, der  Instinkt  für  die  Wehleidigkeit  in  der  freundlich-einsamen 
Margarete  von  Navarra,  und  die  bunte  große  Szene  des  Duells  um  die 
Geliebte,  beim  Gastwirt  der  Schreiberwiese,  in  Pariser  Lokalkolorit  — 
die  Franzosen  haben  diese  Vorahnung  der  Hugenotten  besser  belohnt,  als 
es  die  unselbständige  Musik  verdiente.  Sie  gingen  auf  das  Drama  hinter 
der  Musik.  Aber  das  Drama  konnte  ohne  die  Musik  nicht  leben.  Herold 
hatte  keine  Faust  dafür.  Er  hatte  im  Buche  seiner  Kunst  nichts  als  unglück- 
liche Liebesabenteuer  hintcrlassen.  Nun  ist  cs  vorbei,  sein  Leben  ist  ver- 
griffen und  man  lehnt  erbarmungslos  seine  Werke  ab,  weil  sie  das  Fremde 
nutzten,  das  Kommende  ahnten,  aber  sich  selbst  nicht  fanden. 

Auber  machte  das  Experiment  mit  dem  „höheren  Genre“  glücklicher. 
Er  setzte  seine  Stumme  von  Portici  gleich  außerhalb  der  Gattung  der 
Comique,  als  durchkomponiertc,  große  historische  Oper,  die  wir  an  ihrem 
gehörigen  Ort  wiederfinden  werden.  So  machte  er  auch  einen  „Gustav  III.“, 
der  durch  Verdis  Maskenball  über  denselben  Stoff  verdrängt  werden  sollte, 
und  auch  eine  romantische  Oper  I'eensec,  die  nach  einem  Märchen  des 
Musäus  die  Liebe  eines  Studenten  zu  einer  Harzfee  behandelte,  und  auch 
diese  durchkomponierten  Opern  unterschieden  sich  gleich  äußerlich  von  der 
Comique,  da  sie  keinen  Dialog  hatten,  und  kamen  dadurch  gar  nicht  in  die 
Verlegenheit,  über  ein  Genre  hinauszuwachsen,  das  zwar  längst  nicht 
mehr  „komisch“  zu  nehmen  war,  aber  doch  gewisse  leichtere  und  temporärere 
Gefühle  verlangte.  Das  war  gut  von  ihm,  daß  er  die  an  der  komischen  Oper 

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geübte  Feder  nun  auch 
die  tragische  Oper  schrei- 
ben ließ  und  die  inner- 
lich schwankenden  Grenzen 
äußerlich  festhielt.  Auch 
F ra  Diavolo  schließt  eigent- 
lich tragisch,  und  der  Feen- 
see eigentlich  untragisch, 
aber  man  wußte,  woran 
man  war  und  bereitete 
der  „Stummen“  eine  Auf- 
nahme, die  ihre  Probe  so- 
zusagen auf  der  Bühne 
der  opera  comique  be- 
standen hatte.  Auber  war 
nicht  nur  begabter,  auch 
ein  schärferer  Kopf  als 
Herold,  er  wußte,  wo  alles 
hingehört,  und  er  führte  die  Trennung  in  seinen  Werken  so  entschieden 
durch,  daß  er  in  demselben  Augenblick,  da  er  sich  entschloß,  die  Tra- 
gödie zur  Tragödie  zu  machen,  auch  die  Komödie  tänzerischer  und  ope- 
rettenhafter  bedachte,  so  rücksichtslos,  daß  ernste  Männer  wie  Wagner 
sich  damals  in  Paris  die  Ohren  zuhalten  mußten  vor  den  ewigen  Galoppaden, 
die  durch  die  komische  Oper  sprengten.  Die  erste  bekanntere  der  Auber- 
schen  Opern,  der  „Schnee“,  von  1823,  die  um  eine  heimliche  Schlitten- 
fahrt komponiert  ist,  zeigt  von  dieser  Operette  noch  gar  nichts  und  ist  ein 
recht  ernstes  Kompliment  für  Rossini.  Zwei  Jahre  darauf  mit  dem  Maurer 
und  Schlosser  findet  er  seinen  bürgerlichen  Ton.  Daß  die  Geschichte 
der  Einmauerung  eines  Liebespaares  und  ihrer  Rettung  durch  eben  diesen 
Maurer  an  sich  sehr  interessiert  hätte,  kann  man  nicht  sagen.  Aber  die  Musik 
Aubers  gab  ihr  eine  Wärme  des  Gefühls  und  eine  dramatische  Intensität, 
daß  man  sich  im  Laufe  des  Stücks  gezwungen  sah,  mit  diesen  Menschen 
zu  empfinden  und  ihre  Schicksale  mit  zu  erleben.  Rogers  Ausruf  bei  der 
Rettung  „O  Gott,  welch  ein  Augenblick“  war  einer  der  ersten  jener  tief- 
melodischen Ausbrüche  Aubers,  die  seine  Seele  retteten:  auf  starken  Ak- 
korden eine  rührend  bewegte,  gesanglich  strahlende  Phrase,  die  eine  Speziali- 
tät dieses  Komponisten  wurde  und  der  ganzen  folgenden  Operngeschichte 
einen  Typ  gab.  Die  klare  und  zielbevvußtc  Anlage  der  Melodie  und  der  Har- 
monie, die  zur  rechten  Zeit  immer  so  schön  auf  ihren  dramatischen  Quart- 


Herold.  Lithographie  von  Dupr6 


249 


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Sextakkord  zu  kommen 
weiß,  ist  in  dieser  Oper 
situiert.  Die  charakte- 
ristische Sphäre  des  ge- 
fühlvollen Liebespaa- 
res , die  rhythmische 
Buffoncric  des  edlen 
Roger  und  des  lustigen 
Baptiste,  die  niedere 
Komik  der  türkischen 
Sklaven,  die  spöttische  Ironie  der  Intrigantin,  die  ganze  Skala  musikalischer 
Farben  von  der  Romanze  bis  zum  Tänzchen,  alles  das  sprang  aus  dem  Stoff 
mit  solcher  vergnüglichen  Buntheit  hervor,  daß  sich  das  Drama  bis  an  den 
Rand  füllte.  Es  ist  Zeit,  die  „große“  Oper  abzusetzen:  die  „Stumme“  da- 
tiert von  1828.  Im  nächsten  Jahre  folgt  das  bürgerliche  Pendant  zum  Ma<;on: 
die  Fiancee,  und  1830  entsteht  das  ungemischte  Bekenntnis  des  komischen 
Genres,  die  Krone  dieser  ganzen  Gattung:  Fra  Diavolo.  Fra  Diavolo  ist  das 
Entzückendste,  was  der  französische  musikalische  Geist  hervorgebracht  hat, 
auf  einem  lustigen  Text  eine  Musik  von  solcher  beweglichen  Anmut, 
genialen  Liebenswürdigkeit  und  unbeschränkten  Laune,  so  reich  an  Ein- 
fällen, so  harmlos  vergnügungssüchtig  und  so  chevalcresk  weitläufig  — 
es  ist  der  lachende  Sieg  einer  fein  geführten  und  doch  temperament- 
vollen Kunst  über  das  Nichts  von  Inhalt.  Die  Gefangennahme  eines 
ritterlichen  Räubers  wird  durch  die  reizende  Lokalisierung  im  Gasthaus 
von  Terracina,  durch  all  die  Engländer,  Kumpane,  Soldaten  und  Mädel, 
die  sich  da  herumstellen,  in  eine  Folge  von  Situationen  gebracht,  die  sich 
dankbarer  und  abwechselnder  nicht  erfinden  lassen.  Aubers  musikalisches 
Genie,  diese  nie  verlegene  und  immer  gutgestimmte  Leichtigkeit  der  melo- 
dischen Erfindung  und  dramatischen  Rhythmik  bekennt  sich  hier  offen  zur 
Moral  des  Tanzes:  die  Technik  des  Couplets,  die  Disposition  der  Ensembles, 
die  Finalestrettas  verraten  dieselbe  Sinnlichkeit,  die  in  mancher  lyrischen 
Szene  noch  versteckt  liegt,  frei  an  die  Instinkte  des  Publikums,  daß  endlich 
der  französische  Tanz,  solange  eine  Parallele  in  der  Oper,  ihr  Nerv  und  ihr 
Tempo  wird.  Und  blättern  wir  im  Buche  Aubers  weiter,  so  finden  wir  kaum 
noch  etwas  anderes  als  die  Ablagerung  und  Zuspitzung  hier  gegebener 
Elemente.  Der  „Gott  und  die  Bajadere“  nimmt  den  Stoff  aus  dem  Goethe- 
schen  Gedicht,  die  stumme  Hauptrolle  aus  einer  anderen  „Stummen“ 
und  schüttet  eine  mäßig  gelungene  Fülle  von  Operettenmusik  über  das  Thema 
der  Erlösung  eines  niedcrgcstiegcncn  Gottes  durch  ein  reines  und  treues  Weib, 

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das  einer  ernsteren  Behand- 
lung Vorbehalten  war.  Der 
indische  Klingklang  wird 
chinesischer  Klingklang  in 
der  Geschichte  vom  Ehernen 
Pferd,  das  uns  unter  die 
Blumenmädchen  des  Venus- 
sterns trägt : wer  dort  nicht 
liebt,  darf  bleiben,  und  wer 
nicht  bleibt,  darf  nicht  aus- 
plaudern, und  wer  plaudert, 
wird  eine  Pagode  — immer- 
hin eine  verschämte  Ope- 
rette von  soviel  Anmut  und 
Musik,  daß  Humperdinck 
sich  zu  ihrer  Bearbeitung 
entschloß,  flotte  Prinzenlie- 
der, frivole  Gebetsglöckchen, 

Trost  im  Tanze  und  Pferde- 
fliege-Ensembles im  Cancan- 
takt. Eine  noblere  Konversationsnote  tönt  aus  dem  „Schwarzen  Domino“, 
Maskenfest,  heimliche  Liebe,  aragonische  Verkleidung,  Tanz  und  Leier 
in  Einem,  die  glänzend  bewegten  Angelacouplets,  freche  Walzer  und 
Galoppchöre,  verfeinerte  Koloratur  und  geistvolles  Sentiment  und  — sehr, 
sehr  viel  Charme.  Die  letzte  elegantere  Regung  war  Des  Teufels  An- 
teil, die  einige  der  subtilsten  Seiten  seiner  ganzen  Opernproduktion 
zeigt,  eine  starke  Ausdruckswahrheit  im  Rezitativischen,  ein  glänzendes 
zweites  Finale  und  eine  ungeschwächte  Liederfindung.  Man  wird  es  musi- 
kalisch zu  seinen  glücklichsten  Stücken  rechnen  müssen.  Dann  — er  lebte 
und  komponierte  noch  achtundzwanzig  Jahre  — versiegt  die  Kraft,  die 
Miene  wird  kalt,  und  die  Posse  des  Tanzes  grinst  uns  an,  ohne  inneres 
Leben.  In  seinen  letzten  Tagen  sitzt  er  und  schreibt  Streichquartette. 
Bei  seinem  Lehrer  Cherubini  waren  sie  die  Heimat  gewesen,  bei  ihm  sind 
sie  die  Zuflucht. 

Die  meisterliche  Gene,  die  immer  noch  in  Aubers  Schaffen  lag,  kümmerte 
Adam  wenig.  Adam  ist  das  leichtsinnigste  Tierchen  in  dieser  vergnügten 
Menagerie  und  rühmt  sich,  nichts  zu  wollen,  als  schnell  verständliche 
und  amüsante  Musik.  Sein  Chalet  schreibt  er  in  zwei  Wochen,  die  Giselle 
in  drei,  den  Toreador  und  Si  j’etais  roi  in  acht.  Lind  dieses  Chalet  wurde 

251 


V 

Aubcr.  Lithographie  von  Planta  1832 


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sein  erster  Triumph,  so  beliebt  in  Paris  wie  die  Weiße  Dame  und  die 
Schreiberwiese.  Das  war  ein  merkwürdiges  Schicksal  von  Goethes  „Jery 
und  Bätely“,  das  von  Kayser  bis  zur  Frau  von  Bronsart  so  viele  kom- 
poniert haben,  ohne  von  sich  reden  zu  machen.  Scribc  wußte,  was  er  tat. 
Er  überließ  Goethe  den  spitzeren  Dialog,  die  feinere  Schattierung  und  machte 
für  sich  daraus  ein  viel  wirksameres  und  bewegteres  Drama : der  unerkannte 
Bruder  simuliert  eine  Plünderung,  damit  seine  widerspenstige  Schwester 
vor  ihrem  Daniel  Schutz  sucht  und  ihn  nimmt.  Es  hat  wenig  Texte  ge- 
geben, die  reizendere  Situationen  ergaben,  und  eben  dies  wirkte  auf  die  Pari- 
ser, während  uns  Deutsche  die  Musik  nicht  sonderlich  aufregte.  Der  Bruder, 
seine  Erkennung,  die  Soldatengeschichten  sind  Scribes  Korrektur  an  Goethe, 
durch  die  er  ihm  damals  den  ersten  wahren  Erfolg  seines  Singspiels  sicherte. 
Was  Adam  dazu  machte,  waren  frische  Lieder  und  rührende  Ritardandos, 
in  einer  angenehmen  Mischung  und  einem  lustigen  Bau,  der  ein  Liebesbe- 
kenntnis  tapfer  in  einen  Operettentanz  auslaufcn  läßt.  Dieser  ölige  Mecha- 
nismus einer  leichten  Erfindung,  die  flotte  Beweglichkeit  der  Szene,  das 
natürliche  Temperament  der  musikalischen  Entwicklung,  das  Glatte,  Freund- 
liche und  Eingehende  bleiben  seine  Tugenden  in  der  ganzen  großen  Pro- 
duktion. Mal  schreibt  er  für  England  eine  Oper,  mal  macht  er  für  die  Tag- 
lioni  das  Donauweibchen  oder  die  Giselle  (sehr  hübsche,  dankbare,  stumme 
Opern),  mal  bearbeitet  er  — man  beginnt  seine  Jugend  zu  lieben  — Gretry 
und  Monsigny,  daß  Wagner  sich  wieder  die  Ohren  zuhält,  unermüdlich 
läuft  die  schreibfreudige  Feder.  Manche  seiner  Werkchen  belebt  man  immer 
wieder  von  Zeit  zu  Zeit,  aber  der  Postillon  überflügelt  sie  doch.  Gewiß, 
im  Postillon  von  Lonjumeau  kommen  seine  Qualitäten  am  besten  heraus. 
Die  nette  Symmetrie,  die  witzigen  Repliken,  die  fließende  Unterhaltung, 
die  kleinen  ausdrucksvollen  Soli,  die  farbigen  Ensembles,  die  Parodie  auf  die 
Heiserkeit  und  der  Triumph  des  Gesanges,  die  tänzerischen  Refrains  dieser 
ganzen  Geschichte,  die  so  dankbar  zwischen  den  Milieus  einer  Post  und  einer 
Oper  spielt  und  die  Gefahren  einer  Bigamie  auskostet,  die  nur  eine  verklei- 
dete Monogamie  ist,  das  ist  frisch  und  amüsant  und  kapriziös,  und  man  hört 
es  heute  noch  mit  Vergnügen,  nachdem  der  gute  alte  Wachtel  es  hierzu- 
lande so  oft  gepeitscht  und  gesungen  hat.  Am  Stoffe  mag  es  liegen,  daß  man 
seine  „Giraida“  schneller  vergaß.  Es  ist  ein  bühnenunmögliches  Quiproquo 
von  Verliebnissen.  Aber  bei  aller  Operettenhaftigkeit,  die  sich  in  gewohnter 
Weise  gern  durch  langsame  Schlüsse  kaschiert,  ist  dieses  Stück  voll  von  drama- 
tischer Musik,  wirklich  durch  und  durch  lebendig,  gefühlvoll,  rhythmisch 
scharf  bis  zum  Distichon,  melodisch  oft  an  der  Grenze  von  Verdi,  bunt 
abgesetzt  in  den  Charakteren  des  polonäsenvergnügten  Königs  und  der 

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'-/Cu 


Adam.  Lithographie  von  Bry 


choralfrommen  Königin  und  des 
Müllers  Gines,  freilich  wie  die  mei- 
sten dieser  Opern  eine  Stilmischung 
von  der  Großkoloraturarie  bis  zum 
ländlichen  Pastorale,  aber  als  musi- 
kalische Lektüre,  Blatt  nach  Blatt, 
von  unwiderstehlicher  Stimulanz. 

Adam  hat  immer  noch  genug  alt- 
bürgerlichen Fond  und  künstlerische 
Substanz,  um  sich  nicht  offen  zur 
Operette  entschließen  zu  können, 
die  in  seinen  Stücken  wie  eine  ge- 
heime Begierde  zuckt.  Manchmal 
wünscht  man  es  ihm.  Sein  Fidele 
berger,  eine  Konditorgeschichte  mit 
Handschuhen,  Parfüm  und  fidelem 
Gefängnis,  fiel  durch.  Adam  schob 
das  auf  ein  Komplott  der  Zucker- 
bäcker. Die  Musik  ist  nicht  schlechter  als  eine  andere.  Hätte  er  eine  unge- 
nierte Operette  daraus  gemacht  und  den  Schritt  nach  links  ebenso  fest  getan 
wie  Aubcr  mit  seinen  heroischen  Opern  den  Schritt  nach  rechts,  so  hätte 
er  auch  diese  Partie  gewonnen. 

Das  letzte  Bändchen,  das  w'ir  aus  dieser  zierlichen  Bibliothek  nehmen, 
heißt  Flotow.  Man  muß  Flotow  studieren,  wenn  man  von  den  Franzosen 
kommt,  nicht  von  den  Deutschen.  Dann  versteht  man,  daß  die  Schule  der 
Pariser  Grazie  hier  einem  tief  sentimentalen  Gemüt  und  einem  hellen  musi- 
kalischen Auge  eine  Form  gab,  die  ihm  einen  Welterfolg  garantieren  mußte, 
so  glücklich  mischte  sich  Instinkt  und  Konvention.  In  ihrer  Art  ist  „Martha“ 
ein  Muster  der  Zeit.  Eine  Plastik  der  Szene  ist  darin,  eine  Präzision  der  musi- 
kalischen Erfindung  im  Tanzchor,  in  der  Buffoncrie,  in  der  Romanze  und  im 
volkstümlichen  Schmelz  des  Liedes,  daß  sie  baulich  so  fest  zusammenhält 
wie  keine  zweite  Oper  dieser  Epoche.  Scharf  geschnitten  und  fest  gefügt 
sitzt  da  jeder  Stein.  Wir  sind  heut  so  gewohnt,  von  unserer  späteren  großen 
deutschen  Oper  her,  über  diese  Geschichte  der  Herrin  als  Magd  aus  Richmond 
zu  lächeln,  daß  wir  ihre  Popularität  mit  Banalität  verwechseln.  Sie  ist  nicht 
banaler  als  eine  andere,  aber  sie  ist  technisch  ein  Meisterwerk.  Ein  gewisser 
Bodensatz  an  deutscher  Gefühlsseligkeit  soll  zugestanden  werden,  es  fehlt 
der  letzte  spritzende  Schaum  der  echten  Comique,  aber  ein  Musiker  hat 
cs  geschrieben,  der  seine  Leute  kannte  und  seine  Kunst  verstand,  kein  Genie 


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wie  Auber,  kein  Windhund  wie  Adam,  doch  glücklicher  als  alle  Boieldieus, 
Herolds  und  Isouards.  Es  kam  etwas  spät,  in  Wien  1847,  aber  Schlußsteine 
kommen  eben  zuletzt.  Drei  Jahre  vorher  war  sein  Stradella  über  die 
Hamburger  Bühne  gegangen,  dieser  gute  Griff  nach  einem  Stoff,  der  seine 
Oper  schon  in  sich  trug,  in  seiner  Trinklustigkeit,  Mörderspaßigkcit  und 
Gebctsseligkeit  äußerst  bewegt  und  spannend,  aber  mehr  malerisch  fein- 
sinnig und  in  der  Struktur  zu  zärtlich,  um  auf  die  Dauer  die  unmittelbare 
Wirkung  der  Martha  erreichen  zu  können.  Ich  weiß,  ich  werde  die 
Martha  wieder  vergessen  und  werde  das  Niveau  Flotows  wieder  herunter- 
drücken und  sein  Fleisch  vom  Geiste  her  mißbilligen,  aber  so  im  Zusammen- 
hänge dieser  alten  vergilbten  Geschichten  mußte  ich  ihm  diese  Gerechtig- 
keit widerfahren  lassen.  Höre  ich  ihn,  gleite  ich  im  angenehmen  Gefühl 
einer  immer  willkommenen  Schmökrigkeit  gern  in  die  Erinnerungen  der 
Jugend  zurück;  höre  ich  ihn  nicht,  kenne  ich  ihn  auch  nicht.  Was  so  wirkte, 
mußte  auch  etwas  sein.  Wie  wenig  sonst  war,  genügt  ein  Blick  auf  die  „Indra“, 
die  eine  Zeitlang  von  sich  reden  machte.  Diese  Rettung  des  großen  Camoens 
durch  die  vogelliebesliedcrsingende  kleine  Indierin  hat  eine  einzige  gelungene 
Szene:  das  Duett  über  die  Zigarette,  eine  Nebensache.  In  der  Hauptsache 
bedeutet  die  Anwendung  des  französischen  Tons  auf  solche  verzweifelten 
Vorgänge  ein  Fiasko  des  Geschmacks  und  enthüllt  die  Gemeinheit. 


Die  Details 

SO  habe  ich  einige  der  Werke  aus  dieser  unermeßlichen  Produktion  der 
Comique  genannt  und  das  Verhältnis  der  Autoren  zu  ihnen  beschrieben 
— unser  eigenes  Verhältnis  ist  verschieden,  je  nachdem  wir  sie  hören  oder 
über  sie  berichten.  Sie  zu  hören  ist  ein  leichter  fließender  Genuß  ohne 
viel  Rechenschaft  und  Gewissen,  sie  zu  beurteilen  ist  Sache  einer  weit- 
sichtigen Kritik  und  eines  typischen  Kulturgefühls.  Man  analysiert  sie  nicht 
wie  den  Figaro  oder  Fidelio,  das  würde  ihnen  schaden;  man  überlegt 
sich  ihre  Gemeinsamkeiten,  ihre  Kunst,  ihren  besonderen  Reiz,  ihre  Tech- 
nik, ihren  Erfolg  und  ihre  Wirkung  und  hebt  ihre  gleichen  Züge  aus  den 
Erinnerungen  an  ihr  angenehmes  Geplauder  heraus.  Dieses  sind  dann  die 
Gründe,  warum  sic  den  Menschen  lieblich  gewesen  und  warum  ihr  Bild 
in  der  Geschichte  der  Oper  fest  geblieben  ist. 

Alle  diese  Stücke  versuchten  zunächst  auf  eine  gefällige  Art  sich  einzu- 
leiten, die  nicht  zu  ernste  Anforderungen  stellt.  Gretrys  Porzellanouvertüre 
zu  den  Geizigen,  die  noch  ein  wenig  klassizisierenden  Ouvertüren  Isouards 

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haben  Haltung.  Später  nimmt 
manesleichterund,wcnn  man 
sich  nicht  mit  kurzen  Ein- 
leitungen begnügt,  wie  im 
Postillon,  macht  man  einfach 
nette  Potpourris  aus  Melo- 
dien der  Oper  selbst  oder  auch 
fremden  hübschen  Melodien, 
die  man  nach  der  zunehmen- 
den Schnelligkeit  ordnet.  Das 
ergibt  ein  schmackhaftes  Hors 
d’oeuvre,  man  kitzelt  die 
Tanzsinne,  man  stellt  seine 
Tempi  ein  und  hat  zu  guter 
Letzt  ein  Konzertstück,  das 
die  Perlen  der  Oper  anein- 
anderreiht und  der  Nachwelt 
als  schmuckes  Andenken  über- 
liefert. 

Das  schmucke  Orchester 
ist  eine  der  Lebensbedingun- 
gen dieser  Oper.  Es  hat  der 
Bühne  die  schwingende  At- 
mosphäre zu  geben,  deren  sic  bedarf,  um  ihre  Ereignisse  in  ein  durchsichtiges 
Milieu  von  Luft  und  Licht  zu  stellen.  Es  quirlt  und  sprudelt  und  hüpft  und 
steht,  kichert,  spottet,  blitzt  und  schlägt  mit  aller  Grazie  und  Feinheit  des 
Details,  in  dauernder  Beweglichkeit  der  Streicher,  angeregtester  Korrespon- 
sion  der  niedlichen  Holzbläser  und  soldatesker  Fröhlichkeit  des  Blechs.  Die 
Partitur  gleicht  einem  zarten  Gewebe  aus  bunten  Fäden,  die  in  kluger  Be- 
rechnung akkordliche  Grundlinien  durch  den  Einschlag  melodischen  Zaubers 
lockern  und  die  Rhythmik  der  Figur  durch  eine  unermüdliche  spielende  Farbig- 
keit beleben.  Keiner  scheint  hinter  dem  andern  zurückzustehen,  sie  alle  haben 
diese  laufende  und  spritzende  Technik,  die  ein  natürliches  Erbe  der  Schule 
ist  und  wie  automatisch  in  den  Fingern  sitzt.  Alles,  was  Farbe  und  Klang 
gibt,  wird  herangezogen,  die  Orgel  für  die  Gebetsangelegenheiten,  die 
Harfe  für  die  Feenmärchen,  das  Piston  für  die  Soloromantik,  Gitarre  und 
Mandoline  für  die  Ständchen,  am  liebsten  die  Glocken,  Glocken  in  jeder 
Fasson,  im  Ehernen  Pferd,  in  den  Deux  nuits,  im  Pre  aux  clercs,  im  Postillon, 
im  Chalet,  in  Stradella,  Chinesenglöckchen  und  Eremitenglöckchen,  Schlitten- 

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Flotow.  Lithographie  von  Kriehuber  1847 


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glocken,  Herdeglocken,  Trauungsglocken,  Gebetsglocken  und  L'hrglocken, 
die  sich  enharmonisch  verwandeln.  Bisweilen  macht  man  auch  kleine  Ex- 
perimente, wie  Herold  in  der  Schreiberwiese  einmal  Bratschen  und  Celli 
auf  der  vierten  Saite  einen  halben  Ton  tiefer  stimmt,  um  das  unterste  H 
zu  erreichen  und  dem  ganzen  Stück  l’hcurc  nous  appclle  einen  eigen- 
tümlichen klagenden  Charakter  zu  geben.  Ja,  man  ist  raffiniert  geworden 
gegen  die  alte  Partitur  Rousscaus,  die,  wenn  sie  sich  nicht  mit  dem  General- 
baß begnügt,  nur  einige  Systeme  von  Streichern  enthält  und  die  Bläser 
dahineinschreibt,  parallel  zu  einer  Streicherstimmc  oder  gar  einmal  besonders 
und  solo.  Welcher  Weg  zu  dem  Klarinettensolo  der  Madeleinc,  dem 
Violoncello  unter  ihrer  einsamen  Klage,  dem  Hornsolo  ihres  Postillons. 
Jedes  Instrumentchen  ist  im  Chor  dieser  fiebernden  Gesellschaft  auf  seine 
kleine  Individualität  bedacht  und  versteht  reizend  seine  Geheimnisse  aus- 
zuplaudern, bis  das  klang-  und  spielfrohe  Ensemble  es  wieder  an  die  Pflichten 
der  Gruppenbildung  erinnert.  Dann  füllen  die  Bläser  bescheiden  die  Har- 
monien, auf  denen  sich  die  Pizzikatostreicher  amüsieren,  oder  zwei  Trom- 
peten alternieren  höchst  kriegerisch  auf  den  Stößen  der  Posaunen  und 
Pauken,  die  es  bis  zur  Dreizahl  bringen,  das  Pikkolo  setzt  dem  Tutti  sein 
Licht  auf,  die  vier  Hörner  halten  mit  großer  Sachlichkeit  ihre  selbstbewußte 
Mittelstimme,  die  beiden  Trommeln,  Becken,  Triangel  schlagen  ihren 
süffisanten  Takt,  aber  nur  nicht  zu  lange,  nur  nicht  zu  viel  Lärm,  damit 
die  Singstimmc  ihr  schönes  Lied  in  reiner  Luft  musizieren  kann,  und  schon 
findet  sich  wieder  eine  Oboe,  die  ihr  nachmacht,  eine  Klarinette,  die  die 
zweite  Hälfte  ihrer  Periode  mitsingt,  ach  diese  Instrumente  sind  so  teil- 
nehmend und  so  redselig,  aber  sie  haben  sehr  gute  Manieren  und  sind  Cau- 
seure, würdig  einer  so  unterhaltsamen  Kunst. 

Alles  hat  hier  so  gute  Manieren,  und  die  musikalische  Bühne  wird  von  einem 
Stilgefühl  beherrscht,  das  das  Zeichen  einer  vortrefflichen  Erziehung  ist.  Die 
Franzosen  haben  drei  Interessen  an  der  Oper,  das  sprachliche,  das  szenische  und 
das  rhythmische.  Das  Sprachliche  hatten  sie  in  ihrer  ersten  Nationaloper  genü- 
gend befriedigt,  in  der  deklamatorischen  Oper  des  Klassizismus.  Jetzt,  in  dieser 
zweiten  Nationaloper,  die  eine  Volksoper  war,  kommen  die  beiden  anderen 
Interessen  erst  zu  ihrer  rechten  Erledigung : je  mehr  der  große  Sprechdialog  ge- 
stattet ist,  desto  mehr  bilden  sie  an  der  Szene  und  am  Rhythmus,  die  die  Musik 
auf  die  Beine  stellen  und  dann  auch  springen  lassen.  Das  war  die  wichtige  Arbeit, 
die  fruchtbare  Anregung  und  auch  das  notwendige  Ende.  Es  war  eine  künst- 
lerische Konsequenz  mit  allen  Vorzügen  und  Nachteilen  der  Einseitigkeit. 

Sehen  wir  uns  um.  Die  Liebesduette  sind  cs  nicht  so  sehr,  die  das  Neue 
dieser  Opern  darstellen.  Reizend  verkehren  Roger  und  Henriette  mitein- 

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Karl  Walser:  Figurinen  zum  zweiten  .'Met  „lloffmanns  Erzählungen“ 


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ander,  Massarena  und  Angela  wenden  alle  rhythmische  Vielfältigkeit  auf, 
Rafael  und  Casilda  glühen  in  wunderbarer  Leidenschaft,  Johann  von  Paris 
und  die  Prinzessin  necken  sich  ganz  allerliebst,  George  Brown  und  seine 
Anna  finden  bei  aller  Symmetrie  ihrer  Geständnisse  einen  hohen  dramati- 
schen Ausdruck,  aber  diese  Szenen  sind  es  nicht,  die  das  musikalische  Inter- 
esse konzentrieren.  Auch  nicht  die  Spottszenen,  die  typisch  wiederkehren 
und  deren  Muster  die  Gesangsgavotte  der  Madame  Bertrand  im  Maurer 
und  Schlosser  geblieben  ist.  Nein,  es  sind  die  großen  und  kleinen  drama- 
tischen Situationen  in  vielen  Figuren,  die  das  Drama  einknüpfenden  oder 
auslösenden  Ensembleszenen,  in  denen  sich  Technik  und  Charakter  dieser 
Opern  unerreicht  darstellt.  Das  melodiös  federnde  Terzett  des  Blondel 
mit  den  beiden  Dienern  der  Gräfin  im  Richard  Löwenherz,  das  ergötz- 
liche Terzett  der  beiden  Mädchen  mit  dem  Jermis,  der  im  Eimer  in  den 
Brunnen  gelassen  wird,  in  den  „Geizigen“,  so  sind  die  Vorbilder  dieser 
Stücke,  die  weit  über  alle  Überlieferung  der  Buffooper  hinausgehen.  Bei 
den  späteren  Meistern  verdichten  sie  sich  zu  vollendeten  knappen  Dramen 
im  Drama,  ihre  musikalischen  Knotenpunkte  und  Zellcngewebe.  Im  Fra 
Diavolo  nach  der  virtuosen  Zerlinenarie  das  Terzett  mit  dem  müden  Mylord, 
der  ein  so  feines  schläfriges  Thema  bekommen  hat,  und  dann  die  große 
Schlafszene  mit  ihrem  Gebet  und  den  drei  lauschenden  Räubern  und  den 
rettenden  Soldaten  und  allen  lächelnden  Mißverständnissen:  es  ist  heute 
noch  unerreicht  in  der  launigen  und  aparten,  im  Detail  ungewöhnlichen 
Behandlung  einer  Folge  von  Ensembles,  technisch  souverän,  musikalisch 
geistvoll,  in  der  Stimmung  eng  geschlossen  und  auf  den  rechten  Ton  gebracht. 
Der  rechte  Ton,  diese  geheime  Musik  eines  unsichtbaren  Stimmungshinter- 
grundes, das  musikalische  Milieu  der  Szene  ist  der  Erfolg  solcher  Stücke, 
ihre  gute  Arbeit  ihr  Wert.  Eine  Szene  aus  Aubers  Duc  d’Olonne:  der  Herzog 
kommt  mit  seiner  ungekannten  Frau,  die  als  Scholar  verkleidet  ist, zusammen, 
eine  graziöse  Unterhaltung  entwickelt  sich,  von  seiner  Seite  fesch,  von  ihrer 
ängstlich,  Rauchen,  Beten,  Schlafen  — leichte  Melodien  eines  in  die  Ferne 
gerückten  Lebensschicksals  ziehen  durch  die  Luft,  in  die  sich  die  Konver- 
sation wie  unter  dem  Druck  der  augenblicklichen  dramatischen  Notwendig- 
keit rhythmisch  hincinlcgt.  Dramatisches  und  Melodisches  erscheint  getrennt 
in  dem  großen  Versteigerungsensemble  der  Weißen  Dame:  in  der  Mitte 
steht  das  melodische  Soloseptett  mit  Chor,  wundervoll  aus  der  Situation 
gebildet,  ringsherum  läuft  in  einem  Guß  die  dramatische  Szene,  die  Lebens- 
frage für  alle  Beteiligten,  organisch  in  alle  Charaktere  ausstrahlend,  harmo- 
nisch, rhythmisch  in  meisterlicher  Steigerung  fortgeführt.  Plötzlich  aus 
ihrem  tragischen  Dunkel  steigt  die  katastrophale  Szene  der  Schreiberwiese 

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hervor:  die  Häscher  würfeln,  während  hinten  der  Zweikampf  vor  sich  geht, 
ein  Boot  kommt  mit  einer  Leiche  — ist  er  tot  ? Bewegt  sich  noch  sein  Herz  ? 
Wer  von  beiden  ist  tot  ? Schließlich  stürzt  Mcrgy  hervor  und  umarmt, 
mitten  im  unschuldigsten  Tanzfeste,  seine  Isabella.  Der  italienische  Inten- 
dant, der  auch  in  dieser  Oper  intrigiert,  hätte  die  Szene  nicht  so  wirksam 
stellen  können.  Nach  seiner  Art  wäre  mehr  Grisars  „Bon  Soir,  Monsieur 
Pantalon“  gewesen,  eine  delikate  und  zierliche  Buffomusik  in  bester  italienisch- 
französischer Mischung,  das  einzige  Werk,  das  diesen  Autor  heut  noch  leben 
läßt  und  von  allen  typischen  und  dankbaren  Schlafszenen  jedenfalls  die 
spaßigste  enthält.  Adams  Szenen  sind  nicht  so  saubere  Faktur  wie  Auber, 
nicht  so  klar  wie  Boicldicu  oder  so  romantisch  wie  Herold,  aber  sie  sind 
griffig  und  eindringlich,  am  stärksten  das  erste  Postillonfinale,  die  breite, 
vom  Cello  verflochtene  Melodie,  in  der  er  sein  Weibchen  verläßt,  der  Walzer, 
in  dem  der  zukünftige  Tenor  vom  Intendanten  entführt  wird,  die  Chorfuge 
der  nächtigen  Bauern,  die  schöne  Einsamkeit  der  Madeleine.  Oder  das 
Terzett  „Gehenkt“  mit  der  reizenden  Rhythmik  der  erschreckten  Ent- 
deckten. Oder  im  Toreador  das  spaßhafte  Terzett  des  Ehedreiecks,  das  in 
philosophischem  Stumpfsinn  nichts  tut  als  ein  altes  Lied  variieren,  vokali- 
sierend,  baßbrummend,  flötend.  Oder  das  Terzett  in  Giralda:  der  König 
als  Manuel  wie  vorher  Manuel  als  Gines  kreuz  und  quer  Jäger  des  gehetzten 
Mädchens,  ein  rapides  andeutendes  Spiel  im  Finstern.  Oder  weiter  im 
dritten  Akt  das  Quintett,  wo  alle  Mitsingenden  über  die  Vorgänge  schweigen 
müssen,  und  nun  musizieren  sic  in  seligen  Walzern  nur  Interjektionen.  Auch 
der  Flotowschen  Ensembles  nicht  zu  vergessen:  das  anmutige  Quartett, 
in  dem  sich  die  Lady  und  Nancy  auf  dein  Markte  an  ihre  Zukünftigen  als 
Mägde  verdingen,  symmetrisch  im  symmetrischen  Chor,  ein  Kompliment 
der  Dramatik  an  den  Rhythmus,  und  als  Gegenstück,  ein  Kompliment  des 
Rhythmus  an  die  Dramatik,  die  großen  Stradellaszenen,  da  die  gedungenen 
Bravi  erst  im  taktfreudigen  Humor  des  Trinkens  den  bestellten  Mord  für 
unangebracht  erklären,  um  dann  im  nächsten  Finale,  trotz  erhöhten  Hono- 
rars sein  Jungfrau-Maria-Gebet  so  rührend  zu  finden,  daß  sie  endgültig 
an  ihrem  Beruf  verzweifeln  müssen.  Szene  an  Szene  steht  in  diesen  Stücken, 
jede  in  ihrer  Art  upd  in  der  Art  ihres  Autors  den  gesellschaftlichen  Mittel- 
punkt der  Oper  bildend,  das  wohlgefügte  Ensemble  ihrer  dramatischen 
Unterhaltungsgabe. 

Die  Musik  selbst  kann  sich  ihrer  szenischen  Mitwirkung  nicht  mehr 
entschlagen,  sie  will  nicht  bloß  spielen,  sie  will  tätig  sein,  und  das  ist  ihr 
in  der  Folge  sehr  gut  bekommen.  Musik  ist  es,  durch  die  Blondei  den  Richard 
Löwenherz  erkennt  und  befreit,  Musik,  durch  die  Carlo  Broschi  in  Des  Teufels 

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Die  beiden  Schwestern  Grisi.  Lithographie  von  Deveria  1833 


Anteil  das  Herz  des  Königs  gewinnt,  zur  Musik  wird  der  Postillon  von 
Lonjumeau  berufen,  die  Musik  Stradcllas  rührt  die  Mörder,  Musik  ist 
das  Erkennungszeichen  der  Retter  und  Geretteten  im  Maurer  und  Schlosser, 
durch  Musik  zieht  die  Aubersche  „Sirene“  ihre  Netze,  in  der  Parodie  von 
Musik,  von  Zerlinens  Nachtliedchen,  verraten  sich  die  famosen  Kumpane 
Fra  Diavolos.  Überall  Musik  in  Musik.  Dieser  ganzen  Operngattung  ist 
es  eigentümlich,  die  Musik  in  ihrer  Wirkung  auf  Menschen  dramatisch 
einzustellen,  in  ihrer  Verwendung  Einheiten  zu  bilden,  Erinnerungen, 
Zitate,  Erfüllungen.  Die  Zwischenakte  und  die  Melodramen  wiederholen, 
schon  bei  Monsigny,  hübsche  und  wichtige  Stücke  im  Orchester,  die  man 

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eben  auf  der  Bühne  gehört  hat.  Szenenmotivisches  geht  durch  die  Akte 
hindurch,  in  vielfacher  Beziehung.  Roger  zitiert  sein  Liebcsduett,  wenn  er 
von  der  Hochzeit  spricht.  Die  überirdischen  Motive  in  Feensee,  die  Statuen- 
akkorde in  Zampa,  das  wiegende  Schlafmotiv  in  der  großen  Szene  Georges 
in  Halevys  Blitz,  die  Phrase  auf  den  „Herrn  im  Haus“  im  Johann  von  Paris 
sind  solche  Proben  des  Leitmotivs.  F.s  sind  Kleinigkeiten,  aber  Zeichen 
eines  erwachenden  musikdramatischen  Bewußtseins.  Noch  ist  es  nicht 
immer  selbstverständlich.  „Liebe  und  Geheimnis“  heißen  die  Erkennungs- 
worte zwischen  dem  Liebespaar  in  Adams  Giralda:  aber  sie  wiederholen 
nur  die  Worte,  wenn  es  darauf  ankommt,  nicht  die  Musik.  Wie  altmodisch. 
„Einfachheit,  Mut  und  Treue“  ist  die  Devise  des  Isouardschen  Aschen- 
brödels: aber  bei  der  Wiederkehr  erinnert  sie  sich  sofort  auch  der  gleichen 
Musik.  Das  ist  recht  von  ihr!  Es  sind  ja  noch  nicht  Wagnersche  Leitmotive 
auf  Personen,  die  sich  hier  zeigen,  es  sind  szenische  Motive,  die  die  Einheit 
des  Dramas  betonen.  Nichts  arbeitet  für  diesen  Zweck  besser  als  die  über 
alles  geliebte  balladeskc  Romanze.  Sie  scheint  geradezu  zur  Existenz  einer 
opera  comique  notwendig  zu  sein,  bei  all  den  kleinen  durchlaufenden  Be- 
gleitungsmelodien ihre  eigentliche  Liedsubstanz,  ihr  motivisches  Zentrum, 
ihr  Halt  und  Signal  in  allen  Fährlichkeiten  des  Dramas.  Der  französische 
Charakter  findet  in  ihrer  dramatisch  belebten  Lyrik  und  ihrer  lyrisch  ver- 
klärten Dramatik  eine  treffliche  Mischung  der  beiden  Seiten  seines  Tem- 
peraments. Bis  weit  in  die  Sentaballade  und  hinüber  hat  sie  auf  die  Opern- 
form gewirkt  und  hat  in  ihrer  schön  gereimten  und  sinnfälligen  Melodie 
den  Gesangston  dieser  Gattung  merklicher  beeinflußt,  als  irgendein  Lieder- 
typ einer  anderen  Nation.  Die  Löwenherzromanze,  Carlo  Broschis  Wiegen- 
lied, das  Listlied  in  der  Auberschen  Sirene,  das  Fra  Diavolo-Lied,  das  Hand- 
werkerlied im  Maurer  und  Schlosser,  die  Ballade  von  der  Weißen  Dame, 
das  Postillonlied  und  die  letzte  Rose  — rote  Fäden  sind  es,  die  durch  ihre 
Opern  gehen,  der  Buntheit  ihren  Grundton  geben  und  dem  Gewebe  seine 
Festigkeit.  An  ihnen  haftet  alle  Popularität,  und  sie  ziehen  die  Motive 
der  Oper  noch  von  der  Bühne  in  die  Salone  und  wer  weiß  in  welche  Herzen 
ferner  und  träumerischer  Menschen. 

Aber  die  französische  Musik  hat  nicht  bloß  szenische  Pflichten,  auch 
rhythmische.  Und  mit  ihnen  rührt  sie  nicht  mehr  die  Herzen,  sondern  jene 
sensiblen  taktfrohen  Nerven,  die  zu  tanzen  wissen  auch  ohne  Ballsaal,  zu 
tanzen  im  Schwünge  eines  leichtsinnigen  Gefühls  und  einer  akrobatischen 
Moral,  zu  tanzen  selbst  gegen  die  Wahrscheinlichkeit  der  Szene,  bis  die  ganze 
Welt  zum  Konter  wird  und  alle  Geheimnisse  in  einem  Couplet  sich  aus- 
lösen.  Mag  die  große  B-Dur-Arie  Rogers  noch  so  prächtig  und  begeisterungs- 

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voll  sein,  George  Browns  Kavatine  noch  so  verführerisch,  Lyoneis  „ach  so 
frommes“  Geständnis  noch  so  schmelzend,  in  den  Spinnromanzen  der  Mar- 
garete, diesen  volkstümlich  gebundenen,  süß  ausklingenden  Liedchen, 
die  sich  Boieldieu  noch  auf  sein  Grab  wünschte,  liegt  ein  größerer  Zauber, 
eine  galante  Rhythmik,  die  uns  nicht  ruhen  läßt.  Nehmt  die  alten  Savoyarden- 
lieder  aus  Dalayracs  Opern,  diese  reizend  naiven  Tanzstückchen  zu  Leier 
und  Murmeltier,  nehmt  alle  Jagd-  und  Trink-  und  Schnee-  und  Soldaten- 
lieder, meinetwegen  die  besten  aus  dem  sonst  so  ordinären  Eremitenglöck- 
chen Maillarts,  und  laßt  euch  die  fremden  Musiken  vormachen,  Gretrys 
Janitscharenmärsche,  Aubersche  Kölner  Studentenfeste  und  die  schottischen 
Weisen  bei  Boieldieu,  das  feurige  Aragonenrondo  im  Schwarzen  Domino, 
die  vielen  Barkarolen  in  Fra  Diavolo,  in  Zampa,  in  Stradella:  da  springt 
etwas,  was  nicht  zu  halten  ist,  es  will  tanzen,  langsam  tanzen,  schnell  tanzen, 
in  Tönen  tanzen,  schließlich  in  Körpern  tanzen,  Tanzlieder  singen,  Lieder- 
tänze aufführen,  man  betet  zu  Walzern,  liebt  im  Galopp,  polkat  zum  Adieu 
und  alles,  was  uns  erregt  und  beschäftigt,  entzweit  und  versöhnt,  wird  zu- 
letzt eine  Tanzfinale,  geht  in  die  Beine  und  überschlägt  sich.  Tanzen  nicht 
die  beiden  Geizigen  Gretrys  ihre  Habsucht  in  ihren  Duetten,  tanzen  nicht 
Maurer  und  Schlosser  ihre  Redlichkeit  in  Rhythmen  von  taktierter  Arbeit, 
tanzen  nicht  Stradellas  Mörder  ihre  Heimlichkeit  in  huschigen  Poussaden 
und  Promenaden,  und  der  ganze  Markt  der  Martha  — ist  er  nicht  der 
exerzierteste  Chor,  das  formalste  Tanzbild  dieser  gesamten  vergnügten 
Epoche,  das  munterste  Ballett  von  Stimmen?  Rotkäppchen  und  Aschen- 
brödel, setzt  die  Füße  in  die  fünfte  Position  und  macht  euren  pas  de  deux. 
Richard  Löwenherz,  was  hilft  es,  engagiere  schnell  deine  Margarete  zu  einer 
Allemande.  George  Brown,  du  wirst  mir  nicht  zürnen,  wenn  ich  dich  mit 
einer  weißen  Dame  und  einer  anderen  Marmorbraut  den  Saltomortale 
machen  lasse.  Postillon  von  Lonjumeau,  deine  Heimat  weiß  nichts  von  dir, 
als  daß  du  einen  neuen  Kutschergalopp  erfunden  hast.  Angela,  vergiß  den 
Domino  nicht,  wenn  du  heut  abend  zu  uns  auf  die  Schrciberwiese  gehst, 
denn  alle  Häscher  Mergys  und  Räuber  Zerlinens  und  Mörder  Stradellas 
«erden  zusammen  einen  Cancan  drehen,  daß  ihr  des  Teufels  Anteil  in  euren 
Gliedern  spürt.  Letzte  Rose,  wie  magst  du  so  einsam  hier  blühn?  Ach, 
welche  Lust,  Soldat  zu  sein.  Nur  Courage,  nicht  verzage,  treue  Freunde 
sind  dir  nah  — da  tut  sich  die  Tür  auf,  und  Offenbach  begrüßt  uns. 


2ÖI 


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Offenbach 

ICH  bin  ein  Jude  aus  Köln.  Mein  Vater  hieß  Juda  F.berscht.  Ich  habe 
das  Cellospielen  gelernt  und  dieser  Jugenderinnerung  in  einer  berühmten 
Barkarole  ein  Denkmal  gesetzt,  über  die  ich  leider  sterben  sollte.  Ich  hei- 
ratete die  Tochter  eines  spanischen  Karlistenführcrs,  und  dies  ist  das  ein- 
zige Operettenhafte,  was  ich  in  meinem  Leben  geleistet  habe.  Zuerst  machte 
ich  für  Houssave  im  Theatre  franpais  Zwischenaktsmusik,  dann  gründete 
ich  ein  eigenes  Theater,  das  ich  Bouffcs  Parisiennes  taufte.  Man  nannte 
es  scherzend  die  Bonbonniere,  aber  diese  Bonbonniere  wurde  sehr  voll,  und 
ich  versetzte  sie  bald  von  den  Champs-Elysees  nach  der  Passage  Choiseul. 
Es  war  guter  Ton,  zu  mir  zu  pilgern,  obwohl  der  Gottesdienst,  den  ich  mir 
für  mein  Genie  eingerichtet  hatte,  nur  von  wenigen  Personen  ministriert 
wurde.  Ich  durfte  nach  obrigkeitlichem  Befehl  nicht  mehr  als  vier  Figuren 
auftreten  lassen.  Als  ich  einmal  eine  fünfte  brauchte,  ließ  ich  ihr  von  den 
Sarazenen  die  Zunge  ausreißen  und  sie  als  Stumme  von  Offenbach  durch 
geschriebene  Zettel  sich  verständigen.  Ich  hatte  damit  einen  großen  Succes. 
Endlich  entschloß  ich  mich,  mit  diesen  armseligen  Verhältnissen  zu  brechen, 
verfaßte  den  Orpheus  und  wurde  der  Beglücker  der  Menschheit.  Peri  hatte 
mit  seinem  Orpheus  die  Geschichte  der  Oper  begonnen,  Monteverdi  mit 
seinem  Orpheus  die  moderne  Oper  eingeleitet,  Gluck  mit  seinem  Orpheus 
die  große  Reform  vollbracht,  und  ich  habe  mit  meinem  Orpheus  die  vierte 
weltgeschichtliche  Epoche  angefangen,  in  der  wir  uns  jetzt  so  wohl  be- 
finden. Von  diesem  Zeitpunkt  an  organisierte  ich  einen  Weltbetrieb  und 
Europas  Theater  wurden  mir  untertan.  Noch  einmal  versuchte  ich  es  mit 
einem  eigenen  Unternehmen,  aber  das  Gaite  machte  seinem  Namen  wenig 
Ehre.  Ich  reiste  nach  Amerika,  ich  inszenierte  meine  Stücke  auf  den  ver- 
schiedensten Bühnen  beider  Hemisphären,  ich  bekannte  mich  zu  Pracht, 
Ausstattung  und  Ballett,  ich  schrieb  102  Operetten,  ich  machte  Geschäfte 
und  Bankerotte,  hatte  Erfolge  und  Durchfälle,  aber  ich  habe  die  moderne 
Zeit  begriffen  und  ihr  gegeben,  was  sie  wünschte.  Mein  Name  sei  gelobt. 

Man  bewundert  — erlauben  Sie,  daß  ich  mich  setze  — meine  Einakter, 
die  nichts  weiter  sind  als  kleine  opera  comiques  im  Stile  einer  Kunst,  die  ich 
in  meiner  Jugend  um  mich  ihr  gefälliges  Wesen  breiten  sah.  Ich  habe  die 
größte  Abwechslung  hineingebracht.  „Fortunios  Lied“  ist  eine  jener  süßen 
Romanzen,  mit  denen  w-ir  Jünglinge  die  Herzen  der  Damen  gewannen. 
Ich  komponierte  sie  einst  für  ein  Stück  von  Müsset  auf  dem  Theatre  franpais. 
Sie  wurde  vergessen  und  blieb  unter  meinen  Papieren  versteckt.  Als  ich 
sie  wieder  hervorholte,  ergab  eben  dieses  Schicksal  das  Sujet  meines  Stücks. 

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Ein  Pedant  und  Büromensch  hat 
sie  einst  in  seiner  Jugend  erfunden, 
da  er  noch  ein  feuriger  Draufgänger 
war,  jetzt  ist  sie  vergessen,  aber  im 
Staube  der  Akten  hat  ihre  Zauber- 
macht auf  die  weiblichen  Gemüter 
nicht  nachgelassen,  einer  seiner 
Schreiber,  ein  jugendlicher  Sänger, 
findet  sie  und  verführt  damit  die 
Frau  dessen,  der  sie  einst  kompo- 
nierte. Verstehen  Sie  ? Ich  liebe 
dieses  Stück  sehr,  ich  liebe  es,  weil 
es  ein  Stück  meiner  selbst  war,  und 
ich  freute  mich,  die  Untreue  einer 
französischen  Romanze  besingen  zu 
können,  nachdem  meine  Kollegen  so 
oft  ihre  Treue  besungen  hatten.  Man 
muß  sich  verkleiden  können,  meine 
Herrschaften.  Wie  in  meinem  Mon- 
sieur et  Madame  Denis  ein  junges 
herziges  Ausreißerpaar  sich  dadurch 
vor  den  Nachstellungen  rettet,  daß  es  in  die  Kleider  eines  alten  Onkel-  um 
Tantenpaares  kriecht,  denen  kein  Mensch  mehr  etwas  tut,  so  muß  ma 
seine  Späße  und  Launen  nur  in  die  konventionellen  Kleider  stecken,  unc 
jedermann  belobt  sie.  Dafür  haben  die  Denis  auch  meine  schönsten  Walze 
bekommen.  Angelus,  Angelus  singen  sic  im  kanonischen  Quartett  der  „Ver- 
lobung bei  der  Laterne“.  So  etwas  mache  ich  wie  ein  Dompfaff.  Haha 
„Hanni  weint,  und  Hansi  lacht“  und  „Fritzchen  und  Lieschen“  weinen 
und  lachen  auch,  nicht  wahr,  wie  bieder  ist  das,  der  reine  Biedermeier.  Und 
die  gute  alte  biedere  Lotterie  in  der  „Nr.  66“,  durch  die  plötzlich  arme  Leute 
reich  werden.  Ich  machte  darauf  ein  richtiges  großes  dramatisches  En- 
semble. Überhaupt  das  Reichwerden,  worüber  ich  einmal  drei  Akte  schrieb, 
in  der  „Prinzessin  von  Trapezunt“,  Kunstreiter,  die  reich  werden  und  eben- 
so rührende  lyrische  Duette  wie  fashionable  Trinkwalzer  singen.  Am  liebsten 
aber  hatte  ich  eigentlich  die  Soldaten.  Im  „Regimentszauberer“  machte 
ich  Soldatenlieder,  so  gut  wie  Maillart,  und  im  „Zapfenstreich“,  glaube  ich, 
noch  bessere,  diese  dummen,  betrunkenen,  immer  lustigen  Soldatenliebes- 
geschichten, und  in  der  „Zaubergeige“  vermaß  ich  mich  sogar  zu  Zwei- 
deutigkeiten, die  ich  ganz  sachte  zwischen  die  Rhythmen  der  Soldaten 


Offcr.bach 


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und  die  der  Liebe  hineinlegte,  wie  ich  überhaupt  glaube,  daß  der  Reiz 
aller  Soldatenmusik  eine  versteckte  Erotik  ist.  Doch  ich  werde  geschwätzig, 
aber  das  ist  meine  Natur  und  mein  Geschäft.  Ich  empfehle  Ihnen  an- 
gelegentlichst diese  Einakter,  ehe  sie  vergessen  werden  sollten.  Schreiben 
Sie  sie  nur  mit  richtigen  Titeln  in  Ihr  Buch.  Es  heißt  „Urlaub  nach  dem 
Zapfenstreich“,  übrigens  eine  meiner  sorgsamsten  Arbeiten.  Für  die  aller- 
beste erkläre  ich  gern  das  „Mädchen  von  Elizondo“.  Auber  hätte  sich  dieser 
delikaten  Faktur  nicht  zu  schämen  brauchen.  Und  von  allen  Trinkliedern, 
die  ich  schrieb,  steht  hier  das  süffigste. 

Nehmen  Sie  diese  ganze  Operngeschichte  sehr  ernst  ? Ich  nicht,  mein 
Lieber.  Ich  bin  kein  Gelehrter  und  kein  Dogmatiker,  ich  will  mich  wohl- 
fühlen in  dieser  Welt  und  weiß  keine  andere  Philosophie  als  die  einer  lächeln- 
den Kontemplation  und  überlegenen  Ironie  in  einem  Theater,  dessen  Entree 
ich  mit  meiner  Geburt  bezahlte.  Wozu  das  alles  ? Ich  weiß  es  nicht,  Sie 
wissen  es  nicht,  aber  das  Stück  ward  gespielt,  und  die  Gläubigen  sinken 
auf  die  Knie,  die  Fanatiker  fuchteln  mit  den  Armen,  und  die  Organisatoren 
rücken  ihren  Tisch  in  die  Mitte.  Also  lassen  wir  sie  das  Stück  spielen,  immer 
wieder  dasselbe  Stück,  und  amüsieren  wir  uns.  O welche  Koloratur  steigt 
aus  dieser  schmerzvollen  Seele,  welcher  Marsch  beflügelt  diese  kriege- 
rischen Schritte,  welche  Akkorde  murmelt  diese  Priesterschar  und  welche 
Romanzen  singt  dieser  liebende  Jüngling.  Mir  ist  in  manchen  Augenblicken, 
wenn  ich  dies  Theater  sehe,  als  ob  man  die  ihrer  Rolle  so  ergebenen  Leute 
nur  ein  bißchen  zu  kitzeln  brauchte,  und  sie  fangen  alle  an,  laut  zu  lachen. 
Schon  zuckt  es  in  ihrem  Gesichte  und  in  ihren  Beinen.  Sie  müssen  ernst 
bleiben,  stramm  stehen  und  ihren  Dienst  erfüllen,  aber  diese  Sachlichkeit 
und  Pflichtschuldigkeit  ist  nur  die  Maske  einer  ihnen  höchst  unbequemen 
höheren  Wcltordnung,  eine  Maske,  die  sie  sich  aufzusetzen  scheinen,  um 
den  ganzen  Stumpfsinn  ihrer  irdischen  Existenz  noch  grotesker  auszu- 
kosten. Brecht  die  Tragik  um.  Laßt  sie  auf  ihre  Melodien  file,  file  und  bile, 
bile  singen,  und  ihr  habt  ihres  Wesens  Kern.  Patati,  patata  antwortet  der 
Chor,  bing,  bing,  ta  ta,  sing  sing,  ba  la  boum,  und  da  haben  sie  die  Schöne 
Helena,  wie  sie  auf  ihrem  gelben  chinesischen  Bett  Mcnelaus  den  Guten 
betrügt,  Laus  den  Guten.  Welch  ein  Finale!  Es  paßt  auf  alle  Finales 
der  Welt,  und  alle  möchten  in  so  einem  Walzer  schließen.  Trotzdem  gebe 
ich  zu,  daß  mir  die  Schöne  Helena  nicht  ganz  gelungen  ist;  aber  mein  ein- 
ziger Fehler  war,  daß  ich  sie  zu  ernst  nahm.  Paris  will  sie  wirklich  entführen, 
wie  in  der  Sage,  das  ist  kein  Witz,  es  verleitet  zu  lyrischen  Episoden,  die  eine 
unverzeihliche  Echtheit  des  Gefühls  verraten  und  bringt  einen  Schluß,  dessen 
Tragik  geradezu  historisch  wirkt.  Nein,  da  ist  mir  der  Orpheus  besser  geraten. 

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Denn  Orpheus  lehnt 
sichgegen  dieSagcauf! 

Er  will  ja  seine  Euri- 
dice  gar  nicht  wieder 
haben,  und  er  wird 
von  der  öffentlichen 
Meinung  krampfhaft 
gezwungen,  die  Rich- 
tigkeit dieses  Opern- 
stoffs wiederherzustel- 
len. Ausgezeichnet  ist 
mein  Orpheus,  mein 
Witz  wurde  phänome- 
nal, und  die  genialen 
Einfälle  überschlugen 
sich  in  diesen  Pasto- 
rales und  Bacchanales, 

Sterbekoloraturen  und 
Schlafcouplets,  Menu- 
etten und  Cancans, 

Violinkonzerten  und 
olympischen  Brettls,  Fliegenduetten  und  Gluck  — Gluck  — Gluck  — 
ach,  ich  habe  sie  verloren,  ich  nahm  nichts  mehr  ernst  als  den  Spaß.  Ich 
habe  in  meiner  Genoveva  die  Romantik  verspottet,  in  meinen  Banditen 
die  Räuberopern,  auf  daß  ein  großer  F.nscntblekanon  sich  über  den  Text 
soyez  pitoyables  erhebt,  ich  habe  in  dem  vortrefflichen  Pariser  Leben  Schuster 
und  Handschuhmacherin  so  reizend  wie  möglich  die  Tragödien  und  Komö- 
dien der  sexuellen  Erregung  persiflieren  lassen,  auf  das  Loch  eines  Admirals- 
rocks ein  faszinierendes  Ensemble  komponiert  und  der  Pariser  Welt  den 
Spiegel  in  einem  Domcsdkenball  vorgehalten;  ich  habe  im  Monsieur  Chou- 
fleury  eine  Riesenparodie  auf  die  italienische  Oper  geschrieben  mit  allen 
Flüchen  in  verminderten  Septimen,  verzweifelten  Rouladen,  monomanen 
Imitationen,  blöden  Dakapos,  Malheurs  bis  zum  hohen  D,  und  Fermaten, 
die  noch  nicht  aufgehört  haben,  während  ich  Ihnen  dies  auseinandersetze; 
ich  habe  diesen  herrlichen  Blaubart  geschaffen,  der  die  Sage  beinahe  so 
geschickt  wie  Orpheus  auf  den  Kopf  stellt  und  nebenbei  aller  Weiber-  und 
Fürstendienerei  so  musikalische  Rippenstöße  versetzt  — ich  schwärme 
für  ihn,  aber  ich  schwärme  am  meisten  neben  Orpheus  und  Blaubart  für 
die  Großherzogin  von  Gerolstein,  die  ich  Sie  innigst  bitte,  Ihren  Lesern 

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Offenbach»  Hand*chrift:  Fortunios  Lied. 


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wieder  einmal  ans  Herz  zu  legen.  Sie  werden  selbst  am  besten  erklären  kön- 
nen, wie  mir  in  dieser  Soldatenparodic  eine  Einheitlichkeit  des  spezifisch 
Offenbachschen  Tons  gelungen  ist,  gegen  die  alle  Apfelmänner  und  Froufrou- 
roben  nur  Stückwerk  sind,  wie  witzig  das  große  Ensemble  mit  der  Koloratur 
auf  den  musikalisch  völlig  neuen  Begriff  „Nervös“,  wie  komisch  die  Mord- 
ballade und  das  Tanzrondo  mit  der  Schlachtbcschrcibung,  wie  entzückend 
der  wienerische  Briefwalzer,  wie  plastisch  das  herrliche  Degenlied,  kurz 
wie  wahrhaft  tänzerisch  diese  sprühende,  pikante  und  im  besten  Sinne 
frivole  Musik  über  absolute  Nichtigkeiten  des  Textes  komponiert  ist.  Ich 
bin  jetzt  über  dreißig  Jahre  tot  und  also  endlich  frei,  so  weit  es  die  Lizenzen 
meiner  Textdichter  gestatten,  denen  ich  hiermit  ein  unsterbliches  Kompli- 
ment mache.  Ich  habe  der  N’ationaltugend  der  Franzosen,  dem  Rhythmus, 
seine  wahre  und  endgültige  Aufgabe  zugewiesen,  alle  Regungen,  die  unserem 
Wohlbefinden  schaden  könnten,  hinwegzutanzen  und  allen  Unsinn,  der 
unser  Leben  verschönt,  zu  einer  Weltanschauung  von  metaphysischer  Akro- 
batik auszubildcn,  die  das  letzte  ist,  was  wir  über  die  Vorgänge  dieser  Erde 
sagen  können.  Sie  reichen  mir  die  Hand,  ich  danke  Ihnen.  Empfehlen  Sie 
mich  bei  Ihren  Freunden,  und  fragen  Sie  in  allen  Theatern  nach  meinen 
Werken. 

Hiermit  erfüllen  wir  seinen  Wunsch  und  weisen  auf  seine  saubere  und 
selbstbewußte  Musik  in  einer  Zeit,  da  die  Operette  die  alten  Ingredenzien 
des  Tanzrührstücks  zu  einem  eklen  und  stillosen  Brei  zusammenkocht.  Offen- 
bach w'ar  konsequent  gewesen,  so  gut  es  ging,  die  Traditionen  Aubers  und 
Adams  hatte  er  zu  Ende  geführt,  statt  sie  zu  ihrem  Anfang  zurückzudrehen. 
Wir  erinnern  uns  eines  lustigen  Burschen  in  den  Deux  nuits  Boieldieus,  er 
ruft  alle  Geister  der  Scapins  und  Crispins  und  Figaros  an  (wobei  er  Mozarts 
Figaro  zitiert),  ihm  bei  diesem  Spiel  zu  helfen  und  sich  ihnen  ähnlich  zu 
machen.  Offenbach  zitiert  seinen  Gluckorpheus  und  seinen  Rossinifigaro, 
zitiert  Don  Juan  und  die  Marseillaise,  aber  er  lächelt  bei  diesen  Zitaten 
und  weiß  wohl  seine  eigene  Art  zu  finden  und  zu  schätzen.  Kundig  der 
lieblichsten  Feinheiten  aller  solistischen  Instrumente,  die  in  zwei  Strichen 
zeichnen,  und  des  großen  Cancanrausches  eines  losgelassenen  Tutti,  schenkte 
er  uns  Partituren  von  prickelnder  musikalischer  Eigenheit.  Nicht  alles, 
denn  die  Grenze  der  Frivolität  ist  scharf,  aber  vieles,  sehr  vieles  ist  von 
einer  meisterlichen  zynischen  Zeichnung  und  genialen  Erfassung  der  Toll- 
heit des  Augenblicks.  Dies  ist  sein  Wesen:  eine  trockene  Feinheit,  die  der 
närrische  Rhythmus  in  Schaum  schlägt.  Diatonisch  eine  Figur  über  die 
Stufen  der  Tonleiter  zu  locken,  mit  der  Dominante  als  einem  süßen  necki- 
schen Ziel  zu  spielen,  Tonika  und  Dominante  einfach  sich  abwechseln  zu 

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lassen  und  darüber  die  Me- 
lodie in  einem  harmonisch 
reizvollen  Doppelsinn  zu 
spannen  mit  allen  hinein- 
geschmuggelten Durch- 
gangstönen , die  freche 

Nacktheit  rhythmisch  ge- 
ketteter Akkordtöne  in  un- 
schuldigster Brechung,  alle 
kleinen  Bosheiten  fremder 
oder  halb  versteckter  Baß- 
töne, alle  faits  divers  plau- 
dernder Zwischenmelo- 
dien, alle  unverschämten 
Trillerchen,  das  spöttische 
Nachleiern,  die  schnippi- 
schen Repliken,  die  plap- 
pernden Schlußformeln, 
das  Halbsingen  des  Varietes 
und  das  Parlandoschnurren,  plötzliche  verblüffende  Übergänge  in  die 
Halbtonstufc,  das  stumpfsinnige  Unisono  des  Basses  mit  der  Walzermelodie, 
dumpfe,  aufbegehrende  Chöre,  Pianissimogeständnisse  und  erschreckliche 
Fortissimoschläge  — aus  alledem  webt  sich  die  feine  Sinnlichkeit  seiner 
Musik,  die  von  einem  gierigen  Tempo  durchzittert  ist  und  den  demi- 
mondänen  Instinkten  des  zweiten  Kaiserreichs  einen  Glanz  gibt,  der  sie 
von  der  mondänen  Frivolität  der  Regence  kaum  noch  unterscheidet.  Tan- 
zende Mythologie,  der  olympische  Cancan,  böotische  Romanzen,  Polkas 
der  spartanischen  Helden,  ein  Parisurteil  als  Walzer,  und  wieder  dieser 
entzückende  Ballrausch  „il  est  gris“,  dies  Schleifen,  Kokettieren,  Lachen 
und  Küssen  „tout  tourne“  — in  diesem  „Pariser  Leben“  besingt  die 
Baronin  die  beiden  schönen  Frauen,  die  sie  in  der  strahlenden  Gesellschaft 
der  Weltstadt  findet:  die  eine,  assez  commode  et  l’orchcstre  est  plcin  de 
ses  amants,  die  andere  eine  Komtesse  von  fünf-  bis  sechshundert  Jahren 
Adel.  Sie  kann  sie  nicht  unterscheiden,  beide  sind  gleich  frisiert,  haben 
die  gleichen  Allüren,  dieselbe  Impertinenz,  im  Blick  dieselbe  hardiesse  ä tout 
dire,  dasselbe  Lächeln,  dieselben  jungen  Leute.  Was  ist  aus  dem  Bürger- 
tum geworden  ? Es  läßt  sich  gehen,  weil  es  seinen  Meister  findet,  der  es 
gehen  lehrt,  den  politischen  und  den  musikalischen  Meister,  und  weil  es 
einmal  noch  in  diesem  Leben  sich  austanzen  will,  ehe  es  zu  spät  wird.  Ist 

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diese  Musik  cocodette  oder  ist  sie  cocotte  ? Wir  können  es  nicht 
unterscheiden  und  wissen  nur,  daß  sie  doch  sehr  schön  ist.  Irgend 
etwas  leuchtete  hier  zum  letztenmal  von  der  Oper  her,  eine  frische 
Lüsternheit,  die  nur  so  verführerisch  sein  konnte,  w’enn  sie  so  gefähr- 
lich war. 

Offenbach  aber  schreibt  Hoffmanns  Erzählungen  und  vollendet  sie 
nicht  mehr.  Er  hat  uns  dieses  Werk  verschwiegen.  Warum  ? Es  war  sein 
„höheres  Genre“,  nach  dem  er  sein  Leben  lang  die  Sehnsucht  trug,  wie  Aubcr 
oder  wie  Herold.  War  es  nur  sein  Ehrgeiz  oder  war  es  sein  Wesen,  und  hat 
er  geschauspielert  und  geschmeichelt,  als  er  all  das  andere  machte  und  ver- 
teidigte ? War  auch  dieser  Satiriker  im  innersten  Kern  seiner  Natur  ein 
lyrischer,  wehmütiger  Mensch,  der  sich  betäuben  mußte,  um  nicht  zu  zwei- 
feln, und  uns  belügen,  um  nicht  sich  selbst  die  Wahrheit  einzugestehn? 
Nun  fällt  eine  Träne  von  seinem  Auge,  und  sie  wurde  die  schönste  Erinnerung 
an  ihn.  Puppen  wollte  er  zum  Singen  bringen,  und  sie  ließen  die  reizendsten 
Walzer  erklingen,  bis  sie  ihm  zersprangen.  Kurtisanen  wollte  er  mit  zaube- 
rischer Fadheit  einlullen,  aber  sie  vernichteten  ihn,  indem  sie  ihm  sein 
Ebenbild  stahlen.  Virtuosinnen  wollte  er  in  den  Triumph  ihrer  Kunst 
herauslocken,  aber  sie  starben  ihm,  indem  sie  ihm  sangen.  Und  immer  war 
es  derselbe  Feind,  der  Puppenmachcr,  Schattenstehler  und  Lebenstöter, 
der  ihm  die  Liebe  verdarb.  Jetzt  sitzt  er,  von  der  Gicht  geplagt  und  phan- 
tasiert diese  Oper  der  Oper  und  schreibt  eine  Musik  so  anmutig,  innig  und 
tapfer,  so  gerade  und  echt,  erst  tänzerisch,  dann  schwelgend,  zuletzt  zärt- 
lich, wie  er  sich  nie  erinnern  kann,  nur  geahnt  zu  haben,  — da  macht  ihm 
sein  Doktor  Mirakel  den  allerletzten  Aktschluß  und  holt  ihn,  ehe  er  ihn 
selbst  auf  die  Partitur  gebracht.  Ein  großes  Spötterlcbcn  fand  dieses 
wunderbare  Schicksalsende,  in  seiner  Wehmut  so  schön  wie  in  seinem 
Werke. 

Nur  ein  paar  Worte  noch  an  den  Rand.  Hervc  hatte  vor  Offenbach 
mit  kleinen  ähnlichen  Singspielen,  auch  auf  eigenem  Theater,  die  Gattung 
vorbereitet.  Nach  Offenbach  schlug  sie  weite  Wellen,  bis  an  den  fernsten 
Sand.  Planquette  ist  einer  der  anständigsten  Namen  aus  der  Nachfolge. 
Suppe  verpflanzte  die  Schule  nach  Wien,  wo  sich  die  Operette  mehr  aus  dem 
Gesellschaftstanz  als  aus  der  Oper  rekreiren  sollte:  das  ist  die  Bedeutung 
der  Fledermaus.  Lecocq  wurde  der  Gefeiertste  in  der  Pariser  Heimat.  Offen- 
bach hatte  einmal  einen  Preis  ausgeschrieben,  aus  dessen  Wettbewerb  Bizet 
und  Lecocq  als  Sieger  hervorgingen.  Bizet  machte  sich  in  andere  Gegenden 
auf,  Lecocq  blieb  bei  der  Familie.  Die  Mamsell  Angot  kam  1872  heraus 
und  übertraf  alle  seine  noch  sehr  wohlanständigen  und  gesinnungstüch- 

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tigen  Werke  an  Tempo,  W itz  und  Melodie.  Es  war  das  letzte  populäre 
Zeugnis  des  gallischen  Rhythmus.  Wenn  wir  seinen  schönen,  oft  gesungenen, 
oft  getanzten  W'alzer  hören,  umschweben  uns  die  Stimmungen  dieses  Kapitels, 
das  wir  ungern  verlassen. 

Tournez,  tourncz, 
qu’a  la  valse  on  se  livre, 
eile  charmc,  eile  enivre 
les  coeur»  passioncs  . . . 


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DIE  GROSSE  HISTORISCHE  OPER 


Spontini 

INDEM  wir  zur  großen  historischen  Oper  übergehen,  wandern  wir  aus 
recht  heiteren  und  glücklichen  Gegenden  in  etwas  hohle  und  schallende 
Räume.  Was  hilft  es,  daß  uns  davor  graut  — wir  haben  hier  ein  Haus  zu 
bauen,  das  Haus  der  Oper,  in  dem  der  Grundriß  ihrer  Geschichte  vollständig 
zu  sein  hat  und  der  Aufriß  von  der  Lust  des  Schriftstellers  abhängt,  Menschen 
und  Werke  in  seiner  Anschauung  aufeinander  einzurichten  und  zu  beziehen. 
Nochmals:  wir  bauen,  wir  bauen  die  großen  Kulturschichtcn,  die  die  Oper 
abgesetzt  hat,  zu  einem  Ganzen  zusammen,  das  die  Geologie  musikalischer 
Seelen  zeigt.  Es  liegt  uns  nicht  an  der  Analyse  und  Chronologie,  sondern  an 
der  Freude  des  Spektrums,  das  das  Prisma  der  Geschichte  aus  einem  weißen 
Lichte  gebrochen  hat,  wahrnehmbar  nur  in  diesen  abgeleiteten  Farben.  Die 
weiße  Oper  ist  nichts,  als  was  sie  alles  gewesen  ist.  Am  Spektrum  lesen  wir, 
was  in  ihr  verbrannte.  Und  so  nur  bauen  wir  ihr  Regenbogenhaus. 

Die  opera  comique  war  uns  Lebenssache,  etwas,  was  wir  heut  allzusehr 
verloren  haben  und  unbenommen  lieben  und  studieren  sollten,  um  munter 
zu  werden.  Die  historische  Oper  ist  uns  nichts  als  Tatsache.  Es  sind  aus 
ihrem  Kreise  vier,  fünf  Werke  lebendig  geblieben,  weil  sie  ihren  Typ  am  kräf- 
tigsten vertreten.  Das  meiste  ist  dahin  und  ist  Bibliothek  geworden.  Es 
war  eine  Gattung,  die  nicht  aus  inneren  Notwendigkeiten  kam  und  auch  keine 
Veranlassung  hatte,  besonders  liebenswürdig  zu  sein.  Sie  hatte  nicht  das  Ziel : 
Schönheit,  sondern  das  Ziel:  Wirkung.  Geniale  Momente  fehlten  ihr  nicht, 
die  auch  die  Wirkungen  auf  Schönheiten  zurückführten.  Aber  so  laut  ihr 
Schall,  so  energisch  ihr  Stoß  im  Augenblick  zu  sein  wünschte,  so  wenig  nach- 
haltig war  er  für  eine  Ewigkeit,  die  aus  der  Tiefe  der  Empfindung  und  Größe 
der  Auffassung  ihre  Schuld  bezahlt. 

Die  historische  Oper  wohnt  in  Paris.  Sie  ist  ein  Nachkomme  der  großen 
französischen  klassizistischen  Oper,  nur  wendet  sic  die  Musik,  die  dort  noch 
etwas  von  einer  erhabenen  und  gläubigen  Religion  hatte,  auf  den  Effekt  hin, 
wozu  ihr  die  gewaltigen  Aktionen  und  der  Chor-  und  Tanzapparat  bestens 
helfen.  Sie  wendet  das  Futter  nach  außen.  Die  Komponisten,  die  sich  zu 
diesen  Schaustellungen  entschlossen,  mußten  in  ihrem  Gliederspiel  und  ihren 

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Travie«:  Pantheon  Musical  1843.  Mt-yerbcer  (im  Käfig  Prophet  und  Afriluncrin).  Halcvy  (schnupft 
bei  ihm).  Nicdermeyer,  Labarrc,  Carafa,  Boicldicu.  Berlioz  (Rcisceindrücke).  Grisar,  Adam  (al* 
Poitillon).  Donizetti  (Dampffabrik).  Auber  (im  schwanen  Domino  .auf  ehernem  Pferd).  Clapbson, 
Montfort,  Thomas,  Spontini  (unzufrieden),  Rossini  (in  seliger  Ruhe) 


motorischen  Nerven  einen  großen  biologischen  Reiz  haben.  So  langweilig 
oft  ihre  Werke  sind,  so  interessant  und  faszinierend  sind  sie  als  Lebewesen. 
Die  Autoren  der  opera  comiquc  waren  biedere  und  ruhige  Leute,  Arbeiter 
ihrer  Sache  — diese  sind  in  den  verschiedensten  Arten  Herrscher  ihrer  Kunst, 
die  sie  zur  glänzenden  Kurtisane  ausbilden. 

Wagner,  in  seinen  Erinnerungen  an  Spontini,  gibt  ihm  bei  aller  Wirkungs- 
seligkeit zu,  daß  er  es  ernst  genommen  habe  und  von  sich  ausgegangen  sei, 
während  Rossini,  ein  frivoler  Unterhalter,  vom  Publikum  ausging,  und  schließ- 
lich Meyerbeer  beides  habe  verbinden  wollen,  also  ein  Nichts  darstelle,  von 
Rossini  als  Heuchler,  von  Spontini  als  Verräter  angesehen.  Diese  Einteilung 
trifft  die  drei  Charaktere,  doch  ärgern  wir  uns  nicht  mehr  so  darüber. 

Spontinis  Lebensbogen  setzt  in  dem  italienischen  Neste  Majolati  ein,  im 
Kirchenstaat,  und  geht  dort  wieder  nieder,  nachdem  er  ein  napoleonisches 
Schicksal  durchlaufen  hat.  Der  Vater  ist  ein  Schuhmacher.  Der  Junge  sitzt 
stundenlang,  dem  Glockenspiel  zuzuhören.  Warum  soll  er  auch  kein  Priester 
werden  ? Sein  Bruder  ist  einer  in  einem  römischen  Dorf,  ein  anderer  Mönch 
in  einem  venezianischen  Kloster,  die  Schwester  hat  den  Schleier  genommen. 
Er  wird  auf  das  Neapler  Konservatorium  dclla  Pieta  geschickt.  Aber  er  flieht. 
An  den  Glocken  hatte  ihn  nicht  die  Kirche,  sondern  die  laute  Musik  interes- 
siert. Cimarosa,  Piccini  helfen  ihm.  Er  komponiert  in  Rom  Opern  und  hat 
Erfolg,  erhält  die  Scrittura  für  Venedig.  Das  Los  ist  entschieden.  Er  fertigt 
die  übliche  Anzahl  Jugendopern  an,  die  er  später  noch  lächelnd  als  sein  Kin- 
derspielzeug  zeigt.  Er  geht  nach  Paris  — aus  Opcrnwillen.  Der  Sänger  Elle- 
viou  liebt  und  protegiert  ihn.  Er  komponiert  eine  kleine  unanständige  Oper, 

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La  petite  maison,  die  einen  solchen  Durchfall  gab,  daß  das  Publikum  das  Or- 
chester hinausvvarf.  Jetzt  hält  Kaiserin  Josephine  die  Hand  über  ihn  — wie- 
viel geschickte  Machinationen  müssen  dazu  geführt  haben.  Man  weiß  nicht 
alles,  das  meiste  noch  erzählt  Bcrlioz  im  dreizehnten  Kapitel  seiner  Orchester- 
soirccn.  Er  entschließt  sich  zu  de  Jouys  „Vestalin“,  bei  deren  Komposition 
er  den  Mantel  dreht  und  französisch  empfindet,  mit  Gluck  als  Vorbild.  Es 
ist  Ende  1807,  die  Arbeit  hat  lange  gedauert,  er  ist  schon  33  Jahre.  Es  wird 
heftig  einstudiert,  und  die  Intrigen  sind  gewaltig.  Die  Branchu,  eine 
Stimme  von  breitem  Volumen  und  eine  leidenschaftliche  Tragödin,  nennt 
die  Rezitative  der  Julia  unsingbar.  Die  Konservatoristen  sagen:  sein  Gesang 
liegt  wie  Haare  auf  der  Suppe.  Da  ertönt  Napoleons  Diktum : „Das  Unmög- 
liche soll  möglich  werden.“  Der  Erfolg  des  Abends  ist  entscheidend;  selbst 
Lesueurs  Barden,  die  einzige  Konkurrenz,  müssen  zurückweichen.  Spontini 
erhält  den  zehnjährigen  Opernpreis  Napoleons:  10000  Franken.  Der  Ruhm 
wendet  sich  nach  Italien  zurück.  Die  Vestalin  beherrscht  eine  ganze  Sai- 
son von  San  Carlo. 

Das  Geschick  dieser  antiken  Nonne  hat  etwas  Rührendes.  Sie  liebt  und 
wird  geliebt,  ihr  Licinius  dringt  in  ihr  Heiligtum,  sie  wird  zum  lebenden 
Grab  geführt,  er  zettelt  einen  Aufruhr  an,  aber  Vesta  sendet  den  versöhnenden 
Blitz  auf  ihren  Altar  und  alles  mündet  in  ein  Rosenfest.  Julias  Herz  ist  bei 
diesen  einfachen  und  starken  Erlebnissen  voll  musikalischer  Gefühle.  Sie  be- 
klagt ihre  harte  Jugend  — un  instant  de  bonheur  en  a marque  lc  terme,  ne  les 
regrettons  pas : da  klingt  etwas  aus  echtem,  reinem  Grunde.  Es  umschwebt 
sie  eine  Sphäre  wahrer  Empfindung.  Ihre  große  Soloszene  im  zweiten  Akt,  da 
sie  im  Vcstatempel  ihren  Geliebten  erwartet,  ist  von  einer  keuschen  Traurigkeit, 
die  in  schönen  leisen  musikalischen  Linien  gezeichnet  ist.  Ein  sanftabfließendes 
Nachspiel  ist  von  stimmungsvoller  dramatischer  Wirkung.  Aber  das  folgende 
Duett  mit  Licinius  läßt  nach,  bleibt  vielfach  in  der  Konvention  und  ist  sogar 
von  Geschmacklosigkeiten  nicht  frei.  Damals  faßte  man  cs  als  italienische 
Leidenschaft  auf,  heut  klingt  cs  hohl  und  zeigt  das  Skelett  pedantischer 
Klassizität.  Die  Chöre  an  die  chastc  pretresse  im  ersten  Akt,  der  Trauerzug  der 
Vcstalinncn  im  dritten  haben  von  der  Feinheit  der  Gluckschen  Kontur  einen 
Schimmer  zurückbchalten.  Die  großen  Finale  sind  durchsichtig,  schlicht  und 
klar.  Die  ganze  Haltung  ist  noch  sehr  anständig  und  nicht  zu  äußerlich.  Aber 
eine  sonderliche  Erfindung  spricht  uns  nicht  mehr  an,  und  längst  ist  das 
Stück,  das  einst  durch  einige  kühnere  Modulationen  beim  Übergang  der 
Juliaklagen  zu  dem  Priesterfluch  oder  durch  das  Kreszendo  der  geteilten 
Fluchchöre  eine  momentan  aufrüttelndc  Wirkung  übte,  zur  akademischen 
Buchstabenliteratur  geworden.  Doch  denkt  man  wohlwollend  daran  zurück. 

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Spontini  beschäftigt  sich  jetzt  mit  einer  Elektra,  aber  Napoleon 
wünscht  etwas  Spanisches,  und  so  entsteht  der  Ferdinand  Cortez,  zwei 
Jahre  nach  der  Vestalin.  Es  wurde  eine  Oper  ohne  Liebesszene,  aber  auch 
überhaupt  ohne  innerliches  Interesse.  Amazily,  die  Mexikanerin,  ist  bei  Cor- 
tez als  Geliebte  und  Christin;  dessen  Bruder  Alvarez  als  Geißel  bei  Monte- 
zuma;  Amazilys  Bruder  steht  zwischen  den  Parteien.  Sie  laufen  alle  hin  und 
her,  machen  gehörigen  Lärm,  aber  keine  Handlung.  Die  Katastrophe  für  den 
Künstler  ist  da.  Zum  Tanzchorfinale  des  zweiten  Aktes  müssen  die  Mexikane- 
rinnen ins  spanische  Lager  kommen,  damit  Frauenstimmen  vorhanden  sind. 
Cortez  läßt  die  Schiffe  verbrennen,  angeblich,  um  jeden  Rückzug  unmöglich 
zu  machen,  in  Wahrheit,  um  dem  Publikum  einen  Frisson  zu  bereiten.  Der 
letzte,  viel  umgearbeitete  Akt  ist  ein  tonloser  Ricsenrummcl  von  Schlachten, 
Opfern,  Rührungen  in  krasser  Mischung.  Durchweg  wird  die  Dynamik 
künstlich  drapiert,  als  Deckmantel  für  die  schwache  Harmonik  und  Melodie. 
Die  französischen  Effekte  wirken  bis  ins  einzelne:  in  das  plötzliche  Marsch- 
werden, in  die  Phrase  der  Gloire,  in  das  Morcndo  der  Aufzüge.  Das  Duett 
Amazilys  mit  ihrem  Bruder  ist  ein  Muster  der  Leere  in  Modulation  und 
Kantilene.  Anderes  sticht  wie  ein  musikalischer  Blitz  hervor:  die  schöne 
Akapella-Szene  der  Gefangenen  am  Anfang,  in  scharfem  C-Moll  und  C-Dur, 
gut  gegen  die  wilde,  zerrissene,  aber  fugierte  Wut  der  Mexikaner  gesetzt. 
Oder  die  Meuterei  der  geteilten  Spanierchöre.  Am  meisten  wieder  gewisse 
Gefühlsdetails  in  der  Luft  der  Amazily:  rührende  Vorhalte,  lange  Harmo- 
nien, besonders  jene  barocken  geschobenen  Akkorde,  über  denen  die  Stimme 
eigenwillig  zögert,  avec  expression  sans  presser,  die  Wagner  in  den  vierziger 
Jahren  im  Ohre  geklungen  sein  müssen,  wie  die  Doppelschläge  in  der  Melodie 
oder  die  laufenden  Bässe  unter  breiten  Märschen,  die  zur  Handschrift  Spon- 
tinis  gehören.  Es  sind  wie  kleine  lebensfähige  Keime  in  der  Wüste  dieses 
hohlen  Pathos. 

Immer  wieder  decken  wir  eine  Oper  Spontinis  zu,  während  wir  seinen 
Lebensweg  aufwärts  verfolgen.  Er  wird  Direktor  der  Italienischen  Oper  und 
man  rühmt  ihn  für  die  Aufführung  des  originalen  Don  Juan.  Er  wird  pen- 
sionsberechtigter Hofkomponist.  Aber  allerlei  Mißlichkciten  kündigen  ihm 
den  Schluß  dieses  Lebensabschnittes  an  und  auch  seine  nächste  größere 
Oper,  die  Olympia,  hat  keinen  rechten  Erfolg  mehr.  Olympia,  zum  dritten- 
mal eine  Oberpriesteroper,  ist  noch  unmenschlicher,  als  Cortez  gewesen  war. 
Das  ist  die  Tochter  Alexanders  des  Großen,  sic  liebt  Cassander,  der  des  Mor- 
des von  Alexander  beschuldigt  wird,  Antigonus,  der  Intrigant,  bekriegt  ihn 
und  bekennt  sich  sterbend  als  Mörder.  Dazu  kommt  die  klagende  Mutter 
Statira,  klassischer  in  ihrem  Schmerz  als  ihre  Nachfahrin,  die  Fides.  Klas- 

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sisch!  Das  Duett  Cassander-Olympia  hat  noch  diese  Allüren  des  edlen 
Satzes,  breiten  Gefühls,  gesangvollen  Baus,  das  erste  Finale  hat  noch  Herb- 
heit und  Strenge,  ein  gewaltiges  Kreszendo  mit  chromatischen  Skalen,  plötz- 
lichen Fortissimi,  melodischen  Zwischensoli,  ziehenden  Akkord  Vorhalten  und 
den  steigenden  Ringen  um  die  Dominante,  die  bis  in  den  Tristan  lebendig 
blieben.  Es  ist  Fresko,  Farbe,  Wucht  in  den  Rachechören  mit  ihren  Akkord- 
explosionen und  konsequenten  Schreien,  es  ist  Bühne  im  Tod  des  Intri- 
ganten, der  in  alle  Hochzeitschöre  sich  hineinkontrapunktiert  hat,  bis  er 
hier  in  seitenlangen  Flüchen  der  verminderten  Septime  und  chromatischen 
Leiter  endet,  es  ist  Instinkt  in  den  wirksamen  peitschenden  Orchestervor- 
spielen und  ausklingenden  Nachspielen,  es  ist  ein  reinerer  Effekt  in  den  In- 
krustationen von  Hochzeits-  und  Rachemotiven  als  in  den  Grausamkeiten 
des  Cortez  — aber  nichts  Natürliches  und  nichts  Hellsichtiges,  nichts  Un- 
mittelbares lebt  mehr  in  dieser  in  die  Musik  hineinphrasierten,  auf  die  Wir- 
kung hcrausmodellierten  Kunst,  die  nur  ein  bemalter  Gipsabguß  des  klassi- 
schen Originals  scheint.  Die  Meister  dieser  Gattung  erfinden  nicht,  sie  fin- 
den nur.  Sic  finden  die  ganze  große  weite  Musik,  die  sie  mit  imperatorischer 
Gebärde  in  den  Dienst  ihrer  Wirkungen  befehlen,  klagende  Einsamkeit  und 
tanzende  Gesellschaft,  Stolz,  Demut,  Hingebung,  Haß,  Ehrgeiz,  Resignation, 
alles  was  Töne  hat  und  seine  Melodie  bildet,  wird  auf  die  Rastra  geworfen 
und  im  Bühnenlicht  erprobt,  alles  wird  in  seine  Extreme  gezogen  und  dann 
auf  das  knappste  zusammengeschlagen.  Sie  sind  Dirigenten,  Techniker, 
Souveräne  von  Instrumenten.  Auch  Spontini  kennt  sein  Orchester  da  unten, 
wie  er  es  da  oben  und  da  drüben  kennt.  Er  weiß  die  Schwachen  zu  beleben 
(Bratschen),  er  weiß  die  Starken  zu  zünden  (Bläser),  er  weiß  die  Gruppen 
aufeinander  zu  organisieren,  daß  die  Dissonanzen  der  einen  durch  die  andere 
aufgelöst  werden. 

Er  weiß,  daß  seine  Pariser  Epoche  sich  dem  Ende  zuneigt,  und  nimmt  in 
Berlin  an.  1819  war  die  „Olympia“,  1820  ist  er  bei  Friedrich  Wilhelm  III., 
der  nichts  als  den  Prunk  an  seinen  Opern  liebt  und  sie  mit  ungeheurem  Ap- 
parat in  Szene  setzt,  Pferde  im  renovierten  Cortez,  Elefanten  in  der  Olym- 
pia, die  E.  T.  A.  Hoffmann,  leider  begeistert  für  Spontini,  ins  Deutsche 
übertragen  hat.  Berlin  war  außer  sich  vor  Bewunderung  der  Wirkungen 
seiner  Musik,  Schinkel  machte  die  Dekorationen  dazu,  die  ausbrechende 
Leidenschaftlichkeit  der  Milder  trug  die  weiblichen  Hauptrollen.  Es  war  die 
einzige  Epoche,  da  Berlin  als  Opernstadt  etwas  bedeutete,  und  prinzipielle 
Dinge  dort  verhandelt  wurden.  Denn  der  Gegensatz  gegen  die  imperato- 
rische Manier  Spontinis  bildete  sich  bald  heraus.  Intendant  Brühl,  der  fein- 
sinnigste, der  je  auf  diesem  Posten  stand,  neigte  zur  Gegenpartei,  den  deut- 

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Spontini,  nach  der  Natur  gezeichnet  von  W.  Ternik  1830.  Lithographie  Lemercier 

sehen,  echten,  herzlichen,  die  sich  um  Weber  scharten.  Der  Generalmusik- 
direktor war  ihm  nicht  unterstellt,  er  ließ  es  darauf  ankommen : dieser  napo- 1 
lconische  Mann,  nicht  groß,  fein,  hofmännisch,  spröde,  schmal  mit  hohem 
Kopf,  geziert,  rasch,  leicht,  immer  in  dem  moosgrünen,  mit  Orden  ge-  | 
schmückten  Frack,  entwickelte  eine  wahnsinnige  Energie  in  der  Behauptung 
seiner  Stellung,  die  sich  bis  zur  Majestätsbeleidigung  wagte.  Die  Parteien 
werden  wachgerufen.  Er  schreibt  Nurmahal,  einen  persischen  Stoff.  Er 

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schreibt  Alcidor,  durch  seine  Ambosse  berühmter  als  durch  seine  Musik. 
Sein  Textdichter  Theaulon  erzählt  in  seinen  Memoiren,  wie  er  ihn  gequält 
hat,  aber  das  Publikum  staunte  über  die  Flammensäulen,  mit  Spiritus  in 
Glas.  Er  schreibt  Agnes  von  Hohenstaufen,  in  der  das  Orchestergewitter 
mit  einem  Bühnenquintett  und  einem  Nonnenchor  gleichzeitig  losfahren. 
Rellstab  wettert  in  Artikeln  und  Broschüren  gegen  ihn.  Der  Kronprinz  ver- 
bietet ihm  eine  effektvolle  Neuinstrumentierung  Glucks.  Gegen  den  miß- 
günstigen und  eingebildeten  Musiktyrannen  ist  endlich  der  Haß  so  gewach- 
sen, daß  bei  einer  Aufführung  des  Don  Juan,  der  ihm  einst  in  Paris  den 
größten  Ruhm  gebracht  hatte,  am  2.  April  1841  das  Publikum  heftig  und 
andauernd  demonstriert;  er  muß  für  immer  das  Berliner  Dirigentenpult  ver- 
lassen. In  leidenschaftlichem  Kampfe  ging  damals  für  Berlin  eine  Epoche  zu 
Ende,  die  sich  im  Leoncavallo-Rummel  unserer  Tage  kaum  zu  wiederholen 
wagte,  für  Spontini  aber  war  die  zweite  Herrscherperiode  abgeschlossen  — 
ein  Lebensbild  von  solcher  Kraft  der  Farbe,  daß  wir  über  die  stofflichen 
Differenzen  heute  kaum  noch  wüten  können. 

1842  verläßt  er  Berlin  und  lebt  ambulant,  am  liebsten  in  Paris.  Eine  be- 
rühmte Szene  aus  dieser  Zeit  schildert  uns  Wagner.  Spontini  kommt  zur 
Dresdener  Vestalin  1844,  mit  der  Schröder -Devrient.  Er  kommt  plötz- 
lich und  unerwartet  zu  den  absichtlich  verzögerten  Proben.  Sofort  ändert 
er  die  Orchesteraufstellung  — nach  beiden  Seiten  gleichmäßig,  was  Wagner 
dankbar  übernimmt,  wofür  jener  die  Baßtuba  des  Rienzi  der  Vestalin 
hinzufügt.  In  der  Unterhaltung  feierlich  und  kategorisch,  ist  er  vor  dem  Or- 
chester erst  recht  in  derselben  Pose.  Er  verlangt  zwölf  Kontrabässe.  Er  muß 
einen  großen  Ebenholztaktstock  mit  Elfenbeinknöpfen  haben,  den  er  wie  ein 
Feldmarschall  in  der  Mitte  faßt.  Er  dirigiert  mit  den  Augen  — linkes  Auge 
ist  erste  Violine,  rechtes  zweite.  Er  peitscht  den  Chor  zu  staunenswerten 
Evolutionen  auf.  Er  haut  die  Forzati,  die  er  immer  mit  „diese“  bezeichnet, 
in  Paris  hatte  er  „cette“  geschrien.  Er  sichert  sich  Erfolge,  indem  er  seine 
Oper  gern  Sonntag  ansetzt.  Er  behauptet,  daß  nach  der  Vestalin  keine 
Note  geschrieben  wäre,  die  nicht  aus  seinen  Werken  gestohlen  sei.  Was  sollte 
überhaupt  nach  ihm  noch  kommen.  Die  Vestalin  war  römisch,  Cortez 
spanisch,  Olympia  griechisch,  Agnes  deutsch  — tout  le  reste  ne  vaut 
rien.  Dazwischen  zeigt  er  Fürstenbriefe  und  Ordenspatente  und  nennt  den 
Freischütz  ein  kindisches  Genre.  Je  ne  veux  pas  mourir.  Er  starb  1851  in 
demselben  Hause  in  Majolati,  in  dem  er  seine  Jugend  verlebt  hatte.  Der  ge- 
waltige Kreis  war  geschlossen.  Er  soll  taub  und  gedächtnisschwach  geworden 
sein,  und  wohltätig. 


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Aubcr 


ERST  neun  Jahre  nach  der  Olympia  kommt  in  Paris  diejenige  Oper  zur 
Aufführung,  die  das  Genre  des  Historischen  im  europäischen  Glanze  hin- 
stcllte:  Aubers  Stumme  von  Portici.  Das  war  1828,  1829  folgte  Rossinis  Teil, 
1831  Meycrbecrs  Robert  der  Teufel,  drei  ungeheure  Erfolge,  die  alles,  was  Spon- 
tini  mehr  in  seiner  Natur  als  in  seiner  Kunst  gehabt  hatte,  radikal  durchführten. 
Es  waren  drei  Schläge  von  solcher  Wucht  in  der  Geschichte,  wie  diese  Opern 
selbst  alles  auf  die  Wirkung  setzten.  Wirkung  von  Wirkungen,  ein  Triumph 
des  triumphalen  Prinzips,  die  erste  wahre  Weltherrschaft  einer  Kunst,  die  nichts 
weiter  anstrebte  als  zu  siegen.  Der  Wille  zur  Macht,  der  in  dieser  Vereinigung 
von  Sensationen  schlummert,  in  diesem  Massenaufgebot  aller  seelischen, 
akustischen  und  optischen  Reize  gegeben  ist,  bekennt  sich  endlich  offen. 

Die  künstlerisch  reinste  Wirkung  ging  unter  diesen  drei  Geschwistern 
von  Aubers  Stummer  aus,  die  die  feine  Erziehung  der  Comique  durchaus 
nicht  verlcugnete.  Alles  war  nun  nach  außen  präsentiert  und  auf  das  Theater 
bedacht,  aber  die  Kunst  der  Rezitative,  die  Sprache  des  Orchesters,  die 
Grazie  der  Tänze,  die  Gewalt  der  Ensembles  blieben  kondensiert  genug,  um 
den  Zeitgenossen  eine  ungewohnte  dramatische  Erregung  und  den  Musikern 
überraschende  Offenbarungen  zu  geben,  wie  sie  Wagners  ehrliche  Schwär- 
merei uns  überliefert  hat.  Diese  Oper  schien  gut  und  war  dennoch  Wirkung; 
sie  schien  in  ihrer  freiheitlichen  Tendenz  aufrührend  und  war  dennoch  glück- 
lichste Erfindung.  Uns  ist  sie  das  nicht  mehr  ganz,  aber  sie  verdient  doch 
noch  einen  großen  Teil  der  Liebe,  die  wir  sonst  Auber  entgegenbrmgen. 
Trifft  uns  schon  die  demokratische  Stimmung  dieses  Masanicllo,  der  gegen 
Tyrannenlüste  sein  Fischervolk  aufwiegclt,  nicht  mehr  sonderlich,  und  rühren 
uns  die  Versöhnlichkeiten  der  Feinde,  die  das  Klima  der  sentimentalen  Li- 
teratur nicht  verleugnen,  noch  weniger,  so  stört  uns  vor  allem  der  dramatische 
Mißgriff:  daß  aus  der  falschen  Verhaftung  seiner  Schwester  Fcnella,  der 
Fürstcngelicbten,  diese  ganze  unnötige  Tragödie  entsteht,  aus  einem  dummen 
Mißverständnis,  wie  bei  den  Hugenotten.  Scribe  hatte  diese  Skrupel  nicht, 
er  versteckte  den  faulen  Fleck  und  breitete  die  ganze  Karte  wirkungsvoller 
Szenerien  aus,  durch  die  man  den  Schaden  vergaß:  Vesuv,  Revolution,  Tanz, 
Hochzeit,  Gewitter,  Barkarolen,  Liebe,  Markt,  Feste,  Gebete,  alles  ineinan- 
dergeschoben  und  eine  Orgie  für  den  Musiker.  Der  größte  Trick  aber  war, 
Fenella  nicht  reden,  sondern  nur  mimen  zu  lassen.  Es  scheint  so:  man  fand 
nach  dem  Abgang  der  Branchu  nicht  die  Sängerin,  die  dem  Masaniello 
Nourrits  und  der  Elvira  der  Damorcau-Cinti  als  Fenella  gcgenüberzustcllen 
wäre,  man  bewunderte  die  charakterisierende  mimische  Begabung  der  Tän- 

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r 

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zerin  Noblet  — ein  Entschluß  und  es  wurde  Fenella  stumm.  Sie  veranlaßte 
das  Orchester  zu  einer  so  ausdrucksvollen,  leitmotivischen,  suggestiven 
Sprache,  daß  aus  der  Not  die  Tugend  wuchs  und  die  Stummheit  dieser  Rolle 
eine  musikalische  Kraft  entwickelte,  die  schließlich  auf  die  singende  Bühne 
wieder  zurückwirkte.  Viele  Jahrzehnte  sind  nun  darüber  hingegangen,  und 
die  Wellen  dieser  stürmischen  Oper  haben  sich  verlaufen  — wir  suchen  am 
Strande  nach  den  Kostbarkeiten,  die  sic  uns  hinterlassen.  Feine  Schmerz- 
lichkeiten sind  in  dieser  Musik,  die  in  stiller  Trauer  sie  durchziehen,  in  Durch- 
gangstönen, in  der  auf  Moll  schattierten  Dur-Stimmung  des  Schlusses  vom 
ersten  Finale,  das  sehr  scharf,  plastisch,  dramatisch  die  von  Fenella  gestörte 
Trauung  Alfonsos  schildert,  in  lebendigen  Gegensätzen  der  Solisten  und  des 
Ensembles,  mit  dieser  wirkungsvollen  Einschiebung  eines  melodiösen  An- 
dantino,  nach  dem  Muster  der  Comique.  Bewundernswerter  ist  das  Finale 
des  zweiten  Aktes,  weil  es  eine  ausgezeichnete  Ironie,  eine  doppelsichtige 
Stimmung  enthält,  die  dramatisch  und  musikalisch  ungemein  dankbar  ist: 
die  Fischer  marschieren  unter  dem  Gesang  der  famosen  Barkarole  gegen  die 
Tyrannen,  um  zu  täuschen,  um  unbefangen  zu  erscheinen,  eine  Pianissimo- 
rache  im  Kleide  närrischer  Masken  — das  Orchestemachspiel  zieht  ab,  ein- 
gesetzte Mittclstimmen  flechten  vielsagende  Geheimnisse  hindurch,  die  sich 
verlierende  Melodie  spricht  im  Schweigen.  Das  halbvcrgessene  farbige,  groß- 
gezeichnete  Duett  Alfonso-Elvira  (das  den  Sinn  der  Handlung  noch  mehr 
zerstört,  wenn  es  gestrichen  wird),  der  lebendige  Marktchor,  das  Urbild  der 
Tarantella,  der  ins  Riesenhafte  wachsende  C-Dur-Akkord  der  aufbäumenden 
Rache,  die  starren,  wie  fremden  Unisonotönc  im  Gebet,  das  wundervolle 
Schlaflied,  die  sehr  geistreiche  zweite  Barkarole  und  die  typische  Szene  des 
wahnsinnigen  Masaniello  mit  den  tänzerischen  Erinnerungen  an  alle  vorher 
musizierten  Erlebnisse  — setzt  sich  uns  aus  solchen  Details  das  zwiespältige 
Bild  wieder  zusammen?  Tanz  und  Tragik  aneinandergebunden,  der  Rhyth- 
mus der  Comique  und  das  Pathos  der  großen  Oper  zum  Musikdrama  zu- 
sammengeschoben, mimisches  Leid  und  hüpfende  Rache,  tanzender  Wahn- 
sinn und  maskierte  Revolution,  das  war  Aubers  genialer  Griff,  der  doch  so 
viel  unvergängliche  Musik  zu  gestalten  wußte. 

Rossini 

AUS  einer  ganz  anderen  Gegend  stammt  Rossinis  Teil.  Die  Tat  Aubers 
war  eine  sachliche  Notwendigkeit:  die  musikalische  Gebärde,  der  volks- 
tümliche Rhythmus  mußte  einmal  seine  tragischen  Hintergründe  entdecken, 
eine  tragikomische  Oper  im  großen,  was  die  blutig-heitere,  naiv-grausame 

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Rossini.  Lithographie  Lemereier 


Chanson  im  kleinen  ist.  Der  Teil  war  eine  persönliche  Angelegenheit,  die 
Abwendung  eines  begabten  Menschen  von  seiner  leichtsinnigen  Vergangen- 
heit, die  einmalige  Überlegung,  seine  Kräfte  zusammenzunehmen  und  die 
Eitelkeit  des  Könnens  zu  befriedigen.  Ich  weiß  noch  nicht,  was  mir  lieber 
ist,  die  guten  Stellen  im  Teil  oder  dieses  spielende,  launige  Leben,  das 
Rossini  heißt.  War  Spontini  ein  Tyrann,  so  war  Rossini  ein  Liebhaber  des 
Lebens,  jeder  in  seiner  Art  ein  Herrscher,  aber  dieser  durch  den  Zauber  und 
nicht  die  Gewalt  eines  Temperaments.  Wir  möchten  ihn  fassen,  wie  er  exi- 
stierte, durch  seine  Existenz  wirkte  und  entzückte.  Wir  vergessen  seine  Opern 
und  laufen  seiner  Person  nach.  Wo  finden  wir  sie  i Mazzatinti  und  Manis 
gaben  seine  Briefe  heraus.  Sie  enttäuschen.  Es  ist  ein  dickes  Italienisch,  von 
einer  geschäftigen  Lebendigkeit,  aber  barock  im  Witz  und  im  Urteil  von  süß- 
licher Phrase  oder  von  ungebildeter  Verständnislosigkeit.  Nichts  Geschrie- 
benes spiegelt  solche  Naturen,  nur  das  Wort  von  Mensch  zu  Mensch,  das  ver- 
lorene Wort,  das  im  Leben  so  aufleuchtet,  wie  es  im  Tode  verblaßt.  Da  ist 

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ein  Porträt  vor  dieser  Briefsammlung:  es  ist  unvergeßlich,  spricht  mit  halb- 
offenem Munde,  die  scharfen  stechenden  Augen  über  der  gebogenen  Nase, 
die  Winkel  des  Zynismus  um  die  Lippen,  ein  durchgearbeiteter  substanzieller 
Kopf,  gehärtet  vom  Genuß,  gestählt  vom  Erfolg.  Wie  Mendelssohn  von  ihm 
schrieb : ich  kenne  wenig  Menschen,  die  so  amüsant  und  geistreich  sein  können 
wie  der,  wenn  er  will.  Er  tut  ehrfurchtsvoll,  aber  man  muß  sein  Gesicht  sehn! 
Wo  ich  diesen  Rossini  fand,  das  war  ein  wenig  im  Barbier  von  Sevilla,  aber 
viel  mehr  noch  in  Stendhals  Buch  über  ihn,  das  1823  herauskam,  also  vor 
dem  Teil,  und  ein  so  keckes  Spiegelbild  seines  Wesens  gibt,  daß  ich  beinahe 
darauf  hereingefallen  wäre.  Stendhal  hat  sich  zu  Rossini  bekehrt,  fast 
kehrt  er  sich  von  ihm  schon  wieder  ab,  denn  die  letzten  Werke  sind  ihm  schon 
zu  deutsch  (soll  heißen:  französisch);  vor  dem  Teil  hat  er  sich  sicher  dann 
bekreuzigt.  Man  muß  dies  halbvergessene  Werk  lesen,  um  die  Atmosphäre 
kennen  zu  lernen,  die  um  Rossinis  Jugend  lag.  Es  ist  eine  der  reizendsten 
Plaudereien,  die  je  über  Musik  geschrieben  wurden,  auch  jene  Musik,  die 
geheim  in  unseren  Nerven  liegt,  die  man  summt,  die  man  spielt,  wenn  man 
sonst  nichts  tut.  Geschrieben  von  einem,  der  die  Zeit  von  1800  bis  1820  mit 
seinen  Sinnen  erlebte,  mit  allem  Gerede  um  Papa  Paesicllo,  Cimarosa,  Paer, 
Mayr,  Dalayrac  und  den  hehren  Mozart,  „der  vielleicht  einst  der  Große  sein 
wird,  wenn  Rossini  erbleicht“.  Mozart  und  Rossini  müssen  ständig  verglichen 
werden,  das  Genie  der  Melancholie  und  das  der  Melodie.  Wie  ein  Märchen 
liest  sich  das,  historisch  so  leichtsinnig  und  so  geistreich  falsch,  und  doch  so 
sprühend  aus  dem  Wort,  wie  Rossinis  Melodie  aus  der  Kehle,  so  impressioni- 
stisch im  Glitzern  der  Apercus,  wie  die  Koloratur  aus  Neapler  frohem  Ge- 
sangsgetändel, und  manchmal  so  skeptisch,  wie  ein  Blick  in  die  vorhanglosen 
Logen  von  San  Carlo,  so  gierig  auf  alle  großen  Premieren,  die  er  wirklich  sah 
und  beschrieb,  auf  alle  großen  Sänger  und  Sängerinnen,  den  leichten  Tenor 
David,  den  Buffobaß  Paccini,  die  Pacchiarotti,  Marchese,  Crescentini,  die 
Marcolini,  für  die  die  Pietra  del  paragone  geschrieben  war,  den  Galli,  für 
den  die  Diebische  Elster  und  der  Mahomet  II.  gemacht  war,  und  nichts 
war,  klagt  er  noch,  für  die  Pasta  gemacht,  mit  ihrem  schönen  Portamento, 
ihrem  ausgedehnten  Organ,  ihren  farbigen  Registern,  aber  Vclluti  — der 
große  Vclluti  improvisiert  so  viel  Koloraturen  über  die  Melodien  Rossinis, 
daß  er  sie  selbst  nicht  mehr  w'icdererkcnnt,  und  so  beschließt  er  jetzt,  den 
Sängern  nicht  mehr  so  freie  Bahn  zu  lassen  und  schreibt  die  Variationen  ganz 
genau  hin,  so  wie  sie  gesungen  werden  sollen.  Werden  sollen ! — wie  beklagt 
das  Stendhal,  vorbei  ist  das  Persönliche  aller  schönen  Sängerlaunen,  die  nach 
ihrer  Veranlagung  die  Melodie  ausschmückten,  nach  ihrer  individuellen  Na- 
tur, nach  der  Kaprize  des  Abends,  und  kleine  zerrissene  Phrasen  stehen  nun 

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A 


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für  das  alte  breite  Legato.  Wer  macht  das  noch  mit  ? Stendhal  versenkt  sich 
in  die  Jugendzeit  Rossinis,  da  er,  der  Sohn  eines  Orchesterhornisten  und 
einer  seconda  donna,  zwischen  den  Theatern  und  Impresarii  herumzieht,  je 
nachdem  er  eine  scrittura  hat,  um  die  ersten  Vorstellungen  selbst  zu  diri- 
gieren und  rauschende  Erfolge  oder  entsetzliche  Skandale  zu  erleben,  wie  es 
gerade  kommt.  Und  wie  er  dann  von  Barbaja  für  Neapel  engagiert  wird,  eine 
opera  ä jeu,  und  wie  er  dort  für  die  Colbrand  die  Elisabetta  schreibt,  diese 
rassige  spanische  aufregende  Schönheit,  an  der  sich  Stendhal  nur  literarisch 
zu  begeistern  braucht,  während  Rossini  an  ihr  hängen  blieb,  mit  ihren 
20  ooo  Lire  Rente  und  dem  Bologneser  Landhäuschen.  An  ihr  allein,  denn 
die  Weiber  laufen  ihm  nach,  aber  er  versteht  sie  fortzu  pflanzen.  Dann  hat 
er  sich  scheiden  lassen  und  die  Olympia  Pclissier  geheiratet.  Die  Rente  konnte 
er  entbehren,  er  stellte  sich  in  Paris  arm  und  bescheiden,  aber  Barbajas  Spiel- 
bank hat  ihm  abgeworfen,  die  Börse  funktionierte  zu  seinen  Gunsten,  aus 
England  brachte  er  250000  Franken  mit,  als  Geschenke,  Gehälter  und  Pri- 
vathonorar, die  Pariser  Gage  betrug  20000  Franken,  auch  als  er  bloß  noch 
„Generalgesangsinspektor“  war,  für  den  Moses  hatte  er  schon  4200  Fran- 
ken bekommen,  die  Partitur  des  Comte  d’Ory  brachte  1 2 000,  die  des 
Teil  24  000  und  sogar  den  Prozeß  um  die  Pariser  Pension  von  6000  Fran- 
ken, die  durch  die  Politik  ihm  gestört  wurde,  gewann  er.  So  läßt  sich  leben. 
Selbstgebackene  Pasteten,  eigene  Schweinezucht,  ein  ausgesuchter  Wein- 
keller — Opern  ? Rossini  brüllt  auf  einer  Reise  lauter  schreckliche  Melodien 
auf  eigene  Texte  und  gibt  sich  als  einen  Antirossinianer  aus.  Er  nimmt  für 
einen  Durchfall  in  San  Mose  die  Rache,  daß  er  die  V'iolinisten  im  Takte  an 
das  Leuchterblech  schlagen  läßt.  Er  verändert  eine  auf  Murat  geschriebene 
Hymne  nach  der  politischen  Drehung  sofort  im  Text  auf  den  Österreicher, 
und  erhält  seinen  Neapler  Paß.  Er  ahmt  vor  dem  englischen,  dem  englischen 
König  einen  Kastraten  nach!  Nehmt  das  Genie  als  selbstverständlich,  den 
Gewinn  als  Lebensziel,  den  Humor  als  einzige  Philosophie,  das  gute  Essen 
als  unbestreitbare  Wahrheit  und  die  Kunst  als  ein  Konkubinage  — und  ihr 
werdet  seinen  Schatten  fassen.  Was  kann  an  ihn  heran  ? Die  Pariser  Musiker 
in  der  Akademie  sind  alle  gegen  ihn.  Gut.  Den  Text  des  Mahomet  macht 
der  Herzog  von  Ventignano,  ein  jettatore,  ein  mal’  occhio.  Gut.  Er  hat  keine 
Ouvertüre,  er  pumpt  sich  eine  alte.  Er  hat  keine  Arie,  er  bestiehlt  sich  selber. 
Er  braucht  schnell  noch  eine  Musik  zu  einer  Weinlagerplünderung,  er  nimmt 
eine  alte  Schlachtmusik  dazu.  Göttliche  Faulheit,  nimm  mich  in  deinen 
Schoß  auf.  Sie  lachen  über  das  Rote  Meer  zum  Schluß  des  Moses  in 
Neapel.  Rossini  liegt  im  Bett.  „Ich  habe  ein  Mittel  gefunden,  dieses  Lachen 
zu  verhindern,“  ertönt  die  Stimme  eines  Besuchers.  „Und  welches  wäre 

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das  ?“  „Ich  habe  ein  Gebet  gedichtet,  das  die  Hebräer  vorher  zu  singen  sich 
entschließen  müßten.“  Der  Mann  hat  eine  merkwürdig  tiefe  Stimme.  „Ich 
habe  dieses  Gebet  im  Zeitraum  einer  Stunde  fertiggestellt.“  Rossini  springt 
aus  dem  Bett.  „Und  ich  werde  es  im  Zeitraum  einer  Viertelstunde  in  Musik 
setzen.“  Am  nächsten  Moses -Abende  lachte  kein  Mensch  mehr,  außer 
Rossini,  der  sich  wieder  ins  Bett  legt. 

O könnte  ich  mit  Stendhal  um  Rossini  plaudern,  aus  den  Logen  unter 
schönen  Frauen  (deren  Geschichten  er  kennt),  aus  den  südlichen  Landschaf- 
ten (deren  Musik  er  versteht),  aus  diesem  fliegenden,  unterhaltenden,  augen- 
blicklichen, passionierten  Temperament,  das  an  eine  Arie  einen  politischen 
Exkurs  knüpft,  an  eine  Impresarioreisc  eine  Novelle  und  an  eine  Koloratur 
die  Analyse  einer  Schönheit  — ich  würde  mich  im  Jahre  1913  tödlich  bla- 
mieren. Harte,  kalte  Luft  ist  um  uns  und  eine  unüberwindliche  Ernsthaftig- 
keit. Ich  kehre  zurück,  ich  höre  zum  letztenmal  dies  Vogelsingen  einer  Kunst, 
die  nichts  als  ein  Gleichnis  des  Lebensgenusses  sein  wollte,  und  winke  diesem 
göttlichen  Leichtsinn  mit  dem  tränennassen  Taschentuch.  Er  ist  weg,  weit 
weg.  Jetzt  verachte  ich  ihn  und  bekämpfe  ihn,  voll  und  ganz,  mit  aller  Loya- 
lität, die  ich  unserer  vortrefflichen  Zeit  schuldig  bin. 

Hm. — Gioachino  Antonio  Rossini  wurde  im  Jahre  1792,  am  Schalttag  des 
29.  Februar,  in  Pesaro  geboren.  Er  bildete  seine  Stimme  in  Bologna  aus,  trat 
aber  bald  ganz  zur  Komposition  über.  Sein  erster  größerer  Erfolg  war  1813 
der  Tancred  im  Fenicetheater  zu  Venedig.  Es  folgten  in  kurzen  Zwischen- 
räumen die  Italienerin  in  Algier,  der  Türke  in  Italien,  Elisabeth,  der  Barbier 
von  Sevilla,  Othello,  Aschenbrödel,  Die  diebische  Elster,  Armida,  Moses 
in  Ägypten,  La  donna  del  lago,  MahometlL,  Zelmira,  und  um  nur  die  wich- 
tigsten zu  nennen,  Semiramis,  die  1823  in  demselben  Fenicetheater  so 
lauen  Beifall  fand,  daß  sich  Rossini  entschloß,  erst  eine  Londoner  Kampagne 
cinzulciten  und  dann  in  Paris  sich  festzusetzen.  Er  übernahm  das  Theätre  ita- 
lien,  um  es  aber  bald  wieder  wegen  direktorialer  Schwierigkeiten  abzugeben. 
Er  bearbeitete  in  dieser  Zeit  für  Paris  den  Mahomet  II.  als  Siege  de  Co- 
rinthe,  gab  auch  den  Moses  in  einer  neuen,  vielfach  bereicherten  Form  her- 
aus, schrieb  den  Comte  d’Ory  und  schließlich  als  Krone  seiner  französischen 
Schöpfungen  den  Teil.  Vom  Jahre  1829  bis  zu  seinem  Tode,  der  ihn  nach 
mehrfachen  Reisen  in  Ruclle  bei  Paris  1868  ereilte,  hat  er  außer  dem  Stabat 
mater  und  einigen  Kleinigkeiten  nichts  mehr  gearbeitet.  Man  erklärte  dieses 
Schweigen  damit,  daß  er  sich  nicht  glaubte  übertreffen  zu  können.  In  seinen 
Briefen  nennt  er  sich  Excompositore  oder  Pianist  vierten  Ranges.  Gleichwohl 
bewahrte  ihm  die  Mitwelt  ein  dankbares  Gedächtnis  und  überhäufte  ihn  mit 
allen  Ehrungen,  die  sein  verdienstvolles  Schaffen  beanspruchen  durfte. 

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Wenn  wir  auf  seine  künstlerische 
Tätigkeit  zurückblicken,  so  unter- 
scheiden wir  eine  frühere  italienische 
Epoche,  in  der  der  leichte  Fluß  der 
Melodien  vorherrscht  und  dennoch, 
zum  Beispiel  durch  die  Ausbildung 
der  großen  Orchesterrezitative,  eine 
intensivere  Wirkung  angestrebt  wird, 
und  eine  spätere,  in  der  bei  aller 
gesanglichen  Beweglichkeit  der  thea- 
tralische Effekt  und  die  dramatische 
Massenwirkung  in  französischer 
Manier  zum  Prinzip  erhoben  wird. 

So  lebt  seine  Jugendoper  Tancred 
ganz  nur  durch  die  blühenden 
Stimmen,  die  sie  verlangt.  Sie  schwimmt  in  Gesang,  in  Koloratur,  und  be- 
schränkt sich  auf  gewisse  typische  musikalische  und  dynamische  Wendungen, 
unter  denen  das  Rossinische  Kreszendo  einer  kurzlebigen,  aber  immer  stärker 
wiederholten  Phrase  bereits  ganz  ausgebildet  ist.  Man  findet  in  dem  ersten 
Duett  von  Tancred  und  Amenaide  einige  Substanz  und  eine  gute  gegen- 
seitige Stimmensteigerung,  man  findet  große  Chöre,  in  scharfen  Zäsuren  und 
von  einer  Soprankontur  geschlossen,  die  breite,  in  C-Moll  beginnende  Kerker- 
arie der  Amenaide  fällt  durch  ihre  anfängliche  schöne  Horizontalität  auf, 
aber  die  typischen  Merkmale  wiegen  vor:  die  Kettenmelodien,  die  sich  mit 
dem  Orchester  winden  oder  auf  trockner  gebrochener  Begleitung  sich  schlin- 
gen, die  Wut  des  starken  Unisono,  die  zwischcngcschobenen  Akapellaandantes, 
die  durchziehenden  Finalemclodicn,  die  Rachcchöre  auf  einer  durch  die  Ton- 
arten modulierten  Orchesterphrase,  die  ausfegenden  Strettas  und  alle  die 
kleinen  melodischen  Verbindungen,  die  wie  Nähfäden  das  Stück,  das  sie  nicht 
aus  einem  dramatischen  Ganzen  gestalten,  sinnlich  Zusammenhalten.  Die 
harmonischen  Ungewöhnlichkeiten  beschränken  sich  fast  ganz  auf  Mcdianten- 
schritte,  die  Struktur  der  Melodie  ist  ein  diatonischer  Gang  zur  Dominante, 
Wiederholung  in  der  Tonika,  durch  die  Septime  in  die  Unterdominante,  To- 
nika auf  Quartsext,  Koloratur  und  Schluß,  oder  statt  der  Dominante  die  zu- 
gehörige Molltonart,  und  sehr  oft  die  Fortsetzung  der  melodischen  Phrase 
auf  der  nächsten  Ganztonstufe.  Dieses  ist  das  Schema,  das  übrige  wird  aus 
dem  Gesangstemperament  so  leicht  und  einfach  wie  möglich  hinzugeschaffen. 

Ein  besonderes  Interesse  hat  vielleicht  der  Othello,  der  von  dem  schönen 
Werk  Verdis  verdrängt  werden  mußte.  Der  Shakespearesche  Text  ist  dahin 

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verändert,  daß  nicht  die  Taschentuchaffäre,  sondern  eine  Briefverwechslung 
die  Katastrophe  herbeiführt  und  Desdemona  dem  Rodrigo  angetraut  werden 
soll.  Stendhal  findet  das  Rossinische  Stück  weniger  rührend  als  das  Viga- 
nosche  Othelloballett.  In  demselben  Maß  interessiert  es  uns  mehr.  Es  ist 
schärfer  gearbeitet,  harmonisch  reicher,  voll  guter  kriegerischer  Töne,  groß- 
artiger Tremolorezitative.  Melodische  Feinheiten  sind  in  dem  Duett  der 
Desdemona  und  Emilia,  Temperament  und  doch  Klarheit  im  ersten  Finale 
(Othello  gegen  Rodrigo)  mit  starken  Unisoni  und  Forzati  der  Chöre  und  wirk- 
samen Intervallen  der  Solisten,  im  Duett  Othello-jago  lebt  die  Rhythmik 
durch  das  vierfache  Triolcnmotiv,  das  große  Terzett  Othcllo-Rodrigo-Des- 
demona,  charakteristisch  durch  ihre  einschneidenden  Synkopen,  wird  ein 
echtes  Muster  der  italienischen  Erschütterung  passionierter  fliegender  The- 
men, die  aus  dem  Atem  gebildet  scheinen,  von  pochendem  Kreszendoorche- 
stcr  begleitet.  Wogegen  das  Terzett  zwischen  Rodrigo,  Desdemona  und  ihrem 
Vater  sich  ganz  in  unerträgliche  Rouladen  auflöst,  eine  Zerstörung  des  Ge- 
fühlsmomcnts,  die  sich  schließlich  in  den  meisten  Ensembles  und  Soloszenen 
nach  gewissen  ruhigeren  Anfängen  bemerkbar  macht  und  auch  die  rührenden 
Akzente  der  Desdemona  vor  ihrem  Tode  verwischt,  da  sie  sich  dazu  hergibt, 
Variationen  zu  singen.  Dieser  Schlußakt  enthüllt  viel  von  der  inneren  Ge- 
meinheit der  Rossinischen  Musik,  da  wir  heut  nicht  mehr  imstande  sind,  der 
bloßen  inhaltslosen  Lust  am  Singen  die  Herrschaft  über  eine  literarisch  do- 
kumentierte Tragödie  einzuräumen.  (Hm!) 

Kein  anderes  Urteil  gewinnt  man  aus  den  übrigen  letzten  italienischen 
Opern  des  Meisters.  Das  Figurenwerk  zerstört  die  Ausdruckswahrheit, 
manche  hübsche  Melodie  verflattert  in  ihre  Floskel,  gute  Wendungen  werden 
sofort  trivialisiert,  auf  gestoßenen  Bässen  fliegen  die  Phrasen,  vom  Partner 
wiederholt,  von  allen  koloriert,  oder  die  Stimme  überzieht  das  flatternde  Or- 
chester. Vorübergehende  klassische  Anwandlungen,  wie  das  Terzettino  gegen 
Schluß  der  Semiramis  können  daran  nichts  ändern.  Variete  des  Geistes,  Tief- 
stand des  künstlerischen  Gewissens. 

Daß  trotzdem  der  Stil  des  Teil  nicht  so  plötzlich  kam,  zeigt  ein  Blick  etw'a 
auf  den  Moses,  besonders  in  seiner  Pariser  Fassung,  die  die  wirklich  gute,  fast 
verdische  Chorarie  der  Anai  im  vierten  Akt  „quelle  horrible  destinee“  hin- 
zufügte, mit  dieser  rossinisch  typischen  laufenden  Sechszehntelfigur  der  Gei- 
gen, die  noch  in  der  Schattierung  des  Pilgerchors  im  Tannhäuser  ihre  letzte 
welsche  Erinnerung  feiert.  Die  Tänze  und  das  Finale  im  dritten  Akt  sind  auch 
in  Paris  zukomponiert  und  vollkommen  im  Stil  der  Großen  Oper:  das  Finale 
beginnt  mit  einer  wirksamen  chromatisch  rauschenden  Figur,  in  deren  zornige 
Rhythmen  ein  gutes  Soloensemble  in  wiegendem  Dreiviertel  eingeschoben 

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wird,  die  Figurenserie  wie- 
derholt sich,  dann  erfolgt 
der  Bravourschluß  in  ge- 
waltigem Massenchor  mit 
dem  Effekt  weitgezogener 
hcrabsinkender  Vorhalte. 

Der  erste  Akt,  ebenfalls 
ganz  neu  für  Paris,  verdient 
geringeres  Lob.  Die  Ho- 
lung  der  zehn  Gebote  ist 
unbedeutend,  der  Schwur 
auf  sie  ein  Akapella  ohne 
Feinheit,  gleich  darauf  ent- 
steht ein  gemeiner  Polo- 
näsenchor. Es  berührt  uns 
immer  seltsam,  diese  halb- 
italienischen Phrasen  im 
Munde  der  Hebräer  zu 
hören  oder  die  gewohnten 
feurigen  Mclismcn  auf 
Stoßakkorden  der  Duette 
in  diese  Region  zu  über- 
tragen. Ganz  unmöglich  erscheint  uns  Moses,  der  ein  Finale  in  demselben 
Rhythmus  beginnt,  wie  etwa  Almaviva,  wenn  er  als  betrunkener  Soldat 
kommt.  Wogegen  der  berühmte  Kriegsmarsch  das  echte  französische  Cachet 
hat  und  der  große  Effekt  des  plötzlichen  Blitzes  und  der  Finsternisplage  bei 
Moses’  Gottesanruf  die  ganze  Pariser  rhythmische  Schärfe  und  Tempo- 
passion im  Riesenensemble  auslöst.  Die  alte  italienische  Bearbeitung  begann 
mit  dem  jetzigen  zweiten  Akt:  dem  Finsternischor  der  Ägypter,  der  eine 
der  glücklichsten  Kompositionen  Rossinis  ist;  ernst  und  groß,  auf  malerisch 
schleichender  Begleitung,  stimmungsvoll  kontrastiert  zum  Wunder  des  Mo- 
ses, der  das  Licht  vom  Himmel  zurückruft,  eine  schöne,  reine  und  klare  Stelle 
mit  einem  guten  breiten  Quintett  — dann  aber  knallt  wieder  das  italienische 
Feuerwerk,  das  diese  intrigierte  und  amourisierte  biblische  Geschichte  für 
unsere  Sinne  nie  mehr  wird  erhellen  können. 

Die  Unlyrik  und  Seelenlosigkeit,  die  in  Rossinis  äußerer  und  innerer  Kar- 
riere gegeben  war,  prädestinierte  ihn  für  die  französische  große  historische 
Oper,  wenn  er  etwas  von  seiner  Gesangsfreudigkeit  nachließ.  Er  hat  das  ganz 
entschieden  im  Teil  getan,  die  Koloratur  beschränkt  sich,  die  Melodie 

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Die  Malibran  als  Dcsdcmona.  Stich  von  Turner  nach  Dccaisnc 


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verfeinert  sich,  das  Rezitativ  kräftigt  sich,  die  Szene  substanziiert  sich.  Frei- 
lich verspricht  die  unsterbliche  Ouvertüre  mehr  noch,  als  das  Stück  hält. 
Ohne  melodische  Beziehung  zu  ihm,  in  einer  symphonisch-szenischen  Ab- 
breviatur des  Inhalts  gibt  sie  ihre  vier  Abschnitte:  Das  Celloidyll,  das  Ge- 
witter, den  Alpenreigen  und  den  Sturmmarsch  als  Bilderdrama  für  sich,  nicht 
bcethovensch  verinnerlicht,  sondern  pariserisch  veräußerlicht,  aber  mit  einer 
Kraft  der  Erfindung  und  Souveränität  des  Temperaments  und  der  Expression, 
daß  wir  uns  im  Stück  selbst  erst  langsam  von  diesem  genialen  Ansturm  er- 
holen. Wir  hören  einen  reizenden  Landchor  mit  der  Fischerbarkarole,  wer- 
den sofort  auf  Teils  ernste  Größe  eingestellt,  fühlen  Melchthals  oberpriester- 
liche  Erhabenheit  in  einem  hehren  punktierten  Rhythmus,  der  für  alle  über- 
irdischen Charaktere  dogmatisch  blieb,  betrachten  die  reichliche,  volle  En- 
semblelandschaft der  großen  Chöre,  wägen  den  halbitalienisch  frohen,  halb- 
französisch stolzen  Stil  Arnolds  mit  Teils  geschlagenen  Rhythmen  ab,  er- 
götzen uns  sehr  an  dem  ausgezeichneten  Hochzeitszug  und  Schweizersang, 
mit  den  keuschen  Hymnen,  mit  Melchthals  einfachem,  in  wenig  Strichen  ge- 
zeichnetem Segen,  beloben  die  gute  Schützenfestmusik  und  gratulieren  zum 
Finale,  das  nach  altem  Muster  aus  einer  breiten  Gebetsmelodie  und  einer 
kurzen  rollenden  Kampfphrase  sich  aufbaut,  in  der  Haltung  noch  ein  wenig 
von  Gluck,  in  der  Emphase  und  in  den  Protuberanzen  der  Tonarten  ganz  das 
neue  Paris.  Das  Deutsche,  merken  wir,  ist  Kostüm  geblieben  wie  alles  Eth- 
nologische in  diesem  Genre,  und  Teil  ist  nicht  schweizerischer  als  Moses  he- 
bräisch war.  Das  Französische  ist  Stil  und  Gebärde  geworden,  nicht  innen 
pulsierender  Takt  und  Tanz,  wie  bei  Masaniello  und  Fenella.  Das  Italieni- 
sche ist  Vergangenheit,  wie  einst  bei  Jommelli  in  Stuttgart,  Gluck  in  Paris 
und  Mozart  in  Wien.  Aber,  seit  die  Ouvertüre  aufhörte,  die  diese  Bedin- 
gungen ausschaltet,  ist  für  alles  dies  keine  neue  zwingende  Anschauung  ein- 
getreten, keine  Offenbarung  des  Genies,  kein  persönliches  Gesicht,  nur  eine 
starke  Anspannung  der  Kräfte,  eine  geübte  Reliefierung  der  Charaktere,  eine 
staunenswerte  Konzentration  der  Aufgabe,  eine  allgemein  neutrale,  epikure- 
ische Meisterlichkeit.  In  diesem  Sinne  hören  wir  weiter  den  Jagdchor  und 
die  sanft  abklingenden  Hörner,  verstehen,  daß  Mathildes  Liebe  sich  nicht 
isoldesch  aus  diesem  Jagdnachtweben  ablösen  darf,  horchen  auf  ihre  rühr- 
samen  Zwischenspiele,  freuen  uns  über  jeden  beliebten  melodischen  Sext- 
aufstieg, der  die  Phrase  so  gut  ins  Rollen  bringt,  und  genießen  das  Liebesduett 
nach  Paragraphen.  Aus  dem  Terzett  Teils,  Walthers  und  des  wiedergewon- 
nenen Arnold  klingen  uns  bald  mozartsche  Reminiszenzen,  bald  Ahnungen 
Meyerbeerscher  melodischer  Gesten,  und  das  Tremolo  der  Septimen  zur  kom- 
menden Rache  gruselt  uns  ein  wenig  romantisch  an.  Wir  sind  auf  dem  Rütli. 

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Ein  Motiv,  stolz  und  selbstbewußt,  charakterisiert  Unterwalden,  ein  zweites, 
aufrüttelnd,  Schwyz,  ein  drittes,  geschäftig,  Uri.  Der  große  Schwur  wird  in 
den  Farben  der  geltenden  Pariser  Schule  gemalt:  ein  kontrapunktisches  Sich- 
finden,  das  in  die  stoßende  punktierte  breite  Melodie  mündet,  wachsend  in 
seiner  fortreißenden  Flut,  mit  den  Forzati-Kataraktcn  auf  den  verschieden 
harmonisierten  Es,  mit  unheimlicher  Pianissimoschwülc  und  dem  starr  auf- 
gcrichteten  Felsen  des  Schlußakkords,  Es-Dur  über  C-Moll  in  Es-Dur  im 
Schlage  aller  Stimmen.  Die  wechselnden  Bilder  gleiten  weiter.  Merkwürdig, 
wieviel  Oper  doch  aus  dem  Schiller  zu  holen  war.  Tirolienncn  und  der  fesche 
Soldatentanz.  Plötzlich  die  grausame  Apfelschußszene,  von  einigen  Liebens- 
würdigkeiten der  Melodien  besänftigt,  die  solenne  Tellarie  mit  dem  Cello, 
ein  erregtes  Doppelchorfinale,  das  feuernde  Kampflied  Arnolds,  das  merk- 
würdige Terzett  der  Frauenstimmen  auf  Bläsern  als  klassisches  Intermezzo, 
das  übliche,  die  Aufmerksamkeit  konservierende  Gebet,  das  dekorative  Schiffs- 
gevvittcr  und  die  Apotheose  mit  dem  breiten,  zweitaktig  durch  alle  Tonarten 
geschlungenen  Motiv  im  letzten  Kreszendo  — alle  Trümpfe  der  bunten  Schau- 
oper sind  der  Reihe  nach  ausgespielt.  Merkwürdig,  wie  leicht  der  Schiller  zu 
entseelen  war.  Er  hatte  Freiheit  gepredigt,  jetzt  sang  man  sie  auf  allen 
Gassen  der  Oper.  Rossini  aber  hatte  mit  dieser  populären  Wirkung  — sich 
selbst  großartig  verloren.  Darum  schwieg  er.  Es  war  der  einzige  Effekt,  der 
noch  übrig  war,  ein  Effekt,  witzig  genug,  um  die  Perspektive  seines  Lebens 
zu  erheitern,  und  doch  wahr  genug,  um  ihm  Absolution  zu  verschaffen. 


Meyerbeer 

BIS  jetzt  haben  wir  bei  diesem  Genre  der  großen  historischen  Oper  ziem- 
lich stille  gehalten.  Aber  nun,  da  wir  in  die  Regionen  Meyerbeers  ein- 
treten,  wird  es  bedenklicher.  Hier  lehnt  sich  etwas  auf  in  uns,  hier  haben  wir 
etwas  zu  bekennen.  Spontini  hatte  noch  genug  Glucksche  Tradition,  Rossini 
viel  zu  viel  Liebenswürdigkeit,  als  daß  wir  ihm  ernstlich  böse  sein  können. 
Aber  Meyerbeer  war  ein  so  großer  Verführer,  daß  er  das  Genre  der  Oper  vor 
allen  Gewissenhaften  kompromittieren  mußte.  Es  mußte  das  einmal  geschehn, 
jawohl,  und  es  geschah  mit  ihm  kräftig  genug,  aber  es  ist  eine  Schwäche,  alles 
zu  verzeihen,  weil  man  alles  versteht.  Meyerbeer  besaß  die  szenische  Kraft, 
die  Spontini  noch  anstrebte,  er  besaß  den  Ernst  des  Berufs,  den  Rossini  erst 
gar  nicht  suchte,  und  aus  beidem  zusammen  machte  er  in  ruhiger  und  reifer 
Überlegung  einen  Prachtbau  der  Oper,  der  alles  einfangen  mußte,  was  lü- 
stern war  nach  Sensation.  Er  kennt  kein  anderes  Prinzip  als:  das  äußerlich 

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Dankbare.  Seine  Texte  sind  raffinierte  Möglichkeiten  schlagender  Wirkun- 
gen, wie  ein  Varieteprogramm  zusammengesetzt  aus  Effekt  auf  Effekt.  Scribe 
übertrifft  sich  darin  selber.  In  seinen  komischen  Opern  hatte  er  dankbare 
Situationen  geliefert,  die  eine  anspruchslose,  'geistreiche  Musik  umspielen 
sollte.  In  seinen  tragischen  Opern  verfuhr  er  nach  derselben  Methode,  doch 
in  dem  Bewußtsein,  daß  die  kommende  Musik  seine  Texte  nicht  besänftigen, 
sondern  nur  unterstreichen  würde,  arbeitete  er  dieser  Wirkung  mit  doppelten 
Kräften  entgegen  und  häufte  die  blendenden  Szenen  zu  monströsen  Gebilden, 
die  im  Augenblick  ihren  Eindruck  nicht  verfehlten,  aber  jedem  inneren  Ge- 
fühl widerwärtig  werden  mußten.  Welche  Kluft  spaltete  sich  zu  Metastasio, 
der  immerhin  die  Allüren  der  klassizistischen  Aristokratie  zu  wahren  wußte, 
oder  zu  Calsabigi,  der  aus  einem  abenteuernden  Dilettantismus  eine  demo- 
kratische Reinigung  erfand  und  durchsetzte.  Je  größer  der  Aplomb  dieser 
historischen  Opern  war,  je  anspruchsvoller  sie  bedeutende  Bilder  der  Ge- 
schichte zu  malen  Vorgaben,  desto  w'indiger  war  ihr  Druck,  eine  Luftbewe- 
gung, die  alles  niederriß,  und  doch  nur  Luft  blieb.  Ein  mäßiger  Text,  der 
eine  gute  Musik  findet,  geht  schließlich  in  dieser,  als  seinem  Kleid,  einher. 
Aber  ein  hohler  Text,  der  nur  eine  wirksame  Musik  findet,  verrät  sich  gegen- 
seitig mit  dieser  Musik,  sie  gibt  sich  zu  einer  Art  Reklame  äußerlicher  Sen- 
sationen her,  und  er  leiht  ihr  die  lügnerische  Maske  des  Historischen.  Da- 
mals fühlte  das  fast  niemand,  man  warf  sich  bäuchlings  vor  diesem  Doppel- 
moloch auf  den  Boden.  Wagner  hat  zuerst  im  großen  Stile  das  Opfer  gewei- 
gert, etwas  heftig,  aber  doch  aus  einem  ehrlichen  und  tiefen  Ekel,  der  zuletzt 
mehr  gilt  als  aller  Schaubudenlärm. 

Meyerbeer,  der  nur  seinen  Vornamen  Jakob  italienisierte,  aber  seinen 
Glauben  niemals  wechselte,  hatte  als  Sohn  eines  reichen  und  geistig  belebten 
jüdischen  Berliner  Hauses  zu  wenig  Schwierigkeiten  zu  überwinden,  um 
seine  große  musikalische  Veranlagung  genügend  im  Feuer  zu  stählen,  die 
viel  reproduktiver,  assimilativer  war  als  diejenige  Mendelssohns.  Mendels- 
sohn hatte  bald  sein  eigen  Gesicht,  Meyerbeer  hat  es  nie  ganz  bekommen. 
Er  war  ein  bedeutender  Klavierspieler  und  schwankte  lange,  ob  er  es  nicht 
bleiben  solle.  Er  ging  zum  Abt  Vogler  nach  Darmstadt  und  komponierte 
voglersch,  deutsch,  kontrapunktisch.  Er  ging  auf  Salieris  Rat  nach  Italien 
und  komponierte  rossinisch.  Er  ging  nach  Paris  und  komponierte  französisch. 
Zwischen  diesen  Wandlungen  zeigt  sich  immer  eine  Epoche  innerer  Ver- 
stimmungen, sei  cs  über  Mißerfolge,  sei  es  über  Familienverluste,  aber 
schließlich  bringen  diese  Gärungen  doch  eben  nur  Wandlungen  hervor,  keine 
Selbstfindungen,  wie  Wagners  Exil.  Dies  ist  der  Typ  des  Meyerbeerschen 
Lebens.  Er  hat  es  nicht  beherrscht,  wie  Spontini  oder  Rossini,  sondern  er  ist 

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Meyerbeer.  Lithographie  von  Fr.  Hecht 


von  ihm  angestellt  worden,  im  Kostüm  eines  Herrschers  es  zu  dirigieren. 
Es  ist  nicht  falsch,  von  ihm  zu  sagen,  daß  er  den  Mantel  gedreht  hat,  nur  darf 
man  nicht  vergessen,  hinzuzufügen,  daß  er  den  Wind  dazu  oft  selbst  in  Szene 
setzte.  Denn  er  war  sehr  begabt,  klug,  kannte  sich  und  seine  Zeit  und  diente 
ihr  mit  technischer  Meisterschaft.  Er  hat  nichts  erschaut  oder  geschaffen, 
aber  alles,  was  an  wirksamen  Kräften  da  war,  auf  die  letzte  Spannung  ge- 
bracht. Seine  Struenseemusik,  viele  Stellen  seiner  Opern,  manche  plötzliche 
Einfälle,  Blitze  der  Phantasie,  im  ernsten  Genre  wie  im  heiteren,  zeigen  seine 
Ressourcen  — doch  ist  sein  Werk  nichts  als  eine  intellektuelle  Steigerung  vor- 
handener Elemente.  Nicht  er  wirkt  in  diesem  Werk,  das  ist  das  Unsympa- 
thische, sondern  seine  Mittel  wirken,  und  das  ist  das  Gefährliche.  Noch 

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r 

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heute:  da  er  immer  noch  lebt  und  keiner  kam,  der  ihn  an  Brutalität  der  Ma- 
schine übertroffen  hat.  Das  ist  das  Große. 

Meyerbeers  italienische  Ära  liegt  am  besten  gesammelt  vor  in  seinem 
„Crociato  in  Egitto“,  der  1824.  in  Venedig  herauskam  und  sich  von  diesen 
Jugendopern  (er  war  immerhin  schon  33  Jahre)  am  längsten  gehalten  hat. 
Es  ist  der  freudigste  Rossinistil,  eine  willenlose  Hingabe  an  die  sinnliche 
Mondänität  der  italienischen  Melodie,  die  immer  wieder,  ob  sic  lyrisch  wiegt 
oder  marschmäßig  feuert,  in  die  Roulade  flieht,  ob  sie  nach  dem  Schema  der 
Erhabenheit  oder  der  Tändelei  oder  der  taktierten  Leidenschaft  beginnt, 
kein  ander  Ziel  hat,  als  uns  Liebesgenüsse  mit  der  unterhaltendsten  aller 
Musen  2U  kuppeln,  auch  in  den  Chören,  die  als  Akkorde  leicht  stützen  oder 
als  Melodien  leicht  erzählen,  auch  in  den  Ensembles,  die  sich  imitatorisch 
fortpflanzcn  oder  zum  enggefügten  Pavillon  einer  Rokokokontrapunktik  sich 
zusammenschließen.  Der  Autor  beherrschte  darin  alle  Überlieferung  und  ver- 
stand nicht  nur  alle  herkömmlichen  Formen  an  rechter  Stelle  anzuwenden, 
sondern  er  wandte  sie  auch  gut  an,  baute  die  Stimmen  trefflich  zusammen, 
oft  auffallend  wirksam,  und  warf  verschwenderisch  die  bunten  Wunder  der 
Arien  aus.  Der  „Crociato“  war  in  seiner  Zeit  ein  glänzendes  Zeugnis  der 
Schulreife.  Die  Forzati,  die  sotto  voce  der  Chöre,  die  Evolution  der  En- 
sembles schielten  schon  nach  Paris,  das  Ballett  wurde  ja  in  Italien  extra  be- 
sorgt, als  fremde  Einlage,  zwischen  den  beiden  Akten  der  Oper. 


Robert  der  Teufel 

MF.YERBEER  zieht  1826  nach  Paris,  um  diesen  Crociato  dort  einzustu- 
dieren. Er  erlebt  die  Stumme  und  den  Teil.  Er  schreibt  den  Robert 
der  Teufel,  der  1831  erscheint — sozusagen  eine  romantische  Oper,  aber  doch 
sehr  unromantisch,  voller  Spektakel  und  Gefuchtel  und  Grimassen,  und  ein 
kolossaler  Erfolg.  Noch  ist  er  musikalisch  gar  nicht  so  gallisicrt,  wie  er  es  in 
seinem  dramatischen  Interesse  ist.  Er  liebt  die  wirksame  Szene  über  alles, 
aber  seine  Musik  ist  mindestens  so  italienisch  noch,  wie  der  Crociato  schon 
französisch  gewesen  war.  F.in  durch  den  Teufel  Gezeugter  und  Besessener 
soll  durch  reine  Liebe  heil  werden.  Man  denke  nicht  an  die  Erlösungsängste 
der  deutschen  Romantik.  Hier  wird  alles  zur  Szene,  Kapital  wird  geschlagen 
auf  Kosten  der  Psychologie,  die  den  Franzosen  weniger  interessiert  als  den 
Germanen,  wenn  nur  das  Parfüm  des  schönen  oder  geistvollen  Wortes  oder 
mindestens  der  Stallgeruch  einer  kräftigen  Situation  unsere  Nerven  beschäf- 
tigt. Robert  der  Teufel  ist  ein  Paradigma  der  falschen  Empfindung,  die 

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Pauline  Garcia.  Lithographie  von  Claus 


keine  Musik  rettet,  diese  mäßige 
Musik  am  wenigsten.  Die  Musik 
betäubt  die  Unwahrscheinlichkeit, 
unter  der  hier  jede  einzelne  Szene 
leidet,  so  daß  eine  laute  Unter- 
haltung mit  dramatischen  Gegen- 
ständen übrigbleibt  statt  eines 
Dramas.  Alles,  was  vielleicht  feiner, 
poetischer  werden  könnte,  wird  von 
dem  Raubtier  Musik  gefressen,  ehe 
es  noch  um  Erbarmen  flehen  kann. 

Der  Zirkus  tost  von  Beifall. 

Eine  Ouvertüre  auf  das  Be- 
schwörungsmotiv: damit  man  sein 
Gesicht  einstelle. 

Erster  Akt:  Thema  Verlust  im 
Leichtsinn,  tanzende  Tragik  be- 
währter Marke.  Wie  Liszt  sagt: 

Schwindelgefühl  der  Antithesen. 

Trinken  und  Spielen,  bis  alles 
verloren  ist,  unter  dem  Rat  des  Teufelintriganten  Bertram.  Diese  falsche 
musikalische  Freudigkeit ! Ist  Robert  lustig  ? Nein,  er  ist  traurig,  singt 
lustig,  wodurch  er  erstens  uns  nicht  unnötig  aufregt,  zweitens  bei  der  ita- 
lienischen Schablone  bleiben  kann,  drittens  eine  pikante  Mischung  erzeugt. 
Ich  rieche  Eau  de  vie.  Die  Szene  führt  zu  den  wichtigsten  Ingredienzien 
dieser  Pariser  Odeure:  Trinkchor,  Sizilienne,  motivische  Ballade  vom 
irrenden  Herzog  Robert,  Auftreten  einer  jammernden  Solistin  namens 
Alice,  eine  Verhaftung,  gleich  darauf  eine  Befreiung,  ein  abziehender  Chor 
(retirons  nous),  eine  Mutterromanze,  eine  Wutstretta,  alles  flüssig  gehalten 
durch  periodische  Zwischenschläge  mit  der  großen  Trommel.  Musikalisch 
nichts  zu  bemerken.  Aber  permanente  Plastik,  auf  Kosten  jeder  störenden 
Nachdenklichkeit  oder  Gefühlshemmung.  Schlagwort:  das  Gold  ist  eine 
Schimäre.  Das  Publikum  wird  behaglich. 

Zweiter  Akt:  Die  Liebhaberin  solo,  erst  traurig,  dann  freudig,  jedenfalls 
sehr  koloraturwütig.  Schema  Feierlichkeit:  Waffenherold  (man  denkt  von 
ganz  weitem  an  zwei  Takte  aus  dem  Lohengrin).  Tanz.  Turnier.  Kriegs- 
lieder. Ein  Duett  im  feurigen  Stil:  wird  gewöhnlich  gestrichen.  Zu  be- 
merken : lcitmotivische  Erinnerung  des  teuflischen  Zaubermotivs.  Das  Publi- 
kum wird  leidenschaftlich. 


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Dritter  Akt:  Buffoduett  Bertram-Raimbaud  mit  Imitationen.  Imitationen 
sind  entweder  ironisch  oder  bestätigend,  in  allen  Ensembles.  Höllenwalzer, 
also  Hölle  und  Walzer.  Und  Gewitter.  Kontrapost:  Alices  Romanze  mit 
der  berühmten,  sehr  gemeinen  Melodie.  Duett  Bertram-Alice,  geschrieben 
für  den  esprit  gaulois,  denn  es  geht  von  Galanterie  über  Dämonie  in  Galan- 
terie zurück  — der  Teufel  als  Kavalier.  Ein  Akapellaterzett : Robert,  Bertram, 
Alice  — auch  das  muß  sein,  als  Zeugnis  einer  wirklich  guten  Arbeit.  Das 
Publikum  wird  entzückt. 

Verwandlung:  Beschwörung  der  Nonnen,  die  Balletteusen  waren  und  sind. 
Das  große  Nonnenballctt  im  Kloster  als  Verführung  des  Robert,  in  immer 
verführerische  Etappen  eingeteilt;  zuletzt  so  vollkommen  verführerisch,  daß 
er  den  heiligen  Zweig  bricht.  Dieser  Regisseur  Bertram  kennt  seine  Pariser. 
Er  will  nämlich  Robert  durchaus  in  seine  Gewalt  bringen,  aber  er  hat  nur 
bis  zwölf  Uhr  Termin,  Alice  hat  diesen  Pakt  mit  der  Hölle  gehört,  sie  soll 
nichts  sagen,  sonst  kriegt  sic  ihren  Raimbaud  auch  nicht,  der  Romanzen  singt 
und  schrecklich  dumm  ist,  doch  das  tut  ja  nichts  zur  Sache.  Die  Hauptsache 
ist  das  Nonnenballett.  Eine  geradezu  zinsentragendc  Idee.  Hier  kann  man 
schon  soupieren  gehn. 

Vierter  Akt:  Es  fehlte  noch  ein  Frauenchor,  da  ist  er,  nachher  kann  er 
ruhig  gestrichen  werden.  Es  fehlte  noch  ein  Schlummerlied,  da  ist  es.  Denn 
von  dem  Zauberzweig  schlafen  sie  alle,  was  wieder  zu  einem  guten  morendo 
Anlaß  gibt.  Aber  es  fehlt  ja  noch  die  große  Liebesszene,  da  ist  sie,  und  zwar 
die  wirksamste  aller  Liebesszenen,  nämlich  die  Liebesszene  in  Gefahr!  Da 
quellen  die  Meyerbeerschen  melodischen  Emphasen,  die  die  Senkung  von  der 
Tonika  zur  unteren  Quart  lieben,  da  gibt  es  allen  italienischen  Furore,  da 
schmeißen  sich  die  Gesangszüge  nur  so,  und  das  rien  oder  non  oder  viens 
knallt  dazwischen,  Steigerungen  reißen  uns  in  ihren  Strudel,  plötzliche  neue 
Harmonien  lenken  uns  in  ihre  Häfen  — die  berühmte  Gnadenarie,  die  auch 
noch  fehlte,  wird  eingeschoben,  sie  ist  ausgezeichnet  theatralisch.  Tamtam, 
alle  erwachen,  Finale  mit  melodiösem  Solointermezzo  und  treibender  Stretta, 
auf  Septimenakkorden  in  der  federnden  Sekundenlage  — nun  also  die  Klaue 
des  Löwen.  Wer  noch  nicht  soupieren  ging,  rast  vor  Beifall,  und  geht  jetzt 
bestimmt  soupieren. 

Fünfter  Akt:  Es  ist  Zeit  zum  Gebet.  Die  Mönche  sind  zur  Stelle.  Aka- 
pellasoli  gegen  Chor,  Stil  archaistisch.  Muttererinnerung  plus  Frömmigkeit. 
Der  Teufel  ringt  um  ihn  über  der  Orgel.  Stolze  Entwickelung  des  Tenors. 
Terzett:  Alice  fromm,  Robert  schwankend,  Bertram  intrigant.  Also  die 
Katastrophe  des  Dramas.  Des  Dramas  ? Es  mündet  ja  doch  alles  in  eine 
Musik,  mag  sie  noch  so  zärtlich  die  Figur  umschmeicheln.  Eine  Trompete 

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bläst  zum  Muttermotiv.  Französische  Glocke.  Französische  Apotheose.  Robert 
ist  gerettet,  denn  Meyerbeer-Scribe  haben  aus  einem  Zylinderhut  eine  ganze 
Feeric  sämtlicher  existierenden  Szenentypen  über  ihn  ausgeschüttet.  Das 
wirkte  bis  nach  Havanna,  Mexiko,  bis  nach  China. 

Hugenotten 

ICH  habe  nur  zu  zeigen  gehabt,  wie  dankbar  diese  Mache  für  die  Musik 
ist,  Musik  als  Plakat  genommen.  Von  der  Musik  selbst  hatte  ich  wenig  zu 
sagen.  Sic  ist  nicht  nur  äußerlich,  auch  recht  erfindungslos,  ja  oft  unaussteh- 
lich. Anders  muß  ich  von  den  Hugenotten  sprechen.  Die  Zeiten  sind  vor- 
bei, da  man  mit  Heine  in  Robert  dem  Teufel  ein  geniales  Abbild  der 
schwankenden  Julirevolutionärc  sah,  oder  gar  in  den  Foyers  der  Hugenotten- 
premierc  Vergleiche  mit  Goethe  wagte  (ich  kann  nicht  dafür)  — aber  daß 
diese  Hugenotten  den  Nagel  auf  den  Kopf  trafen,  ist  sicher.  Spontini  lief, 
ein  Gespenst  seiner  selbst,  in  Paris  umher  und,  vom  Verfolgungswahnsinn 
gegen  Meyerbcer  getrieben,  band  er  jedem,  der  cs  glauben  wollte,  das  Mär- 
chen auf,  ein  Postbeamter  hätte  dessen  Opern  geschrieben.  Rossinis  Koch 
hatte  sich  selbständig  gemacht,  er  cröffnete  vis-ä-vis  der  Oper  ein  Lokal,  in 
dem  er  jedermann  mit  seinen  berühmten  Parmesan-Ravioli  bediente.  Die 
Hugenotten  machten  Spontini  verrückt,  Rossini  melancholisch,  Heine  pa- 
triotisch. Von  allen  Schlägen  der  Schlagopern  war  dies  der  mächtigste,  ein 
Erfolg  ohnegleichen,  die  Lösung  eines  Zcitideals,  der  Siegesruf  aller  Vir- 
tuositäten, die  gerade  diese  erwachende  Epoche  aufregten,  das  wahrhafte  Er- 
eignis des  Jahres  1836.  Robert  der  Teufel  war  ein  Aufblasen  eines  Mär- 
chens gewesen,  hier  war  einer  der  brutalsten  Akte  der  Weltgeschichte  zum 
Stoff  selber  geworden.  Und  gerade  darum  schien  er  nicht  so  verwegen  zu 
sein.  Was  war  in  der  Bartholomäusnacht  schon  alles  gegeben!  Religiöse  Mo- 
tive, Kampfszenen,  Verschwörungen,  Rachegesänge,  alles  lag  offen  da  zum 
Komponieren.  Die  Parteien  des  Kampfes  selbst  strotzten  nur  so  von  musi- 
kalischer Dankbarkeit:  hier  der  üppige  polyphone  Katholizismus,  dort  der 
strenge  und  monophone  Protestantismus,  der  gleich  den  motivischen  Choral 
von  der  Festen  Burg  für  die  Ouvertüre  und  das  ganze  Stück  lieferte  und  die 
Figur  des  Marcel  gebar,  des  eisernen  Marcel,  der  seine  starren  und  reinen 
Cantus  firmi,  von  unerbittlichen  Bläsern  begleitet,  in  das  Gewebe  der  viel- 
fältigen Oper  hineinkontrapunktiert.  Gegeben  waren  die  feindlichen  Ele- 
mente, die  die  Finale  bewegen,  gegeben  alle  willkommenen  Soldatenrhyth- 
men, Schlachtgcsänge,  Schwurchöre.  Ohne  Schwierigkeit  wurde  auch  die 
Liebe  hineinprojiziert.  Der  Protestant  Raoul  liebt  die  Katholikin  Valentine. 

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Damit  daraus  eine  Tragödie  wird, 
konstruiert  man  das  Mißverständnis 
von  Raouls  Täuschung  über  Valen- 
tines Gespräch  mit  Nevers  — es  ist 
eine  notwendige,  aber  unglückliche 
Idee,  sie  wird  schnell  in  den  ersten 
Akt  versteckt,  doch  sie  erzeugt  dann 
wenigstens  zwei  oder  drei  dankbare 
Musiken : die  Liebesszene  in  Gefahr, 
die  Hochzeitsszene  mit  dem  anderen 
und  die  rustikale  Segnung  der  beiden 
Wiedervereinten  durch  Marcel.  Es  ist  nur  noch  nötig,  die  Extreme  ein 
wenig  auszuziehen  und  die  Milieus  zu  bevölkern.  Auf  der  einen  Seite  wird 
die  Königin  Margarete  zu  einer  freundlichen  Dame  gemacht,  die  Zeit  hat, 
Koloraturen  zu  singen,  und  von  einer  naiven,  anmutigen  Frauenschar  um- 
geben ist.  Auf  der  anderen  Seite  werden  die  Kavaliere  aus  Brutalität  und 
Leichtsinn  gemischt  — was  schon  zur  reichlichen  Füllung  des  ersten  Aktes 
genügt.  Der  erste  Akt  hat  die  „Orgie“.  Die  Kavaliere  vergnügen  sich 
und  fühlen  sich  zu  einzelnen  hübsch  gesetzten  Chören  veranlaßt.  Es  gibt 
drei  Intermezzi:  Raouls  Valentinenerzählung,  mit  der  Viola  d’amore; 
Marcels  Schlachtgesang,  recht  originell  in  seiner  knorrigen  Härte,  von  der 
großen  Trommel,  dem  Becken,  dem  Pikkolo  illustriert,  und  die  Pagenarie,  die 
in  gewissen  Wendungen  mit  der  Grazie  Boieldieus  wetteifert.  Klugerweise 
wird  auch  der  dritte  Akt,  in  der  Mitte  der  Tragödie,  zu  einem  ähnlichen 
Milieufest  ausstaffiert.  Wir  sind  auf  derselben  Schreiberwiese,  auf  der  einst 
Herold  schon  den  Versuch  seiner  hybriden  Tragödie  des  französischen  Ritter- 
tums machte.  Jetzt  geht  es  mit  demselben  Volke  und  denselben  Duellanten 
etwas  heftiger  und  kräftiger  zu  und  tolle  Bilder  bewegter  Szenen  jagen  sich 
ab.  Bois  Roses  meisterlich  straffes  Soldatenensemble  mit  dem  überraschenden 
Dolcissimoschluß,  den  Meyerbeer  aus  dem  pp  versteht.  Hinein  die  weih- 
rauchende Prozession.  Hinein  die  Zigeunertänze.  Die  Szene  der  Valentine 
mit  Marcel  als  dramatische  Schwierigkeit  so  überwunden,  daß  er  aus  seiner 
Rolle  fällt  und  ein  Buffo  wird,  während  sie  sowohl  in  ihrer  Hingebung  als  in 
ihrer  Angst  sich  ganz  fein  italicnisiert.  Also  einfach  auf  das  Konto  der  Musik 
gesetzt.  Reizende  kleine  Figuren  nicht  zu  vergessen,  wie  beim  Auftreten 
von  St.  Bris  und  Raoul.  Dann  das  Septett:  sicherlich  viel  zu  vergnügt  und 
hopserig,  doch  von  klugen  Mittelstimmen  schattiert,  wieder  von  plötzlichen 
Dolcissimi  besänftigt  und  in  einen  Schluß  auslaufend  „Nun  stellet  euch“, 
dessen  reiche,  und  weihevolle  Akkordbiegungen  zu  Meyerbeers  glänzendsten 

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ACADF.M1E  ROYALE  DF.  MUSIQUE 


AUonunin  U.MK  w feviuei  jsm, 

LA  PREMIERE  REPRESENTATION  OES 

MJGUENOTS 


Opera«»  acte». 


Tmdtt  !#>  tmlrrn  4t  /innr  mm!  mrprmimn. 

T Hin  Irs  Ptao»  ayant  Hi  kria  d mmr , In  Boreaux  ae 


Zettel  der  Uraufführung  der  Hugenotten 


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Dekoration  des  fünften  Aktes  Hugenotten,  erste  Szene.  Paris,  Opembibliothek 


Einfällen  gehören  und  bis  in  die  Sicgfriedwelt  fortgewirkt  haben.  Jetzt,  um 
den  Rahmen  des  Milieus  wieder  zu  schließen,  treten  die  Studenten  in  den 
Kampf  ein:  in  einer  Wutlust,  in  einem  Galgenhumor,  der  ein  echt  franzö- 
sisch Kind  Aubcrschcr  Muse  ist,  der  Hochzeitszug  wirft  seine  unschuldigen 
Rhythmen  hinein,  Hochzeit  und  Krieg  stoßen  sich  ineinander  und  wirbeln 
das  Finale  auf,  das  schließlich  doch  w’ieder  alle  Parteien  in  einen  einzigen 
Gesang  vereinigt,  wie  cs  die  Oper  seit  alten  Zeiten  wünschte. 

Ist  dies  alles  im  wesentlichen  Episode  oder  Mache,  so  liegt  die  musika- 
lische Potenz,  nach  der  man  Mcycrbccrs  artistische  Begabung  immer  wird 
abschätzen  müssen,  im  zweiten  und  vierten  Akt.  Die  Margaretenszene  — ich 
höre  unsere  Hempel  singen  — hat  etwas  paradiesisch  Heiteres,  Blumenhaftes 
und  Südländisches,  wenn  sie  nicht  durch  ängstliche  Striche  entstellt  wird. 
Die  Duette  der  Königin  mit  der  Flöte,  inhaltlich  nicht  bedeutend,  geben  die 
schmeichelnde  Suggestion  einer  lichten  Farbe,  der  die  spielerische  Virtuosität 
der  Koloraturfontänen  nicht  übel  steht.  Das  Niveau  hebt  sich  in  dem  Terzett, 
dessen  Rhythmen  von  raffinierter  Kultur  sind,  ein  Echozw'ischenspiel  schafft 
den  pittoresken  Horizont,  das  Terzett  spiegelt  sich  in  einem  Chor,  die  So- 
prankontur der  Königin  läuft  darüber,  wie  über  dem  Chor  der  Badenden 
die  Kontur  des  sich  entfernenden  Pagen  läuft:  das  sind  außerordentliche 
Parkkünste  der  Musik.  Raoul  tritt  ein  und  einige  melodische  Züge  von  bir- 

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kenschlanker  Anmut  verdecken  fast  die  Stillosigkeitcn,  in  die  ihn  Margarete 
bald  verwickelt.  Die  Herren  versammeln  sich  und  überwinden  ihre  anfäng- 
liche Banalität  in  dem  äußerst  glücklich  gesetzten  Schwur,  ein  hartes  Uni- 
sono mit  Akkordsäulen,  eine  unermüdliche  Dominantensteigerung,  ein  Aka- 
pella,  ein  feierliches  Hornnachspiel,  worauf  ein  Finale  sich  erhebt,  aus  rhyth- 
misch gestoßenem  Staunen  zu  einer  Riesenwut  wachsend,  nur  durch  Valen- 
tinens  Schmerz  und  Marcels  Frömmigkeit  koloriert,  sonst  so  fausthart,  so 
einstrichig,  wie  es  in  dieser  Gewalt  noch  nicht  erlebt  worden  war. 

Meine  Resultate  sind  keine  anderen  als  die  der  Geschichte:  der  vierte 
Akt  ist  Mcycrbecrs  Höhe.  Er  besteht  aus  zwei  bedeutenden,  gut  abgesetzten 
Teilen.  Erst  der  Schwur  und  die  Schwertervvcihc,  eine  glaubliche,  echte 
Situation,  die  von  allen  punktierten,  akzentuierten  Verschwörungen  der 
französischen  Oper,  mit  den  üblichen  Zwischenrufen  Gott!  Ihr!  Wir!  die 
eindringlichste  Musik  erhalten  hat  und  ein  Schema  zum  Typ  führte.  Der 
Marseillaisenrhythmus  des  Hauptmotivs,  dazwischen  der  breite  Edelmut  des 
Nevers,  die  schleichenden  Terzenschritte  der  Mönche,  die  großen  Akkord- 
tafeln des  enharmonischen  E und  As,  das  satanische  Furioso  als  Mittelsatz,  die 
Kolossalcntwickelung  des  Themas  mit  der  Flut  und  der  Ebbe  des  Orchesters : 
war  dort  im  zweiten  Akt  das  Paradies,  so  ist  hier  die  Hölle,  die  Schmiede 
aller  Opernrache,  die  Teufelei  aller  Bigotterie.  Wie  bedacht  ist  das  alles 
eingesetzt  und  changiert!  Wie  bedacht  folgt  a tempo  die  große  Liebesszene, 
aus  dunklen  Orchesterfarben  allmählich  sich  zum  Lichte  findend,  zweimal 
in  Gefahr,  stilistisch  zu  entgleisen,  aber  endlich  mündend  in  das  ebenso  fein 
instrumentierte,  wie  vokalisierte  Ges-Dur:  die  unsterbliche  Melodie  Meyer- 
beers,  sein  ergebungsvolles  Sinken  zur  Dominante  hinunter,  sein  sehnsuchts- 
volles Streben  zu  ihrer  Septime  hinauf,  Valentincns  zarte,  herzenseinfache 
Kantilene,  von  einer  Oboe  wehmutsvoll  über  ihrer  Ohnmacht  wiederholt, 
da  Raoul  zum  Lärm  hinausstürzt,  dessen  Überschüsse  den  fünften  Akt  füllen. 

Diese  Ges-Dur-Stelle  ist  die  einzige  in  den  Werken  Meyerbeers,  da  ein 
innerlicher  Punkt  berührt  wird.  Wir  vergessen  die  Bühne,  wir  sehen  Herzen. 
In  allen  anderen  Fällen,  auch  den  faszinierendsten,  beobachten  wir,  daß  sich 
seine  Musik  nicht  nach  innen,  sondern  nach  außen  wendet.  Sie  macht  sich 
nicht  zur  Sprache  der  geheimen  Empfindungen,  sondern  der  sinnlichen 
Szenen.  Sie  offenbart  nicht,  sondern  sie  unterstreicht.  Sie  führt  nicht  die 
Regie  der  Wahrheit,  sondern  des  Scheins.  Sie  schafft  und  prägt  Gebilde 
von  ungeheurem  Bühnenleben,  dadurch,  daß  sie  das  Drama  nicht  auf  die 
Psychologie  prüft,  sondern  die  Psychologie  auf  das  Drama.  Sie  ist  darin 
von  einem  konsequenten  künstlerischen  Kapitalismus,  der  seine  moralischen 
Defekte  nicht  wahr  haben  will.  Sie  führt  die  Oper  so  nah  an  den  schwindcln- 

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den  Abgrund,  daß  die  Nerven  im  Taumel  der  Eindrücke  zwischen  Tanz 
und  Tod  Sensation  und  Gefühl  verwechseln  müssen.  Gerade  diesen  Reiz 
will  sie.  Sie  ist  unübertroffen  in  allem  Sensationellen  der  Materie.  Nur  die 
Oper  konnte  ihr  solche  Orgien  bieten,  die  einmal  in  der  Welt  durchgekostet 
werden  mußten. 


Sänge r und  Orchester 

DIE  optische  und  akustische  Materie  wächst  ins  Maßlose.  Die  120  bis 
140  Bilder,  die  einst  die  Scala  sich  rühmte,  in  einer  Saison  ihren  Opern  zu 
liefern,  sind  nichts  mehr  gegen  die  Architektur,  Choreographie  und  Zoologie 
dieser  Szenen,  die  einen  unstillbaren  Hunger  nach  dekorativen  Irrationali- 
täten zu  haben  scheinen.  Das  Personal  der  Sänger  steht  in  einem  über- 
irdischen Glanze,  der  oft  in  gar  keinem  Verhältnis  zu  ihren  Leistungen  ihre 
Namen  zu  Sternen  erhebt.  Hier  ist  der  Ort,  diesen  Sängerhimmel  der  fran- 
zösischen großen  Opernwelt  zu  spannen,  auch  außerhalb  Meyerbeers,  in  sei- 
ner ganzen  europäischen  Ausstrahlung.  Vergessen  sind  die  lodernden  Wett- 
kämpfe der  Mara  und  der  Todi,  die  einst  die  harmloseren  Sinne  der  Alt- 
pariser erhitzten.  Auch  der  Ruhm  der  vielgewanderten  Catalani  verblaßt, 
sie  sitzt  bei  Florenz,  junge  Mädchen  zu  unterrichten.  Aus  Barbajas  Unter- 
nehmertum gehen  der  Bassist  Tamburini,  der  Tenor  Rubini  über  die  Büh- 
nen. Die  Pcrsiani,  die  beiden  Grisi,  der  Baß  Lablache  bilden  mit  ihnen  das 
weltberühmte  Ensemble  des  italienischen  Theaters  in  Paris : ein  Vogelzwit- 
schern, das  Heines  Lutetiabriefe  erheiterte.  Langsam  und  sicher  dringt  die 
Pasta  durch,  deren  Technik  nicht  auf  der  Höhe  ihres  Vortrags  steht.  Nourrit, 
der  erste  Raoul,  ist  der  tenorale  Stern  der  Großen  Oper,  Roger,  der  erste 
Johann  von  Leyden,  Lavignc,  Duprez  konkurrieren,  dieser  oft  ebenso  ange- 
zweifelt  w'ie  die  Stoltz,  die  in  den  redseligen  Memoiren  jener  Zeiten  vielleicht 
einen  besseren  Klang  hatte  als  auf  der  Bühne.  Die  Wienerin  Lucca,  Berlins 
Liebling,  ist  nur  vorübergehend  in  Paris,  kreiert  bei  uns  die  Afrikanerin, 
keine  klassische  Stimme,  aber  eine  Freude  der  Sinne.  Die  vergötterte  Schwe- 
din Jenny  Lind  — die  Vielka  in  Meyerbeers  „Feldlager“  — im  Ausdruck, 
in  der  Technik,  im  Timbre  unvergleichlich,  schlug  sie  alle,  alle  vor  ihr  und 
nach  ihr!  Sie  schlug  die  Bielefelderin  Sophie  Cruvelli,  die  Susanne  der  Lind 
die  Gräfin  der  Cruvelli  in  London.  Die  Cruvelli  wurde  zuletzt  für  100  000 
Franken  an  die  Pariser  Oper  engagiert,  von  der  einst  Jenny  Lind  abgewiesen 
worden  war;  man  hatte  ihre  Kunst  in  Paris  nicht  erkannt  und  sie  blieb  mit 
der  Großen  Oper  böse,  wofür  sie  die  übrige  Welt  entschädigte.  Bei  Garcia 
hatte  sic  gelernt,  von  dem  Generationen  ausgingen.  Garcia,  geborener  Se- 

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villaner,  selbst  Komponist  zahlreicher  Opern,  berühmter  Tenor  des  italieni- 
schen Theaters  in  Paris,  mit  dessen  Direktrice,  der  Catalani,  er  sich  ver- 
kracht, um  nach  ihrem  Bankerott  dorthin  zurückzukehren,  ein  chanteur  Voya- 
geur größten  Stils,  auf  irgendeiner  seiner  bunten  Reisen  alles  Besitzes  beraubt, 
eröffnet  die  europäischste  aller  Gcsangsschulen  in  Paris:  seine  Töchter,  die 
Malibran  und  die  Viardot,  sein  Sohn  Manuel  sind  seine  nächsten  Schüler, 
Manuel  wieder  mehr  ein  Lehrer  als  ein  Künstler,  der  jetzt  erst  im  Alter  von 
101  Jahren  gestorben  ist.  Ein  anderer  Schülerzvveig : die  Marchesi,  geborene 
Graumann,  durch  ihren  Gatten  Mitglied  einer  italienischen  Sängerfamilie. 
Ein  neuer  vielverästelter  Zweig:  die  Artot,  Schülerin  der  Viardot,  einer  der 
Sterne  der  Meyerbcerschen  Oper,  selbst  aus  einer  alten  stolzen  Künstler- 
familie, dem  Baritonistcn  Padilla  vermählt,  in  ihrer  Tochter,  unserer  lieben 
und  feinen  Lola  fortlebend,  deren  Erzählungen  aus  der  Ahnenreihe  ihrer  Ge- 
sangskunst uns  ebenso  ergreifen,  wie  die  Anmut  ihrer  wohlgebildeten  Stimme 
und  die  tänzerische  Geistigkeit  ihres  Körpers  uns  die  Erziehung  einer  Rassen- 
kultur lehrt.  Was  wissen  wir  von  all  diesen  wcltwandernden  Stimmen  der 
großen  Pariser  Zeit?  Sie  waren  das  Gespräch  des  Tages,  der  Genuß  einer 
wirklich  theaterfrohen  Gesellschaft,  hinüber  über  den  Kanal,  hinüber  über 
das  große  Meer,  die  Literaten  gossen  ihre  Entzückungen  über  sie  aus,  sie 
selbst  schwärmten  in  den  Memoiren,  und  alles  Äußere,  Rastlose,  Ruhmsüch- 
tige, Sternenglänzende,  Schicksalstolle,  Arbeitsvolle  und  Lebensphanta- 
stische schwirrt  vor  unserer  historischen  Erinnerung,  die  es  tausendmal 
nacherzählen  könnte,  aber  nichts,  nicht  einmal  ein  Grammophon  kann  uns 
die  leeren  Beschreibungen  ihrer  Stimme,  ihres  Timbres,  ihrer  Kunst  ersetzen 
— was  wissen  wir  von  der  zartgefärbten,  verinnerlichten,  phänomenalen 
Technik  der  Lind,  von  der  stolzen  Stimmschönheit  der  Catalani,  den  schwin- 
genden Registern  der  Pasta,  der  ausdrucksvollen  Leidenschaft  der  Viardot, 
die  die  Fides  kreierte,  dem  weiten  Alt  der  Malibran,  die  wie  ihre  Schwester 
selbst  wieder  neue  Musikerfamilien  einging,  — Nourrit,  der  erste  Masaniello, 
Arnold,  Robert,  Raoul,  stürzte  sich  geistesverwirrt  aus  dem  Fenster,  Rubini 
kaufte  sich  ein  Herzogtum,  das  Schicksal  der  Garcias  würde  einen  Roman 
füllen,  aber  ihre  Stimmen,  das  beglückende  Mittel  ihrer  Erlebnisse,  hören 
wir  nicht  mehr.  Es  ist  als  Diamant  einzusetzen  in  den  Glanz  dieser  Opern- 
zeiten. 

Nicht  bloß  der  Gesang,  auch  das  Orchester  als  „akustische  Materie“  ver- 
sinnlicht sich  jetzt  außerordentlich.  Die  Orchcsterqualität  des  Komponisten 
hängt  nicht  unbedingt  damit  zusammen:  Lconcavallo,  auch  ein  Schlagopcrn- 
machcr,  hat  keinen  besonderen  Sinn  dafür,  Simon  Mayr,  ein  Halbitaliener, 
hatte  ihn,  und  Richard  Strauß  hat  ihn  ebenso  und  steht  doch  diesem  Genre 

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ganz  fern.  Aber  es  ist  das  Machtgefühl  der  Virtuosität,  das  ihn  bei  der 
ganzen  Gruppe  von  Autoren,  von  denen  wir  sprechen,  erzog  und  pflegte. 
Meyerbeers  Orchester  war  eine  technische  Steigerung,  wie  alle  seine  Künste. 
Seit  der  mediocritas  des  Gluckschen  Apparats  war  es  längst  in  alle  Dimen- 
sionen gewachsen,  in  einer  reizenden  Detaillierung  bei  den  Schöpfern  der 
Comique,  in  einer  weiten  Auseinanderfaltung  bei  den  Tragischen.  Von 
Glucks  letzten  Opern  bis  in  die  ersten  der  großen  französischen  Zeit  steigert 
sich  das  Schlagwerk  reichlich,  Rossini  in  der  Belagerung  von  Korinth  exzelliert 
mit  der  großen  Trommel,  dem  Becken,  dem  Triangel  und  im  Moses  klagte 
man,  es  sei  fast  soviel  Schlagw'erk  als  Gesang.  Rossinis  große  Trommeleffekte 
werden  für  den  Lärm  stilbildend,  jene  dumpfe  Erregung,  die  so  in  die  Tiefe 
geht,  daß  sic  gar  keinen  Ton  mehr  findet.  Etwas  von  animalischer  Brutalität 
liegt  in  diesen  Raubtierakzenten,  ein  Heraufholen  der  Instinkte  wilder  Kriegs- 
völker. Costa  fügte  in  London  aus  diesem  Bumbum  der  Mode  sogar  dem 
Don  Juan  und  Figaro  Schlagwerk,  Posaunen,  Ophikleiden  hinzu.  Die 
Entwickelung  in  die  höchsten  Pikkoloregionen  war  Kraftsache,  viel  be- 
wußter, aber  auch  tastender  steigt  sie  in  die  tiefsten  Abgründe;  in  Paris  ist 
das  tiefe  Klappenhorn,  die  Ophikleide,  ein  gewöhnliches  Instrument  gewor- 
den, in  Berlin  statt  ihrer  die  Baßposaune,  deren  Exemplar  Berlioz  so  bewun- 
dert, an  der  Stelle,  da  er  in  seinen  Memoiren  die  Berliner  Hugenotten- 
aufführung unter  Meycrbcer  genau  beschreibt,  mit  einer  wertvollen  Or- 
chesteranalyse. Diese  tiefen  Gegenden  des  Orchesters  sind  dem  Wandel  un- 
terworfen, sie  sehen  heut  schon  wieder  anders  aus,  damals  trieb  die  Lust  an 
grandiosen  tiefen  Blaswirkungen,  die  die  tragische  Oper  brauchte,  vielseitige 
Experimente  hervor,  erst  recht  unter  Berlioz,  dessen  Gruppenorganisation 
noch  schärfer  ausgebildet  war  als  Meyerbeers,  der  mehr  ein  Charaktcristiker 
ist.  Meyerbeer  hat  ein  scharfes  Organ  für  die  Sprache  jedes  Instruments, 
für  seine  Farbe,  seinen  Gestaltungswert,  für  seine  Bühnenbcdcutung.  Er 
isoliert  sie  gern,  er  schichtet  sie  zu  extremen  Lagerungen,  nur  tief,  nur  hoch, 
er  zieht  ihre  Mittelschichten  selbständig  heraus,  er  dirigiert  sie  ganz  frei 
und  souverän,  nicht  mehr  als  Begleitung  des  Gesanges,  sondern  des  Milieus, 
der  Stimmung,  der  Charaktere  und  der  Szene.  Darin  ging  er  weit  über  alles 
italienische  Spiel  hinaus  und  arbeitete  der  deutschen  Symphonieoper  vor.  Seine 
Partituren  sind  nicht  mehr  Bucheinbände,  sondern  Bücher  selbst.  Wie  kann 
ich  sie  im  einzelnen  illuminieren?  Die  berühmten  Bläserfarbeneffekte  aus 
Spontinis  Vestalin  verblassen  gegen  Meyerbeers  Kombinationen  mit  der 
Baßklarinette  und  dem  Englischhorn,  die  Saxophone  in  allen  vier  Lagen  als 
Bühnenmusik  zum  Prophetenmarsch,  die  Vereinigung  der  tiefen  Saiten  von 
Streichern  oder  dreifach  geteilter  tiefer  Streicher  mit  mehrfach  besetzten 

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dunklen  Bläsern,  durch  die  er  in  der  Afrikanerin  ungewohnte  Farben  er- 
zielt. Die  Beschwörungsszene  im  Propheten  wird  von  Klarinetten,  Fagotten, 
Celli,  Bratschen  dunkel  eingclcitet.  Johann  singt  zur  Baßklarinette,  der  sich 
in  raffinierter  Mischung  andere  dunkle  Instrumente  gesellen.  Vorher  hat  er 
die  Mutter  zu  hochtremolierendcn  Streichern  hypnotisiert,  jetzt  antwortet 
sie  zu  derselben  Farbe.  Es  malt  sich  die  dämonische  Mutterverleugnung  grell 
und  scharf  in  Instrumenten,  die  einen  unerhörten  Kolorismus  bekennen,  eine 
Unterstreichung  der  Musik,  die  wieder  die  Szene  unterstreicht  — und  der 
Wirkung  ist  kein  Rest  mehr  gelassen. 

Prophet 

DER  Prophet  kam  184g  heraus  und  war  von  Scribe  wieder  auf  den  be- 
währten Effekt  der  szenischen  und  musikalischen  Ironie  angelegt.  Scribe 
sagte,  der  Priester  müsse  vom  Altar  leben  — er  hatte  ein  Jahreseinkommen 
von  200000 — 300000  Franken.  Dies  war  selbst  eine  „Ironie“,  als  welche 
die  Zwiespältigkeit  aller  Charaktere  und  Situationen  ist.  Aber  die  Huge- 
notten erreichte  er  doch  nicht,  auch  Meyerbeer  nicht.  Die  Ironie  des 
Wiedertäuferstoffes  sollte  im  dankbaren  Gegensatz  ihrer  scheinbaren  Religio- 
sität und  wirklichen  Mordbrennerei  liegen,  doch  blieb  dieser  „Schwindel  der 
Antithesen“  eben  nur  ein  Schwindel.  Denn  weil  sie  beides  in  Wahrheit 
waren,  Lumpe  und  Freiheitshelden,  Schwärmer  und  Räuber,  weil  sie  sich 
verstellten  und  andere  zu  Verstellungen  verführten  (dieser  Text  ist  ein  Eiter- 
herd von  Lügen),  versagte  die  Musik,  die  sich  nicht  verraten  darf,  die  nur 
dann  ihren  Stil  rettet,  wenn  sie  die  Ironie  wie  eine  höhere  Erklärung  in  die 
Geschehnisse  hineinträgt,  in  den  Fischeraufstand  von  Portici,  in  den  Leicht- 
sinn des  teuflischen  Robert,  in  die  Satanismen  der  Bartholomäusnacht,  also 
in  Flächen,  die  sie  zu  Körpern  macht,  in  Fakta,  die  sie  zu  Ereignissen  erhöht. 
Diese  Ironie  war  zu  direkt,  zu  vielseitig  — zu  phantasielos.  Es  war  ein  auf- 
gelegter Bluff.  Äußerlich  schien  genug  Material  gegeben:  Religion,  Mord, 
Volkslust,  Krönung,  Rache,  Empörung,  eine  Geliebte  und  eine  Mutter  war 
leicht  hinzuerfunden,  die  erst  verleugnet,  dann  wieder  anerkannt  werden 
müssen  — aber  niemand  glaubt  den  Wiedertäufern,  also  auch  niemand  ihrem 
König  Johann,  also  glaubt  man  ihm  auch  die  Mutter  und  Braut  nicht,  wenn 
er  selbst  noch  so  sehr  daran  glauben  würde.  Eine  bengalische  Kunst  will  eine 
Wirklichkeit  beleuchten,  die  selbst  schon  bengalisch  ist.  Das  gibt  die  Ver- 
zerrung, die  L-nmoralität  und  die  Unsicherheit  — als  natürliche  Strafe.  In- 
teressant zu  beobachten,  wie  die  Partien  der  Oper,  in  denen  dies  Widerspiel 
aktuell  wird,  stilistisch  versagen.  Das  Quartett  Johanns  mit  den  Wieder- 

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täufern,  die  ihn  zu  ihrem  König 
machen  wollen,  bleibt  ohne  innere 
Wahrheit,  ein  rhythmisches  Spiel, 
nach  dem  Schema  A + B C D, 
das  nur  an  der  einen  Stelle  der 
Mutteranrufung  einen  äußeren 
melodischen  Klang  erstrebt.  Das 
Terzett  der  Wiedertäufer  mit  dem 
verkleideten  Tyrannen  Oberthal 
will  die  ironische  Doppelstimmung 
festhalten,  aber  sie  wird  ein  Buffo- 
effekt, ganz  schabloniert,  unwahr- 
scheinlich und  schließlich  von  einer 
ärgerlichen  Aufdringlichkeit,  die 
keine  Musik  findet.  Der  Mordtanz 
der  Revolutionäre,  der  den  dritten 
Akt  beginnt,  hat  etwas  von  mexi- 
kanischer Grimasse,  trotz  allem 
äußeren  Lärm  bezahlte  Leiden- 
schaft. Der  Schluß  der  Oper,  die 
Explosion  mitten  im  Tanze,  das 
Trinklied  als  Todeslied,  kompro- 
mittiert allen  Glauben  Johanns  an 
die  Heldenhaftigkeit  seines  Schick- 
sals, das  er  so  dummen  Gläubigen  anvertraute.  Er  ist  doch  nichts  als  ein 
Meyerbeerscher  Tenor  gewesen.  Er  sollte  knien  vor  Masaniello. 

Man  kann  unter  diesen  Umständen  seine  Gesänge  und  Szenen  nicht  mehr 
ernst  nehmen,  sie  werden  Konzertstücke,  Aufführungen,  Bravourleistungen 
des  Podiums,  ein  übles  Getue,  an  das  die  besten  Einfälle  dieser  Musik  ver- 
schwendet werden.  Sein  Traum  ist  das  straffste  und  belebteste  Stück  der 
ganzen  Oper,  aus  dem  er  sich  in  die  Banalität  des  B-Dur-Pastorale  flüchtet. 
Seine  Harfenhymne  am  Schluß  des  dritten  Aktes  zeichnet  sich  durch  eine  stolze 
hebräische  Melodik  aus,  Akkordfeierlichkeiten,  die  sich  auch  sonst  immer 
dankbar  erweisen.  Der  Krönungsmarsch  beginnt  in  einem  starken  und  treff- 
lich reliefierten  Rhythmus,  versüßt  sich  aber  in  seinem  melodischen  Mittel- 
satz und  verliert  sich,  beladen  mit  italienischen  Vorhalten,  in  unverständliche 
Galoppgcbärdcn.  Ist  hier  immer  noch  ein  unpersönliches  Interesse  vorhan- 
den, so  fällt  das  bei  den  Szenen  der  Fides  und  Berta  auch  fort,  die  nichts  als 
Schminke,  Aufputz,  Kontrast  und  Stillosigkeit  sind.  Die  gerettete  Fides  be- 

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nimmt  sich  geradezu  virtuos  mit  ihren  Gesangsfloskeln  und  Stimmrutschern 
(nein,  für  jüdischen  Familiensinn  ist  das  zu  pratschig),  ihre  Bettlerinarie  ist 
schwach  wie  ihr  Geist,  ihr  Duett  mit  Berta  verlogen,  ihr  letztes  Duett  mit 
dem  Sohn  noch  neapolitanischer  als  ihr  Anfang,  das  Terzett  aller  drei  von 
einer  verdächtigen  Pastoralität  und  Bertas  Tod  noch  kitschiger  als  ihr  Leben. 
In  den  Ensembles  findet  sich  mancher  Versuch  gegen  das  Herkommen,  Em- 
pörerrhythmen in  */»j  interessante  Faktur  des  Krönungschors  mit  dem  Kinder- 
motiv, das  Finale  mit  der  schluchzenden  Figur,  die  sich  aus  der  Klage  der 
Fides  hineinflicht,  worein  die  Beschwörung  gesetzt  ist:  an  dieser  Stelle,  am 
Schlüsse  des  vierten  Aktes,  liegt  sicherlich  der  meiste  äußere  Glanz,  der 
Pomp  der  Schauoper.  Die  Milieus  bedeuten  nicht  gar  viel.  Weder  der 
Bauerntanz  in  Johanns  Wirtshaus,  noch  das  Eisfest  und  Schlittschuhballett 
geben  soviel  Musik  her  als  Trubel. 

Afrikanerin 

DIE  vierten  Akte  sind  immer  Meyerbeers  Höhe,  die  Glanzpunkte,  auf  die 
die  Opern  hingeführt  werden.  Auch  in  der  Afrikanerin.  Das  indische 
Ballett,  mit  dem  der  vierte  Akt  dieser  Oper  beginnt,  hat  eigenartige  Farbe  und 
Rhythmen,  mehr  als  irgendein  anderes  von  ihm.  Die  schwärmerische  An- 
singung  Indiens  durch  Vasco,  seine  melodische  Klage  ist  wirksam  und  doch 
reinlich.  Beim  Brahmaanruf  entwickelt  sich  eine  der  breitgestrichenen,  mono- 
phonen  Melodien,  die  für  dies  Werk  charakteristisch  sind,  wie  der  ritterliche 
Männerchor  im  ersten  Akt,  von  Verdischcm  Typ.  Manche  Monodien,  diese 
einsamen  in  der  Luft  stehenden  Gesänge  einer  Solostimme,  — vorher  schon 
auf  dem  Schiff  hörte  man  sie  — bleiben  im  Ohr,  am  schönsten  der  originell- 
fremdartige Abschiedsruf  der  Ines,  ihr  Romanzenmotiv.  Das  Duett  zwischen 
Vasco  und  Selica  ist  gut,  ein  lebhaft  paralleles  Allegretto,  ein  fein  verlorener 
Schluß.  Hier  sind  Wendungen  eines  Neuitalienismus,  die  der  Afrikanerin  ihr 
Gepräge  geben.  Nicht  mehr  die  Lied-  und  Marschphrasc  Rossinis,  sondern 
diese  aufschwellende  Emphase,  diese  kurzen  starken  Feuer  der  Erregung,  die 
sich  in  engen  Kreisen  bedrängen  und  fortschieben,  — wir  denken  wieder  an 
Verdische  Art,  fast  an  das  spätere  Mailand,  aber  wir  sind  philologisch  über 
die  Afrikanerin  zu  wenig  unterrichtet,  um  zu  wissen,  wann  und  woher  Meyer- 
beer die  einzelnen  Anregungen  aufnahm.  Denn  daneben  finden  sich  entsetz- 
liche Altitalienismen.  Was  sie  in  der  Versammlung  des  ersten  Aktes,  im 
Kerker  des  zweiten  zusammensingen,  wie  Vasco  im  dritten  auf  Don  Pedros 
Schiff  kommt,  das  grenzt  oft  an  Karikatur.  Die  Afrikanerin  ist  nicht  unin- 
teressant als  Studium,  im  Yj-Finalc  des  ersten  Aktes,  in  der  Sturmballade 

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Neluscos,  in  einiger  Partien  des  Duetts  Ines-Selica  sind  aparte  Ideen,  aber 
daneben  stehen  die  schlimmsten  Trivialitäten,  die  bei  einer  Aufführung  die 
ganze  Oper  ruinieren.  Auch  der  berühmte  Tod  der  Selica  unter  dem  giftigen 
Manzanillobaum  ist  eine  mäßige  Musik.  Ich  kann  von  diesem  Stück  nur  so 
hin  und  her  sprechen,  denn  es  ist  so  hin  und  her.  Meyerbeer  begann  es  in 
den  dreißiger  Jahren,  vollendete  es  1860,  aber  erlebte  die  Aufführung  nicht 
mehr.  Durch  solche  Intervalle  erklären  sich  die  Schwankungen.  Der  Stoff 
ergab  genug  Dankbares,  Schiff,  Indien,  Ruhm,  Liebe,  Rührung,  Opfer,  Ge- 
bete, Aufzüge,  aber  er  hat  selbst  die  Mängel  gefühlt,  die  sich  im  Laufe  der 
Jahre  nur  immer  fühlbarer  machten.  Diese  italienisierenden  Afrikaner  aus 
Indien,  die  so  rührend  den  Portugiesen  ihr  Land  zeigen  und  nach  allerlei 
unmöglichen  Schicksalsfällen  den  Tenor  und  den  Sopran  verlobt  wieder  nach 
Hause  schicken,  blieben  zwischen  den  Stilen  stecken,  in  einer  Zeit,  die  längst 
eine  ganz  andere  Farbe  bekannt  hat  als  die  einiger  musikalischer  Einfälle, 
eklektischer  Routine  und  instrumentaler  Effekte. 


Komisches 

ZWEI  komische  Opern  existieren  von  Meyerbeer,  etwas  spät  für  die  Gat- 
tung, deren  Früchte  sie  nur  pflücken,  aber  die  spätere  doch  die  bessere. 
Der  „Nordstern“  kam  1854  heraus,  es  ist  der  durch  eine  sentimentale  Me- 
lodie verewigte  Stern  der  Katharina,  die  nach  drei  Akten  von  Bühnenschick- 
salen Zarin  wird.  In  das  Stück  ist  ein  großer  Teil  der  Musik  des  „Feldlagers 
in  Schlesien“  aufgenommen,  das  Meyerbeer,  der  nunmehrige  Generalmusik- 
direktor in  Berlin,  Nachfolger  Spontinis,  1844  für  das  neueröffnete  Opernhaus 
geschrieben  hatte.  Die  Übernahme  war  polizeiwidrig.  Dort  flötete  Friedrich 
der  Große,  hier  flötet  der  Zar,  Katharina  muß  sich  als  Zigeunerin  verkleiden, 
und  die  Russen  singen  den  Dessauer  Marsch.  Gute  kalmückische,  böhmische, 
russische  Soldatenrhythmen  schwärmen  herum,  Würfel-  und  Trinkcouplets, 
viel  Buffoneskes,  am  besten  das  reizende  Fluchduett  Georges-Arascovia,  und 
ein  allgemeiner  Hochzeitschor  mit  musikalischem  Interjektionsblödsinn,  der 
den  Offenbachschen  Winkel  in  Meyerbeer  angenehm  enthüllt.  Katharina 
duettiert  mit  Peters  Flöte,  wie  Dinorah  mit  ihrem  Sackpfeifer,  Katharina 
erinnert  sich  im  Wahnsinn  ihrer  gesamten  Jugendmusik,  das  ist  des  ersten 
Opernteils,  den  ihr  der  Zar  wieder  aufgebaut  hat,  um  sie  gesund,  gerührt 
und  zu  seiner  Frau  zu  machen  — erinnert  sich  der  Jugend  wie  Dinorah  — 
Aber  Dinorah,  erst  1859  geboren,  ist  mir  lieber.  Sie  hat  nichts  mit  falschen 
Revolutionen  und  preußisch-russischen  Musikallianzen  zu  tun,  sondern  nur 

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mit  einer  Ziege,  die  ein  hübsches  Motiv  bekommt,  mit  einem  Hirten,  den 
sie  liebt,  und  einem  Sackpfeifer,  der  ihm  einen  Schatz  graben  soll,  der  sie 
schließlich  selbst  ist.  Auch  sie  wird  ein  bißchen  wahnsinnig,  aber  in  der  an- 
genehmen Form,  daß  sie  mit  ihrem  Schatten  einen  entzückenden  virtuosen 
Walzer  mit  Echokoloraturen  tanzt.  Durch  einen  Brückeneinsturz,  den  sie 
den  dekorativen  Ansprüchen  opfert,  wird  sie  wieder  gesund.  Sonst  ist  alles 
eine  Folge  ganz  reizender  Stücke,  die  zwar  die  üblichen  Schemata  der  Comi- 
que  nur  wiederholen,  aber  mit  so  guter  Laune  und  frischen  Einfällen  musi- 
kalisch beleben,  daß  wir  Herrn  Meyerbeer  kaum  erkennen  — oder  vielleicht 
nun  erst  ganz  erkennen  ? Das  Wiegenlied  der  Ziege,  die  ländlichen  Chöre, 
der  Dudelsack  mit  der  falschen  Septime,  die  kurzgeschürzten  Couplets,  die 
Magiespäße  und  Schatzgrabereien,  das  Muttrinken,  die  Rückkehr  aus  der 
Schenke  mit  einem  famosen  Gedudel  und  Geschlcnker  der  Stimmen,  das 
Dalayracs  würdige  Liedcouplet  Le  vieux  sorcier,  die  erschütternde  Stumpf- 
sinnsarie Corentins  über  die  Wochentage  als  Schnadahüpfl  mit  Angstanfällen, 
das  gute  alte  Motiv  des  Liebespaars,  das  sich  an  einer  Romanze  erkennt,  das 
Duett  Hoel-Corcntin  „quand  l’heure  sonnera“,  eines  der  graziösesten  Buffo- 
stücke der  ganzen  französischen  Literatur,  die  malerisch  spezialisierten  Chöre 
der  Jäger,  Mäher,  Hirten,  ihr  Gebet  und  der  aus  der  Jugenderinnerung  herauf- 
klingende melodiöse  schlichte  Gesang  an  die  heilige  Jungfrau  mit  dem  reli- 
giösen Marsch  — was  ist  das  ? Aus  fernen  Zeiten  vielgespielte  Szenen  ziehen 
da  an  uns  vorüber,  und  der  Herr  der  großen  tragischen  Oper  ließ  als  alter 
Mann  eine  berückende,  süße,  graziöse  und  tänzerische  Musik  aus  ihnen  tönen, 
die  alles  widerlegte,  was  er  gemacht  hat  und  was  wir  über  ihn  schrieben.  Ich 
möchte  ihn  einmal  fragen,  was  er  darüber  meint.  Er  würde  sagen : Spielerei, 
Nebenbeschäftigung,  Sonntagnachmittag.  Ich  würde  nicht  weiterfragen.  Am 
Sonntagnachmittag  duettierte  Dinorah  mit  ihrem  Sackpfeifer,  erinnerte  sich 

ihrer  Jugend,  tanzte  mit  ihrem  Schatten 

Meyerbeer  hat  zwischen  Italien,  Paris,  Berlin  äußerlich  nicht  viel  erlebt. 
Vielleicht  hat  er  sich  selbst  nie  ganz  gegeben.  Er  war  anders.  Gütig,  glaube 
ich,  auf  Vorteil  bedacht  auch  für  andere,  nicht  diktatorisch,  eher  ängstlich, 
vorsichtig  und  von  einer  leisen  Klugheit.  Er  starb  nicht  wie  Spontini  ver- 
ärgert, wie  Rossini  resigniert,  er  starb,  dreiundsiebzigjährig,  mitten  in  der 
Arbeit  für  die  Aufführung  der  Afrikanerin.  Berlioz  hat  von  ihm  gesagt:  er 
besaß  nicht  bloß  das  Glück,  Talent  zu  haben,  auch  das  Talent,  Glück  zu 
haben.  C’est  5a. 


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Die  Stoltz  als  Desdemona.  Lithographie  von  Lacauchic 


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Halevy 

ZWEI  Italiener  sind  die  Schöpfer  der  großen  historischen  Pariser  Oper, 
und  zwei  Juden.  Halevy,  musikalisch  ein  Kind  Cherubinis,  geriet  in  eine 
falsche  Karriere.  Seine  Jüdin,  1835,  kam  zwischen  Robert  und  den  Huge- 
notten heraus.  Scribe  hatte  in  diesem  Text  nichts  von  der  Ballettromantik 
des  Robert,  nichts  von  der  historischen  Brutalität  der  Hugenotten,  nichts 
vom  Vexierspiel  des  Propheten  — es  ist  ein  Stück  von  bloßer  psychologischer 
Grausamkeit.  Recha,  die  gar  keine  Jüdin  ist  und  ruhig  die  Frau  des  Fürsten 
Leopold  werden  könnte,  wird  der  blöden  Rachsucht  ihres  Adoptivvaters 
Eleazar  martervoll  geopfert.  Es  ließ  sich  kein  Stoff  denken,  der  für  Halevy 
ungeeigneter  war.  Seine  Begabung  war  eine  fein  musikalische,  die  auf  aparte 
Wendungen,  ungewöhnliche  Harmonien,  symphonische  Tiefen  ging,  auf 
Zartes  und  Spielendes,  nicht  auf  die  unbarmherzigen  Coups  der  Großen 
Oper.  Die  Ouvertüre  der  Jüdin  zeigt  die  Cherubinische  Haltung,  die  Kava- 
tine Brognis  (des  ungewußten  Vaters  der  Recha)  „Wenn  ewiger  Haß“  hat 
eine  schwere  ernste  Lyrik,  hübsch  ist  Leopolds  Serenade  und  alles  Trinkende 
und  Walzende  in  dieser  Oper,  das  jüdische  Gebet  im  Hause  Eleazars  hat  eine 
gute  davidische  Farbe,  Rechas  Romanze  ist  von  derselben  schweren  Empfin- 
dung wie  manche  ihrer  seelenvollen  Wendungen  in  dem  Streit  der  Männer 
um  ihre  Person,  auch  Brognis  großer  Fluch,  der  so  mächtig  immer  wieder 
von  oben  ausholt,  mag  gelten  — das  sind  die  eigenen  Bezirke  Halevys,  Geist 
und  Gefühl,  die  ihn  mehr  für  die  Comique  prädestinierten.  Im  „Blitz“ 
wagte  er  sich  dahin,  aber  doch  wieder  zu  bedächtig.  Er  redete  sich  die  Große 
Oper  ein,  deren  Gesten  ihn  reizten.  Er  wollte  Schlagerfolge  und  war  doch 
viel  zu  naiv  dazu.  Die  Stillosigkeit  des  Schmuckterzetts  wirft  uns  heut  aus 
allen  Illusionen.  Diese  Ritter  und  Hebräer  übertreffen  sich  im  Rossineln. 
Das  Duett  des  Liebespaars  hat  Feuer,  hat  eine  sinnfällige  Melodie,  aber 
es  bleibt  im  Typ.  Was  hätte  Meyerbeer  aus  dem  Schlußensemblc  des 
zweiten  Aktes  gemacht,  das  hier  eine  Kombination  einer  Halben  mit  vier 
Achteln  zu  Tode  hetzt.  Die  Plastik  der  Meyerbeerschen  Melodie  fehlt, 
Halevy  ist  enger  und  schmächtiger  und  blasser.  Das  große  Finale  ist  zu 
homophon,  das  Duett  der  Prinzessin  und  Recha  gespickt  mit  den  fliegenden 
Phrasen,  die  den  Jargon  der  zeitgenössischen  Oper  bilden,  das  Duett 
Eleazars  mit  Brogni  wird  in  hastende  Achtelschläge  aufgelöst,  damit  man 
die  seelischen  Unmöglichkeiten  nicht  merkt,  die  große  Zweifelarie  Eleazars, 
mit  den  zwei  Bassetthörnern,  beginnt  zu  liedhaft  und  schließt  zu  rossinisch, 
um  unseren  Kontakt  finden  zu  können.  Es  ist  sehr  schade.  Wir  bemerken  das 
Opfer  eines  feinen  und  zärtlichen  Herzens  an  den  Moloch  der  Mode. 

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Diese  Oper  ist  ganz  unmöglich  geworden,  ihre  Risse  haben  sich  zu  Ab- 
gründen erweitert. 

Halevy  hat  dann  eine  Menge  großer  Opern,  aber  auch  komischer  Opern 
geschrieben,  unschuldig  alles  herunterkomponierend  und  nach  dem  neuen  Er- 
folg spähend,  der  nicht  kam.  Dieser  freundliche  gute  Mann  wollte  Tod  und 
Teufel  bezwingen;  ging  es  nicht,  so  wollte  er  wenigstens  reich  heiraten  und 
bequem  leben,  wie  ihn  uns  Wagner  in  seinen  Memoiren  schildert.  Wagner 
aber  hat  in  schlechten  Zeiten  mit  mancher  Oper  von  ihm  zu  tun  gehabt.  Viel- 
leicht schrieb  er  einmal  den  Marsch  der  Jüdin  ab,  ahnungslos,  daß  diese  Ko- 
ordination der  Fis  und  A,  und  der  F und  A-Dreiklänge  in  seinem  Lohengrin 
eine  wunderbare  Auferstehung  feiern  würde.  Er  überholte  ihn  bald.  Nach 
seinem  Fliegenden  Holländer,  1852,  komponierte  Halevy  seinen  Juif  errant, 
den  ewigen  Juden,  ein  fürchterliches  Scribelibretto,  mit  einem  nicht  einmal 
erlösten  Ahasver  mitten  in  byzantinischen  Intrigen  und  Liebesgeschichten. 
Wozu  schrieb  er  noch  diese  Ballade  des  Ahasver,  wozu  noch  diesen  Welt- 
schmerzfluch De  dieu  l’etcrnelle  clemence  — es  war  für  die  Operngeschichte 
zu  spät,  blasse  Kopien  deutscher  Romantik.  Viel  netter  hatte  sich  sein  Eklek- 
tizismus auf  den  Bahnen  der  überlieferten  französischen  Motive  bewegt. 
In  seinen  leichteren  Opern  entdeckt  man  immer  wieder  Überraschungen, 
aber  es  reicht  nicht  recht.  In  der  „Pest  in  Florenz“  die  Szene,  da  Ginevra, 
die  Scheintote,  in  der  Gruft  erwacht  und  von  Buffofledderern  gerettet  wird, 
oder  da  sie  ihren  Geliebten  Guido  wiederfindet,  das  sind  musikalisch  merk- 
würdig reizvolle  Dinge,  etwas  absolut  im  Stil,  doch  voll  von  Pariser  Geist 
und  längst  nicht  mehr  in  einem  italienisch  parfümierten  Atem.  Diese  Oper 
war  Meyerbeer  gewidmet.  Er  brauchte  nichts  zu  fürchten. 


Berlioz 

MIT  einigen  Worten  Berlioz’  Opern  hier  anzufügen,  muß  erlaubt  sein, 
obwohl  seine  Persönlichkeit  von  den  Wirkungen  seiner  Vorgänger  sich 
entfernt.  Doch  hatte  er  auch  nicht  ihre  Erfolge,  ihre  Ziele  waren  ihm  nicht 
fremd.  Es  ist  ein  letzter  Aufguß  des  Gluck-Spontinischen  Wesens,  aus  einer 
mehr  literarischen  Schwärmerei  hergestellt,  von  einem  bühnenlosen  Manne, 
der  wohl  ein  technisches  Genie  war,  aber  kein  ursprünglicher  Erfinder  in 
Musik,  einem  Manne  zwischen  den  Zeitaltern,  alt  in  den  Formen,  neu  in 
der  Bekleidung,  beethovensch  in  der  Grundstimmung,  französisch  in  der 
Geste,  voll  geschichtlicher  Ehrfurcht  und  doch  der  nervösesten  modernen 
Erregung  zugänglich.  Der  Verstand  sagte  ihm  alles,  das  Herz  verschwieg 

306 


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ihm  wenig,  aber  die  Hand 
blieb  berechnet  und  kalt. 

Nirgends  genießt  man  ihn 
wie  in  seinen  Memoiren, 
deren  Freiheit  des  Geistes, 

Kunst  des  Schilderns  und 
Dialogisierens,  Kultur  des 
Bekenntnisses  von  der  Ver- 
bitterung nur  gewürzt  wer- 
den. Was  Stendhal  für  die 
Scala  und  San  Carlo,  was 
die  Lettres  familieres  des  de 
Brosses  für  die  Oper  des 
früheren  Dixhuitieme,  ist 
Berlioz  für  die  Große  Pariser 
Oper  dieser  Zeit:  aus  seinen 
Berichten  riecht  man  The- 
aterluft, diese  Begeisterung 
der  jungen  Leute,  die  für 
Gluck,  Spontini,  Sacchini 
schwärmen,  Rousseau  be- 
mitleiden, Rossini  verachten 
und  an  die  Zukunft  des  großen  historischen  französischen  Musikdramas 
glauben  — vielleicht  zu  spät  für  diesen  Berlioz,  der  die  Qualitäten  des  Frei- 
schütz schon  so  einzuschätzen  wußte.  Wie  ehrlich  tritt  er  für  die  Größe 
und  Unantastbarkeit  der  deutschen  Meister  ein,  die  ihm  die  Wahrheit  und 
die  Schule  scheinen,  wie  sie  Stendhal  Grausen  und  Verbrechen  schienen.  Wie 
fühlt  er  sich  symphonisch,  gleich  von  Beginn  an,  ein  Kenner  und  Analytiker 
des  Orchesters,  wie  es  damals  keinen  Zweiten  gab.  Ja,  etwas  Deutsches  war 
in  ihm  und  mag  Gautier  veranlaßt  haben,  ihn  unter  seine  Romantiker  ein- 
zureihen, wie  das  Französische  an  ihm  Liszt  reizte  und  wiederum  in 
Deutschland  für  ihn  arbeiten  ließ.  Zwischen  diesen  Verschiebungen  litt  er 
und  kostete  das  Bittere  seiner  Werke  am  eigenen  Leibe. 

Seine  Opern  sind  der  Benvenuto  Cellini,  den  ihm  1838  Barbier  und  de 
Vailly  aus  seiner  Lieblingslektüre  zurechtmachten,  und  die  Trojaner,  die  er 
selbst  in  den  sechziger  Jahren  sich  dichtete,  in  Verehrung  Vergils  und  Shake- 
speares, dem  er  freilich  keine  andere  Huldigung  darbrachte,  als  die  Zitate  an 
die  schöne  Jessicanacht  im  Duett  des  Äneas  mit  der  Dido.  Sein  literarisches 
Niveau  blieb  ein  kulturelles,  wurde  nicht  schöpferisch  fruchtbar.  Die  Lite- 

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ibnn.  c/n*. 

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Bcrlioz:  Dedikation  der  Trojaner  an  seinen  Sohn 


ratur  schmälerte  ihm  die 
letzten  Effekte,  wie  wieder- 
um der  Effekt  die  Litera- 
tur. Schon  mit  dem  Cellini 
hatte  er  nicht  viel  Freude, 
mit  den  Trojanern  noch 
weniger.  Der  erste  Teil, 
Die  Einnahme  von  Troja, 
ist  in  Frankreich  bis  heut 
nur  konzertweise  aufge- 
führt worden,  auf  der 
Bühne  erschien  er  erst 
1890,  deutsch  in  Karls- 
ruhe. Der  zweite  Teil, 
Die  Trojaner  in  Karthago, 
versank  bald  nach  seiner 


Premiere  im  Theätre  lyrique.  Berlioz  hatte  ihm  einen  Prolog  mit  Deklama- 
tionen und  Zitaten  aus  dem  ersten  Teil  gegeben,  um  ihn  selbständig  zu 
machen,  änderte,  strich  oder  vielmehr  er  ließ  es  geschehen,  er  resignierte. 
Mottls  Bestrebungen  um  dieses  Werk  in  unseren  Jahren  helfen  wenig. 
Auch  die  kleine  komische  Oper,  die  Berlioz  um  dieselbe  Zeit  schrieb, 
Beatrice  und  Benedikt,  nach  Shakespeares  „Viel  Lärm  um  nichts“  fällt 
immer  wieder  hin,  wenn  man  versucht,  sie  aufzustellen.  Was  fehlt  den 
Stücken  ? 


Sie  entbehren  nicht  der  Grazie,  nicht  der  Farbe,  nicht  der  Ungewöhnlich- 
keiten, nicht  des  Ernstes  und  aller  Vorzüge  einer  hochentwickelten  Persön- 
lichkeit, aber  sie  sind  weder  von  der  Stimme,  noch  von  der  Bühne,  noch  vom 
Herzen  aus  empfunden,  die  Kopfarbeit  eines  unglücklichen  Menschen,  der 
wirken  will  und  kein  Theater  in  sich  hat,  es  ist  beste  literarische  Musik. 
Berlioz  besitzt  die  akustische,  die  dynamische  Macht  des  Tons,  vor  allem  die 
rhythmische,  die  stets  durch  künstliche  Wirbel  einer  vorhandenen  Schönheit 
zu  erreichen  ist,  aber  er  denkt  sich  alles,  wie  es  zu  sagen  ist,  statt  daß  er  es 
ursprünglich  und  stark  fühlt.  Darum  versagt  er,  er  versagt  fast  überall,  wo 
ein  Solo  den  natürlichen  Ausdruck  einer  Empfindung  zu  geben  hat,  weniger 
in  Ensembles  und  Chören,  am  wenigsten  im  Orchester,  wo  die  Malerei 
spricht.  Dort  behält  er  verlegen  die  alten  symmetrischen  Formen  bei,  hier 
ergeht  er  sich  in  malerische,  programmatische  Musik,  in  der  er  so  gute  Bilder 
schafft,  wie  dort  schlechte  Seelen.  Mit  keiner  seiner  Figuren  leben  wir, 
aber  seine  Farben  interessieren  uns.  Genau  dasselbe,  was  Beethovens  Größe 


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war,  wird  seine  Schwäche. 

Und  was  Cherubinis  Ein- 
heit war,  wird  sein  Zwie- 
spalt. In  diesen  Abgrund 
gleiten  seine  Werke.  Sie 
sind  als  Opern  unsinnlicher 
als  seine  Damnation  de  Faust 
ist,  die  man  mit  Unrecht  auf 
die  Bühne  bringt.  Die  glän- 
zenden, oft  genialen  Bilder 
der  Damnation  werden  in 
der  Phantasie  bessere  Bühne, 
als  sie  es  jemals  wirklich 
werden  können.  Aufgeführt, 
verraten  sie  ihre  Seelen- 
losigkeit  und  Effektbewußt- 
heit. Sie  sind  ein  sympho- 
nisch - vokaler  Reflex  der 
großen  Pariser  Oper:  das 
ist  der  echteste  Berlioz. 

Derselbe  Berlioz,  der  einmal  im  Konzert  Meyerbeers  Schwerterweihe  auf- 
führte, die  Soli  zwanzigfach  verstärkte : und  alles  zitterte,  sagte  er. 

Am  reinsten  findet  er  sich  im  Orchester  seiner  Opern.  Da  ist  er  der  große 
unumschränkte  Herrscher.  Die  Ventilhörner  und  Trompeten  sind  ihm  recht, 
diese  neue  Technik  gewährt  ihm  alle  Töne  der  Blechbläser  (Meyerbeer  be- 
kehrte sich  nicht  so  ohne  weiteres),  und  er  gibt  nicht  einmal  zu,  daß  die  Natur- 
blechbläser, deren  Skala  beschränkt  ist,  sie  an  Kolorit  übertreffen.  Die  Saxo- 
phone umarmt  er.  Die  Streicher  teilt  er  in  allen  Lagen.  Die  Schlaginstru- 
mente will  er  als  Klasse  in  die  Orchesterschule  einführen,  deren  Programm 
er  in  seinen  Memoiren  entwickelt.  Jede  Seite  seiner  Partituren  lebt  von  einem 
Orchestersinn,  der  nur  die  Gelegenheiten  sucht,  Ungewöhnliches  in  Kombi- 
nationen, Malerisches  in  der  Auswahl  zu  finden.  Seine  Instrumente  atmen, 
wie  seine  Personen  tot  sind.  Besonders  wenn  wirklich  tote  Personen  erschei- 
nen, Geister  Verstorbener,  wühlt  er  in  den  Tiefen  charakteristischer  Or- 
chesterfarben. Bei  Hektors  Erscheinen  hört  man  gestopfte  Hörner,  Celli, 
geteilte  Bässe,  Posaunen  — eine  ähnliche  Klangfarbe,  wie  sic  einst  der  ehr- 
würdige Kardinal  im  Ccllini  bekam.  Die  Einleitung  zum  dritten  Akt  der  Kar- 
thagotrojaner ist  das  Gegenbeispiel  für  Ausnutzung  der  Höhe:  Sordinstrei- 
cher,  Flöten,  Oboen,  Klarinetten,  Harfen  in  einer  ätherischen  Umspielung 

309 


A ’ 

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des  musikalisch  schwachen  Karthager-Nationalliedes.  Der  erste  Trojanerteil 
beginnt  mit  Bläsern,  er  behält  sie  konsequent  bei,  bis  zum  Auftreten  der 
Kassandra,  die  die  Streicher  lockt.  Sein  Orchester  besprechen  heißt  jeden 
Takt  erzählen:  hier  sind  die  Vorgänge  seiner  Musik.  Als  er  den  Klavieraus- 
zug der  Trojaner  selbst  besorgte,  war  er  wohl  der  erste,  der  die  Instrumente 
hinzuschrieb  — das  lag  ihm  am  Herzen. 

Ein  Stück  wie  der  zweite  Akt  der  Karthagotrojaner  gehört  neben  seine 
großen  Orchesterspiele.  Es  ist  nur  eine  symphonische  Szene  von  unerhörter 
malerischer  Gewalt,  exaltiert  in  der  Linie,  kühn  in  der  musikalischen  Land- 
schaft, Wald,  Gewitter,  Jagd,  die  Licbesgrotte  von  Äneas  und  Dido,  die  Chöre 
der  Geister,  fast  nur  Vokalisen,  dazwischen  der  Ruf  Italic,  der  das  Gewissen 
des  Helden  wecken  soll — vielleicht  das  interessanteste  Stück  aller  Berliozopern, 
weil  es  nicht  Oper  ist.  Alles  Pantomimisch-Choristisch-Lyrischstchende  ge- 
lingt. Die  große  Trauerpantomime  der  Trojaner,  ihr  von  Harfen  und  Oboen 
klingender  Zug  bei  der  Einbringung  des  hölzernen  Pferdes,  der  fliegende, 
würfige  Karneval  im  Cellini  mit  der  Pantomime  der  Sänger,  die  nur  das 
Orchester  spielt,  und  des  Publikums,  das  Chöre  singt,  Tanz  und  Duell  in 
einer  rhythmisch  auf  das  feinste  durchgearbeiteten  Ensembletechnik,  das 
huschende,  instrumental  gedachte  Terzett  mit  eingefügten  Stimmen  der 
Teresa,  Cellinis  und  seines  Rivalen  Fieramosca,  der  motivisch  wiederholte, 
etwas  künstlich  belebte  Chor  der  Ziseleure,  das  schöne  stille  Nachtseptett 
in  den  Trojanern,  von  einem  silbern  tropfenden  hohen  C überschleiert,  alle 
Tänze  und  Aufführungen,  in  denen  Orchester  und  Takt  sprühen  und  die 
Melodie  exotische  Farbe  gewinnt,  die  Sizilienne  in  der  Beatrice,  die  Spott- 
ensemblcs,  in  denen  die  wider  Willen  Liebenden  hier  so  dankbar  gegeneinander 
gehetzt  werden,  und  der  Hochzeitszug  als  komisch  übertriebene  Doppel- 
fuge mit  einem  weinenden  und  einem  lachenden  Thema : das  sind  die  Proben 
Berliozscher  Kunst,  seiner  Stimmsymphonien,  die  nichts  verlieren  dürfen, 
wenn  sie  vom  Papier  auf  die  Bühne  gehen.  Noch  bis  in  das  lyrische  Duett 
reicht  diese  Kraft.  Das  berühmte  Notturno  der  beiden  Frauenstimmen,  die 
in  der  Rosen-  und  Mondscheinnacht  der  Beatrice  abziehen,  das  Duett  von 
Äneas  und  Dido,  die  sich  dem  süßen  Gefühl  einer  „solchen  Nacht“  hin- 
geben, sind  wundervolle  Konzertstücke,  in  eine  Bühnenstimmung  getaucht. 
Die  Melodie  an  sich  als  Äußerung  der  dramatischen  Seele  hat  diese  Sugge- 
stion nicht.  Bisweilen,  wie  in  der  Kavatine  der  Teresa,  wird  der  Ausdruck 
peinlich  unw'ahr.  Die  große  Beatricearie  hilft  sich  mit  Gluckschen  Gebärden. 
Eine  schöne  melodische  Blüte  taucht  im  Duett  von  Cellini  und  Teresa  auf, 
wie  eine  ferne  Erinnerung  an  heiße  und  brünstige  Stunden  unter  italienischen 
Lorbeeren.  Ganz  frisch  und  frei  ist  der  Buffostil  der  Fechterarie  von  Fiera- 

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mosca,  auf  eine  komische  Rhythmik  angelegt,  bis  zu  den  5-  und  7-Takten 
der  Degenstöße.  Hier  hilft  die  typische  Paradoxie.  Es  ist,  als  ob  Berlioz  sich 
oft  sehnte,  die  Melodie  lieber  dem  Orchester  zu  geben  — so  gern  wiederholt 
er  Gesangsphrasen  als  Echo  in  den  Instrumenten.  Sie  müssen  ihm  die  Stimme 
bestätigen. 

Es  kann  uns  nichts  daran  liegen,  die  Schwächen  der  Berliozschen  Opern, 
die  sich  bewährt  haben,  als  absolute  Fehler  anzustreichen.  Es  sind  nicht 
Fehler,  es  sind  Irrtümer  gewesen.  Absolut  genommen,  ist  in  seinen  Werken 
Entwickelung:  von  den  steifen  Symmetrien,  verschwenderischen  Koloraturen, 
ungewollten  Verzerrungen,  bizarren  Rhythmen  des  Cellini  bis  zu  dem  ein- 
heitlichen lebendigen,  dramatischen  Schluß  der  Trojaner,  dem  ausgezeich- 
neten Selbstmord  der  Dido,  ist  schon  ein  Weg.  So  typische  Situationen,  wie 
der  Schwur  im  Cellini  (ein  Schwur  muß  sein,  also  schwören  wir,  den  Perseus 
heut  zu  gießen),  das  Fluchtduett,  das  Pastorale,  findet  man  in  den  Trojanern 
nicht.  Seine  naturalistische  Kleinmalerei,  die  dort  in  den  Chören  mit  dem 
Wirt,  in  der  Fluchterzählung  Cellinis  bemerkt  wird,  belebt  hier  ganze 
Strecken  und  man  ahnt  seine  Ahnungen  neuer  Ausdruckskräfte.  Aber  dies 
war  schon  in  einer  Zeit,  da  Wagner  längst  mit  ganz  anders  organisierten 
Sinnen  die  große  Synthese  des  Darstellenden  und  Beschreibenden  gefunden 
hatte.  Die  Oper  des  Helden,  der  Leben  und  Liebe  im  Guß  einer  Figur  aufs 
Spiel  setzt,  hätte  gut  die  plastische  Ironie  eines  Meyerbeer  vertragen.  Die 
Oper  des  Helden  aber,  der  aus  dem  zerstörten  Troja  durch  die  Liebesepisode 
der  Dido  nach  Italien  strebt,  war  beim  besten  Willen  nicht  mehr  als  ein 
Nachklang  alter  Stoffe,  die  Verirrung  einer  privaten  Liebhaberei  in  das 
Reich  der  unbarmherzigsten  Musikgattung. 

Berlioz  war  ein  Künstler  der  bewußten  Mittel,  darum  gehört  er  in  diese 
Klasse.  Aber  seine  Mittel  mußten  indirekte  sein,  darum  verfehlte  er  die 
Bühne. 


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DEUTSCHE  ROMANTIK 


IVeber 

DIES  scheinen  mir  doch  drei  sehr  besondere  Provinzen  im  Reiche  der 
Oper  zu  sein,  die  wir  jetzt  bereisen.  Nicht  jeden,  der  ein  Haus  hat, 
nicht  jeden,  der  sich  uns  vorstellen  möchte,  können  wir  nach  Leben,  Werk 
und  Gunst  befragen,  wir  besuchen  die  Großen  und  forschen  sie  unbefangen 
aus,  wir  stecken  den  Kopf  neugierig  in  manche  Hütte,  verweilen  auch  auf 
manchem  Grabe,  und  sind  es  zu  viele  Hände,  die  sich  nach  uns  ausstrecken, 
reisen  wir  lächelnd  weiter.  Wir  plauderten  mit  den  Herren  der  opera  co- 
mique,  es  war  die  Provinz  der  amüsanten  Unterhaltung.  Wir  verkehrten 
mit  den  Mächtigen  der  Pariser  Großen  Oper,  es  war  die  Provinz  der  theatra- 
lischen Wirkung.  Was  ruhen  nicht  alles  für  einseitige  Möglichkeiten  in  die- 
sem Arsenal  von  Künsten,  das  Oper  heißt  und  jedem  die  Waffen  liefert,  die 
er  braucht.  Jetzt  aber  kommen  wir  in  die  dritte  Provinz,  die  der  deutschen 
Romantik,  und  sie  empfängt  uns  am  wärmsten  und  herzlichsten.  Nicht 
Geist,  nicht  Effekt  ist  es,  was  ihre  Vorzüge  macht,  es  ist  die  reine  schöne 
Musik,  die  Musik,  die  in  der  Seele  singt,  ohne  viel  Kunst  und  Schule,  die 
Musik,  deren  der  Künstler  voll  ist  zu  allen  Tagen  und  Nächten,  die  er  aus 
Freuden  und  Leiden  seines  Lebens  heraushört  und  in  die  Freuden  und  Lei- 
den seiner  Bühne  hincinhören  möchte.  Er  ist  ein  Deutscher,  nicht  hinge- 
geben der  Sinnlichkeit  des  Moments  wie  der  Italiener  oder  wie  der  Fran- 
zose der  Suggestion  der  Szene,  er  ist  hingegeben  allein  den  Phantasien  seiner 
musikalischen  Träume  und  der  Wahrheit  des  musikalischen  Ausdrucks.  Auch 
sein  Gewissen  kennt  die  furchtbaren  Schwankungen  zwischen  diesen  Träu- 
men und  diesen  Wahrheiten,  aber  darum  besteigt  er  die  Bühne,  um  das  eine 
durch  das  andere  retten  zu  können.  Er  braucht  sie,  um  seine  Träume  sich 
wahr  zu  machen.  Das  ist  das  Wesen  aller  romantischen  Oper. 

Der  große  und  liebe  Mann,  der  zuerst  aus  solchem  inneren  musikalischen 
Bedürfnis  eine  Oper  schuf,  ist  Weber.  Er  stammte  von  der  Familie  Weber, 
aus  der  sich  Mozart  seine  Frau  geholt  hatte.  Ein  Filou  von  Vater  brachte 
ihn  beinahe  in  die  Gefahr,  durch  Unstetigkeit  und  Ziellosigkeit  seine  Exi- 
stenz zu  verderben.  Er  wandert  in  allen  möglichen  Ämtern  durch  Deutsch- 
land und  Österreich,  ohne  geregelte  Erfahrung,  bis  endlich  dem  Zigeuner 

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Das  Haus  Webers.  Nach  der  Natur  gezeichnet  von  Brandt 


in  Prag  eine  gewisse  Ruhe  verschafft  wird,  wo  er  Kapellmeister  des  Landes- 
theaters ist.  Das  war  1813,  er  ist  schon  27  Jahre.  Drei  Jahre  darauf  wird 
er  nach  Dresden  berufen,  um  die  deutsche  Oper  zu  organisieren.  Dort  blieb 
er.  Sein  Ansehen  innerhalb  des  Theaters  ist  gleichwohl  das  eines  Outsiders. 
Die  italienische  Abteilung  gilt  als  die  offizielle.  Ein  einziges  Werk  wollte 
er  dem  sächsischen  König  widmen,  Die  drei  Pintos,  es  wurde  vorher  abge- 
lehnt und  blieb  unfertig  liegen.  Der  Freischütz  wurde  von  Berlin  aus  be- 
stellt, Euryanthe  von  Wien,  Oberon  von  London.  Er  reiste  und  be- 
reitete alles  selbst  vor.  Paris  hatte  sich  auch  gemeldet.  Aber  der  todkranke 
Mann,  tapfer  bis  zum  letzten  Augenblick,  opferbereit  gegen  alle  außer  sich 
selbst,  starb  kurz  nach  dem  Oberon,  1826,  in  London.  Erst  1844  kamen 
seine  sterblichen  Reste  zurück  nach  Dresden.  Dies  war  Wagners  Tat,  und  seine 
Rede  am  Grabe  war  die  große  Wendung  der  Dinge:  Das  Eingeständnis  eines 
unauslöschlichen  Heimatsrechts.  Nun  hatte  der  Ruhelose  Frieden. 

In  einem  wunderbaren  Gegensatz  zu  diesem  gehetzten  Leben  steht  die 
stille  und  sinnige  Musik,  die  in  ihm  webte.  Schon  in  der  Jugend  hat  er  eine 
ausgesprochene  Neigung  für  volkstümliche,  waldesrauschcnde  oder  lebens- 
heitere Stoffe.  Silvana  ist  am  bekanntesten  geblieben  und  hat  eine  stil- 


313 


widrige  Neubearbeitung  von  Ferdi- 
nand Langer  erfahren.  Das  Stück, 
in  der  ursprünglichen  Form,  ist  ein 
bißchen  im  Genre  von  Boieldieus  Rot- 
käppchentext und  nimmt  auch  wie- 
der Wirkungen  von  Aubers  Stummer 
voraus,  da  sich  das  Waldmädchen 
sprachlos  stellt  und  das  Orchester 
zu  gutem  Erfolg  im  Solocello  und 
in  der  Solooboe  aufruft.  Auch  Abu 
Hassan  trifft  man  noch  öfter  an.  Das 
ist  eine  harmlose,  aber  ganz  nette 
Geschichte  von  Zweien,  die  sich  tot 
stellen,  um  für  ihre  Leichen  Geld 
herauszuschlagen,  mit  dem  Intrigan- 
ten Omar  und  dem  Chor  der  Gläu- 
biger, nichts  Aufdringliches,  manch- 
mal schon  webersch  in  einer  züchtigen  Virtuosität  seiner  Punktier-  und 
Kettenskalen,  aber  doch  noch  sehr  gemischt  aus  Italien,  Mozart  und 
Deutschtum,  überflüssig  gegen  die  Entführung.  Zigeunerfarben  legte  er 
in  seine  Preciosamusik,  die  er  zu  irgend  einem  Schauspiel  eines  Herrn 
Wolff  schrieb,  reizende  Tanzrhythmen,  die  motivisch  wicderkchren, 
Melodramen  voll  Erinnerung,  viel  Ritterliches,  auch  einen  Waldchor, 
im  allgemeinen  eine  Musik  von  französischem  Charakter,  womit  er  sich 
jedenfalls  bei  den  Berlinern  beliebt  machte,  die  es  kurz  vor  dem 
Freischütz  hörten.  Auch  Die  drei  Pintos  hätten  noch  in  dies  Genre 
gehört.  Ein  Tölpelritter  Pinto  ist  als  Bräutigam  bestellt,  ein  lustiger 
Student  stiehlt  ihm  seine  Legitimation,  der  wirkliche  Liebhaber  lockt 
sie  wieder  dem  Studenten  ab  — diese  Geschichte,  im  spanischen  Milieu, 
hatte  ganz  die  Laune  einer  opera  comique,  und  soweit  Webers  Skizzen 
erhalten  sind,  bewegte  sich  seine  Musik  auch  vollkommen  im  Stil  der 
französischen  Schule.  Ein  Terzett,  in  dem  der  Student  den  Pinto  vor 
seinem  Diener  Liebesanträge  parodieren  läßt,  ist  beinahe  moderner  Falstaff, 
so  graziös  und  zynisch,  wie  irgend  ein  Stück  Aubers.  Ein  lebhaftes  Finale 
mit  dem  Trunkenheitsmotiv  Pintos,  eine  Seguidilla  nach  Originalmelodie, 
ein  Buffoduett  des  Studenten  mit  seinem  Diener,  die  Charakteristik  Don 
Pantaleones,  des  Brautvaters,  mit  der  Grandezza  punktierter  Skalen  und  ge- 
spreizter Koloraturen,  eine  Fülle  melodiöser  Einfälle,  die  das  Wcbcrschc  Lä- 
cheln haben  — cs  wäre  sicher  ein  reizendes  Werk  geworden.  Kein  Geringerer 

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als  Gustav  Mahler  hat  diesen  Torso  gerettet;  über  den  vom  Sohne  Webers 
umgearbeiteten  Text  hat  er  unter  Benutzung  der  Originalmusik  und  anderer 
Stücke  Webers  ein  ganz  famoses  und  recht  einheitliches  Opernlustspiel  her- 
gestellt,  das  noch  viel  öfter  hätte  gegeben  werden  sollen. 


Freischütz 

\VTEBER  sitzt  indessen  in  seinem  idyllischen  Winzerhäuschen  zu  Klein- 
VV  Hosterwitz  bei  Dresden,  das  unter  seinen  Spalieren  die  meiste  Musik 
zu  Freischütz,  Euryanthe  und  Oberon  hat  entstehen  sehen.  Er  lebt, 
so  behaglich  es  geht,  mit  seiner  Silvana,  der  Sängerin  Caroline  Brandt,  freut 
sich  mit  seinen  Kindern,  seinem  Jagdhund,  seiner  Cyperkatze  und  seinem 
Kapuzineräffchen.  Aus  einer  schöngeistigen,  sehr  gemischten  literarischen 
Gesellschaft,  genannt  „der  Dichterthce“,  besucht  ihn  bisweilen  ein  Schrift- 
steller Friedrich  Kind,  so  angesehen  wie  er  heut  belächelt  ist,  der,  man  weiß 
nicht  wie,  ein  „Landleben  van  Dycks“  gedichtet  hatte  und  der  unfreiwillige 
Vater  der  romantischen  Oper  wurde.  Die  Sache  war  früher  schon  angeregt, 
jetzt  wurde  sie  spruchreif.  Den  Grundstoff  nahm  man  aus  einem  Gespenster- 
buch Apels,  wie  so  oft  solche  Schmöker  in  der  Hand  von  Komponisten  Träume 
geweckt  haben.  Kind  tat,  was  er  konnte.  Weber  strich  ihm  die  ersten  Szenen, 
in  denen  Agathe  den  Eremiten  besucht,  und  stimmte  ihm  dafür  zu,  den 
Schluß  versöhnlich  zu  machen,  während  bei  Apel  der  arme  Freischütz  im 
Irrenhause  stirbt,  weil  er  seine  Braut  totgeschossen  hat.  Man  bekam  schließ- 
lich eine  Dialogoper  fertig,  die  Weber  recht  zu  lieben  begann  und  Graf 
Brühl  in  Berlin  endgültig  bestellte.  Literarische  Ambitionen  hatte  dieser 
reine  Musiker  niemals,  wenn  er  auch  ein  wenig  dunkel  für  das  Gesamtkunst- 
werk schwärmte,  und  von  allen  schlechten  Texten,  die  er  komponierte,  war 
der  Freischütz  gewiß  nicht  der  schlechteste.  Er  nahm  ganz  naiv  zunächst 
die  Szenen  vor,  in  denen  Ännchen  auftrat,  denn  das  war  gleichsam  seine 
Frau,  dann  das  übrige  außer  der  Reihe,  und  fügte  in  Berlin  noch  die  Arie 
No.  13  hinzu.  Er  hatte  das  Gefühl,  etwas  mehr  gemacht  zu  haben  als  ein 
Liedersingspiel. 

Ich  denke  mir  so  gern,  ich  bin  bei  der  ersten  Aufführung  des  Freischütz 
im  neuerbauten  Schinkelschen  Schauspielhause,  am  18.  Juni  1821,  und  erlebe 
das  nun  alles.  Die  Ouvertüre  nimmt  mich  ganz  gefangen.  Sie  beginnt  mit 
einem  wunderschönen  Dialog  von  zwei  Hörnerpaaren,  der  die  Stimmung 
gleich  festlegt.  Dann  werde  ich  in  die  Finsternis  tiefer  Akkorde  gerissen, 
die  Streicher  tremolieren,  Bässe  pizzikato  und  Pauken  geben  dumpfe  Schläge 
außer  dem  Takt,  das  Cello  singt  eine  Melodie  — es  spannt  mich  seltsam, 

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Das  Allegro  beginnt  heftig  synkopiert,  darüber  klagen  die  Bläser,  jetzt  geht 
es  in  einen  wilden  C-Moll-Satz  von  grandiosem  Schwung,  drohende  Motive 
ringen  durch,  ein  Unisono  ballt  sich  zu  einer  schweren  tremolierenden  Wolke, 
über  der  ein  befreiendes  Klarinettensolo  ertönt  und  zu  einer  reizenden 
Marschmelodie  wird,  die  mit  jenen  drohenden  Motiven  ihren  Durchfüh- 
rungskampf tapfer  durchficht.  Wie  angenehm  hört  sich  das,  es  ist  so  gar  nicht 
dogmatisch;  und  schon  sieht  man  ein  Drama  voll  Beziehungen,  Erinnerun- 
gen, Verhöhnungen  und  Triumphen.  Die  Rückkehr  in  den  ersten  Teil  hat 
nun  die  Probe  zu  bestehen,  noch  einmal  erscheint  die  Vision  jener  schaurigen 
Beschwörung:  da  zerreißen  die  Wolken,  ein  strahlendes  C-Dur  setzt  plötz- 
lich ein  und  die  sieghafte  Marschmelodie  führt  zum  jubelnden  Schluß.  Ich 
bin  musikalisch  genug:  die  Form  ist  mir  klar,  aber  da  ist  ein  Inhalt,  der  über 
sie  hinausdrängt,  reden  möchte,  malen  möchte.  Wie  wird  es  sich  klären  ? 
Ich  habe  den  Text  gelesen  und  kann  mir  schon  einiges  vorstellen,  aber  es 
geht  mir  merkwürdig:  ich  höre  selten  noch  den  Inhalt,  ich  höre  es  wie  mu- 
sikalische Stimmungen,  die  sich  abwechseln,  ergänzen  und  steigern,  ich  höre 
eine  Herzensmusik,  aus  der  Tiefe  eines  Mitgefühls.  Ein  Spottlied,  um  Maxen 
unglücklich  zu  machen,  Trostensembles  in  guten  Liedertönen,  um  sein  Leid 
zu  vereinsamen,  Jagdlieder  und  Volkswalzer,  um  die  Landschaft  zu  zeich- 
nen — und  nun  bleibt  Max  allein  und  ich  sinke  mit  ihm  in  seine  Leidstim- 
mung, die  nur  einen  Ausweg  hat,  Musik,  die  ihm  auf  den  Lippen  liegt. 
Eine  Klarinette  nimmt  sich  seiner  an  und  leitet  zu  seiner  Arie  „durch  die 
Wälder,  durch  die  Auen“,  die  sich  noch  in  einer  leichten  französischen  Sen- 
timentalität gibt,  da  verdunkelt  sich  die  Musik  und  jenes  schaurige  Tremolo- 
motiv der.  Ouvertüre  wird  lebendig  in  Samiel,  der  vorübergeht  — noch  ein- 
mal gedenkt  Max,  deutscher  und  schlichter,  seiner  Agathe,  da  reißt  ihn  die 
Verzweiflung  fort:  das  Synkopenmotiv  wird  zur  Szene,  das  Klarinettensolo 
wird  Gesang,  „O  dringt  kein  Strahl  durch  diese  Nächte“,  es  wälzt  sich  von 
seiner  Seele,  bis  hinauf  zum  furchtbaren  „Gott“  über  der  wilden  vermin- 
derten Septime,  Samiel  verschwindet,  Caspar  erscheint  und  das  Teuflische 
nimmt  von  ihm  Besitz.  Caspar  singt  sein  verwegenes  Trinklied  mit  den 
hohnlachenden  Pickelflöten.  Caspar  singt  seine  große  Arie,  mit  Aufgebot 
des  ganzen  Blas-  und  Paukenorchesters,  das  bohrende  Motiv  aus  der  Ouver- 
türe hat  er  sich  geworben,  die  Pickeltriller  bleiben  ihm  treu,  er  schließt  den 
Akt  mit  seiner  ganzen  schwarzen  Virtuosität,  in  der  man  nur  von  fern  noch 
die  Dämonie  des  Italieners  erkennt,  von  dem  er  abstammt. 

In  der  Pause  überlege  ich : was  habe  ich  gehört  ? Zunächst  ein  pikfeines 
Orchester,  das  der  geringsten  Regung  der  Szene  folgt  und  in  jedem  Takte, 
ohne  Rausch  und  Überhebung,  lebendig  ist.  Dann  wenig  Franzosentum 

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und  Italienertum,  das  dachte  ich  mir 
gleich  — wer  diesen  Stoff  wählt,  muß 
ihn  deutsch  nehmen.  Da  war  Männer- 
gesangliches, Liedtreue  und  Waldes- 
geruch und  das  meiste  so  schlicht  und  v' 
einfach,  wie  diese  Figuren  sind.  Fast 
Menschen,  die  wir  kennen  und  denen  C'’^ 
wir  die  Musik  vom  Munde  abzulesen 
Das  ist  neu,  eigentlich.  Es 
ieles  Oper,  was  wir  in  letzter 
Zeit  hörten,  auch  Romantisches.  Aber 
hier  ist  irgend  ein  Himmel  aufgegan- 
gen, etwas  Brüderliches,  Beglücken- 
des, Unverdorbenes.  Ich  freue  mich 
auf  Agathe. 

Und  wirklich : leuchtet  hier  nicht 
Sonne  ? Das  ist  gut,  Ännchen  in  sechs 
Achtel  sich  wiegen  zu  lassen ; wie  gra- 
ziöse Einfälle  sie  hat,  wie  nett  sich  ihr 
Charakter  absetzt  gegen  Agathe,  die  so  sehnsüchtige  Vorhalte  braucht,  so 
weiche  Mollwendungen  und  so  süße  Melodien  lang  zieht  über  dem  tanzen- 
den Ännchen.  Ännchen  wählt  sich  für  den  schlanken  Burschen,  der  ge- 
gangen kommt,  einen  feinen  Polonäsentakt,  das  ist  Webers  Domäne.  Sie 
macht  es  bezaubernd  volkstümlich,  nicht  zu  welsch,  und  Oboe  und  Cello 
halten  indessen  ein  Liebcsgespräch.  Jetzt  bin  ich  ganz  in  der  Stimmung 
und  kann  die  große  Agathcnaric  kaum  erwarten.  Schön,  wie  die  Klarinette 
ihr  vorspielt:  so  wenig  und  herzlich,  so  ein  Hauch  innerer  Musik.  Oh,  sie 
gleitet  in  Moll,  sie  öffnet  das  Fenster  in  die  Mondnacht,  die  Oboe  scheint 
sie  versöhnlich  in  C-Dur  führen  zu  wollen,  da  nimmt  es  ihre  Stimme  auf 
und  führt  es  selig  in  H-Dur.  Schön!  Die  Flöten  bereiten  es  weiter  und 
„leise,  leise,  fromme  Weise“  — auf  vier  gedämpften  Violinen  in  E-Dur,  ganz 
still  und  zart,  und  ganz,  ganz  tief  aus  dem  Innersten  beginnt  eine  Melodie 
so  wundervoll  und  sternenklar,  wie  ich  etwas  Innigeres  niemals  bisher  ge- 
hört habe.  Eine  Rezitativwolke  auf  Bratschen,  noch  einmal  dieses  himmlische 
E-Dur,  nur  noch  einmal!  Eine  Bewegung  in  tiefen  Streichern,  Hornstöße 
— seine  Schritte!  Bewegung  in  allen  Streichern  — er  ist’s!  Ein  Zögern, 
ein  Tutti,  und  die  Marschweise  bricht  sich  jubelnd  Bahn,  hier  ist  sie,  die  die 
Ouvertüre  krönte,  nach  F'ragen  der  Bläser,  Fragen  der  Streicher,  in  seligen 
Akkorden  und  auf  triumphierenden  Solohöhen  ist  sie  hier  und  durchstrahlt 


meinen, 


Weber.  Zeichnung  von  Hcnacl  1822 


uns  alle.  Ich  bin  so  eingenommen  von  diesem  weltumfassenden  Stück  Musik, 
die  so  groß  ist,  daß  sie  selbst  die  Virtuosität  nicht  ausschließt  — ich  finde 
mich  im  folgenden  Terzett  dadurch  nicht  ganz  zurecht.  Das  erste  Mal  habe 
ich  heut  das  Gefühl,  in  einer  Oper  zu  sein.  Ich  weiß  nicht,  die  Charaktere 
des  Max  und  der  beiden  Mädchen  sind  gut  abgesetzt,  aber  doch  etwas  ty- 
pisch; feine  melodische  Wendungen  höre  ich  wohl,  aber  erhebt  sich  Dis- 
position und  Faktur  über  den  Zeitstil  ? Gott,  die  Worte  verstehe  ich  nicht, 
und  schließlich,  jede  Musik  saugt  ihre  Stimmung.  Vor  der  Verwandlung 
sagen  mir  die  Italiener,  die  neben  mir  sitzen,  ihnen  gefalle  das  Terzett  gerade 
sehr  gut.  Ich  antworte:  um  so  weniger  wird  Ihnen,  um  so  mehr  mir  gefallen, 
was  jetzt  kommt.  Und  in  der  Tat,  ich  habe  von  der  Wolfsschlucht  nicht 
zu  viel  erwartet.  Sie  scheint  mir  das  Deutscheste  und  Romantischste  an 
diesem  Werk  zu  sein : denn  sie  ist  symphonisch  und  malerisch,  von  einer  mär- 
chenhaften Zwiespältigkeit,  nicht  bloß,  weil  immer  der  eine  spricht  und 
der  andere  singt,  sondern  weil  das  Orchester  mehr  spricht  und  singt  als  sic 
alle  zusammen.  Ich  kann  mir  denken,  daß  man  später  einmal  die  Dekorationen 
wieder  noch  mehr  wird  sprechen  lassen  als  das  Orchester.  Das  Maß,  das 
unsere  Aufführung  darin  hielt,  fand  ich  lobenswert.  Denn,  so  neu  und  son- 
derlich mir  die  Musik  vorkam,  klar  und  einfach  war  sie  doch  immer.  Akkorde 
von  Klarinetten  und  Posaunen,  die  Geisterchöre,  die  sich  um  ihr  Fis  drehen, 
das  Zucken  Samiels,  die  zerrissenen  Figuren  in  zitternden,  seufzenden, 
gezupften  Streichern  und  in  wehenden  Bläsern,  in  schauerlichen  Pauken 
und  tiefen  Bässen,  Caspars  Flötenlachen,  die  Hornstöße,  die  wallenden 
Nebel  in  Flöten  und  Streichern,  die  Erscheinung  der  Mutter  in  Holz- 
bläserakkorden, der  Agathe  in  reißenden  Sechszehnteln  der  Flöten  und 
Violinen,  die  Erinnerung  an  das  Motiv  von  Maxens  Arienschluß  — das 
ist  alles  eine  Galerie  von  Malerei,  wie  es  die  Musik  noch  nicht  wagte, 
aber  doch  übersichtlich  und  scharf  angcschaut,  ohne  jede  sensationelle 
Zutat.  Ich  fand  mich  vor  einem  Märchen,  aber  nicht  vor  einem  Rätsel, 
erst  recht,  da  die  sieben  Kugelgüsse  von  selbst  ihre  Bilder  der  Reihe 
nach  riefen:  erst  die  schleichende  Trillerfigur  mit  den  pickenden  Vögeln, 
dann  der  stoßende  Eberbaß,  dann  die  Sechzehntclwogen  des  Sturms,  dann 
die  Galopptriolen,  dann  die  wilde  Jagd  mit  den  vier  Hörnern  in  drei 
Stimmungen,  dann  die  Gewitterflammen,  in  denen  ich  das  tobende  C-Moll- 
Motiv  der  Ouvertüre  wiederfand  und  endlich  der  große  Zusammenbruch  im 
plötzlichen  Fis-Moll.  Wie  schrecklich  und  doch  schön  war  das!  Ich  hatte 
in  Paris  einmal  Campras  Tancred  gehört,  wo  auch  ein  solcher  Zauberwald 
mit  schweifenden  Dämonen  vorkommt  — sie  benahmen  sich  recht  pastoral 
und  fugiert.  Jetzt  wußte  ich,  daß  eine  neue  Epoche  angebrochen  war. 

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Und  doch,  wenn  ich  geglaubt  hatte,  den  deutschen  Schwerpunkt  der 
Oper  in  diesem  halbsymphonischen  Zwischenspiel  zu  finden  — ich  mußte 
mir  sagen,  die  kostbare  Kavatine  der  Agathe  im  nächsten  Akt,  mit  dem  obli- 
gaten Cello,  war  es  nicht  doch  noch  deutscher,  so  rein  und  innig  und  musik- 
ergeben singen  zu  dürfen  ? Wie  das  vom  Herzen  geht  und  zum  Herzen 
kommt,  man  kann  es  nur  mit  diesen  einfältigen  Worten  sagen.  Ännchen 
mit  dem  Kettenhund  will  ich  nicht  so  verteidigen,  Weber  schrieb  es  für  un- 
sere Demoiselle  Eunike  erst  kurz  vor  der  Aufführung,  die  Solobratsche  dabei 
ist  fast  eine  Parodie  auf  das  Solocello  der  Agathe,  aber  in  aller  Virtuosität 
der  seconda  donna  leuchtet  doch  auch  manchmal  ein  deutsches  Lichtchen: 
•wo  die  „trüben  Augen“  das  drittemal  kommen,  ist  es  zu  süß  zu  hören,  und 
die  „ros’ge  Hoffnung“,  die  dann  auf  dieselben  Töne  kommt,  paßt  eigentlich 
noch  besser.  Was  soll  ich  von  dem  Jungfernkranz  schwärmen  ? Ich  fühlte, 
daß  dies  eine  deutsche  Volksmelodie  werden  wird,  und  bewunderte  doch  den 
Musiker  in  dem  feinen  Nachspiel.  Ich  fühlte,  daß  der  Jägerchor  der  schönste, 
der  grünste  aller  Jägerchöre  bleiben  wird,  und  bewunderte  doch  seinen  raf- 
finierten Takt  und  Satz.  Das  Finale  hörte  ich  ruhigeren  Gemüts  an.  Die 

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naiv  gläubigen  Chöre,  das  süße  Erwachen  Agathes,  der  böse  Tod  Caspars 
mit  dem  Samielmotiv,  Maxens  treue  Ehrlichkeit,  die  Attitüde  Ottokars  und 
das  verdeutschte  Oberpriestertum  des  Eremiten  schienen  mir  das  Werk  an- 
gemessen zu  Ende  zu  führen.  Einzig  in  Erinnerung  blieb  mir  ein  kurzes 
Motiv  des  hohen  Fagotts,  das  in  wenigen  Noten  einen  wunderbar  verdich- 
teten Ausdruck  enthält  und  immer,  wenn  es  wiederkehrt,  uns  fragen  will: 
lebt  die  deutsche  Seele  ? Doch  die  Oper  eilt  zu  Ende.  Eine  schöne  Flöten- 
melodie hält  uns  noch  einen  Augenblick  zurück,  eine  italienisch  brausende 
Kantilenc  will  uns  — was  ist  das?  Aber  schon  strahlt  wieder  das  jubelnde 
Marschthema  der  Agathe  und  führt  zu  demselben  Schluß,  zu  dem  uns  vor 
wenigen  Stunden  die  Ouvertüre  führte.  Ich  bin  durch  das  unerwartete  Brio 
etwas  aus  dem  Kontakt  gebracht.  Plötzlich  scheint  mir  auch  dieses  Marsch- 
motiv an  die  Manier  Spontinis  zu  erinnern,  Spontinis,  der  drüben  im  Kgl. 
Opernhause  residiert.  Aber  nein,  ich  weiß  jetzt,  welcher  Partei  ich  ange- 
höre. Ich  weiß,  daß  heute  abend  das  deutsche  Volk  seine  erste  Oper  gewon- 
nen hat.  Merkwürdig,  in  diesem  Hause,  das  der  geniale  Klassizismus  Schinkels 
baute.  Ich  sehe  in  der  Freischütznacht  noch  einmal  hinauf  zu  diesem  Bau, 
der  heut  öffentlich  wurde  wie  diese  Oper!  Wirre  Gedanken  wälzen  sich  in 
meinem  Kopf.  Spontini,  Schinkel,  Weber  — es  lebe  die  deutsche  Seele! 

Sie  lebt  jetzt.  Können  wir  uns  heut  noch  die  Umwälzung  vorstellen,  die 
in  den  musikalischen  Köpfen  jener  Zeit  vor  sich  ging?  Der  Freischütz 
fand  Widerspruch:  bei  E.  T.  A.  Hoffmann  und  bei  Spohr,  die  vor  ihm  ver- 
sucht hatten,  so  etwas  wie  romantische  Opern  zu  machen,  bei  Zelter,  aus 
Konservativismus  — aber  er  setzte  sich  gegen  Neid  und  Reaktion  als  eine 
Kunst  durch,  die  mit  der  Volkstümlichkeit  Revolution  verband,  eben  weil 
diese  Revolution  die  des  Volkes  war.  In  Paris  gab  man  ihn  erst  als  Kuriosität 
in  einer  Verunstaltung  im  Odeon,  unter  dem  Titel  Robin  des  Bois.  Dann 
kam  er  in  die  Große  Oper,  im  allgemeinen  unverändert,  nur  mit  Einlagen 
Weberscher  Tänze,  die  Berlioz  schließlich  zugestehen  mußte:  er  hatte  die 
Komposition  der  Rezitative  übernommen,  die  das  Gesetz  dieses  Instituts 
verlangte  — und  die  Pariser  rochen  hier  ein  WTild,  das  sie  goutieren  moch- 
ten. Beethoven  aber  sagte : „Das  sonst  weiche  Mannei,  ich  hätt’s  ihm  nimmer- 
mehr zugetraut.  Nun  muß  der  Weber  Opern  schreiben,  gerade  Opern,  eine 
über  die  andere,  und  ohne  viel  daran  zu  knaupeln.  Der  Caspar,  das  Untier, 
steht  da  wie  ein  Haus.  Überall,  wo  der  Teufel  die  Tatzen  reinstreckt,  da 
fühlt  man  sie  auch.“  „Da  bist  du  ja,  du  Kerl!  Du  bist  ein  Teufelskerl.  Grüß 
dich  Gott!“  — so  empfängt  er  ihn, als  er  zur  Einstudierung  seiner  Euryanthe 
nach  Wien  kommt. 


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Euryanthe 

DER  Wiener  Direktor  Barbaja,  derselbe,  der  Rossini  in  Neapel  machte, 
hatte  sie  bei  ihm  bestellt.  Die  reizende  Henriette  Sontag  wartete  seiner 
als  erste  Euryanthe;  vielleicht  die  hübscheste  Sängerin,  die  je  gelebt  hat, 
mit  einer  lieblichen  und  schalkhaften,  aber  kleinen  und  bedeckten  Stimme, 
die  sich  mit  einer  klugen  mezza  voce  hilft.  Für  Mozart  reichte  sie  nicht  aus, 
die  deutsche  Romantik  aber  lag  ihr  ebenso  wie  Rossini,  den  sie  in  Berlin 
im  Königstädtischen  Theater,  wo  die  italienische  und  französische  Spiel- 
oper  gepflegt  wurde,  einführte.  Eine  seltene  Holdseligkeit  ist  um  ihre  Er- 
innerung. Damals,  1823,  war  sie  siebzehn  Jahre.  Gewiß  vcrhalf  sie  der 
Euryanthe  zu  dem  momentanen  Erfolge,  der  so  wenig  anhiclt,  wie  diese 
Oper  bis  heute  nicht  populär  werden  konnte.  Wieder  ist  es  ein  roman- 
tischer Gesinnungsgenosse,  der  sich  dagegen  ausspricht:  Schubert.  Zelter 
zieht  sie  dem  Freischütz  vor,  trotz  aller  künstlichen  Lebhaftigkeit,  dem 
Gesuchten,  Gepritzelten,  aus  feinen  Häppchen  zusammengesetzten  — den 
Fleiß  lohne  sic  nicht.  Beethoven  sagte  nach  der  Aufführung:  „Das  freut 
mich,  das  freut  mich!  So  muß  der  Deutsche  über  den  italienischen  Sing- 
sang zu  Recht  kommen !“  Was  ist  nun  mit  der  Euryanthe  ? 

Man  hat  sie  die  Wasserscheide  der  deutschen  Oper  genannt  und  man 
kann  kein  besseres  Wort  finden.  Einiges  in  ihr  läuft  zurück,  anderes  vor- 
wärts, und  sie  wurde  die  Grenze  der  alten  und  neuen  Zeit,  mit  allen  Schwie- 
rigkeiten, die  so  ein  Übergangszustand  mit  sich  bringt.  Die  prachtvolle 
Ouvertüre,  die  aus  Themen  der  Oper  schwungvolle  Ritterlichkeiten,  geheim- 
nisvolle Ahnungen  und  selige  Gefühle  in  einen  einheitlichen  Rahmen  spannt, 
zeigt  Webers  Wünsche:  diese  drei  Dinge  reizten  ihn,  aber  als  Drama  sah 
er  sie  noch  nicht  genug  zusammen.  Er  fühlte  sofort  das  Mißliche,  und  half 
sich  gleich  mit  Strichen,  aber  das  machte  es  nicht.  Später  hat  man  die  Un- 
klarheiten der  Situation  durch  Traumerscheinungen  des  unglückseligen  Paares 
Udo  und  Emma  zu  retten  versucht.  Aber  das  Unglück  lag  tiefer.  Weber 
hatte  einen  unreparierbaren  Mißgriff  getan,  indem  er  dieser  armen  Helmine 
von  Chezy,  die  ihm  aus  ihrer  gelehrten  Vergangenheit  den  Euryanthestoff 
empfahl,  seine  Ausarbeitung  überließ.  Er  sah  nur  die  Reize  für  seine  roman- 
tische Musik,  aber  die  Unmöglichkeiten  des  Textes  sah  er  so  wenig,  daß  er 
sie  durch  die  Erfindung  jenes  Geisterpaares,  das  die  Oper  zu  seiner  Erlösung 
braucht  oder  vielmehr  mißbraucht,  nur  noch  verschlimmerte.  Im  altfran- 
zösischen Original  erblickt  Lysiart  heimlich  ein  Veilchcnmal,  das  Euryanthe 
unter  ihrer  rechten  Brust  hat;  indem  er  es  verrät,  glaubt  er  ihre  Treue  zu 
verdächtigen.  Aber  der  Deutsche  wollte  solche  Galanterien  nicht,  er  brauchte 

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Erlösungsmotive  und  Geisterweben  für  schöne  Sordinengeigen,  und  so  ward 
die  schreckliche  Emma  mit  ihrem  Ring,  der  sich  nach  Tränen  der  Unschuld 
sehnt,  geboren  und  stört  die  ganze  Oper,  indem  sie  die  Leute  zu  Narren 
macht.  Dabei  ist  etwas  sehr  Wunderbares:  daß  einst  ein  Fluchring  noch  in 
der  deutschen  Oper  eine  sehr  wichtige  Rolle  spielen  sollte,  und  daß  diese 
Intrigantin  Eglantine,  die  ihren  verehrten  Gatten  zur  Schlechtigkeit  reizt, 
in  einer  sehr  berühmten  Figur  einst  Wiedererstehen  sollte,  überhaupt  dieser 
ganze  Kampf  eines  reinen  Paares  mit  einem  bösen  Paare  — doch  von  diesem 
Wunder  ahnte  Weber  noch  nichts.  Wagner  hat  die  Euryanthe  zur  Brücke 
genommen,  und  dann  blieb  sie  verlassen,  so  oft  auch  feine  Musiker  zu  ihr 
hin  spazierten.  Jetzt  lesen  wir  mit  einem  mitleidigen  Verständnis  Webers 
programmatische  Ausführungen  zu  dieser  Oper,  das  Schreiben  an  den  Bres- 
lauer Musikverein  oder  den  Brief  an  den  Leipziger  Musikdirektor  Präger: 
es  sind  nicht  die  präzisen  Forderungen  Glucks  oder  Wagners,  es  ist  ein 
Schwanken  zwischen  ästhetischer  Synthese,  Ehrlichkeit  des  Künstlers  und 
Sängerkonzession.  Wasserscheide. 

Die  rückläufigen  Wasser  der  Euryanthe  sind  leicht  zu  erkennen,  es 
sind  gewisse  französische  oder  italienische  Prägungen  und  Formen,  die  der 
Autor  aus  dem  Zeitgeschmack  nicht  erlöste.  Die  Romanze  Adolars  von  den 
Mandelbäumen  ist  flau  pariserisch,  aber  sie  erhält  ihr  Kolorit  durch  das 
Orchester,  das  geteilte  Celli  mit  Fagotten  und  Bläser  und  Hörner  mit  Brat- 
schen verbindet.  Das  Duett  der  beiden  Frauen  wird  virtuos,  von  einer  ita- 
lienischen plötzlichen  Freudigkeit,  die  als  Psychologie  unmöglich  ist.  Das 
erste  Finale  leidet  unter  ähnlichen  Italianismen  an  seinem  Stil  und  selbst 
die  reizende  Phrase  der  Euryanthe  über  dem  fröhlichen  Chor  bleibt,  genau 
besehen,  nur  ein  Tonspiel.  Das  zweite  Finale  hat  schlimmere  Äußerlich- 
keiten. Adolars  unvermittelte  Wiederholung  seines  Bau-auf-Gottmotivs,  Ly- 
siarts  malerische  Passagen,  plötzlich  wieder  der  Ausbruch  Euryanthes  mit 
allen  Blechbläsern  auf  Streichertremoli,  das  sind  die  künstlichen  Forziert- 
heiten,  die  eine  unmögliche  Szene  retten  sollen,  aber  bei  allen  Anstrengungen 
des  Orchesters  zwischen  Wahrheit  und  Gewöhnlichkeit,  Ausdruck  und  Typ 
keinen  rechten  Weg  finden.  Jede  der  vier  Figuren  hat  gelegentlich  so  viel 
Reaktion  als  Fortschritt  im  musikalischen  Leibe,  und  wir  müssen  sie  zer- 
reißen, um  sie  zu  beurteilen. 

Der  Fortschritt  besteht  vor  allem  im  Gefühl  der  szenischen  Einheitlich- 
keit, das  über  das  hergebrachte  Nummernschema,  mehr  noch  als  im  Frei- 
schütz, hinausgeht  und  bindet,  was  zu  binden  ist.  Diese  Oper  ist  durch- 
komponiert, die  einzige,  die  Weber  so  machte;  Das  leitmotivische,  das  mu- 
sikalische Erinnerungsbild  ist  ihm  notwendiger  als  je.  Das  schöne  Motiv 

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der  schrecklichen  Emma,  das  Liebesmotiv,  das  Motiv  der  Eglantine  ist  alles 
schon  ziemlich  fest  geworden,  wenn  auch  nicht  immer  obligatorisch:  wo  der 
gestohlene  Ring  der  Emma  gezeigt  wird,  regt  sich  nichts  Motivisches,  aber 
wo  im  Walde  Euryanthe  vor  dem  König  den  Verrat  der  Eglantine  erzählt, 
taucht  diese  im  Orchester  auf.  Viel  zwingender,  viel  musikalisch  ergiebiger 
erscheint  ihm  die  ausdrucksvolle  Durchbildung  alles  Rczitativischen,  das  jetzt 
einen  bedeutenden  Raum  einnimmt.  Wie  sich  Adolar  und  Lysiart  zuerst 
um  Weibertreue  streiten,  das  schafft  ironische,  feierliche,  ergebene,  ängst- 
liche Akzente,  Trotzfiguren,  Ehrfiguren,  bis  zu  dem  plötzlichen  Ces-Dur 
auf  „Gottesgericht“,  die  die  neue  deutsche  nachdrückliche  Operndeklama- 
tion herrlich  vorbilden.  Die  naturalistischen  Einwürfe  des  Chors,  die  melo- 
dischen Abstürze  der  Eglantine  in  ihrer  großen  Arie,  der  aufsteigendc  Trotz 
Lysiarts  vor  ihrem  Verrat,  alle  die  Wendungen  der  rezitativischen  Sprache 
auf  ein  unvermitteltes  Dur,  die  Hinaufführungen  auf  schreiende  vermin- 
derte, auf  drängende  einfache  Septimen,  so  daß  jedes  wichtige  Wort  seinen 
charakteristischen  Harmonieakzent  bekommt,  und  alles  süße  Absteigen  in 
der  ewig  schönen  Vorhaltkadenz  — es  ist  die  Schule  Wagners  geworden. 
Sagt  der  Text  „O  ewger  Qualen  Hyder“  oder  „Säuseln  in  Lüften,  schmelzen- 
des Ach“,  so  hören  wir  nichts  — aber  heißt  es  „Heil,  Ehre,  Leben“  oder  „Mit 
Gott  will  ich  den  Kampf  bestehn“,  so  grüßen  wir  sofort  auch  hier  Lohen- 
grins Vorläufer.  Der  Freischütz  achtete  den  deutschen  Geist  mehr  als  die 
deutsche  Sprache.  Euryanthe  ist  deutsch  in  der  Musik,  wo  sie  aus  der 
gehobenen  Sprache  und  aus  dem  verdichteten  Gefühl  quillt.  Diese  schmieg- 
samen Weberschen  Wendungen  der  melodischen  Linie,  die  wie  aus  Liebe 
zu  den  gleitenden  Harmonien,  aus  Umfassung  des  schönen  Körpers  der  Tona- 
lität geboren  scheinen,  ganz  ergeben  in  die  Empfindung  und  ganz  wahr- 
haftig im  Bekenntnis,  sie  durchziehen  diese  Oper  wie  ein  vorahnender  Glanz 
kommender  deutscher  Melodie.  Das  ritterliche  Motiv  „Ich  bau  auf  Gott“, 
die  Lieblichkeiten  des  Friedens-  und  des  Landchors,  die  Schmerzlichkeiten 
am  Schluß  der  ersten  Eglantinenarie,  Adolars  Gottergebenheiten,  vor  allem 
seine  große  Arie  „Wehen  mir  Lüfte  Ruh“,  von  den  Bläsern  mit  der  Bratsche 
stimmungsvoll  eingeleitet,  dann  so  rührend  rhythmisch  abgesetzt  mit  den 
zarten  melodischen  Fragen  auf  „seliger  Zeit“  und  „süßestes  Leid“  und  end- 
lich so  schwungvoll  hinströmend  in  der  berühmten  Allegromelodie,  und  ein 
wundervolles  Gegenstück  dazu,  wie  eine  ängstliche  Taube,  die  Kavatine  der 
verlassenen  Euryanthe,  von  Fagott  und  Streichern  koloriert  — Impressionen 
von  Melodie  sind  darin,  die  dem  Gefühlsbilde  im  Augenblick  folgen.  Aber 
es  gibt  eine  ganze  Reihe  von  geschlossenen  satten  und  farbigen  Musikbildern 
oder  Stimmungsszenen,  die  man  aus  der  Euryanthe  nehmen  und  als  Muster 

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kommender  Opern  hinstellen  darf.  Die  gefürchtete  Emma  hat  einen  mysti- 
schen Chor  von  vier  gedämpften  Soloviolinen  auf  tremolierenden  hohen 
Streichern  und  Flöten  (in  der  Ouvertüre  sind  es  acht  Soloviolinen),  in  schwe- 
benden, wallenden  Harmonien,  mit  herabsinkenden  klagenden  Terzen,  die 
eine  neue  Welt  musikalischer  Romantik  enthüllen.  Die  große  Ly'siartarie 
mit  den  scharfen  Vorhalten  von  unten,  dem  langsameren  Mittelsatz,  der 
dämonischen  Gewalt  dunkler  Wutakzente,  den  rollenden  Zweiunddreißig- 
steln  unter  eisenharter  Melodie  blieb  ein  Vorbild  schweren  deutschen  In- 
trigantengesangs. Der  Schwur  der  beiden  Rachepersonen,  durch  Oboen,  vier 
Hörner,  drei  Posaunen  und  Pauken  gemalt,  in  einem  Rhythmus,  der  sich 
des  italienischen  Einschlags  nicht  zu  schämen  brauchte,  stand  auf  dunklerem 
Grunde  als  alle  französischen  Schwüre.  Von  einer  transparenten,  mono- 
phonen  Schmerzlichkeit  ist  Adolars  Klage  im  letzten  Akt,  in  die  trüben  Lüfte 
gehaucht.  Und  jauchzend  in  aller  Volkstümlichkeit  ist  das  Liebesduettmotiv, 
von  einer  deutschen  naiven  Schlichtheit,  in  aller  Breite  parallelgeführt,  wonne- 
voll in  seine  Anfänge  zurücksinkend,  und  in  seinen  Schluß  verhauchend,  die 
Apotheose  der  grundehrlichen  Sext  und  Terz,  zu  der  das  Cello  harpeggierend 
seine  Farbe  gibt.  Das  ist  alles  sehr  schön,  und  innerlich  musikalisch.  Viel 
herzlicher  als  der  Ritter-  und  Liebeston  französischer  Autoren.  Selbst  in 
den  symphonischen,  choristischen,  episodischen  Milieus  waltet  ein  feinerer 
Geist:  der  Ernste  Reigen  ist  kein  Ballett,  sondern  Szene,  der  Jägerchor  mit 
den  vier  Hörnern  und  der  Baßposaune  ist  so  apart  rhythmisiert,  der  Maien- 
chor ist  eitel  Sonne  und  Lebenslust,  und  die  Hochzeitsmusik  zu  dieser  schlech- 
ten Hochzeit  hat  nicht  das  falsche  Getue  Meyerbeerscher  Feierlichkeit,  sie 
ist  absichtlich  widerspenstig  und  von  einem  scharfen  Bühnenbläserkorps  be- 
gleitet. Denn  das  Orchester  ist  der  treueste  Dolmetscher  aller  dieser  in  einem 
schlechten  Drama  gebundenen  guten  Musik:  es  gibt  jedem  seinen  Spiegel, 
in  hundert  oft  gerühmten  Schönheiten,  die  nichts  als  Wahrheiten  sind,  der 
Rache  ihre  teuflischen  Bläsertriller,  dem  Schlangenkampf  die  Windungen 
der  Bässe  und  Posaunen,  und  der  Glöckchenarie  Euryanthes  den  süßen  Trost 
abwechselnd  sich  neigender  zärtlicher  Holzbläser  und  Celli. 


Oberon 

DER  arme  Oberon ! Das  war  nun  der  letzte  Operngedanke  Webers.  In 
Drury  Lane  wurde  ein  anderer  Oberon  gegeben,  mit  einer  Pasticcio- 
musik  von  Mozart,  Winter,  Cherubini  — den  hatte  er  in  Covent-Garden 
zu  besiegen.  Sein  englischer  Textmacher  hatte  ihm  ein  Stück  geliefert,  aus 

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Wieland  und  Shakespeare  zusammengeschustert,  das  die  reine  Automatie  von 
Figuren  und  Dekorationen  war,  keine  Spur  von  Seele.  Man  sagte  ihm,  die 
Engländer  wollten  es  so.  Eine  Liebesszene  war  nicht  darin,  vielleicht  woll- 
ten die  Engländer  auch  das.  Wie  schrecklich  war  das  alles.  Er  machte  es 
in  London  fertig  und  nahm  allerlei  aus  eigenen  alten  Sachen  hinein,  auch  die 
Rossinimelodie,  die  Rezia  im  ersten  Finale  singt,  das  war  sicher  für  die  Eng- 
länder. Er  wollte  es  dann  für  Deutschland  richtigstellcn  und  auch  den  er- 
drückenden Dialog  herausbringen.  Er  starb.  Manche  haben  cs  zu  bearbeiten 
und  zu  retten  versucht,  jetzt  Gustav  Mahler,  früher  Franz  Wüllner,  der 
die  leitmotivischen  Beziehungen  pflegte,  umstellte,  kürzte,  hinzufügte,  fast 
nur  nach  Weberscher  Musik  — es  wäre  um  vieles  zu  schade  gewesen! 

Besonders  die  Elfen-  und  Meermusik.  Im  selben  Jahre,  1826,  erschien 
Mendelssohns  Sommernachtstraum-Ouvertüre.  Dieses  Jahr  wurde  ein  Elfen- 
jahr, auf  alle  Zukunft  fortwirkend.  So  genial  die  Erfindung  des  siebzehn- 
jährigen Mendelssohn  war,  Webers  Einfälle  waren  doch  noch  sprühender. 
Mendelssohn  bewegt  sich  in  einem  flotten  Gleichmaß  etüdenhafter  Mechanik, 
Weber  reißt,  huscht,  hüpft,  kitzelt.  Die  einsamen  Hornrufe,  die  hohen  gehal- 
tenen Bläserakkorde,  die  fliegenden  Bläserketten,  die  Signale  der  Trompeten, 
der  Pauken,  die  überschüssige  Rhythmik  des  Puck  (Berlioz  hat  in  A travers 
chants  eine  reizende  Abhandlung  über  die  Oberonrhythmik),  dann  die  Trau- 
lichkeiten der  Elfenchöre,  des  Schiffsquartetts,  des  Meermädchengesangs,  die 
Drolligkeiten  des  Sturmzaubers  und  seine  Ebbe  im  Orchester,  das  löste  in 
ihm  eine  Fülle  musikalischer  Reize  aus,  musikalischer  Entdeckungen,  die  die 
Bühne  eher  lockte  als  die  bloße  Schauspielouvertüre.  So  lockten  auch  die  orien- 
talischen Szenen  eine  Rhythmik,  die  sich  von  Originalmelodien  anregen  ließ, 
aber  so  schelmisch-tölpisch  geriet,  daß  sie  zu  den  Elfenreigen  einen  bewußten 
Gegensatz  bildete.  Erlaubte  es  das  Libretto,  so  wurden  sogar  innerhalb  der 
bürgerlichen  Sphäre  des  gewöhnlichen  Gesangs  solche  Kontraste  hingestellt. 
Da  sind  manche  nette  melodische  Mittelsätze  in  den  wenig  erfreulichen  En- 
sembles, da  ist  die  berühmte  schmelzende  Hüonmclodie,  da  ist  Fatimes  Schä- 
kern im  Stile  der  Comique,  da  ist  Rezias  deutsche  Kavatine,  mit  der  schönen 
Ges-Dur-Weiche  gegen  den  Schluß  in  F-Moll  und  dem  verständnisvollen 
Zuspruch  der  sich  ablösenden  Instrumente,  da  ist  vor  allem  das  berühmteste 
Konzertstück  der  Oper:  Rezias  große  Ozeanarie.  Eine  innere  Landschaft 
wurde  hier  festgelegt,  die  zwischen  italienischer  Leidenschaft  und  Haydn- 
scher Malerei  romantische  Visionen  schuf:  stilbildend  für  ein  Jahrhundert. 
Breit  umspannt  Akkord  und  Stimme  das  Meer  in  Es-Dur,  über  dem  C-Moll- 
Sturm  wirft  der  Gesang  seine  Schleuder,  zerrissene  Horn-  und  Fagottläufc 
kriechen  durch  wallende  Achtel,  ein  Licht  blinkt,  in  keuchendem  Ansturm 

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geht  es  nach  C-Dur,  eine  hohe  Violinterz,  die  Sonne  erscheint  in  einem  brei- 
ten Trompetenmotiv,  einem  siegfriedischen  Motiv,  über  synkopierten  Har- 
monien, das  Auge  (diese  sehende  Stimme)  schweift  weit  im  Lichte  über  den 
Horizont,  erkennt  das  Schiff,  und  ruhig  segelt’s  seinen  Pfad  in  langgewellten 
Quartsexten  zum  vollen  G,  das  erwartend  in  hohem  Geigentremolo  zittert, 
es  wird  die  Terz  von  Es-Dur,  und  Rezia  jubelt  dahinein,  von  schäumenden 
Skalen  gerissen,  von  den  Hüon-Terzrufen  berauscht,  ihre  orgiastische  Me- 
lodie „mein  Hüon,  mein  Gatte“,  selig  ihres  virtuosen  Soprans.  Warum  ist 
es  nun  nicht  Hüon,  nicht  sein  Schiff,  seine  Sonne  — verfluchter  englischer 
Tcxtmacher,  warum  sind  es  Seeräuber  und  diese  ganze  Musik  war  Märchen? 
Nun  Weber  schreibt  zuletzt  die  Ouvertüre,  in  die  er  diesen  Jubel  unverant- 
wortlich setzte,  wie  unverantwortlich  ohne  Ausnahme  die  anderen  Motive 
der  Oper.  Die  Ouvertüre  nahm  ihre  Rache.  Sie  blieb  unsterblich. 


Spohr 

JEDES  Kunstwerk  erhält  ein  gewisses  Maß  seines  Wertes  durch  seine  Nach- 
folger. Daß  Weber  trotz  Wagner  blieb,  zeigt  seine  Eigenkräfte.  Daß 
Spohr  fast  unterging  und  Marschner  so  ziemlich,  zeigt  ihre  Schwäche.  Ver- 
setzt man  sich  in  ihre  Zeiten,  so  klingt  Rührendes  und  Echtes  aus  ihrer  Musik, 
und  die  Opern  locken  geheimnisvoll  wie  ferne  Märchen,  die,  keusch  um  unsere 
Liebe  werbend,  in  ihnen  allen  zu  ruhen  scheinen,  zu  blicken,  zu  flehen! 
Aber  die  Nachfolge  hat  ihre  Texte  kindisch  gemacht  und  ihre  Musik  zu 
typisch.  Ist  es  noch  möglich,  zum  „Faust“  Spohrs  ein  Verhältnis  zu  gewinnen, 
wie  es  seine  frühe  Zeit,  1816,  hatte?  Dieser  Faust,  der  von  seinem  lite- 
rarischen Majorate  nur  einige  Äußerlichkeiten  übernahm,  bekurt  zw'ei  Wei- 
ber, eine  naive  und  eine  üppige;  nachdem  er  unter  Führung  des  intriganten 
Mephisto  allerlei  Opernunheil  angerichtet  hat,  versinkt  er  durch  einen  harm- 
losen Walpurgiszauber  in  die  Hölle,  mehr  Opern-Don  Juan  als  Dichter- 
Faust.  Spohr  behandelt  ihn  musikalisch  nach  demselben  Muster.  Er  schwankt 
zwischen  Italien  und  Deutschland,  er  entscheidet  sich  für  das  Ideal  Mozarts. 
Seine  Führung  ist  durchaus  anständig,  sein  melodischer  Sinn  sehr  entwickelt, 
an  zarten  Details  und  dämonischen  Akkorden  fehlt  es  nicht,  aber  für  ein 
Drama  ist  es  zu  wenig.  In  der  Jessonda,  1823,  traten  seine  musikalischen 
Qualitäten  noch  besser  hervor  und  dieses  Stück  hat  sich  schüchtern  bis  heut 
gehalten.  Der  Text,  der  die  Liebe  eines  Portugiesen  zu  einer  dem  Holzstoß 
geweihten  indischen  Witwe  darstellt,  ist  von  dem  viel  librettierenden  Gehe 
ganz  hübsch  gemacht  worden  — Weber  hätte  darüber  froh  sein  können. 

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Spohr  komponierte  es  herunter,  wieder  ohne  Bühnengefühl,  aber,  daß  es  recht 
schön  wurde,  voll  fließender  weicher  Musik,  nur  noch  wenig  italienisch,  auch 
nicht  mehr  zu  mozartsch,  eher  manchmal  schon  schumannsch : mit  einer  hin- 
gebungsvollen und  zärtlichen  violinhaften  Lyrik,  die  vielleicht  die  Keime  der 
Trivialität  enthält,  doch  von  einer  außerordentlichen  musikalischen  Wärme 
ist,  blühend  in  der  Melodie,  die  das  Wort  umschmeichelt,  fein  gewebt  in  den 
Ensembles,  gar  herzlich  in  manchem  Zwischenspiel  des  Orchesters  und  in  reich- 
lichen motivischen  Erinnerungen,  edel  im  Ausdruck,  auch  in  den  Rezitativen, 
verliebt  in  sentimentale  Septimenvorhalte,  in  den  Kriegerchören  und  zier- 
lichen Tänzen  sogar  nicht  ohneTempo.  Es  gibt  musikalische  Wendungen  darin, 
die  man  nicht  vergißt:  im  kontrapunktischen  Duett  des  zweiten  Liebhabers 
mit  dem  Priester,  in  den  Bajaderengesängen,  in  der  Staatsarie  der  Jessonda, 
in  der  Kriegspolonäse  des  Portugiesen,  in  dem  blumigen  Duett  Jessondas 
mit  ihrer  Schwester  und  in  deren  minnigem  Duett  mit  ihrem  Nadori,  vor 
allem  in  dem  wunderhübschen  Terzett  dieser  Drei,  da  Nadori,  statt  die  Witwe 
zum  Tod  zu  führen,  sich  in  ihre  Schwester  verliebt  und  das  schöne  Leben 
über  das  starre  Dogma  siegt.  Man  hängt  sehr  an  diesen  Partien,  wenn  man 
sie  wieder  einmal  durchnimmt,  sie  strömen  Musik  aus,  aber  in  der  persön- 
lichen Erinnerung  werden  sie  süßlich  und  fad,  wie  in  der  Erinnerung  der 
Geschichte.  Das  romantische  Klischee  schleift  sich  schneller  ab  als  das  klassi- 
zistische oder  buffoneske.  Es  arbeitet  zuviel  mit  der  geölten  Phrase,  der  ge- 
stempelten Innigkeit,  die  um  so  gefälliger  wirkt,  je  konturloser  und  schat- 
tierter, je  gewohnter  und  allgemeiner  ihre  gegossene  Form  ist.  Die  späteren 
Opern  Spohrs  sind  ganz  in  dieser  Art.  Ich  las  den  Berggeist,  weil  ihn 
etwas  ähnliches  schon  in  seiner  Jugend  interessierte  — Körner  hätte  ihm  bei- 
nahe einen  Rübezahl  gemacht,  doch  zog  er  es  vor,  in  den  Krieg  zu  gehen 
und  für  eine  höhere  Sache  sich  zu  opfern.  Der  Berggeist,  von  Nibelungen 
und  Blumenmädchen  umgeben,  holt  sich  ein  Menschenweib,  aber  es  ist  ihm 
versagt,  Liebe  zu  wecken.  Die  Musik  plätschert  vorüber,  warm  und  an- 
genehm. Alberich  schlug  ihn  leicht  nieder,  nachdem  ihn  schon  Hans  Heiling 
verwundet  hatte. 


Marschner 

DER  Dämon,  der  sich  seines  unterirdischen  Wesens  bewußt  ist  und  in 
allem  Überirdischen  kein  Glück  hat : das  wurde  der  Operntyp  Marsch- 
ners.  Alles,  was  sich  von  ihm  gehalten  hat,  reduzierte  sich  darauf,  es  blieb 
seine  Signatur,  weil  es  sein  Neues  war:  der  Intrigant  ist  nicht  schlecht  an 
sich,  wie  es  der  Caspar  noch  war,  sondern  er  weiß  es,  ja  er  leidet  darunter 

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und  wird  gefühlvoll.  Der  Vampyr  ist  nur  böse,  weil  er  muß;  der  Templer 
nur,  weil  er  es  geworden  ist;  HansHeiling  nur,  weil  das  Gute,  das  er  möchte, 
ihm  nicht  gelingt.  Erst  der  Fliegende  Holländer  sollte  auch  von  diesem 
Leiden  erlöst  werden.  Merkwürdig:  Marschners  Leben  und  Charakter  selbst 
nimmt  sich,  von  fern  gesehen,  wie  ein  dunkler  Spiegel  davon  aus.  Er  leidet 
an  seinem  Wesen,  an  seiner  Liebe,  an  seinem  Amte,  an  seinen  Prinzipien, 
an  seinen  Werken,  und  immer  arbeitet  das  Schicksal  seinen  Erlösungen  ent- 
gegen. So  musikhaft  und  klingend  tönereich  sein  Inneres  ist,  eine  sympa- 
thische Natur  ist  er  nicht  zu  nennen,  er  ist  ziclbewußt  ohne  Größe  und  be- 
triebsam ohne  Liebenswürdigkeit,  ein  deutscher  Lieder-  und  Chorsänger,  in 
dem  dennoch  nichts  Menschliches  uns  überwindet.  Vier  Frauen  hat  er  über- 
nommen, Emilie  und  Franziska  so  so,  Marianne  als  gute  Sängerin  und  Therese 
als  schwärmerische  Liebe  des  Alters,  die  er  in  Briefen  voll  arienhafter  Gefühls- 
seligkeit besingt.  Beamtet  sitzt  er  als  Hofkapellmeister  die  längste  Zeit  seines 
Lebens  in  Hannover,  doch  ohne  genügende  Achtung  und  ohne  genügende 
Löhnung,  zuletzt  verbittert  und  verfallen,  wie  ihn  Rodenbergs  Memoiren 
schildern,  mit  dem  grünen  Schirm  über  den  schlechten  Augen  neidvoll  zum 
Theater  hinüberblickend,  aus  dem  Lehnstuhl  am  Fenster.  Neue  Ideale,  neue 
Kräfte  kamen,  einst  hatte  er  in  Deutschland  allein  geherrscht  — was  wollte 
dieser  reklamesüchtige  Wagner?  Hatte  er  selbst  nicht  einst  einen  Aufruf 
erlassen  an  deutsche  Dichter  und  Musiker  ? Hatte  er  nicht  weidlich  die 
Italiener  bekämpft  ? Und  doch  hörte  er,  daß  er  Bellini  nachmache,  und  sah 
er,  wie  Oper  für  Oper  von  ihm  abfiel,  dies  reizende  Musiklustspiel  Bäbu 
und  Falkners  Braut,  und  Adolf  von  Nassau,  und  Austin,  und  noch  aus  dem 
Grabe  vernahm  er  die  Stimme  des  Predigers,  der  ihn  als  Atheisten  brand- 
markte, und  versank  zurück  in  seine  Unterwelt. 

Neulich  sah  ich  den  Vampyr  wieder  einmal  und  war  erstaunt,  wie  ver- 
blaßt er  ist.  So  fade  ist  die  Musik.  Vielleicht  das  dritte  Bild  mit  den  Dorf- 
tänzen, dem  Lied  der  Emmy  und  der  Romanze  vom  bleichen  Mann,  die 
Episode  der  geschwätzigen  Suse  im  guten  alten  Buffostil,  auch  die  große 
Aussprache  des  Vampyrs,  in  der  er  sein  eigen  Los  dem  Aubry  schildert,  das 
hat  noch  Reiz  und  Gefühl,  aber  sonst  ist  es  nicht  zu  retten.  Die  Doppelseele 
des  Vampyrs,  der  sich  vom  Blute  der  Bräute  nährt  und  doch  sein  Schicksal 
beklagt,  geht  uns  musikalisch  nicht  ein  — er  gießt  die  Verführungslust  in 
eine  große  Arie  und  es  muß  ihm  doch  zuwider  sein.  Hier  ist  Deutschtum 
und  Italienertum  als  Empfindung  so  gespalten,  wie  als  Stil  der  ganzen  Oper. 
Die  romantische  Melodie  muß  aus  Lied  und  Inhalt  fließen,  wie  die  italienische 
aus  der  Kehle  und  der  Form  floß,  das  sind  grundsätzliche  Unterschiede.  Der 
Vampyr  singt  gemischt,  Emmy  deutsch,  Malwine  italienisch,  das  stört  alle 

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seelischen  Möglichkeiten : denn  der 
romantischen  Oper  können  wir  nur 
glauben,  was  das  Kind  in  uns 
Ist  dieser  Text  des  Schwa- 
gers Wohlbrück  ein  Märchen  ? Da- 
zu ist  er  zu  sehr  Theater.  Ist  er 
Theater  ? Dazu  ist  er  zu  unwahr- 
scheinlich. Wenn  Aubry  weiß,  daß 
nur  das  Mondlicht  des  Vampyrs 
Wunden  heilt,  warum  stößt  er 
ihn  nicht  ohne  Mondlicht  nieder  ? 

Seine  unmögliche  Mitwisserschaft 
verzögert  das  Finale  ins  Uner- 
trägliche. 

Dieselbe  musikalische  Situation 
legte  Schwager  Wohlbrück  dem 
Text  von  „Templer  und  Jüdin“ 
unter : der  Tenor,  dort  Aubry,  hier 
Ivanhoe,  rettet  den  unschuldigen  Sopran,  dort  Malwine,  hier  Rebekka,  vor  den 
Nachstellungen  des  Baritons,  dort  des  Vampyrs  Lord  Ruthwcn,  hier  des  Temp- 
lers Guilbert.  Das  dramatische  Gewebe  machte  er  zum  Teil  schlechter  und 
vernichtete  dadurch  viel  von  der  Lebensfähigkeit  der  Oper,  zum  Teil  besser 
und  führte  Marschncr  so  zu  seinen  ersten  gelungenen  großen  Enscmbleszenen. 
Das  Schlechte  besteht  in  dem  unaufgelösten  Chaos  der  aus  Walter  Scotts 
Roman  übernommenen  Szenen  und  Figuren,  die  mit  der  musikalischen  Si- 
tuation nichts  zu  tun  haben  und  besonders  am  Anfang  uns  gräßlich  verwirren, 
zumal  der  Gebrauch  der  Worte  überall  von  einer  kindischen  Unbeholfenheit 
ist,  die  nur  einen  deutschen  Romantiker  nicht  stören  kann.  Der  deutsche 
Romantiker  hat  Musik  genug  im  Leibe,  um  sich  auch  auf  das  schwache  Wort 
zu  stürzen,  wenn  er  es  mit  Gefühl  und  Schönheit  tränken  kann.  Von  den 
Liedchen  des  Narren  oder  des  weinseligen  Einsiedlers  spreche  ich  nicht,  sie 
gefielen  damals  am  meisten,  sie  stachelten  auf,  und  der  Refrain  ora  pro  nobis, 
mit  dem  der  zechende  Mönch  seine  harmlosen  Satanismen  schließt,  führte 
sogar  zu  Verboten.  Heut  ist  das  Nebensache  geworden,  wie  alle  Konzessionen 
an  das  liberale  Publikum,  wie  alle  Italianismen  und  Virtuositäten,  von  denen 
auch  dieses  Stück  noch  wimmelt.  Was  uns  interessiert,  sind  die  romantischen 
Ehrlichkeiten  und  Einfachheiten,  die  Geständnisse  der  Musik:  die  Reinheit 
des  Gebets  der  Rebekka,  der  Schwung  der  Ansingungen  von  Richard  Löwen- 
herz, das  schumanneske  Lied  auf  das  „stolze  England“,  der  sächsische  Schlacht  - 

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Marschncr.  Nach  dem  Leben  gezeichnet  und 
lithographiert  von  Fricke 


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gesang  in  Kraft  und  Würde,  alle  die  feinen  gemütvollen  Züge  der  Melodie, 
bei  Ivanhoes  erster  Wendung  an  Rebekka,  bei  Rebekkas  Erinnerung  an  den 
Vater,  bei  Ivanhoes  Ansprache  an  den  König,  viel  wichtiger  für  die  kom- 
mende Linie  der  deutschen  Oper  als  die  ganze  berühmte  Tcmplerarie.  Auch 
die  beiden  großen  Ensembles,  die  Gerichtsszene  und  die  Turnierszene,  könx 
nen  wir  heut  nicht  mehr  anders  als  von  Wagner  zurück  sehen.  Rebekka,  der 
Hexerei  angeklagt,  hat  sich  wie  Elsa  einen  Kämpen  zu  suchen,  der  im  Gottes- 
gericht für  sie  eintritt.  Das  führt  zu  schönen  traurigen  Volkschören,  zu  wun- 
dervollen Gottanrufen,  zu  der  weit  verflochtenen  wiegenden  Neunachtel- 
melodic  „Laßt  den  Schleier  mir“,  aber  alles  ist  auf  den  Wohlklang  der  Musik 
gemacht,  im  Tempo  wird  der  Geschmack  der  Zeit  nicht  verletzt,  das  Wort 
wird  naiv  in  die  Melodie  gespannt,  und  wenn  wir  es  mit  der  Situation  im 
Lohengrin  vergleichen,  sehen  wir  doch  immer  den  Musiker,  der  aus  der 
Erziehung  der  Mode  eine  reiche  Tonfülle  in  die  Szene  schüttet,  gegenüber 
dem  Dramatiker,  der  aus  der  Wahrheit  des  Ereignisses  die  Wahrheit  seiner 
musikalischen  Phantasie  bildet  und  kontrolliert.  Bei  der  Turnierszene  ist  der 
Vergleich  noch  dringender.  Die  Sonnenschatten  senken  sich,  Rebekka  steht 
in  letzter  Erwartung,  der  Feind  wirft  ihr  den  Buhlen  vor,  Ivanhoe  erscheint 
als  ihr  Kämpe  im  äußersten  Augenblick,  er  besiegt  den  Kläger  im  Waffengang 
— Marschner  schwankt  zwischen  der  solennen  Oper,  in  deren  Stil  der  Chor  den 
ankommenden  Ivanhoe  begrüßt,  und  einer  gewissen  legendarischen  Naivität, 
die  in  des  Helden  Trompetenglanz,  in  Rebekkas  Holzbläserklagen,  in  Guil- 
berts  fast  burleskem  Wahnsinn  einfach  getroffen  ist.  Das  Visionäre  fand 
Wagner  dazu  und  damit  erst  die  innere  Bindung  dieser  Situation,  die  Mär- 
chen und  Theater  zu  verschmelzen  hat.  Halevys  Jüdin  ist  starke  Szene, 
Marschners  Jüdin  innere  Musik,  Wagners  Lohengrin  beides  in  einem.  Aber 
der  Quell  blieb  Euryanthe. 

Den  Text  zu  Hans  Heiling  hat  nicht  mehr  Schwager  Wohlbrück  ge- 
macht, sondern  der  Dramaturg  und  Baritonist  Eduard  Devrient,  derselbe, 
der  dann  bei  der  ersten  Aufführung  in  Berlin  die  Titelrolle  sang.  Er  hatte 
ihn  Mendelssohn  eingereicht,  der  sich  aber  für  diese  schwache  bleiche  Figur 
nicht  sehr  erwärmen  konnte.  So  schickte  er  ihn,  zunächst  anonym,  an  Marsch- 
ner, der  Feuer  fing.  Das  war  sein  Typ,  auf  Reinkultur  gebracht,  der  rivali- 
sierende Tenor  zum  Klischee  heruntergedrückt,  der  unschuldige  Sopran  eine 
saubere  Volksmaid  und  der  intrigierende  Bariton  ein  Sohn  der  finsteren 
Erde,  der  zum  Licht  will,  die  Treulosigkeit  der  Geliebten  und  aller  Mensch- 
heit erfährt  und  schließlich  gern  wieder  in  die  Unterwelt  zurückkehrt.  Es 
war  scharf  Umrissen  und  es  gab  Gelegenheit  zu  einem  klaren  Konflikte  und  zu 
wirksamen  Milieus,  sowohl  bei  den  Erdgeistern  und  der  Mutter-Königin, 

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die  für  unser  Gefühl  sogar  zu  unmittelbar  in  die  Handlung  eingreifen,  als 
bei  dem  naiven,  bald  vergnügten,  bald  ängstlichen  Volke.  Marschner  war 
gut  inspiriert  und  schuf  sein  Bestes.  Gleichwohl  fühlen  wir  heut,  nach  Wag- 
ner, die  starken  Inkongruenzen.  Kann  man  die  romantische  deutsche  Musik 
mit  einer  Landschaft  vergleichen,  die  aus  der  Empfindung  für  tönende  Werte 
auch  ihre  Formen  gewinnt,  in  Sonne  und  Gewitter  alle  Düfte  der  Erde  sicht- 
bar in  Farben  aufsteigen  und  die  Stimmungen  der  Atmosphäre  symphonisch 
über  Wasser  und  Berge  aufklingen  läßt,  so  würde  man  in  dieser  Landschaft 
deutlich  die  überlebten  Reste  alter  Schulanschauungen  und  künstlicher  Staf- 
fagen von  den  quellenden  lyrischen  Schönheiten  reiner  Natureindrücke  unter- 
scheiden. Ein  Vorspiel  in  der  Erde  beginnt  die  Oper,  voller  Herzlichkeiten, 
in  einem  Zuge  ohne  Dialog  komponiert,  es  folgt  dann  erst  die  Ouvertüre, 
die  nach  akademischem  Rezept  gearbeitet  ist:  das  bricht  die  Stimmung. 
Heilings  große  Arie  erscheint  bei  aller  Bedeutung  künstlich  in  Form  und 
Bühne  gebracht,  aber  plötzlich  leuchtet  aus  ihr  ein  echt  Marschnerscher 
Mittelsatz,  in  zwölf  Achtel,  „o  laß  die  Treue  niemals  wanken“,  der  sich  aus 
tiefem  Herzen  musikalisch  wiegt  und  moduliert.  Die  große  Arie  der  Anna 
ist  gegen  Webers  Staatsarien,  trotz  aller  feinen  melodischen  Wendungen  und 
Zartheiten,  ohne  starke  Disposition  und  Steigerung.  Das  Duett  zwischen  ihr 
und  Konrad  bleibt  ganz  konzertierende  Schablone.  Das  chorlose  Finale  des 
zweiten  Akts  ist  gänzlich  stilgemischt,  zuerst  breite  schöne  Melodie,  auf  die 
der  Text  eingespannt  ist,  dann  wieder  so  eine  musikselige  Zwölf-Achtelpartie, 
und  aus  einer  schwachen  und  modischen  Dramatik  plötzlich  herausragend 
Heilings  Eintritt,  motivisch  und  rezitativisch  ganz  nahe  an  Wagner.  Das 
Orchester  Marschners  ist  niemals  unnötig  geistreich,  aber  reichlich  singend 
und  bringt  daher  typische  Gedanken  wohl  zu  Klang,  aber  nicht  zu  Illusionen 
neuer,  ungewohnter  Einkleidungen.  Auch  sein  Rhythmus  ist,  weit  entfernt 
von  der  großen  Gebärde  Webers,  zu  behaglich  und  mechanisch,  um  Typi- 
sches wenigstens  in  der  Wirkung  aufplustern  zu  können:  am  reizvollsten  ist 
er,  wenn  er  ganz  naiv  bleibt,  wie  in  dem  unschuldigen,  molltonigen  Takt 
des  Racheensembles  Heilings  mit  seinen  Geistern.  Ich  zähle  vier  Stellen  in 
dieser  Oper,  die  Marschners  Musik  am  reinsten  und  entwickeltsten  zeigen. 
Zunächst  das  erste  Finale,  wo  die  ganze  Szene  Heilings  mit  Anna  und  der 
Mutter  gegen  Konrad  außerordentlich  geschickt  und  liebenswürdig  in  einen 
sehr  hübschen  und  populären  Walzer  eingesetzt  ist:  hier  band  Marschner 
die  Situation  durch  die  Sphäre  seiner  eigensten  Kunst.  Dann  die  Spinnszene 
der  Gertrud,  unter  dem  Heulen  des  Windes  und  dem  Huschen  unsichtbarer 
Geister  summt  sie,  singt  sie,  spricht  sie:  hier  traf  er  das  romantische  Ideal 
in  einer  bisher  noch  nicht  gewagten  Realistik.  Dann  Heilings  Melodram 

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zu  Beginn  des  dritten  Aktes:  hier  ist  in  Zwiesprache  mit  den  Streichern 
eine  satte  und  farbige  Bläserklage  gefunden,  die,  über  Webers  Anregungen 
hinaus,  schon  mit  den  Lippen  unserer  Zeit  zu  reden  scheint.  Und  endlich 
das  letzte  Finale,  die  Volkspolonäse  mit  den  lieblichen  Refrains  von  Konrad 
und  Anna,  es  wird  Blindekuh  gespielt,  Anna  läuft  Heiling  in  die  Arme,  ihre 
drängende  Auseinandersetzung,  der  große  Doppelchor  aller  Menschen  und 
Geister,  die  Trompete  der  aufsteigenden  Erdkönigin,  das  mahnende  Leit- 
motiv des  Zweischlags,  dreimal  abgestuft,  Heilings  Rückkehr  an  den  Anfang 
knüpfend,  und  das  sonnig  wogende  Friedensschlußensemble:  hier  war  die 
äußerste  Kraftanspannung  der  deutschen  Oper,  der  Oper  von  damals,  1833, 
erreicht.  Es  war  Stückwerk,  im  ganzen  genommen,  aber  doch  stand  da  ein 
Bild,  leuchtend  von  Musik,  in  seinem  Rahmen,  und  es  ist  immer  noch  nicht 
endgültig  ins  Museum  gewandert,  wenn  auch  die  Farben  matter  wurden 
und  der  Firnis  sprang  und  schmutzte. 


Lortzing 

GEHÖRT  nun  unser  guter  Lortzing  auch  zu  diesen  Romantikern,  die  wir 
hier  als  eine  Familie  zusammensetzen  ? Auf  den  ersten  Blick  scheint  es 
nicht,  denn  er  ist  zu  buffonesk  dazu  und  vor  allem  zu  bühnenklug  und  theater- 
wirksam.  Aber  die  deutsche  Romantik  ist  ja  auf  der  Opernbühne  niemals  so 
rein  herausgekommen  wie  in  einem  Klavierstück  oder  Lied  oder  Märchen 
oder  Roman,  sie  hat  immer  einen  Zusatz  von  Italienischem  oder  von  der 
Comique  oder  gar  von  der  Großen  Oper,  um  gehörig  leben  zu  können.  Neh- 
men wir  es  mehr  seelenvcrwandtschaftlich,  so  ist  kein  Zweifel,  daß  Lortzing 
in  diese  Nachbarschaft  gehört.  Er  war  im  Grunde  eine  zärtliche  und  leicht 
sentimentale  Natur,  die  von  Musik  überfloß  und  ihre  Popularität  im  Genre 
des  bourgeoisen  Liedes  und  herzigen  Chors  gewann.  In  das  Übrige  wurde 
er  hineingeboren:  nämlich  in  das  Theaterleben,  dem  seine  ganze  Familie 
gewidmet  war,  in  das  Herumziehen  von  Stadt  zu  Stadt,  in  die  Bühnenbeweg- 
lichkeit, die  er  selbst  als  Schauspieler,  Sänger  (Tenor  und  Bariton),  Dichter, 
Komponist  und  Dirigent  zur  Genüge  kennen  lernte,  und  schließlich  in  den 
Humor,  der  ein  solches  Leben  allein  erträglich  macht,  der  Humor  des  Künst- 
lerbluts, der  alles  überwindet,  weil  er  alles  anschaulich  nimmt  und  sich  selbst 
zum  Theater  schafft.  Lortzing  war  recht  unpraktisch,  er  überfüllte  sein 
Haus  mit  einem  unverhältnismäßigen  Kindersegen,  er  verwaltete  schlecht 
und  recht  sein  eigenes  Geschäft,  er  hatte  oft  nichts  zu  knabbern  bei  seinen 
dürftigen  Stellungen  in  Leipzig,  dann  in  Wien,  zuletzt  am  Berliner  Fried- 
rich Wilhelmstädtischen,  er  war  ein  besserer  Schauspieler  als  Sänger,  und 

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drr'A+t- 


Lortzing.  Lithographie  von  Prinzhofer  1846 

besserer  Komponist  als  Dirigent,  alles  so  unpraktisch,  aber  die  Laune  verlor 
er  nicht,  und  in  jedem  Wort,  in  jedem  Brief  tritt  er  uns  mit  einer  herzgewin- 
nenden Offenheit  und  Sonnigkeit  entgegen,  eine  der  liebenswürdigsten,  net- 
testen Erscheinungen,  die  die  deutsche  Musikwelt  gesehen  hat.  Pfropft  man 
Rossinis  frühes  heiteres  Vagabundentum  auf  das  strebsame  Bäumchen  der 
französischen  Buffonisten,  und  setzt  es  in  das  kleine  deutsche  Heim,  so  hat 
man  ihn.  Ach  Gott  ja,  es  ist  ein  Fensterblümchen,  und  oft  ist  das  bemalte 
Rouleau  heruntergelassen,  wenn  die  Sonne  zu  sehr  brennt,  aber  cs  muß 

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doch  sehr  starke  Erde  haben,  daß  es  bis  heut  so  frisch  und  schön  bleibt  und 
so  viele  Gemüter  erfreut.  Mit  fünfzig  Jahren  wurde  er  vom  Zeitlichen  er- 
löst, das  war  recht  gut,  er  litt  zu  sehr.  Er  mußte  zu  dummen  Possen  die 
Musik  schreiben,  wie  er  einst  in  seiner  Jugend  törichte  Pasticci  hatte  arbeiten 
müssen,  zu  Grabbes  Don  Juan  und  Faust  eine  Musik  aus  Mozart  und  Spohr 
geflickt  und  solche  Dinge.  Der  teilweise  und  ortsweise  Erfolg  seiner  Opern 
half  ihm  gar  nichts.  Das  war  alles  so  zersplittert,  daß  manches  heut  noch 
nicht  einmal  aufgefunden  ist.  Die  Regina  entdeckte  man  erst  jetzt  und 
Adolf  l’Arronge  pflanzte  sie  um,  die  „Opernprobe“,  sein  letztes  Werk,  wurde 
ausgegraben,  Caramo,  Großadmiral,  Rolandsknappen,  Hans  Sachs,  Casanova 
schwanden  dahin,  der  Wildschütz  wollte  erst  nicht  so  recht  ziehen,  der 
Waffenschmied  hatte  bei  seiner  Wiener  Premiere  gegen  das  Italienertum 
schweren  Stand,  Undine  wurde  nicht  so  allgemein  anerkannt,  nur  der 
Zar  war,  und  zwar  von  Berlin  aus,  ein  recht  populäres  Stück.  Wohin  ist 
das  bißchen  Leben  geflogen  ? Jetzt  zu  seinem  Grabe  möchten  die  alten 
frohen  Tunnelbrüder  aus  der  schönen  Leipziger  Zeit  pilgern,  die  im  Vereins- 
jargon sich  „Makulaturen“  nannten,  Heinrich  Marschner,  benamset  „Or- 
pheus, der  Vampyr“,  Schwager  Wohlbrück  als  „Fleck,  der  Kindesmörder“, 
der  Schriftsteller  Herlossohn  als  „Faust,  der  Auerbachhöfling“,  Heinrich 
Dorn  als  „Gluck,  der  Stachliche“,  Redakteur  Fink  als  „Palestrina,  der  Besen- 
binder“ und  Verleger  Hofmeister  als  „Plinius  cum  notis  variorum“;  sie  möch- 
ten hinpilgern  und  mit  trauriger  Miene  das  Sextett  anstimmen:  „Zum  Werk, 
das  wir  beginnen.“  Es  regnet,  und  die  Makulaturen  singen  das  Sextett  unter 
triefenden  Schirmen.  Holde  Göttin  Phantasie,  hast  du  selbst  diese  harten 
Herzen  erweichen  können,  daß  sie  als  Abgesandte  aller  Stände  des  deutschen 
Volkes  ihrem  Lieblingskomponisten  eine  letzte  Huldigung  darbringen  ? Siehe, 
schon  bricht  die  liebe  Sonne  wieder  durch,  die  winterlichen  Bäume  schütteln 
ihre  Tränen  ab,  und  ein  romantischer,  kindlich  süßer  Zauber  vergoldet  diese 
bunte  Versammlung,  die  treuherzig  alsbald  in  den  Chor  mit  cinstimmt:  die 
beiden  trefflichen  Schützen  Gustav  und  Wilhelm,  Dragoner  Schwarzbart, 
der  mächtige  Wasserfürst  Kühleborn,  Schulmeister  Baculus,  Van  Bett,  der 
ehrsame  Bürgermeister,  der  lustige  Deserteur  Peter  Iwanow,  Waffenschmied 
und  Tierarzt  Stadinger,  es  darf  ihm  aber  nicht  unangenehm  sein,  auch  der 
schwäbische  Ritter  Adclhof,  und  zuletzt  Marie,  sein  lieblich  Töchterlein  — ■ 
sie  wirft  eine  weiße  Rose  auf  das  Grab,  dessen  Inschrift  lautet:  „Reichtum 
allein  tuts  nicht  auf  Erden!“  Mit  goldenen  Noten  und  goldenen  Lettern 
im  goldenen  Eichenkranze. 

Die  Texte  seiner  Opern  (alle  sind  Dialogopern)  machte  er  sich  selbst,  er 
erfand  sie  nicht,  sondern  benutzte,  zum  Teil  wörtlich,  beliebte  Dramen,  die 

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[ 


I 


Lortzingt  Handschrift:  Zar  und  Zimmermann 


er  sehr  geschickt  und  sehr  witzig  umarbeitete.  So  ist  die  Gegend  Kotzebue- 
Raupach,  die  auf  unserer  Schauspielbühne  bereits  versunken  ist,  in  seiner 
Musik  noch  lebendig  geblieben.  Ihre  Sentimentalitäten,  Verwechslungen  und 
Späße  rühren  und  amüsieren  den  naiven  Sinn  in  uns  allen,  der  sich  durch 
die  Vertonung  salviert  sieht  oder  wenigstens  so  tut.  Die  Musik  lockt  hier 
wieder  einmal  das  Kind  in  uns  hervor,  was  doch  eigentlich  sehr  hübsch  von 
ihr  ist,  und  doppelt  angenehm,  wenn  es  in  einer  so  sympathischen  und  klein- 
meisterlichen Form  geschieht.  Es  ist  Lust  am  Theater,  manchmal  ein  biß- 
chen dumm,  aber  nie  langweilig.  Das  Schema  ist  durchsichtig  und  hilft  uns 
^gleich  über  jede  Unklarheit  weg.  Zum  Beispiel  so:  Verwechslung  der  beiden 
Tornister,  das  heißt  die  beiden  Schützen,  erstes  Liebespaar,  zweites  Liebes- 
paar. Wir  wissen  gleich,  wie  das  läuft,  und  das  macht  das  Abspielen  so  rei- 
zend. Nun  aber  Verwechslung  und  dazu  Verkleidung,  Verwechslung  des 
verkleideten  Zars  und  des  verkleideten  Deserteurs : das  heißt  Zar  und  Zimmer- 
mann, bloß  zweites  Liebespaar,  aber  dafür  reichliche  Buffos.  Oder  das  Agieren 

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in  Originalkostüm  und  gleichzeitig  in  Verkleidung,  der  Ritter  und  sein  Knap- 
pe, bloß  erstes  Liebespaar,  wieder  reichliche  Buffos:  das  wurde  der  Waffen- 
schmied. Oder  ganz  toll:  der  Wildschütz  mit  doppelter  Verkleidung  und 
vielfacher  Überraschung.  Das  Mädel,  dem  der  Graf  und  der  Baron  die  Kur 
machen,  ist  gar  nicht  des  Schulmeisters  Braut,  sondern  des  Grafen  Schwester 
und  des  Barons  Schwägerin,  und  der  Rehbock,  den  der  arme  Baculus  schoß, 
der  diese  stellvertretende  Braut  wieder  für  einen  Studenten  hält,  ist  gar 
kein  Rehbock,  sondern  sein  eigener  Esel  — die  „Stimme  der  Natur“  führte 
zusammen,  was  zu  einander  paßt.  Das  war  ein  komplizierter  Text,  fürwahr, 
aber  Lortzing,  der  die  Billardszene,  als  Comble  der  Verwechslung,  hinzu 
erfand,  brachte  ihn  auf  so  dankbare  Situationen,  daß  ihn  Scribe  nicht  über- 
troffen hätte.  Zudem  fiel  ihm  hier  die  beste  Musik  ein  und  so  wurde  cs  sein 
gelungenstes  Stück.  Anders  steht  es  mit  der  Undine.  Sie  ist  das  richtige 
romantische  Märchen,  das  Pendant  zu  den  Berggeistopern,  die  Geschichte 
der  Wasserjungfer,  die  Liebe  und  Seele  sucht  und  sich  am  verräterischen  und 
seelenlosen  Geliebten  rächt,  indem  sie  ihn  zu  sich  herabzieht.  Es  war  ein 
Stoff,  so  musikalisch,  daß  man  sich  nicht  wundern  darf,  ihn  in  allen  möglichen 
Varianten  als  Oper  wiederzufinden.  E.  T.  A.  Hoffmann  hatte  ihn  einst  mit 
Fouque  sich  zum  Texte  verarbeitet  und  selbst  komponiert.  Man  liest  diese 
Oper,  die  Pfitzner  jetzt  wieder  herausgab,  mit  gemischten  Gefühlen.  Sie 
ist  in  den  Szenen  sicher  romantischer,  aparter,  visionärer,  lyrischer,  aber  ihre 
Musik  ist  akademisch,  von  Gluck  und  Mozart  abgezogen,  ohne  Bühnengefühl, 
fleißig  verarbeitet,  aber  viel  geschraubt  und  dick  und  schwer,  merkwürdig 
nur  in  der  Selbständigkeit  der  orchestralen  Sprache : immerhin  ein  Literatur- 
unikum des  großen  deutschen  Romantikers,  der  in  der  Dichtung  seines  Gol- 
denen Topfes  unendlich  musikalischer  war  als  in  seinen  Kompositionen. 
Lortzing  hat  den  Text  ganz  anders  gestaltet,  viel  bühnenwirksamer,  im  Fluch- 
motiv, in  der  Kühlebornfigur;  viel  konkreter,  sinnlicher,  im  Kellermeister 
Hans,  im  Knappen  Veit  sogar  mit  Willen  ein  wenig  buffonesk,  er  schlug 
auch  damit  alle  anderen  Undinenopern,  aber  es  ist  nicht  zu  leugnen,  daß 
gerade  auf  diesem  Felde  reiner  Romantik  seine  Musik  heut  am  ehesten  zu 
verblassen  beginnt.  Schob  sich  seine  Undine  vor  die  anderen,  so  schoben 
sich  vor  andere  Werke  von  ihm  neuere  Opern,  die  sie  in  Schatten  stellen 
mußten.  Sein  Hans  Sachs  ist  seit  den  Meistersingern  unmöglich  geworden^ 
Es  ist  eine  gewöhnliche  Geschichte  mit  zwei  Liebespaaren,  Sachs  liebt  und 
sein  Lehrbube  liebt.  Sachs  konkurriert  mit  einem  Ratsherrn,  der  beim 
Sängerwettkampf  im  Vortrag  eines  Liedes  stockt  und  sich  blamiert,  das  er 
für  sein  Eigentum  ausgibt  — aber  dies  Lied  ist  Sachs  von  seinem  Lehrbuben 
gestohlen  worden!  Man  versteht,  warum  ich  das  erzähle:  und  damit  ist  dem 

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tratet  btt  Stabt  2 e i p « i §. 


freit««,  le«  11.  ©rttmbfT  ttlf. 


3 u m (tlitaalc 

^aarunb^innnaniQttn, 

ikit: 

§>ie  jroci  $ef«. 

Oper  in  3 51  f t f n. 

fliifir  »m  e.  ä.  £ • « « * ■ «. 

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*na  3»«ncw,  fw  lim#«  Mfr«  3*«aw  940*. 
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Ctarif,  «to  Wi^fc. 

Smaat  Cffort,  n#(<b<»  eW«M«r.  » 

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UJtüTQuil  t>wi  ff&ttfauneu f, 

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Stück  sein  Urteil  gespro- 
chen. An  solchen  Ver- 
gleichen mißt  man  am 
besten  den  Niveauunter- 
schied Wagners,  den  wir 
heut  so  leicht  vergessen. 

Auch  die  Regina  Lortzings 
mußte  überwunden  wer- 
den. Es  ist  eine  ernste 
Oper  von  einem  Intrigan- 
ten, der  sich  mit  Räubern 
zusammentut,  um  sein 
Mädchen  gewaltsam  zu 
entführen,  und  dieser  In- 
trigant hat  etwas  marsch- 
nersche  Farben,  ein  ver- 
decktes Glückssehnen,  eine 
motivierte  Wut  auf  die 
Welt.  Damals  hieß  es,  es 
sei  eine  Revolutionsoper. 

Lortzing,  der  Freund  Ro- 
bert Blums,  hat  allerdings 
einige  Revolutionschöre  ge- 
macht, aber  eine  Wagner- 
sche  Verschwörung  hat  er 
nie  in  sich  gefühlt  und 
er  besang  die  Freiheit, 
wie  jeder  Opernkomponist, 
dem  sie  eines  der  dankbar- 
sten Motive  bleibt.  In  der 
Regina  gibt  es  einen  Streik- 
chor, doch  endet  alles  in 
Ordnung  und  Frieden.  Es 
ist  das  dramatischste  Stück,  das  Lortzing  machte,  aber  für  das  französische 
Genre,  dem  es  nachstrebt,  nicht  geistreich  genug,  und  für  die  deutsche  Tra- 
gödie zu  einfach  und  bürgerlich.  Es  mußte  das  Los  Marschners  teilen,  in 
dessen  Stil  es  sich  versuchte,  ohne  ihn  gar  zu  übertreffen. 

Lortzing  macht  sich  also  seine  Texte  nicht  aus  inneren  künstlerischen 
Nöten,  sondern  aus  Theaterroutine.  Überall  da  hält  er  sich  musikalisch  am 

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CütloS  um  & U&r. 

Zettel  der  Uraufführung  von  Zar  und  Zimmermann 


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längsten,  wo  er  dem  gewöhnlichen  Verwechslungsschema  der  Buffooper  treu 
bleibt.  Wo  er  aber  unmittelbar  dramatisch  oder  gar  tragisch  wirken  will, 
ist  er  verdrängt  worden.  Wieder  die  alte  Trivialität  der  Geschichte:  wer 
das  Glück  hat,  keinen  Nachfolger  zu  bekommen,  der  es  besser  macht,  bleibt 
der  erste  seiner  Art.  Lortzing  wurde  in  den  Jahrzehnten  populär,  da  sich 
herausstellte,  daß  niemand  nach  ihm  so  herzige  Lieder,  spaßige  Ensembles 
und  rührende  bürgerliche  Szenen  schuf,  wenigstens  innerhalb  des  Deutsch- 
tums. Immer  wünschen  wir  dem  Volk  heut  wieder  so  etwas:  aber  es  kommt 
niemand.  Es  scheint,  er  war  der  letzte,  der  die  formalen  Möglichkeiten  da- 
für hatte.  Einst  war  der  große  Künstler  Mozart.  Dann  kam  viel  Sinnlich- 
keit, Geist  und  Bühne.  Heut  verehrt  man  tiefe  Poesie  und  leidenschaftliche 
Erschütterung.  Dazwischen  blieb  der  Lortzing  bestehen,  als  einer,  der  eine 
wichtige  Angelegenheit  sehr  gut  betrieb:  nämlich  in  Einem  weinen  und 
lachen  zu  machen.  Es  war  nach  dem  Sinn  des  braven  deutschen  Mannes, 
und  einem  solchen  Theater  war  er  dankbar. 

Er  blieb  frisch,  wenn  er  auf  gutem  altem  Grunde  stand.  Er  wiederholte 
Dittersdorf,  nur  durchgezogen  durch  die  schönen  Erfahrungen  Webers  und 
Mozarts  und  Schuberts,  alles  was  sich  fein  säuberlich  in  einen  rechten  deut- 
schen Weihnachtssack  packen  läßt.  Am  meisten,  das  muß  man  diesem  deut- 
schen Mann  nachsagen,  lernte  er  von  den  Franzosen,  deren  opera  comique 
die  musterhafte  Vereinigung  lustiger  und  rührender  Elemente  gab:  moti- 
vische Romanzen,  Couplets,  in  deren  letzter  tanzender  Strophe  eine  Träne 
quillt,  gut  gefaßte  dankbare  Situationen,  schöne  Vokalensembles  und  vor 
allem  die  Symmetrie  des  Dakapostils,  die  Heiteres  und  Trauriges  in  einen 
zierlichen  Rahmen  bringt,  wie  ihn  der  Bourgeois  aller  Länder  sich  gern  als 
Erinnerung  an  die  Wand  hängt.  Natürlich,  je  nach  der  Aufgabe,  machte  es 
Lortzing  manchmal  deutscher,  manchmal  welscher:  der  Zar  ist  französischer 
als  man  glaubt,  der  Casanova  ist  es  absichtlich,  Regina  ist  es  aus  ihrer  Natur 
heraus,  Undine  wird  deutscher  gehalten,  Hans  Sachs  und  der  Waffenschmied 
bekennen  sich  ganz  von  selbst  dazu.  Der  Wildschütz  erscheint  wie  eine  Ver- 
edelung der  Comique  durch  Mozart.  Wie  es  auch  sei,  die  alte  Form  herrscht, 
sie  zwingt  die  Charaktere,  die  sich  sonst  munter  nach  ihrem  Schema  ent- 
wickeln, in  ihren  Parallelismus,  und  sie  dämmt  die  Ausbrüche  ungeregelter 
Seelenphantasie  in  ihre  Polygone. 

Dies  ist  es,  was  in  der  Undine  so  erfolglos  kämpft:  die  Verlassenheit  der 
Wasserprinzessin,  der  Tod  ihres  Hugo  lassen  neue  Wege  suchen,  aber  sie 
gehen  in  einem  Stil  unter,  der  — wie  das  zweite  Finale  am  besten  zeigt  — 
Naivität  und  Pathos  nicht  zusammenbekommt.  Eines  ist  in  der  Undine  am 
interessantesten:  die  einheitliche  motivische  Arbeit,  die  Szenen  und  Personen 

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auf  ein  fest  gefügtes  Gewebe  bringt.  Überall  bei  Lortzing  sind  die  Motive 
Absicht,  im  Sachs  werden  sie  schon  symphonisch  kombiniert,  im  Casanova 
das  Freiheitslied,  in  den  Rolandsknappen  das  Heimatslied  sind  motivische  Ro- 
manzen, im  Waffenschmied  singt  Marie  dem  Ritter  seine  eigene  Melodie 
zurück  „Gern  gäbe  ich  Glanz  und  Reichtum  hin“,  aber  in  der  Undine  wird 
das  Motivische  zum  Prinzip,  wie  eine  Ahnung : als  müßte  für  die  Oper  eine 
neue  innere  Einheit  entstehen,  nachdem  die  äußere  formale  Einheit  dem  intel- 
lektuellen Fortschritt  der  Zeit  nicht  mehr  entsprechen  will.  Lortzing  hat 
sie  noch,  diese  Ensembleeinheit  der  Szene,  diese  rein  musikalische  Freude, 
verschiedene,  ja  widerstreitende  Vorgänge  in  einem  Tonbild  zu  projizieren, 
das  alle  Figuren  vereinigt,  alle  Leidenschaften  abmißt,  alle  Beziehungen  auf 
eine  Harmonie,  auf  einen  Rhythmus  bringt.  Sein  bester  dramatischer  Reiz 
liegt  in  diesen  Ensembles,  und  seine  Kunst,  sie  zu  fassen  und  zu  führen,  ist 
nicht  gering,  vom  kleinen  Duett  bis  zur  großen  Szene,  im  Buffonesken  sogar 
so  witzig,  daß  eine  feine  Selbstironie  diese  bindenden  Formen  zugleich  schaf- 
fen und  belächeln  läßt,  eines  im  andern.  Das  Septett  in  den  beiden  Schützen 
war  sein  erstes  Meisterstück  dieser  Art,  noch  ein  wenig  italienisch,  aber  doch 
sehr  graziös  in  diesem  Finsternisspiel  närrischer  Figuren.  Wie  belebt  ist 
dann  schon  das  erste  Finale  des  Zaren,  Tanz  und  Ernst  in  französischem 
Sinne  gemischt,  ein  hübscher  reiner  Quartettsatz  und  ein  lustig  zweifelnder 
Schlußchor,  rein  nach  der  Musik,  ohne  jede  Textrücksicht.  Sechs  Männer 
sitzen  in  dieser  Oper  nebeneinander  und  beraten,  ihre  Interessen  sind  ver- 
schiedene, in  zwei  Gruppen  geteilt:  die  Musik  weiß  sie  in  eine  strenge  Ein- 
heit zu  bringen,  bald  koordiniert  und  getrennt,  bald  subordiniert  und  zu- 
sammen, je  nach  der  Beleuchtung  als  Schein  oder  als  Wahrheit.  In  der  Kan- 
tatenszene wird  der  alte  komische  Typ  der  Orchesternachahmung  und  Ge- 
sangsaufführung zu  einem  witzigen,  launigen  Ensemble  geführt:  mit  Falsch- 
singen, Hineinkorrigieren,  und  doch  heimlicher  harmonischer  Steigerung. 
Selbst  die  Oper  Hans  Sachs,  die  uns  so  entschwinden  mußte,  zeichnet  sich 
darin  aus:  das  zweite  Finale,  in  dem  Sachs  verstoßen  wird  und  Abschied 
nimmt,  ist  in  seiner  szenischen  Einheit  und  blühenden  Musik  das  beste  vom 
Werk  geworden,  ein  ganzer  Lortzing.  Im  Waffenschmied  treten  diese  En- 
sembles etwas  zurück : sie  sind  kürzer,  strammer,  das  neckisch  bewegte  Terzett, 
das  Suchen  der  Gesellen,  Graf  Liebenau,  schau,  schau,  alles  eilt  mit  Grazie. 
Der  Wert  des  zweiten  Reginaakts  liegt  in  der  musikalischen  Geschlossenheit 
solcher  Szenen : der  punktierte  Chor  der  Marodeure,  das  keusche  Gebet  Re- 
ginas, das  Rettungsensemble,  das  Gewitter,  die  trunkenen  Räuber,  ihr  Schlaf- 
Dekreszendo,  das  gibt  eine  Stimmung  wie  in  den  besten  Opern  der  Fran- 
zosen. Aber  die  entzückendste  Folge  hat  doch  der  Wildschütz,  vom  zweiten 

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Akt  an  bis  zu  Ende  ein  Scharmicren  in  Musik,  eine  Kunst  in  der  Faktur, 
Mischung,  Schattierung,  Fluß  und  Phantasie,  daß  man  seine  helle  Freude 
hat.  Damals  spukte  in  Leipzig  die  Antigone  mit  der  Mcndclssohnschen  Mu- 
sik. Man  schwärmte  in  Griechen.  Mit  einer  griechischen  Vorlesung  beginnt 
es,  über  die  ein  Dienerchor  Tränen  vergießt,  ohne  sie  zu  verstehen.  Duette 
wechseln  mit  Quintetten,  jene  südlicher  bewegt,  diese  zarter,  melodi- 
scher, pointierter.  Das  zweite  Quintett  ist  die  Billardszene.  Oben  auf  der 
Bühne  der  Vorwand  des  Spiels,  unten  im  Orchester  ein  inkrustiertes  Motiv, 
das  mit  sich  selbst  schäkernd  und  billardspielend  das  helldunkle  Milieu  der 
Szene  zeichnet:  jeder  der  beiden  Männer,  auf  der  Jagd  nach  der  verkleideten 
Baronin,  sucht  den  anderen  herauszugraulen  (Symmetrie),  der  Baculus  stopft 
seinen  Cantus  firmus  dazwischen,  die  Gräfin  macht  ein  verblüffendes  Ende. 
Bald  wirbeln  wir  in  die  Tanzszene,  ein  reizender  Chor,  ein  wunderhübscher 
Walzer,  dazwischen  der  unglückliche  Baron.  Wie  hüpft  das  Ensemble  „Un- 
schuldig sind  wir  alle“,  so  lieb  und  fein  gesetzt.  Wie  gleitet  und  schmeichelt 
der  Schlußchor,  so  zierlich  in  Kontur  und  Satz,  die  Schuljugend  dazwischen, 
alles  so  munter  und  witzig  mit  dem  wiederkehrenden  naiven  Motiv  auf  die 
„Stimme  der  Natur“,  Natur  zugleich  und  doch  ganz  Form,  alles  halb  wirk- 
lich, halb  spöttisch,  halb  Tradition,  halb  Ironie,  und  in  der  Erfindung  von 
einer  Überlegenheit  des  Stilgefühls,  die  nicht  weit  von  Mozart  ist. 

Für  den  Musiker  sind  es  diese  gebundenen  Szenen,  die  ihm  Lortzing 
wertvoll  machen.  Sic  sind  von  einem  Orchester  begleitet,  das  nach  dem 
durchschnittlichen  Geschmack  der  Zeit  leicht  und  flüssig  läuft.  In  seiner 
Jugend,  beim  Ali  Pascha,  wo  einmal  vier  Trompeten  mit  begleiten,  oder  beim 
Andreas  Hofer,  wo  einmal  drei  Celli  mit  Kontrabaß  ein  Lied  illustrieren, 
wagte  er  eher  das  Absonderliche  als  später  — nur  in  der  Undine  finden  sich 
etwas  ungewöhnlichere  Farbenwirkungen.  Das  ist  alles  für  den  Musiker.  Das 
Publikum  interessierte  sich  mehr  für  die  Einzellieder  und  -chöre  seines  Mei- 
sters und  viele  davon  haben  eine  Popularität  erreicht,  die  ohne  Beispiel  ist. 
Die  Melodie  Lortzings  fällt  in  die  Sinne.  Ob  sic  die  italienischen  schnellen 
Achtelläufe  hat  oder  die  Webersche  getragene  Lyrik,  ob  sie  da  oben  gesungen 
oder  da  unten  als  instrumentales  Bändchen  und  Schlcifchen  eingeflochten 
wird,  immer  kost  sie  unsere  Ohren  und  letzt  unseren  Gaumen.  Sie  moduliert 
amüsant,  sie  spielt  auf  der  immer  gefügigen  Schaukel  der  Tonika  und  Domi- 
nante, sie  blüht  empor  aus  all  dem  hängenden  Gezweig,  das  an  die  Nachbar- 
akkorde der  Quartsextlage  sich  schmiegt  wie  Wein  an  eine  Tür.  In  den  ern- 
sten Arien  des  Zaren  oder  der  Bertalda  mögen  wir  sie  nicht,  da  ist  sie  steif 
und  aufgeblasen.  Aber  in  den  Chören  und  Liedern  lacht  sie  und  weint  sie, 
daß  den  Leuten  das  Herz  aufgeht.  Die  Volkschöre  im  Zaren  und  im  Wild- 

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schütz  sind  so  frisch  wie  Morgenluft,  und  wenn  das  Publikum  ihn  noch  kennte, 
würde  ihm  der  abendliche  Venezianerchor  aus  dem  Casanova  mit  dem  ulki- 
gen Rocco,  der  eine  lebendige  Chronik  seiner  Stadt  ist,  ebenso  gefallen.  Über 
den  tanzenden  Peter  in  den  beiden  Schützen  kann  man  sich  totlachen,  so 
reizend  ist  das  gemacht,  und  van  Betts  große  Arie  erhält  das  ungetrübte 
italienische  Buffotum  bis  in  unsere  Jahre.  Lortzing  wußte,  warum  er  den 
Knappen  und  den  Kellermeister  in  der  Undine  ihre  Refrains  duettieren  läßt: 
„Im  Wein  ist  Wahrheit  nur  allein.“  Selbst  den  Casanova  heißt  er  darauf 
lossingen:  „Frisch  durch  die  Welt  geht  es  zum  Liebchen.“  Das  russische 
Brautlied  im  Zaren  ist  nicht  zu  verachten,  es  hat  Takt  und  Tempo:  „Lieb- 
lich röten  sich  die  Wangen  einer  Jungfrau  hold  und  schön.“  Die  Baronin 
im  Wildschütz  singt : „Auf  des  Lebens  raschen  Wogen,“  das  ist  ein  fieberndes 
Rondo.  Und  dann  singt  sie:  „Auf  dem  Lande  will  ich  bleiben,“  da  hat  sie 
die  Sentimentalität.  Baculus  macht  den  Buffo  und  singt  die  Geschichte  von 
den  fünftausend  Talern,  wogegen  der  Graf  eine  Polacca  schmettert  „Heiter- 
keit und  Fröhlichkeit“,  die  ihm  ausgezeichnet  gelingt.  Den  Rekord  der  Sen- 
timentalität erreicht  der  Zar  mit  dem  höchst  larmoyanten  „Einst  spielt  ich“. 
Entschieden  übertrifft  ihn  Stadinger  an  deutscher  Männlichkeit,  der  einst 
ein  Jüngling  in  lockigem  Haar  war.  So  geht  es  lachend  und  weinend  durch- 
einander und  jeder  bekommt  es  nach  seinem  Geschmack.  Der  Waffenschmied 
ist  besonders  reich  an  solchen  Liedern,  sie  breiten  sich  hier  gern  zur  Rondo- 
form größeren  Stils  aus,  Georg,  Irmentraut,  Marie  wetteifern  darin.  Und 
in  dieser  letzten  Zeit  sucht  das  Lied  auch  wieder  einen  gewissen  Arienan- 
schluß. Marie  trifft’s  am  besten.  Ihre  Konradarie  ist,  um  einen  lustigeren 
Mittelsatz  herum,  recht  innig  empfunden,  schlicht  und  deutsch,  bleibt  im 
Gefühl  und  in  der  Situation  und  läßt  alle  Attitüden,  ein  schöner  Gruß  an 
Weber  zurück,  wenn  auch  mit  einem  blinzelnden  Auge.  Hier  zuckte  Lort- 
zings  romantische  Seele,  die  er  jener  großen  und  unbarmherzigen  Undine 
verschrieben  hatte,  welche  man  Theater  nennt. 


Die  Übrigen 

7IUF  dieser  lieblichen  Grenze  zwischen  Theater  und  Romantik  steht  noch 
•*  ' einer:  Conradin  Kreutzer,  ein  armer,  herumgeworfener  Schlucker  wie 
Lortzing.  Warum  hält  sich  sein  Nachtlager  von  Granada  ? Es  ist  viel 
Italienisches  darin,  das  uns  nicht  mehr  passen  will.  Aber,  wo  es  buffonesk 
bleibt,  in  den  Räuberterzetten,  da  kitzelt  es  noch  ganz  gut.  Und  in  allen 
Ensembles  ist  die  Musik  schwingend  und  fortreißend.  Es  war  gute  Schule. 

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Wie  fein  ist  so  ein  Chor- 
gebet geschrieben.  Und 
wie  reizend  sind  die  spani- 
schen Romanzen.  Es  war 
ein  Stoff,  wie  ihn  Auber 
hätte  behandeln 


mögen : 

Hirtenpaar,  Übernachten 
des  Herrn,  Stimmung,  Er- 
wartung, Räuber,  Rettung 
und  viel  Jägertum  mit  be- 
rühmten Melodien.  Aber 
auch  viel  Hornsolo.  Ja,  auch 
in  Kreutzer  sang  eine  ro- 
mantische und  deutsche 
Seele,  Gemüt,  Melodie, 
liebevolle  Musik  — er 
suchte  sich  die  Stellen,  da 
er  es  zeigen  durfte,  und  in 
dem  schönen  langsamen 
Motiv  der  Gabriele  wird 
man  heut  noch  den  Spiegel 
seines  Innern  erkennen. 

Und  noch  einer  steht  da : 
Nicolai  mit  den  Lustigen 
Weibern.  Nicolai  war  weit  in  Italien  herumgekommen,  hatte  eine  Unzahl 
italienischer  Opern  komponiert,  wurde  Kapellmeister  in  Wien,  ward  nach  Ber- 
lin berufen,  führte  diese  Lustigen  Weiber  auf  und  starb  zwei  Monate  danach : 
1 849.  Ein  Meteor  von  einer  Oper ! Trotz  Verdis  Falstaff  blüht  sie  heut  noch  in 
ihrer  quellenden,  glücklichen  Musik,  in  der  Elastizität  des  Orchesters,  in  der 
Pracht  ihrer  Erfindung,  in  dem  Übermut  ihres  Stils,  der  Deutsches  und  Italie- 
nisches durch  die  Macht  einer  ungehemmten  Phantasie  verbindet,  im  tiefsten 
Grunde  sinnig  und  empfindsam  wie  irgend  ein  romantisches  Werk,  aber  mit 
lächelnder  Überlegenheit  durch  alle  Erfahrungen  und  Finessen  des  Theaters 
gezogen.  Ein  Wirbel  sich  jagender  Töne  fliegt  dahin,  wohlgeordnet  in  Grup- 
pen, Parallelen,  Pendants.  Das  herzliche  Bekenntnis  eines  liebenden  Tenors 
steigt  daraus  empor,  die  Riesenbogen  einer  eifersüchtigen  Kantilene,  die  ver- 
stellte Klage  einer  Frau,  die  ein  ganzes  Ensemble  bindet.  Trinkwettkämpfe  im 
Stil  einer  Ballade,  Walzer  komplettierender  Frauen  und  Polkas  von  Männern, 
die  sich  auf  die  Rache  freuen.  Das  Stakkato  schüchterner  Liebhaber,  das 


Nicolai.  Lithographie  von  Kriehuber  1842 


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Lerchenlied  des  liederfrohen  Erwählten,  selige  Liebcsduette,  versteckte  Lau- 
scherquartette, und  wieder  Walzer  der  Eifersucht,  und  Finales,  ohne  jede 
Orchesterornamentik,  geworfen  aus  dem  Tempo  der  Szene,  gespickt,  ge- 
pfiffen, gerutscht,  gehauen  im  Rhythmus,  der  der  Modulation,  und  in  der 
Harmonie,  die  dem  Takt  nachjagt.  Und  vom  Jagen  eine  schöne  leidenschaft- 
liche Ballade,  und  vom  Walde  rauscht  es  schon  heimlich  in  die  süßen  Geständ- 
nisse Annas,  die  sich  aus  all  diesem  Wirrwarr  des  Theaters  im  Leben  auf  dem 
lebendigen  Theater  des  Windsorwaldes  zu  einer  deutschen  Innigkeit  be- 
kennen will.  In  einer  wundervollen,  hängenden  Pracht  des  Orchesters  geht 
der  Mond  auf,  Märchenstimmen  singen  im  Walde,  neckisches  Geflüster, 
funkelnde  Fetzen,  Kichern  der  Instrumente,  Ständchenterzettini,  Elfen- 
reigen, Harfenglissandi,  Anna,  aus  allem  Italienertum  erlöst,  grüßt  den  Oberon 
ihres  großen  romantischen  Meisters,  Mücken,  Fliegen,  Wespen,  Rüpeltanz, 
und  unter  ihren  gar  zu  ausführlichen  Beweisen  erkennt  Falstaff,  daß  man 
aus  einer  italienischen  Komödie  ihn  zu  der  einfachen  Herzlichkeit  zweier 
wahrhaft  Liebenden  gelockt  und  bekehrt  hat.  So  hat  die  deutsche  Romantik 
das  italienische  Theater  gebraucht  und  überwunden. 

Was  noch  übrig  blieb,  waren  drei  Möglichkeiten. 

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Im  nächsten  Jahre  führte  Schumann  seine  Genoveva  auf.  Dies  war  der 
Sturz  einer  Theorie,  die  aus  literarischem  Empfinden  eine  Kunstgattung 
deutsch  machen  wollte,  ohne  eine  Spur  dramatischen  Bluts.  Aus  Literatur  ? 
Der  Text  der  Genoveva,  trotz  oder  vielleicht  wegen  der  Mitarbeit  Schu- 
manns, ist  eine  der  gräßlichsten  Entstellungen,  die  je  eine  schöne  Sage  er- 
fahren hat.  Die  Musik  ist  das  unmöglichste,  was  je  in  einer  Oper  geleistet 
wurde.  Wohl  fühlt  man,  besonders  in  den  Szenen  der  verlassenen  Genoveva, 
den  Meister  der  lyrischen  Kleinkunst.  Wohl  erkennt  man,  daß  er  nie  die 
gewohnten  Wege  gehen  und  alles  auf  deutsche  Ehrlichkeit  reinigen  w'ollte. 
Aber  ist  es  nicht  dumm,  so  ist  es  schlecht.  Die  Sänger  scheinen  sich  danach 
zu  sehnen,  Instrumente  zu  werden.  Der  Held  und  der  Intrigant  haben  ihren 
Tenor  und  Bariton  vertauscht,  sie  kommen  niemals  auf  ihr  rechtes  Niveau. 
Der  Rhythmus  läuft  dauernd  in  denselben  Achteln  dahin  und  das  Drama 
wird  im  Gleichmaß  der  Notation  ertötet.  Welche  monumentale  Ungeschick- 
lichkeit! 

Das  zweite  war  die  Schablone.  In  dieser  Gattung  wurden  ganze  Reihen 
deutscher  romantischer  Opern  geschaffen,  die  eine  besser,  die  andere  schlech- 
ter, Reißiger,  Rietz  und  Holstein,  dessen  Haideschacht  sehr  verbreitet  war, 
— sie  versanken  in  der  epigonischen  Routine. 

Das  dritte  war:  jenen  Keim  der  Trivialität,  den  alle  Romantik  enthält, 
in  Reinkultur  zu  entwickeln.  Das  ist  Neßler  geworden. 


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NATIONALE  OPERN 


Exotisches 

DIESES  Kapitel  gehört  der  nationalen  Oper,  sagen  wir  der  national  ge- 
färbten : eine  beinahe  geschlossene  Gruppe,  die  ich  hier  zusammenfassen 
werde.  Sie  steht  mit  den  bunten  Farben  der  fernen  Länder  mitten  in  der 
großen  Galerie  der  Opern,  die  den  internationalen  Stil  der  Bühnenmusik 
verfolgen.  Der  Horizont  der  Pußta,  das  melancholische  Rittertum  Polens, 
die  bewegte  Sangeslust  der  Tschechen,  das  dunstig  feine  Chaos  Rußlands  ver- 
teidigen ihre  Werte  gegen  die  Welt.  Es  sind  die  Länder,  die  einen  unterirdi- 
schen Strom  nationaler  Musik  besaßen  und  nun  versuchen,  ihn  in  den  Opern 
der  Weltkunst  münden  zu  lassen.  Sie  kamen  zu  spät  zum  Wettkampf  der 
großen  Stile,  jetzt  leuchten  ihre  Weisen,  ihre  Lieder  und  Tänze  wie  exo- 
tische Seltsamkeiten,  ethnologische  Preziosen  in  diesem  mondänen  Getriebe, 
opernunfähig,  wie  sie  an  sich  sind,  und  doch  so  opernsüchtig  in  der  farbigen 
Darstellung  ihrer  Menschlichkeit.  Die  Oper,  die  zwischen  den  Schicksalen 
der  Menschen  umherirrt,  immer  gierig,  Spiel  und  Leben  auszugleichen,  ko- 
stümiert sich,  in  echten  und  auch  in  geliehenen  Kostümen,  im  Vertrauen, 
daß  man  ihr  dann  ihre  Mission  besser  glaubt.  Sie  nimmt  diese  Ländlich- 
keiten in  ihr  Treibhaus  auf,  weil  sie  ihr  ein  besonderes  klimatisches  Kolorit 
geben,  und  die  Ländlichkeiten  selbst  verlieren  in  aller  künstlichen  Umge- 
bung doch  nicht  ihre  natürliche  Herkunft,  ihre  seelische  Energie.  Es  ist  ein 
merkwürdiger  Zusammenstoß  der  Konvention  und  der  Heimat,  der  trium- 
phierenden Bühne  und  der  verwurzelten  Lyrik,  und  es  interessiert  den  Künst- 
ler ungemein  zu  sehen,  wie  weit  der  internationale  Stil  seine  eigene  Sprache 
übertönt  und  wie  weit  diese  imstande  ist,  entgegengesetzten  Stil  zu  bilden. 
Hinter  all  diesen  Kostümierungen  steht  die  große  Frage  der  Auseinander- 
setzung von  Beruf  und  Bekenntnis,  von  Schein  und  Echtheit.  In  einem 
geographischen  Problem  wird  sie  hier  akut.  Man  liebt  die  Landestracht  am 
heftigsten,  ehe  sie  abstirbt. 

Die  italienische  und  die  deutsche  Kunst  haben  am  ehesten  aus  dem  Klange 
ihrer  Volksmusik  opernhafte  Gebilde  schaffen  können,  die  französische,  deren 
klimatische  Färbung  die  schwächste  ist,  am  wenigsten:  gerade  darum  neigte 
Frankreich  mehr  zur  Aufnahme  exotischer  Tonbilder.  Italien  hat,  selbst 

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heute  noch,  keinen  Sinn  für  fremdnationales  Kolorit  in  der  Oper,  Deutsch- 
land liebt  diese  Reisen  überhaupt  nicht  sehr,  Frankreich  hat  sie  geradezu 
kultiviert.  In  den  Pariser  Tanzsalonen  berauscht  man  sich  an  den  Rhythmen 
polnischer  Nationalmusik,  die  großen  Primaballerinen  exzellieren  in  ihren 
Cachuchas  und  Tschardas,  die  Maler  schlürfen  die  Farben  des  Orients,  die 
Dichter  schweifen  in  tropische  Femen,  die  Musik  findet  die  sinnlichen  Reize 
des  Exotismus.  Schon  die  opera  comique  und  die  historische  Oper  machte 
reichlich  Gebrauch  von  ethnologischem  Material.  Felicien  Davids  berühmte 
Ode-Symphonie  Ledesert,  1844  in  den  Konservatoriumskonzerten  aufgeführt, 
sanktionierte  die  orientalische  Musik.  Die  Weisen  asiatischer,  slawischer,  spa- 
nischer, magyarischer  Musik  fanden  eine  besonders  gefällige  Aufnahme  in 
der  rührsamen,  halb  historischen,  halb  lyrischen  Oper,  die  sich  unter  dem 
Namen  tragedie  lyrique  immer  bewußter  herausbildet,  von  Gounod,  Thomas 
über  Bizet,  den  prunkvollen  Reyer  bis  in  unsere  Zeit  reicht,  wo  sie  Saint 
Saens  und  Massenet  unter  ähnlichen  Farben  halten.  Die  Form  des  nationa- 
len Tonstücks  ist  ja  meist  Lied  und  Tanz,  und  nichts  ist  den  Franzosen  will- 
kommener. Hier  ist  das  Ethnologische  geliehenes  Kostüm.  David  war  noch 
wirklich  gereist,  Bizet  nur  in  der  Phantasie.  Diese  Pariser  kommen  von  der 
Konvention  zur  Exotik,  die  sie  wie  einen  Schmuck  einsetzen,  die  Slawen 
kommen  von  der  Exotik  gegen  die  Konvention,  die  sie  zu  färben  suchen. 
Beides  bedingt  sich,  ist  innerlich  verwandt  und  sogar  verstrebt.  Es  ging  eine 
Bewegung  von  den  Franzosen  zu  den  Russen,  und  eine  zweite  wieder  zurück. 
Kolorismus,  Innerlichkeit,  Primitivität,  Sezession  und  feinste  Nervosität  fan- 
den sich  auf  der  Linie. 


Gounod 

ICH  spreche  darum  hier  von  Gounod  und  Thomas,  weil  sie  das  Bett  gruben. 

Gounod  war  ein  freundlicher,  unbedeutender,  musikalisch  äußerst  begab- 
ter Mann.  In  seinen  Memoiren  gibt  es  eine  Szene,  wo  Berlioz  nach  der 
Premiere  der  Sappho  mit  Tränen  in  den  Augen  zu  Gounod  kommt  und  ihn 
umarmt  und  dieser  ihn  bittet:  „Ach,  lieber  Berlioz,  kommen  Sie  zu  meiner 
Mutter  und  zeigen  Sie  ihr  diese  Augen;  das  ist  die  schönste  Kritik,  die  sie 
über  mein  Werk  lesen  kann.“  Es  ist  alles  so  gerührt  um  ihn,  wie  diese  Szene, 
durch  das  ganze  Leben:  Mutterliebe,  Geistlichkeit,  Chorgesang  und  viel 
Mühe,  mit  der  Oper  durchzudringen.  Man  machte  ihn  zum  Organisten, 
dann  zum  Direktor  des  Sängerverbandes  Orpheon,  man  lobte  seine  Messen, 
aber  mit  der  Sappho  war  es  noch  nichts.  Er  versuchte  eine  komische  Oper, 
Der  Arzt  wider  Willen,  nach  Moliere,  mit  einem  Trinklied,  einem  Prügel- 

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trio,  einem  Konsultationssextett  und 
so  fort,  ganz  im  Stil  der  Buffa.  Gou- 
nod  war  noch  sehr  altmodisch.  Er 
liebte  die  stehenden  Formen,  er 
ahmte  sogar  Lully  nach.  Einen  Er- 
folg hatte  er  wieder  nicht  und,  wenn 
wir  auch  den  durch  Reznicek  wieder 
ausgegrabenen  Medecin  heut  um 
seiner  guten  Arbeit  willen  höher 
schätzen,  so  schätzen  wir  ihn  doch 
für  eine  Buffooper  zu  spät  und  für 
einen  Gounod  zu  früh.  Auch  seinen 
Philemon  und  Baucis  hat  man  her- 
vorgeholt. Das  hat  seine  textlichen 
Schwierigkeiten,  weil  Jupiter,  der 
das  edle  Paar  wieder  jung  macht, 
nichts  eiligeres  zu  tun  hat,  als  die 
Baucis  zu  verführen  — Offenbach 
hätte  es  komponieren  müssen.  So 
wurde  es  für  eine  Operette  zu  schwer 
und  für  eine  Oper  zu  leicht,  wieder  zu  altmodisch  für  uns,  zu  eintönig 
für  Gounod,  schmelzend,  weich,  schwammig,  mit  einzelnen  hübschen  Ideen: 
im  ersten  Akt  die  Szene  zwischen  Baucis,  Jupiter  und  Vulkan,  im  dritten 
die  Szene  Vulkans  mit  dem  Paar  sind  musikalisch  wertvoll.  Den  „Tribut 
von  Zamora“,  seine  letzte  Oper,  verehrt  man  nur  lokal.  Seine  Weltwerke 
blieben  „Faust“  und  „Romeo  und  Julia“.  Romeo  ist,  obwohl  fast  ebenso 
beliebt,  viel  schlechter,  dramatisch  mag  es  fließender  sein,  musikalisch  ist 
es  leerer,  stilistisch  eklektischer.  Die  Einleitung  und  das  Schlußritornell 
zur  recht  trivialen  Liebesszene  in  Julias  Zimmer  ist  schön,  durchgewebt 
in  den  farbigen  Harmonien,  es  ist  sicherlich  ein  geheimes  Kompliment  an 
Wagner.  Das  geheimnisvollste  Kompliment  macht  Julia,  da  sie  auf  ein  Isolde- 
motiv stirbt.  Auf  der  anderen  Seite  grüßt  man  die  Italiener  mit  empha- 
tischen Melodiephrasen,  mit  Fermaten,  die  in  Quartsextakkorde  sinken,  wie 
im  Trauungsquartett.  Die  Balkonszene  wird  von  einer  wiegenden  Nacht- 
musik in  Sechsachtel  gerahmt,  die  aus  Weber  und  Mendelssohn  gebildet 
ist,  auf  langem  Orgelpunkt,  den  Gounod  liebt.  Die  Szene  selbst  ist  nicht 
einheitlich  gelungen,  es  fehlt  der  Mut  der  lyrischen  Durchführung,  gute  rezi- 
tativische,  melodische,  akkordliche  Linien  werden  durch  Störungen  des  Chors, 
des  Tempos,  der  Stimmung  zerrissen.  Die  Varieteschlenkrigkeit  des  Lorenzo- 

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trankthemas  ist  böse.  Die  Ballmusik  und  der  Juliawalzer  ist  reizend.  Ein 
fader  Geschmack  bleibt  zurück,  musikalische  Beschränktheit  mit  aufgepfropf- 
tem Theater.  Von  Shakespeare  so  wenig  zu  flüstern,  wie  von  Goethe  beim 
Faust.  In  Frankreich  machte  das  nichts,  man  lebte  im  Glanze  der  Mon- 
dänität.  In  Deutschland  kann  man  es  nicht  einfach  unterdrücken,  man  kann 
sich  nicht  bloß  in  die  Zelle  des  Musikers  einschließen.  Die  jungen  französi- 
schen Literaten  neigen  jetzt  uns  zu,  wie  der  alte  deutsche  Bürger  Gounod 
zuneigte.  Sie  liebten  sich  sentimentalisch  und  waren  voneinander  gerührt. 
Der  Faust  kam  1859  und  begründete  die  gefühlvolle  Oper. 

Faust  heißt  Margueritc,  Gretchen  aus  Paris,  die  sich  die  erdenklichste 
Mühe  gibt,  ihre  traurig  schöne  Liebesgeschichte  möglichst  nach  dem  deut- 
schen Original  zu  erleben,  sonst  nichts.  Sie  versteht  es  schon,  die  Sache  or- 
dentlich zu  veropern,  die  Tiefen  zuzuschütten,  reichliches  Milieu  zu  zaubern 
und  eine  lockere  Technik  zu  bereiten,  so  locker,  daß  ohne  weiteres  eine  Arie 
des  Valentin  und  ein  Ballett  in  die  kokottenhafte  Walpurgisnacht  nachträg- 
lich zugefügt  werden  konnten.  Die  Milieus  werden  unter  üppige,  wirksame 
Musik  gesetzt.  Die  ländlichen  Chöre  bei  Faustens  Monolog,  die  reizenden 
Kirmes-Chöre  in  starkem  rhythmischen  und  oft  eigentümlich  melodischem 
Leben,  die  Schwerterszene  nach  gut  Pariser  Schnitt,  der  außerordentlich 
fein  erfundene  Walzer,  in  allen  drei  Teilen  sehr  glücklich  und  inkrustiert 
mit  der  keuschen,  leisen  und  langsamen  Begegnungsszene,  die  Kirchenepisode 
mit  dem  großen  Orgelspiel,  die  Militärszene  mit  dem  breit  ausladenden  Marsch, 
die  flitzende  Serenade  mit  dem  Duellterzett  und  dem  forschen  Finale  im 
Stile  der  ernsten  Comique,  das  alles  sind  nebensächliche  Hauptsachen,  die 
nicht  nur  von  einer  lebhaften  musikalischen  Phantasie  zeugen,  sondern  auch 
den  Bedarf  an  Kolorismus  in  schönster  Abwechslung  bestreiten.  Denkt  man 
nicht  an  Faust  und  Faustisches,  nimmt  man  das  alles  so  als  Stück  für  sich, 
so  leuchtet  der  Esprit  des  Franzosen  in  der  Gestaltung  des  farbigen  tänzeri- 
schen Ensembles.  Und  denkt  man  noch  weniger  an  das  Faustische,  so  wird 
man  auch  der  Phantasie  seiner  lyrischen  Szenen  die  Gerechtigkeit  einer 
blühenden  musikalischen  Erfindung  zuteil  werden  lassen,  die  an  der  Grenze 
der  Trivialität  dem  Gefühl,  auch  dem  deutschen  uneingestandenen  Gefühl, 
wohlige  Erregungen  bereitet.  Das  ist  der  eigentümlichste  Gounod,  der 
Schwelger  der  langsam  geschlürften  Süßigkeiten,  lächelnde,  selbst  in  Tränen 
lächelnde  Melodien  legen  sich  auf  weich  gebettete  Harmoniekissen,  Orgel- 
punkte bieten  einen  sicheren  Grund  für  alle  sanft  niedersinkenden,  sequenzen- 
frohen Phrasen,  wollüstig  verzögerte  Vorhalte  auf  Septimen  spiegeln  die  Sehn- 
sucht der  rhythmischen  Seele.  Die  Gartenszene,  bis  heut  das  Muster  der 
älteren  französischen  Musiklyrik,  ist  in  ihrer  bunten  Reihe  raffiniert  und  doch 

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mit  allem  Schein  verschlossener  Grazie  und  stiller  Anmut  angelegt.  Im 
leichten  Wiegen  musikalischer  Zephire  singt  Siebei  ein  Blümleinlied,  das  auf 
so  nachgiebigen  Bässen  daherschwebt,  eine  delikate  Kleinmalerei  müht  sich 
um  alle  Blumendinge,  blumig  süß  wächst  Faustens  Kavatine  auf,  in  exoti- 
schen Düften  schmeichelt  die  Musik  um  Gretchen  und  seltsam  ferne  nor- 
dische Tropik  zeichnet  ihre  König  Thuleballade,  die  die  Gedanken  an  ihren 
Geliebten  zart  durchbrechen.  Aus  rührsamen  Details  blüht  ihre  Juwelen- 
arie hervor,  der  virtuose  Koloraturwalzer,  der  ihrer  Seele  das  französische 
Parfüm  und  ihrer  Kehle  die  festliche  Mondänität  gibt.  Das  Quartett  ordnet 
sich  gern  nach  den  symmetrischen  Regeln  der  Überlieferung:  Divergenz  der 
Charaktere  und  Konvergenz  der  Ensembles.  Sehr  entzückend  bereitet  sich 
allmählich  das  Liebesmotiv  Faustens  vor,  hier  und  da,  schwül  durch  die 
Blätter  duftend,  und  in  ihm  findet  sich  bald  das  Paar  liedhaft  gebunden. 
Die  Harmonien  weiten  sich,  die  feierlich  berückenden  Akkorde,  in  denen 
einst  Margaretens  Vision  erschien,  werden  Duett,  temperamentvolle  italie- 
nische Melodiephrasen  feuern  das  Tempo  an,  die  verschiedenen  Motive  ver- 
schlingen sich  wollüstig  zu  Steigerungen,  sie  wiegt  sich  höher  und  höher  in 
ihrem  weiten  drangvoll  schwingenden  Neunachtel-Larghetto,  ein  Schrei, 
und  der  F-Dur-Jubel  des  Orchesters  schließt  eine  Folge  von  mosaikhaften 
Lyrismcn,  die  über  die  textlichen  Spannungen  ohne  Arroganz,  aber  auch  ohne 
Schwindclgefühl  sehr  geschickt  und  liebenswürdig  Schritt  für  Schritt  ge- 
nommen haben,  zufrieden,  in  klingender  Musik  ihr  Glück  zu  finden.  Die 
Gefängnisszene,  am  Schluß,  lebt  nicht  minder  gefühlvoll  von  den  motivi- 
schen Erinnerungen  an  diesen  Anfang.  Das  Aufklingen  des  Walzers,  der 
Begegnung,  des  Liebesduetts,  des  Liebesjubels  als  Erlösungsjubels  gibt  ein 
eindringliches  Muster  der  motivischen  Erinnerungskraft  letzter  Opemszenen. 
Das  Lied  wird  sich  selbst  Refrain,  das  Gefühl  schließt  seinen  Kreis  des  Er- 
lebens und  Gedenkens.  Es  gibt  keine  musikdramatische  Wirkung,  die  un- 
bestrittener und  allgemeiner  gewesen  wäre.  In  jeder  Oper,  alter  und  neuer, 
ist  eine  Ader  davon.  In  der  lyrischen  Oper  ist  es  das  Herz. 


Thomas 

AMBROISE  Thomas  ist  minderwertiger.  Ist  auch  seine  Gegend  an  Ge- 
fühl und  Anmut  der  Gounodschen  benachbart,  so  ist  doch  seine  musi- 
kalische Erfindung  geringer,  seine  künstlerische  Moral  frivoler,  seine  ganze 
Haltung  italienischer.  Sein  Leben  ist  in  Preisen,  Reisen,  Mißerfolgen  und 
Erfolgen  wohl  geordnet,  die  Welterfolge  kamen  erst  zuletzt  mit  Mignon 

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(l 866)  und  Hamlet  (1868).  Wieder  Goethe  und  Shakespeare,  aber  nicht  ein- 
mal zu  flüstern.  In  Mignon  sind  einzelne  Virtuositäten  des  Esprits  zu  be- 
merken, zigeunerische  Weisen,  das  steirische  Lied,  das  Tänzchen  vor  und 
im  zweiten  Akt,  meinetwegen  die  Titaniapolonäse,  als  Lichterspiel  der  großen 
Welt.  Bisweilen  glänzen  sinnige  melodische  Ideen.  Nichts  hält  den  Vergleich 
aus  mit  dem  Engellied  der  gefangenen  Margarete  oder  selbst  dem  Jugend- 
duett Faustens  mit  Mephisto.  Die  Finales  werden  durch  gemeine  Rhythmen 
und  Schlagmelodien  unmöglich  gemacht.  Die  Lieder  Wilhelms,  die  Romanze 
Mignons,  das  Schwalbenduett  sind  von  unedler  Gesinnung,  fettig  und  grin- 
send, wie  verliebte  alte  Weiber.  Wird  die  Frivolität  offen  bekannt,  wie  in 
den  Walzerchen  und  Koloraturen  der  Philine,  so  ist  sie  viel  erträglicher.  Es 
ist  schlechte  Luft  in  dieser  Oper,  nicht  die  sinnliche  Atmosphäre  Gounods, 
sondern  Gasgeruch  mit  altem  Parfüm  und  schwitzigem  Fleisch,  worin  eine 
echte  Kokotte  wie  eine  Erfrischung  wirkt.  Wie  häßlich,  daß  es  heut  noch 
so  viel  Leute  gibt,  die  diese  Luft  gern  atmen,  Lakaien  des  verlebten  second 
empire.  Es  waren  zwei  Schlüsse:  Mignon  stirbt  oder  heiratet.  Wenn  sic 
heiratet,  singt  Philine  eine  Forlane,  die  in  der  Ouvertüre  vorkommt,  aber  die 
Ouvertüre  wird  auch  gespielt,  wenn  sie  stirbt.  Nun,  der  Hamlet  des  Thomas 
heiratet  Ophelia  nicht,  aber  immerhin,  er  wird  König,  nachdem  er  den  Clau- 
dius erstochen  hat.  Den  Lichterglanz  des  dekolletierten  second  empire  sehe 
ich  schleierloser  in  dieser  Oper,  vor  allem  in  der  großen  Sterbeszene  der 
Ophelia,  die  ein  virtuos  verfeinerter  Wahnsinn  wird,  idyllische  Dämonie, 
tänzerische  Verzweiflung,  weltmännische  Operngymnastik  mit  exotischen 
Farben,  schöner  Ballade,  Brummstimmen  des  Chors,  blinkendem  Orchester. 
Auch  das  groteske  Totengräberduett  nenne  ich  und  die  reichlich  musika- 
lische Begräbnisszene,  die  gute  Stimmung  des  Terzetts  der  Königin  mit 
Ophelia  und  Hamlet  und  das  Dunkel  im  Duett  des  Königspaares.  Die  Ironie 
Hamlets  ist  musikdramatisch  dankbar,  er  wird  ein  Stiefbruder  Masaniellos 
oder  Roberts,  er  singt  und  trinkt  mit  den  Schauspielern  und  plötzlich  gerät 
er  in  ein  ander  Tempo  und  Tonart.  Aber  daß  solche  Musik  sehr  geeignet 
ist,  schwankende  Charaktere  zu  vertiefen  oder  gar  zu  enthüllen,  kann  man 
nicht  behaupten.  Im  Ganzen  ist  diese  Oper,  wenn  sie  auch  noch  so  arien- 
beklebt ist,  viel  sympathischer  als  Mignon,  anständiger  in  der  Mache,  male- 
rischer, reinlicher,  und  man  begreift  nicht,  warum  man  sie  bei  uns  vor  dieser 
verschminkten  Theaterpuppe  so  ganz  vergessen  hat. 


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Biset 


THOMAS’  Hamlet  war  ungefähr  das  musikalische  Klima,  das  Bizet  in  Ent- 
zücken versetzte.  Vor  dem  Deutschen  hatte  er  eine  gewisse  scheue  Ehr- 
furcht, das  Italienische  liebte  er  offen.  Seine  Konstitution  war  die  eines 
bloßen  Musikers.  Gab  ihm  einer  etwas  zu  komponieren,  so  machte  er  es; 
nahm  er  es  ihm  weg,  war  es  auch  gut.  Er  war  ein  Normalkünstler  in  jeder 
Beziehung,  ohne  revolutionäre  Ideen,  ohne  geistige  Übertriebenheit,  und 
seine  Briefe,  am  besten  die  an  den  Schüler  Lacombe,  zeigen  das  mittlere 
Niveau.  Er  machte  prompt  alle  Prüfungen,  erhielt  alle  Preise,  war  wegen 
seines  trefflichen  Spielens  und  Lesens  und  seines  Gedächtnisses  berühmt  und 
heiratete  die  Tochter  seines  Lehrers  Halevy.  Seine  Freunde  schwärmten 
von  seiner  Improvisation  und  erzählten  sich  noch  lange,  wie  er  einmal  das 
Begräbnis  seines  Kollegen  Clapisson,  die  Leichenreden,  seine  Elysiumfahrt, 
kontrapunktiert  gegen  Themen  aus  Beethovens  Fünfter,  grotesk  dargestellt 
hätte.  Kurz:  er  war  ein  tüchtiger  Mensch,  der  wohl  wußte,  was  es  mit  der 
rechten  Musik  auf  sich  habe.  Nur  zwei  Besonderheiten  treten  aus  diesem 
vorschriftsmäßigen  Dasein  heraus:  die  enorme  musikalische  Erfindung,  die 
sich  in  Carmen  kundgab,  und  der  plötzliche  Tod,  der  kurz  nach  der  Premiere 
dieser  Oper  ihn  schweigen  machte.  Daß  Carmen  zuerst  nicht  gefiel  und 
auch  sonst  seine  späteren  Werke  wegen  kühner  Harmonien  (man  nannte  das 
fälschlich  Wagnerismus)  Anstoß  erregten,  gehört  ja  fast  zur  Schematik  der 
Laufbahn.  Das  unerhörte  Aufleuchten  seines  plötzlich  abgeschnittenen  mu- 
sikalischen Genies  steht  in  einer  Umgebung  menschlicher  Gewöhnlichkeiten. 

Seine  Jugendoper  Procope  fand  sich  neulich  noch  im  Nachlaß  von  Auber, 
es  ist  ein  Rossinikind.  Er  rettete  daraus  einige  Nummern  in  die  Perlenfischer, 
wie  er  aus  der  Arlesienne  zwei  Stücke  in  Carmen  übernahm.  Die  Perlen- 
fischer blieben  trivial,  bis  auf  einige  harmonische  Wagnisse.  Diese  harmoni- 
schen Wagnisse  waren  nur  die  Anzeichen  seines  Farbensinnes,  für  den  er 
nach  Betätigung  suchte.  Viel  Reiz  fand  er  im  Ethnologischen  seiner  Stoffe 
und,  außer  dem  Bolero  und  den  malerischen  Modulationen  seiner  Vasco- 
Kantate,  ist  es  kein  Zufall,  daß  Djamileh  aus  Ägypten,  Carmen  aus  Spanien, 
die  Arlesienne  aus  der  Provence,  die  Jolie  fille  de  Perth  aus  Schottland,  die 
Perlenfischer  aus  dem  Orient  kamen.  Bizet  ist  der  ausgesprochene  Exotiker 
unter  diesen  lyrischen  Opernkomponisten,  er  färbt  so  viel  er  kann  mit  Landes- 
farben, keinen  echten,  aber  sehr  feurigen. 

In  der  Djamileh  trat  es  zuerst  verblüffend  hervor.  In  dieser  aus  Mussets 
Namouna  herausgerissenen  Geschichte  der  abgeschobenen  Haremsdame,  die 
sich  küssend  und  tanzend  ihren  Herrn  doch  wieder  gewinnt,  gibt  Bizet  neben 

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vielen  Traditionen  in  Gounodschcr  Lyrik  oder  italienischem  Buffotum  oder 
Pariscrischem  Operettcnklang  einige  besondere  Farben,  die  unvergeßlich  sind  : 
träumerische  Nilschifferchöre,  verzückte  Vorhalte  im  Sklaven  marsch,  ein 
Ghasel  von  aparter,  seltsamer  Exotik  und  einen  Almeentanz,  in  Dur  und 
Moll  schwankend,  von  glühender  orientalischer  Leidenschaft.  Gleichmäßiger 
wirkte  seine  koloristische  Begabung  in  der  Musik,  die  er  zu  Daudets  Arle- 
sienne  schrieb,  damals  unbeachtet  (nur  Reyer  lobte  sie),  heute  über  das  Stück 
hinüber  als  Suite,  als  heimliche  Oper  gerettet,  voll  von  weher  Melodramatik, 
heimatschweren  Gesängen,  bunten  Harmonien,  vibrierenden  Rhythmen,  ein 
Entzücken  für  das  tanz-  und  liedfrohe  Ohr. 

In  Carmen  wurde  diese  Art  reif.  Reif  ? Wissen  wir,  was  gekommen  wäre  ? 
Bizet  war  37  Jahre,  1875.  Die  bloße  Mediterranisierung  der  Musik,  die  gegen 
Wagner  ausgespielt  wird,  können  wir  darin  nicht  sehen,  sondern  mehr  noch: 
den  Sieg  der  absoluten  musikalischen  Phantasie  über  jedes  Hindernis.  Text, 
Form,  Gefühl,  Szene,  alles  wird  von  dem  Ansturm  seiner  Erfindung  genom- 
men, die  in  Glutströmen  aufsteigt  und  triumphierend  die  Vernunft  auf  die 
Knie  zwingt.  Wir  wissen,  wüe  roh  und  handwerklich  Meilhac  und  Halevy 
den  Text  aus  der  Merimeeschen  Novelle  (die  im  archivarischen  Stil  eine 
heiße  Welt  von  Blut,  Trug  und  animalischer  Leidenschaft  trocken  dahinsetzt) 
zurecht  gezimmert  haben.  Wir  lächeln,  daß  sie  zur  Besänftigung  der  Gemüter 
die  Micaela  mit  ihrem  ganzen  Gefühlsgepäck  hinzuerfanden.  Wir  bemerken 
immer  wieder  in  der  Musik  die  alten  symmetrischen  Formen,  über  die  Bizet  in 
keiner  Weise  hinausging,  wir  wissen,  daß  die  Rezitative  nachkomponiert  sind,  wir 
sehen  eingelegte  Ballette,  wir  müssen  durchaus  gestehen,  daß  es  doch  eine  rechte 
komponierte  Oper  ist  mit  allen  Schikanen  der  Liebe,  Rache,  Rührung,  Lieder, 
Aufzüge,  Chöre  und  Finales.  Aber  wir  geben  uns  schrankenlos  dieser  ein- 
zigen musikalischen  Gestaltungskraft  hin,  die  in  jedem  Takt  von  Einfällen 
strotzt,  in  jedem  Tempo  mit  der  Wucht  eines  ungebrochenen  Tempera- 
ments pulsiert,  Gewohntes  und  Eigentümliches  in  den  glücklichsten  Fluß 
bringt  und  mit  einer  Freude  dahertanzt,  die  nur  das  Bewußtsein  des  endlichen 
Sieges  diesen  Zügen  verleiht.  Wunderbares  Land,  da  die  Probleme  schwei- 
gen, weil  die  Schöpferkraft  sie  mit  einem  Blicke  erstickt.  Wunderbares  Ge- 
hirn, wo  inmitten  der  Alltäglichkeiten  und  Konventionen  dieses  wahrhaft 
metaphysische  Fest  bewegter  Töne  unbewußt,  unerzogen,  fast  ungewollt  sich 
an  sich  selbst  berauschen  darf.  Jahrzehnt  für  Jahrzehnt  verfolgte  ich  hier  die 
Opern,  ihre  Arten,  ihre  Schicksale,  ihre  offenen  und  geheimen  Kräfte  und 
wieder  sitze  ich  vor  der  Carmenpartitur  und  kann  nichts  erklären,  was  da 
so  alles  überstrahlt,  als  die  göttliche  Eingebung,  und  schreibe  diese  Phrase 
hin  und  weiß,  daß,  wenn  ich  sie  beweisen  wollte,  sie  nur  eine  Phrase  bliebe. 

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Bizct.  Radierung  von  Bumey 


Aber  es  gibt  keinen  Menschen  mehr 
auf  beiden  Hälften  der  Erde,  der 
nicht  mit  dieser  Musik  lebte.  Es 
gibt  feinere  und  es  gibt  größere 
Opern  als  diese,  aber  keine,  die  nur 
dies  eine  so  allein  hätte:  das  Ge- 
fühl für  Musik,  diese  himmlische 
Kunst,  die  in  der  Kombination  von 
ein  paar  Tönen  und  Takten  das 
letzte,  was  uns  schmerzt  und  was 
uns  freut,  zu  einem  Naturgebilde 
zurückformt. 

Wie  er  es  erreicht,  ich  weiß  es 
nicht.  Ich  lasse  den  ganzen  Text 
von  diesem  wilden  Weibe,  dem 
Muttersöhnchen  und  dem  Stier- 
dandy beiseite,  er  macht  es  nicht, 
sicherlich  nicht,  er  ist  nur  so 
da,  als  dramatische  Unterlage  und 

könnte  ebensogut  ganz  anders  sein.  Er  paßt  oft  gar  nicht  und  gibt  nur  so 
allgemeine  Hinweise : der  erste  Chor  steigt  wie  gegen  diesen  Text  entzückend 
chromatisch  auf,  die  Straßenjungen  locken  geniale  Kontrapunkte,  die  Ziga- 
rettenarbeiterinnen wiegen  sich  auf  den  kultiviertesten  Harmonien,  die  Ha- 
banera stürzt  sich  chromatisch  herunter  und  tänzelt  sinnlos  textlich,  musi- 
kalisch übersinnlich  fort,  das  Liebmutterduett  zwischen  Jose  und  Micaela 
wird  ein  Rausch  in  lyrischer  Melodik,  der  scharfe  Streitchor,  die  national- 
farbige Seguidilla,  das  Tempo  der  exotischen  Zigeunereicn,  der  aufregende 
Boleromarsch  Escamillos,  die  ironischen  Nonen  des  schwirrenden  Schmugg- 
lerquintetts, der  frei  schwingende  Gesang  Joses,  Carmens  Tanz  mit  den  ein- 
gesetzten Appelltrompeten,  die  Arie  Joses  schwelgerisch  ausatmend,  das  ko- 
chende Licbesduett,  quälend,  hinsinkend,  das  Finale  als  seine  Steigerung  — 
ja,  es  mag  die  Situation  wiedergeben,  es  mag  die  Charaktere  zeichnen,  aber 
mehr  als  alles  das  ist  es  eine  wundervolle  Eitelkeit  der  Musik,  die  sich  an  sich 
aufregt,  über  die  Szene  weg,  jene  schönste  und  seligste  Eitelkeit,  die  aus 
Mädchenaugen  blickt,  aus  dem  Männerschritt,  aus  der  Lust  an  Verführung, 
dem  Bewußtsein  der  Macht,  aus  der  Liebe  zum  Schicksal,  Abenteuer,  Tod, 
aus  allen  großen  Dingen,  die  das  Geheimnis  und  die  Kraft  des  Lebens  ent- 
hüllen. Dieses  liegt  in  den  Tönen  und  es  ist  mehr  als  irgendein  Drama. 
Es  ist  der  ungeheure  Fall,  daß  die  Fülle  und  der  Reichtum  einer  Musik,  die 


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die  Instinkte  des  Lebens  wachruft  und  zum  Rausche  führt,  sich  ihr  Drama 
schaffen,  ein  Greifbares  in  der  Begeisterung  ihres  Seelenflugs.  Soll  man  die 
melodischen  und  rhythmischen  Nuancen  des  Carmenmotivs  anmerken  ? Die 
verschiedene  Harmonisation  der  Escamilloaric  erklären  ? Ihren  seltsamen  me- 
lodischen Reiz  tonal  beschreiben  i Die  Tonalität  des  Josegesanges  ? Die 
Schlußakkorde  seiner  Arie  ? In  dieser  Arie  die  Vielgliedrigkeit  des  Orchesters  ? 
Den  Harfenglanz,  die  Flötenfarben,  Streicherteilungen,  Blechperioden  dieses 
Orchesters  ? Die  Chromatik,  die  mit  der  Dur-  und  Mollterz  operiert,  in  der 
Modulation  den  Halbton  wieder  überspringt,  innerhalb  ihres  Systems  dia- 
tonisch fortschreitet,  harmonisch  sich  dehnt  und  zieht,  mit  dem  Orgelpunkt 
sich  kompensiert,  die  melodische  Konstruktion  beeinflußt  ? Man  erklärt  da- 
mit nicht  die  seelischen  Visionen,  die  uns  im  Rauche  dieses  Liebesduetts 
aufsteigen,  oder  in  der  Verführung  der  Habanera,  in  dem  Mutwillen  der 
Straßenjungen,  im  Stolz  des  Escamilloliedes,  im  Sange,  der  unbegleitet  in 
die  freie  Luft  strömt,  und  im  Tanze,  der  mit  den  Trompeten  kämpft.  Das 
sind  Lebensinhalte  der  Musik  geworden,  unverwüstlich  durch  die  Stile  und 
Zeiten. 

Ich  will  so  von  der  Carmen  sprechen,  gerade  weil  sie  dem  blöden  Blick 
leicht  nur  als  Oper  erscheint.  Ich  will  ein  wenig  davon  geben,  was  Musik 
sein  kann,  Musik,  wo  sie  auch  hinfällt,  selbst  in  eine  Oper.  Der  blöde  Blick 
findet  im  dritten  Akt  genug  Anhaltspunkte.  Die  zweite  Hälfte  ist  Klasse 
Gounod.  Es  zeigt  die  Herkunft  und  gibt  die  Folie  für  diesen  seltsamen 
Rhythmiker,  Melodiker,  Harmoniker.  Die  Schmugglerrhythmen,  das  Kar- 
tenterzett, Carmens  Todeslied,  der  launige  Spottchor  und  Abzug  umreißen 
die  andere  Heimat:  das  Buffotum,  das  Bizet  den  tänzerischen  Impuls  gab, 
der  ihn  weit  über  alle  Aubers  hinausführte.  Er  ist  wirksam,  wenn  er  drama- 
tisch ist,  am  Schlüsse  der  beiden  letzten  Akte,  aber  er  ist  göttlich,  wenn  er 
tanzt  und  singt.  Er  ist  ein  tüchtiger  Charakteristiken  aber  er  ist  ein  begna- 
deter Erfinder.  Symphonien  macht  er  mäßig,  aber  kleine  Zwischenspiele 
wundervoll.  Das  ist  die  Analyse  — aber  was  ist  sic  ? Das  Motiv  der  antreten- 
den Stierkämpfer  ist  unsterblich,  es  hat  mir  noch  jede  Unlust  besiegt,  so- 
oft ich  es  anschlage.  Eine  Wonne  ist  das  kurze  lyrische  Duett  Carmens  und 
Escamillos  — ich  denke  an  irgend  etwas  Gutes,  stille  Abende  im  Mondschein 
zu  Lovrana  am  Strande  — da  weckt  mich  der  grausame  Schluß.  Doch  jede 
Stelle  im  Leben,  und  auch  diese,  ist  mit  einer  Musik  aus  Carmen  besetzt, 
jede  Stelle,  die  gar  nichts  mehr  mit  Jose  und  Micaela  und  der  Mutter  und 
dem  Leutnant  zu  tun  hat.  Immer  hat  sich  ein  Stück  unserer  Erlebnisse  an 
ein  Stück  Carmen  gehängt.  Carmen  wurde  das  Buch  des  Lebens  im  höch- 
sten Sinne  des  Tanzes.  Das  ist  das  dionysische  Wunder. 

354 


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Ich  bin  meinem  Thema  entwachsen.  Ich  wollte  Carmen  als  die  Oper 
der  exotisierenden,  farbigen  Musik  schildern,  die  Nationalelcmente  aufnimmt 
und  verarbeitet.  Sie  hat  soviel  mehr  Elemente  aufgenommen.  Soviel  wei- 
ter wuchs  dieses  Werk  aus  der  Tragödie  lyrique  heraus. 


östliches 

DIE  westlichen  Meister,  wenn  sie  nationale  Farben  der  Oper  auflegten, 
nahmen  oder  erfanden  sie  im  Geschmack  der  südlichen  oder  der  nor- 
dischen Völker  oder  der  ganz  orientalischen.  Das  östliche  Europa  überspran- 
gen sie,  slawische  Annäherungen  finden  sich  nicht.  Die  Rache  der  Slawen 
dafür  war  groß,  aber  ihre  Verlegenheit  vielleicht  noch  größer.  Ihre  Meister 
fanden  einen  Reichtum  an  musikalischen  Fähigkeiten  in  ihrem  Volke,  den 
sie  unbedingt  der  Oper  nutzbar  machen  wollten,  aber  diese  Musik  hatte  so 
gar  keine  ursprünglichen  Operneigenschaften,  daß  sie  ohne  Formanleihen 
bei  dem  Westen  nicht  auskamen.  Italien  hatte  den  Sinn  für  Virtuosität; 
Frankreich  für  die  Szene,  Deutschland  für  die  Lyrik,  die  Slawen  hatten 
Lieder,  Tänze,  Rhythmen  — was  war  davon  auf  die  Bühne  zu  stellen? 
Aber  sie  waren  so  schön  und  eigen,  diese  Lieder  und  Tänze,  daß  man 
alles  tun  wollte,  auch  ihre  Extensität  zu  erproben,  wie  Chopin  ihre  In- 
tensität, ihre  intime  Stärke  erprobt  und  durchgesetzt  hatte.  Und  das 
Gefühl  dieser  gedrückten  Nation  war  so  reich  und  wundervoll  traurig, 
daß  man  dem  Volke  helfen  zu  können  meinte,  wenn  man  es  als  musika- 
lisches Drama  monumentalisierte  und  zum  öffentlichen  Bewußtsein  brachte. 
Aus  einem  nationalen  Bedürfnis  entstand  die  Oper  des  östlichen  Europa, 
und  ihre  Landesfarben  sind  kein  preziöser  Schmuck,  wie  bei  den  Werken 
des  Westens,  sondern  Seele  und  Stolz,  ein  Seufzer  gegen  die  Kultur,  der 
man  doch  unterworfen  ist.  Manche  dieser  Werke  gehen  in  dem  Zwie- 
spalt zum  Westen  unter,  manche  haben  durch  das  große  Geschick  ihrer 
Meister  eine  annähernd  nationale  Form  gefunden,  nur  wenige  sind  über 
ihre  Heimat  hinausgekommen.  Ein  geheimer  Wunsch  zieht  uns  zu  ihnen, 
wie  in  einer  stillen  Schadenfreude  gegen  die  Herrschsucht  ] der  europä- 
ischen Oper  und  in  einem  uneingestandenen  Mitgefühl  für  diese  selt- 
sam weichen  oder  lässig  ritterlichen  Klänge,  die  in  dem  Versuch,  die  Welt 
zu  gewinnen,  das  Schicksal  ihrer  Nationen  erfahren. 


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Ungarn 

ES  sind  wesentlich  die  Slawen.  Denn  was  die  alte  ungarische  Oper  leistete, 
war  nicht  Musik  der  Magyaren,  sondern  Zigeunermusik,  die  in  einem 
dunkeln  Zusammenhänge  zu  dem  Slawischen  steht.  Der  Nationalheros  der 
ungarischen  Oper  ist  Erkel,  seine  beiden  Hauptwerke  Hunyady  Laszlo  und 
Bank  Ban,  1844  und  1861.  Bei  der  ersten  Oper  ist  er  noch  stark  im  Bann 
des  Italienischen,  in  dessen  Formen  und  Linien  das  Ungarische  wie  eingesetzt 
ist,  eine  dumme  Intrigengeschichte,  die  volksmäßig  wirksam  gemacht  wird. 
Bei  der  zweiten  Oper  ist  das  Italienische  zwar  nicht  überwunden  und  Ottos 
Arien  „Holdes  Wesen“  oder  „Melinda,  wärst  du  mein“  könnten  zu  den  schön- 
sten Erzeugnissen  Donizettis,  sogar Verdis  rechnen,  aber  das  System  derOpern- 
stilisierung  ungarischer  Musik  ist  viel  klüger  und  künstlerischer  durchgeführt, 
und  der  populäre  Text,  das  Strafgericht  Banks  am  Verderben  Ungarns  in 
der  Trauer  um  die  eigene  Liebe,  gibt  viel  nationalere  Möglichkeiten.  In 
Hunyady  Laszlo  war  das  Ungarische  in  gar  zu  beschränkter  Verwendung, 
Rache,  Liebe,  Einsamkeit,  alles  auf  Tschardasrhythmen  und  überhaupt  zu  viel 
binärer  Takt,  wie  ihn  die  ungarische  Melodie  mit  sich  bringt.  In  Bank  Ban 
sind  die  Opernqualitäten  des  Ungarischen  bis  aufs  letzte  erschöpft,  und  es 
ist  ein  gutes  Stück  Musik  geworden,  naiv,  ehrlich  und  voll  von  hinreißender 
Melodik.  Viel  hilft  ja  diese  Musik  an  sich  schon.  Die  Synkope  — welches 
dankbare  Mittel  für  jede  Erregung  oder  auch  für  die  große  Feierlichkeit  in 
drei  scharfen  Schlägen  (die  Königsbegrüßung  in  Hunyady  Laszlo).  Das  Rhap- 
sodische, die  Koloratur,  die  Verzierung,  die  punktierte  Kette,  die  Stretta, 
das  alles  liegt  im  Ungarischen  und  gibt  doch  bequeme  Beziehungen  zu  Ita- 
lien. Dreitaktperioden  in  der  unsymmetrischen  Manier  der  Zigeuner  setzen 
sich  bizarr  ab.  Die  Sprache  der  Magyaren  ist  schwer,  aber  der  Takt  der  Zi- 
geuner erleichtert  sie  sofort.  Die  Tanzgelcgenheit  ist  groß  und  der  unum- 
gängliche Tschardas  steht  in  der  Mitte  jedes  Balletts,  das  in  der  Mitte  jeder 
Oper  steht.  Dann  brechen  die  Körper  aus,  die  in  diesen  naiven  Stücken  so 
puppentraurig  hin-  und  hergeschoben  werden.  Bank  Ban,  wenn  es  an  etwas 
leidet,  leidet  am  Übermaß  der  kindlich  gereimten  Dialoge,  einer  volksmäßigen 
balladcskcn  Epik,  die  sich  plötzlich  auf  die  Bühne  gestellt  sieht.  Es  ist  zeit- 
weise die  reine  Liedmacherei.  Aber  man  muß  es,  wenn  es  nicht  zuviel  wird, 
unbefangen  nehmen,  wie  primitive  Bilder.  Dann  berührt  es  sich  mit  dem 
Buffotum  und  die  Puppe  wird  Stil.  Die  Szene  zwischen  Bank  und  dem 
Bauern  hat  diesen  eigentümlichen  Chansonton,  Klagen,  die  ihren  Refrain 
kennen,  Liedchen  des  Elends,  die  in  keuscher  Einfalt  gebetet  werden.  Mit 
solcher  balladesken  Stilisierung  findet  sich  Erkel  oft  sehr  glücklich  heraus, 

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er  verfestigt  das  Drama  in  eine  volksmäßige  Szene,  braucht  die  alten  Formen 
und  darf  doch  die  Musik  ganz  im  nationalen  Charakter  halten.  Am  merk- 
würdigsten ist  das  erste  Finale,  ein  großes  Ensemble  in  sehr  feinem  Satz  aus 
ungarischen  Motiven  leidenschaftlich  entwickelt,  und  die  Szene  Banks  mit 
Melinda,  die  rhapsodisch  klagt,  mit  Viola  d’amour  und  Zimbal,  so  stark  und 
schön  in  allen  Folgen  des  Duetts  aus  dem  Stoff  der  ungarischen  Musik  er- 
funden und  gestaltet,  daß  man  sie  zu  den  eigenartigsten  und  glücklichsten 
Stücken  der  nationalen  Oper  überhaupt  wird  zu  zählen  haben. 


Tschechen 

DIE  ungarische  Musik  hat  den  Vorteil  aller  Dimensionen  des  Tempera- 
ments, von  der  weichen,  schwimmenden,  taktlosen  Rhapsodie  auf  glit- 
zernden Harfenakkorden  bis  zur  synkopischen  kurz  gebundenen  Tanzmelo- 
die, die  aus  einem  leidenschaftlichen  Wirbel  um  sich  selbst  in  die  federnde 
Kadenz  herabsinkt.  Der  slawischen  Musik,  im  besonderen  Sinne,  fehlt  dieser 
Glanz  und  Aufschwung,  aber  sie  sitzt  dafür  in  einer  tieferen  Region  des 
inneren  Menschen.  Das  Ungarische  ist  wie  ein  Tanz  der  Ballade,  das  Sla- 
wische wie  eine  Ballade  auch  im  Tanze.  Das  Ungarische  ist  absoluter,  instru- 
mentaler, das  Slawische  gesungener,  beseelter.  Die  Rhapsodie  der  Zigeuner 
wird  nur  künstlich  gesungen,  das  slawische  Lied  verinnerlicht  auch  ihren  Tanz. 
Der  epischen  Vielfältigkeit  des  Ungarn  setzt  der  Slawe  seine  lyrische  Ver- 
tiefung entgegen.  Und  er  hofft,  dadurch  erfolgreicher  zum  Drama  zu  ge- 
langen. Er  hat  seine  schweren  alten  Lieder  und  er  hat  seine  bunten  wech- 
selnden Tänze  und  er  hat  die  tiefe  Traurigkeit  und  den  Rhythmus,  wieder 
den  Rhythmus  — wie  wird  er  es  anstellen  ? 

Unter  den  Tschechen  erreichte  es  allein  Smetana.  Man  bedauert,  daß 
er  keine  bedeutenderen  Librettisten  gefunden  habe,  um  seine  letzten  musi- 
kalischen Fähigkeiten  zeigen  zu  können.  Aber  ich  fürchte,  er  hätte  sich  ver- 
loren, w'enn  er  sich  zu  steigern  gehabt  hätte.  Das  war  ein  guter,  reiner  Mu- 
siker, in  dessen  Werken  keine  Spur  der  geistigen  Störung  zu  finden  ist,  die 
ihn  erwartete.  Eine  gesunde  Kunst,  wo  sie  naiv  bleibt  und  sich  nicht  um 
Probleme  schert.  In  seiner  Libussa  versuchte  er  Feierlichkeiten,  die  alte 
Prager  Sage  der  prophetischen  Richterin,  Hochzeiterin  und  Gründerin  klei- 
det er  in  üppige  Musik,  tschechische  Motive  werden  in  europäische  Ekstase 
gebracht,  jedenfalls  sein  mächtigstes  Werk,  und  viel  Schönes  im  zweiten  Akt 
— aber  die  Verkaufte  Braut  ist  echter.  Der  „Kuß“  (seine  populärste  Oper 
zu  Hause)  hat  reizende  Einzelheiten,  „Dalibor“  leidet  an  seinen  Vorbildern, 

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das  „Geheimnis“  findet  sich  zwi- 
schen den  Stilen  nicht  zurecht  — 
die  Verkaufte  Braut  ist  ein  Mei- 
sterwerk. Deswegen  eilte  Smetana 
aus  Gotenburg,  wo  er  eine  dumme 
Stellung  hatte,  zurück  nach  Prag, 
weil  so  etwas  in  ihm  lebte.  Darin 
machte  er  sich  ganz  frei  von  der 
Protektion  Liszts,  die  ja  sehr  nütz- 
lich, aber  doch  auch  sehr  gefährlich 
war.  Darum,  nach  dem  Erfolg  der 
Verkauften  Braut  im  Jahre  1866, 
wurde  er  der  Kapellmeister  an  der 
tschechischen  Oper,  die  heut  noch 
ein  Denkmal  dieses  tief  musika- 
lischen Stammes  ist.  Ich  kenne 
diese  fünf  Opern  von  ihm,  nichts 
reicht  an  die  Verkaufte  Braut.  Den 
Menschen  Smetana  lieben  wir  um  sein  Quartett  „Aus  meinem  Leben“.  Aber 
wegen  dieser  Oper  müssen  wir  die  Tschechen  um  Entschuldigung  bitten: 
sie  haben  politisch  nichts  annähernd  so  Gutes  geschaffen. 

Hier  ist  nichts  von  einem  falschen  Pathos,  das  sich  an  der  neudeutschen 
Schule  ansteckt,  hier  ist  Natürlichkeit,  Schlichtheit,  Stilreinheit  und  sogar 
eine  große  Kunst,  aus  dem  Nationalen  das  Opernhafte  zu  bilden,  nicht  sehr 
dramatisch,  aber  cs  war  auch  nicht  nötig  bei  einem  so  einfachen  Stoffe,  daß 
einer  unter  falschem  Namen  seine  Braut  an  sich  selber  unter  richtigem  Namen 
verkauft.  Was  ist  von  der  europäischen  Oper  darin  geblieben?  Die  Ouver- 
türe, ein  Prachtstück,  treibt  aus  einer  fugierten  Welt  in  das  Volkslied  hinein. 
Das  eine  Terzett  mit  dem  Heiratsvermittler  Kezal  „alles  ist  so  gut  wie  rich- 
tig“ steht  ungefähr  auf  dem  Buffostandpunkt.  Das  zweite  hat  so  etwas  wie 
eine  schumannsche  verschlungene  Figur,  in  die  sich,  da  sie  nicht  ganz  zur 
Situation  paßt,  die  Mitglieder  hineinbuffen  müssen.  Hans  allein  — wird 
konventioneller.  Der  Typ  stotternder  Wenzel  ist  Schablone.  Der  Trink- 
chor ist  so  gut  wie  irgendein  anderer.  Zum  Schluß  reicht  die  nationale 
Art  nicht  ganz.  Ein  Polkaduett  beim  Wiedersehen  ist  eben  zu  wenig.  Schluß 
verlangt  Pathos,  es  müßte  gar  kein  Schluß  sein.  Es  wird  ja  sonst  auch  hier 
nicht  viel  Oper  gemacht,  und  wenn  Marie  sich  vom  Quartett  und  Sextett 
so  schön  abhebt,  ist  es  schon  genug  der  Herausstellung.  Lied  und  Tanz  ma- 
chen das  übrige.  Welche  Volksfrische  in  diesem  Frühlingschor,  der  ein  wenig 

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wienerisch  eingerahmt  und 
ein  wenig  nachdenklich  moll- 
durchzogen ist.  Wie  sinnig 
die  Refrains,  dieses  seelische 
Echo  von  Mariens  Arie.  Wie 
zart  moduliert  ihr  Duett  mit 
Hans,  ein  Duett  als  Volks- 
lied und  in  der  motivischen 
B-Dur-Stelle  so  einfach,  gol- 
den, echt  und  alt,  daß  alles 
Pathos  davor  hinsinkt.  Das 
Quartett  wird  von  Tanz- 
melodien gehalten,  als  sei  es 
schon  Legende  geworden. 

Das  Duett  Mariens  mit 
Wenzel,  von  einer  süßen 
Melodie  eingeleitet,  versinkt 
in  das  launische  Spiel  der 
Tonika  und  Dominante,  die 
aus  elementaren  Volkstiefen 
aufsteigen.  Kezal  macht  sei- 
ne Anträge  an  Hans  in  drei 
verschiedenen  Tanzrhythmen,  einer  feiner  als  der  andere,  als  sängen  sie  längst 
gesungene  Balladen  zusammen:  Weiß  ich  doch  eine  — weiß  er  doch  eine! 
Und  das  Finale  bewegt  sich  in  einer  reizenden  wandernden  Schlußfigur,  sie 
wandert  über  die  Erde  und  wandert,  alles  zu  einem  guten  Ende  zu  kriegen, 
auf  alle  Schande  gar  lustig,  und  Chorvolksweisen  gehen  in  die  Begleitung 
über,  zum  Liede  wird  das  Erlebnis.  Das  wundervolle  Sextett  hebt  sich  her- 
auf wie  uraltes  Klingen  dämmernder,  weinender  Weisen  — was  träumen 
wir  von  heimatlichen  Erinnerungen,  Großmuttermärchen,  Kinderspiel  und 
Rauschen  des  Waldes,  wenn  die  jungen  Blätter  den  ersten  Wind  fühlen? 
In  einem  Wasserspiegel  sahen  wir  den  abendlichen  Himmel.  Dazwischen 
aber  ist  Erde,  und  Erde  ist  Bühne,  und  Bühne  will  Sinnlichkeit.  Esmeralda, 
singe  deine  Polka.  Und  ihr  Tänzer  alle,  tanzt  unsere  heimatlichen  Tänze, 
in  denen  Schicksale  und  Opern  stecken,  soviel  ihr  wollt.  Die  große  Polka 
schwingt  sich  durch  die  Tonarten  mit  ihrem  schnippischen,  kurzen  Takt 
und  wiegt  sich  auf  dem  i,  2,  3,  vom  4 springend  zum  1,  2,  3,  von  heiter 
blauen  Diskanten  überzogen  und  so  vergnügt  und  schäkcrig  mit  den  kleinen 
braunen  Durchgangsnoten  der  Bässe.  Und  der  Furiant  stampft  sich  los,  drei 


Smetanas  Handschrift;  Verkaufte  Braut 


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Trochäen  auf  sechs  Viertel,  daß  es  nur  so  raucht,  aber  im  Mittelsatz 
wird  er  vornehm  und  läßt  sich  vom  eleganten  Walzer  belecken.  Da  kom- 
men die  Komödianten  und  schütten  ihre  Takte  aus,  bunt  wie  ihre 
Kleider.  Geschäftige  Sechszehntel  zwischen  harten  Schlägen.  Liedchen, 
wie  von  Schumann  verloren,  auf  ruhelosen  Achteln,  Trompeten,  die  zu 
vergeblichen  Schlachten  blasen,  Synkopen,  die  über  Zwei-Vicrtel-Strccken 
gleiten,  und  immer  wieder  anheben  und  wieder  gleiten  und  die  Füße 
schleifen  und  die  Arme  heben  und  die  Arme  wieder  senken  und  wie- 
der gleiten  — ach,  wieviel  Wahrheit  ist  in  dieser  Komödie.  Braucht  man 
so  große  Gebärden  ? Marie  rückt  das  Köpfchen  nach  hinten,  Hans  schlägt 
sich  auf  die  Schenkel,  der  Kuppler  rennt  in  sein  altes  Buffoquartier  zu- 
rück, und  wir  wissen:  wenn  man  etwas  nur  so  sagt,  wie  es  ist,  und  es  hat 
eine  schöne  Melodie  und  einen  guten  Takt,  so  ist  in  dieser  Komödie  das 
ganze  bißchen  Leben,  so  wie  es  wirklich  ist,  wie  es  im  Grunde  allgemein 
ist,  böhmische,  spanische,  schottische  Komödie  — denn  Lied  und  Tanz 
sind  alles,  das  Lied  für  das  Insichgchn,  der  Tanz  für  das  Aussichgehn.  Wie 
aber  kommt  es  nur,  daß  ich  bei  der  Musik  der  Verkauften  Braut  Entzük- 
kungen,  Ausgleichungen,  inneres  Leuchten  habe,  wie  nur  noch  vor  der 
Landschaft  ? Hier  ist  nicht  bloß  Musik  Natur  geworden,  auch  Natur  Musik 
geblieben. 

Von  der  rechten  musikalischen  Deklamation  stammt  das  eigentlich  Na- 
tionale, vom  Gefühl  für  den  Rhythmus  der  Sprache,  sagt  man.  Ich  kann  das 
bei  fremden  Sprachen  nicht  kontrollieren.  Smetana  selbst  soll  erst  spät  dazu 
gelangt  sein.  Ich  sehe  einen  rein  musikalischen  Rhythmus  bei  ihnen  allen, 
der  sicherlich  den  Ausschlag  gibt.  Die  Terzenschleifen,  die  betonten  leich- 
ten Taktteile,  die  konsequente  Wiederholung  von  Phrasen,  die  mannigfachen 
Achtelteilungen  innerhalb  der  Dreiviertel,  die  schwerhängenden  Punktie- 
rungen, die  Synkopenfedern,  alles  das  scheint  so  herrschsüchtig,  daß  es  sicher- 
lich die  Sprache  zwängt.  Aber  es  ist  eine  eigene  Notenschrift,  die  man  wie 
ein  musikalisches  Geständnis  abliest,  selbst  ohne  ein  Wort  des  Textes  zu  ver- 
stehen, ein  eigener  mystischer  Reiz,  diese  Musiksprache  zu  verfolgen  unter 
einem  Drama,  dessen  Worte  nur  Klang  bleiben.  Und  selten  fühlt  man  den 
Befehl  der  Sprache  selbst,  des  Untermusikalischen  in  der  Sprache.  In 
Dvoraks  und  Fibichs  schwärmerischen,  undramatischen  Opern  gewinnt 
das  allgemeine  europäische  Idiom  die  Oberhand.  Dvoraks  voramerikanische 
Opern  haben  noch  etwas  nationales  Gewissen.  Fibich  irrte  lange  im  Me- 
lodram umher  und  schrieb  eine  überzeugte  Pelops-Trilogie  in  dieser  Gat- 
tung. Seine  Hedy  (nach  Byron),  eine  Mischung  von  Tristan,  Walküre 
und  französischer  Räuberromantik,  trieft  von  jener  Emphase  und  Weich- 

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lichkeit,  die  die  tschechische  Violine  sich  so  leicht  angewöhnt.  Sein  „Fall 
Arkonas“,  der  Kampf  der  Heiden  und  Christen  um  unser  Rügen  ist  musi- 
kalisch reiner  und  edler,  aber  bleich  wie  der  Mond,  geborgtes  Licht. 
Von  Tschechentum  ist  darin  nur  die  Fähigkeit  der  Assimilation  zu  spüren. 
Der  ausländische  Stoff  verauslandet  die  Musik  erst  recht. 


Polen 

MONIUSZKOS  nationale  Oper  Polens,  die  Halka,  1847,  gibt  wieder  ein 
sympathischeres  Bild.  Es  ist  die  einfache  Geschichte  einer  verlassenen 
Geliebten,  die  sich  das  Leben  nimmt.  Der  Stil  der  opera  comique  war  das 
rechte  Muster.  Die  italienischen  Elemente  sind  vorhanden,  aber  sie  sind 
natürlich  und  gut.  Über  dem  Finale  senkt  sich  eine  eindrucksvoll  gewellte 
Figur  herunter,  die  trefflich  verarbeitet  ist.  Die  katholischen  Enklaven  sind 
von  kindlicher  Frömmigkeit.  Der  polnische  Rhythmus  und  das  polnische 
Lied  beherrschen  die  wesentlichen  Strecken  und  gestalten  auch  szenische 
Begleitungen,  motivische  Milieus.  Die  Verlassenheit  der  Halka  gibt  die 
Gelegenheiten  zu  schöner  Klage  und  die  Hochzeit  ihres  Geliebten  mit 
einer  anderen  zu  schönen  Festen.  Klage  und  Fest  sind  die  beiden  Far- 
ben Polens.  Der  Chor  mit  der  verstoßenen  Halka,  diese  Lieder,  diese  Re- 
signationen sind  von  ergreifender  Stimmung.  Der  Palast  hat  seine  pracht- 
vollen Masurkas  und  Polonäsen.  Masurka,  Polonäse,  Varsoviennc,  Krako- 
wiak geben  zahlreiche  Varianten  des  binären  und  ternären  Taktes.  Der 
große  Tanzchor  der  Bergbewohner  ist  ein  sehr  temperamentvolles  Stück 
Nationalmusik.  Das  Drama  selbst  wird  in  einigen,  fast  veristischen  Schlä- 
gen akzentuiert  und  die  Mischung  des  Heimatlichen  und  des  Szenischen 
scheint  glücklich  gelungen.  Es  bleibt  ein  Gefühl  musikgewordener  Sehn- 
sucht und  Wehmut,  in  der  ein  Durakkord  überrascht,  wie  ein  plötzliches 
Lächeln  auf  einem  melancholischen  Antlitz.  Ja,  diese  gute  Musik  hilft 
so  sehr,  daß  sie  die  Trauer  einer  Nation  unsterblich  macht. 


Russen 

DIE  östlichste  der  slawischen  Opern,  die  russische,  hat  sich  am  interessan- 
testen gestaltet.  Sie  hatte  die  größte  Spannkraft,  durch  ihre  Beziehungen 
und  wiederum  durch  ihre  Isolierung  gegenüber  Europa,  sie  hatte  das  Glück, 
die  verschiedensten  künstlerischen  Begabungen  in  ihren  Autoren  zu  finden, 

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und  ein  unermeßliches  Feld  reicher  musikalischer  Instinkte  im  Volke  selbst. 
Sie  bedeutet  ein  ganz  merkwürdiges  und  besonderes  Kapitel,  vielleicht  das 
aparteste  Kapitel  in  dem  großen  Opernroman.  In  der  Nachahmung  West- 
europas wächst  sie  auf,  wie  die  mssische  Literatur,  der  sie  in  der  Nationali- 
sierung nachfolgt,  und  die  russische  Malerei,  der  sie  darin  sogar  vorangeht. 
Die  befruchtenden  Ströme  kommen  von  Italien  und  Frankreich.  Paesiello, 
Cimarosa,  Boieldieu  musizieren  am  Petersburger  Hofe.  Der  Import  italieni- 
scher Opern  ist  kolossal.  Cavos,  der  Venezianer,  war  der  regsamste.  Er  be- 
kam in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  allmählich  die  ganze  kaiser- 
liche Musik  unter  sein  Regime,  stieg  bis  21  000  Rubel  Gehalt  und  schrieb 
sowohl  für  die  italienische,  als  die  französische,  als  die  russische  Truppe  Opern. 
Die  Einflüsse  Deutschlands  folgten.  Schumann  hat  alle  slawischen  Musiker 
stark  infizieren  müssen  und  Wagner  zog  mächtig  an.  Eine  anregende  Parallele 
entstand  in  Chopin,  dessen  geniale  Freiheit  das  Polentum  weit  übertraf  — 
wie  oft  erinnern  uns  diese  russischen  Opern,  am  Klavier  gespielt,  an  seine 
vergeistigte  slawische  Atmosphäre.  Der  Geist  der  russischen  Harmonie  und 
Deklamation  fand  dann  wieder  ein  Echo  in  der  Schule  Vincent  d’Indys  und 
eine  gewisse  kultivierte  Primitivität  verband  noch  einmal  beide  Nationen, 
in  Rußland  in  den  Intellekt  hinein  entwickelt,  in  Paris  von  ihm  herauf. 
Doch  sollen  die  Beziehungen  der  Musik  zum  Leben  nicht  zu  eng  genommen 
werden,  wohl  zum  privaten,  aber  nicht  zum  historischen.  Die  Oper  ist  im- 
mer fast  ein  Vergnügen,  die  Literatur  fast  eine  Notwendigkeit  zu  nennen. 
Der  Realismus,  der  die  französische  und  russische  Literatur,  auch  in  seiner 
Wirkung  auf  Zcntraleuropa  verbindet,  ist  nur  teilweise  in  der  Oper,  wie  nur 
teilweise  und  ganz  im  allgemeinen  das  gewaltige  Chaos  Dostojewskis,  die 
bewußte  Ethik  Tolstois,  die  mondäne  Stimmungsdichtheit  Turgenjews  in 
der  russischen  Oper  ist.  Denn  alles  ist  darin,  was  der  musikdramatische  Sinn 
verlangt.  Es  ist  ein  Reich  innerhalb  der  Weltoper,  in  dem  alle  deren  Pro- 
bleme, alle  deren  Wesensarten  experimentiert  und  dargestellt  werden,  in 
einer  wundervollen  Mannigfaltigkeit  und  bunten  Mischung,  wie  sie  aus  die- 
sen Konflikten  importierter  Stile,  heimatlicher  Träumerei  und  eines  Bar- 
barentums entstehen  mußte,  das  sich  der  Kultur,  die  es  bewundert,  wider- 
setzt. Alle  Zweifel  und  Entschlüsse,  Einseitigkeiten  und  Balancen,  die  die 
Schicksale  der  großen  Oper  begleiten,  kehren  hier  auf  einem  engen  Raume 
in  konzentrierter  Gestalt  und  schneller  Zeit  folge  wieder  und  geben  ein  Kom- 
pendium der  Oper  in  verkürzter  Fassung,  einen  ganzen  Inhalt  dieses  Buches 
im  Buche  selbst.  Die  Probleme  des  geschlossenen  Musikstücks  und  des  ehr- 
lichen Worts,  der  Realität  und  des  Märchens,  des  Erfindergeistes  und  der 
dramatischen  Wahrheit,  des  Europäischen  und  des  Nationalen,  des  Szenischen 

362 


und  des  Lyrischen,  der  Deklamation  und  des  klangschönen  Orchesters,  alles 
das  reiht  sich  hier  in  scharfen  Bildern  hart  aneinander.  Es  ist  ein  dunkel 
gefärbter  Spiegel  des  ganzen  Opernwesens,  in  der  Farbe  jener  russischen 
Musik,  die  einen  so  langen  Atem  hat,  die  niemals  von  der  Schwermut 
sich  ganz  befreit,  die  wohl  das  Groteske,  aber  weder  das  launig  Buffo- 
neske,  noch  das  tief  Humoristische  kennt,  wenn  sie  feierlich  wird,  an 
die  byzantinische  Kirche  erinnert,  der  europäischen  Fuge  eine  steinerne 
Homophonie  entgegenstellt,  die  Koloratur  seltsam  eingelegter  Figürchen 
liebt,  leiterfremde  Verschiebungen,  beharrende  Akkordschlüsse,  abnorme 
Rhythmen  und  eine  Melodie,  die  mit  leichtem  Ansatz  ausholt,  sich  in 
unendlichen  Repetitionen  gefällt,  in  ihrem  Gang  rührend  unbeholfen 
trottet  und  doch  die  ganze  Seele  des  Volks  umschließt. 


Glinka 

UNTER  den  Typen  der  russischen  Oper  wäre  der  erste  der  vorglinka- 
sche  Typ,  die  fremdstilige  Oper,  die  man  am  besten  in  Wcrstowskis 
„Askolds  Grab“  kennen  lernt:  seit  1835  eines  der  populärsten  Stücke  in  seiner 
Heimat.  Es  folgt  ungefähr  dem  Schema  der  opera  comique  mit  Melodram, 
hat  noch  strenge  Formen  und  nur  in  Chören  und  Liedern  einige  russische 
Farbe. 

Glinka,  der  Schöpfer  der  russischen  Nationaloper  (man  sah  in  jedem  neuen 
Experiment  immer  wieder  die  Nationaloper)  stellt  gleich  zwei  Typen  auf: 
im  „Leben  für  den  Zaren“  das  musikalische  Bild  des  Kleinbürgerlcbens 
auf  patriotischem  Horizont  und  in  „Ruslan  und  Ludmilla“  die  Märchen- 
oper mit  dekorativen  Reizen.  Jene  kam  1836  heraus,  diese  1842.  Es  ist  ein 
sonderbares  Ringen  in  dieser  Musik,  wie  in  Glinkas  Leben.  Das  russische 
Klima  bekommt  seiner  Gesundheit  nicht  und  er  reist  vielfach  nach  Italien, 
Spanien,  Paris  und  Berlin,  wo  er  die  Dehnsche  Schule  auf  sich  nimmt.  Seine 
Musik  macht  dieselben  Reisen,  aber  obwohl  sie  in  dem  Klima  Liszts, 
Berlioz’,  Bülows  sich  wohl  fühlt,  hat  sie  doch  den  russischen  Boden  nur 
wenig  und  ungern  vergessen  und  ist  dort  das  große  Losungswort  geworden, 
gleich  bedeutend  als  Weckruf  der  Nation  wie  als  Zeugnis  eines  der  geist- 
vollsten Künstler. 

Der  Text  zum  „Leben  des  Zaren“  ist  von  Baron  von  Rosen  mit  aller  Nai- 
vität gemacht,  deren  er  würdig  ist:  die  Geschichte  eines  Russen,  der  die 
Polen  irre  führt,  so  daß  sie  nicht  den  Zaren  töten,  wie  sie  wollen,  sondern 
ihn,  wie  er  weiß.  Den  dramatischen  Momenten  ist  Glinka  nicht  gewachsen, 

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denn  er  ist  eine  absolute,  oratorische  Natur,  der  die  stehende  Szene  liebt, 
aber  in  das  innere  Leben  der  Russen  wie  in  das  äußere  der  Polen  ist  er  mit 
seiner  prachtvollen  Musik  so  tief  hineingestiegen,  daß  er  bleibende  Werte 
schuf.  Gewiß  ist  der  Stil  noch  gemischt.  Der  vierte  Akt  beginnt  total  ita- 
lienisch, psalmodierende  Arien  schlagen  in  ein  südliches  Tempo  um,  alles 
begeisterte  Hochgehen  gewinnt  Neapler  Feuer,  plötzliche  rossinische  Inter- 
mezzi durchbrechen  russische  Linien.  Die  motivische  Arbeit,  besonders  da, 
wo  der  sterbende  Russe  in  seine  schönen  Monodien  die  Erinnerungen  des 
Lebens  flicht,  oder  die  Eleganz  ländlicher  Chöre,  auch  des  weichen  Hoch- 
zeitschors in  Fünfviertel,  weisen  auf  französische  Muster  hin.  Die  starke 
kanonische  Verwebung  in  vielen  Ensembles  ruft  die  deutsche  Schule  ins  Ge- 
dächtnis. Dennoch  ist  die  nationale  Farbe  vorherrschend:  genauer  gesagt 
zwei  nationale  Farben.  Die  feindlichen  Russen  und  Polen  sind  in  ihren  mu- 
sikalischen Charakteren  vollkommen  getrennt.  Die  Polen  haben  eine  freudig 
sinnliche  Polonäse  und  eine  vorhalthüpfende  Masurka,  motivisch  durch  das 
Stück  festgehaltcn,  die  zu  den  frischesten  Erfindungen  ihrer  Art  in  Opern 
gehören,  sie  haben  rassige  Tänze,  besonders  einen  genialen  schleifenden  Kra- 
kowiak, den  man  vom  Temperament  russischer  Tänzer  sehen  muß,  um  zu 
begreifen,  welche  nationale  Macht  hier  letzte  rhythmische  Ausbrüche  und 
Hingebungen  schafft.  Und  sie  haben  da,  wo  sie  in  der  berühmten  Szene 
des  verschneiten  Waldes  untergehen,  eine  andere  Masurka  von  so  herzlicher 
Trauer,  daß  sie  ihnen  Chopin  nicht  zarter  hätte  schreiben  können.  Die 
Russen  dagegen  versuchen  ihren  Anteil  an  der  Oper  aus  ostslawischen  Ele- 
menten zu  bilden,  die  sie  bis  zu  großen  Ensembles  durchführen.  Ihre  Re- 
zitative  sind  ungeschickt,  ihre  Lieder  rührend,  ihre  Ensembles  von  herrlicher 
Kunst.  Die  ersten  feierlichen  Chöre,  die  Psalmodicrendcs  mit  Volksliedhaf- 
tem und  Fugiertem  zu  einer  Einheit  binden,  scheinen  wie  alte  starre  Mosaike 
auf  Goldgrund  zu  stehen.  Die  Figurationen  der  Antonida  klingen  wie  Erbe 
und  Überlieferung  der  Dörfer,  eine  instinktive  Fassung  archaischer  musi- 
kalischer Werte  in  exotischen  Noten.  Das  langsame,  sich  vergrabende  B-Moll- 
Terzett  des  ersten  Aktes,  wie  ein  östlicher  Teppich  von  wiederkehrenden 
zauberhaften  Arabesken  durchzogen,  gehört  heute  noch,  auch  nach  dem  Mei- 
stersingerquintett, zu  den  tiefst  empfundenen  Ensemblestücken,  einer  der 
wundervollsten  Musiksätze  aller  Zeiten,  in  das  Blut  der  Rasse  getaucht.  Das 
Quartett  des  dritten  Akts,  zwischen  dem  Vater,  seinem  Kinderbrautpaar 
und  dem  Pflegesohn  Wanja,  auf  die  Folge  des  Liedes,  des  Gebets  und  der 
Tanzrhythmen  eingerichtet,  gibt  ein  Muster  der  nationalen  Szene,  die  vor 
unsern  Augen  und  Ohren  zur  dargestellten  Legende  zu  werden  scheint.  Die 
große  Ensembleklage  im  Epilog  ist  ein  wahres  Monument  von  Trauer,  aus 

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Glinka.  Nach  Repin 


Motiven  russischer  Bedrücktheit  klangvoll  und  harmonisch  ineinander  ge- 
baut. Das  sind  die  drei  schönsten  Ensembles.  Am  Ende  entspricht  der  Zaren- 
begrüßungschor dem  Psalm  des  Anfangs,  ohne  Konvention  aus  kirchlich  feier- 
lichen und  volksmäßig  repetierenden  Phrasen  gebildet.  Ob  auch  die  Finale- 
form aus  russischen  Motiven  gelungen  ist,  scheint  zweifelhafter,  sie  erfordert 
noch  immer  zuviel  Szene.  Ein  solches  Finale  ist  am  Schlüsse  des  dritten  Akts 
tastend  versucht,  rhythmisch  sehr  bemerkenswert.  Wo  die  Szene  feststeht, 
strömt  das  russische  Wesen  am  reinsten  aus.  Das  Lied  findet  dann  seinen 
Ton.  So  erzählt  Antonida  das  Fortgehen  des  Vaters  mit  den  Polen  nicht 
rezitativisch,  sondern  in  Balladenform  mit  Chorrefrain  — was  wir  eben 
noch  erlebten,  wird  ein  uralt  Gedicht.  Oder  vielmehr  es  war  das  uralt 
Gedicht,  aus  dem  diese  Oper  wurde.  Und  wo  das  Lied  ganz  opernlos 
steht,  bloßes  Spiel  des  Singens  in  heimatlicher  Erinnerung  und  Jugend, 
da  blüht  es  zu  unvergeßlicher  melodischer  Schönheit.  In  dem  jungen 
Wanja,  in  seinem  tiefen,  satten  Alt  liegt  die  Farbe  Rußlands.  Sein  Lied 
vom  toten  Vöglein,  mit  diesen  hängenden  Siebentaktperioden,  mit  diesem 

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Glinka,  Leben  für  den  Zaren.  Titelblatt 


hängenden,  sinnenden  Vokalisenrefrain,  so  süß  verweilend  und  verlockend, 
es  geht  nicht  aus  unserer  Liebe:  ein  russisches  Frauengesicht,  verdeckt 
sinnlich  und  gemütvoll  verstehend,  schwarze  tiefe  Haare  und  rehbraune 

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Glinka,  Kuslan  und  Ludmilla.  Titelblatt 


Augen,  von  zartem,  bleichem  Oval  und  verwirrendem  Spiel  der  Züge,  ein 
Vorstrecken  der  Wimpern,  ein  sehnsüchtiges  Profilbilden,  ein  leises  Lippen- 
ziehen, ein  entzücktes  Schließen  und  wieder  ein  weites  Öffnen  der  Pupillen, 


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Ahnungen  seliger  Stunden,  Blumen,  Kinderlieder,  Tanz  und  plötzlich  die 
Versteinerung. 

Ruslan  und  Ludmilla  ist  artistischer,  ungleicher,  lebensfremder.  Hier 
tritt  zum  erstenmal  die  Neigung  des  Russen  zu  abstrakten,  originellen  Musik- 
gcbilden  hervor,  aus  dem  oratorischen  Organ  erwachsen,  ins  Kunstgewerb- 
liche verfeinert.  Man  muß  schon  bei  dieser  Musik  an  die  zauberisch  linien- 
klingenden Dekorationen  denken,  die  die  Russen  zu  den  Palästen,  Nymphen, 
fliegenden  Zwergen,  Totenfeldern  und  Riesenköpfen  dieses  Märchens  erfun- 
den haben.  Es  ist  ein  Ncobyzantinismus  der  Kunst.  Puschkin,  der  ganze 
Strecken  der  russischen  Oper  mit  seinen  Stoffen  versah,  hätte  beinahe  das 
Libretto  für  Glinka  selbst  aus  seiner  Dichtung  zurechtgeschnitten,  er  starb 
darüber,  und  es  blieb  ein  Mosaik  unzusammenhängender  Szenen,  über  die 
der  Komponist  seine  Musik  schüttete.  Auch  hier  hat  er  noch  das  Bedürfnis, 
Arienentwicklungen  aus  dem  heimatlich  Rhapsodischen  in  italienische  Tempi 
zu  führen,  schöne  Emphasen  in  neuitalienischer  scharfer  Kurve  einzusetzen, 
überall  ein  wenig  südliche  Sonne  durch  die  Wolken  brechen  zu  lassen.  Aber 
er  deckt  es  gern  mit  Pariser  Luft.  Ratmiro  schläft  russisch  ein,  träumt  in 
einem  italienischen  W'alzer  von  schönen  Frauen  und  wird  französisch  von 
einem  Geisterballett  umduftet.  Ludmilla  in  ihrer  Gefangenschaft  klagt  ita- 
lienisch und  Geisterchöre  in  französischer  Lieblichkeit  mit  Pariser  Glocken- 
spielen umschweben  sie.  Viel  italienische  Rage,  viel  französische  Phrase,  viel 
schönes  trauerndes  Ritornell  und  sehr  viel  Barbarentum,  das  plötzlich  aller 
Kultur  mit  naturalistischen  Wahrheiten  ins  Gesicht  schlagen  will.  In  der 
Szene,  auch  in  den  Ensembles  ist  ein  rührendes  Ungeschick,  monotone  Rut- 
scher, auch  verlegene  Musikmacherei.  Alles  Malerische  aber  im  Orchester 
ist  verblüffend,  Ruslans  Kampf  mit  dem  Zwerg  von  einer  schneidenden 
Schärfe,  die  Schilderung  des  Totenfeldes  geheimnisvoll  grüblerisch,  die  Er- 
scheinung der  Zauberin  Naina  sehr  phantastisch  und  die  Tänze  von  einer 
ungeheuren  Rhythmik,  besonders  die  geniale,  sich  verschncllernde  Leszinska. 
Von  den  russischen  Motiven  muß  man  sagen,  daß  sie  in  der  Szene  oft  nicht 
überwunden  sind,  sie  sogar  stören.  Der  russische  Venusbergchor  bei  Naina 
gefällt  sich  im  typischen  Repetieren.  Ruslan  findet  sein  Siegesschwert,  mit 
dem  er  Ludmilla  befreien  wird,  in  dem  Riesenkopfe,  den  er  tötet:  der  Kopf 
singt  lebend  und  sterbend  eintönig  im  Chore.  Das  ist  Asiatentum  gegen  die 
körperliche  Mythologie  Siegfrieds.  Alles  Märchenhafte  ist  hier  in  eine  ab- 
strakte Primitivität  zurückversetzt,  nur  vom  Geiste  erdacht,  ohne  Vision  der 
epischen  Nachschöpfung.  Es  wird  lichter,  sobald  die  Möglichkeit  des  Liedes 
zugestanden  ist.  So  singt  der  Zauberer  Finn  seine  ganze  Selbstbiographie  in 
einer  feinen  nationalen  Ballade,  die  eine  Phrase  im  Laufe  der  Geschicke  um 

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sich  selbst  dreht.  Schöne  russische  Chöre  singen  um  die  gerettete  schlafende 
Ludmilla.  Ihr  Erwachen  ist  eine  große  Variation  auf  ein  russisches  Lied  im 
Ensemble.  In  den  Schlußtriumph  ist  ein  nachdenkliches  Rondo  eingelegt, 
das  das  charakteristische  B in  A-Moll  als  F-Dur  hat,  wie  so  viele  Melodic- 
eigenheiten  dieses  Stils  auf  der  Nichtachtung  der  üblichen  beiden  Tonge- 
schlechter und  der  Annäherung  an  die  ungebrochene  Skalenmystik  der  Kir- 
chentonarten beruhen.  So  war  auch  Ludmillas  Hochzeitsgesang  ein  originell 
geschnittener,  archaisch  stilisierter  Chor  gewesen,  mit  vorsingendem  Barden, 
den  das  Pianoforte  im  Orchester  unterstützt,  in  einem  starren  Spiel  um  B-Dur 
herum  aufjubelnd,  herb,  bitter,  streng,  wie  ein  russischer  Beethoven.  Die 
sonderbarste  Szene  ist  die  Entführung  Ludmillas  durch  die  bösen  Dämonen. 
Der  Chor  hat  in  dem  beliebten  Fünfvierteltakt  einen  unentwegt  repetie- 
renden Liebesrausch  gesungen,  da  wird  das  Mädchen  plötzlich  auf  wilde, 
enharmonische  Akkordbizarrerien  fortgerissen,  und  in  dem  Dunkel  entwickelt 
sich  ein  Ensemble,  auf  einem  ganz  weitgedehnten  Orgelpunkt  von  Es,  kano- 
nisch sich  aneinander  vergrößernd,  von  schrecklich  wahrer  Rhythmik  be- 
gleitet, in  eigentümlich  nachtvogelflatterndc  Flötenfiguren  auslaufend  — 
eines  der  apartesten  Stücke  der  romantischen  Oper  aller  Völker:  Gefühl  von 
Schicksalsmächten  auf  einem  Boden,  der  noch  die  Hölle  gesehen  hat. 


Seron' 

IST  Glinka  sowohl  in  seiner  Oper  der  Wirklichkeit  als  in  der  des  Märchens 
eine  ausgesprochen  absolut  musikalische  Begabung,  so  ist  Serow  gegen 
ihn  der  Dramatiker.  Er  steht  auf  der  einen  Seite  den  Wagnerschen  Prinzipien 
als  erster  in  Rußland  freundlich  gegenüber,  auf  der  anderen  befehdet  er  den 
bloßen  Geistreichtum  und  die  Impressionabilität  der  Jungrussen.  Gleich- 
wohl hat  bei  ihm  weder  das  Neudeutsche,  wie  bei  den  Tschechen,  die  Ur- 
sprünglichkeit der  Erfindung  verdorben,  noch  hat  er  die  russische  Sprache 
der  Musik  unterdrückt.  Seine  Hauptwerke  sind  aus  den  sechziger  Jahren  Judith 
und  Rogneda.  Judith,  wenn  man  es  europäisch  einrangieren  will,  steht  auf  der 
Linie  der  tragedie  lyrique,  im  Charakter  etwa  zwischen  Bizet  und  Saint  Saens : 
Tanzfarbe  und  Chorpathetik.  Eine  gewisse  Ungeschliffenheit  gehört  dem 
Russen  und  auch  dem  Autodidakten.  Die  Hebräer  sind  sakraler  gehalten, 
die  Assyrer  wilder,  aber  es  leuchtet  die  Passion  des  wirksamen  Dramas  überall 
auf.  Das  Asiatische  in  den  Chören  und  Tanzgesängen  der  Barbaren  hat  seine 
heimatliche  Rasse  bewahrt  gegenüber  der  mehr  europäischen  Arienmelodie. 
Der  motivische  Marsch,  der  Odaliskenwalzer,  die  Chöre  mit  persischen  Ori- 

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ginalweisen  sind  außerordentlich  koloristisch  und  künstlich  fein  verwebt. 
Rogneda  ist  einheitlicher  in  der  russischen  Haltung,  aber  blasser  in  der  Phan- 
tasie. Das  große  Ensemble  in  Siebenviertel,  die  glänzenden  wirbelnden 
Tänze,  die  rhythmisch  lebendigen  Lieder  haben  den  Russen  bis  heut  zu 
Herzen  gesprochen. 


Dargomyschski 

IN  Dargomyschski  sehen  die  Jungrussen  ihren  Vater.  Er  hatte  1855  eine 
populäre  Oper  Russalka  geschrieben,  etwa  slawischer  Marschner,  in  den 
alten  Formen,  reich  an  Ensembles,  sehr  russisch  in  der  rhapsodischen  Elegie 
und  den  rassigen  Tanztempi,  aber  nicht  sehr  erfindungsstark  und  nicht  im- 
mer sehr  nobel.  Als  er  1869  starb,  fand  man  fast  vollendet  das  Manuskript 
einer  Oper  Der  steinerne  Gast,  dessen  eine  Szene  Cui  fertig  machte  und 
die  Rimsky-Korssakow  instrumentierte.  Es  war  etwas  Nochniedagewesenes: 
das  Drama  Puschkins  war  wörtlich  untergelegt  und  die  Musik  illustrierend, 
die  Deklamation  rezitierend  gehalten.  Damals  nannte  man  es  wagnersch. 
Heut  wissen  wir,  daß  es  eher  vordebussysch  als  nachwagnersch  zu  nennen  ist. 
Welche  Fügung,  daß  gerade  an  einem  Stoffe,  der  in  einer  so  klassischen  Oper 
fortlebte,  die  Revolution  der  auf  Vernunft  und  Wahrheit  pochenden  neuen 
Oper  in  Rußland  geschah!  Don  Juan  kommt  inkognito  aus  der  Verbannung, 
tötet  bei  Donna  Laura  den  Liebhaber  Don  Carlos  und  unterwirft  sie,  er 
erkennt,  überredet,  gewinnt  Donna  Anna  wieder,  deren  Mann,  den  Komtur, 
er  einst  getötet  hat  (es  ist  besser,  daß  der  Komtur  nicht  ihr  Vater,  sondern 
ihr  Mann  war)  — er  lädt  die  Statue  des  Komturs  zu  seinem  Liebesabend 
mit  Donna  Anna  ein,  wo  sie  erscheint  und  ihn  in  die  Hölle  zieht.  Der  letzte, 
schwache  Akt  verführt  den  Komponisten  zu  einem  Pathos,  das  ihm  weniger 
liegt,  die  ersten  beiden  witzigen  Akte  lassen  seinen  Geist  spielen.  Denn  es 
ist  ganz  ein  Werk  des  Geistes,  des  kühlen  Geistes,  der  das  sinnliche  Drama 
der  übersinnlichen  Musik  vorzieht  und  in  deren  illustrativer  und  raffinierter 
Gestaltung  mehr  Anreiz  findet,  als  in  allem  Durchgehen  des  Gefühls.  Es 
gibt  keine  Ensembles,  nur  kleine  Chöre,  kaum  eine  Wiederholung  oder  Form- 
gliederung. Die  spanischen  Liedchen  der  Laura  erscheinen  fast  wie  eine  Kon- 
zession. Das  naturalistische  Leben  der  Phrase,  die  kleinen  Antworten  des 
Orchesters  auf  den  Gesang,  das  Fortspinnen  der  Motive  sind  die  einzigen 
Pflichten  der  Musik,  wie  aus  der  Miniaturkunst  des  Liedes  in  die  Oper  ge- 
nommen, und  sie  zerstören  rücksichtslos  die  gewohnten  Rubriken  der  Har- 
monien, Konsonanzen  und  Schlüsse.  Nur  in  lyrischer  Gehobenheit  stilisiert 
sich  die  Melodie  ein  wenig  nach  der  althergebrachten  Wirkung.  Das  System 

37° 


V 


der  Motive  ist  nicht  architektonisch,  sondern  malerisch.  Und  in  solchen  zeit- 
weisen Malereien  leistet  der  Geist  dieses  Autors,  der  wie  aus  einer  Erschlaf- 
fung der  Instinkte  zur  Methode  seiner  kleinen  Logik  kommt,  künstlerisch 
Wertvolleres,  als  man  seiner  Überlegung  Zutrauen  würde.  Donna  Anna  hat 
ein  Motiv  diatonischer  Akkorde,  der  steinerne  Gast  im  Gegensatz  dazu  Ska- 
len, aber  nicht  mozartsche  Tonleitern,  sondern  jene  Ganztonskalen,  die  die 
bewußte  Befreiung  der  russischen  Musik  von  dem  Tonalitäts-  und  Geschlech- 
terdogma darstellen  und  bis  heut  zu  Scriabine  ihre  prinzipielle  Bedeutung 
gewonnen  haben.  Auf  diesem  Ganztonmotiv  ist  im  zweiten  Akt  die  Statuen- 
szene sehr  geistreich  aufgebaut.  Der  ganze  zweite  Akt  ist  das  Muster  einer 
psychologisch  konstruierten  Musik,  die  sich  über  ihre  Entdeckungen  freut. 
Der  Monolog  Don  Juans  ist  von  einer  pikanten  Kleinmalerei,  seine  Szene 
mit  Donna  Anna  ist  eine  Kette  feinster  Illustrationen,  aus  denen  sein  Motiv 
„Wenn  ich  ein  Narr  war“  wie  ein  wiederkehrendes  Thema  vorspringt,  die 
Einladung  der  Statue  ist  verblüffend  wahr  im  musikalischen  Gesicht,  ein 
Nicken  und  ein  Drehen  und  sehr  interessant  der  verschiedene  Modus  in  Don 
Juans  und  in  Leporellos  Einladungsform.  Bildchen  auf  Bildchen  zieht  sich 
durch  das  leichte,  dem  Wort  gegenüber  zärtliche  und  ehrfurchtsvolle  Ge- 
webe: der  Zweikampf  mit  Don  Carlos,  die  Hingebung  Donna  Lauras,  An- 
deutungen von  Pferden,  Masken,  Verliebtheiten,  Augen,  Spazieren,  die  süd- 
liche Nacht  und  das  nordische  Wetter  werden  kammermusikalisch  gezeichnet 
und  sind  schon  vorüber.  Was  aber  ist  daran  russisch  ? Eine  russische  Melodie 
ist  es  nicht,  so  wenig  wie  es  überhaupt  eine  Melodie  ist.  Aber  cs  ist  der  Wille 
zur  Traditionslosigkeit,  ein  intellektuell  verfeinerter  Nihilismus. 


Mussorgski 

UNTER  den  jungrussischen  Opern,  zu  denen  nicht  alle  dieser  Gruppe 
und  manche,  wie  Cui,  nicht  sehr  erfolgreich  beisteuerten,  ist  das  künst- 
lerisch interessanteste  und  am  weitesten  verbreitete  Werk  Mussorgskis  Boris 
Godunow.  Mussorgski  ist  ein  intransigenter  Vertreter  dieser  Richtung,  tech- 
nisch ungeschliffen,  aber  in  der  Synthese  weitherziger  und  in  der  Erfindung 
glücklicher  als  Dargomyschski.  Einmal  begann  er  Gogols  „Heirat“  wörtlich 
zu  vertonen,  aber  er  ließ  diesen  Versuch  einer  musikalischen  Prosa  liegen. 
Seine  Lieder,  die  Totenlieder,  die  Kinderlieder  bringen  sein  System  der  in- 
tensiven Kleinmalerei  am  überzeugendsten  zum  Ausdruck.  Sie  sind  die  in- 
nere Schule  seiner  Opern.  Er  schrieb  eine  vermeintlich  volkstümliche  Oper 
„Khovanchtchina“,  die  seine  beiden  Seiten,  den  Geistreichtum  und  das 

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Russentum,  gu  t nach  außen 
kehren.  Aber  in  Boris  Go- 
dunow  tritt  das  Geniale 
außerhalb  jedes  Vergleichs. 
Die  Textbearbeitung  des 
Puschkin-Stoffes  ist  mäßig. 
Es  bleibt  das  Schicksal  des 
durch  einen  Prinzenmord 
auf  den  Thron  gekomme- 
nen Zaren  und  die  Gegner- 
schaft des  von  Polen  intri- 
gierten falschen  Demetrius 
verwaschen  und  unpla- 
stisch in  Gang  und  Szene. 
Doch  Boris  selbst  ist  eine 
herrliche  Rolle,  eine  Schal- 
japinrolle,  in  der  alles  ein- 
zelne greift  und  erschüttert 
oder  mindestens  musika- 
lisch interessiert : man  emp- 
findet wohl  ein  Drama, 
ohne  sich  darüber  Rechenschaft  geben  zu  können.  Es  sind  aufeinander- 
folgende Genüsse  musikdramatischen  Ausdrucks,  die  sich  in  einem  Zirkel 
von  Geist  und  Form,  Episode  und  Verismus,  Puritancrtum  und  Oper  drehen. 
Boris  Godunow  wurde  1874  im  Marien theater  das  erstemal  gegeben,  es 
setzte  große  Kämpfe,  dann  bearbeitete  cs  Rimsky-Korssakow  und  in  dieser 
Form  eroberte  es  Europa. 

Die  Prinzipien  Dargomyschskis  und  die  nationale  Substanz,  die  Forde- 
rungen der  Logik  und  die  des  Theaters  sind  hier  vereinigt:  das  ist  der  Typ 
des  Stücks.  Es  gibt  byzantinische  Kirchen-  und  Krönungschöre  mit  wunder- 
baren enharmonischen  Verwechslungen,  es  gibt  sehr  geistreiche  Schenken- 
licder  mit  resoluten  Melodien  auf  verschnittenen  Bässen,  und  Waarlams  große 
Erzählung  mit  dem  Zwang  eines  melodisch  motivischen  Refrains  ist  das  Mu- 
ster einer  malerischen  Ballade.  Xenia  singt  ein  tropfendes  merkwürdiges 
Klagelied,  die  Amme  singt  das  echte  Mussorgskilied  von  der  Mücke,  zu  dem 
das  Orchester  eine  kleine  Menagerie  von  Mücken,  Wanzen  und  Heupferd- 
chen entfaltet.  Und  sic  machen  zusammen  ein  reizendes  Klatschhändchen- 
spiel im  Plappcrspicl  national  verfeinerter  Kinderstuben.  Die  Mädchen  von 
Sandomir  veranstalten  ihre  bunten  üppigen  Chöre  und  Marina  stellt  ihre 

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Masurkas  auf.  Im  letzten  Akt  gibt 
es  Breughelszenen  mit  Vagabunden 
und  Blödsinnigen  von  grotesker  Ge- 
schlossenheit. Das  alles  ist  Form 
und  Überlieferung,  von  einem  hellen 
Geiste  erleuchtet.  Die  Gleichzeitig- 
keit des  Singens  wird  durchaus  nicht 
vermieden  und  die  Aktschlüsse  (be- 
sonders geschickt  bei  der  Entdeckung 
des  Demetrius  als  erstem  Aktschluß) 
haben  ihre  wohlbedachten  Steige- 
rungen. Der  dritte  Akt,  kann  man 
sagen,  leidet  sogar  an  der  Oper,  doch 
mag  man  das  auf  das  polnische  Konto 
setzen,  das  diesen  Akt  bestreitet.  Der 
Jesuit  und  Marina  entschließen  sich 
beinahe  zu  einem  regulären  Duett, 

Marina  mit  dem  Chor  erfindet  eine 
rechte  Theaterpolonäse  (mit  Fis  in  C-Dur)  und  ihre  Liebesszene  mit  Deme- 
trius gestattet  sich  formelle  melodische  Linien,  die  Paris  alle  Ehre  machen 
würden.  Vor  dem  Intriganten  und  vor  der  Liebe  beugt  sich  auch  diese  Oper. 

Aber  dies  alles  ist  nicht  ihr  Wesen,  es  ist  Episode  und  Milieu.  Ihr  Wesen 
ist  die  enorme  Erfassung  des  musikalischen  Charakters,  der  sich  in  einem  tiefen 
gesanglichen  Ausdruck  und  in  einer  wundervoll  pittoresken  symphonischen 
Gestaltung  zu  erkennen  gibt.  Jede  Szene  setzt  ein  motivisches  Gebilde  ab, 
das  malerisch  den  Gang  der  Psychologien  begleitet.  Je  mehr  das  Seelische 
hervortritt,  desto  dramatischer  wird  das  Solo,  desto  freier  fließt  es  in  die 
moderne  empfindungsvolle  Kantilene  aus,  die  hier  zum  erstenmal,  nicht  in 
der  deutschen  Dogmatik,  sondern  in  der  Gesangscncrgic  der  Romanen  ihren 
Stil  findet.  Die  naturalistische  Verve  der  Schlußszenen  ist  bewundernswert. 
Die  große  „Arie“  des  Boris  im  zweiten  Akt  ist  von  einer  erschütternden  Lei- 
denschaft bewegt.  Es  ist  Menschentum  in  diesen  Ausbrüchen.  Die  Dekla- 
mation, viel  intensiver  als  bei  Dargomyschski,  folgt  unbeirrt  dem  Gefühl. 
Die  musikalische  Anschauung  der  Szene  ist  hellsichtig  bis  in  jene  letzten 
feinen  Gewebe,  die  nur  das  Ohr  des  Poeten  hinter  den  Dingen  hört.  Eine 
zart  abgewogene  Stimmungsrhythmik  balanciert  den  Verlauf.  Eine  russische 
Landkarte,  ein  Weg  nach  Litauen,  ein  Drängen  von  Häschern,  eine  Gedanken- 
folge des  Chronisten,  eine  ganz  dumme  Papageiengcschichtc  (echt  russisch 
auf  eine  Phrasenrepetition)  werden  zu  Tonphantasien.  Trinkmotive, 

373 


■ 

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Schlachtwünsche,  Ruhmerinnerungen,  plötzliche  Interjektionen  geben  kurze 
Melodicstriche  in  die  Musik,  die  vielfach  mit  ungewohnten  Takten,  takt- 
wechselnd,  taktlos  läuft.  Mit  einer  kolossalen  Illusionskraft  sind  die  Angst- 
zustände des  Boris  geschildert,  Visionen  des  ermordeten  Kindes  mit  Glocken- 
farben, ein  Motiv  in  chromatisch  divergierenden  Linien,  das  rücksichtslose, 
schreiende  Abgründe  öffnet,  Furienaugen,  die  im  Traume  erscheinen  und 
wie  gräßliche  Ringe  zu  schaurigen  Halluzinationen  auseinanderzittern.  Es 
ist  Sphäre  in  diesem  Stück,  bei  aller  substanziellen  Erde  in  melodischer  He- 
bung und  Ensemblelandschaft  — die  Sphäre  der  unbestimmten  grauen  Luft 
und  der  Unendlichkeit  der  Steppe,  die  aus  dem  nationalen  Apparat  an  Musik 
in  ein  geistiges  Fluidum  erhöht  und  umgeschaffen  wird.  Eine  flexionsarme 
Musik,  mit  dem  Vorhalt  als  These,  den  entstilisierten  Kadenzen,  der  ele- 
mentaren Selbständigkeit  des  Tons  und  Akkords,  der  willensfreien  Rhythmik 
und  der  Aufhebung  jeder  Leibeigenschaft  vor  dem  Seelischen. 


Borodin 

IST  Mussorgskis  Werk  ein  Drama,  oder  will  es  dies  wenigstens  sein,  so  ist 
Borodins  „Fürst  Igor“  (1890  in  der  Bearbeitung  Rimsky-Korssakovvs  zuerst 
gegeben)  das  gerade  Gegenteil:  es  sind  unzusammenhängende  Szenen,  in 
einzelnen  prachtvollen  Nummern  komponiert,  eine  Suite  von  Stücken.  Bo- 
rodin, der  Gelehrte,  Akademiker,  Mediziner,  Chemiker,  raffinierte  in  den 
Stunden,  die  er  der  Musik  widmete,  den  russischen  Ton  zu  einer  melodischen, 
harmonischen,  rhythmischen  Gourmandisc  von  zauberhaftem  Reiz.  Diese 
Oper  gab  ihm  dreifache  Gelegenheit.  Fürst  Igor,  von  den  türkischen  Polo- 
vezen  gefangen,  flieht.  Zu  Hause  steuert  die  Frau  dem  wüsten  Treiben 
ihres  Bruders.  In  der  Gefangenschaft  verliebt  sich  sein  Sohn  in  die  Polovezen- 
tochter  und  bleibt  dort.  Die  Szenerie  ist  kindlich,  die  Rezitative  fallen  un- 
geschickt im  Wort,  der  Ton  verachtet  den  Inhalt,  leichte  motivische  Flechten 
stellen  eine  äußere  Einheit  her,  aber  der  Glanz  der  Musik  strahlt  fast  bis  zur 
Ermüdung.  Das  Gewissen  der  bewußten  Originalität  ruht  nie,  selbst  nicht 
in  den  etwas  französelnden  Liebesszenen.  Geistreiche  Septimen,  reflexfär- 
bende  Orgelpunkte,  chromatische  Durchgänge,  dekorative  Imitationen, 
Schleierakkorde,  Schatten  des  Diminuendo  und  Bizarrerien  der  Taktteile 
und  Taktperioden  sind  die  gewöhnliche  Sprache.  Einzelne  Motive,  wie  vom 
seelenvollen  Ovvlur,  dem  getauften  Polovezer,  bleiben  wie  nationale  Mah- 
nungen im  Gehör.  Kriegschöre,  Leichtsinnsarien,  Trinkgelage  stürmen  in 
russischen  Tempi.  Klagechörc  weinen  die  Tränen  der  Volksfarbe  und  die 


374 


große  Elegie  Jaroslawnas,  ein  schönes  klares  A-Dur  plötzlich  in  A-Moll,  ist 
exotisch  überkoloriert.  Die  alten  Chaconnen  und  Passacaglien  erscheinen  in 
russischer  Variations-  und  Rcpetierlust  neu  gefirnißt.  Grotesken  Esprit  zei- 
gen die  komischen  Szenen : Gudokspieler  singen  ein  Dauerlied  auf  periodischen 
H G A G,  ein  Glockenmotiv  entwickelt  sich  schlau  daraus,  mit  dem  sie  Igors 
Rückkehr  einläuten,  und  der  Geist  des  intellektuellen  Humors  spielt  mit  dem 
Repetierwerk  der  nationalen  Melodie  als  motivischer  Variation,  von  dem 
dummen  Bettlerductt  bis  ins  Triumphfinale.  Doch  die  Perlen  in  diesem  Ge- 
schmeide raffinierter  Stücke  sind  die  polovezischcn  Tänze  und  Lieder,  die 
zu  den  temperamentvollsten  und  originellsten  der  russischen  Literatur  ge- 
hören : eine  Carmenmusik  in  russischer  Montierung.  Kolorierte  fremdartige 
Soli,  Mädchen,  Krieger,  Patrouillen  in  starken  Rhythmen,  eine  russische  Ta- 
rantella von  sinnlichster  Gewalt,  der  große  Aufzug  in  preziösestem  Barbaris- 
mus, und  Chöre  mit  allen  Modulationsgeheimnissen,  die  auf  dem  dunkeln 
Grunde  archaischer  Tonarten  ruhen  — das  sind  die  letzten  Geschmacks- 
steigerungen, deren  das  koloristische  Organ  fähig  ist. 


Rimsky-Korssakow 

AM  Ende  der  russischen  Oper  stehen  ein  geistreicher  Eklektiker  und  ein 
■ gefühlvoller  Pathetiker,  jener  mit  einer  heftigeren  nationalen  Färbung, 
dieser  mit  bewußter  Neigung  zur  französischen  lyrischen  Bühne.  Sie  ver- 
einigen die  russischen  Typen  wieder  in  neuen  Mischungen,  ohne  durch  Festig- 
keit des  Charakters  so  zu  überzeugen  wie  die  Einseitigen.  Es  sind  Rimsky- 
Korssakow  und  Tschaikowski. 

Rimsky-Korssakow  war  erst  Mitglied  der  Marine  und  umsegelte  die  Welt, 
ehe  er  als  Musiker  hervortrat.  Aber  auch  als  Musiker  umsegelt  er  die  Welt 
und  findet  für  jedes  Sujet  eine  andere  Sprache  und  einen  anderen  Stil.  Kom- 
poniert er  „Mozart  und  Salieri“,  betont  er  die  Mathematik  des  18.  Jahr- 
hunderts; steigt  er  in  Märchen  und  Romantik,  läßt  er  den  Glanz  seines  Or- 
chesters und  den  Reichtum  seiner  verwegenen  Harmonien  aufrauschen.  Sein 
„Schneeflöckchen“  blieb  vielleicht  seine  beste,  natürlichste,  einfachste  Oper, 
lied-  und  tanzhaft,  durchaus  russisch,  dabei  fein,  graziös  und  von  einer  ech- 
ten Popularität,  die  selbst  den  Schlußchor  in  F.lfviertel  dem  Ohre  angenehm 
macht.  Wogegen  die  „Mainacht“,  die  er  nach  Gogols  Geschichte  von  dem 
jungen  mainachtstollen  Verliebten,  dem  die  Nixen  zu  seiner  Braut  verhelfen, 
in  schwärmerische  Musik  setzte,  bereits  alle  Anzeichen  der  Künstlichkeit  und 
Stilverspieltheit  trägt.  Alte  Formen  stehen  neben  neuen  Harmonien,  Buffo- 

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spaße  neben  exotischen  Pfingstchören,  impressionistische  Malereien,  wie  von 
Busoni,  neben  Emphasen,  wie  von  Mascagni.  Die  große  Nixenszene  gerät  als 
hyperinstrumentierte  russische  Romantik,  ganz  national  in  Takt,  Melodie, 
Modulation,  phantastisch  in  Volkstöne  und  Kinderspiele  zurückgedreht,  voller 
Geist  — aber  auch  voller  Gefühl  ? Rimsky-Korssakow  ist  sicherlich  so  raffiniert 
wie  Borodin,  aber  seine  Kunst  hat  nicht  die  Konzentration  dieser  Farbe  und 
diesen  Glauben  an  den  Geschmack.  Man  nennt  seinen  „Sadko“  gern  eine 
Volksoper,  aber  es  ist  nicht  Grund  und  Boden  des  Volkes  selbst,  sondern  das 
Parkett  der  Weichlichen,  Interessierten,  Langeweilefürchtenden,  die  das  Volk 
zu  lieben  vorgeben.  Sadko  zieht  auf  das  Meer  hinaus,  um  Reichtümer  zu 
erwerben,  nachdem  er  veritable  Goldfische  gefunden  hat.  Die  Meerfrau 
Volkhova  folgt  ihm  zurück  nach  Nowgorod  und  verwandelt  sich  dort  in  den 
zukunftsreichen  Fluß,  während  Sadko  selbst  seine  alte  gute  Frau  wiederfindet. 
Rimsky-Korssakow  machte  sich  solche  Texte  selbst  zurecht,  gar  leicht  und 
seicht,  aber  er  putzte  seine  musikalischen  Schiffe  dann  um  so  üppiger  heraus. 
Er  schrieb  eine  rechte  Klingklangoper,  die  die  Reise  Sadkos  mit  allen  Sinnen- 
zaubern umgab,  wo  sie  sich  nur  in  Europa  fanden.  Die  Nixen  bekennen  sich 
zu  Enkelinnen  des  Rheins  und  umgeben  sich  mit  Pariser  Dekorationsmusik. 
Nowgoroder  Kaufleute  steuern  ihre  heimischen  Weisen  und  Tänze  bei.  Im 
Hafen  singen  Kaufleute  von  Indien,  von  Venedig,  von  sonst  woher  ihre  Na- 
tionallieder. Es  gibt  Meyerbeersche  Opernschiffszenen  und  pseudoroman- 
tische Hochzeiten  im  Meerpalast,  Ballette  aller  Seewunder,  Zwischenspiele, 
die  Wasserfahrten  schildern,  Pastorales  und  Feierlichkeiten  der  Erlösung  und 
Wiederfindung:  also  den  ganzen  Apparat  der  großen  französischen  Oper, 
nur  mit  russischer  Farbe  überzogen  und  in  ein  weiches  Spiel  des  Geistes 
gebettet.  Das  Verlassenheitslied  von  Sadkos  Frau  steht  darin  fast  wie  in 
einsamer  Schönheit,  schön  wie  fast  alle  Verlassenheitslieder,  und  hier  beson- 
ders symbolisch  in  seiner  Ungeschminktheit  mitten  in  einem  berauschenden 
und  glänzenden  Orchester-  und  Opernpomp. 

Die  Stilmischung  innerhalb  eines  einzigen  Werks  zeigt  seine  „Zarenbraut“ : 
sie  beginnt  ohne  sonderliche  Erfindung  im  alten  gebundenen  Stil,  ein  wenig 
wie  tschechische  Muster,  Russisches  in  Französischem  erweicht,  dann  bringt 
sie  plötzlich  einen  naturalistischen  tragischen  Schluß,  dramatisch  und  nicht 
ohne  Originalität.  „Unhold  Ohneseele“  dagegen  ist  die  volle  Hingabe  an 
Wagner  und  zwar  den  späten  Wagner,  ohne  jedoch  die  alten  Formen  ganz  zu 
meiden.  Kaum  ein  Schatten  Rußlands  ist  zu  verspüren.  Der  Stoff  wäre  nicht 
übel : der  Unhold  lebt  in  der  Träne  seiner  Tochter,  einer  Art  Kundry  — 
weint  sie,  stirbt  er  — und  sie  weint  um  einen  Ritter,  der  des  Unholds  ge- 
fangene Odaliskc  liebt.  Rimsky-Korssakow  aber  weint  nicht.  Ein  Herz  spricht 

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Rimsky-Korssakow.  Nach  Serow 


nicht,  nur  der  Kopf  arbeitet  in  Spitzfindigkeiten,  die  die  musikalischen  Motive 
auf  äußerlichem  Glanz  zu  einem  Zaubernetz  weben.  Seine  letzte  Oper,  1907, 
ein  Jahr  vor  seinem  Tode,  hält  sich  wieder  russischer,  aber  sie  ist  bleich  von 
Gesicht  — jedenfalls  hat  sie  den  längsten  Titel,  den  je  eine  Oper  auf  sifh 
setzte:  „Die  Legende  von  der  unsichtbaren  Stadt  Kitesch  und  von  der  Jung- 
frau Few'ronia.“ 


Tsc/iaikowski 

RIMSKY-KORSSAKOWS  Musik  ist  eine  Landschaft  von  sublim  verfei- 
nerter, aber  doch  nur  dekorativer  Wirkung,  die  den  Inhalt  literarisch 
montiert.  Aus  amethystblasscn  Schatten  steigen  korallenrote  Stämme  auf,  an 
denen  einzeln  gezählt  die  Blätter  aus  Smaragd  sitzen,  unter  lapislazulihartem 
Himmel.  Wie  auf  Malachit  gehen  die  Menschen,  geradlinig  und  stilisiert, 
sie  lieben  aus  einer  pervers  modernen  Seele  die  alten  Gesten  und  statt  eines 
Herzens  haben  sie  eine  Tulakapsel,  in  der  mystische  Juwelen  lagern,  die  sie 

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je  nach  der  Situation  an  steife  Götter  und  heilige  Tiere  verschenken.  Tschai- 
towskis  Landschaften  aber  sind  von  dieser  Erde.  Das  Gras  ist  weich,  die 
Bäume  schattig,  der  Himmel  wolkig  und  die  Menschen  werden  pathetisch, 
wenn  sie  ihre  Herzen  öffnen,  weil  es  ihnen  eine  große  Sache  ist.  Ihre  Melodie 
folgt  dem  natürlichen  Gefühl,  ihre  Harmonien  vermeiden  die  Überraschun- 
gen, und  Tonika  und  Dominante,  Dur  und  Moll,  die  erwartungsvolle  Quart- 
scxt  und  der  sehnsüchtige  Vorhalt  sind  wieder  so  schön,  wie  sie  immer  waren, 
ehe  der  russische  Nihilismus  die  Geschlechter  und  die  Liebe  unter  den  Tönen 
zerstörte.  Gewiß  ist  das  oft  sehr  trivial. 

Tschaikowski  hat  sich  in  seiner  Opernlaufbahn  durch  mancherlei  verschie- 
dene Stoffe  bewegt,  aber  er  hat  sich  behaglich  eigentlich  nur  dort  nieder- 
gelassen, wo  es  galt,  warme  Empfindungen  von  Menschen  zu  Menschen  zu 
gestalten,  worin  er  fast  zuviel  des  Guten  tat,  w'ie  Rimsky-Korssakow  zuwenig. 
Der  Gogolsche  Schmied  Wakula  stand  an  seiner  Opernwiege.  Er  holt  durch 
Vermittlung  des  Teufels,  der  seine  Mutter,  eine  Hexe,  liebt,  auf  Wunsch 
der  launischen  Oxana  die  Pantoffel  der  Zarin,  und  so  kriegt  er  sein  Mädel. 
Prächtige  Tschaikowskitänze  hört  er  am  Zarenhofe,  Weihnachtslieder  beim 
Volke  und  allerlei  russische  Grotesken  erlebt  er  mit  den  Liebhabern  der 
Hexe,  die  sich  der  Reihe  nach  in  Säcke  verstecken  — aber  im  ganzen  findet 
er  zuwenig  Gefühl  in  dieser  Welt,  eine  mondäne,  fließende,  unsicher  ge- 
festete, leicht  russifizierte  Musik  mit  französischer  Sauce,  die  mehr  gemacht 
als  gelebt  ist.  Mit  Eugen  Onegin  kommt  die  Puschkinsche,  atmosphärische 
Stimmung  über  ihn,  die  ihm  die  Dinge  in  eine  sanfte  und  lyrische  Perspek- 
tive rückt  und  wunderbar  eröffnet,  was  zwischen  Menschen  lebt,  Menschen, 
die  sich  die  Liebe  nicht  geben,  solange  sie  ihr  Glück  wäre,  und  sie  bekennen, 
nachdem  Jugend,  Freundschaft  und  Glaube  zerstört  ist.  Es  wurde  die  popu- 
lärste Oper  Tschaikowskis,  gar  nicht  sehr  russisch  in  der  Haltung,  aber  seinem 
Vaterlande  als  Ausbruch  von  Seelen,  die  längst  Verwandte  waren  jedes  hei- 
mischen Herzens,  die  liebste.  Über  alles  nationale  Kunstwerk  siegt  der  Affekt 
lyrischer  Bewegung,  der  in  der  Pariser  Schule  seinen  Stil  findet.  Einem  fran- 
zösischen Stoffe  selbst  wendet  Tschaikowski  sich  jetzt  zu,  Jungfrau  von 
Orleans,  es  wird  ein  Mißgriff,  nach  einem  russischen  wendet  er  sich  zurück, 
Mazeppa  — ein  grausames  Stück  voll  Folter,  Gefängnis,  Schrecken  und 
Tod,  das  ihm  aber  Gelegenheit  gibt  zu  dunkeln  russischen  Farben,  zu  Wucht 
und  Schlagkraft,  zu  stampfenden  heldischen  Rücksichtslosigkeiten,  in  denen 
seine  naturalistische  Leidenschaft,  so  selten  in  all  den  Liebenswürdigkeiten, 
merkwürdig  geweckt  wird.  Frankreich  und  Rußland  fließen  dann  in  der 
Piquedame  zusammen.  Französische  Erziehung  legt  sich  wie  Gleichmaß 
und  Beruhigung  über  die  russische  Naivität,  über  die  hoffnungslose  Liebe. 

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Aber  diese  Liebe  selbst  hat 
ihre  fatale  Operntextge- 
schichte. Sie  ist  eine  Er- 
findung des  Librettisten, 
Bruders  Modeste  Tschai- 
kowski, und  das  genaue 
Gegenteil  des  Puschkin- 

'fe 

;.y  ■ 

sehen  Novellenhelden.  Die- 

• • i 

ser  ist  ein  Spieler,  er  hört 

von  dem  Kartengeheimnis 

Hk 

der  Gräfin,  er  muß  es  er- 
fahren, er  muß  gewinnen, 

Wk  IpRft 

und  um  in  ihr  Haus  zu 
kommen  simuliert  er  die 

X i 

Liebe  zu  Lisa,  der  Pflege- 

Irr 

tochter.  Puschkin  weiß : 

Spieler  lieben  nicht.  Aber 
der  Librettist  läßt  sich  das 

1 1 

nicht  gefallen.  Jener  sagt : 
er  liebt,  weil  er  spielt. 

Dieser  sagt : er  spielt,  weil 
er  liebt,  und  macht  die 

verstellte  Liebe  zu  einer 

echten,  um  das  Gefühl  der 

Oper  zu  retten.  Zu  guter 
Letzt:  was  war  französi- 

Tschaikowski 

scher  als  diese  melodische  Liebe  Hermanns  zu  der  arioscn  Lisa  ? Liebe  über 
alles.  Tschaikowski  schuf  noch  seinen  Abgesang  „Jolanthe“,  einen  weichen, 
zärtlichen,  pariserisch  schmeichelnden  Einakter  von  der  blinden  Königs- 
tochter, die  Liebe  und  Licht  findet  — ein  Liebessänger  blieb  er,  kein  Dra- 
matiker, aber  ein  Szcniker,  kein  geschworener  Russe,  aber  ein  Weltmann  von 
gutem  Stil,  kein  großer  Geist  und  Entdecker,  aber  ein  Musiker,  der  seine 
Kunst  versteht,  und  ein  Spieler  mit  Tönen,  nicht  aus  artistischer  Mono- 
manie, sondern  um  Herzen  zu  gewinnen.  Gewiß  ein  wenig  fade,  ein  wenig 
vieux  jeu,  aber  schließlich  ein  Mensch. 

Er  liebt  die  Unterhaltung,  die  spielenden  Episoden.  Triquet  trägt  beim 
Oneginfest  Couplets  im  Dixhuitiemestil  vor.  Piquedame  hat  ein  ganzes  Pa- 
storale als  Aufführung  in  diesem  Genre,  in  bewußter  Zauberflötenkopie.  Die 
jungen  Damen  in  Onegin  und  in  Piquedame  singen  reizende  Klavierduett- 


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chen  in  alter  Manier.  Überall  treten  die  Tänze  als  willkommenes  Intermezzo 
hervor.  Der  Oneginwalzer  ist  der  schönste,  von  temperamentvoller  Struktur, 
im  Klima  zwischen  Paris  und  Wien.  Seltener  schieben  sich  symphonische 
Zwischenspiele  ein,  wie  die  großartige  Poltawaschlacht  in  Mazeppa.  Mazeppa 
hat  auch  eine  prächtig  thematische  Ouvertüre.  Aber  die  scharf  gereimte 
lyrische  Konzentration  desOneginvorspiels  über  das  süße  nachdenklicheTatja- 
namotiv  ist  echter,  unter  all  den  verschiedenartigen  russischen  Opernvor- 
spielen das  bescheidenste  und  tiefste. 

Tatjana  und  Lisa,  so  französisch  sie  sich  bisweilen  auch  ausdrücken,  rus- 
sische Luft  ist  doch  über  ihnen,  und  eine  leidenschaftliche  Schwärmerei  und 
geduldige  Demut  spricht  aus  ihren  musikalischen  Physiognomien,  die  Tschai- 
kowski  am  rührendsten  gelangen.  So  ist  bei  ihm  oft  das  Russische  nicht  mehr 
in  bestimmten  Takten  und  Mclismen  definierbar  und  liegt  doch  als  Stimmung 
und  Linie,  selbst  als  formelle  Linie,  in  und  über  der  Szene.  Der  eine  länd- 
liche Chor  in  Onegin,  auf  den  Takt  von  vier  Sechzehnteln  zwischen  je  zwei 
Achteln,  ist  so  absichtlich  russisch,  oder  die  letzte  Tatjanaarie  in  Cis-Moll, 
im  Gefühl  wie  legendarisch  gebunden,  oder  die  russischen  Gesellschaftslied- 
chen in  Piquedame,  wie  aus  Büchern  hergeholt,  oder  auch  der  Anfang  des 
sehr  schönen  Ariosos  Lisas  am  nächtlichen  Kanal.  Aber  heimlicher  aus  der 
russischen  Luft  empfunden  sind  die  Szenen,  die  das  Innenleben  in  motivi- 
schen Geweben  ausbreiten.  Tschaikowski  liebt  das  Motiv  als  Erinnerung, 
nicht  nur  in  der  Weise  der  Franzosen,  wie  er  es  wirkungsvoll  beim  Wieder- 
sehen Onegins  mit  Tatjana  als  Spiegel  der  Erlebnisse  verwendet,  auch  nicht 
ganz  in  der  vorbestimmten  architektonischen  Bedingtheit  Wagners,  sondern 
als  eine  Art  Mitgefühl  des  Orchesters  mit  der  Stimme  und  dieser  mit  dem 
Orchester,  so  daß  sic  cs  sich  gegenseitig  gestalten  und  abnehmen,  sein  schmiegsam 
fließendes  Orchester  und  seine  gesangvolle  Stimme,  die  gesangvollste  aller 
russischen  Komponisten.  Nicht  immer  ist  das  Gleichgewicht  gehalten.  So  aus- 
gezeichnet das  Kartenmotiv  in  der  Piquedame  erfunden  und  verwertet  ist,  so 
aufdringlich  entwickelt  sich  das  Liebesmotiv,  das  bis  zur  Erschöpfung  in  seinem 
monotonen  Rhythmus  die  Stimmen  durchkreuzt  und  den  Gesang  aufschwellt. 

Steht  Tschaikowski  vor  einer  bewegten  Szene,  so  versagt  ihm  — auch  das 
ist  allgemein  russisch  — das  Drama.  Die  Absage  Onegins  an  Tatjana  erstarrt 
lyrisch,  bei  der  Forderung  Lenskis  kommt  ein  richtiges  großes  Ensemble, 
vor  dem  Duell  singt  Lcnski  eine  lange  Arie,  und  beide  machen  ein  kanonisches 
Orgelpunktduett.  Das  ist  Opernschema.  Aber  steht  umgekehrt  die  Szene 
vor  Tschaikowski  still,  so  regen  sich  seine  besten  Kräfte,  weit  über  die  Kon- 
ventionen der  Texte  hinaus.  Ich  möchte  die  Schlußszene  von  Mazeppa  her- 
vorheben, wo  die  wahnsinnige  Maria  dem  sterbenden  Andrei  ihr  Wiegenlied 

380 


.j? 


singt  — doch  das  ist  fast  französisch.  Eine  russischere  Stimmung  liegt  in 
der  Schlußszene  von  Onegin,  wo  die  getrennten  Geliebten  in  einer  möglichst 
heimatlichen  musikalischen  Haltung  bei  aller  Gesangsverve  seelische  Voll- 
kommenheit geben,  echte  Schmerzen,  innerste  Erschütterungen  — dies  ist 
die  Wirkung  dieser  Oper,  verwurzelte  Schicksale  von  Menschen,  durch  Musik 
versüßt  und  verbittert,  einfache,  erdenschwere  Schicksale,  die  jeder  kennt 
und  nun  gesteigert  erlebt.  Schwebend,  wie  ein  noch  ungeklärtes  Geheimnis 
waltete  die  Musik  zu  Anfang  zwischen  den  vier  Frauen,  zwischen  den  zwei 
Paaren,  viel  zarter  und  unausgesprochener,  als  es  bei  Gounod  wäre,  sic  singen 
und  singen,  und  doch  weben  sich  motivisch  unsichtbare  Fäden  ihrer  Charak- 
tere, ihrer  Zukunft,  ihrer  Wahrheiten.  Dann  in  der  großen  Tatjanasoloszene 
tritt  diese  Lyrik  mit  einer  Macht  hervor,  die  alle  unbefangenen  Gemüter 
bezwingt.  Das  seelenvolle  homophone  Bewegen  der  breiten,  sehnsüchtigen 
Melodie,  das  synkopische  Drängen  des  Briefschreibemotivs,  der  rührende  Ge- 
sang „Bist  du  mein  Glück“  als  Ausleben  einer  eben  noch  gärenden,  nach- 
brodelnden, endlich  verdichteten  Empfindung,  das  ergibt  eine  lyrische  Szene, 
wie  die  Oper  nicht  viele  kennt  — im  Hintergrund  die  kindlich  russische 
Amme,  Tatjana  selbst,  getragen  von  weitem,  weltenweitem  Gefühl,  melodie- 
schweigend,  schwingend,  steigernd,  schmerzensselig,  musikalisch  gar  sehr  schön 
und  seelisch  nicht  minder  wahr.  Aber  die  eigentümlichste  und  originellste, 
im  feinsten  Sinne  russische  Szene,  die  Tschaikowski  schrieb,  ist  die  der  ster- 
benden Gräfin  in  Piquedame.  Es  ist  dunkel,  Kerzen  zittern  vor  Heiligen- 
bildern, die  Bratsche  zittert  geheimnisvoll,  geheimnisvoll  ziehende  Akkorde 
mit  weher  Melodie  klagen  durch  die  Luft,  dunkle  müde  Mägdechöre  ducken 
sich  in  asiatischer  Demut,  die  Gräfin  schleicht  zu  Bett,  einst  das  Bett  der 
Venus  moscovite,  sie  erinnert  sich  der  großen  Pariser  Tänzer,  die  alte  Gräfin 
des  alten  Paris,  und  alte  Verzierungen  fächeln  dumpf  im  Orchester,  sie  singt 
zitternd  das  alte  schwermütige  Lied  aus  Gretrys  Richard  Löwenherz  „je 
sens  mon  cocur  qui  bat,  je  ne  sais  pas  pourquoi“,  und  schläft  ein,  um  nur  noch 
einmal  zu  erwachen,  zu  ihrem  Tode  am  Kartengeheimnis.  Die  Stimmung 
ist  übersinnlich.  Tschaikowskische  Weheharmonien  verbinden  sich  mit  seinen 
traditionellen  Neigungen  zu  einem  seltsam  kulturhistorischen  Ensemble.  Das 
alte  galante  Frankreich  steigt  noch  einmal  in  die  traurig  müde,  gespenstische 
Dunkelheit  Rußlands  herauf.  Der  Künstler  faßt  es  im  Bilde  einer  heimatlich 
vertieften  Musik  zusammen  und  setzt  es  in  ein  meisterhaftes  Gewebe  von 
Motiven,  das  ihm  die  Beziehung  zum  Leben  gibt.  So  steht  es  da,  als  letztes 
gefühltes  Zeugnis  der  Operngeschichte  von  Paris  nach  Petersburg.  1784  war 
der  englische  Löwenherz  in  Paris  Oper  geworden,  1890  schrieb  Tschaikowski 
in  Florenz  die  Piquedame. 

381 


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Ich  will  Rubinstein  nicht  so  ausführlich  wehe  tun,  aber  doch  seinen  Na- 
men an  den  Schluß  dieses  Kapitels  setzen,  das  zu  zeigen  hatte,  wie  aus  den 
Liedern  und  Tänzen  der  Nationen  sich  eine  farbige  Opernwelt  zu  bilden 
wußte.  Er  kam  über  die  Lieder  und  Tänze  nicht  ernstlich  heraus,  er  setzte 
das  Nationale  allenfalls  als  farbigen  Fleck  in  die  Oper  ein,  zu  einer  weiteren 
klimatischen  Einfühlung  versagte  die  Kraft.  Ein  hinreißender  Künstler,  ein 
großer  Mensch,  ist  er  als  Schaffender  wesenlos  geblieben.  Hier  ist  einer,  der 
zwischen  seinen  Nationen  zerrieben  wurde. 


382 


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VERDI 


Bellini 

ITALIEN  ist  kälter  geworden.  Schon  wie  im  Traume  tasten  wir  uns  zu- 
rück nach  jenen  seligen,  sonnigen  Zeiten,  da  unsere  Großväter  und  Ur- 
großväter sich  dem  leichten  Spiel  schnell  fertiger,  warm  aufglühender  Weisen 
ergaben,  die  ihnen  von  geliebten  Sängern  geschenkt  wurden  und  sie  auf  dem 
Lebensweg  begleiteten,  als  Erinnerungen  froher,  geselliger  Stunden.  Schwa- 
chen Ersatz  haben  wir,  wenn  einmal  eine  italienische  Sembrichtruppe  den 
Don  Pasquale  aufleben  läßt  oder  Jadlowker  den  Almaviva  trällert  mit  der  Bo- 
setti  als  Rosine  und  d’Andrade  als  Figaro  oder  eine  günstige  Gelegenheit 
Caruso  und  die  Hcmpel  im  Liebestrank  zusammenführt,  dies  holde  Vögel- 
chen neben  seiner  profunden  Kraft.  Kombinationen  sind  immer  Über- 
raschungen, sind  die  Reize  solcher  Abende,  in  denen  Organe  von  seltener 
Begabung  sich  treffen  und  für  eine  kurze  Zeit  des  Lebens  sich  in  gemein- 
samem Klang  suchen,  finden,  begeistern.  Die  Süßigkeit  der  Hcmpel  stand 
wie  ein  Reflex  in  goldiger  Luft  zu  der  männlichen,  ausdruckssatten,  energi- 
schen Seele  Carusos.  Sie  umgab  ihn  mit  einem  Glanze,  einer  leuchtenden 
Kontur,  einem  Spiel  heiterer  Lust,  daß  diese  ganze  Stimmlandschaft  von 
den  Abgründen  der  Empfindung  bis  zur  Bläue  des  Frühlingshimmels  aus- 
gefüllt zu  sein  schien.  Ich  fühle,  so  selten,  so  gern  in  dieser  Weise.  Nicht 
die  Stücke,  nicht  die  Arbeit  geschieht  an  diesem  Abend ; sondern  was  geschieht 
ist  das  Leben  der  Kunst  und  die  Beziehungen  großer  Sangesbegabungen.  Im 
Traume  . . . 

Es  war  Frühling.  Ein  leichter  Himmel  spannte  sich.  Die  Vögel  sangen, 
und  die  Bäume  fächelten.  Kein  unnützes  Fragen  nach  Gründen  und  Zwecken 
vernebelte  die  Luft.  Das  Dasein  an  sich  musizierte  sich  selbst.  Eine  feder- 
leichte Rhythmik  schuf  feine  melodische  Linien,  alle  Trivialität  löste  sich  im 
Volksherzen  auf,  hier  und  da  eine  nette  Wendung  in  der  Harmonie,  kichernde 
Instrumente,  ein  bescheidener  Geist,  alles  geschrieben  für  die  Stimmen,  die 
erst  Leben  in  die  Partitur  bringen  und  dies  Leben  abendlich  darin  erhalten, 
wie  sie  wechseln,  wie  sie  aufgelegt  sind,  wie  sic  sich  berauschen.  Die  Nachti- 
gall Rossini  hatte  vorgesungen,  und  Hunderte,  auffliegend  und  oft  schon  ver- 
schwunden, singen  ihr  nach.  Bellini  und  Donizetti  sind  die  besten  unter  ihren 

383 


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Namen,  leichtfingerig  und 
geliebt  über  die  ganze  Welt, 
außer  von  einigen  bärbei- 
ßigen deutschen  Theore- 
tikern. 

Bellini  ist  34  jährig  ge- 
storben, und  achillcische 
Klagen  folgten  ihm.  Eine 
Jugend  hatte  gestrahlt  und 
war  vergangen,  von  Cata- 
nia bis  nach  Paris,  wo  er 
den  graziösen  Empfang 
seiner  nationalen  Oper  wie 
alle  anderen  durch  ern- 
stere Arbeit  quittierte. 
Pirata,  Straniera,  Romeo 
und  Julia,  die  Nachtwand- 
lerin, die  Norma  mit  der 
Pasta  und  der  Grisi  1831 
in  Mailand,  die  Puritaner, 
1835,  im  Theätre  italien 
zu  Paris,  es  wird  ernster  und 
tragischer,  aber  noch  lange  nicht  so  ernst,  daß  nicht  der  Duft  seiner  Melo- 
dien unsere  Sinne  bezauberte.  Die  Puritaner  bekommen  das  französische 
Cachet,  Soldatisches,  Lugubres,  Pathetisches,  schöne  wohlfließende  Ensembles, 
doch  verleugnet  sich  der  Italiener  niemals  in  der  Behendigkeit  und  Selbstherr- 
lichkeit der  kolorierten  melodischen  Phrase.  Wir  wollen  Norma,  diese  gallisierte 
Medeageschichtc,  als  sein  bestes  Vermächtnis  bewahren.  Denn  ein  Edelmut 
der  künstlerischen  Empfindung  ist  darin  erreicht,  der  weit  über  das  Schema 
hinausgeht.  Eine  breitere  und  eine  sehr  glückliche  Feder  schrieb  diese  Musik. 
Die  große  Arie  Casta  diva  bewährt  heut  noch,  da  sie  niemand  mehr  singen 
mag  oder  kann,  ihren  langen  Atem,  ihr  klassisches  Profil,  wenn  es  sich  auch 
gar  zu  bald  in  einer  Virtuosität  erheitert,  die  diese  Kunst,  aus  einer  der  ent- 
zückendsten Eitelkeiten  der  Welt  geboren,  nicht  missen  darf.  Eine  Unzahl 
populär  gewordener  Melodien  füllen  die  Ensembles,  das  Liebesduett  von 
Sever  und  Adalgisa,  im  Höhenglanze  echten  Gesangsfeuers,  das  temperament- 
volle Schlußterzett  des  ersten  Aktes,  das  musikalisch  reiche  zweite  Finale,  in 
dem  die  Ahnung  Verdis  schlummert,  und  die  Duette  der  beiden  Frauen,  Ketten 
von  Melodien,  immer  so  kindlich  froh,  auch  in  der  Trauer,  so  naiver  Erinne- 

384 


N 


Bellini.  Alte  Lithographie 


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rungen  voll  und  mundgerecht  in  allen  Imitationen,  von  einer  gar  besonderen 
Wirkung,  wenn  Adalgisa  ihre  Liebe,  die  sie  noch  nicht  nennt,  und  Norma 
dieselbe  Liebe,  die  sie  nicht  mehr  nennen  will,  wie  um  den  Gegenstand  ihres 
Interesses  herum  in  Kränzen  sinniger  und  träumerischer  Melodien  ziehen. 
Die  Künste  der  Akzentuation,  auch  durch  die  Tongeschlechter,  der  ein- 
dringlichen Rezitation,  der  holdseligen  Erfindung  wiegender  Lieblichkeiten 
auf  leichtgezimmerten  Harmonien  finden  hier  in  der  leidenschaftlichen  Hin- 
gabe an  den  Gesang  noch  einmal  eine  klassische  Einheit,  die  wie  eine  Erschei- 
nung zerstiebt,  sobald  man  aus  einer  Epoche  der  Traditionslosigkeit  und  des 
Unglaubens  sie  nur  anhaucht. 


Donizetti 

SIND  diese  Melodienketten  der  Ensembles,  der  üppige  Flor  ihrer  Vege- 
tation ein  Stück  Fortschritt  gegen  Rossini  ? Rossini  besaß  alles,  was  diese 
seine  Kinder  verschwendeten.  Alles  findet  sich  schon  bei  ihm.  Aber  die 
merkwürdige  Schönheit  der  Ensembles  scheint  eine  besondere  Sorge  der 
Jüngeren  gewesen  zu  sein,  die  wie  er  selbst,  und  noch  heftiger,  aus  Italien 
nach  Paris  gravitierten.  Bellini  war  zu  früh  gestorben,  Donizetti  flog  weiter 
in  die  Welt.  Zensurärgernisse  treiben  ihn  aus  Neapel,  nach  Paris,  für  das  er 
die  Regimentstochter  und  die  Favoritin  und  Don  Pasquale  schreibt,  nach 
Wien,  für  das  die  Linda  von  Chamonix  bestimmt  war.  Er  hatte  gegen  Bel- 
lini angekämpft,  mit  Anna  Bolena,  mit  Marino  Falieri;  als  seine  Lucia  sich 
durchsetzte,  starb  der  Mitbewerber,  und  sein  Feld  war  frei.  Vielleicht  hat 
er  sich  überarbeitet,  seine  Produktion  war  maßlos.  Er  verlor  den  Verstand 
und  kehrte  nach  einer  weltbewegten  Karriere  nach  Bergamo,  wo  er  geboren, 
zurück,  um  dort  zu  sterben. 

In  seinen  tragischen  Opern  ist  er  oberflächlich,  in  seinen  komischen  ge- 
diegen: denn  er  ist  mehr  ein  Komponist  als  ein  Empfinder.  Die  Lucrezia, 
die  Linda  sind  kaum  noch  aufrecht  zu  erhalten.  Die  Lucia  von  Lammer- 
moor  gibt  Virtuosinncn  noch  bisweilen  Gelegenheit,  Wahnsinnswalzer  zu 
singen,  worin  sie  eigentlich  bei  den  Koloraturhyänen  dieser  ganzen  Opern- 
gattung genug  Auswahl  haben.  Donizettis  Melodie  hat  nicht  den  naiven 
und  überlebenden  Reiz  der  Bellinischen.  Das  beste  in  Lucia  ist  das  Sextett, 
in  schöne  Konturen  auslaufend,  wie  fast  immer  das  beste  in  diesen  seinen 
ernstmeinenden  Opern  ein  solches  Ensemble  ist.  Das  übrige  ist  Schema: 
hübsche  begleitende  Fadenmelodien  im  Orchester,  Duette  in  der  Formel 
A + B = AB,  gemeine  Unisonochöre  — und  doch  in  der  Manier  seiner  Me- 
lodie, die  plötzlich  lächelnd  und  gewinnend  eintritt,  sachte  auf  gestoßenen 

385  JS 


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Vierteln,  je  nachdem,  fun- 
kelnd oder  schmachtend  im 
Ausklingen,  in  den  Duetten 
Edgardos  und  Enricos  mit 
Lucia  oder  in  der  Edgardo- 
Schlußaric  Tu  che  a Dio,  in 
diesen  Wendungen  liegt  die 
Heimat  Verdis,  dessen  Emp- 
findung beseelte,  was  er  aus 
solcher  Überlieferung  zu 
hören  gewohnt  war. 

Man  beobachtet,  wie  auch 
das  Textgerüst  besser  wird, 
je  buffonesker  seine  Wün- 
sche sind.  Lucrezia,  Linda, 
Lucia  sind  Wirrnisse.  Das 
Wesentliche  der  Lucia,  Be- 
trug um  den  Geliebten,  fä- 
delt man  sich  erst  langsam 
aus  dem  verwickelten  und 
falsch  pointierten  Stück  her- 
aus, das  ebenso  blöde  einem 
Scottschen  Roman  geraubt 
ist  wie  alle  anderen  Libretti 
nach  diesem  Liebling  der  Tage.  Liebestrank,  Regimentstochter,  Don  Pas- 
quale  sind  Stoffe  gewohnter  Musterung  und  darum  sofort  übersichtlich. 

Der  Liebestrank,  eine  vorzeitige  Parodie  auf  die  regina  Isotta,  ist  eine 
halbe  Flasche  Bordeaux,  die  der  typische  Dorfwahrsager  dem  Liebespaare 
zur  Beförderung  seiner  Geständnisse  verabreicht.  Ein  reizendes  Finale,  ein 
entzückender  Frauenflüsterchor,  belebte  passionierte  oder  romanzenhafte 
Melodien  geben  eine  heut  noch  annehmbare  und  durch  Carusos  Hilfe  auch 
überall  gern  angenommene  Probe  der  alten,  guten  italienischen  Buffooper. 

Die  Regimentstochter  ist  total  französisch  und  sehr  pikant  geblieben: 
weil  Soldat  und  Weib  in  einer  Person  addiert  sind.  Man  hat  das  Canevas 
der  opera  comique:  Wechsel  des  Land-  und  Palastmilieus,  Gebet,  Solda- 
teska, Abschiedsfuge,  Romanze,  Gesangsunterricht,  motivische  Lieder,  Ti- 
rolienne,  Erkennung  — und  der  Komponist  versteht  mit  verdächtiger  Verve 
sich  die  frischesten  militärischen  Rhythmen  zu  unterwerfen,  Ensembles  auf 
graziöse  Symmetrien,  scharfe  Akzente  zu  bauen,  den  Satz  sehr  preziös  zu 

386 


Donizctti.  Lithographie  von  Kriehuber 


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führen  und  dem  Lied  den  Pariser  Charakter  zu  geben,  der  Salon  plus  Gefühl 
ist,  wie  das  italienische  Lied  Volk  plus  Virtuosität. 

Donizetti  ist  wandelbar:  Don  Pasquale  ist  total  italienisch,  ein  Meister- 
werk der  Buffa,  der  netteste  Nachläufer  des  Barbier.  Die  Scheinehe  mit 
allem  Poltern,  um  den  Alten  zu  ärgern,  und  allem  Versöhnen,  um  den  Jun- 
gen zu  kriegen,  ist  bewährter  Pulcinellospaß.  Darüber  jagen  sich  die  Melo- 
dien, bald  ins  Orchester  geflochten,  bald  in  die  Stimmen  gewachsen,  es  fliegt 
und  flüstert,  kichert  und  stößt,  bald  breiter,  bald  schmaler,  dankbare  Rezi- 
tative,  schmeichelnde  Tänze,  knappste  Rhythmik  in  den  Ensembles,  in  dem 
Terzett  eine  süße  Silhouette,  im  zweiten  Finale  eine  meisterhafte  Ziselur, 
im  Dienerchor  ein  erquickender  Übermut  — welche  Lebenskraft  steckt  in 
dieser  uralten,  Musik  gewordenen  Marionettenkunst!  Bei  der  Premiere, 
1843  in  Paris,  war  man  nicht  sehr  außer  sich.  Man  schwärmte  für  Lucia. 
Lucia  ist  alt  geworden,  und  Don  Pasquale  hat  sich  wieder  verjüngt.  Klee- 
feld und  Bierbaum  besorgten,  unter  Rücksicht  auf  die  italienische  spätere 
Bearbeitung,  die  letzte  Ausgabe  für  das  Bedürfnis  einer  Zeit,  die  wieder 
Sinn  hat  für  die  Monumentalität  der  Puppe. 

Leicht  zerfließende  Melodien,  überlieferte  Späße,  Sinnlichkeit  und  Tan- 
zeslust klingen  aus  der  Epoche  an  unser  Ohr.  Es  sind  die  letzten  Jahrzehnte 
einer  Lebenskunst  der  Musik,  die  weiß,  warum  sie  die  Haltung  der  Form 
bewahrt.  Meister  kommen  und  Meister  gehen.  Mercadante,  Pacini,  die  bei- 
den Ricci,  Petrelia,  Filippo  Marchetti  und  Ponchielli,  viele,  viele  andere 
füllen  neben-  und  nacheinander  die  Bühnen  mit  ihren  Werken,  die  die  Fa- 
milienähnlichkeit aller  Epigonen  und  auch  aller  Vorläufer  haben:  weil  wir 
sie  von  Zentren  aus  sehen,  die  bestimmend  werden  für  ihre  Frist  und  ihren 
Wert.  Der  sie  in  sich  aufnimmt  und  erledigt,  der  sie  steigert  und  sich  selbst 
in  neue  Regionen  erhebt  — Verdi  steht  auf. 


Verdi 

AUS  seinem  freundlichen,  zutraulichen,  ländlich-bärtigen  Gesicht  blickt 
>■  uns  der  Spiegel  eines  Lebens  an,  das  wie  eine  seiner  schönen  Melodien 
dahinfloß,  reich  und  klar,  in  eine  prachtvolle  Steigerung  gebaut,  mit  wenig 
Hindernissen,  einigen  Fermaten  zum  Schluß  und  einem  frohen  Ausklang. 
Beruhigt  folgen  wrir  seiner  Linie,  die  wir  in  ähnlichen  Kurven  von  seinen 
Landsmännern  kennen,  dieser  romanischen  Linie,  deren  Richtung  von  den 
Domizilen  der  Opern  bestimmt  wird  und  deren  Kraft  sich  nach  geringen 
Schwankungen  immer  wieder  erholt.  Wir  suchen  in  dies  gleitende,  glatte 

387  »5* 


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Verdi»  Geburtshaus 


Leben  hineinzusehen,  aus 
Briefen,  aus  Biographien 
seine  Hemmungen  und 
Lasten  zu  erkennen,  das 
schwere  Los  drängender 
Tage,  aber  nichts  enthüllt 
sich  uns  als  eine  gleich- 
mäßige Arbeit  und  ein  er- 
gebener Dank  an  die  Füh- 
rung des  Schicksals.  Das 
Genie  leuchtet  in  einem 
geradezu  selbstverständ- 
lichen Glanze,  und  die  Entwickelung  vollzieht  sich  in  einer  so  heiteren  Liebens- 
würdigkeit, als  ob  die  Entfernung  vom  Oberto  zum  Falstaff  nichts  wäre  als 
eine  freundliche  Gebärde  gegen  die  Schönheit  und  den  Reichtum  des  mensch- 
lichen Geistes.  Ein  feiner  und  froher  Sinn  gießt  des  Lebens  Macht  und  Fülle 
in  Gebilde  wechselnder  und  immer  zarterer  Struktur,  von  ebenso  kluger 
Einsicht  geleitet,  als  von  modernem  Gefühl,  von  Leidenschaft  und  Technik 
gleichmäßig  beraten,  noch  einmal  ein  Mozart,  aber  ein  bewußterer,  zum 
letztenmal  ein  Italiener  alten  Schlages,  aber  in  seiner  edelsten  Kultur. 

Vor  hundert  Jahren  ist  er  in  dem  kleinen  norditalienischen  Roncole,  da 
bei  Busseto,  zur  Welt  gekommen.  Die  Hand  des  Schöpfers,  der  sonst  seines- 
gleichen mit  Pech  und  Schwefel  verfolgt,  legte  sich  segnend  auf  das  Haus 
des  bescheidenen  Händlers  mit  sali  e tabacchi  und  in  seiner  Gastwirtstube 
klangen  dem  jungen  Giuseppe  das  erstemal  die  Ohren.  Eine  idyllische  Ju- 
gend umgibt  ihn,  viel  Liebe,  Mäzenatentum,  guter  privater  Unterricht,  und 
mit  elf  Jahren  ist  er  schon  der  Organist  seiner  Heimat.  Inmitten  von  Speze- 
reien und  Kolonialwaren  findet  er  seine  Braut,  die  Tochter  seines  Gönners 
Barezzi,  der  den  Vater  mit  Viktualien,  ihn  selbst  mit  Musik  und  Hochzeiterei 
erfreut.  1839  hat  er  in  der  Scala  schon  seinen  ersten  Opernerfolg  mit  Oberto, 
Ricordi  der  Verleger  meldet  sich,  die  Opernaufträge  fliegen  ihm  zu,  und  seine 
Laufbahn  kommt  in  besten  Gang.  Ein  Bild:  Barezzi  verkauft  gerade  dem 
alten  Verdi  ein  Pfund  Käse,  dann  nimmt  er  die  Flöte,  musiziert  mit  Giuseppe, 
Margherita  sitzt  freudestrahlend  daneben,  sie  sprechen  von  alten  Zeiten,  da 
Giuseppe  heimlich  im  Kontor  Barezzis  eine  Ouvertüre  schrieb,  die  er  jetzt  im 
philharmonischen  Konzert  von  Busseto  aufführen  wird,  und  Barezzi  wußte  es 
und  lachte  und  gab  ihm  Geld  und  Zeit,  und  die  Tochter,  und  öffnete  ihm 
Familie,  Leben,  Welt,  und  Giuseppe  erhebt  die  Arme  und  dankt  ihm  und  ihr 
mit  tausend  Küssen.  Ja,  diese  beiden  Menschen  hatten  ihn  als  erste  erkannt. 

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Er  verlor  die  Barezzi  und  zwei 
Kinder  Schlag  auf  Schlag  durch  den 
Tod.  Das  war  die  erste,  aber  auch 
die  einzige  harte  Prüfung  seines 
Lebens.  Er  hatte  damals,  1840,  die 
komische  Oper  Un  giorno  di  Regno 
zu  schreiben,  und  er  schrieb  sie 
schlecht.  Er  blieb  zwei  Jahre  ruhig 
und  kam  dann  mit  dem  Nabucco 
heraus,  immer  wieder  in  der  Scala, 
von  dem  seine  Lebensmelodie,  äußer- 
lich und  innerlich,  noch  einmal  an- 
hebt, nun  fast  ungestört  und  in 
stolzem  Bogen.  Den  Nabucco  hatte 
Nicolai  abgelehnt.  Ihm  brachte  er 
einen  Riesenerfolg  und  seine  zweite 
Frau,  die  Sängerin  Strepponi,  die  in 
einer  ganz  seltenen  und  einzigen 
Glücksdauer  Hand  in  Hand  mit 
ihm  dieses  schöne  Leben  abging. 

Es  passiert  nichts  mehr — nichts 
als  Arbeit  Jahr  für  Jahr,  steigende 
Honorare,  schwankender  Erfolg, aber 
ein  unerschütterliches  Ansehen  und 
eine  Liebe  der  ganzen  Welt,  wie  sie  kaum  je  ein  Musiker  genossen.  Die  Lom- 
barden, Ernani,  die  beiden  Foscari,  Johanna  d’Arc,  Alzira,  Attila,  Macbeth, 
die  Räuber  (für  London),  die  als  Jerusalem  umgearbeiteten  Lombarden  (für 
Paris),  der  Corsar  (für  Triest),  die  Schlacht  von  Legnano,  Luisa  Miller,  Stif- 
felio  — alles  Aufträge,  besser  oder  schlechter  bedient,  unsicher  oft  im  Stil 
der  Nachahmung  oder  Selbstfindung:  bis  mit  dem  Rigoletto  (1851,  Venedig) 
die  große  Epoche  beginnt.  Troubadour  (Rom  1853)  und  Traviata  (Venedig 
1853)  sind  die  ersten  Stoffe  eigener  Wahl,  jenes  nach  dem  erfolgreichen  Drama 
des  Spaniers  Antonio  Garcia  Guttierez,  dieses  nach  Dumas’  Kameliendame,  die 
Verdi  auf  den  revolutionären  Gedanken  bringt : ein  modernes  Gesellschafts- 
stück in  Musik  zu  setzen.  Es  wird  sein  einziger  wichtiger  Durchfall,  ein 
scheinbarer  Premierendurchfall,  wie  ihn  Norma  auch  erlebt  hatte.  Das 
macht  nichts  und  geht  schnell  vorüber.  Etwas  mehr  quält  ihn  die  Zensur, 
doch  gibt  das  nur  einige  zornige  Tage,  man  ändert  die  Namen,  und  die  Kom- 
position bleibt  unangetastet.  Es  war  schon  beim  Rigoletto  gewesen,  jetzt  bei 

389 


Verdi 


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der  Sizilianischen  Vesper  (1855  Paris)  wiederholte  es  sich,  aber  beim  Masken- 
ball (1859  Rom)  wurde  cs  am  tollsten.  Die  Oper  war  von  Neapel  bestellt, 
ein  Venezianer  Librettist  hatte  den  Text  geschrieben,  der  die  Ermordung 
Gustavs  III.  auf  dem  Maskenball  zum  Sujet  hatte,  Aubers  Oper  desselben 
Sujets  war  vergessen,  man  verbot  plötzlich  den  Königsmord  auf  der  Bühne, 
Orsinis  Napoleonattentat  wurde  als  Schreckbild  ausgestellt,  der  Zensur- 
beamte ließ  im  Büro  einen  behördlich  konzessionierten  neuen  Text  schrei- 
ben, Verdi  sollte  diesen  mit  seiner  Musik  zusammenkoppeln,  er  weigert  sich, 
der  Direktor  droht  ihm  mit  Strafe,  der  König  will  intervenieren,  Verdi  lehnt 
die  Audienz  ab,  endlich  wird  die  Handlung  nach  Boston  verlegt  und  die  Auf- 
führung in  Rom  gestattet.  Immer  ist  das  Volk  für  Verdi,  es  liebt  die  patrioti- 
schen Gesänge  und  den  Freiheitszauber  seiner  Opern  und  häuft  auf  seine 
Person  eine  Art  symbolischen  Eifers  der  erwachenden  Nation.  Bei  der  An- 
nexionsabstimmung 1860  hatte  Rossinis  Votum  gefehlt,  aber  den  Namen 
Verdi  sah  man  begeistert  in  den  Initialen  der  Worte  Vittorio  Emanuele 
re  d’Italia.  Er  war  kein  Politiker  von  Partei  oder  Programm,  er  war  glück- 
lich, Aufstieg  und  Einigung  seines  Volkes  zu  erleben,  wofür  das  Volk  ihm 
allerorten  Evviva  Verdi  zurief,  aus  dem  Gefühl  heraus,  in  seiner  Kunst  eine 
ähnliche  letzte  Machtsteigerung  der  Rasse  zu  verehren  wie  in  dieser  großen 
antipäpstlichen  Staatenbildung.  Seine  Wonne  umkleidete  es  mit  den  feu- 
rigen Melodien  des  unsterblichen  Meisters,  die  den  Ruhmesweg  dieser  poli- 
tischen Erhebung  begleitet  und  mit  einem  tausendfachen  Echo  erfüllt 
hatten. 

Zwischen  der  Sizilianischen  Vesper  und  dem  Maskenball  arbeitete  Verdi 
den  Simone  Boccanegra,  der  später  noch  einmal  renoviert  wird,  und  den 
Aroldo,  als  Renovation  des  alten  Stiffelio.  Vieles,  was  gefallen  war,  gab  er 
ganz  auf;  aber  woran  er  hing,  änderte  er  immer  wieder  um,  und  desto  häu- 
figer, je  reifer  und  entwickelter  er  wird.  Die  Pausen  werden  jetzt  größer. 
Für  das  italienische  Theater  in  Petersburg  schreibt  er  1862,  drei  Jahre  nach 
dem  Maskenball,  die  Forza  del  destino.  Drei  Jahre  darauf  arbeitet  er  für  das 
Theätre  lyrique  in  Paris  den  Macbeth  um.  Zwei  Jahre  darauf  schreibt  er 
für  die  Große  Pariser  Oper  den  Don  Carlos,  den  er  später  für  Mailand  um- 
arbeitet. Vier  Jahre  später,  1871,  findet  in  Kairo  die  Premiere  der  Aida  statt, 
die  vom  Khediven,  eigentlich  schon  vorher,  zur  Eröffnung  des  Suezkanals 
bei  ihm  bestellt  war.  Ein  großer  Tag:  die  Sanktion  der  romanischen  Oper 
in  der  orientalischen  Welt  und  für  Verdi  selbst  eine  erneute  Stilverfeinerung, 
unter  nordischen,  ja  deutschen  Einflüssen.  Sechzehn  Jahre  danach,  1887  in 
Mailand,  erscheint  der  Othello.  Sechs  Jahre  danach,  am  9.  Februar  1893  in 
Mailand,  der  Falstaff.  Im  Jahre  1901  legte  er  sich  nieder.  Diese  letzten 

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Zeiträume  waren  in  einer  wunderbaren  Ruhe  verflossen,  Winters  meist  in 
Genua,  Sommers  in  Sant’  Agata.  Nicht  einmal  nach  Kairo  war  man  gereist. 
Es  vollendeten  sich  88  Jahre  eines  Menschen,  der  das  Glück  seiner  Gaben 
bis  zur  Neige  ausgekostet  hatte.  Er  war  zur  Natur  zurückgekehrt,  die  ihn 
geschaffen.  Er  hatte  zugesehen,  sich  das  Seine  gedacht  und  seine  letzten 
Früchte  in  einer  bedächtigen  und  kühlen  Weisheit  reifen  lassen.  Er  hatte 
die  Welt  wohlwollend  betrachtet  und  an  ihr  gelernt,  sein  künstlerisches  Erbe 
niemals  unterschätzt,  aber  auch  nicht  überschätzt,  die  Menschen  geliebt,  er- 
freut und  bedankt,  und  als  seine  Guiseppina  den  Weg  in  die  andere  W'elt 
vorausging,  hatte  er  seine  Überschüsse  einem  Musikerasyl  zugrunde  gelegt. 
Wenig  Religiöses  hatte  er  komponiert,  und  dies  aus  einer  naiven  und  niemals 
dargestellten  Frömmigkeit.  Es  war  nun  sein  Beruf  gewesen,  Opern  zu  ma- 
chen, sogar  oft  auf  sehr  zweifelhaften  Texten,  aber  an  seinem  letzten  Tage 
scheint  cs  ihm  vielleicht,  daß  das  alles  nur  ein  Vorwand  war,  eingegeben 
durch  sein  Blut  und  seine  Rasse,  den  Mitmenschen  auf  irgendeine  wirksame 
W eise  die  Wunder  seines  reinen  und  gütigen  Genies  mitzuteilcn:  Musik! 


Jugendopern 

DIE  Jugendopern,  von  denen  man  in  Italien  wohl  noch  diese  und  jene  zu 
hören  bekommt,  habe  ich  durchgesehen  und  gefunden,  daß  er  etwa  auf 
folgendem  Wege  sich  entwickelt  hat:  erst  Nachahmung  Rossinis,  mehr  Bel- 
linis,  noch  mehr  Donizettis,  dann  das  Aufflammen  seines  Temperaments,  in 
religiösen  und  patriotischen  Gesängen,  endlich  der  Durchbruch  zu  dem  Aus- 
druck seelischer  Melodie,  der  ihm  eigentümlich  ist.  Doch  sind  das  keine 
strengen  Perioden,  denn  er  hat  ebensowohl  plötzliche  geniale  Zukunftsblicke, 
wie  leidige  Rückfälle.  Seine  erste  Oper,  der  Oberto,  ist  nichts  als  ein  schlech- 
ter, dummer  Bellini.  Mit  dem  Nabucco  beginnt  die  flammende  Leiden- 
schaft, die  sich  durch  die  Lombarden,  den  Attila  und  die  Schlacht  von  Le- 
gnano  fortsetzt  — diese  Schlacht  von  Legnano  ist  musikalisch  wertvoller, 
als  man  in  der  Erinnerung  hat.  Aber  die  zündendsten  seiner  Gesänge  findet 
man  im  Ernani;  das  ist  ein  Feuermeer,  aus  dem  der  Chor  „Si,  ridesti  il  leon 
di  Castiglia“  wie  ein  Wahrzeichen  italienischer  Begeisterung  hervorragt. 
Einst  sang  man  ihn  mit  solcher  Heftigkeit  und  Unermüdlichkeit  im  Publi- 
kum mit,  daß  das  Theater  vor  lauter  Aufregung  geschlossen  werden  mußte. 
Es  ist  nicht  ganz  falsch,  zu  sagen,  daß  Verdi  in  dieser  Zeit  aus  dem  Rossini- 
stil und  dem  Meyerbeerstil  eine  gewisse  fruchtbare  Mischung  herstellte. 
Aber  doch  beobachtet  man,  wie  sich  langsam  das  besondere  Relief  seiner  Kunst 

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herausbildet : dieser  Genuß  an  der  typischen  Modulation  mit  den  Dominan- 
ten und  Medianten,  die  die  Balance  der  tonalen  Stimmung  in  einer  so  frischen 
und  harmonischen  Bewegung  erhält;  diese  Freude  an  der  Tonika,  die  alles 
Gute  und  Böse  in  ihren  kolorierten  Hafen  aufnimmt;  dieser  Stolz  auf  die 
immer  fertige,  schön  entspringende  Melodie  (so  fertig,  wie  die  Szene  selbst); 
diese  Lust  am  gewöhnlichen,  aber  wirksamen  Unisono  der  Chöre  und  wieder 
die  Sauberkeit  in  den  melodischen  langsamen  Ensembles;  die  Wonne  des 
Schmerzes,  der  sich  in  eine  Moll-Phrase  zu  vergraben  scheint  (so  oft  ihm  als 
„Traurigkeit“  vorgeworfen)  und  wieder  die  Figuration,  die  sich  vom  Stoff 
befreit  und  im  eigenen  Gesangsleben  weiter  vegetiert;  die  Dominanteninter- 
jektionen der  einen  duettierenden  Stimme  zur  anderen;  die  dumpfen  Schläge 
und  die  plötzlichen  Dur-Lichter;  das  konsequente  Durchlaufen  melodischer 
Ketten,  die  Terzenschleifenschlüsse,  die  kontrapunktischen  Gegenfäden,  die 
Wirbel  um  die  Dominante  (die  das  Duett  Miller-Luise  ganz  der  Traviata 
vorbereitete)  — alles  das  verdichtet  sich  aus  den  Ahnenbildern  zu  seinem 
Porträt,  und  man  kann  den  Finger  auf  die  Stücke  legen,  in  denen  er  zuerst 
sich  selbst  entdeckt  hat.  Das  Gebet  der  Gisclda  in  den  Lombarden  reinigt 
seinen  Stil,  die  Kavatine  der  Elvira  in  Ernani  ist  die  erste  richtige,  schwin- 
gende, blühende  Verdiarie  und  des  Dogen  „o  vecchio  cor,  che  batti“  in 
den  Due  Foscari  seine  ganze  schöne  Traurigkeit.  Die  gedrängte  melodische 
Phrase,  die  er  von  der  Traviata  bis  zur  Aida  kultiviert,  wächst  zum  ersten- 
mal gegen  Ende  des  Ernani  über  die  Worte  „fino  al  sospiro  estremo  uno 
solo  core  avremo“.  Man  ist  erstaunt,  im  Duett  Oronte-Giselda  der  Lom- 
barden ganz  schon  die  biegsame  Phrasierung  des  Rigoletto  zu  finden  und  in 
den  Duetten  der  Lucrezia  mit  Jacopo  und  mit  dem  Dogen  in  den  Due 
Foscari  den  vollen  leidenschaftlichen  Fluß  seiner  Melodien,  die  sich  aus  zwei 
Kehlen  im  Wetteifer  zu  übertrumpfen  suchen.  Die  Ensembles  und  Finales 
kündigen  besonders  in  den  Lombarden,  Ernani  und  Due  Foscari  seine  Meister- 
schaft an.  Due  Foscari  interessiert  auch  durch  das  Bekenntnis  motivischer 
Arbeit,  das  auf  französische  Vorbilder  hinweist.  Und  aus  Attila  möge  man 
sich  die  Schilderung  des  Sonnenaufgangs  merken,  die  seine  erste  Neigung 
zur  Orchestermalerei  darstellt. 

Aber  die  Hauptsache  bleibt  Luisa  Miller,  Er  beschäftigte  sich  mit  ihr 
in  Paris,  rue  de  la  Victoire  13,  und  es  erscheint  zweifellos,  daß  er  zu  dem 
schönen  Schlüsse  dieser  Oper,  der  eine  Epoche  für  ihn  bedeutete,  durch  den 
Einfluß  der  französischen  Bühnenmusik  gekommen  ist,  durch  die  szenische 
Rührung  und  musikalische  Realistik,  die  ihr  Vorzug  war  vor  dem  Gesangs- 
schema der  Italiener.  Luisa  Miller  beginnt  wie  irgendein  anderes  Werk  von 
ihm  mit  den  Melodiechen,  die  wir  heut  so  schwer  zu  einem  seriösen  Stoff 

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vertragen,  zumal  wenn  er  einem  Nationaldrama  der  Deutschen  entnommen 
ist.  Aber  schon  im  ersten  Finale,  fra  mortali  ancora  oppressa,  überrascht  der 
Edelsinn  der  Haltung.  Dann  in  dem  Quartett,  come  celar  le  smanie  del  mio 
geloso  amore,  streichelt  uns  eine  seltene  Zartheit.  Das  Temperament  rückt 
vor.  Die  leidenschaftlichen  Phrasen  schnellen  vorüber.  Die  Duette  der  Kata- 
strophe steigern  und  erhitzen  sich,  wie  nur  in  Aida  oder  Othello.  Die  Lied- 
chen hören  auf.  Als  erschlösse  sich  ihm  eine  neue  Welt,  in  der  großen  Sterbe- 
szene der  Liebenden,  füllen  sich  Rezitative  und  Gesänge  mit  einem  ernsten 
und  tiefen  Ausdruck,  die  Melodien  strahlen  in  einem  ungewohnten  Glanz 
und  in  einer  echten  und  herben  Kraft,  die  Harmonien  werden  scharf  und 
schwer,  die  Figur  wird  zum  dramatischen,  tätigen  Motiv,  und  wir  bekennen 
erstaunt,  daß  ein  Bühnenbild,  in  unserem  eigenen  Nationaldrama  voller 
Künstlichkeit  und  Konstruktion,  Leben  und  Seele  in  dieser  mitfühlenden 
Musik  gewinnt.  Ein  nobles  Terzett  schließt  das  Stück  und  bewahrt  die 
Stimmung.  Auf  dem  Umweg  von  Schiller  über  den  Librettisten  Camma- 
rano  war  hier  eine  Szene  vor  ihn  gekommen,  in  der  er  sich  schämte,  Bellini 
zu  spielen.  Aus  Ariensängern  wurden  Menschen,  aus  Rollen  Charaktere,  aus 
dem  Text  Schicksal  und  Wirklichkeit.  So  war  die  Traviata  vorbereitet. 


Rigoletto 

TV  BER  auch  schon  im  Rigoletto  darf  man  den  französischen  Einschlag  nicht 
-e  V übersehen.  Von  den  Stücken  Victor  Hugos  war,  mehr  als  Lucrezia  Bor- 
gia oder  Ernani,  dieser  „roi  s’amuse“  zum  Spiel  einer  dramatischen  Ironie, 
mit  starken  Kontrasten  und  Szenenwirkungen  geeignet.  Es  bleibt  unver- 
ständlich, warum  die  Zensur  die  Verwandlung  Franz’  I.  in  den  neutralen 
Herzog  von  Mantua  verlangte.  Der  Inhalt  hatte  ein  allgemein  menschliches 
Interesse  — der  Hofnarr,  der  durch  denselben  Anschlag,  mit  dem  er  den 
Verführer  seiner  Tochter  ruinieren  will,  sich  selbst  ruiniert,  gab  eine  Fülle 
musikalischer  Möglichkeiten,  Formen,  Typen,  trotz  des  Mangels  eines  weib- 
lichen Chors,  durch  den  sich  diese  Oper  auszeichnet.  Verdi  strahlt  hier  nach 
allen  Seiten  hin  aus,  indem  er  den  Mechanismus  sowohl  der  französischen 
wie  der  italienischen  Oper  durch  eine  geniale  musikalische  Phantasie  auf  eine 
überraschend  wirksame  Einheit  bringt.  Auf  uns  wirkt  es  heut  wie  eine  der 
ersten  Musiktragödien,  grausam,  weil  der  leichtsinnige  Herzog  bei  diesem 
Spiel  mit  Mcnschenseelen  frei  ausgeht.  Im  Original  saß  wenigstens  noch  eine 
Schlußszene  daran,  in  der  Gilda,  die  sich  für  ihren  Geliebten  geopfert,  noch 
einmal  erwacht  und  mit  ihrem  Vater  ein  Duett  von  rührender  französischer 


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Lyrik  singt,  was  die  Un- 
barmherzigkeit ihres  Todes 
ein  wenig  mildert.  Ich  weiß 
auch  nicht,  W'arum  man  es 
wegläßt;  es  ist  bezeichnend 
für  den  bittersüßen  Ge- 
schmack, den  diese  Epoche 
an  der  Traurigkeit  liebte. 

Mehr  als  italienisch  ist 
der  knappe  scharfe  Kontrast, 
auf  den  im  ersten  Bilde  die 
frivolen  und  die  tragischen 
Elemente  des  Inhalts  ge- 
bracht w'erden,  eine  Folge 
ausgezeichneter  Bühnen- 
tanzmusiken, die  von  einem 
orchestralen  Fluch  eingclci- 
tet  und  von  dem  gesungenen 
Fluch  des  Grafen  Monte- 
rone  (mit  Wutfiguren,  die 
Carmen  ahnen)  unterbrochen  wird.  Die  Ensemblechöre  flechten  sich  straff 
ein,  die  Konversation  liegt  leicht  darauf,  die  ballata  con  eleganza  des  Herzogs 
mit  ihrer  reizenden  harmonischen  Schlußschaukel  schwingt  sich  heraus. 

Mehr  als  italienisch  ist  auch  die  Ironie  jenes  schmcrzcnstrunkcncn  Liedes, 
das  der  Narr  singt,  mit  dem  lustigen  Munde  seines  Berufs,  im  Herzen  zu  Tode 
getroffen  durch  den  Raub  der  Tochter:  in  Stücke  zerfetzt,  verlangt  es  den 
ganzen  Schauspieler  im  Sänger.  Wogegen  Rigolcttos  folgende  Szene  mit  dem 
Chor,  das  Gnadenlicd,  wieder  zu  einfach  in  die  direkte  Stimmung  zurückver- 
fällt und  wie  aus  Verlegenheit  mit  figurativen  Nebensachen  bepackt  scheint. 

Mehr  als  italienisch  ist  endlich  auch  der  wundervolle  Naturalismus,  mit 
dem  die  Gewitter-  und  Mordszene  gezeichnet  ist.  Zwischen  tiefen  Quinten 
und  hohen  Pfiffen  gähnt  die  Öde  der  Situation.  Der  Sturm  sucht  sie  mit 
Brummstimmen  zu  füllen,  die  in  kleinen  Terzen,  verschieden  harmonisiert, 
auf  und  ab  heulen.  Ein  Motiv  des  Herzogs  fliegt  wie  verloren  durch  die 
Lüfte.  Ein  leidenschaftliches  Terzett  führt  in  zweimaligem  Aufstieg  die 
Menschen  zum  Ausbruch.  Das  rasende  Gewitter,  mit  der  Vorstellung  des 
Mordes  verschmolzen,  fegt  die  wortlose  Szene  zu  Ende.  Verdi  hatte  mit 
dieser  ozeanisch-grauen  Schilderung,  in  der  die  Musik  wie  eine  Perle  saß, 
icine  Muster  längst  übertroffen. 

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Handschrift  Verdis:  Rigoletto 


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Das  Rigole ttoquartett.  Alte  Zeichnung 


In  anderen  Fällen  bleibt  er  den  Forderungen  seiner  Rasse  treuer,  vor  allem 
schöne  Melodie  zu  geben,  selbst  auf  Kosten  des  Sinnes  und  des  Wortes, 
glücklich  in  diesem  problematischen  Kampfe  von  Ton  und  Wirklichkeit 
durch  den  Reichtum  seiner  musikalischen  Erfindung  uns  leicht  und  gefällig 
auf  die  Seite  des  sinnlichen  Genusses  zu  locken  — eine  Sünde  vielleicht, 
doch  eine  solche,  daß  wir  sie  nicht  mehr  nach  ihrer  Schädlichkeit,  sondern 
nach  ihrer  Schönheit  beurteilen.  So  singt  Gilda  ihre  große  Koloraturarie  mit 
allen  Variationsübungen  und  netten  Kontrapunkten,  als  eine  Freude  ihrer 
Kehle  über  ihre  Liebe.  So  singt  der  Herzog  sein  „la  donna  e mobile“  im 
frischen  Studenten  ton,  als  die  piece  de  resistance  seines  Tenors,  eine  so  volks- 
echte, populäre  Melodie,  daß  die  Sage  geht,  Verdi  hätte  sie  aus  Furcht,  sie 
könnte  schon  vorher  abgeleiert  werden,  erst  bei  der  Generalprobe  eingefügt 
(was  wegen  ihrer  motivischen  Verwendung  unmöglich  ist).  Interessant  schön 
und  unwahr  ist  die  Szene  zwischen  Rigoletto  und  dem  Bravo  gestaltet.  Das 
Orchester,  Solocello  und  Solobaß  mit  dunkler  Begleitung,  spielt  dazu  eine 
seltsam  eindringliche  lyrische  Melodie,  und  ein  kirchlicher  Schluß  bringt  den 
mörderischen  Pakt  zu  Ende,  daß  man  meinen  könnte,  der  Teufel  hätte  diese 
Seiten  geschrieben.  Aber  Verdi  war  kein  Spötter  seiner  selbst.  Er  machte 
schöne,  dunkle  Musik  und  legte  sie  einer  dunklen,  bösen  Verzweiflung  unter, 
durchaus  in  der  Praxis  der  damaligen  Oper.  Nur  unsere  heutige  Phantasie 

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gießt  ihre  satanische  Mischung  hinein  und  hängt  mit  entzückten  Sinnen  an 
solchem  Widerspruch. 

So  haben  wir  eine  schöne  Arie,  ein  schönes  Lied  und  einen  schönen  Or- 
chestergesang. Bei  den  größeren  Ensembles  stellt  die  reine  Musik  Bedin- 
gungen, die  selbstverständlicher  sind.  Der  Chor  der  Kavaliere,  die  den  Raub 
der  Gilda  erzählen,  ist  unisono  liedhaft  ä la  Donizetti  — so  naiv,  daß  es  uns 
heut  ein  Lächeln  entlockt.  Der  Entführungschor  ist  ein  gutes  gewohntes 
Buffostück  mit  seinen  stakkierten  Akkorden  und  dumpf  entschlossenen  Bäs- 
sen. Kränze  von  Melodien  werden  die  Duette;  gebundene  fertige  Kränze, 
die  hier  und  da  eine  einzelne  Blume  fallen  lassen.  Nach  Rigolettos  ausdrucks- 
vollem Rezitativ  „o  uomini“  setzt  sein  Duett  mit  Gilda  eine  Folge  herrlicher 
Musik  auf  ihre  Angst,  formvollendete,  kunstvoll  verschlungene,  zuletzt  mo- 
tivisch variierte  Musik  auf  zwei  Seelen,  die  sich  doch  voreinander  fürchten : 
und  unvergeßliche  Einzelheiten,  Gildas  visionäre  Figur  „se  non  volete  di  voi 
parlarmi“  über  der  absteigenden  Terz,  Quint,  Sext,  oder  die  Zartheit  des 
in  A sich  wandelnden  Des,  da  wo  sie  die  Sehnsucht  nach  Freiheit  äußert, 
solche  Stellen  treffen  plötzlich  unser  Herz,  und  viele  solche  Plötzlichkeiten 
gibt  es  in  diesem  Rigoletto.  Das  zweite  Duett  ist  zwischen  Gilda  und  dem 
Herzog,  wiederum  eine  laufende  Melodienreihe,  mit  einer  großen  Doppel- 
koloratur und  einem  reißenden  Schluß,  wie  es  so  der  Italiener  macht,  aber 
dies  ist  gezeugt  in  einer  glühenden  Einbildung,  die  im  Rausche  entzückter 
und  entzückender  Töne  ihre  stammelnden  Silben  sich  immer  und  immer 
wieder  wiederholt.  Und  auch  das  dritte  Duett,  Gilda  und  Rigoletto,  beim 
großen  Triolenracheschwur,  mit  einer  Erzählung,  die  Lied  wird,  einem 
Schluchzen,  das  stilisierte  Synkope  wird,  allen  verzerrten  Worten  und  sinn- 
losen Melodisierungen : es  ist  Musik,  die  noch  nie  einen  Hörer  nach  dem 
Inhalt  hat  fragen  lassen.  Credo,  quia  absurdum  ? 

Die  Krone  des  Rigolettoensembles  ist  das  Quartett,  eines  der  großen 
Kunstwerke  italienischer  Opernerziehung.  Der  Verführer  singt  sein  Lied, 
die  Dirne  und  die  Liebende  schlingen  ihre  Motive  gegeneinander,  der  Vater 
verschiebt  die  harmonische  Basis,  wozu  der  Verführer  und  die  Liebende 
melodische  Konturen  ziehen,  die  Dirne  rhythmisch  sich  bescheidet.  Der 
Verführer  nimmt  sein  Lied  wieder  auf,  die  Dirne  setzt  ihm  ihre  Melodie 
entgegen,  der  Vater  und  die  Liebende  umgrenzen  das  Ensemble.  Die  Lie- 
bende gewinnt  eine  zitternde  Kontur,  die  Dirne  betont  die  herrschenden 
Leittöne,  der  Verführer  erfindet  sich  eine  mittlere  Melodie,  der  Vater  fun- 
diert den  Baß,  von  jedem  melodischen  Ausbruch  der  Tochter  zu  einer  er- 
hebenden Phrase  veranlaßt.  Dies  ist  der  Bau  des  berühmten  Stückes.  Eine 
glückliche  Erfindung  läßt  ihn  in  unendlich  berückendem  Wohllaut  erklingen, 

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dieselbe  Erfindung,  die  alle  Musik  des  Rigoletto  über  jede  Gefahr  hinweg 
so  lebenskräftig  gehalten  hat.  Schwächere  Stellen,  wie  die  Anfangsaric  des 
Herzogs  im  dritten  Akt  oder  seine  Szene  mit  dem  Chor,  die  gewöhnlich  ge- 
strichen ist,  fallen  dagegen  kaum  ins  Gewicht. 


Troubadour 

MAN  vergißt  leicht,  daß  der  Troubadour  später  ist  als  Rigoletto.  Denn, 
einst  so  populär  wie  kaum  eine  zweite  Oper,  ist  er  jetzt  unter  den  Besse- 
ren ein  wenig  verachtet,  als  zu  altmodisch  oder  zu  trivial.  Warum  ? Er  hat  viele 
Minderwertigkeiten,  die  bei  unseren  Aufführungen  gestrichen  sind,  aber  das 
Hauptübel  ist  sein  Text,  der  so  fade  und  so  blöde  ist,  daß  er  mit  seiner 
Schmökerigkeit  die  Musik  selbst  langsam  vergilbt  hat.  Cammarano  hat  ihn 
auf  dem  Gewissen,  viel  ungeschickter  als  Piave,  dem  Rigoletto,  Traviata  und 
einige  andere  Libretti  immerhin  verständlicher  glückten.  Dieses  Malheur 
von  zwei  Brüdern,  die  um  dieselbe  Geliebte  kämpfen,  ist  in  eine  so  unklare 
Vorgeschichte  von  Zigeunerraub  und  -rache  gerückt,  daß  nur  dem  flei- 
ßigsten Philologen  die  Herstellung  der  ursprünglichen  Fabel  gelingen  mag, 
einem  musikfrohen  Zuhörer  aber  für  immer  verschlossen  bleiben  wird.  Was 
kann  Verdi  gereizt  haben  ? Das  Geheimnisvolle,  die  Zigeunerromantik,  das 
doppelt  geliebte  Weib,  der  Troubadourgesang  und  die  Grafeneifersucht  — 
Menschen  wurden  nicht  daraus,  denen  wir  ihr  Singen  glauben.  Was  übrig 
blieb,  ist  eine  Masse  begabter  Musik,  in  der  wir  wohl  den  Meister  erkennen. 
Und  diese  Musik  rettete  die  Oper  nicht  bloß  in  die  Künste  virtuoser  Tenore, 
sondern  auch  in  die  Sinne  harmloser  Zuhörer,  die  den  Reichtum  der  Erfin- 
dung durch  die  Banalitäten  der  Mache  hindurch  zu  genießen  verstehen. 

Da  gibt  es  allerlei  Zigeunerisches,  nicht  in  der  Originalfarbe,  aber  doch 
bunt  gestrichen  und  kapriziös  taktiert  — Ferrandos  Gesang  von  den  beiden 
Knaben,  das  Zigeunerlager  und  Azucenas  Lied  vom  Feuer,  mesta  genannt, 
aber  doch  ein  schöner  langsamer  Walzer,  der  motivisch  verwendet  wird. 
Mag  sein,  daß  das  alles  etwas  kulissenhaft  ist.  Ernster  muß  man  die  Ensembles 
nehmen,  die  Verdis  hoher  Kunst  volle  Ehre  machen:  das  Terzett  am  ersten 
Aktschluß  als  sehr  schwungvolles  italienisches  Paradigma,  die  Szenen  am  vier- 
ten Aktschluß  kunstvoll  kontrapunktierte  Melodien  und  dramatisches  Leben, 
das  große  Finale  des  zweiten  Aktes,  geschmiedet  in  echtem  Verdifeuer  mit 
dem  Höhepunkt  der  leidenschaftlichen  Phrasensequenz  Leonorcs  „O  in  ciel“, 
vor  allem  aber  das  berühmte  Miserere,  ein  starrer  Kirchenchor,  zu  dem  der 
Troubadour  und  Leonore,  ohne  sich  zu  sehen,  eine  Art  getrenntes  Liebes- 

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duett  voll  Melodie,  Fluß  und  Gegenseitigkeit  singen  — die  glücklichste 
Partie  des  ganzen  Stückes,  die  allein  an  Menschlichkeiten  grenzt. 

Pflückt  man  weiter  die  einzelnen  Gesänge  und  Arien  aus  dem  Trouba- 
dour, so  trifft  man  wohl  dabei  einige  Wiederholungen,  wie  sie  in  diesem 
umgrenzten  Stile  unvermeidlich  sind,  aber  man  staunt  doch  vor  der  Frucht- 
barkeit. Es  finden  sich  viele  Stellen  von  ursprünglich  starkem  dramatischen 
Ausdruck,  wie  in  der  Szene,  da  Leonore  das  Gift  nimmt  (mit  reizend  spielen- 
den Orchesterfiguren)  oder  zuletzt  bei  der  breit  hingestrichenen  Katastrophe. 
Es  finden  sich  auch  zahlreiche  köstliche  und  merkwürdige  Details,  wie  die 
absteigende  Reihe  von  Vorhalten  der  gefangenen  Azucena,  oder  später  ihre 
dumpfen  Trauerakkorde,  denen  der  Troubadour  eine  gounodsch  süße  Phrase 
entgegenhält,  worauf  sie  mit  einer  jener  konzentriert-melodischen  Wendun- 
gen antwortet,  die  den  neuitalienischen  Stil  geschaffen  haben.  Doch  sind  die 
festen  Arien  der  eigentliche  Bestand  dieser  Oper,  in  ihrem  Übermut  uns 
heut  oft  ein  Schlag  ins  Gesicht,  wenn  sie  die  Miserereszene  oder  die  Selbst- 
mordszene wie  Couplets  plötzlich  ins  Virtuose  wenden.  Man  muß  sie  ein- 
zeln nehmen.  Die  zärtliche  Leonorenarie  vom  Schweigen  der  Nacht  mit 
ihrem  Verdi-Chromatik- Aufstieg  und  ihrem  Verdi-Vorhalt-Aufschwung,  und 
gleich  darauf  ihr  trällerndes  Koloraturliebeslied,  des  Grafen  wiegendes 
B-Dur  vom  Blitz  ihres  Lächelns  und  sein  ritterliches  Des-Dur  von  der 
Freude,  die  ihn  erwartet,  die  schwärmerische  Romanze  des  Troubadours 
und  seine  Stretta,  die  er  kampflustig  bis  zum  hohen  C führen  mag,  sein  breit- 
gelagertes  Kantabile  in  demselben  C vor  Azucena,  die  eine  der  besten  Verdi- 
melodien in  G-Moll  beginnt,  man  denkt  ganz  langsam,  aber  es  ist  velocissi- 
mo,  und  beide  singen  in  G-Dur  einen  passionierten  Walzer,  und  plötzlich 
das  schöne  Schlummerlied  der  Azucena  — ist  es  Italien  ? — ist  es  deutsch?  — 

schubertsch  ? ai  nostri  monti  ritorneremo : in  meiner  Jugend  spielten  das 

alles  die  Leierkästen,  auf  denen  es  noch  zwanzig  Jahre  nach  der  Premiere  in 
Rom  stehen  geblieben  war,  sie  zogen  in  den  Gassen  der  Heimatstadt  umher,  und 
Abend  für  Abend  hörte  ich  es,  ohne  zu  wissen,  was  es  ist.  Ich  las  dazu  Märchen, 
und  die  Melodien  verbanden  sich  in  mir  mit  den  Vorstellungen  orientalischer 
Prinzen  und  verschleierter  Damen  aus  Bagdad.  Warum  auch  nicht? 

Traviata 

IN  einem  Bangschen  Roman  kam  ein  Organist  vor,  der  allerlei  schöne  alte 
Melodien  spielte,  und  es  hieß,  er  spielte  die  Melodien  aus  der  Traviata, 
die  uns  so  das  ganze  Leben  begleitet  haben,  diese  alten  rührenden  Melodien. 

Es  war  die  Zeit,  als  ich  dies  las,  da  ich  von  dem  ausschließlichen  Wagnertum 

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erwachte  und  hinter  Verdi, 
der  mir  bis  dahin  als  der 
Abgott  der  Trivialität  ge- 
golten hatte,  allmählich  das 
musikalische  Genie  entdeck- 
te, so  ganz  fern  meinen  Jüng- 
lingsschwärmereien, aber 
doch  eine  andere  Welt  von 
künstlerischer  Natürlichkeit, 
von  beglückender  Populari- 
tät. Und  ich  begann  lang- 
sam zu  verstehen,  daß  es 
auch  eine  solche  Musik  geben 
dürfe,  eine  Musik  ohne  Phi- 
losophie und  Problematik, 
nur  aus  Freude  an  ihrer 
eigenen  Schönheit.  Ich  be- 
gann zu  verstehen,  daß  diese 
Melodien  nicht  nur  als  Lie- 
der, die  man  so  summt  und 
pfeift,  uns  durchs  Leben  be- 
gleiten können,  sondern  als 
ein  Schatz  köstlicher  Gebilde,  die  einen  tieferen  Wert  in  ihrer  unvergäng- 
lichen Elementarkraft,  eine  Seele  in  ihrem  offenen  Auge  besitzen.  Ich  fing 
an,  sie  zu  lieben,  ihnen  zu  schmeicheln,  ihnen  abzubitten,  und  es  dauerte 
nicht  lange,  so  lächelten  wir  uns  gegenseitig  an,  wie  nach  einem  Mißver- 
ständnis, das  durch  die  Güte  zweier  Herzen  aufgehoben  ist.  Jetzt  studierte 
ich  sie.  Es  wurde  mir  plötzlich  klar,  nicht  nur  welche  Genialität  der  Erfin- 
dung in  ihnen  ruhte,  die  durch  ihre  ungeheure  Popularität  schon  unsere  Ge- 
wohnheit geworden  war,  sondern  auch  wieviel  reformatorischer  Geist  dazu 
gehörte,  sie  einem  modernen  Gesellschaftsstück,  dieser  Kameliendame,  die 
eine  Traviata  wird,  anzupassen,  in  ihren  alten  Formen  das  ewige  Leben  und 
im  heutigen  Leben  ihre  ewigen  Formen  zu  sehen.  Ich  las  den  Roman  von 
Dumas,  sein  Stück,  immer  weiter  absteigend  den  Piaveschen  Text,  da  fiel 
mir,  wie  ein  Blütenschauer,  der  ganze  Frühling  dieser  Musik  vor  den  Augen 
nieder.  Sie  hatte  die  abgelagerte  Tragödie  einer  der  großen  Pariser  Litera- 
turkokotten zu  ihrem  ewig  jungen  Eigentum  erklärt.  Ich  erkannte  Technik 
und  Phantasie,  und  was  ich  einst  verachtet,  dann  nur  geliebt  hatte,  mußte 
ich  jetzt  bewundern. 


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Das  Vorspiel,  kurz,  wie  es  Verdi  nunmehr  vorzieht,  schildert  die  Traurig- 
keit ihres  Sterbens  und  ihr  Abschiedsmotiv  der  Liebe.  So  schlägt  cs  den 
Bogen  zum  letzten  Akt  und  umschreibt  die  Einheit. 

Die  vier  Akte  selbst  bringen  die  wesentlichen  Momente  des  Dramas  auf 
ihre  musikalischen  Erlebnisse,  sie  entwickeln  den  Mythus  dieser  Geschichte. 

Der  Inhalt  des  ersten  ist  die  Bekanntschaft  und  die  Liebe:  die  Bekannt- 
schaft wird  in  ein  Festmilieu  gesteckt,  die  Liebe  in  der  großen  Violettaszene 
entfaltet;  so  setzt  sich  Chor  und  Solo  gleich  kräftig  von  einander  ab.  Die 
Festmusik,  von  zärtlichen  Nebenmotiven  durchzogen,  ist  in  einer  naiven 
Freudigkeit  erfunden,  gekrönt  von  einem  entzückenden  Walzer.  Konver- 
sation und  Chor  sitzen  leicht  darauf.  Das  erste  Intermezzo  ist  das  stür- 
mische Trinklied,  in  das  sich  Alfred,  Violetta  und  Chor  teilen,  das  zweite 
ein  kleines  Duett  mit  dem  Liebesmotiv,  das  gut  verdisch  auf  Treppen  der 
Diatonik  absteigt,  einer  schönen  melodischen  Phrase,  die  gut  verdisch  mit 
der  Terz  spielt,  Tropfenkoloraturen,  Doppelkadenz,  alles  wohl  troubadour- 
haft in  Linie  und  Schatten,  doch  hier  in  einem  ganz  neuen  Licht,  rührender, 
wahrhaftiger,  aus  dem  Munde  zweier  schicksalsgezeichneten  Menschen.  Wie 
paßt  das  alles,  das  durchaus  Schule  und  Form  ist,  in  diese  Wirklichkeit!  Die 
Schule  hatte  alles  Wesentliche  herausgebildet,  und  alles  Wesentliche  ist  der 
Triumph  der  Musik,  ob  sie  Renaud  und  Armide,  oder  Alfred  und  Violetta 
umspielt.  Wesentlich  war  Tanz,  war  Festlied,  war  Liebesduett,  wesentlich 
ist  das  große  Alleinsein  der  Frau,  ihre  Soloszene.  Rezitativisch  fühlt  sie  sich 
ein,  in  einem  weichen  F-Moll  gibt  sie  sich  der  ersten  Arie  hin,  um  das  Liebes- 
motiv in  stolzem  F-Dur  daraus  zu  erheben,  ein  neues  Rezitativ  beflügelt  ihre 
Sinne,  sie  gleitet  in  eine  Koloratur,  die  wie  mit  einem  Doppelpunkt  schließt: 
jetzt  spielt  das  Orchester  ihr  das  Allegro  brillante  vor,  glitzernd  in  seinen 
Fazetten,  sie  nimmt  es  auf,  sie  schwingt  es  hoch,  sotto  il  balcone  tönt  sein 
Liebesmotiv  herüber,  sie  umschlingt  es,  und  beide  singen  ein  getrenntes 
Liebesduett  — Schema  in  der  Form,  wie  alles  andere,  aber  Leben  in  der 
zündenden  Verve,  mit  der  sich  diese  modernen  Menschen,  voller  Musik- 
freude, in  die  Architektur  des  alten  Heiligtums  stürzen. 

Der  zweite  Akt  heißt:  Trennung  und  wird  in  drei  Duetten  erledigt,  zwi- 
schen dem  Vater  und  Violetta,  die  sich  zum  Verzicht  bringen  läßt,  Violetta 
und  Alfred,  der  ihre  Flucht  nicht  begreift,  Alfred  und  dem  Vater,  der  ihn 
zur  Räson  führen  möchte.  Voran  steht,  wie  gewöhnlich  an  dieser  Stelle,  eine 
Tenorarie,  wie  gewöhnlich  geringfügig  und  willig,  gestrichen  zu  werden. 
Die  drei  Duette  sind  verschieden,  wie  sie  sein  müssen.  Das  erste  ist,  bestens 
gesagt,  eine  Art  Entwickelung  vom  alten  Stil  zum  neuen,  vom  Vater  Ger- 
mont  zu  Violetta.  Der  Alte  beginnt  konventionell.  Das  Orchester  über- 

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nimmt  eine  bessere  Führung.  Violetta  schlägt  einen  ausdrucksvolleren  Ton 
an,  den  das  Orchester  bald  verständnisvoll  gegenstützt.  Freiere  Gegenden 
werden  gesucht,  aber  der  Vater  kommt  nicht  hinaus  über  ein  traditionelles 
Stakkato  und  Doppelschläge  — da  reißt  sich  plötzlich  Violetta  los,  in  einem 
prachtvollen  Thema,  Des-Moll,  schöne  Terzen,  schöne  Vorhalte,  der  schönste 
Verdi,  und  senkt  sich  gut  in  ein  feines  klagendes  Es-Dur,  wozu  der  Alte  sich 
schon  günstiger  stellt,  mit  seinen  mitleidigen  Piangi-Phrasen.  Noch  einmal 
hilft  das  Orchester  und  beide  finden  sich  nun  in  der  gleichen  wundervollen 
G-Moll-Melodie,  die  die  lieblichsten  Konturen  bildet,  Konturen,  die  noch 
einmal  dann  allein  erglänzen  zum  Addio.  Das  ist  das  erste  Duett  und  ich 
glaube,  es  interessiert,  in  dieser  Weise  es  anzusehen,  es  wird  dadurch  psycho- 
logischer. Das  zweite  Duett  ist  ohne  jeden  Zweifel  psychologisch,  es  ist  kurz, 
wahr,  neu.  Die  Wehmut  der  Violetta  ist  in  jenen  klagenden,  leeren,  ge- 
zogenen Vorhalten  gezeichnet,  ein  Starren  ins  Weite,  eine  Ergebung  in  die 
Dominante,  die  fortan  zur  Sprache  Verdis  gehören.  Drängender  werden  ihre 
Vorhalte,  tu  m’ami,  krampfhaft  wirbelnd  über  derselben  Dominante,  die  sic 
zerreißen,  zerrädern  möchte,  immer  heftiger,  immer  heißer,  bis  sie  in  das 
große  F-Dur  ausbricht,  das  Liebesmotiv  als  Abschied,  seine  Skala  ganz  her- 
untergeführt und  statt  alles  Romanzenschlagens  die  schärfste  Konzentration 
des  Schmerzes  in  der  leidenschaftlichen  Kurve  einer  kurzen  Phrase.  Ein 
harter  Rückschlag  ist  dagegen  das  dritte  Duett.  Das  unvermittelte  Lied  des 
Vaters  von  der  Heimat  bleibt  nach  solchem  Aufschwung  eine  Trivialität, 
wie  man  sie  auch  zudecken  möge,  und  es  ist  schrecklich,  zu  sagen,  daß  er  im 
Original  noch  eine  Polkaarie  dahinter  hat,  die  dem  Faß  den  Boden  ausschlägt. 
Die  Szene  ist  nicht  zu  retten.  Ich  würde  nicht  nur  halb,  sondern  ganz  strei- 
chen : Alfred  erhält  den  Brief,  im  selben  Augenblick  tritt  der  Vater  ein,  Vorhang. 

Der  dritte  Akt  heißt : das  böse  Wiedersehen,  und  er  birgt  die  Finalcmöglich- 
keit.  Wieder  Festmilieu,  Zigeuner,  die  sich  aus  dem  Troubadour  verlaufen 
haben,  Matadore  mit  reizendem  spanischen  Tanz,  der  dumpfe  Spielwalzer 
mit  der  Konversation  und  dem  dreimaligen  kurzgebogenen  Ausbruch  der 
Violetta,  die  erregte,  gutgemalte  Szene  zwischen  den  Liebenden : so  ist  Ma- 
terial und  Stimmung  da  für  das  gewaltige  Finale.  Alfred  beginnt  es  meyer- 
beersch,  Violetta  konturiert  es  verdisch  und  immer  massenhafter,  in  einer 
fortreißenden  Musik,  harmonisch  schön  gestaffelt,  in  starken  Synkopen, 
plötzlichen  Pianissimi,  weiten  Vorhaltbogen  rückt  es  sich  herrlich  durch  die 
Stimmen,  um  in  einem  faustgeballten  Es-Dur- Akkord  die  Tragik  dieser 
singenden  Schicksale  zu  bekräftigen. 

Im  letzten  Akt  ist  alles  Pathos,  aller  Gewänderluxus  der  Musik  vergessen. 
Alles  ist  Erinnerung  und  Versöhnung  des  Todes,  die  fruchtbarste  Gelegen- 

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heit  lyrischer  Musik.  Als  lyrische  Szene,  im  besten  Sinne  der  französischen 
Oper,  ist  der  ganze  Akt  gehalten,  wie  sie  Italien  bis  dahin  nicht  gekannt 
hatte,  in  solcher  breiten,  seelenvollen,  einheitlichen  Intimität.  Das  Orchester, 
geteilte  Sordinengeigen,  hüllt  die  Wolken  um  die  Szene,  präludiert  süße 
Sterbemotive.  Melodische  Blüten  fallen  auf  das  Krankenlager.  Ausdrucks- 
zarte Rezitative  klingen  durch  die  Luft.  Violetta  liest  tonlos  den  Brief  des 
Vaters.  Das  Liebesmotiv  singt  ihr  von  fern  in  den  Ohren.  Eine  Oboe  klagt 
mit  ihr  und  leitet  sie  zu  dem  A-Moll,  darin  sic  ihr  „Addio,  bei  passato  dei 
sogni“  anhebt,  wie  ein  uraltes  Volkslied.  Von  der  Straße  tönt  ein  impres- 
sionistisch hingefeuertes  Bacchanal  herauf.  Wieder  wirbeln  wie  einst  die  Do- 
minanten in  ihrem  heftigen  Zirkel:  wie  einst,  da  sie  von  ihm  ging,  und  nun 
kommt  er  zu  ihr!  Ihr  Duett  nimmt  sich  die  Weisen  von  den  Lippen,  ergießt 
sich  in  die  seligsten  Melodien,  die  je  Verdi  seinen  Liebenden  erfand.  Ein 
entzückender  Kampf  zwischen  Lust  und  Schwäche,  ein  Kosen  der  Töne,  ein 
Greifen  der  Harmonien,  ein  leidenschaftliches  zweites  Duett  auf  gestoßenen 
Vierteln,  daß  Donizetti  wundernd  aufblickt,  und  wundernd  blickt  Rossini 
auf,  da  dumpf  erzitternde,  hastig  atmende  Bässe  das  Terzett  untermalen, 
dieses  kleine  kostbare  Terzett,  das  sich  von  Violetta  über  Alfred  zum  Vater 
schlingt,  um  in  ein  nachdenkliches,  süßes  Soloensemble  zu  wachsen,  immer 
noch  von  den  dumpf  erzitternden,  hastig  atmenden,  schicksalspochenden 
Bässen  ermahnt:  da  leuchtet  das  letztemal  in  hohem  Tremolo  das  Liebes- 
motiv, es  schwingt  sich  in  den  Äther,  Violetta  stirbt  in  Verzückung. 

Wenn  sie  sich  im  Himmel  die  Arien,  Duette,  Trinklieder,  Koloraturen 
und  Finales  zurückruft,  die  die  Formen  ihres  Musiklebens  gewesen  waren, 
so  darf  sie  sich  sagen,  daß  sie  sie  nicht  demimondäncr  ertragen  hat  als 
die  vielen  anderen  Opernfiguren,  die  auf  der  Erde  Zurückbleiben.  Sie  kamen 
alle  nicht  aus  den  Konventionen  heraus,  die  ihnen  Cbcrlicferung  und 
Etikette  diktierten,  aber  sehnten  sich  doch  nach  einem  neuen,  freieren 
Dasein,  das  ihnen  die  Bürde  der  Form  von  den  Schultern  nehmen  könnte. 
So  verbringen  sie  ihre  Zeit  in  einem  gemischten  Stil  und  füllen  damit  die 
ganze  mittlere  Schaffensperiode  des  Meisters. 


Mittlere  Opern 

DA  war  zunächst  die  Sizilianische  Vesper,  die  er  über  einen  Scribeschen 
Text  für  Paris  schrieb,  mit  einem  Riesenballctt,  das  malerisch  die  vier 
Jahreszeiten  auf  die  Beine  bringt,  vielen  Sizilianerien,  großen  Ensembles, 
motivischen  Hinweisen,  also  ganz  für  die  Gefühle  der  Pariser,  aber  nicht  sehr 

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bedeutend,  halb  Traviataerinnerung,  halb  Aidaahnung.  Verdi  nahm  es  so 
leicht,  daß  er  sich  die  Ouvertüre,  wie  der  alte  Rossini,  von  einer  eigenen  Oper 
borgte,  der  Johanna  d’Arc,  und  sie  durch  eine  Arienmelodie  mit  diesem 
Stück  zusammennähte. 

Dann  der  Simone  Boccanegra  mit  schönen  Gartenmusiken  und  gutem 
sostenuto  religioso,  kleinen  feinen  Chören,  reizenden  Bonmots,  falstaffischen 
Miniaturen,  und  immer  mit  dem  Entschluß,  die  Dinge  schnell  wegzutun, 
hängen  sie  auch  noch  so  schwer  — eine  prächtige  Musikverschwendung  auf 
einen,  selbst  in  der  späteren  Bearbeitung  Boitos  unmöglichen  Text.  Der 
späteren  musikalischen  Renovation  entstammt  auch  das  große  erste  Finale, 
das  zu  den  ausgezeichnetsten  Stücken  Verdis  gehört,  voll  dramatischer  Kraft, 
gedrängter  Musik,  reifsten  Stilgefühls  und  ein  prächtiger  Fond  für  die  Titel- 
rolle, die  neben  seinem  König  Philipp  oder  Mussorgskis  Boris  Godunow  pa- 
radieren könnte. 

Für  Rußland  geschrieben  und  gedacht  waren  die  großen  Buffochöre,  alle 
Grotesken,  alle  Liederchen,  durch  die  sich  La  Forza  del  Destino  auszeichnet. 
Aber  die  Oper  ist  in  Italien  selbst  ungeheuer  populär  geworden  und  die  Duette 
zwischen  Don  Carlo  und  Don  Alvaro  strahlen  heut  noch  in  den  Stimmen 
Carusos  und  Scottis.  Sie  sind  nicht  das  beste  in  der  Oper,  die,  je  weiter  gegen 
Ende,  desto  weniger  selbständig,  oder  vielleicht  weniger  revidiert  erscheint. 
Die  kleinen  Einfälle,  die  knappen  Stilisierungen,  die  leichten  Würfe,  sicher- 
lich vielfach  Rctouchen  der  Revision,  geben  den  ersten  Szenen  einen  Charak- 
ter, der  besser  ist  als  der  altmodische  Ruf  dieser  Oper.  Das  Pietamotiv,  die 
führende  Phrase,  ist  aidasüß. 

Don  Carlos,  die  dritte  seiner  Schilleropern,  hat  sich  wiederum,  in  der 
französischen  Welt,  für  die  sie  geschrieben,  eher  behauptet  als  in  der  deut- 
schen und  italienischen.  Der  Text  war  sehr  lang  geraten  und  Verdi  klagte 
selbst  darüber.  In  der  letzten  Bearbeitung  hat  er  den  ganzen  Schlußakt  ge- 
strichen, in  dem  die  Erscheinung  Karls  V.  die  Zuhörer  noch  erschauern 
machte.  Für  die  Pariser  komponierte  er  viel  Kloster  und  viel  Ballett  hinein. 
In  einem  Bombenfinale  mit  Massenchören,  Trauermärschen  der  zum  Feuer- 
tod Verurteilten,  einem  Extraensemble  von  sechs  Deputierten,  der  über- 
raschenden Entwaffnung  von  Don  Carlos  und  zuguterletzt  einer  Stimme  aus 
dem  Himmel,  arbeitete  er  den  großen  Volksszenen  der  Aida  vor,  aber  das 
steht  wie  ein  Schatten  vor  dem  Bilde.  Die  Musik  schwankt  durchweg  zwi- 
schen Schema  und  Erfindung,  Typ  und  Eigenart.  Der  späte  Stil  ist  da,  aber 
das  Wasser  ist  noch  seicht.  Die  Duette  Carlos  — Posa  haben  die  üblichen 
Rhythmen.  Der  Freiheitsruf  Posas  vor  Philipp  wird  in  ein  virtuoses  Gesinge 
versteckt.  Plötzlich  wieder  tauchen  einige  Feinheiten  auf,  die  seine  reife 

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Hand  weisen,  ziselierte  Ensembles,  seelische  Offenbarungen,  die  sinnige  Ro- 
manze der  Elisabeth.  Viel  hilft  die  Grazie  der  Eboli.  Sie  hat  einen  neckischen 
Canzone  del  velo,  sie  hat  mit  Elisabeth  eine  reizende,  spielende,  geistreiche 
Szene  im  Nachtpark  mit  idyllischem,  fernem  Chor,  mit  kurzer,  weicher  Ly- 
rik, sie  hat  mit  Carlos  und  Posa  ein  freies,  fliegendes  Terzett.  Aber  das  größte 
Verdienst  hat  die  starke,  ernste  Gestalt  Philipps.  Aus  den  traurigen  Gedan- 
ken Traviatas  ist  eine  wunderbar  klagende  Vorhaltreihe  geworden,  unter  der 
eine  Melodie  kontrapunktiert,  über  der  sein  Rezitativ  nach  Ausdruck  ringt. 
Es  ist  seine  Soloszene,  nicht  lang,  aber  gewaltig.  Bald  ergeht  er  sich  in  engen, 
gepreßten  Harmonien  von  Schumannscher  Intensität,  bald  schwingt  er 
breite  königliche  Weisen.  Dumpfe  verminderte  Dominantseptakkorde  geben 
die  Farbe  des  Hintergrundes,  vor  dem  dieser  grandiose  Monolog  sich  abhebt. 
Der  Großinquisitor  erscheint  und  die  dumpfe,  malerische  Tongebung  setzt 
sich  fort,  in  tiefen  Melodien,  die  das  Orchester  ergrübelt,  heftigen  Akkord- 
gebärden, weitem  Irren  der  Skala,  ein  Irren  durch  die  Leere  der  höfischen 
Konvention,  ein  Menschensuchen,  Kirchenmotiv  und  Ergebung — kein  En- 
semble mehr,  ein  Gegeneinander  von  Kolossen,  Wucht  und  Atem,  ein  Stück, 
so  bannend,  daß  alles  Folgende,  weil  es  nichts  ist  als  gut  italienisch,  dagegen 
abfällt.  Riesengroß  bleibt  aus  dem  Don  Carlos  dieser  König  Philipp  in  Er- 
innerung, den  wir  in  der  Figur  Schaliapins  heut  erleben:  wie  er  nachdenklich 
wird  vor  Gewissensqual,  sich  aufbäumt  vor  Königsstolz,  sich  niederwirft  vor 
Demut,  bald  mit  dem  Stock  hinter  den  Geheimnissen  herumkriecht,  bald 
im  Ornat  zur  hieratischen  Maske  erstarrt,  ein  Raubtier  wird  vor  der  Königin, 
vor  dem  Inquisitor,  wie  er  Menschen  und  Dinge  wirft,  daß  an  seiner  Kraft 
Verdi  die  eigene  Kraft  gesammelt  hat. 


Maskenball 

UNTER  allen  Opern  dieser  Übergangszeit  ist  die  reizvollste  der  Masken- 
ball, weil  er  durch  die  Delikatesse  seiner  Arbeit  wirkt  wie  ein  Bijou  in 
alter  Fassung,  der  erklärte  Liebling  aller  Verdifreunde,  die  die  Gelenkigkeit 
seiner  musikalischen  Phantasie  schätzen,  ohne  sich  des  Standesbewußtsein; 
alter  guter  Formen  ganz  entschlagen  zu  können.  Es  gibt  einen  verliebten, 
aber  gutherzigen  Fürsten.  Es  gibt  Verschwörer,  die  dem  bewährten  Opem- 
effekt  folgen,  ihn  auf  einem  Balle  zu  ermorden.  Es  gibt  die  dramatische  Span- 
nung einer  Szene,  in  der  den  Mörder  das  Los  bestimmt.  Und  das  Los  zieht 
der  einstige  Freund,  der  zum  Racheariensänger  wurde,  nachdem  er  seine  Frau 
als  Geliebte  des  Fürsten  entdeckt  zu  haben  glaubt.  Wahrsagerinnen  gibt  es, 

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finstere  romantische  Zauberorte,  Pagenschcrzc,  alle  Requisiten  der  alten 
Oper  sind  beisammen.  Die  Verschwörer  fugieren  sich  untereinander  und 
kontrapunktieren  sich  gegen  die  Anhänger.  Duette  vereinen  den  guten 


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Verdi.  Porträt  von  Boldini 


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Freund  und  die  Frau,  und  den  bösen  Mann  und  die  Frau.  Ein  Terzett 
bringt  den  versteckten  Liebhaber  mit  der  Geliebten  und  der  Wahrsagerin 
zusammen,  ein  anderes  Mann,  Frau  und  Freund,  ohne  daß  jener  sie  erkennt. 
Ein  Quintett  und  große  Ensembles  schlagen  die  ganze  Geschichte  ineinander. 
Im  ersten  Finale  kontra  punktieren  sich  zwei  hymnische  Melodien.  Äußer- 
lich genommen,  wie  in  jeder  typischen  Oper.  Auch  in  der  Gestaltung  bleibt 
vieles  auf  dem  alten  Boden.  Richard  singt  ein  rechtes  Schmelzliebeslied,  das 
zum  Motiv  wird.  Der  Page  beschreibt  die  Wahrsagerin  in  Soubrettenmanier 
und  alle  beschließen,  zu  ihr  zu  gehen,  in  einem  Tempo,  das  Auber,  beinahe 
Offenbach  ihnen  vortanzt.  Die  Wahrsagerin  entwickelt  das  ganze  Pathos 
einer  breiten  Altstimme  und  Amelia  verachtet  keineswegs  die  Koloratur. 
Barkarolen  klingen  uns  an  und  Spottlieder  werden  bei  jeder  Gelegenheit 
gesungen.  Immer  wieder  guckt  Auber  durch,  auch  Donizetti,  wenn  das 
Liebesduett  zur  Stretta  eilt,  auch  Meyerbeer,  wenn  die  Verschwörer 
die  Noten  punktieren.  Renato  entwickelt  einen  starken  Konservatismus 
in  seinen  Arien  und  Amelia  benutzt  seine  Wut,  um  die  solenne  Gnaden- 
arie vorzubringen.  Aber  was  bedeutet  dieses  alte,  immer  wieder  aufge- 
richtete Gerüst  gegen  die  ungeahnt  feinen  Künste,  die  hinter  ihm  getrieben 
werden  ? 

Ein  motivisches  Geflecht  ganz  moderner  Struktur  durchzieht  die  Oper. 
Das  Orchester  fühlt  sich  frei  zu  selbständigen  malerischen  Schilderungen,  wo 
Amelia  den  verwunschenen  Platz  betritt,  wo  die  Entscheidung  durch  das 
Los  vorbereitet  wird.  Die  Bühne  erschrickt  nicht  vor  dramatischen  Plötz- 
lichkeiten, wo  Richard  der  Tod  prophezeit  wird,  wo  das  Los  den  Mörder 
bestimmt.  Der  Gesang  folgt  der  Wahrheit  der  Empfindung  mehr  als  der 
Eitelkeit  des  Virtuosen,  wo  es  ernst  wird:  Amelias  Soloszene  mit  diesen  ge- 
drängten melodischen  Ausrufen,  vom  Orchester  als  Einheit  genommen,  das 
nicht  immer  noch  dem  Sänger  seine  Phrase  vorspielt,  sondern  sie  ihm  oft  zur 
freieren  Rezitation  abhört  und  unterlegt.  Wie  von  ungefähr  fallen  feine 
Blättchen,  zarte  Arabesken  in  das  Stimmengewebe,  wie  Grüße  einer  belebten 
Phantasie.  Sie  glitzern  durch  das  Liebesduett.  Ein  entzückendes  giebliges 
Motiv  nimmt  hier  Besitz  von  der  musikalischen  Bewegung,  immer  wieder- 
holt und  durchgezogen,  schwärmerisch  schön  in  der  milden  Sehnsucht  seiner 
Vorhalte,  bis  ins  Terzett  mit  Renato  hinein,  ein  Liebeslächeln  voll  Glück 
und  Angst,  das  vor  schöner  Musik  vergeht.  Die  aparte  musikalische  Formung 
tritt  bisweilen  wie  in  einem  plötzlichen  Entschluß  hervor:  die  Wahrsagerin 
im  Terzett  beginnt  auf  einmal  ein  wiegendes  Dreiachtel,  wo  sie  den  Zauber- 
ort beschreibt,  Richard  im  Liebesduett  hebt  eine  zarte  Melodie  in  Sechs- 
achtel an,  selbst  der  Page  auf  dem  Ball  kleidet  seine  Diskretion  in  ein  lyrisches 

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Dreiachtel,  daß  man  überiascht  ist  — fände  er  nicht  schnell  seinen  Auber 
wieder.  Sogar  dieses  Tänzerische  gewinnt  zuletzt  seine  ganz  delikaten  Töne : 
die  Menuettmasurka,  die  den  Abschied  Richards  von  Amelia  mit  einer  gra- 
ziösen Ironie  umkleidet,  ist  von  feinen  Fingern  hingesetzt.  Sie  klingt,  wie  es 
einer  Todestanzmclodie  in  der  Oper  zukommt,  bis  in  sein  Sterben  hinein. 
Aber,  da  er  stirbt,  ist  man  erstaunt,  den  ätherischen  Terzen  keine  erhebliche 
Arie  folgen  zu  sehen.  Die  Stimme  versagt  ihm  auf  dem  hohen  B mitten  im 
Wort. 

Doch  nicht  so  sehr  in  diesen  entzückenden  Details  liegt  die  ganze  Köst- 
lichkeit des  Maskenballs,  die  meisterliche  Arbeit  der  Ensembles  ist  Genie. 
Hier  ist  cs,  daß  Verdi  durch  alle  gebrauchten  Formeln,  durch  französische 
oder  italienische  Landschaften  hindurch  bis  zur  Quelle  der  musikalischen 
Phantasie  steigt,  Mozart  benachbart.  Das  musikalische  Leben  an  sich  fließt 
dahin,  rein,  ursprünglich,  himmlisch.  Das  Terzett  des  zweiten  Akts  ist  ein 
Muster,  drei  Stimmen  erst  zu  rhythmisieren,  dann  zu  melodisieren,  mit  dieser 
unvergeßlichen  Wendung  der  rollenden  Skala.  Die  Ulrikaszenen  im  ersten  Akt 
stehen  auf  der  Linie  der  edelsten  Mozarts  und  der  besten  Rossinis.  Wie  fili- 
graniert  ist  die  kleine  Episode  mit  dem  Matrosen,  wie  hüpft  der  Takt  um 
die  reizende  Barkarole,  wie  gesegnet  ist  die  Erfindung  in  diesem  Terzett, 
das  sich  unter  die  schöne  Gebetsmelodie  der  Amelia  ordnet.  Dann  wächst 
es  im  Quintett  zur  großen  musikalischen  Bindung  inhaltlicher  Kontraste: 
Richards  Spottmelodie,  die  drohenden  Sechzehntel  der  Feinde,  der  kontu- 
rierende  Sopran  des  Pagen,  beim  zweitenmal  die  eingesetzte  Dominanten- 
balanze  der  Ulrika  und  eine  Auflösung  in  Akapella.  Kontrastwirkung  ist  auch 
das  Thema  des  Spottfinales  im  zweiten  Akt : ,,ve’,  la  tragedia  mutö  in  Com- 
media.“ In  Spottlied  und  Spottchor  übermütigster  Erfindung  ist  die  Ent- 
deckung der  Amelia  eingeschlossen,  aus  dem  Stelldichein  wird  eine  Ent- 
hüllung, aus  Freundschaft  Rache,  aus  Attentat  Zynismus:  die  Musik  setzt 
es  gegeneinander,  übereinander,  führt  die  Rache  wirksam  hoch,  läßt  den 
Spott  wirksam  fernab  ziehen.  Noch  einmal  ergibt  sich  eine  ähnliche  Kon- 
trastsituation im  dritten  Akt.  Der  Page  bringt  in  die  Verschwörerstimmung 
seine  operettenlustige  Balleinladung:  Ball  und  Tod  kontrapunktieren  sich 
in  einem  reißenden  Wirbelstrom,  hinein  in  die  Parole  „Morte“.  Oft  hatte 
die  Musik  so  gesprochen,  aber  selten  eine  solche  Sprache. 


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Aida 


WIR  nahen  uns  der  Aida.  Es  ist  Spätsommer  geworden,  die  Farben  schie- 
ben sich  vor,  die  Gegenstände  scheinen  sich  zu  vereinzeln,  der  IVIutter- 
boden  ist  schon  halb  vergessen  und  alles  trägt  den  satten  Reichtum  seines 
Daseins  in  sich  selbst,  die  aufgenommene  Erde,  die  eingesaugte  Luft,  das  ver- 
innerlichte Licht,  reif  und  saftig  hängen  die  Früchte.  Das  köstliche,  flirrende, 
zarte,  feinvcrästelte  Ensemble  des  Maskenballs  liegt  zurück.  Regionen  der 
Erdteile  spannen  sich.  Eine  gewaltige  Repräsentation  wird  vorbereitet  für 
alle  Kultur,  der  der  Nil  Vater  war.  Man  erwartet  in  Kairo  einen  heroisch 
glänzenden  Opernzug,  eine  Manifestation  aller  Vituositäten.  Was  wird  die- 
ser Verdi  geschaffen  haben,  auf  dem  das  Auge  der  Welt  ruht?  Und  sein 
Werk  erscheint,  ohne  jede  große  und  pompöse  Gebärde,  ohne  jede  Eitelkeit 
und  Pose  — er  schüttet  die  unendlich  reiche  Ernte  aus,  die  er  in  diesen  Jahren 
gesammelt.  Die  erste  wundervolle  Ernte  seines  schönen  Herbstes. 

Ein  Text  wird  ihm  gegeben,  wie  ihn  ein  Primaner  macht:  die  Liebe  des 
ägyptischen  Feldherrn  zur  gefangenen  Äthiopin  und  ihr  gemeinsamer  Tod, 
ohne  jede  seelische  Vertiefung,  ohne  jede  dramatische  Doppelscitigkeit,  in 
einem  primitiven  Nebeneinander  von  Szenen.  Meyerbeer  hätte  ein  Prunk- 
stück daraus  gemacht,  ihm  ist  es  nicht  mehr  möglich.  Er  kann  nicht  mehr 
Rieseneffekte  losdonnern,  er  ist  musikalisch  zu  weise  geworden,  künstlerisch 
zu  feinfühlig.  Das  Nuritalienische  genügt  ihm  längst  nicht  mehr,  das  Nur- 
französische hat  er  nie  gewollt,  das  Nurdeutsche  wäre  ihm  fremd  und  ab- 
strakt. Aber  überall  hat  er  Kräfte  und  Säfte  gezogen  und  auch  der  neuen 
nordischen  Musik  sein  Ohr  geliehen.  Man  nannte  damals  gern  jede  harmo- 
nische Besonderheit  oder  jede  melodische  Formlosigkeit  Wagnerisme,  man 
hörte  auch  hin  und  wieder,  beim  Erscheinen  des  Kriegsboten,  beim  Beten 
der  Aida,  Lohengrinanklänge.  Aber,  wenn  es  wirklich  war,  war  es  nur  äußer- 
lich. Verdi  hat  das  Deutsche  viel  weniger  unmittelbar  nachgeahmt  als  das 
Italienische  und  Französische.  Er  hatte  seine  eigene  Mischung  gefunden,  die 
nicht  so  sehr  von  einem  Stil  ausging,  als  von  der  Quelle  seiner  musikalischen 
Erfindung.  Er  war  ein  Weltmann  der  Musik  geworden  und  ein  Herrscher 
an  Phantasie,  über  den  törichten  Aidatext  senkte  er,  je  weniger  er  drama- 
tisch ergiebig  w'ar,  desto  reicher  den  Segen  seiner  Töne,  und  nicht  viel  früher, 
als  in  Paris  Bizet  zukunftsfroh  die  Spieloper  zu  einem  Lebensdokument  er- 
höhte, verfeinerte  er  die  heroische  Oper  zu  einem  geklärten  Bekenntnis  träch- 
tiger Vergangenheit. 

Die  Melodien  der  Aida  sind  ganz  aus  dem  Gesänge  erfunden,  wenn  sie 
sich  noch  sehr  der  instrumentalen  Linie  zu  nähern  scheinen.  Das  Orchester 

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tritt  als  Melodieführer  durchaus  zurück,  und  selbst 
als  Fondmaler  ist  es  bescheiden.  Die  Begleitungen 
sind  selten  klischiert,  sie  haben  einen  starken  selb- 
ständigen Rhythmus  und  ein  eigenes  agogisches  Le- 
ben. Sind  sie  Füllung,  so  durchbrechen  sie  sich  gern 
in  sorgfältiger  Arbeit,  Flöten,  Fagotte,  Celli,  Brat- 
schen ornamentieren  in  belebtem  Relief  die  Mittel- 
stimme. Das  ganze  Orchester  individualisiert  sich, 
sicherlich  nicht  ohne  nordischen  Einfluß,  und  die 
Partitur  der  Aida  ist  oft  mehr  Drama  als  die  Bühne. 

Um  eine  tragisch  dunkle  Farbe  aufzusetzen,  dort, 
wo  im  Gerichtsakt  Radames  vor  Amncris  tritt,  wird 
das  einzige  Mal  die  Baßklarinette  benutzt.  Die 
Charaktere  der  Singenden  stehen  im  Ensemble  ein- 
ander nicht  so  scharf  gegenüber,  denn  es  interessiert 
sie  viel  mehr,  wahr  zu  sein  als  künstlich.  Die  Mitte 
zwischen  Gesang  und  Orchester,  Drama  und  Melodie 
ist  dadurch  bewundernswert  getroffen.  Die  Melodie 
findet  zwischen  Schönheit  und  Ausdruck  einen  reizenden  Weg.  Im  Drama- 
tischen verschmäht  der  Chor  nicht  seine  kurzen  Einwürfe,  im  Musikalischen 
schwelgt  er  in  breiten  Weisen.  Kurze  melodische  Phrasen  geben  einigen 
Zeilen  einen  gedrängten  musikalischen  Inhalt,  ein  andermal  dehnen  sich 
Strophen  in  Lieder  aus.  Es  gibt  kein  leeres  Rezitativ  mehr,  keine  selbst- 
süchtige Koloratur,  nichts  Uniformes,  nichts  Billiges.  Die  überlieferte  Ge- 
lenkigkeit von  Dur  und  Moll  wird  der  Melodie  stets  zu  einem  Erlebnis,  die 
italienische  Phrase  wird  niemals  schabionisiert,  sie  ist  auch  dort,  wo  sie  ihre 
Herkunft  bekennt,  empfunden  und  neu  geboren. 

Motive  ziehen  sich  hinüber,  nicht  doktrinär,  aber  doch  bewußt,  so  be- 
wußt, wie  viele  kleine  eingestreute  Wendungen  hier  eine  motivische  Sprache, 
einen  Vorklang,  einen  Nachklang  bilden.  Aida  hat  das  Motiv  einer  verlore- 
nen, süßen  Träumerei,  die  Priester  eine  diatonische,  fugierte  Feierlichkeit, 
Amneris  eine  breite,  sehnsüchtig  gebundene  Melodie,'  die  sie  sich  niemals 
ganz  zu  singen  entschließt,  sondern  immer  nur  in  den  Streichern  anhört, 
und  ein  Agitatomotiv,  das  ihre  Angst  um  Radames  begleitet  und  bis  in  sein 
Liebesduett  mit  Aida  seine  Schatten  w'irft. 

Das  originelle,  schwebende  Aidamotiv  ruft  alle  Künste  der  Harmonisie- 
rung, die  unter  seine  Klarinettenmelodie  sich  immer  wieder  anders  ordnen, 
enger,  weiter,  je  nach  der  Situation,  mit  der  ganzen  Vielgliedrigkeit,  die  ihr 
Zauber  in  dieser  Oper  ist:  bis  in  die  aparte  Akkordierung  der  Trompeten- 

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Verdi  an  der  Gartentür 


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ensemblcs  und  des  prachtvollen  Kriegssanges  mit  seinem  Flaggenschluß.  Ein 
Modulationsschwung  herrscht,  der  das  romanische  Ohr  ebenso  anstrengen 
wie  das  deutsche  entzücken  mußte.  Gab  einst  die  Melodie  den  südlichen 
Sinnen  alle  Form  der  akustischen  Bewegung,  so  ist  jetzt  die  Harmonie  weit 
über  alle  Architektur  in  ein  üppiges  Schlinggewächs  auseinandergegangen. 
Ein  Zeichen  der  Zeit:  schon  stützt  sie  nicht  immer  von  unten  die  Melodie, 
schon  hängt  sie  sich  von  oben  an  ihr  herunter. 

Sollte  ich  ein  Beispiel  geben  für  die  ganze  Reife  dieser  Kunst,  ich  würde 
die  Soloszene  der  Aida  im  ersten  Akt  wählen,  die  sie  mit  der  Wiederholung 
der  abklingenden  Chorphrase  „ritorna  vincitor“  beginnt,  um  nach  einer 
wunderbaren  Folge  von  ausdrucksvollen  Rezitativen,  arienlosen  Melodien, 
lyrischen  Ausbrüchen,  ganz  Gesang  und  doch  niemals  Parade,  in  jenen  trau- 
rigsüßen, veratmenden  Tönen  „pietä  del  mio  soffrir“  zu  enden,  deren  Ver- 
lassenheit die  Celli  in  einsame  Höhe  führen. 

Sollte  ich  an  einer  Stufenleiter  ähnlicher  Aufgaben  zeigen,  wie  sich  diese 
Kunst  von  der  Opernparade  alten  Stils  zu  einer  inneren  Wahrhaftigkeit  ent- 
wickelt hat,  ich  würde  die  Duette  nennen.  Zuerst  käme  das  Duett  der  un- 
glücklich liebenden  Amneris  mit  Radames  im  Gerichtsakt:  es  sind  wahre 
Herrlichkeiten  von  Melodien,  männlich  ernste,  weiblich  hingebungsvolle,  die 
sie  da  beide  singen,  aber  man  wird  nicht  übersehen  zu  bemerken,  daß  sie  sich 
am  Anfang,  so  verschieden  ihre  Stimmung  ist,  nach  guter  Sitte  darin  teilen. 
Aida  und  ihr  intriganter  Vater  Amonasro  vermengen  sich  nicht  in  ihrem 
Duett,  setzen  Phrase  gegen  Phrase,  in  einer  unruhigen  Dramatik,  die  freilich 
im  einzelnen  Gebilde  noch  ein  wenig  den  altmodischen  Griffel  zeigt.  Ganz 
neu,  rein  und  zweisprachig  ist  das  Duett  der  Rivalinnen  Aida  und  Amneris, 
von  den  blühendsten  lyrischen,  melodiesüßen,  harmonietriefenden  Zeilen 
der  Amneris  eingeleitet,  von  der  Katastrophe  „tu  l’ami“  auf  Kontrabässen 
wirksam  unterbrochen,  dann  spannend  auf  den  fernen  Kriegschor  gesetzt 
und,  wie  in  einem  Zirkel  der  Gefühle,  von  Aida  mit  derselben  einsamen  Wen- 
dung beschlossen,  die  ihre  Soloszene  endigte.  Amneris  nimmt  sich  eine  leichte 
Violinmelodie,  Aida  eine  schwere  Bläsermelodie:  sie  stehen  unversöhnlich 
gegeneinander,  es  ist  der  Abschied  des  alten  italienischen  Duetts  in  diesem 
Stück,  das  aus  dem  Zwiespalt  der  Charaktere  einen  doppelten  Wohllaut  von 
Musik  gewinnt.  Aber  die  Liebe  vereint  die  Seelen  und  die  Melodien,  und 
die  gute  Sitte  wird  dann  ein  wahres  Leben.  Im  ersten  Duett  von  Radames 
und  Aida  schwingt  er  ein  stolzes  heldisches  Motiv  und  fügt  ein  anderes  dazu, 
auf  Trompetenrhythmik,  feurig  verschmilzt  er  sie  ineinander.  Aida  setzt  ihm 
ihre  heimatliche  Welt  entgegen,  ein  schillerndes  Orchester,  bunte  Harmo- 
nien, äthiopische  Romantik.  In  einer  neuen  Phrase,  assai  vivo,  gärend,  über- 

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schäumend,  finden  sich  beide  zusammen,  um  sein  Heldenthcma  in  einem 
glänzenden  Unisono  aufzunehmen.  Und  bald  klingt  ihre  Sterbemelodie  her- 
über, die  sie  in  ihrem  zweiten  Duett  gemeinsam  erleben:  die  alte  Form  wird 
die  ewige  Form,  aber  sie  ist  so  w'ahr,  als  sie  schön  ist. 

Doch  keine  Grammatik  oder  Syntax  erklärt  diese  neue  Sprache.  Im 
Kampfe  mit  der  Grobheit  des  Historizismus  in  der  Oper  wurde  sie  fein,  im 
Reichtum  der  göttlichen  Phantasie  wurde  sic  klingend.  Wie  dieser  zarte 
Schluß  eine  Große  Oper  ins  Ätherische  auflöste,  so  leitete  sie  statt  einer 
Kavalkade  des  Orchesters  das  lieblich  verschämte  Vorspiel  ein,  das  ein  sil- 
bernes Gedicht  aus  drei  Motiven  formt.  Statt  mit  einer  Soldatesken  Protzerei 
tritt  Radames  mit  einem  Liebeslied  vor  den  Hörer  „celeste  Aida“,  deren  F 
aus  Trompeten  über  Holzbläser  in  Violinen  leuchtend  übrig  bleibt,  um  eine 
schwärmerische  Melodie,  von  tiefen  Flöten  gefärbt,  von  Solostreichern  über- 
zittert, in  weiches  B-Dur  zu  leiten.  Weiche  Töne  und  farbige  Töne!  Der 
seltene  Fall  tritt  ein,  daß  ein  Italiener  exotischen  Kolorismus  in  Instrument 
und  Gesang  verwendet,  um  die  Reflexe  der  Landschaft  zu  verfeinern.  Der 
Nil  glitzert  in  den  Flageoletten  der  Celli,  vom  F unkeln  der  Streicher  umspielt, 
von  Flöten  vergoldet,  und  ferne  Stimmen  schwanken  zwischen  den  Tonarten 
um  ein  mystisches  G.  Oboen  singen  bunte  Vogellieder  aus  Äthiopien  und  in 
wunderlichen  Gängen  verliert  sich  Aidas  Stimme,  dunkeläugig  im  Zauber- 
wald schwerer  Tongehänge  und  zitternder  Spiegelungen.  Rote  Schatten  lie- 
gen über  der  Tempelszene.  Der  Gesang  der  Priesterinnen  brütet  in  chroma- 
tischer Enge  von  kühnstem,  ethnologischem  Schnitt,  die  Priester  setzen 
dumpfe  erzene  Akkorde  darunter,  ein  Tanz  schleicht  im  Atem  der  Bläser, 
die  seltsame  Reigen  mit  fremdgeborenen  Streichern  schlingen,  ein  Gebet, 
in  fugierter  Staffelung,  erhebt  sich  auf  Posaunenachteln,  die  die  Quinten 
nicht  scheuen,  und  sein  Feuer  wächst  und  leuchtet  hoch  über  die  roten 
Schatten,  in  einem  grellen  Es-Dur-Akkord  zum  Himmel  schlagend. 

Diese  Tempelszene  ist  eines  der  gewaltigen  Ensembles,  die  die  prunkenden 
Säulen  dieser  Oper  sind  neben  den  vielen  kleineren  pezzi  d’assieme,  fünf  Szenen- 
ensembles, aber  nicht  so  sehr  Prunk,  als  wundervollste  musikalische  Kunst, 
nicht  so  sehr  Säulen,  als  Fruchtbäume  von  erquickender  Fülle.  Das  Repräsen- 
tative wird  nicht  geleugnet,  aber  die  Kunst  nimmt  es  auf  ihr  ganzes  Gewissen. 

Der  Tempelszene  in  ihrer  Dumpfheit  entspricht  am  Schluß  die  Tempel- 
szene des  süßesten  Opfertodes.  Dem  Frauenchor  am  Hofe  des  Amneris  ent- 
spricht der  Männerchor  des  Gerichts.  Und  in  der  Mitte  steht  das  gewaltige 
zweite  Finale. 

Der  Amnerisfraucnchor,  reizend  zweigespalten,  ist  ganz  auf  feine  Modu- 
lation und  liebenswürdige  Silhouette  gestellt.  Die  wiederholten  innig-schö- 

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nen  Sequenzenrufe  der  liebenden  Königstochter  unterbrechen  ihn.  Ein 
Mohrentanz  von  prickelnd  leichtfüßiger  Harmonisation  ist  eingeschoben. 

Die  Gerichtsszene,  von  Kontrabässen  mit  Posaunenstößen  eingeleitet,  be- 
wegt sich  in  psalmodischcn,  hieratisch  erstarrten  Unisoni  und  Soli.  Die  ton- 
lose große  Trommel  malt  das  Schweigen  des  Verklagten.  Amneris  bricht  wie- 
der in  eine  dreimal  wiederholte  Phrase  aus,  jedesmal  um  einen  Halbton  ge- 
hoben. 

Das  große  Festfinale,  mit  mehrfachen  Chören,  mit  starker  Bühnenmusik, 
kann  man  in  seiner  Anlage  zeichnen  wie  einen  Grundriß:  königliches  Thema  i, 
lyrisches  Thema  2,  die  Priesterfuge  3,  der  Fanfarenaufzug  4,  das  farbige  Bal- 
lett 5.  Es  kombinieren  sich  1 und  3,  um  zu  2 in  ff  zu  führen  +3+5*  Epi- 
soden der  Handlung:  das  Amnerismotiv,  Violinen  unter  Pickelakkorden,  über 
durchbrochenen  Klarinetten ; es  ist  die  Krönung  des  Radames.  Die  Gefange- 
nen kommen  unter  Motiv  3.  Die  kleine  dramatische  Szene  des  demütigen 
Amonasro  schließt  und  führt  über.  Es  entwickelt  sich  das  zentrale  Ensemble 
in  F.  Thema  1 beginnt  von  vorn.  Eine  letzte  endesfrohe  Weise  setzt  sich  an. 
Thema  3 nimmt  sich  wieder  auf  und  führt  über  eine  Stretta  zum  Orchester- 
schluß in  Thema  4.  Das  ist  der  Grundriß,  gerade  und  klar  wie  ein  Verwal- 
tungsgebäude. Aber,  was  da  verwaltet  wird,  wer  kann  es  in  Worte  fassen, 
diese  Ernte  reifster  Phantasie,  diese  bogenweiten  Rhythmen,  entzückenden 
Arabesken,  melodischen  Girlanden,  harmonischen  Traubengehänge,  diese 
edle  Pracht  des  Orchesters  und  aller  musikglücklichen  Stimmen,  den  Geist- 
reichtum der  enharmonischen  Fanfarengruppen  in  as  und  h,  die  schwere 
Süße  des  F-Dur-Gesanges.  Es  blieb  das  grandioseste  Finale  aller  italienischen 
Musik,  und  dennoch  das  beste. 

Die  Posaunen,  die  Trompeten  haben  sich  aus  dem  Orchester  entfernt. 
Eine  selige  verklärte  Ruhe  ist  übrig.  Aida  tritt  zu  Radames  in  das  Gefängnis 
in  todesergebener,  monotoner  Rezitation  über  dunklen  Schlägen  der  großen 
Trommel  mit  tiefen  Klarinetten.  Ihr  Gefühl  hebt  sich,  von  Flöten  begleiter, 
bald  von  Streichern  versüßt.  Ein  Tänzerisches  geht  durch  die  Luft,  mit 
Bläsern  zu  Radames’  Gesang,  mit  Streichern  zu  Aida,  kindliche  Engelreigen 
im  Himmel,  den  sie  erwarten.  Der  irdische  brütende  Tempclchor  mischt 
sich  noch  einmal  hinein.  Da  führt  sie  das  Flageolett  in  das  überirdische  Ges- 
Dur,  in  dem  sie  jene  Melodie  finden,  die  sie  weit,  weit  über  jede  Erinnerung 
ihrer  Heimat  in  ungeahnte,  neuerschaute  Gefilde  der  Musik  trägt:  sie  ent- 
zücken sich  in  ihr  aneinander,  feiner  und  leichter  schwingen  die  Flügel  der 
Streicher,  der  schwärende  Duft  des  Tempelgesanges  bleibt  zurück,  vier  Violi- 
nen, zärtlich  umschlungen,  schweben  ihrem  Andenken  nach  und  alles  schließt 
in  einem  pppp,  das  der  wahre  Triumph  dieser  heroischen  Oper  ist. 

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Othello 


UND  wieder  kommen  wir  auf  einen  Übergang:  der  heißt  Othello.  Diesmal 
hatte  er  endlich  einen  würdigen  Librettisten  gefunden,  Boito,  den  ge- 
bildeten Dichter,  Sclbstmusiker,  Wagnerianer,  der  ihm  unter  möglichster 
Schonung  des  Originals  eine  wichtige  textliche  Disposition  gab:  kurze, 
wirksame  Szenen,  Empfindungen,  Worte.  Durch  ihn,  mit  ihm  wächst  auch 
in  der  Musik  das  Charaktergefühl  des  Dramas.  Altitalien  wird  verachtet, 
aber  ein  neues  Reich  wird  noch  nicht  endgültig  erobert.  Atavistisches  und 
Reformatorisches  mischt  sich,  es  kann  sich  immer  wieder  mischen  in  dauern- 
der Entwicklung,  auch  die  neue  Aida  kann  alt  werden,  und  Falstaff  ist  noch 
ungeboren.  Wohl  ergibt  sich  daraus  stellenweise  eine  gewisse  Farblosigkeit, 
aber  doch  wieder  ein  großer  Reiz  für  die  feineren  Beobachter  wahrhaft 
künstlerischer  Verlegenheiten.  Da  ist  einer,  der  sich  seiner  Jugend  erinnert, 
aber  nicht  alt  werden  will,  ein  alter  Mann  mit  modernem  Herzen,  der  sehn- 
süchtig mit  seinen  Figuren  leben  will.  Die  kühle  Ehrlichkeit  und  bunt- 
gemischte Ausmalung,  das  Süß-Herbe  und  wieder  das  stark  Koloristische, 
das  zwischen  Bühne  und  Orchester  schwebt,  diese  wunderreiche  Mitte  zwischen 
Genieren  und  Bekennen  gibt  dem  Othello  sein  Gepräge.  Aber  alles  ist  Quali- 
tät, und  diese  macht  das  Niveau. 

Der  Rossinische  Othello  galt  einst  für  den  Zerstörer  des  überlieferten 
alten  Sekkorczitativs.  Der  Verdische  kann  für  den  Zerstörer  der  Arie  gelten. 
Große  dramatische  Momente,  wie  Cassios  Demission,  gehen  vorüber  ohne 
jede  typische  Aricnbildung.  Es  gibt  keine  regelrechte  Arie  mehr,  es  gibt 
Arienanfänge,  Arienmotive,  Liederteile,  melodische  Stilisierungen,  und  neben 
dem  freien,  ausströmenden  Rezitativ  steht,  bewußt  kultiviert,  die  kurze 
eindringliche  Phrase,  die  zur  Melodie  führt,  weil  sie  die  Bedeutung  eines 
wesentlichen  Inhaltes  unterstreicht  wie  eine  Devise.  Die  Melodie  ist  nicht 
mehr  Mutter,  sie  wird  Kind,  man  sieht  sie  entstehen  und  wachsen.  In 
diesem  Sinne  wird  das  Duett  Othcllo-Jago,  das  erste  Duett  vor  dem  Garten- 
chor, eine  Neugeburt  des  Akkompagnato : es  hat  das  Arienhafte  durch  die 
ungeheure  Intensität  seines  Ausdrucks  in  das  Rezitativische  eingesaugt. 
Alles  Intensive  wächst,  der  Rhythmus,  der  Akkord.  Jago  setzt  kühn  sein  No, 
das  er  a part  spricht,  plötzlich  auf  die  Spitze  des  übermäßigen  Dreiklangs. 
Die  parallele  Schärfe  der  Harmonien  wird  Formel,  nicht  bloß  der  bequemen 
Sexten,  auch  entzückter  Septimen,  auch  eiserner  Dur-Akkorde  in  diato- 
nischer Folge.  Das  Orchester  ist  regsam  beteiligt.  Bald  streut  es  so  reizvolle 
Arabesken  in  den  Dialog,  wie  im  Duett  Jago-Cassio,  bald  wiederholt  es 
malende  Figuren,  auch  auf  Kosten  der  Melodie,  von  Tuttiakzenten  zusam- 

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mengefaßt  oder  ornamentiert  in  Vorhaltketten,  in  Akkordbrechungen, 
immer  paßt  es  auf,  deutet,  rahmt,  verengt,  verbreitert,  und  mit  Vorliebe 
schon  pflegt  es  jene,  für  den  alten  Verdi  so  charakteristische  Interpunktation, 
die  die  Bühne  durch  ein  leichtes  Komma,  einen  erwartungsvollen  Doppel- 
punkt, ein  nachdrückliches  Ausrufungszeichen,  ein  bedenkliches  Frage- 
zeichen, motivische  Anführungsstriche,  schnellgefaßte  Schlußpunkte  vor- 
trefflich skandiert. 

Es  gibt  Stücke,  in  denen  das  Neuland  unbedingtes  Bekenntnis  wird. 
Der  Chor  um  das  Feuer  ist  ganz  Naturalismus,  sprühend  in  Stimmen,  zün- 
gelnd im  Melodischen.  Das  Trinkensemble  ist  schon  fast  Impressionismus, 
in  schlürfender  Chromatik,  wankenden  Großterzen,  schiebenden  Beglei- 
tungen, lallenden  Schlüssen,  Vergessen  und  Karikieren  der  eigenen  Melodie 
in  der  trunkenen  Mischung  ineinanderstürzender  Stimmen.  Von  den 
Soloszcnen  ragt  Jagos  Credo  hervor,  ein  wenig  theatralisch  freilich  in  seiner 
Dämonie,  aber  großartig  in  der  infernalischen  Anlage.  Wogegen  Othellos 
solistischer  Schmerz  auf  ein  so  feines,  wunderbar  traurig  verschlungenes, 
vom  Zucken  eines  Herzens  rhythmisiertes  Motiv  gesetzt  ist,  daß  die  Ader 
des  Werks  sich  hier  zu  öffnen  scheint. 

Es  gibt  andere  Stücke,  die  von  einer  inneren  Quelle  ausgehen,  aber 
schließlich  doch  in  den  bewährten  Bassins  der  alten  Formen  sich  sammeln. 
So  mündet  der  Gewitterchor,  der  die  Oper  beginnt,  nach  einer  wilden 
naturalistischen  Revolution  in  wohlgesetzte  formale  Ensembles.  So  läuft 
das  Terzett  Othello-Jago-Cassio,  das  den  Spott  neben  die  Trauer  setzen  will, 
in  den  typischen  Buffonismus  ein.  So  einigen  sich  Othello  und  Jago,  nach- 
dem jener  seine  Eifersucht  aus  den  Klammern  einer  Arie  und  dieser  seine 
Intrige  aus  den  Versuchungen  der  schönen  Erzählung  von  Cassios  Traum 
befreit  hat,  in  den  alten  guten  Rachetriolen,  die,  solange  sie  Verdi  schrieb, 
seine  Aktschlüsse  mit  vollkommener  Sicherheit  über  die  Rampe  brachten. 

Und  wieder  gibt  es  Stücke,  in  denen  er  sich  nicht  entschließen  kann : 
die  Schablone  verabscheut  und  doch  seine  Kunst  wahren  will,  zugleich 
delikat  und  ehrlich  sein  möchte.  Es  sind  die  schwierigen  Ensembles  um  die 
Eifersucht.  Dort,  wo  sie  keimt,  im  zweiten  Akt,  ergibt  es  bei  aller  Schönheit 
und  Wahrheit  eine  schüchterne  Blässe.  Dort,  wo  sie  ausbricht,  im  dritten 
Finale,  ergibt  es  eine  fatale  Unsicherheit,  Verdimelismen,  die  man  nicht 
vergessen  kann,  und  doch  wieder  ihre  verschämte  Zurücknahme,  neue  Ver- 
suche, Selbstrevisionen,  ein  immer  wieder  Anfängen,  Zuflucht  in  die  ab- 
solute Schönheit,  Gewissensbisse  der  Wahrheit,  Angst  vor  dem  Papier,  schnelle 
Siegelung  — eine  Folge  schwankender  Gestalten,  die  ihren  Boden  unter  den 
Füßen  verlieren. 


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Der  Rest  sind  die  Stücke,  die  auf  verwirrend  neue  Forderungen  ver- 
zichten, um  das  Gewohnte  und  Zugängliche  zu  veredeln.  Außer  dem 
lieblichen  Gartenchor,  der  eine  belebte  Barkarole  ist,  in  seiner  Umrahmung 
von  feinsten  Orchesterspielen,  sind  es  die  Szenen  zwischen  Othello  und 
Desdcmona.  Ihre  erste  Licbesszenc,  auf  weichen  Harmonien,  bis  zum 
sechsfachen  Piano,  durch  schlagende  Sechzehntel,  süße  Septimenfolgen, 
Tremolo  und  Harfcnklang,  wollüstige  Vorhaltschlüsse,  ergeht  sich  auf  all- 
gemeinem grünen  Rasen,  bisweilen  von  einer  atmenden  Verdiphrase  gehoben, 
auslaufend  in  das  schmeichelnde  Kußmotiv,  das  dem  französischen  Senti- 
ment huldigt.  Das  zweite  Duett  schillert  in  einer  prachtvollen  stolzen  Melodie, 
die  hinter  ihrer  ritterlichen  Ergebenheit  schwer  ihre  Ironie  verbirgt,  und 
findet  sich  durch  Neo-Donizettismen,  Verdi-Ekstasen,  Piangivorhalte  auf 
manche  freie  Höhe.  Das  dritte  ist  die  Sterbeszene,  in  tiefe  Stimmung  ge- 
taucht, wie  alle  Sterbeszenen  der  vierten  Opernakte.  In  alte  Träume  ver- 
loren, erklingt  der  schwermütige  Kanzone.  Noch  einmal  schreit  eine  kurze 
Verdiphrasc  nach  dem  Leben.  Noch  einmal  versucht  das  Gebetslicd  ein 
altes  Dakapo.  Othello  tritt  ein  und  das  Orchester,  in  den  Soli  der  Kontra- 
bässe drohend,  in  Motiven  mahnend,  nimmt  ihm  die  Sprache  ab.  Es  leiht 
ihm  den  Rhythmus  für  sein  letztes  Duett:  noch  einmal  ein  Hängen  an 
Melodie,  noch  einmal  eine  Imitation  der  Stimmen.  Sie  ist  nicht  mehr. 
Ein  schnelles  Drama.  Er  tötet  sich,  unter  der  Ironie  der  Motive,  in  der 
ganzen  Rührung  guter  französischer  Lyrik. 


Falstaff 

DAS  Ende  ist  der  Falstaff.  Ein  Ende  im  Geiste,  der  alle  irdischen  Ver- 
suchungen überwunden  hat.  Nicht  ein  Versinken  in  die  Tiefen  der  Senti- 
mentalität oder  Religiosität,  sondern  ein  Hinaufführen  in  die  freudige  Höhe, 
in  die  Höhe,  da  man  dankbar  auf  sein  Leben  zurückblickt  und  von  ihm  ge- 
nesen ist  zu  jener  großen  Weisheit,  die  Humor  heißt.  Der  Herbst  neigt  zum 
Winter,  aller  wird  fein,  klein,  kühl,  alles  wird  Gehirn  und  Anschauung,  Be- 
haglichkeit der  Erinnerung,  Schellenklingen  und  Gelächter  am  Kamin. 
Die  Augen  leuchten,  der  Witz  sprüht  und  das  Herz  bleibt  ruhig.  Welche 
innere  Güte  gehört  zu  dieser  Leidenschaftslosigkeit,  welcher  ausgeglichene 
Ernst  zu  diesem  Humor.  Das  ist  ein  Werk,  das  ihn  wirklich  besitzt,  diesen 
viel  beredeten  Humor,  den  tausend  andere  um  ihn  herum  durch  Springen 
und  Grinsen  zu  erreichen  suchen.  Es  sucht  ihn  nicht,  es  hat  ihn;  es  doziert 
ihn  nicht,  sondern  es  gibt  ihn  zu.  Es  nimmt  sich  selbst  lustig  und  befreit 

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ohne  Widerstand  alle  Sentiments.  Es  ist  ein  Wiederaufleben  des  alten  Buffo- 
tums  aus  dem  Intellekt  des  modernen  Menschen.  Nicolai  war  mit  dem- 
selben Stoff  aus  dem  Buffotum  ins  Romantische  gesunken,  Verdi  steigt  aus 
jeder  Romantik  in  das  Buffotum.  Boito  hatte  ihm  den  Text  sehr  glücklich 
zurechtgemacht.  Er  scheidet  die  Verkleidungsszene  aus  und  beschränkt 
sich  auf  den  Waschkorb.  Er  setzt  die  Paraphrase  auf  die  Ehre  aus  Heinrich  IV. 
in  die  lustigen  Weiber  ein.  Alles  war  knapp  und  spritzig.  Der  Übermut 
Shakespearescher  Worte  blieb  nackt,  für  leichte  Hüllen  der  Musik.  Und  es 
wurde  so  neu,  durchsichtig,  spielend,  verwegen  und  voll  letzten  Geistes, 
daß  es  niemals  dem  Publikum  sonderlich  gefallen  hat  und  überall  die  Kenner 
zu  einem  Entzücken  ohnegleichen  führte. 

Fenton  und  Nannctta,  ein  gleichgültiges  Paar,  lieben  sich.  Das  wird  die 
Materie,  das  sogenannte  Substanzielle.  Ihre  Liebe  sitzt  zuerst  in  den  En- 
sembles drin,  als  wolle  sie  Form  bilden.  Ein  schönes  wiegendes  Liebes- 
duett  in  drei  Viertel  mit  schönen  verklingenden  Liebesrufen.  Es  kommt 
zweimal,  von  der  Intrigcnspielcrci  unterbrochen,  zweimal  ganz  naiv,  plötz- 
lich, wie  numeriert.  Es  steht  zwischen  den  mehr  getrennten  Ensembles 
der  Weiber  und  der  Männer  und  dem  gemeinsamen  Ensemble,  wo  sie  ihre 
Motive  durcheinanderwerfen.  Vor  dem  ersten  Ensemble  kommt  die  Lek- 
türe des  Falstaffbricfes,  nach  dem  letzten  spielt  sie  noch  einmal  an.  Also 
Symmetrie  wie  in  einer  richtigen  alten  Oper.  Formbildung,  Architektur, 
Grundriß.  Diese  Liebe  ist  wahr,  jene  Liebe  ist  simuliert,  die  dritte  Liebe 
ist  angczweifclt,  Kontraste  und  Reflexe.  Nannetta  teilt  sich  in  die  echte 
und  in  die  gespielte  Liebe.  Fenton  im  großen  Nonett  hat  als  mittelste  aller 
hüpfenden  Stimmen  eine  breite  Kantilenc.  Es  ist,  als  ob  er  die  Angel  dieser 
Tür  wäre,  die  nach  beiden  Seiten  schlägt. 

Die  Liebe  hat  versucht,  Form  zu  machen,  jetzt  versucht  sie,  Handlung 
zu  machen.  Sie  steckt  hinter  dem  Wandschirm,  während  die  wütenden 
Jäger  auf  Falstaff  glauben,  er  stecke  dahinter.  Sie  singt  dort  wundervolle 
Dreiviertels,  und  im  Ensemble  zieht  sie  Konturen.  Dann  fällt  der  Schirm, 
sie  ist  entdeckt,  und  mit  ihrer  Handlung  ist  es  auch  zu  Ende. 

So  begnügt  sie  sich  mit  dem  Rahmen.  Sie  leitet  die  Waldszene  ein,  gar 
süß  in  Schlüssen,  und  sie  schließt  sie  selbst  noch  süßer  auf  die  Rhythmen 
eines  mozartlichen  Menuetts,  das  die  Hochzeit  aller  Gemüter  verkündet. 
Sie  hat  getan,  was  sie  konnte,  ohne  zu  ahnen,  daß  sie  nichts  sollte  als  einen 
Grund  bilden  für  alles  Negative,  Materienlose,  Geistesflügge,  das  die  Freude 
des  Alters  ist.  Arme,  schöne  Liebe.  Ist  es  die  letzte  kühle  Erinnerung  des 
Lebens  ? Der  letzte  Gruß  ? Form,  Handlung,  Stimmung  ist  sie  gewesen, 
und  nun  danken  wir  ihr. 

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Nun  erhebt  sich  die  Schar  der  Geister,  nun  beginnt  das  große  Drama 
des  Narrentums,  das  im  Fluge  vergnügter  Stimmen,  solistischer  Instrumente 
vorüberrauscht,  aller  Pierrotkünste,  die  jemals  eine  Oboe  zwangen,  Trom- 
pete zu  sein,  eine  große  Trommel,  Baß  zu  singen,  eine  Violine,  Koloraturen 
zu  machen,  ein  Cello,  Tränen  zu  weinen,  eine  Pickclflöte,  sich  die  Mütze 
vom  Kopf  zu  schleudern,  Weiber,  aus  Liebe  ihre  Männer  zu  betrügen,  Männer, 
aus  Eifersucht  ihre  Weiber  zu  küssen,  Spitzbuben,  zu  Märtyrern  zu  werden 
und  Ritter  zu  Opernsängern.  Viertelpause,  zwei,  rutsch,  schlag,  schlag  — 
welche  köstliche  Wut  des  Dottore  Cajus,  der  das  alles  noch  nicht  einmal 
weiß:  die  Dieberei  con  decoro  in  vier  mystisch  aufsteigenden  Vierteln,  den 
falschgesungenen  Kanon  auf  das  Amen,  die  leuchtende  Nascn-Weise,  das 
ritterliche  Blähen  oder  das  Bauchmotiv  im  Zickzack  eines  Themas,  das  durch 
die  ganze  Breite  des  Orchesters  getrennt  ist.  Enorme  Falstaff!  Lachst 
du  über  diese  alten  Verdivorhalte,  die  uns  dauernd  versichern,  daß  sie  Liebe 
bedeuten,  erfindest  du  Verführungsmelodien,  jugendliche  Skalenläufe  — 
ha,  deine  Ehre:  Pfiff,  Buins.  Du  bringst  die  Schurken  schon  auf  ihre  Etüden- 
beine. Und  Weibertriolen,  Männerachtel  schwirren  daher  und  Liebes- 
phrasen  a la  Verdi  werden  persifliert,  Emphasen  en  miniature,  Zittoflüstern 
-en  miniature,  Akkordgurgeln,  Melodienschlenkern,  Tonpicken,  die  Ironie 
des  Galanten,  die  Thematik  des  Nasenstübers:  eine  neunstimmige  Buffo- 
verschwörung gegen  sich,  gegen  ihn,  gegen  die  Liebe,  die  man  nicht  glaubt, 
auslacht,  zur  Oper  machen  will,  zur  ernsten,  die  komisch  ist,  zur  komischen, 
die  ernst  ist.  Reverenza!  Motiv.  Povera  donna!  Motiv.  Dalle  due  alle 
tre!  Motiv.  Hopp,  hopp,  geht  der  Takt.  Melodien  tun,  als  ob  sie  wären. 
Das  Orchester  macht  Echo.  Passagen  laufen  aus,  als  ob  sie  gejagt  würden. 
Rezitative  lassen  sich  von  bewußter  Dummheit  begleiten.  Va,  vecchio 
John,  es  will  ein  Marsch  werden,  ein  lendenlahmer  Marsch,  da  Sir  John 
auf  die  Freite  geht.  Und  Ford  kommt  zu  ihm,  als  Fontana  musizierend: 
verstellte  Punktierung  von  Verlegenheiten , der  sacco  di  monete  als  Kette 
von  Vorschlägen,  Beteuerungen  von  Sequenzen,  als  liebe  er,  wie  Verdi 
einst  hat  lieben  lassen.  Es  ist  ein  Getue  von  simulierter  Musik,  Liedchen- 
trällerei, die  man  zitiert,  Arien,  die  man  nicht  fertig  kriegt,  Begleitungen, 
die  weiter  dudeln,  wenn  sie  längst  erledigt  sind,  Koloraturen  und  Imitationen, 
die  aller  Vernunft  spotten,  süffige  Triller  auf  das  herausfordernde  Wort 
Ochse  und  eine  stolze  Themenbildung  auf  das  Aufsetzen  der  Hörner.  Falstaff 
faucht  in  rigolettesken  Triolen,  Ford  wütet  in  einer  othellonischen  Bravour, 
sie  stampfen  und  wiederholen  die  Worte,  als  ob  sie  eine  Oper  zu  singen 
hätten.  Falstaff  ist  zum  Rendezvous  gekleidet,  Gavottchen,  Schleifchen, 
Bänderchen  und  viel  Handbewegung  der  Musik,  einladende,  keine  warnende, 

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nicht  einmal  eine  schnippende,  denn  sie  würde  sich  lieber  die  Flöte  zerbeißen, 
als  daß  sie  verriete,  ein  angeführter  Mann  wolle  hier,  um  die  Treue  seiner 
Frau  zu  prüfen,  einen  angeführten  Verführer  verführen,  sie  zu  brechen. 
Sie  kompromittiert  nicht  den  Mann,  nicht  den  Galan,  nicht  sich  selbst. 
Komödie  bis  in  die  viergestrichene  Oktave!  Alle  feierlichen  Unisoni  sind 
lächelndes  Einverständnis,  alle  Apotheosen  ein  Stimmenkarneval  der  lustigen 
Weiber,  alle  Gitarrenständchen  Verlegenheiten  der  Liebhaber,  alle  Buffo- 
couplets falsche  Vorspiegelungen  einstiger  Pagenallegros  con  brio,  und  alle 
Stöße,  Sprünge,  Pizzikati,  Stakkati  der  Sechzehntel  die  gespenstische  Jagd- 
musik für  das  edle  Wild,  das  im  Waschkorb  seiner  Erlösung  harrt.  La  demcnza 
trillante!  O ihr  Götter  aller  alten  Mythologien,  nehmt  mich  in  euer  letztes 
Narrenfest  auf.  Ich  will  Liebesarien,  Rachearien,  Gebetarien,  Gnadenarien 
singen,  wie  in  alter  Zeit,  um  auch  meine  Erlösung  zu  finden.  Horcht,  was 
ist  da  — Lachfontänen,  Festsignalchen,  Tanzrhythmen,  Septimen  unerlöste! 
Mit  einem  romantischen  Schauermotiv  tritt  er  in  den  Wald  von  Windsor. 
Auf  zwölf  romantischen  Harmonien  schlägt  das  F der  Mittemachtsglocke. 
Gloria,  amore,  vendetta!  Welcher  schöne  Operntrubel,  welcher  Ensemble- 
komment, alle  Galanterien  der  Form,  aller  Schwatz  von  Figuren,  alle  Kom- 
plimente von  Dakapoliedern,  Blößen  von  Sekunden,  Attitüden  von  Vorhal- 
ten, Pariser  Höllenfeste,  wienerische  Schmeicheleien  tanzender  Elfen:  o, 
sono  le  fate?  chi  le  guarda  e morto.  Nicht  sterben,  nicht  sterben.  Jetzt 
endlich  erkenne  ich  euch,  ich  bitte  um  Schonung,  ohne  Arie,  ohne  Kadenz, 

ohne  Kolo ihr  seid  ja  Menschen,  laßt  uns  leben,  erlösen  wir  uns,  reißen 

wir  uns  die  Masken  herunter,  seien  wir  fröhlich  und  guter  Dinge,  und  um 
dieser  Wahrheit  dieselbe  Ehre  zu  geben  wie  unserer  vortrefflichen  alten 
musikalischen  Schule,  verbindet  zum  Schluß  ein  Zukünftiges  mit  einem 
Vergangenen,  singt  eine  große,  richtige,  feierlich-unfeierliche  Ensemble- 
fuge auf  den  Inhalt  „Tutto  in  mondo  e burla“.  Und  Verdi  singt  eine  Stimme 
mit:  ride  ben,  chi  ride  la  risata  final. 


Das  Erbe 

DAS  Werk  Verdis  ist  der  Abschied  vom  alten  Italien.  Er  begann  als  einer 
der  vielen  und  endigte  als  einer  der  wenigen.  Eine  ungeheure  Entwick- 
lung liegt  in  seinen  Opern  beschlossen,  so  groß,  wrie  sie  kein  zweiter  erlebt 
hat.  Alles  Abenteuernde,  was  der  alte  italienische  Komponist  in  der  Zu- 
fälligkeit seiner  Arbeiten,  in  ihrem  Leichtsinn,  ihrer  Laune  geliebt  hat,  über- 
windet er  durch  eine  außerordentliche  Pflege  seiner  Begabung  und  durch 
einsichtige  Wandlung  innerhalb  der  Zeitströmungen.  Niemand  hat  sonst 

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so  viele  Stufen  erklettert,  so  viele  Übergangsstufen.  Auch  er  ist  von  Auf- 
trägen, von  Konstellationen  abhängig,  er  sucht  die  Musik  zwischen  seinen 
Aufgaben,  nicht  die  Aufgaben  zwischen  seiner  Musik,  aber  je  älter  er  wird, 
desto  mehr  ist  er  ein  gewissenhafter  Hüter  des  offenen  Quells,  der  ihm  in 
seiner  Erfindung  fließt.  Darin  ist  er  die  Vollendung  Mozarts,  einer  ähn- 
lichen Natur,  die  nicht  mehr  die  Zeit  und  auch  nicht  die  Epoche  gehabt 
hatte,  sich  auszuleben.  Niemals  hätte  Rossini  diese  Zucht  besessen,  niemals 
Meyerbeer  diese  Ehrlichkeit. 

Ist  die  Oper  in  der  Theorie  ein  unlösbares  Paradoxon,  so  ist  sie  in  dem 
Werke  ein  lebendiger  Organismus  letzter  künstlerischer  Kräfte,  an  dem 
Rasse  und  Persönlichkeit  arbeiten.  Zur  Zeit  der  hohen  Wagnerflut  war 
es  wohl  schwierig,  die  Augen  für  eine  Kunstgattung  offen  zu  halten,  in  der 
das  romanische  Temperament  bei  aller  Verfeinerung  nicht  einen  Zoll  breit 
von  seinen  Forderungen  gewichen  ist.  Heut  sind  wir  schon  wieder  so  weit, 
die  Melodien  der  Traviata,  das  Rigolettoquartett,  den  zierlichen  Archais- 
mus des  Maskenballs,  die  bunten  Harmonien  der  Aida  als  eine  Einheit  zu 
fassen,  die  eigen  Gewächs  ist,  gut  in  seiner  Art,  weil  es  stark  ist  und  rein. 
Hier  drängt  sich  freilich  keine  Subjektivität  auf,  hier  ist  alles  schöne,  sinn- 
liche Musik  geworden,  führender  Gesang  und  rücksichtsvolles  Orchester, 
eine  freie  und  sich  genügende  Musik,  die  die  Dinge  nur  braucht,  um  an 
ihnen  ihre  Herrlichkeit  zu  entfalten.  Sie  ist  nicht  eifersüchtig  auf  den  Ge- 
danken und  leidet  dadurch  nicht  am  Material,  sie  hat  ihr  Ziel  in  sich  selbst, 
und  schafft  sie  ein  Musikbild,  das  der  Phantasie  mindestens  so  wie  dem 
Gewissen  huldigt,  hat  sie  ihr  Werk  getan.  Vielleicht  erreicht  sie  durch 
diese  dauernden  Vermittlungen  von  Phantasie  und  Gewissen,  Gesang  und 
Instrument,  Bühne  und  absoluter  Schönheit  niemals  das  ganz  Endgültige, 
wie  auch  Mozart  niemals  das  ganz  Letzte  hinstellen  konnte,  aber  sie  setzt 
in  ihrer  Gesamtheit  eine  Kultur  ab,  in  der  der  Zauber  der  südlichen  Freude 
an  der  Musik  durch  die  Jahreszeiten  der  Erde  unvermindert  fortwirken  wird 
— offenbart  durch  das  Genie,  das  alle  Fragen  erledigt. 

Besonders  in  unseren  Tagen,  da  wir  so  oft  in  der  Gefahr  sind,  in  der 
symphonischen  Flut  der  Opernkunst  fortgeschwemmt  zu  werden  und  zu 
ertrinken,  wird  diese  Kultur  eine  Erziehung  und  Stärkung  wankender  Be- 
griffe bleiben  müssen.  Hier  ist  einer,  der  in  stiller  Kraft  seine  Kunst  zu 
nichts  anderem  machte  als  dem  äußeren  Spiegel  seiner  Vorstellungswelten. 
Hier  ist  einer,  der  ohne  Experiment  die  scharfen  Befehle  seiner  Technik 
verstand  und  befolgte,  knappe  Szenen,  unermüdlich  belebte  Rhythmik, 
ein  seelen volles  Melos  und  Charaktere,  die  nicht  nur  durch  irgendeine  Mytho- 
logie gehalten  werden,  welche  sie  zu  vertreten  haben,  sondern  plastische 

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Gebilde  von  Rollen  geworden  sind,  die  ihre  Bühnenexistenz  sichern.  Die 
Opernkunst,  die  eine  Konvention  ist,  entfernt  sich  in  solchen  Naturen, 
in  denen  Einbildungskraft  und  Wirkungswille  konvergieren,  niemals  un- 
vermittelt von  der  Tradition.  Sie  macht  weder  die  Moden  der  Vergangen- 
heiten sinnlos  nach,  noch  kokettiert  sie  verständnislos  mit  den  Moden 
der  Zukunft.  Sie  ist  von  der  Notwendigkeit,  auch  der  historischen  Not- 
wendigkeit des  baulichen  Stils  viel  zu  sehr  überzeugt,  um  die  Prinzipien 
der  Musik  jemals  ganz  der  Gerechtigkeit  der  Psychologie  zu  opfern,  bis  in 
die  geistreich  lächelnde  Ironie  der  alten  Formen  im  Falstaff.  Das  ist  das 
Erbe  Verdis. 


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WAGNER 


Die  Paradoxie  a/s  Erlebnis 

WAGNER  ist  die  Paradoxie  der  Oper  als  Erlebnis. 

Ein  grausames  Schicksal  hatte  alle  Elemente  dieser  Kunstgattung  in 
ihm  gehäuft,  in  ihm  als  einer  einzigen  Person.  Er  war  Musiker  und  dichtete, 
ein  rechtes  Theaterblut  und  doch  eine  symphonische  Natur,  er  dirigierte 
leidenschaftlich  und  hatte  das  Gewissen  reinster  Deklamation,  er  prüfte 
die  Bühne  auf  ihre  peinlichsten  malerischen,  mimischen,  szenischen  Stil- 
gesetze  und  fühlte  sich  als  Erzieher  eines  vergnügungssüchtigen  Publikums, 
zu  guter  Letzt  hat  er  noch  erheblich  theoretisch  über  dies  alles  nachgedacht, 
philosophiert  und  geschrieben.  Daß  der  Ton  mit  dem  Wort,  Gesang  und 
Orchester,  Aufführung  und  Publikum  und  alles  mit  der  Theorie  in  der  Oper 
sich  streitet,  war  ihr  Wesen.  Aber  daß  dies  alles  in  den  Begabungen  eines 
einzigen  Menschen  vereinigt  war,  mußte  Explosionen  machen,  Riesen- 
kräfte entwickeln,  und  während  der  Mund  nach  dem  Gesamtkunstwerk 
schreit,  in  allen  Feuern  der  Leidenschaften  dieser  einzelnen  Elemente  auf- 
flammen. 

Die  Oper  hatte  alles  nach  seiner  Art  hcrausgebracht,  das  Klassizistische 
und  das  Buffoneske,  die  französische  Komik  und  die  deutsche  Romantik, 
die  historische  Pracht  und  die  nationale  Exotik.  Sie  hatte  den  Fidelio  er- 
lebt, der  ein  fragmentarischer  Koloß  blieb  zwischen  ihren  Konflikten.  Sie 
hatte  Verdi  aufblühen  lassen  als  letzte  Kultur  südländischer  Form.  Jetzt 
schuf  sie  gleichzeitig  diesen  Wagner,  den  Deutschen,  inmitten  aller  dieser 
ihrer  Probleme  und  Arten,  und  was  sie  im  Fidelio  getrennt  sah,  legte  sie  hier 
zu  einem  furchtbaren  grandiosen  Spiel  der  Kräfte  zusammen  in  dem  letzten 
Romantiker,  in  einem  Nordländer  voller  Gefühle  und  Gedanken,  in  einer 
zehnfach  begabten  Genialität.  Sie  war  gewohnt  gewesen,  irgend  etwas 
an  sich  leicht  zu  nehmen,  und  so  war  es  gegangen.  Hier  nahm  sie  endlich 
einmal  alles  ernst,  pflanzte  unbarmherzig  alle  Keime  in  diese  eine  Seele  und 
machte  ihren  Auscrwählten  wunderbar  unglücklich. 

Er  hätte  können  Opern  dichten  und  komponieren  und  dirigieren  und 
wäre  ein  tieferer  Lortzing  geblieben.  Er  hätte  können  Symphonien  machen, 
die  Regie  reformieren,  Erziehungsschriften  verfassen  oder  gar  ein  Ästhetiker 

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werden  — es  wäre  ein  Teil  seines  Wesens  ausgewachsen  und  manche  Zu- 
friedenheit über  ihn  gekommen.  Aber  er  sollte  die  Rache  der  ganzen  Oper 
an  sich  selbst  erleben,  und  mußte  sich  am  Unglück  berauschen. 

Sein  Schreibstil  ist  ein  Spiegel  dieses  zerquälten  Inneren,  das  Sinnlich- 
keit und  Denken  in  ein  kontrapunktischcs  Geflecht  zu  bringen  sucht.  Seine 
Briefe  sind  die  blutigsten,  die  je  ein  Künstler  sich  abgerungen,  zerwühlt 
in  Illusionen,  Kämpfen  und  Hoffnungen.  Seine  Autobiographie  ist  der  kühle 
Versuch,  dies  Leben  auf  eine  klingende  Partitur  zu  bringen,  das  aus  der 
einen  Überwindung  der  anderen  Überwindung  besteht,  um  sich  in  eine 
künstliche  Monumentalität  zu  flüchten,  deren  Weihrauchduft  noch  um  die 
Stätte  seines  Wirkens  schwebt. 

In  diesem  Schädel  war  durch  Schicksals  Macht  ein  Krieg  der  Künste 
ausztifechten.  Rin  träumerisches  Auge,  ein  pastorales  Missionsgefühl,  ein 
energischer  Wirkungswille  arbeiten  am  Grund  und  Bau  dieses  Werkes: 
durch  und  durch  Charakter,  bis  zur  Grobheit,  bis  zur  Unausstehlichkeit. 
Er  ist  historisch  geworden.  Wir  brauchen  ihm  nicht  mehr  als  Jünglinge 
um  den  Hals  zu  fallen,  die  Rührung  über  seine  Größe  auszuweinen.  Wir 
brauchen  nicht  mehr  sein  Pathos  des  Gesamtkunstwerks  in  Ton  und  Ge- 
bärde nachzubilden,  den  Schöpfer  des  deutschen  Dramas,  den  Erlöser  der 
Künste,  den  Messias  des  Theaters  in  ihm  zu  preisen.  Alle  winselnden  Bio- 
graphien, alle  orphischcn  Deutungen,  alle  exegetischen  Kriechereien  liegen 
hinter  uns,  selbst  alle  Shawschen  Zynismen.  Wir  nehmen  ihn  als  etwas  viel 
Größeres,  als  das  titanische  Opfer  des  Opernschicksals  an  die  Musik.  Wer 
über  ihn  noch  redet,  ohne  seine  Musik  im  Herzen  tragen,  ohne  die  un- 
begrenzte Genialität  seiner  musikalischen  Phantasie  schätzen  zu  können, 
redet  über  ein  Postament  ohne  Statue.  Der  widerwillige  Sieg  der  Musik 
ist  sein  Leben.  Er  spricht  von  allem  andern  mehr  als  von  ihr.  Wir  sprechen 
von  ihr  mehr  als  von  allem  andern.  Er  führte  tausend  Geister  mit  sich 
im  Kreise  herum,  nun  ist  es  Zeit,  diese  Spirale  zu  schließen  und  ihn  im 
großen  und  im  ganzen  zu  nehmen.  Die  Paradoxie  der  Oper  wird  in  Wagner 
Erlebnis.  Das  ist  das  Wesentliche,  das  ist  der  Sinn  der  Geschichte.  Und 
während  er  diesen  Streit  der  Künste  durch  eine  geschriebene  Theorie  zu 
schlichten  sucht,  rettet  ihn  die  Musik,  seine  gütige  Herrin,  die  einzige,  die 
es  ganz  ehrlich  mit  ihm  meinte,  in  eine  Unsterblichkeit,  die  über  alle  ästhe- 
tischen Konflikte  erhaben  ist. 


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Leben 


GLUCKS  Leben  ist  ein  klassischer  Bau  der  Vorsehung,  Mozart  ein  frohes 
Spiel  zwischen  Gelegenheiten,  Auber  ein  häuslicher  Fleiß,  Rossini  ein 
savoir  vivre,  Mcyerbcer  ein  System  der  Erfolge,  Bizet  ein  Erwachen  vor  dem 
Tode,  Weber  eine  unentschlossene  Heimatlosigkeit,  Verdi  eine  Ökonomie 
zeitlicher  Kräfte,  Wagners  Leben  ist  ein  Schrei,  eine  Kette  von  Not  und 
Elend,  ein  tief  gefurchter  Acker  für  eine  späte  Ernte.  Oft  ist  es  erzählt 
worden,  für  Gläubige  und  Philologen,  große  und  kleine  Kinder.  Wir  aber 
verstehen  seine  Stürme  aus  dem  Krieg  seines  Innern,  aus  der  Unruhe  seiner 
Seelenklimata  und  dem  explosiven  Drang  der  Berufe,  die  sich  in  ihm  stießen. 
Dieselbe  Not,  die  im  Ringen  der  Energien  seine  Werke  schmiedete,  hämmerte 
ihm  die  Kurven  seines  Lebens,  und  beides  ist  nur  der  verschiedene  Ausdruck 
derselben  Grausamkeit.  Diese  siebzig  Jahre,  vom  22.  Mai  1813  am  Brühl 
bis  zum  13.  Februar  1883  im  Palazzo  Vendramin,  sind  eine  konsequente 
Folge  von  Erderschütterungen  und  Ansiedlungsversuchen,  die  den  Stößen 
und  den  Ausgleichen  eines  dauernden  Dilemmas  in  seinem  Temperament 
entsprechen. 

Er  beginnt  dichtend,  im  Shakespearestil,  aber  ein  Gegenreiz  kommt 
ihm  von  der  Musik,  von  der  deutschen  Romantik  und  Symphonie.  Was  er 
wirklich  schreibt,  ist  unbedeutend.  Er  studiert  an  der  Universität,  aber 
er  wird  Musikdirektor.  Er  kostet  die  ärmliche  Wirtschaft  des  Magdeburger, 
Königsberger,  Rigaer  Theaters  durch  und  hätte  schließlich  irgendwo  so 
als  Dirigent  weitergelebt.  Aber  der  Dämon  treibt  ihn  nach  Paris,  nach  der 
Opernzentralc.  Er  macht  die  Reise  auf  einem  Segelboot  unter  Gefahr  des 
Lebens,  das  er  dort  durch  subalterne  Arbeit  fristet.  Unter  dem  Eindruck 
des  meyerbeerschcn  Paris  entwirft  er  das  Gegenteil,  den  Fliegenden  Hol- 
länder. Rienzi  war  von  Dresden  gegen  jede  Voraussicht  akzeptiert.  Es  wurde 
sein  Triumph,  während  er  schon  in  romantischen  Regionen  weilte.  Er  hätte 
für  sich  ungestört  weiter  schaffen  können,  aber  er  wird  Dirigent  in  könig- 
lichen Diensten.  Er  hat  die  Gelegenheit  vorzüglicher,  selbsteinstudierter 
Premieren,  aber  er  wird  nicht  mehr  verstanden.  Sein  Holländer  befremdet 
das  Publikum  und  ärgert  die  Konservativen  und  Gelehrten.  Sein  Tann- 
häuser noch  mehr.  Er  gerät  gerade  durch  seine  organisierende  Tätigkeit 
in  Widerspruch  zum  aktuellen  Theater.  Mitten  in  der  schönsten  Praxis 
wird  er  ein  Prediger,  Theoretiker,  Erzieher,  Revolutionär.  Er  hätte  in  einer 
ausgezeichneten  Stellung  bleiben  können,  aber  der  Ehrlichkeitswille  und  die 
Wahrheitssucherei  bringen  ihn  in  die  Reihe  der  48  er.  Er  muß  flüchten 
und  schreibt  in  Zürich  statt  Musik  Broschüren  und  Bücher  gegen  die  Zeit. 

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Die  Idee  des  neuen  musikalischen 
Dramas  festigt  sich  in  seinem  Kopfe, 
während  Liszt  in  Weimar  erst  den 
Lohengrin  aufführt,  den  Wagner 
selbst  noch  lange  nicht  hören  darf. 
Erdichtet  den  Ring,  ohne  ihn  durch- 
zukomponieren. Er  gibt  in  der  weiten  Welt  Konzerte,  abersetzt  dabei  meist 
zu,  an  Gew’issen  und  an  Geld,  das  er  nicht  hat.  Napoleon  befiehlt  den  Tann- 
häuser für  Paris,  Wagner  erweitert  gegen  den  Stil  des  Werks  das  Ballett, 
die  Oper  wird  durch  eine  Organisation  der  Feinde  zu  Fall  gebracht.  Er 
schreibt  den  Tristan,  als  eine  Oper,  die  aufführungsmöglich  sein  soll,  aber 
weder  Karlsruhe  noch  Wien  halten  ihr  Versprechen.  Er  ist  amnestiert, 
aber  völlig  vereinsamt.  Er  ist  zu  Tode  traurig  und  arbeitet  an  den  Meister- 
singern. Den  Demokraten  rettet  ein  Fürst.  Ludwig  II.  ist  sein  Wohltäter, 
doch  ein  kritikloser  Schwärmer.  Er  sieht  alle  seine  Pläne  in  München  ver- 
wirklicht, aber  dieses  Glück  wird  ihm  von  einer  Gesellschaft  kleiner  Pfaffen 
verbittert.  Bülow  führt  in  München  den  Tristan  auf,  doch  verliert  er  seine 
Frau  an  W'agner.  Wagner  hätte  mit  Minna  Planer  leben  können,  wäre  er 
ein  gewöhnlicher  Opernkomponist  geblieben.  Er  liebte  Mathilde  Wesen- 
donck,  aber  er  mußte  seine  Liebe  in  die  Isoldemusik  retten.  Er  heiratete  die 
Tochter  Liszts,  aber  der  wunderbare  Freundschaftsbund  der  beiden  Großen, 
des  Eroberers  und  des  Königs,  sollte  erkalten.  Die  Meistersinger  werden 
in  München  herausgebracht,  aber  eine  Horde  von  Beckmessers  meldet  sich. 
Der  Nibelungenring  wird  zu  Ende  komponiert,  doch  nach  der  langen  Pause 
der  Entbehrungen  in  einem  veränderten  Stil.  Für  den  Sieg  der  Deutschen 
wird  der  Kaisermarsch  geschrieben,  doch  nicht  aufgeführt.  Die  Idee  eines 
selbständigen,  in  sich  begründeten,  von  jeder  Repertoirewirtschaft  los- 
gelösten Theaters  wird  durchgesetzt:  aber  Bayreuth  kann  sich  mit  aller 
Mühe  und  allen  Konzessionen  schwer  rentieren.  Die  Deutschen  ereifern 
sich  um  Wagner,  aber  sie  helfen  ihm  nicht.  Indem  er  Einer  wird,  wie 
Nietzsche  will,  verliert  er  ihn.  Er  schreibt  den  Parsifal  einzig  und  allein  für 
Bayreuth,  und  ein  Jude  muß  ihn  dirigieren,  aber  er  stirbt  wenige  Monate 
darauf  und  jetzt,  nach  dreißig  Jahren,  wird  er  durch  Gesetzes  Kraft  ihm 
entrissen. 

Dies  ist  sein  Leben:  ein  ewiges  Aber.  Ein  Aber  von  Musik  gegen  Dich- 
tung, von  Theorie  gegen  Praxis,  von  Beruf  gegen  Freiheit,  von  Glück  gegen 
Neid,  von  Liebe  gegen  Freundschaft,  von  Ruhm  gegen  Unverständnis, 
von  Überzeugung  gegen  Not,  von  Periode  gegen  Periode  der  eigenen  Ent- 
wicklung. 

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Der  Steckbrief 


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Werke 


MAN  wird  verstehen,  daß  ich  Wagners  Leben  und  Werke  nur  im  Format 
dieses  Buches  behandeln  kann.  Seine  Erscheinung  ist  schon  äußerlich 
darin  einzig,  daß  vom  Rienzi  an  jede  der  Opern,  die  er  gemacht,  lebenskräftig 
geblieben  ist.  Es  war  nicht  nur  das  gewaltigste,  sondern  auch  das  nach- 
haltigste Produkt  der  ganzen  Operngeschichte.  Eine  ungeheure  Literatur 
hat  sich  um  ihn  gehäuft,  die  in  allen  möglichen  Beleuchtungen  Entstehung 
und  Deutung  der  Werke  gibt.  Dies  mag  für  sich  vorhanden  sein.  Hier  aber 
handelt  es  sich  darum,  wie  aus  seinem  Leben  keine  Biographie,  auch  aus 
seinen  Werken  keine  Grammatiken  zu  machen,  sondern  mit  dem  größten 
Ernst  den  Zusammenstoß  der  Energien,  den  die  Künste  in  ihm  verursachten, 
auf  Wirkungen  und  Folgen  zu  erklären.  Aus  diesem  Gesichtswinkel  zeich- 
nete ich  die  Topographie  seines  Lebens,  aus  demselben  werde  ich  die  Geo- 
logie seiner  Werke  zu  zeichnen  haben.  Keine  Analyse  des  Lohengrin,  Tristan, 
der  Meistersinger,  mit  denen  wir  täglich  leben,  sondern  ihre  Einsetzung 
in  den  großen  Kampf  der  Kräfte  und  den  Sieg  der  Musik,  der  der  Inhalt 
aller  Operngeschichte  und  der  besonderen  Operngeschichte  in  diesem  ein- 
zelnen Künstler  war. 

Zur  Verständigung  dienen  die  wichtigsten  Daten  seiner  Werke. 

Rienzi  1838 — 40.  Erste  Aufführung  Dresden  1842. 

Fliegender  Holländer,  als  Einakter  1840  entwarfen,  1841  in  der  jetzigen 
Form  fertiggestellt.  Erste  Aufführung  Dresden  1843. 

Tannhäuser.  Idee  1841.  Dichtung  43.  Partitur  45.  Erste  Aufführung 
Dresden  1845. 

Lohengrin.  Idee  1841.  Dichtung  45.  Partitur  46 — 47.  Erste  Auf- 
führung Weimar  1850. 

Tristan  und  Isolde.  Idee  1854.  Dichtung  1857.  Komposition  und  Par- 
titur 57 — 59.  Erste  Aufführung  München  1865. 

Meistersinger,  zuerst  1845  entworfen.  Fertige  Dichtung  1861—62. 
Komposition  und  Partitur  mit  Unterbrechungen  62 — 67.  Erste  Aufführung 
München  1868. 

Ring  des  Nibelungen.  Erste  Idee  1846.  Erster  Prosaentwurf  der  Tetra- 
logie 1848.  Siegfrieds  Tod,  das  Schlußdrama,  1848  gedichtet.  Das  vorher- 
gehende Drama,  der  junge  Siegfried,  1851  gedichtet.  1852  Walküre,  dann 
Rheingold  gedichtet  und  das  Ganze  als  Trilogie  mit  Vorspiel  umgearbeitet, 
ungefähr  in  der  jetzigen  Form,  1863  erst  gedruckt,  mit  den  jetzigen  Titeln. 
Komposition  und  Partitur  des  Rheingold  1853/54,  Walküre  54/56,  Siegfried 
1856  begonnen,  57  im  zweiten  Akt  unterbrochen,  65 — 71  in  Abständen 

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vollendet.  Götterdämmerung  1869 — 74.  Erste  Gesamtaufführung  Bay- 
reuth 1876. 

Parsifal.  Erster  Gedanke  1854.  Dichtung  nach  Entwürfen  von  57  und 
65,  vollendet  1877.  Komposition  und  Partitur  1877 — 82.  Erste  Aufführung 
Bayreuth  1882. 

Man  ersieht  aus  dieser  Tabelle,  daß  Wagners  Werke  nicht  Kreise  waren, 
die  aufeinander  folgten,  sondern  die  sich  zum  Teil  decken  oder  auch  ganz 
den  gleichen  Mittelpunkt  haben.  Fast  kann  man  sagen,  sie  sind  alle  gleich 
im  Keime  da  oder  wachsen  zellenartig  auseinander.  Gewisse  Schichten  der 
früheren  oder  späteren  Werke  sind  wohl  zu  unterscheiden,  aber  die  gegen- 
seitigen Berührungen  sind  wichtiger.  Im  großen  genommen,  sind  es  Varia- 
tionen des  gleichen  Vorstellungskreiscs  und  auch  technisch  betrachtet,  ähneln 
sie  sich  im  Bau.  Sie  bewegen  sich  in  historisch-mythischen  Stoffen,  deren 
„rein  menschliche“  Allgemeinheit  ihm  immer  mehr  am  Herzen  liegt : wo- 
bei das  Historische  immer  weiter  vor  dem  Mythischen  zurücktritt.  Die 
Romantik  spricht  sich  fast  überall  in  dem  Motiv  der  Erlösung  aus,  die  Kon- 
struktion bevorzugt  Liebesdreiecke,  die  Szene  Drei-  oder  Vierteilungen 
in  dynamisch  verdichtete  Strophen  der  Handlung,  die  Dramatik  scharfe 
Kontrastbildungen  und  die  metaphysische  Tiefe  wird  durch  eine  Unterkel- 
lerung in  philosophischen  oder  ästhetischen  Prinzipien  erreicht.  Alles  das 
spaltet  sich  nach  den  verschiedenen  Stoffwahlen  und  Inhaltsbereichen, 
wie  Aste  desselben  Baumes.  Die  literarischen  Quellen  der  historischen 
und  legendären  Begebenheiten  sind  überwunden.  Das  Material  wird  gänz- 
lich unphilologisch  frei  und  eigen  gestaltet,  aus  den  Befehlen  der  Musik 
heraus,  die  die  Stoffkomplcxe  auf  ihre  tiefsten  und  breitesten  Wirkungen 
auseinanderfaltet.  Nur  aus  dieser  inneren,  dichterisch-musikalischen  Quelle 
fließt  die  Erfindung.  Irgendwelche  äußeren  Einflüsse  sind  auf  die  Dauer 
nicht  bestimmend  gewesen,  auch  nicht  der  starke  Eindruck  der  Schröder- 
Devrient,  für  deren  Persönlichkeit  zeitweise  einmal  der  Stoff  der  „Sara- 
zenin“, einer  großen  historischen  Oper,  vorgenommen  wird,  um  bald  wieder 
fallen  gelassen  zu  werden.  Die  Zellenbildung  amalgamiert  sich  viel  eher 
gewisse  bodensätzige  Überlieferungen  szenischer  Typen  von  Opern,  die 
ihr  aus  dem  Blute  der  Jahrhunderte  zufließen  und  in  ihrem  Organismus 
neubelebt  aufgehen.  Man  wird  diesen  Punkt  mehr  zu  beachten  haben, 
als  es  bisher  geschehen  ist.  Ich  will  nur  auf  eine  Gruppe  von  Motiven  hin- 
weisen,  die  ich  Handels  Opern  entnehme,  um  irgendein  historisches  Wider- 
spiel festzustellen:  der  Zaubergarten  Armidas,  die  sich,  um  Rinaldo  zu 
täuschen,  in  seine  Geliebte  Almarena  verwandelt;  Theseus  wird  vom  Vater 
an  seinem  Schwert  erkannt;  Amadis  kommt  an  einen  Turm  mit  der  Inschrift: 

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„Es  darf  nur  einer  durch 
die  Flammen  gehen,  der 
tapferste,  der  stärkste 
Held,  den  unter  allen  auf 
der  Welt  die  Liebe  dazu 
ausersehn“;  Dardanus, 
der  Melissamann,  ver- 
wandelt sich  in  Amadis, 
um  in  dieser  Schein- 
gestalt dessen  Geliebte 
Oriana  zu  täuschen  ; 

Ruggiero  liegt  in  den 
Banden  der  Zauberin 
Venus-Alcina,  und  die 
edlcBradamante  kommt, 
ihn  von  der  Hölle  zu 
retten  — und  so  fort. 

Sagenmotive,  die  durch 
die  Zeiten  gehen,  und 
Szenenmotive,  die  durch  die  Opern  gehen  und  den  Unterbau  von  Wagners 
Phantasie  bilden.  Auch  Typen  der  Karikatur  sind  ihm  vorgezeichnet.  In  den 
Madrigalopern  um  1600  tritt  mit  Vorliebe  ein  Ständchensänger  auf,  der  in 
Text  und  Musik  berühmte  Lieder  genau  so  unsinnig  entstellt  wie  Beckmesser. 

Aber,  was  auch  alles  an  Tradition  der  Oper,  typischen  Szenen  und  Figuren 
in  Wagners  Werke  eingegangen  ist,  sie  haben  es  ebenso  überwunden  und  ein- 
gesaugt, wie  die  philologischen  Urtexte  seiner  Quellen.  Es  ist  die  Schärfe 
seiner  lebendigen  Bühnenvorstellung  nicht  genug  zu  rühmen.  Indem  er 
die  tiefsten  mythischen  Grundlagen  ausbohrte  und  dann  in  dem  knappsten 
Maß  der  Gestaltung  formte,  hat  er  Wesen  geschaffen,  die  wie  niemals  sonst 
Opernwesen  populärer  Besitz  geworden  sind.  Vom  Fliegenden  Holländer 
bis  zum  Parsifal  sind  es  Wesen  geworden  von  jener  mythischen  Kraft,  die 
alle  ihre  Vorbildungen  zurückdrängt  und  ihren  Typ  für  immer  festlegt. 
Lohengrin,  Wolfram,  Hans  Sachs,  Isolde  sind  nicht  Personifikationen  des 
Volkes  (wie  etwa  Figaro),  es  sind  epische  Schöpfungen,  die  der  Phantasie 
des  Volks  für  immer  in  dieser  Fassung  einverleibt  werden.  Das  war  die 
Macht  der  dramatischen  Bildkraft  Wagners,  der  die  Musik  die  mythologische 
Urständigkeit  gab. 

So  glatt  sich  dieser  Tatbestand  darstellt,  so  verwickelt  sind  die  Triebe, 
die  an  ihm  arbeiten.  Die  Kongruenz  dieser  Triebe  wird  nur  in  wenigen 

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Jahren  und  an  wenigen  Stellen  wirklich  erreicht,  in  Wahrheit  ist  sein 
Schaffen  ein  dauerndes  Ausgleichen,  ja  Kombinieren  und  Permutieren  der 
Kräfte,  die  in  ihm  gleichzeitig  wirksam  sein  wollen:  der  Forderungen  der 
Musik  und  der  Forderungen  der  Szene,  der  Ansprüche  des  Operntyps  und 
der  des  natürlichen  Dramas,  endlich  der  Gedanklichkeit  und  der  absoluten 
musikalischen  Phantasie.  Fast  immer  rückt  eines  dieser  Elemente  vor  das 
andere,  behindert  es,  beschattet  es,  das  eine  hängt  zu  sehr  noch  an  der  Ver- 
gangenheit, das  andere  stürzt  zu  sehr  in  die  Zukunft,  es  vermittelt  Kopf 
und  Herz  nicht  ganz,  oder  Drama  und  Oper,  und  gerade  in  der  Zeit,  da  er 
dem  Gesamtkunstwerk  am  eifrigsten  nachstrebt,  ist  er  von  ihm  am  weitesten 
entfernt.  Das  Maß  zwischen  textlichem  Gewissen  und  musikalischer  Ein- 
gebung schwankt,  im  Tannhäuser  ist  es,  wenigstens  in  der  ursprünglichen 
Form,  zuerst  erreicht,  dann  tritt  ein  literarisches,  dann  wieder  ein  musi- 
kalisches überwiegen  ein,  endlich  findet  zuletzt  eine  gewisse  Balance  statt, 
eine  Selbstbcruhigung,  die  aber  keineswegs  das  Ziel  dieses  Lebens  war, 
sondern  eher  seine  Resignation.  Ordnet  man  auf  diesen  Kurven  seine  Werke, 
so  stellt  sich  der  Rienzi  dar  als  Probe  auf  die  Tradition,  der  Holländer  als 
Präzision  der  Romantik,  der  Tannhäuser  als  das  Muster  der  Gleichwertig- 
keit im  älteren  Stil,  der  Lohcngrin  als  Beginn  der  ersten  Divergenzen,  der 
Ring  als  gewaltigste  Ungleichheit  aller  neuen  Elemente,  der  Tristan  als 
neue  Opernwclt,  die  Meistersinger  als  alte  Opernwelt,  beide  auf  eine  un- 
vermittelt geniale  Musik  angewiesen,  und  der  Parsifal  als  eine  bewußte 
Rückschau  alles  Gewesenen,  eine  letzte  Verinnerlichung  der  Oper.  Dies 
wurde  die  Zellcnbildung,  und  alles,  was  nicht  stark  darin  aufging,  blieb 
als  unorganisch  liegen : der  rein  dramatische  Friedrich  Rotbart,  der  dog- 
matisch historische  Jesus  von  Nazareth,  die  entsagungsvollen  indischen 
„Sieger“  und  selbst  Wieland  der  Schmied,  der  sich  in  der  Not  Flügel 
schmiedet. 

Das  Wort  Oper  brauche  ich  mit  dem  nötigen  Vorbehalt,  der  von  dem 
gewohnten  Ausdruck  für  eine  gebräuchliche  Kunstgattung  sich  den  Ter- 
minus borgt  eben  für  die  tiefste  Auseinandersetzung  mit  dieser  Gattung, 
die  erlebt  worden  ist.  Das,  was  da  geworden  ist,  die  seelische  Heiligkeit  der 
Oper,  kann  man  nicht  dialektisch  zerstören,  so  wenig  wie  man  es  qualmig 
zu  umnebeln  hat.  Es  handelt  sich  darum,  seine  vulkanische  Natur  als  sein 
wahres  Wesen  und  seine  wirkliche  Größe  zu  entwickeln.  Kommt  man  nur 
von  einer  Seite  heran,  muß  es  zerfallen.  Man  liest  verstiegene  musikalische 
Schwärmereien,  die  Wagners  Dichtung  in  einen  Brei  auflösen.  Man  liest 
andererseits  Angriffe  von  literarischer  Seite,  die  durch  die  Unkenntnis 
des  musikalischen  Triebes  in  nichts  verpuffen.  Auch  der  verblüffendste 

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Vorstoß  dieser  literarischen  Puritanerei  bleibt  «in  aus  dramaturgischer 
Dialektik  kühl  geschliffener  Dolch,  der  Wagner  nur  dann  zu  Tode  treffen 
würde,  wenn  der  Autor  eine  Ahnung  hätte,  wo  das  Herz  der  Musik  sitzt. 


Das  Drama 

IN  seiner  Jugendoper  Die  Feen,  eine  Vertiefung  des  Gozzimärchens,  kind- 
lich rührend , stellte  Wagner  mehr  noch  als  durch  musikalische  Vor- 
ahnungen, dramatisch  seine  Gegend  gleich  fest:  in  einer  Art  Kombination 
von  Orpheus,  Lohengrin  und  Undine  finden  wir  die  Motive  des  Nichtfragens, 
des  zur  Probe  des  Glücks  erschaffenen  Unglücks,  der  Sehnsucht  aus  dem 
Geisterreich,  des  Tiermitleids,  der  Erlösung  durch  Musik  eigentlich  schon 
fixiert.  Aber  diese  eine,  einfache,  deutsche  Welt  genügt  nicht.  Es  treiben 
verschiedene  Kräfte,  die  Gattungen  wetteifern  noch  bis  in  gelegentliche 
Rückfälle  nach  dem  Holländer.  Das  Genre  der  opera  comique  in  großem  Stile 
wird  durch  das  „Liebesverbot“  erledigt,  ein  Musikwerden  von  Shakespeares 
„Maß  für  Maß“.  Das  Genre  der  historischen  Prachtoper  wird  durch  den 
Rienzi  verarbeitet,  nach  Bulwers  Roman,  die  letzte  nach  einem  lite- 
rarischen Vorbild  kopierte  Oper,  die  erste,  in  der  sich  eigne  musikalische 
Kraft  zeigt.  Es  bleibt  bis  heute  die  beste  ihrer  Gattung,  übertraf  Spon- 
tini  an  Gehalt  und  überlebte  Meyerbeer  an  Ehrlichkeit.  Die  Requisiten 
sind  alle  vorhanden,  eine  Hosenrolle,  Liebe,  Pflicht,  Rache,  Macht, 
Gnade,  Religion,  Brand,  Verrat,  Soldaten,  Feste  mit  inhaltlich  moti- 
viertem Ballett,  und  in  den  Friedensboten  klingt  ein  Ton  transzendentaler 
Höhe.  Noch  schlafen  die  Elemente.  Aber  eine  gewisse  Größe  und  Rein- 
heit des  historischen  Empfindens  für  die  Tragik  der  Persönlichkeit,  des 
Herrschers,  der  am  Menschentum  zugrunde  geht,  gibt  diesem  Examen 
auf  Tradition  eine  außerordentliche  Note.  Ein  determinierter  Wille  ist 
fühlbar. 

Konnte  man  hier  noch  nicht  sagen,  daß  der  Stoff  aus  Musik  geboren 
war  (nur  aus  Musikwirkungen),  so  trifft  das  beim  Fliegenden  Holländer 
ganz  ein.  Die  Periodizität  der  Nöte  eines  ewig  Schweifenden,  der  nur  durch 
die  reine  Liebe  erlöst  werden  kann,  ist  guter  Boden  der  Musik,  und  Wagner 
pflügt  ihn  mit  scharfen  Instinkten,  indem  er  seine  Technik  aus  einer  Ver- 
bindung der  deutschen  Romantik  und  der  opera  comique  gewinnt.  Er  geht 
von  der  Ballade  aus,  als  deren  Bild  er  die  Oper  ursprünglich  einaktig  ge- 
stalten wollte  und  setzt  sie  in  die  Realität  des  Lebens  hinein.  So  legt  er 
die  Kontraste  auseinander,  alles  Gespenstische  und  alles  Naive,  den  bleichen 

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Unerlösten  und  den  verständnislosen  Vermittler,  das  höllische  und  das 
irdische  Schiff  mit  allen  zugehörigen  Milieus.  Er  gewinnt  Senta  als  Mitte, 
die  träumt,  sich  sehnt,  ihn  liebt  und  für  ihn  stirbt.  Eine  ausgezeichnet 
scharfe  Disposition,  die  das  Wesen  der  romantischen  Tragödie  auf  ihre 
typischen  Szenen  konzentriert.  Der  einzige  Mangel  ergibt  sich  in  der 
Zufälligkeit  des  belauschenden  Holländers,  die  den  Apotheosentod  her- 
beiführt. Dieser  Fehler  ist  eine  Folge  der  Einführung  des  konven- 
tionellen Liebhabers  Erik,  des  einzigen  Requisits,  das  in  die  dramatische 
Einheit  nicht  aufging,  während  Steuermannslied,  Schiffssturm,  Verlassen- 
heitsarie, Spinnszene,  Ballade,  Tanzfeste  sich  organisch  fügen.  Die  tiefste 
Wirkung  tat  die  Musik,  indem  sie  innerhalb  dieser  gespannten  Einheit 
den  Atem  der  Seele  einsetzte.  Sie  schuf  die  großen  Pausen,  in  denen 
Erregungen  zur  Ruhe  kommen,  um  zur  Sprache  zu  werden,  sie  schuf  die 
magnetische  Situation  der  ersten  Begegnung  von  Senta  und  dem  Hollän- 
der, die  die  erste  Durchfühlung  einer  Sage  auf  das  Leben  hin  war,  das 
Wirklichwerden  eines  Mythus,  die  Erfüllung  eines  Traums,  das  Drama  einer 
Musik. 

Der  Tannhäuser  entfernt  sich  von  dieser  Konzeption  um  so  viel,  als 
er  von  den  strebenden  Kräften  des  Operngenres  nicht  bloß  die  Romantik 
mit  dem  Stil  der  Comique,  das  Dämonische  mit  dem  Idyllisch-Rührenden, 
das  Mythische  mit  dem  Realen  verbindet,  sondern  noch  das  Ingrediens 
der  großen  historisierenden  Oper  hinzufügt.  Er  ist  die  Dramatisierung  aller 
bestehenden  Operntypen,  aus  Operntypen  wird  dieses  Drama  erdichtet, 
eine  Technik  aller  Dankbarkeiten,  sehr  veredelt  und  moralisiert.  Das  Venus- 
ballett, das  Venuslied,  die  scharfe  Verwandlung  in  das  Lieblich-Fromme, 
Frühling  und  Herbst,  Schalmei,  Pilger,  Jagd,  Rückkehr,  Liebesduett,  Einzug, 
Sängerkampf,  Finaleschrecken,  und  immer  wieder  Pilger,  Elisabeths  Gebet, 
die  Abendsternromanze,  Tannhäuscrs  Erzählung,  seine  Erlösung  — das 
sind  alles  Erbstücke  der  verschiedenen  Operngenres,  die  Wagner  mit  einer 
bewunderswerten  Kunst  zu  einem  Drama  zu  einen  und  zu  vertiefen  verstand. 
Er  beherrscht  das  Material  vollkommen,  solange  er  auf  dem  Boden  dieser 
überlieferten  Opernszenen  bleibt.  Er  spannt  das  Drama  durch  Antithescn- 
bildung:  die  irdische  Liebe  der  Göttin  und  die  göttliche  der  Irdischen. 
So  versinnlicht  er  das  Mythische  und  vergeistigt  das  Reale.  Er  vergeistigt 
Elisabeth  zu  einer  Gestalt  von  rührender  Schweigsamkeit,  die  sich  nur  in 
einem  einzigen  Monolog,  der  Hallcnbegrüßung,  etwas  opernhaft  äußert, 
aber  in  der  Empfindung  sonst  so  zurückhält,  daß  ihre  „unausgesprochene“ 
Liebe  zu  Tannhäuscr  als  eine  der  vornehmsten  Eingebungen  Wagners  sich 
bewährt  hat.  Für  das  Drama  selbst  entschließt  er  sich,  Mythisches  und  Histo- 

43° 


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risches  zu  mischen,  die  Venus- 
sage in  das  Wartburgsänger- 
fest einzusetzen,  und  gewinnt 
so  eine  sehr  glückliche  Kon- 
fliktsbildung, von  der  aus  sich 
die  Charaktere  der  Beteiligten 
gut  zerlegen.  Jetzt  ist  Flucht 
von  der  Venus  und  Rückkehr 
zu  ihr  Anfang  und  Ende,  und 
die  Mitte  der  Verrat  der  einen 
Liebe  an  der  anderen  im 
Sangeswettstreit.  Am  Ende 
jedes  Aktes  steht  Elisabeth, 
am  ersten  als  Sehnsucht,  am 
zweiten  als  Mitleid,  am  dritten 
als  Erlöserin  durch  den  Tod. 

Eine  musterhafte  Verteilung, 
die  sich  mit  Szenischem  und 
Musikalischem  zu  einer  unge- 
störten Einheit  zusammen- 
findet. Das  Schicksal  wollte, 
daß  er  sie  sich  selbst  in  der 
späteren  Pariser  Bearbeitung 
zerstörte.  Er  erweitert  die 
Venusszene  auf  Kosten  der 
Wartburg,  eine  neue  spät- 
stilige  Sinnlichkeit  neben  der 
schönen  alten  Geistigkeit. 

Tannhäuser  spricht  jetzt  zu  Venus  „mich  drängt  es  hin  zum  Tode“,  da  er 
solche  Dinge  von  Tristan  gelernt  hat.  Wagner  hat  die  erste  und  zweite 
Szene  in  dieser  Form  sanktioniert  und  in  seine  Gesammelten  Werke  auf- 
genommen, ohne  die  Widersprüche  zu  beachten.  In  den  Aufführungen 
selbst  ist  überall  zwischen  erster  und  zweiter  Fassung,  die  weiterhin 
noch  einige  andere,  kleinere  Verschiedenheiten  haben,  eine  solche  Ver- 
wirrung eingetreten,  daß  das  Gleichmaß  des  alten  Tannhäuser  empfind- 
lich gestört  wird.  In  Bayreuth  ist  er  pariserisch.  Es  war  sein  Wille  — und 
Irrtum. 

Die  historischen  Divergenzen,  die  über  den  Tannhäuser  kamen,  waren 
beim  Lohengrin  schon  innerliche  gewesen.  Wagner  liebt  es,  um  die  Spannung 

431 


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Stnnraj,  toi  19.  Octobtr  1844. 

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(fonlajj  um  5 Ufr.  VnfoiK)  um  6 Ufr.  ßnfr  noch  9 Ufr. 


Zettel  der  Uraufführung  des  Tannhäuser 


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seines  Dramas  zu  erhalten,  zwei  Welten  gegeneinander  zu  führen.  Im  Hol- 
länder W'ar  cs  die  Ballade  gegen  die  Wirklichkeit,  im  Tannhäuser  das  Sinn- 
liche gegen  das  Geistige,  und  zugleich  die  Sage  gegen  das  Historische.  Hier 
ist  es  nur  die  Mystik  gegen  die  Erde,  aber  dieser  Zusammenstoß  war  der 
schwierigste.  Die  Mystik  kam  ihm  aus  einer  rein  musikalischen,  in  neuem 
Lichte  leuchtenden  Sphäre,  die  Erde  kam  ihm  aus  der  Not  des  Dramas. 
Es  war  Erlebnis  der  Oper,  wie  cs  der  Holländer  und  Tannhäuser  gewesen 
war,  aber  einseitig  aus  dem  Herzen  der  Elsa,  die  nicht  verstehen  konnte, 
was  da  vorging.  „Erkennt  ihr  ihn,  dann  muß  er  von  euch  ziehn“,  diese  tiefe 
moralische  Weisheit  wurde  für  ein  innerlich  gefühltes  Drama  die  Gefahr, 
weil  sie  wohl  innerlich,  aber  kein  Drama  war.  Lohengrin,  der  unerkannt 
sein  wollende,  will  von  Elsa  begriffen  sein,  die  ohne  Begriffe  sein  muß,  um 
sich  ihn  zu  erhalten.  Aber  seine  Irrationalität  ist  wie  die  Oper  selbst,  die 
aufhört,  wenn  man  sie  analysiert  und  in  unendliche  Verlegenheiten  gerät, 
wenn  man  ihre  Musik  an  das  Drama  verraten  will.  Lohengrin  ist  die  Musik, 
Elsa  das  Drama  — das  war  der  Konflikt  und  die  Wendung  in  Wagner.  Etwas 
schnell  trägt  Lohengrin  der  Elsa  die  Ehe  und  Liebe  an,  und  unbarmherzig 
zieht  er  von  dannen,  nachdem  er  sein  Geheimnis  preisgegeben  hat.  Wagner 
schwankte  selbst  an  dieser  Stelle.  Schließlich  siegte  die  Romantik  der  Musik, 
die  den  Gralsritter  seiner  Mystik  wiedergibt,  über  die  dramatische  Forderung 
eines  Heldentums,  das  sich  auf  sich  selbst  stellen  müßte.  So  blieben  die 
Divergenzen  ungelöst,  und  überall  traten  Reibungen  auf,  wo  das  göttlich 
Musikalische  mit  dem  irdisch  Dramatischen  sich  berührt.  Die  Erlösung 
des  Schwans  in  den  Bruder  Gottfried  bleibt  in  der  kalten  Luft  der  Sage, 
und  Lohengrin  wie  Elsa  bleiben  in  dem  Gedanken  ihrer  traurigen  Mission. 
Sie  sind  Schemen,  die  Gegenpartei  von  Telramund  und  Ortrud  sind  Schemata. 
Immerhin  sind  diese  Nachkommen  von  Lysiart  und  Eglantine  derbe,  fest- 
stehende Figuren,  die  mit  dem  letzten  Rest  der  Tradition  die  Oper  gegen 
die  neue  schöne  Welt  der  Lohengrinmusik  verteidigen.  Der  Kampf  dieser 
Sphären  gibt  dem  Drama  seinen  eigentümlichen  Reiz.  Es  entfernt  sich  stark 
von  der  typischen  Opernszene,  als  erlebte  es  selbst  eine  andere  Welt,  wie 
Elsa  den  Lohengrin,  noch  kaum  geahnt  und  verstanden.  Das  Erscheinen 
der  Elsa  vordem  König,  ihr  ahnender  Traum,  die  Schwanenankunft,  der  Got- 
teskampf mit  dem  Gebet,  Ortruds  Zauberwesen  und  Götteranrufung,  die 
große  Aussprache  zwischen  den  beiden  Frauen,  der  Münsterzug  mit  seinen 
Störungen,  die  katastrophale  Szene  zwischen  Lohengrin  und  Elsa,  seine 
Gralserzählung  und  der  Schwanenabschied,  in  all  dem  ist  etwas  wie  die 
äußere  Silhouette  der  alten  Oper,  aber  doch  von  einem  fremden, 
übersinnlichen  und  verklärten  Geist  erhellt.  Wagner  tat  das  Deutschfrohe, 

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Roller:  Lohengrin 


das  Soldatische,  das  Erwachen  des  Tages  hinzu  und  manches  andere,  um 
Milieu  zu  geben.  Aber  es  geschah  meist  in  einer  Scheu  vor  dem  Typ.  Eine 
Hochzeit  findet  statt,  doch  dringen  nur  verstreute  Klänge  von  ihr  durch 
die  Luft,  und  die  ganze  Feier  besteht  in  einem  volkstümlichen  Chor  ohne 
jede  Operngymnastik. 

Der  Ring  des  Nibelungen  wurde  der  große  Zusammenstoß,  das  große 
gegenseitige  Opfer  von  Gedanke,  Drama  und  Musik.  Kein  Werk  hat  solche 
Kongruenzen  und  keines  solche  Inkongruenzen.  Keines  solche  Tiefe  und 
wieder  solche  Blässe,  keines  solchen  Willen  und  wieder  solche  Schwäche. 
Gewalten  kämpfen  ästhetisch  gegeneinander,  wie  sie  es  inhaltlich  tun,  und 
eine  ungeheure  Liebe  verbrennt  sich  auf  einem  Trümmerfeld  von  edelsten 
Tragödien  der  Künste. 

Wagner  hatte  begonnen  mit  einem  Prosaentwurf  des  Nibelungenmythus, 
in  dem  er  die  alten  Eddamotive  mit  der  Siegfriedlegende  in  eine  fortlaufende 
Reihe  von  sagenhaften  Ereignissen  brachte,  ohne  sehr  dringenden  Zusammen- 
hang, ohne  genügende  Motivierungen  und  oft  von  eigenen  Zweifeln  schon 
durchsetzt,  aber  unendlich  reizvoll  in  dem  großen  sozialen  Weltbild,  das 
sich  da  aufrollte.  Den  letzten  Teil  dieses  Entwurfs,  der  die  Schicksalstragödie 
des  ermordeten  Siegfried  behandelt,  gestaltet  er  zunächst  zu  dem  Drama 
„Siegfrieds  Tod“,  das  äußerlich  ungefähr  unserer  „Götterdämmerung“ 
entspricht,  aber  innerlich  von  ihr  recht  verschieden  ist.  Noch  weniger  als 
im  Entwurf  spielt  Wotans  Eingreifen  irgendeine  Rolle;  das  einzige,  was 
sich  darauf  bezieht,  singt  eine  Norne:  „Freudig  trotzet  ein  Froher,  frei 

433  *» 


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für  die  Götter  zu  streiten,  durch  Sieg  bringt  Friede  ein  Held.“  Daß  Wotan 
die  Helden  schuf,  ihm  eine  Freiheit  zu  erstreiten,  die  er  selbst  nicht  erreicht, 
bleibt  dabei  ein  hingeworfener  Gedanke,  der  in  der  Musik  gänzlich  ver- 
schüttet worden  wäre.  Alle  unnötigen  Beziehungen  werden  abgestreift. 
Die  Nornen  haben  eine  viel  einfachere  Exposition,  statt  der  Waltraute 
haben  die  Walküren  eine  sehr  gute  Szene  mit  Brünnhilde,  in  antiker  Chor- 
rhythmik, wie  auch  zuletzt  Männer  und  Frauen  in  antikem  Gleichschritt 
das  Ende  der  Tragödie  stilisieren.  An  anderen  Stellen  ist  wieder  mehr 
Exposition  und  auch  wieder  mehr  Oper  (jenes  in  der  Alberichszene,  dieses  bei 
Siegfrieds  Hochzeit),  so  daß  die  Stränge  schon  auseinander  laufen  möchten, 
aber  immerhin  es  bleibt  ein  klares,  in  sich  recht  geschlossenes  Schicksalsdrama, 
ganz  offensichtlich  ein  wenig  nach  antiker  Manier.  Doch  es  läßt  ihn  nicht 
dabei  ruhen.  Statt  cs  zu  komponieren  dichtet  er  es  nach  vorn  zu  immer 
weiter,  auf  seinen  ersten  Entwurf  zurückgehend,  der  vom  Raub  des  Rhein- 
golds bis  zu  Brünnhildcs  Feuertod  sich  ausdehnte.  In  der  schwärmerischen 
Begeisterung  eines  deutschen  Vollständigkeitsmenschen  entfaltet  er  jetzt 
einen  ganzen  Zyklus  von  vier  Dramen,  der  zunächst  eine  wahre  Angst  vor 
der  Musik  empfindet,  und  doch  wieder  eine  einzige  Sehnsucht  nach  ihr. 
Aber  davon  war  vor  der  Hand  noch  nicht  einmal  die  Rede,  da  innerhalb 
des  Dichterischen  sich  neue  Schwierigkeiten  heraussteilen  mußten. 

Die  Umarbeitung  von  Siegfrieds  Tod  in  die  Götterdämmerung  ergab 
Verbesserungen,  die  die  dramatische  Reife  verlangte.  Alles  ist  schärfer  ge- 
schnitten. Die  Blutsbrüderschaft  Günthers  und  Siegfrieds  wird  eindring- 
licher gefaßt,  Hägens  schönes  Zur-Wacht-Sitzen  zugefunden,  die  Szene  des 
verstellten  Siegfrieds  gekürzt,  die  Hagen-Alberichszene  ihres  expositiven 
Charakters  entledigt  und  im  Haß  vertieft,  durch  Umstellungen  der  zweite 
Aktschluß  mit  Siegfrieds  Hochzeitszug  verfeinert  und  psychologisiert. 

Aber  die  Notwendigkeit  des  Zusammenhangs  der  vier  Stücke  verlangte 
tiefere  Einarbeitungen.  Indem  der  „Wurm“  des  Entwurfs  jetzt  selber 
einer  der  Riesen  ist  oder  der  Wälsungenvater  selbst  Wotan  ist  oder  Wotan 
als  Wanderer  über  die  Erde  streift,  sind  nur  Nähte  des  Zusammenhangs 
gegeben,  keine  dramatische  Einheit  von  innen.  Um  sie  zu  erlangen  ent- 
schließt sich  Wagner  nachträglich,  den  ganzen  Prozeß  Wotans,  der  von 
seiner  eigenen  Fessel  gefangen  wird,  bedeutsam  herauszuheben  und  zu 
einer  anderen,  einer  vorangehenden  Tragödie  zu  gestalten,  zu  einer  Willcns- 
tragödie  t or  der  Schicksalstragödie  Sigmunds  und  Siegfrieds.  So  wird  \\  otan 
in  einer  dumpfen  Ahnung  Schopenhauerscher  Gedankengänge  Pessimist, 
der  nichts  mehr  will  als  die  Verneinung,  und  zwei  Dramen  stehen  nachein- 
ander, deren  erstes  einen  Helden  hat,  der  seine  Tragödie  erleben  will,  weil 

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er  muß,  und  deren  zweites  einen  Helden  hat,  der  sie  erleben  muß,  weil  er 
soll.  Die  Folge  ist  die  Unmöglichkeit  des  Endes  von  „Siegfrieds  Tod“,  wo 
der  sterbende  Siegfried  und  die  sich  opfernde  Brünnhilde  zu  Wotan  in  die 
Walhall  zurückkehrten.  Jetzt  kann  es  keine  Walhall  mehr  geben,  Wotan 
verbrennt  wie  seine  Schützlinge.  Waltraute  wird  befohlen,  seinen  letzten 
Jammer  zu  erzählen,  aber  die  Menschen  geben  ihn  auf,  nachdem  er  sie  auf- 
gegeben. Und  beide  Tragödien  enden  in  demselben  Augenblick. 

Chamberlain  hat  die  beiden  Pole  dieser  Willenstragödie  und  Schicksals- 
tragödie scharf  erkannt,  er  stellt  Brünnhilde  in  die  Mitte,  die  gewissermaßen 
beide  Tragödien  erlebt  und  zuletzt  hellsichtig  den  Zusammenhang  aller 
dieser  Flüche  des  Machtwillens  erkennt,  um  ihre  Sünde  durch  den  Tod  der 
Liebe  zu  sühnen.  Aber  eben  dieser  rein  gedankliche  Zusammenhang,  der 
eine  Rettung  des  Dramas  vor  der  Idee  bedeutet,  gibt  dem  Drama  selbst 
kunstvolle  Vernietungen,  statt  eines  blutzirkulierenden  Organismus.  Über- 
all, wo  die  Willenstragödie  zur  Schicksalstragödie  übergeht,  schmerzen  die 
Gelenke,  beim  Übergang  Wotans  zu  den  Helden,  von  der  göttlichen  zur 
menschlichen  Brünnhilde,  vom  Siegfried  der  Brünnhilde  zu  dem  der  Gibichun- 
gen.  Wotan  will  Freie  zeugen  für  seine  Walhall,  gegen  Alberich,  zur  Rück- 

i8* 


435 


gewinnung  des  Ringes,  aber  seine  Verzweiflung,  die  für  fremdes  Heldentum 
schwärmt,  bleibt  eine  theoretische  Philosophie,  die  ihn  auf  der  Bühne  nur 
in  unangenehme  Situationen  bringt,  wenn  er  Mime  in  germanistische  Ge- 
spräche verwickelt  oder  sich  von  Siegfried  die  Lanze  zerbrechen  läßt  (ein 
Rest  der  Hundinge,  die  Siegfried  im  früheren  Entwurf  noch  zu  töten  hat). 
Diese  peinliche  Aufdringlichkeit  ist  die  Folge  seines  Eintritts  in  die  zweite 
Tragödie,  welche  er  schauen  sollte,  aber  nun  bühnenleibhaftig  mitmachen 
will:  bis  ihn  endlich  das  Mitleid  des  Dichters  in  ferne  Waltrauteberichte 
steckt  und  in  einer  bloßen  Dekoration  endigen  läßt.  Trauriger  noch  steht 
Brünnhilde  in  der  zweiten  Tragödie  da,  von  Siegfried  zu  einer  Liebe  be- 
redet, die  sie  niemals  menschlich  fühlen  kann.  Niemals  haben  sich  Siegfried 
und  Brünnhilde  geliebt,  vielleicht  solange  sie  schlief,  erwachte  in  ihm 
Begierde,  aber  da  sie  nebeneinander  stehen,  singen  sie  Gedanken  oder  Worte 
vom  prangenden  Stern.  Und  noch  trauriger  muß  sich  Siegfried  von  dem 
herrlich  freien  und  frischen  Wesen,  als  das  ihn  Wotans  und  Wagners  Liebe 
zur  „Unwillkür“  schuf,  in  die  lügnerische  Gibichungenwelt  flüchten,  in  der 
er  niemals  zu  der  Gemeinheit  von  Brünnhildes  Täuschung  fähig  gewesen  wäre, 
wenn  er  der  Wille  des  selbstischen  Menschen  geblieben  wäre.  Die  Sage 
sprach  hier  die  eine  Sprache,  Wagners  Gedanklichkeit  und  Symbolik  die 
andere,  aber  auf  der  Bühne  und  unter  der  genialsten  Musik  gingen  sie  nicht 
zusammen.  Da  hilft  kein  Vergessenheitstrank,  kein  Chamberlain,  kein 
Ring  und  keine  Wala,  die  zu  schlafen  beginnt,  nachdem  das  Drama  ver- 
loren ist. 

Der  Ring  sollte  das  Instrument  sein,  das  das  Drama  zusammenhält, 
der  Ring  als  fluchbeladenes  Symbol  aller  Machtgelüste.  Aber  er  bedeutet 
nur  Herrschaft,  er  gibt  sie  nicht.  Er  ist  Illusion  und  glaubt  Kraft  zu  sein. 
Dadurch  wird  er  ebenso  undramatisch  als  unmusikalisch.  So  klein  er  ist, 
kaum  sichtbar  für  das  Auge  des  Zuschauers,  der  in  ihm  die  Hauptperson 
des  Dramas  erkennen  soll,  so  große  Verwirrung  richtet  er  an.  Alberich 
schmiedet  ihn  sich,  aber  er  hat  alle  Macht,  nur  nicht  die  über  sich  selbst, 
und  er  verliert  ihn  durch  Raub.  Wotan  gibt  ihn  auf  Wunsch  der  Erda  weg, 
aber  der  Fluch  lastet  trotzdem  auf  ihm,  so  daß  er  sich  die  Frage  überlegen 
darf,  ob  nicht  seine  Willenstragödie  schließlich  doch  auch  nur  eine  Schick- 
salstragödie ist,  was  ihn  in  starke  philosophische  Zwiespälte  brächte.  Fafner 
besitzt  ihn,  ohne  ihn  zu  verwerten.  Brünnhilde  erhält  ihn,  ohne  ihn  zu  ver- 
stehen und  will  ihn  aus  Liebe  bewahren,  die  ihn  dann  aus  Liebe  opfern  muß. 

In  Siegfrieds  Kopf  schaltet  er  die  Logik  aus.  Denn,  während  der  Wirkung 
des  Vergessenheitstrankes  müßte  sich  Siegfried  sagen,  daß  er  eigentlich 
zwei  Ringe  besitzen  sollte:  den  einen,  den  er  Fafner  nahm,  den  zweiten, 

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den  er  als  Günther  Brünnhilde  nahm.  Er  merkt  es  nicht  und  hätte  sonst 
alle  Tragik  abwenden  können,  die  Sage  und  das  Drama  zugleich  zerstört. 
Noch  einmal  kommt  er  in  diese  Verlegenheit.  Die  Rheintöchter  bitten  ihn 
um  den  Ring,  er  will  ihn  nicht  geben.  Dann  will  er,  und  nun  wollen  sie  nicht, 
damit  die  Sage  und  das  Drama  erfüllet  werde.  So  kommt  er  in  sophistische 
Überlegungen,  die  ihm  gar  nicht  anstehen  und  auch  durch  die  Geste  mit  dem 
Erdkloß  nicht  beseitigt  werden.  Er  verklausuliert  sich.  In  Siegfrieds  Tod 
noch  mehr  als  in  der  Götterdämmerung,  und  im  Buchtext  noch  mehr 
als  im  komponierten  Text,  da  er  dort  noch  eine  lebhaftere  Erinnerung  an 
sein  Selbstbestimmungsrecht  hat,  das  ihm  hier  immer  mehr  geraubt  wird, 
um  ihn  der  Macht  des  philosophischen  Gedankens  desto  sicherer  aus- 
zuliefern. Dieser  Gedanke  war  mehr  der  Ring,  als  daß  der  Ring  der  Ge- 
danke war. 

Aber  noch  andere  Nöte  des  Zusammenhangs  ergaben  sich.  Es  stellte 
sich  das  Bedürfnis  heraus,  in  dem  einen  Drama  die  Fäden  des  anderen  zu 
sammeln,  und  ganze  Szenen  mußten  sich  damit  belasten,  die  große  Aus- 
sprache Wotans  zu  Brünnhilde,  die  Rekapitulation  des  Wanderers  vor  Mime, 
die  Gespräche  der  Nomen,  die  über  das  Wesen  der  Weltesche  und  über 
Loges  weiteres  Schicksal  nachzutragen  haben.  Die  Sinnlichkeit  geriet  hier 
in  Gefahr  vor  dem  zyklischen  Gewissen,  und  die  Musik  hatte  schweren 
Stand.  Aber  die  Musik  wagte  nicht  daran  zu  tasten.  Sie  hat  nur  an  zw'ei 
Stellen  anderer  Art  das  literarische  Drama  in  ihrem  Sinne  beeinflußt  und  ge- 
ändert. Sie  nahm  den  großen  Auseinandersetzungen  Frickas  mit  Wotan 
ein  erhebliches  Stück  von  gedanklichen  Erörterungen  fort  und,  nach  mehreren 
Versuchen,  Brünnhildes  Schlußgesang  metaphysischer  zu  gestalten  (einmal 
auch  mit  dem  Gedanken  der  Wiedergeburt)  entschied  sie  sich  für  die  jetzt 
komponierte  Fassung,  die  die  ursprüngliche  ausführliche  Moralphilosophie 
in  das  einfache  Bekenntnis  der  mächtigen  Liebe,  die  über  die  lieblose  Macht 
siegt,  reduziert. 

So  ist  es  gekommen,  daß  der  Grundgedanke  dieser  Tetralogie,  Liebe 
gegen  Macht,  so  groß  und  wahrhaftig  er  ist,  infolge  des  Bedürfnisses,  die 
auseinander  gewachsene  Arbeit  zu  verinnerlichen,  sich  oft  zwangvoll  dem 
Drama  und  der  Sage  auferlegt  hat.  Er  kam  aus  musikalischem  Empfinden, 
aber  er  mußte  vielfach  ein  Gedanke  bleiben,  der  in  das  Drama  so  schwer 
aufging,  daß  er  dieses  von  der  Musik  weg,  statt  ihr  zuzuführen  drohte. 
Dies  ist  die  Tragik  der  Arbeit.  Dies  erklärt  ihre  Unstimmigkeiten  und  ihre 
Mängel,  die  wir  so  oft  gefühlt  haben,  ohne  uns  ihrer  klar  bewußt  werden  zu 
können.  Wagner  war  jetzt  in  Gefahr,  aus  einer  tief  musikalischen  Einstel- 
lung seiner  Seele  schließlich  abstrakter  zu  werden,  als  es  eben  dies  Drama  ver- 

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trug,  das  zur  Musik  drängte.  Seine  künstlerische  „Unwillkür“  rettete  ihn 
vor  den  Konsequenzen.  Die  Musik  begann  zu  arbeiten  und  hat  sich  ein 
redlich  Teil  zurückerobert.  Hier  ein  Stück  weniger,  dort  ein  Stück  mehr. 
Das  ist  das  künstlerische  Mosaik  dieses  gewaltigen  Werkes. 

Diese  stille  Erwartung  der  Musik,  so  neu  und  unerhört  sie  sein  mußte, 
lebt  nur  für  den  Kenner  musikalischer  Hintergründe,  musikalischer  Zentren 
und  Ausstrahlungen  schon  in  den  Worten  des  Dramas.  Als  es  Wagner  das 
erste  Mal  vorlas,  wie  wenigen  außer  ihm  mag  sie  in  den  Sinnen  geklungen 
haben  i Fühlten  sie  den  Unterschied  der  Literatur,  die  in  sich  selbst  be- 
steht, und  dieser  dramatischen  Gesten,  die  nach  etwas  noch  Unerfülltem 
griffen  ? Wenige  Jahre  nachher  erschienen  Hebbels  Nibelungen  und  boten 
das  beste  Gegenspiel,  das  sich  denken  läßt.  Sie  dramatisierten  das  ganze  Nibe- 
lungenlied und  brachten  es  auf  einen  bewußt  christlichen  Ausgang.  Sie 
türmten  ungeordnet  Nibelungenhort,  Alberich,  den  Wurm  vor  Brünnhilde 
in  einem  Haufen  unverstandener  Sagenmotive.  Sie  motivierten  dafür  die 
Personen  durch  Charaktere  und  begründeten  Siegfrieds  nicht  sichtbaren 
Betrug  in  einer  gewissen  Derbheit  seines  unüberlegten  Wesens.  Alles  Be- 
griffliche trat  scharf  hervor,  dieses  Dickicht  der  Begriffe,  diese  Baumrinde 
von  Charakteren,  die  Hebbels  Gestalten  haben.  Hier  stand  eine  Intelligenz, 
die  die  Überlieferung  von  Literatur  einheizte,  ohne  sie  zu  wärmen,  gegen 
die  tiefe  und  jenseitige  Ausdehnung  der  Horizonte  bei  Wagner,  dessen 
Pathos  nur  der  Abglanz  einer  sehr  warmen  musikalischen  Erregbarkeit 
war.  Der  Verstand  in  das  Drama  projiziert  ergibt  Dialektik,  die  Musik  er- 
gibt Geste.  Hebbel  schuf  so  wenig  Menschen,  wie  Wagner.  Aber  jener, 
weil  er  vorgezeichnete  Handlungen  nur  mit  reflexiver  Psychologie  füllte, 
dieser  weil  er  eine  reflexive  Psychologie  in  vorgezeichnete  Handlungen 
auszugestalten  unternahm.  Jener  war  fertig,  dieser  noch  nicht.  Er  durfte 
mit  der  mythischen  Kraft  der  Musik  zurücknehmen,  was  er  im  Drama  zu 
viel  getan  hatte.  Es  waren  die  bestellten  Extreme  der  beiden  Künste,  der 
Literatur  und  der  Oper,  die  zwischen  Kopf  und  Herz  hin  und  her  gehen 
und  in  auserlesenen  Fällen  eine  wundervolle  Mitte  finden. 

Begeben  wir  uns  im  einzelnen  auf  das  große  Schlachtfeld  der  Künste 
und  Gedanken,  die  der  Nibelungenring  einen  will,  so  leidet  das  Rheingold 
zweifellos  am  meisten  durch  vorgeschobene  Abstraktheiten,  als  Vorspiel 
ohne  rechten  Zwang  und  notwendige  Aussicht,  dichterisch  wie  musikalisch 
etwas  leer,  tastend  und  zaghaft.  Die  Musik,  der  „Teil,  der  anfangs  alles 
war“,  ist  das  Ende  noch  nicht  wieder  geworden.  Aus  den  musikalischen 
Untergründen  von  Eddalandschaften  sollen  Personen  leibhaftig  werden, 
die  nicht  mehr  Edda  und  noch  nicht  Mensch  sind,  so  schwer  zu  begreifen, 

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Lcnbach:  Wagner 

wie  dieser  gute  schwache  Wotan  und  der  Weltengeist,  der  zur  Wala  hinab- 
steigt, die  Walküren  zu  zeugen,  eine  und  dieselbe  Figur  sein  kann.  Vergan- 
genes und  Zukünftiges  rückt  unsicher  aneinander.  Die  Formel  der  Rhein- 
töchter, des  Alberichfluchs,  der  Logeerzählung,  der  Schmiede,  der  Erda, 


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des  Gewitters,  des  Regenbogens,  die  Formeln  balancierender  Ober-  und 
Unterwelten  sind  nicht  ohne  Tradition  der  Opcrngeschichtc.  Aber  doch 
ist  schüchterner,  jungfräulicher  Boden  der  neuen  Opernszene,  aus  der  die 
Differenzierung  der  beiden  Riesen  in  einen  idealen  und  einen  realen  Men- 
schen, oder  Freias  blitzender  Blick  aus  dem  Goldstapel  oder  Loges  schwei- 
fende Unwillkür  „wer  weiß,  was  ich  tu“  wie  plötzlicher  ferner  Märchen- 
glanz hervorleuchten.  Naturgewalten  versuchen  zu  singen,  aber  sie  sind 
eigentlich  zu  stark  zum  Präludieren  und  flüchten  sich  darum  in  den  Ge- 
danken. 

Ganz  anders  die  Walküre.  Hier  fand  Wagner  menschlichen  Boden.  Sieg- 
munds und  Sieglindes  Liebe,  Hundings  finsterer  Haß,  Brünnhildes  Todesver- 
kündigung und  ihr  schönes,  herzliches  Schwanken  um  das  Schicksal  Sieg- 
munds, der  aufgeregte  Haufen  der  Walküren,  die  Bestrafung  der  Brünnhilde, 
der  Feuerzauber,  das  ergab  eine  wundervolle  Einheit  musikalischer  und  dra- 
matischer Innerlichkeit.  Der  dritte  Akt  mußte  etwas  mit  operntypischem 
Material  belastet  werden.  Der  zweite  litt  an  Wotans  Philosophie  sowohl 
wie  an  ihren  Folgen,  die  ein  unmusikalisches  Gcgensichselbsthandcln  im 
Kampfe  Siegmunds  und  Hundings  erzwangen.  Im  ersten  Akt  aber  war 
völlige  Reinheit,  er  wurde  darin  die  glücklichste  Schöpfung  Wagners,  daß 
er  auf  neuem  Boden  der  Opernszene,  in  ergänzendem  Fluß  des  Dramas 
und  der  Musik,  von  keiner  Gedanklichkeit  behindert,  sich  selbst  kongruent 
bleibt.  Nie  wieder  hat  sich  das  so  getroffen,  wie  in  diesem  menschlichen 
Winkel  des  sonst  so  inkongruenten  übermenschlich  großen  Nibclungen- 
dramas. 

Ungleicher  wieder  fällt  Siegfried  aus.  So  reizend  seine  ersten  Szenen 
mit  Mime  sind,  die  neue  Gegenüberstellung  seines  frischen  deutschen 
Wesens  (es  ist  der  höchste  Auswuchs  des  romantischen  Jägertyps)  und  der 
berechneten  Zwergigkeit,  des  Nichtfürchtens  und  des  Fürchten müssens, 
der  Schwertschmiede  und  der  Giftküche,  so  verlegen  ist  ihre  letzte  Szene, 
die  nicht  gelungene  Ironie  des  Mordenwollenden  und  des  Mordenmüssenden. 

So  abstrakt  alle  Wandererszenen  bleiben  mit  Mime,  mit  Alberich  und  Fafner, 
mit  Siegfried,  so  seelisch  beschwingt  ist  das  schöne  Waldreich  Siegfrieds, 
das  aus  Musik  geboren  ist,  frei  jeder  Opernhaftigkeit  innerhalb  einer  doch 
bewährten  und  fast  typischen  Situation.  Und  so  wundervoll  aus  Musik 
empfunden  und  in  Musik  sprechend  Siegfrieds  Erwecken  der  Brünnhilde 
ist,  so  literarisch  bleibt  ihre  Liebe,  die  aus  einsam  tönenden  Wesen  eine 
unmögliche  Zweisamkeit  hersteilen  will.  Aber  so  unmöglich  diese  Zweisam- 
keit wieder  ist,  so  unerhört  gewaltig  und  neu  strömte  die  Musik,  die  sich 
auf  sie  niederstürzte,  gänzlich  inkongruent,  subjektiv,  genial  und  über  die 

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alte  Oper  hinweg  fast  schon  wieder  neue  Oper.  An  dieser  Stelle  war  der 
Text  liegen  geblieben,  die  Musik  aber  nach  der  langen  Unterbrechung  aus 
ganz  anderen  Tiefen  hervorgesprudelt. 

Das  meiste  litt  die  Götterdämmerung  am  Dichterischen,  an  der  Ge- 
drängtheit ihrer  Vorszenen,  an  der  Plötzlichkeit  des  schnellstens  aufgerollten 
Gibichungendramas,  an  allen  Verzögerungen  durch  VV'altraute  und  Alberich, 
die  die  Fäden  des  Dramas  hochhalten  müssen,  an  der  Seelcnlosigkeit  der 
Zaubertränke,  an  der  Unmöglichkeit  der  Meineidszene,  die  der  alten  Oper 
ein  willkommenes  Ensemblematerial  gegeben  hätte,  aber  die  neue  psycho- 
logische Oper  in  musikalische  Schwierigkeiten  bringen  muß.  Die  Mannen- 
chöre mit  Hagen  (der  Unmensch  ist  hier  der  einzige  Mensch)  ragen  aus 
dieser  Verwirrung  hervor,  wie  zugestandene  Opemreste,  echt  und  stark 
in  ihrer  Ironie.  Und  zur  Oper,  als  wie  zur  einzigen  Rettung  aus  all  den 
Gegenwirkungen  von  Gedanke,  Sage,  Drama  und  Musik,  kehrt  billig  der 
letzte  Akt  zurück:  Jagd,  Rheintöchter,  Trinken,  Erzählung,  Tod,  Trauer- 
zug und  große  Soloszene  der  sich  opfernden  Heldin  unter  gewaltigem  Deko- 
rationseinsturz — es  war  ein  altes,  gutes  technisches  Gerüst,  das  sich  nur 
mit  den  Motiven  und  Erinnerungen  der  vergangenen  viertägigen  Tragödie 
zu  füllen  hatte.  Jetzt  fanden  sie  für  eine  freie  und  dankbare  musikalische 
Ausbreitung  endlich  Zeit  und  Boden.  Jetzt  fühlten  auch  sie,  die  viel  Ge- 
quälten und  Geopferten,  Heiligen  und  Verfluchten  etwas  wie  eine  eigene 
Erlösung.  Das  ist  die  resignierte  Schönheit  des  dritten  Akts  Götterdäm- 
merung. 

Unterdessen  hatte  die  Musik  zwei  große  Triumphe  erstritten,  im  Tristan 
gegen  den  Gedanken,  in  den  Meistersingern  gegen  den  Operntyp. 

Der  Gedanke  des  Tristan,  die  endliche  Liebesvereinigung  im  Tode, 
der  Haß  gegen  den  scheidenden  Tag,  die  Sehnsucht  nach  der  verbindenden 
Nacht,  dieser  Novalishymnus  lebte  in  der  Musik.  Es  ist  der  ausgesprochene 
Protest  des  Irrationellen  gegen  die  Wirklichkeit,  die  Auflösung  des  irdisch 
Unaufgelösten  durch  den  Himmel  der  Musik,  aus  dem  einst  Lohengrin 
zuerst  zur  Erde  stieg.  Wie  konnte  das  Drama  werden  ? Es  war  ein  Gefühl, 
schopenhauersch  vertieft,  aber  Genuß  und  Religion  des  Pessimismus,  wie  sie 
nur  die  Musik,  die  unendlich  versinkende,  auf  dem  Grunde  aller  Dinge 
finden  konnte.  Ein  Gefühl,  das  Symphonie  werden  konnte,  wo  fand  es  seine 
Bühne?  Es  ersah  sich  Tristan  und  Isolde  zu  Trägern.  Es  hätte  kaum  einen 
Marke  gebraucht,  der  nun  allerlei  reden  muß,  was  er  sonst  verschwiegen 
hätte.  Es  hätte  kaum  den  Liebestrank,  die  Jagd,  Brangäne  und  Kurwenal, 
den  Hirten  und  die  Schiffe  gebraucht,  nun  mußten  sie  für  die  Bühne  er- 
stehen und  taten  das  Äußerste,  sich  aus  jedem  Opernhaften  zu  verfeinern, 


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zu  vergeistigen.  Es  mußten  Akte  werden  und  Vorgänge,  wenn  auch  nur  ein 
Hauch  davon.  Alles  ward  vereinfacht,  die  Vergangenheit  der  Tantrisepisode 
als  einziger  Faden  herübergenommen,  fast  schon  zu  viel.  Die  Tragik  der 
Geschehnisse,  wenn  sie  sichtbar  wird,  bekommt  dies  Übereilte,  das  den 
dritten  Akt  verwirrt.  Melot,  der  Nebensächliche,  wird  der  geheime  Ver- 
mittler der  Tragik.  Er  reizt  Tristan  zum  Zug  nach  Irland,  er  vollführt 
den  Verrat,  er  bringt  den  Tod,  erbittert  Kurwenal,  häuft  die  Leichen.  Er 
ist  der  bestellte,  dumme,  mit  keiner  Musik  belohnte  Regisseur  des  notwendigen 
Dramas.  Aberl 'ristan  und  Isolde,  die  sich  ewig  lieben  und  ewig  lieben  werden, 
wissen  von  alledem  nichts,  denn  sie  leben  in  Musik,  auf  Fragen  wissen  sie 
nichts  zu  antworten,  auf  Motive  der  Handlung  gehen  sie  nicht  ein,  sie  lassen 
schweigend  Töne  sprechen  und  sprechen  sie  Worte,  ist  es  der  Gedanke.  So 
ist  es  geschehen,  daß  hier  ein  Werk  entstand,  dessen  Inhalt  ein  Gedanke, 
dessen  Drama  ein  Schimmer  von  Realitäten,  dessen  Wesen  einzig  die  Musik 
war.  Der  Gedanke  bleibt  in  der  Luft,  nimmt  man  ihn  für  sich;  das  Drama 
strauchelt,  nimmt  man  es  als  Handlung;  aber  die  Musik  ward  eine  der  größten 
Offenbarungen,  die  es  auf  dieser  armen  Erde  gegeben  hat.  Hier  ist  es  Wahr- 
heit geworden,  daß  sie  sich  Sage,  Philosophie,  Drama  unterworfen  hat, 
die  ihre  Schatten  werden.  Aber  noch  im  Tode  lächelt  sie  der  Widersprüche 
aller  derer,  die  diese  Schatten  für  Körper  nehmen.  Ob  es  geht?  Das  weiß 
sie  nicht,  das  kann  sie  dir  nicht  sagen.  Fragt  Melot. 

Spielen  die  Träger  der  Handlung  im  Tristan  nur  eine  expositive  Rolle 
für  das  Gefühl,  so  sind  sie  in  den  Meistersingern  von  Nürnberg,  ohne  jede 
metaphysische  und  mythologische  Verpflichtung,  selbst  die  Motoren  des 
Dramas.  Dafür  ist  der  Tristan  innerlich  zentral,  und  die  Meistersinger 
haben  ganz  eine  äußere  Substanz,  wie  irgendeine  Oper.  Ihr  Inhalt,  der  Sieg 
der  adligen  Freiheit  über  die  bürgerliche  Zunft,  zumal  er  sich  auf  dem  Felde 
der  Musik  selbst  abspielt,  ergab  ebensosehr  eine  feste  Handlung  wie  eine 
innere  tendenziöse  Beteiligung.  Der  Kern  dieser  Beziehungen  wurde  darum 
das  Plastischste,  was  Wagners  dichterische  Phantasie  geschaffen  hat.  Hans 
Sachs  ist  im  ersten  Entwurf  noch  kühle  historische  Person,  unterdessen 
hat  er  Eva  lieben  gelernt  und  mit  dem  W'eib  die  Einbildungskraft  und  den 
Zwang  des  Lenzes  und  die  Seele  der  Gesetze  und  alles  Wesen  der  Kunst 
als  Schöpfung  — so  wird  er  reif,  wohlwollend,  herzlich  und  dankbar  für 
alles  Alte  und  Neue,  auch  vornehm  und  klug  genug,  seine  Liebe  zu  Eva 
als  ein  stilles  Motiv  seiner  Beseelung  zurückzubehalten.  Kurz,  er  wurde 
ein  Mensch,  wie  ihn  Wagner  nicht  wieder  fand.  Ein  ganz  konkretes  und 
sinnliches  Bild  jener  großen  Liebe,  die  er  sich  in  der  Welt  ersah  und  ersuchte. 
Nicht  so  gut  erging  es  seinen  Dramengenossen,  die  weniger  erlebt  als  kon- 

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Erklärung  des  Tristan.  Von  Wagner  für  Mathilde  Wcscndonck  geschrieben 


struiert  wurden.  Vater  Pogner  mag  ihm  noch  zur  Seite  stehen,  in  der  Milde 
und  Schönheit  jener  unausgesprochenen  dumpfen  Regungen,  die  das  Neue 
fühlen,  ohne  es  zu  verstehen.  Aber  Eva  bleibt  ein  wenig  in  der  Mitte  stecken 
und  Walther  hat  sicherlich  den  Tenor  nicht  ganz  überwunden.  David  und 
Lene  (der  Johannischor  spricht  von  der  „alten  Jumbfer“!)  sind  atavistisch. 
Beckmesser  ist  Produkt  eines  trockenen  literarischen  Witzes.  Wagner  meinte, 
das  sei  alles  aus  dem  Innersten  von  Hans  Sachs  angesehen.  Das  glaube  ich 
nicht,  er  selbst  hat  sich  wohl  entwickelt,  aber  seine  Umgebung  ist  stehen 
geblieben  — in  der  langen  Frist  der  Jahre,  die  über  dieses  Werk  dahin- 
gingen. 

Denn  in  die  Meistersinger  ragt  der  gesamte  Apparat  der  alten  Oper 
hinein,  die  von  Anfang  bis  zu  Ende  die  äußere  Form  bestimmte.  Die  Kirche, 


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die  Preisehc  der  Eva,  Lehrbuben,  Förmlichkeiten  der  Freiung,  die  Probe- 
lieder, die  Finalcbildung,  die  Spottchöre,  das  Schusterlied,  der  Rachedurst, 
das  Ständchen,  Verkleidungen,  Prügeleien  und  Nachtwächter,  der  Monolog 
des  Baritons,  die  Komposition  von  Liedern,  die  sich  langsam  verändern, 
die  Pantomime  des  Geprügelten  und  die  der  Liebenden,  das  Quintett,  der 
Aufzug  der  Gewerke,  Tanz,  Liedparodie,  Preislied,  Krönung  und  mahnen- 
der Epilog  mit  allem  Jubel  und  allen  Chören  — kaum  erkennen  wir  noch 
unter  der  ungeheuren  neuen  Gewalt  der  Musik  diese  Schemata,  die  nicht 
anders  als  im  Tannhäuser  zu  einer  Oper  zusammengesetzt  wurden  und  doch 
so  ganz  verwandelt  erscheinen,  richtige  typische  Opernszenen  und  doch 
ein  ganz  eigenes  Bekenntnis  einer  deutschen  Künstlerseele.  Wagner  hat 
das  Drama  mit  vielen  Details  der  Handlung,  mit  Motivierungen  und  Tat- 
sächlichkeiten ausgestattet,  die  einem  rein  literarischen  Gewissen  entspringen. 
Er  hat  ebenso  eine  Fülle  ästhetischer  und  historischer  Sentenzen  hinein- 
geschüttet, die  Lehre  der  alten  Verse  und  Weisen,  die  Bedeutung  der  Regeln, 
die  schöne  Weisheit  von  der  Wahrtraumdeuterei  aller  Poesie  und  eine  tiefe 
deutsche  Auffassung  von  der  Kultur  echter  Volkskunst,  wichtige  Bekennt- 
nisse, die  seinem  philosophischen  Gewissen  entspringen.  Aber  die  Dank- 
barkeit der  alten  Oper  ist  geblieben.  WTas  etwa  überwucherte,  hat  die  Musik 
in  einer  sehr  geschickten  Deckung  zu  schützen  gewußt.  Diese  Musik  war 
so  sehr  Kraft,  wie  der  Text  Tradition  war,  so  sehr  Genie,  wie  er  Typ  war, 
so  sehr  letzte  Einbildungskraft,  wie  er  Konstruktion  blieb.  Die  Meister- 
singer sind  nicht  aus  Musik  geboren  wie  der  Tristan,  sondern  sie  sind  kom- 
poniert. Sie  geben  in  Drama,  Technik  und  Wohlgefallen  der  alten  Oper, 
was  ihr  einst  gehörte,  zurück.  Ihr  Triumph  ist  um  so  ewiger,  als  über  dieser 
konventionellen  Grundlage  einzig  und  allein  durch  die  musikalische  Erfin- 
dung ein  Werk  geschaffen  wurde,  das  der  Baum  von  Jahrhunderten  geworden 
ist,  mehr  als  alle  Welteschen  W’otans. 

Der  Parsifal  war  nicht  nur  das  Schlußwort,  sondern  er  ist  es.  Es  ist  die 
Auseinandersetzung  mit  Wagners  ganzer  Vergangenheit  im  Symbol  der 
leidenden  Menschen,  die  durch  das  reine  und  naive  Wissen  errettet  werden. 
Dabei  ist  das  Dramatische,  Gedankliche  und  Musikalische,  Konvention 
und  Innerlichkeit  einander  so  genähert,  daß  wieder  ein  Gleichmaß  der  Kräfte 
erreicht  wird,  wie  einst  in  alten  Zeiten.  Tannhäuscr  ist  freilich  indessen 
durch  Wotan  und  Tristan  zu  dem  isolierten  Amfortas  hindurchgegangen, 
Lohengrin  durch  Siegfried  zu  seinem  Vater  Parsifal  hinaufgestiegen,  Daland 
durch  Kurwenal  zum  Gurnemanz  geworden  und  Elisabeth  und  Venus 
haben  sich  in  Kundry  vereinigt,  aber  sie  haben  doch  ihre  Vergangenheit 
nicht  ganz  vergessen  und  an  wirksamen  Kontrasten  und  Erfahrungen  im 

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Milieu  manches  mit  her- 
übergebracht , was  den 
abstrakten  Gedanken  der 
Erlösung  durch  Mitleid 
bühnenmäßig  trösten  und 
seiner  musikalischen  Her- 
kunft dankbar  zurückgeben 
kann.  Lust  und  Religion, 

Liebe  und  Erlösung,  Selb- 
stisches und  Knechtisches, 

Heldisches  und  Intrigan- 
tes, Leiden  und  Verstehen, 
sinnliche  Liebe  und  himm- 
lische Liebe,  Wald,  Tiere, 

Schlafen,  Tod  und  Wunder 
— was  immer  die  Angel 
seiner  Welten  war,  es  ist 
hier  noch  einmal  zu  einer 
weihevollen  Synthese  ver- 
einigt. Die  Titurelchöre 
singen  in  strophischen 
Wechseln,  wie  einst  die 
Walküren  hatten  singen 
sollen,  Parsifal,  der  einst 
hatte  den  wunden  Tristan 
besuchen  sollen,  hat  nun 
das  schöne  Schweigen  von 
ihmgelemt,  Kundryschläft 
wie  einst  Wala  schlief,  weil 
sie  nichts  mehr  lenken  kann. 

Denn  Kundrv  leidet  an  die- 
ser Synthese  am  meisten. 

Da  sie  den  Heiland  einst 
verlachte,  ist  ihr  die  furchtbare  Strafe  geworden,  den  Frommen  und  den 
Teufeln  zugleich  zu  dienen.  Mit  dem  entmannten  Teufel  Klingsor  wird  sie 
eher  fertig,  da  er  nicht  Fleisch  und  Blut  ist.  Auch  mit  den  Gralsrittern,  da 
sie  es  ebensowenig  sind.  Aber  mit  Wagner  selbst  gerät  sie  in  den  letzten 
Konflikt,  den  er  zu  bestehen  hatte.  In  der  Szene  mit  Parsifal  zwingt  er  sie, 
eine  Dialektik  von  Liebe  und  Erlösung  zu  entwickeln,  die  sie  nicht  leisten 


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Zettel  der  Uraufführung  der  MeUter&ingcr 


445 


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kann.  Der  Gedanke  krampft  sich,  Szene  zu  werden.  Liebe  soll  Erlösung, 
Erlösung  Liebe  hervorrufen,  sie  haken  sich  ineinander  ein,  wenden  sich  um, 
betrügen  sich:  damit  einzig  Parsifal  an  der  sinnlichen  Liebe  die  himmlische 
lerne  und  Wagners  Leben  erfülle.  Doch  Kundry  hat  es  anders  beschlossen. 
Sie  ist  die  Oper  und  rächt  sich  an  allen  Begriffen.  Von  Skizze  zu  Skizze  zwingt 
sie  Wagner  mehr,  ihr  zu  glauben.  Sie  führt  ihm  die  großen  Gralschöre  und 
Tempelgesänge  vor,  sie  schafft  ihm  die  reizenden  und  verführerischen  Blumen- 
mädchen, dekorative  Pracht  und  alle  Sinnlichkeit  der  Religion  und  der  Hölle 
und  läßt  ihn  ein  dramatisches  Oratorium  schreiben,  das  sich  schämt,  sich 
Oper  zu  nennen  und  dennoch  ihr  alle  guten  Wirkungen  wiedererstattet,  die 
sie  in  Zeiten  der  Antithese  glaubte  verlieren  zu  müssen.  Kundry  ist  die  Oper, 
die  Synthese  des  Unmöglichen,  die  Dienerin  der  Heiligen  und  der  Sünder, 
gezwungene  Darstellerin  begrifflich  dialektischer  Auseinandersetzungen  von 
Liebe  und  Erlösung,  dagegen  wahrhaft  erlöst  durch  die  reine  Torheit  der 
schönen  Musik,  die  Parsifal  am  Karfreitag  begleitet.  Man  nennt  Parsifal  ein 
Genie,  weil  er  im  Erblicken  der  Zusammenhänge,  unbefangen  und  unbeirrt, 
dem  Leidenden  das  Heil  bringt,  also  ein  Tatmensch  wird.  Aber  schon  Lohen- 
grin  hatte  auf  die  Tat  verzichtet,  Tristan  hatte  die  vorübergehende  Sehn- 
sucht nach  dem  Leben,  die  er  im  ersten  Entwurf  noch  empfand,  dann  voll- 
kommen aufgegeben,  Walther  selbst  hatte  seinen  Tatendrang  in  Musik  umsetzen 
müssen,  Wotan  und  Siegfried  waren  in  einer  Symphonie  des  Pessimismus 
gestorben  und  auch  Parsifal  ist  niemals  ein  positiver  Tatmensch  geworden 
in  der  Umgebung  von  Symbolen,  in  die  er  hineingerät.  Sein  Sieg  ist  die 
Passivität.  Diese  Passivität,  das  rhythmische  Aufgehen  in  den  Dingen  an 
sich,  ist  die  Tugend,  durch  die  die  Musik  die  Oper  befreit.  Das  ist  die  „Tat“ 
der  Musik,  von  der  Parsifal  jedesmal,  wenn  er  den  mystischen  Gral  enthüllt, 
gegen  alle  Nictzscheaner,  die  die  musikalische  Weltanschauung  der  Kon- 
templation nicht  begreifen,  zu  singen  hat.  Freilich:  der  reine  Tor  selbst 
hat  keine  Ahnung,  daß  er  zu  dieser  Mission  berufen  war. 

Die  Waffe  ist  wiedergekehrt,  sie  schloß  die  Wunde,  die  sie  schlug,  sie 
endete  das  Leiden  der  Künste,  den  furchtbaren  Kampf  aller  Begriffe  und 
Töne,  Überlieferungen  und  Revolutionen,  dramatischer  Notwendigkeiten 
und  tiefster  innerer  Erlebnisse,  sie  führte  sie  veredelt  in  ihren  Kreis  zurück. 

Es  ist  die  Religion  der  Oper,  nicht  viel  mehr.  Und  Kundry,  die  Oper, 
stirbt  in  diesem  heiligsten  Augenblick. 

Es  war  das  Blut  der  Opern  Wagners,  das  wir  geschaut  haben,  sein  Leiden 
und  sein  Lieben,  seine  Kraft  und  seinen  Kreislauf.  Nun  erst  ist  es  uns  ver- 
gönnt, in  diesem  Kreise  zu  bleiben  und  den  Körper  der  Kunst  zu  bewundern, 
den  es  ernährt:  die  Verse,  den  Gesang,  das  Orchester,  die  Musik. 

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Die  Verse 


SO  unvergleichlich  schöpferisch  die  Sprache  seiner  Musik  wurde,  so  schwan- 
kend ist  die  seiner  Worte.  Sie  sind  dem  Einflüsse  der  maßgebenden  Musik 
am  fernsten  gerückt,  und  also  am  unbestimmtesten.  Die  Verse  des  Rienzi 
halten  sich  auf  einem  anständigen  Niveau,  nichts  als  ein  Kleid  für  Musik- 
wirkungen. Im  Fliegenden  Holländer  tritt  die  Methode  kurzer  Ausrufungen 
schon  bewußter  hervor,  als  Druck  von  Musik,  die  Balladcntextc  und  Lied- 
verse  des  Steuermanns,  der  Senta,  der  Spinnerinnen,  der  Wechselchöre 
haben  eine  scharfe  volkstümliche  Wendung.  Der  Reim  ist  willkürlich  und 
unbeständig.  Dieselbe  Willkür  im  Tannhäuscr,  dessen  Verse  leicht  wolframig 
bieder  und  bedichtet  sind,  am  kernigsten  noch  in  den  Altertümlichkeiten 
der  Pilgerchöre  und  des  Elisabethgebets.  Im  Lohengrin  ist  eine  Art  Schicht- 
wechsel. Bis  zur  Schwanankunft  ist  wenig  Reim,  dann  fast  alles,  außer  der 
Szene  Telramund-Ortrud,  die  nur  in  der  Ehrenarie  und  im  Duett  Reime 
hat.  Ortruds  Zauberformel  ist  nicht  gereimt,  die  Verschwörung  ist  gereimt, 
auch  das  zweite  Finale  ist  gereimt.  Darin  ist  erst  recht  kein  System  zu  er- 
kennen. Wagner  hatte  sich  nicht  klargemacht,  daß  der  Reim  außer  im 
Strophischen  der  Musik  nichts  gibt,  sondern  eine  zweite  Musik  der  Sprache  ist, 
die  inkongruent  wird  zu  der  Komposition.  Und  daß,  wenn  man  ihn  anwendet, 
man  ihn  systematisch  zu  bringen  hat,  im  Lyrischen  mehr  als  im  Dramatischen. 
Das  Maß  wechselt  wie  gewöhnlich,  vor  weiblichen  Reimen  ist  keine  Scheu,  das 
Jambische  herrscht  vor,  das  Trochäische  mehr  im  Jubelnden.  Die  Sprache  ist 
oft  seicht,  oft  stockig,  alles  ist  noch  Konvention  und  Libretto,  viel  mehr, 
als  man  nach  der  musikalischen  Entwicklung  von  Lohengrin  denken  sollte. 

Ein  völliger  Bruch  geschieht  im  Ring.  Nach  alten  literarischen  Mustern 
wird  der  Stabreim  eingeführt,  in  freien  wechselnden  Maßen.  Der  Stabreim 
gewinnt,  was  er  an  künstlichem  Archaismus  verliert,  durch  die  musikalische 
Bedeutung,  er  geht  nicht  wie  der  Endreim  verloren,  sondern  er  akzentuiert 
zusammengehörende  Worte.  Zudem  gibt  er  den  germanischen  Charakter. 
Aber  ihn  nachzuahmen,  noch  einmal,  nachdem  er  selbst  schon  nachgeahmt 
hat,  ist  gefährlich.  Vielleicht  drückt  er  auch  auf  die  Worte,  die  oft  bei  pathe- 
tischer Lyrik  und  gezwungener  Komik  dick  und  verquollen  werden.  Steht 
die  Kraft  der  Sprache  ungezwungen  und  stählern  zutage,  so  bewundert 
man  Wendungen  von  einer  Konzentration,  die  das  Muster  von  Musik- 
sprache scheinen.  „Heut  hast  du’s  erlebt.“  „Was  noch  nie  sich  traf,  danach 
trachtet  mein  Sinn.“  „Wehre  dem  Kuß  des  verworfenen  Weibes  nicht.“ 
„Mir  leuchtete  Wotans  Auge.“  „Ich  lieg  und  besitze,  laß  mich  schlafen.“ 
„Sterben  die  Menschenmütter  an  ihren  Söhnen  alle  dahin  ?“  Die  Siegfried- 

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dichtung  ist  die  Höhe  dieser  neuen  Sprache,  die  die  erste  war,  welche  über- 
haupt die  Musik  aus  sich  und  für  sich  geschaffen  hat.  Im  scharfen  Schnitt 
der  Empfindung,  des  Bildes,  des  Klangwertes  findet  sie  ihre  Prägung,  kon- 
struktiv nicht  zu  verwickelt,  vom  Begriff  ins  Gefühl  gehoben,  in  einer  ge- 
wissen symbolischen  Gültigkeit. 

Die  Sprache  des  Tristan  offenbart  sich  sofort  als  Schatten  (nicht  Ge- 
burt) der  Musik.  Die  Erfindsamkeit  in  der  Sprache  des  wogenden  Gefühls 
und  der  Ahnungen,  die  Nietzsche  an  Wagner  rühmte,  bewährt  sich  hier  am 
ehesten.  Das  Wort  ist  oft  nur  die  schmale  Stütze  des  Begriffs,  wie  dieser 
die  des  Gefühls  ist.  Der  Gedanke  fällt  in  eine  kurze  Lyrik  herab.  Die  Gewalt- 
samkeiten der  Tag-  und  Nachtphilosophie  ergänzen  sich  durch  eine  üppigere 
Malerei  und  durch  Korresponsionen  im  Stile  klassischer  Texte.  Je  mehr 
sich  das  Wort  in  Musik  auflöst,  desto  hauchiger  wird  seine  Substanz,  desto 
wallender  sein  Rhythmus.  Oft  drängt  es  sich  devisenhaft.  Das  Trochäische 
tritt  hervor.  Ein  seltener  Stabreim,  viel  Endreim,  auch  Assonanzen  — 
wieder  herrscht  darin  die  Unbestimmtheit  der  Wahl  innerhalb  der  absicht- 
lichen Unbestimmtheit  der  Maße. 

Die  Meistersinger  haben  durchgeführten  Reim,  eine  meist  klare  und 
vollendete  Sprache,  die  in  Walthers  Liedern  aus  Stil  den  Renaissance- 
schwulst annimmt.  W'agner  gibt  also  das  Prinzip  einer  besonderen  Musik- 
sprache, sei  sie  gehämmert  oder  nur  gegossen,  wieder  auf.  Die  poetische 
Selbständigkeit  des  Dramas  will  sich  ihre  Haltung  bewahren. 

Der  Parsifal  schließlich  kehrt  zum  Anfang  zurück.  Er  hat  den  teil- 
weisen Reim.  Seine  Sprache  ist  gepolstert  von  Abstraktionen,  Begriffsver- 
dickungen, auch  auf  Sprungfedern  der  Empfindung. 

Das  Resultat  dieser  Reihe  ist:  die  Sprache  hat  sich  nicht  endgültig  von 
der  Musik  bilden  lassen,  nach  vorübergehenden  individuellen  Versuchen 
ist  sie  in  eine  Gleichgültigkeit  zurückgefallcn,  die  den  Verzicht  bedeutet, 
zwischen  dem  Wort  und  dem  Ton  eine  Regelung  des  Verhältnisses  herzu- 
stellen. Stilfarbe,  wie  in  den  Holländer-  und  Walthcrliedern  ist  Laune. 
Der  Parsifal  leiht  sie  sich  nicht  einmal  von  den  Psalmen.  Nichts  ist  fest- 
zustellen. Die  Meistersinger  haben  die  reifste  Sprache,  aber  ohne  Wirkung 
der  Musik.  Tristan  hat  die  musikalischste,  aber  ohne  Substanz.  Der  Ring 
hat  die  Substanz,  aber  Gewaltsamkeiten.  Der  Parsifal  ist  das  letzte,  aber 
das  schwächlichste.  Alliteration  ist  musikalisch,  aber  nicht  zu  wiederholen. 
Reim  ist  nicht  musikalisch,  aber  wiederholt  sich  immer.  Das  freie,  beliebige, 
nicht  vorn  und  nicht  hinten  gereimte,  natürliche,  biegsame  und  gefühls- 
starke, klangvolle,  bildscharfe  Maß  ist  das  Wahre  und  Bleibende  für  Musik: 
es  findet  sich  nirgends. 

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Der  Gesang 


SOBALD  wir  die  Frage  umgekehrt  legen,  von  der  Musik  gegen  die  Sprache, 
läßt  sich  die  Anatomie  geschlossener  beobachten.  Bis  /um  Lohcngrin  kann 
man  kaum  sagen,  daß  die  Sprache,  außer  daß  sie  ihr  strophisches  Schema 
auch  unwillkürlich  auf  die  Gesangszeilen  überträgt,  die  Musik  irgendwie 
bestimmt.  Die  starre,  rein  formale  Arie  löst  sich  wohl  in  einen  freieren 
Gesang  allmählich  aus,  aber  die  Herrschaft  der  musikalischen  Linie  ist  doch 
noch  unbestritten,  von  alters  her  lockerer  in  gewissen  rezitativischen  Partien, 
die  auch  ganze  Szenen,  wie  Telramund-Ortrud  oder  die  Tannhäusererzäh- 
lung der  modernen  Deklamation  näherbringen.  In  der  Erzählung  Lohen- 
grins kann  man  noch  beobachten,  wie  die  Stimme  der  vorgezeichneten  Melo- 
die ohne  viel  selbständige  Regung  folgt. 

Im  Ring  tritt  wieder  die  entschiedene  Revolution  ein.  Das  deklama- 
torische Prinzip  wird  rücksichtslos  verkündet.  Wagner  stellt  folgende  Ge- 
dankenreihe auf:  die  bisherige  Opernmelodie  ist  eine  instrumental  emp- 
fundene, aus  dem  Instrument  der  menschlichen  Kehle.  Die  Logik  führt 
uns  dazu,  die  Kehle  nicht  mehr  als  Instrument  von  Tönen,  sondern  ausdrucks- 
voller Worte  zu  nehmen,  die  im  Gesang  ihre  sprachliche  Dynamik  nicht 
zerstören,  sondern  erhöhen  sollen.  Die  Stimme  hat  also  nicht  die  absolute, 
sondern  die  relative  Melodie  zu  singen,  die  für  die  äußere  Form  die  innere 
Wahrheit  setzt.  Sie  bildet  sich  nicht  gegen,  nicht  mit  den  Worten,  sondern 
aus  den  Worten,  Phrasen,  Sätzen.  Im  dritten  Teil  von  „Oper  und  Drama“ 
führt  er  dies  mit  allzu  großer  Ausführlichkeit  durch,  und  er  hält  die  Zeit 
gekommen  für  die  eigene  Melodie  der  nordischen  (er  sagt  „deutschen“) 
Sprache,  die  nur  auf  Wurzelsilben  betont,  während  die  romanischen  will- 
kürlich betonen.  Die  romanische  Melodie  wirft  darum  ihre  Worte  in  be- 
liebige musikalische  Akzente;  die  deutsche,  die  auch  im  Vers  ihrem  Wurzel- 
gefühl treu  bleibt,  hat  endgültig  aus  dieser  seelischen  Rhythmik  heraus  ihren 
Ton  zu  bilden.  Sic  hat  dabei  die  harmonische  Modulation  nur  nach  den 
Wendungen  des  Gefühlsganges  zu  richten,  die  sie  mit  jeder  Biegung  der 
Tonalität  verfolgt,  ein  Stimmungsgerüst  unter  dem  melodischen  Prozeß  der 
Worte.  Harmonische  Stützen  der  Melodie  können  nun  nicht  mehr  andere 
Stimmen  sein,  die  im  Ensemble  ihre  Selbständigkeit  irgendwie  doch  einbüßen, 
sondern  nur  das  Orchester,  das  motivisch  den  Ablauf  der  musikalischen 
Zustände  auszudrücken  hat.  So  gibt  es  keinen  Zufall  mehr  in  der  Oper, 
alles  ist  Logik  der  Künste.  Als  Gegenbeispiel  gilt  Beckmessers  Deklamation. 

Es  war  dies  eine  der  größten  Entdeckungen  in  der  Oper,  weil  sie  aus 
dem  untermusikalischen  Leben  unserer  Sprache  herausgehört  war,  und  ihre 

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Wahrheit  wird  noch  lange  wirksam  bleiben.  Sie  beherrscht  vom  Ring  bis 
zum  Parsifal  die  meisten  Strecken  des  Gesanges,  der  innerhalb  der  physischen 
Möglichkeiten  der  Organe  alle  die  vielen  Nuancen  musiksprachlicher  Gattung 
ausnützt,  die  früheren  Reformatoren  der  Deklamation  verborgen  waren, 
langgchaltcne  Töne,  Isolierung  wichtiger  Phrasen,  Hinüberziehen  über 
gleitende  Portamcnti,  Hinaufwenden  letzter  Silben,  alle  die  tausend  Kurven, 
Lagerungen,  Ausbrüche,  Ehrbarkeiten,  Heimlichkeiten,  Überzeugtheiten 
und  Verrätercien,  deren  musikalische  Bilder  in  dem  ewigen  Auf-  und  Ab- 
gleiten unserer  gehobenen  Sprache  liegen,  unterschieden  nach  den  Charak- 
teren der  Personen. 

Aber  die  Wahrheit  der  Sprache  in  der  Oper  ist  eben  nur  eine  Wahr- 
heit, der  andere  Wahrheiten  gegenüberstehen,  und  somit  ist  die  Logik 
eine  Theorie.  Die  Musik  zwingt  den  Theoretiker  in  der  Praxis  sich  selbst 
zu  verleugnen.  Sie  züchtet  im  Verborgenen  Zugeständnisse,  die  sowohl 
die  Formlosigkeit  als  die  Einsamkeit  als  den  ewigen  Parallelismus  der  Stimme 
zum  Orchester  zu  trösten  haben  und  stellt  immer  mehr  den  unlogischen  Sinn 
der  Oper  wieder  her,  der  der  Sieg  der  Musik  ist. 

Die  natürlichsten  Zugeständnisse  sind  alle  Lieder,  die  sich  als  solche 
geben,  wie  die  Meistersinger  sie  in  ganzen  Reihen  haben.  Doch  gern  kristalli- 
siert sich  auch  sonst  das  Liedhafte,  wie  in  Siegmunds  Liebessang  oder  in 
Siegfrieds  Blasebalggesang,  unter  deutlichen  formalen  Zwängen,  die  die 
Not  der  Lyrik  sind.  Die  Not  der  Lyrik  ist  entschuldigt,  wenn  Textparallelen 
wie  im  zweiten  Akt  Tristan  oder  dritten  Walküre  die  Korrcsponsion  strophi- 
scher Art  nahelegen.  Die  Not  der  Lyrik  enthüllt  dem  feinsten  Ohr  einen 
leisen,  wie  zauberhaften  Hang  zur  Liedmelodie,  Liedwiederholung  durch 
den  ganzen  Tristan.  Die  Not  der  Lyrik  bringt  Eva  vor  Hans  Sachs  dazu, 
in  eine  melodische  Phrasenreihe  von  absoluter  Schönheit  auszubrechen. 
Sie  verdichtet  Gesänge  zu  melodischen  Formeln  in  der  Ironie  und  dem 
Auftrag  der  Isolde,  in  der  Loyalität  der  Fricka,  in  der  Erziehungslehre 
Mimes,  in  der  motivischen  Sprache  des  Waldvogels,  in  allen  Schwüren 
auf  Trinkhorn  und  Lanzenspitze.  Sie  gestattet  bald  bei  möglichster  Selbst- 
ständigkeit der  einzelnen  Stimme  größere  und  immer  noch  größere  Ensembles 
und  verschlingt  zuletzt,  schon  nicht  mehr  ganz  als  lyrische,  sondern  als 
symphonische  Not  die  Stimme  in  die  thematische  Welt  des  Orchesters. 
Kurz:  es  ist  Schicksal,  daß  sich  die  stehende  Musik  an  der  laufenden  rächt. 

Der  Ring  zeigt  die  Wandlung  in  sich.  Die  zweite  Hälfte  der  Kompo- 
sition ist  mitunter  wie  eine  Wendung  der  Praxis  gegen  die  Theorie  der  ersten. 
Während  die  Nibelungen  sich  durchaus  scheuen,  einen  Chor  zu  bilden, 
und  Siegfried  und  Mime  auch  gesanglich  einander  aus  dem  Wege  gehen, 

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entsetzen  sich  Günther, 

Hagen  und  Brünnhildc 
nicht  mehr  vor  einer  klei- 
nen Terzettepisode,  Sieg- 
fried singt  munter  zu  den 
vokalisierenden  Rheintöch- 
tern, und  er  und  Brünn- 
hilde geben  sich  dem  schön- 
sten Duett  hin  und  gern 
dazu  her,  die  Themenbil- 
dung des  Orchesters  als 
absolute  Instrumente  zu 
unterstützen.  Gewiß  ha- 
ben alle  diese  mehr  Veran- 
lassung zum  Ensemble,  aber 
sie  benutzen  sie  auch  ohne 
jedes  Bedenken. 

Der  Tristan  hat  die 
ausgeglichenste  Deklama- 
tion, die  in  einer  wunder- 
vollen Lebendigkeit,  einig 
mit  der  Sprache,  und  doch 
singende  Musik,  eine  ganz 
geheimnisvolle  Liedmusik, 
nur  selten,  und  dann  mit 
zartester  Vorsicht , die 
reiche  Gelegenheit  nutzt, 
das  Ensemble  des  lyrischen 

Zwiegesanges  zu  konstruieren  und  noch  seltener,  und  dann  mit  einer  ent- 
zückenden Hingebung  in  Auseinandersetzungen  mit  der  Symphonie  gerät,  die 
durch  ihre  meist  kurzen  symbolischen  Motive  schmiegsamer  wird  als  die 
der  breitgegliederten  Motive  des  Ringes.  Wenn  Isolde  im  Liebestod  ihren 
Gesang  auf  geringe  Takte  der  Herrschaft  der  absoluten  thematischen  Musik 
preisgibt,  so  tut  sie  es  wie  in  einer  Lösung  ihrer  Existenz  in  die  Macht  der 
Töne,  die  der  Inhalt  dieser  Tragödie  ist.  Hier  wird  das  Wort  aufgesaugt. 

Das  Wort  in  den  Meistersingern  ist  viel  zu  bestimmt  und  bestimmend, 
um  verloren  gehen  zu  dürfen.  Es  verlangt  einen  Gesang,  der  dem  Augen- 
blick seinen  ganzen  Ausdruck  gibt.  Unter  Sachsens  Eliederbaum  eint  er  sich 
so  erquickend  mit  dem  Sinn  der  Sprache  und  dem  des  Orchesters  wie  nur 


Menzel:  Wagner  auf  der  Probe  in  Bayreuth 
Mit  Genehmigung  von  F.  A.  Bmckniann  A.*G.  München 


Digitiz 


an  wenigen  Stellen  der  Opernliteratur.  Im  übrigen  aber  hat  er  gerade 
hier  viel  Gelegenheit,  in  fester  Melodie  und  im  Ensemble  seine  schönsten 
Egoismen  zu  begehen.  Im  Solo  schon  gibt  es  allerlei  kleine  Opfer  des  Wortes 
an  die  Melodie  oder  an  das  Orchester,  im  Zusammensingen  gibt  es  Ver- 
legenheiten, die  bis  zu  Textwiederholungen  führen.  Die  Oper  geniert  sich 
nicht  mehr. 

Noch  weniger  im  Parsifal,  der  nicht  nur  im  Ensemble  der  Musik  zu- 
gestcht,  was  sie  verteilt,  sondern  auch  schon  der  Gesangsmelodie  wieder 
verlorene  Rechte  einräumt,  sowohl  bei  den  Gralsrittern  als  bei  den  Blumen- 
mädchen, oder  den  Parallclismus  des  Orchesters  nicht  aufrecht  erhält,  wie 
es  Kundry  im  zweiten  und  Gurnemanz  im  dritten  Akt  passiert.  Die  Wahr- 
heit der  Musik  wird  der  Wahrheit  des  Wortes  überall  gefährlich,  und  wenn 
auch  nicht  im  Stil,  so  doch  in  der  Richtung  blickt  das  Ende  wieder  auf  seinen 
Anfang  hin. 


Das  Orchester 

VERLEGEN  wir  unsern  Standpunkt  ins  Orchester,  so  scheint  es,  daß 
auch  die  Ouvertüren  und  Vorspiele  von  einer  rückläufigen  Richtung  be- 
herrscht werden.  Die  Rienziou  vertüre  hat  noch  die  alte  äußerliche  Sona  tenform. 
Der  Fliegende  Holländer  wird  schon  durch  eine  Art  symphonischer  Dich- 
tung über  die  dramatischen  Themen  der  Oper  eingcleitet,  deren  Schluß 
durch  die  spätere  Bearbeitung  wirkungsvoll  gehoben  ist.  Der  Tannhäuser 
hat  ursprünglich  auch  eine  geschlossene  symphonische  Form,  die  den  Venus- 
berg in  den  Pilgerchor  rahmt,  in  der  Pariser  Bearbeitung  aber  wird  dieser 
formale  Zwang  aufgehoben,  und  der  Venusberg  der  Ouvertüre  führt  gleich 
in  den  der  Oper  (so  daß  der  Anfang  mit  dem  Pilgerchor  sinnlos  wird).  Lohen- 
grin  bricht  mit  solchen  Kontrastanlagen.  Er  baut  im  Vorspiel  einen  Tempel 
des  Grals  aus  seinem  einzigen  ausgebreiteten  Motiv,  das  er  durch  alle  Schich- 
ten des  Orchesters,  Streicher,  Holzbläser,  Blechbläser  giebelt,  um  es  in 
seinen  Anfang  zurückzuführen.  Das  Lohengrinvorspiel  ist  das  wundervolle 
Bekenntnis  der  Entdeckung  dieses  neuen  Erdteils  in  der  Musik,  und  darum 
der  Extrakt,  das  symphonische  Resultat  eines  inneren  Verhältnisses  zu  ihr, 
während  die  gewohnte  Ouvertüre  im  besten  Falle  ein  Bild  des  äußeren 
Verhältnisses  gab,  das  man  richtiger  nach,  statt  vor  der  Oper  kennen  lernen 
sollte.  Der  Nibelungenring  geht  noch  einen  Schritt  weiter,  er  verzichtet 
auf  jedes  allgemeine  Vorwort,  inneres  wie  äußeres,  und  gibt  nur  Stimmungs- 
anfänge der  Szenen.  Selbst  das  gewaltige  metaphysische  Bild  des  kosmischen 
Werdens,  das  zu  Beginn  des  Rheingolds  aus  tiefstem  Es  Wallen  und  Wogen 

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der  Welt  im  allmählichen  Auswachsen  einer  einzigen  Tonalität  schildert, 
führt  uns  nur  auf  den  Grund  des  Rheins,  dessen  sinnliches  Leben  anhebt, 
indem  cs  das  Es  des  Es-Dur  zur  Quartsext  von  As-Dur  umschaltet.  Der 
Tristan  stellt  sich  wieder  neben  den  Lohcngrin,  indem  er  aus  den  Motiven 
der  Liebe  ein  geschlossenes  inneres  Bekenntnis  formt.  Die  Meistersinger 
wenden  sich  noch  mehr  zurück,  indem  sie  eine  richtige  Ouvertüre  bieten, 
die  mit  aller  kunstvollen  Durcharbeitung  doch  das  Rahmenbild  der  ganzen 
Oper  hinsetzt.  Der  Parsifal  entschließt  sich  zu  einem  Kompromiß  in  den 
mosaikartig  gereihten  Gralsmotiven,  die  den  Kontrast  der  Lcidensmotive 
aus  sich  entwickeln,  um  der  Oper  selbst  ihre  Lösung  zu  überlassen. 

Eine  ähnliche  Reihe  läßt  sich  aus  den  Einleitungen  der  dritten  Akte 
feststellen,  die  Wagner  mit  besonderer  Vorliebe  zu  größeren  symphonischen 
Gemälden  ausgestaltet.  Das  Vorspiel  zum  dritten  Akt  Tannhäuser  schil- 
dert seinen  Romzug,  wie  das  des  Parsifal  seinen  Leidensweg  schildert.  Lyri- 
scher sind  diejenigen  des  Lohengrin  und  Tristan,  dort  die  Feststimmung 
der  Vereinigung,  hier  die  Einsamkeit  vor  dem  leeren  Meer.  Im  Ring  ist  oft 
noch  äußerlich  eine  Erinnerung  an  diese  symphonischen  Akzente  geblieben, 
wenn  vor  dem  dritten  Akt  Walküre  der  Walkürenritt  sein  ausgeführtes  Bild 
findet,  vor  dem  dritten  Akt  Siegfried  Wotans  Sturmeswehen,  vor  dem 
zweiten  Akt  Götterdämmerung  das  grandiose,  in  Fäusten  der  Akkorde 
und  Rhythmen  geballte  Kredo  des  Nibelungenhasses.  Das  dritte  Vorspiel 
der  Meistersinger  breitet  sich  zu  einer  Schilderung  von  Sachsens  Innenleben 
aus,  aber  es  knüpft  seine  Freuden  an  seine  Sorgen  mehr  in  der  koordinierten 
Form  jener  Epik  als  in  der  Baulichkeit  dieser  Lyrik. 

Doch  je  mehr  wir  uns  in  sein  Orchester  vertiefen,  desto  mehr  schwindet 
uns  die  Vorstellung  dieser  kreisförmigen  Richtung  der  Anatomie  seiner 
Technik,  desto  leibhaftiger  erfreuen  wir  uns  des  blühenden  Fleisches  der 
Musik  — der  Opernkomponist  wird  ein  Symphoniker,  ein  deutscher  Meister 
des  Orchesters,  der  am  liebsten  aus  diesem  Element  seiner  Kunst  empfindet 
und  von  ihm  aus,  so  selten  er  es  zugibt,  die  Einstellung  seines  Dramas  gewinnt. 
Er  liebt  die  restlose  Wahrheit  des  Ausdrucks,  er  findet  sie  nur  im  Orchester, 
und  dieses  diktiert  der  Bühne  ihre  Form,  nicht  mehr  umgekehrt.  Die  Auf- 
fassung der  Oper,  in  der  jeder  sein  charakteristischstes  Instrument  spielt, 
auch  die  Stimme  das  des  Sprachgesanges,  in  der  das  Orchester  nicht 
mehr  begleitet  und  der  Gesang  nicht  mehr  mit  den  Flötenmelodien  wett- 
eifert, ja  alles  Aufgehen  in  die  Gleichzeitigkeit  des  Gesamtkunstwerks  ist 
nichts  als  eine  letzte  Anwendung  der  deutschen  symphonischen  Erziehung 
auf  die  Bühne.  Was  Wagner  tat,  tat  er  aus  dieser  Kraft.  Was  er  Neues 
fand,  fand  er  von  dort.  Was  er  wirkte,  wirkte  er  auf  dieser  Grundlage.  Und 

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was' er  als  höchstes  Gut  besaß,  die  unbegreifliche  Macht  seiner  musikalischen 
Phantasie,  gewann  er  aus  dieser  Gnade. 

Die  Symphonie  seines  Orchesters  bleibt  beredt  bis  in  die  letzten  Tage, 
einmal  schwächer,  einmal  stärker,  aber  immer  das  gleiche  im  Prinzip,  geahnt 
im  Lohengrin,  gemildert  im  Parsifal,  verschiedenartig,  aber  immer  gleich 
bewußt  im  Ring,  im  Tristan,  in  den  Meistersingern,  — nicht  nur  in  den 
selbständigen  Stücken,  in  jenen  Vorspielen  und  Einleitungen,  in  allen  seinen 
genial  umrissenen  Aktanfängen,  dem  hinreißenden  Schwung  des  rasenden 
zweiten  Walkürenvorspiels,  in  den  Wandelmusiken  des  Rings  und  des  Parsifal, 
in  Siegfrieds  Feuergang,  Rheinfahrt,  Trauermusik,  sondern  überall,  da  sie 
überall  ihre  ganze  Sprache  spricht.  Sie  wäre  an  sich,  ohne  Bühne,  ein  voll- 
kommener Ablauf  aller  musikalischen  Vorgänge,  da  sie  in  sich  ihre  eigene 
Bühne  hat.  Sie  gibt  alles  Agogische  und  alles  Dynamische  und  alles  Thema- 
tische, was  zum  Motiv  der  Szene,  der  Person,  des  Charakters  wird.  Schon 
der  Lohengrin  systematisiert  das  überkommene  Erinnerungsbild  zu  einem 
motivischen  Gewebe  bis  in  den  Gesang  hinein,  wie  es  nur  dem  deutschen 
symphonischen  Gewissen  erlaubt  war.  Die  späteren  Werke  prägen  das  Leit- 
motiv zu  einem  so  verbindlichen  symphonisch-dramatischen  Thema,  daß 
es  lieber  alle  nur  denkbaren  Wandlungen  durchmacht,  ehe  es  der  geringsten 
Zufälligkeit  erlaubt,  seinen  Organismus  zu  durchbrechen.  So  groß  wird 
dieser  Zwang,  daß  er  mit  Wagner  vollendet  ist.  Seine  einzige  Konsequenz, 
die  darum  sein  Eigentum  bleiben  muß. 

Die  Kombination  der  Stimmen  war  eine  gegebene,  die  er  nach  den  freien 
Forderungen  des  Dramas  ausnützt,  wachsam  genug,  ihre  möglichste  Schat- 
tierung und  Farbigkeit  durchzuführen.  Die  Kombination  der  Instrumente 
lag  in  seiner  Hand  und  schon  hier,  im  Apparat  seiner  musikalischen  Phan- 
tasie, regt  sich  sein  schöpferisches  Organ  wie  zu  Wundern.  Seine  Partituren, 
unbegreiflich  fertig  aus  dem  Kopf  auf  das  Papier  gebracht,  sind  Instrumental- 
welten geworden. 

Der  Fliegende  Holländer  ruft  die  sonoren  Bläser  und  die  erregten  Strei- 
cher. Tiefe  Trompeten  und  Tuba  erhalten  große  Rollen.  Die  Pauke  über- 
nimmt ein  Solo  bei  Holländers  Eintritt.  Gegen  das  hellbläsige  Sentamotiv 
stehen  seine  dunklen  Farben:  Pauke  und  tiefe  Streicher  vereinigt  (wie  in 
der  Mitte  des  Parsifalvorspiels),  Bratschen  der  Vernichtung,  unten  gehaltene 
Violinen  und  Klarinetten.  Alles  Malerische  wird  bevorzugt:  schlagende 
Bläserviertel  zur  Feierlichkeit  Sentas,  der  Tubeneinsatz  in  der  Ballade 
und  die  zitternden  Gebärden  der  Celli,  die  Illustration  von  Eriks  Traum, 
die  Schiffsbewegung  in  abwechselnden  Tremoli  der  Streicher  und  Bläser 
(wie  im  Tristan),  die  gespenstisch  gestopften  Hörner  im  Walzer  der  Matrosen 

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und  die  Szene  der  zwei  Schiffe,  Dialoge  der  drei  Posaunen  undTuba,  Streicher- 
schatten und  ein  Chor  von  drei  Pikkoli  auf  der  Bühne,  der  in  einer  Art  Luft- 
perspektive des  Orchesters  die  Dämonie  der  Situation  aus  weiten  Fernen 
zeichnet. 

Fossiles  genug  bleibt  im  Holländer  und  Unvermögendes  im  Tannhäuser, 
dessen  Phantasie  oft  über  seine  Instrumentation  hinausgeht.  Unwirksam 
bleibt  der  Venusberg,  außer  der  feinen  Teilung  in  der  Grottenstelle.  Frei- 
lich in  der  Pariser  Fassung  schwillt  er  von  Wirkung.  Eine  Schar  von  Bläsern 
als  Bühnenorchester  sucht  ihre  Erscheinung  atmosphärischer  zu  machen. 
Die  Bläser,  die  Elisabeths  Gebet  konsequent  stützen,  erreichen  nicht  ihren 
Klang.  Noch  ist  alles  Tiefakkordliche  besser,  die  gern  isolierten  tiefen  Strei- 
cher ohne  Violinen,  die  Posaunenharmonien  Wolframs  im  letzten  Akt.  Aber 
das  Neue  wird  in  ungewohnten  Emanzipationen  erstrebt:  Celiokantilenen, 
schnelle  Posaunengänge,  Beckenwirbel,  Solistentum  der  Harfe  und  die 
Macht  von  Bläserakkorden,  die  aus  den  Streichern  liegen  bleiben.  Alles, 
was  charakterisiert,  wird  scharf  durchgebildet:  der  Venus  kommt  die  Klari- 
nette zu,  der  Elisabeth  die  Oboe,  gestopfte  Hörner  dem  Fluch,  im  Sänger- 
krieg die  Streicher  für  Wolfram,  für  Tannhäuser  die  Bläser  und  die  Trom- 
pete für  Biterolf.  Die  Baßklarinette  tritt  nur  beim  Elisabethgebet  auf 
und  hat  den  schönen  Nachklang  in  der  Melodie  Wolframs,  der  sie  mit  seinem 
Blick  verfolgt.  Die  Gruppen  der  Instrumente  sammeln  sich  schattierend 
gegeneinander:  beim  Einzug,  im  dritten  Vorspiel,  Oboen  wechselnd  gegen 
Streicher  im  zweiten  Vorspiel,  alle  frommen  Bläser  gegen  die  Venustremoli 
und  in  farbigster  Wandlung  der  Harmonien  durch  Streicher,  Hörner,  Bläser 
zu  Streichern  zurück  beim  Wiedersehen  Wolframs  und  Tannhäusers. 

Einen  freien  Wurf  haben  die  Orchestermassen  des  Lohengrin,  ein  souve- 
ränes Liegenbleiben  und  Fortnehmen,  ein  unbehinderter  Stimmenanschluß, 
schönes  Herauswachsen  einsamer  Soli  aus  dem  Tutti  und  der  Entschluß 
zu  allen  Forzati,  die  das  notwendige  Forte  sofort  in  ein  praktisches  Piano 
wenden.  Dazu  ein  gewaltiges  Bühnenorchester.  Die  Gruppen  gehen  in 
Bläsern  zu  drei,  vier  Hörner,  drei  Posaunen  und  Tuba.  Baßklarinette 
und  Englischhorn  sind  endgültig  in  den  Bestand  aufgenommen.  Im  ersten 
und  dritten  Vorspiel  operieren  die  Truppen  gegen-  und  übereinander, 
im  Einzug  setzen  sie  sich  klug  ab,  Blechbläser  verbinden  sich  zu  ganzen 
Nachschlageperioden,  im  Gebet  treten  sie  als  Masse  zusammen.  Die  Holz- 
bläserakkorde in  ihrer  prinzipiellen  neuen  Schönheit  legen  sich  raffiniert, 
bisweilen  tiefe  Flöte  unter  hohem  Fagott.  Der  Schwan  hat  bei  der  Ankunft 
Bläser,  beim  Abschied  Streicher.  Die  Balkonszene  verzichtet  auf  Streicher. 
Alles  vereinzelt  sich.  Die  Posaune  beginnt  legato  zu  singen.  Die  Streicher 

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teilen  sich  bis  zu  den  vier  Soloviolinen  des  Vorspiels.  Die  Bratschen,  oft 
solo  musizierend,  übernehmen  Farben  der  Ironie  und  des  Verrats.  Der 
Kontrabaß  weigert  sich  nicht  mehr  zu  tremolieren.  Die  Streicher  erfinden 
neue  Füllfiguren.  Gedämpfte  Bühnentrommeln  illustrieren Telramunds  Tod. 
Der  Brautchor  wird  von  zarten  Fäden  alternierender  Instrumente  koloriert. 
Holzbläser,  Harfe,  Trompetentönchen  malen  den  Traum;  Trompete, 
Horn  und  Pauke  die  Aufforderung  zum  Gotteskampf,  das  tiefe  Horn  wie  die 
hohen  Streicher  alle  Mystik,  gestopfte  Hörner  und  Englischhorn  den  Zauber. 
Posaune,  Pauke,  Trompete,  Flöte  geben  einzelne  malerische  Akzente  von 
impressionistischer  Kraft. 

Die  Instrumentalwelt  des  Rings  ist  zum  erstenmal  auf  die  vollkommene 
Selbständigkeit  der  Klanggruppen  angelegt.  Schon  für  die  ersten  Violinen 
sind  sechzehn  Spieler  vorgeschrieben.  Oft  sind  die  Violinen  in  acht  Gruppen 
geteilt,  Bratschen  und  Celli  sechsfach.  Nur  die  Fagotte  sind  zu  drei.  Die  drei 
Oboen  vervollständigen  sich  durch  Englischhorn,  die  drei  Klarinetten  durch 
Baßklarinctte.  Vier  Flöten.  Drei  Trompeten  und  eine  Baßtrompete.  Drei 
Posaunen  und  eine  Kontrabaßposaune.  Zwei  Tenortuben,  zwei  Baßtuben 
und  eine  Kontrabaßtuba,  die  das  Orchester  Walhalls  bilden.  Ein  Charakter 
von  Vollständigkeit  tiefer  Bläser  wird  so  geschaffen,  wie  er  niemals  nur  geahnt 
war.  Er  gibt  den  sonoren  Untergrund  des  musikalischen  Mythus.  Aber 
er  herrscht  nicht  dauernd.  Aktweise  pausieren  die  Tuben.  Sie  sind  so  einge- 
richtet, daß  sie  von  einem  Teil  der  Hornisten  besorgt  werden  können.  Acht 
Ventilhörner  sind  in  der  Partitur.  Zwei  Paar  Pauken.  Sechsfache  Harfen, 
dazu  eine  Bühnenharfe,  die  meist  doppelt  besetzt  werden  muß.  Die  sechs 
Orchesterharfen  leistet  sich  wohl  nur  Bayreuth.  Für  das  tiefe  Es  des  Rhein- 
goldvorspiels ist  dort  ein  Orgelton  konstruiert,  über  dem  sich  die  wachsenden 
Massen  des  wallenden  Es-Dur  fast  ohne  Kreszendo  nur  durch  zunehmende 
Quantität  der  Instrumente  erheben.  Die  Partitur  ist  ein  Bild  des  sympho- 
nischen Dramas,  das  sich  hier  abspielt,  zuerst  schüchterner,  farbloser,  kom- 
ponierter, dann  immer  bewußter  und  charakteristischer,  nach  der  Pause  der 
Arbeit  vom  dritten  Akt  Siegfried  an  von  einer  ganz  neuen  und  resoluten 
Polyphonie.  Wir  müssen  mit  einem  Praktiker  vom  Dirigentenpult  (wie  ich 
es  mit  Leo  Blech  durfte)  diese  Notenbilder  lesen,  um  ihre  Sprache  auch  aus 
ihren  Wirkungen  zu  verstehen. 

Wir  lösen  mit  besonderem  Interesse  die  Tubenwelt  heraus  bis  in  ihre 
malerischen  Exkurse  bei  Hunding  und  Fafner,  beim  Bruderschwur.  Wie 
sie  Walhall  bauen,  beim  Wanderer  sich  schon  mit  Posaunen  mischen,  bei 
der  Todes  Verkündigung  fast  ganz  in  Posaunen  und  Trompeten  sich  ver- 
menschlichen. Wir  verfolgen  die  Welt  der  Hörner,  wie  sie  den  Walküren- 

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ritt  illustrieren  unter  all  dem 
Wirbel  ablösender  Triller, 

Streicherrutscher,  Harfen- 
stöße, Triangel-  und  Trom- 
melrhythmen. Wie  sie  die 
Schmiede  des  Siegfried- 
schwerts malen  in  verteilten 
Schlägen.  Wie  sie  den 
Sonnenaufgang  in  der  Gi- 
bichungenhalle  hinauf  ent- 
wickeln. Wie  sie  sich  dämp- 
fen in  allen  Bildern  geheim- 
nisvoller Ränke,  beim  Tarn- 
helm in  ganzen  Modula- 
tionen, bei  Mimes  Komplott 
in  einem  Korps  gedämpften 
Blechs,  beim  Vergessenheits- 
trank im  Widerspiel  des 
Solocello  als  seltsam  zwin- 
gende Terz,  bei  Siegfrieds 
Verkleidung  — und  alle  ähn- 
lichen Dämpfungen,  selbst 
die  der  Posaune,  die  im 
Munde  der  Mannen  so  kühn 
lachte,  bei  der  dumpfen  Er- 
innerung an  die  Walküre, 
wohl  der  erste  Fall  dieser 
Technik.  Der  tiefen  Bläserwelt  steht  gegenüber  die  neue  Verwendung  der 
Harfe : die  beim  Regenbogen,  zu  der  Rheintöchterharfe  hinzu,  in  sechs  verschie- 
denen Systemen  sich  gegeneinander  und  übereinander  bewegen  soll,  die  dem 
Feuerzauber  mit  den  Streichern  und  Flöten  ihren  Glanz  gibt,  längst  entwöhnt 
ein  Liebesinstrument  zu  sein,  die  Farbe  des  Schwertschmelzens  übernimmt  und 
bei  Brünnhildes  Erwachen  sich  ihres  solistischen  Lichtes  in  nie  erhoffter 
Selbständigkeit  rühmen  darf.  Welche  Innenzeichnung  in  diesem  gewaltigen 
Gewebe!  Stimmführendes  wird  Tusche,  wie  Farbegebendes  ein  eigener  Wert 
wird.  Alles  Harpeggienhafte  der  Streicher  wächst  zu  Systemen.  Bisweilen 
eine  Geigenfigur  in  stürmischem  Lauf,  die  nichts  bezweckt,  als  irgend  einen 
Schatten  hineinzugeben.  Figurationen  von  ungewohnter  Beweglichkeit 
im  Feuerzauber,  wie  Register  der  Klangmischung.  Feuerarabesken,  die 

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Camftag  bru  10.  3utii  1805. 
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Zettel  der  Uraufführung  des  Tristan 


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in  melodische  Floskeln  auszüngeln.  Alle  Arten  Sprudelfiguren  der  Rhein- 
töchter. Und  immer  feiner  und  subtiler  all  dies  Clairobscur  von  verwischten 
Konturen  bis  in  die  Absetzung  der  Feuerfiguren  von  Siegfrieds  Erzählung 
nach  kleinen,  wie  verriebenen  Pausen.  Und  unaufzählbar  alle  die  vielen 
charakteristischen  Kleinmalereien  der  musikalischen  Handlung.  Paukcn- 
schlägel  auf  Becken  für  Alberichs  Ringkuß,  Trommelschlägel  auf  Becken  für 
Mimes  Weltcntraum,  alle  neuen  Schlageffckte,  unter  denen  das  Konzert 
der  achtzehn  Ambosse  an  erster  Stelle  steht,  die  verteilten  Pizzikati  um  Loge, 
die  langgehaltenen  tiefen  Blastöne  zu  Wotans  Monolog,  das  realistische 
Bärenbrummen  im  Siegfried,  die  merkwürdige  Wirkung  der  hohen  Fagotte 
beim  Bericht  von  Sieglindes  Wehen,  das  Wotanswaldesflimmern  über 
tiefen  schreitenden  Tubatönen,  die  geniale  Kleinigkeit  des  Übergangs 
tremolierender  Bratschen  zu  Celli  bei  der  Rede  des  Wurms,  alles  Kräch- 
zende der  Instrumente  in  der  Szene  von  Mime  und  Alberich  und  das  trockene 
col  legno-Spielen  bei  Mimes  Vorspiegelungen,  die  wachsende  Freudigkeit 
der  Waldvögel,  die  romantische  Virtuosität  von  Siegfrieds  Horn,  die  Glocken- 
spiele zu  seiner  Rheinfahrt,  die  finstere  Parade  aller  dunklen  Instrumente 
zur  Szene  Hagen-Alberich,  die  Solotrompete  des  Meineids,  die  Befreiung 
des  Gegentranks  in  Klarinetten  und  Englischhorn  — es  sind  nur  wenige  Wir- 
kungen von  absolut  neuer  Erfindung,  die  ich  aus  einer  Partitur  greife,  welche 
in  der  Geschichte  des  Orchesters  Epoche  machte.  Vorher  war  wohl  das 
Streben  nach  Gruppenbildung  und  nach  Charakteristik  im  einzelnen 
dagewesen  — hier  war  es  Organismus  geworden,  die  durchgeführte  Indi- 
vidualisierung des  Instruments  und  seiner  Truppe,  der  farbigen  Malerei 
und  der  thematischen  Symphonie. 

Als  die  Tristanpartitur  erschien,  mußten  die  Orchester  noch  auf  die 
Bedeutung  der  neuen  Ventilbläser  hingewiesen  werden,  die  zur  Erzeugung 
jedes  chromatischen  Tons  fähig  waren.  Es  war  eine  Forderung,  die  mit  dem 
Wesen  dieser  Partitur  in  engstem  Zusammenhang  stand.  Denn  sie  konnte 
nur  geschrieben  werden  bei  voller  tonalen  Selbständigkeit  jedes  Instruments. 
Jedes  Instrument  hat  hier  den  gleichen  Anspruch  als  Glied  des  Tonkörpers, 
jedes  ist  ein  Nerv  in  diesem  unglaublich  zarten  Organismus.  Die  Partitur 
des  Tristan  ist  die  sensitivste,  die  es  gibt.  Niemals  sonst  sind  so  die  Stimmen 
verteilt,  zerlegt,  interpretiert  worden  nach  der  wechselnden  Farbe  der  In- 
strumente, die  sie  sich  abnehmen.  Niemals  sonst  sind  so  die  Register  gemischt 
worden,  daß  die  höchst  selbständigen  Bratschen  die  Geigen  überschreiten, 
die  Oboen  in  Flötenhöhe  sich  ausklagen,  Klarinetten  ein  Horn  zwingen, 
ihre  vierte  Stimme  zu  sein.  Die  eine  Gruppe  geht  in  ein  Kreszendo,  während 
gleichzeitig  die  andere  ein  Diminuendo  hat.  Nach  der  vereitelten  Liebes- 

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nacht  streicht  ein  G des 
Englischhorns  und  der  Gei- 
gen ruhig  über  dem  Gis  der 
Oboe  dahin.  Das  Orchester 
ist  nur  das  gewöhnliche  der 
dreifachen  Bläserbesetzung, 
aber  es  lebt  intensiver  als 
ein  vierfaches:  in  Reichtum 
und  in  Sparsamkeit.  Die 
Geigen,  die  sich  zu  ganz 
neuen  wilden  Läufen  ent- 
schließen , haben  nur  ein 
einziges  wirkliches  Solo  in 
Tristans  Vision,  worauf  der 
einzige  größere  Blechbläser- 
satz eintritt,  das  zauberische 
Hornquartett.  Die  Harfe 
wartet,  um  nicht  vor  dem 
Liebestrank  ihren  ersten 
Akkord  zu  schlagen.  Ein 
Harfenschlag  bei  Tristans  Tod,  ein  Trompetenton  bei  Kurwenals  Tod. 
Aber  die  kleine  Charakteristik  von  Personen  durch  eine  Art  obligater 
Instrumente  gibt  es  nicht  mehr.  Natürlich  hat  Marke  tiefe  Streicher  und 
Baßklarinette.  Wie  von  selbst  begleitet  Isolde  vor  dem  Ende  die  erste 
Geige,  gegen  die  anderen  mit  den  anderen  Streichern.  Doch  das  Wesent- 
liche ist  die  symphonische  Innerlichkeit  und  das  eigene  dramatische  Leben 
der  Instrumente,  das  bei  Tristans  Wahnsinn  zu  einer  fast  bühnengefähr- 
lichen Selbständigkeit  der  Dynamik  anwächst.  Es  folgt  den  Vorgängen 
mit  einer  Psychologie  der  Partitur,  die  wir  im  Ablesen  stärker  genießen  als 
im  Hören  und  Schauen  der  Bühne.  Wie  sie  die  Liebestodmusik  in  erreg- 
tem Werden  gestaltet,  wo  sie  im  zweiten  Akt  entsteht,  und  in  ruhigen 
Bindungen,  wo  sie  den  dritten  endigt.  Wie  sie  aufgeht  und  sich  vereinzelt 
und  die  eigenen  Schönheiten  kostet  in  den  seligen  Takten  der  Brangänewacht : 
eine  Teilung  der  Streicher  in  zwei  Gruppen,  in  zwei  erste  und  zweite  Vio- 
linen, in  zweimal  zwei  solche  Solisten,  wieder  der  Hälften  derTuttistreicher 
noch  einmal  in  Hälften,  eine  Solobratsche  über  den  geteilten  harpeggierenden 
und  synkopierenden  Bratschen,  eine  Solovioline  herauswachsend,  ein  Solo- 
cello dagegen  singend,  über  Kontrabässen,  die  sich  zum  Teil  tiefer  stimmen 
müssen,  unter  dem  Glanz  der  Bläser  und  Harfen  in  allen  nur  denkbaren 

459 


Wagners  Handschrift:  Meistersinger 


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Farben  — diese  Seiten  der  Partitur  sind  das  Heiligtum  der  deutschen  Opern- 
musik geworden. 

Das  Wunder  des  Meistcrsingcrorchesters  ist  seine  strahlende  Wirkung 
mit  einem  verhältnismäßig  kleinen  Apparat:  es  sind  die  alten,  nur  zwei- 
fachen Bläser,  drei  Trompeten,  drei  Posaunen  mit  Tuba,  vier  Hörner,  also 
fast  eine  archaistische  Partitur.  Eine  unbeschreiblich  überlegene  Technik 
schaltet  mit  diesem  Material  so  reif,  so  klug  und  so  kunstvoll,  daß  Wirkungen 
von  einer  Größe,  Macht  und  Abwechslung  erreicht  werden,  die  intuitiv 
sind.  Eine  einzige  Stimme  ist  mit  Mißachtung  behandelt,  die  Flöte,  der 
Wagner  nicht  viel  zu  sagen  gibt,  weil  sie  ihm  nichts  gibt:  ihre  zärtliche 
Zierlichkeit  paßt  nicht  zu  seinen  Stoffen  und  Empfindungen  und,  braucht 
er  sie  nicht  zur  Harmonie,  läßt  er  ihr  nur  so  wenig  kleine  Gelegenheiten, 
daß  unsere  Flötenkünstler  sich  gern  vor  ihr  zurückziehen.  Sparsamkeit 
in  anderen  Instrumenten  ist  eine  berechtigte:  die  Aufbewahrung  erster 
Violinen  in  der  Ouvertüre,  beim  Meistereintritt  für  späte  Führung,  die 
großen  Pausen  in  der  Tätigkeit  der  Posaunen.  Im  übrigen  ist  es  eine  gleich- 
mäßige Meisterschaft,  die  den  Schriftsteller  verlegen  macht,  Besonderheiten 
zu  erwähnen  aus  einer  Technik,  die  nicht  wie  in  den  alten  Opern  durch 
ihre  Inkongruenz  interessant  wird,  sondern  das  Schulbuch  des  modernen 
Komponisten  wurde.  Er  erinnert  sich  an  die  Miniaturillustrierung  der  Weisen, 
die  David  dem  Walther  lehrt:  in  ihrer  Abwechslung  von  Strichen  der  Trom- 
peten, Hörner,  Oboen,  Klarinetten  und  des  Pizzikato,  das  kurze  Liebe  heißt. 
An  das  Solo  des  Horns  und  der  Bratsche,  die  das  Lied  vom  stillen  Herd 
einleiten.  An  die  Gestopftheiten  und  hohen  Lagen  Beckmessers  wie  an  die 
zauberhaften  Streicherteilungen  im  C-Dur-Akkord,  der  das  Preislied  hin- 
stellt. An  die  Klarinettenfiguren  der  schlagenden  Amsel  am  Johannisabend 
und  an  alle  kühnen,  mutwilligen  Holzbläsertriller.  An  die  Mischung  der 
Hörner  mit  dem  Ponticello  der  Streicher,  da  Sachs  unterm  spanischen 
Flieder  träumt.  An  die  plötzliche  tiefe  Trompetentriole  bei  Walthers  An- 
kunft in  der  nächtigen  Gasse.  An  die  oft  gebenedeite  Tubahummel  in  der 
Prügelszene  und  an  die  Delikatesse  aller  Malerei  (der  einzigen  ausgesproche- 
nen Malerei  in  diesem  Werk),  wo  das  Schwirren  des  verliebten  Glühwürm- 
chens in  schwärmenden  Sommerdüften  der  Streicher  und  Harfen,  durch- 
schäkert von  Klarinette  und  Oboe,  unterblasen  von  gestopften  Hörnern, 
sich  entzückt.  Ein  machtvoller  C-Dur-Akkord  der  Tutti,  durch  die  un- 
crforschliche  Kenntnis  dieser  wenigen  Instrumente  auf  seine  einzige  Kraft 
gebracht,  schlägt  alle  diese  Gelegentlichkeiten  zu  Boden. 

Die  Parsifalpartitur,  in  den  Holzbläsern  außer  Flöten  vierfach,  also 
mit  Kontrafagott,  brachte  nichts  anderes  hinzu  als  die  Berechnung  auf  das 

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versenkte  Orchester,  die  zu  raffinierten  koloristischen  Wirkungen  trieb,  von 
dem  Holz  mit  gedämpften  Streichern,  die  die  Abendmahlsweise  beginnen, 
bis  zur  Harfenkonvergenz  des  Schlusses.  As-Dur  und  C-Moll  der  Grals- 
feier sind  Harmonien,  in  denen  von  jeder  egoistischen  Regung  abgesehen 
nur  durch  rhythmische  Zerlegung  die  Instrumente  den  Klang  auf-  und  ab- 
bauen. Orgelhafte  Bläsergruppen,  von  einer  hohen  Trompete  bisweilen 
mclodisiert,  bleiben  als  das  wesentliche  Erinnerungsbild  im  Gedächtnis. 
Dazwischen  etwas  von  Kundrys  Kuß  in  alternierender  Solovioline  und  Solo- 
klarinette unter  dem  Beben  der  Streicher  — ihr  Heilandslachen  in  schlagen- 
den Bläsern  und  Sein  Celloblick  — das  Harfenglissando  der  Lanze,  die  unter 
trcmolicrcnden  Violinen  in  die  Herrlichkeit  der  Blechbläser  zurückkehrt  — 
Gurncmanz’  Segen  über  geteilten  tiefen  Streichern  — die  süße  Ausfädelung 
des  Karfreitags 


Die  Musik 

NUN  geben  wir  uns  endlich  uneingeschränkt,  wenn  auch  ohne  Befangen- 
heit, der  letzten  wirklich  schöpferischen  Kraft  Wagners  hin,  seiner 
musikalischen  Erfindung.  Sie  ist  es,  die  seinen  Werken  die  Flügel  gab,  aber 
nur  Eingeweihte  kennen  sie,  erkennen  sie  und  dürfen  sic  abschätzen.  Es 
ist  nicht  zu  viel  von  ihr  gesprochen  worden,  und  es  ist  gefährlich,  von  ihr 
zu  sprechen.  Leicht  zieht  sie  wie  Lohengrin  vor  den  Worten  wieder  davon. 

Sie  beginnt  im  Rienzi  sich  zu  regen,  von  Akt  zu  Akt  stärker,  indem  sie 
sich  gleichsam  durch  diese  Oper  durcharbeitet,  die  wir  ihrer  Abstände 
wegen  kaum  noch  in  der  originalen  Fassung  zu  hören  bekommen.  Der 
langgezogene  Ruf  der  Trompete  führt  uns  wie  ein  gereinigtes  Symbol  der 
heroischen  Oper  in  das  Stück  hinein  und  Rienzis  helle  Stimme,  auch  unter 
dem  Tremolo  der  Streicher,  bleibt  uns  als  Erinnerung  an  das  'Heldische 
dieser  Gattung.  Mit  lauen  Lüften  umgeben  uns  die  Friedensboten,  in 
deren  schönen  Gesängen  die  Wagnersche  Akkordromantik  unser  Ohr  zu- 
erst berührt,  wie  auch  die  Melodie  der  Friedensgöttin  im  ursprünglichen 
Ballett  eher  zu  Weber  als  zu  Spontini  hinneigt.  Von  großer  dramatischer 
Kraft  ist  der  dritte  Akt  mit  dem  durchdringenden  Motiv  des  Santo  spirito 
cavaliere  in  der  echten  geschlagenen  Wagnerrhythmik.  Der  temperament- 
volle Schlachtgesang,  die  Bewegung  und  Unruhe  des  fernen  Kampfes,  über 
der  Adriano  und  Irene  noch  italianisieren,  zeigt  den  Bühneninstinkt.  Der 
billige  Effekt  von  Pariser  Ensemblearien  und  Militärmärschen  zum  Preise 
Rienzis  wird  allmählich  verachtet.  Die  Verschwörung  des  vierten  Aktes 
hat  schon  Telramundtöne,  das  Gebet  des  fünften  und  die  Szene  mit 


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Irene  rücken  merklich  in  die  Sphäre  von  Tannhäuser  und  Elisabeth 
hinüber. 

Der  Fliegende  Holländer  holt  an  seinen  besten  Stellen  die  musikalische 
Kraft  aus  den  Tiefen  des  Mythus.  Wie  Urklang  durchzieht  ihn  das  Motiv 
der  Sekundenreihen,  das  von  den  Matrosen  bis  ins  Spinnerlied  seine  Ketten 
schlingt,  sogar  auch  zum  Holländer  hinüber,  dem  sonst  die  Urwcltlichkeit 
des  Quintenmotivs  zu  eigen  ist.  Der  Holländer  vertieft,  er  holt  weiten  Atem 
und  fängt  von  den  Elementen  an.  Seine  rezitativische  Arie  mit  der  schön- 
gewellten Schlußfigur  geht  in  ein  freies  Liedschema  ein,  „Dich  frage  ich“, 
auf  urwüchsigem  Tremolo.  Wie  vom  Urgrund  beginnt  er  sein  weitgezogenes 
„Wie  aus  der  Ferne“,  da  er  Senta  sieht.  Aber  es  ist  ihm  nicht  gegeben,  in 
dieser  Tiefe  zu  bleiben,  sobald  er  mit  Menschen  zusammentrifft.  Mit  Daland 
verflacht  er  sich.  Mit  Senta  romantisiert  er  in  gewohnten  Gängen,  nicht 
ohne  Koloratur,  von  ihren  dramatischen  oder  feierlichen  Regungen  nur  mit 
geringem  Erfolg  unterbrochen.  Und  mit  Erik  und  Senta  im  letzten  Terzett 
treibt  er  Oper,  ohne  noch  zu  ahnen,  daß  diese  Rhythmen  einst  im  Tristan 
ihre  eigene  Melodie  finden  würden.  Erik  selbst  hat  nur  einen  guten  Moment, 
da  er  in  der  Traumerzählung  romantisch  werden  darf,  sonst  gibt  er  sich 
ganz  der  Operntradition  hin,  die  selbst  im  unpassendsten  Augenblick  Kava- 
tinen verlangt.  Aber  auf  der  anderen  Seite  der  Baßgrübeleien  und  tiefen 
Atemzüge  des  Holländers  erhebt  sich  die  frische  Gegend  der  Volksgesänge, 
die  eine  scharfe  und  plastische  Musik  finden,  wie  sie  auch  Marschner  kaum 
gebildet  hatte.  Das  reliefierte  Steuermannslied,  die  tanzstarken  Schiffs- 
melodien, das  graziöse  Spinncrlied  auf  munteren  Bässen,  das  sich  in  reizende 
Ensembles  fortsetzt,  die  Ballade  mit  der  dramatischen  Gegeneinander- 
führung des  rastlosen  Holländcrmotivs  und  des  erlösungssanften  Senta- 
motivs, die  Volkschöre  des  letzten  Akts,  selbst  wieder  wie  eine  Ballade  in 
Männer-  und  Frauengruppen  voll  tätiger  Anschaulichkeit  geteilt  — in  diesen 
Partien  wretzt  sich  der  Wille  zur  Ursprünglichkeit,  der  noch  durch  die  For- 
meln der  Legenden  auf  den  lockenden  Boden  romantischer  Tiefe  hinab- 
strebt. 

Seine  Musik  ging  zunächst  einen  anderen  Weg.  Ehe  sie  die  Richtung 
in  diese  leidensvollen  Tiefen  fortsetzte,  kräftigte  sie  sich  in  sich  selbst,  bil- 
dete ihren  reinen  Phantasiecharakter  durch,  nach  dem  Irdischen,  nach  dem 
Himmlischen,  stieß  Jugendlichkeiten  ab  und  gewann  neue  Blicke.  Das  wpar 
ihr  großes  unerklärbares  Glück.  Es  sproß  in  ihm  und  trieb  und  offenbarte 
sich  im  Wunder  jenes  Genies,  das  er  selbst  so  mißachtete. 

Der  Tannhäuser  zeigt  seine  Hand  in  allen  Eigentümlichkeiten  geübt, 
die  seinen  Stil  bilden,  in  den  geschmeidigen  Harmonien,  dem  Akkordmelo- 

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I 

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dischen,  der  Vorhaltsseele,  den  Skalenempfindungen  und  sich  innerlich 
losringenden  Emphasen  des  Gefühls,  die  als  deutsche  Ausdrucksform  den 
ornamentalen  Phrasengebilden  der  Italiener  gegenübertreten.  Die  Venus- 
musik steht  unbedingt  noch  auf  einem  alten  Blatt.  Sie  hat  etwas  Kindliches 
und  Blümerantes,  dogmatisch  in  der  Konsequenz  der  verminderten  Sep- 
timen, theoretisch  in  den  instrumental  empfundenen  Harfenliedern  Tann- 
häusers,  sentimental  in  den  sehnsüchtlichen  Motiven  und  von  jungen- 
hafter Vorstellung  des  Sinnlichen.  Nur  die  Fis-Dur-Stelle  der  Grotte 
hebt  sich  als  feinere  Anschauung  heraus.  In  der  Pariser  Bearbeitung  ist  diese 
Naivität  erkannt  und  beseitigt.  Mit  Benutzung  der  Übermäßigkeiten 
von  Venus  im  dritten  Akt,  mit  zahlreichen  glühend  sinnlichen  neuen  Motiven, 
mit  einer  bacchantischen  Verve  von  kolossaler  Kraftentfaltung  sind  die 
ersten  beiden  Szenen  auf  einen  Rausch  gebracht,  der  einzig  ist  in  der  Ge- 
schichte aller  Bacchanales,  aber  an  dieser  Stelle  weder  mit  den  stehen  geblie- 
benen Enklaven  der  Tannhäuserlieder,  noch  mit  der  anderen  Umgebung 
in  einen  stilistischen  Zusammenhang  eingerenkt  werden  kann.  Eine  durch 
Tristan  erhitzte  Hand  hat  es  geschrieben.  Und  so  kommt  eine  neue  Bedräng- 
nis hinzu : den  Stil  der  größten  Symphonie  heiliger  Liebe  auf  die  unheilige 
angewendet  zu  sehen.  In  keiner  Hinsicht  kann  die  Pariser  Venus  bestehen, 
und  ihrer  glänzenden  Lüge  ziehen  wir  immer  noch  ihre  alte  schülerhafte 
Wahrheit  vor.  Es  ist  dieselbe  Naivität,  die  die  Pilger  solche  Männerchöre 
in  behaglicher  Taktzahl  singen  läßt  und  die  Reinheit  Wolframs  in  seinen 
biederen  Melodien  auf  und  unter  der  Wartburg  zeichnet,  bis  zur  rührseligen 
Anschwärmung  des  Abendsterns. 

Unbedenklicher  sind  alle  die  schönen  Partien,  die  in  dem  milden  Lichte 
einer  reifen,  romantischen  Musik  leuchten,  das  herzensklare  Hirtenlied, 
oder  das  gefühlvoll  geschwungene  Ensemble  des  zurückkehrenden  Tann- 
häuser, oder  das  kindlich  reine  Elisabethgebet  auf  den  frommen  Akkorden. 
Den  größten  landschaftlichen  Reiz  hat  die  malerisch  behandelte  Erzählung 
Tannhäusers,  die  in  jenen  feierlichen  Romharmonien  gipfelt,  hieratischer 
als  der  Santo  spirito  und  die  unmittelbare  Vorstufe  zu  Parsifalgebildcn. 
Stilistisch  am  interessantesten  bleibt  das  zweite  Finale,  das  größte  aller 
deutschen  Opern,  in  einer  gewissen  Scheu  vor  Formalismus  immer  wieder 
ausholend,  nicht  im  großen  Bogen  gelegt,  aus  dem  seelenvollen  H-Moll 
der  Elisabeth,  über  ihre  motivische  H-Dur-Mclodie  („Ich  fleh  für  ihn“), 
die  erste  echte  eigengefühlte  Wagnermelodie,  unter  erregtem  Bohren  der 
Streicher  über  Fugati  zu  steigenden  Dominantenringen  und  schließlich 
in  eine  Cantus-firmus-Figuration  entwickelt,  die  psychologisch  den  Pilgern 
entgegenführt.  Auch  der  Einzugsmarsch  bewegt  sich  auf  verfeinertem 

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Niveau:  aus  Geblase  und  Gevvimpel  seine  gut  Webcrsche  Melodie  vorfüh- 
rend, öffnet  er  in  dem  Mittelsatz,  den  erst  die  Streicher  in  G,  dann  die  Bläser 
in  Es  bringen,  eine  ganz  seltene  weiche,  liebliche  Blüte  der  romantischen 
Melodie,  die  uns  wie  ein  plötzlich  aufgeschlagenes  Auge  mitten  aus  der  Kon- 
vention anblickt.  Die  edelste  Luft  reiner  deutscher  Romantik  atmen  die 
ersten  Elisabethszenen  des  zweiten  Aktes.  Hier  klingt  Musik,  die  sich  ihres 
vornehmen  Stiles  bewußt  ist,  eine  eigene  Mischung  von  realem  Ausdruck 
und  fernem  Wunder,  ehrlich  auch  gegen  die  Virtuosität,  geschult  in  einem 
lebendigen  Geiste  der  Überlieferung,  eingewebt  in  ein  seelisch  bewegtes 
Spiel  von  Harmonien  und  Melodien,  selbst  im  Zusammensingen  voller 
Haltung  und  Ehrfurcht. 

Die  Geheimnisse  Lohengrins  schweben  über  einem  Grunde  von  Tradi- 
tion. Dort  ahmt  Tclramund  den  Lysiart  nach  und  Ortrud  die  Eglantine, 
jener  schlechter,  wenn  er  seine  Arie  von  der  italienisch  kadenzierten  Ehre 
singt,  diese  besser,  wenn  sie  mit  Aufbietung  aller  Höhe  ihre  Götter  anruft, 
und  dennoch  gerade  diese  beiden  in  der  Wel t ihrer  Motive  und  ihrer  Rezi- 
tative  wieder  so  neuerungssüchtig,  daß  man  etwas  wie  das  Dämmern  der 
nordischen  Wagnermusik  fühlt.  Sie  kämpfen  alle  gegen  Rückfälle  da  unten. 
Elsa  vor  Ortrud  am  Münster  wird  wolframisch,  das  Gebetsensemble  voll- 
zieht den  Tannhäuserstil.  Weberschc  Männerchöre  singen  am  Morgen. 
Am  Abend  der  Hochzeit  singt  man  ein  Brautlied  von  schöner,  altroman- 
tischer Färbung,  aus  der  wieder  solch  ein  verständnisvolles  Auge  blickt: 
das  kleine  unvergeßliche  Nachspiel  in  D.  Ritterliches  stellt  sich  auch  leicht 
zur  hergebrachten  Mode,  beim  Gotteskampf,  beim  Heeresaufzug,  selbst 
im  letzten  Duett.  Den  ersten  Akt  schließt  ein  beschwingtes,  aber  noch 
formbewußtes  Finale.  In  den  Münsterzug,  den  die  Edelknaben  als  Kinder 
der  Friedensboten  begrüßen,  fällt  ein  merkwürdiges  helles  Licht  aus  der 
Sphäre  der  neuen  W'eltcn.  Das  große  Ensemble  im  zweiten  Akt  schwimmt 
zwischen  Motiv,  Wahrheit  und  Wirkung,  cs  scheint  sich  in  Schönheit  auf- 
zugeben, cs  ist  der  letzte  große  Versuch  spätdeutscher  Finalcbildung,  so 
voller  Schwankungen,  daß  der  König  und  Lohcngrin  der  Trivialität  nicht 
mehr  ausweichen.  Es  ist  das  letzte  Finale,  denn  neues  begibt  sich  wieder 
als  Beginn. 

Es  stößt  zusammen  in  der  Szene  zwischen  Elsa  und  Ortrud,  wie  sie  selbst 
Zusammenstößen.  Aus  romantischer  Melodie,  ererbten  Wendungen,  dem 
Zwang  der  Motive  und  der  neuen  Seligkeit  fügt  sich  ein  Duett,  das  die  Was- 
serscheide der  Oper,  Wagners,  aller  Musik  wurde.  Wenn  die  biegsam  schöne 
G-Dur-Melodie  die  beiden  Frauen  begleitet,  wissen  wir,  daß  ein  Glück 
ohne  Reue  gefunden  ist,  ein  anderes  als  Elsa  ahnt,  ohne  das  Sentiment  des 

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zufriedenen  Abgesanges,  aber  in  der  Entdeckung  einer  neuen  musikalischen 
Welt. 

Über  dem  Gleichmaß  des  Taktes,  das  diese  Oper  beherrscht,  spannt 
sich  eine  Tonschönheit  um  die  Figuren  von  Lohengrin  und  Elsa,  die  etwas 
überirdisches  haben  mußte  für  die  Glücklichen,  denen  sie  neu  kam.  Ein 
seliges  Akkordwiegen,  ein  Nachfühlen  der  melodischen  Seele,  ein  W'ühlen 
in  weichen  Anschlüssen,  ein  silbernes  Klingen  verstehender  Weisen,  wie  es 
noch  nicht  gehört  war,  bis  in  die  kleine  Episode  des  dritten  Akts  beim  Glocken- 
zeichen Lohengrins.  A-Dur  leuchtet  um  ihn.  Die  Schwancnharmonien 
gleiten  um  F und  A und  Fis  durch  süße  Medianten.  Wie  in  den  Himmel 
singt  er  in  zärtlichem  Solo  den  hellen  Dank.  Ein  Chor  antwortet  in  der- 
selben mystischen  Stimmung  pp.  Eine  Figur  webt  sich  hervor  wie  eine 
melodische  S-Linie,  die  der  Liebling  der  neuen  Musik  wird  bis  in  Isoldes 
Minne.  Ein  Rhythmus  — - - kristallisiert  sich  aus  dem  Holländer  und 
Tannhäuser,  der  bis  in  den  Parsifal  das  Zeichen  alles  Erhabenen  bleibt. 
In  seiner  Erzählung  stellt  Lohengrin  das  Bild  der  Gralswclt  in  träu- 
merische Höhe,  und  ein  unendlich  feingesponnener  Chorabstieg  antwor- 
tet ihm.  Elsa  aber  bei  ihrem  Erscheinen  führt  Elisabeths  Flehen  in  neue 
zartere  Regionen.  Dort  findet  sie  die  inbrünstige  Schönheit  ihrer  Einsam- 
keit in  trüben  Tagen,  die  Seelenkraft  ihrer  Bitte  zum  König  und  zu  Gott, 
dort  singt  sie  den  Lüften  ihr  Glück  in  diesen  Wonnen  der  Akkordseligkeiten, 
die  sich  nicht  sättigen  können.  Und  solange  das  Glück  währt  in  den  Szenen 
mit  Lohengrin,  schwingt  es  in  derselben  Stimmung,  in  der  sich  beide  Wr  eiten 
treffen.  Gegen  die  scharfen  Sekunden  Telramunds  unsagbar  zart  und  sen- 
sitiv bewegt  im  ersten  Duett,  und  nur  durch  die  Starrheit  des  A-Moll  unter- 
brochen, das  nicht  nach  Nam’  und  Art  befragt  sein  will.  Und  im  dritten 
Akt  ein  Genießen  schwebender,  streichender,  sich  kettender  und  küssender 
Melismen,  von  jenen  Bläsern  umschmeichelt,  die  Mozart  zuerst  berufen  hatte, 
das  selbst  durch  die  Ansingung  „süßer  Düfte“  nicht  gestört  werden  kann, 
bis  es  im  Entgleiten  sein  dramatisches  Ende  findet.  Uns  ist  das  alles  täg- 
liche Sprache  geworden,  was  einst  keusche  Erfindung  war.  Es  hat  Lohen- 
grin und  Elsa  besser  zusammengebunden  als  das  Drama.  Denn  was  Elsa 
dramatisch  nicht  konnte,  Lohengrin  begreifen  — musikalisch  hat  sie  es 
getan. 

Denken  wir  uns  einmal  (es  ist  grausam,  aber  schön)  vom  Ring  das  Bühnen- 
drama fort  und  nehmen  ihn  als  symphonische  Dichtung,  so  erhalten  wir 
das  großartigste  Dokument  thematischer  Musik,  das  wir  besitzen,  eine 
viertägige  Symphonie,  in  der  in  unendlicher  Abwechslung  und  Verknüpfung 
alle  nur  erdenklichen  Motive  als  Sinnbilder  aller  Wreltgefühle  ihr  Drama 

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vollenden.  Das  elementare  Werden  wallender  Dur-Harmonien,  das  Metall 
hehrer  Gewalten,  die  Skalen  von  Verträgen,  das  Tapsige  aller  Dummstarken, 
die  Bogen  der  Schönheit,  Legendenklänge  ewiger  Jugend,  Chromatik  des 
listigen  Feuers,  Hämmern  der  niedrigen  Arbeit,  Synkopen  eines  metaphysi- 
schen Hasses,  die  Lufdeere  geheimnisvoller  Verwandlungen,  Septimen- 
drohungen eines  Fluches,  Signale  reinigender  Gewitter,  der  Schnitt  eines 
Heldenschwerts,  Akkordsenkungen  des  Verhängnisses,  glänzende  Verspre- 
chungen aller  Regenbogen,  der  melodische  Blick  einer  Liebe  und  die  Vor- 
halte einer  sehnsüchtigen  Frau,  Galopp  von  Geisterrossen,  Sturm  der  Ver- 
zweiflung, grübelnde  Sorge,  scheuchende  Flucht,  beleidigende  Animalität, 
das  Haupt-  und  Nebenthema  eines  jungen  Helden,  ein  zauberischer  Schlaf, 
ein  rastlos  weiser  Wanderer,  ein  kleinlicher  Boshafter,  Fragen  des  Schick- 
sals, webende  Mächte  und  stierhornige  Knechte,  Sprünge  der  Menschen- 
hirne und  alles  Wogen  ruhiger  Elemente,  Liebe  in  Entzückung,  in  Raserei, 
in  Entsagung  — dreimal  so  viel  festgclegte  Motive,  kürzere,  längere,  sym- 
bolische, gefühlsmäßige,  malerische,  melodische,  harmonische,  rhythmische, 
die  ganze  Welt  deutscher  Thematik,  die  ganze  Rhetorik  der  Symphonie 
mit  allen  Abschattierungen  und  Kontrapunktierungen  ist  hier  niedergelegt 
und  ganz  eigentlich  nur  zu  nehmen,  wenn  man  ihr  die  Spezialisierung  durch 
die  Bühne  nicht  gönnt.  Das  Ringmotiv  ist  ein  Terzenkreis,  dessen  Schwäche 
man  leider  versteht,  wenn  man  seine  dramatische  Schwäche  kennt.  Aber 
gewinnt  sie  dadurch  ? Was  gewinnen  wir,  wenn  wir  die  Fanfare  nicht  weit 
vom  Beginn  des  ersten  Symphonieabends  als  Motiv  des  Rheingolds  erkennen  ? 
Oder  daß  dem  Siegfried  beim  Aufstieg  zu  Brünnhilde  dasselbe  hausväterliche 
Thema  klingt,  wie  es  Fricka  dem  Wotan  vorsingt?  Oder  daß  Siegmund 
in  der  Kraft  der  Liebe  dasselbe  Thema  ergreift,  das  vorher  der  Entsagung 
der  Liebe  zuerteilt  war?  Wird  das  alles  absoluter  gefaßt,  so  wird  es  reiner: 
es  ist  da  ein  bindendes  Motiv,  ein  herausforderndes,  ein  behagliches,  ein 
refrainartiges,  alles  bezieht  sich  aufeinander,  aber  in  gewissen  irrationalen 
Gegenden  der  Musik,  die  noch  nicht  die  verwirrende  Verbindlichkeit  des 
Sinnfälligen  gesucht  und  gefunden  haben.  Die  Musik  schützt  die  Beziehungen 
aller  Dinge  an  sich,  indem  sie  sie  dem  Gefühl  zurückgibt;  das  Drama  ge- 
fährdet sie,  indem  es  sie  dem  Verstand  ausliefert.  Hier  ist  eine  ungeheure 
Symphonie  geschrieben  worden,  von  einer  echten  Orchesterhand,  die  es 
nicht  wahr  haben  und  Gedanken,  Szene,  selbst  Gesang  sich  zwingen  wollte. 
Da  man  sie  nie  ungefährdet  zu  hören  bekommt,  lasse  man  das  Auge  immer 
wieder  über  die  Partitur  gleiten,  um  die  unerschöpfliche  Gestaltungskraft 
zu  genießen,  die  aus  dem  Themenmatcrial,  keimend  und  keimend,  neue 
Gebilde  formt.  Die  versartige  Mclodiezeile,  die  bis  dahin  auch  im  Orchester 

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Atem  und  Rhythmus  gern  be- 
stimmte, ist  der  absolut  instrumen- 
talen Phrase  gewichen,  die  keine 
geheimen  Worte  mehr  unter  sich 
birgt.  Die  Opernnummer,  die  immer 
noch  ein  traditionelles  Leben  fristete, 
ist  ein  Unsinn  geworden,  die  Szenen- 
einteilung ein  äußerer  Schein,  das 
Bedürfnis  der  thematischen  Ent- 
wicklung bestimmt  allein  Akzente 
und  Zäsuren.  Das  Thematische, 
auch  in  den  undramatischeren  Par- 
tien, ist  durch  jeden  Akt,  jeden 
Abend,  alle  vier  Abende  mit  solcher 
Kunst  gefädelt,  verdickt,  verfeinert, 
abgedämpft,  gesteigert,  daß  das 
eigentümliche  Vergnügen  an  dieser 
Phantasiearbeit  kaum  einen  Augen- 
blick nachläßt.  Vielleicht  erscheint 
das  Rheingold  bisweilen  noch  etwas 
zaghaft  und  unsicher  in  dieser  Art 
von  musikalischer  Anschauung  eines  Dramas,  die  gänzlich  ohne  Vorbild 
war,  vielleicht  ist  auch  gegen  Ende  des  zweiten  Akts  Siegfried,  da  wo  die 
große  Pause  in  der  Komposition  eintritt,  eine  Müdigkeit  zu  verspüren,  da- 
für spricht  dann  der  dritte  Akt  mit  einem  Temperament  des  Orchesterbluts, 
das  die  letzte  ganz  starke  Äußerung  seiner  musikalischen  Schöpferkraft 
blieb. 

Von  selbst  steigen  die  Gipfel  dieser  Riesenkomposition  dort  auf,  wo  die 
Einfühlung  in  die  Symphonie  dem  musikalischen  Trieb  sein  uneingeschränk- 
tes Recht  gibt  und  sogar  bestätigt.  Schon  die  wenigen  Ensemblepartien 
gehören  dazu.  Das  frauliche  Trio  der  Rheintöchter,  liedmäßiger  im  Rhein- 
gold, opernhafter  in  der  Götterdämmerung,  die  scharfe  Naturalistik  des 
Walkürenchorcs  und  die  heidnische  Bärenbeißerei  der  Hagenmannen  wirken 
wie  Erlösungen  der  Bühne,  die  sich  einmal  selbst  symphonisch  geben  darf. 
Sobald  das  Herz  der  beteiligten  Personen  den  Sinn  des  Dramas  beschämt, 
schwelgt  die  musikalische  Erfindung  in  rührenden,  dankbar  nachgefühlten, 
mit  hingebender  Liebe  gestalteten  Weisen:  in  der  Szene  der  Brünnhilde- 
strafe und  des  Wotanabschieds  mit  ihrer  weitgebärdigen  Melodie,  so  stark 
und  ernst  fortgebildet  aus  der  Lohengrinschen  Akkordmelodik,  die  nun 

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Die  letitc  Bitte  in  Bayreuth 


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ein  verschwärmtes  kleines  Mägdlein  dagegen  erscheint.  Welche  Größe 
der  Empfindung,  welche  Seligkeit  des  Schmerzes  in  der  Musik  der  flehenden 
Brünnhilde,  die  aus  dem  Typ  der  alten  Gnadenarie  einen  Strom  brennender 
Leidenschaften  erschaffen  hat,  vom  Urgrund  beginnend,  wie  einst  der 
Holländer,  aber  zu  Weltenumarmungcn  entwickelt,  die  immer  neue  Tiefen 
zwischen  den  Wirklichkeiten  durch  die  Macht  der  Töne  zu  überbrücken 
scheinen.  Mag  sein,  daß  Wotan  solchen  Ergüssen  nicht  standhalten  kann 
und  in  seiner  Musik  ein  wenig  wolframisch  wird.  Doch  er  hat  den  Opern- 
schluß — Brünnhilde  selbst  hatte  vorher  in  einer  ähnlichen  Situation  gegen- 
über Siegmund  es  glücklicher  gefunden,  Stil  und  Herz  auszugleichen.  Die 
stilisierte  Todesverkündigung,  eine  wundervolle  Monumentalität  klar  be- 
stehender Musik,  geht  in  der  natürlichen  Entwicklung  des  Tempos  in  eine 
Dramatik  über,  die  das  Mitgefühl  über  den  Auftrag,  das  Menschliche  über 
das  Göttliche  siegen  läßt.  Wotan  hatte  ein  Ende  zu  stilisieren,  Brünnhilde 
eine  Stilisierung  zu  beenden.  Auf-  und  Absteigen  der  Gefühlskomplcxe, 
ihr  Werden  und  ihr  Vergehen  sind  die  gegebenen  Momente  für  Musik, 
die  in  allen  Lenzen  und  Herbsten  der  Handlung  sich  am  stärksten  empfindet. 
Näher  tritt  sie  uns,  wenn  Freia  wie  in  einem  süßen  Klingen  der  Luft  zurück- 
kehrt, wenn  Siegfried  im  Sonnenflimmer  strahlend  beglänzter  Höhe  Brünn- 
hilde findet,  bei  allem  Hellerwerden  zieht  sie  in  uns  ein,  auch  zum  Morgen 
der  Götterdämmerung  herrlich  über  Brünnhildes  Motiv  aufblühend,  zum 
Morgen  der  Gibichungen  in  Hornromantik.  Reizende  Phantasien  entlockt 
sie  dem  werdenden  Siegfried,  die  Frische  des  Jungenlieds  „Aus  dem  Wald 
fort“,  die  Zärtlichkeit  seines  erotischen  Erwachens  in  der  trillerflimmernden 
Waldeinsamkeit,  fragend  aufsteigende  und  gierig  niedersinkende  Motive 
von  innerlichster  Wallung,  die  entzückende  Malerei  seines  wachsenden  Helden- 
tums im  Schwertschmieden  durch  die  Themen  des  Feilens,  Feuers,  Blase- 
balgs, Schmelzens,  Kühlens,  Schneidens.  Aber  ebenso  dankbar  ist  sie  den 
Sterbenden,  die  des  Lebens  Abgesang  geben  und  webende  Erinnerungs- 
bilder sammeln  aller  guten  und  schlechten  Dinge,  die  die  Weihe  der  Töne 
erfahren.  Mit  zauberhafter  Sagenpracht  umkleidet  sie  die  schwierige  Szene 
der  Nornen  wie  eine  Mahnung  eigener  Vergangenheit  und  gibt  dem  Sieg- 
fried, der  zum  letztenmal  erzählt  und  zum  letztenmal  Brünnhilde  seinen 
Gruß  sendet,  wie  dieser,  da  sie  zum  letzten  Mal  der  Welt  ihre  symphonische 
Erkenntnis  kündet,  die  ganze  Schönheit  beruhigter  Sphären,  die  um  Er- 
lebnisse schwingen,  welche  vom  Drama  in  den  Ton  eingetreten  sind. 

Die  Charakterologie  der  Musik  bei  Wagner  ist  lange  nicht  so  sehr  in  det 
Physiognomik  des  Gesanges  zu  suchen,  der  immer  auf  gewisse  allgemeine 
Grenzen  angewiesen  bleibt,  als  in  solchen  symphonischen  Gebilden,  die  den 

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Personen  ihre  Landschaft  geben.  Was  sich  bei  Mozart  als  Regung  und  Ziel 
gezeigt  hatte,  was  unterdessen  in  späteren  Opern  Farbe  und  in  der  absoluten 
Musik  Seele  geworden  war,  das  wird  hier  bewußt  wieder  in  die  neue  Oper 
projiziert  und  die  Gleichung  zwischen  Figur  und  Musik  auf  ein  Fazit  gebracht, 
das  heißt : die  Musik  gibt  den  Personen  ihre  Peripherie,  sind  sie  die  Menschen 
mit  der  nötigen  Radienweite,  um  so  besser. 

Die  Radienweite  beweist  der  erste  Akt  Walküre.  Die  Musik  übernimmt 
ganz  allein  die  Interpretation  der  Liebe,  die  zwischen  Siegmund  und  Sieg- 
linde keimt.  Nichts  kann  ihnen  erwünschter  sein,  als  von  dieser  Musik 
erobert  zu  werden,  und  nichts  der  Musik  lieber,  als  so  die  Bühne  zu  sympho- 
nisieren,  woraus  dieses  herrliche  Stück  entsteht,  das  an  Fluß  und  Kraft 
der  musikalischen  Sprache  aus  allen  Werken  Wagners  hervorsticht.  Ein 
einziger  Fluß,  der  alle  Nebenflüsse  durch  seine  Kraft  in  sich  aufnimmt.  Das 
geworfene  Vorspiel  des  Sturms,  die  stummen,  rührenden  Regungen  Sieg- 
lindes in  den  Pausen  des  Dramas,  den  Hauptpartien  der  Musik,  das  Wachsen 
des  mozartsch  reinen  Liebesmotivs,  die  legendenschönen  Traurigkeiten 
der  Wälsungen,  zwei  rhythmengebende  Jagereien,  Hundings  übermütige 
und  Siegmunds  verzweifelte,  das  Glänzen  des  Schwertes  wie  eine  Vision 
des  edelsten  Weber  im  Lohengrinkreis,  der  Überschwang  des  wogenden, 
liedschlagenden,  seelenöffnenden  Lenzes,  da  sie  die  Musik  auf  der  Bühne 
dem  Orchester  abnehmen  und  alles  Feuer  in  Schwert  und  Liebe  zum  wonne- 
schreienden  Schluß  - — eine  einheitliche  Szene  von  solcher  Zündkraft  neuer 
und  doch  begründeter  Musik  war  noch  nicht  geschrieben  worden. 

Entgegengesetzt  ist  der  Erfolg  der  Musik  im  dritten  Akt  Siegfried.  Der 
Wanderer  mit  Erda,  der  Wanderer  mit  Siegfried,  und  dann  Siegfried  mit 
Brünnhilde,  da  sie  sich  plötzlich  lieben  sollen,  das  sind  zwangvoll  drama- 
tische Situationen,  die  der  Musik  nicht  sonderlich  entgegenkommen,  einen 
schlechten  Komponisten  zu  schlechten  Tönen  gelockt  hätten.  Die  un- 
gestüme Frische  Wagners,  als  er  die  Feder  zu  dieser  Komposition  ansetzte, 
gibt  ihm  die  Fähigkeiten,  alles  Widerstrebende  einfach  niederzumusizieren, 
indem  er  sich  mit  solcher  Inbrunst  der  Umgestaltung  selbst  vererbter  Motive 
und  der  Erfindung  neuer  widmet,  daß  er  seine  Figuren  in  einen  Zauber 
symphonischer  Phantasie  hüllt,  den  sic  bewundernd  mitmachen.  Alte  Themen 
werden  ungeahnt  mächtig,  sprechen  aus  sich  selbst  wie  in  einer  neuen  Ge- 
walt, das  symphonische  Gewebe  wird  enger,  zwingender,  harmonisch  kühner, 
rhythmisch  herrschsüchtiger  und  melodisch  mehr  und  mehr  rücksichtslos 
gegen  die  eigene  Vergangenheit.  Ein  sieghaft  schönes,  weitgreifend  neues 
Thema  umschwärmt  Siegfried,  berückende  Weisen  umschmeicheln  Brünn- 
hildes Mund,  das  Licht  sendet  ihr  ungeahnte  Akkordherrlichkeiten  zu, 

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es  schwelgt  das  Heilfreudige  um  sie  in  melodischem  Liederton,  ihr  Jauchzen 
gestaltet  eine  instrumentale  Phrase  in  der  Härte  spätbeethovenscher  Freude, 
ihre  Unruhe  führt  ihnen  eine  resolut  bewegte  Triole  vor,  würdig  eines  letzten 
Symphoniesatzes,  ihre  Angst  besänftigt  ein  märchenhaft  schönes,  wiegendes, 
feinfühlig  moduliertes  Adagio,  und  da  sie  ihre  ewige  Liebe  endlich  in  meister- 
singerliche  Quarten  niederlegen,  wissen  wir,  daß  diese  Phantasien  im  Sieg- 
friedidyll einen  widerstandsloseren  Boden  fanden : den  der  reinen  Symphonie, 
die  aus  Freude  an  einem  Kinde  der  Liebe  schafft,  nicht  Kinder  des  Geistes 
zur  Freude  überreden  will. 

Der  Ring  war  ein  symphonisches  Weltbild  durch  alle  Reiche  des  Ge- 
wesenen. Tristan  und  Meistersinger,  so  aufgefaßt,  geben  sich  uns  als  sympho- 
nische Dichtungen  engerer,  aber  intensiverer  Bezirke,  die  als  Gegensätze 
die  Energien  aller  bildenden  Musik  erschöpfen:  Chromatik  und  Diatonik. 

Die  Chromatik  ist  die  Welt  der  Farbe.  Alles  Gebrochene  ist  ihr  eigen, 
der  schimmernde  Schein  des  zerlegten  Lichts,  das  verhüllte  Sinnenreizende 
und  verführerisch  Assoziative,  alles  Schillernde  und  Reflexive,  die  bunten 
Beziehungen  der  Dinge,  ihr  sich  in  die  Seele  Horchen  und  Verstehen  und 
Lächeln  und  Vergehen,  alle  Intransigenz  bis  zur  Luftleere,  alles  Durchgehende, 
das  das  Gerüst  des  Bestehenden  verstrebt,  das  Tonale  ausbiegt,  das  Starre 
fließen  läßt,  das  Materielle  entfliegen  und  das  Gerade  aufwirbeln.  Die  Chro- 
matik ist  die  nervöse  Durchfühlung  aller  Funktionen,  ihrer  geheimen  dunklen 
Gänge,  ihrer  gleichschwebenden  Temperatur.  Es  ist  die  Anschauung  der 
Analyse  durch  die  höchst  gesteigerte  Sensitivität.  Eine  Lebenseinstellung 
in  Halbtönen. 

Vier  chromatische  Töne  aufwärts,  in  alle  Harmonien  zu  ordnen,  sind  diese 
Liebe  von  Tristan  und  Isolde.  Abwärts  sind  sie  die  Vergangenheit,  der  wunde 
Tristan  als  Tantris.  Chromatisch  färbt  sich  die  Zukunft,  der  Tod,  und  aller 
Fluch  des  Verlassenen  nimmt  diese  Zeichen  an.  Dazwischen  schwingt  es 
und  singt  es  in  einer  Musik,  wie  sie  niemals  so  durchleuchtend,  so  durch- 
blickend erlebt  wurde,  eine  Schöpfung  von  Musik,  die  — ob  Oper,  ob  nicht 
Oper  — als  Erfindung,  als  Neubildung,  als  Phantasie  einer  ganzen  geschlos- 
senen Tonwelt,  als  Äußerung  eines  gestaltenden  Geistes  und  uneingeschränk- 
ten Gefühls  zu  den  Göttlichkeiten  dieser  Erde  zählt.  Jeder  Takt  ist  ein 
Leben,  wie  er  vorher  so  nicht  da  war  und  so  nicht  wieder  kommen  kann.  Jede 
Wendung  ist  der  letzte  Ausdruck  einer  unvergleichlichen  inneren  Zeugungs- 
kraft, in  der  unbändige  Gewalten  trächtig  sind  und  der  Trieb  von  Erlebnissen, 
die  nicht  mehr  vertieft  werden  können.  Alles  Substanzielle  ist  überwunden, 
die  äußerste  Entstofflichung  tritt  ein.  Es  gibt  einen  Stil  Tristan,  wie  es  eine 
Erde  gibt. 


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Wunder  der  Septime,  der  ewig  unerfüllten,  zweiseitigen,  erdenlosen, 
wie  sie  diesen  Stil  durchzieht  und  die  Akkorde  des  Sehnens  bildet,  die 
ihre  Not  schwer  gegeneinander  legen.  Wunder  des  Vorhalts,  des  Erfüllungs- 
süchtigen in  der  Melodie,  der  seine  Auslösung  von  unten  flehend  andrängt 
oder  sie  von  oben  hingebend  umklammert,  wie  er  in  dem  schwärmenden 
Liebesmotiv  des  zweiten  Aktes  bis  hin  zum  Liebestod  in  seligen  Wellenlinien 
seine  Zauber  wirkt.  Alle  Wunder  alles  Unerlösten,  der  Septimen,  der  Vor- 
halte in  die  letzten  Verwicklungen  hinein,  in  den  Harmonien  der  Brangäne- 
wacht,  in  denen  der  Rausch  der  Vereinigung  musiziert,  in  den  schneidenden 
Schmerzdissonanzen,  in  denen  scharfe  Sekunden  schrill  auf  schwarzen  Ak- 
korden sich  in  übermäßiges  Dur  auflösen,  bei  Isolde  auf  dem  Schiff,  bei 
Tristan  auf  dem  Lager.  Wunder  der  unerlösten  Rhythmen,  der  unruhig, 
ungleichmäßig  neben-  oder  übereinander  laufenden,  aller  zitternden  Syn- 
kopen, pausierenden,  unbestimmten  Atemzüge,  des  Pulses  von  Tristans 
Wahnsinn  in  fünf  Viertel  oder  drei  Viertel  nach  vier  Viertel,  und  Isoldens 
letztem  Schlag  in  gleichzeitigen  drei  Halben  und  vier  Viertel  oder  zwei 
Halben  und  sechs  Vierteln.  Wunder  der  freigewordenen,  schwebenden, 
augenblickserregten  Melodie,  die  sich  in  den  Urzauber  ungerichteter  Volks- 

47 1 


weisen  zurückzieht,  die  luftige  Weise  des  Seemanns,  die  in  Klagen  ringende, 
sich  selbst  betrauernde  traurige  Weise  des  Hirten,  deren  Schmerzensblick 
die  ganze  Szene  des  kranken  Tristan  nicht  verläßt. 

Bis  zu  Grenzen,  die  niemand  auch  nur  geahnt  hätte,  werden  Vorhänge 
aufgerissen,  weite  Horizonte  genommen,  ganz  tief  wird  Luft  geschöpft  und 
in  wilden  Blitzläufen  der  Arm  gestreckt.  Weltenweite  Symphonien  gestalten 
sich.  Über  das  nicht  viel  mehr  als  symbolische,  konkave  Motiv  des  großen 
Zwiegesangs  entfaltet  sich  eine  musikalische  Dichtung  von  dauernder  Psycho- 
logie in  der  Wandlung  des  Süßen,  Herben,  Festen,  Weichen,  Scharfen,  Ge- 
dehnten, Erinnernden  und  Gespannten  durch  die  Charaktere  dieser  einzigen 
Phrase.  Ein  Ricscngemälde  aller  Schmerzlichkeiten  bildet  die  erste  Hälfte 
des  dritten  Akts,  alles  Ziehende,  Sinkende,  Brechende  und  Süchtige  in  immer 
gedrängterer  Beziehung  der  Motive,  bis  zur  Gleichzeitigkeit  von  vier  Themen. 
Darunter  wogen  die  Tonalitäten  in  ewiger  Unruhe,  Unbestimmtheit,  Tal 
und  Berg  ineinanderrauschend,  und  doch  nicht  einmal  vom  Gesetz  ihrer 
Kraft  und  Einheit  verlassen.  Schwimmend,  erdlos  wird  alles  Formale,  Er- 
erbte, Geprägte,  alle  S-Linien  der  delikat  gesponnenen  Minnepoesie  zwischen 
Isolde  und  Brangäne,  alle  Dominantenringe  des  Liebessangs,  alle  Held- 
rhythmen in  den  legendären  Tristanhymnen,  alle  Gegensätzlichkeiten  der 
Schiffstaktweisen,  der  Heimatsdiatonik,  der  Kurwenalgradheiten,  alles 
Horn-  und  Jagdwesen,  das  immateriell  in  der  Luftperspektive  der  Bühne 
zergeht,  wie  jeder  Akt  mit  einer  solchen  Luftdistanz  des  Tons  beginnt: 
der  erste  mit  dem  Seemannslied  über  weitem  Wasser,  der  zweite  mit  den 
Hornklängen  im  Wald,  der  dritte  mit  der  Hirtenschalmei  am  öden  Ufer, 
an  dem  leere  Intervalle  in  die  Luft  steigen.  Luft  legt  sich  zwischen  die 
Charaktere  der  Musik,  als  Ausdruck  der  Gefühle,  daß  sie  in  Spiegelungen 
zu  oszillieren  beginnen.  In  verstellter  Süße  liebkost  Isolde  im  ersten  Akt 
die  Melodie  zu  schmeichlerischer  Ironie,  und  in  illusionärer  Süße  bildet 
sie  der  wahnsinnige  Tristan  zu  Gesängen  wundervoller  Visionskraft.  Chroma- 
tisch schillernd  steht  Wahrheit  und  Schein  gegeneinander,  daß  es  in  der  Farbe 
berückender  Schönheit  erglänzt.  In  einem  genialen  chromatischen  Abstieg 
senkt  sich  Brangäne  im  ersten  Akt  von  Isoldens  Ausbrüchen  nieder  zu  einer 
Musik,  in  zwei  Partien,  die  eine  farbflüssiger,  die  andere  in  drei  Viertel 
farbgewirkter,  um  alles,  was  ihr  an  Unmittelbarkeit  der  Gesinnung  zukommt, 
durch  eine  Koloristik  und  Phantastik  der  Erfindung  in  das  Zauberische  zu 
wenden,  die  vielleicht  die  bewundernswerteste  Chromatisierung  des  ganzen 
Werks  darstellt.  Die  Materie  ist  entbunden.  Wir  gelangen  zur  Tiefe,  die 
die  Höhe  ist.  Das  Urvergessen  webt  seine  einfachsten  Harmonien.  Die 
Nacht  der  Liebe  senkt  sich  in  das  weiche  As-Dur.  Wir  sind  in  einer  Musik, 

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die  selbst  noch  vor  der 
Musik  ist,  auf  jenem  Ur- 
grund, den  wir  seit  den 
Zeiten  des  Holländers  er- 
strebten und  hiererreichen. 

Aus  ihm  wachsen  die  letz- 
ten Wunder.  Selige,  schwe- 
bende, erdenlose  Harmo- 
nien, deren  Geheimnisse 
die  Musik  hier  entdeckte. 

Die  Liebessterbemelodie, 
die  nicht  mehr  weiß,  ob 
sie  ein  Lied  sei  oder  nicht, 
und  alle  akkordmelodischen 
Zärtlichkeiten  aller  Licbcs- 
singepaare  in  die  Heiligkeit 
ihres  milden  Ernstes  auf- 
löst. Das  Emporsteigen  der 
transzendenten,  verzück- 
ten, tönebrünstigen  Weise, 
des  Todes  der  Liebe  und 
der  Liebe  des  Todes,  in 
jener  ungetrennten  Schön- 
heit, die  noch  vor  der 
Skala  der  Welt  liegt.  Da  muß  freilich  Marke  daneben  stehenbleiben,  mit 
der  braven  Herzlichkeit  seines  ehrlichen  Basses.  Und  mit  ihm  alle  anderen 
Markes. 

Die  andere  Welt  sind  die  Meistersinger,  die  Welt  der  Diatonik,  des  aus- 
gesprochenen C-Dur,  wo  alles  fest  und  gerade  und  eindeutig  und  leiter- 
tonig  wird,  sicher  auf  dem  Boden  steht  und  froh  ins  Helle  blickt.  Die  Sym- 
phonie des  Tages.  Jenes  sonnigen  Tages,  der  in  Sachsens  Zimmer  leuchtet, 
wo  unter  dem  freundlichen  Glanz  des  wohlwollend  umfangenden  Leitmotivs 
dieser  Szene  an  der  Zukunft  gearbeitet  wird,  Lieder  entstehen,  Regeln  ge- 
prüft und  Glück  geschaffen  wird. 

Sachsens  sorgliches  Motiv,  das  ihn  unter  dem  Besuch  der  Eva  am  Johannis- 
vorabend beschleicht,  scheint  noch  einmal  die  Rätsel  der  Chromatik  aufzu- 
werfen, aber  wie  er  sich  selbst  das  Tristanzitat  vom  Leibe  schüttelt,  so 
entkeimt  ihm  eine  herzlich  schöne  und  gute  Melodie,  die  den  Dingen  mit 
Freude  und  Verständnis  ins  Auge  sicht.  Nicht  noch  einmal  das  Schicksal 

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Markes!  Laßt  die  Melodie  solche  männlichen  Linien  haben,  die  Harmo- 
nien festen  Griff,  den  Rhythmus  Stand  und  Schlag,  und  die  unbeschreib- 
liche Frische  dieses  Werkes  lacht  uns  an. 

Wieder  sind  es  vier  Töne.  Aber  vier  aus  der  Tonleiter,  diatonische, 
begründete  und  meinungsstarke.  Sie  machen  den  Schritt  der  Meistersinger 
in  ihrem  kräftigen  Mannesmotiv,  sie  beherrschen  als  musikalisches  Ornament 
ganze  Strecken  der  Handlung,  bald  in  einer  Reihe,  bald  als  Quart  gefaßt, 
sie  formen  das  Motiv  der  Liebe,  geben  Nürnberg  sein  stolzes  Zeichen,  er- 
freuen den  Tanz  auf  der  Wiese  mit  einer  volkstümlichen  Wendung,  gießen 
das  Licht  über  das  selige  Motiv,  das  Evas  glänzende  Erscheinung  begleitet, 
kriechen  in  Beckmessers  Albernheiten  hinein,  geben  den  Schustern  die 
Leisten,  signalisieren  die  Prügel  und  stützen  die  Lehren  an  den  Freund 
von  holder  Jugendzeit,  denen  Nicolai  aus  dem  Grabe  zunickt.  Sie  sind  die 
Fahne  der  Diatonik,  immer  verschieden  gerollt  und  geschwungen. 

Selbstbewußt  steht  Walthers  ritterliches  Motiv  auf  diatonischem  Boden. 
Auch  Evas  fragende  Vorhaltseptime  verläßt  nicht  die  keusche  Moral  dieser 
tonalen  Bindung.  Das  Johannistagmotiv  legt  sich  froh  über  Tonika  und  Domi- 
nante, oder  zwei  Quarten  der  Tonika  und  ihrer  nächsten  Stufe.  Die  Loyali- 
tät der  diatonischen  Harmonien  entwickelt  das  Zunftmotiv.  Davids  Sprünge 
gehen  die  Skala  in  Sexten  hinab  und  Beckmessers  Bockigkeiten  sie  gern 
hinauf  bis  zu  seinen  steifleinenen  Tanzereien  — alles  Tanzende  der  Lehr- 
buben, bei  der  Freiung,  in  der  Straße,  auf  der  Wiese  ist  diatonisch  reiner 
Schnitt.  So  wollen  es  auch  die  aufziehenden  Gewerke,  die  quartigen  Schuster, 
die  Tonikastadtwächter,  die  altmodisch  floskelnden  Schneider  und  die  Bäcker, 
denen  erst  gar  nichts  besonderes  einfällt. 

Die  Formel  des  Archaischen  legt  sich  stilbildend  hinein.  Der  Unter- 
richt Davids  in  den  Meisterweisen  mit  Koloraturen  und  Kadenzen,  die 
Tabulatur  mit  der  Behäbigkeit  steifer  Melodie  und  der  Bestätigung  des 
Refrains,  die  Taufe  der  neuen  Waltherweise  in  hieratischer  Feierlichkeit 
und  alles  große  und  kleine  Choralhafte  geben  Diatonik  als  Farbe.  Auf  gutem, 
altem  Orgelpunkt,  den  ein  Fis  des  Nachtwächters  darstellt,  spielt  sich  die 
traumhaft  schöne  Wendung  ab,  die  den  Zauber  der  Liebe  begleitet.  Und 
auf  ebenso  festem  Grunde  entwickelt  sich  das  As-Dur-Motiv  in  zärtlichem 
Spiel  zum  Besuch  der  Eva  in  Sachsens  Zimmer.  Die  Gewohnheit  der  Sequenz 
wird  zur  formalen  Liebhaberei.  Die  Sequenz,  das  Wiederholen  einer  Phrase 
durch  Stufen  der  Skala,  durchdringt  das  ganze  Werk,  in  der  Musik  der  Meister- 
singer, des  Walther,  des  Sachs.  Musiker  nennen  es  Schusterflicken.  Hier 
wird  es  der  Ruhm  des  Schusters.  Denn  es  ist  so  gcstaltcnvoll  und  gefühls- 
biegsam neu  geboren,  wie  alle  diese  Erbtümer  eine  Erneuerung  erfahren, 

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die  eine  Entdeckung  ist:  Stil,  gesehen  durch  das  Temperament  der  Er- 
findung. 

So  werden  auch  Lieder  neugeborener  Stil.  Sachsens  Schusterlied  ist 
die  sehr  lebendige  Erneuerung  des  realistischen  Volkstons,  der  Chor  „Wach 
auf“  über  Sachsens  historischen  Text  die  wundervolle  Modernisierung  des 
idealistischen  Volkstons.  Walthers  Lieder  stufen  sich  ab.  „Fanget  an“ 
ist  wie  aus  den  elementaren  Gründen  des  Dur-Akkords  unter  Zerlegung 
der  auswachsenden  Harmonien  improvisatorisch  entwickelt  bis  in  jenes  er- 
atmend  schöne  Septimen-  und  Vorhaltthema,  das  zum  Motiv  wird,  ohne 
je  seinen  tonalen  Charakter  zu  verlieren.  „Am  stillen  Herd“  ist  eine  Mitte 
zwischen  Finden  und  Bauen,  wie  das  Schaffen  einer  konturierten  Melodie. 
Das  Prcislied  ist  Bau,  mosaikartig  aus  Motiven  in  eine  Form  zusammengelegt, 
die  noch  genug  innerliche  Impression  hat,  um  sich  im  Verlaufe  des  Dramas 
zu  wandeln.  Als  Erfindung  aber  war  das  alles  so  neu,  daß  es  für  sich  eine 
Epoche  des  deutschen  Liedes  darstellen  könnte. 

Neugeborener  Stil  sind  die  Ensembles  und  großen  symphonischen  Bilder. 
Fest  stehen  sie  auf  der  Tradition  und  sind  doch  in  die  Sphäre  einer  schaffen- 
den Phantasie  gerückt,  daß  Stil  Erlebnis  und  Gesetz  Charakter  wird.  Am 
ersten  Aktschluß  die  Türmung  der  gehässigen  Meister,  des  fortsingenden 
Walther,  der  spöttischen  Lehrbuben  ist  ein  Kunstwerk,  das  man  sich  scheut. 
Finale  zu  nennen.  Die  kühne  Prügelszene,  die  sich  bis  zu  achtzehn  Stimmen 
verwickelt,  scheint  nur  ihren  Lärm  zu  machen,  um  in  der  einzigen  Poesie  des 
lyrischen  Mondlichts,  das  die  Gespenster  belächelt,  sich  abregen  zu  dürfen. 
Das  Quintett,  an  absoluter  Schönheit  unerreicht  in  Fluß,  Hebung  und 
Begeisterung  der  Stimmen  ist  so  weit  über  alle  Überlieferung  hinaus,  daß 
es  uns  selbst  eine  wurde.  Man  spricht  von  dieser  Meistersingermusik,  indem 
man  sie  voraussetzt.  Zieht  uns  Tristan  immer  wieder  unerklärlich  heran, 
so  ist  sie  der  Grund  unseres  Empfindens  geworden,  nicht  wechselnd  und  viel- 
farbig wie  alles  Abnorme,  sondern  gesund  und  bodenstark  wie  der  Acker  im 
Frühjahr.  Fast  vergessen  wir,  daß  diese  Heiterkeit  eine  große  Äußerung 
des  angeblichen  Pessimisten  war.  Fast  vergessen  wir,  daß  alle  alten  Künste 
der  Musik,  gegen  die  wir  von  ihm  aus  einst  eiferten,  hier  eine  glänzende 
Rechtfertigung  fanden..  Es  ist  ein  Triumph  und  eine  Schönheit  der  Phantasie, 
die  uns  zu  selbstverständlich  geworden  sind. 

Wie  das  Alte  in  ihr  neu  wurde,  Lied  und  Ensemble  aus  einer  Form  ein 
Vorgang  und  Ereignis,  so  soll  es  uns  selbst  nie  alt  werden.  Der  Eintritt  der 
Meister  baut  als  Bild  der  Gesetzmäßigkeit  auf  dem  Schritt  von  Tonika 
und  Dominante  ein  organisches  Spiel  von  Quarten,  Sequenzen,  Skalen. 
Die  Szene  unter  dem  Flieder  bildet  frühlingslicht  eine  zartbewegte  Dich- 


tung  aus  dem  Liede  Walthers  und  dem  Traum  Evas.  Der  Wahnmonolog 
reiht  ein  tief  nachgefühltes  Epos  aller  thematischen  Sorgen  und  Hoffnungen 
Sachsens  aneinander.  Sachsens  Dank  und  Schlußgesang  verdichten  und 
verinnerlichen  alles  Geschaffene  zu  einem  Ensemble  musikalischer  Erlebnisse, 
dessen  Erinnerungskraft  wächst,  je  öfter  wir  sie  genießen.  Das  sind  nicht 
bloß  Musikstücke,  das  sind  immer  wieder  Bildnisse,  die  sich  von  Lebensmüh 
bedrängte  Geister  in  ihrer  Nöte  Wildnis  schufen.  Sie  machten  das  Leben 
zum  Bilde,  nun  wird  das  Bild  wieder  zum  Leben  erlöst.  Denn  dies  wollen 
die  Meistersinger:  die  Erde  singen  lassen,  den  Volksbodcn  immer  neu  besäen, 
das  Ererbte  und  Bestehende  in  der  schlichten  Dankbarkeit  immer  neuer 
Einfühlung  in  die  Sonne  der  Gegenwart  führen  und  in  jener  Erinnerung 
der  Erinnerung  pflegen,  die  Musik  heißt. 

Y'erdi  schloß  mit  einem  Werk,  das  in  die  Höhen  des  befreienden  Humors 
führt,  Wagner  mit  einem,  das  in  die  Tiefen  religiöser  Erlösung  sich  ver- 
senkte. Jener  war  ein  Fruchtbaum  auf  südlicher  Erde,  und  seine  Früchte 
lösten  sich  ab,  wenn  sie  reif  und  kostbar  waren.  Dieser  war  ein  Problem 
des  Nordens,  und  seine  Arbeit  war  ein  Kreis,  der  Vollendung  in  sich  suchte, 
indem  er  in  sich  zurückkehrte.  Der  Parsifal  hat  die  Müdigkeit  dieser  Rück- 
kehr. Seine  Erfindung  sprudelt  nicht  mehr  aus  neuen  Quellen,  sie  sättigt 
sich  an  ihrer  eigenen  Vergangenheit.  In  der  Wendung  des  Gralsmotivs, 
das  zur  Quinte  diatonisch  aufsteigt,  lehnt  sie  sich  an  eine  Phrase  des  katho- 
lischen Gottesdienstes  an;  im  letzten  Gesang  des  ewig  leidenden  Amfortas 
blickt  sie  gerührt  zur  alten  italienisierenden  Melodie  zurück.  Der  Schwan 
des  Parsifal  zitiert  den  Schwan  Lohengrins,  ein  Dur  mit  einem  zugehörigen 
Moll.  Aus  diesen  Akkorden,  in  den  typischen  Rhythmus  des  Erhabenen  ge- 
setzt, bildet  sich  das  feierliche  Motiv  des  Gralsgebetes,  dessen  Kontur  sich 
unter  einer  Ausbiegung  im  Stil  schmerzlicher  Tristantage  zur  Linie  des 
Abendmahlsgesanges  fortwirkt.  Die  Romakkorde  Tannhäusers  mit  den 
Quartensequenzen  der  Meistersinger  durchsetzt,  ergeben  das  Thema  des 
Glaubens  und  die  Tonketten  der  schwebenden  Taube.  Isoldens  Ver- 
zweiflungswürfe in  dissonierenden  reißenden  Skalen,  alle  Chromatik  sich 
reibender  und  schneidender  Stimmreihen  wandelt  sich  in  die  Schmerzens- 
und Mitleidsmotive  und  in  Kundrys  unruhige  Doppelseele.  Aus  den  Akkord- 
rhythmen des  Siegfried  in  seiner  Szene  mit  Wotan  (alles  nicht  zu  wörtlich 
zu  nehmen)  bildet  sich  das  redselige,  schwache  Parsifalmotiv.  Die  Grals- 
glocken ergehen  sich  in  bewährten  Quarten,  über  denen  sich  ein  Zauber 
weitgezogener  klingender  Fäden  und  hieratisch  korrespondierender  Sequenzen 
entwickelt,  in  dem  dumpfe  Erinnerungen  an  ein  Nürnberg  fortsingen.  Die- 
selbe Luft,  die  Siegfried  vor  dem  Tode  im  Walde  anhaucht,  thematisiert 

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sich  in  der  VValdfrische  auch 
dieses  Klimas,  leicht  ange- 
fächelt durch  Lenzesdüfte 
aus  Siegmunds  Liebeszeit. 

Die  Haßrhythmen  der  Ni- 
belungen gehen  in  die 
Qualen  des  Amfortas  über. 

Die  Rheintöchter  der  Göt- 
terdämmerung leihen  ihre 
sinnlichen  Figurationen 
manchen  Bewegungen  der  Blumenmädchen,  und  der  Karfreitag  genießt 
noch  einmal  diese  S-Linie  der  Melodie,  die  von  den  Lohengrinchören  bis  in 
Walthers  Sehnsucht  so  manches  Schicksal  erlebt  und  gestaltet  hat. 

Eine  Wandelmusik  ist  das,  in  der  die  Zeit  zum  Raum  wird,  alles  Gewesene 
zu  einer  stillen  und  weiten  Kathedrale,  in  der  Harmonien  klingen  wie  in 
alten  Jahren,  zum  Entzücken  des  Ohres  in  süßgleitende  Kontrapunktik 
gebracht,  sich  selbst  niemals  genug  im  Genuß  des  Aufbaues,  in  der  Wieder- 
holung ihrer  parallelen  oder  konvergierenden  oder  divergierenden  Verschrän- 
kungen— Hartnonien  bald  von  der  letzten  Kühnheit  aller  Unaufgelöstheiten, 
aller  Verwicklungen  gedrängter  Durchgänge  und  ineinander  geschobener 
Akkordgebilde  wie  bei  Titurels  Begräbnis,  bald  von  einer  naiven  Lehr- 
losigkeit  und  Ungebrochenheit,  wie  die  Folgen  der  Septimen  und  Dur- 
dreiklänge im  Motiv  des  reinen  Toren,  bald  von  einer  kirchlichen  W'eitlage, 
in  Rhythmen  und  in  Intervallen,  bis  zur  gläsernen  Transparenz  mystischer 
Orgelregister.  Eine  Sphäre  von  Harmonien  ist  es,  die  dem  Parsifal  seinen 
eigenen  ruhigen  Stil  gibt,  die  Farbe  satter  Erinnerung,  die  Modulation 
der  Gliederung,  wie  sie  sich  noch  zuletzt  unter  den  schönen  Kurven 
des  hin  und  her  gesungenen  Erlösungsmotivs  darstellt:  von  D-Dur  über 
H-Moll,  A-Dur,  Fis-Moll,  E-Dur,  Cis-Moll,  Ces-Dur,  As-Moll,  Ges- 
Dur,  Es-Moll  nach  Des-Dur  in  einem  Kreise  der  bunten  Tonalitäten 
schwingend. 

In  dem  Meere  wogender  Harmonien  bilden  sich  einige  Inseln,  auf  denen 
die  musikalische  Phantasie  in  reiner  Blüte  steht,  wenn  schwächer  in  Natur, 
so  doch  immer  noch  stärker  in  ihrer  Treibhauspracht  als  mancher  eingebil- 
dete Sommer.  Die  Weise  vom  Wein  und  Brot  hebt  sich  durch  ihre  melan- 
cholisch zarte  Volkstümlichkeit  (Chopins  würdig)  erfrischend  ab  von  dem 
unersättlichen  Schmerzbohren  und  frommen  Gezitter  dieser  leid-  und  mit- 
leidgeschwängerten Musik,  um  gar  zu  schnell  in  der  Phrase  „froh  im  Verein, 
brudergetreu“  diese  volkstümliche  Grenze  schon  zu  überschreiten.  In  der 

477 


JL 

dL.. 


Der  Grundatcinspruch  für  Bayreuth 


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Blumengartenszene  leuchtet  um  die  Partie  von  Kundrys  Kuß  die  letzte 
wahre  Sünde  der  Sinnlichkeit,  während  sonst,  trotz  der  Zwölfteilung  der 
Frauenstimmen  und  der  Anstrengung  verschiedenster  sich  überlockender 
Themen  diese  Sinnlichkeit  so  zu  alt  erscheint,  wie  sic  einst  im  Venusberg 
des  originalen  Tannhäuser  zu  jung  war.  Dafür  stellen  die  paar  Seiten  in 
G-Dur,  auf  denen  Kundry  Herzeleides  Tod  erzählt,  eine  aus  dem  Stil  Tri- 
stans und  der  Meistersinger  bewußt  gewonnene  Reinkultur  dar,  daß  sie 
Fortsetzungen  hätten  versprechen  können.  Die  intensivste  Stimmung, 
nicht  so  sehr  erfinderischer  als  geklärter  musikalischer  Phantasie  bildet 
sich  im  dritten  Akt,  von  dem  herausdrängenden  Erwachen  der  Kundry 
über  das  synkopische  Nahen  Parsifals,  über  die  schöne  Lyrik  des  Badens  und 
Salbens  bis  zum  Blühen  des  Karfreitags  und  dem  gesenkten  Motiv  Titurels 
„zum  letzten  Male“.  Hier  ist  eine  klare  Anschauung  der  Themen,  frei  von 
angsterflehten  Nebenwirkungen,  und  alles  feine  und  verstehende  Auslassen 
und  Resignieren  einer  alten  weisen  Künstlerhand:  Schweigen  und  stilles 
Weinen. 


Das  Erbe 

DIE  Schlußfrage  ist  die  nach  der  Wagnerschen  Kultur.  Einst  das  Kredo 
einer  kleinen  tapferen  Schar,  die  unvergeßliche  Opfer  diesem  Idealis- 
mus brachte,  ist  sie  der  Zweifel  einer  jungen  Generation  geworden,  die  durch 
Wagner  selbst  irregeführt  wurde.  Sie  bellen  gegen  ihn  und  wissen  nicht, 
daß  es  nur  der  Mond  ist,  den  sie  anhculen,  der  Reflex  der  Sonne.  Sie  wollen 
seine  Größe  nicht  sehen,  seinen  Willen,  der  in  jeder  Zeile  seines  Werks 
spricht,  nicht  anerkennen.  Sie  ahnen  nicht,  daß,  wenn  dieser  Riese  liegt, 
er  immer  noch  höher  ist  als  ihre  Zwergenhaftigkeit.  Sie  sind  bemitleidcns- 
w'ert,  indem  sie  der  Tragik  dieses  Helden  noch  die  Tragik  des  Mißverständ- 
nisses hinzufügen,  das  er  sie  lehrte.  Er  lehrte  sie  Theorie,  Philosophie, 
Mission,  Regeneration  und  alles  Pathos  des  Überkünstlerischen,  aber  nie 
sprach  er  zu  ihnen  von  der  Macht  der  Musik,  die  doch  seine  einzig  starke 
Quelle  war,  von  der  musikalischen  Erfindung,  der  Nur-Musik,  die  wieder 
aufgerichtet  werden  soll.  Wohl  empfinde  ich  diese  Gegenempfindungen. 
Wenn  ich  die  edle  Phantasie  des  Goetheschen  Märchens  bewundere,  wenn 
ich  auf  den  kühlen  und  feinen  Wegen  Kellers  gehe,  selbst  wenn  ich  den 
köstlichen  animalischen  Geruch  des  Sozialismus  wittere,  der  in  Kiplings 
Dschungclbuch  so  etwas  wie  das  Rheingoldthema  in  eine  moralische  Fabel 
wendet,  von  all  diesen  keuschen  und  sicheren  Gegenden  kann  ich  wohl, 
in  der  Welle  eines  Augenblicks,  begreifen,  wie  das  Gesicht  seiner  Kunst 

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zu  einer  Grimasse  von  Mundfülle,  Gefühlsbetulichkeit,  Ausschwärmen  von 
Wirkungen,  Aufdringlichkeit  des  Innenlebens  werden  kann.  Aber  ich  strafe 
mich  selbst  dafür.  Unter  dem  sonnigen  Jubel  der  letzten  Mcistersinger- 
chörc  in  Bayreuth  fliegt  das  alles  von  mir,  wie  Papier,  und  es  bleibt  der  Glaube 
an  die  unersetzliche  Kraft  der  Musik,  die  ein  Licht  ist,  das  Schatten  wirft. 
Ich  kann  nicht  von  den  Schatten  gegen  das  Licht  kommen.  Ich  kann  mich 
nicht  versündigen  an  einem  Mann,  dessen  musikalischer  Gedanke  Welten 
schuf,  in  jedem  Werk  eine  neue.  Gebt  mir  einen  zweiten  solchen  in  unseren 
Jahren  und  mit  ihm  allein  will  ich  ihn  messen.  Es  ist  Zeit,  daß  die  dialek- 
tische Sophistik  der  Antimusikalischen  ihr  Ende  findet.  Von  der  Musik 
aus  ist  diese  Erscheinung  wieder  zu  begreifen,  zu  beurteilen,  wiederher- 
zustellen. Der  Beylismus  sagte,  Körper,  die  einander  sich  nähern,  erzeugen 
wohl  Wärme  und  Gärung,  aber  es  geht  vorüber.  Das  war  gut  für  Rossini, 
schon  nicht  mehr  für  Mozart,  und  gar  nicht  für  uns.  Es  geht  nicht  vorüber! 
Es  gibt  Schlachten  und  Siege.  Und  es  gibt  die  Probe  auf  Gefühl  für  Leiden- 
schaft und  Größe. 

Die  Kultur  Wagners  ist  das  gewaltige  Ende  der  stilbewußten  Oper. 
Das  ist  keine  Kultur  von  Begriffen,  sondern  die  einer  Persönlichkeit.  Seine 
Kraft  ist  die  schöpferisch  musikalische,  nur  diese,  nicht  eine  Theorie.  Die 
Theorie  ist  in  ihm  die  Auflehnung  der  Vernunft  gegen  dieses  Unding,  ge- 
nannt Oper.  Oder  die  Auflehnung  seiner  sozialen  Natur  gegen  seine  indi- 
viduelle „Genialität“. 

Die  Vernunft  fragt  ihn  zuerst:  wie  kommst  du  zu  dieser  Kunstgattung? 
Woher  wird  sie  ? Und  so  konstruiert  er  sich  aus  den  künstlerischen  Ele- 
menten, die  die  Natur  in  ihn  legte,  das  Gesamtkunstwerk,  das  oft  er- 
sehnte, oft  prophezeite,  das  er  über  Gluck  hinaus  als  persönliche  Einheit 
des  Dichterischen  und  Musikalischen  fordert.  Es  ist  ein  philosophierter 
Notschrei. 

Die  Vernunft  fragt  zweitens:  wozu  machst  du  das  alles?  So  konstruiert 
er  sich  die  Regenerationsidee.  Die  Menschen  sind  in  Verfall.  Nur  das  Kunst- 
werk kann  sie  erlösen.  Und  vor  allem  das  Drama,  und  zwar  dieses  musika- 
lische Drama,  als  letzter  Ausdruck  aller  ästhetischen  Ideale. 

Wie  wunderbar  war  dies  in  System  gebracht.  Welche  Ehre  war  der  Oper 
angetan.  Ihre  Paradoxie  sollte  Wahrheit  sein.  Er  hat  cs  an  sich  selbst  er- 
lebt, daß  sic  Paradoxie  blieb,  und  darin  viel  fruchtbarer  als  eine  Wahrheit, 
die  niemals  Wirklichkeit  werden  kann.  Nicht  die  soziale  Auffassung,  weder 
der  Künste  noch  der  Menschen  gibt  hier  den  Ausschlag.  Nur  die  künst- 
lerische Kraft  des  Schöpfers.  Wirkt  nur  ein  Schimmer  von  ihr  im  Werk, 
so  ist  es  mehr  als  alle  Verbindungen  von  Quantitäten.  Und  wirkt  sie  über- 


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haupt,  so  wirkt  sie  nur  durch  sich.  Die  Kunst  als  Schöpfung  ist  lebensstär- 
kend in  dem  einzelnen,  aber  der  moralische  Wille  kann  sie  dazu  nicht  machen. 
Ist  die  Phantasie  klein,  zerstört  er  sie  sogar  — ist  sie  groß,  ist  er  überflüssig. 
Es  gibt  kein  ästhetisches  Erziehen  als  Bessernwollen,  aber  es  gibt  ein  ästhe- 
tisches Erzogenwerden  als  Steigerung  des  Lebensgefühls.  Dies  sitzt  nicht 
im  Faktor,  sondern  im  Produkt.  Es  ist  nicht  die  Aufgabe  des  Künstlers, 
sondern  des  Kunstwerks,  das  sich  von  ihm  löste. 

Der  wahre  Künstler  schafft  aus  zentralem  Leben,  daher  hat  seine  Kunst 
lebensstärkende,  also  auch  bessernde  Kräfte.  Indem  sich  sein  Werk  von  ihm 
ablöst,  beginnt  diese  soziale  Bedeutung,  die  freilich  nur  peripherisch  (Luxus) 
ist.  Zwischen  dem  Schaffen  und  dem  Wirken  ist  ein  wesentlicher  Unter- 
schied. Die  Kunst  hat  zwei  Leben,  als  Geburt  und  als  Existenz.  Ihre  Ver- 
mengung ist  übel,  ihre  Vermittlung  nötig. 

Oder:  das  Kunstwerk  erhöht  Lebenskräfte.  Das  ist  sein  sozialer  Sinn. 
Aber  es  darf  ihn  nicht  als  moralischen  Willen  äußern.  Dagegen  muß  das 
Publikum  von  dem  moralischen  Willen  besessen  sein,  durch  die  Kunst  in 
dieser  Weise  erhöht  (erzogen)  zu  werden.  Dies  ist  eine  im  Wesen  der  Kunst 
begründete  Antinomie,  die  zu  vermitteln  Aufgabe  des  Kunstschriftstellers 
ist,  dessen  Empfindungsdynamik  zwischen  Schaffen  und  Genießen  die 
Wage  hält. 

Ich  setze  diese  Bekenntnisse  hierher,  weil  sie  die  Antwort  sind,  die  ich 
auf  Regenerationsabsichten  des  Künstlers  habe,  sobald  er  sich  zu  viel  darauf 
cinbildet.  Diderot  schrieb  einmal  an  Voltaire:  „Den  Menschen  nützlich 
sein  ? Ist  es  so  gewiß,  daß  man  etwas  anderes  tut,  als  sic  ergötzen,  und  daß 
zwischen  einem  Flötenspieler  und  einem  Philosophen  ein  großer  Unter- 
schied ist  ?“  Das  ist  schrecklich  wenig.  Rousseau  war  Moralist  und  Künst- 
ler, aber  er  vermengte  es  nicht.  Das  ist  gewiß  das  sicherste.  Schiller  ent- 
wächst dem  18.  Jahrhundert.  Er  fühlt  als  erster  die  Kunst  sozial.  Er  träumt 
von  der  allgemeinen  ästhetischen  Erziehung.  Das  war  nur  ein  Irrtum  der 
Utopie,  der  Erweiterung.  Zu  seinem  sozialen  Traum  kommt  bei  Wagner 
der  egoistische  Realismus.  Das  war  ein  Irrtum  seiner  selbst,  ein  Irrtum 
der  Verengerung.  Sein  musikalisches  Drama,  das  Kunstprodukt  seiner 
persönlichen  Anlagen,  hält  er  für  das  Regenerationsmittel.  Dies  Theater, 
das  in  der  leichtsinnigen  Wirtschaft  seiner  Künste,  wie  es  im  Wilhelm  Meister 
heißt,  als  „zweideutigen  Ursprungs“  erkannt  ist.  Diese  Oper,  die  alle  ihre 
Schönheiten  aus  ihrer  Irrationalität,  aus  ihrer  Willenlosigkeit  hat.  Und  Wag- 
ner moralisiert  sie  in  seiner  Theorie  so,  daß  er  den  furchtbaren  Fluch  über 
die  absolute,  nicht  darstellende  Musik  ausspricht:  sie  habe  keinen  moralischen 
Willen. 


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Daß  die  Oper  in  seiner  Verzweiflung  noch  diesen  moralischen  Willen 
zugesprochen  erhielt,  war  ihre  letzte  große  Illusion.  In  einer  Verzweiflung 
zwischen  Kunst  und  Moral,  die  der  ernsteste  Fall  aller  Opernreformen  blieb. 
In  einer  Verzweiflung  der  Paradoxie,  die  Leben  und  Werk  gewesen  war 
und  These  werden  wollte. 

Aber  was  ist  mit  seiner  Theorie  ? Die  Kraft,  die  sie  zeugte,  hat  sie  ver- 
schlungen. Sie  ist  für  uns  ein  Punkt  geworden,  hinter  diese  bunte  Opcrn- 
geschichte  zu  setzen.  Beugt  euch  vor  dieser  tiefen  Tragik.  Befreit  alle 
Probleme  in  der  Herrlichkeit  seiner  Musik.  Baut  von  ihr  zurück  — und  ihr 
werdet  verstehen,  was  seine  Kultur  ist,  keine  Kunstkultur,  eine  Künstler- 
kultur: das  Erleben  der  Oper. 


481 


3« 


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DIE  ANARCHIE  DER  OPER 


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Die  Stile 


DER  Stil  der  Oper  hat  aufgehört,  es  herrschen  die  Stile.  Es  herrscht  die 
Anarchie.  Die  theoretische  Paradoxie  wurde  in  Wagner  Erlebnis,  seit- 
dem ist  sie  Tatsache.  Die  moderne  Oper  ist  die  Praxis  der  Paradoxie.  Nichts 
bindet,  alles  ist  erlaubt.  Alles  widerspricht  sich,  es  wird  ruhelos  nebeneinan- 
der komponiert.  Der  Glaube  ist  verloren.  Vielleicht  ist  es  das  Ende. 

Die  einen  ahmen  Wagner  nach,  die  anderen  das  18.  Jahrhundert.  Diese 
sind  Gegner  jedes  Baulichen,  jene  halten  es  für  die  einzige  Rettung.  Dieser 
ist  Impressionist,  jener  Volkssänger.  Die  historische  Oper  wird  neu  auf- 
gelegt, daneben  entstehen  feinste  Lyrismen.  Hier  wird  der  Gesang  zur  Richt- 
schnur genommen,  dort  das  Orchester,  andere  suchen  eine  Mitte.  Während 
man  neuen  Möglichkeiten  von  Visionen  nachgeht,  verehrt  man  das  Buffo- 
tum  und  die  Comique.  Der  eine  holt  es  vom  Märchen,  der  zweite  von  der 
dramatischen  Sensation,  der  dritte  vom  Verismus,  der  vierte  vom  Symbolis- 
mus, der  fünfte  von  allen  zusammen.  Hier  erhitzt  sich  die  Phantasie  an  der 
Melodie,  dort  verleugnet  sie  sie;  bald  umarmt  sie  die  Literatur,  bald  die  In- 
strumente. Von  Debussys  Illustrationen  bis  zu  Massenets  Dickleibigkeit  ist 
dieselbe  Entfernung  wie  von  Strauß  zu  — Kaiser.  Zwischen  Wolf-Ferrari 
und  Busoni  liegen  Epochen.  Puccini  und  Humpcrdinck  drehen  sich  den 
Rücken.  Die  Feste  von  Bayreuth  bewährt  ihren  erziehlichen  Ernst,  während 
man  mit  der  altitalienischen  Oper  neue  Liebschaften  anknüpft.  Dabei  geht 
es  sehr  international  hin  und  her.  Die  Meistersinger  werden  der  Erfolg  von 
Paris,  und  Leoncavallo  bekommt  einen  preußischen  Hofauftrag.  Mitten  in 
diesem  Chaos  leben  wir. 

Wie  können  wir  anders  darüber  schreiben  als  in  fliegenden  Blättern  ? 
Wer  weiß,  was  morgen  ist  ? Wer  kennt  den  Weg  und  die  Kräfte  ? Es  bleibt 
nur  übrig,  die  Anarchie  in  hundert  Farben  blitzen  zu  lassen.  Macht  euch 
das  Bild  daraus,  das  keines  ist.  Ich  übersehe  selbst  das  alles  nicht  mehr.  Ich 
lege  mir  Artikel  zurecht,  die  ich  im  Eindruck  des  Augenblicks  schrieb.  Ich 
hole  anderes  aus  der  Erinnerung.  Manches  kann  ich  schon  kontrollieren.  Abci 
ich  stelle  nichts  fest,  einmal  weil  ich  mich  nicht  binden  kann,  und  dann  weil 
es  eben  von  Natur  lose  ist.  Ich  streue  es  hin.  In  fünf  Jahren  streut  man 
wieder  anderes  hin.  Ein  Buch,  das  aus  dunklen  Fernen  aufklang,  läuft  in 
das  Ungewisse  wieder  ab.  Was  ist  Gegenwart,  als  daß  sie  Vergangenheit 

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r 

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wird,  aber  die  Zukunft  ist  schreckhaft.  Und  immer  wieder  wird  es  auf  die- 
sen Blättern  Vergangenheit,  so  viel  arbeitsamer  Fleiß,  geniale  Eroberung,  ge- 
liebte Schönheit,  — ohne  Ziel,  ohne  Kulturwillen  hier  und  da  aufleuchtend, 
anarchisch  . . . 


Die  Verwaisten 

DIES  ist  eine  Gruppe  von  Toten,  die  niemals  ganz  lebendig  waren.  Wag- 
ner drückte  sie.  Die  „Bezähmung  der  Widerspenstigen“  von  Hermann 
Goetz  ist  ein  verlorener  Rest  romantischen  Humors,  den  man  liebgewonnen 
hat,  weil  er  so  unzeitgemäß  war.  Aber  es  sind  doch  immer  nur  krampfhafte 
Anstrengungen,  das  Werk  am  Leben  zu  erhalten.  Es  ist  zu  bescheiden  und 
mittelständig,  meist  eine  kindlich-deutsche  Komponicrerei  mit  aller  Ehr- 
furcht vor  alten  Formen,  bindenden  Motiven,  schlechter  Deklamation  und 
dauerhaftem  Gemüt.  Von  Drama  keine  Spur.  Petrucchio  gab  Gelegenheit, 
den  Humor  sich  wild  stellen  zu  lassen,  das  strengte  Goetz  zwar  an,  aber  es 
lag  dem  Deutschen  mehr  als  ein  feinnerviger  Humor.  Ohne  Dämonie  geht 
cs  sowieso  nicht  ab.  Das  Erscheinen  Pctrucchios  in  uneleganter  Haltung  zur 
eigenen  Hochzeit  gelang  in  guter  Groteske,  rhythmisch  und  melodisch.  Der 
letzte  Zank  des  Paares  hat  Wurf.  Aber  das  Wertvolle  liegt  doch  mehr  in 
der  versteckten  Lyrik  und  absoluten  Musikmacherei,  auf  Kosten  der  Situa- 
tionen, die  oft  so  falsch  erfaßt  werden,  daß  mehr  Kunstgewerbe  als  Kunst 
an  ihnen  arbeitet.  Das  ist  dann  wie  Schumannsche  Stubenluft.  Die  innere 
Anmut,  das  Gefühl  für  schmiegsam  gleitende  und  begleitende  Musik  macht 
die  Liebenswürdigkeiten.  Pctrucchios  Werbung  bei  Battista,  das  Ensemble 
der  Hochzeitswartenden  sind  reizende  absolute  Musikstücke.  In  der  Duett- 
melodie des  Paares,  in  Kätchens  erster  Nachgiebigkeit  ist  feine  lyrische  Zeich- 
nung. Die  Unterrichtsszene,  mit  dem  Virgilzitat  und  der  Tonleiter,  die  zu 
Liebesscharaden  werden,  ist  die  berühmteste  geworden.  Hier  ist  eine  Un- 
befangenheit melodischer  Buffonerie,  in  der  die  Grazie  dieses  verlorenen 
Autors  sich  am  unmittelbarsten  ausspricht.  Findet  der  Deutsche  eine  glück- 
liche Gelegenheit,  in  der  Szene  zu  musizieren,  ist  er  schon  ganz  zufrieden, 
legt  die  Stelzen  beiseite,  zieht  sein  Gefühl  auf,  bekennt  seine  Schulbildung 
und  läßt  im  übrigen  von  seinen  Figuren  sich  dramatisch  bedienen. 

Stellt  sich  Goetz  eigentlich  ganz  außerhalb  seiner  Zeit,  so  gleitet  der  lie- 
benswerte Peter  Cornelius  in  sie  hinein.  Leider.  Denn  hier  war  eine  eigen- 
tümlich tiefe  Begabung,  gewiß  nicht  dramatisch,  aber  mit  einem  sicheren 
Blick  für  ihr  Klima.  Der  Barbier  von  Bagdad  war  so  naiv  geschrieben 

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worden,  daß  schon  Liszt,  der  seine  Aufführung  in  Weimar  1858  durchsetzte, 
allerlei  Retouchen  vornahm,  ahnungslos  in  seiner  Tapferkeit,  daß  er  Schick- 
sale entschied.  Für  ihn  selbst  war  der  Durchfall  das  Signal  zu  seinem  Abgang, 
für  Cornelius  war  es  das  Ende  seiner  Selbständigkeit.  Viel  später  schrieb  er 
dann  eine  neue  Ouvertüre,  die  Liszt  instrumentierte,  und  Mottl  bearbeitete 
die  Oper,  indem  er  inhaltlich  durchgreifende  Änderungen  machte  und  das 
Orchester  mit  Lohengrinflageoletten,  Harfensüßigkeiten  und  allem  Schmelz 
des  Wagnerschen  Klanges  so  überzuckerte,  daß  etwas  ganz  anderes  daraus 
wurde.  Erst  in  dieser  Form  ist  das  Stück  populärer  geworden,  aber  so,  wie 
es  die  Freunde  seiner  zarten  Seele  wollen,  hat  es  sich  doch  nie  durchgesetzt. 
1904  gab  man  in  Weimar  die  Originalfassung.  Man  war  erstaunt,  plötzlich 
eine  Musik  zu  hören,  die  nichts  von  orientalischer  Süßigkeit  zeigte,  deutsch, 
holzgeschnitten,  eigen  und  herb  klang,  mit  all  den  naiven  Reizen  einer  ge- 
nialen Ungeschicklichkeit.  Die  Philologie  dieser  Bearbeitungen  findet  man 
in  Sonderschriften  und  Ausgaben,  die  Max  Hasse,  der  Wiederhersteller  des 
Originals,  erscheinen  ließ.  Es  ist  ein  interessantes  Kapitel  zur  Lehre  vom 
Wohlwollen,  das  einen  Künstler  tötet.  Die  Mottlsche  Form  ist  selbst  durch 
diese  Erkenntnis  nicht  verdrängt  worden.  Später,  mit  dem  Cid,  glitt  Cor- 
nelius vollkommen  in  den  Lohengrin  hinein.  Hermann  Levi  bearbeitete  ihn 
noch  weiter  in  diesem  Sinne. 

Cornelius  hatte  sich  im  Text  eine  mehr  als  geschickte  Grundlage  ge- 
schaffen, — diese  Liebesgeschichte,  die  durch  die  übergroße  Sorge  eines  ge- 
schwätzigen alten  Barbiers  erst  gestört,  dann  zum  guten  Ende  geführt 
wird  — er  hatte  das  orientalisch  Blumige  und  Breite  mit  einer  Art  deutscher 
Bufforeimerei  und  konzentrierter  Lyrik  zu  einer  dankbaren  Sprache  verbun- 
den. Im  Lyrischen  ist  er  Herr.  Das  Margianalied  des  Barbiers,  das  Liebes- 
duett,  die  vielen  liedhaften  Gesänge  Nurredins  sind  echt  und  klar.  Die  En- 
sembles sind  von  feinem  Geist,  das  Duett  „Wenn  zum  Gebet“,  das  träume- 
risch-exotische Gebet  der  Muezzin  selbst,  das  Terzett  „Er  kommt“  (in  der 
Widerspenstigen  gibt  es  dieselbe  Nummer),  in  alledem  ist  Kontrapunktik 
und  Stimmenfaktur,  aber  doch  in  einer  sehr  lebendigen  Motivarbeit.  An  an- 
deren Stellen  drängt  sich  die  doktrinäre  deutsche  Arbeit  zu  sehr  hervor:  im 
Durchkomponieren  des  Rausschmeißchors,  in  der  Verstaffelung  des  Liebes- 
duetts  mit  dem  Fensterlied  des  Barbiers,  in  der  Schreibseligkeit  des  Finales, 
vielleicht  selbst  in  der  verschiedenen  Harmonisierung  des  schönen  Salem- 
aleikum-Schlusses.  So  verwandt  wir  uns  der  geistigen  Verfassung  von  Cor- 
nelius fühlen,  so  liebenswürdig  und  feinsinnig  uns  seine  musikalische  Seele  be- 
rührt, so  schwer  empfinden  wir  doch  den  Gang  seines  Humors.  Die  Sieben- 
brüdergeschichte des  Barbiers,  in  verschiedenen  Litaneien  ausgeführt,  seine 

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Koloraturfreudigkeit,  seine 
Verbeugungsphrasen,  sein 
Echo  im  Orchester,  die 
breite  Bedeutsamkeit  seines 
erarbeiteten  Leitmotivs, 
alle  diese  an  sich  so  guten, 
zeitverlorenen  und  behag- 
lichen Dinge  gewinnen 
hier  ein  Pathos,  das  aus 
deutscher  Lyrik  kommt, 
die  lustig  sein  will,  nicht 
aus  letzter  Persiflage  eige- 
ner Person.  Es  ist  eine 
Angst  um  den  Ernst  auch 
im  Spaß,  die  den  Lieder- 
dichter beschleicht,  wenn 
er  vor  der  Bühne  steht. 
Wie  humorlos  ist  der  Chor 
der  Sklaven  um  den  Bar- 
bier, dem  man  Krankheiten 
einredet,  am  Schlüsse  des  ersten  Aktes,  Wie  schwerfällig  gegen  die  ähnliche 
Szene  des  Sevillaner  Barbiers.  Mottl  strich  ihn,  Levi  stellte  ihn  wieder  her. 
Es  gehört  die  ganze  deutsche  Gläubigkeit  dazu,  in  dieser  Oper  die  Vorzüge 
einer  edlen,  herzlichen  und  auch  guten  Musik  zu  finden,  die  sie  wirklich 
besitzt. 

Ist  Cornelius,  ein  ganz  anderer,  in  die  Wagnersphäre  eingefangen  worden,  so 
ist  Alexander  Ritter  der  bedeutendste  Führer  der  wirklich  eingesessenen 
Epigonen.  Wer  zählt  sie  alle  auf,  die  in  Nonen  schwelgten,  in  Vorhalten 
schwammen,  in  Tuben  sich  blähten  ? An  Ritter  denken  wir  gern  zurück 
wegen  seiner  mannhaften  Haltung  in  diesem  Getriebe  und  seiner  folgerich- 
tigen Beschränkung  auf  Einakter:  „Der  faule  Hans“  — „W7em  die  Krone?“ 
Der  faule  Hans  ist  auch,  wie  der  Barbier  von  Bagdad,  der  jüngste  von  sieben 
Brüdern.  Aber  hier  geht  cs  um  geistreiche  Schlachttrompeten  und  höchst 
gefühlvolle  Sentiments  in  Träumen,  Lieben  und  Herrschen.  Die  Zeichnung 
ist  nie  original,  doch  voll  echten  Sinnes  für  Musik,  für  diese  ncudeutsche, 
romantisierende,  schwärmende  und  kraftprotzende  Musik,  die  Schule  ward, 
immer  mehr  Begeisterung  für  Fortschritt,  als  Kraft  der  Gestaltung.  Eine 
Apostelmusik.  Ritter  hielt  die  eine  Hand  Wagners  und  gab  die  andere  Strauß- 

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Cornelius'  Handschrift:  Barbier  von  Bagdad 


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Hugo  Wolfs  Corregidor  ? Er  hat  nun  schon  etliche  Male  auf  den  verschie- 
denen Bühnen  die  Kleider  des  Müllers  Lucas  angezogen  und  der  Müller 
die  seinen,  um  ihre  Liebeskomödie  durchzuführen.  Aber  diese  Verkleidungs- 
geschichte ist  offenbar  ebenso  verwickelt  als  uninteressant.  Der  Corregidor 
als  Müller  und  der  Müller  als  Corregidor  sind  Kostüme  in  einem  Museum, 
aus  alten  Zeiten,  aus  dem  Rokokoschlößchen,  wo  solche  Mummenschänze 
noch  wirklich  passiert  sein  sollen.  Hugo  Wolf  aber,  der  Liedersänger,  hatte 
eine  derartige  Phantasie,  daß  er  vor  diesem  Glasschrank  mit  alten  Kostümen 
in  ein  Freudegeheul  ausbrach  und  nichts  Geringeres  als  die  komische  Oper 
zu  finden  glaubte.  Ein  peinlicher  Anblick  für  einen  so  großen  Mann,  welche 
Einfälle,  welche  Arbeit,  welche  Illusionen  verschwendete  er  an  diese  Kostüm- 
komödie; wie  verriet  er  sich  selbst,  als  er  sich  einredete,  daß  sie  ihn  interes- 
sieren. Wie  jeder  deutsche  Komponist,  der  sich  mehr  nach  Humor  sehnt, 
als  daß  er  ihn  besitzt,  nahm  er  die  Geschichte  schwer  genug,  um  sich  Pro- 
bleme vorzuschmeicheln.  Er  zog  die  Rokokokostüme  über  motivisch  ver- 
anlagte Menschen.  Wirft  man  die  Kostüme  weg  und  behält  den  Inhalt  der 
Musik,  so  hat  man  ein  reizendes  Spiel  in  Händen.  Man  kommt  bei  diesem 
Stück  auf  so  wilde  Ideen:  einen  ganz,  ganz  anderen  Text  unterzuschieben, 
vielleicht  von  den  Abenteuern  eines  deutschen  Lyrikers,  der  nach  Spanien 
reist  und  geheilt  zurückkehrt  ? 


Modernes  Italien 


AUS  der  Verdizeit  reicht  Boito  herüber,  dessen  Mefistofele,  1868  erschie- 
>■  nen,  im  Süden  beliebt  blieb.  Aber  ein  sonderliches  Kunstwerk  ist  er  nicht. 
Vom  Drama  hat  er  so  wenig,  daß  man  ihn  als  Oratorium  geben  könnte,  wie 
man  Berlioz’  Faust  aus  einem  Oratorium  zu  einer  Oper  gemacht  hat.  Boito 
nahm  aus  beiden  Teilen  der  Goetheschen  Dichtung  beliebige  Szenen,  das 
Himmelsvorspiel,  die  Osterwiese,  das  Studierzimmer,  den  Garten,  das  Ge- 
fängnis, beide  Walpurgisnächte  und  Fausts  Tod;  er  ließ  fort,  was  ihm  nicht 
behagte,  z.  B.  Helenas  Verschwinden,  dafür  setzte  er  die  Goetheschen  Worte 
ein,  so  weit  er  konnte.  Zwischen  Gounod  und  Berlioz  blieb  es  in  der  Mitte, 
vom  reflektierenden  Verstand  eines  feinsinnigen,  poetisch-musikalisch  begab- 
ten Menschen  gedrückt,  der  mit  den  Künsten  nicht  rang,  wie  Wagner,  son- 
dern sie  sensitiv  scheute.  Zwischen  nordischem  und  italienischem  Empfinden 
pendelt  er  ziellos  hin  und  her.  Bisweilen  hat  er  reizvolle  Orchesterideen,  wie 
in  der  Solobcglcitung  von  Gretchens  Wahnsinn;  dann  wieder  schreibt  er 
Chöre  im  besten  Schulstil,  wie  den  Höllenchor  und  den  Erlösungschor;  plötz- 
lich ein  naturalistischer  Einfall,  die  Knaben  im  Himmel;  dann  wieder  eine 


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heitere  italienische  Phrase,  bei  Faustens  Monolog  oder  in  der  Licbesszene  — 
alles  bedächtig  gewählt  und  geprüft  und  nicht  ohne  Selbstquälerei  hin- 
gesetzt. Der  Eklektiker  aus  Wissen.  Ein  Wagnerschwärmer,  aber  kein  YVag- 
nermensch. 

Das  junge  Italien  bildet  sich  in  den  achtziger  Jahren  in  Mailand,  in  der 
Gegend  Ponchiellis,  der  Mascagnis  und  Puccinis  Lehrer  war  (nur  seine 
Gioconda  drang  über  Italiens  Grenzen).  Ein  Nebenstrom  der  Neapler  Schule 
mündet  hinein,  aus  der  Spinelli,  Leoncavallo,  Giordano  kommen.  Die  Willis, 
eine  schon  recht  charakteristische  Jugendoper  Puccinis  von  1884,  sind  die 
erste  Stilprobe.  1886  jubelt  man  der  Flora  mirabilis  des  englisch-französischen 
Griechen  Samara  zu.  Man  betrachtete  Alfredo  Catalani,  den  heut  vergesse- 
nen, als  starke  Anregung.  Der  Durchbruch  geschieht  durch  den  Wettbewerb 
für  Einakter,  den  Sonzogno  1890  ausschreibt.  Den  ersten  Preis  erhielt  die  Ca- 
valleria rusticana  Mascagnis,  den  zweiten  die  Labilia  Spinellis,  die  er  später 
durch  sein  A basso  porto  übertraf.  Die  Cavalleria  verbreitete  den  Stil  in 
einem  beispiellosen  Erfolg  über  die  Welt.  Es  wurde  eine  brutale  Erholung 
von  Wagner.  Der  letzte  große  Schlag  Italiens  in  einer  Manier,  die  sich 
aus  französischen  und  italienischen  Elementen  äußerst  wirksam  zusammen- 
fand und  die  krasse  Anwendung  musikalischer  Ekstase  sowohl,  wie  Illustra- 
tion auf  Stoffe  des  modernen  Lebens  durchsetzte:  man  nannte  es  Verismus. 
Traviata  stieg  aus  dem  Kleide  alter  Formen  und  warf  sich  die  Fetzen  eines 
Stils  um,  den  sie  für  Wahrheit  hielt. 

Von  der  explosiven  dramatischen  Kraft  des  Vergaschen  Stückes  sind  ge- 
nug Reste  im  Libretto  der  Cavalleria  geblieben,  um  jenes  Vorzittern 
und  Nachzittern  von  Erregungen  zu  schaffen,  das  musikalisch  so  dankbar  ist. 
Der  Einakter  drängt  das  Operntypische  auf  eine  kurze  Spanne  zusammen. 
Gebet,  Lolawalzer  und  Mord.  Der  französische  Einschlag  bringt  den  Sata- 
nismus einer  Operette  hinein,  das  Alfiolied,  das  Trinklied,  den  ironischen 
Schmelz  des  Intermezzos.  Die  rohe  Instrumentation  peitscht  die  Nerven. 
Eine  scharfe,  knappe  Innenzeichnung  preßt  die  Gefühle.  In  schlagkräftigen 
Phrasen  findet  die  Melodie  ihr  Pathos.  Jene  jungitalienischen  Wendungen, 
grausam  geschnittene  Silhouetten  des  Melos,  werden  in  die  Ohren  gedrückt, 
ins  Gehirn,  das  sie  schwer  losläßt.  Psalmodierende  Eintonwiederholungen, 
diatonische  Verschiebungen,  homophone  Ekstasen,  eine  Leidenschaft  des 
liedhaften  Singens,  auf  ihrer  Höhe  im  Duett  Turiddu-Santuzza,  schlägt 
alle  gute  Erziehung  hypnotisch  nieder.  Ja,  es  war  eine  Kraft,  die  darin 
sprach.  Ein  Umschlagen  des  deutschen  Problems  in  die  sinnliche  Macht  des 

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gesungenen  Tons,  in  den  Rausch  der  rasenden  Melodie,  in  den  glühenden 
Hauch  sensationeller  Bühne,  Liebe,  Eifersucht,  Tod,  die  einfachsten  täg- 
lichen Dinge  zum  Himmel  schreiend  — aber  es  war  ein  animalischer  Sieg, 
gegen  den  sich  schließlich  jede  Geistigkeit,  in  der  Welt  und  in  Mascagni 
selbst,  auflchntc.  Er  hatte  sich  ausgegeben.  Er  hat  viel  noch  gemacht,  bis- 
weilen mit  einem  feinen  Blick,  bisweilen  in  schlenkernder  Trunkenheit  — 
aber,  wo  die  wichtigen  oder  nur  interessanten  Werke  der  modernen  Oper 
zu  nennen  sind,  hat  man  nichts  mehr  von  ihm  zu  sagen. 

Das  merkwürdige  Schicksal  Mascagnis , der  Welt  einen  neuen  Stil  zu  zei- 
gen und  kaum  wieder  von  ihr  empfangen  zu  werden,  ist  zu  vergleichen 
mit  dem  Los  Leoncavallos,  von  einem  Cafespieler  sich  zu  dem  Hoflieferanten 
für  den  deutschen  Kaiser  aufzuschwingen,  ohne  jemals  etwas  Eigenes  zu  lei- 
sten. Sein  Roland  von  Berlin,  nach  dem  Roman  des  Alexis  in  Musik  ge- 
schwemmt, bleibt  das  künstlichste  Repertoiregebilde,  das  es  je  gegeben  hat. 
Man  hielt  ihn  für  einen  Vertreter  des  historischen  Genres,  nachdem  er  einmal 
in  den  Medici  eine  italienische  Trilogie  begonnen  hatte,  so  schwach,  daß 
er  sie  nicht  fortsetzte.  In  Zaza  machte  er  Musik,  in  Boheme  machte  er 
Musik.  Er  hatte  das  Pech,  daß  Puccini  ihm  zuvorgekommen  war.  Er  machte 
Musik  ohne  jede  Gestalt  und  Phantasie,  abhängig  von  Fremden,  kritiklos 
gegen  sich  selbst.  Sein  Welterfolg  waren  die  Bajazzi,  zwei  Jahre  nach  der 
Cavalleria,  wie  ein  Spiegelbild  seiner  eigenen  Schmerzen.  Welche  glückliche 
Stoffwahl!  Das  Spiel  der  Komödianten  ins  Leben  hineingezogen,  Bühne 
und  Leben,  Leben  und  Bühne,  gespielte  und  wirkliche  Ehetragödie  — welch 
alter,  lieber  Reiz,  nie  auszukosten.  Er  rettete  mit  diesem  Griff  eine  Musik, 
die  in  Prozessionen,  Bühnentänzen,  Bajazzoliedern  und  Vögleintrivialitäten 
nicht  mehr  Note  hat,  als  etwa  das  Geschick  eines  Tonschriftstellers,  zumal 
er  sich  dem  Französischen  gern  überläßt,  ihr  bei  einiger  Anstrengung  geben 
kann.  Daß  er  sich  so  anstrengte,  hat  man  ihm  mehr  gedankt,  als  Routine 
verdient. 

Giordano  hat  sich  von  Mala  vita  an  verfeinert.  Andre  Chenier  und  Fedora 
haben  eine  resolute  Musik,  die  vor  keiner  Komponierbarkeit  scheut. 
Kühle,  geistreiche  Stimmungen  und  dann  wieder  dankbare  Gosangsaus- 
brüche,  interessante  Kombinationen  von  Klavierkonzerten  mit  Liebesduetten 
und  wieder  pikante  Details  im  Orchester.  (Siberia  sank  schwach  darnieder.) 
Es  ist  wenig  Faßbares,  für  Italien  zu  intellektuell,  für  den  Intellekt  zu  musi- 
kalisch. Ein  Zweig  des  Naturalistischen,  der  in  Bezirke  reicht,  die  noch  nicht 
oft  Musik  genossen  haben,  politisch  unterminiert,  Schicksale  von  literarischem 

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Ehrgeiz,  die  sich  leicht  illustrieren,  um  dann  Augenblicke  lyrischer  Erregung 
zu  wählen,  in  denen  sic  die  Kehle  hart  an  der  Grenze  derWahrheit,  im  Genuß 
der  Stimme  ausströmen  lassen.  Niemals  gewöhnlich,  immer  distanziert  und 
selten  bezwingend. 

Puccini  ist  das  Haupt  der  Schule.  Was  in  Mascagni  zu  roh,  in  Leon- 
cavallo  zu  gewöhnlich,  in  Giordano  zu  kühl  ist,  bringt  er  auf  eine  mittlere 
Linie,  die  ihre  Popularität  verdient.  Viel  zu  geben  hat  er  nicht,  aber  er  gibt 
es  meist  in  einer  angenehmen  Liebenswürdigkeit,  die  etwas  vom  Salonton 
hat,  oft  zu  viel  Drama.  Ein  Dramatiker  ist  er  nicht,  ein  Lyriker  auch  nicht, 
ein  Techniker  auch  nicht,  aber  es  klingt  hübsch.  Zwischen  Gesang,  den  er 
vorzüglich  behandelt,  und  Orchester,  das  er  sehr  geschickt  schattiert,  findet 
er  eine  Mitte,  die  vorbildlich  wäre,  wenn  sie  nicht,  von  einer  zu  schwachen 
Phantasie  getragen,  mehr  Klugheit  als  Wille  schiene.  Nimmt  man  ihn  zu 
ernst,  tut  man  ihm  unrecht.  Hört  man  ihn  zu  viel,  durchschaut  man  ihn 
schnell.  Und  doch  ist  er  ein  guter  Plauderer  und  man  plaudert  mit  ihm,  über 
ihn  — in  anderer  Art,  doch  ein  wenig  beinahe  wie  über  die  alten  Italiener, 
au  fond  des  loges . . . 

Die  Kameliendame,  als  sie  Traviata  wurde,  ist  sehr  von  ihrer  wohl  nicht 
recht  opernfähigen  Karriere  entlastet  worden.  Zwischen  dem  Roman  von 
Dumas  und  der  Traviata  ist  ein  größerer  Unterschied,  als  zwischen  Prevost 
oder  Murger  und  ihren  Vertonern.  Der  rührendste  Moment  des  Romans, 
daß  der  Liebhaber  nicht  weiß,  warum  ihn  seine  Kamelicndaine  verläßt,  ist 
im  Drama  vernachlässigt.  Die  Kameliendame  im  Roman  sagt  von  Manon, 
so  liebe  man  nicht.  Manon  würde  von  dieser  dramatisierten  Marguerite  Gau- 
ticr  dasselbe  sagen.  Aber  Manon  hat  es  leichter.  Bei  ihr  bildet  die  Liebe  nicht 
eine  Episode  im  Kokottcnleben,  sondern  die  Kokotte  eine  im  Liebesieben. 
Mimi  und  Manon  kommen,  die  eine  als  Grisette,  die  andere  als  Kokotte  in 
ihren  Beruf  durch  ihr  leichtes  Naturell,  wahre  Liebe  leitet  sie  hinein  und  folgt 
ihnen  hinaus.  Mimi  und  die  Kameliendame  haben  eine  süß  zehrende  Krank- 
heit gemeinsam,  Manon  und  Mimi  die  premiers  amours,  und  die  Kamelien- 
dame und  Manon  die  Berufsdisposition.  In  diesem  Schillern  der  Schicksale 
und  Temperamente  ist  es  gut  zu  musizieren. 

Puccini  nimmt,  wie  in  der  Boheme,  auch  in  der  „Manon“  einzelne 
Szenen  aus  dem  Original,  die  wirksam  sind:  die  Entführung  in  der  verwech- 
selten Kutsche,  das  luxuriöse  Leben  beim  Steuerpächter,  die  Wiederbegeg- 
nung mit  des  Grieux  im  Gefängnis,  und  der  einsame  Tod  auf  der  Landstraße. 
Massenets  Textformation  in  seiner  „Manon“  ist  breiter  und  gibt  der  Psycho- 

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logie  mehr  Spielraum:  in 
den  wechselnden  Szenen 
erfahren  wir  mehr  vom 
Wechsel  ihrer  Liebschaf- 
ten, von  den  Gründen  des 
Wechsels,  vom  Kampf  der 
Liebe  und  des  Lebens. 

Massenets  Text  ist  mehr 
Roman,  Puccinis  mehr 
Szene,  obwohl  wiederum 
Puccini  sich  mehr  an  das 
Gegebene  des  alten  Ro- 
mans hält  als  Massenet. 

Eine  schöne  Doktordisser- 
tation für  kommende  Mu- 
sikstudenten. Dem  heuti- 
gen Opernbesucher  genügt 
zu  wissen,  daß  Manon  eine 
reizende  Person  war,  die 
aus  Gefühl  einen  Cheva- 
lier liebte,  aus  Genuß  von 
einem  Stcuerpächter  sich 
aushaltcn  ließ,  um  schließlich  in  diesem  Zwiespalt  ihrer  Natur  unterzugehen, 
wobei  das  gerächte  Gefühl  sie  über  den  verlorenen  Genuß  tröstet. 

Puccinis  Musik,  mit  Massenet  verglichen,  ist  besser,  aber  sie  ist  nicht  gut: 
Massenet  leidet  ständig  unter  der  Pose  einer  beredten  Empfindsamkeit  und 
routinierten  Affektiertheit,  Puccini  ist  Causeur,  eleganter  Erzähler  und  lie- 
benswürdiger Illustrator,  und  darum  als  Typus  schon  viel  angenehmer.  Aber 
die  mondäne  Linie,  die  er  in  der  Boheme  ausbildete,  ist  in  der  Manon  noch 
nicht  genug  entwickelt,  sie  steckt  in  einer  süßen  Schöngeisterei,  die  sich  bei 
Steigerungen  in  Wagnersche  Floskeln  verliert.  Der  erste  Akt  ist  unsicher,  der 
zweite  — ein  Rokokointericur  mit  Tanz  und  Gesang  — ist  leicht  und  graziös, 
aber  etwas  leer,  der  dritte  Akt  — am  Gefängnis  — ist  ernster  gedacht,  doch  un- 
selbständig, und  der  vierte  — der  dankbare  Schluß  auf  der  einsamen  Straße  — 
ist  von  einem  Pathos,  das  der  Komponist  bei  späteren  Gelegenheiten  vermie- 
den hat.  Es  sind  die  Anfänge  eines  musikalischen  Gcscllschaftsmenschen,  der 
aus  der  „Literatur“  noch  nicht  herausgewachsen  ist.  Aber  die  Fadessc  der 
Musik  ist  oft  so  bezaubernd,  daß  man  die  Neigung  versteht,  daraus  eine 
Cafemusik  abzuzapfen,  die  von  schmelzenden  Zigeunern  vorgetragen  wird. 

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Boheme Jaleibt  seine  Krone.  Vier  Szenen  sind  herausgenommen,  die 
erste  Begegnung,  Cafe  Momus,  das  winterliche  Tor,  das  Sterben  — und 
in  eine  liebenswürdige  Tragik  gesetzt,  die  uns  nachhängt,  so  wenig  tief  sie 
sein  mag,  von  leise  wehmütigen  Melodien  durchzogen,  von  einer  guten  trau- 
rigen Lustigkeit,  von  südlicher  Betriebsamkeit,  ein  Melodisieren  des  Lebens 
von  moderner  Hand,  die  das  französische  Sentiment  in  scharfe  italienische 
Phrasen  bringt,  das  musikalische  Milieu  in  freiem  Wurf  zeichnet,  Lieder  halb 
werden,  halb  vergehen  läßt,  Rezitative  zur  Wahrheit  hochführt,  entzückende 
Einfälle  dazwischen  streut,  geistreich  im  Auslassen,  gefühlvoll  im  Motivi- 
schen, das  sich  in  leichten  Charakteren  und  schönen  Wendungen  an- 
einander erinnert.  Zum  Manuskriptheizen,  zur  Wirtsorgie,  zu  Mimis  Ein- 
tritt, Mansarde,  Liebe,  Tod,  zu  allem  gesellen  sich  so  hübsche  Melodien- 
reihen, daß  sie  Stimmung  weben,  nicht  immer  ganz  passend,  aber  an  sich  so 
nett,  daß  man  sie  nicht  wegblascn  mag.  Das  rührende,  klagende,  kindlich 
verliebte  Mimimotiv  schwingt  um  dieses  Figürchen  auch  alles  Leben  der 
Musik.  Die  Musik  hebt  sich  zu  großen  Schönheiten  in  der  Lyrik  der  ersten 
Liebesszene,  in  den  Konsequenzen  der  Terzenmelodic  Mimis  im  dritten  Akt, 
in  dem  gezogenen,  schwebenden,  weitatmigen  Motiv  des  folgenden  Duetts. 
Sie  charakterisiert  sich  gut  in  dem  Abschiedslied  Collins  an  seinen  Rock, 
eine  arme  Traurigkeit,  in  Musettes  Lied  von  Paris,  eine  parfümierte  Lustigkeit. 
Sie  sinkt  auch  zu  Schwachheiten,  in  der  Anlage  des  zweiten  Akts  mit  seinen 
abgescheuerten  Quinten,  im  Quartett  des  dritten  in  seiner  dramatischen  Un- 
geschicklichkeit. Aber  durch  alles  zieht  ein  Ton,  der  unaufdringlich  nachklingt : 
rhythmische  Gelöstheit  der  Bohemiens,  die  in  den  großen  Augenblicken  ihres 
Lebens  ihre  Melodie  finden,  rauscht  auf,  schlägt  ihre  Pulse  — stirbt. 

Tosca  wird  unausstehlich.  Die  Sensation  schlägt  durch.  Ein  ekelhafter 
Text,  blutig  nicht  bloß  im  Stoff,  auch  in  der  Behandlung.  Eine  Musik, 
Glocken,  Chöre,  Konzerte,  heimliche  Tänze,  ekstatische  Phrasen,  Schlächter- 
arbeit im  Kleide  des  Liebenswürdigen,  lächelnder  Mord.  Zehn  verstreute 
Schönheiten,  im  Liebesduett,  in  den  beiden  großen  Arien,  geopfert  dem  Mo- 
loch der  Kinodramatik.  Aber  man  merkt  es  nicht  gleich.  Die  Musik  bewäl- 
tigt, sie  ist  raffiniert.  Nachdem  der  Butterfly  der  Staub  von  den  Flügeln 
gewischt  war,  kam  die  schreckliche  Erkenntnis  und  diese  Attraktion  von  Eu- 
ropa W stand  in  ihrer  Nacktheit  da. 

Bericht  von  der  ersten  Aufführung  der  Madame  Butterfly  in  Berlin. 

Die  Destinn  hatte  gerade  mit  Caruso  in  London  die  Butterfly  gesungen. 
Ich  besuchte  sie  damals  und  hörte  mit  Wonne,  wie  sie  schwärmte.  Sic  be- 

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Puccinis  Handschrift:  Boheme 


trachtete  diese  Partie  als  ihre  eigentliche  Domäne.  Ich  lieh  mir  den  Klavier- 
auszug von  ihr,  in  dem  ihre  Handschrift,  ihre  Striche  waren,  und  las  die  Oper. 
Ich  war  nicht  enttäuscht.  Ich  sah  einen  japanischen  Blütenwald  von  sang- 
baren und  klingfrohen  Motiven,  geistvoll  aus  der  exotischen  Kunst  ins  Euro- 

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päische  verpflanzt,  nicht  bloß  spielerisch  und  operettenhaft,  sondern  diese 
selben  eigentümlichen  ostasiatischen  Intervalle  auch  ins  Hohe  und  Tragische 
gewendet  und  von  der  ganzen  furiosen  Leidenschaft  des  Italieners  belebt. 
Wohl  fühlte  ich  hier  und  da,  beim  Auftritt  der  Butterfly  und  den  verwandten 
Stellen  eine  gewisse  fade  Süßlichkeit  und  Wonnetuerei,  aber  ich  wußte,  daß 
alles  das  von  italienischen  Stimmen  gesungen,  oder  wenigstens  von  emotionel- 
len Stimmen,  seinen  einfach  sinnfälligen  Zauber  erhalten  sollte.  Ich  ver- 
glich es  mit  der  ballettmäßigen  feilen  Musik  von  „Lakme“,  die  ja  einen  ähn- 
lichen Stoff  hat,  und  mußte  Puccini  den  Preis  geben.  Groß  dachte  ich  mir 
die  Wirkung  der  Soloszenc,  da  Butterfly  mit  dem  Kinde  auf  den  Gatten 
wartet,  der  sie  verlassen  hat,  wartet  und  wartet,  ohne  zu  ahnen,  daß  er  sie 
längst  verraten.  Die  Destinn  schwärmte,  und  während  ich  las,  hörte  ich  ihre 
Stimme  zwischen  den  Zeilen,  ich  hörte  die  ganze  Größe  und  Farbigkeit  ihres 
Organs.  Sie  hoffte,  daß  wir  das  Stück  hier  einmal  haben  würden.  Sie  freute 
sich  darauf  und  seitdem  klang  mir  die  Erinnerung  an  diese  Musik  mit  ihrer 
Stimme  in  den  Ohren. 

Aber  es  kam  anders.  Nicht  die  Destinn,  sondern  die  Farrar  sang  die 
erste  deutsche  Butterfly.  Wenn  ich  etwas  von  Redaktion  verstehe,  so  war 
dies  ein  doppelter  Redaktionsfehler.  Einmal  mußte  die  Destinn  verstimmt 
sein,  die  sich  so  persönlich  für  diese  Oper  engagiert  fühlte,  und  eine  gott- 
begnadete Künstlerin  in  dem  Augenblicke,  da  wir  sic  vielleicht  ganz  verlieren, 
ins  Herz  zu  treffen,  konnte  üble  Folgen  haben.  Und  dann:  die  Farrar  reichte 
nicht  aus,  um  dem  Stück  den  Erfolg  zu  geben,  den  ihm  die  Destinn  gewünscht 
und  gebracht  hätte.  Selbst  äußerlich  enttäuschte  sie  uns.  Wir  hatten  uns 
bei  ihrem  schauspielerischen  Talent  eine  graziöse  Japanerin  vorgcstellt,  die 
in  entzückenden,  fein  geschnittenen  Stellungen  wechselt,  die  zarte  Poesie 
einer  betrogenen  Eingeborenen  in  holdester  Naivität  gestaltet  und  Bildchen 
uns  vorzaubert,  die  aus  den  Drucken  des  Utamaro  und  Sunscho  entstiegen  zu 
sein  schienen.  Statt  dessen  hatte  sie  sich  Gesicht  und  Haltung  entsetzlich  ver- 
künstelt  und  vor  lauter  Angst  um  die  Naturwahrheit  die  Natur  fürchterlich 
betrogen.  Mag  sein,  daß  sie  in  dem  Augenblick,  da  sie  selbst  betrogen  wird, 
diese  Absicht  milderte  und  einige  reizende  Momente  der  Unschuld  hatte. 
Aber,  was  hier  noch  wichtiger  war,  ihre  Stimme  hatte  die  Größe  nicht,  die 
der  Italiener  verlangt.  Butterfly  ist  eine  Riesenpartie.  Sie  beherrscht  fast 
allein  die  Bühne,  sie  macht  das  Stück.  Streckenlang  ist  sie  die  Solistin.  Ita- 
lienische Musik,  ob  alte  oder  neue,  ist  ganz  an  den  Gesang  gebunden.  Orche- 
ster und  Szene  sind  nur  Triebkräfte  für  die  Stimme,  die  aus  ihnen  heraus- 
wächst, alles  sagend,  alles  umfassend,  alles  gestaltend.  Das  kann  die  Farrar 
nicht.  Ihre  Mitte  ist  zu  schwach,  ihre  Höhe  zu  scharf,  um  den  großen  reißen- 

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den  Fluß  zu  finden,  der  Bühne  und  Zuschauer  fortnimmt.  Und  so  konnte 
sie  das  Schicksal  nicht  wenden. 

Ich  mußte  es  mir  gestehen:  ich  kam  ab  von  Puccini.  Vielleicht  kam  ich 
unter  diesem  Druck  ab,  vielleicht  wäre  es  auch  sonst  geschehen,  ich  verlor 
das  kordiale  Verhältnis.  Er  war  ein  Causeur  für  mich  gewesen,  kein  Genie, 
aber  ein  angenehmer  Gesellschaftsmensch,  der  seine  Akkorde  pflegt  und  seinen 
Melodien  nicht  die  Herzlichkeit  nimmt,  Italiener  alles  in  allem,  den  wir  um 
seine  leichte  Hand  und  seine  frische  Laune  lieben,  auch  wenn  er  mal  ins  Tri- 
viale kommt.  Jetzt  stand  ich  dem  Causeur  ernstlich  gegenüber  und  ich  mußte 
ihm  das  Leid  antun,  Kritik  zu  üben.  Was  wir  in  der  Gesellschaft  reden,  das 
gut  klingende  Orchester  unserer  Vereinigung,  die  hübschen  Pointen,  die 
Schnippchen  gegen  die  Schule,  als  da  sind  Quintenreihen  und  Querstände, 
auch  das  bißchen  Sentimentalität,  mit  dem  wir  uns  beliebt  machen,  all  das 
verfliegt,  wenn  wir  es  uns  beim  Heimweg  überlegen.  Es  ist  die  Unterhaltung 
des  Augenblicks,  vielleicht  nicht  mal  ordentlich  gehört  und  verstanden,  aber 
es  hält  die  Sonde  nicht  aus.  Ich  amüsierte  mich  zuerst  köstlich.  Wenn  Lieban 
als  japanischer  Diener  Figuren  stellt,  kommt  eine  graziöse,  fesch  geworfene 
Musik  heraus,  die  meinen  Geist  reizt.  Es  treten  dann  sangbare  Kantilcnen 
hinzu,  kleine  kurze  Stücke  von  so  viel  Anmut,  daß  man  gerührt  ist.  Die  De- 
korationen sind  hübsch,  ohne  aufregend  zu  sein,  das  Orchester  unter  Blech 
klingt  voll  und  saftig,  ein  extra  gefertigter  gestickter  japanischer  Seidenvor- 
hang schließt  sich  nach  den  einzelnen  Bildern,  Hoffmann  und  Maclennan 
singen  den  amerikanischen  Konsul  und  den  Marineoffizier  ganz  angenehm, 
man  denkt  nach,  wie  sich  Amerikanisches  hier  musikalisch  macht,  wie  ein 
Italiener  Japanisches  macht,  und  so  ertappt  man  sich  plötzlich  bei  einer  Ge- 
dankenlosigkeit, an  der  die  Musik  schuld  sein  muß.  Es  dauert  zu  lange.  Der 
Causeur  wird  ein  Vielsprecher,  ohne  daß  er  viel  zu  sagen  hat.  Es  dauert  zu 
lange  — wieder  die  Quinten  und  die  asiatischen  Intervalle  und  die  italieni- 
schen Melismen,  schon  wird  es  ein  bißchen  Weltausstellung,  schon  hören 
wir  eine  süßliche  Hotelhofmusik,  Verwandtschaften  nicht  ganz  einwand- 
freier Kunstgattungen.  Noch  einmal  fesselt  die  große  Warteszene  der  ent- 
täuschten Gattin  unsere  Sinne,  noch  hier  und  da  ein  interessanter  Melodie- 
schritt, ein  Lichtblitz  der  Erfindung,  aber  wir  sind  schon  abgestumpft 
und  der  Schluß,  da  sich  Butterfly  ersticht  und  der  Konsul  ihr  Kind  ret- 
tet, läßt  uns  eiskalt.  Man  sagt  sich : wie  unkünstlerisch,  den  Marineoffizier 
mit  seiner  gesetzlichen  Gattin  zu  diesem  armen  Weibe  kommen  zu  lassen. 
Wenn  man  sich  so  etwas  sagen  kann,  ist  es  aus  mit  dem  Zauber  italienischer 
Musik,  die  durch  Klang  und  Sang  über  alle  Bedenken  hinüber  zu  trium- 
phieren hat. 

497  3. 


r 

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Ich  denke  an  eine  Sterbeszene  der  Sada  Yacco.  F.s  war  kein  gestickter 
Vorhang,  nur  wenig  Möbel  und  Werkzeug,  ein  paar  zerrissene  Saiten  in  der 
Ferne,  eine  verlorene  Melodie,  ein  paar  Gongschläge,  sie  sprachen  alle  leise, 
ganz  leise,  und  taten  alles  ganz  leise,  und  sie  starb  ganz  leise,  so  wie  ein  Trop- 
fen stirbt  im  Ozean,  daß  vom  weiten  Himmel  her  eine  unendliche  Wehmut 
darüber  lastet.  Damals  fühlte  ich  japanische  Tragik. 

Übrigens:  die  Destinn  ging.  Dafür  kam  aus  dem  goldenen  Westen  ein 
Mädchen,  das  über  ein  Kolportagelibretto  eine  geistreichelnde,  neufranzö- 
selnde  Musik  zu  streuen  suchte  — vergeblich!  Möchte  Puccini  zu  seiner 
leichten  Jugend  zurückkehren.  Er  ist  geboren,  unsere  Sensationen  nicht  auf- 
zukräuseln, sondern  zu  entlasten. 


Caruso 

DAS  Berliner  Opernhaus,  das  sonst  wegen  eines  Sängers  oder  einer  Sän- 
gerin niemals  einen  besonderen  Zulauf  hat,  wird  gestürmt,  wenn  es  um 
Caruso  geht.  Die  Karten  werden  zu  Kassenscheinen,  die  Anwesenheit  zu 
einer  Steuereinschätzung.  Eine  amerikanische  Leidenschaft  kommt  über  die 
Berliner  Gesellschaft,  die  hier  einen  Mittelpunkt  zu  suchen  scheint,  den  sie 
in  sich  selbst  nicht  findet.  Sie  selbst  hat  bis  heute  keine  Form  für  ihre  Exi- 
stenz entdeckt,  sie  hat  sich  über  keine  Zeit  und  kein  Milieu  geeinigt,  sie  be- 
sucht sich  mit  Willen  und  gegen  Willen,  ladet  sich  nach  Listen  und  Ver- 
pflichtungen ein,  trennt  die  Unterhaltung  nicht  von  der  Fütterung,  die  Mu- 
sik nicht  von  der  Unterhaltung,  höchstens  die  Fütterung  von  der  Musik. 
Zentralpunkte  sind  das  Essen  und  das  Konzert : alles,  was  maßlos  in  die  Länge 
zieht  und  auf  die  natürlichen  Bedürfnisse,  etwa  zwei  Stunden  lang  mit  Freun- 
den zu  sprechen  oder  Fremde  zu  beobachten,  keine  Rücksicht  nimmt.  Da 
kommt  Caruso.  Und  auf  einmal  bildet  sich  eine  geschlossene  Masse  von  Inter- 
essen, die  sich  auf  diesen  Punkt  richten.  Wochenlang  wird  vorher  diskutiert 
und  das  Problem  der  Billettbestellung  erhitzt  die  Geister.  Man  fühlt  sich 
dem  Ereignis  gegenüber  verpflichtet.  Obwohl  man  sich  in  einer  ruhigen 
Stunde  gestehen  möchte,  daß  man  sicherlich  auch  leben  und  repräsentieren 
könne,  ohne  Caruso  gehört  zu  haben,  kommt  man  in  den  anderen  Stunden, 
die  von  der  Rede  der  Gesellschaft  getragen  werden,  nicht  über  die  Suggestion 
der  Massensehnsucht  hinweg.  Es  ist,  als  ob  in  allen  Salonen  Fäden  gesponnen 
würden,  Fäden  eines  ganz  extremen  Genußwunsches,  einer  letzten,  unüber- 
bietbaren Genußmöglichkeit,  die  irgendwo  geknotet  werden  müssen,  um 
nicht  das  Leben  zu  verwirren.  Caruso  ist  der  Clou.  Ihn  zu  hören  ist  eine 
Hofeinladung  im  Reiche  der  Kunst,  mehr:  eine  Selbstbestimmung  der  Ge- 

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Seilschaft  zu  einer  künstlerischen  Reunion  ohne  Vergleich.  An  diesem  Abend 
bleiben  alle  Zeit-,  Milieu-  und  Unterhaltungs-Verlegenheiten  zu  Hause  und, 
statt  sich  eine  Piece  zu  schaffen,  verlegt  man  sie  in  ein  öffentliches  Theater. 
Stumm  liegt  die  Lösung  auf  den  Gesichtern  der  endlich  befrackten  Herren 
und  endlich  dekolletierten  Damen:  wir  sind  hier  unter  uns  und  wollen  uns 
von  Caruso  begeistern  lassen,  dem  wir  10000  Mark  pro  Abend  bewilligen. 
Wir  sind  die  Carusomenschen,  die  wir  uns  seinetwegen  hier  getroffen  haben 
( — wo  ist  denn  heut  der  Kultusminister  ? — ■),  seinetwegen  und  unseretwegen 
an  diesen  drei  Abenden,  die  am  besten  zu  Anfang  der  Saison  liegen,  und 
wir  klatschen  auf  sein  Bajazzolied. 

Ich  habe,  während  ich  dies  sage,  durchaus  kein  spöttisches  Lächeln  auf 
den  Lippen,  sondern  im  Gegenteil,  wenn  ich  es  mir  so  recht  überlege,  finde 
ich  diese  Carusobegeisterung  höchst  überraschend  und  lobenswert.  Die  Deut- 
schen unterscheiden  sich  von  allen  anderen  Nationen  in  Theaterfragen  da- 
durch, daß  sie  vom  Theater  alles  verlangen,  ohne  ihm  nur  das  geringste  zu 
geben.  Die  romanischen  Völker  gehen  ins  Theater  mit  der  Lust  am  Schauen 
und  dem  natürlichen  Interesse  für  den  Schauspieler  und  Sänger,  in  London 
und  Newyork  ist  es  nicht  anders,  in  Wien  erst  recht  nicht.  Nur  wir,  die  wir 
gar  keine  Theatermenschen  sind,  treten  an  dieses  Institut  mit  allen  mög- 
lichen Forderungen  heran,  die  es  gar  nichts  angehen,  Bildungsfragen,  histo- 
rische Kenntnisse,  Interpretation  — wir  fragen:  ist  das  Shakespeare?  oder: 
spielt  der  den  echten  Schiller  ? Wir  lassen  uns  nicht  leicht  einnehmen  von 
dem  wirklichen  Leben  eines  Theaters,  das  gar  nicht  banal  zu  sein  braucht, 
oder  dem  eines  Sängers,  der  gar  nicht  ein  Reißer  zu  sein  braucht;  ich  glaube, 
wir  verstehen  manchmal  gar  nichts  von  dem  eigenen  persönlichen  Reiz  einer 
originellen  und  phantasievollcn  Aufführung  oder  eines  persönlichen  und  eigen- 
artigen Darstellers.  Die  Komödianten  sind  uns  noch  sehr  Diener  der  Lite- 
ratur, die  Theater  Lesezirkel  und  die  Sänger  Beamte.  Es  ist  wahr,  hier  in 
Berlin  ließ  sich  statistisch  feststellen,  daß  weder  Kraus  noch  die  Destinn 
oder  die  Hempel  jemals  Einnahmen  des  Abends  vermehrt  haben,  nur  weil  sie 
aufgetreten  sind.  Sie  zogen  nicht  im  Engagement.  Die  einzige  war  Geraldine 
Farrar,  die  gewiß  gesanglich  nicht  einwandfrei,  aber  eine  interessante  Per- 
sönlichkeit ist,  als  menschliche,  gesellschaftliche,  mondäne  Erscheinung.  Wäre 
Caruso  hier  engagiert,  wäre  er  vielleicht  der  Prophet  im  Lande.  So  aber  kommt 
er  nur  einigemal,  als  Stern  zu  leuchten,  und  dann  tritt  das  Publikum  aus  seiner 
Reserve  heraus,  und  der  Berliner  ist  nicht  wiederzuerkennen,  der  selbst  an- 
deren illustren  Gästen  gegenüber  so  zweifelnd  und  zurückhaltend  bleibt. 
Hier  ist  es,  daß  er  vom  Theater  nicht  bloß  Beamte  verlangt,  sondern  dem 
Künstler  auch  eine  Liebe,  Verehrung,  Rücksicht  und  Begeisterung  entgegen- 

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bringt,  die  dieser  in  den  wirklichen  Theaterstädten  nicht  ehrlicher  finden 
kann.  Statistisch:  der  Orpheus  der  Schumann-Heink  ist  selbst  am  Sonntag 
leer,  der  Don  Jose  des  Alvares,  die  Carmen  der  Schoder-Gutheil,  die  Isolde 
der  Faßbender  oder  Walker,  der  Falstaff  Maureis,  die  Montccarloer  mit 
Renaud  und  Schaliapin,  Battistini  und  vieles  andere  ist  eine  halbe  Sache, 
Caruso  ist  überzeichnet. 

Und  nun  komme  ich  zur  eigentlichen  Lösung,  zu  dem,  was  mir  an  diesem 
kunstgesellschaftlichen  Phänomen  am  bedeutungsvollsten  erscheint:  Caruso 
ist  nicht  bloß  ein  Liebling  des  Publikums,  sondern  auch,  wie  man  früher 
sich  ausdrückte,  der  Musen,  aller  Musen,  die  ihn  begnadet  haben.  Er  ant- 
wortet der  Begeisterung  mit  wirklicher  Kunst,  und  er  ist  eine  Erscheinung 
von  so  starker  Kraft,  daß  er  Völker  aus  dem  Schlaf  wecken  kann.  So  hat  er 
Berlin  geweckt,  und  er  hat  das  Verdienst,  ihm  jedes  Jahr  wieder  etwas  Thea- 
termut gemacht  zu  haben,  vielen  auch  etwas  Lebensmut.  Ich  spreche  das 
nicht  leichtsinnig  aus,  ich  überschätze  weder  das  Theater  noch  die  Musik 
noch  die  Singerei  — aber  ich  habe  in  den  Augenblicken,  da  diese  wie  aus 
einem  Schlaf  geweckte  Begeisterungsfähigkeit  unserer  Theatergänger  und 
seine  außerordentliche  Kunst  in  Flammen  zusammenschlugen,  in  diesen 
Augenblicken  habe  ich  eine  Daseinssteigerung  erlebt,  die  aus  der  Angelegen- 
heit der  Bühne  wirklich  eine  des  Lebens  gemacht  hat.  Caruso  ist  nicht,  wie 
es  Kainz  war,  Stimmungen  so  unterworfen,  daß  er  in  die  Verlegenheit  kommt, 
an  schlechten  Abenden  seine  Routine,  statt  seine  Rolle  zu  spielen.  Bei  einer 
guten  Stimme  geht  das  nicht,  sie  hat  zuviel  elementare  Kraft  und  Schönheit. 
Aber  seine  fast  gleichmäßige  Kunst  hat  Momente,  in  denen  sie  sich  noch 
über  sich  selbst  hinaus  steigert,  an  einer  Partnerin  entzündet,  oder  sie  be- 
rauscht und  dadurch  sich  selbst  beflügelt.  Eine  kleine  Gemeinde  — wie 
wenig  Menschen  füllen  dies  Opernhaus  — erinnert  sich  ihr  Leben  lang  an 
den  ersten  Aida-Abend  Carusos  mit  der  Destinn,  wie  da  die  beiden  schön- 
sten Stimmen  der  Welt  sich  fanden,  sich  in  Feuer  setzten,  steigerten,  fort- 
rissen, übertrafen  und  wieder  ruhig  zu  machen  suchten,  sich  suchten  und 
liebten  und  vereinigten,  eine  Stimmenhochzeit  feierten,  die  das  Haus  zit- 
tern und  weinen  machte.  Was  Theater  und  Aida  und  Amerika  und  Neapel 
und  Prag  und  Billett  und  Frack  und  Auto  und  Garderobe  — Lebensräusche 
gab  es  von  ungeahnter  Stärke,  gleichzeitiges  Atmen,  saugende  Sinne,  eine 
Empfindung,  als  ob  alle  sängen,  alle,  die  nie  singen  können,  alle  durch  diese 
beiden  göttlichen  Stimmen  ihren  stummen  Gesang  herausholten,  eine  Be- 
freiung für  uns  alle,  die  die  beiden  da  vom  Druck  erlösten  und  in  den  Himmel 
zurückschickten,  wir  an  ihren  Lippen  hängend,  mit  ihren  Kehlen  sprechend, 
mit  ihren  Körpern  fliegend  in  ein  Reich,  voll  Mut  und  Kraft  und  Schön- 

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heit  — nicht  nachdenken,  keine  Worte,  nur  hören  und  hören  in  die  Unend- 
lichkeit. Eine  kleine  Gemeinde  erinnert  sich  dieses  Abends,  wie  ein  Ge- 
heimbund, der  sich  durch  Zeichen  zu  verstehen  gibt:  wir  wissen  es.  Und 
wieder  kam  ein  anderer  Abend,  ein  verschiedener,  neuer,  und  doch  nicht 
schwächerer:  Caruso  mit  der  Hempel  in  der  Boheme.  Statt  zweier  aufglühen- 
der Stimmen  diesmal  das  Schauspiel  einer  wundervoll  führenden  und  einer 
hingebend  geführten  Stimme.  Er  ganz  Kraft  und  Männlichkeit  und  Lebens- 
erfahrung und  Stolz  und  Bewußtsein,  stark  und  voll,  mutig  und  sicher,  sie 
ganz  Weib,  erwachend  und  in  herzlicher  Dankbarkeit,  frühltngshaft  süß  und 
lieblich  fein,  Blüte  und  Farbe  und  Schmetterling,  mit  der  höchsten  Freude 
derer,  die  sterben  sollen.  Die  beiden  gehen  zum  Schluß  des  ersten  Akts  in 
Liebe  dahin.  Ihr  Duett  ist  ein  Naturphänomen.  Auf  seiner  Heldenhaftig- 
keit ist  ihre  Süße.  Er  führt  ihre  Stimme,  wie  der  Tänzer  die  Tänzerin  führt. 
F.r  gibt  der  Phrase  Atem,  Klang  und  Licht  und  sie  folgt  ihm  in  rührender 
Holdseligkeit,  gleich  als  ob  sie  seine  Bogen  füllen,  seine  Linien  vermensch- 
lichen wolle,  im  zitternden  Verlangen  von  entzückender  Natürlichkeit  des 
Stimmausdrucks,  im  hingebenden  Werben  von  reizend  vielfältiger  Anmut. 
Welches  Vergnügen  hatten  alle,  die  das  Haus  besuchten,  um  die  Vereinigung 
dieser  beiden  Organe  zu  studieren  und  zu  genießen,  die  nicht  an  Rollen  und 
Noten  und  Naturalismus  und  Operntechnik  dachten,  sondern  nur  dies  eine 
beobachten  wollten,  was  eben  nur  dort  zu  beobachten  war:  den  Mut  des 
Mannes  und  die  Hingabe  des  Weibes  in  denjenigen  Exemplaren  von  Stim- 
men, die  sie  heute  am  besten  verkörpern  und  die,  auf  schöne  Momente  in- 
einandergefügt,  ein  Wunder  uns  zu  ahnen  geben.  Eine  Stimme  ist  mir  so 
viel.  Eine  Stimme  ist  der  unübertreffliche  Ausdruck  aller  wirklichen  Schön- 
heiten und  aller  zum  Licht  drängenden  Empfindungen.  Die  Stimmen  sind 
verteilt,  in  hundert  Spielarten.  Das  Theater  vereinigt  sie.  Es  ist  ein  Tempel, 
keine  Literaturanstalt. 

Caruso  ist  ein  Kind  im  Leben.  Eine  feine  Unbefangenheit,  eine  spiele- 
rische Naivität  kleiden  ihn  gut.  Man  hört  ihn  selten  von  Kunst  reden,  hier 
und  da  hat  er  einen  Freund,  Schicksale  erregen  ihn,  die  Reise  läßt  sie  ver- 
gessen, die  Welt  ficht  ihn  nicht  an,  er  bleibt  schließlich  für  sich  und  spielt 
mit  den  Dingen.  Er  dalbert  wie  ein  Vierjähriger,  amüsiert  sich  mit  Pianolas 
wie  ein  Zehnjähriger  und  karikiert  mit  wenigen  geschickten  Strichen  seine 
Umgebung,  aber  vor  allem  sich,  wie  ein  Zwanzigjähriger,  der  von  seines 
Vaters  Gelde  lebt.  Wenn  er  die  Bühne  betritt,  löst  es  sich,  der  Neapolitaner 
hat  die  natürliche  Geschicklichkeit,  Rollen  zu  gestalten,  der  Karikateur  hat 
die  größere,  sie  zu  Charakteren  zu  erheben.  Caruso  zwischen  Carmen  und 
Micaela  vor  Verzweiflung  keuchend,  als  Bettler  des  Lebens  und  der  Liebe 

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vor  der  geputzten  Carmen,  die  er  erdolchen  wird,  obwohl  er  fast  vom  Schick- 
sal erfleht,  daß  er  es  so  weit  nicht  treiben  müsse,  Caruso  als  Bohemien  mit 
der  routinierten  Lust  am  Elend  und  dem  Humor  der  kleinen  Lebensfreuden, 
als  Rigolettoherzog,  als  Ricardo  süß  zerfließend  in  seine  frevlerische  Liebe, 
als  Bajazzo  mit  dem  Wissen  um  alles  Bajazzotum  seines  und  deines  und  un- 
seres Lebens,  das  wäre  genug  an  sich.  Es  ist  scharf  und  sicher,  Bilder  eines 
Malers.  Aber  es  ist  nur  der  Fond  für  die  Mimik  seiner  Stimme.  Diese 
Stimme  ist  weit  von  allem,  was  Tenöre  kompromittiert,  von  Affektiertheit 
und  Pose  und  höhlen  Renommagen  hoher  C’s  und  rollender  Passagen.  Sie 
ist  gesättigt  von  Ausdruck  und  Schönheit.  Aus  dem  Körper  kommt  sie,  voll 
und  reich  und  männlich,  eher  dunkel  als  hell,  eher  baritonal  lebenswahr  als 
tenorhaft  kurios,  und  sie  führt  Ströme  von  lagernden  Farben  mit  sich,  die 
sie  auf  ihrem  Wege  verschwendet.  Es  glänzt  braun,  grüne  Lichter  blitzen, 
blaue  Fernen  öffnen  sich,  violette  Ahnungen  streichen.  Die  Stimme  eilt 
nach  den  Lippen  zu,  um  sich  möglichst  vorn  zu  halten,  schön  flach  und 
elegant  leicht  zu  bleiben ; aber  sie  verleugnet  dabei  ihre  tiefe  und  volle  Herkunft 
nicht,  den  Wurzelboden  nicht,  das  eigentümliche  Aroma,  wie  Altistinnen, 
die  gut  in  Höhe  gebildet  werden.  Im  Kopfe  schlägt  sie  dann  eine  neue  Re- 
sidenz auf.  Sie  wendet  sich  zurück  und  läßt,  glockenrein  anklingend,  den 
Piano-Kopfton  entstehen,  in  dem  wie  von  oben  gesehen  alle  Farben  des 
Brustregisters  in  einer  neuen  und  eigentümlichen  Beleuchtung,  ahnungsvol- 
ler und  mystischer,  hindurch  schimmern,  oder  sie  wendet  sich  hinaus  und 
führt  die  melodische  Linie  unmittelbar  durch  die  hohe  Lage  in  ein  Himmel- 
reich von  heroischem  Glanz,  von  heißen  Heldenhaftigkeiten,  in  denen  alles, 
was  dieser  Leib  geben  kann,  in  fortreißender  Kraft  und  Leidenschaft  Aus- 
druck wird:  man  glaubte  die  letzten  Ventile  schon  geöffnet,  nun  erst  wird 
man  des  ganzen  Zaubers  und  der  erschütternden  Freiheit  dieses  Organs  ge- 
wahr, das  Leiden  und  Freuden  mit  unwiderstehlicher  Gewalt  hinausruft. 
Vor  diesem  Heldenton  beugt  sich  eine  Welt.  Er  singt  ihr  Wahrheiten  von 
Schönheit  und  Tugend  entgegen,  die  sie  mehr  überzeugen  als  alle  Ästhetik. 
Sein  Glanz  blendet  himmlisch.  Aber  dies  Wagnis  der  Gottwerdung  einer 
Stimme  ist  dem  Menschen  nur  durch  letzte  Kunst  möglich.  Natur  würde 
Umschlagen,  Kunst  gibt  die  Souveränität.  Man  vergleiche:  Ernst  Kraus  ist 
eine  Natur,  männlich  deutsch  und  kernhaft  siegreich  an  seinen  besten  Aben- 
den, ein  Don  Juan  aber  seiner  Kunst,  die  er  regellos  nach  Laune  und  Stim- 
mung dahingibt,  plötzlich  ein  wahrer  Sänger,  plötzlich  ein  nervöser  Mensch, 
dem  die  kleinste  Störung  die  größten  Verlegenheiten  in  der  Auswechslung 
der  Register  oder  in  der  Tonbildung  unpassender  Lagen  bereiten  kann.  Die 
Destinn  hat  von  der  Natur  das  sinnlichste,  farbigste  Organ,  das  je  einem 

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Weibe  beschert  wurde,  ihre  Kunst  ist  höchster  Instinkt,  Gefühl  für  das  Rich- 
tige, ein  wunderbares  Modellieren  der  Phrase  und  der  Dynamik  während  des 
Singens  nach  dem  Ohr,  nach  der  Kehle,  wie  eine  Impression  von  Kunst, 
deren  Entstehung  man  Zusehen  kann.  Lilli  Lehmann  hatte  den  weitesten 
Horizont,  den  je  eine  Sängerin  beanspruchte:  sie  kann  Heroisches  und  Kolo- 
raturiges, Deutsches  und  Italienisches,  bleibt  dabei  kühl  und  bewahrt  sich 
hygienischer,  als  irgend  eine  andere,  die  Technik.  Die  Hempel  wird  an  Hori- 
zont sie  nicht  erreichen,  obwohl  sie  schon  von  der  Hugenottenkönigin  bis 
zur  Mimi  herrscht,  aber  sie  wird  an  persönlicher  Farbe  und  Herzlichkeit  des 
Vortrags  diese  Begrenzung  quittieren.  Man  vergleiche:  den  einen  ist  dies, 
den  anderen  das  gegeben  und  jeder  stellt  einen  einseitig  wertvollen  Typus 
dar.  Caruso  hat  nichts  Typisches,  er  ist  kein  wunderbares  Fragment,  er  er- 
setzt nicht  durch  Tugenden  seine  Mängel,  sondern  er  ist  ein  Gesamtkunst- 
werk von  Sänger,  das  man  für  unmöglich  halten  müßte,  wenn  es  nicht  lebte. 
Das  Stimminstrument  hat  er  wie  die  Melba,  den  Horizont  wie  die  Lehmann, 
die  Farbe  wie  die  Destinn,  ein  Kerl  ist  er  nicht  weniger  als  Kraus,  und  die 
Sembrich  übertrifft  ihn  nicht  an  mondänem  Glanz.  Seine  Technik  ist  die 
aller  Großen:  sie  steht  sicher  und  fest  vor  dem  Gesang  da,  die  Phrase  ist 
gebildet,  ehe  sie  erscheint,  die  Dynamik  verteilt,  ehe  sie  beginnt,  alles  Ge- 
sungene ist  ein  Werk  Überlegtester  Disposition,  in  der  Atem  und  Bindung 
keinem  Zufall  überlassen  bleiben.  Wie  entzückend  leicht  scheint  er  die  Donna 
mobile  hinzuträllern,  wie  sich  zu  freuen  über  gewisse  Atembogen,  die,  indem 
sie  ein  paar  Noten  mehr  hineinnehmen,  diesen  eine  neue  seelische  Nuance 
leihen,  wie  scheint  er  zu  improvisieren  in  dem  ihm  eigentümlichen  Hinauf- 
ziehen hoher  Töne,  die  er  wie  lustwandelnd  durch  die  Skala  sucht  — und 
doch  ist  dies  alles  Technik  der  Technik,  genialster  Fleiß,  ein  Studium,  das, 
von  der  Eigenart  der  Stimme  ausgehend,  sie  in  Gesetze  bringt  und  die  Phrase 
bis  aufs  letzte  Detail  lebendig  macht,  wieder  zurück  nach  der  Natur  hin. 
Das  ist  etwas  einziges.  Der  Ästhetiker  würde  sagen:  das  besondere  ist  allge- 
mein geworden,  der  Stil  Persönlichkeit.  Wir  sagen  einfach:  es  ist  ein  benei- 
denswerter Künstler,  der  so  viel  schulmäßige  Technik  lebendig  zu  halten 
und  so  viel  frische  Natur  in  Form  zu  bringen  weiß.  Möge  uns  allen  eine 
Ahnung  davon  beschert  werden. 

Möge  uns  allen nein,  es  ist  nicht  das  Singen  und  die  Noten,  schöne 

Stimmen  sind  Götter,  die  uns  wirklich  helfen  und  uns  sogar  die  ewigen  Ge- 
bete abnehmen.  Sie  schwimmen  wohl  im  Glanz  der  Gesellschaft,  werden 
über  Erdteile  exportiert,  durch  Pullmanwagen  transportiert,  in  Kostüme  ge- 
steckt und  gegen  Billettkassenscheine  gezeigt  oder  auf  Grammophone  ge- 
zogen, aber  das  alles  hat  ihnen  noch  nichts  geschadet.  Die  Fürsten  der 

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Renaissance  und  die  Flugtechniker  von  heute  suchen  sie  in  gleicher  Weise. 
Sie  ahnen  da  etwas,  was  ihr  Leben  ihnen  sonst  nicht  gibt:  die  letzte  Schön- 
heit menschlichen  Ausdrucks,  die  sie  stündlich  berufen  sind  zu  versäumen. 
Und  wenn  sie  nicht  mehr  Fürsten  und  nicht  mehr  Aviatiker  sein  werden, 
das  frohe  Singen  werden  sie  nicht  zu  Schaden  bringen. 


Franzosen 

MASSENET  ist  tot,  er  lebte  in  den  Herzen  aller  Weichtonigen.  Es  war 
ein  etwas  schleimiger  Ausfluß  der  alten  tragedie  lyrique.  Sehr  verbrei- 
tet und  vielen  allzu  willkommen.  Sein  Werther  ging  am  erfolgreichsten 
über  die  Grenzen  von  Paris,  er  kam  in  Wien  heraus.  Dort  hatte  er  seinen 
verführerischen  Klang,  in  Paris  (das  Orchester  der  opera  comiquc  spielt  ihn 
unendlich  zärtlich)  verlor  er  nur  wenig,  hier  im  Norden  alles.  Das  Frosch- 
gefühl, das  ich  in  der  Erinnerung  hatte,  wurde  ich  nicht  los.  Ich  meine: 
diese  Musik  streckt,  wie  ein  Frosch  den  Menschen  nachzumachen  scheint. 
Arme  und  Füße  von  sich,  verwandelt  sich  je  nach  den  Umständen  in  Italieni- 
sches, Wagnersches,  Pariserisches  (es  gibt  Laub-  und  Wasserfrösche),  klet- 
tert, wenn  sie  gefangen  ist,  immer  am  Glase  hoch,  und  ist  eiskalt,  wenn  man 
sie  anfaßt.  Massenet  ist  ein  Routinier  und  hat  keine  Physiognomie.  Er  er- 
setzt durch  äußeren  Rausch  und  buntgestimmte  Akkorde,  was  ihm  an  Phan- 
tasie fehlt.  Wenn  er  sich  in  ein  Motiv  verliebt,  so  ist  es  nicht  auszuhalten, 
er  klimpert  es  sich  unaufhörlich  vor  und  hat  dabei  so  einen  Schmelz  in  den 
Noten,  der  unangenehm  ist.  Den  Weltschmerzlichen  wird  die  triste  Schluß- 
weise gefallen,  den  Sentimentalen  das  große  Liebesduett,  den  Tänzerischen 
die  Liedchen  von  Lottes  Schwester.  Uns  aber  wird  schwammig  und  schwind- 
lig bei  dieser  Musik.  Sie  rutscht  eben  egal  hin  und  her,  mal  rauf,  mal  runter, 
mal  traurig,  mal  lustig,  mal  geheimnisvoll  mit  Cello,  mal  prustig  mit  Posaune, 
könnte  ewig  so  weiter  gehen,  aber  hört  schon  nach  21/«  Stunden  auf. 

Der  Werther.  ist  so  gefühlvoll,  daß  man  sich  denken  kann,  wie  herz- 
liche Szenen  aus  ihm  zu  gewinnen  wären.  Schon  das  Brotschneiden  der 
Lotte ! Ach,  wenn  Goethe  geahnt  hätte,  welche  Folgen  dieser  Moment  noch 
in  späten  Jahrzehnten  haben  würde,  da  er  seine  Lotte  einmal  das  Brot  schnei- 
den sah.  Das  Brotschneiden  ist  der  Kernpunkt  des  ersten  Aktes.  Jetzt  ist 
es  um  W'erther  geschehen  und,  kaum  daß  der  Mond  sein  bewährtes  Antlitz 
leuchten  läßt,  so  singen  sie  das  große  Duett.  Der  Fall  ist  so  einfach  wie  mög- 
lich. Es  lieben  sich  zwei,  sie  ist  vergeben,  er  ist  verzweifelt.  Diese  traurige 
Wahrheit  stellt  der  zweite  Akt  auf  dem  Kirchplatz  dar.  Hier  im  Freien  lassen 

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sich  Episoden  machen,  was  weidlich  ausgenutzt  wird.  Jetzt  aber  muß  mal 
Lotte  einen  ordentlichen  Akt  bekommen:  die  Szene  ist  in  ihrem  Zimmer, 
sie  singt  lyrisch  und  dramatisch,  bis  Werther  erscheint  und  eine  schreckliche 
Leidenschaft  entwickelt,  die  in  seinem  Originalbrief  endigt : „Ich  reise.  Sen- 
det mir  eure  Pistolen.“  Ich  hatte  das  Schlußbild  vergessen.  Ich  dachte, 
Werther  wird  nun  noch  etwas  längeres  in  seinem  Zimmer  singen,  die  Pistole 
ergreifen,  der  Vorhang  fällt,  die  Musik  spielt  weiter  und  endigt  in  dem  Knall 
auf  der  Bühne,  als  letzte  Note.  Aber  es  war  ganz  anders.  Werther  schießt 
schon  im  Zwischenspiel  und,  wenn  der  Vorhang  aufgegangen  ist,  kommt 
Lotte  noch  zu  ihm  und  sic  singen  beide.  Wie  peinlich!  Jetzt  muß  er  sagen 
„Verzeih  mir!“  und  sie  muß  sagen  „Zu  spät!“  und  sie  machen  Vater  Goethen 
Schande.  An  diesem  Punkt  erkennt  man  schaudernd,  wozu  die  Textdichter 
ihre  Vorlage  benutzt  haben. 

Über  Manon  sprach  ich  bei  Puccini.  Den  Jongleur  de  Notre  Dame  habe 
ich  vergessen  — die  Gestaltlosigkeit  Massenets  haftet  nicht,  es  läuft,  ein  Brei, 
geschickt  gerührt.  Ich  mochte  ihn  nicht. 

Saint  Saens  ist  dagegen  der  Meister  seines  Fachs,  durchaus  vieux  jeu,  aber 
gediegen  und  phantasievoll  genug  in  seiner  Arbeit.  Samson  und  Dalila 
hat  Haltung.  Die  Chöre  sind  ausgezeichnete  Schule,  im  Gegensatz  des  He- 
bräischen und  Phönizischen;  eine  ora torische  Wirkung  im  Stil  der  großen 
historischen  Oper,  aber  mit  den  Farben  der  neuen  exotischen  Richtung, 
die  in  der  Psalmodie  der  Juden,  im  Bacchanal  der  Heiden  aufglühen. 
Der  Satz  ist  streng,  ohne  jede  verräterische  Liebenswürdigkeit,  die  nur  dann 
wahr  wird,  wenn  sie  wirklich  verräterisch  zu  spielen  hat:  in  den  berühm- 
ten Liedern  der  Dalila,  die  von  einer  großen  melodischen  Anmut  sind.  In 
Heinrich  VIII.  sind  es  ähnliche  Wirkungen,  vielleicht  noch  traditioneller: 
Themen  aus  englischem  Nationalbesitz,  tadellose  Faktur  der  Ensembles,  be- 
währte Milieu-Intermezzi,  Ehrfurcht  vor  der  alten  Form  auch  gegen  die 
Psychologie,  viel  Gefühlsmelodik,  und  der  schwungvolle  Hymnus  der  an- 
glikanischen Kirche.  Alles  schön  gerahmte  Proben  der  wohlerzogenen  fran- 
zösischen Schule  mit  lyrischen  Melismen,  Chordisposition,  Tanzgelegenheit, 
Nationalistikund  anständigem  dramatischen  Schema,  wie  es  zur  Sache  gehört. 
Eine  wesentliche  Beziehung  zur  Gegenwart  ist  nicht  vorhanden.  Lalo  muß 
in  demselben  Zusammenhang  genannt  werden,  auch  Bruneau,  der  Zola- 
verehrer. Chabrier  aber  verdient  die  Extranote  durch  den  sublimen  Geist, 
mit  dem  er  nicht  nur  wie  jeder  Franzose  seine  Erziehung  zu  beleben  ver- 
stand, sondern  sie  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  überwand.  Gwcndoline 
war  ein  merkwürdiges  Kompliment  gegen  Wagner.  Das  Fragment  Briseis 

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gehörte  zu  den  zartesten,  musikalisch  erfindungsreichsten  Gebilden  der 
französischen  Oper  auf  den  Wegen  von  der  alten  Schule  zu  neuen  Ver- 
suchen. 

In  der  Mitte  der  Zeiten  steht  am  bedeutungsvollsten  Charpentiers  Luise, 
das  große  Lied  auf  Paris,  das  im  Rausche  die  Welt  durchklang  — dieses 
Paris,  das  den  Genuß  und  die  Liebe  mit  der  Freiheit  versöhnen  will,  das  Bett- 
ler und  Künstler  mit  dem  Sacre  coeur  krönt,  das  im  Schellengewande  durch 
die  Nächte  flirrt,  nach  Rosen  duftet  und  einen  wundervollen  Mai  hat,  das 
klingende,  singende  Paris  der  Boheme  liegt  nicht  in  Frankreich,  liegt  in  keinem 
geographischen  Lande,  es  ist  der  Traum,  die  Erinnerung  der  Menschen,  die 
schöne  reisende  Legende,  die  Künstler  aus  alten  Zeiten  in  die  Welt  trugen. 
Paris  ist  ein  Name,  Lutetia  ist  ein  Feenland,  ein  Stückchen  Heimat  aller, 
die  freies  Blut  und  feine  Nerven  haben.  Wir  hängen  an  Paris,  der  Stadt,  in 
der  jeder  seine  eigene  Stadt  findet  und  die  wir,  stürbe  sie  auch,  in  einer  seli- 
gen Dankbarkeit  nicht  aus  unseren  besten  Tagen  streichen  könnten.  Um 
Montmartregcfühle  zu  haben,  um  den  Hauch  von  Paris  zu  lieben,  um  Paris 
sinnend-träumerisch  oder  bacchantisch  zu  besingen,  braucht  man  kein  Fran- 
zose zu  sein,  ja  man  ist  sogar  besser  kein  Franzose,  ein  Allerweltsbürger  wie 
der  Sozialist  Charpentier,  und  aus  den  Erlebnissen  der  Jugend,  aus  der  Sehn- 
sucht der  Fremde  wird  Paris  das  Symbol,  der  Montmartre  eine  Allegorie, 
dessen  Völkersprache  von  Schönheit  und  Elend  und  »Traum  und  Tod  in 
Musik  geschrieben  werden  will.  Und  es  tönen  alte  Lieder  von  verlassenen 
Idealen,  von  freier  Liebe,  vom  Glück  der  Selbstbestimmung,  von  der  Niedrig- 
keit der  Tradition,  Lieder,  die  nicht  mehr  das  Blut  von  Revolutionen  haben, 
legendarische  Gesänge  wie  von  Robespierre  oder  von  Siegmunds  Liebe,  die 
Geschichte  und  Heldensang  wurden,  die  Theater  und  Oper  wurden  und 
sich  mit  dem  Spott  der  Straßenjungen  und  den  starren  Rufen  der  Waren- 
verkäufer zusammenfinden.  Arme  Luise,  du  bist  diesem  Zauber  verfallen. 
Du  bist  der  Oper  verfallen,  die  dir  diese  fadenscheinige  Boheme  aufführt, 
du  sprichst  die  Phrasen  nach,  die  dir  dein  Liebhaber  ins  Gehirn  jagte,  du 
bist  berauscht  von  dem  Feuerwerk  und  Lichterglanz  dieser  grausamen  Stadt 
und  du  leidest  unendlich  mehr,  als  die  wirklich  Leidenden,  deine  Eltern. 
Deine  Mutter  ist  gehässig,  dein  Vater  ein  Philister,  es  sind  einfache  Naturen, 
einfache  Tragik.  Du  aber  gehst  am  Gift  des  Glücks  zugrunde.  Ist  dies  noch 
Paris  i 

Charpentier  hatte  die  Wahl,  diesen  Stoff  als  eine  bittere  Komödie  oder 
als  eine  opernhafte  Apotheose  zu  dichten.  Vielmehr,  ich  fürchte,  er  hatte 
die  Wahl  nicht.  Er  hing  an  seinen  Jugenderlebnissen,  er  verachtete  die  wider- 

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spenstigen  Eltern  der  Luise,  er  fraternisierte  mit  ihrem  phrasenhaften  Ga- 
lan, er  wollte  die  Boheme  krönen  und  so  komponierte  er  die  Oper.  Die 
Boheme,  die  einst  Murger  mit  einer  süßen  und  geistvollen  Ironie  so  tief 
in  das  Leben  eingestellt  hatte,  gebar  hier  die  Phrase,  die  sie  einst  selbst  be- 
kämpfte, die  Zwciflerin  stickte  sich  selbst  eine  Aureole,  sie  setzte  sich  in  Fest- 
stimmung, Glorie  und  bengalisches  Licht.  Sie  wurde  hoffähig.  Paris  wurde 
ihr  Festlokal,  Philosophen,  Künstler,  Milchfrauen,  Schutzleute  und  Nacht- 
schwärmer die  Masken  des  Abends,  der  trällernde  Rhythmus  des  Genusses 
ihr  Siegeslied.  So  waren  die  Requisiten  für  die  Oper  beisammen. 

Ungern,  aber  notgedrungen  stelle  ich  mich  mit  Charpentier  auf  diesen 
Standpunkt  der  Oper  und  bekenne,  daß  er  einen  der  besten  — Stoffe  be- 
handelt, einen  der  besten  — Texte  verfaßt  hat.  Dabei  ist  zu  bemerken,  daß 
die  Veroperung  des  Stoffes  nicht  sofort,  sondern  erst  im  Verlaufe  sich  verrät. 
Die  abendliche  Aprilstimmung  im  bescheidenen  Hause  der  Eltern,  mit  der 
das  Stück  beginnt,  ist  getroffen.  Einzig  die  Mutter  trägt  sich  schon  mit 
den  Allüren  der  Opernintrigantin.  Der  Vater  ist  gut,  ein  behaglicher  Phi- 
lister, froh  der  dummen  Ordnung  dieser  Welt.  Mit  feiner  Empfindung 
wird  der  Vorhang  genau  über  der  Stelle  gesenkt,  da  Luise  ihm  ein  albernes 
Frühlingsfeuilleton  aus  der  Zeitung  vorzulesen  beginnt:  ein  literarischer  Akt- 
schluß. Jetzt  naht  der  graue  Montmartremorgen,  wo  sich  die  verspätete  Lust 
der  Nacht  mit  den  verfrühten  Arbeitern  und  Straßenhändlern  mischt:  ein 
origineller  und  weitgespannter  Hintergrund  für  die  wenig  originelle  und  fade 
Boheme.  Das  Schneiderinnenatelier  ist  ein  glückliches  Intermezzo,  in  dem 
sich  aber  Fräulein  Luise  schon  allzu  operettenhaft  benimmt.  Die  Operette 
führt  sogleich  zur  Oper.  Die  Liebenden  feiern  sich  in  der  großen  Pariser 
Phrase,  das  Bohemefest  bringt  den  nötigen  Bühnenzauber  und  die  Rache 
folgt  auf  dem  Fuße,  in  Gestalt  der  Mutter.  Sehr  peinlich.  Die  verlorene 
Tochter  kehrt  noch  einmal  zurück,  dann  sagt  sie  für  immer  Lebewohl  und 
der  Vater  ballt  seine  Faust  gegen  Paris.  Luise  ist  der  Veroperung  verfallen. 
Als  Erlebnis  — eine  heilige  Erinnerung,  als  Pariser  Schauspiel  ein  gutes  Stück 
von  uns  selbst,  als  literarische  Intention  unter  den  Musikern  unleugbar  sym- 
pathisch, als  „Musik-Roman“  zu  sehr  Musik,  um  Roman  zu  sein,  — und  als 
Musik  ? 

Als  Musik  ohnmächtig,  wo  sich  die  Kraft  zeigen  sollte,  ein  wenig  witzig, 
wo  die  Routine  half,  phantasielos,  wo  sich  aus  dem  Alltagsleben  der  Arbeiter- 
familie, aus  den  grauen  Morgenstimmungen,  aus  den  ethischen  Anwandlun- 
gen neue  Gebilde  hätten  ergeben  können.  Charpentier  ist  veralteter  als  Puc- 
cini  in  seiner  Boheme,  als  Giordano  im  Andre  Chenier.  Jener  hat  größere 
Gestaltungsfähigkeit,  dieser  mindestens  mehr  Geist.  Charpentier  verläßt  sich 

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auf  die  bewährte  Automobilkraft  der  Motive.  Er  vergaß  dabei,  auch  ein 
einziges  originelles  zu  erfinden.  Er  glaubt  an  sie,  aber  sie  geben  ihm  keine 
Antwort,  er  beschwört  sie  mit  großen  Septimen,  rüttelt  sie  mit  pikanten 
Rhythmen,  dreht  und  wendet  sie  durch  zahllose  Sequenzen,  aber  sie  fallen 
immer  wieder  um  und  bleiben  stumm.  Er  war  so  unglücklich,  statt  der  bit- 
teren Komödie  sich  für  die  Oper  zu  entscheiden,  und  ist  jetzt  noch  viel  un- 
glücklicher, die  Oper  nicht  schreiben  zu  können.  Er  kann  nicht,  er  kann  nicht. 
Bisweilen,  wie  im  Vorspiel  zum  dritten  Akt,  ist  er  ganz  verlassen,  bisweilen 
reißt  ihn,  wie  im  Atelier  der  Schneiderinnen,  im  großen  Bohemefest,  die 
Erinnerung  an  bewährte  Effekte  etwas  hoch,  meist  laviert  er,  äußerlich  und 
auch  innerlich  ohne  Tonalität.  Note  neben  Note  ordnend  mit  gelegentlicher 
geistreich-französischer  Nonchalance,  und  er  verliert  völlig  die  Proportion 
zum  Drama.  Läuft  das  Drama  von  selbst,  wie  beim  ersten  Aktschluß  mit 
der  Zeitungslektüre  oder  beim  Ausbruch  des  Vaters  gegen  Ende,  so  gelingt 
wohl  die  dynamische  Linie  des  Dekreszendo  oder  Forzato.  Wo  es  aber  nicht 
episch  läuft,  sondern  Zusammenhalten,  Höhepunkte,  Kontraste,  Ordnung, 
seelische  Kontrapunktik  verlangt,  da  liegt  er  hoffnungslos  brach.  Die  gute 
Idee  mit  den  Straßenrufen  ist  musikalisch  völlig  unfruchtbar  ausgefallen. 
Die  Lobgesänge  auf  Paris  bleiben  leer  und  kraftlos.  Und  jeder  Übermut 
fehlt,  jedes  Aufrasen  der  Lust  von  Paris,  jede  tolle,  flammende,  verschlingende 
Passion,  in  der  die  Natur  zu  ihrem  Recht  kommt.  Charpentier  geht  nicht 
durch.  Er  gestaltet  nicht  einmal  das  Durchgehen.  Er  ist  kein  Bohemien, 
sondern  ein  Bürgersmann,  der  eine  Geschichte  erzählt,  die  einige  schrift- 
stellerische Pointen,  w-enig  Temperament  und  viel  Langeweile  hat . . . 

In  Paris  lernte  ich  es  kennen,  wo  ich  auf  jeden  stofflichen  Reiz  des  Mont- 
martre mein  Leben  lang  reagieren  werde.  Es  war  das  Ausstellungsjahr,  ich 
sah  das  illuminierte  Paris  und  wollte  erst  nicht  viel  unterscheiden  zwischen 
meinen  Illusionen  und  denen,  die  da  von  Julien  und  Luise  gesungen  wurden. 
Es  war  doch  das  illuminierte  Paris.  Nun  bin  ich  wieder  hier  und  sehe  auf 
sorgenvolle  Parkettbesucher  und  schlecht  bewegte  Sängerinnen.  Ich  sehe 
auf  die  falschen  gemalten  roten  Dächer  von  Paris.  Ach,  wenn  ich  heut  abend 
noch  hinreiste  zu  den  wirklichen  grauen  Dächern,  und  den  wirklichen  schwin- 
delnd hohen  Balkoncn  und  den  koketten  Schornsteinen „o  Paris!“  — 

Der  Bruch  mit  der  Überlieferung  tritt  in  jener  Sezession  von  Paris  auf, 
die  sich  um  die  Schule  von  Vincent  d’Indy  gruppiert.  Seine  eigenen 
Opern,  wie  die  von  Cesar  Franck,  haben  nicht  die  Lebenskraft.  Aber  an  dieser 
Stätte,  in  der  Schola  cantorum,  die  den  Orpheus  des  Monteverdi  aufgeführt 
hat,  die  die  Psalmodie  des  Mittelalters  wie  eine  Reliquie  pflegt,  die  die  Geister 

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einer  scharfen  räsonieren- 
den Richtung  vereinigt, 
fiel  das  Samenkorn  zur 
Revolution,  die  nichts  als 
Reaktion  wird. 

Debussy  komponiert 
Pelleas  und  Melisande.  Er 
läßt  den  Text  Maeterlincks 
in  seiner  wundervollen 
Reinheit  und  Transparenz 
bestehen.  Er  veropert  ihn 
nirgends  durch  Chöre,  En- 
sembles, Lieder  und  jede 
Art  formeller  Begrenzung, 
wie  sie  Strauß  noch  kennt. 

Strauß  ist  phantasievoller, 
landschaftlich  reicher,  De- 
bussy ist  logischer  und  kon- 
sequenter. Es  sind  viele 
bessere  Opern  geschrieben 
worden,  aber  keine,  die  so 
auf  das  letzte  Maß  der 
Räson  gebracht  ist.  Man 
kann  ihm  nicht  eine  der  rei- 
zenden Dummheiten  vor- 
werfen, die  die  Musik  am 
Leben  erhalten.  Er  hat  alle  Selbstherrlichkeiten  der  Musik  der  moder- 
nen Intelligenz  zum  Opfer  gebracht.  Kaum  eine  motivische  Erinnerung 
ist  ausgearbeitet,  kaum  eine  eigene  Wirkung  durchgesetzt.  In  der  Turm- 
szene, da  Melisande  ihr  Haar  öffnet,  in  der  Liebesszene  des  finsteren 
Gartens,  beim  Aufsteigen  aus  den  Grotten  sind  die  Akzente  von  selbst 
da;  sonst  geht  es  gleichmäßig  fort  in  wiegenden  Triolen,  schleichenden 
Nonen  und  verketteten  alteriertcn  Harmonien  der  geistreichsten  Pariser 
Schule,  hier  und  da  ein  naturalistischer  Anldang,  eine  weiche,  von  kleinem, 
vielfach  solistischem  Orchester  gespielte,  vom  Gesang  rein  psalmodisch  aus- 
geführte Musik,  die  zwischen  zärtlichstem  Gefühl  und  soigniertestetn  Esprit 
dahingleitet. 

Es  wurde  ein  Werk  von  prinzipieller  Bedeutung.  Die  kühle  Seele  einer 
Musik,  die  von  schamhaften  Impressionen  duftete. 

5°9 


Debussy.  Porträt  von  Blanche 


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Hier  ist  der  Kampf  gegen  die  ererbte  Oper,  der  bewußte  Kampf  gegen 
Wagner.  Wagner  ist  noch  Architektur,  noch  Materie,  noch  viel  zu  wenig 
Psychologie.  Dem  französischen  Empfinden,  das  stets  von  der  Sprache  aus 
die  Oper  regeneriert  hat,  schmeichelt  cs,  wieder  einmal  das  Drama  von  der 
Symphonie  durchaus  zu  trennen,  das  Drama  ohne  jeden  Operneingriff  psalmo- 
dieren,  das  Orchester  ohne  jede  dramatische  Beteiligung  illustrieren  zu  las- 
sen. Es  ist  die  äußerste  Konsequenz  psychologischer  Logik,  noch  ein  Schritt 
weiter  und  die  Musik  hört  überhaupt  auf.  Selbst  die  Aktschlüsse  laufen  nach 
ihrem  seelischen  Prozeß  aus,  ohne  jede  Rücksicht  auf  gewohnte  Stilisierungen. 
Die  spiritualistische  Form  dieser  Phantasie  hat  einen  großen  Reiz  für  alle 
fein  empfindenden  Geister,  sie  ist  eine  gefühlte  Notwendigkeit,  ein  zartes 
Schicksal  der  Oper,  die  einmal  diese  Entzauberung  des  Liedes,  Ensembles, 
Motivisch-Symphonischen  bis  hart  an  das  reine  Drama  durchmachen  mußte, 
an  ein  Drama,  das  selbst  schon  untcrmusikalisch  klingt,  und  keiner  konnte 
diesen  Weg  artifizieller  führen  als  Debussy,  ein  Poet  des  Tones,  delikat  wie 
ein  Kunstgewerbler,  erlesen  in  jeder  Sekunde  des  Geschmacks,  ohne  Pathos, 
ohne  alle  Demokratie  — aber  süß  wird  die  Rache  der  Musik  sein. 

Zwischen  den  Völkern 

ZWISCHEN  der  Verve  der  Italiener,  der  geistigen  Sensibilität  der  Fran- 
zosen, der  staatserhaltenden  Arbeit  der  Deutschen  gibt"  es  eine  Gruppe 
von  Komponisten,  die  dem  Klima  ihres  Landes  entwachsen  und  Weltbürger 
sein  wollen;  oder  sein  müssen.  Ich  möchte  sie  herausnehmen  und  in  Abrissen 
ihrer  Hauptwerke  hinstellen.  Vielleicht  bietet  keine  Gruppe  stilistisch  mehr 
Anregung.  Wolf-Ferrari,  ein  Venezianer,  strebt  zwischen  Archaismus,  Ita- 
lien und  deutschem  Musikertum.  Busoni,  der  Italiener,  und  Delius,  der 
Engländer,  neigen  der  französischen  Sezession  zu.  D’ Albert,  der  geborene 
Schotte,  ist  nicht  so  weit  von  Mailand  als  von  Deutschland.  Alle  vier  hatten 
in  ihren  Eltern  deutsches  Blut,  ihre  Werke  wanderten  entgegengesetzt  aus. 
Diejenigen,  die  den  italienischen  Einschlag  haben,  zeigten  sich  sehr  lebens- 
kräftig; die  gallisierenden  weniger,  aber  sie  trieben  revolutionäre  Geister 
mächtig  an.  Noch  wandelt  sich  alles.  Indessen  hängen  hier  einige  Bilder 
dieser  internationalen  Mischfarben. 

Die  neugierigen  Frauen. 

Wie  erholen  wir  uns  von  Wagner  ? Die  schweren  Akkorde  und  ekstati- 
schen Melodien  haben  lange  auf  uns  gelastet,  sie  haben  uns  in  geheim- 
nisvolle Tiefen  geführt  und  uns  mit  einer  kosmischen  Glückseligkeit  erfüllt, 

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sie  haben  die  Leier  der  musikalischen  Welt  schwellen  gemacht  und  über  die 
Erdteile  rauschende  Hymnen  von  Gott  und  Liebe  klingen  lassen,  in  allen 
Idiomen  und  Phantasien,  bis  wir  in  diesem  wundervollen  Meere  zu  ertrinken 
drohten.  Nun  steigen  wir  wieder  ans  Land,  schütteln  das  schwere  Wasser 
von  unseren  Gliedern,  ziehen  leichte  Sommerkleider  an,  setzen  uns  auf  Korb- 
stühle und  verlangen  lächelnd  den  Trost  einer  Reaktion.  Wir  wollen  heiter 
werden,  spielen  und  singen  und  einige  dekorative  Tugenden  üben,  die  allzu 
sehr  unterdrückt  schienen. 

Wir  wissen,  daß  das  nicht  tief  und  nicht  groß  und  nicht  kraftvoll  ist, 
aber  gerade  deswegen  erziehen  wir  uns  dazu.  Denn  es  ist  uns  nicht  gegeben, 
in  einem  fortlaufenden  Zuge  groß  und  schicksalsvoll  zu  sein.  Wir  brauchen 
die  Erholung,  auch  wenn  sie  nichts  wäre  als  die  Ruhe  vor  der  neuen  Tat. 
Aber  sie  ist  mehr,  sie  hat  ihren  eigenen  Stil  und  erfüllt  einen  Teil  unserer 
Seele,  den  wir  nicht  vermissen  möchten,  den  wir  mit  einer  köstlichen,  duf- 
tenden Sorgfalt  pflegen. 

Mozart  ist  in  diesen  Stunden  unsere  Seligkeit.  Dieser  geliebte  Opcrn- 
mensch,  der  so  voll  von  reizenden  Einfällen  war,  so  anmutige  kleine  Schlösser 
aus  den  zierlich  gewechselten  Harmonien  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
baute  und  nichts  verachtete,  was  die  Musik  ihm  schenkte.  Er  war  dem  hoch- 
zuverehrenden, aber  recht  maliziösen  Moloch  der  Ausdruckswahrheit  nicht 
unbedingt  verfallen.  Er  machte  Ensembles,  weil  sie  musikalisch  sind,  mögen 
sie  auch  unwahrscheinlich  sein.  Die  Musik  ist  schon  an  sich  so  unwahr- 
scheinlich schön,  daß  es  auf  ein  paar  reizende  Sünden  mehr  nicht  ankommt. 
Laßt  alle  Poesie  und  Lebenswahrheit  in  diese  bezaubernde  Form  eingehen, 
in  dieses  leichtgebaute  Freundschaftstempelchen,  wo  jede  Leidenschaft  zum 
erhabenen  Gesang  wird,  jede  Stimmung  zur  wohlgerundeten  Arie,  jede  Hoff- 
nung zur  süßen  Sentimentalität,  jede  Eifersucht  zu  einem  kanonischen  Duo 
und  jedes  Übermaß  an  Handlung  zu  einem  stillgebändigtcn  Ensemble  takt- 
voll abgestimmter  Soli.  Uber  allem  leuchtet  die  Phantasie  der  Erfindung, 
und  tief  unten  schimmert  etwas  von  Lebensglück  und  resignierter  Philosophie 
hindurch. 

Die  heiteren  Liebhaber  der  Oper  sitzen  durch  die  Zeiten  ohne  viel  Schul- 
halterei verstreut,  auf  weichen  Kissen,  auf  grünen  Bauernstühlen,  auf  ele- 
ganten Salonchaisen,  je  nach  dem  kleinen  Kreise  von  Freunden,  der  ihrer 
Unterhaltung  lauscht.  Smetana  hatte  diese  Natur  aus  dem  Volksboden,  und 
in  einigen  seiner  Ensembles  oder  sehnsüchtig  einfachen  Liebesmotive  ist 
mehr  innerer  Klang  und  musikalische  Musik  als  in  mancher  großen  Schick- 
salsszene. Verdis  Falstaff  ist  die  Krone  der  ganzen  Reihe.  Die  jungen 
Italiener  haben  uns  mit  roher  Hand  von  den  dämonischen  Opern  erlöst, 

511 


r 

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i alte  feine  Herr  aber  tat  es  mit  Silberfäden  und  auf  Tanzrhythmen, 
hüpft  der  Ton  kichernd,  neckend,  sommernachtstraumhaft  durch  In- 
mente und  Kehlen,  und  selbst  das  Pathos  hat  seinen  deliziösen  matt- 
enen  Rahmen.  Der  Falstaff  wurde  zum  Propheten  aller  derer,  die  ohne 
ahetentum  waren,  die  sich  die  Arme  erleichtern  wollten  und  von  einem 
rgen  der  Musik  träumten,  an  dem  freie  Stimmen  wie  die  Vögel  in  den 
amel  jauchzten.  Cornelius  hatte  diese  Zukunft  verdient,  aber  nicht  ge- 
lt. Das  Stilgefühl,  die  zweifelhafteste  Tugend  unserer  Zeitgenossen,  wird 
die  Reihe  genialer  Musikoptimisten  mindestens  um  einige  achtbare  Mei- 
r vermehren  helfen.  Das  Stilgefühl,  nicht  das  Sachgefühl.  Aber  wenn 
licht  anders  geht,  muß  diese  Gefahr  mitgenommen  werden,  um  des  holden 
des  willen.  Man  hat  gesehen,  wie  entzückend  die  Feder  d’Alberts  floß, 
er  seine  „Abreise“  schrieb : eine  bürgerliche  Empireoper  mit  Biedermeier- 
mitt  in  den  Melodien,  schamhaften  Gefühlsfeinheiten,  naiven  rhythmischen 
hönheiten  und  in  leichten,  tönenden,  ausklingenden  Farben,  wie  ein  kolo- 
:rtes  Kupfer.  Es  tat  doch  sehr  wohl. 

Der  letzte  und  nicht  der  schlechteste  ist  Ermanno  Wolf-Ferrari  in  Vene- 
g,  der  Komponist  der  Donne  curiose.  Auch  dieser  Komponist  kommt 
is  dem  Reiche  der  Kammermusik.  Er  hat  neben  verschiedenen  Sonaten, 
rios,  Quintetten  eine  sehr  merkwürdige  Sinfonia  da  camera  geschrieben, 
l der  das  Klavier,  zwei  Violinen,  Bratsche,  Cello,  Kontrabaß,  vier  Holz- 
läser  und  Horn  beschäftigt  sind.  Das  ist  gute  Schule  der  Solistenoper.  Was 
it  in  ihr  das  Orchester  anderes  als  eine  ausführlichere  und  buntere  Kammer- 
yinphonie,  in  der  der  stille  Glanz  oder  das  stolze  Hochgefühl  eines  Instru- 
nents  möglichst  in  Solopartien  zur  Geltung  kommen  will,  ein  behäbiges 
Bläserquartett,  eine  sentimentalische  Streicherserenade,  der  kapriziöse  Lauf 
;iner  Harfe,  das  nachdenkliche  Solo  einer  Flöte,  Signale  von  Trompeten, 
Antworten  der  Hörner,  eine  Partitur,  die  stark  mit  der  weißen  Fläche  ar- 
beitet, um  die  Kostbarkeit  solistischer  Ideen  ganz  a jour  wirken  zu  lassen. 
Unser  neues  leichtes  Orchester  ist  nicht  ein  Dünnerwerden,  sondern  ein 
Feinerwerden  des  alten.  Die  Berliozschen  Farbenkontraste  der  Instrumenten- 
gruppen werden  auf  die  Tonnuancen  der  Soloinstrumente  reduziert.  Eine 
gut  gesetzte  knappe  Fanfare  oder  verlorene  Flöte  oder  wehleidige  Bratsche 
kann  Visionen  von  Stimmungen  hervorrufen.  Dieselbe  leichte  Hand  arbeitet 
auf  der  Bühne.  In  den  Donne  curiose  kommt  nur  ein  kleiner  Chor  von 
gondelnden  Venezianern  vor,  die  ein  Volkslied  singen,  das  genau  so  anfängt 
wie  unser  „Der  Mai  ist  gekommen“.  Sonst  ist  alles  Solo.  So  Solo,  daß  auf 
die  Darstellungsfeinheit  des  einzelnen  alles  gesetzt  ist.  Aber  gern  und  oft 
und  stets  unter  einem  gewissen  dynamischen  Zwange  einigen  sich  die  Soli 

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Roller.  Roscnkavalicr  erster  Akt 

Mit  Genehmigung  der  Firma  Adolph  Ftirstner,  Berlin  W.-Paris.  Copyright  1910  Adolph  Furstner 


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zu  zierlichen,  wohlgearbeiteten  Ensembles,  selbst  wenn  es  sich  um  die  beste 
Methode  handelt,  einen  Fleck  aus  dem  Rock  zu  tilgen  oder  um  den  Verlust 
des  Schlüssels  zum  Kasino,  in  dem  die  Weiber  — fonte  del  mal  — verfemt 
sind:  die  Quelle  des  Übels  und  aller  artigen  Opern. 

Es  ist  ja  kein  Goldring  mehr,  der  in  dieser  heiteren  Welt  über  Götter, 
Menschen  und  Dämonen  den  Fluch  fürchterlicher  Tragik  zu  bringen  hat, 
sondern  es  sind  diese  einfachen  kleinen  Schlüsselchen,  die  das  Corpus  delicti 
einiger  neugieriger  Frauen  und  weiser  Männer  darstellen,  von  denen  diese 
einen  Klub  gegründet  haben,  in  den  jene  gern  ihre  liebenswürdige  Nase 
stecken  möchten.  Eine  alte  Dame,  eine  mittlere  und  eine  jüngere  mit  ent- 
sprechend steigender  Veranlagung  für  den  Sopran,  und  ihren  Gemahlen  und 
Verlobten  mit  derselben  Stimmskala  bis  zum  lyrischen  Tenor.  Das  Stück 
beschäftigt  sich  mit  den  verschiedenen  Methoden  der  Neugierde  dieser  Frauen, 
die  einige  Szenen  amüsant  füllen  können:  Liebesverstellung,  Rockdurch- 
suchung, Klatsch  und  Bestechung.  Auch  sie  glauben,  daß  wir  Männer  in 
unserm  Klub  Amicizia  nur  den  gefährlichen  Problemen  nachgehen,  satanisch" 
Orgien  treiben  oder  gar  den  höchst  bedenklichen  lapis  philosophorum  zu 
finden  hoffen.  Aber  ach,  wie  täuschen  sie  sich.  Wir  spielen,  essen,  trinken, 
amüsieren  uns,  lieben  die  Ruhe  und  die  Heiterkeit,  ein  bißchen  Musik  und 
wohlgestimmte  Ensembles,  nichts  von  Satan,  nichts  von  Lapis,  und  schließen 
die  Bude  hübsch  zu.  Wer  siegt  ? Zuerst  die  Männer,  indem  sie  die 
neugierigen  Weiber  fern  halten.  Dann  die  Weiber,  indem  sie  durch  List 
und  Tücke  doch  in  den  Klub  eindringen.  Schließlich  aber  doch  die 
Männer,  denn  sie  sind  klug  genug,  das  Vorkommnis  durch  ein  Tänzchen 
zu  beschließen. 

Der  Stoff  istGoldoni  entnommen,  in  dem  man  leicht  und  lächelnd  schöpft. 
Ein  paar  Venezianer  Jargonlaute  sind  im  Italienischen  stehen  geblieben.  Das 
gibt  eine  Farbe,  die  keine  Übersetzung  übersetzen  kann.  Das  ist  ein  Stück 
Volkstum,  in  das  die  Überlieferung,  der  Stil,  das  Lokalgefühl  glatt  aufgehen. 
Die  Teiblersche  Verdeutschung  ist  gut  gemeint,  aber  ein  Bukett  von  Stil- 
blüten ließe  sich  dennoch  daraus  pflücken: 

Ach,  die  Röte  deiner  Wangen, 

Die  so  unschuldsvoll  dich  zieret. 

Mich  zu  höchster  Wonne  führet, 

Füllt  mein  Herz  mit  Liebcslust. 

O höchste  Wonne,  du  Gummistempel  aller  Opernlyriker,  die  du  so  viele 
Glieder  schon  erbeben  machtest,  so  viele  Schmerzen  auf  Herzen  reimtest, 
so  viele  Triebe  auf  Liebe,  mögest  du  in  der  unschuldsvoll  roten  Brunst  von 
Florindo  und  Rosaura  dein  wohlverdientes  Ende  finden. 

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Goldonis  stilvolles  Muster  empfahl  die  Beibehaltung  der  altitalienischen, 
vielbelachten  Komödienfiguren.  Herr  Pantalon  wurde  der  reiche  Venezianer, 
in  dessen  Hause  die  Amicizia-Männer  ihrer  heiteren,  weiberlosen  Ruhe  pfle- 
gen, Arlequin  und  Colombinc  wurden  Domestiken,  die  die  ganze  Geschichte 
verwirren  und  entwirren,  um  mit  einem  Stück  Kuchen  oder  einer  Ohrfeige 
belohnt  zu  werden.  Alte  volkstümliche  Motive  befestigen  die  gute  Laune. 
Noch  gackern  die  Holzbläser  wie  Hennen,  wenn  der  Weiberklatsch  losgeht; 
noch  stehen  die  Leute  da  und  scheinen  in  steinerner  Ruhe  ein  Gewitter  er- 
warten zu  wollen,  wenn  sie  das  Niesen  in  der  Nase  kitzelt;  noch  poltern  sie 
rasende  Sechzehntelworte  in  wahnsinnigem  Tempo  herunter,  wenn  es  sich 
um  die  Tücke  von  Schneiderinnen  handelt;  noch  äfft  Arlequin,  dessen  letzte 
Fetzen  den  vielgeliebten  Figaro  bekleiden,  den  Ton  der  Großen  durch  un- 
verständliches Kauderwelsch  nach.  Auch  ein  Spinett  befindet  sich  im  Klub. 
Aber  nach  seinen  Klängen  geht  keine  hochdramatische  Szene  mehr  vor  sich, 
wie  in  Giordanos  berühmter  Klavierszene  aus  der  Fcdora,  sondern  ein 
anderer  Kneipbruder  nimmt  die  Violine  und  sie  spielen  zusammen  ein  zier- 
liches Menuett,  in  dem  sich  alle  Laster  und  Heimlichkeiten  dieser  bösen 
Welt  austanzen. 

Zart  geschliffen  sitzt  die  Musik  auf  diesem  altvenezianischen  Grunde. 
Ausgezogene  Akkorde,  knapp  gesetzte  Harmonien,  gewisse  altertümliche 
Konsequenzen  und  doch  ein  kultivierter  moderner  Schnitt  geben  ihr  das 
Gepräge.  Bisweilen  ein  Abschnurren  des  Motivs,  wie  bei  Rossini,  bisweilen 
eine  liebenswürdige  Dominantenwendung  in  Mozartscher  Linie,  und  viel 
anmutiges  Sehnen  nach  der  Septime,  auf  der  man  mit  erröteten  Wangen 
unschuldvoll  rastet,  um  sich  in  neue  Spiele  hineinzuschaukeln.  Hier  ein 
Tänzchen  auf  irgend  einen  drastischen  Vorgang,  dort  ein  Liedchen  auf 
irgend  ein  heimliches  Empfinden,  in  leicht  gebogenen  oder  ehrlich  naiven 
geraden  Melodien,  alles  sachte  und  leise,  mit  kleinen  Füßen  und  sicherer 
Hand.  Stil  und  Geschmack  ist  die  Faktur,  Stil  und  Geschmack  verlangt 
die  Aufführung.  Es  muß  knacken  vor  Sauberkeit  und  Delikatesse,  und 
ein  Lächeln  muß  über  aller  Darstellung  liegen,  die  Sänger  ein  wenig 
Puppen,  das  Orchester  ein  wenig  Improvisation.  Die  Führung  der  Liebes- 
szene  im  zweiten  Akt,  von  Rosauras  Sehnsuchtslied  mit  dem  altmodischen 
Ritornell  über  die  Des -Dur -Sentiments  von  Florindo  zum  Duett,  das 
sich  so  gut  italienisch  in  die  wiegenden  Rivedere-Terzen  verliert  und 
verlöscht,  das  wird  dann  ein  kleines  Muster  moderner  Opernheiterkeit 
sein,  das  wir  allen  Amicizia- Brüdern  ernstlich  zur  Erholung  eines  schwe- 
ren Gemüts  empfehlen. 


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Der  Schmuck  der  Madonna. 

Lieber  Herr  Wolf- Ferrari.  Erinnern  Sie  sich  noch  der  Szene,  da 
Sie  mir  vor  Jahren  die  ersten  Töne  dieser  Oper  vorspielten  ? Es  war  in 
Venedig,  dessen  Goldonischc  Lüfte  Sie  so  gern  umschweben.  Wir  kamen 
vom  Lido  herüber,  abends  durch  das  Lichtermeer  mit  dem  Schiff,  Sie  war- 
teten an  der  Accademia,  es  war  so  etwas  Gespenstisches  in  dieser  verlassenen 
Gegend,  Menschen  strichen  an  Mauern,  fragten,  verschwanden,  wir  gingen 
über  Brücken,  durch  finstere  Gassen,  wir  hielten  am  Palazzo  dei  Pisani  — 
das  ist  das  Konservatorium,  sagten  Sie,  dessen  Direktor  ich  leider  drei  Jahre 
war.  Es  war  alles  so  merkwürdig.  Jetzt  saßen  wir  im  alten  Renaissancesaale. 
Sie  hielten  eine  lange  Vorrede,  in  der  Sie  versuchten,  uns  den  Inhalt  Ihrer 
Oper  zu  erzählen.  Es  gelang  Ihnen  nicht.  Dann  setzten  Sie  sich  ans  Klavier 
und  spielten  ein  paar  Tanzszenen  aus  dem  ersten  oder  dritten  Akt  und  das 
gelang  Ihnen  vortrefflich!  Ich  war  gleich  eingenommen.  Ich  dachte  (man 
denkt  ja  immer  an  etwas  anderes)  an  Bizet  und  Carmen.  Also  an  nichts 
Schlechtes.  Ich  hatte  den  Eindruck  eines  echten  Musikers,  wie  es  heut 
nur  wenige  noch  gibt,  der  aus  Liebe  an  Tönen  musiziert  und  nimmt,  was  ihm 
cinfällt.  Ich  sagte:  mir  scheint  sich  dieser  Stil  von  dem  archaistischen  Ihrer 
früheren  Werke  (die  ich  entzückend  fand),  den  Neugierigen  Frauen,  den  Vier 
Grobianen,  zu  unterscheiden.  Ja,  antworteten  Sie,  eines  paßt  nicht  für  alle, 
ich  bin  zierlich,  wenn  es  sich  um  Puppen  des  18.  Jahrhunderts  handelt,  und 
leidenschaftlich,  wenn  es  um  die  Sinnlichkeit  und  Religion  des  heutigen 
Neapels  geht.  Ich  dachte:  dieser  Mann  hat  Ideen,  er  hat  Stilgefühl,  er  ist 
beladen  mit  Menschlichkeiten,  er  grübelt  über  Probleme  — und  dabei  schreibt 
er  die  einfachste  Musik.  Wir  wollen  sehen,  wie  weit  der  Stil,  wie  weit  die 
Naivität  reicht.  Das  ist  es  ja,  worauf  alles  hinauskommt. 

Seitdem  ist  viel  Musik  ins  Meer  geflossen  und  man  hat  so  allerlei  erlebt. 
Heut  fällt  die  Frucht.  Heut  haben  Sie  den  großen  und  rauschenden  Erfolg 
Ihres  Werkes,  das  nun  in  die  Welt  geht.  Ich  habe  mir  immer  gedacht:  wie 
wird  mir  an  diesem  Abend  sein  ? Ich  dachte  an  die  ersten  Eindrücke  zurück, 
wie  an  etwas  so  Ursprüngliches,  Einfaches,  Musikalisches,  das  mir  in  unserer 
Zeit  voller  Schwierigkeiten  gar  sehr  wichtig  schien.  Und  nun  kommt  der 
Abend  und  ich  habe  Ihnen  zu  sagen : alles  hat  sich  bestätigt,  ich  habe  eine 
reine  Empfindung  gehabt.  Ich  will  Sie  unterstützen  und  ich  will  Ihre  Art 
hochheben  — weil  in  ihr  eine  Hoffnung  auf  die  Zukunft  liegt,  eine  Rückkehr 
zur  Melodie,  zum  schlichten  Orchester,  zum  Gesang,  der  aus  den  Stimmen 
kommt.  Ich  weiß  nicht,  ob  diese  Ihre  Oper  die  letzte  Lösung  ist  — das 
zeigt  sich  immer  erst  an  den  Kindern.  Aber  ich  weiß,  daß  sie  gesund  und 
fruchtbar  ist.  Sie  ist  Musik,  ohne  kindlich  zu  sein;  sie  ist  naiv  ohne  Dumm- 

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heit  und  freudig  ohne  Närrischkeit.  Wenden  Sie  mir  nicht  ein,  was  ich  sonst 
über  andere  Opern  anderer  Männer  zu  Ihnen  sagte.  Heute  spreche  ich  von 
Ihnen.  Vielleicht  mußten  Sie  von  der  Grenze  Italiens  und  Deutschlands 
kommen,  um  diesen  Weg  zu  finden.  Brauche  ich  Ihnen  die  Schwierigkeiten 
zu  erklären  ? Sie  sind  zu  fein,  um  den  Rummel  des  jungitalienischen  Verismo 
einfach  mitzumachen.  Sie  bewegen  diese  Linie  etwas,  zurück,  wirklich  nach 
Bizet  zu,  und  unternehmen  eine  Verschmelzung,  die  genug  südliche  Leiden- 
schaft hat  und  genug  französischen  Tanz  und  genug  moderne  Melodie,  jene 
Melodie,  deren  ewiges  Muster  die  Carmengesänge  noch  lange  bleiben  wer- 
den. Hierbei  handelt  es  sich  zunächst  nicht  um  verblüffende  Originalität 
oder  musikalische  Revolution  — es  handelt  sich  darum,  diese  fruchtbare 
Landschaft  der  Musik  zu  schaffen,  in  der  Carmen  so  gut  lebt  w’ie  Wagner- 
scher Blechbläserstolz,  wie  die  mystischen  Akkorde  der  Salome,  wie  der  reli- 
giöse Schnitt  ernster  deutscher  Harmonien,  wie  der  leichte  flatternde  Flug 
neapolitanischer  Floskeln.  Dies  ist  gelungen  und  ist  nun  da,  um  Blüten  zu 
treiben  und  neue  Synthesen  zu  bilden  und  die  moderne  Oper  zu  retten, 
die  schon  so  gebildet  ist,  daß  sie  gar  nicht  mehr  weiß,  wohin  sie  gehört. 
Dafür  reiche  ich  Ihnen  die  Hand.  Ich  will  es  so  zusammenfassen:  aus  Stil- 
gefühl (das  ist  modern)  bauen  Sie  der  Naivität  ein  gutes  Stück  Weg  vor 
(das  ist  das  Zukünftige).  Sie  werden  mich  verstehen  und  mir  die  gänzlich 
unpassende  Parallele  mit  dem  Rosenkavalier  erlassen,  der  auch  aus  Stilgefühl 
dem  neuen  Mozart  vorbaut:  aus  einem  ganz  anderen  Stilgefühl  von  genialer 
Kraft.  Jedenfalls  sind  das  so  unsere  Zeiten  und  wir  vergessen  vor  Problematik 
leicht  den  Genuß.  So  will  ich  nur  noch  mein  Vergnügen  schildern  und  die 
Fragen  beiseite  schieben. 

Ich  liebe  diese  neapolitanische  Floskel  über  alles  — sie  gibt  mir  Freude 
fließender  Musik  und  den  Rausch  des  ungelehrten  Volksgesanges.  Sonne 
lacht  mir  daraus  entgegen.  Ich  finde  in  ihr  das  durchgängigste  Motiv  ihrer 
Oper,  die  sonst  mit  Recht  nur  einen  leichten  schematischen  Bau  hat.  Sie 
ist  in  den  Chören  und  Liedern  und  Tänzen,  im  Gewimmel  des  Volks  und 
in  den  Passionen  der  Liebe.  Es  ist  die  Farbe,  auf  die  Sie  das  Werk  gelegt 
haben,  und  diese  Farbe  ist  mir  lieber  als  alle  deutsche  Lcitmotivkonstruktion. 
Ich  liebe  die  schönen  Harmonien,  die  dem  Gennaro  als  Muttersegen  erklin- 
gen, noch  zuletzt,  da  er  sich  den  Tod  gibt,  gefolgt  von  diesem  rührenden, 
zweistimmig  verwebten,  melodisch  atmenden  Nachspiel.  Ich  liebe  die  Lustig- 
keit der  Kamorristen,  die  allen  Ernst  in  einem  apachischen  Rhythmus  auf- 
lösen,  musikalisch  bis  in  ihr  verruchtes  Herz.  Ich  liebe  das  wunderzarte 
Ständchen,  das  aus  Seiden  gesponnen  ist  und  in  der  Mandoline  süßem  Beben 
seinen  schnellen  Puls  zittert.  Ich  liebe  die  eine  dreitonige  Figur,  die  wie  ein 

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schwingendes  Schicksal  über  diese  Menschen  dahinzieht,  diese  Menschen,  die 
mich,  ich  weiß  nicht  wie,  doch  angehen,  so  schnell  und  kurz  ihr  Leben  ist. 
Soll  ich  Ihnen  nun  den  Inhalt  erzählen  — in  drei  Sätzen,  sagte  ich  Ihnen 
damals,  als  dieses  dreitonige  Schicksalsmotiv  noch  schmächtig  auf  den  Tasten 
des  venezianischen  Klaviers  erklang.  Hier  sind  sie.  Die  wilde  Maliella  wird 
von  Gennaro  geliebt,  einem  frommen  Schmied,  und  von  Rafaele,  einem 
gottlosen  Kamorristen.  Sie  bringt  den  Gennaro  dazu,  ihr  den  Schmuck  der 
Madonna  zu  stehlen,  und  gibt  sich  dem  Rafaele  hin,  der  sie  als  Teufelin  von 
sich  stößt.  Sie  geht  ins  Meer,  Gennaro  ersticht  sich  vor  seiner  Madonna, 
Rafaele  wird  sich  eine  andere  nehmen.  Diese  Szenen  haben  Sie  mit  wenigen 
starken  Strichen  gezeichnet  und  in  das  Milieu  des  Volkstrubels,  Kirchenfestes, 
Luderlebens  der  Kamorristen  eingestellt.  Das  Milieu  ist  so  viel  wie  die  Szene. 
Es  geht  wirksam  übereinander  her  und  wächst  in  die  Masse.  Aber  ich  denke 
manchmal  an  den  träumerischen  Gennaro,  den  Künstler,  der  glaubt,  Ma- 
liella zu  besitzen,  während  sie  in  ihm  nur  den  Herrscher  Rafaele  liebt.  Ich 
meine:  das  ist  Dichtung.  Alles  Gute! 

Ferruccio  Busonis  Oper  Die  Brautwahl,  deren  Uraufführung  ich  im 
Stadttheater  von  Hamburg  beiwohnte,  ist  keine  Oper  zum  Tele- 
graphieren. Als  ich  auf  dem  Telegraphenamte  Ihnen  schnell  mein  Urteil 
in  wenige  Worte  zusammenfassen  sollte,  war  ich  in  Verlegenheit.  Es  ist  kein 
gewöhnliches  Stück,  von  dem  ich  sagen  könnte,  es  ist  gut,  es  ist  schlecht. 
Die  erste  Oper,  die  keine  Vorzeichen  hat.  Es  ist  eine  ganz  besondere  Art 
von  Kunst,  die  ich  nicht  mit  dem  gewohnten  Maßstab  messen  möchte.  Was 
Busoni  wollte,  ist  viel  einfacher,  als  was  dabei  herauskam,  und  was  wir  hören, 
ist  viel  oberflächlicher,  als  w'as  er  schrieb.  Es  ist  keine  Oper,  wie  man  sie  so 
kennt,  es  ist  eine  Folge  von  Szenen,  die  einen  literarischen  Zusammenhang 
haben,  und  ist  für  den  Musiker  von  höchstem  Interesse,  wie  für  den  Drama- 
tiker — ein  kaum  annehmbares  Problem. 

Busoni  druckt  ein  Motto  von  Tieck  voraus,  in  dem  man  aufgefordert 
wird,  alle  etwaige  Bildung  beiseite  zu  setzen  und  recht  eigentlich  zum  Kind 
zu  werden.  Das  also  wollte  er.  Er  wollte  eine  harmlose,  naive,  lustige  Oper 
schreiben,  mit  ein  wenig  Phantastik  im  Sinne  E.  T.  A.  Hoffmanns,  und  wir 
sollten  uns  daran  freuen.  Er  wählte  sich  die  Hoffmannsche  Erzählung  „Die 
Brautwahl“  aus  den  Serapionsbrüdern  und  dachte  den  rechten  Stoff  zu  haben. 
Da  ist  ein  Mädchen,  das  von  drei  Freiern  umworben  wird,  einem  reichen 
jüdischen  Elegant,  einem  trockenen  Bücherwurm  und  einem  gefühlvollen 
Maler.  Da  sind  zwei  höhere  Mächte  in  Gestalt  des  Juden  Manasse,  der  das 
böse  Prinzip  vertritt,  und  des  Goldschmieds  Leonhard  mit  dem  guten  Prin- 

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zip,  beide  hoffmannesk  ins  Dämonische  gehoben.  Die  Brautwahl  selbst  findet 
nach  dem  Muster  des  Kaufmanns  von  Venedig  statt:  in  einer  Kästchen- 
wahl, und  der  Maler  kriegt  schließlich  die  Albertine,  von  Leonhard  geleitet. 
Welche  reizenden  Motive  scheint  das  zu  ergeben!  Busoni  ändert  Kleinig- 
keiten in  der  Erzählung,  benutzt  zum  Teil  die  Originalworte  und  stellt  einen 
Text  mit  vielen  Verwandlungen  her,  die  nichts  literarisch  Wesentliches  aus- 
lassen.  Hier  stocke  ich  schon.  Ich  hätte  weggelassen!  Hundert  Realitäten, 
die  sich  bei  Hoffmann  gut  lesen,  beschweren  die  Musik.  Historische  Exkurse 
über  die  mystische  Vergangenheit  Manasses  und  Leonhards  setzen  sich  nicht 
in  Töne  um.  Es  ist  die  Ehrfurcht  vor  der  Literatur,  die  unsere  moderne 
Oper  auszeichnet,  aber  auch  gefährdet.  Die  Oper  ist  keine  Novelle.  Die 
Mischung  des  Realen  und  Phantastischen,  die  den  Wortkünstler  Hoffmann 
reizt,  darf  nicht  den  Musiker  reizen  — als  Nebeneinander,  sie  muß  Inein- 
ander werden.  Lebten  Leonhard  und  Manasse  schon  vor  vielen  hundert 
Jahren  und  sind  sie  Geister,  die  immer  wiederkehren,  so  kann  das  die  Musik 
viel  schöner  malen  als  alle  historischen  Betrachtungen.  Zigarren,  Eisenhand- 
lungen, Titel,  Kredit,  Dalles  — das  sind  alles  sehr  klare  Begriffe,  aber  sie 
belästigen  eine  Musik,  die  sie  doch  nur  verschlingt,  ohne  ihnen  die  geringste 
Achtung  entgegenzubringen.  Das  sind  die  Mängel  des  Textes.  Er  verliert 
sich  in  einer  Treue  gegen  das  Original,  statt  in  großen  Zügen  und  markanten 
dramatischen  Akzenten  von  den  Bedürfnissen  der  Musik  aus  den  Stoff  zu 
disponieren.  Kaum  kann  man  folgen,  ohne  das  Original  zu  kennen.  Und  je 
weiter  wir  in  dieser  Gattung  von  Opern  fortschreiten,  desto  deutlicher  muß 
gesagt  werden:  daß  schließlich  doch  nur  das  Werk  besteht,  das  durch  sich 
selbst  klar  und  stark  existiert. 

Ein  älterer  Landsmann  Busonis,  ein  rechter  Italiener,  wäre  von  den  dra- 
matischen Möglichkeiten  dieses  Stoffes  ausgegangen:  drei  liebende  Tenöre, 
die  phantastische  Macht  der  beiden  dämonischen  Figuren  und  alle  Enscmble- 
möglichkeiten,  die  daraus  resultieren,  und  alle  schönen  Solomöglichkeiten, 
die  das  einsame  Mädchen  hat.  Busoni  tut  das  nicht.  Er  hat  sein  Italien  längst 
vergessen,  seine  Erziehung  ist  eine  französische  geworden,  und  mit  dem  Geist 
der  neuesten  Sezession  steht  er  den  literarischen  Problemen  gegenüber,  die 
sein  jetziges  deutsches  Domizil  bewegen.  Einer  der  idealsten,  reinsten  und 
ehrlichsten  Künstler,  die  es  heut  gibt,  ein  Anreger  in  jedem  Ton,  den  er 
spielt  und  schreibt,  ein  kühner  und  geistvoller  Theoretiker  in  allem,  was  er 
über  die  Zukunft  der  Musik  denkt,  wird  er  doch  in  seinen  Werken  zu  sehr 
von  diesem  wandernden  und  ausschauenden  Intellekt  geleitet,  um  seinem 
guten  Motto  folgen  zu  können:  die  Bildung  zu  verdammen  und  wieder  Kind 
zu  werden.  Im  Gegenteil,  er  ist  über  die  Maßen  gebildet.  Ich  möchte  gerade 

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ihm  gegenüber  nicht  als  der  Zensor  dastehen,  der  Prädikate  verleiht,  sondern 
ich  möchte  mit  ihm  sein  Werk  verstehen  und  würdigen  können,  der  ich  den 
Nachteil  habe,  nicht  zu  schaffen,  aber  den  Vorteil,  den  freien  Horizont  zu 
sehen.  Er  wird  immer  unter  die  wenigen  gehören,  die,  was  sie  auch  unter- 
nehmen, uns  interessieren,  aber  er  wird  uns  auch  nie  so  fortreißen,  daß  wir 
uns  im  Taumel  des  Genusses  zu  fragen  vergessen,  welchen  Teil  er  an  der 
Zukunft  hat.  Und  dies  eben  ist  in  seinem  Sinne. 

Die  Oper  beginnt  mit  einer  Szene  in  unseren  „Zelten“,  wo  eine  kleine 
Kapelle  den  Gästen  den  alten  Marsch  Rossinis  aus  dem  Moses  vorspielt. 
Es  ist  nun  sehr  absonderlich,  wie  aus  dem  Rossini  sich  der  Busoni  entwickelt 
und  ganz  genau  eine  Musik  schreibt,  die  das  Gegenteil  der  alten  sinnfälligen 
Kunst  ist.  Einige  motivische  Anklänge,  darunter  auch  dieser  Rossinimarsch, 
ziehen  sich  hindurch,  besonders  sind  die  Figuren  der  Juden  mit  einer  klagen- 
den, psalmodierenden  und  auch  talmudierenden  Melodik  belegt.  Aber  das 
Motivische  wird  nicht  die  Hauptsache.  Es  ist  nichts  von  der  neuen  deut- 
schen Opernmache  darin,  und  die  kleinen  Huldigungen  an  Wagnersche  Wen- 
dungen verschwinden.  Wenn  man  durchaus  will,  könnte  man  den  Stil  neu- 
französisch nennen.  Er  entfernt  sich  von  jeder  Architektur,  und  es  ist  inter- 
essant, zu  beobachten,  daß  Busoni  eine  buffoneske  Wiederholung  des  leicht 
angedeuteten  Freierterzetts,  die  ursprünglich  die  letzte  Szene  disponierte, 
auf  den  Proben  wieder  strich.  Das  Orchester  verhält  sich  malend  und  die 
Stimmen  sprechsingend.  Manchmal  bildet  sich  eine  Phrase,  manchmal  eine 
Kantilene,  aber  das  sind  nur  wie  kleine  Anhöhen  in  einem  gleichmäßig  ma- 
lerischen welligen  Terrain.  Fast  schämt  sich  die  Musik  ihrer.  So  wie  sie  gegen 
den  Text  die  höchste  literarische  Achtung  hat,  verliert  sie  nie  ihr  Standes- 
bewußtsein in  dem  eigenen  Ausdruck.  Der  Geist  leitet  sie,  jener  aristokra- 
tische, selbstbewußte  und  wohlerzogene  Geist,  der  aus  jeder  Situation  die 
feinste  Anschauung,  aus  jeder  Stimmung  die  zartesten  Reflexe  zu  entwickeln 
strebt.  Der  große  Fluch  des  Juden,  die  nächtliche  Spuktanzerei  des  Kanzlei- 
rats, das  Spiel  mit  den  Rettichen,  die  zu  sprühenden  Dukaten  werden,  die 
dunkle  Szene  des  grünen  Kanzleirats,  der  sich  im  grünen  Tiergarten  bei  den 
grünen  Fröschen  das  grüne  Leben  nehmen  will,  mit  einem  grünen  Posthorn, 
das  die  Charlottenburger  Chaussee  entlang  klingt  — dies  sind  die  Momente. 
Hier  funktioniert  der  Geist  des  Autors,  hier  hören  wir  apart  gefaßte,  kolo- 
ristisch kühne,  harmonisch  ganz  resolute,  melodisch  ganz  assoziative  Dinge, 
wie  sie  ein  letztes  Gehirn  aus  den  letzten  Vorstellungen  der  Materie  sich 
reflektiert.  Substanz  ist  es  nicht,  und  dagegen  scheint  Richard  Strauß  fast 
reaktionär  — substanzlos,  in  malerischen  Gängen,  flächenhaften  Visionen, 
so  ist  Busonis  Musik  immer  am  eigensten  und  glücklichsten  und  läßt  sofort 

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nach,  wenn  sie  Greifbares  zu  schildern  unternimmt.  Man  wird  sie  nicht 
beurteilen  dürfen,  wenn  man  sie  als  „Komposition“  Hoffmanns  nimmt,  oder 
als  freien  Ausfluß  einer  Empfindung,  oder  als  naiven  Humor,  oder  als  Ton- 
seligkeit — ganz  kühl  ist  sie  dann,  ganz  fern  allem  Heimischen  und  Vertrau- 
ten, und  ohne  Reiz  der  Erfindung  im  Gegenständlichen.  Sie  ist  schwebend 
im  Geist,  satt  nur  an  Bildung  und  stark  nur  im  Nervösen.  Die  Koloraturen, 
die  sie  versucht,  sind  Ornamente  eines  Geschmackskünstlers,  die  Zitate  alter 
Formen  und  Rhythmen  Etiketten  eines  Stilisten,  und  die  Folge  ihrer  Ideen 
weniger  Musik  als  Malerei,  auf  Dichtung  angewendet.  Ich  verstehe  das  sehr 
gut,  und  es  gab  Augenblicke,  wo  es  einen  artistischen  Winkel  in  meinem 
Innern  sehr  erhellte.  Aber  ich  glaube,  daß  es  mehr  eine  letzte  Anwendung 
sezessionistischen  Geistes  auf  die  Oper  ist,  als  der  Anfang  eines  neuen  Weges. 
Ich  denke  mir  immer,  daß  der  neue  Weg  von  der  Bühne,  vom  Gesang,  vom 
Drama  herkommen  wird  und  daß  wir  die  längste  Zeit  symphonisch,  litera- 
risch und  malerisch  gewesen  sind.  Aber  man  soll  das  Verständnis  eines  Vor- 
handenen nicht  in  vagen  Wünschen  für  die  Zukunft  ersticken. 

Man  kann  sich  demnach  denken,  daß  die  Hauptarbeit  der  Busonischen 
Oper  im  Orchester  liegt.  Diese  Partitur  ist  vielleicht  die  kühnste  und  ge- 
wagteste, die  jemals  eine  Oper  gehabt  hat,  nicht  nur  in  den  ungewohnten 
und  immer  auf  den  letzten  Geistreichtum  gebrachten  Noten,  sondern  auch 
in  den  Klängen,  die  die  seltensten  Kombinationen  von  Instrumenten  und 
die  äußerste  Ausnutzung  ihrer  Farben  darstellen.  Verlegener  wird  er  auf 
der  Bühne.  Die  bloße  Musikdeklamation  des  Textes  genügt  ihm  doch  nicht 
immer,  und  er  versucht  öfters  sozusagen  rationalistische  Ensembles,  die  ihren 
Bau  nur  verschämt  zeigen,  um  nicht  unwahr  zu  werden.  Er  versucht  auch 
Chöre;  aber  da  sie  nur  künstlich  auf  der  Bühne  zu  gewinnen  wären,  so  wer- 
den sie  hinter  die  Bühne  verlegt,  als  mystische  Stimmen,  die  den  Fluch  des 
Juden  fortsetzen,  die  Kirchenvision  beleben  und  die  Aufschriften  der  drei 
Wahlkästchen  weiter  ausführen.  Ich  weiß  nicht,  ob  die  Wirkung  ganz  so 
herauskommt,  wie  sie  gedacht  ist.  Diese  neue  Bühne  zu  finden  war  selbst 
für  den  geistvollen  Autor  zu  schwer.  Es  gibt  ganze  Szenen,  wie  eben  diese 
Visionsszene  Leonhards  mit  Albertine  oder  die  Szene  im  Wirtshaus  mit  den 
gespenstisch  sprühenden  Rettichscheiben,  die  ihm  lahm  liegen.  Andere  wieder 
zeigen  Ahnungen  neuer  Formationen,  die  lebhaft  anregen:  die  kleine  schwin- 
gende Liebesszene  zu  Beginn,  oder  die  Kästchenszene  mit  einer  eigentüm- 
lich exotischen  Melodik;  und  bisweilen,  in  der  ersten  Hälfte  des  zweiten 
Aktes,  durch  eine  günstige  Konstellation  der  Bühne  wird  eine  große  Schärfe 
des  neuen  Stils,  eine  klare  Durchsichtigkeit  und  Freiheit  erreicht.  Aber  im 
allgemeinen  sind  die  Personen  Diener  des  Orchesters,  das  es  ihnen  umso 

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schwerer  macht,  als  es  sich  der  Bühne  nicht  illustrativ  unterwirft,  wie  bei 
Debussy,  sondern  eine  malerische  Intensität  anstrebt,  die  alles  Leben  auf- 
saugt. Das  sind  alles  sehr  interessante  und  diskutable  Probleme,  freilich  nicht 
mehr,  und  darum  muß  der  Bühnenkritiker  nun  mit  ihnen  schließen,  wenn 
er  nicht  ein  blasser  Ästhetiker  werden  will. 

Romea  und  Julia  auf  dem  Dorfe. 

Eines  ist  nötig:  man  muß  Keller  vergessen.  Man  muß  die  Scldwyler 
Novelle,  die  zu  den  Quellen  unserer  Literatur  gehört,  als  einen  festen 
Besitz  zu  Hause  lassen,  muß  vergessen  die  Kinder,  die  die  Puppenkleie  aus- 
fließen lassen,  um  eine  Fliege  in  den  Kopf  zu  stecken,  die  sich  im  Spiel  die 
Zähne  zählen,  die  schöne  Galerie  der  Angler,  den  Knecht,  der  das  letzte 
Bett  aus  dem  Hause  trägt,  indem  er  den  Kopf  durch  die  Bretter  steckt  — 
muß  all  das  liebe  behagliche  Kleinzeug  vergessen,  in  dessen  Ausmalung  Kel- 
lers Kunst  ihre  Größe  findet,  den  herbsüßen  Reiz  seiner  Urwüchsigkeit,  den 
bescheidenen  Glanz  seiner  Lyrik,  muß  Keller  vergessen  und  die  Schweiz 
und  die  Literatur  und  alles  Frohe,  was  uns  bei  diesem  Namen  klingt.  Das 
Buch  von  Delius  beschränkt  sich  auf  die  Phasen  der  Liebe  dieser  zwei  Men- 
schen — daß  ihre  Väter  feindlich  waren,  wird  im  Vorspiel  kurz  gezeigt  und 
dann  geht  es  lyrisch-episodisch  vom  Hause  aufs  Mohnfeld,  zum  Abschied 
von  der  Heimat,  auf  die  Kirmes  und  an  das  Heuschiff.  Kirmes  und  die 
Vagabunden  unter  des  alten  Geigers  Führung  geben  ein  wenig  Milieu,  fast 
schon  zu  stark  für  das  zarte  Leben  dieses  Liebespaares.  Liebesszenen  nach 
der  Kellerschen  Novelle  — das  ist  das  Libretto.  Als  ich  es  las,  war  ich  lite- 
rarisch gestimmt  und  ärgerte  mich  über  die  Plünderung  des  Dichters.  Als 
ich  es  hörte,  wurde  ich  zum  Musiker  — das  heißt,  ich  ließ  Poesie  Poesie  sein, 
machte  mich  ein  wenig  dumm  und  ergötzte  mich  an  den  Tönen,  die  von 
irgend  woher  wie  eine  milde  Flut  über  diesen  Boden  rollten  und  mich  sanft 
schaukelten,  daß  ich  auf  dem  Kahn  lag  und,  die  Augen  im  Himmel,  mir 
Lieder  sang. 

Der  Text  fügt  in  der  Szene,  da  Vrenchen  mit  Sali  die  letzte  Nacht  im 
Vaterhause  zubringt,  einen  Traum  ein  von  einer  Hochzeit  in  der  Kirche  mit 
Chorgesang  und  Priesterwort:  ein  Vorgehen,  das  „literarisch  höchst  ver- 
dammenswert“  ist  und  zu  einem  banalen  Effekt  ausarten  könnte,  wenn  nicht 
gerade  an  dieser  Stelle  der  Komponist  Delius  den  Librettisten  Delius  in 
musikalische  Paradiese  verführt  hätte.  Das  ganze  Bild  gehört  zu  den  geistvoll- 
sten, originellsten,  mehr  noch : bedeutendsten  Opernszenen  der  letzten  Jahre. 
Es  hat  mich  hingerissen  und  mir  die  Meinung  eines  festen  und  persönlichen 
Stils  gegeben,  in  dem  solche  Dinge  heut,  unabhängig  von  Wagner,  musika- 

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lisch  angeschaut  werden  können.  Der  vornehme,  zurückhaltende,  vielleicht 
kühle  Ausdruck  der  neufranzösischen  Musik  steigert  sich  hier  zu  einer  Schön- 
heit der  Empfindung,  Reinheit  der  Wirkung,  zu  einem  wachsenden  Leben 
der  musikalischen  Mittel  und  Vorstellungen,  daß  das  Wunder  vollbracht 
wird,  uns  einen  neuen  Stil  in  letzter  Vollendung  zur  Überzeugung  werden 
zu  lassen. 

Dclius  lebt  in  der  Welt  der  modernen  Kunst.  In  seinem  Landhaus  bei 
Fontainebleau  besitzt  er  Bilder  jenes  tahitanischen  Malers  Gauguin,  der  mit 
seiner  pariserisch  kultivierten  Farbenkraft,  der  Sehnsucht  nach  unmotivierter 
Reinheit  körperlicher  Erscheinung  auf  die  heutige  Kunst  starke  Einflüsse 
ausübte.  Zwischen  dem  neuen  Pariser  Stil  der  Musik  und  dem  der  Malerei 
spielen  die  Beziehungen.  Akte  in  farbigen  Flüssen,  genrelose  Sujets  in  geist- 
voller Dekoration  zu  schildern  ist  beiden  gemeinsam.  Es  ist  eine  zerebrale 
Subjektivität.  Das  Wagnerische  Leitmotiv  löst  sich  auf  in  schwimmende, 
leichte  Erinnerungsbilder,  das  Orchester  wird  zu  einer  farbigen  Ausfüllung 
eines  seelischen  Vorgangs,  der  jede  dramatische  Sinnfälligkeit  vermeidet. 
Debussy  kleidet  das  lyrische  Drama  in  musikalische  fließende  Gewänder. 
Die  Szenen  sind  kurz,  geistreiche  dissolving  views  der  Musik  lassen  sie  in- 
einander übergehen.  Dclius  steht  nicht  ganz  auf  diesem  Punkt,  aber  es  ist 
doch  seine  Linie.  Die  Verbindung  der  Szenen  ist  dieselbe,  die  Haltung  des 
Orchesters  ebenso  distanziert  und  vollkommen  artistisch,  die  Gesangbehand- 
lung ohne  jede  Stilisierung  von  einer  sprachlich  gehobenen  Deklamation  be- 
herrscht, die  musikalische  Faktur  unter  Vermeidung  des  reinen  Akkords  durch- 
weg alteriert  und  gebrochen,  die  Instrumentation  gedeckt  und  bei  vollende- 
ter Beherrschung  der  Technik  farblich  sehr  diskret,  so  daß  das  laute  Blech 
nur  akzentweise  auftritt  — aber  wie  er  in  den  ersten  Szenen  nach  diesem 
Stil  noch  ein  wenig  sucht,  um  ihn  erst  in  jenem  blühenden  Licbcssang 
ganz  zu  finden,  so  verfällt  er  zum  Schluß  wieder  leicht  in  eine  Wagnersche 
Ausdrucksweise,  eine  „Steigerung“,  die  für  ihn  einen  Atavismus  bedeutet. 

Was  an  dieser  Musik  besonders  zu  schätzen  ist,  von  allen  persönlichen 
Reaktionen  abgesehen,  ist  ihre  künstlerische  Noblesse.  Während  Schillings’ 
Vornehmheit  mehr  ein  Sichfernhalten  ist,  eine  Subtraktivität,  wird  hier  auf 
einem  zurückgezogenen  Punkte  des  Empfindens  positiv  gearbeitet,  und  die 
Distanz  wird  zur  Anschauung.  Während  Puccini  in  seinen  besten  Stunden 
ein  geistreicher  Causeur  und  amüsanter  Illustrator  ist,  wird  hier  versucht, 
die  Illustration  zu  einer  eigenen,  absoluten  Lyrik  zu  erheben,  deren  Geist 
von  jedem  Zweck  genesen  ist.  Noch  ein  Vergleich:  Straußens  Salome 
arbeitet  mit  Relief,  mit  Schatten,  die  gegen  diese  Art  fast  wie  eine  Konzession 
an  Operngefühle  anmuten,  während  hier  die  Fläche  der  subjektiven  Emp- 

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findung  nicht  an  einer  einzigen  Stelle  verlassen  wird.  Es  ist  das  Verhältnis 
Gauguins  zu  den  klassischen  Impressionisten.  Durch  solche  Reinheit  der 
Anschauung  findet  schließlich  auch  eine  literarische  Sünde  vor  dem  letzten 
Gerichte  ihren  Ablaß. 

Tiefland. 

Ein  melancholischer  Zauber  liegt  darüber,  leicht  spanisch  gefärbt. 
Melancholie  eines  heiteren  Künstlers  wird  nicht  Erschütterung,  sondern 
Stimmung.  Eine  Hirtenklarinette  spielt  auf  der  Bühne  ein  sehnsuchtsvolles 
Motiv  und  wiederholt,  was  sie  in  starkem  A-Moll  rief,  wundersüß  im  leise- 
sten B-Moll.  Reizende  träumerische  Weisen  spinnt  das  Orchester  darüber, 
von  einem  hohen  E überglitzert,  die  Menschenstimme  klingt  dankbar  in  dieses 
Weben  des  Morgens  herauf,  ein  rührendes  Vaterunsermotiv,  Cello  und  Stimme 
in  Eintracht.  Zitternde  Sechzehntel:  das  Langen  nach  dem  Glück.  Po- 
saunen: der  Herr  und  Gebieter.  Die  Charakteristik  ist  einfach,  ein  paar 
Striche.  Nichts  ist  mit  Leitmotiven  behängt.  Nur  natürliche  Erinnerungen 
flechjen  sich  hindurch.  Die  Dialoge  sind  auf  laufend  wiederholte  Figuren 
gesetzt,  kurze  Phrasen  von  wohllautendem  Ausdruck,  die  zu  Herzen  gehen, 
wenn  sie  wie  ein  Nachklang  des  Durchlebten  im  Streicherpianissimo  verwehen. 
Man  spiele  sie  auf  dem  Klavier : es  ist  weich  und  perlenrein.  Es  ist  italienische 
Nacht  darin.  Dazwischen  Lichterblitzen,  burleske  und  tänzerische  Motive  zu 
den  lustigen  Partien,  die  man  mit  Vorbedacht  in  die  düstere  Umgebung 
bringt,  Lampione  in  der  Nacht.  Pedros  Liebe  klagt  in  rührenden  Wendungen, 
wie  ein  fragender  Augenaufschlag,  romantische  Wildnis  blüht  in  der  Wolfs- 
erzählung. Martas  Schicksal  zeichnet  sich  in  der  leidenschaftlichsten  Steige- 
rung, die  Erzählung  ihres  Lebens  ist  von  einer  dauernd  wiederholten,  un- 
endlich eindrucksvollen  Klage  begleitet:  die  Schwermut  der  Legende.  Da 
sie  sich  finden,  klingt  eine  selige  Weise  auf,  wie  sie  Opern  zu  schließen  pflegt. 
In  aller  Leidenschaft  ist  ein  wenig  Lied,  ein  wenig  Tanz  — das  Gesetz 
Italiens. 

Die  große  Wirkung  dieser  Oper  hing  nicht  ganz  von  den  musikalischen 
Feinheiten  oder  melodischen  Einfällen  ab,  mehr  von  der  dramatischen  Si- 
tuation, dem  bewährten  Eifersuchtsdreieck.  Vieles  zart  Empfundene,  selbst 
die  schöne  Melodie  während  der  Hochzeit,  gleitet  vorüber,  der  dramatisch 
geworfene  Tod  Sebastianos  war  der  Sieg  des  Komponisten.  Es  ist  eine 
populäre  Musik,  nicht  auf  die  goldene  Wage  der  Phantasie  zu  legen,  nicht 
einmal  der  Originalität,  mit  deutlichen  Puccinismen,  eine  komponierte 
Musik,  aber  in  dem  glücklichen  Verhältnis  zum  Drama,  das  uns  Italien 
lehrte. 

523 


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D’Albcrt  ist  ein  Vielgewanderter,  dessen  musikalische  Gegenden  wech- 
selten wie  das  Leben.  Nach  einigen  Jugendstreichen  brachte  er  den  sympho- 
nisch deutschen  „Kain“,  dann  die  biedermeierlich  reizende  „Abreise“,  dann 
„Flauto  solo“,  ein  etwas  dünnes  Spiel  zwischen  deutscher  und  italienischer 
Kunstwirtschaft  (auf  einem  reizenden,  gänzlich  unbayreuthischen  Text  Hans 
v.  Wolzogens),  den  sprühend  sein  wollenden  „Tragaldabas“  — in  der  Zeit 
des  Tiefland  war  er  zweifellos  heimatsicherer  als  je.  Damals  wohnte  er  glück- 
lich am  Lago  Maggiore,  fühlte  den  Schöpfer  in  sich,  begann  das  Klavierspiel 
abzustreifen  und  stellte  uns  Fragen.  Ein  Wunder  schien  uns,  daß  Eugen 
d’Albert,  der  als  Reproduktiver  mit  Beethoven  gigantisch,  mit  Chopin  sen- 
sitiv, mit  Brahms  knorrig  werden  konnte  wie  kein  Zweiter,  in  seinem  eigenen 
Schaffen  so  wolkenlos  heiter  und  so  herzlich  schlicht  wurde.  Mit  dem  Be- 
griff des  Eklektizismus  war  das  nicht  ganz  zu  erklären.  Denn,  so  wenig  von 
Beethoven  oder  Chopin  oder  Brahms  in  seinen  Werken  ist,  so  sehr  neigte  er 
einem  Kompositionsklima  zu,  das  er  am  Klavier  nur  ganz  ausnahmsweise 
vertritt  und  vertreten  kann:  dem  italienischen.  Flier  ist  seine  Quelle.  Er 
war  im  Winter  reproduktiv,  im  Sommer  produktiv.  Im  Winter  spielte  er 
den  einen  d’Albert,  im  Sommer  den  anderen.  Seine  reproduktive  Kunst 
lag  in  ihm  stets  wie  eingekapselt,  wie  vom  Berufe  oder  von  der  Vergangen- 
heit lebend,  er  erweckte  sie  im  Herbst  aus  ihrem  Sommerschlafe  und  sie 
sprang  fertig  und  gerüstet  aus  ihrem  Versteck  hervor.  Die  produktive  Kunst 
aber  strahlte  aus  seinem  Menschentum  hervor  und  schien  nur  ein  natürlicher 
Ausdruck  seines  heiteren  und  zufriedenen  Daseins.  Sie  vollzog  sich  in  einem 
ganz  anderen  Milieu  seines  Wesens,  sie  wohnte  in  hellen  lichten  Zimmern 
seines  inneren  Etablissements.  Eine  Villa  an  einem  italienischen  See,  Birnen 
und  Äpfel  von  kanaanitischen  Dimensionen,  süßer  Wein  und  das  Boot  an 
der  Laube,  etwas  Großstadtklang  von  Mailand  herüber,  ein  paar  alte  schöne 
Möbel  und  alte  schöne  Novellenbücher,  eine  Existenz  voll  Sonne  und  Plau- 
derei und  Nonchalance,  das  war  die  Welt  seiner  irdischen  Phantasie  . . . 

Es  ist  anders  geworden.  Die  italienische  Villa  ist  verlassen.  Die  Kom- 
positionen schlagen  nieder.  Und  die  Reproduktion  beginnt  wieder  der  Spie- 
gel seiner  wechselnden,  animalischen,  rücksichtslosen  Kraft  zu  werden,  einer 
mehr  als  deutschen  Kraft,  deren  Rätselwege  im  Dickicht  dieser  Erde  nie- 
mand erkennen  kann  zwischen  der  Leidenschaft  jenes  Südens,  die  ihm  die 
Ruhe  gab,  und  dem  Ernst  dieses  Nordens,  der  ihm  die  Leidenschaft  gibt, 
zwischen  allen  Metamorphosen  der  Liebe,  der  Stile,  dem  Schaffen  in  der 
Nachahmung,  dem  Nachahmen  im  Schaffen  — bunte  Opernwelten  unter 
Tränen  des  Lebens. 


524 


Deutsche  Gruppen 

DAS  Familienleben  der  Motive,  das  Wagner  organisierte,  hat  in  Humper- 
dincks  Hansel  und  Gretel  sein  trauliches  Heim  gefunden.  Ein  ent- 
zückendes Werk,  aus  goldig  deutschem  Herzen,  treu  gegen  den  Meister,  aber 
bescheidener  und  volkstümlicher,  ein  liebevoll  gepflegtes  Reis  vom  großen 
Baume  der  Meistersinger.  Schwester  und  Bruder  haben  es  gemacht,  und 
Schwesterchen  und  Brüderchen  singen  es.  Indem  an  dem  Text  nichts  weiter 
gedichtet  ist,  wurde  er  ausgezeichnet.  Die  Suse  mit  dem  raschelnden  Stroh, 
Griesgram  hinaus,  Brüderchen,  komm  tanz  mit  mir,  ach,  wir  armen,  armen 
Leute,  das  Hagebuttenmännchen,  das  Sandmännchen,  das  Taumännchen, 
Kuckuck,  Knusperhexe  und  Engelein  — aus  diesen  Sagenmotiven  ist  es  ge- 
webt. Und  die  Musik  macht  es  ebenso.  Sie  nimmt  die  Liedchen  und  Tänz- 
chen und  weckt  Motive  daraus,  bildet  daraus  Duette,  gar  Ensembles,  wie 
die  großen  Leute,  symphonische  Dichtungen  mit  Hexen  statt  der  Walküren 
und  bringt  alles  in  eine  gute  Schule  der  Kontrapunktik,  so  kunstvoll  über- 
einander gesetzt  und  ineinander  gefügt,  daß  die  Kinder  dies  Knusperhäus- 
chen der  Polyphonie  nur  so  anstaunen.  Aber  die  Engel  retten  sie.  Sie  geben 
ihnen  den  wundervollen  Abendsegen,  der  wie  ein  uralt  schlichtes  Herzenslied 
durch  alle  Symphonien  hindurchstrahlt,  und  neigen  sich  zu  ihnen  in  ihrer 
schönen,  gleitenden,  schwebenden  Melodie,  die  ein  Besitz  der  deutschen 
Musik  geworden  ist.  Im  Märchenwald  finden  sich  Motive  zu  Motiven.  Am 
gelungensten,  wenn  die  Kuckuckrufe  mit  dem  Echo  in  ein  eigentümliches 
Ziehen  von  Tönen  sich  fortsetzen,  das  Schauer  und  Furcht  um  die  Menschen 
verbreitet.  Weniger  gelungen,  wo  in  die  Prozeduren  der  Hexe  ein  gewisses 
dramatisch  belebtes  Spiel  gebracht  werden  soll.  Nein,  ein  Drama  ist  es  ja 
nicht.  Es  ist  der  leichte,  süße,  volle,  aber  doch  immer  durchsichtige  Fluß 
reiner  deutscher  Musikempfindung,  von  Wagner  wieder  zurückentwickelt 
in  die  Familie,  die  sich  ihrer  Güter  freut,  sie  froh  verwaltet  und  lächelnd 
den  lieben  Freunden  schenkt.  Dies  war  die  Sendung  und  das  Volk  hat  sie 
beglückt  aufgenommen. 

Ein  Brief  nach  Wien  über  die  Premiere  der  „Heirat  wider  Willen“. 

Liebe  Freundin!  Wir  haben  nun  die  Spannung  hinter  uns,  ich  kann 
Ihnen  heute  von  der  Premiere  der  neuesten  Humperdinckschen  Oper  be- 
richten und  glücklicherweise  einen  recht  guten  Erfolg  melden.  Nein,  es 
war  nicht  fruchtlos,  nicht  einmal  angenehm  langweilig,  sondern  voll  herz- 
licher Stimmung  und  Dankbarkeit,  vielleicht  wie  ein  Familienfest  besserer 
Geister,  die  die  Schwächen  ihrer  Zeit  zu  gut  kennen,  um  sich  nicht  an  ihren 

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Thoma:  Zeichnung  zum  Titel  von  Hüntel  und  Cretel 


Vorzügen  mit  doppelter  Bereitwilligkeit  aufzurichten.  Frau  Cosima  Wagner 
mit  ihrer  Familie  saß  in  der  Proszeniumsloge,  schon  äußerlich  eine  merk- 
würdige Frau,  die  aus  einer  vergangenen  romantischen  Epoche  in  unsere 


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Tage  mahnungsvoll  hinein- 
ragt. Sic  kennen  ihr  geist- 
volles, weißumrahmtes  Ge- 
sicht, ihre  königliche  Hal- 
tung. Sie  verstehen,  daß 
auf  sensitive  Menschen  ihre 
Anwesenheit  an  einem  sol- 
chen Abend  einen  eigenen 
Zauber  ausübt.  Wir  fühl- 
ten uns  zurückversetzt  in 
alte  brüderliche  Zeiten, 
wo  man  sich  noch  über 
die  Kunst  schwärmerische 
kollegiale  Briefe  schrieb. 

George  Sand  saß  neben 
ihr,  sie  wird  morgen  an 
Flaubcrt  einen  langen  Brief 
schreiben  über  dieses  Stüc^, 
über  Kunst  und  Leben, 
über  den  temperament- 
vollen Richard  Strauß  und 
Humperdincks  solidite  alle- 
mande,  über  die  schweize- 
rischen Koloraturen  von 
Frau  Herzog  und  die  tschechischen  sentiments  colores  der  Destinn,  über 
die  seltsamen  Wege,  die  W'agners  Schatten  geht,  denen,  die  ihn  rufen . . . 

Ja,  es  ist  ein  seltsames  Geschick,  das  den  Geist  Wagners  verfolgt.  Er 
selbst  hatte  bei  Lebzeiten  das  Glück,  eine  Erfindungskraft  und  Wandelbar- 
keit zu  besitzen,  die  ihn  aus  jedem  neuen  Stoff  einen  neuen  Stil  und,  man 
kann  sagen,  eine  neue  Persönlichkeit  finden  ließ,  weil  er  eben  von  dieser  aus 
seine  Stoffe  suchte.  Uns  ist  die  Gabe  verloren  gegangen,  wir  sind  viel  mehr 
„Musiker“  als  er,  wir  suchen  krampfhaft  nach  Texten  und  „komponieren“ 
sie.  Bei  dieser  Methode  werden  stets  die  Italiener  am  besten  fahren,  sie  taten 
es  vor  Wagner  und  tun  es  nach  ihm.  Unsere  engeren  Landsleute  dagegen 
sind  viel  zu  sehr  unter  Wagners  Augen  aufgewachsen,  als  daß  sie  sich  von  den 
Idiomen  Tristans  und  der  Meistersinger  freimachen  könnten,  die  sie  auf 
widerstrebende  Stoffe  anwenden.  Humperdinck  war  frei  genug,  zu  w'issen, 
daß  man  heut  keinen  Baldur  mehr  oder  Gudrun  oder  Buddha  komponiert.  Er 
entschied  sich  für  einen  Dumasschen  galanten  Stoff,  „Demoiselles  de  St.  Cyr“, 

527 


Humperdinck 


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mit  den  zwei  Paaren,  die  heiraten  müssen,  weil  sie  bei  einem  Rendezvous  er- 
tappt werden,  und  sich  schließlich  auf  Umwegen  über  das  Gefängnis  in  Paris 
und  die  Langeweile  in  Spanien  in  ihr  Schicksal  fügen  — ein  Stoff,  der  zu 
einer  Operette  hätte  werden  können,  wenn  er  nicht  in  die  Hände  eines 
„Deutschen“  geraten  wäre.  In  der  Tat  hat  bereits  Dellinger  eine  Operette 
daraus  gemacht.  Humperdinck  nimmt  sie  gründlich  ernst  und  arbeitet  mit 
großem  Zeit-  und  Notenaufwand  eine  Partitur,  die  neben  manchem  Lied- 
chen von  sozusagen  Brucknerscher  Grazie  viel  Pathos,  Übertreibung  und 
eine  gewisse  musikalisch  feierliche  Moral  enthält,  zu  der  der  Stoff  kaum 
eine  Veranlassung  gibt. 

Sie  werden,  ich  weiß  es,  wieder  über  meine  „Stilgefühle“  lächeln.  Mag 
sein,  die  Anwesenheit  von  Frau  Wagner  stärkte  diese  Empfindungen.  Wenn 
sie  von  ihrer  Loge  aus  gewisse  Wendungen  Tristans  und  Hans  Sachsens  auf 
ihrer  Wcltwanderung  durch  die  galanten  Gefilde  Dumasschcr  Operetten  hör- 
te, wie  mußte  ihr  zu  Mute  sein  ? Vielleicht  sah  sie,  vielleicht  sah  der  Autor 
darin  eine  Art  Moralisierung  des  nicht  unfrivolen  Stoffes;  mir  aber  erschien 
es  merkwürdig,  daß  die  Wagncrschen  Gebärden  gerade  dann  sichtbar  wur- 
den, wenn  cs  sich  um  Schuld  und  Sühne  handelte  und  sich  in  anmutiges 
Rokoko  verwandelten,  wenn  sich  die  komischen  Situationen  vorschoben.  Der 
Deutsche  nimmt  pflichtgemäß  das  Komische  komisch,  das  Tragische  tra- 
gisch. Ich  will  Ihnen  die  Oper  in  zwei  deutlich  getrennte  Lager  zerteilen. 
In  dem  einen  sehen  Sie  hochdramatische  Figuren,  gefesselte  Liebhaber, 
widerwillige  Gatten,  gelangweilte  Könige  und  großmütige  Damen,  die  ihnen 
das  Gottesgnadentum  erklären;  in  dem  andern  die  lustigen  Soubretten,  die 
das  Leben  nehmen,  wie  es  kommt,  und  die  leichtsinnigen  Abenteurer,  die 
sich  aus  einem  guten  Menü  mehr  machen  als  aus  einer  schlechten  Ehe.  Dort 
herrscht  die  hergebrachte  Pathetik,  hier  der  freie,  rhythmisch  leichte  und 
graziös  ungebundene  Ton.  Es  ist  der  Versuch,  Mozart  aus  den  Meister- 
singern zurückzuentwickeln.  Aber  nur  der  Versuch.  Noch  liegen  die  Stile 
nebeneinander,  die  einst  bei  Mozart  selbst,  in  der  Zauberflöte,  die  auch 
ein  ernstes  und  ein  lustiges  Paar  vereinigt,  durch  die  Macht  seiner  Persön- 
lichkeit schon  konvergiert  hatten.  Auf  unserem  heutigen  Wege,  Mozart 
wieder  aus  Wagner  zu  gewinnen  (wobei  natürlich  die  Meistersinger  eine 
fanatische  Mission  haben),  ist  diese  Oper  eine  ganz  besonders  interessante 
Kreuzwegsstation,  sie  ist  selbst  eine  Art  Heirat  wider  Willen. 

Ich  muß  Ihnen  gestehen,  meine  liebe  Enthusiastin,  daß  ich  zu  diesen 
ästhetischen  Fragestellungen,  die  aber  nicht  unwichtig  sind,  erst  in  dem 
Augenblick  mich  angeregt  fühle,  da  ich  Ihnen  eine  Lendemain-Rechenschaft 
über  den  vergangenen  Abend  ablegen  soll.  Während  der  Aufführung  selbst 

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osle 


Hogarth:  das  Lever  aus  der  Marriage  a la  Mode,  als  Anregung  für  die  Szene  Roscnkavalicr  erster  Akt 


bin  ich  noch  viel  zu  — sagen  wir  jung,  wie  Sie,  um  mich  durch  solche 
kritische  Erwägungen  in  elementaren  Genüssen  stören  zu  lassen.  Ich 
vergesse  schnell  die  Bühne  und  ihre  Ansprüche,  ich  höre  die  Musik,  nichts 
als  Musik,  absolute  Musik,  wie  wir  sie  uns  damals  verschafften,  als  wir  im 
Wiener  Opernhaus  bei  der  Aida  in  die  zurückliegende  Sofaecke  der  Loge 
uns  lehnten,  nicht  sahen,  nicht  sprachen,  nur  diesen  unvergleichlich  süßen 
Klang  Ihres  Orchesters  an  das  Ohr  schlagen  ließen.  Bei  keiner  Novität  dieses 
Winters  habe  ich  den  sinnlichen  Klang  so  genossen.  Was  hatten  wir  ? Den 
rasenden  „Roland“  Leoncavallos  und  den  zahmen  „Rübezahl“  Sommers. 
Jetzt  kam  zum  Schluß  diese  unsagbar  wohllautende  Humperdincksche  Oper, 
und  ich  badete  mich.  Die  Partitur  ist  so  nobel,  so  reich,  so  klingend,  daß 
man  sich  einen  entzückenderen  Schmeichelton  nicht  vorstellen  kann.  Der 
Geschmack  äußerst  gebildeter  Technik  führt  die  Stimmen,  mischt  die  In- 
strumentenfarben und  hält  die  Polyphonie,  die  auf  dem  Papier  verwirrend 
erscheint,  zu  einer  fließenden  Schönheit  zusammen.  Ich  kann  Ihnen  nicht 
sagen,  mit  welcher  Wonne  nach  den  mehrfachen  gesprochenen  Dialogen, 
die  der  Autor  nach  altem  Muster,  aber  in  guter  Absicht  beibehielt,  das  Ohr 
wieder  in  diese  breiten  Ströme  von  Wohllaut  taucht,  die  sich  bisweilen  zu 
einer  stolzen  Blechbläserwelle  erheben,  um  dann  durch  geteilte  Streicher  über 
Harfenstege  in  scherzende  Korrespondenzen  kleiner  gestochener  Motive  zu 
zerfließen.  Sind  wir  arm  an  Erfindung,  sind  wir  keine  Seelenerlöser  und 
Schmerzensbrecher,  so  ist  uns  wenigstens  dieses  Labsal  der  Technik  gegeben, 
aus  Stil  und  Geschmack  kleine  Zauberpavillone  der  Phantasie  zu  bauen,  in 
denen  wir  uns  einige  Stunden  vergnügen.  Gehen  Sie  spazieren  durch  dieses 
Stück  ohne  viel  Kopfzerbrechen  und  Magenschmerzen  — und  Sie  werden 
sich  belohnt  sehen.  Nehmen  Sie  den  Klavierauszug,  studieren  Sie  die  Faktur 
des  ersten  heiteren  Chors  der  Pensionärinnen  oder  des  großen  Maskenchors 
oder  nehmen  Sie  das  Walzerlied  der  Luise  auf  die  Pariser  Vergnügungen 
oder  das  spanische  Lied,  mit  dem  sich  die  gefangenen  Liebhaber  aufregen, 
oder  jene  altväterliche  anakreontische  Romanze,  die  wir  hier  von  der  schwer- 
süßen Destinnstimme  unter  obligater  Begleitung  der  Bratsche  und  Oboe 
hören,  nehmen  Sie  das  schlagend  bewegte  erste  Duett  zwischen  dem  lustigen 
Liebespaar  oder  das  Quartett  zwischen  beiden  Paaren  am  zweiten  Aktschluß  — 
Sie  werden  keine  amüsanteren  Lauscheplätze  auf  Ihrem  musikalischen  Spazier- 
gang finden.  Das  Quartett  ist  köstlich,  es  ist  die  Perle.  Wenn  Sie  den  Klavier- 
auszug haben,  schlagen  Sic  auf,  spielen  Sie  Seite  233,  die  Ges-Dur-Stelle, 
beobachten  Sie  den  reizenden  Gang  der  Singstimme,  die  unter  dem  weichen 
Wehen  der  Harmonien  mit  Schubertschem  Lächeln  zu  weinen  scheint,  wie 
sich  dieser  Gesang  erweitert  bis  zum  ausströmenden  Ensemble,  so  heiter- 

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verzagt,  so  unschuldsvoll-traurig,  ein  wehmütiger  Walzer  auf  versteckten 
Rhythmen  — das  ist  musikalisch,  das  ist  die  Musik  an  sich,  Genuß  im  Hören, 
das  ist  der  reinste  und  zukunftsreichste  Keim  in  dieser  ganzen  Oper.  Hier 
sind  wir  nahe  an  der  Erfüllung. 

Quälen  Sie  mich  nicht,  den  Inhalt  der  Oper  genauer  Ihnen  zu  erzählen. 
Ich  müßte  wieder  kritischer  werden  und  ich  kann  es  nicht  vor  Ihnen,  meine 
Jugend!  Vielleicht  könnte  ich  ihn  in  eine  anmutige  kühle  Novelle  von  der 
Art  der  Goethischen  Intermezzi  zurückverwandeln,  aber  ein  Drama  soll  ge- 
sehen, nicht  erzählt  werden,  wie  eine  Musik  gehört  werden  will  und  nicht 
beschrieben  werden  kann.  Was  würde  es  nützen,  wenn  ich  Ihnen  die  Motive 
dieses  Spieles  auscinandcrlegte:  den  Gegensatz  der  beiden  Liebespaare,  po- 
litische Nebenintrigen,  Schäferliedchen,  Rendezvous,  Maskenüberraschun- 
gen, heimliche  Briefe,  idyllische  Pastorales,  Gebete  und  Kerker  und  Mahl- 
zeiten, versteckte  Horcher  und  kupplerische  Nachtigallen  ? Sie  könnten  sich 
aus  ihnen  das  Drama  ebensowenig  hcrstellen,  wie  die  Musik  aus  ihren  Leit- 
motiven, als  da  sind  die  scharfen  Quinten  der  Heirat  wider  Willen  und  der 
Dreiklang  als  Eheentschluß,  das  Terzenmotiv  des  Liebesbriefes  und  die  Chro- 
matik  des  Stelldicheins,  der  Kanon  des  Fluchtplanes  und  die  feierlichen  Ak- 
korde der  Trennung,  Hedwigs  wiegende  Sehnsuchtsphrase  und  Luisens  Ma- 
surken  und  Sechzehntelskalen,  das  Rondothema  der  Ehe  und  die  Sequenzen 
des  Königtums.  Die  Verarbeitung  ist  alles.  Weder  die  Text-  noch  die  Leit- 
motive sind  sonderlich  neu,  nichts  ist  sonderlich  neu,  und  doch  kann  ich 
das  ganze  als  feinsinnige  Arbeit  nicht  unterschätzen.  Es  gibt  Opern,  die 
negativ  oder  positiv  ein  klares  Resultat  sind.  Diese  ist  es  nicht.  Die  Sünden 
bringen  sie  nicht  zu  Falle  und  die  Tugenden  machen  sie  nicht  ganz  sieges- 
gewiß. Frau  Humperdinck,  die  ich  Ihnen  als  Textautorin  verraten  darf, 
hat  aus  der  Dumasschen  Vorlage  ein  sehr  nettes  Stück  gezimmert  und  es 
dennoch  im  einzelnen  mit  etwas  billiger  Draperie  verziert.  Er,  der  Gatte 
und  Komponist,  hat  die  Details  zu  reizender  Kunst  ausgefeilt,  aber  das  ganze 
auf  zu  viele  Beine  gestellt.  Noch  einmal:  nehmen  Sie  diesen  Versuch  als 
ein  interessantes  Stück  Zeitgeschichte,  aber  lassen  Sie  sich  um  himmelswillen 
durch  keine  grämliche  Kritik  davon  abhalten,  den  Augenblick  zu  genießen: 
en  amour  comme  en  musique,  sagt  Hans  v.  Bülow. 

Die  Königskinder. 

Ein  Spielmann  steht  da  und  singt  von  alten  Zeiten,  singt  Märchen,  deren 
Wunder  größer  sind  als  alle  Maschinen  unserer  Zukunft,  die  Kinder  sitzen 
um  ihn  herum  und  lauschen,  sie  verstehen  ihn,  er  versteht  sie,  und  wir 
verstehen  sie  alle.  Diese  glauben  noch  an  die  Gänsemagd,  die  Königin  wird, 

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und  an  den  Königssohn,  der  sie  findet  und  heiratet,  weil  sie  beide  so  innerlich 
freie  Menschen  sind.  Die  Geschichte  scheint  lustig  weiter  zu  gehen  und  be- 
lebt sich  mit  Hexen,  Besenbindern,  Ratsherren,  Wirtstöchterlein,  Stallmäg- 
den und  allem  bunten  Zeug,  das  einst  aufmarschieren  soll,  wenn  die  beiden 
ihren  Thron  besteigen.  Es  gibt  immer  schlechte  Menschen,  auch  solche, 
die  dies  Königspaar  nicht  anerkennen  wollen,  und  der  Spielmann  erzählt, 
wie  sie  sie  verhöhnten,  die  Widersacher,  und  aus  dem  Tore  der  Stadt  hinaus- 
warfen. Die  Kinder  klatschen  vor  Vergnügen,  denn  sie  sind  immer  für  Hand- 
greiflichkeiten und  wissen  ja  doch:  im  letzten  Kapitel  werden  sie  gekrönt 
mit  Kuchen  und  Schokolade.  Humperdinck  spitzt  seinen  Bleistift  und  ent- 
rollt das  rastrierte  Papier.  Da  aber  passiert  etwas  Unvorhergesehenes.  Die 
Dichterin,  die  wundervolle  Frau  Rosmer,  tritt  mit  ernster  Miene  zu  dem 
Spielmann  und  ruft  ihm  zu:  „die  Wahrheit!“  Der  Spielmann  wird  verwirrt, 
die  Kinder  stutzen,  der  Komponist  lächelt.  „Die  Wahrheit!“  Es  entsteht 
eine  Pause,  in  der  Jahrhunderte  zur  Erde  zu  sinken  scheinen,  und  der  Spiel- 
mann weigert  sich,  weiter  zu  erzählen.  So  nimmt  die  Dichterin  selbst  das 
Wort.  Sie  klagt  dem  Leben  und  kennt  die  Menschen  und  rettet  sich  in  die 
Märchen,  ohne  das  Bewußtsein  der  Tragik  verlieren  zu  wollen.  Wie  fein 
und  edel  ist  diese  Frau,  die  mit  einer  Träne  im  Auge  Kindern  Wahrheiten 
sagt,  die  mit  einer  bewußten  Kunst  die  letzten  Naivitäten  zu  einem  Geständ- 
nis des  Schicksals  umformt.  Ja,  das  Gänsemädchen  hat  ein  Brot  gebacken, 
und  sie  spricht  den  Zauber  über  das  Brot  aus:  der  davon  ißt,  mag  das  Schönste 
sehn,  so  er  wünscht,  sich  zu  geschehn.  Aber  schon  greift  die  Hexe  das  Brot 
und  spricht  den  zweiten  Zauber:  wer  es  Hälften  ißt,  stirbt  ganzen  Tod. 
Und  die  Hexe  soll  ihr  Recht  haben.  Die  Dichterin  erzählt,  wie  die  beiden 
Königskinder  nach  unendlichen  Irrfahrten  um  die  goldene  Krone  schließ- 
lich dieses  Brot  kaufen,  an  dem  sie  in  einer  letzten  Entzückung  freien  Menschen- 
tums sterben.  Der  Spielmann  schweigt,  die  Kinder  weinen,  aber  die  Dich- 
terin ist  erbarmungslos,  wie  der  Schnee.  In  Hansel  und  Gretel  habt  ihr 
die  Hexe  verbrannt.  Jetzt  rächt  sie  sich,  jetzt  will  sie  ihren  Schein  haben. 
Die  Kinder  weinen,  aber  sie  sind  gebildet  genug,  der  Dichterin  zu  glauben, 
und  trösten  sich,  mit  dem  Spielmann  allein  unter  allen  Menschen  das  König- 
liche dieser  beiden  erkannt  zu  haben.  Jetzt  werden  sie  nicht  mehr  klatschen, 
wenn  man  sie  aus  dem  Tore  wirft,  sie  werden  in  kultivierter  Märchenge- 
bärde ihnen  folgen,  sie  tot  finden,  sie  beklagen  — der  lahme  Spielmann  im- 
mer hinterher. 

Und,  was  auch  vor  sich  gegangen  sein  mag,  der  gütige  Komponist  lächelt 
und  schreibt.  Er  schreibt  zuerst  nur  ein  paar  Zwischenspiele  und  melo- 
dramatische Begleitungen,  wie  in  einer  literarischen  Ehrfurcht  vor  diesem 

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beziehungsvoll  ersonnenen  Märchen,  aber  allmählich  spinnt  sich  seine  un- 
aufhaltsame Musik  über  das  ganze  Stück,  und  siehe,  ohne  sich  zu  überlegen, 
wie  weit  er  hier  ein  naives  oder  naivisierendes  Märchen  vor  sich  habe,  ge- 
winnt er  kraft  des  Zaubers  seiner  ehrlichen  und  rührenden  Kunst  dem  Stoffe 
so  viel  Ursprünglichkeit  und  Innerlichkeit  zurück,  daß  nach  dem  letzten 
Takte  der  Spielmann  und  die  Kinder  zu  ihm  stürmen  und  ihm,  von  einem 
seltsamen  Druck  erlöst  die  Hand  küssen.  Ja,  die  musikalischen  Königskinder 
haben  sich  ihr  Land  gewonnen,  das  ihnen  die  Wahrheit  des  Lebens  entreißen 
wollte.  Nein,  ein  Drama  aufzuführen,  das  liegt  nicht  in  ihrer  Absicht.  Ein 
Drama  heißt  hinausschreien  über  die  Szene  aus  ihren  Schmerzen  und  die 
Nerven  rütteln  und  die  Musik  zerstören  mit  furchtbaren  Schlägen  und  zer- 
rissenen Fabeln  und  zerstampften  Liedern.  Sie  kommen  einfach  auf  der 
Bühne  zusammen,  und  wo  es  irgend  geht,  singen  sie  Lieder  und  spielen 
Tänze  und  träumen  Motive  und  verweben  ihre  Melodien,  als  ob  sie  aus  die- 
sem Märchen  längst  hinausgekrochen  wären,  um  ein  ewiges  Leben  der  Töne 
zu  führen.  Und  die  Liebesanträge  des  Königssohns,  seine  Verlassenheit,  die 
Träume  des  Mädchens,  das  Ensemble  der  Gänse  und  Ratsherrn,  die  Ver- 
gnügsamkeit  der  Kinder,  die  Seligkeit  des  Spielmanns,  selbst  alles  Hunger- 
leid der  beiden  löst  sich  in  versteckte  oder  offene  Lieder  auf,  aus  denen  der 
Sänger  spricht,  der  Sänger,  der  diese  Bühnenballade  schrieb  und  spielte. 
Das  Drama  stört  ihn  nicht  mehr,  mit  einer  gefühlvollen  Kleinmeisterlich- 
keit,  mit  einer  empfundenen  Polyphonie,  mit  einer  herzlichen  Freude  an 
webender,  schwebender,  lebender  Musik  gibt  er  dem  Königssohn  und  seiner 
Gänsemagd  alle  tröstliche  Schönheit,  die  sie  im  Leben  nicht  finden  sollten. 
Nur  einmal  greift  er  voll  in  die  Saiten,  um  von  sich  aus,  ganz  neben  der 
Bühne,  die  tragische  Empfindung,  die  ihm  die  Dichterin  empfahl,  zum  Aus- 
druck zu  bringen.  Es  ist  das  Orchestervorspiel  zum  dritten  Akt,  das  in  brei- 
ter Ausladung  der  Themen  und  tiefer  Versenkung  der  Harmonien  die  große 
Klage  um  den  Tod  der  Freiheit  hinausruft,  einmal  ganz,  einmal  stark,  um 
sonst  dem  lyrischen  Rhythmus  sein  fließendes  Gleichmaß  zu  lassen.  Wohnt 
Anmut  hinter  dieser  deutschen  Stirn,  wohnt  Schmerz,  wohnt  tragische  Dis- 
sonanz, oder  Rettungssehnsucht  aus  diesem  Wahrheitszwang,  oder  ist  das 
alles  zu  viel,  zu  dick,  zu  formlos  — er  schweigt  und  komponiert  zeitferne 
Märchenliederstücke. 

Die  stärkste  deutsche  Oper  nachwagnerscher  Zeit,  aber  wagnerschen 
Blutes,  ist  Pfitzners  Armer  Heinrich.  Ein  Tristanzweig,  wie  Hänsel 
und  Gretel  ein  Meistersingerzweig  ist.  Ein  Werk,  aus  der  Tiefe  empfunden, 
mit  dem  Glauben  an  Musik.  Ich  sage:  die  stärkste  Oper,  nicht  die  beste, 

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und  ich  sage : wagnersch.  Das  Wagnersche  ist  im  Allgemeinen,  es  ist  das  Klima, 
in  dem  diese  Musik  aufwuchs,  ist  die  Satzart,  das  Orchester,  die  Gesangs- 
behandlung und  die  Religion  der  Motive.  Aber  das  einzelne  wächst  oft 
darüber  hinaus.  Dietrichs  Erzählung  von  seiner  Salernofahrt,  ein  mächtig 
angelegtes  Stück,  scheint  zuerst  ein  Tannhäuser,  in  Tristan  getaucht.  Aber 
es  entwickelt  sich  härter,  zu  einer  eigenen  Art  in  Rhythmus  und  Linie, 
ein  neuer  Atem,  ein  schärferer  Schnitt.  Und  so  liegt  über  manchem  eine 
schöne  harte  Kruste,  vom  vielen  Durchheizen,  vom  männlichen  Ernst  in 
Willen  und  Gestaltung.  Das  Leidensmotiv  geht  zu  Brahms  hinüber.  Ab- 
soluter musikalischer  Sinn  drängt  sich  in  die  Opernallüren  hinein.  Ein  Er- 
innerungsgesang Heinrichs,  märchenhaft  isoliert,  läuft  nur  zu  einer  einzigen 
ausgedehnten  Violinstimme.  Das  Schneidemotiv,  das  Opfer  des  reinen 
Mädchens  für  den  kranken  Ritter,  hat  eine  stolze  Plastik.  Der  Waffen- 
abschied Heinrichs  ist  von  greller  Sinnlichkeit,  mit  dem  naturalistisch  er- 
mattenden, vergeblichen  Schluß.  In  der  Szene  des  Mädchens  mit  ihrer  Mut- 
ter ist  eine  musikalische  Psychologie  von  ganz  seltener  Feinheit:  ein  Aus- 
laufenlassen, ein  Stehen  der  Vision,  eine  Macht  der  Pausen,  eine  späte  Roman- 
tik bis  in  die  Instrumente  und  in  das  kleine,  kaum  glaubliche  Terzett.  Der 
Text  von  Grün  ist  szenisch  gar  nicht  so  ungeschickt,  wie  er  in  den  Worten 
wagnerhaft  ist.  Nur  das  Ende  gelingt  nicht.  Die  Kämpfe  des  Ritters  mit 
sich,  mit  dem  Mädchen,  das  Verhältnis  des  Arztes,  der  das  Opfer  vollziehen 
will,  der  Eltern  des  Mädchens,  alles  das  gibt  keine  Situation,  vor  allem  keine 
musikalische.  Pfitzner  hilft  sich  mit  Mönchsgesängen.  Am  Dramatischen 
leidet  er  so  wie  so.  Aber  das  Niveau  der  Musik  ist  Edelboden.  Hier  ist  kein 
Feuilleton,  keine  Liebäugelei  mit  der  Konzession  im  Weib,  im  Kind,  kein 
Mannengetue  und  Haargeschüttel,  hier  ist  das  wahre,  eigensinnige  und 
tief  phantasievolle  deutsche  Musikerblut. 

Nicht  so  in  der  „Rose  vom  Liebesgarten“.  Grüns  Dichtung  versinkt 
in  Wagner  und  Pfitzner  gleitet  ihm  nach.  Es  ist  zu  zeitgemäß.  Bisweilen, 
in  Nymphen-,  in  Zwergenszenen  lacht  der  Geist  seltsamer  deutscher  Mär- 
chen, aber  der  Rhythmus  des  Ganzen  ist  zu  gleichmäßig,  das  Gebaren  zu 
schöngeistig,  das  Ideale  zu  dünn  und  das  Wirkliche  zu  symbolisch.  Was  vom 
„Wcrdandi“  in  Wagner  steckte,  kommt  in  diesen  Kindern  heraus.  Pracht- 
volle Farben,  Orchesterideen,  symphonische  Feste  — aber  die  Überzeugt- 
heit leerer  Gesten,  die  nicht  in  den  letzten  Gründen  des  Dichterischen 
und  Musikalischen  ihren  Antrieb  haben.  Nicht  Hodler,  sondern  ein  Illustrator 
Bayreuths. 

Ich  bewege  mich  auf  schwankendem  Boden.  Während  ich  schreibe, 
entsteht  vielleicht  meine  Widerlegung.  Ich  schreibe  aus  der  Erinnerung, 

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zur  Zeit  des  ersten  Hörens,  unbefangen  und  mit  dem  besten  Willen  für  alle 
Zeitgenossen,  die  historisch  zu  behandeln  unlogisch  und  unfruchtbar  ist. 
Meine  Charakteristik  bezieht  sich  nur  auf  die  Anarchie  unserer  Zustände, 
auf  die  Unsicherheit  und  Wandelbarkeit  alles  Bestehenden.  Was  habe  ich 
von  Goldmark  für  eine  Erinnerung?  Er  gab  etwas  Französisch-Exotisches 
in  der  Königin  von  Saba,  niemals  dachte  man  ernstlich  ihn  gegen  Wag- 
ner auszuspielcn  — oder  doch  ? So  richten  sich  die  Zeiten  selbst.  Seine 
liebenswürdige  Begabung,  besonders  im  Idyllischen,  schuf  manchen  noch 
angenehme  Stunden.  Es  ist  vorbei.  Anders  sind  jetzt  die  Gründe,  aus 
denen  Pfitzncr  seine  Mühe  hat,  oder  Schillings.  Pfitzner,  der  tiefere,  Schil- 
lings, der  kühlere,  sind  nicht  dramatisch  erobernd,  und  Liebenswürdig- 
keiten liegen  ihnen  nicht.  Die  Ingwelde  war  wagnerhaft.  Im  Pfeifertag 
traten  eigene  Qualitäten  hervor.  Im  Moloch  untergrub  der  unmögliche 
Hcbbelsche  Stoff  die  noble  Musik.  Eine  Fülle  kerniger  und  eigenwilliger 
Phantasie  ist  auf  kalte  Tafeln  geschrieben  worden.  Andere  arbeiten  auf 
ebenerem  Volksboden.  Karl  Weis’  Polnischer  Jude  hat  eine  sehr  gesunde 
Popularität.  Thuille,  besonders  in  seinem  kindlichen  „Lobetanz“,  den  Bier- 
baum dichtete,  hatte  das  strömende  Herz  des  Musikers.  Hans  Sommer  in  einer 
ganzen  Reihe  von  Opern  verwaltet  mit  Liebe  und  Kenntnis,  ohne  durch- 
schlagende Kraft,  diese  Bezirke.  Siegfried  Wagner  möchte  hier  landen. 
Er  war,  zu  Beginn,  vielleicht  der  unwagnerscheste  von  allen.  Ein  frischer, 
derber  und  natürlicher  Ton  bewegte  seine  Kunst.  Seine  Texte,  nach  der 
Lehre  des  Vaters  selbst  verfaßt,  litten  unter  einer  germanistischen  Neigung 
zu  Sagenverknüpfungen.  Seine  Musik,  begabter  als  man,  durch  ein  wohl 
begreifliches  Vorurteil  irre  geführt,  meinen  könnte,  hat  Gefüge,  Verstand 
und  ein  Gefühl,  das  nicht  in  die  Bahnen  der  väterlichen  Schule  zu  gleiten 
brauchte,  um  glaubhaft  zu  sein.  Das  Volk!  Wer  trifft  es?  Pfitzner  ist  ein 
Musiker,  Schillings  ein  Künstler,  diese  alle  treue  Schüler,  seit  Hansel  und 
Gretel  traf  es  doch  keiner  so  sicher.  Die  eklige  moderne  Operette,  ein 
Schmieren  der  gemeinsten  Instinkte,  nimmt  den  Boden  weg.  Es  gibt  da 
Ansätze,  aus  dem  Volkstümlichen  das  Volkskünstlerische  zu  entwickeln 
(manchmal  bei  Fall  und  Straus),  aber  sie  verschwinden  vor  der  Süßholz- 
raspelei mit  gesummten  Walzern,  ohne  Fleisch  und  Knochen,  fade  Mode- 
gehänge. Reznicek  in  der  Donna  Diana  hat  Qualitäten  für  die  feinere 
Galanterie.  Wer  weiß,  was  da  werden  kann  in  der  Mitte  zwischen  den 
Ästheten  von  Geschmack,  zwischen  den  erhöhten  Dilettanten  — ein  lieb- 
licher Kanal  wäre  zu  bauen,  der  die  Kultur  einer  wohlgebildeten  Volks- 
kunst zu  tragen  hätte,  so  wenig  entfernt  von  einer  natürlichen  Grazie  als 
von  der  Erfahrung  guter  Schulen.  Als  gute  Schule  scheint  mir  die  opera 


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comique  vergessen  zu  sein.  Zwischen  ihrer  bühnensicheren  und  gesangs- 
bewußten Stilfestigkeit  und  den  träumerischen,  musikversunkenen  Welten 
Humperdincks  könnte  ein  möglicher  Weg  führen.  Zwei  weitverbreitete  Opern 
sollen  in  dieser  Hinsicht  genannt  werden  (auf  sehr  verschiedenem  Niveau), 
deren  erste  Eindrücke  ich  reproduziere. 

Zuerst  Kienzls  Kuhreigen.  Einen  glücklichen  Fund  tat  Batka,  da  er 
diese  reizende  Bartsch’sche  Rokokonovelle  mit  Musikfutter  unternähte. 
Ein  schweizerisches  Lied,  ein  Kuhreigenlied,  das  man  nicht  singen  darf  — 
wie  musikalisch!  Und  daß  es  Primus  Thaller  doch  singt  und  ins  Gefängnis 
wandert  — wie  viel  musikalischer!  Und  daß  ihm  die  kleine  Marquise  das 
Leben  schenkt  und  ihn  dafür  als  Spielzeug  ihrer  Sinne  mitnehmen  will  — 
wie  tönereich,  das  klingt  schon  von  selber.  Und  dann  die  Revolution  mit 
ihrem  rhythmischen  Feuerwerk,  und  daß  er  sie  nun  retten  will,  und  sie 
nun  nicht  will,  wie  er  einst  nicht  wollte  — das  ergibt  so  glückliche 
Situationen,  wie  nur  je  eines  dieser  dramatisch  zuckenden  Sujets,  die 
zwischen  Revolution  und  Grazie,  Liebe  und  Edelmut  pendeln.  Batka  hat 
es  famos  dialogisiert.  In  der  Szene,  da  Blanchefleur  den  Thaller  mit  sich 
nehmen  will,  sind  der  Pointen  gar  viele  und  liebliche.  Und  in  der  Szene, 
da  er  sie  mitnehmen  will,  ergibt  sich  ein  Milieu  von  einem  grausigen 
Charme,  der  einer  alten  opera  comique  würdig  gewesen  wäre  — die  Adligen 
tanzen  das  mozartelnde  Menuett  im  Templekerker,  während  ihre  Mit- 
glieder gruppenweise  zur  Guillotine  gerufen  werden,  und  immer  tanzen  sie 
weiter . . . 

Kienzls  Ruhm  fußt  auf  dem  Evangelimann,  der  einen  wirksamen  zwei- 
ten, aber  einen  schlechten,  italianisierenden  ersten  Akt  hat,  reizend  in 
der  Wiener  Hofszene  mit  dem  Milieu  des  Lannerwalzers.  An  Fadessen 
fehlte  es  nicht.  Mit  anderen  Opern  hatte  er  es  schwerer,  durchzudringen. 
Im  Don  Quixote  verlor  er  sich  an  Sprödigkeiten.  Er  wußte  nicht  recht  — ' 
und  man  sagte  ihm,  er  solle  der  Lortzing  unserer  Zeit  werden.  Man  erwar- 
tete Volkstümelei  und  Tränenseligkeit  von  ihm.  Und  nun  kommt  er  mit 
diesem  Stück,  das  bühnenfest,  anmutig  und  frei  von  jeder  Theorie  und  von 
jeder  Tümelei  ist.  Wie  merkwürdig!  Und  wie  löblich!  Ich  hätte  es  nicht 
gedacht.  Ich  gratuliere  ihm  zu  dieser  Wendung  und  finde  sie  sehr  klug. 
Aber  mit  Klugheit  ist  es  allein  nicht  gemacht.  Er  konnte  es,  er  erfüllte, 
was  er  wollte.  Nicht  alles  ist  auf  gleicher  Höhe,  bisweilen  blitzen  fremde 
Lichter  auf,  bisweilen  schlägt  eine  leichte  Trivialität  an,  oder  eine  bequeme 
Lässigkeit  — aber  im  ganzen  ist  es  wohl  und  fein  gesetzt,  gut  ineinander 
gearbeitet  und  so  anständig  geführt,  daß  man  seine  Freude  hat.  Die  Kom- 
position des  Kuhreigenliedes  stammt  von  ihm,  sie  ist  ganz  ausgezeichnet, 

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Ti  kräftigen,  männlichen,  musikalisch  scharf  geschnittenen  Volkston.  Revo- 
ationslieder  überlieferter  Fassung  sind  eingeflochten,  aber  immer  so  ge- 
duckt und  verständnisvoll,  daß  sie  niemals  wie  fremde  Federn  am  Hut 
virken.  Töne  der  Leidenschaft  sind  getroffen,  wie  die  Grazie  und  Frivoli- 
:ät  getroffen  ist,  und  meist  hat  das  musikalische  Ohr  ein  sauberes  und  stil- 
reines Vergnügen  an  der  Führung  seiner  Melodie,  an  der  Farbe  seiner 
Modulation,  an  den  Kontrasten  der  Rhythmen,  an  der  Faktur  der  En- 
sembles und  an  dem  Wohllaut  der  Tänze.  Alte  Formen,  als  Prägung  der 
Aristokratie,  sind  mit  modernen  Ausdruckswahrheiten,  als  Prägung  der  Re- 
volution, in  ein  einheitliches  Ganze  gebracht,  und  das  Stilgefühl  in  diesen 
gemischten  Gegenden  ist  vielleicht  sicherer  als  in  manchem  bedeutenderen 
und  genialeren  Werke  unserer  Tage.  Besonders  angenehm  ist  mir  der 
zweite  Akt,  der  zu  dem  breit  ausgeführten  Lever  des  Königs  und  zu  der 
großen  Szene  zwischen  der  Marquise  und  dem  Schweizer  eine  Musik  bringt, 
die  sich  dauernd  glücklicher  Einfälle  erfreut  und  in  eine  charakteristische 
Partitur  gesetzt  ist. 

Das  ist  nicht  geschwätzig,  nicht  überheblich,  das  ist  aus  einem  natürlichen 
Maß,  und  gegen  alle  heutigen  Musiküberschwemmungen  gehalten  — jeden- 
falls eine  Selbsteinschätzung,  die  nicht  mehr  zahlen  will,  als  sie  einnimmt. 
Gute  bürgerliche  Ökonomie. 

Auch  zu  Leo  Blechs  Versiegelt  schrieb  Batka  den  Text,  nach  anderen 
mit  anderen.  Ein  Biedermeierstück,  mehr  im  Stil,  als  in  der  Möglichkeit. 
Denn  daß  eine,  die  einen  liebt,  ihn  in  einen  Schrank  steckt,  weil  sie  ihn  ver- 
steckt, kann  wohl  passieren.  Aber  daß  sie  ihn  zum  Gegenstand  einer  komi- 
schen Ovation  machen  will,  wäre  doch  sehr  unpsychologisch.  Sie  will  es 
übrigens  gar  nicht,  nur  das  Possenschicksal  spielt  ihr  einen  Streich.  Man  kann 
das  nicht  so  erzählen.  Aus  dem  Schrank,  in  dem  der  Bürgermeister  versteckt 
ist,  kommt  ein  Liebespaar  heraus,  und  ihr  müßt  Zusehen,  wie  sich  das  so  fügt. 
Der  Bürgermeister  unterschreibt  aus  dem  Schrankloch  den  Ehekontrakt 
dieses  Liebespaares.  Der  Schrank  hat  nämlich  ein  Loch.  Außerdem  gehört 
er  gar  nicht  der  Frau,  bei  der  er  steht.  Er  ist  hingeschafft  von  einer  anderen 
Frau,  um  nicht  gepfändet  zu  werden.  Aber  er  wird  doch  gepfändet.  Es 
gibt  Schranksiegel  und  Kußsiegel.  Kurz,  die  Geschichte  ist  nicht  zu  er- 
zählen, aber  man  kann  sich  schon  denken. 

Die  Musik  ist  unbeschreiblich  gut.  Sie  führt  auch  über  die  Befangenheiten 
des  Textes  weg,  sie  tanzt  darüber  weg,  und  die  Posse  wird  möglich,  weil 
man  sie  hört.  Alles,  was  wir  ersehnten  an  Leichtigkeit  des  Rhythmus,  liebens- 
würdiger Melodie,  Geistreichtum  des  Orchesters,  lebendiger  Charakteristik, 
war  hier  gefunden.  Kein  falscher  Ton,  keine  Verschiebung  der  Empfindungen, 

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kein  Schielen  und  Renom- 
mieren, es  ist  Champag- 
nerblut darin,  sprühender 
Witz  und  schwebende 
Laune.  Die  Partitur  ist 
eine  Folge  von  Lecker- 
bissen, nicht  zu  gewürzter, 
sondern  ein  französisches 
Diner  mit  vieler  und  leich- 
ter Kost.  Und  gar  nicht 
französisch.  Ein  Meister- 
singerkind, von  Gemüt 
durchleuchtet,  von  Heim- 
lichkeiten erfüllt.  Die  In- 
strumente sprechen,  sie 
kugeln  sich,  spitzen  sich, 
stellen  sich  auf  den  Kopf 
und  stehen  wieder  auf  den 
Beinen,  ein  jedes  nach 
seiner  Farbe  und  seinem 
Gewissen.  Die  Harmonien 
kuschen  sich  und  dehnen 
sich  und  machen  Horizont 


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XecT  7'T30' 


Tilcmann,  Personen  Verzeichnis  zu  Blechs  Versiegelt 


und  alterieren  sich,  in  unermüdlichem  Wechselspiel.  Die  Melodien  lächeln 
und  begucken  sich  und  stürzen  sich  in  die  Arme  und  machen  das  Gras  weich 
und  stecken  ein  Fähnchen  auf.  Die  Rhythmen  fliegen  und  zögern,  von 
einer  tänzerischen  Beweglichkeit  bis  zum  saftigen  Walzer,  der  alle  ihre 
Schritte  vereinigt.  Glücklicher  Stunde  entsprossen,  streuen  sich  diese  Blumen 
vor  uns  hin,  ein  Meisterstück  geschickter  und  graziler  Hände,  Geist  und 
Kunst  und  Wahrheit  in  einem. 


Richard  Strauß 

ER  ist  eine  Epoche,  auch  gegen  die  Gleichzeitigen.  Er  ist  es  in  Deutsch- 
land, das  er  mit  starker  Hand  vom  Wagner-Epigonentum  befreite,  ohne 
in  billige  Volkstümelei  und  Stilmeierei  zu  lenken;  er  ist  es  in  der  Welt,  der  er 
eine  Persönlichkeit  von  eigenem  Schnitt  vorstellte.  Er  ist  ein  Werk  und  ein 
Wirker  unserer  Zeit,  kein  wesentlicher  Erfinder  eines  offenbarenden  Melos, 

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nicht  ein  Gestalter  aus  tiefen  inneren  Notwendigkeiten,  aber  ein  Meister 
des  Technischen,  aus  dem  die  Poesie  der  Materie  wächst,  ein  Könner  aus 
letzten  Möglichkeiten,  mit  den  Wendungen  der  Zeit  nach  allem  Zeitlichen 
gewendet,  ein  Bauender  aus  scharfen  Instinkten,  ein  Harmoniker  aus  un- 
beschränkten Mitteln,  ein  Rhythmiker  von  einem  Schwung,  wie  ihn  kein 
zweiter  wagt,  ein  Genie  der  modernen  Orchesterfarben,  eine  Phantasie,  ewig 
vom  Neuen  erregt.  Weltmensch  im  weiten  Blick  für  das  Nurkünstlerische, 
Deutscher  im  Ernst  der  Arbeit  und  der  Liebe  zur  Substanz. 

In  Humperdinck  und  Strauß  schwingen  heut  zwei  Pole.  Humperdinck 
ist  ein  guter  alter  deutscher  Musiker,  der  seinen  Stoff  mit  einer  inneren 
Tonwelt  überschüttet,  die  warm  durch  seine  Seele  läuft;  Strauß  ist  der  Ni- 
veaukünstler, der  mehr  original  als  originell  sich  aus  dem  objektiven  Stil 
des  Stoffes  den  Ton  formt,  die  Töne,  eine  ganze  Musik,  die  er  selbst  dann 
mit  kühlem  Herzen  gestaltet,  wenn  sie  von  Wärme  flutet.  Jener  ist  das 
Zentrum  der  Musik,  das  nur  nicht  das  Zentrum  unserer  Zeit  ist,  und  dieser 
ist  das  Zentrum  unserer  Zeit,  das  nur  nicht  das  Zentrum  der  Musik  ist. 
Das  gehört  zusammen,  so  verschieden  es  ist,  es  sucht  sich,  es  umwirbt  sich, 
und  in  dem  Kreise,  in  dem  es  läuft,  laufen  wir  selber  und  fühlen  für  beide 
Richtungen  etwas,  wenn  wir  überhaupt  die  Musik  und  auch  wieder  unsere 
Zeit  lieben  oder  suchen.  Die  feurigen,  romantischen,  demokratischen  Jahre, 
die  um  Wagner  sich  ausbreiteten,  waren  für  die  Musik  zentraler,  von  Beet- 
hovens dramatischen  Symphonien  bis  zu  seinen  symphonischen  Dramen  ist 
es  unmittelbare  Seele  der  Zeit,  die  sich  in  der  Musik  aussprechen  kann  und 
aussprach.  Was  ist  das  Zentrum  unserer  Jahre  ? Ich  glaube,  in  jedem  Sinne 
und  in  jedem  Felde  ist  es  das  organisierte  Unternehmertum,  etwas  Unmusi- 
kalisches, Antimusikalisches.  Entweder  man  isoliert  sich  und  versinkt  in  die 
Musik,  die  süß  schleichende,  spinnende,  sich  verwebende  Musik,  deren 
gleitende  Melodien  uns  auf  jedem  Wege  zwischen  diesen  furchtbaren 
organisierenden  Unternehmen  sanft  umklingen,  oder  man  begibt  sich  in  die 
Gefahr,  mit  den  Waffen  der  Musik  an  dem  hastenden,  formsuchenden, 
selbst  in  der  Romantik  bewußten,  in  der  Sensitivität  kanalisierten  Werk 
der  technischen  Epoche  mitzuarbeiten,  in  der  Peripherie  der  feinen  Geister, 
in  die  die  kohledampfenden  Kräfte  der  Zeit  ihre  letzten  Wirbel  hinaussenden. 
Jenes  ist  Humperdinck,  dieses  Strauß,  wenn  man  mir  einen  Augenblick  ge- 
stattet, die  Kulturwerte  der  Musik  abzuwägen.  Ich  tue  dies  nur  auf  das 
Kommando  der  Überlegung;  in  der  naiven  Stimmung  der  musikalischen 
Reizbarkeit  liebe  ich  sie  beide  in  ihrer  Art  und  möchte  keinen  um  den  anderen 
verlieren,  wenn  ich  auch  in  die  Verlegenheit  komme,  über  die  Kraft  von 
Strauß  die  Güte  von  Humperdinck  zu  vergessen. 

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Der  Guntram,  mit  dem  Strauß  in  die  Opernwelt  trat,  läuft  noch  stark 
in  den  pathetischen  Spuren  Wagners.  Er  dichtete  sich  selbst  den  Text, 
der  zwischen  Wagner  und  Nietzsche  nicht  den  Ausweg  findet,  den  Helden 
eines  sozialen  Verbandes  zur  individuellen  Selbstbestimmung  durchführt, 
aber  schließlich  musikalisch  seiner  Liebe  entsagen  läßt.  Der  Verband  kam 
vom  Gral  her,  die  Selbstbestimmung  vom  Antigral,  die  Musik  verwischte 
die  Entscheidung.  Gerade  diese  Ges-Dur-Entsagung  wurde  ein  sehr  schönes 
Stück.  Im  übrigen  herrscht  Wagner  in  der  Gebärde  und  im  Gebilde.  Nur 
in  der  motivischen  Gegend  des  Bundes  treten  eigene,  mehr  diatonische, 
herbere  und  härtere  Wendungen  auf,  deren  Folgen  für  Strauß  mitten  in 
unserer  chromatischen  Welt  fruchtbar  wurden.  Ihm  stand  fortan  die  Diatonik 
gut  und  fest  in  der  Hand. 

Die  Feuersnot  war  ein  großer  Schritt,  gegen  das  Epigonentum  und 
doch  vorbei  an  den  Volksbanalitäten  in  einen  Bezirk  bodenständiger, 
kerniger,  durchwachsener  Musik,  der  ihm  heut  noch  Luft  und  Licht  geben 
könnte.  Ernst  von  Wolzogen  schrieb  einen  Text,  von  Kunrad,  der  den 
Münchnern  das  Feuer  nimmt,  weil  sie  ihm  die  Liebe  nicht  gönnen.  Im  Klein- 
stadtstil mit  Wagnerismen,  im  Spott  mit  Pathos.  Strauß  komponierte  ihn 
herunter,  den  Spott  und  das  Pathos  nebeneinander,  ohne  sich  zu  stellen. 
Nur  zu  einem  stellte  er  sich:  wie  Kunrad  das  alte  Zauberwesen  abstreift, 
um  zum  tätigen  Leben  zu  erwachen,  so  streift  er,  mit  Zitaten  des  Riesen- 
motivs, des  Walhallmotivs,  des  Holländermotivs,  den  Wagner  aller  pessi- 
mistischen Ringflüche  ab,  um  sich  ganz  im  Wagner  der  Meistersinger 
zu  befreien.  Die  Entsagung  hat  ausgespielt.  Der  Held  übernimmt  die  Rolle 
des  Rächers,  das  Feuer  glitzert  hundert  lustige,  sprühende,  leuchtende 
Funken,  das  Volk  besingt  die  Finsternis  in  einem  Meisterchor  von  frischestem 
Naturalismus,  die  Liebe  findet  reine,  herzliche  und  einfache  Zwiegesänge  — 
Sonnenwende  ist  gekommen  von  allem  Lastenden,  Philosophischen,  Uber- 
weltschmcrzlichen  zum  Frohen,  Liedhaften,  Menschlichen  mit  aller  Lyrik 
und  allem  Lachen.  Es  ist  ein  Einakter,  der  seine  tanzgesangliche,  rhythmisch 
beschwingte,  aus  allen  großen  Gesten  und  beladenen  Missionen  zum  ent- 
zückenden Spiel  der  Musik  erwachende  Kunst  bewußt  zusammendrängt. 
Als  sei  sie  aus  einer  symphonischen  Dichtung  erwachsen,  der  sich  die  Bühne 
annimmt. 

Die  Salome  wurde  der  Genieblitz  dieser  Entwicklung.  Guntram  war 
aus  Wagner  abgezogen,  Feuersnot  ein  Rückversetzen  der  Symphonie 
in  die  Bühne  der  Johannisnächte,  Salome  eine  Erlösung  — aber  nicht  von 

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tragischen  Dramenschmerzen,  sondern  des  modernen  Orchesters,  das  er- 
wachsen war  und  einen  Namen  suchte.  Salome  schlummerte  in  ihm,  Strauß 
erweckte  sie.  Die  Wildesche  Dichtung  half  ihm  nur  dabei.  Es  war  ein  Stück 
von  gedrängter  Farbenpoesie,  Farbe  in  den  Personen,  in  ihren  Beziehungen, 
im  Klima,  stark  atmosphärisch  und  nach  dem  Ton  sehnsüchtig,  der  seine 
blasse  Lyrik  aufblühen  ließ.  Der  alte  Opernkomponist  hätte  Herodes  ein- 
fach wüten,  Salome  einfach  lieben,  Jochanaan  einfach  predigen  lassen. 
Er  hätte  das  Stück  zurückverwandelt  in  das  Schema  seiner  durchsichtigen 
Komposition.  Strauß  entwickelte  es  weiter  in  die  Antitonalitäten  und  Dis- 
harmonien, die  Ironien  seiner  Gesinnungen,  die  Abgründe  seiner  Psycho- 
logie, die  uneingestandenen  Falschheiten  und  Hingebungen  seines  grau- 
samen Lebens.  Er  goß  das  Orchester,  auch  das  der  Stimmen,  darüber,  um 
seine  Klüfte  zu  füllen,  seine  Tiefen  zu  färben,  seine  Höhen  zu  illuminieren. 
Das  Orchester  überschwemmte  dieses  Drama,  das  sich  ihm  völlig  hingab, 
weil  es  die  Seele  dieses  Orchesters  erlöste.  Irgendeine  Stelle  der  Bibel, 
drei  Worte,  hatten  gezündet.  Sie  rief  Kunstgeschichten  der  Malerei  hervor, 
Literaturen  und  Opern.  Flaubert  enthüllte  seelische  Wesenheiten,  Massenet 
behängte  es  mit  orientalischem  Geschmeide,  Wilde  opferte  Perversionen 
des  Gefühls,  Strauß  schrieb  diese  Musik,  die  auf  den  Namen  Salome  alle 
Wunder  und  Geheimnisse,  die  man  nicht  auszusprechen  gewagt  hatte,  in 
phantastischer  Pracht  häufte.  Die  Flaubertsche  Vision  des  Salometanzes, 
ein  bunt  zerwühlter  Satanismus  für  das  Auge,  wurde  hier  Wirklichkeit  im 
Ton.  Wilde  ließ  Salome  den  Jochanaan  lieben:  so  war  die  Musik  vollendet. 

Seine  Akteure  sind  16  erste  Violinen  mit  entsprechenden,  vielfach  geteil- 
ten Streichern,  19  Holzbläser,  wobei  er  durch  das  Heckeiphon  die  Oboen- 
gruppe nach  unten  vervollständigt,  15  Blechbläser,  4 Pauken,  alles  Schlag- 
zeug, Harfen,  Celesta,  Glockenspiel,  Xylophon,  Orgel,  Harmonium,  — nie- 
mals bis  dahin  wurde  ein  ähnlicher  Klang  gehört.  Wenn  Jochanaan  stirbt, 
begleiten  ihn  geteilte  Kontrabässe,  teils  heruntergeschraubt,  teils  auf- 
gepeitscht durch  einen  Rutschton  in  hohem  Griff,  dessen  Gespenstigkeit 
Berlioz  erfunden  hatte.  Da  Salome  das  Haupt  des  Jochanaan  küßt,  spielt 
die  Orgel  einen  tiefen  Cis-Moll-Akkord,  von  Sekunden  durchschnitten, 
blutig  betropft  von  ihrem  roten  Motiv,  das  an  dem  silbernen  Faden  der 
Violinen  hängt.  In  einem  Wurf  sondergleichen,  nur  wenige  Takte,  führt 
das  Orchester  in  die  glitzernde  Sphäre  dieser  seltsamen  Welten.  Dann  baut 
es  sein  Triptychon.  Das  symphonische  Zwischenspiel,  zuckend  ausklingend, 
beim  Abgang  des  Jochanaan,  der  Tanz  der  Salome  in  seiner  bacchantischen 
Steigerung  stellen  die  Rahmen.  Die  Judenszene  gibt  ein  Scherzo  dazwischen. 
Die  Akzente  szenischer  Wiederholungen,  die  Forderungen  der  Salome 


540 


an  Jochanaan  und  die  an 
Herodes  geben  den  drama- 
tischen Rhythmus  und  das 
Kreszendo  innerhalb  dieser 
verwirrenden  Fülle:  von 
blinkenden  Juwelen,  da 
Herodes  der  Salome  seine 
Schätze  bietet,  von  künst- 
lichen Blumen,  da  Salome 
den  Narraboth  verführen 
kann,  von  asiatischer  Ver- 
zückung, da  ihr  Leib  in 
exotischen  Lüsten  musi- 
ziert, von  der  Halluzination 
aller  Begriffe,  da  über  das 
romantische  Hornmotiv 
des  Jochanaan  die  Pizzikati 
in  entgegengesetztem  Takt 
schwirren,  oder  teuflisch 
einsame  Triller  die  Gren- 
zen der  Tonarten  und  ihrer 
Empfindungen  verwischen, 
von  der  schneidenden  Falschheit  des  Tonalen,  mit  dem  Herodes  Holzbläser 
und  Stimme  zu  einem  Sprechton  zwingt,  der  der  Musik  unwürdig  sein  will, 
von  der  breiten,  großartigen,  tief  vergrabenen  Lyrik  der  Salome,  da  alles 
am  Schluß  um  sie  herum  Gefühl,  Gesang,  Klang,  Liebe  zur  Musik  wird, 
das  Grausen  sich  im  Ton  befreit,  das  Brünstige  des  Fleisches  in  der  In- 
brunst der  musizierenden  Empfindung,  die  ihr  die  Krone  des  Christentums 
geben  würde,  lebte  sie  noch  länger,  oder  hätte  sie  ein  Menschenalter  vor- 
her gelebt. 

Die  Faktur  der  Salome  ist  motivisch ; nicht  ohne  gewisse  plötzliche  Liebens- 
würdigkeiten bürgerlichen  Geruchs  oder  konzertmäßigen  Wohlwollens, 
die  Strauß  immer  unterlaufen  läßt.  Die  Motive  selbst,  wie  der  Gang  der 
Harmonien  und  der  Elan  des  Rhythmus  (dieses  ewig  Drängende,  Feuernde 
mit  allem  Splitterwerfen)  legen  seine  Sprache  endgültig  fest.  Farbe  ist 
die  Harmonie,  das  Tempo  und  auch  das  Motiv,  das  nur  symbolische  An- 
sprüche macht,  schon  mehr  aus  dem  Stil  geworben,  als  aus  Phantasie  gewor- 
den, ein  Motiv,  an  dem  Geschichte,  Kultur,  Erinnerung  hängt.  Farbe  ist 
die  Einheit.  Es  ist  die  Symphonie  des  neuen  deutschen  farbigen  Orchesters. 

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Man  darf  es  noch  weniger  vom  Drama  nehmen  als  bei  Wagner.  Wie  es 
nicht  mehr  den  moralischen  Willen  Wagners  hat,  nicht  mehr  sein  Expli- 
kationsbedürfnis durch  eine  Bühne,  so  hängt  es  noch  gerade  so  viel  an  ih  r, 
wie  Debussys  Oper  noch  gerade  so  viel  am  Gegenteil  hängt,  am  Orchester. 
Hier  sind  die  Grenzpunkte  rechts  und  links  von  Wagner:  das  Orchester 
als  Illustration  und  die  Bühne  als  Illustration.  Prinzipiell  betrachtet  sind 
beide  Versuche  ein  Ende.  Aber  sie  sind  beide  zu  künstlerisch,  um  nur  als 
Ende  zu  interessieren.  Salome  ist  als  Gattung  einzig  und  in  sich  selbst  Be- 
weis genug.  Von  den  feingestimmten  Nazarenergesängen  bis  zur  Animalität 
der  Salome  ist  die  Geschlossenheit  einer  Musikanschauung,  ihr  Kristall. 
Es  war  ein  Griff  in  ruhende  Schätze.  Eine  Notwendigkeit  im  höchsten 
Sinne  der  Technik.  Ein  Werk,  gemacht,  weil  es  reizt,  aber  so  vollkommen, 
daß  es  nicht  wieder  zurückgedacht  werden  kann.  Bei  ganz  geringen  Atavis- 
men in  der  Gegend  des  Jochanaan  oder  in  der  opernlyrischen  Steigerung 
der  Salome  hat  es  den  Zwang  letzten  Ausdrucks,  der  das  Siegel  der  Kunst  ist. 

Strauß  liebt,  wie  in  den  Symphonien  die  Einsätzer,  so  in  den  Opern  die 
Einakter.  Sein  Blut  geht  in  schnellem  Rhythmus,  er  neigt  zur  Konzen- 
tration leidenschafdicher  Ergüsse  in  knapper  Form  und  er  mußte,  fast  von 
selbst,  auf  die  Hofmannsthalsche  Elektra  aufmerksam  werden,  die  in  einem 
rasenden  Tempo,  dessen  Kraft  erprobt  war,  die  Nerven  der  Zuschauer 
erschütterte,  ihren  Geist  bannte.  Es  reizte  ihn,  als  er  cs  kennen  lernte. 

Es  reizte  ihn,  an  einer  neuen  Welt,  nicht  mehr  einer  bunt  koloristischen, 
sondern  ehernen  und  massiveren  seine  Hand  zu  probieren.  Er  hatte  sich 
seine  Opernpalette  mit  der  Salome  geschaffen,  jetzt  fing  er  dort  an,  wo 
er  aufgehört  hatte.  Die  Farben  gehörten  ihm,  sie  waren  überwunden.  Der 
Stil  sprang  heraus,  und  er  hat  ihn  in  der  Elektra  in  einer  für  ihn  selbst 
nicht  mehr  revolutionären,  aber  sehr  reifen  und  sicheren  und  könnerhaften 
Sprache  angewendet.  Die  Salome  war  sein  Wurf,  Wagnis,  Durchbruch;  die 
Elektra  wurde  die  erste  Station  des  neuen  Weges.  Die  Salome  ist  ihm  innerlich 
verwandter,  und  es  wird  sicherlich  viele  geben,  denen  sie  darum  noch  lange 
sein  eigenstes  bleiben  wird;  die  Elektra  ist  die  Probe  aufs  Exempel,  und  sie 
bedeutete  daher  erst  die  wirkliche  Eroberung  eines  Publikums,  das  auf  dieser 
Brücke  zu  ihm  gelangte,  nachdem  es  zur  Salome  nicht  direkt  gefunden  hatte. 
Die  Salome  hat  eine  verführerische  materielle  Dramatik,  die  Elektra  hat  eine 
echtere,  szenische  Dramatik.  Die  Salome  war  die  Farbe  und  die  Landschaft, 
die  Elektra  ist  die  Sprache  und  der  Stil. 

Der  musikalische  Stil  der  Elektra  ist  nicht  mehr  aus  technischer  Freude 
zu  erklären.  Er  ist  selbstbewußt.  Das  symphonische  Gemälde  ist  um  seiner 

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selbst  willen  vorhanden.  Rücksichtslos  schildert  es  die  seelischen  Vorgänge 
von  erhabener  Lyrik  bis  in  die  grausen  Abgründe  primitiver  Leidenschaften. 
Diese  Musik  scheint  sich  mit  der  zyklopischen  Welt  von  Hofmannsthals 
Dichtung  auf  Urgründen  zu  vereinigen,  wo  letzte  Dinge  noch  unverdorben 
lagern.  In  der  eigentümlichen  Sprache  von  Strauß  treffen  sich  Zerrissen- 
heiten flatternder  Meinungen  mit  den  großen  Bogen  innerer  Erhebungen, 

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schreiende  Dramatik  mit  weich  fließender  Lyrik.  Er  wühlt  im  Orchester. 
Er  ruft  die  Geister  aller  Instrumente,  um  tiefste  Schachte  durch  sie  zu 
enthüllen,  er  zerstiebt  sie,  um  sie  Verwirrung  stiften  zu  lassen,  er  bindet 
sie,  um  ihre  dämonische  Suggestion  zu  erproben,  er  schneidet  sie,  um  die 
Wonne  des  blutigsten  Schmerzes  zu  genießen,  er  dehnt  sie  zu  Horizonten 
und  schärft  sie  zu  Stichen,  kocht  und  rast  und  schreit  und  klagt  mit  ihnen 
in  jener  beschleunigten  Passion,  die  sein  Tempo,  in  jener  wohlabgewogenen 
Kontrastik,  die  seine  Klugheit  ist.  Ungewöhnlich  spricht  seine  Sprache, 
keine  überkommenen,  verschlissenen  Worte,  sondern  Neubildungen  der 
schaffenden  Phantasie,  keine  Routine  der  verbrauchten  Effekte,  sondern 
tief  ausgeholte,  vom  erregten  Geist  zitternde  Formen  einer  resoluten 
Wahrheit.  Die  Bühnenstimmen  stehen  darüber  in  demselben  neuen,  er- 
regten Pathos,  zu  furchtbar  miterlebend,  um  Lieder  zu  singen,  das  letzte 
Resultat  der  technischen  Möglichkeit  eines  singenden  Menschen,  dessen 
Ausdruck  seine  Kehle  als  Instrument  benutzt.  Motive  weben  sich,  aber 
bauen  sich  nicht  unnatürlich,  Erinnerungen  flechten  sich,  aber  stehen 
nicht  still.  Im  Leben  der  Kontraste  taucht  hier  und  da  eine  Phrase  von 
vollendeter  Lieblichkeit  auf,  ein  Stück  Duett,  ein  sacht  verklingendes  Lied, 
bisweilen  fast  ein  Klang  erholungsbedürftiger  Untermenschlichkeit  — 
aber  diese  Gebilde  existieren  nicht  für  sich  und  um  sich,  sie  sind  Sprache 
mit  Assoziationen,  wie  Fluchen  und  Lachen,  Schreien  und  Augenzwinkern 
es  sind,  sie  stehen  als  Motive  seelischer  Beziehungen  in  diesem  Konzert, 
dessen  direkte  und  indirekte  Ausdrucksformen  kein  Mensch  wird  trennen 
können. 

Die  Eigenheit  des  Elektra-Orchesters  besteht  in  der  Verdreifachung 
der  Violinen,  die  man  bisher  meist  nur  in  zwei  Gruppen  benutzte.  Ihnen 
entsprechen  drei  Bratschengruppen,  zwei  Cellogruppen.  Die  zweite  Eigen- 
heit ist  die  starke  Heranziehung  des  tiefen  Blechs,  vier  Tuben,  Baßtrompete 
(zu  sechs  hohen  Trompeten),  Kontrabaßposaune,  Kontrabaßtuba : cs  ist 
Nibelungenstimmung.  Der  tiefe,  eherne  Ernst  dieses  Milieus  und  seine 
merkwürdige  Zuspitzung  in  weiblichen  Rollen  spiegelt  sich  hier  wieder. 

In  diesen  Angelegenheiten  ist  Strauß  Meister  wie  kein  zweiter,  und  der  Klang 
seines  Orchesters  ist  von  einer  so  gewaltigen  und  doch  wieder  so  süßen  Fülle, 
so  einheitlich  stark  und  doch  wieder  so  gedämpft  in  allem  Reichtum,  daß 
er  durchaus  im  Verhältnis  steht  zu  der  musikalischen  Sprache  selbst.  Noch 
einmal:  niemand  wird  in  Elektra  auch  nur  eine  Stelle  entdecken,  die  aus 
dem  Klange  geboren  ist.  Der  Stil  hat  den  Klang  unter  sich  bekommen, 
die  Sprache  hat  die  Instrumente  dienstbar  gemacht.  Dies  ist  die  Ehrlich- 
keit. Dies  ist,  wenn  man  will,  der  Fortschritt. 

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Stern:  die  Dryade  aus  Ariadne  auf  Naxos 

Mit  Genehmigung  der  Firma  Adolph  Fürst  ncr,  Berlin  W.-Paris.  Copyright  1912  Adolph  Filrstner 


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Im  schlagenden  Wetter  scharf  aneinander  gesetzter  Szenen  rollt  sich 
das  Stück  ab,  bei  dem  der  Dichter  des  Textes  weniges  hinzugefügt,  weniges 
hinweggenommen  hat.  Die  Unruhe  der  Mägde  als  Einleitung,  noch  etwas 
unsicher.  Der  große  Monolog  der  Elektra  mit  der  Anrufung  Agamemnons 
als  erste  stehende  Gewißheit:  in  weitem  Bogen,  in  hohem  Atem,  in  furcht- 
barer Majestät.  Erste  Chrysothemisszene : gegen  das  harte,  starke  Wesen 
der  Elektra  tritt  die  weichere  Schwester,  eine  liebliche  Dreivierteltakt- 
schwester in  welligem  Es-Dur,  das  Leben  rufend,  im  Leben  klingend  bis 
zur  seelischen  Tanzekstase,  die  diesen  einfachen,  heiter  aufklingenden  Takten 
schnell  den  Namen  eines  Chrysothemiswalzers  gebracht  hat.  Folgt  die 
Klytämnestraszene : hohle,  schaurige,  gespenstische  Schrecken,  gelähmte 
Harmonien,  heisere  Schönheit,  dumpfes  Brüten,  geduckte  Lust  tierischer 
Gier,  das  Irren  eines  Dämons,  die  Angst  und  die  Feigheit,  und  die  grausame, 
ironische  Rache,  die  ihr  Elektra  in  einem  Bacchanal  des  Blutes  vor  die  Sinne 
stellt.  Zweite  Chrysothemisszene:  der  Umschlag  ins  lebendige  Leben, 
Elektra  saugt  sich  aus  der  unverbrauchten  Schwester  die  Kraft  zur  Tat, 
eine  Erotik  des  Mutes,  eine  Liebesszene  der  Vergeltungswut,  ein  Aufrauschen 
von  Säften,  die  an  den  Tagen  des  Wartens  schlummerten  — wirklich  etwas 
von  erotischer  Farbe  in  diesem  Stück  voller  Taten,  ohne  Liebesfreuden. 
Jetzt  die  Erscheinung  des  Orest.  Schweres  Warten,  Bangen,  Ahnen,  die 
Erkennung,  der  Ausbruch,  der  stärkste  Ausbruch  des  ganzen  Stücks,  ein 
Händestrecken  und  Himmelschreien  des  Orchesters,  das  sich  sanft  legt, 
sich  in  zartem  As-Dur  beruhigt,  herunter  und  herunter,  sich  streichelnd, 
sich  wiegend,  in  einem  wundervollen,  zartmilden,  herzholden  Liede  der  dank- 
baren Anrufung  des  Bruders.  Türen  geschlossen,  ein  Nichts,  Schrei,  Schrei  — 
es  ist  geschehen,  und  das  jauchzende  Triumphlied,  der  Opfertanz,  der 
Sühnetanz  der  Elektra,  die  ihr  eigenes  Opfer  wird,  wirbelt  alles  Elektrastarke, 
Chrysothemissaftige,  Orestbeseligende  in  eine  sieghafte  Schlußsymphonie 
zusammen:  eine  glitzernde  Krone,  die  sich  das  Schicksal  aufsetzt. 

Es  bleibt  ein  bewundernswertes  Werk,  von  der  großen  deutschen  Kraft 
absoluter  Tonsprache.  Die  Gefahren  der  drei  herrschenden  Frauenrollen 
sind  durch  die  Disposition  überwunden.  Je  weiter  dem  Ende  zu,  desto  brei- 
ter gibt  sich  die  Musik,  desto  williger  dringt  sie  auch  ins  Herz.  Der  Dampf 
des  Neuen,  wie  in  der  Salome  um  den  Herodes,  liegt  hier  um  Klytämnestra. 
Bei  der  Komposition  stockte  Strauß  an  dieser  Stelle.  Er  wartete  auf  das 
Fremde.  Jetzt  ist  es  in  ungeahnten  Impressionen  da.  Man  sieht  in  braune 
Abgründe,  man  riecht  die  tierischen  Herrschermenschen,  die  einst  da  unten 
wandelten.  Zwischenwelten  entstehen  hier,  bei  Hofmannsthal  zwischen 
Gott  und  Tier,  bei  Strauß  zwischen  der  alten  seligen  Wagneroper  und 

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tzten  Aufschlüssen  über  die  medusenhafte  Antike  unserer  Jahre.  Die 
/eiten  stoßen  und  durchdringen  sich.  Wohl  fliegen  Splitter  und  Meteore. 
Lber  es  geschieht  etwas : in  äußersten  Spannungen  schafft  der  Geist.  Wohin 
ährt  es  ? Ich  lege  das  Band  der  Straußschen  Werke  hin.  Während  ich  zu- 
ückschreibe,  arbeitet  er  weiter. 

Die  alte  Humperdinckoper  und  die  neue  Straußoper  traten  einmal  nahe 
aneinander  in  den  scharf  folgenden  Berliner  Erstaufführungen  der  Königs- 
tinder  und  des  Rosenkavalier.  Es  war  wehmütig,  Humperdinck  Lebewohl 
zu  sagen.  Aber  es  trieb  mich  zu  dem  anderen,  der  den  Stil,  das  Tempo, 
die  Unruhe,  die  Sehnsucht,  die  Geschäftigkeit,  die  Energie  unserer  Zeit 
hat  und  seine  Musik  nicht  mit  freundlichem  Lächeln  laufen  lassen  kann, 
sondern  sie  faßt  und  schlingt  und  schmiedet  und  feilt  und  nietet  und  baut, 
sich  am  Orchester  nicht  bloß  entzückt,  sondern  es  zu  letzten  Erregungen 
antreibt,  die  Stimme  als  bestes  Instrument  und  den  Gesang  als  Stil,  Technik, 
Form  nimmt,  als  Form  wie  eine  Farbe  alter  Formen,  die  er  mit  Bewußtsein 
als  Ornamente  seinem  Bau  aufsetzt.  Die  Sehnsucht  nach  der  Form  streicht 
durch  die  Luft,  die  Empfindung  der  Wahrheit  können  wir  nicht  lassen  — 
was  ist  das  Ideal  der  geeinten  Form  und  Empfindung  in  der  Musik,  durch 
die  Musik  ? Mozart.  Mozart  tragen  wir  auf  unsern  Lippen  jetzt,  wie  wir 
ihn  längst  im  Herzen  trugen.  Mozart  ist  aus  Schönheit  Richtung  geworden. 
In  einer  anderen  Weise,  als  sie  der  Liedersänger  meint,  soll  der  Ausdruck 
in  der  reizvollen  Form  aufgehn,  er  die  Wahrheit,  sie  der  Stil,  nachdem  uns 
Stil  in  allen  Künsten,  und  auch  in  dieser,  eine  geschlossene  Konvention 
der  Vergangenheit  geworden  ist,  deren  Gebundenheit  ein  Milieu  schafft. 
Hier  liegt  die  Schwierigkeit : wir  dürfen  Mozart  nicht  nachmachen  und  wollen 
mozartisch  auf  unsere  Art  sein.  Wie  verschmelzen  wir  das  Bestehende  und 
das  Werdende?  Strauß  nimmt  das  Bestehende  als  Ornament,  das  Werdende 
als  Stil.  Er  macht  nicht  nach,  er  schreit  nicht  heraus,  er  baut,  er  montiert  — 
nur  so  kommt  man  ihm  nahe. 

Er  will  eine  musikalische  Komödie  schreiben,  die  die  Mozartsehnsucht 
auf  einen  praktikablen  Weg  bringt,  wobei  die  Komödie  Nebensache,  Haupt- 
sache die  Realität  der  Wirkung  ist,  deren  entzückende,  altwienerische  Orna- 
mentik seine  Klugheit  unterstreicht.  Er  bewillkommnet  Hofmannsthals 
Dichtung,  die  unter  Humor  und  Lyrik  ein  Stückchen  Liebesieben  der  Maria- 
Theresiazeit  in  eine  reizende,  pointierte  Fassung  bringt.  Schon  ist  das  Milieu 
der  Zeit  da  und  singt  von  selbst.  Das  Motiv  der  Überreichung  einer  silbernen 
Rose  vom  Brautwerber  für  den  Bräutigam  an  die  Braut  ist  Musik.  Daß  der 
Bräutigam,  der  Ochs,  eitel  wie  ein  Baß,  zurückgestoßen  wird  und  der  Rosen- 

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kavalier,  süß  wie  ein  Sopran,  e.  • ...  .«S&fa  m r 

zuletzt  an  seiner  Stelle  steht,  |Oniglld)ES  Sgß  ®Pfmf)flll5 

ist  Musik.  Die  Gestalten  ®nini,H.  *»»  2‘  3*»»«  l»ll 

sind  Musik.  Der  Ochs  von  KS*  Slflfflllg  6 U(ff  <^3L 

Lerchcnau,  ein  dummdrei-  _ *^***"2»  i,,*,,  - , 

ster  Geldjäger  und  Bauer,  J^tOftttf dllClltC^ 

ein  Don  Quixote  des  Adels,  jfamrtit  fit  fPlufif  « »in  Bof|igre  im 

ein  Don  Juan  der  Stall-  £»8°  •« 

...  SSufif  ECO  ttitfear»  ®tco«8 

magde,  ein  Falstaff  unter  ^ 

Seelen,  ist  so  unmusikalisch,  W 

daß  er  ein  Fressen  für  Musik  f I - : SSr 

ist.  Die  Marschallin,  Welt-  u SrT-C;.  SkTtS"  ÜäZL'  . . 'EriH 

da  me,  ein  wenig  Kirche,  s ä?L~SSsr:  : f“fT*  ' ,££,£■” 

ein  wenig  Prater,  ein  wenig  *®  *£.». 

Amouren,  mit  dem  ent-  g ££;  z z z SV?*  *t— » - - -S*tt 

sagungsvollen  Lächeln  de?  *S  ZS 

großen  Verständnisses  aUer  * » — " ^ Z 

menschlichen  Dinge,  ist  ge-  Wl  «—**"*»“»' ** “ ** ’*' 

° ° yj Co «!■»»<  8t4.ii«u  gfWr.«»*»« 

borene  Musik.  Musik  ist  der  M — ft«,  *>»«  n ->»,  i<>,  «■*««>-'  »W*» 

junge  Page  und  Offizier,  prgS^Äjy  t r:Tj 

der  Rosenkavalier,  Cheru-  j : : SSg.1%1».  f [j : : ^SSrätf^lj I’. 

bins  Sohn,  aber  viel  besser  ^sSEäIL,  " : " Tr'“S2?,H"Ä  : ZI 

, _m . . . “»W  1 

erzogen  und  wählenscher  — T"  -1  ■ 

rj,  j , ^piefpCan 

m seinen  lugenden  und  ftiii«u«ri cxnUii  Sniiu^h ««cinirriiai 

Sunden.  Musik  ist  die  junge  ÄKS^U*''  ^ Ä ,VSZ,m,'&.n~ 

Sophie,  ruhrend,  demütig,  SÄ.S5 *££?&!**  Ä-'ÄtÄ.’S.Sr 

naiv  und  von  allerfeinstem  vi'«*.-  0"**'‘  ‘*  <a** 

Stilgefühl.  Musik  sind  alle  * lttr-  ÄatTfHfi»ffn«ns  's*«  Ufr.  »afsog  8 Ufr. 

, . , , ÖnK  «f«™  10  Ufr. 

herumwimmelnden  riguren  v.«;uu>*.aT«uu.^ .-bu^uö 

aus  der  großen  Schublade  Zelte!  d,-r  l'ra„lführtiP.g  drs  Rorcnkavalier 

der  Casanovazeit,  Intrigan- 
ten von  Beruf,  Friseure  von  Gewissen,  Tenörc  vom  hohen  Ces,  inkorporierte 
Kellner,  dumme  Notare,  adlige  Waisen,  frtihstücktragcndc  Neger,  betreßte 
Diener,  genannt  die  Livree,  und  „verschiedene  verdächtige  Gestalten“. 
Musik  ist  der  Rhythmus  und  die  ganze  Anlage  des  Stucks:  der  erste  Akt 
Lever  der  Marschallin,  der  zweite  die  große  Auseinandersetzung  der  beiden 
Bräutigams,  der  dritte  die  Chambre  separee  mit  der  Abführung  des  Ochs 
und  der  Verlobung,  genau  im  Quiproquo,  in  Verkleidungen,  in  Situationen, 
im  Zu-  und  Ablauf  der  Personen  aufeinander  eingerichtet,  daß  es  ein 


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Ontif  gr qm  10  Ufr. 


Zcittrl  di*r  Uraufführung  de*  Koscnkavaiier 


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«cs,  aln  # 8u»ju*  «sai 


kunstgemäßes  Jonglieren  wird  mit  wahren  und  falschen  Erlebnissen,  in 
einer  Sprache,  die  die  dialektischen  und  kulturellen  Lagerungen  der  Zeit 
gar  anmutig  auf  die  Spitze  der  Zunge  bringt  und  die  Lippen  feuchtet 
vom  Geschmack  einer  Genußfreudigkeit,  für  die  es  keine  Unmoral  gibt  als 
die  Lächerlichkeit.  Um  die  Marschallin  davor  zu  schützen,  wird  Oktavian 
nach  der  Nacht  mit  ihr  ein  Mädchen,  in  das  sich  der  herein  platzende 
Lerchenau  verliebt  — um  den  Lerchenau  lächerlich  zu  machen,  gibt  er 
ihm  das  Rendezvous,  der  in  dieser  Nacht  in  ihm  den  Mann  und  den  Sieger 
erkennt.  Symmetrie  mit  Verkleidungen  — sie  war  altes  Buffoprivileg  und 
mag  bestehen,  da  uns  die  Vertauschung  der  Kleider  immer  noch  weniger 
peinlich  ist  als  die  des  singenden  Geschlechts. 

Unausgeglichene  Reste  finden  sich  beim  Übergang  der  Dichtung  in 
die  Musik.  Hofmannsthal  schreibt  aus  Liebe  zu  einer  Musik,  die  leise  in  ihm 
klingt,  aber  nicht  immer  mit  praktischen  Kenntnissen  der  Wirkungsmöglich- 
keiten dieser  Kunst,  die  klar  und  eindeutig  bleiben.  Bei  dem  literarischen 
Ehrgeiz  unserer  modernen  Oper,  die  Texte  von  Maeterlinck,  Schnitzler. 
Wilde,  Hofmannsthal  ungeändert,  nur  gekürzt  komponiert,  muß  dies  einmal 
zur  Sprache  gebracht  werden.  Die  Musik  arbeitet  gewisse  Stimmungshinter- 
gründe aus,  die  in  fast  jeder  Situation  liegen:  selbst  in  sehr  realen,  wie  der 
erste  Akt  von  Charpentiers  Luise  zeigt.  Sie  kommt  mit  den  Worten  am 
besten  aus,  wenn  diese  die  Akzente  der  Handlung  scharf  zusammenfassen, 
im  übrigen  sich  in  leichter  Lyrik  ergehen.  Nur-Musiker,  wie  Mozart  und 
Verdi,  wußten  es  sehr  genau.  Zudem  hatte  die  alte  Buffooper  den  Vorteil, 
alles  Gedankliche  und  Handelnde  in  die  Sekkorezitative  oder  Sprechdialoge 
zu  stecken  und  sich  musikalisch  auf  lyrisch  freiem  Felde  zu  sammeln.  Ge- 
rade weil  wir  das  nicht  mehr  wollen  oder  können,  muß  der  Text  heut  auf 
alle  Sachlichkeiten  verzichten,  die  über  den  Dialog  gestreut  sind.  V ielleicht 
wird  der  Inhalt  dadurch  in  der  Lektüre  nicht  so  eingänglich,  in  der  Auf- 
führung ist  es  zehnmal  besser,  einen  skizzierten  Inhalt  als  unverstehbare 
sachliche  Texte  zu  hören.  Es  liegt  so  viel  daran ! Verhandlungen  mit  Notaren, 
polizeiliche  Feststellungen,  Entwicklungen  von  Mißverständnissen,  Witze 
mit  Personen,  sentenziöse  Gedankenspaziergänge  — das  ist  gut  für  den 
gewissenhaften  Dichter  Hofmannsthal,  für  Strauß  ist  es  eine  Hemmung. 
Mit  unerhörter  Meisterschaft  hat  Wagner  ähnliche  Schwierigkeiten,  die  er 
sich  selbst  in  den  Meistersingern  bereitete,  überwunden.  Er  hat  das  Orchester 
so  schön  und  amüsant  spielen  lassen,  daß  man  die  Sachlichkeit  der  gesungenen 
Dialoge  überhört.  Wahn  — ist  Musik.  Die  Schuhprobe  — ist  Musik.  Das 
Herbringen  von  Walthers  Kleidern  ist  keine  Musik.  Wir  wollen  dies  jetzt 
ganz  scharf  nehmen,  es  wird  Zeit. 

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Ich  habe  gesagt,  was  bei  Hofmannsthal  Musik,  was  bei  ihm  nicht  Musik 
ist  — dieses  wird  darum  poetisch  nicht  kleiner,  jenes  aber  auch  nicht.  Ver- 
ständigungen beginnen  zwischen  Text  und  Musik.  Die  Buchausgabe  des 
Textes,  die  Textausgabe  und  der  Klavierauszug  haben  heut  noch  oft  ver- 
schiedene Fassungen.  Ochs  singt  von  den  Typen  seiner  Mägde.  Es  heißt 
im  Buch  so  stark:  „und  die  herentgegen,  der  sitzt  im  Aug’  ein  kalter,  harter 
Satan,  aber  trifft  sich  schon  ein  Stündl,  wo  so  ein  Aug’  ins  Schwimmen 
kommt,  und  wenn  derselbe  innerliche  Satan  läßt  erkennen,  daß  jetzt  bei 
ihm  Matthäi  am  letzten  ist,  gleich  einem  abgeschlagenen  Karpfen,  das  ist 
schon,  mit  Verlaub,  ein  feines  Stück,  kann  nicht  genug  dran  kriegen.“  Der 
Klavierauszug  vereinfacht  diese  teuflisch  schöne  Stelle,  bringt  andere  Mädel, 
andere  Akzente,  schiebt  vor,  läßt  aus,  es  gibt  genug  Stellen,  die  das  Blut 
dieser  Kämpfe  noch  zeigen.  Die  Literatur  und  die  Musik  schlagen  sich  bis- 
weilen freundlich  ihre  Köpfe  ein.  Dies  ist  das  einzige  Bedauerliche.  Es 
hätte  der  Oper  manche  gefährliche  Stelle  erspart,  manches  Experiment 
mit  gleichzeitig  zusammengehaltenen  Parlandi,  manchen  unwirksamen  Kniff, 
Musik  über  Nichtmusik  zu  gießen,  manche  Mattheit  in  der  Erfindung, 
und  auch  manches  Mißverständnis  der  Beurteiler.  Ich  sage  das  geradheraus, 
weil  ich  vom  Rosenkavalier  entzückt  bin  und  mir  denke:  ein  paar  freund- 
schaftliche Gespräche,  und  es  wäre  schlackenlos  geworden.  Diese  beiden 
großen  Geister  (sonst  war  immer  nur  der  eine  groß)  brauchen  einen  dritten, 
der  sie  aufeinander  einrichtet,  weil  sie  aufeinander  passen.  Mozart  ist  tot. 
Sie  haben  ihn  nicht  sprechen  hören. 

Strauß  hat  sich  noch  nie  einem  Drama  so  hingebend  in  die  Arme  gewor- 
fen. Salome  war  ein  Klang,  Elektra  eine  Symphonie,  hier  ist  er  auf  seine 
besten  Bezirke  in  der  Feuersnot  zurückgegangen,  die  so  aus  Pathos  und 
Ironie  gemischt  war,  daß  er  sich  damals  nicht  ganz  zurechtgefunden  hat. 
Hier  war  es  einfacher.  Er  stand  vor  einem  einheitlichen  Werk,  er  lenkte 
sein  Stilgefühl  auf  eine  neumozartsche  Schlichtheit  und  Delikatesse,  er 
streute  Musik  auch  über  das  Widerstrebende,  aber  er  streute  sie  ohne  große 
symphonische  Gebärde  und  mit  einer  erlaubten  Bewußtheit  des  lieblich 
Formalen,  das  in  der  gelungenen  Humoreske  des  Till  Eulenspiegel,  in  der 
zweifelhaften  Parodie  des  Don  Quixote  schon  schüchtern,  als  legendarischer 
Refrain,  aufgeblinzelt  hatte.  Er  hält  das  Orchester,  bei  aller  Klangfeinheit 
und  Instrumentenwitzigkeit,  zurück.  Er  gibt  der  Stimme  eine  viel  selbstän- 
digere, gesanglich  frohe  Haltung,  bis  zur  stilvollen  Koloratur,  bis  zum  Opfer 
der  Deklamation  an  den  schönen  Verlauf  der  Melodie.  Er  karessiert  die  En- 
sembles und  die  Tanzlieder.  Gewiß,  er  kann  nicht  archaistisch  schreiben, 
er  hat  kein  Amt,  das  achtzehnte  Jahrhundert  zu  schildern,  wie  es  war,  nur 

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wie  wir  es  empfinden,  er  schreibt  seine  Straußsche  aus  gut  geprägten  Motiven 
leicht  und  geistvoll  gezimmerte,  an  Einfällen  besonders  reiche,  immer  fließende, 
von  letzter  künstlerischer  Feinheit  gelockerte,  sprühende,  blitzende,  bald 
in  einer  eigentümlich  milden  Strenge,  bald  in  einer  verschämten  Rührung 
scharf  geformte  Musik,  aber  er  setzt  in  ihr  Gewebe  Ritornelle,  Romanzen, 
Frühstücks-  und  Soupertänzchen  und  unerschrockene  Wiener  Walzer  ein, 
die  mit  einer  unwiderstehlichen  Ornamentik  uns  bewußte  Erinnerungen 
an  alte  Formen  vermitteln:  Farben  von  Formen,  wer  ihn  kennt.  Ihre  geist- 
volle Behandlung,  ihre  Nuancierung  durch  bestimmte  Instrumentenkolo- 
ristik,  ihre  Überleitungen  in  das  eigentliche  Drama  hinein,  der  Ausklang 
des  schmerzlich-komischen  zweiten  Aktes  in  Dreivierteltakt,  die  Blamage 
von  Ochs  in  der  grotesken  Brutalität  desselben  Walzers  — Straußens  Klug- 
heit versteht  die  Ursache  zu  finden,  ohne  die  W’irkung  zu  verlieren.  Dies  ist 
im  Wesen  seiner  Kunst  niemals  stillos. 

Aber  das  wichtigste  Geständnis:  ich  bin  noch  nie  so  einfach  musikalisch 
warm  bei  ihm  geworden.  Ich  sage  nicht : er  ist  warm,  aber  er  trifft  die  Wärme, 
weil  er  sich  dem  Stoff,  wo  er  schlicht  und  herzlich  wird,  ohne  jeden  Rück- 
stand anschmiegt.  Gewiß,  die  parodistische  Überschwenglichkeit  der 
Marschallin-Oktavianszene  am  Anfang  ist  ergötzlich,  das  große  Lied  des 
Ochs  von  seinen  Mädels  (bis  auf  das  langgezogene  F über  das  Wort  „Heu“) 
ist  in  seinem  rasenden  Sechsachteltakt  sehr  humorvoll,  die  silbern  zarte, 
punktiert  verschlungene  Überreichung  der  Rose  ist  reizend,  die  Duette  der 
jungen  Leute  sind  ein  Genuß,  die  Vermummungsmusik  des  letzten  Aktes, 
wenn  sie  weiterhin  auch  etwas  verblaßt,  ist  sehr  launig  — aber  so  nahe  ge- 
kommen wie  in  den  Schlußszenen  des  ersten  und  dritten  Aktes  ist  er  uns 
allen  noch  nie.  Was  Stil  und  Nichtstil,  Lied  und  Nichtlied,  Humor  und 
Nichthumor  — hier  ist  Musik  von  wärmster,  tiefster  Innigkeit  und  Schön- 
heit, die  wie  ein  Kristall  aus  dieser  ganzen  Farce  herauswächst.  Hier  ist 
Zukunftslinie  unserer  Oper:  nichts  Entbehrtes  aller  unserer  Verwandlungen 
und  doch  ein  Einfach-Wahres,  Orchester,  Stimme,  Szene,  das  plötzlich  die 
unvermutete  Lösung  großer  Verwirrungen  zeigt.  Die  Marschallin  in  der 
leichten  Wehmut  ihrer  letzten  Liebe  — die  Marschallin  als  Stifterin  des 
neuen  Glücks:  das  sind  die  Musikzentren  dieses  Werks.  Wiener  Volksklänge 
streichen  durch  die  Luft,  der  Duft  des  Praters  steigt  in  heimlichen  Walzer- 
terzen auf,  die  Gebärden  des  großen  Pathos  verklingen  in  der  Erinnerung, 
man  hofft  und  singt  und  lacht  ein  wenig  — merkt  ihr  was  ? Der  gefoppte 
Ochs  ist  hinaus.  Die  drei  bleiben  zurück:  die  Marschallin,  Oktavian  und 
Sophie.  Sie  wissen  nicht  recht,  wie  sie  das  sagen  sollen,  was  sie  da  zu  sagen 
haben.  Ich  weiß  gar  nicht,  sagt  er  — ich  weiß  auch  nix,  gar  nix,  sagt  sie. 

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Und  nun  lebt  in  jedem  von  ihnen  eine  Musik  auf,  die  sie  aus  sich  heraussingen, 
breit  und  schön  und  voller  Melodie  und  getragen  von  quellenden  harmo- 
nischen Steigerungen,  und  diese  Musik  führt  sie,  die  nichts  mehr  zu  sagen 
wußten,  während  des  Terzetts  zueinander,  und  sie  singen  sich  die  Wahrheit 
ineinander,  der  Ton  rauscht  auf,  sie  nehmen  sich  die  Motive  ab,  sie  ver- 
flechten sie  und  tragen  sie  in  eine  himmlische  Höhe,  die  wir  seit  dem  Quintett 
der  Meistersinger  nicht  erstiegen.  Aus  dem  jubelnden  Orchesterklang 
bleibt  eine'  alte  rhythmisch  einfache  G-Dur-Begleitung  übrig,  zu  der  das 
junge  Paar,  zurücktretend,  im  Halbdunkel  einiger  Kerzen  ein  altvaterisch 
schönes  Liedchen  singt,  wie  den  lächelnden  Refrain  dieser  ganzen  Geschichte. 
Ein  weiß  Taschentuch  bleibt  auf  dem  Boden  liegen,  ein  schwarz  Mohrlein 
holt  es.  Husch,  husch,  hinauf,  plink,  plink  — Schluß. 

Das  letzte  Werk  von  Hofmannsthal  und  Strauß  einfach  als  eine  Abend- 
unterhaltung zu  nehmen,  ist  zu  wenig — es  ist  ein  künstlerischer  Prozeß, 
der  sein  Interesse  hat  in  der  Entstehung,  der  Aufführung  und  dem  Resultate 
dieser  Arbeit. 

Hofmannsthal  übersetzt  den  Bourgeois  gentilhomme,  er  streicht  die  ganze 
Geschichte  mit  dem  Liebespaar  und  den  türkischen  Verkleidungen,  moderni- 
siert einige  Stellen,  fügt  anderes  hinzu  und  statt  des  Ballet  des  nations,  das 
im  Original  den  Schluß  bildet,  wie  irgendein  Ballett  jeden  Aktschluß  macht, 
entschließt  er  sich,  eine  neue  Oper  zu  schreiben,  die  Ariadne  auf  Naxos, 
zusammengebracht  mit  einer  Buffonerie,  die  das  Ernste  zugleich  verspotten 
will.  Nun  bereitet  er  diese  merkwürdige  Ariadne-Aufführung,  die  dem 
Jourdain  vorgemacht  wird,  durch  das  Stück  selbst  schon  vor  und  erklärt  die 
Mischung  von  Seria  und  Buffa,  die  ihn  reizt,  als  einen  bequemen  Wunsch 
des  biederen  Parvenüs,  der  der  Meinung  ist,  alle  dienen  ihm,  während  er 
in  Wahrheit  den  anderen  dient.  Wie  einst  Lully  zu  Moliere,  soll  jetzt  Strauß 
zu  diesem  Moliere-Hofmannsthal  die  Musik  schreiben,  alles  Einleitende,  Be- 
gleitende und  die  Oper  selbst.  In  der  Arbeit  wächst  Strauß  weit  über  seine 
Vorlage  hinaus.  F.r  macht  reizende  Ouvertüren,  ausführliche  sehr  graziöse 
Musiken  zu  der  Menuettszene,  zum  Fechtmeister,  zu  den  Schneidern,  zum 
Essen,  komponiert  die  Proben,  die  die  Sänger  in  Arien  und  Duetten  von  ihrer 
Kunst  geben,  und  endlich  die  Ariadne  selbst,  Seria  und  Buffa  durcheinander, 
in  der  Ausdehnung  von  etwa  anderthalb  Stunden.  Er  erfindet  sich  ein  neues 
Orchester,  klein  und  fein,  kammermusikalisch,  etwa  das  Mozartorchester  mit  zu- 
gefügtem Klavier,  Harmonium,  Celesta  und  Harfe.  Und  schwelgt  nun  noch 
sonderlich  in  diesem  zauberhaften  Klange,  unbekümmert  um  die  Proportionen, 
die  seinem  Anteil  einen  gewiß  berechtigten,  aber  übermäßigen  Vorzug  geben. 

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Jetzt  kommt  die  erste  Stuttgarter  Aufführung.  Es  stellt  sich  heraus, 
daß  das  Ganze  vier  bis  fünf  Stunden  dauern  würde,  eine  Zeitspanne,  di« 
nicht  zu  lang  wäre  für  die  von  Moliere  bis  Strauß  überbrückten  Jahrhunderte, 
aber  wohl  zu  lang  für  die  Verhältnisse  eines  leicht  und  heiter  geschriebener 
Stoffes.  Man  beginnt  den  Prozeß  der  Entstehung  zurückzuzerlegen.  Es 
wird  ein  Schlachtplan  von  Strichen,  wie  er  noch  niemals  dagewesen  ist.  Das 
Übergewicht  hat  Strauß.  Seine  Einleitung  zum  zweiten  Akt,  die  Schneider- 
musik, die  Tafelmusik  erscheinen  als  die  anmutigsten  und  tänzerischesten 
Eingebungen,  die  er  je  gehabt,  so  gewinnend  melodisch  und  rhythmisch 
beschwingt,  daß  sie  nicht  fallen  dürfen.  Der  Fechtmeister,  der  Tanzmeister 
darf  es  ebensowenig,  das  gibt  Verve.  Von  den  Gesängen  versucht  man  in 
der  letzten  Probe  das  Duett  zu  streichen,  das  zwei  Primadonnen  dem  Jourdain 
vorführen,  in  der  Premiere  setzt  man  es  wieder  ein.  Die  Oper  selbst  scheint 
ein  Wunder  von  Klang  und  Schönheit.  Der  Rotstift  wird  zaghaft.  Ihr  Vor- 
spiel ist  von  einer  altertümlich  strengen  Trauer,  das  erste  Terzett  der  Nym- 
phen vielleicht  etwas  künstlich,  aber  es  ist  so  verzahnt,  es  kann  nicht  fallen, 
und  Ariadnes  Klage  muß  bestehen,  und  der  Schluß,  da  Bacchus  zu  ihr  kommt, 
ist  von  so  eigenartigem  harmonischen  Reiz  und  so  gesteigert  und  aufrauschend 
und  tönetrunken,  wie  er  kaum  in  natürlichem  Empfinden  bisher  etwas 
schrieb,  geklärte  Salome,  vertiefte  Elektra,  man  fühlt:  dies  ist  der  Abend, 
dies  ist  alles  und  das  Ganze.  Wenn  wegzunehmen  ist,  geht  es  nur  in  den 
eingeschobenen  Buffoszenen.  Die  große  Arie  der  Zerbinetta,  eine  richtige 
Koloraturarie,  in  der  die  Koloratur  die  Laune  der  Verliebten  zeichnet,  stil- 
volles Ornament  wie  der  Walzer  im  Rosenkavalier  — sie  ist  so  namenlos 
schwer,  unnötig  schwer,  sie  läßt  sich  beschneiden.  Und  von  den  Buffo- 
ensembles ? Das  erste,  ein  entzückendes  Tanz-  und  Singestück,  das  muß 
bleiben.  Das  zweite,  eine  rhythmische  Komödie  der  Liebe  Zerbinettas 
zu  Harlekin  und  der  Eifersucht  der  anderen,  ein  großes,  schönes  Stück  — 
man  entschließt  sich  und  schneidet  es  heraus.  Es  bleibt  nur  ein  Walzerfetzen 
übrig,  den  niemand  mehr  verstehen  kann.  In  späteren  Aufführungen  setzt 
man  es  teilweise  wieder  ein  und  kürzt  dafür  Moliere  so,  daß  die  eingelegte 
Oper  ihn  jetzt  an  Zeitdauer  übertrifft.  Die  Geschichte  dieser  Oper  ist  eine 
Geschichte  der  Striche. 

Hofmannsthal  wollte  einen  Operntext  schaffen,  der  aus  der  tiefen  Sym- 
bolik Ariadnes,  die  den  Todesgott  erwartet  und  ihren  Liebesgott  findet, 
aus  dem  Widerspiel  der  kolorierten  Buffowelt  ein  seltsam  tragisch-komisch- 
lyrisches Poem  gewannt  und  doch  der  Musik  knappe  Unterlage  bietet.  Das 
brachte  ihn  oft  in  Bedrängnis,  es  drückt  zu  sehr  auf  Worte  und  preßt  zu  sehr 
Szenen.  So  geht  seine  Idee,  daß  Bacchus  vor  Ariadne  Circe  besuchte,  die  ihn 

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nicht  vertieren  konnte,  als  Vorgang  gänzlich  in  Ensembles  und  Fernsingen 
unter,  sie  wird  musikalisch  nur  als  symphonisches  Motiv  fruchtbar.  Aber 
hier  sind  Wege  zu  einer  Ehe  der  Opernsprache  mit  der  vertieften  kosmischen 
Lyrik  unserer  Zeit,  die  ebenso  zukunftsvoll  sind,  wie  sie  den  Banausen  ver- 
schlossen bleiben.  Gelungen  ist  es  noch  nicht,  es  fehlte  wieder  der  Rat  des 
-Dritten,  der  weiß,  was  Hofmannsthal  will  und  was  Strauß  kann.  Jener  sieht 
das  Ziel  nur  in  verschleierter  Feme,  dieser  im  Eifer  der  Leidenschaft  um- 
armt ihn  zu  früh.  Um  so  zweifelloser  ist  die  Arbeit  Hofmannsthals  in  aller 
dramatischen  Verknüpfung,  im  Eingang  und  Ausgang  seiner  Ariadne  inner- 
halb Molieres.  Aber  das  Unproblematische  muß  am  ehesten  dem  Zwang  der 
Proportionen  weichen.  Unter  dem  Druck  der  Straußschen  Musik  haben  sich 
die  Verhältnisse  des  Stückes  in  der  Aufführung  mit  allen  möglichen  Ver- 
schneidungen und  Verschiebungen  des  Hofmannsthalschen  Einsatzes  so  ge- 
wandelt, daß  vom  Ausgangspunkt  der  Arbeit  das  Gewicht  ganz  nach  dem 
Endpunkt  gerückt  ist.  Jetzt  muß  die  Frage  aufkommen:  wozu  überhaupt 
noch  Moliere  ? Er  hängt  nur  noch  an  den  Fäden  der  illustrativen  Musik. 
Jourdain  hatte  sich  die  Musik  als  sein  Werkzeug  bestellt,  jetzt  nimmt  ihn 
diese  Musik  zu  dem  ihrigen.  Das  ist  etwas  wie  ein  ungewolltes  Bild  aller 
Opemgeschichte. 

Aber  es  ist  noch  mehr  als  das  Bild  der  Geschichte,  es  ist  das  Bild  des  Wesens 
der  Oper  selbst,  aller  ihrer  Widersprüche,  die  heut  mit  einer  anarchischen 
Libertinität,  jeder  in  der  Kraft  seiner  Reflexion,  nebeneinander  treten. 
Ein  leichter  Stoff  in  der  schwersten  Ausführbarkeit,  die  Ehrfurcht  der  alten 
Literatur  und  die  moderne  Bearbeitung,  der  Dichter  zum  Teil  in  der  Nach- 
ahmung des  Klassischen,  zum  Teil  in  den  letzten  symbolischen  Gängen 
der  Gegenwart,  der  Komponist  mit  einer  Neigung  zum  Archaisieren  und 
doch  in  der  kühnsten  Handschrift  seiner  jüngsten  Entwicklung,  die  antikische 
Seria  gemischt  mit  der  ewig  jungen  Buffonerie  des  italienischen  Theaters, 
Drama  und  Oper,  Dialog  und  Musik,  Einlagen  gesungener  Proben,  alles  Melo- 
dramatische und  höchst  Opernhafte,  die  Nachbildung  des  alten  Rezitativs, 
der  Arie,  der  Koloratur,  des  Ensembles  und  wieder  das  peinliche  Gewissen 
der  Psychologie,  ein  kleines  Orchester  und  ein  ganz  großes  symphonisches 
Empfinden  — einst  war  eins  in  allem,  hier  ist  alles  in  einem.  Es  ist  wie  ge- 
schaffen, um  das  Schlußstück  des  Bogens  zu  bilden,  den  die  moderne  Oper 
beschreibt:  der  Zwang  jenes  ewigen  Kreises  aller  Oper,  als  Bewußtsein, 
das  den  Stil  aufhebt,  die  Gattung  zersetzt  und  die  Irrationalität  aus  ihrem 
Traume  weckt. 


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Schluß 

TUN  bin  ich  fertig  — soweit  man  fertig  ist  mit  einem  Stoff,  der  fließt. 
N Während  ich  über  die  moderne  Oper  schreibe,  treten  andere  hin : Dukas 
t Ariane  et  Barbe- Bleue  (etwas  substanzieller  als  Debussy)  wird  allgemeiner 
ichtet,  Waltershausen  mit  dem  Oberst  Chabert  stellt  sich  als  Begabung 
tarier  Modernität  vor,  Mrazek  taucht  Grillparzers  „Traum  ein  Leben“ 
üppigste  Musik,  Bittner  probiert  die  Volkstümlichkeit,  andere  da  und 
■rt  zwischen  italienischer  Gesangsfreude,  französischer  Delikatesse,  deutscher 
hulgläubigkeit  arbeiten  — nach  allen  Himmelsrichtungen  der  Oper.  Ein 
ach  kann  ihnen  nicht  so  schnell  folgen,  das  ist  sein  Vorteil,  es  wartet  auf 
is  Eingesessene.  Es  kann  auch  der  Wissenschaft  nicht  so  schnell  folgen, 
ie  den  Bestand  der  Kenntnisse  alter  Opern  verändert  und  erweitert  — 
as  ist  sein  gutes  Recht  in  diesem  Falle.  Denn  es  ist  hier  noch  viel  Gestrüpp, 
as  für  Bekenntnisse  nicht  frei  ist.  Lange  glaubt  man,  Hasse  sei  für  Gluck 
ier  wichtige  Mann  gewesen,  dann  erscheint  eine  italienische  Biographie 
ron  Pergolese,  und  auf  einmal  ist  dies  der  wichtige  Mann.  Und  so  fort 
n jedem  neuen  Monat.  Wozu  darüber  diskutieren?  Die  Spezialgelehrten 
muß  es  geben,  und  sie  erfreuen  sich  höherer  Achtung  als  wir  Kinder  des 
Lebens. 

Nur  als  ein  Bekenntnis  — so  nehme  man  das  Buch.  Wem  das  genug 
ist,  der  ist  mein  Freund  und  wird  gern  übersehen,  wo  irgendein  Fleck  stehen 
geblieben  sein  mag.  Wem  es  zu  wenig  ist,  der  wird  die  Wege  wissen,  auf  denen 
er  in  die  Gelehrsamkeit  steigt.  Es  gibt  Schriftsteller,  die  mit  ihren  Quellen- 
angaben und  Kritiken  unter  dem  ersten  Buch  ein  zweites  schreiben.  Ich 
hasse  diese  Doppelläufigkeit.  Was  man  zu  sagen  hat,  kann  man  in  einem 
sagen.  Was  man  lesen  will,  muß  man  in  einem  lesen.  Das  Material  in  unserem 
Gebiete  ist  schnell  gefunden,  wenn  man  Lust  dazu  hat,  es  weiter  zu  ver- 
folgen. Im  neuesten  Band  des  Riemannschen  Handbuchs  der  Musikgeschichte 
oder  in  der  Leichtentrittschen  Neuauflage  des  vierten  Ambrosbandes  findet 
man  den  sogenannten  Stand  der  Forschung  über  die  älteste  Oper.  Im 
Riemannschen  Opernlexikon  steht  die  Statistik  aller  Komponisten,  Stoffe, 
Werke,  in  Neitzels  Opernführer  die  Analyse  einiger  wichtiger  Stücke,  in 
Riemanns  Musiklexikon  alle  Daten  und  die  ganze  Literatur  über  alle  Autoren 
und  alle  Geschichte.  Die  Schriften  von  Pougin,  Malherbe,  Jullien  geben 
genug  Spezialia  für  Frankreich.  Die  Werke  selbst  sind  in  oft  sehr  philo- 
logisch durchgearbeiteten  Ausgaben  der  populären  Verleger  vorhanden, 
Partitur  und  Klavierauszug.  Besonders  sei  nur  auf  Sammelbände  hingewiesen, 
in  denen  interessantes  Material  versteckt  ist : die  alten  Ausgaben  von  Cramer, 

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der  Gesellschaft  für  Musikforschung  (Eitner), 
die  Chefs  d’oeuvres  für  Paris,  PedrellsTeatro 
lirico  für  ältere  spanische  Opern,  die  ver- 
schiedenen Denkmäler  deutscher,  österreichi- 
scher, bayrischer,  englischer  Tonkunst  und 
der  vereinzelten  italienischen:  Torchi,  arte 
musicale.  Von  Neuausgaben  einer  großen 
Anzahl  seltener  und  wenig  bekannter  älte- 
rer deutscher,  italienischer,  französischer 
Spielopern  ist  die  Senffsche  Sammlung  unter 
Auszeichnung  zu  nennen,  die  jetzt  in  den 
Besitz  der  Wiener  Universal-Edition  über- 
gegangen ist.  Interessant  sind  die  alten 
Simrockausgaben,  wenn  man  sie  noch  mal 
zusammen  findet,  für  den  Geschmack  der 
Zeit  charakteristisch.  Nicht  zu  übersehen 
sind  die  teilweisen  oder  ganzen  Neudrucke 
ältester  Opern,  die  den  historischen  Studien 
von  Hugo  Goldschmidt  (z.  B.  die  Monteverdische  Incoronazione  di  Poppea) 
und  anderen  beigegeben  sind.  Das  ist  ja  alles  so  leicht  zu  finden,  wenn 
man  nur  nachsteigt.  Aber  wenige  tun  es.  Die  Musik  ist  noch  so  lebendig. 

Lebendig  — ich  hoffe,  daß  in  diesem  Buch,  auch  wo  es  historisch  werden 
muß,  genug  von  diesem  Leben  übrig  blieb.  Ich  hoffe,  daß  ich  selbst  lebendig 
genug  war  und  die  Oper  nicht  als  mehr  oder  als  weniger  nahm,  als  sie  ist. 
Sie  war  mir  ein  Gleichnis.  Im  Trubel  der  Großstadt  habe  ich  es  geschrieben. 
Hätte  ich  mit  der  Natur  gelebt  — ich  hätte  es  nicht  zu  schreiben  brauchen. 


Oskar  Bie.  Zeichnung  von  Caruso 


Verzeichnis  der  Bilder 


Altfranzösisches  Opernkostüm.  Paris,  Opernarchiv:  S.  8.  — S.  Th.  Staden,  Komponist  der 
ältesten  erhaltenen  deutschen  Oper.  Stich  von  Sandrart  nach  Herr  1669:  S.  21.  — Abzug  der 
italienischen  Truppe  1697.  Stich  von  Jacob  nach  Watteau:  S.  29.  — Hasses  Dresdner  Orchester 
nach  Rousseau  (Dictionnaire):  S.  44.  — Grundriß  des  Bayreuther  Orchesters  beim  Parsifal: 
S.  45.  — Kastrat  Farinelli  in  Gala.  Alte  Federzeichnung:  S.  52.  — Kastrat  Farinclli  im  Reise- 
kleid. Alte  Federzeichnung:  S.  53.  — Apotheose  Farinellis.  Stich  von  Wagner  nach.  Amiconi: 
S.  55.  — Burnacini,  Dekoration  zu  Cestis  Pomo  d’oro.  Wien  1667:  S.  59.  — Berain,  Dekoration  zu 
Collasses  Thetis  und  Pcleus.  Paris  1669:  S.  61.  — Altfranzösisches  Opernballettkostüm : ein 
Grieche.  Paris,  Opernarchiv:  S.  64.  — Moreau,  La  petite  löge:  S.  69.  — Logenentree  in  der 
Restaurationszeit:  S.  75.  — Repertoire  des  Theaters  von  Fontainebleau  8.  Oktober — 12.  Novem- 
ber 1765:  S.  79.  — Moreau,  Sortie  de  l’opira:  S.  85.  — Abreise  des  Direktors  in  der  Provinz. 
Alte  französische  Lithographie:  S.  89.  — Leopold  I.  Stich  von  Kilian:  S.  93.  — Handschrift  der 
Schröder- Devrient:  S.  93.  — Titel  von  Caccinis  Euridice:  S.  99.  — Handschrift  Montevcrdis 
(Poppea):  S.  loi.  — Lully.  Stich  von  Roullet  nach  Mignard:  S.  105. — Rameau.  Alter  Stich: 
S.  107.  — Aufführung  mV Versailles  1745.  Alter  Stich:  S.  109.  — Faustina  Hasse:  S.  in.  — Neapel 
1745.  Aufführung  des  „Sogno  di  Olympia“,  Text  von  Calsabigi,  Musik  von  Giuseppe  di  Majo. 
Fünftes  Blatt  der  „Narrazione  delle  solenne  feste  reale“:  S.  112.  — Jommelli.  Zeichnung  von 
Ghezzil73l:  S.  115. — Englische  Karikatur  Händels:  S.  121.  — Metastasio.  Stich  von  Succhi 
nach  de  Maitens:  S.  125.  — Sophie  Arnould,  in  „Pyramus  undThisbe“.  Nach  Carmontelle  ger. 
von  Lante,  gest.  von  Gatine:  S.  128.  — Piccini.  Stich  von  Cathelin  nach  Robineau:  S.  129.  — 
Gluck.  Lithographie  nach  Maurin:  S.  135.  — Glucks  Handschrift:  Erste  Seite  der  Armide: 

S.  139.  — Hogarth:  Dritter  Akt  der  Bettlcropcr,  Miss  Fcnton  als  Polly.  Der  Herzog  von  Bolton 
und  Gay  unter  den  Zuschauern:  S.  144.  — Hogarth.  Ticket  zur  Bettleroper:  S.  147.  — Eine 
Seite  aus  der  Bettleroper.  Druck  von  1777:  S.  148.  — Hillcr.  Alter  Stich:  S.  151. — Mozart. 
Alte  Lithographie  nach  dem  verlorenen  Bilde  des  Schwagers  Lange:  S.  154.  — Konstanze  Mo- 
zart. Alte  Lithographie  nach  dem  verlorenen  Bilde  des  Schwagers  Lange:  S.  155. — Handschrift 
Mozarts:  Figaros  Hochzeit:  S.  165.  — Bassi,  der  erste  Don  Juan.  Stich  vonThoenert:  S.  173. — 
Titelblatt  der  Don  Juan  Partitur.  Zeichnung  von  Kinninger:  S.  175.  — Garcia  als  Don  Juan. 
Pariser  Lithographie:  S.  176.  — Roller.  Dekoration  zu  Don  Juan:  S.  177.  — Ein  Briefanfang 
von  Mozart:  S.  181.  — Herr  und  Frau  Lange.  Stich  von  Berger:  S.  183.  — Ca tarina  Cavalieri: 

S.  185.  — Handschrift  Mozarts:  Zauberflöte:  S.  189.  — Schinkel,  Dekoration  zur  Zauberflöte: 

S.  191.  — Unzelmann  und  Ambrosch  als  Lux  und  Adam,  in  Schenks  Dorfbarbicr:  S.  192.  — 
Zettel  zur  Uraufführung  der  Zauberflöte:  S.  193.  — Die  Persiani  als  Rosine.  Lithographie 
von  Lacauchie:  S.  200.  — Einladung  der  Milder:  S.  207.  — Cherubinis  Handschrifr: 
Wasserträger:  S.  210. — Cherubini.  Lithographie  nach  Vigneron  1832:  S.  211.  — DieSchröder- 
Devrient.  Lithographie  von  Cramolini  1835:  S.  213.  — Anna  Milder -Hauptmann.  Litho- 
graphie von  Leybold:  S.  217.  — Beethovens  Handschrift:  Leonore:  S.  219.  — Beethovens 
Maske  1812:  S.  223.  — Theaterplakat  1768:  S.  233.  — Rousseau.  Stich  von  Jugouf:  S.  237.  — 
Gr6try.  Lithographie  nach  Lcfevrc-Maurin:  S.  239.  — Ellcviou  als  Jean  de  Paris.  Lithographie 
Dclpech:  S.  240.  — Pariser  Sänger.  Lithographie  von  Planta  1832:  Lafont,  Lablachc,  Donzelli, 
Nourrit,  Chollct,  Levasseur,  Ponchard,  Bordogne:  S.  243.  — Boieldieu.  Lithographie  von  Gre- 
vedon  nach  Ricsencr  1826:  S.  247. — Herold.  Lithographie  von  Dupri:  S.  249.  — Fra  Diavolo, 
zweiter  Akt.  Alte  Lithographie:  S.  250. — Aubcr.  Lithographie  von  Planta  1832:  S.  251.  — Adam. 
Lithographie  von  Bry:  S.  253.  — Flotow.  Lithographie  von  Kriehuber  1847:  S.  255.  — Karl 
Walser:  Figurinen  zum  zweiten  Akt „Hoffmanns  Erzählungen“:  S.  256.  — Die  beiden  Schwestern 
Grisi.  Lithographie  von  Devcria  1833:  S.  259. — Offenbach:  S.  263.  — Offenbachs  Handschrift: 
Fortunios  Lied:  S.  265.  — Karikatur:  Offenbach  und  die  Direktoren:  S.  267.  — Travies:  Pantheon 
Musical  1843.  Meyerbecr  (im  Käfig  Prophet  und  Afrikanerin).  Halevy  (schnupft  bei  ihm). 

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Niedermeyer,  Labarre,  Carafa,  Boicldieu.  Berlioz  (Reiseeindrücke).  Grisar.  Adam  (als  Postillon). 
Donizetti  (Dampffabrik).  Auber  (im  schwarzen  Domino  auf  ehernem  Pferd).  Clapisson,  Mont- 
fort, Thomas,  Spontini  (unzufrieden),  Rossini  (in  seliger  Ruhe):  S.  271.  — Spontini,  nach  der 
Natur  gezeichnet  von  W.  Ternik  1830.  Lithographie  Lemercier:  S.  275.  — Rossini.  Lithographie 
Lemercier:  S.  279.  — Die  Pasta.  Lithographie  von  Kriehuber  1829:  S.  283.  — Die  Malibran 
als  Desdemona.  Stich  von  Turnez  nach  Decaisne:  S.  285.  — Meyerbeer.  Lithographie  von 
Fr.  Hecht:  S.  289.  — Pauline  Garcia.  Lithographie  von  Claus:  S.  291.  — Zettel  der  Uraufführung 
der  Hugenotten:  S.  294.  — Dekoration  des  fünften  Aktes  Hugenotten,  erste  Szene.  Paris,  Opern- 
bibliothek: S.  295.  — Jenny  Lind.  Lithographie:  S.  301,  — Die  Stoltz  als  Desdemona.  Litho- 
graphie von  Lacauchie:  S.  304.  — Berlioz*  Handschrift:  Cellini:  S.  307.  — Berlioz:  Dedikation 
der  Trojaner  an  seinen  Sohn:  S.  308.  — Karikatur  auf  die  Trojaner:  S.  309.  — Das  Haus  Webers. 
Nach  der  Natur  gezeichnet  von  Brandt:  S.  313.  — Die  Sontag.  Lithographie  nach  Winterhai  ter: 
S.314.  — Weber.  Zeichnung  von  Hensel  1822:  S.317. — Webers  Handschrift:  Freischütz:  S.319. — 
Marschner.  Nach  dem  Leben  gezeichnet  und  lithographiert  von  Fricke:  S.  329.  — Lortzing.  Litho- 
graphie von  Prinzhofer  1846:  S.  333.  — Lortzings  Handschrift:  Zar  und  Zimmermann:  S.  335. — 
Zettel  der  Uraufführung  von  Zar  und  Zimmermann:  S.  337.  — Nicolai.  Lithographie  von  Krie- 
huber 1842:  S.  342.  — Nicolais  Handschrift:  Lustige  Weiber:  S.  343.  — Gounod:  S.  347.  — Bizet. 
Radierung  von  Burney:  S.  353.  — Smctana.  Zeichnung  von  Max  Svabinsky:  S.  358.  — Smetanas 
Handschrift:  Verkaufte  Braut:  S.  359.  — Glinka.  Nach  Repin:  S.  365.  — Glinka.  Leben  für 
den  Zaren.  Titelblatt:  S.  366.  — Glinka.  Ruslan  und  Ludmilla.  Titelblatt:  S.  367.  — Mussorgski. 
Nach  Repin:  S.  372.  — Fcdorowsky : Bojar  und  Schreiber,  Figurinen  zu  Mussorgskis  Kovanchtchina: 
S.  373.  — Rimsky-Korssakow.  Nach  Serow:  S.  377.  — Tschaikowski:  S.  379.  — Belli ni.  Alte 
Lithographie:  S.  384.  — Donizetti.  Lithographie  von  Kriehuber:  S.  386.  — Verdis  Geburts- 
haus: S.  388.  — Verdi:  S.  389.  — Handschrift  Verdis:  Rigoletto:  S.  394.  — Das  Rigolettoquartett. 
Alte  Zeichnung:  S.  395.  — Handschrift  Verdis:  Traviata:  S.  399.  — Verdi.  Porträt  von  Boldini: 
S.  405.  — Verdi  an  der  Gartentür:  S.  409.  — Der  Steckbrief:  S.  424.  — Wagner.  Lithographie 
von  Brandt  1843:  S.  427.  — Zettel  der  Uraufführung  des  Tannhäuscr:  S.  431.  — Roller:  Lohengrin: 
S.  433.  — Wagners  Handschrift  von  Siegfrieds  Tod  mit  dem  ersten  Notenentwurf:  S.  435.  — Len- 
bach:  Wagner:  S.  439.  — Erklärung  des  Tristan.  Von  Wagner  für  Mathilde  Wesendonck  ge- 
schrieben: S.  443.  — Zettel  der  Uraufführung  der  Meistersinger:  S.  445.  — Menzel:  Wagner 
auf  der  Probe  in  Bayreuth:  S.  451.  — Zettel  der  Uraufführung  des  Tristan:  S.  457.  — Wagners 
Handschrift:  Meistersinger:  S.459.  — Die  letzte  Bittein  Bayreuth:  S.  467.  — Tristan,  von  Wagner 
für  Mathilde  Wesendonck  geschrieben:  S.  471. — Frau  Wesendonck.  Nach  Dorn:  S.  473.  — Der 
Grundsteinspruch  für  Bayreuth:  S.  477.  — Cornelius*  Handschrift:  Barbier  von  Bagdad:  S.  488. — 
Puccini:  S.  493.  — Puccinis  Handschrift:  Boheme:  S.  495.  — Debussy.  Porträt  von  Blanche: 
S.  509.  — Roller.  Rosenkavalier  erster  Akt:  S.  5 12.  — Thoma:  Zeichnung  zum  Titel  von 
Hansel  und  Gretel:  S.  526.  — Humperdinck:  S.  527.  — Hogarth:  das  Lever  aus  der  Marriage 
a la  Mode,  als  Anregung  für  die  Szene  Rosenkavalier  erster  Akt:  S.  528.  — Tilemann,  Personen- 
verzeichnis zu  Blechs  Versiegelt:  S.537.  — Richard  Strauß.  Radierung  von  Farago:  S.  541.  — Hand- 
schrift von  Strauß:  Erste  Seite  der  Salomepartitur:  S.  543.  — Stern:  die  Dryade  aus  Ariadne  auf 
Naxos:  S.  544.  — Zettel  der  Uraufführung  des  Roscnkavalier:  S.  547.  — Caruso:  Oskar  Bie:  S.  555. 

Für  das  Material  der  Bilder  bin  ich  zu  besonderem  Danke  verpflichtet  der  Berliner  Kgl. 
Musikbibliothek,  der  Lipperheide  - Sammlung  im  Kgl.  Kunstgewerbemuseum, 
dem  Märkischen  Museum,  dem  Verlag  Friedrich  Bruckmann-München,  A.-G.  (für 
die  Wagner- Bilder),  dem  Museum  Carolino  Augusteum  in  Salzburg,  dem  Verlag 
Adolph  Fürstncr  (für  die  Strauß- Bilder),  dem  Verlag  Fritz  Gurlitt  (für  die  Faragoschc 
Radierung  von  Richard  Strauß),  dem  Verlag  Bruno  Cassirer  (für  die  Reproduktion  der  Walscr- 
schen  Figuren  zu  „Hoffmanns  Erzählungen“  aus  „Das  Theater“  von  Karl  Walser),  dem  Verlag 
Schuster  & Locffler  für  einige  Reproduktionen  aus  dem  Musikatlas  von  Canth. 

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Sachregister 

(von  E.  Glatce) 

A basso  porto  (Spinclli)  490.  — Abbatini  90,  144.  — Abencerragen  (Cherubim)  21 1.  — Abert 
II,  114.  — Abreise  (d’Albert)  512,  524.  — Abu  Hassan  (Weber)  314.  — „Acis  und  Galathec“  145. 

— Adam  37,  232,  237,  238,  239,  240,  242,  243L,  246,  251  ff.,  254,  258,  260,  266,  271.  — Adam 
de  la  Haie  232.  — „Adam  und  Eva“  27.  — Addison  84,  85.  — Adolf  von  Nassau  (Marschner)  328. 

— Afflisio  153.  — Afrikanerin  (Meyerbeer)  297,  302  f.,  304.  — Agazzari  90.  — Agnes  von  Hohen- 
staufen (Spontini)  276.  — Agricola  24.  — Aid a (Verdi)  no,  390,  392,  403,  408ff.,  413,  419,  500, 
529.  — Akkompagnato  22,  92,  107,  nof.,  114  413.  — Akkordausdruck  21.  — D’Albcrt  510,  512, 
523^  — Alccste  (Gluck)  117,  118,  120,  124^,  129,  1 33 ff.,  157;  (Guglielmi)  136,  (Lully)  106; 
(Schweitzer)  130.  — Alcidor  (Spontini)  276.  — Alcina  (Händel)  1 1 3.  — Alcyone  (Marais)  76,  205. 

— D’Alcmbcrt  18,  123,  126.  — Alexis  491.  — Alficri  116.  — Algarotti,  Graf  86.  — Alibaba  (Che- 
rubim) 21 1.  — Ali  Pascha  (Lortzing)  340.  — Allard  75.  — Alzira  (Verdi)  389.  — Ambassadrice 
(Auber)  242.  — Ambros  II,  59,  84.  — L’Amfiparnasso  (Vecchi)  15  h — Amphitheater  67.  — 
Anacreon  (Cherubim)  21 1.  — Andreas  Hofer  (Lortzing)  340.  — Andr6  Chenier  (Giordano)  491, 
507.  — Anfossi  154,  186,  200.  — Anna  Amalia,  Großherzogin  von  Weimar  152.  — Anna  Bolena 
(Donizetti)  385.  — Annette  et  Lubin  (Voisenan)  1 5 1 . — Antigone  (Mendelssohn)  340;  (TracTta) 
11 3.  — Antiope  (Pallavacino)  23.  — Apcl  315.  — Appia  61.  — Appiani  63.  — Applaus  3.  Erfolg. 

— Arco,  Graf  164.  — Arcos,  Graf  80.  — Ariadne  (Monteverdi)  20,  21.  — Ariadne  auf  Naxos  (Strauß) 
551  ff.  — Ariane  et  Barbe-Bleue  (Dukas)  554  — Arianna  (Monteverdi)  91.  — Arie  22 ff.,  102; 
(Beethoven)  221  ff.;  (Cherubim)  213;  (Cimarosa)  202f.;  (Dittersdorf)  196;  (Gluck)  134,  141,  142; 
(Lortzing)  341 ; (Mctastasio)  186;  (Mozart)  153,  155,  158,  i6if.,  167t,  171,  173,  176,  177  f.,  184, 
190;  (Opera  comiquc)  235;  (Schubert)  198;  (Schweitzer)  149;  (Verdi)  398,  413;  (Weber)  317.  — 
D’Arienzo  144.  — Ariodant  (Mehul)  241.  — Aristophanes  100.  — Arlesienne  (Bizet)  351,  352.  — 
Armagnac,  Graf  79.  — Armer  Heinrich  (Pfitzncr)  532  f.  — Armida  (Gluck)  31,  1 1 3,  117,  118, 
125,  1 38 ff. ; (Lully)  io6f.;  (Poussin)  142;  (Rossini)  282.  — Arnaud  126.  — Arnould,  Sophie  81, 
122 ff.  — Aroldo  (Verdi)  390.  — L*Arronge,  Adolf  334.  — Artaserse  (Jommelli)  111.  — Artot 
298.  — Arzt  wider  Willen  (Gounod)  346h  — Ascanio  (Mozart)  158.  — Aschenbrödel  (Isouard) 
244,  247,  260,  261 ; (Rossini)  282.  — Äschylos  100.  — Askolds  Grab  (Werstowski)  363.  — Astyanax 
(Bononcini)  81;  (Kreutzer)  47.  — Attila  (Verdi)  389,  391,  392.  — Atys  (Lully)  106.  — Auber 
31»  55»  2 36*  237»  238,  240,  241,  242, 243,  244,  247,  248 ff.,  253,  254,  257,  258,  259,  260,  261,  264 
266,  268,  277 f.,  295,  314,  342,  351,  354,  390,  406,  407,  423.  — D’Aubigny  79.  — Aufführung  9L, 
5off.,  72 ff.,  297;  (Beethoven)  216,  217,  218;  (Berlioz)  309;  (Caruso)  500;  (Cavalli)  30;  (Lully) 

75;  (Mozart)  74,  174;  (Opera  comique)  234;  (Paer)  68;  (Strauß)  552:  (W’eber)  318.  — August  77. 

— August  III.  63.  — Ausdruck  iqff.,  39;  (Berlioz)  31 1;  (Cavalli)  91,  104;  (Gluck)  21;  (Händel) 

1 1 3 ; (Monteverdi)  20;  (Verdi)  21;  (W'agncr)  21  f.  — Ausstattung  58L,  63,  90,  199,  274  276.  — 
Austin  (Marschner)  328.  — Autoren  40,  41  ff.  — D’Auvergne  231.  — Axur  (Salieri)  173. 

Babu  (Marschner)  328.  — Bach,  Johann  Christian  74.  — Bach,  Johann  Sebastian  41,  56,  1JJ, 

141,  209.  — Bacon  163.  — Bajazzi  (Leoncavallo)  37,  491.  — Ballade-opera  s.  Bettleroper.  — 
Ballette 20, 61,88, 106, 1 14; (Delibes)  243 ;(Erkcl)  356; (Herold)  247 ; (Monteverdi)  2o;(Mozart)  170; 
(Verdi)  402.  — Banditen  (Offenbach)  265.  — Bank  Ban  (Erkel)  356L  — Barbaja  56,  64  78,  281, 

297,  321.  — Barbcrinioper  90 f.  — Barbier  182,  307.  — Barbier  von  Bagdad  (Cornelius)  48 6 ff. 

— Barbier  von  Sevilla  (Pacsiello)  203;  (Rossini)  53,  201,  203,  280,  282,  387,  488.  — Barden  (Lcsu- 
cur)  272.  — Bardi  20,  89.  — Barezzi  388.  — Baroni,  Leonora  78.  — „Barras“  240.  — Bartsch  535* 

— Baßklarinette  (bei  Mozart)  161;  (Verdi)  409;  (Wagner)  455.  — Baßposaune  299.  — Bastar- 
delia 153.  — Bastien  und  Bastienne  (Mozart)  152,  153,  207.  — Batka  535,  536.  — Battudni  500. 

— Baum  der  Diana  (Martin)  201.  — „Bayard  ä Meziercs“  240.  — Bayreuth  57,  65,  67,  424  426, 

431,  456,  485,  533.  — Bearbeitungen  35,  54,  74 f.;  (bei  Auber)  251;  (Beethoven)  54  216 ff., 

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226ff.;  (Berlioz)  308;  (Cavalli)  35;  (Cornelius)  487,  488;  (Donizetti)  387;  (Gluck)  35,  74,  132,  133. 
134,  136,  141;  (Hirold)  242;  (Hillcr)  152;  (Hoffmann)  336;  (Lully)  75  f. ; (Marais)  76;  (Mehul) 
74,  214;  (Meyerbeer)  74;  (Mozart)  54,  74,  i8ifM  299;  (Verdi)  74;  403;  (Wagner)  35,  431,  452; 
(Weber)  55,  74,  314C,  325.  — Beatrice  und  Benedikt  (Berlioz)  308,  310.  — Beauchamps  75.  — 
Bcaujoycux  106,  108.  — Beaumarchais  54,  123,  151,  163,  166,  167,  169,  170,  171,  203,  204.  — 
Beethoven  30,  113,  134,  206 ff»,  215ff.,  286,  306,  308,  320,  321,  351,  470,  524,  538.  — „Befreites 
Jerusalem“  23.  — Beggar  opera  s.  Bettleroper.  — Beiden  Foscari  (Verdi)  389,  392.  — Beiden 
Geizigen  s.  Dcux  avares.  — Beifall  s.  Claque.  — Belagerung  von  Korinth  (Rossini)  299.  — Be- 
langer  123.  — Bel  canto  91.  — Belle  ciarli  e fatti  tristi  (Mayr)  47.  — Bcllini  248,  328,  383 ff.,  385, 
391,  393.  — Beimont  und  Konstanze  s.  Entführung  aus  dem  Serail.  — Bcnda  37,  194.  — Benucci 
163.  — Benvenuto  Cellini  (Berlioz)  307,  309,  311.  — Berggeist  (Spohr)  327.  — Bergknappen  (Um- 
lauff)  159.  — Berlin  34,  65,  72,  8t,  181,  188,  210,  218,  274,  297,  299,  321,  342,  498 f.  — Berlioz 
48,  77,  84,  132,  134h,  237,  272,  299,  304,  306ff.,  320,  346,  363,  489,  512,  540.  — Bertoldo  in  corte 
(Ciampi)  151.  — Berton  241,  243. — Bertoni  122,  136.  — Betrogene  Kadi  (Gluck)  116.  — Bettlcr- 
oper  66,  147 f.,  150,  187.  — Bezähmung  der  Widerspenstigen  (Goetz)  486.  — Bianchi,  Francesco 
50.  — Bierbaum  387,  534.  — Billct  de  lotcrie  (Isouard)  247.  — Biographisches  40 f.,  53h,  78 ff., 
92,  1 22 ff.,  148,  l86f.,  202,  243h,  298;  (Adam)  239,  240,  242,  243h,  251;  (d’Albert)  510,  524; 
(Auber)  238,  240;  (Beethoven)  206;  (Bellini)  384;  (Bizet)  351;  (Caruso)  501  f;  (Cherubim)  209h; 
(Cimarosa)  202;  (Donizetti)  385;  (Flotow)  242;  (Gluck)  122,  124h,  186;  (Gounod)  346;  (Gretry) 
236,  240 f.,  242 f.;  (Händel)  66,  80,  81;  (Herold)  242;  (Isouard)  236,  241;  (Kciser)  81 ; (Lortzing) 
82,  3 32 ff.;  (Lully)  92,  1 18 ; (Mehul)  73;  (Meyerbeer)  288 ff.,  304;  (Monsigny)  241 ; (Mozart)  15z ff., 
*57,  *Ö4ff„  172,  181,  188;  (Offenbach)  262h;  (Ramcau)  236;  (Rossini)  279 ff.;  281 ; (Rousseau)  236, 
238;  (Spontini)  34,  271  ff.,  275L;  (Verdi)  387 ff.,  392;  (Wagner)  421  ff.;  (Weber)  312h  — Bitt- 
ner  554.  — Bizet  268,  346,  351  ff.,  369,  408,  423,  515,  516.  — Blaubart  (Offenbach)  235,  265. 

— Blech,  Leo  456,  497,  536 f.  — Blitz  (Halevy)  242,  260,  305.  — Blondy  75.  — Blum  337.  — 
Boheme  (Leoncavallo)  42,  491 ; (Puccini)  42,  57,  491,  492,  493,  494,  495,  501,  507.  — Boieldicu 
55»  73»  77»  23Ö,  237,  238f.,  240,  241,  242,  244,  245,  247,  254,  258,  261,  266,  314,  362.  — Boileau 
127.  — Boito  403,  413,  416,  489 f. — Bolton,  Herzog  von  148.  — Boniowski  (Boieldieu)  241.  — 
Bononcini  35,  55,  81,  112.  — Bon  soir,  Monsieur  Pantalon  (Grisar)  258.  — Bontempi  18,  41.  — 
Bordoni,  Faustina  63,  80.  — Boris  Godunow  (Mussorgski)  371,  372,  403.  — Borodin  374 f.,  376. 

— Boschetto-Boschetti  59.  — Bouilly  214,  215,  241.  — Bourgeois  gentilhomrae  (Moliere)  5 5 X . 

— Brahms  209,  524,  533.  — Branchu  136,  272,  277.  — Brasilianer  (Offenbach)  234.  — Braun 
217.  — Brautwahl  (Busoni)  5i7ff.  — Brctzncr  160.  — Breuning  216,  218.  — Briscis  (Chabricr) 
505  h — Brock  150.  — Bronsart  252.  — De  Brosses  307.  — Bruckner  528.  — Brühl  274h,  315.  — 
Bruncau  505.  — Bruni  241.  — Brutus  (Herder)  127.  — Buffooper  19,  27  ff.,  71,  90,  91,  92,  110, 
xi6,  143 ff.,  194.  — Bühnenmusik  44. — Bülow  363,  424,  530. — Bulthaupt  174.  — Bulwcr  429. 

— Buona  figliuola  (Piccini)  19,  92,  146,  155.  — Buonani  113.  — Burbero  di  buon  core  (Martin) 
172.  — Burncy  34,  47,  51,  53,  77,  80.  — Busoni  485,  510,  517H.  — Byron  175,  360. 

Caccini  38,  55,  88,  89,  102,  1 19,  142.  — Caccini,  Francesca  90.  — „Cadmus“  79.  — Cafaro  1 14. 

— Caffarelli  80.  — Caldara  35.  — Calderon  144.  — Calmus  150.  — Calsabigi  42,  Ii6f.,  130,  133, 
136,  288.  — Camargo  75.  — Cambcrt  42,  92.  — Camcrata  89.  — Camilla  (Paer)  68,  202.  — Cam- 
marano  393,  397.  — Campra  42,  75,  318.  — Capua,  Rinaldo  da  92.  — Carafa  241,  271.  — Caramo 
(Lortzing)  334.  — Carissimi  106.  — Carmen  (Bizet)  35,  56,  57,  351,  362 ff.,  375,  500,  50t,  5 1 5,  516. 

— Carre  181.  — Caruso  64,  383,  386,  403,  494,  498ff.  — Casanova  151,  153,  203;  (Lortzing) 
334»  338,  339,  341.  — Casper  234.  — Castelli  197.  — Castor  und  Pollux  (Rameau)  44,  55,  107,  116. 

— Catalani,  Alfredo  490.  — Catalani,  Angelica  297,  298.  — Catel  236,  241.  — Catena  d’Adone 
(Mazzocchi)  90.  — Cavaliere  errante  (Traetta)  200,  201.  — Cavalieri,  EmHio  dcl  88,  89,  90.  — 
Cavalieri  (Sängerin)  164,  173.  — Cavalleria  rusticana  (Mascagni)  34,  35,  37,  248,  490f.  — Cavalli  20, 
28,  30,  35,  39,  44,  51,  64,  91,  104,  144.  — Cavos  362.  — Cecchisten  81. — Celince  (d’Herbain)  47. 

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— Cellarius  232.  — Cesti  30,  35,  59,  60,  64,  91,  144,  145.  — Chabrier  505.  — Chalet  (Adam)  251  L, 
255.  — Chamberlain  435.  — Champeron  92.  — Charpentier  506 ff.,  548.  — Chateaubrun  127.  — 
Chefs  d’ocuvrc  classiques  de  l’opcra  fran^ais  108,  555.  — Chenard  244.  — Cherubim  37,  55,  206, 
209ff.,  214,  216,  237,  238,  241,  251,  305,  309,  324.  — Che  soffre,  speri  (Mazzocchi  u.  Maxazzoli) 
90,  143.  — Chimay,  Fürst  238.  — Chezy,  Helminc  von  321.  — Chollet  243,  244.  — Chopin 
232,  355,  362,  364,  524.  — Chor  16,  18,  88,  102,  103,  114;  (Berlioz)  308;  (Bontempi)  18;  (Caccini) 
102;  (Gagiiano)  102;  (Glinka)  364;  (Gluck)  133,  1 38f.,  142;  (Lortzing)  340 f.;  (Lully)  106; 
(Mozart)  158,  161,  193;  (Wagner)  17;  (Weber)  324L  — Ciampi  151.  — Cid  (Cornelius)  487. 

— Cimarosa  91,  164,  170,  186,  202f.,  271,  280,  362.  — Cirillo  144!.  — Clairon  40.  — Clapisson 
271*  351.  — Claquc  77  f.  — Clavecin  45.  — Clemens  IX.  s.  Rospigliosi.  — Clcmenza  di  Tito 
(Mozart)  185  t.  — Cleopatra  (Mattheson)  81.  — Clotilde  77.  — Coffey  150.  — Colbrand  281.  — 
Combattimento  di  Tancredi  e Chlorinda  (Monteverdi)  20.  — Comte  d’  Ory  (Rossini)  281,  282.  — 
Conradi  54.  — Conti  35.  — Corneille  233.  — Cornelius  486 ff.,  512.  — Corrcgidor  (Hugo  Wolf) 
489.  — Corsar  (Verdi)  389.  — Corsi  89.  — Cosa  rara  (Martin)  172,  179,  187,  201.  — Cosi  fan  tuttc 
(Mozart)  42,  1 8l  ff.  — Costa  64,  299.  — Costisten  81.  — Costanza  e fortezza  (Fux)  149.  — 
Gramer  555.  — Crcscentini  280.  — Crociato  in  Egitto  (Meyerbeer)  290.  — Cruvclli,  Sophie  297. 

— Cui  370,  371.  — Cuzzoni  8of.  — Czerny  2i6f. 

Dafnc  (Gagiiano)  58, 90,  102 ; (Peri)  89;  (Schütz)  42,  149.  — Dakapoarie  23,  24,  103.  — Dalayrac 
31,  241,  261,  280.  — Dalibor  (Smctana)  357.  — Dal  mal  il  bene  (Marazzoli  und  Abba  tim)  90, 
144.  — Dame  voil£e  (Mengozzi)  241.  — Damnation  de  Faust  (Berlioz)  309.  — Damoreau -Cinti 
277.  — Dardanus  (Rameau)  107.  — Dargomyschski  370 f.,  372,  373.  — Dauchet  42.  — Daudet 
352.  — Dauvergne  121.  — David,  Felicien  346.  — David  (Sänger)  280.  — Debussy  17,  36,  49, 
370,  485,  509ff.,  521,  522,  542,  554.  — Dehn  363.  — Deiters  156.  — Deklamation  20.  36 ff.,  108, 
110,  III,  200;  (Beethoven)  221 ; (Caccini)  38,  1 19;  (Gluck)  39,  40,  119,  142;  (Gretry)4l;  (Lully) 
106;  (Mussorgski)  373;  (Rameau)  108,  lio;  (Strauß)  41;  (Wagner)  41,  449 ff.  — Dekoration  58  ff., 
63 f.,  106;  (Caccini)  90;  (Cesti)  59 f.;  (Lully)  106;  (Mozart)  6lf.,  177,  188,  191;  (Perrin)  39,  92; 
(Puccini)  497;  (Spontini)  274;  (Winter)  199.  — Delibes  243.  — Delire  (Berton)  241.  — Delius 
510,  521  ff.  — Dellingcr  528.  — Del  Prato  157.  — Dcmogorgone  (Righini)  163.  — Dcmoiscllcs 
de  St.  Cyr  (Dumas)  527.  — Demophon  (Cherubim)  210.  — Denkmäler  der  Tonkunst  149,  555.  — 
Dent  11,  19.  — „Denys  le  tyran“  240.  — Deserteur  (Monsigny)  231  f.  — Le  D6sert  (David)  346. 

— Destinn  494ff.,  498,  499,  500,  502 f.,  527.  — Deutsche  Oper  34 ff.,  38,  39,  42,  43,  44,  49, 
51  ff.,  54,  61,  70,  93,  iii,  147,  149 ff-,  159,  163,  194L  — Deux  avarcs  (Gretry)  245,  254,  257, 
261.  — Deux  avcugles  de  Tolede  (Mehul)  214.  — Deux  Journees  s.  Wasserträger.  — Deux  nuits 
(Boieldicu)  242,  246,  255,  266.  — Dcvil  to  pay  (Gay  und  Coffey)  150.  — Devin  de  Village  (Diderot) 
86;  (Rousseau)  76,  86,  152,  231,  233,  245.  — Dcvricnt,  Eduard  330.  — Diable  a quatre  (Hillcr) 
150.  — Dialogoper  37L,  210,  231,  256.  — Djamileh  (Bizet)  351  f.  — Diderot  26,  86,  123,  480.  — 
Dido  (Cavalli)  20;  (Fux)  113;  (Jommelli)  X 1 3 ; (Piccini)  1 1 3,  115;  (Traetta)  113.  — Diebische  Elster 
(Rossini)  280,  282.  — Dinorah  (Meyerbccr)  303  f.  — Dirigieren  56  f. ; (Spontini)  276.  — Disgrazie 
d’amore  (Cesti)  144.  — Dissoluto  punito  o il  Don  Giovanni  (Da  Ponte)  174.  — Dittersdorf  42, 
172,  194  ff.,  338.  — Doktor  und  Apotheker  (Dittersdorf)  194  f.  — Don  Carlos  (Verdi)  390,  403 1 — 
Doni  50.  — Donizetti  56,  205,  271,  356,  383,  385ff.,  391,  402,  406.  — Don  Juan  (Fabrizi,  Gardi, 
Gazzaniga)  1 74 ; (Gluck)  30;  (Grabbc)  334;  (Mozart)  42,  44,  74,  172 ff.,  201,  206,  266,  273,276, 
299;  (Righini)  174,  — Donna  del  Lago  (Rossini)  282.  — Donna  Diana  (Reznicek)  534  — Donnc 
cambiate  (Paer)  202.  — Donne  curiose  s.  Neugierige  Frauen.  — Don  Pasquale  (Donizetti)  383, 
385,  386,  387.  — Don  Quixote  (Strauß)  549.  — Donzclli  243.  — Dorat  123.  — Dorfbarbier 
(Hiller)  152;  (Schenk)  196.  — Dorfsängerinnen  (Fioravanti)  201.  — Doriclca  (Cavalli)  144.  — 
Dorn,  Heinrich  334.  — Dostojewski  362.  — Drei  Pinto«  (Weber)  313,  314.  — Dresden  181.  — 
Duc  d’Olonne  (Aubcr)  257.  — Duclos  123.  — Due  Foscari  s.  Beiden  Foscari.  — Duette  17,  18, 
256  f.;  (ßcetho\Ten)  221,  223,  226L;  (Dittersdorf)  195;  (Cherubim)  211L;  (Mozart)  155,  162,  167, 

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173»  x77>  190L;  (Pergolesc)  17;  (Piccini)  146;  (Rousseau)  17;  (Schubert)  197;  (Stradella)  200; 

(Wagner)  17.  — Dugazon  71.  — Dukas  554.  — Dumas  389,  399,  492,  527 f.,  530.  — Dumenil  79. 
— Dumoulin  76.  — Duni  35,  92,  231.  — Duprez  297.  — Durazzo  114,  1 16.  — Dvorak  360. 

Eber  seht,  Juda  262.  — Ehernes  Pferd  (Auber)  234,  251,  255.  — Eitner  15,  555.  — Elektra 
(Gr6try)  3 1 ; (Spontini)  273;  (Strauß)  25,  31,  48,  64,  542ff.,  549,  552.  — Elisa  (Cherubini)  210, 
21 1,  212,  214;  (Fux)  72.  — Elisabeth  (Rossini)  281,  282.  — Ellcviou  244,  271.  — Engels  174.  — 
Englische  Oper  147 f.  — Ensemble  15,  17L,  144;  (Beethoven)  222,  226;  (Cherubini)  2 1 2 f . ; 
(Dittersdorf)  195;  (Flotow)  258;  (Glinka)  364 f.;  (Gluck)  142;  (Lortzing)  339,  340;  (Marschncr) 
330;  (Mehul)  214;  (Mozart)  155,  158,  161,  l68f.,  170,  176,  178E,  184  186,  190,  193;  (Opera 
comique)  257;  (Schubert)  197 f. ; (Verdi)  396,  402,  407,  4iof.,  414,  416;  (Wagner)  17,  475.  — 
Ensemblerezitative  18.  — Entführung  aus  dem  Serail  (Mozart)  I59ff.,  163.  — Enzyklopädisten 
*7»  *8,  33»  126,  231.  — Erfolg  73 ff.,  77 ff.;  (Adam)  252;  (d’Albert)  523;  (Auber)  249;  (Beethoven) 
207,  216,  217,  218;  (Berlioz)  308;  (Bizet)  3515  (Boicldieu)  77,  246,  248;  (Cherubini)  210;  (Cimarosa) 
202;  (Donizetti)  387;  (Fioravanti)  201 ; (Gounod)  346;  (Hasse)  1 1 3 ; (Herold)  248;  (Leoncavallo) 
491;  (Meycrbcer)  293;  (Mozart)  154,  172 ff.,  188;  (Paesiello)  203;  (Piccini)  146;  (Rossini)  203, 
282;  (Rousseau)  76;  (Sacchini)  76;  (Sarti)  163;  (Spontini)  272;  (Verdi)  389.  — Erinnerungen  an 
Auber  (Wagner)  31.  — Erkcl  356.  — Erminia  (Rossi)  90.  — Ernani  (Verdi)  389,  391,  392,  393.  — 
Ernelinde  (Philidor)  108  f.  — Eroika  (Beethoven)  207  f.  — Esterhazy,  Fürst  194  — Eugen  Oncgin 
(Tschaikowski)  378,  379,  380,  381.  — Eumelio  (Agazzari)  90.  — Eumene  (Jommelli)  63.  — Eunike 
319.  — Euridice  (Caccini)  38,  89,  102,  142;  (Peri)  47,  51,  89,  102,  142.  — Euripides  100,  133,  137, 
140.  — Euryanthc  (Weber)  30,  2x1,  313,  315,  320,  321  ff.,  330.  — Evangclimann  (Kienzl)  535.  — 
Evenements  imprevus  (Gretry)  71.  — Ewiger  Jude  (Halevy)  306. 

Fabrizi  174. — Fagott  47,  168.  — Falkners  Braut  (Marschner)  328.  — Fall,  Leo  534. — Fall 
Arkonas  (Smetana)  361.  — Falstaff  (Verdi)  42,  342L,  388,  390,  413,  415  ff.,  420,  500,  51 1 f.  — 
Faniska  (Cherubini)  210,  212.  — Farinelli  66,  80.  — Farrar  496,  499.  — Faßbender  500.  — 
Faule  Hans  (Ritter)  488.  — Faust  (Beethoven)  207;  (Berlioz)  489;  (Gounod)  347,  348 f . ; (Grabbc) 
334»  (Spohr)  326.  — Favart  116,  150,  151,  232,  238.  — Favart,  Frau  151,  152,  232.  — Favola 
pastoralc  88 f.  — Favoritin  (Donizetti)  385.  — Fedora  (Giordano)  28,  491,  514.  — Feen  (Wagner) 
429.  — Feensee  (Auber)  248  h,  260.  — Fee  Urgcle  (Favart)  150.  — Feldlager  in  Schlesien  (Meycr- 
bcer) 297.  — Fcnton  148.  — Fco  56,  110.  — Ferdinand  Cortez  (Spontini)  273,  274  276.  — 
Ferraresc  171,  i8zf.  — Ferrari  70.  — Ferri  80.  — Feste  d’Apollo  (Gluck)  138.  — Fctes  de  l’etd 
(Montcclair)  47.  — Fetes  venitiennes  (Campra)  75.  — Fetonte  (Jommelli)  1 14  — Feuersnot  (Strauß) 
539,  549.  — Fiancee  (Auber)  250.  — Fibich  360.  — F'idele  berger  (Adam)  253.  — Fidelio  (Beet- 
hoven) 30,  54  93,  206  ff.,  209,  212,  214  215  ff. ; (Gaveaux,  Pacr)  30.  — Figaro  (Beaumarchais) 
151.  — Figaros  Hochzeit  (Mozart)  18,  42,  54  62,  71,  144  156,  163  ff.,  172,  173,  176,  179,  200, 
204  205,  206,  266,  299.  — Finale  l8f. ; (Abbatini)  144;  (Auber)  250,  278 f. ; (Beethoven)  224  227; 
(Dittersdorf)  195;  (Logroscino)  19,  145;  (Lortzing)  339;  (Mozart)  155,  169,  171,  178L,  180, 
184!.,  193;  (Müller)  196;  (Piccini)  146;  (Rossini)  284 f.;  (Schubert)  198;  (Verdi)  403,  412; 
(Wagner) 463.  — Finanzielles 63 ff., 66ff.,  78;  (Caruso)499;  (Gluck)  118;  (Hasse)63;  (Rossini)  281; 
(Wagner)  424  — Fink  334.  — Finta  giardinicra  (Anfossi)  154;  (Mozart)  153,  154 f.,  160.  — Finta 
pazza  (Sacrati)  145.  — F'inta  semplice  (Mozart)  153.  — Fioravanti  170,  201.  — Flaminio  (Pergolcse) 
*45*  — Flaubert  527,  540.  — Flauto  solo  (d’Albert)  524.  — Fledermaus  (Strauß)  268.  — Fliegender 
Holländer  (Wagner)  30,  260,  306,  328,  423,  425,  427,  428,  429!.,  432,  447,  448,  452,  454 i,  462, 
465,468,473. — Flora  (Gagliano)  90.  — Flora  mirabilis  (Samara)  490.  — Florentiner  Oper  11,42, 
48»  55»  9°»  92*  I02»  io4-  143 fl.  — F'lorimo  1 14.  — Flöte  47;  (bei  Wagner)  460.  — Flotow  81,  234, 
242,  253 f.,  258.  — Folie  (Bouilly)  214.  — Forkel  84.  — Fortunios  Lied  (Offenbach)  262 f.  — Forza 
del  destino  (V  erdi)  390,  403.  — Fouque  336.  — Fra  Diavolo  (Auber)  249,  250,  257,  259,  260,  261. 
— Fra  due  litiganti  (Sarti)  163,  179,  200.  — Franck,  Cesar  110,  508.  — Francocur  55.  — Frangi- 

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pano  88.  — Französische  Oper  23,  32 ff.,  44,  70,  71  f.,  85 f.^  91,  92,  145,  147,  150,  229ff.,  345,  504ff. 

— Frate  innamorato  (Pcrgolese)  145. — Freischütz  (Weber)  56,  276,  313,  314,  315 ff.,  321,  323.  — 
Friedrich  der  Große  56,  68,  72,  86.  — Friedrich  Rotbart  (Wagner)  428.  — Friedrich  Wilhelm  III. 
210,  274.  — Fritzchen  und  Lieschen  (Offenbach)  263.  — Fürstenau  63.  — Fürst  Igor  (Borodin; 
374.  — Fux  72,  113,  149. 

Gabrieli  113.  — Gagliano  55,  58,  90,  102,  III.  — Galatea  (Vittori)  91.  — Galiani  122.  — Galilei, 
Galileo  24.  — Galilei,  Ylncenzo  20,  89,  93.  — Galli  280.  — Galuppi  35,  114.  — Garat  5 5,  239.  — 

Garcia  297 f.  — Garcia,  Manuel  298.  — Gardi  174.  — Garrick  123.  — Gauguin  522,  523. Gautier 

77,  230,  307.  — Gaveaux  30,  215.  — Gay  66,  147,  150.  — Gazzaniga  174.  — „Geburt  Christi“ 
27*  — Geheimnis  (Smctana)  358.  — „Geloso  in  cimento“  200.  — Genec,  R.  164.  — Generalbaß 
16,  90,  102,  256.  — Genoveva  (Offenbach)  265;  (Schumann)  344.  — Gervinus,  Victorie  113.  — 
Gesangliches  16,  23,  36,  49,  5of.,  132;  (Auber)  249;  (Beethoven)  221,  223;  (Busoni)  519; 
(Cesti)  60;  (Cherubim)  2i2f.,  (Cimarosa)  202!.;  (Dittersdorf)  195 f. ; (Gay)  148;  (Gluck)  51, 
,4I>  Oommclli)  1 1 3 ; (Lully)  107;  (Mihul)  215;  (Mozart)  167 ff.,  171,  189!.;  (Opera  comique) 
232»  234J  (Paer)  202;  (Rossini)  204^,  283;  (Scarlatti)  51 ; (Schubert)  198;  (Verdi)  393!.;  (Wagner) 
449 ^ — Gesellschaftliches  62  ff.,  66 ff.,  232,  498  ff.  — Gewandhauskonzerte  150.  — Giasonc 
(Cavalli)  20,  104.  — Gioconda  (Ponchiclli)  490.  — Giordano  490,  491  f.,  507,  514.  — Giorno  di 
Regno  (Verdi)  389.  — Giralda  (Adam)  252,  258,  260.  — Giselle  (Adam)  37,  251,  252.  — Glinka 
363  ff.  — Glöckchen  des  Eremiten  (Maillart)  235,  243,  255,  261.  — Glocken  255;  (bei  \rcrdi)  418. 

— Gluck  11,  21,  30,  31,  32,  35,  39,  40,  42,  44,  45,  47,  49,  51,  55,  56,  60,  64,  68,  71,  74, 76,  81,  84, 
86.  87,  92,  93,  97 ff.,  116 ff.,  151,  156,  157,  158,  160,  172,  186,  194,  199,  210,  272,  276,  286,  287, 

2 99.  3°6.  307.  3I0>  322»  336,  423>  479.  554*  — Gogol  371,  375,  378.  — Goldener  Topf  (Hoffmann) 
336.  — Goldmark  534.  — Goldoni  181,  231,  513,  514.  — Goldschmidt,  Hugo  11,47, 143,  555.  — 
Goncort  81,  122,  123.  — Gossec  133.  — Goethe  37,  40,  41,  47,  86,  100,  127,  128,  130,  140,  160, 
*64»  *94.  x99»  25°.  252»  293>  34®.  35°.  47®.  4®9»  5°4f*.  53°*  — Götterdämmerung  (Wagner)  426, 
433^*1  441.  453.  477*  — Gottsched  83.  — Gott  und  die  Bajadere  (Auber)  25of.  — Goctz  486. 

— Gounod  346 ff.,  350,  354,  381,  489.  — Governatore  (Logroscino)  19.  — Gozzi429.  — Grabbe 
1 75*  334-  — Grassi  164.  — Graumann  298.  — Graun  68,  72.  — Gregor  57,  61.  — Gret ry  31, 
40,  41,  47,  53,  55,  56,  67,  71,  86,  92,  151,  232,  236,  240,  241,  242,  245,  252,  254,  261,  381.  — 
Grillparzer  207,  554.  — Grimm  17,  27,  85,  126,  156,  232.  — Grisar  242,  258.  — Grisclda  (Paer) 
92-  — Grisi  64,  259,  297,  384.  — Großadmiral  (Lortzing)  334.  — Großherzogin  von 
Gerolstein  (Offenbach)  240,  265.  — Grotta  di  Trofonia  (Salieri)  163.  — Grün  533.  — Guadagni 
5*-  — Gugliclmi  74,  136,  200.  — Guillard  141.  — Guingenö  126.  — Günther  von  Schwarzburg 
(Holzbauer)  149.  — Guntram  (Strauß)  539.  — Gustav  III.  (Auber)  248.  — Guttierez,  .Antonio 
Garcia  389.  — Gwendoline  (Chabricr)  505.  — Gyc  65. 

Haideschacht  (Holstein)  344.  — Halevy  242,  260,  305  ff.,  330,  351,  352.  — Halka  (Moniuszko) 
361.  — Hamlet  (Thomas)  350,  351.  — Händel  35,  55,  56,  66.  80,  81,  92,  HO,  III  ff.,  113,  1 16, 
138,  426 f.  — Hanni  weint  und  Hansi  lacht  (Offenbach)  263.  — Hansel  und  Gretcl  (Humperdinck) 

45,  525 f.,  531,  532.  — Hans  Hciling  (Marschner)  30,  327,  33off.  — Hans  Sachs  (Lortzing)  334, 
336,  33®.  339*  — Harfe  255;  (bei  Wagner)  457.  — Harmonisches  14 ff.,  110;  (Auber)  249;  (Bizet) 
351»  353 f»;  (Caccini)  102;  (Gagliano)  102;  (Gluck)  1 31  f.,  142;  (Monteverdi)  21,  22.  103;  (Mozart) 
155,  i6if.,  168,  180,  183;  (Ramcau)  108;  (Rossini)  283;  (Schubert)  197;  (Spontini)  273 f. ; (Verdi) 
409h,  413,  418;  (Wagner)  465,  470,  477.  — Harsdörfer  23.  — Hasse,  Johann  Adolf  41,  42,  44,  56, 

63,  66,  84,  91,  112,  1 13,  149,  150,  156,  158,  200,  554.  — Hasse,  Max  487.  — Häuslicher  Krieg 
(Schubert)  197L  — Haute-contre  132.  — Haydn  40,  1 86,  194,  238.  — Hebbel  438,  534.  — Hedy 
(Fibich)  360.  — Heidegger  66.  — Heimliche  Ehe  (Cimarosa)  202  f.  — Heine,  Heinrich  78,  293, 
297.  — Heinrich  IV.  von  Frankreich  89.  — Heinrich  IV.  (Shakespeare)  416.  — Heinrich  VIII. 
(Saint-Saüns)  505.  — Heinrich  von  Preußen  40.  — Heinsc,  Wilhelm  21,  22,  34.  39,  51,  70,  II 3. 

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— Heirat  (Gogol)  371.  — Heirat  wider  Willen  (Humperdinck)  525  ff.  — Hclvctius  123.  — Hcmpcl 
295,  383,  499,  501,  503.  — Benin,  Princc  de  124E  — „Henri  IV.“  240.  — D’Hcrbain  47.  — Herder 
86,  127.  — Herlossohn  334.  — Herold  55,  237,  238,  242,  245,  247h,  249,  251,  254,  256,  258,  268.  — 
Herve  268.  — Herzog  527.  — Hieronymus,  Erzbischof  von  Salzburg  154,  157,  159.  — Hieronymus 
Knicker  (Dittersdorf)  195h  — Hildegard  von  Hohenthal  (Heinse)  21,  51,  H3f.  — Hiller  34, 
I50ff.,  160.  — Himmel  194.  — Hippolyte  (Rameau)  107.  — Historische  Oper  199,  270ff.,  346. 

— Hochrezitativ  22.  — Hoffmann,  E.  T.  A.  74,  118,  174 f.,  274,  320,  336,  517!.,  520.  — Hoff- 
manns  Erzählungen  (Offenbach)  268.  — Hofkomponisten  64.  — Hofmannsthal  25,  43,  542,  545, 
546,  5481'.,  551  ff.  — Hofmeister  334.  — Hofopern  68  ff.  — Hofpocten  42,  64.  — Hogarth  148. 

— Holstein  544.  — Holzhauer  34,  149.  — Holzbläser  47;  (bei  Beethoven)  222;  (Mozart)  168,  172; 
(Wagner)  455.  — Homer  100.  — Honorare  42,  63 f.,  67,  297;  (Beethoven)  217;  (Caruso)  499; 
(Cavos)  362;  (Gluck)  64;  (Hasse)  63;  (Jommclli)  63;  (Mctastasio)  64;  (Meyerbeer)  64;  (Mozart) 
164;  (Rameau)  64;  (Rossini)  64,  281;  (Strauß)  64;  (Verdi)  64.  — Houdon  118.  — Hugenotten 
(Meyerbeer)  51,  277,  293ff.,  299,  300,  305.  — Hugo,  Victor  393.  — Humperdinck  37,  251,  485, 
525 ff.,  538,  546.  — Hunyady  Laszlo  (Erkel)  356. 

Jacquin  164.  — Jadlowkcr  383.  — Jagd  (Hiller)  152.  — Jahn  156,  166,  174,  182,  217.  — Jahr- 
marktsbühnen 231.  — Jason  (Cavalli)  28.  — Jerusalem  (Verdi)  389.  — Jesus  von  Nazareth  (Wagner) 
428.  — Idomcnco  (Mozart)  157 f.,  186.  — Jery  und  Bätcly  (Bronsart,  Goethe,  Kaiser  usw.)  252.  — 
Jessonda  (Spohr)  326h  — Jeu  de  Robin  et  Marion  (Adam  de  la  Haie)  232.  — Jeune  Henri  (Mchul) 
72.  — L’incoronazione  di  Poppea  (Monteverdi)  91,  555.  — Indes  galantes  (Rameau)  107.  — 
Indra  (Flotow)  254.  — d’Indy,  Vincent  362,  508.  — Ingwelde  (Schillings)  534.  — Innoccnza 
giustificata  (Gluck)  42,  116.  — Inszenierung  s.  Aufführung.  — Intermedii  et  Concerti 
(Malvezzi)  88.  — Intermezzo  61,  143.  — Joconde  (Isouard)  247.  — Johanna  d’Arc  (Verdi)  389, 
403.  — Johann  von  Paris  (Boicldieu)  244,  245  f.,  260.  — Jolanthe  (Tschaikowski)  379.  — Jolie 
fille  de  Pcrth  (Bizet)  351.  — Jommclli  II,  22,  35,  63,  82,  91,  92,  III,  113,  1 1 4 f 156,  286.  — 
Jongleur  de  Notrc  Dame  (Massenct)  505.  — Joseph  II.  153,  159.  — Joseph  in  Ägypten  (Mehul) 
27,  30,  74,  214E  — Josephine,  Kaiserin  272.  — de  Jouy  272.  — Iphigenie  (Gluck)  74,  76,  117, 
118,  121,  122,  126,  129,  136;  (Goethe)  100;  (Majo)  1 13!.;  (Piccini)  115.  — Irato  (M6hul)  73.  — 
Isis  (Lully)  107.  — Isouard  236,  241  f.,  244,  247,  254,  260.  — Italienische  Oper  18,  22,  32  ff.,  38,  39, 
49,  5 1 ff.,  54,  61,  70,  88,  92,  93,  98,  102ff.,  110,  119,  143ff.,  147,  149,  200 ff.,  231,  345,  490.  — 
Italienerin  in  Algier  (Rossini)  282.  — Jüdin  (Halevy)  305,  330.  — Judith  (Serow)  369.  — Juif 
errant  s.  Ewiger  Jude.  — Jullien  554.  — Junge  Siegfried  (Wagner)  425.  — Jungfrau  von  Orleans 
(Tschaikowski)  378. 

Kain  (d*  Albert)  524.  — Kainz  500.  — Kaiser  485.  — Kaisermarsch  (Wagner)  424.  — Kalbeck 
174.  — Kalif  von  Bagdad  (Boieldieu)  241.  — Kameliendame  (Dumas)  389,  399,  492.  — Kapell- 
meister (Paer)  201.  — Karl  VI.  72.  — Karl  August,  Herzog  128,  129.  — Kaspar  der  Fagottist 
(Müller)  187.  — Kastraten  51  ff.,  80.  — Katharina  von  Medici  88.  — Kavatine  23.  — Kayser  40, 
160,  252.  — Keiser  53,  56,  81,  92,  112,  113,  149.  — Keller  478,  521.  — Kelly  163.  — Khovancht- 
china  (Mussorgski)  371  ff.  — Kienzl  535.  — Kind  315.  — Kipling  478.  — Kirnberger  193.  — 
Klarinette  47.  — Klassizistische  Oper  97  ff.,  21 1,  270.  — Kleefeld  387.  — Kleist  100.  — Klopstock 
127, 128.  — Koch  150,  152.  — Koloratur  23,  38;  (Caccini,  Gagliano)  102;  (Opera  comiquc)  235.  — 
Komische  Oper  37,  149.  — Komponisten  41  ff.  — Kompositionstechnik  (Wagner)  453.  — 

Königin  von  Saba  (Goldmark)  534.  — König  Philipp  (Verdi)  403.  — Königskinder  (Humperdinck) 
37,  530ff.  — König  Thamos  (Mozart)  21,  154.  — Konservatorien  (Palazzo  dei  Pisani)  515;  (Pariser 
Konservatorium)  210.  — Kontraalt  132.  — Kontrabaß  47.  — Kontrafagott  47.  — Kontrapunktik 
15,  143.  — Konturmelodie  16.  — Körner,  Theodor  327.  — Kostüme  61.  — Kotzebue  335.  — 
Kraus  499,  502,  503.  — Kretzschmar  II,  19,  64,  149,  156,  211.  — Kreutzer,  Conradin  341.  — 
Kreutzer,  Rodolphe  37,  47,  241.  — Kritiken  (bei  Beethoven)  216.  — Kritischer  Musikus  (Scheibe) 
40,  51.  — Kuhreigen  (Kienzl)  535.  — Kuß  (Smetana)  357. 

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Labilia  (Spinclli)  490.  — Lablachc  243,297.  — Labordc*79,  126.  — Labyrinth  (Winter)  199. 

— Ladislaus  Sigismund,  Fürst  90.  — La  Dori  (Cesti)  30.  — Lafont  243.  — Laharpe  126,  127.  — 
Lajarte  46.  — Lairesse  127.  — Lakme  (Delibes)  244,  496.  — Lalo  505.  — Lamentoszenen  m.  — 
Lampugnani  156.  — Landi  90,  141,  144.  — Landleben  van  Dycks  (Kind)  315.  — Lange  157, 
164,  183.  — Langer,  Ferdinand  314.  — Langhans  II.  — Larrivee  122.  — Lasso,  Orlando 
106.  — Latilla  156.  — Lauraguais  123.  — Lavigne  297.  — lieben  für  den  Zaren  (Glinka)  363. 

— Leblond  125.  — Lccocq  268.  — Leczinska  122.  — Legende  von  der  unsichtbaren  Stadt  Kitesch 
und  von  der  Jungfrau  Fcwronia  (Rimsky-Korssakow)  377.  — Lcgros  122.  — Lehmann,  Lilli  503. 

— Leichtcntritt  II,  554.  — Leitmotive  48 f. ; (Adam)  260;  (d’ Albert)  523;  (Auber)  278;  (Beet- 
hoven) 208,  2i9f.,  225,  226;  (Cherubini)  212;  (Delius)  522;  (Dittersdorf)  195;  (Glinka)  364; 
(Humperdinck)  525;  (Isouard)  260;  (Lortzing)  48,  338 f.;  (Massenet)  504;  (Mcycrbeer)  291 ; (Monte- 
verdi)  48;  (Mozart)  168,  178,  193;  (Opera  comique)  259L ; (Pfitzncr)533;  (Rossini)  287;  (Scar- 
latti)  48;  (Strauß)  544;  (Tschaikowski)  380;  (Verdi)  406,  409h;  (Wagner)  48f.,  453,  454,  465 ff., 
476;  (Winter)  199.  — Lenau  175.  — Leo  II,  19,  91,  110.  — Leoncavallo  42,  68,  73,  276,  298.  485, 
490,  491,  492,  529.  — Lconorc  (Bouilly)  214,  215.  — Leopold  1.  72,  91,  93.  — Leopold  II.  185. 

— Lcsucur  37,  73,  272.  — Lettre  sur  la  musique  fran^aise  (Rousseau)  33.  — Lettre  sur  Omphalc 
(Grimm)  17,  27.  — Leute  von  Seldwyla  (Keller)  52 1.  — Levasseur  243.  — Levasseur,  Rosalie 

125,  136.  — Lcvi,  Hermann  36,  487,  488.  — Leyden,  Johann  von  297.  — Libussa  (Smetana) 
357.  — Lichnowski,  Fürstin  216.  — Liebe  auf  dem  Lande  (Hillcr)  151.  — Licbcspfcile  (Boschetto- 
Böschet ti)  59.  — Liebestrank  (Donizetti)  386.  — Liebesverbot  (Wagner)  429.  — Lignc,  Prince 
de  123.  — Lind  297,  298,  301.  — Linda  von  Chamonix  (Donizetti)  385,  386.  — Lira  grande 
47.  — Lisuart  und  Dariolette  (Hiller)  150.  — Liszt  291,  307,  358,  363,  424,  487.  — Literatur 
(Abert)  II,  114;  (Adam)  239;  (Addison)  84,  85;  (Agricola)  24;  (Algarotti)  86;  (Ambros)  11,  59, 
84;  (Appia)  61 ; (d’Arienzo)  144;  (Arnaud)  126;  (Beethoven)  206;  (Berlioz)  84,  1 34f-,  237,  272,  299, 
307;  (Boieldieu)  243;  (Bouilly)  241 ; (de  Brosscs)  307;  (Bulthaupt)  174;  (Burncy)  77;  (Calmus)  150; 
(Calsabigi)  130;  (Casanova)  151, 153;  (Chambcrlain)  435 ; (Chefs  d’oeu vre)  108,  555;(Cramer)  554; 
(Czerny)  217;  (Denkmäler  der  Tonkunst)  149,  555;  (Dent)  II,  19;  (Diderot)  86,  480;  (Dittersdorf) 
42,  194;  (Doni)  50;  (Eitner)  15,  555;  (Engels)  174;  (Florimo)  114;  (Forkel)  86;  (Franck)  110;  (Für- 
itenau)63;  (Galilei)  20;  (Gervinus)  1 1 3 ; (Goldschmidt)  II,  47,  143,  555;  (Gautier)  77;  (Goncourt) 
81,  122,  123;  (Goethe)  40,  86,  160,  164,  194;  (Gottsched)  84;  (Gretry)  40,  53,  56,  71,  236;  (Grimm) 
17,  27,  86;  (Hasse)  487;  (Heine)  78,  297;  (Heinse)  21,  34,  51,  70,  113;  (Herder)  86;  (Hoffmann, 

E.  T.  A.)  182;  (Jahn)  156,  166,  174,  182,  217;  (Jullien)  554;  (Kalbeck)  174;  (Kretzschmar)  II, 
19,  64,  149,  156,  21 1;  (Kritiken)  217;  (Labordc)  79;  (Lajarte)  46;  (Langhans)  II;  (Leblond) 
125;  (Leichtentritt)  II,  554;  (Leo)  II;  (Malherbe)  554;  (Manis)  279;  (Marcello)  84;  (Marot) 
106;  (Marx)  115,  134,  138;  (Mattheson)  81,  104;  (Maugars)  78;  (Mavr)  84;  (Mazzatinti)  279; 
(Mendelssohn)  280;  (Mcnctricr)  39,  59;  (,,Mcrcure“)  145;  (Milton)  143;  (Mörike)  173;  (Neitzel) 
554;  (Nietzsche)  84, 98 ; (Nottebohm)  207;  (österreichische  Denkmäler)  60;  (Pedrell)  555 ; (da  Ponte) 
163;  (Pougin)  214,  238,  554;  (Preibisch)  30;  (Prieger)  216,  217;  (Quantz)  149;  (Ragucnct)  33; 
(Reilstab)  276;  (Ricci)  63;  (Riemann)  30,  554;  (Rodenberg)  328;  (Rousseau)  33,  47,  56,  76.  86, 

126,  233,  236;  (Sarrazin)  148;  (Scheibe)  40,  41,  51;  (Schindler)  218;  (Schlegel)  83,  84,  1 18 ; (Senft) 
555;  (Siegmeycr)  126;  (Stendhal)  186,  280,  307;  (Sulzcr)  84;  (Theaulon)  276;  (Torchi)  555;  (Vogel) 
11;  (Volbach)  47;  (Voltaire)  84,  86;  (Wagner)  23,  31,  42,  54,  271,  276,  306,  422,  449;  (Weber) 
322;  (Weckerlin)  108;  (W'elti)  1 16;  (W  ieland)  1 27 f.  — Lobetanz  (Thuille)  534.  — Lobkowitz  68, 
115.  — Lodoiska  (Cherubini)  210,  2i2f.  — Logen  67.  — Logroscino  19,  91,  145.  — Lohengrir. 
(Wagner)  30,  44,  21 1,  291,  306,  323,  330,  408,  425,  427,  428,  429,  431  ff.,  441,  446,  447,  449, 
452,  453,  454,  455 f.,  4454  f.,  476,  477,  487.  — Lombarden  (Verdi)  389,  391,  392.  — London  64, 
66.  — Lortzing  41,  48,  82,  152.  196, 332 ff.,  337 ff.,  421,  535.  — Lotti  35,  63.  — Louis  XIV.  80, 
91,  92,  106.  — Louis  XV'.  80.  — Lucca  297.  — Lucia  von  Lammermoor  (Donizetti)  385 f.,  387. 

— Lucio  Silla  (Mozart)  154.  — Lucrezia  Borgia  (Donizetti)  385,  386:  (Hugo)  393.  — Ludwig  II. 

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70,  424-  — Ludwig  XV.  80,  126.  — Luise  (Charpentier)  joöff.,  548.  — Luisa  Miller  (Verdi)  389, 
392  f.  — Lukian  100.  — Lully  32,  33,  35,  40,  42,  44,  46,  56,  57, 75f.,  87,  92,  93,  104ff.,  118,  119, 
121,  125,  126,  140,  347,  551.  — Lustige  Schuster  (Standfuß)  150,  202.  — Lustige  Weiber  (Nico- 
lai) 342. 

Macbeth  (Beethoven)  207;  (Verdi)  389,  390.  — Madame  Butterfly  (Puccini)  494ff. — Mädchen 
aus  dem  goldenen  Westen  (Puccini)  498.  — Mädchen  von  Elizondo  (Offenbach)  264.  — Madrigal- 
oper 15  h,  88,  427.  — Magnaminitä  d’Alessandro  (Cesti)  144.  — Magny  75.  — Mahler  54,  218, 
222,  315,  325.  — Mahomct  II.  (Rossini)  280.  281,  282.  — Maienkönigin  (Gluck)  116.  — Mailand 
66,  490.  — Maillart  243,  261,  263.  — Maillart  (Sängerin)  71  f.,  136.  — Mainacht  (Rimsky-Korssa- 
kow)  375.  — Maison  ä vendre  (Dalayrac)  241.  — Majo9i,  1 13,  1 14,  156.  — „Makkabäische  Mutter“ 
27.  — Mala  vita  (Giordano)  491.  — Malfleurai,  Clotilde  238.  — Malherbe  554.  — Malibran 
285,  298.  — Malvezzi  88.  — Mamsell  Angot  (Lccocq)  268.  — Manis  279.  — Mannheim  114, 
149,  157.  — Manon  (Massenet,  Puccini)  492 ff.,  505.  — Mansio  42.  — Mapelson  65.  — Mara 
297.  — Marais  76,  205.  — Marccllo  41,  84.  — Markesi  280,  298.  — Marazzoli  90,  143,  144.  — 
Marchetti  387.  — Marcolini  280.  — Margarethe  (Gounod)  348  h,  350.  — Maria  Antonia,  Prinzessin 
von  Sachsen  41.  — Marie  (Herold)  248.  — Marino  Falieri  (Donizctti)  385.  — Mario  64.  — 
Marmontcl  123,  126.  — Marot  106.  — Marquise  de  Brinvilliers  (Herold)  55.  — Märsche  (Beet- 
hoven) 223.  — Marschner  326,  327 ff.,  334,  337,  370,462.  — Martha  (Flotow)  234,  253h,  258,  260, 
261.  — Martin  172,  179.  201.  — Martin  (Sänger)  244.  — Martinez  64.  — Martini  126.  — Marx 
1 1 5,  134,  138.  — Masaniello  301.  — Mascagni  490h,  492.  — Maskenball  (Verdi)  248,  390,  404ff., 
408,  419.  — Masse  243.  — Massenet  346,  485,  492  h,  504 f.,  540.  — Maß  für  Maß  (Shakespeare) 
429.  — Ma  tante  Aurore  (Boicldicu)  77,  244.  — Maeterlinck  43,  509,  548.  — Mattei  55.  — 
Mattheson  54,  81, 92,  104.  — Maugars  78.  — Maupin  79h  — Maurel  500.  — Maurer  und  Schlosser 
(Aubcr)  249,  257,  259,  260,  261.  — Maximilian  III.  153.  — Mayer  215,  216.  — Mayr  30,  31,  47, 
84,  92,  205,  215,  280,  298.  — Mazarin  32.  — Mäzenaten  62h,  68 ff.,  72 f.,  81,  89h,  153.  — Mazeppa 
(Tschaikowski)  378,  380h  — Mazzatinti  279.  — Mazzocchi  90,  143.  — Medea  (Cavalli)  20;  (Che- 
rubim) 210,  211.  — Medici  (Leoncavallo)  491.  — Mcfistofcle  (Boito)  489.  — Mchul  27,  30,  47, 
72,  73,  74,  206,  214ff.,  236,  241,  244.  — Meilhac  352.  — Meistersinger  (Wagner)  37,  38,  54, 
149, 196, 364, 424, 425. 427, 428, 441, 44  2 ff.,  445, 446, 448. 450, 451  f.,  453, 454. 459, 460. 470. 
473 ff'.  476.  478.  479.  4gS.  5*5.  5*7.  5*8.  53*.  537.  539-  — Mel»™  45.  '44-  — Melba  503.  — 
Melodisches  i-fff.,  38,  102;  (Auber)  249;  (Bizct)  354;  (Dargomyschski)  371;  (Dittersdorf)  195h; 
(Gluck)  132,  137;  (Lortzing)  340;  (Monsigny)  259;  (Mozart)  153,  155,  i66ff.,  176,  180,  183; 
(Verdi)  392,  398,  412,  413;  (Wagner)  467h — Melodrama  37,  194;  (Beethoven)  226;  (Benda)  37; 
(Fibich)  360;  (Goethe,  Humpcrdinck)  37;  (Mozart)  160.  — Melusine  (Grillparzer)  207.  — 
Mendelssohn  218,  280,  288.  325,  330,  340,  347.  — Menetrier  39,  59.  — Mcngozzi  241.  — Merca- 
dantc  387.  — „Mercure“  145.  — Merimee  352.  — Merry  cobler  (Coffey,  Gay)  150.  — Mcrulo 
88.  — Meßmcr  152.  — Mctastasio  40,  42,  64,  72,  84,  114,  116,  117,  119,  149,  185,  186,  187,  200, 
207,  288.  — Meyerbeer  35,  64,  68,  74,  77,  247,  248,  277,  287 ff.,  305,  306,  309,  324,  376,  391, 
401,  406,  408,  419,  423,  429.  — Mignon  (Thomas)  349h  — Milchmädchen  (Duni)  231.  — Milder 
215,  274.  — Milton  143.  — Mitridate  (Mozart)  154.  — Molierc  106,  181,  233,  346,  551,  552  f. 

— Moloch  (Schillings)  534.  — Mondonville  76,  151.  — Moniglia  144.  — Moniuszko  361.  — 
Monodie  X 5 f 20,  88,  90,  m;  (Meyerbccr)  302.  — Monsieur  Chouflcury  (Offenbach)  265.  — 
Monsieur  et  Madame  Denis  (Offenbach)  263.  — Monsigny  42,  82,92,  231,  236,  240,  241,  252,  259. 

— Montcclair  47.  — Montcvcrdi  II,  20,  21,  22,  46,  48,  91,  93,  I02f.,  119,  142,  508,  555.  — 
Moreau  80.  — Mörikc  173.  — Morlacchi  34.  — Moses  in  Ägypten  (Rossini)  281,  284,  286,  299, 
519.  — Motteville,  Madame  de  36.  — Mottl  308,  487,  488.  — Mozart,  Konstanzc  155,  1 59.  — 
Mozart,  Wolfgang  Amadee  1 x,  21,  22,  30,  34,  35,  42,  44,  47,  48,  49,  54,  61,  74,  84,  86,  93,  114, 
143  ff.,  146,  149,  150,  152 ff.,  194,  195,  199,  200 f.,  202,  207,  215,  225,  228,  238,  266,  280,  286, 
3'*.  3*4,  3*'.  3*4,  3*6.  334,  336,  338,  340,  371,  388,  407,  419,  423,  465,  469,  479,  511,  514,  516, 

565 


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528,  54^»  54®*  549*  55 1 * — Mozart  und  Salieri  (Rimiky- Korssako  w)  375.  — Mrazck  554.  — Müller 
149.  — Müller,  Wenzel  187,  196.  — Murat  281.  — Murger  492,  507.  — Musäus  248.  — Musica. 
della  antica  c dclla  moderna  (Galilei)  20.  — Musikalisches  14 ff.,  144;  (Adam)  252,  258;  (Auber) 
251;  (Bizet)  351,  352;  (Busoni)  519!.;  (Cherubini)  212;  (Cimarosa)  202;  (Dcbussy)  509;  (Ga*) 
148;  (Giordano)  49 1 f . ; (Händel)  13,  1 1 3 ; (Martin)  201;  (Meverbeer)  292,  294h;  (Mozart)  162. 
167 ff.;  (Opera  comique)  235;  (Pergolesc)  145;  (Rossini)  203 f.;  (Rousseau)  233;  (Spontini)  272; 
(Verdi)  417;  (Wagner)  461  ff.;  (Weber)  323;  (Weigl)  198;  (Winter)  199.  — Musik  (antike)  97t'.; 
(asiatische)  346;  (horizontale)  16;  (magyarische)  346;  (polyphone)  Ulf.,  116;  (russische)  346; 
(slawische)  346;  (spanische)  346;  (tschechische)  357 ff.,  369;  (vertikale)  16.  — Musikzeitung  150. 

— Müsset  262,  351.  — Mussorgski  371  ff.,  403.  — Muzio  Scacvola  (Bononcini,  Händel.  Mattei) 
55.  — Mysteres  d’Isis  74  s.  Zauberflöte. 

Nabucco  (Verdi)  389,  391.  — Nachtlager  von  Granada  (Kreutzer)  341.  — Nachtwandlerin 
(Bcllini)  384.  — Napoleon  I.  73,  171,  203,  210,  272,  273.  — Napoleon  III.  424.  — Nationale 
Opern  345 ff.  — Neapeler  Oper  11,  19,  91,  uof.,  114,  155,  490.  — Neefe  194.  — Neffen  (Ramcau) 
86.  — Neige  (Auber)  244.  — Neitzel  554.  — Ncßler  344.  — Neuer  Gutsherr  (Boieldicu)  246. 

— Neufchateau  124.  — Neugierigen  Frauen  (Wolf- Ferrari)  5 toff.,  51 5 ff.  — Nibelungen  (Hebbel) 
438.  — Niccolo  s.  Isouard.  — Nicolai  35,  42.  342,  389,  416.  — Nietzsche  84,  98,  424,  446.  448. 
539.  — Nina  (Dalayrac)  31.  — Nincttc  ä la  cour  (Favart)  151.  — Niobe  (Müller)  149.  — Noblet 
75,  278.  — Nordstern  (Meyerbcer)  303.  — Norma  (Bcllini)  54,  384h,  389.  — Nottebohm  207. 

— Nourrit  243,  277,  297,  298.  — Noverre  37,  114,  157.  — Nozze  di  Figaro  s.  Figaros  Hochzeit. 

— Nuitter  92.  — Numa  Pompilio  (Hasse)  200.  — Nr.  66  (Offenbach)  263.  — Nuove  musiche 
(Caccini)  89.  — Nurmahal  (Spontini)  275. 

Oberon  (Weber)  55,  74,  313,  315,  324 ff.,  343.  — Oberst  Chabcrt  (Waltershausen)  554.  — 
Oberto  (Verdi)  388,  391.  — Oboe  47.  — Oca  del  Cairo  (Mozart)  163  f.  — Oedipe  de  Colone 
(Sacchini)  76,  114!.  — Ödipus  (Voltaire)  86.  — Offenbach  231,  234,  235,  242,  244,  261,  262  ff., 
347,  406.  — Oie  de  Cairo  (Mozart)  164.  — Olimpiadc  (Jommelli)  113,  114;  (Pergolesc)  145.  — 
Olympia  (Spontini)  273,  276,  277. — Ombraszenen  m. — Oper  (Geschichte)  1 1 f.,  I4ff.,  1 8 f.  20, 
22,  23,  32,  51,  88 ff.,  143,  147,  194,  215t,  23 1 ff.,  270!..  362,425h,  490;  (Theorie) 82 ff.;  s.  auch 
Literatur;  (Wesen)  9ff.,  1 3 ff.,  62h  — Opera  comique  35,  48,  92,  145,  229ff.,  270,  312,  346,  363, 
429.  — Operette  232,  244,  253,  534.  — Opcrnlcxikon  (Ricmann)  30.  — Opernprobe  (Lortzing) 
334.  — Oper  und  Drama  (Wagner)  23,  449.  — Ophiklcidc  299.  — Opitz  42.  — Oratoriumoper 
89,  104,  1 12,  142.  — Orchester  16,  20f.,  43ff.,  1 12, 298 ff.;  (Bayreuth)  456;  (Beethoven)  208,  21911., 
225;  (Berlioz)  299,  308,  309h,  512,  540;  (Busoni)  519h;  (Carlo)  48;  (Cherubini)  2 1 1 f 214;  (Cima- 
rosa) 202;  (Dittersdorf)  195h;  (Gluck)  45,  47,  132,  134,  135h,  137,  139,  142,  222,  299;  (Gretry) 
47;  (d’Herbain)  47;  (Herold)  256;  (Holzbauer)  149;  (Humperdinck)  45,  529;  (Jommelli)  1 14;  (Ko- 
mische Oper)  255h;  (Kreutzer)  47;  (Leoncavallo)  298;  (Lortzing)  340;  (Lully)  46;  (Marschncr) 
331 ; (Mayr)  47,  298;  (Mehul)  47,  215;  (Melani)  45;  (Meyerbcer)  299f.,  309;  (Monteclair)  47; 
(Montcvcrdi)  20,  46,  ioif.,  103h;  (Mozart)  155,  158,  161  f.,  168 ff.,  176,  180,  183,  189,  193,  299; 
(Paris)  46 ff.;  (Peri)  47;  (Ramcau)  108;  (Rossini)  202h,  299;  (Rousseau)  256;  (Scarlatti)  46; 
(Schweitzer)  149;  (Spontini)  249,  276,  299;  (Strauß)  48,  298h,  540h,  544h ; (Verdi)  392,  406. 
409,  41 1,  417;  (Wagner)  44,  452  ff.;  (Weber)  316h,  323h;  (Wolf- Ferrari)  512.  — Orest  (Gluck) 
45.  — Orontea  (Ccsti,  Cirillo)  145.  — Orpheus  59;  (Bcrtoni)  136;  (Cacdni)  142;  (Gluck)  21,  35, 
51,  56,  74,  86,  100,  108,  Ii6f.,  118,  120,  122,  129,  i3off.,  133,  138,  141h,  262,  266;  (Landi)  90, 
141h;  (Monteverdi)  46,  91,  102 ff.,  142.  262,  508;  (Offenbach)  262,  264h;  (Peri)  142,  262;  (Rossi) 
91,  144.  — österreichische  Denkmäler  60,  149.  — Othello  (Rossini)  282,  283 f.,  413;  (Verdi)  390. 
41 3 ff.  — Othclloballctt  (Vigano)  284.  — Ottavia  (Kciscr)  112.  — Otto  (Händel)  112.  — Ouvertüre 
44;  (Beethoven)  215,  217,  218,  2i9ff.,  225;  (Cherubini)  2 1 1 ff. ; (Gluck)  44,  130,  133,  136,  137. 
138,  14z ; (Gretry)  254;  (Herold)  237;  (Isouard)  254;  (Komische  Oper)  254h;  (Lully)  44;  (Mehul) 

566 


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214;  (Mendelssohn)  325;  (Mozart)  161,  164,  167,  173,  l8of.,  183,  189,  1 93 f. ; (Rameau)  44;  (Ros- 
sini) 286;  (Scarlatti)  44;  (Tschaikowski)  380;  (Verdi)  400,  403;  (Wagner)  452f.;  (Weber)  315, 
321,  326. 

Pacchiarotti  280.  — Paccini  280.  — Pacini  387.  — Padilla  298.  — Paer  30,  55,  68,  92,  201  f., 
216,  280.  — Paesiello  73,  84,  91,  114,  186,  202,  203,  206,  280,  362.  — Palazzo  Barberini  90. 

— Pallavacino  23.  — Pantomime  36h;  (Adam)  37,  252;  (Bcrlioz)  310;  (Gluck)  134;  (Noverrc) 
37;  (Rousseau)  233;  (Wagner)  37.  — Parallele  des  Italiens  et  des  Fran^ais  (Raguenet)  33.  — 
Paride  (Bontempi)  18,  41.  — Paris  37,  46,  61,  64,  73,  76,  116,  117,  121,  132,  133,  145,  174,  231, 
506.  — Pariser  Oper  39,  106,  1 2 1 ff. ; s,  auch  französische  Oper.  — Paris  und  Helena  (Gluck)  117, 
118,  120,  134,  136.  — Pariser  Leben  (Offenbach)  265,  267.  — Parlando  145,  200.  — Parodie 
195;  (Favart)  232;  (Fioravanti)  201;  (Lortzing)  339;  (Mehul)  214;  (Paer)  201.  — Parsifal 
(Wagner)  45,  58,  424,  427,  428,  444,  448,  450.  452,  453,  454,  460 f.,  463,  465,  476t  — Pasta  280, 
283,  297,  298,  384.  — Pauke  47.  — Pecour  75.  — Pedrell  555.  — Pelissier  75,  281.  — Pelleas  und 
Mclisande  (Debussy)  25,  509.  — Pclops-Trilogie  (Fibich)  360.  — Pepusch  148.  — Pergin  1 1 7. 

— Pcrgolcsc  17,  91,  92, 145f.,  156,  554.  — Peri  42,  47,  51,  55,  88,  89,  90,  91,  102,  142.  — Perlen- 
fischer (Bizct)  351.  — Perrin  39,  42,  92,  106.  — Persiani  297.  — Persuis  73.  — Pest  in  Florenz 
(Halevy)  306.  — Petersburg  203,  362.  — Pctcrsjahrbuch  19,  64,  156,  211.  — Petite  Maison  (Spon- 
tini)  272.  — Petit  prophetc  de  Bocmischbroda  (Grimm)  85.  — Petit  riens  (Novcrre)  1 57.  — Pctrclla 
387. — Pfeifertag  (Schillings)  534.  — Pfitzncr  336,  532 ff.  — Philemon  und  Baucis  (Gounod)  347. 

— Philidor  56,  92,  108,  m,  232.  — Philipp  V.  80.  — Phrosine  und  Melidor  (Mehul)  72.  — Piave 
397*  399-  — Piccini  19,  32,  71,  86,  91,  92,  113,  114,  115,  126!.,  129,  146,  155,  156,  271.  — 
Piquedame  (Tschaikowski)  378,  379,  380,  381.  — Pietra  del  paragone  (Rossini)  280.  — Pirata 
(Bellini)  384.  — Piva  s.  Steffani.  — Planer  424.  — Planquette  268.  — Platte  (Rameau)  44.  — 
„Polly“  148.  — Polnische  Oper  361,  364.  — Polnischer  Jude  (Karl  Weis)  534.  — Porno  d’oro 
(Ccsti)  59,  60.  — Pomone  (Cambert)  92.  — Pompadour  122.  — Ponchard  243,  244.  — Ponchielli 
387,  490.  — Da  Ponte  42,  163,  169,  172,  173,  174,  176,  181,  182,  183.  — Poppea  (Montcverdi) 
104.  — Porpora  35,  41,  66,  91.  — Portugal,  M.  A.  201.  — Portugiesischer  Gasthof  (Cheru- 
bim) 210,  212.  — Posaune  (Gluck)  47;  (Mozart)  172;  (Wagner)  457.  »—  Postillon  von  Lonjumeau 
(Adam)  234,  242,  244,  252,  255,  259,  260,  261.  — Pougin  214,  238,  554.  — Poussin  142.  — Prag 
172  h — Präger  322.  — Pre  aux  dercs  (Herold)  255;  s.  auch  Schreiberwiese.  — Preciosa  (Weber) 
314.  — Preibisch  30.  — Prcvost  492.  — Prieger  216,  217,  218.  — Procope  (Bizet)  351.  — 
Produktivität  56,  239h;  (Adam)  251 ; (Cavalli)  91 ; (Dalayrac)  241 ; (Donizetti)  56,  385;  (Gluck) 
56;  (Gretry)  241;  (Hasse)  56;  (Offenbach)  262;  (Paesiello)  203;  (Portugal)  201;  (Rossini)  56,  282; 
(Sacchini)  56;  (Scarlatti)  56.  — Prophet  (Meyerbecr)  299,  300ff.,  305.  — Proscrpina  (Goethe) 
37;  (Paesiello)  73.  — Provcnzale  145.  — Publikum  66ff.,  498 ff. ; s.  auch  Gesellschaftliches.  — 
Puccini  42,  49,  485,  490,  491,  492 ff.,  507,  522,  523.  — Purccll  53,  92,  147.  — Puritaner  (Bellini) 
384.  — Puschkin  368,  370,  372,  378,  379.  — Pygmalion  (Rousseau)  37. 

Quantz  149.  — Quinault  40,  42,  133,  138. 

Raaff  157.  — Racine  76,  IOO,  117,  121,  137,  186,  233.  — Raguenet  33,  51,  71.  — Rameau  26, 
44*  47*  55*  57*  64,  86,  92,  107 f.,  110,  116,  118,  119,  125,  138,  236.  — Ramm  157.  — Räuber  (Verdi) 
389.  — Raupach  335.  — Rauchfangkehrer  (Salieri)  35.  — Rebcl  55.  — Regie  57ff.  — Regiments- 
tochter (Donizetti)  386,  386h  — Regimentszaubercr  (Offenbach)  263.  — Regina  (Lortzing)  334, 
337,  338,  339.  — Regnault  244.  — Reicha  242.  — Reichardt  42,  158,  194.  — Reim  39h;  (Mozart) 
40;  (Wagner)  447 ff.  — Reise  um  die  Welt  (Cimarosa)  202.  — Reißiger  344.  — Rellstab  276.  — 
Renaud  500.  — Repertoire  66.  — Repr&entations  en  musique  (Menetrier)  39.  — Reyer  346,  352. 

— Rezitativ  18,  22,  23,  102;  (Beethoven)  224,  226;  (Cherubini)  37;  (Dittersdorf)  195;  (Gluck) 
141,  142;  (Jommelli)  22;  (Kreutzer)  37;  (Lesueur)  37;  (Mehul)  215;  (Mozart)  155,  189;  (Rousseau) 
233;  (Schweitzer)  149.  — Rczitativc  parlando  HO,  143. — Rczitativischc  Oper  59.  — Reznicck  347, 

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. — Rheingold  (Wagner)  74.  425,  438ff..  452,  456,  467,  478.  — Rhythmisches  19 f.,  39,  102, 
»;  (Adam)  252;  (Berlioz)  31 1;  (Bizet)  354;  (Dittersdorf)  195;  (Erkcl)  356;  (Gluck)  39;  (Lully) 
>;  (Meyerbecr)  296,  302;  (Mozart)  195 ; (Mussorgski)  374;  (Offenbach)  266 f.;  (Opera  comique) 
;;  (Rossini)  205,  283;  (Smctana)  360;  (Verdi)  413;  (Wagner)  461,  465.  — Ricci  63,  387.  — 
chard  Löwenherz  (Grctry)  245,  257,  258,  260»  381.  — Ricordi  388.  — Rienzi  (Wagner)  53, 
6,  423,  425,  428,  429,  447,  452»  461.  — Ricmann  30,  554.  — Rietz  344.  — Righini  113,  163, 
4.  — Rigole tto  (Verdi)  18,  389,  392,  393  ff.,  397,  417,  419.  — Rimsky-Korssakow  370,  372,  374, 
'6 ff.,  378.  — Ring  des  Nibelungen  (Wagner)  57,  424,  425h,  428,  433 ff.,  446,  447h,  449,450h, 

, 2 f.,  454,  456,  465  ff.,  477,  544.  — Rinuccini  42,  88,  89,  90,  91,  142.  — Ritorno  d’Ulisse 
donteverdi)  91.  — Ritter,  Alexander  488.  — Ritter  157.  — Robert  der  Teufel  (Mcycrbecr)  277, 
^off.,  293,  300,  305.  — Robin  des  Bois  320;  s.  auch  Freischütz.  — Rochlitz  218.  — Rochois  79. 
- Rockel  216.  — Rodenberg  328.  — Roger  297.  — Rogneda  (Serow)  369!.  — Roland  (Gluck) 
26;  (Piccini)  115,  156.  — Rolandsknappen  (Lortzing)  334,  339.  — Roland  von  Berlin  (Leon- 
avallo)  73,  491,  529.  — Rolland  41.  — Roller  61,  188.  — Rom  90.  — Romantische  Oper  90, 
.II,  312H.  — Romantische,  Die  (Rostand)  25.  — Romanze  235;  (Opera  comique)  260;  (Schubert) 
.97.  — Romberg  217.  — Romeo  und  Julia  (Bcllini)  384;  (Gounod)  347.  — Romeo  und  Julia 
tuf  dem  Dorfe  (Dclius)  521  ff.  — Römische  Oper  II,  48,  90,  104.  — Rondo  23;  (Opera  comique) 
235;  (Paer)  202;  (Piccini)  19,  146.  — Roscnkavalicr  (Strauß)  25,  51,  204,  516,  546 ff.,  549.  — 
Rosen,  Baron  von  363.  — Rose  vom  Liebesgarten  (Pfitzncr)  533.  — Rosmcr  531.  — Rospigliosi 
90,  143,  144.  — Rossi  (Luigi)  91,  144.  — Rossi  (Michelangelo)  90.  — Rossini  23,  35,  55,  56,  64, 
82,  84,  186,  201,  203 ff.,  237h,  248,  249,  266,  271,  277,  278ff.,  283,  284,  287,  288,  293,  299,  302, 
305.  307.  3*>.  3*5.  333.  35'.  383.  3«5.  39°.  39'.  4°*.  4°7.  4'3. 4>9-  4*3.  +79. 5'+,  5'9-  — Rossini, 
Girolamo  51.  — Rostand  25.  — Rotes  Käppchen  (Dittersdorf)  196.  — Rotkäppchen  (Boieldieu) 
246,  261,  314.  — Roullct  42,  1 17,  121,  125,  137.  — Rousseau  16,  17,  33,  37,  41,  44,  47,  56,  58,  76, 
84,  85h,  92,  123,  126,  152,  231,  233,  236h,  256,  307,  480.  — Rübezahl  (Sommer)  529.  — Rubini 
64,  297,  298.  — Rubinstein  382.  — Ruggiero  90.  — Rustan  und  Ludmilla  (Glinka)  363,  368  ff. 

— Russalka  (Dargomyschski)  370.  — Russische  Oper  36,  361  ff.  # 

Sacchini  49,  53,  56,  76,  91,  108,  113,  114,  186,  202,  307.  — Sacrati  145.  — Sada  Yacco  498. 

— Sadko  (Rimsky-Korssakow)  376.  — Saggio sopra  l’opera  in  musica  (Algarotti)  86.  — St.  Aubin  244. 

— St.  Hubcrti  136.  — Saint-Saens  346,  369,  505h  — Salieri  35,  113,  156, 163,  164, 173,  288.  — Salle 
75.  — Salome  (Strauß)  16,  25,  27,  41,  45,  48,  516,  522,  539ff.,  542,  545,  549,  552.  — Samara  490. 

— Sammelband  der  J.  M.  G.  30,  84.  — Samson  (Rameau)  55.  — Samson  und  Dalila  (Saint-Saens) 
505.  — San  Alessio  (Landi)  90,  144.  — Sand,  George  527.  — Sänger  5off.,  53 ff.,  64,  1 1 3 f.,  243  f., 
280,  297  ff.  — Sappho  (Gounod)  346.  — Sarazenin  (Wagner)  426.  — Sardanapal  65,  72.  — Sarra- 
zin 148.  — Sarti  156,  163,  179,  186,  200.  — Sbarra  60.  — Scarlatti  19,  23.  44,  46,  48,  51,  56,  91, 
110,  145.  — Schachtner  152,  160.  — Schaljapine  404,  500.  — Schatz  70.  — Schauspieldirektor 
(Mozart)  164.  — Scheibe  40.  41,  51,  149.  — Scheidemantel  181.  — Schenk  196.  — Schiavo  della 
sua  moglic  (Provcnzale)  145.  — Schiebclcr  150.  — Schicdcrmair  84.  — Schikaneder  42,  164,  187  ff., 
194.  — Schiller  287,  393,  403,  480.  — Schillings  522,  534.  — Schindler  218.  — Schinkel  188,  274, 
315,  320.  — Schirmer,  David  42.  — Schlacht  von  Lcgnano  (Verdi)  389,  391.  — Schlaginstrumente 
47,  299;  (bei  Berlioz)  309.  — Schlegel  83,  84,  Ii8f.  — Schmuck  der  Madonna  (Wolf- Ferrari) 
515  ff.  — Schnee  (Auber)  249;  s.  auch  Neige.  — Schneeflöckchen  (Rimsky-Korssakow)  375.  — 
Schneider  164.  — Schnitzler  548.  — Schoder-Gutheil  500.  — Schola  cantorum  508.  — Schöne 
Helena  (Offenbach)  232,  264.  — Schönemann  150.  — Schopenhauer  434,  441.  — Schreiberwiese 
(Herold)  242,  248,  252,  256,  257,  294.  — Schröder- Dcvricnt  53,  93,  276,  426.  — Schubert  36, 
197 f.,  204,  224.  321,  338.  398,  529.  — Schumann  198,  214,  344,  362,  404.  — Schumann-Hcink 
500.  — Schürmann  149.  — Schütz  42,  149.  — Schwarzer  Domino  (Auber)  251,  261.  — Schtveitzcr 
130,  149.  — Schweizerfamilie  (Weigl)  34,  198.  — Schwerterweihe  (Meyerbeer)  309.  — Schwestern 
von  Prag  (Müller)  196.  — Scott  246,  329,  386.  — Scotti  403.  — Scriabine  371.  — Scribe  42,  246, 

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252»  277*  288,  293»  3°°*  3°5’  3°^»  33^’  402'  — Scrittura  64.  — Scuola  dei  gclosi  (Salieri)  163.  — 
Scdaine  42,  123,  150,  231.  — Seelewig  (Harsdörfer  und  Siaden)  23.  — Sekkorezitativ  22,  548; 
(Mazzocchi  u.  Marazzoli)  143;  (Rossini)  413.  — Sembrich  383,  503.  — Semiramis  (Gluck)  1 16; 
(Rossini)  282.  — Senesino  66,  80.  — Senff  555.  — Serapionsbrüder  (Hoffmann)  517.  — Scrow 
369!,  — Serpent  47.  — Serse  (Cavalli)  35,91.  — Serva  padrone  (Pergolcsc)  17,  92,  146,  151,  231. 
— Sevignc  186.  — Seyfried  216.  — Shakespeare  76,  181,  283,  307,  308,  325,  348,  350,  416,  423, 
429.  — Shaw  175,  422.  — Siege  de  Corinthc  s.  Mahonie t II.  — Sieger  (Wagner)  428.  — Sieg- 
fried (Wagner)  30,  295,  425,  44of.,  453,  454,  467,  469!.,  476.  — Siegfrieds  Tod  (Wagner)  425, 
433 ff.  — Siegmeyer  126,  — Si  j’etais  roi  (Adam)  251.  — Silvana  (Weber)  313.  — Simone  Bocca- 
negra  (Verdi)  390,  403.  — Simrock  555.  — Sinfonia  da  camera  (Wolf-Ferrari)  512.  — Singspiel 
23,  38,  147 ff.,  152,  159,  194,  231  ff.  — Sirene  (Aubcr)  259,  260.  — Sizilianischc  Vesper  (Verdi) 
390,  402  f.  — Smetana  357,  51 1.  — Solo  18,  20.  — Soloinstrumcnte  46.  — Sommer,  Hans  529, 
534.  — Sommernachtstraum  (Mendelssohn)  325.  — Sonnleithner  216.  — Sontag  314,  321.  — 
Sonzogno  490.  — Sophie  Charlotte  81.  — Sophokles  100.  — Sorcier  (Philidor)  56.  — Sordinen- 
trompeten 47.  — Sourdeac  92.  — Spcctaclcs  coupcs  31.  — Spinclli  490.  — Spohr  152,  320,  326  f., 
334.  — Spontini  31,  34,  244,  270ff.,  279,  287,  288,  293,  303,  306,  307,  320,  429.  — Sposo  dcluso 
(Mozart)  164.  — Sprache  25,  32 ff.;  (Duni,  Gluck,  Händel,  Lully,  Meyerbeer)  35;  (Mozart)  34,  35; 
(Nicolai)  35;  (Piccini)  146;  (Rossini,  Salieri)  35;  (Vinci)  145.  — Stabat  mater  (Rossini)  282.  — 
Stabreim  (bei  Wagner)  447 £.  — Staden  21,  23.  — Stampiglia  42.  — Standfuß  150.  — Stcffani  35, 
81.  — Steinerne  Gast  1 74 f. ; (Dargomyschski)  370;  siche  auch  Don  Juan.  — Stendhal  170,  186,  202, 
2 80 ff.,  284,  307.  — Stephanie  160,  164,  195.  — Stiffelio  (Verdi)  389,  390.  — Stil  igff.,  485 ff. — 
Stilo  concitato  20. — Stilo  rappresentativo  22,  89.  — Stimmliches  49,  50h  — Stoffe  25ff.,  42h, 
60,  98ff.,  113h,  119,  129,  143 ff.,  146,  151,  174h,  196,  199,  20off.;  (Adam)  252h;  (Aubcr)  248 ff., 
259,  277h;  (Beethoven)  30;  (Bizet)  351  f.,  353;  (Blech)  536;  (Boieldieu)  245h;  (Boito)  489;  (Boro- 
din)  374;  (Boschetto-Boschetti)  59;  (Busoni)  517;  (Cesti)  30;  (Charpcnticr)  506 f.;  (Cherubim) 
2 1 1 f . ; (Cimarosa)  202 f.;  (Cornelius)  487;  (Dargomyschski)  370;  (Dcbussy)  509;  (Dclius)  521; 
(Dittersdorf)  194h;  (Donizctti)  386h;  (Favart)  150;  (Flotow)  81,  253 f. ; (Gay)  147;  (Glinka)  363h, 
368;  (Gounod)  347,  348;  (Gluck)  129;  (Gretry)  245;  (Halevy)  305;  (Händel)  427;  (Herold)  248; 
(Humperdinck)  527h,  530 f.j(Isouard)  247; (Kienzl)  535;  (Kreutzer)  342;  (Landi)  90;  (Lortzing)  335. 
337;  (Lully)  106;  (Marschncr)  328,  329,  330L;  (Massenet)  504h;  (Mehul)  214;  (Mcycrbccr)  290, 
293 f.,  300h,  303 f. ; (Mozart)  152,  154,  157,  160,  I76ff.,  1 8 1 f .,  187L;  (Müller)  196;  (Mussorgski) 
372;  (Offenbach)  263;  (Opera  comique)  232 ff.,  240;  (Paer)  201  f.;  (Pcrgolese)  145 f,;  (Piccini)  146; 
(Puccini)  492,  497;  (Rimsky-Korssakow)  376;  (Rossini)  204;  (Rousseau)  233;  (Schubert)  197; 
(Schumann)  344;  (Smetana)  357;  (Spohr)  326;  (Spontini)  272,  273;  (Strauß)  539,  546h,  551; 
(Tschaikowski)  378,  379;  (Vecchi)  15 f. ; (Verdi)  389,  390,  393 f.f  397,  404h,  408,  416;  (Vinci)  145; 
(Wagner)  426h,  429ff.;  (Weber)  314L,  321  f . ; (Weigl)  198;  (Wolf- Ferrari)  515.  — Stoltz  297.  — 
Storace  171.  — Stradella  38,  8i,  200.  — Stradclla  (Flotow)  81,  254,  255,  258,  259,  261.  — Straniera 
(Bcllini)  384.  — Straus  534.  — Strauß,  Richard  27,  31,  41,  42,  46,  48,  57,  64,  141,  298,  485,  488, 
509,  519,  522,  527,  637 ff.  — Streichmusik  46,  47.  — Strepponi  389.  — Striche  54,  74;  (Strauß) 
552;  s.  auch  Bearbeitungen.  — Stumme  von  Portici  (Aubcr)  31,  72,  248,  249,  250,  277,  290,  300, 
314.  — Stuttgart  114.  — Suard  126.  — Subskribenten  66.  — Sulzcr  84.  — Suppö  268.  — Swift  147. 

Taglioni  252.  — Tamburini  297.  — Tancia  (Mclani,  Moniglia)  45,  144.  — Tankred  (Bcrtoni) 
122;  (Campra)  318;  (Monteverdi)  91 ; (Rossini)  282,  283.  — Tannhäuser  (Wagner)  19,  35,  77, 
224.  284,  423,  424,  425,  427,  428,  430 432,  444,  447,  452,  453,  455,  462 f.,  465,  476,  478,  533.  — 
Tantiemen 64,  67.  — Tänze  (Aubcr)  250,  251;  (Gay)  148;  (Gluck)  142;  (Mozart)  167,  168,  1 78 f. ; 
(Opera  comique)  230,  232,  235,  2Öof.;  (Polnische  Oper)  364;  (Ramcau)  108;  (Schubert)  197; 
(Tschaikowski)  380.  — Teibler  513.  — Telemaco  (Gluck)  117,  138,  139;  (Mayr)  31.  — Tcle- 
mann  63,  92.  — Teil  (Rossini)  277,  278h,  280,  282,  284,  285 ff.,  290.  — Templer  und  Jüdin 
(Marschner)  30,  329h  — Tcnaglia  23.  — Tcofili  39.  — Teufel  ist  los  (Coffey  und  Gay)  150, 

569 


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187.  — Terenz  100.  — Tesi  80.  — Tctis  (Cavalli)  20,  28,  30,  44.  — Teufels  Anteil  (Auber)  25t, 
258.  — Texte  24,  30,  31,  4off.,  1 1 4 ; (Holzhauer)  149;  (Mozart)  181  ff . ; s.  auch  Stoffe.  — Text- 
bücher 70.  — Theater  (Berliner  Opernhaus)  34,  65,  72,  188,  274,  498  f. ; (Bouffes  Parisiennes)  262; 
(Comedie  iulienne)  71,  145,  231;  (Covcnt  Garden)  64,  65,  66;  (Dresdener  Theater)  34,  44,  63, 

70,  313;  (Drury  Lanc)  64,  324;  (Fenicetheater)  282;  (Hamburger  bürgerliche  Oper)  63,  92;  (Ham- 
burger Oper)  27,  31,  66,  85;  (Italienisches  Theater,  Paris)  297,  298.  — (Komische  Oper,  Berlin)  57, 
61 ; Königstädtisches  Theater,  Berlin)  321 ; (Leopolds  tädtcr  Theater)  196;  (Metropolitan)  65 ; (Palazzo 
Barbcrini,  Rom)  90;  (Pariser  Große  Oper)  65,  72,  78,  117,  297;  (Pariser  Komische  Oper)  244;  (San 
Carlo)  71,  78,  280,  307;  (San  Cassiano,  Venedig)  64,  70.  — (San  Giovanni  e Paolo,  Venedig)  70;  (San 
Mose,  Venedig)  70,  281 ; (Scala)  71,  297,  307,  389;  (Tcatro  del  Fondo,  Neapel)  92;  (Theater  an  der 
Wieden)  187;  (Theatrc  des  Arts)  1 23 f. ; (Theätre  Feydcau)  38,  210,  231 ; (Thcätrc  Frangais)  262; 
(Thiätre  National)  240.  — 'Fheatralische  Abenteuer  (Cimarosa)  164.  — Thiaulon  276.  — Thescus 
(Lully)  75L,  107.  — Thcvcnard  75.  — Thoineau  92.  — Thomas  271,  346,  349,  351.  — Thuille 
534.  — Thusnelda  (Scheibe)  149.  — Tieck  517.  — Tiefland  (d* Albert)  523!.  — Till  Eulenspiegel 
(Strauß)  549.  — Titicns  64.  — Titon  et  Aurore  (Mondonville)  151.  — Titus  (Mozart)  42,  74, 
186;  s.  Clemenza  di  Tito.  — Todi  297.  — Tolstoi  362. — Torchi555- — Toreador  (Adam)  251,  258. — 
Tosca  (Puccini)  494.  — Tosi  24.  — Traetta  91.  92,  113,  114,  117,  156,  200,  201.  — Tragaldabas 
(d* Albert)  524.  — Traum  des  Scipio  (Mozart)  154.  — Traum  ein  Leben  (Mrazck)  554.  — Tra- 
viata  (Verdi)  389,  392,  393,  397,  3B8ff.,  403,  404,  419,  492.  — Treitschke  218.  — Tremolo  20.  — 
Tremolo  appogiato  (Gluck)  135.  — Tresor  suppose  (M6hul)  215.  — Tribut  von  Zamora  (Gou- 
nod)  347.  — Triomphc  de  Trajanc  (Lesucur  u.  Persuis)  73.  — Trionfo  dcll*  onore  (Scarlatti)  51, 
145.  — Tristan  und  Isolde  (Wagner)  53,  98,  226,  360,  424,  425,  427,  428,  431,  441  f.,  443,  444, 
445,  446,  448,  450,  451,  453,  454,  457,  458 f.,  463.  465.  47°«-,  473.  475.  476,  478,  500,  527,  518, 
532,  533.  — Trojaner  (Berlioz)  307,  310,  311.  — Trommel  (bei  Rossini)  299.  — Trompeten  47. 

— Troqueurs  (d’ Auvergne)  231.  — Troubadour  (Verdi)  35,  389,  397 L — Tschaikowski  375,  377  ff. 

— Tschaikowski,  Modeste  379.  — Tube  (bei  Wagner)  456!.  — Turcaret  124.  — Turgenjew  362.  — 
Türke  in  Italien  (Rossini)  282. 

Übersetzungen  35L,  150;  (Mozart)  156,  174,  176;  (Spontini)  274;  (Strauß)  41 ; (Wolf- 
Ferrari)  513.  — L'mlauff  34,  159.  — Undine  (Lortzing)  334,  336,  338,  340,  341,  429.  — Ungarische 
Oper  356h  — Unhold  Ohneseele  (Rimsky-Korssakow)  376.  — Unterbrochenes  Opferfest  (Winter) 
199.  — Urlaub  nach  dem  Zapfenstreich  (Offenbach)  264.  — Uthal  (M6hul)  47. 

Vaillv,  de  307.  — Vampyr  (Marschncr)  30,  328  f.  — Varesco  157,  163.  — Vecchi  15 143.  — 
Vcglie  di  Siena  (Vecchi)  143.  — Vclluti  280.  — Venedig  23,  64,  70,  88.  — Venezianische  Oper 
11,  38,  91,  106.  — Ventignano,  Herzog  von  281.  — Ventilbläser  (bei  Wagner)  458.  — Verdi  21, 
42.  44,  74,  93,  193,  205,  248,  252,  283,  302,  342,  356,  383 ff.,  386,  387 ff.,  421,  423,  476,  489, 
51 1,  548.  — Vcrga  490.  — Vergil  142,  307.  — Verkaufte  Braut  (Smetana)  18,  195,  198,  357,  3 58 ff. 

— Verlobung  bei  der  Laterne  (Offenbach)  263.  — Verlorene  Liebesmühe  (Shakespeare)  181.  — 
Veron  78.  — Vers  39  f.;  (Cavalli)  39;  (Gluck)  39,  40.  119;  (Goethe)  40;  (Mozart)  40;  (Perrin) 
39;  (Wagner)  497 ff.  — Vcrsi  sciolti  39.  — Vestalin  (Spontini)  31,  244,  272,  273,  276.  — Vestris 
122.  — Viardot  132,  136,  174,  298.  — V iel  Lärm  um  Nichts  (Shakespeare)  308.  — Vier  Grobiane 
(Wolf- Ferrari)  515.  — Vigano  284.  — Villeneuve  183.  — Vinci  19,  91,  110,  145.  — Vionville 

71.  — Vittori  90.  — Vogel,  Emil  II.  — Vogel,  Johann  Chr.  194.  — Vogler  288.  — Voisenan 
1 5 1.  — Volbach  47.  — Voltaire  40,  84,  86,  87,  123,  127,  480. 

Wachtel  252.  — Waffenschmied  (Lortzing)  334,  336,  338,  339,  341.  — Wagner,  Adolf  34.  — 
Wagner,  Cosima  526ff.  — Wagner,  Richard  II,  17,  23,  30,  31,  34,  41,  42,  43,  46,  48,  49,  53,  54!., 
56,  58,  61,  74,  82,  84,  86,  87,  93,  98,  108,  1 36ff.,  206,  211,  212,  238,  241,  249.  252,  260,  271,  273. 
276, 277, 288, 306, 311, 313, 322, 323, 326, 328, 330, 331, 337, 347, 351, 352, 362, 369, 370, 376. 
380,  398,  408,  419,  421ff.,  485, 486, 487, 488,  489, 490, 505,  510,  516,  521,  522,  525,  527,  532f.,  537, 

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539»  542»  545-  — Wagner,  Siegfried  534.  — Walker  500.  — Walküre  (Wagner)  360,  425,440,  450, 
453»  454i  469-  — Walser  61.  — Waltershausen  554.  — Wasserträger  (Chcrubini)  210,  21 1,  212, 
213  f.,  214,  241.  — Weber,  Aloysia  157,  159,  164.  — Weber,  Carl  Maria  v.  34,  42,  48,  55,  82, 
150,  21 1,  238,  275,  312«.,  326,  331,  332,  338,  343,  347,  423,  464,  469.  — Weber,  Josepha  54, 
159.  — Weber,  Konstanze  s.  Mozart,  Konstanze.  — Weber,  Sophie  159.  — Weckerlin  108.  — 
Weigl  34,  35,  198.  — Weis  534.  — Weiskern  152.  — Weiße  150,  151.  — Weiße  Dame  (Boieldieu) 
235*  23 7»  24^,  252,  257,  260,  261.  — Wclti  116.  — Wem  die  Krone?  (Ritter)  488.  — Wendling, 
Dorothea  157.  — Werff  127.  — Wcrstowski  363.  — Werther  (Massenet)  504^  — Wesendonck, 
Mathilde  424.  — Wieland  100,  127«.,  187,  325.  — Wieland  der  Schmied  (Wagner)  428.  — 
Wien  64,  65,  72,  74,  116,  149,  152,  154,  159,  160,  163,  172,  173,  181,  187,  188,  206,  210,  268, 
529.  — Wilde  27,  540,  548.  — Wilder  164.  — Wildschütz  (Lortzing)  334,  336,  339«.  — Die  Willis 
(Puccini)  490.  — Winter  199,  324.  — Wohlbrück  329,  330,  334.  — Wolf,  Hugo  36,  489.  — Wolff 
314.  — Wolf-Ferrari  485,  510«.  — Wolzogen,  Ernst  von  539.  — Wolzogen,  Hans  v.  524.  — Wortton 
38«.  — Wüllner  325. 

Xerxes  (Händel)  1 1 3 ; s.  auch  Serse. 

Zaidc  (Mozart)  160.  — Zampa  (Herold)  237,  242,  248,  260,  261.  — Zapfenstreich  (Offenbach) 
263.  — Zarenbraut  (Rimsky-Korssakow)  376.  — Zar  und  Zimmermann  (Lortzing)  334,  336,  337, 
338,  340,  341.  — Zauberflöte  (Mozart)  34,  42,  54,  74,  149, 154, 164, 187«.,  196,  206,  379,  528.  — 
Zaubergeige  (Offenbach)  263.  — Zaza  (Leoncavallo)  491.  — Zelmira  (Rossini)  282.  — Zelter 
320,  321,  — Zenger  215.  — Zeno  42.  — Zingara  (da  Capua)  92.  — Zingarelli  186.  — Zite’n  galera 
(Vinci)  145.  — Zoroaster  (Rameau)  44,  55,  107 f.  — Zumsteeg  194.  — Zusammenarbeiten  41 «., 
55 f.,  116.  236«.,  242. 


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Druck  der  Spamcrschcn  Ruchd ruckcrci  in  Leipzig 


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