RÖMISCHE
MYTHOLOGIE
Ludwig Preller
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iL
ROMISCHE
MYTHOLOGIE
L. PRELLBR.
H. JORDAN.
ERSTER BAND.
BERLIN,
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG.
1881.
DRITTE
AUFLAGE
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Das Recht der Uebersetzung io fremde Sprachen behalt sich die
' Verlagshandlang vor.
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DER UNIVERSITÄT JENA
BEI IHRER DRITTEN SEOUL AR FEIER
GEWIDMET.
[1358.]
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VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE.
Für die neue Ausgabe dieses Werkes ist der Grundsatz mafs-
gebend gewesen, Preiler's Text unberührt zu lassen, ausgenommen
an wenigen Stellen, an denen thatsächliche Irrthümer daraus entfernt
werden konnten ohne den Zusammenhang wesentlich zu stören, hin-
gegen den Beweisapparat der Anmerkungen einer vollständigen Nach-
prüfung, Berichtigung und Ergänzung zu unterziehen. Dies ist in
der Weise geschehen, dafs nicht allein sä mmt liehe Belegstellen
aus der alten Litteratur und den Inschriften nachgeschlagen und
nach den neueren Hilfsmitteln berichtigt worden sind (für die Natur-
geschichte des Plinius ist die Paragrapheneintheilung Sillig's allein
berücksichtigt worden), sondern auch, was sich an wichtigeren von
Preller übersehenen oder ihm noch nicht zugänglichen Belegen darbot,
seinen Sammlungen angeschlossen und in berichtigenden oder berich-
tenden Zusätzen die Fortschritte, welche die Forschung seitdem
gemacht hat, bald in knapper, bald in ausfuhrlicherer Darstellung
verzeichnet worden sind. Diese sämmtlichen Zusätze sind in eckige
Klammern gesetzt worden: es erschien nicht nöthig von ihnen die
wenigen, ausschliefslich Gitate aus der neueren Litteratur enthaltenden
der zweiten Ausgabe durch ein besonderes Zeichen zu unterscheiden.
Preller hat erkannt dafs die Erweiterung der Betrachtung der
römischen Staatsreligion zu einer Betrachtung der italischen Volks-
religionen das eigentliche Ziel der Forschung, die wissenschaftliche
Deutung der Namen und die Benutzung der bezüglichen Denkmäler
der italischen Mundarten das wichtigste Mittel zur Erreichung des-
selben sei. Man wird finden dafs beiden Gesichtspunkten eine durch-
gängige und vorwiegende Aufmerksamkeit zugewendet worden ist,
dem letztern in dem Sinne, dafs dem kühnen Spiel mit etymo-
logischen Hypothesen nach Kräften Schranken gezogen worden sind.
Aber es liefs sich begreiflicher Weise in die gegebene enge
Form nicht der ganze Reichthum der seitdem aufgeschossenen neuen
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VI
VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE.
Forschungstriebe, insonderheit der Denkmalerforschung hineinzwangen.
Dazu kommt dafs diese Forschung nach mancher Richtung hin über
ein zwar reiches, aber noch ungesichtetes Material verfugt. Inson-
derheit wird auf dem weiten Trümmerfelde der Inschriften des römi-
schen Reichs — für den vorliegenden ersten Band hat der achte
des Corpus inscriptionum noch nicht, hingegen durch Henzen's Güte
das noch nicht ausgegebene dritte Heft vierten Bandes der Ephemeris
epigraphica benutzt werden können — erst durch weitgreifende
monographische Bearbeitung Uebersicht und Ordnung geschaffen
werden müssen, ehe eine zusammenfassende Darstellung des italisch-
römischen Religionswesens mit Erfolg aus den mannigfachen Er-
scheinungen die Summe zu ziehen im Stande sein wird. Leichter
zu übersehen und besonders in Folge der von II. Brunn gegebenen
Anregung im Detail genauer untersucht ist der Vorrath an neuen
oder früher nicht beachteten Kunstdenkmälern. Nur von den Münz-
bildern gilt noch dasselbe was von den Inschriften gesagt worden
ist. Ueber Einzelnheiten auf beiden Forschungsgebieten habe ich
während meines hiesigen Aufenthalts bei alten und neuen Freunden
Raths erholen können.
So sehr ich bestrebt gewesen bin, Preller's Arbeit in ihrem
Bestände möglichst zu erhalten und sie in seinem Sinne zu ergänzen,
so ist es doch nicht möglich gewesen eigene subjective Meinungen
gänzlich auszuschliefsen. Ich werde anderwärts Gelegenheit haben
über eine hier mehrfach nur gestreifte Fundamentallehre, die Lehre
von dem Verhältnifs der römischen Staatsreligion zu den verwandten
italischen und der fremden etruskischen, im Zusammenhang zu han-
deln. Mehrfach mufste für die Geschichte der stadtrö mischen Kulte
auf den Schlufsband meiner Topographie verwiesen werden, dessen
Druck unmittelbar nach der Vollendung dieses Buchs beginnen wird.
Ich erwähne endlich noch dafs die Verweisungen rückwärts sich
auf die Seiten der neuen Ausgabe, diejenigen vorwärts auf die am Rande
beigesetzten der zweiten beziehen, welche mit denen der ersten fast
zusammenfallen. Es schien zweckmäfsig das Buch, das an Umfang
nicht unerheblich zugenommen hat, in zwei Bänden auszugeben. Für
die Nachträge und Berichtigungen verweise ich auf den zweiten Band.
Möchte Preller's Arbeit in seiner neuen Gestalt fortfahren för-
dernd und anregend in die römischen Studien einzugreifen.
Rom, im Mai 1881.
H. Jordan.
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INHALT DES ERSTEN BANDES.
Einleitung.
Seite
1. Die Religion der Römer neigte mehr zum Cultus als zur My-
thologie 1
2. Es fehlte an einem nationalen Epos 3
3. Die stammverwandten Völker des alten Italiens 6
4. Latiuin oud die Latiuer 9
b. Die Etrusker and die Griechen 11
6. Die Epochen der römischen Religionsgeschichte 19
7. Die Quellen 29
8. Die römische Mythologie seit Niebuhr 45
Erster Abschnitt.
Theologische Grundlage.
1. Die Götter 49
2. Die Genien, Laren, Penaten, Manen 75 ^
3. Die Semonen und Indigeten SS
4. Dienende Gottheiten 99
Zweiter Abschnitt.
Zur Geschichte des römischen Cultus.
1. Die Periode des Faunus 105
2. Der Gottesdienst des Numa 119
3. Die Neuerungen der Tarquiuier und ihre Folgen 142
Anhang. Der Kalender 156
Dritter Abschnitt.
Die himmlischen und die herrschenden Götter.
1. Ianus 166
2. Jupiter 184
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XII
INHALT DES ERSTEN BANDES.
Anhang, a. SjMHWMM 243
b. Diespiter und Jas lustitut der Fetialen 245
c Fides . , . , : , , , , , , , , , , , 2_öo
d. Terminus , , , , , s , , , , , , , . . , 2hl
e. Der Nagel in der cella Iovis 258
f. Invenf * 260
g. Diiovis und Veiovia 262
h. Inpiter Anxur 267
i. Apollo Soraaas 263
3. Inno '271
4. Minerva 2S'J
5. Apollo 290
6. Diana 312
7. Mater Matuta 322
8. Sol 324
9. Lnna und iiie Gestirne . . 327
ll). Winde und Stiirnir 829
Vierter Abschnitt.
Mars und sein Kreis.
1. Mir» . , , , , . , , , , , , , , , , , , , , ,
2. Quirinus «it>i>
3. Picus und Ficumnns und Pilumniis . 375
4. Fannus tiud F'auna 379
r>. Sil van us •'>'.) 2
(>. Maia und Bona Uea •V.^
7. Carmenta oder Carmentia 4ü5
8. Vitula oder Vitellia 4n7
9. Vacuna 408
10. Angitia, Circe, Marica 410
11- P»lc« • 4J3
12. Rnminns und Rnmina . . . . . . . . . 4J8
Anhang. Die Sübnungen und Weihungen im Dienste des Mars und
der verwandton Gülter . . . , .. = , : . = . Uli
v\ s \i\ft.nr Absohnitt.
Venus und verwandte Götter.
1. Feronia 426
2. Flora 430
3. Venus 434
4. Priapos 450
5. Vertumnus und Pomona 451
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Einleitung.
I. Die Religion der Börner neigte mehr zum Cultus als zur Mythologie.
Wer von der Beschäftigung mit der griechischen Mythologie zu 1 [Seien-
der mit der römischen übergeht, dem kann es nicht lange verborgen " Aal.]
bleiben, dafs er es nicht allein mit einer ganz andern, sondern auch in
mehr als einer Hinsicht viel weniger günstigen Aufgabe zu thun hat.
Zunächst kann von einer eigenthümlichen römischen Mythologie
d. h. von einer, solchen, die auf älteren italischen Traditionen beruhte,
überhaupt nur in einem gewissen Sinne die Rede sein , solern man
nehmlich bei diesem Worte auch wohl an die polytheistischen Götter-
systeme überhaupt, nicht an einen durch Sage und Dichtung soweit wie
die griechische, indische, persische, deutsche und scandinavische My-
thologie ausgeführten Complex von Bildern und bildlichen Erzählungen
denkt. Die älteste Grundlage dieses römischen und italischen Götter-
glaubens ist ohne Zweifel dieselbe einfache Naturreligion gewesen, deren
Grundzüge wir bei allen Völkern des indogermanischen Sprachstamms
wiederfinden: aber sowohl die ursprüngliche Gemüthsrichtung, wie sie
die Geschichte eines jeden Volkes bedingt, als die äufsern Umstände
derselben müssen bei der Bevölkerung des alten Italiens wesentlich
andre gewesen sein als namentlich bei ihren nächsten Anverwandten,
den Griechen. Bei diesen war eine sehr erregbare Sinnlichkeit und
eine eben so lebhafte Einbildungskraft die vorherrschende Anlage , ein
natürlicher Zug zum Schönen und zum Bedeutsamen, welcher ihre
religiösen Vorstellungen zu einer eben so reichhaltigen als in ästhe-
tischer Hinsicht vollendeten Mythologie und zu einem entsprechenden
Gottesdienste angeleitet hat. Auch sind sie in ihrem vielgestaltigen, recht 2
in die Mitte des Völkerverkehres auf dem mittelländischen Meere hin-
eingeschobenen Lande sehr früh in Verbindungen, Kämpfe und Aben-
Preller, Röm. MrthoL I. 3. Aufl. 1
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2
EINLEITUNG
teuer verwickelt worden, die ihrem beweglichen Wesen entsprechend
auch ihre Vorstellungen und Erinnerungen mit vielen neuen Bildern
und Thatsachen befruchtet haben. Die italischen Altvordern der Römer
dagegen sind, so viel wir wissen, von jeher weit weniger beweglich, in
ihren Ansiedelungen und Gewöhnungen weit beharrlicher gewesen,
offenbar weil sie ernsteren und beharrlicheren Sinnes und von einer
Gemüthsart waren, welche sie mehr zur Beobachtung und Bewältigung
der realen Lebensverhältnisse als zu einer idealen Auffassung derselben
antrieb: daher wir sie auch in allen Sachen des Glaubens weit mehr
zum Cultus und zur Religiosität als zur Mythologie und zur Aesthetik
aufgelegt finden. Ich verstehe dabei dieses uns von den Römern über-
lieferte Wort Religion und Religiosität in demselben Sinne, in welchem
es auch die alten Schriftsteller gewöhnlich gebrauchen, in dem Sinne
einer strengen Gewissenhaftigkeit • und peinlich genauen Ausübung
heiliger Gebräuche, durch welche man sich der Gunst oder des Rathes
der Götter zu versichern glaubte, ohne dafs man sich deshalb um das
Wesen und die Natur dieser Götter viel mehr als soweit es die prak-
tischen Lebensbedürfnisse mit sich brachten bekümmerte; vielmehr es
liegt in der natürlichen Art einer solchen Frömmigkeit, dafs man die
Namen, das Geschlecht, die persönlichen Eigenschaften der Götter lieber
im Unklaren liefs als in deren Bestimmung, also in der Individualisirung
der Götter zu weit ging. Dieses mufste von selbst zu einem sehr ins
Einzelne ausgebildeten, aber immer streng ritualen Gottesdienste fuhren,
zu vielen genau formulirten Opfern, Gebeten und Sühnungen, vielen
Arten der künstlichen Divination, sammt andern Observanzen und Ceri-
monien des öffentlichen und privaten Lebens. Aber einer mytholo-
gischen Entwicklung konnte eine solche Religiosität unmöglich förder-
lich sein, wie sich der italische Götterglaube denn offenbar in dieser
Hinsicht von den einfachen Bildern und Gedanken jener ältesten Natur-
religion, die wir als Gemeingut der Völker des indogermanischen Sprach-
stamms annehmen dürfen, weit weniger entfernt hatte als der der
Griechen. Es kommt hinzu dafs auch das Leben der italischen Be-
völkerung, soweit wir nach ihrer Religion und nach andern Merkmalen '
darüber urtheilen können, weit länger ein einfaches, zurückgezogenes
und continentales geblieben ist: ein Leben in den innern Bergen und
3 Thälern des mittlem Italiens, wo diese Völker meist mit Viehzucht,
Ackerbau und Weinbau beschäftigt waren und mehr in offenen Weilern,
Dörfern und einzelnen Gehöften lebten als in Städten. Namentlich
können sie weder die Wunder noch die Abenteuer des Meeres gekannt
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I
MEHR CULTÜ8 ALS MYTHOLOGIE. 3
haben, da in dieser Hinsicht selbst das römische Göttersystem bis zur
Einfuhrung der griechischen Götter merkwürdig lückenhaft geblieben
ist; eben so wenig aber auch einen lebhafteren Handelsverkehr und so
manche Erfindungen und Früchte der Ci?ilisation, welche ihnen erst
durch den Verkehr mif Etruskern und Griechen zugeführt worden sind.
Auch darf man bei einer solchen religiösen Gemüthsrichtung ein vor-
zügliches Gewicht des geistlichen und priesterlichen Standes annehmen,
welcher dieses Volk in der strengen Zucht vieler gottesdienstlicher
Uebungen und Beobachtungen auf den späteren welthistorischen Beruf
des römischen Staates und des römischen Rechtes vorbereitet haben
wird. Selbst die vielen Kriege, von denen wir hören und welche wir
wegen der allgemeinen Verehrung des Mars annehmen müssen, können
dieses grolse Gewicht des priesterlichen Standes nicht gebrochen haben,
da wir noch in der geschichtlichen Zeit in verschiedenen Gegenden und
namentlich in der sabinischen Vorzeit Roms die deutlichen Merkmale
davon wiederlinden.
2. Es fehlte an einem nationalen Epos.
Eben deshalb dürfen wir unmöglich ein nationales Epos in dem
alten Italien annehmen, wie man es hin und wieder wohl angenommen,
aber bei reiflicher Ueberlegung doch allgemein wieder aufgegeben hat.
Wo ist hier die Spur einer eigenthümlichen Sagenbildung und Sagen-
poesie im Sinne der Ibas und Odyssee? Wo die Spur einer Kosmogonie
im Sinne der Hesiodischen oder der Edda? 1 ) Da es doch an alten
Kriegen und Eroberungen, also an Anlässen wenigstens zu einer italischen
Ibas nicht gefehlt hat und der Gottesdienst des Janus deutlich lehrt,
dafs die religiöse Vorstellung sich mit kosmogoniscben Fragen allerdings
beschäftigt hat. Nicht einmal Helden im epischen Sinne des Wortes
scheint das alte Italien gekannt zu haben, sondern höchstens streitende
Genien des Lichts, geheimnifsvoll wirkende Dämonen des stillen Wald-
geheimnisses und wohlthätige alte Könige, welche wie Satumus und
l ) [In der Folge der sogenannten italischen Könige Janas Satarnus Picus
Kaunas Latinas hat Nissen (Tempi um S. 120 f.) den Rest einer italischen
Schöpfungsgeschichte von fünf Tagen (Himmel Erde Vögel Thiere Menschen)
linden wollen: eine andere ateeke in der Weissagung der Vegoia Gromat
S. 350 Lachm. — Niebuhrs Annahme eines Volksepos hat zuletzt Nitzsch
(die römische Annalistik, Berlin 1873, S. 245 ff.) wieder aufgenommen, ohne
die metrische Frage (zu S. 5) zu berühren. Vgl. unten S. 86].
1*
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4
EINLEITUNG.
Faunus in der frommen Urzeit regierten, dann aber ein für allemal
in die Unsichtbarkeit der Berge oder der Flüsse entrückt wurden;
dahingegen die wirklich epischen Gestalten und Namen, Hercules und
die Castoren, Ulysses und Diomedes und der fromme Aeneas durch-
weg von den Griechen entlehnt sind. Man könnte sagen, dafs in
dem früheren italischen Alterthum vielleicht Manches der Art vor-
handen gewesen sein möchte, was später aus Mangel an Litteratur
und in Folge frühzeitigen Verlustes der nationalen Freiheit wieder
verloren gegangen sei. Aber sollten wirklich Cato und Varro, die
eifrigen und patriotischen Forscher, sollte Virgil, dem so viel daran
lag ein nationales Heldengedicht für Rom und Latium zu schaffen,
trotz alles Suchens nur so wenig gefunden haben, wenn früher be-
deutend mehr vorhanden gewesen wäre? Ich möchte den alten Be-
wohnern Italiens deshalb keineswegs jede Anlage zur Poesie und
volkstümlichen Tradition absprechen. Auch bei ihren nationalen
Festen und Versammlungen mag manches alte Wort von Mund zu
Mund gegangen, in ihren Heihgthümern manches Denkmal der Vor-
zeit gepflegt, beim festlichen Mahle und bei allen heiteren Veran-
lassungen manches Lied gesungen sein: wo wäre ein Volk ganz ohne
Lieder und ohne Sagen? Nur werden diese immer weit mehr ge-
schichtlichen oder idyllischen und mährchenhaften Inhalts gewesen
sein als epischen d. h. eines solchen, wo Götter und Helden die
handelnden Personen sind: und vollends an eine Entwickelung des
weltlichen Gesanges im Ganzen und Grofsen, wie sie bei den Griechen
frühzeitig eingetreten ist, wozu ganz vornehmlich eine Emancipation
der Dichtung von dem Einflüsse der Priester und der positiven
Religion erfordert wird, an solche Aöden, wie sie uns in den
Homerischen Gedichten entgegen treten, ist ganz gewifs nicht zu
denken. Vielmehr weifs die Vorzeit Italiens nur von singenden
Faunen und Nymphen, orakelnden Propheten und zaubernden Frauen
zu erzählen, und die lateinische Sprache hat kein eignes Wort für
Gedicht und Dichter in dem Sinne wie es jene griechischen Pro-
fessionisten des weltlichen Gesanges gewesen sind 1 ). Auch ist es
*) [Es ist bezeichnend dai's die Wurzeln von Carmen und väies wie es
scheint nicht im Griechischen, wohl aber im Indischen nachweisbar sind;
jenes ceu-men (vgl. unten Carmenta, Camenae) = skt. casman {cos anzeigen,
loben Corsscn Beitr. S. 406 Fick vergl. Wörtern. ■ 1,58), dieses (sicher nicht
yorTjf, inoifWVS w» vgl.: Pott Zs f. vg. S. 6,115) vielleicht (Curtius Etym. * 474)
zu skt. gä (tönen, singen) zu stellen. Dafs wie Carmen jeden 'Sang' (unten
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KEIN NATIONALES EPOS. 5
charakteristisch genug dafs die römischen Gamenen, in denen die
späteren römischen Dichter die griechischen Musen wiedererkennen
wollten, nach der älteren Volkssage wohl den alten Priesterkönig
Numa zu seinem Werke begeisterten, aber keinen italischen Orpheus,
keinen Musäos; und in einer andern Wendung, dafs nach sabinischer
Sage die Laren dem berühmten Augur Atta Navius, da er als Knabe
in einem Weinberge eingeschlafen war, die Erfindung seiner Kunst
eingaben, damit er ein verlornes Stück seiner Heerde wiederfinde,
während nach griechischer Sage Dionysos dem Aeschylos in gleicher 6
Lage die Tragödiendichtung eingab. Eben so wenig wufste das alte
Italien von kunstreichem Metrum und von kunstreicher Instrumental-
musik, womit der epische Gesang hätte begleitet werden können 1 ).
Sondern Alles ist schlicht und einfach und kunstlos geblieben, und
vollends bei allen öffentlichen Functionen der Religion hat immer
nur die priesterliche Formel und das liturgische Gebet gegolten,
nicht die bewegtere Gemüthsstimmung des festlichen Gesanges, den
die Römer erst von den Griechen lernten, üeberall sind die Wunder
zu S. 5), so vates ursprünglich jeden Sänger bedeutet hat, ist wahrscheinlich.
In der Zeit der Gründung der JNationalliteratur heifst vates allerdings schon
ausschließlich priesterlicher Sänger, Wahrsager, Verfertiger von versificirten
Litaneien oder Weissagungen. £in solcher (nicht 'Naturdichter') ist Cn. Marcius
vates, auf dessen IVamen noch später dgl. Lieder gesetzt wurden (vgl. auch
Licinianus Annal. S. 20 Bonn.: Carmen in deos AA\A~|AE compositum, etwa
a M. vateT). Dafs später das Wort wie das deutsche 'Barde' wieder zu Ehren
gekommen ist, hat schon 0. Jahn richtig bemerkt (zu Persius S. 76). — Un-
haltbar ist Corssens Erklärung des etruskischen Worts fa-un (von W./a, vgl.
f a-ri u. s. w.) — vates (Spr. d. Etr. 1, 242 f.).]
*) [Dafs der uralte versus Satumius der Latiner, welcher aus der Litteratur
schon durch Ennius verdrängt, aber nicht vernichtet wurde, um die Zeit des
ßundesgenossenkrieges wie es scheint noch einmal in Uebung kam, auch den
Umbrern bekannt und im Wesentlichen mit dem indogermanischen epischen
Verse (iod. Sloka, griecb. Hexameter, germ. Langzeile) identisch sei, haben
besonders K. Bartsch (der saturnische Vers und die altdeutsche Langzeile,
Leipz. 1867) und Westphal (Griech. Metrik» 2,36 ff.), gezeigt. Jetzt ist der
saturnische Vers auch als Mals der Samniter und der Päligner in der Zeit
des Bundesgenossenkrieges nachgewiesen worden (Inschr. von Bovianum vetus
und Corfinium, behandelt von Bücheler Rh. M. 30,441. 33,271). Auch in diesem
Mafs tritt die das ganze ältere Latein beherrschende Allitteration wirksam
hervor, ohne jedoch, wie im Germanischen, versbildender Stabreim zu werden.
Sie wirkt auch in ursprünglich prosaischen sprüchwörtlichen und Rechtsformelu :
auch diese hei I sen, was Ritsehl nicht mit Hecht geleugnet hat, carmina. S. Jordan
Krit. Beiträge z. Gesch. d. lat. Sprache S. 167 ff.)
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0
EINLEITUNG.
-
der Natur und des Lebens wohl ein Anlafe zu Opfern und Weis-
sagungen, in denen der Priester und Seher sie zum Frommen des
gemeinen Wesens technisch und praktisch ausheutet, aber nirgends
begegnet man jenem poetischen Drange des Herzens und der Einbil-
dungskraft, welcher in die Anschauung und das Gefühl für diese
W T under versenkt Religion und Geschichte mit den idealen Gestalten
der Dichtung belebt hätte.
3. Die stammverwandten Kölker des alten Italiens.
Wie dem nun sei, jedenfalls müssen wir uns auf alle Weise
bemühen, unsre Aufgabe nicht blos als eine römische, sondern als
eine allgemein italische aufzufassen, d. h. aus den engen Grenzen
der Stadt Rom und der römischen Stadtchronik herauszukommen
und das freie Feld und jene Berge und Landschaften zu gewinnen,
zwischen denen ihre latinischen und sabinischen Altvordern ihre
religiösen Vorstellungen empfangen und ausgebildet haben. Freilich
ist uns auch dieses viel schwerer gemacht als in Griechenland, wo
die vielstimmige Ueberlieferung der verschiedenen Stämme, Städte
und Landschaften auch die Darstellung und Belebung der Mythologie
ausserordentlich erleichtert, ja der Stoff des örtlich Mannigfaltigen
sich einem eher zu reichlich als zu spärlich darbietet; dahingegen
in Italien Rom nicht allein allen übrigen Völkern und Staaten gegen-
über das Feld behauptet hat, sondern auch in ihrer aller Namen
und zwar immer auf acht römische Weise d. h. in der Sprache des
Siegers und Beherrschers das Wort führt. Indessen ist es doch
auch so, namentlich mit Hülfe der monumentalen Ueberlieferungen
und der ausgezeichneten linguistischen und antiquarischen Unter-
suchungen, zu welchen diese Reste neuerdings Veranlassung gegeben
haben, noch immer möglich, von den meisten Göttern des ein-
6 heimischen römischen Glaubens ihren Ursprung und ihre Ausbreitung
bei jenen Stammvölkern nachzuweisen: auf welchem Wege also das
Römische aufhört etwas blos Römisches zu sein, vielmehr als der
fortlebende Trieb eines älteren Volksthums erscheint, welches wir
sogar in vielen Fällen noch weiter, nehmlich bis zu seiner organischen
Verzweigung mit dem Glauben und der Sprache der andern ver-
wandten Völker verfolgen können. Um so nothwendiger ist es gleich
hier den ganzen geographischen und ethnographi sehen Complex dieser
altitalischen, den Römern näher oder entfernter verwandten Bevölke-
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DAS ALTE ITALIEN.
7
rung ins Auge zu fassen. Ihre nächsten Verwandten 1 ) waren be- 6
kau iiü ich die Latiner, von welchen die Römer ihre Sprache be-
kommen haben und mit denen sie auch die meisten Götter und
Sagen gemein hatten, daher wir oft auf sie zurückkommen werden.
Hier sei nur bemerkt, da£s sie selbst als Volk sich von sogenannten
Aboriginern d. h. mythischen Ursprungsmenschen ableiteten, die in
der Gegend von Reate ansässig gewesen und von dort durch die
Sabiner vertrieben sein sollen; worauf sie sich am Anio abwärts
nach Tibur und Latium gezogen und hier die ältere Bevölkerung
der Sikeler vertrieben haben wollten, welche letztere von Italien
nach Sicilien übersiedelnd dieser Insel den Namen gab. Seitdem
bewohnten die Latiner das nach ihnen benannte Latium in vielen
meist verbündeten Städten, welche früher in Alba Longa, später in
Rom ihre Hauptstadt, im Jupiter Latiaris ihren Bundesgott verehrten,
und einen eigen thümlichen, von den übrigen italischen Summsprachen
verschiedenen Dialekt redeten, denselben, welcher später durch die
Macht und Bildung der Römer zur lateinischen Litteratursprache ge-
worden ist. Die südüchen Nachbarn der Latiner waren die Volsker,
die Verwandten und Nachbarn der Aurunker und Ausoner, welche
letztere den älteren Griechen am besten bekannt waren. Das eigen-
thümlichste Kernvolk der Mitte waren dagegen die Sabiner, welche
nächst den Latinern am meisten Einflufs auf den Glauben und die
Sitte der Römer ausgeübt haben. Für ihren ältesten Wohnsitz galt
die Hochebene von Amiternum am obern Laufe des Aternus, wo
der göttliche Sancus ihr erster König gewesen war und sein Sohn
Sabus, nach welchem sich der Stamm nannte, sie zuerst den Acker
bauen und die Rebe pflanzen gelehrt hatte. Viele kleinere Völker
sind von derselben Gegend ausgegangen: die Picenter, indem sie
*) [Die Ermittelung des Stammbaums der italischen Völker kann lediglich
aus der Analyse der erhaltenen Sprachdenkmäler hervorgehen. Der jetzige
Stand derselben erlaubt noch kein definitives Urtheil. Deutlich ist dafs dem
Lateinischen das von den Völkern samnitischen Stammes auf der Westseite
des Apennin gesprochene Oskisch am nächsten steht, ferner das Umbriscbe und
die Mundarten der, wie die Verwendung der Schrift beweist, in der Kultur
stehen gebliebenen ostapenninischen Stämme Miltelitaliens. Wichtiges neues
Material zur Wiederaufnahme der ganzen Frage bieten das pälignische Gedicht
von Corfinium (oben S. 5) und die alten picenischen Inschriften (Fabretti Teno
supplemento v. 438 ff.). Der Ertrag der litterarischen Nachrichten über die
Verzweigung der ltaliker (zuletzt noch von Nissen Templum 101 ff. erörtert)
ist geringfügig und unsicher].
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8
EINLEITUNG
über das Hochgebirge an das adriatische Meer von Ancona bis Hadria
rückten, die Vestiner und Marruciner, welche sich zu beiden
Seiten des untern Aternus an demselben Meere ausgebreitet hatten,
7 die Pae ligner, welche sich in der schönen Ebne von Corfinium
behaupteten, endlich die tapfern Marser, welche sich ringsum den
Fuciner See angesiedelt hatten. Der alte Hauptstamm der Sabiner
aber hatte sich im Laufe der Jahre immer weiter nach Westen bis
in die Gegend von Rom hinabgezogen, indem sie von Amiternum
aus sich zunächst der Gegend von Reate bemächtigten und darauf
den Latinern nachrückend bis an den obern Anio und den Tiber
vordrangen, wo sie in Cures, der zweiten Metropole Roms, einen
neuen Mittelpunkt ihres Stammlebens gewonnen hatten. Nördlich von
den Sabinern war der Apennin und seine Abhänge nach beiden
Seiten von den Umbrern bewohnt, deren Gebiet bis nach Ariminum
und an den Rubicon reichte und durch den obern Lauf des Tiber
bei Perugia und Cortona von Etrurien geschieden wurde. Einst
hatten sie auch Cortona und einen grofsen Theil von Etrurien be-
sessen; ja es waren auch nach ihrem Abzüge aus diesem Lande
grofse Haufen von ihnen als abhängige Bevölkerung zurückgeblieben,
so dafs von ihnen die häufigen Spuren eines altitalischen Stamm-
lebens abgeleitet werden dürfen, welche sich unter den sonst nicht
zu der indigenen Bevölkerung Italiens gehörigen Etruskern nach-
weisen lassen. Bei den römischen Geschichtsschreibern galten die
Umbrer für das älteste Volk von Italien; jedenfalls mögen sie als
nördlichstes Glied seiner Kernbevölkerung auch ihre Sitze und die
angestammte Art am längsten behauptet haben. Südlich, von den
Sabinern und jenen kleineren Stämmen sabinischer Abkunft wohn-
ten die ihnen gleichfalls verwandten Samniter 1 ), ein mächtiges
Volk, welches in vier Cantone getheilt das centrale Hochland des
südlichen Italiens inne hatte und von dort sowohl Apulien als Cam-
») Sainnites (ZawTjai) ist = SabDites oder Sabinites, vgl. Varro L 1. VII, 29
a Salmas orti Samaites. [Sie nennen sich selbst Saßneis, was Nissen a. O.
S. 139 vod dem Stammgott Sabinus — Sabus herleiten will. ladessen vgl.
über diesen vermeintlichen Sabinus unten XI, 2.] Da die Samniter oskisch
redeten, so mufs auch die Sprache der Sabiner der oskischen nahe verwandt
gewesen sein, vgl. Varro 1. 1. VII, 28 cascum significat vetus: eius origo Sabina,
quae usque radices in Oscam linguam egit. Die Verwandtschaft der Umbrer
mit den Sabinern erhellt aus Dionys. H. II, 49. [Die . erhaltenen Ueberreste
des 'Sabiniscbeu' gehören dem 'provinziellen Latein' der Sabiner, nicht der
nationalen Mundart an (Mommsen Dial. 347 ff.). Solches Latein kennen wir
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LATUM UND DIE LATINER.
9
panien bedrohte. Von ihnen sind wieder westlich die Campaner,
sudlich die Lucaner ausgegangen, von diesen zuletzt die Bruttier,
die drei südlichsten Zweige dieser italischen Stammbevölkerung,
welche die in diesen Gegenden angesiedelten Griechen unterwarfen,
aber dafür auch auf die ausländische Sitte und Bildung am meisten
eingingen. Dafs diese Völker alle, von örtlicher und Stammes-
zersplitterung abgesehen, in den Grundzügen dieselbe Sprache,
denselben Glauben, dieselben Sitten hatten, diese Erkenntnifs ist 8
eines der wichtigsten Resultate der neueren Sprach- und Alter-
thumsforschung, welche die Kunst der Linguistik, eine der anziehend-
sten Wissenschaften unsrer Zeit, auch auf die Reste der umbrischen
und oskischen Sprache mit lohnendem Erfolge angewendet hat.
Was den Götterglauben dieser Völker betrifft, so führt auch hier die
Forschung zu demselben Resultate, indem man überall denselben
mythologischen Grundbegriffen und gewissen Göttern begegnet, welche
dem gesammten Italien in demselben Sinne gemein waren, wie Zeus,
Hera, Athena, Apollo, Artemis u. s. w. die Götter von ganz Griechen-
land waren. Namentlich gehören dahin Jupiter, Juno und Minerva,
die höchsten himmlischen Götter, der Wald-, Frühlings- und Kriegs-
gott Mars mit seiner gleichartigen Umgebung der Faune und Silvane
und verwandten weiblichen Göttinnen, eine innige Verehrung der
Elementarkräfte des Wassers und des Feuers, der Sonne und des
Mondes, des nährenden Erdbodens und der Verstorbnen, endlich
vieler örtlichen Geister und Genien, auch gewisser Frucht- und
Schicksalsgöttinnen, welche sich zugleich durch Zauber, begeisterte
Weissagung und Orakel offenbarten. Auch scheint, wie gesagt, das
. Vorherrschen des ritualen und priesterlichen Elements im Gottes-
dienste, die Scheu vor der mythologischen Versinnlichung der Götter,
der Mangel an poetischer und epischer Anlage allen diesen Völkern
angestammt und gleich eigenthümlich gewesen zu sein.
4. Latium und die Latiner.
Die Latiner 1 ) sind nicht allein die nächsten Verwandten der
jetzt auch bei dea Marsera (Inschrift vom Fucinersee aus der Zeit des pyrr-
hischen Krieges: Fiorelli Notizie 1877, 328 T. XIII vgl. Bücheler Rh. M. 33, 48ü.
Jordan Hermes 15,5.]
*) [Die Herkunft des Worts Latium ist unsicher, möglich, wie Bücheler
annimmt (Jahrb. f. Phil. 1875, 133) die Identität mit dem umbrischen agre
Tlatie der iguv. T. V b 9].
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EINLEITUNG.
Römer, sondern sie sind auch zwei Jahrhunderle lang ihre engen
Verbündeten gewesen und in älterer Zeit durch massenhafte Ueber-
siedelung nach Rom, später durch Geschlechtsverbindung, Einwande-
rung und unablässigen Verkehr dergestalt mit ihnen verschmolzen,
dafs beide von jeher als ein und dasselbe Volk angesehen wurden.
Auch die Sage und die Geschichte der Latiner durchkreuzt sich be-
ständig mit der römischen, welche eine geraume Zeit hindurch nur
einen besonderen Abschnitt der Geschichte des latinischen Namens
überhaupt gebildet haben mag. Bei dem frühen Verfall des latinischen
Bundes ist nur das Eine gewifs geblieben, dafs Alba Longa die Ur-
heberin und das erste Haupt dieses Bundes gewesen, welcher aus
ihren eignen Colonieen und andern Städten latinischer Nation be-
9 stand; übrigens ist diese alte Hauptstadt so früh zerstört worden,
dafs sich bei den ohnehin bald in ganz andrer Richtung beschäftigten
Römern nur ein sehr ungewisses Andenken von ihr erhalten hatte.
Lieber ihr erhob sich der Möns Albanus, über welchem noch später
Jupiter Latiaris als höchster Gott und unsichtbares Oberhaupt von
ganz Latium gefeiert wurde; unter ihr befand sich im schattigen
Haine bei Marino das Heiligthum und die Quelle der Ferentina, wo
der latinische Bund seine Versammlungen hielt. In seiner Nach-
barschaft waren dem Meere näher die wichtigsten Städte Aricia und
Lanuvium, deren Gebiet sich bei Velitrae und Corioli mit dem der
Volsker berührte: Aricia durch seinen Dienst der Diana in dem
stillen Winkel am See von Nemi berühmt und in älterer Zeit eine
Hut des wichtigen Passes nach Süden, durch welchen später die
Appische Strafse nach Terracina und Gampanien führte, Lanuvium
nicht weniger angesehen wegen seiner Juno Sospita. Von Lanuvium
gelangt man in wenigen Stunden ans Meer und nach Ardea, der
durch die Aeneassage so berühmt gewordenen Burg und Stadt der
Rutuler, während weiter abwärts an der Küste das in der älteren
römischen Geschichte so oft als Seestadt genannte Antium schon
wieder den Volskern gehörte, welche sich von allen diesen verwandten
Völkern am meisten auf der See versucht haben. Denn die Latiner
selbst hatten das Meer nur an der kurzen und die Schiffahrt auch
in alter Zeit wenig begünstigenden Strecke zwischen Ardea und der
Tibermündung gewonnen, wo sich mit den letzten Resten des
latinischen Bundes, Laurentum und Lavinium, auch die latinische
Sage von den alten Königen Picus, Faunus und Latinus und der
Cultus der Bundes -Penaten am längsten behauptet hat. Landein-
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DIE ETRUSKER.
11
wärts von Alba Longa war die nächste Stadt von Bedeutung das
alte und feste Tusculum, ehedem eine der mächtigsten Städte des
Bundes, später oft von den Aequern bedrängt und deshalb den
Römern gefügig. An diese Aequer, einen andern verwandten Stamm,
grenzte auch das am meisten landeinwärts gelegene Präneste, eine
eben so feste als rüstige Stadt, deren Götter und deren Bürger es
am längsten mit den römischen aufgenommen haben, während seine
Priester mehr als einen Rest alter unvermischter Sage bis auf die
Zeiten des Cato bewahren konnten. Auf halbem Wege von dort
nach Rom lag das später ganz verfallene Gabii, welches einst gleich-
falls von Rom gefürchtet wurde und in alter Zeit ein Mittelpunkt
priesterlicher Auguraldisciplin gewesen war. Endlich noch höher
hinauf am Anio, wo dieser aus den Bergen der Sabiner hervortritt,
das schöne Tibur, eine der ersten Eroberungen der latinischen 10
Aboriginer, berühmt durch seine Wasserfalle und seine weissagende
Nymphe Albunea, seinen Hain des Tiburnus und seinen alten Dienst
des Hercules. Vielfach bedroht von den benachbarten Etruskern,
Sabinern, Aequern und Volskern, vermochten sich diese Städte zu
behaupten, so lange sie einig waren und keine unter ihnen zu
mächtig wurde. Auf den Vorstand von Alba Longa folgte der von
Rom, welches seit den Tarquiniern an der Spitze des Bundes stand
und die schnelle Zunahme seiner Macht ohne Zweifel weit mehr
als die römische Geschichte es gestehen mag diesem Bunde verdankt.
Selbst in den späteren Zeiten rühmten sich viele der ausgezeichnet-
sten und tüchtigsten Geschlechter in Rom ihres latinischen Ursprungs,
daher das von solchen Familien geprägte Silbergeld der Republik
nicht selten auf die Culte, die Sagen, die alten Zeiten von Latium
zurückweist.
5. Die Etrusker und die Griechen.
Haben wir somit unsern Gesichtskreis über den ganzen Zu-
sammenhang der mit Rom verwandten Völker erweitert, so können
wir doch auch bei diesen nicht stehen bleiben, so wenig die Religion
der Römer bei den ersten und angestammten Ueberlieferungen der
Vorzeit stehen geblieben ist. Sobald nehmlich der römische Staat
in den Kreis der Kulturstaaten eintrat, empfing er natürlich auch
von diesen gewisse Elemente der Kultur, wie sie sich einstweilen
im Verkehre mit den Völkern des Orients und den Griechen abge-
schlossen hatte und zur Civilisation der Zeit nothwendig gehörte:
worüber sich nicht allein sein geistiges Leben und der Zustand
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12 EINLEITUNG.
seiner Sitten, sondern auch sein religiöses Leben und sein Götter-
glaube in vielen wesentlichen Punkten verändert hat. So wurden
anstatt des bilderlosen Cultus, welcher bis dahin möglich geblieben
war, jetzt Bilder und Tempel eingeführt, an die Seite der einheimischen
Priester und Seher traten andre und ausländische, an die Seite der
einheimischen Götter die lebensvollen und höheren Bedürfnissen der
Bildung entsprechenden Gestalten des griechischen Apollo, der
Castoren, des Handelsgottes Mercurius, der Ceres mit ihren beiden
jüngeren Nebenfiguren ; ja selbst die einheimischen Götter wurden
jetzt andre Götter, Götter von höherem politischen und weltlichem
Anspruch , da sie früher bei den einfacheren Zuständen ihrer Nation
auch selbst soviel einfacher, patriarchalischer und geistlicher gewesen
waren. Eine überaus wichtige Veränderung , welche gleichfalls
keineswegs blos Rom angeht, sondern bei vielen andern Mitgliedern
11 der stammverwandten italischen Bevölkerung gleichfalls und wohl noch
früher als in Rom eingetreten war, namentlich bei allen denjenigen,
welche sich von den centralen Stammsitzen der alten nationalen
Heimath und Gewöhnung entfernt und der westlichen und südlichen
Küste genähert hatten, also den Latinem, den Volskern und vor-
züglich den oskisch redenden Völkern, namentlich ihren südlichsten
Gliedern. Die Culturstaaten aber, mit denen diese Stämme bei
solcher Erweiterung in Berührung kamen, sind die der Etrusker und
der in Italien und Sicilien ansässigen Griechen : blühende und mäch-
tige Staaten, welche jenen Völkern an Bildung bei weitem überlegen
waren und dabei einen lebhaften Verkehr mit den Mittelpunkten der
damaligen Cultur in Griechenland, Kleinasien und dem Orient unter-
hielten. Ueber die Etrusker sind wir freilich in gewissen Haupt-
punkten, namentlich was ihr nationales Herkommen betrifft, noch
immmer sehr im Unklaren; so lange nicht der Schlüssel zu ihrer
Sprache gefunden ist, mufs diese Frage ungelöst bleiben 1 ). Aber
gewifs ist, dafs sie vor den Römern bei weitem das mächtigste Volk
l ) [Der Versuch Corssea's das Etruskische als italische Mundart nachzu-
weisen (Sprache der Etrusker L. 1874 2 Bde.), ist gescheitert, aber auch die
Hoffnung seiner Gegner, insbesondere Deecke's (Corssen und die Sprache d. E.,
eine Kritik, Stuttg. 1875, Etr. Forschungen I — IV 1875 — 80, 2. Ausgabe
von Müllers Etruskern 1877, vgl. Pauli Etr. Studien I— III Gött. 1879. So)
eine andere Erklärung zu finden hat sich nicht erfüllt. Sicher erweisen schon
die Gütternamen die Stammesverschiedenheit der Etrusker von den Italikero und
was diese von jenen entlehnt haben ist so geringfügig wie der Vorrath etrus-
kischer Lehnwörter im Latein und so viel wir wissen überhaupt im Italischen].
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DIE ETRUSKKR.
13
in Italien waren, da sie von dem jetzigen Toskana und dem Kirchen-
staate bis zum Tiber aus, wo sie die Umbrer in das Gebirge
zurückgedrängt hatten, nicht allein über Bologna in die Lombardei
eingedrungen waren und sich derselben bis zur Pomündung be-
mächtigt hatten , sondern eine Zeitlang auch die Küste der Latiner
und der Volsker beherrschten, ja mitten in Campanien zu Capua
einen Mittelpunkt ihrer südlichen Macht gegründet hatten 1 ). Ueber-
dies beherrschten sie beide Meere von Italien, das obere und das
untere, welche nach ihnen das tyrrhenische und das adriatische ge-
nannt wurden. Auch haben sie mit den centralen Gegenden des
mittelländischen Meeres und mit Kleinasien in so lebhafter Verbindung
gestanden, dafs bei ihnen selbst und bei den Griechen die Tradition
entstehen konnte, ihre Abstammung sei in Lydien zu suchen,
während ihre Gräber durch das was man in ihnen gefunden hat
auf eben so lebhafte Handelsverbindungen mit den Phöniciern hin-
weisen, welche sich hin und wieder sogar in eigenen Ansiedelungen n
unter ihnen niedergelassen hatten 2 ). Dann aber sind auch sie und
nicht weniger mächtig als die andre Bevölkerung Italiens von dem
Zauber der griechischen Bildung und Mythologie ergriffen worden,
welche von der Vorsehung dazu bestimmt war, eine allgemeine
Ausgleichung der verschiedenen Göttersysteme und eine gewisse
kosmopolitische Gemeinschaft der ästhetischen und poetischen An-
schauung des Alterthums herbeizuführen. Ganze Reihen der grie-
chischen Götter und der griechischen Heroen findet man in Etrurien
wieder, vor allen Apollo, Herakles und die Helden des troischen
Sagenkreises und der Tragödie; und zwar mufs diese griechische
Bildung in Etrurien eine alte gewesen sein, da Caere so gut wie
die lydischen Könige zu Delphi, dem Mittelpunkte des griechischen
Apollodienstes, ein eignes Magazin für seine Weihgeschenke unterhielt
und die Ueberlieferung von der Uebersiedelung des Demarat von
>) S. aufs er der Hauptstelle bei Livius V, 33 besonders Servius V. A.
XI, 567, wo Excerpte aus Cato zu Grunde liegen. [Vgl. Jordan Proleg. S. XL:
doch hat man neuerdings diese Überlieferung als unglaubwürdig erkannt]
a ) S. J. Olshausen über phönicische Ortsnamen aufserhalb des semitischen
Sprachgebiets, Rh. Mns. f. Phil. N. F. VIII, S. 332 ff. [Ueber Funde von
ägyptisirenden und assyrisirenden Werken der phöniciseben (karthagischen?)
Kunst in Italien, insbes. in Präneste, s. Heibig u. Fabian Annali dell' inst.
1878, 197 ff. 1879, 5 ff.; karthagische Skarabäen in Gräbern von Tarquinii
(5. Jahrh. v. Chr.): Bull. delV inst. 1878, 83. US80, 43. Vgl. Meitzer Gesch.
d. Karthager B. 1879, I, 425 f.].
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t
14 EINLEITUNG.
Korinth nach Tarquinii zur Zeit des Tyrannen Kypselos ohne eine
gleichzeitige Verbindung nicht hätte entstehen können. Aach sind
in den Gräbern von Vulci, von Caere, von Veji, von Cortona unter
so vielen Tausenden von gemalten Vasen griechischer Fabrik viele
des älteren und ältesten Stils gefunden worden. Obwohl mit die-
sem Anfluge der griechischen Mythologie so wenig als bei den Rö-
mern und bei den übrigen Italikern der ganze Inhalt ihrer Religion
erschöpft ist; vielmehr hatten auch sie einen eignen und älteren
Götterglauben, dessen nationale Herkunft leider wie die Sprache
noch immer dunkel ist, welcher aber in vielen wesentlichen Punkten,
wie wir oft zu zeigen Gelegenheit haben werden, dem der übrigen
italischen Völker verwandt gewesen sein mufs. Auch findet sich
bei den Etruskern derselbe einseitige Hang zur Gerimonie und zur
priesterlichen Disciplin, welche bei ihrer frühen Bildung bei ihnen
sogar weiter gediehen war als irgendwo sonst in Italien. Ihre wich-
tigsten Städte waren längs der Grenze der Umbrer und am obern
Tiber Arretium, Cortona und Perusia, unter denen sich namentlich
Cortona, früher eine Stadt der Umbrer, durch das Alterthum seiner
Erinnerungen auszeichnete. In der fruchtbaren Niederung am Tra-
simenischen See herrschte das durch Porsenna und sein Grabmal
berühmte Clusium, weiter südlich das glänzende Volsinii 1 ), in
der Gegend des Berges Soracte Falerii, dessen Bevölkerung die
13 Alten genau genommen nicht für Etrusker, sondern für einen eignen
Stamm gehalten wissen wollten (Strabo V p. 226); und wirklich
de«tel was wir von seinen CuHen und Sagen wissen mehr auf
Umbrer oder Sabiner als auf die eigentlichen Etrusker*). In der
nächsten Nachbarschaft von Rom gebot Veji, die hartnäckige Neben-
buhlerin seiner früheren Jahre, welche während ihrer Blüthe nicht
allein Roms Verkehr mit dem Norden und auf dem Tiberstrome be-
herrschte, sondern selbst diesseits des Tiber, in der nächsten Nähe
von Rom, an Fidenä eine immer zum Abfall vom latinischen Bunde
>) [An der Stelle von Orvieto (s. Körte Anaali 1877, 175 f.), nicht wie
auch P. noch im Text annahm, bei ßolsena.]
*) [Das alte, hoch gelegene Falerii ist 513 (vgl. Jordan Hermes 4, 243 f.)
zerstört worden and die £inwohoerschaft in die Ebene verpflanzt, wo sie eine
neue Stadt, später colonia Junonia Falisca gründete. Die an beides Orten ge-
fundenen Inschriften bestätigen das oben gesagte: s. bes. Garrucci Ann. dell' inst.
1860, 211 Dies, archeol. S. 59 ff. Hnschke in Fleckeisens Jahrb. Suppl. 5 (1872)
821 ff. Mommsen Mooatsber. der ßerl. Ak. 18^0, 211 ff. Ueber die Kulte s.
u. Minerva, Juno curritis.]
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DIE GRIECHEN. 15
und zur Fehde mit Rom aufgelegte Bundesgenossin hatte. Nächst
dem war Caere in der Gegend von Cervetri die nächste Nachbarin
Roms und der Latiner, welche in den wenigen Sagen aus alter Zeit,
die sich erhalten hatten, viel von einer schweren Tyrannei des
Königs von Caere Mezentius erzählten und sammt den Volskern eine
Zeitlang von Caere aus durch die Etrusker beherrscht gewesen sein
mögen. Zugleich gehört diese Stadt schon zu der glänzenden Reihe
der etruskischen See- und Handelsstädte, welche vom Tiber bis zum
Arno in mäfsigen Entfernungen von einander unweit der Küste la-
gen und von ihren Häfen aus weit und breit mit dem mittel-
ländischen Meere verkehrten. So hatte Caere seinen eignen Hafen
und sein Emporium zu Pyrgi, Tarquinii zu Graviscä, die alte in der
Gegend von Corneto gelegene Metropole der etruskischen Divination
und priesterlichen Wissenschaft, zugleich die Stadt wo die bei den
Etruskern verbreitete Sage von einer Einwanderung lydischer He-
rakliden eigentlich zu Hause war. Weiter hinauf bei Ponte della
Badia lag Vulci, der Fundort der meisten Vasen ; dann folgte Vetu-
lonia mit dem Hafen Telamon und noch weiter hinauf Kusellä, diese
beiden schon mitten in der Maremma, welche damals das ganze Jahr
hindurch bewohnt werden konnte. In den nördlicheren Gegenden
und bis zum Arno herrschte Volaterrä mit den beiden Häfen Luna
und Populonia, welches letztere zugleich die metallischen Reichthümer
der Insel Elba ausbeutete. Endlich in der Marsch am untern Arno
lag schon damals ein etruskisches, aber gleichfalls früh hellenisirtes
Pisa, in derselben Gegend wo im Mittelalter die Stadt gleiches Na-
mens ihre Schiffe so weit nach dem Osten aussendete. In allen
diesen Städten hatte sich neben dem Handel und der Industrie eine
nicht geringe Pracht des Adels und der Könige, eine vielfach durch
Aberglauben entstellte Wissenschaft der Priester und ein eben so
superstitiöser als glänzender Gottesdienst entwickelt, welcher sich
in vielen Opfern, Tempeln und Tempelbüdern , feierlichen Prozes- u
sionen und häufigen Spielen, circensischen und scenischen gefiel.
Natürlich konnte es, als die Etrusker mit dem Gewichte einer sol-
chen Bildung den übrigen Völkern Italiens bekannt wurden, nicht
fehlen dafs diese in vielen Stücken zuerst von ihnen civihsirt
wurden; obwohl die neuere Forschung überzeugend nachgewiesen
hat, dafs wenigstens Rom und die Latiner die Elemente ihrer fei-
neren Bildung weit mehr den Griechen Italiens und Siciliens als
den Etruskern verdanken. Doch bleibt es eine wichtige Thatsache
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16 EINLEITUNG.
dafs auch Rom den äufserlichen Prunk sowohl seiner Könige als
seiner Götter von den Etruskern empfing, wie denn namentlich die
Architectur der römischen Tempel und die Technik der Tempel-
bilder längere Zeit in den Händen etruskischer Künstler geblieben
ist, welche von den griechischen erst allmählich verdrängt wurden.
Auch haben die Römer eine gewisse religiöse Technik die Städte
zu gründen, die Grenzen zu bestimmen, das Lager abzustecken u.
s. w. immer von den Etruskern abgeleitet. Endlich ist die Divi-
nation der Römer durch sie mit einem ganz neuen Zweige der
Weissagekunst und der religiösen Sühne bereichert worden, nehmlich
mit der sogenannten Haruspicin, welche gewöhnlich sogar von ein-
geborenen Etruskern in Rom geübt wurde, höchstens ausnahmsweise
von solchen Römern, die sich in den etruskischen Priesterschulen
in dieser Kunst halten unterweisen lassen. Es ist dieses die Tech-
nik der Eingeweideschau, der Blitzsühne, der Auslegung aller außer-
ordentlichen, also einen besondern Rath und Willen der Götter vor-
bedeutenden Naturwunder, vorzüglich der himmlischen Erscheinungen
und des Blitzes und Donners: welche Wissenschaft bei den Etrus-
kern schon deshalb besonders weit gediehen war, weil ihr Land
und ihr Klima an Naturwundern und außerordentlichen Erschei-
nungen des Himmels besonders reich war und den Göttern bei ihnen
mehr Opferthiere geschlachtet wurden als irgendwo sonst.
Viel wichtiger als der Einflufs dieses Volkes wurde indessen der
der Griechen, vollends auf die Dauer, da sich zuletzt das römische
Wesen mit dem griechischen dergestalt durchdrungen hatte, dafs die
Römer sich mehr geschmeichelt fühlten, wenn man sie Abkömmlinge
der Griechen nannte, als wenn man ihnen von den Sabinern des Titus
Tatius und den zusammengelaufenen Bürgern des Romulus erzählte.
Die Anfange dieses griechischen Einflusses fallen bekanntlich in die Zeit
der Tarquinier, und zwar ist gleich damals, wie Cicero sich ausdrückt,
16 der Zuflufs eine recht breite und volle Strömung gewesen 1 ). Auch
konnte er von verschiedenen Seiten zugleich andringen, da auch die
Etrusker damals der griechischen Bildung schon sehr ergeben waren
und überdies Verbindungen sowohl mit den wichtigsten Handels-
staaten im eigentlichen Griechenland als mit denen in Campanien,
Grofsgriechenland und Sicilien bestanden. Gewifs ist, dafs man
damals von dem mittleren Italien aus mit Korinth und den
') Cic. de Rep. II, 19, 34 Inßuxit enim non tenuis quidam e Graecia ri-
vulus in hanc urbem, sed abundantisrimus amnis iÜarum disciplinarum et artium.
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DIE GRIECHEN.
17
korinthischen Colonieen am ionischen und adriatischen Meer, mit
Delphi und mit Aegina verkehrte, welches letztere eine eigne Colonie
in Umbrien angelegt haben soll; ja die Phokäer sollen auf ihrem
Wege nach Massilia unter Tarquinius Priscus Rom berührt und
damals jene Freundschaft begründet haben, welche später so lange
vorhielt 1 ). Aber weit mehr als diese entfernteren Staaten wirkte
ohne Zweifel die gröfsere Nähe der griechischen Bildung in Cam-
panien, Sicilien und dem südlichen Italien. Vorzüglich mufs dabei
der nächste griechische Staat in der Gegend von Neapel interessiren,
noch dazu die älteste aller griechischen Colonieen in Italien, deren
Geschichte nur leider auch sehr wenig bekannt ist. Es war dieses
Cumae auf einer noch jetzt durch viele Ruinen über und unter
der Erde sehr merkwürdigen Stätte 8 ), von welcher aus diese meist
aus Euböa stammenden Griechen auch Dikäarchia, das spätere Puteoli,
und Neapel gegründet hatten. Beide haben ihre Mutterstadt über-
flügelt, weil ihre Lage immer eine sehr günstige geblieben ist,
während die von Cumä nur so lange günstig genannt werden konnte,
als der breite Gürtel von Sanddünen nicht existirte, welcher sich
allmählich vor der ganzen westlichen Küste Italiens gelegt und die
meisten alten Häfen verstopft hat. In alter Zeit aber war Cumä
eine aufserordentlich blühende Stadt, vorzüglich zur Zeit der Tar-
quinier und in den früheren Generationen der Republik, aus welcher
Zeit auch wenigstens ein gröfseres Bruchstück seiner Geschichte
vorliegt, bei Dion. Hai. VII, 3 — 11. Eben so gewifs ist es, dafs
Cumä eine der wichtigsten Quellen des hellenisirenden Einflusses
gewesen ist, der sich allmälich über die oskisch redenden Völker
und über die Volsker und Latiner verbreitete, welchen letzteren die
Cumaner unter ihrem Tyrannen Aristodemos sogar bei Aricia ihre W
Freiheit in dem Kriege mit Porsenna gerettet haben. Was die
Gottesdienste dieser Stadt betriflt, so fassen wir im voraus vor-
züglich den Apollo von Cumä ins Auge, welcher als alter S ta in In-
go tt von der griechischen Heimath her seinen Tempel auf der Burg
über dem Meire hatte, unter welcher die Gänge und Schluchten
sich wölbten und landeinwärts hinzogen, welche durch Virgils
*) Strabo VIII p. 376, Justin XLIII, 3, 4 vgl. Böckh metrol. Unters. S. 208.
») [Vgl. besonders A. de Jorio, Guide di Pozzuoü (ed. 3 JNap. 1830) S. 74 ff.,
mit der Aufnahme der Reste T. 8 und desselben Viaggio di Enea all' iuferno
(ed. 2 Nap. 1825) S. 55 ff. Chalkidische Bronzen in Italien: Heibig Ann.
deir inst. 1880, 223 ff. j
Prell er, Rom. Mythol. I. 3. Aufl. 2
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18
EINLEITUNG.
Schilderungen von der Weissagung der Cumanischen Sibylle und
die Fabel von den Kimmeriem so berühmt geworden sind. Neben
Apoll dürfen wir den Meeresgott Poseidon und den Handelsgott
Hermes in der See- und Handelsstadt, die Acker- und Fruchtgott-
heiten Demeter mit ihrem Mädchen und Diouysos in der mit einem
fruchtbaren Gebiete gesegneten und durch seinen Todtendieust am
Averner See berühmten Stadt mit Sicherheit voraussetzen, lauter
Götter welche in Rom unter den ältesten griechischen Eingang fanden:
unter den Heroen Herakles, von dem die ganze Umgegend von Gumä
viel zu erzählen wufste, und Ulysses, dessen Abenteuer, namentlich
die bei der Circe und Unterwelt, an dieser Küste gleichfalls seit
alter Zeit erzählt wurden, so dafs wir auch die in Italien bis Latium
und Horn so weit verbreitete und fest gewurzelte Sage von diesen
beiden Helden am natürlichsten aus dieser Quelle ableiten werden.
Ja es ist, wie wir weiterhin sehen werden, höchst wahrscheinlich,
dafs selbst die älteste Sagengeschichte von Rom und Latium, die
vom Evander und Cacus, von Hercules und seinen Rindern, von
Ulysses und seinen Söhnen zuerst in Cumä oder doch unter dem
Eintlufs einer cumanischen Chronik redigirt worden ist. Denn auch
nachdem Cumä von den Campanern erobert worden war und somit
ein griechischer Freistaat zu sein aufhörte 1 ), wird darum die
griechische Bildung keineswegs aufgehört, vielmehr die oskisch reden-
den Völker jetzt erst recht ergriffen haben, da selbst in den weit
späteren Zeiten der römischen Kaiser, nachdem Cumä und Neapel
längst zu römischen Colonieen, Puteoli zu dem wichtigsten Emporium
in ganz Italien geworden war, die griechische Bildung in Neapel
17 und der ganzen Gegend die vorherrschende war. Aufser diesen
nächsten Nachbarn von Latium und Samnium aber werden wir
auch auf die übrigen griechischen Städte in Grofsgriechenland und
Sicilien wohl zu achten haben, in jenem vorzüglich auf Taren t,
welches vermöge seiner Lage allerdings zunächst nur für die Helleni-
sirung Apulicns verantwortlich gemacht werden kann, bei seiner
l ) Nach Diodor XII, 76 im J. 326 d. St. (428 v. Chr.), nach Liv. IV,
44, 12 im J. 335 (417 v. Chr.). Wenn bei Justin XX, 1, 13 die Falisci, Nolani
und Abellani Colonisten der Chalcidenser genannt werden, so können unter
diesen nur die in Cumä angesiedelten verstanden werden. Bei den Faliskern
ist an eine Niederlassung in der Gegend des M. Massicus zu denken, vgl.
Virg. Aen. VII, 724, wo Halaesus, der Stammvater der Palisci, in dieser Gegend
zu Hause ist. [Vgl. Huschke a. a. 0. S. 823 f.].
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EPOCHEN DER RÖMISCHEN RELIGION. 19
lange anhaltenden Blüthe aber auch der griechischen Sitte und 17
griechischen Bildung überhaupt, z. B. dem Theater und der pytha-
goreischen Philosophie am längsten eine Stütze bot und in dieser
Beziehung seit den Zeiten der Samniterkriege und des Königs Pyrrhus
auch auf das mittlere Italien und auf Rom und die Römer manchen
Einflufs gewonnen hatte.
6. Die Epochen der romischen Religiomgeschichte.
So hat sich unsre Aufgabe von selbst zu einer eben sowohl
culturhistorischen als im engeren Sinne des Worts mythologischen
gestaltet, und wir werden diese Auffassung ferner festhalten müssen,
da wir es überall nur mit der Religion einer einzelnen Stadt zu
thun haben, welche zwar in vielen Punkten als Miniaturbild des
alten Italiens überhaupt gelten kann, aber doch noch weit mehr in
politischer und culturgeschichtlicher als in religiöser Hinsicht von
Bedeutung ist; wie sie sich denn auch im weiteren Verlaufe ihrer
Geschichte bis auf die Entwickelung des Staates und Rechtes immer
weit mehr receptiv für die verschiedenartigsten Einflüsse als pro-
ductiv und in einer festen Richtung eigenthümlich gezeigt hat. So
ist namentlich die Religion der Römer je länger desto mehr zu
einem Aggregate der verschiedenartigsten Göttersysteme und Cultus-
formen geworden, da seit dem zweiten punischen Kriege neben den
gricluschen Göttern auch schon die Grofse Idäische Mutter aus
Phrygien Eingang fand und weiterhin die hellenistischen, ägyptischen
und syrischen Religionen nach Rom und von Rom aus weiter im
Westen vorgedrungen sind: eine im Zusammenhange der Cultur-
geschichte so wichtige Thatsache, dafs wir auch diese Bewegungen
in unsre Darstellung aufnehmen zu müssen glaubten. Um so noth-
wendiger ist es gleich im Voraus den ganzen Verlauf der römischen
Religionsgeschichte ins Auge zu fassen und nach gewissen Epochen
übersichtlich abzutheilen, zu welchem Behufe wir am besten folgende
Zeitabschnitte unterscheiden werden. Die erste Periode ist die uf
welche mit den Anfangen des römischen Staates ein für allemal
den wesentlich italischen Grund gelegt hat. Und zwar lassen sich
der bekannten Entstehung des römischen Staats gemäfs deutlich
zwei verschiedene Elemente unterscheiden, ein latinisches und ein
sabinisches. Das latinische ist durch den angeblich arkadischen
Evander, welcher in Wahrheit der latinische Faunus ist, und durch
2*
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20
EINLEITUNG.
die sogenannte Gesetzgebung des Romulus vertreten, das sabiniscbe
durcb die beiden Könige aus Cures, Titus Tatius und Numa Pom-
pilius. Fafst man die Culte des Palalium, wo Evander sich nieder-
läfst und Romulus seine Stadt gründet, näher ins Auge, so erkennt
man darin noch recht deutlich jenen alterlhumlichen und elemen-
taren Character des italischen Stammlebens: ein Leben der Hirten
und Bauern, welche den Faunus Lupercus und die Fauna verehren,
die Hirtengöttin Pales, die der Ceres entsprechende Dea Dia, den
Saturnus des goldenen Zeitalters und neben ihm die gütige Erd-
mutter: daher auch die Römer, wenn sie auf die Anfange ihrer
Stadt zurückblickten, dieselbe immer für eine Gründung der Hirten
hielten. Selbst der palatinische Mars wird noch vorzugsweise der
altitalische Stammgott des Waldlebens und des Frühlings gewesen
sein, und der Hercules der Ära Maxima, wo der ältere latinische
Kern von dem griechischen Namen und der Geryonssage wohl zu
unterscheiden ist, ein streitbarer Genius der Fülle und des Segens,
welcher als triumphirender Besieger einer finstern Naturgewalt am
Fufse des Palatin sich niederliefs und dort fortan mit seinen Römern
am liebsten schmauste und zechte. Auch die Stiftungen der Culte
des Jupiter Stator und des Jupiter Feretrius deuten wohl auf krie-
gerische Erfolge, aber noch nicht auf politische Selbständigkeit.
Vielmehr ist Rom erst durch die Sabiner zu einem eignen und
selbständigen Staate geworden, zwar auch immer noch erst zu
einem mehr patriarchalischen und theokra tischen als in eigentlichem
Sinne des Worts politischen, aber doch zu einem solchen, welcher
mit seinem festen Kerne strenger und heiliger Ordnungen die An-
lage zu der bedeutendsten Zukunft in sich trug. Auch die Götter
und die religiösen Stiftungen dieser Zeit waren ein mächtiger Fort-
schritt auf der Bahn dieser Zukunft; zwar können sie nicht alle für
wesentlich und ausschliefslich sabinisch gelten, aber die Geschichte,
welche sie entweder dem Titus Tatius oder dem Numa zuschreibt,
will doch sagen, dafs sie erst seit der Niederlassung der Sabiner in
Rom verehrt wurden. Da ist jetzt Jupiter, der lichte, der reine,
der heilige, dessen Priesterthum auch der Person des Numa die
19 höchste Weihe gab 1 ), und seine geweihte Höhe auf der capitoli-
nischen Burg, wo Titus Tatius wohnte und Numa zu seiner könig-
') Liv. 1, 20 quamquam ipse plurima sacra obibat, ea mtutime quae nunc
ad Dialem flaminem pertinenl.
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EPOCHEN DER RÖMISCHEN RELIGION. 21
liehen Würde die höchste Beglaubigung empfangt, die eben so hei-
lige als geheimnifsvolle Burg (arx) der römischen Augurn, welche
immer diesen lichten Vater der Höhe, der durch ganz Italien Jupiter
genannt wurde, für ihren höchsten Urheber und unsichtbaren Ver-
treter der Wahrheit ihrer Beobachtungen gehalten haben. Da
ist neben ihm Juno als Göttin der Frauenwürde und aller matro-
nalen Rechte des Familienlebens, welche in Rom immer vorzugsweise
von den sabinischen Müttern d. h. den ersten Hausfrauen in Rom
abgeleitet wurden, da ist ferner Minerva als Göttin aller Besinnung,
und Janus der alte Sonnengott alles himmlischen Anfangs, und Dius
Fidius, der Gott der Treue und aller ehrenfesten und gerechten
Werke des Lichtes, auch Terminus und Fides und andre Stiftungen
dieser Zeit, welche deutlich beweisen, dafs der Glaube der Sabiner
sich auf dem alten Grunde der Naturreligion bereits zu einem ern-
sten und würdevollen Bewufstsein über die Principien des Rechts
und einer ethischen Ordnung der Dinge erhoben hatte. Dazu die
neue Ordnung des Pontificats und des Vestadienstes, welcher von
nun an einen heiligen Mittelpunkt für sämmtliche Familien der
Bürgerschaft bildete, die Stiftung der Salier, in welcher die Römer
und Sabiner sich zur Verehrung desselben Gottes unter den beiden
örtlich verschiedenen Diensten des palatinischen Mars und des sa-
binischen Quirinus bekannten, alle die heiligen Formeln und Gebete
der Indigitamenta, nach welchen sich fortan das ganze Leben eines
römischen Bürgers in allen Stadien seiner natürlichen, geistigen und
sittlichen Entwicklung mit dem Glauben an die unsichtbare Gegen-
wart und unerläfsliche Mitwirkung der Götter durchdringen sollte,
alle jene Gesetze für die Geistlichkeit, für die Opfer, die Sühnungen:
kurz die jungen Jahre Roms wurden damals in eine Zucht gethan,
welche auf die Dauer freilich nicht befriedigen und noch weniger
den plebejischen Neubürgern gefallen konnte, aber für den Anfang
eine ganz vortreffliche Schule jener Gesinnung war, an welche wir
bei Rom und den Römern immer zuerst denken. Es ist die Zucht
der alten sabinischen Heimath von Amiternum, von Reate und von
Cures, welche den Römern bis auf die Zeiten des Polybius jenen
streng religiösen Character bewahrt hat, in welchem der nach seiner so
Art gebildete Grieche nur noch die höchste Staatsklugheit zu er-
kennen vermochte. Die zweite Periode und eine ganz andre
Zeit beginnt mit den Tarquiniern. Es ist die Zeit wo Rom aufhörte
ein sabinischer Patriarchalstaat zu sein und auf die grofse Bühne
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22
EINLEITUNG
der allgemeineren Cultur und Politik liinübertretend von hochstre-
benden Fürsten auf seinen weltgeschichtlichen Beruf vorbereitet
wurde: für seine Religion die Zeit wo ein glänzender Cultus mit
Tempeln und Bildern, viele neue Götterdienste und neue Arten
der Divination eingeführt wurden: kurz eine Periode der allseitigen
Neuerung, in welcher jene altitalischen Elemente mit denen der
ausländischen Civilisation verschmolzen und daraus der uns aus der
Geschichte am besten bekannte Staat Rom und die römische Staats-
religion der Republik bis etwa zum zweiten punischen Kriege sich
bildete. Höchst merkwürdig ist in dieser Beziehung die Stiftung
des Capitolinischen Cultus der drei Götter, welche in dieser Grup-
pirung zwar auch den Sabinern des Quirinais bekannt waren, aber
mit diesem Anspruch auf Herrschaft und königliche Hoheit und mit
dieser glänzenden Einrieb lung ihres Gottesdienstes sicher etwas Neues
waren; desgleichen die Stiftung des Dienstes der Diana auf dem
Aventin und die Gründung oder Wiederherstellung der latinischen
Ferien, welche Stiftungen zugleich darauf hinweisen, wie wir dieses
auch aus der Geschichte wissen, dafs die Macht und der Staat
dieser Fürsten keineswegs eine blos römische war, sondern eben
so sehr eine latinische. Noch folgenreicher als sie war aber speciell
für Rom die Einführung der sibyllinischen Sprüche aus Cumä in
den Slaatsgebrauch und die damit zusammenhängende Stiftung eines
neuen Priesterthums, welches für die Auslegung dieser Sprüche und
die Ausführung der jedesmal befohlenen gottesdienstlichen Uebun-
gen bestimmt war und sich dabei in einem wesentlich griechischen
und Appollinischen Kreise von Vorstellungen und Gebräuchen be-
wegte. Also war die natürliche Folge jenes ersten Schrittes eine
immer weiter um sich greifende Hellenisirung der römischen Reli-
gion, welche sich sowohl in vielen neuen Formen des Gottesdienstes
überhaupt als in einzelnen neu eingeführten Culten griechischer Götter
zeigte und auch in der äufsern Ausstattung der Tempel und der An-
ordnung der Feste über die älteren Vorbilder der Etrusker allmälich die
Oberhand gewann. Dazu kam die Einführung andrer griechischer
Götterdienste aus Gründen der Civilisation, z. B. der Castoren, der grie-
chischen Demeter, des griechischen Handelsgottes, und zwar gleich in
21 den ersten Jahren der Republik, welche sich also diese Consequenzen
der Herrschaft der Tarquinier wohl gefallen liefs. Weiter wirkten
die Kämpfe der Plebs mit dem Patriciat, ein Kampf zwischen zwei
heterogenen Elementen der Bürgerschaft, wie diese durch Servius
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EPOCHEN DER RÖMISCHEN RELIGION. 23
Tullius constituirt worden war, welcher auch in der Geschichte der
romischen Staatsreligion von der gröfsten Wichtigkeit ist. War
dieselbe nehmlich bis zu den Tarquiniern ausschliefslich eine
Sache der Patricier gewesen, welche damals die ganze Bürgerschaft
ausmachten, deren Legitimität und Erziehung, Eintheilung und
Berechtigung von allen Seiten auf die religiöse Gesetzgebung des
Numa zurückwies, so trat ihnen jetzt in den Plebejern eine andre,
meist nach weltlichen und politischen Grundsätzen organisirte Bürger-
schaft entgegen, so dafs der Kampf zwischen beiden nothwendig zu-
gleich ein politischer und ein religiöser werden mufste: ein Kampf
zwischen den neuen Tendenzen der Civilisation und des politischen
und commerciellen Weltverkehres auf der einen Seite und dem
theokratischen und patriarchalischen Geiste der Verfassung Numas
und der sabinischen Vorzeit auf der andern. Anfangs, gleich nach
der Vertreibung der Tarquinier, scheint der alte Staat und die alte
Staatsreligion mit dem alten patricischen Adel noch einmal recht
zu Kräften gekommen zu sein; namentlich müssen sich die in geist-
lichen und bürgerlichen Angelegenheiten höchst bedeutenden Vor-
rechte des Pontificats vornehmlich in dieser Periode ausgebildet
haben. Dann aber folgte bekanntlich eine Concession nach der
andern, zunächst auf dem Gebiete der bürgerlichen, dann auf dem
der geistlichen Würden; wobei es denn kein Wunder ist, dafs in
demselben Grade wie der Staat selbst immer mehr ein weltlicher
wurde, auch seine Religion und seine Geistlichkeit mehr und mehr
verweltlichte. Eine Entwickelung, welche den Interessen des römi-
schen Staates und seines civilen Rechtes, auch seiner politischen
Macht und dem Weltverkehre allerdings in hohem Grade förderlich
sein mochte, aber der innern Consistenz und Wahrheit seines reli-
giösen Lebens unmöglich in gleichem Maafse zum Vortheil gereichen
konnte. Mit und nach dem zweiten punischen Kriege beginnt die
dritte Periode, welche man als die des Verfalls der römischen
Staatsreligion ansehen und bis auf die Zeit des August ausdehnen
kann 1 ). Hatte sich die alte Religiosität des italischen Stamm- aa
characters in der vorigen Periode zu vielen Concessionen herbei-
lassen müssen, so war doch wenigstens die alte ernste, strenge und
nüchterne Gesinnung unter allen Umständen behauptet worden, so
') L. Kraboer Grondlinieu zar Geschichte des Verfalls der römischen
Staatsreligion bis auf die Zeit des August. Halle 1837.
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24
EINLEITUNG.
dafs namentlich die vielen griechischen Gottesdienste, wo sie gegen
diese Gesinnung verstiefsen, sich eine Beschränkung gefallen lassen
müTsten. Auch waren die alten römischen und italischen Götter,
die alten pontificalen und cerimonialen Gesetze und Gewöhnungen
immer die vorherrschenden geblieben, und es liegt in der Natur
einer wohlorganisirten Geistlichkeit, dafs die Plebejer, sobald sie zu
den geistlichen Würden Zutritt erlangt hatten, es an Eifer auch
ihrerseits nicht fehlen liefsen. Der zweite punische Krieg aber mit
seinen mächtigen Erschütterungen des gesammten römischen Staats-
wesens führte auch in den religiösen Kreisen viele wichtige Neue-
rungen herbei. Gleich die Einführung des Cultus der Grofsen Mutter
aus Phrygien beweist, dafs jetzt selbst die gewöhnlichen griechischen
Sacra nicht mehr genügten, und die bald darauf nothwendig ge-
wordene Verfolgung der bacchischen Mysterien in Rom und ganz Italien
lehrt recht deutlich, dafs die römische Staatsgewalt als solche den Ent-
artungen des religiösen Lebens der Zeit zu widerstehen zwar noch
Kraft und Besonnenheit hatte, aber auch dafs der faule Geist der
innern Auflösung, an welchem schon damals Hellas und die helle-
nistische Welt bis zum Tode erkrankt war, bis in den Occident, ja
selbst bis in das eigne Herz der römischen Stadtbevölkerung vor-
gedrungen war. Iu dieselben Jahre fallt die Untersuchung wegen
der untergeschobenen Bücher des Numa, auch diese das Symptom
eines neuen Uebels, dafs nehmlich für die Gebildeten das alte Ceri-
monialgesetz nicht mehr genügen wollte, daher sie zur allegorischen
Interpretation nach den Grundsätzen der pythagoreischen Philosophie
ihre Zuflucht nahmen. Bald darauf, gleich mit den ersten Anfangen
der römischen Litteratur, fand diese Philosophie und die griechische
Aufklärung überhaupt an dieser neuen Litteratur eine eifrige Bundes-
genossin, daher sich die Ueberzeugung der Gebildeten von der her-
kömmlichen Religionsübung immer entschiedener lossagte und die-
selbe bald nur noch als eine Sache der Politik und des gemeinen
äs Mannes gelten liefs 1 ). Die Folge war, dafe das Wesen der Religion
») So urtbeilt «ach Polybias VI, 56, indem er zugleich die Religiosität
des römischen Staates höchlichst rühmt: xal /uoi rfoxfi to naqa totg älXoig
avd-Qtanotg övudi&fxivov , jovio ovvfyetv rä 'Püjfialwv ngay/xara^ liyu
tt)v StiaidatjjLovlair inl xoaovtov yaq ixT€TQay(p<Jr}Tat xal 7tagt(gfjxrat tovio
to fiigog naq aviotg tlg rt roitg xax Idtav ß(otg xal tu xowa rrjg nöktiog,
wäre fit) xaxakntTv vntgßolriVt o xal öofruv av nolloTg öavuaotov. Ipoi
ye fitjv doxovat tov nlij&ovg X*Q tv *ovzo ntnotiixtvai. tt fjikv
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EPOCHEN DER RÖMISCHEN RELIGION.
25
immer äufserlicher gefafst und der Cultus immer rauschender und
vergnügungssüchtiger wurde, in welcher Beziehung das gleichfalls
seit dem Ausgange des Hannibalischen Krieges eingeführte griechische
Theater vollends verderblich wirkte. Es war für die Römer die
eigentliche Bildungsschule einer mythologischen Weltansicht und eines
ästhetischen Götterglaubens, welcher seines tieferen religiösen Inhaltes
längst entkleidet war und von der Philosophie verworfen, ja mit
Spott und Schande verfolgt wurde: so dafs der Gegensatz zwischen
der Religion der Gebildeten und der des grofsen Haufens nun vollends
ein unversöhnlicher wurde. Daher schon Scipio Nasica, der beste
Bürger seiner Zeit und Pontifex Maxiraus, zugleich vor der Zer-
störung Karthagos und der Einrichtung einer stehenden Bühne
warnte 1 ), damit aber so wenig durchdrang, dafs diese Spiele viel-
mehr bald zur Hauptsache bei allen Festen der Götter wurden. Ja
es lernte nun auch der bürgerliche Ehrgeiz und die politische
Ostentation sich sehr bald dieser und der circensischen Spiele als
eines neuen Mittels bedienen, um die Gunst des gemeinen Mannes
zu erlangen und auf der Staffel der Ehren emporzuklimmen, so dafs
eine glänzende und verschwenderische Aedilität selbst von den Besten
gefordert wurde. Damit aber sind wir in einen Kreis getreten, in
welchem der Rest von Liebe zu den alten Gebräuchen, der sich
bei den höheren Ständen etwa noch erhalten hatte, vollends ver-
loren ging, den Zauberkreis der politischen Agitation und der auf
die Provinzen speculirenden Gewinnsucht, in welchen sich während
der Gährung der späteren Republik selbst diejenigen hineinziehn
liefsen, welche für den alten Glauben am meisten hätten sorgen
müssen, ich meine die Priester und alle geistlichen Behörden. Nicht
umsonst warnte Laelius der Weise, als man im Jahre nach der'
Zerstörung Karthagos (145 v. Chr.) im Begriffe war, den alten
Grundsatz der Cooptation der priesterlichen Behörden aufzugeben 24
y«o aoipäv avÖQWv noltttvfta awayaytlv, fffwc ovdkv t\v avayxaiog 6
Totowot TQonos. Grade so urtheilt Varro, und ohne Zweifel sprach Polybius
in jenen Worten nicht bloa seine eigne Ansicht, sondern auch die der ihm
bekannten Kreise in Rom ans.
>) Augustin C. D. I, 30. Auch bei Cicero Tnsc. I, 16, 37 erscheint das
Theater als die Schule des gewöhnlichen mythologischen Glanbens und Varro
nennt, wenn er eine mythologische, eine bürgerliche und eine natürliche
Religion unterscheidet, ansdrücklich das Theater als Quelle der ersten, b.
Augustin VI, 5.
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26
EINLEITUNG.
und auch hier das Princip der Volkswahl einzuführen, auf das nach-
drücklichste vor den Folgen dieses Schritts, in einer oft bewunderten
Rede, welche namentlich die Zeiten ergreifend schilderte, wo man
sich noch an der ungeschminkten Einfalt und Würde der Gesetze
Numas hatte genügen lassen. Das Gesetz wurde damals wirklich
bei Seite gelegt und erst in der Marianischen Zeit mit einigen Ver-
änderungen durchgesetzt, aber die drohende Gefahr einer Verwelt-
lichung der geistlichen Behörden ist schon durch jenen Versuch
angedeutet, und auf demselben Wege sehen wir nun auch bald den
letzten Rest des alten Stammcapitais der romischen Religion ver-
schleudert werden. Die priesterlichen Würden wurden nicht mehr
nach den Ansprüchen des Alters und der geistlichen Erfahrung be-
setzt, sondern den reichsten und ehrgeizigsten Bürgern als accesso-
rische Ehrenämter ertheiit. Kein Wunder, dafs nun auch die
Kenntnifs der alten Gebräuche verfiel, daher schon Cato über den
Verlust vieler Augurien klagte 1 ) und vollends Varro den Römern
viele vergessene Namen und Heiligthümer der Gölter ins Gedächlnifs
zurückrufen mufste. Auch hatte Cicero ohne Zweifel seine guten
Gründe, die berühmten Scävolas auf die innerliche Unvereinbarkeit
ihres doppelten Berufs, den des geistlichen Hohenpriesters und den
des civilen Rechtsgelehrten, aufmerksam zu machen*). Vollends die
Augurn waren zu einer so ganz und gar welllichen Behörde geworden,
dafs Cicero und die grofse Mehrzahl seiner Zeitgenossen, auch im
Collegium der Augurn, es unbegreiflich fanden, wie Jemand noch
überhaupt an eine höhere religiöse Weihe und Wahrheit dieses Be-
rufes glauben konnte 8 ). Eben so hatten die sibyllinischen Sprüche
und die etruskischen Haruspices alles Vertrauen verloren, schon zur
Zeit des Cato, wie dessen bekanntes Witzwort lehrt 4 ). Das erste
und heiligste aller Priesterthümer, das des Flamen Dialis, ist sogar,
weil es zu viel Entsagung forderte, seit dem gewaltsamen Tode
25 des L. Merula zur Zeit der Marianischen Unruhen über siebenzig
*) Itaque multa aiiguria, multa auspicia, quod Cato iüe sapiens queritur y
neglegentia collegii amissa plane et deserta sunt. Cic. de Divio. I, 15, 28.
s ) Cic. de Leg. II, 21, 52. Itaque si vos (Scaevolae) tantummodo pontißces
esset is, pontificalis maneret auctoritas: sed quod Odem iuris civilis estis
perilissimi, hac scientia illam eluditis.
8 ) Cic. de Leg. II, 12, 30; 13, 33, de Divin. I, 47, 105.
4 ) Cic. de Divin. II, 24, 51. Ueber den Mißbrauch der sibyllinischea
Siirüche ib. 54.
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EPOCHEN DER RÖMISCHEN RELIGION.
27
Jahre unbesetzt gebbeben, so dafs Augustus es formlich wiederher-
stellen mufste. Kurz es hatte auch auf diesem Gebiete eine so all-
gemeine Verwirrung und Auflösung des gesetzlichen Zustandes Platz
gegriffen, dafs der Eintritt der Monarchie auch in sofern ein voll-
kommen berechtigter war. Die vierte und letzte Periode ist die
der Kaiser 1 ), unter denen August auch in den religiösen Angelegen-
heiten die Grundsätze der Staatskunst für seine Nachfolger festge-
stellt hat. So war namentlich einer seiner leitenden Gesichtspunkte
die Restauration des Gottesdienstes und aller geistlichen Behörden
und Gewalten, indem er überall für die Herstellung der vielen ver-
fallenen Tempel sorgte, neue baute, alte Gebräuche wiederherstellte,
die sibyllinischen Bücher und den Kalender neu ordnete, endlich
die Zahl, Würde und das Einkommen der Priester vermehrte, nament-
lich seitdem er nach dem Tode des Lepidus Pontifex Maximus ge-
worden war 2 ). Nur dafs diese Restaurationen sich auf das Aeufser-
liche beschränken mufsten, da er die innern Motive so vieler Ge-
bräuche und Glaubensformen, sofern sie mit dem höheren natio-
nalen Alterthum und der Republik zusammen hingen, weder von
neuem beleben konnte noch wollte, eben so wenig aber auch darauf
ausging das geistliche Recht und die Unabhängigkeit der priester-
lichen Behörden herzustellen, da alle diese Würden und Behörden
vielmehr eben durch August ein für allemal von dem jedesmal re-
gierenden Kaiser abhängig wurden, zu dessen wesentlichen Attributen
von jetzt an das Ponlüicat d. h. die entscheidende Stimme in allen
Fragen der Religion gehörte. Und so ist auch im Uebrigen seit
August die Person des regierenden Kaisers und die religiöse Ver-
herrlichung seines Hauses und seiner Familie immer mehr zur
Hauptsache des öffentlichen und selbst des corporativen und privaten
Gottesdienstes geworden, da auch bei seinen neuen Stiftungen des
'j [Uber diese Periode vgl. L. Friedländer, Darstellungen aus der Sitten-
geschichte Roms 3, 421 — 540. G. Boissier, La religion Romaine d'Auguste aux
Antonins, Paris 1874. 2 Bde.].
») [Vgl. unten zu XII, 7. Hervorzuheben ist hier dafs die Zahl der neuen
von Augustus (und den späteren Kaisern) gegründeten Tempel verhältnifsmäfsig
sehr klein ist, dafs die Zahl der alten von Augustus wiederhergestellten (nach
seinem Zeugnifs Im Ind. 4, 17:82) wahrscheinlich den bei weitem gröTsten
Theil aller damals vorhandenen umfafste (worüber Genaueres anderwärts ge-
geben werden soll); endlich dafs zu den von Augustus wiederhergestellten
ältesten Kulten der der Dea Dia gehört (unten VI, 5).].
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28
EINLEITUNG.
Palatinischen Apollodienstes und des Cultus des Mars Ultor und der
Venus Genetrix dieses persönliche und dynastische Interesse vor-
herrschte und vollends die öffentlichen Gebete und Danksagungen
26 für das Wohl des Kaisers, die Feier seines Geburtstags, seiner
glücklichen Rückkehr, seiner Siege oder bürgerlichen Erfolge, die
Einmischung seines Namens in die Opfer und Gebete aller Collegien,
aller Sodalitäten, aller Götterculte bald in solchem Grade eine
Forderung nicht allein der Convenienz, sondern auch der schuldigen
Rücksicht auf die kaiserliche Majestät wurde, dafs die gesammte
römische Religion fortan den Character einer specilisch kaiserlichen
annahm. Auch die conventionelle Apotheose der verstorbenen Kaiser
nach dem Muster des Orients hatte August so weit vorbereitet, dafs
nach seinem Tode seine schlaue Wittwe und deren noch schlauerer
Sohn nur den letzten Schritt zu thun brauchten. Die folgenden
Kaiser bis Trajan sind diesen Grundsätzen des August ziemlich treu
geblieben, die Julier weil sie in ihm den Stifter der Dynastie, die
späteren weil sie den der kaiserlichen Gewalt in ihm verehrten: bis
mit der Zeit des Hadrian uud der Antonine noch einmal eine neue
Wendung beginnt, da Rom und die römische Sitte seit ihrer Zeit
mehr und mehr aufhörte das geistige Bindemittel des Reiches zu
sein, und dafür die griechische, hellenistische und orientalische
Bildung von neuem das Uebergewicht erhielt, und zwar in solcher
Weise, dafs auch die Religion und die Art über göttliche Dinge zu
denken ganz wesentlich dadurch bestimmt wurde. Da begannen auch
die älteren und neueren Gottesdienste Aegyptens, Syriens, Phrygiens
und Persiens, die man bis jetzt wenigstens von Rom ausgeschlossen
hatte, von neuem nach diesem Mittelpunkte des Reiches und der
abendländischen Bildung und selbst bis an den» kaiserlichen Hof zu
drängen, da sie sich bisher auf die Handelsplätze Italiens hatten be-
schränken müssen und höchstens hin und wieder in den Vorstädten
von Rom geduldet worden waren. So namentlich die ägyptischen
Sacra der Isis und des Serapis seit Gommodus und Caracalla, der
chaldäische Aberglaube und die syrischen Gottesdienste seit Seplimius
Severus und seinen Descendenten , die Taurobolien, die Mithras-
mysterien und andre neue und seltsame Gottesdienste der Art in
denselben Zeiten : lauter Religionssysteme welche durch Verschmelzung
allorientalischen Aberglaubens mit hellenistischer Bildung und Theo-
krasie sowohl dem Volke als den Gebildeten willkommen waren,
letzteren durch eine gewisse Tendenz zum Monotheismus und Pan-
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QUELLEN.
29
theismus, welcher längst das Bekenntnifs der Gebildeten war, dem
Volke durch einen Aberglauben, welcher zugleich den Reiz des Aus-
ländischen und des Geheimnifsvollen hatte. Zuletzt wurde die Religion
auf eine wahrhaft trostlose Weise zugleich verworren, geistlos und
roh. Die Zahl der Götter und Gottesdienste hatte sich bei der Ver-
schmelzung der verschiedensten Nationalsysteme des Heidenthums
zuletzt auf eine wahrhaft beängstigende Weise vermehrt, so dafs
man sich immer mehr zu einer Auswahl gewisser oberster Götter
gedrängt fühlte, unter denen der alte Himmelsgott Jupiter und
der Sonnengott noch immer ihren ersten Rang behaupteten, nur
dafs sie jetzt unter den verschiedensten, meistens ausländischen
Formen angebetet wurden. Neben ihnen wurden vorzugsweise 27
solche Götter verehrt, welche in dieser Zeit der allgemeinen Noth
und Angst Entsündigung und Heilung versprachen ; selbst den wider-
wärtigsten Gebräuchen, den schwersten Bufsübungen unterzog man
sich gern, wo solche Verheifsungen zum Gottesdienste einluden, wie
dieses vorzüglich in den zahlreichen Mysterien und Geheimgottes-
diensten der Fall war. Die öffentlichen Feste waren kaum noch
Gottesdienst zu nennen, so waren sie mit Spektakel aller Art, der
Mimen, der Gladiatoren, der pomphaften Aufzüge überladen. Die
Gebildeten hielten sich meist zum Neupiatonismus, einer Philosophie
von manchen erhabenen und tiefsinnigen Anschauungen, welche aber
auch sehr mit Phantasterei und Aberglauben versetzt waren, bis sie
bei dem allgemeinen Untergange des Heidenthums zuletzt ganz zu
einer Scholastik desselben d. h. zur Theorie des Polytheismus, der
Idololatrie und der Magie geworden war. Kurz es handelte sich
jetzt nicht mehr um den Verfall der römischen Staatsreligion, son-
dern um den des antiken Heiden th ums überhaupt, welches in Rom
seine letzte Zuflucht gefunden hatte und sich dort auch bekanntlich
am längsten behauptet hat.
7. Die Quellen.
Auch in dieser Beziehung sind wir übel genug daran, da das
alte Italien bis auf einige örtliche Denkmäler verstummt ist und die
römische Litteratur erst dann beginnt, nachdem sich die römische
Bildung ganz mit der griechischen durchdrungen hatte. Daher die
Erscheinung, dafs sie weder für ihr eignes Alterthum noch für das
italische Volksthum den rechten Sinn hatte. Statt aus der gewifs
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EINLEITUNG
in einigen Gegenden noch immer lebendigen Ueberlieferung die
Sagen, Mäbrchen und Lieder zu sammeln, deren wohl noch manche
zu finden gewesen wären, begnügten sich selbst Cato und Yarro in
den meisten Fällen bei den Griechen und ihrer Mythographie anzu-
fragen, welche damals noch dazu meist von dem falschen Geiste des
Pragmatismus erfüllt war. Indessen wollen wir deshalb nicht zu
ernstlich mit ihnen rechten, da ja selbst bei uns die Quellen der
Yolkssage erst in den neueren Zeiten gesucht worden sind, so stark
ist die Macht des Herkommens und einer überlegenen Bildung des
Auslandes. Aber auch die Quelle der älteren römischen Litteratur,
welche bekanntlich erst seit der Zeit des zweiten punischen Kriegs
von einigem Belange war, fliefst für uns leider nur sehr dürftig, da
28 namentlich die Dichter und Geschichtsschreiber dieser früheren Pe-
riode nur in den Excerpten und Beferaten der späteren Autoren
zu uns reden. Naevius und Ennius sind die beiden Dichter,
welche den Bömem zuerst ein nationales Epos geschaffen haben,
soweit dieses überhaupt möglich war. Beide begannen mit der
Zerstörung Trojas und der Ankunft des Aeneas an der latinischen
Küste, Naevius um von dort zu der Geschichte des ersten punischen
Kriegs zu eilen, Ennius um die ganze römische Geschichte bis auf
seine Zeit in der herkömmlichen Form der Annalen daran anzu-
knüpfen: ein Mann von hellem Verstände, lebhaftem Geiste und
tüchtiger Gesinnung, auch als Dichter so hochbegabt, dafs sein Ein-
flufs auf die römische Sprache und Verskunst und auf die römische
Stadtsage immer ein sehr bedeutender geblieben ist. Doch war
grade er ganz griechisch gebildet, und zwar so vielseitig, dafs er
nicht blofs die Blüthe des griechischen Heldengedichts und des grie-
chischen Trauerspiels, sondern auch den Geist der pythagoreischen
Philosophie und leider auch den des Euhemerismus in sich aufge-
nommen hatte, welcher letztere bei den praktischen und nüchternen
Bömern immer einen sehr lebhaften Anklang gefunden hat. Beide
Dichter haben auch viele griechische Tragödien für die römische
Bühne bearbeitet, gewöhnlich nach dem damals allgemein vorherr-
schenden jüngeren Meister der attischen Bühne Euripides, welcher
mit seinem mit der Wahrheit des mythologischen Alterthums zer-
fallenen und von moderner Beflexion erfüllten Geiste also nun
auch zu den Bömern sprach. Was die geschichtliche Forschung be-
trifft, so haben die ersten Annalisten Q. FabiusPictor, L. Gincius
Alimentus u. A. nicht allein in dem Sinne der gleichzeitigen grie-
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QUELLE*.
31
einsehen Bildung, sondern auch in griechischer Sprache geschrieben,
indem sie mit einer summarischen Uebersicht der ältesten Stadtge-
schichte in conventioneller Manier begannen und darauf gewöhnlich
die Geschichte der letzten Vergangenheit ausführlicher behandelten.
Der erste welcher die Geschichte Korns und Italiens in lateinischer
Sprache und mit nationaler Gesinnung beschrieb war der alte
M. Porcius Cato, ein Römer von echtem Schrot und Korn, zu
dessen Zeiten auch Itaheu noch nicht die Schlächtereien des Sulla
erlebt hatte, so dafs die alten Stammesüberlieferungen noch recht
lebendig sein mochten. In drei Büchern hatte er die Anfange
(origines) von Rom und Italien beschrieben 1 und danach das ganze
Werk betitelt, obgleich mit der Zeit auch für ihn die eigentliche
Geschichte des römischen Volks zur Hauptsache geworden war.
Doch wufste er in dem ersten Buche nur die gewöhnlichen Ge- 29
schichten von den Aboriginern, den Laurentern und Aeneas, von
Alba Longa und Romulus zu wiederholen, und nur in dem zweiten
und dritten Buche hatten manche wichtige Nachrichten über die
Etrusker und Volsker, die Latiner und Sabiner und andre italische
Völker eine Stelle gefunden: obwohl auch hier neben einigen origi-
ginalen Sagen die herkömmlichen Fabeln von Diomedes, Ulysses
und andern griechischen Heroen als wahre Geschichte und wich-
tigster Inhalt der italischen Vorzeit erzählt wurden. In späteren
Jahren hatte zuerst der römische Ritter L. Aelius Stilo die Rich-
tung auf sprachliche und sachliche Erklärung der älteren Denkmäler
des Staates und der Religion eingeschlagen, in welcher von ihm und
nach ihm viel Ausgezeichnetes geleistet worden ist 8 ). Namentlich
*) [Ueber den vielbestritteucn dem ganzen aus 7 Büohern bestehenden
Werke zukommenden Titel origines (dessen Beschränkung auf die B. II nnd III
auf einem Mifsverstandnifs der Grammatiker der ciceronischen Zeit beruht)
s. Jordan Proleg. S. XXI f. — Auch Bergk Gr. Litt. 1, 223 folgt der im Text
festgehaltenen Auffassung. — Ueber die einheimischen Quellen vgl. Jordan Pro-
legomena, Hermes 3, 416 ff.].
*) [Es fehlt noch an einer eingehenden Untersuchung über die philosophisch-
grammatischen Studien (über die stoische Mythenbehandlung Zeller III, l 3 ,
309 ff.), welche seit der Graccbenzeit eine vergleichende^gricchisch - römische
Mythologie geschaffen haben, deren Hauptsätze sicherlich die nachsullanische
Epoche schon fertig vorfand. Auf Valerius Soranus bat Preller S. 33 hinge-
wiesen, auf den Freigelassenen Sulla's Epicadus und L. Manitius und ihre Be-
thciliguug an der Deutung der Argei Jordan Topogr. II, 252 ff.; über ein der-
selben Richtung und Zeit angehöriges Kunststück, die Identificirung der
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32
EINLEITUNG.
hatte Stilo die sehr alterthümlichen Lieder der Salier in einem oft
erwähnten Commentare erörtert, in welchem er manches alte Wort
allerdings nicht mehr erklären konnte, dafür aber auch vieles Wich-
tige ans Licht zog, vor allen Dingen aber das Verdienst hatte, die
höheren Kreise in Rom und namentlich einen M. Terentius
Varro für dieselben Studien zu gewinnen. Dieser und sein Zeit-
genosse P. Nigidius Figulus haben in der Litteratur des römi-
schen Alterthums immer für die Gelehrten schlechthin gegolten, nur
da Ts der letztere sich aufser seinen sprachlichen Untersuchungen
vorzugsweise mit physikalischen, mathematischen und astrologischen
Untersuchungen beschäftigt hatte und bei diesen durch seinen Hang
zur Geheimweisheit oft auf falsche Bahnen gelenkt worden war.
Dahingegen Varro ganz vorzugsweise den Realien des römischen
Alterthums ergeben war und bei seinen Forschungen, wenn auch
nicht immer von dem rechten Geiste, so doeh von einer so warmen
Liebe zum Vaterlande und solchem Fleifse, solcher Gewissenhaftigkeit
beseelt war, dafs seine Arbeiten jedenfalls bei weitem das Verdienst-
lichste gewesen sind, was Rom auf diesem Gebiete zu Tage ge-
fordert hat. Auch haben alle späteren römischen und griechischen
Schriftsteller über das römische Alterthum vornehmlich aus ihm
geschöpft, daher wir uns über seine wichtigsten Werke, so weit sie
für unsern Zweck in Betracht kommen, nothwendig eine bestimmtere
Vorstellung verschaffen müssen: bei welchem Bemühen wir aufser
den erhaltenen Büchern de lingua latina auf die gröfseren und ge-
ringeren Excerpte der späteren Schriftsteller, namentlich des Kirchen-
vaters Augustin in seinem Werke de civitate dei angewiesen sind.
Das Hauptwerk waren die Antiquitates Rerum Humanarum
30 et Divinarum, aus welchem Augustin uns glücklicher Weise zahl-
reiche Auszüge und (De Civ. Dei VI, 3) die Disposition und eine
Skizze des Inhalts erhalten hat 1 ). Dieses Werk bestand demzufolge
Semones mit den rjfxi&tot vgl. unten S. 78 f. und über Caranus Hercules
S. 71. Unter den jüngeren scheint Cornificius (mit einer Schrift de etymis
deorum) vielleicht auch Gavius Bassus (de diis) eine Rolle gespielt zu haben.
Besonders wichtig Arnobius III, 38 f. — Vgl. Jordan Annali dell'inst. 1872, 40 f.
Krit. Beiträge S. 205.].
*) L. Krahner de Varr. Antiquitäten libris, Hai. 1834. Vgl. die Frag-
mente der libri rerum divinarum bei R. Merkel Ovid. Fast. p. CVI etc. Nach
dem durch Hieronymus erhaltenen Cataloge der Schriften Varros (Ritschi. Rh.
Mus. f. Philol Bd. VI und XII [= Op. 3, 418 ff.]) schrieb derselbe XLV libros
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VARRO
33
aus 41 Büchern, von denen 25 auf die weltlichen Angelegenheiten
(res humanas), die übrigen 16 auf die gottesdienstlichen kamen;
und zwar hatte er den Inhalt dieser letzteren so vertheilt, dafs die
ersten drei Bücher sich mit den Priesterthümern , die folgenden
drei mit den Weihungen und dem öffentlichen und häuslichen
Gottesdienste beschäftigten und endlich erst in den drei letzten von
dem eigentlichen Gegenstande aller Religion und alles Gottesdienstes,
von den Göttern gehandelt wurde. Das vorherrschende Interesse der
aus den besten Quellen geschöpften Forschung war allerdings das anti-
quarische und patriotische, dafs er seine Mitbürger wieder mit dem
Glauben und den Göttern der glorreichen Vorzeit bekannt machen wollte:
denn soweit war es gekommen, dafs die Römer in ihrem eignen Vater-
lande und in der Stadt Rom, wie Cicero sich ausdrückt, wie Fremde
umherirrten und in derselben erst wieder gleichsam von neuem ange-
siedelt werden mufsten *). Indessen wollte Varro nicht blofs unterrich-
ten, sondern auch belehren d. h. er wollte in diesem Werke nicht blo-
fser Alterthumsforscher sein, sondern auch Theolog und Philosoph, da-
her er zugleich den verwilderten Götterglauben der Zeit sowohl nach
gewissen allgemeinen Grundsätzen als in einzelnen Beziehungen der
posititiven Religion auf die Wege einer richtigeren, im Sinne der Zeit
geläuterten Erkenntnifs zu lenken und dadurch von neuem zu em-
pfehlen suchte: wodurch er auf Grundsätze und auf eine Methode
der Interpretation geführt wurde, welche für ihn und seine Zeit
characteristisch ist, aber der Sache schwerlich so viel genützt hat
als die gedrängte Fülle von nationalen und alterthümlichen An-
Autiquitatnm und intTo^v Antiquitatum ex libris XLT1 libros Villi. Die
Zahl XL1I scheint die richtige zu sein, 41 Bücher der Antiquitates und ein
eignes Buch allgemeiner Einleitung.
*) Cic. Acad. poster. I, 3, 9 annos in nostra urbe peregrinantes errantesque
tanquam hospües tut libri quasi domum deduxerunt, ut possemus aliquando qui
et ubi essemus agnoscere etc. Vgl. Augustin C. D. III, 17 z. E. quod scribens
de aedibus saeris tarn multa ignorata commemorat. Cic. N. D. I, 29, 82 etenim
fana multa exspoliata et simulacra deorum de locis sanctissimis ablata videmvs
anostris. Vgl. die Ausleger zu Horat. Od. III, 6. In demselben Sinne sapt
Varro selbst bei Augustin 1. c. IV, 31 ad eum finem iüam (die Geschichte
des alten Götterglaubeos) se scribere ac perscrutari, ut potius eos magis colere
quam despicere vulgus tritt. Ib. VI, 2 se timere ne pereant dii non incursu
Im stiU. sed civium negligentia: de qua illos velut ruina liberari a se dicä et in
memoria bonorum per eius modi libros recondi atque servari, utiliore eura quam
Metellus de incendio sacra Vestalia et Aeneas de Troiano excidio Penates
liberasse praedicatur.
Preller, Rom. Mytltol. I. 9. Aufl. g
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34
EINLEITUNG.
schaumigen, welche wenigstens die Gebildeten aus diesem Werke
gewinnen konnten. Der Schwerpunkt dieser allgemeinen Grundsätze
lag darin, dafs er mit dem berühmten Pontifex und Rechtsgelehrten
Q. Mucius Scaevola, demselben welcher bei einem Aufstände zur
Zeit des Marius sein Leben vor dem Bilde der Vesta aushauchte,
eine dreifache Religion unterschied, eine mythologische,
welche speciell die Dichter und das Theater angehe und von den
Göttern viele höchst unwürdige und widersinnige Vorstellungen ver-
breite 1 ), eine natürliche, welche die der Philosophen sei und auf
der wahren Erkenntnifs der Natur und Welt beruhe, und eine
bürgerliche, welche für das bürgerliche Leben überhaupt und
speciell für die Geistlichen und den Cultus bestimmt sei, also nach
unsrer Art uns auszudrücken die positive Religion des römischen
Staates war, soweit sie auf den alten Satzungen und Gewohnheiten
der Vorzeit beruhte. Diese letztere nun schien ihm obwohl für da»
politische Leben noth wendig, doch keineswegs die Wahrheit zu sein,
vielmehr eine aus der Religion der Dichter und der Philosophen
gemischte, von welchem nur die letztere zur Wahrheit führe: bei
welchem Worte dem Varro ein Monotheismus im Sinne der sto-
ischen Philosophie und ein Cultus ohne Bilder vorschwebte, wie Rom
32 selbst ihn in den ersten 170 Jahren seiner Existenz beobachtet
habe. Daher der Satz, dafs der Götterglaube und der Gottesdienst
der positiven Religion nothwendig als Product des römischen Staates
und seiner Geschichte aufgefafst werden müsse, aus welchem Grunde
Varro davon nicht zu Anfang seines Werkes, sondern erst in der
zweiten Hälfte desselben gehandelt hatte 8 ), und zweitens der starke
») Leber Scaevola berichtet Auguslin C. D. IV, 27, wahrscheinlich nach
Varro. Mach ihm gab es drei genera tradita deorum, unum a poetis, alterum
a philosophis, terliitm a prineipibus civitatis. Das erste war für ihn ein genus
nugatorium, quod multa de diis ßngantur indigna. Das zweite schien ihm
nicht für das bürgerliche Leben zu passen, quod habeat aliqua tupervacua,
aliqua etiam quae obtit populis nosse, z. ß. non esse deos fferculem, Aesctdapium,
Castorem, PoUucem. Von der Religion der Dichter wird darauf mit einer
eben so lebhaften moralischen Entrüstung gesprochen wie bei Plato, Zeno und
Epicur. Heber Varro's Unterscheidung der drei Religionen s. Augustin VI, 5.
Die mythologische Religion hiefs bei ihm das genus mythicon, quo maxime
utuntur poetae. Auch hier dieselben Gründe der Verwerfung: in eo sunt multa
contra dignitatem et naturam immortalium ficta. Die natürliche Religion ist
das genus physicon, quo pkilosophi utuntur, die positive das genus civile,
quo populi utuntur.
*) Augustin C. D. VI, 4 Ipse Varro propterea se prius de rebus humanis,
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QUELLEN.
35
und ganz unverhüllt ausgesprochene Satz, bei welchem Varro aber
auch die grofse Mehrzahl der römischen Staatsmänner, ja, wie Scae-
volas Beispiel lehrt, auch die höhere und höchste Geistlichkeit auf
seiner Seite hatte , dafs Täuschung der Sache der positiven Reli-
gion nicht allein nothwendig sondern auch nützlich sei 1 ). Daher
lerner die Grundsätze seiner Interpretation der mythologischen That-
sachen, welche wie bei Ennius aus Philosophie und Euhemerismus d. h.
aus Allegorie und rationalistischem Pragmatismus gemischt waren, und
dafs Varro, obwohl sonst Eklektiker, in seiner theologischen Anschau-
ung meist dem stoischen Pantheismus folgte, welcher der innern Be-
seelung des griechischen und römischen Götterglaubens wirklich am
meisten entsprach und deshalb auch von den meisten wissenschaftlich
gebildeten Theologen der späteren Zeit bei ihren Erklärungen zu Grunde
gelegt wurde. So ist ihm also die Gottheit, namentlich Jupiter,
Weltseele, und die übrigen Götter sind nur die einzelnen Kräfte und
Erscheinungen dieses alle Welt beseelenden und durchdringenden
Jupiter, den Varro für den höchsten und einzig wahren Gott er-
klärt. Neben ihm lä ist er höchstens als zweite Hauptgottheit die
Mutter Erde gelten, nehmlich in der Bedeutung der Materie und des
schlechthin Weiblichen und Empfangenden 2 ), auch dieses nach den
de dir Otis autein postea scriprisse testatur, quod prius exstiterint civitates,
deinde ab eis haec instituta sint, und weiterhin sicut prior est, inquit, pictor
quam tabula picta, prior faber quam aedißcium, üa priores sunt civitates quam
ea quae a civitatibus instituta sunt. Bei einer Darstellung der natürlichen
Religion würde er seine Sache anders angegriffen haben. Auch sprach er es
wiederholt nachdrücklich ans, dafs der Glaube der positiven Religion nicht der
seiner persönlichen Ueberzeugung sei und dafs er, wenu es sich nicht um die
Geschichte des römischen Staats, sondern um die Gründang: eines neuen Staats
handle, dann auch ein andres Bekenntnife aufstellen würde: ib. IV, 31.
*) Aupustin C. D. III, 4 Farro — utile esse civitatibus dicit, ut se viri fortes,
etiatnsi falsum sit, dis genitos esse credant. Ib. IV, 27 expedire igitur existimat
(ScaevolaJ falli in religione civitates, quod dicere etiam in libris Herum Divi-
narum Farro ipse non dubitat.
*) Augustin VII, 5 Fatetur inlerim vir doctissimus, anirnam mttndi
ac partes eius esse veros deos. Ib. 6 Dicit idem Farro de naturaU theologia
praeloquens, Deum se arbitrari esse anirnam mundi — adiungit mundum dividi
in duas partes, caelum et terram. Ib. 28 Dicturus de fetninis h. e. de deabus:
quoniam, inquit, ut primo libro dixi de locis, duo sunt prineipia deorum ani-
madversa de caelo et terra, a quo dü parlim'dicuntur caelesles partim terrestres,
ut in superioribus initium feeimus a caelo, cum diximus de Jove, — sie de
feminü initium scribendi feeimus de Tellure. Auch kam er in demselben Zu-
sammenhange auf die samothrakischen Mysterien, in denen er eine Darstellung
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36
EINLEITUNG.
Grundsätzen der stoischen Philosophie, welche den Dualismus eines
schlechthin schöpferischen und eines schlechthin empfanglichen
Princips an die Spitze ihrer Physik zu stellen pflegte. Obwohl
Yarro in einem andern Zusammenhange und wieder im Ein-
verständnisse mit einigen Lehrern der stoischen Schule seinen
Jupiter selbst über diesen ersten Anfang aller Weltbildung und aller
Gegensätze zu erheben suchte d. h. ihn für die ursprüngliche In-
differenz jenes ersten Gegensatzes eines männlichen und weiblichen
Princips erklärt hatte 1 ). Genug er deutete in diesem Sinne nicht
allein den Jupiter, sondern auch die übrigen Gotter des griechischen
und römischen Glaubens auf eine sehr freie und oft recht willkürliche
Weise, wobei er sich zugleich der ganz verkehrten etymologischen
Methode bediente, die wir aus seinen Büchern de lingua latina zur
Genüge kennen. Dasselbe mufs aber auch von seinen Erklärungen
der mythischen Vorgeschichte des römischen Volks gelten, die er
in dem Werke de gente populi Romani d. h. von dem Herkommen
des römischen Volks 2 ) behandelt und dergestalt mit der griechischen
Mythengeschichte, wie sie seit Ephorus erzählt zu werden pflegte,
verschmolzen hatte, dafs die Geschichte von Griechenland, Latium
und Rom nun vollends in dem Liebte eines fortlaufenden Zusammen-
der drei Priocipien der Dinge, des Himmels, der Erde, und der Ideen zu finden
glaubte. Vgl. de ling. lat V, 57. 58.
l ) Augustin VII, 9 In haue sententiam tdafs Jupiter die Weltaeele sei
etiam quosdam versus Valerii Sorani exponü idem Varro in eo libro, quem
seorsum ab istis de cultu deorum scripsit. qui versus hi sunt:
Jupiter omnipotent, regum rex ipse deusque
Progenitor genetrixque deum, deus unus et omnis.
Exponuntur autem in eodem libro üa ut eum mar ein existimaret qui semen
emitteret, feminam quae aedperet, Iovemque esse mundum et eum omnia sein i na
ex se emütere et in se reeipere: wobei die stoische Lehre vom Xoyog antu-
fittrixos zu Grunde liegt. Jener Valerius Soranus ist eine merkwürdige Er-
scheinung der Zeit des jungem Scipio, s. Gerlach Lucil. Satir. reliq. p. XXXI.
[Teuflei L. G. § 134, I], Der vollständige Titel der von Augnstin citirten
Schrift des Varro war Curio de deorum cultu, ein Abschnitt der logistorici.
*) Auszug» daraus bei Augostin C. D. XVIII. [Bruchstücke gesammelt
und beurtheilt von Kettner, Varronische Studien, Halle 1865, S. 88 ff.] Den
Pendant bildete das Buch de vita populi Romani. (Frgm. ed. Kettner,
Halle 1863.) Jenes führte den Leser von den alten Königen Sikyons, mit
denen die Chronologen zu beginnen pflegten, durch die übrigen Könige der
griechischen Vorzeit zu denen der Laurenter, ex quibus evidentior dueitur origo
Romana post Graecos; dann durch den trojauischen Krieg und Aeneas nach
Rom. Augustin XVIII, 2.
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QUELLEN.
37
hangs erschien. Denn auch in dieser Hinsicht war Varro ganz von
den Vorurtheilen seiner Zeit abhängig l ). Die beiden ersten Bücher
dieses Werks enthielten eine üebersicht der griechischen Vorzeit bis
zum trojanischen Kriege, an welchen sich weiterhin die Vorzeit
Italiens, Latiums und Roms d. h. die Flucht des Diomedes, des
Aeneas u. s. w. anschlofs, untermischt mit moralisirenden Erörterungen
und pragmatisirenden Erklärungen, welche nicht selten abgeschmackt
waren. Ich habe es für nothwendig gehalten, auf diese Eigenthüm-
lichkeiten der Schriften Varros ausführlicher einzugehn, weil die-
selben bei den meisten Angaben der späteren Autoren über den
Glauben und den Cultus der römischen Vorzeit zu Grunde liegen,
mufs aber noch hinzufügen, dafs seine Ueberlieferung von jenen
philosophischen und pragmatisirenden Grundsätzen selten oder nie
afficirt wird, wie er denn auch in den wichtigen noch erhaltenen
Büchern de lingua latina das Tatsächliche von seiner subjectiven
Meinung und Erklärung immer genau sondert. Auch sind von
diesen Büchern namentlich das fünfte und sechste schon durch
ihren Inhalt für unser m Zweck sehr wichtig, da in ihnen viele Namen
alter Heiligthümer, alter Feste und andre auf die Religion der Römer
bezügliche Thatsachen zur Sprache kommen. Ueberhaupt fehlte es
Varro trotz seiner philosophischen Neigungen keineswegs an Bück
und Interesse für das Eigentümliche und Volksthümliche, in welcher
Hinsicht die Ueberreste seiner nach dem Muster des griechischen
Cynikers Menippos abgefafsten Satiren belehrend sind. Desgleichen
waren seine Bücher de vita populi Romani ein wahrer Schatz
von Naclirichten über die alten Sitten und Gebräuche, namentlich
auch diejenigen, wo altes Herkommen sich mit altem Glauben
berührte.
Auch nach Varro blieben diese Studien über das Alterthum der
römischen Sprache, der Sitten und Verfassung, der Religion beliebt;
namentlich zeichnete sich unter Augustus aus Verrius Flaccus,
ein Libertin, welcher die kaiserlichen Prinzen unterrichtete und über-
haupt zu seiner Zeit eine sehr angesehene Autorität war. Unter 35
seinen Schriften war besonders lehrreich: 1) ein Werk in mehreren
Büchern über allerlei Merkwürdigkeiten der Vorzeit (rerum memoria
>) Namentlich achcint Varro die unglückliche Pelasger- Hypothese zuerst
auf die Vorzeit der latioiscbea Aboriginer angewendet zu haben, s. Macrob.
I, 7, 28, vgl. Dionys. I, 19.
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38
EI.NLEIITNG
dignarum), namentlich auch Religionsalterthümer , welches Plinius
d. Ä. oft benutzt hat, 2) das Werk de verborum significatione, eine
Art Reallexicon des römischen Alterthums, welches späterhin mit
andern gleichartigen Werken von S. Pomp ejus Festus excerpirt
und in dieser verkürzten Form überarbeitet wurde. Von diesen
Excerpten sind verschiedene sehr wichtige Bruchstücke erhalten;
den ganzen Festus aber reducirte zur Zeit Carls d. Gr. ein Geistlicher
Namens Paulus auf einen abermals sehr verkürzten Auszug, welcher
selbst in dieser dürftigen Gestalt eine wichtige Quelle ist 1 ). Unter
den Dichtern des Augusteischen Zeitalters verdienen für unsern
Zweck besonders studirt zu werden Virgil und Ovid. Jener hat
in seiner Aeneide das römische und italische Alterthura in einer
Weise verherrlicht, dafs die natürliche Armuth des StofTs für den
Liebhaber des nationalen Epos zwar überall durchblickt, doch wird
von seinen alten Auslegern neben den poetischen Vorzügen immer
vorzugsweise die tiefe Kenntnifs hervorgehoben, welche sich der
Dichter von den sacralen Ueberlieferungen der Vorzeit verschafft
habe 2 ); daher diese Ausleger, namentlich der unter dem Collectiv-
*) S. Pornpei Festi de verborum significatione quae supersunt cum Pauli
Epüome em. et annot. a C. 0. Mwsllero, Lips. 1939. Vgl. praef. p. XII sqq.
Zu brachten sind auch die Glossen des Placidus bei A. Mai Class. anct. e. Vat.
codd. ed. t. III und N. Job. f. Philol. u. Paedag. Sappl. II p. 439—471,
485 — 492, [ed. Deuerling L. 1879] und die ans verschiedenen Mss. zusammen-
getragenen lateinisch griechischen und griechisch lateiuischen Glossen ed.
H. Stephaoas P. 1572 und Car. Laboe P. 1679. [Vgl. Löwe Prodromus corporis
glossariorum latinorum L. 1876].
») Macrob. S. I, 24, 16, wo zuerst Vettius seine Bewunderung über Virgil
ausspricht, quia doctissime iut poniificium tamquam hoc professus in multa et
varia operis sui parte servavit , er getraue sich den Beweis zu fuhren dafs
Virgil recht gut Pontifex Maximus hätte sein können. Worauf Flavianus be-
hauptet: apud poetam nostrum tan tum scientiam iuris auguralis invenio ui, si
aliarum disciplinarum doctrina destitueretur , haec illum vel sola professio
sublimaret. Aehnliche Aussprüche liest man wiederholt bei Servius. [Die
Hauptstclle zu Aen. VIII, 550 (nach Daniel): Aeneam non tantum pontificii iuris
sed omnium sacrorum et peritum et primum fuisse, VirgMum autem inventa
occasione rüum romanarum cerimoniarum exponere; vgl. zu VIII, 470. II, 57.
Nach diesem Grundsatz wird dann weiter gefolgert, dafs Virgil in Aeneas und
Dido die Vorbilder des fiamen und der flaminica habe darstellen (zu IV, 29),
und überhaupt vitam , in o rem priscorum in der Dichtung exemplificiren wollen
(z. ß. zu A. VII, 206. 509). — Ob Macrobius und Servius von gemeinsamen
Quellen, oder der eine vom andern abhängt, ist controvers: vgL (nach früheren
entgegengesetzte Behauptungen von Becker Top. A. 994 Ribbeck, Proleg. Verg.
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39
namen des Servius erhaltene Gommentar, auf solche Andeutungen
immer geflissentlich eingehen und in Folge davon viele wichtige
Nachrichten über gottesdienstliche Uebungen und das pontificale
Recht erhalten haben. Ovid hat in seinen Metamorphosen die
wenigen latinischen und römischen Fabeln, welche sich neben den
griechischen auf die Dauer behauptet hatten, in anmuthiger Weise
verwebt; eine Verkettung der griechischen und römischen Fabel,
welche sich durch Theater- und Schulpraxis immer mehr befestigte se
und in den bekannten Büchern Hygins und bei andern lateinischen
Mythographen weiter verfolgt werden kann. Weit wichtiger aber
sind Ovids Fasten, da in ihnen mehr das original Römische und
Italische zur Sprache kommt, auch nicht selten jenes volksthümlich
idyllische und märchenhafte Element der Sagenbildung, worin sich
noch am meisten Cigenthümlichkeit ausdrückt und wofür Ovid als
höchst talentvoller Dichter viel Sinn hat. Diese Fasten sind be-
kanntlich eine poetische Bearbeitung des römischen Kalenders, wie
er durch Cäsar und August festgestellt worden war. Der Dichter
hat darin aus guten Gewährsmännern seines Zeitalters viele Er-
klärungen und Thatsachen nach seiner Art überarbeitet, wobei nur
zu bedauern, dafs er blos mit den ersten sechs Monaten fertig ge-
worden ist 1 ). Unter den Geschichtsschreibern desselben Zeitalters
sind Livius und der Grieche Dionysius von Halikarnass auch
für unsern Zweck vom gröfsten Belang. Livius ist mehr gewandter
Schriftsteller als Quellenforscher, doch hat er, weil die älteren
römischen Geschichtsschreiber verloren sind, sehr viele wichtige
Nachrichten allein erhalten; auch hat ihn sein religiöses und poetisches
Gemüth an solchen Thatsachen, welche den Glauben der alten Zeit
betrafen, ein besonderes Wohlgefallen finden lassen. Dionysius hat
es an Mühe nicht fehlen lassen, doch ist er ganz und gar Grieche
und der lateinischen Sprache nicht immer ganz mächtig. Auch
S. 104 und E. Schulze Aich. Zeitung 1872 S. 10 A.) Thilo, Quaestiones Ser-
vianae Halle 1867 und zwei Breslauer Diss. de footibus M. S. von G. Linke
und W. Wissova, 1880. Der Verfasser der Origo geutis Romanae hat, wie
es scheint um dieselbe Zeit, das gleiche Material für seine Fälschungen benutzt,
wie Hermes 3, 389 ff. gezeigt worden. Das Buch ist deshalb abgesehen von
den erdichteten Citateo, welche noch Rubino in Schutz nehmen wollte (s. a. 0.) ,
nicht ganz ohne Werth].
>) Die Aasgabe von R. Merkel Berl. 1841 ist besonders wegen ihrer
Prolegomena de obscuris Ovidü Fastorum zu empfehlen.
*
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40 EINLEITUNG.
hat er seiner Aufgabe dadurch sehr geschadet, dafs er für seine
Landsleute selireibend diesen zu beweisen sucht, die Römer seien
weder Barbaren noch ein zusammengelaufenes Volk, sondern ächte
Griechen, Rom eine griechische Stadt, ihre Sprache, Sitte, Religion
eigentlich griechischen Ursprungs; worüber der alte Irrthum und
der pragmatische Schlendrian von der pelasgischen, arkadischen, ar-
givischen Vorzeit Jtaliens und Roms bei diesem Schriftsteller nun
vollends in der vollsten Blüthe steht
Von den Schriftstellern der Kaiserzeit mag auf folgende ver-
wiesen werden. Zunächst ist Valerius Maximus, der unter Ti-
berius schrieb, zwar nur ein oberflächlicher Compilator, doch sind
durch ihn manche sonst verlorne Nachrichten erhalten worden.
Dann hat der vielseitig gelehrte und unermüdlich thätige Plinius
87 d. A. unter Vespasian und Titus in seiner Naturgeschichte nicht
allein sehr gute Quellen benutzt, sondern auch selbst viel beobachtet
und neben vielen merkwürdigen Thatsachen der Natur auch viele
zur Geschichte des römischen und italischen Glaubens und Aber-
glaubens sehr interessante überliefert. Ferner hat Plutarch in
seinen römischen Biographieen und in den Vorstudien zu denselben,
den römischen Fragen, nach seiner Weise fleifsig geforscht und aus
älteren Schriftstellern, auch aus Varro, viel zusammengetragen; nur
ist auch seiner Kenntnifs der römischen Sitte und Sprache nicht
immer zu trauen. Unter den Autoren der Kaisergeschichte sind
Tacitus, Sueton, Dio Cassius, Herodian, die Schriftsteller der
Historia Augusta, jeder in seiner Weise wichtig und brauchbar,
unter den Grammatikern und Alterthumsforschern dieses Zeitalters
hervorzuheben: A. Gellius, welcher unter den Antoninen schrieb und
viel Werthvolles überliefert, Nonius Marcellus, welcher die älteren
Dichter und Schriftsteller namentlich auch Varro fleifsig excerpirt
hat, nur ist leider sein Text sehr verdorben, Censorin, welcher
im J. 238 n. Chr. de die natali geschrieben hat und gleichfalls oft
dem Varro folgt, endlich Macrobi us unter Theodosius d. J., dessen
Saturnalien sehr reich an wichtigen, aus Varro, Verrius, den Com-
mentatoren Virgils und andern Quellen zusammengetragenen Ueber-
lieferungen sind. Jo. Lydus der byzantinische Schriftsteller hat
in seinen Schriften de mensibus, de magistratibus, de ostentis
manche gute Nachricht älterer Quellen durch Unwissenheit und Faselei
entstellt.
Aufserdem sind die Kirchenväter zu beachten, welche in
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QUELLEN.
41
Rom oder in der abendländischen Kirche das Christenthum gegen
das Heidenthum vertheidigten und demzufolge dieses auch ihrerseits
nach besten Kräften angriffen, daher sie sich oft sehr eingehend
mit seiner Geschichte, seinen Göttern, seinem Gultus beschäftigen,
namentlich Tertullian, Arnobius, Lactanz und Augustin in seinem
Werke de civitate dei. Sie gehn bei der Beurtheilung der heid-
nischen Götter gewöhnlich von der Ansicht aus, dafs dieselben böse
Dämonen sind welche die Menschen durch Trug und Zauberei zu
gewinnen gewufst und gegen die wahre Offenbarung verhärteten:
welche Voraussetzung sie glücklicherweise nicht abgehaten hat sich
um die Sache gründlich zu bekümmern, wo dann Varro wieder die w
Hauptquelle ist. Besonders ist Augustin reich an Auszügen aus
diesem Schriftsteller 2 ) und seine Beurtheilung des heidnischen Gottes-
dienstes obwohl leidenschaftlich und feindselig, doch immer geistreich
und aus der Tiefe der christlichen Erkenntnifs geschöpft, welcher
unter den früheren Kaisern manche gebildete Römer der stoischen
Schule, wenigstens was die Forderung des Glaubens an einen Gott
und die des Gottesdienstes im Geiste und in der Wahrheit betrifft,
gar nicht so fern standen. Erst der Neuplatonismus stellte mit
seiner Theorie der Emanation, seiner Geisterlehre und Magie dem
Christenthum eine neue Theologie des Heidenthums entgegen, welche
den theoretischen Kampf der beiden Religionssysteme noch einige
Zeit hinhielt.
Aufser der allgemeinen Alterthumsforschung sind bei diesen
Studien vorzüglich die topographischen zu empfehlen, nicht allein
weil die Lage der älteren Heiligthümer in diesem oder jenem Stadt-
theile von Rom mit der Geschichte und dem Character des Gottes-
dienstes gewöhnlich genau zusammenhängt 3 ), sondern auch weil die
Quellen der Topographie und Stadtgeschichte auch über die ein-
zelnen Culte manchen wichtigen Aufschlufs geben. Namentlich gilt
dieses von den alten Aufzeichnungen über die Regionen der Stadt
>) Z. B. Augustia C. D. VI, 4 Vd hominum sunt üta insHtuta vel dae-
monum, non quales vocant tili daemonet bonos, sed ut loquar apertius immun-
dorum spirituum.
*) [Vgl. Lüttgert Theologumena Varrooiana a. S. Augustino in iudicinm
vocata, P. 1 et 2. Sorauer Programm von 1858 und 1859.]
*) J, A. Ambrosch, Studien und Andeutungen im Gebiet des altrömiscben
Bodens und Cultus, Breslau 1839. [Rubino, Beitrage zor Vorgeschichte Italiens
Leipz. 1868].
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42
EINLEITUNG
Rom, bei denen man sich nur hüten mufs den interpolirten Schrift-
stellern Sextus Rufus und Aurelius Victor ferner irgend welchen
Einfluß zu gönnen 1 )* Endlich sind von gröfster Wichtigkeit die
Münzen und die Inschriften, beide als örtliche und authentische
Denkmäler, welche über viele Dinge Aufschlufs geben wo die römische
Litleratur nicht ausreicht , die Inschriften namentlich dann , wenn
sie die örtlichen Gülte und Dialekte Italiens betreffen, oder vollends
wenn sie unmittelbare Denkmäler einzelner religiöser oder geistlicher
Institute sind, welche in Rom und Italien nicht allein zu jeder Zeit
sehr zahlreich waren, sondern auch über alles sie Betreffende, die
zu begehenden oder begangenen religiösen Gebräuche, die neuen
Wahlen u. s. w. von Jahr zu Jahr sehr genau Protokoll hielten.
Freilich die vielen Aufzeichnungen und alten Urkunden der rö-
mischen Pontilices, der Augurn, der über die sibyllinischen Bücher
89 gesetzten Fünfzehnmänner, die wichtigen Protokolle und Lieder der
Salier und bei weitem die meisten andern Archivalien der Art sind
bis auf die geringen Auszüge und Andeutungen der Litteratur 2 )
unrettbar für uns verloren gegangen. Doch haben sich wenigstens
einige sehr wichtige Reste der Art wirklich erhalten, zunächst in
den gröfseren und geringeren Bruchstücken der alten römischen
Kalender, welche eine Uebersicht über das gesammte jährliche
Festwesen in Rom und verschiedenen andern Städten gaben, aller-
dings erst über den Kalender und das Festwesen seit den Pontifi-
caten des Cäsar und August, doch sind sie auch so von gröfster
Wichtigkeit. Ferner gehören dahin die sehr merkwürdigen Stein-
*) L. Preller, die Regionen der Stadt Rom, Jena 1546. [Hauptwerk von
Becker (Rom. Alterth. I), vgl. jetzt Jordan Topographie d. Stadt Rom II 1875
I 1878 dess. Forma urbis Romae reg. XIIII 1875. Noch immer ist ein un-
entbehrliches Hilfsmittel für die Geschichte der Tempelgründungen: C. Sachse,
Geschichte und Beschreibung der alten Stadt Rom, Hannover 1824. 1828. 2 Bde.]
') Vgl. über diese priesterliche Litteratur, die Annales Pontificum, die
Libri und Commentarii Pontißcum, Augorum, Saliorum u. s. w. Becker Handb.
d. röm. Alterth. 1, 4 ff. Seh wegler Rö. Gesch. 1, 7 ff. und 31 ff. [Preibisch,
De libris pontif., Diss. Breslau 1874, Fragmenta librorum pontificiorum, Progr.
Tilsit 1878 und Brause, Librorum de disc. angurali rel. I Diss. Breslau 1875.
Das bedeutendste Stück der pontificischen B. sind die taera Argwrum (vgl.
Jordan Top. 2, 237 ff.), der auguralen, der Spruch auf der Burg (Varro VII, 8
Jordan Krit Beitr. 89 ff.). Doch würden zu einer vollständigen Sammlung
jener auch die leges templorum, ararum (vgl. ders. Krit. ß. 250 ff.) und pre-
cationes gehören: vgl. unten S. 119].
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QUELLEN. 43
tafeln der Fratres Arvales, welche zu verschiedenen Zeiten in
der Nähe des Orts, wo der Hain der von ihnen verehrten Dea Dia
lag, gefunden sind und Bruchstücke der jährlichen Protokolle dieser
Brüderschaft erhalten haben, also über die jährlichen Opfer und Ge-
bete, mit denen die Göttin gefeiert wurde, die Opfermahlzeiten der
Brüder und allerlei außerordentliche Vorfälle und Sühnungen in
jenem Haine sehr merkwürdige Aufschlüsse geben *). Auch verdienen
verschiedene andere Denkmäler verwandten Ursprungs beachtet
zu werden, welche dem Inhalte nach minder wichtig, aber schon
wegen ihrer Form und Authenticität merkwürdig sind, z. B. ein Bruch-
stück ähnlicher Aufzeichnungen eines Collegiums des Jupiter Pro-
pugnator auf dem Palatin, Bruchstücke von jährlichen Aufzeichnungen
über die Feier der latinischen Ferien und verschiedene Reste rö-
mischer Sacerdotalfasten 8 ). Endlich haben sich aus dem übrigen 40
Italien zwei sehr wichtige Urkunden von unmittelbarem sacralem
Interresse und in der authentischen Gestalt der alten Landesdialekte
erhalten: die sogenannten Iguvinischen Tafeln, welche im
J. 1444 zu Gubbio, dem alten Iguvium in Umbrien gefunden sind
und im umbrischen Dialekte sehr merkwürdige und alterthümliche
Anweisungen zu auguralen Beobachtungen, Opfern und Gebeten
geben, die auf Veranlassung eines sühnenden Umzugs um die
Stadt oder einen Theil der Stadt angestellt werden sollten 8 ), und
l ) G. Marioi, Gli Atti e Mooameoti de' fratelli Arvali, Roma 1795, 2 Bdc-
4. Vgl. Gius. Melchiorri Appendice agli Atti e Monum. Roma 1S55. 4. [Neue
bedeutende Funde seit 1867; jetzt vereinigt bei Henzen Acta fratrum arvalium,
Berlin 1874, C. 1. L. VI p. 459 ff.] Das alte carmen fratrum Arvalium allein
ist behandelt von Klausen de carm. fr. Arval. Bonn 1836 und Corssen Orig.
Poesis Ro., Berl. 1846 p. 86 sqq., in welchem Buche auch andre dahin gehörige
Reste, namentlich die der Saliarischen Lieder gesammelt und erörtert sind.
Vgl. Th. Bergk de Carm. Saliarum reliquiis, Ind. lect. Marb. Mb. 1847 — 48
und über das Lied der Arval. Brüder Ztschr. f. A. W. 1856 n. 17—19. [Text
bei Ritsehl P. L. M. t XXXVI A, C. I. L. I p. 9, Henzen Acta p. CC1V,
vgl. Jordan Krit. Beitr. 189 ff. Hermes 14, 633 f. 1
») Marini Atti p. 129, Or. n. 42. 2471. 2472, Henzen n. 6057. 6058,
Mercklin die Cooptatioo der Römer S. 212 ff. [Die Reste der Sacerdotalfasten
C. L L. VI p. 439 ff. vgl. Eph. epigr. 3, 74 ff. Ueber die Fasten des latiniseben
Festes s. unten, Jupiter Latiaris].
*) Aufrecht und Kirchhoff die Umbrischen Sprachdenkmaler, 2 Bde.,
Berl. 1849, 51. [Huscbke, Die ig. Tafeln 1859, Breal Lea Übles Eugubines,
mit Facs., Paris 1875, vgl. Bücheler's Interpretation Jahrb. f. Phil. 1875,
127 ff. 313 ff. u. in den Bonner Univ. Progr. 3. Aug. 1876, 22. Mär« 1878 u. 1880].
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44
EINLEITUNG.
die sogenannte Weihinschrift von Agnone in oskischer Sprache,
ein Verzeichnifs von Opfern und Weihungen an gewisse ländliche
Gottheiten, welches im Jahr 1848 in der Gegend von Agnone im
nördlichen Samnium entdeckt worden ist 1 ). Eine zweckmäfsige
Auswahl aus der grofsen Masse der übrigen Inschriften, darunter
auch der die Gottesdienste von Rom und den romanisirten Gegen-
den betreffenden, ist die von Orelli angelegte und neuerdings von
Henzen vervollständigte 8 ).
Die bildende Kunst hat in Rom eben so wenig etwas Neues,
wenigstens keine Götterideale geschaffen, als die Poesie eine Mythologie,
deren Blüthe jene voraussetzt. Anfangs waren es etruskische, dann
griechische Künstler, welche den Römern ihre Götterbilder lieferten,
unter denen wie bei den Griechen die altertümlichen und roheren
lange für die heiligeren galten, bis mit der Zeit auch auf diesem
Gebiete die griechische Aesthetik und ihre ideale Götterwelt sich
geltend machte. So waren die drei Gapitolinischen Götter, Jupiter,
Juno, Minerva, wie sie in Sullas und Domitians Tempel zu sehen
waren, ganz nach den besten griechischen Vorbildern geschaffen, und
41 selbst solche Götter, von denen sich die ursprüngliche nationale
Auffassung wenigstens im Cultus reiner erhalten hatte, z. B. Mars,
Saturnus, Vejovis-Apollo u. a. folgten dem aügemeinen Impulse der
griechischen Kunst; höchstens mit Ausnahme des wesentlich italischen
und ungriechischen Janus, obgleich es auch hier die Frage bleibt,
ob der Doppelkopf nicht den Griechen entlehnt ist (s. unten). Selbst
die bildliche Darstellung der conventioneilen Mythengeschichte von
Latium und Rom, die Abenteuer des Aeneas und die Geschichte des
Romulus, wurden entweder von griechischen Künstlern oder doch
in griechischer Manier ausgeführt. Auch war es erst die Zeit des
Cäsar und August, in welcher diese Bildnerei einen gewissen Schwung
bekam ; ihre Tempel der Venus Genetrix und des Mars Ultor, später
l ) Th. Mnmmsen die Unterital. Dialekte S. 128—144. Vgl. Huschke
die Oskischen aod Sabellischen Sprachdenkmäler , Elberfeld 1856 S. 2 — 32.
[Zwetajeff Syll. inscr. Oscarnm, mit Kars., Petersb. 1878 vgl. noeh Fabretti's
Corpus inscr. Italicarum m. Glossar. Ital. und Suppl. 1— III Turin 1867 — 1878;
doch gehört ein vollständiges Verzeichnifs der Dialektlitteratur nicht hierher].
*) InscripHonum latinarum selectarum amplissima collect™ ed. I. C. Orelli,
Turici 1828. 2 Voll. 8. Vol. tertium Cottectionü OreUümae Supplemente Emeti-
dationetqtie exhibens ed. W. Henzen, Turici 1856. [Vgl. G. Wilmanns Exempla
uucriptionem latinarum in usum praecipue academicum. Berlin 1873, 2 Bde.].
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DIE RÖM. MYTHOLOGIE SEIT N
45
der von Hadrian erbaute Tempel der Venus und Roma, waren reich
an solchen Decorationen. Der letzte Kaiser, welcher an solchen
Darstellungen Geschmack gefunden, ist Antoninus Pius, dessen Münzen
eine Uebersicht von ihnen geben 1 ). Für die Mythologie haben solche
Bilder kein andres Interesse als das untergeordnete einer alterthüm-
lichen und im Sinne der Zeit gedachten Illustration 2 ),
8. Die römische Mythologie seit Niebuhr.
Erst seit einer solchen Behandlung, wie sie das römische Alter-
thum durch Niebuhr erfahren hatte, ist eine eigen thümliche Be-
handlung auch der römischen und italischen Religion d. h. ihrer
nationalen Bestandtheile möglich geworden; hat Niebuhrs Ansicht
von der lateinischen Sprache als sei sie eine Mischsprache, sein
Glaube an ein nationales Epos der Römer auch wieder aufgegeben
werden müssen, so wurde doch in seinem Werke über die römische
Geschichte zuerst der Weg gewiesen, auf welchem die Späteren
das Richtige finden konnten. 0. Müller hat das Verdienst in
seinem Werke über die Etrusker (1828) den ersten bedeutenden
Fortschritt gethan zu haben; es wurde hier zum erstenmal ein
nach allen Richtungen ausgeführtes Bild von diesem merkwürdigen
Volke gegeben und darin auch von seinen Glauben und seinen
Göttern ausführlich gehandelt, dabei aber auch das übrige italische
») Eckhel D. N. VII p. 28 sqq.
•) [Aach auf diesem Gebiet haben die Entdeckungen der zwei letzten
Jahrzebende einen Umschwung hervorgebracht. Namentlich sind die auf den
römischen Hauscultus bezüglichen Wandbilder von Pompeji und zerstreuten
plastischen Denkmaler von Wichtigkeit geworden (vgl. Vesta, Laren, Penaten,
Iren ins, Epona , Silvaaus). Die neuerdings besonders von Brunn (Anaali
dell' inst. 1866, 407 ff. vgl. Heibig das. 1855, 262 ff.) aufgestellte Annahme
einer selbständigen 'altitalischen' Kunst ist eng verflochten mit der Frage nach
der Stellung der Etrusker zu den Italikern (obeo). Die Geschichte der
römi scheu Kunst ist, wie die der römischen Litteratur, die Geschichte der
Aneignung der griechischen Vorbilder (Jordaa Annali 1872, 54 f.): Für die
übrigen Stämme reichen einstweilen die dürftigen Denkmälerreste nicht aus
um zu entscheiden, inwiefern sie selbständig erfunden haben. Näher kaoo hier
darauf nicht eingegangen werden. — Vgl. Detleffsen De arte Romanorum auti-
quissima, I — III Progr. Glückstadt 1868. 1880 Urlichs Die Malerei in Rom vor
Cäsars Dictatur, VIII. Progr. z. Stiftungsfeier des Wagnerschen Kunstinstituts,
Würzburg 1876 (vgl. unten zu 208)].
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46
EINLEITUNG.
Alterthum, seine Dialekte und seine Götter, eingehender als es bisher
geschehen war berücksichtigt. Weiterhin erschien von J. A. Härtung
die Religion der Römer, Erlangen 1836, 2 Bde., ein Buch in
42 welchem die nationale Selbständigkeit und eigentümliche Wichtigkeit
der römischen Religion zuerst erkannt und insofern auch die Aufgabe
der Untersuchung richtig erfaßt wurde 1 ). Demselben Gesichtspunkte
folgten bald darauf die Untersuchungen, von R. H. Klausen, nament-
lich in seinem Hauptwerke: Aeneas und die Penaten, die italischen
Volksreligionen unter dem Einflufs der griechischen, Hamburg und
Gotha 1839, 2 Bde., nehmlich dafe die Eigentümlichkeit des
italischen Götterglaubeus durch den Einflufs der griechischen Bildung
. und Mythologie ganz entstellt sei und den gangbaren Ueberlieferungen
der Römer durch mühsame Untersuchung wieder abgewonnen werden
müsse; nur dafs die Ausführung und nähere Begründung dieses
Satzes in dem engen und künstlichen Zusammenhange der Aeneas-
sage und hinsichtlich der Methode viel zu wünschen übrig läfst.
In einer andern Richtung bewegen sich die Untersuchungen von
L. Krahner, welcher namentlich auf die Wichtigkeit der Schriften
Varros und auf die verschiedenen Epochen der römischen Staats-
religion hingewiesen hat, und die von J. A. Ambrosch, welcher
in seinen Untersuchungen über den Zusammenhang der römischen
Stadtgeschichte mit der Geschichte der älteren Gülte, so wie in
denen über die römischen Priesterthümer und die Religionsbücher
der Römer, gleichfalls vieles Wichtige zuerst anregte. Andre Forscher
haben auf Veranlassung einzelner Schriftsteller gewisse Abschnitte
der sacralen Alterthümer behandelt, wie namentlich R. Merkel in
seiner Ausgabe von Ovids Fasten, Andre, namentlich A. Schwegler
in seinem Werke über die Römische Geschichte im Zeitalter der
Kniöge, Tüb. 1853. 8, mit dem römischen Alterthum auch die
Sagengeschichte von Rom und Latium auf lehrreiche und anregende
W T eise beleuchtet. Endlich ist neuerdings von Marquardt ein
Buch über den gesammten Gottesdienst der Römer erschienen,
*) „Von der gröfsten Wichtigkeit scheint Ein Resultat, welches aus dieser
Untersuchung hervorgeht, dafs nehmlich die römische Religion des klassischen
Zeitalters unter dem Einflüsse fremder Götterhimmel mit ihren Sagengeschicliten,
besonders des griechischen, völlig verändert und sich selbst entfremdet worden
war. Es ist ein alter Tempel von einem Ueberbau verhüllt worden, sodann
sind beide eingestürmt, und wir haben nun die Trümmer des ersteren Gebäudes
unter dem Schutte des zweiten hervor^ugraben."
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DIE RÖM. MYTHOLOGIE SEIT NIEBUHR.
47
welches auch für unsre Zwecke ein reiches Material darbietet. Aufser
den eigentlichen Studien des römischen Alterthums aber sind auch
die neuerdings mit so vielem Erfolge betriebenen der vergleichen- «
den Linguistik und die der vergleichenden Mythologie für unsre
Aufgabe von grofser Wichtigkeit, zumal da die Quellen sonst so
spärlich fliefsen und vieles Alte und Ursprüngliche, oft das Wichtigste,
ohne die Hülfsmittel jener beiden vergleichenden Studien gar nicht
erkannt werden kann. Das eine führt auf die alten Wortstämme
der Götternamen eingehend zu dem Ursprünglichen der dabei zu
Grunde liegenden Vorstellung, welche durch die falsche Etymologie
und deutelnde Willkür der Alten oft ganz verloren gegangen war.
Das andre lehrt durch Vergleichung verwandter Religionssysteme,
namentlich der auch in der Sprache verwandten Völker, das in der
Ueberlieferung des einen Volks Verdunkelte oft auf überraschende
Weise aufklären
*) [Versuche verschiedener Art io deo bezeichneten Riehtungen z. B. von
Preuner Hestia - Vesta , Tüb. 1864, von Roscher Studien z. vgl. Mythologie d.
Griechen nnd Römer I (Apollon u. Mars) II (Juno u. Hera) L. 1873. 1875.
Ein Beispiel der Erklärung uralter 'italischer Mythen' mit Hilfe von noch
lebendigen (besonders südslavischen) Volksgebrauchen giebt Usener Rhein.
Mus. 30, 182 ff. — Etymologien : unten S. 48].
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ERSTER ABSCHNITT.
Theologische Grundlage.
«* Auch der römische Götterglaube ist wesentlich ein polythei-
stischer; ja es ist oft von älteren und neueren Schriftstellern her-
vorgehoben worden, dafs nach der Zahl ihrer Götter zu urtheilen
die Religion der Römer noch weit mehr Polytheismus gewesen sei
als die der Griechen. Und dennoch möchte man andrerseits be-
haupten, dafs eine gewisse Hinneigung zum Monotheismus, die
keinem polytheistischen Göttersysteme völlig abgeht, hier weit mehr
bemerkbar ist als dort, wo die Mythologie und die bildende Kunst
zuletzt die Individualität und Characteristik der Götter dergestalt
verhärtet und verdichtet hatte, dafs vor lauter Mannichfaltigkeit der
sinnlichen Erscheinung eine geistige Auffassung sehr schwierig werden
mufste. In Rom dagegen d. h. in seinen religiösen Gebräuchen
von altitalischem Ursprünge ist die allgemeine Vorstellung der Gott-
heit immer weit flüssiger geblieben; die göttliche Natur erscheint in
diesen Gebräuchen, indem sie bei einzelnen Namen und Beinamen
angerufen und nach der jedesmaligen besondern Beziehung auf
Menschenleben, Landbau u. s. w. so oder so benannt wird, weit
mehr als ein geistiges Fluidum, welches durch alle Natur und alle
Lebensformen ausgebreitet ist und die verschiedensten Gestalten an-
nehmen kann, ohne darin noth wendig und ein für allemal zu ver-
harren. Man würde deshalb den Götterglauben der Römer richtiger
Pandämonismus nennen als Polytheismus, und unwillkürlich wird
man, sobald man sich eingehender mit diesen alten Formeln und
Gebeten ihres religiösen Grundgesetzes beschäftigt, an jene Pelasger
46 von Dodona erinnert, welche nach Herodot vor Homer und Hesiod
weder Eigennamen noch Beinamen im Sinne Homers und Hesiods
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DIE GÖTTER.
49
d. h. keine nähere mythologische Umschreibung und Bestimmtheit 46
ihrer Götter gekannt hätten. Auch sind in der That die meisten
Namen der ältesten römischen Götter, wie wir gleich sehen werden,
von so unbestimmter und schwankender Bedeutung, dafs sie für
persönliche Eigennamen kaum gelten können.
Im Allgemeinen ist zu unterscheiden zwischen den persönlich
gedachten Göttern, für welche die römische Sprache den Namen dei,
(Iii, divi hat, und den geisterhaft wirkenden Dämonen, welche
Genien, Laren, Manen, Penaten u. s. w. genannt wurden und
nicht sowohl an und für sich eine eigne Persönlichkeit haben als
dadurch erst bekommen, dafs sie sich mit gewissen Menschen, Völ-
kern, Städten und Stätten, oder auch mit gewissen Funktionen des
menschlichen Lebens oder dessen Geschäften identificiren. Eine
dritte Klasse bilden die Semonen und Indigeten, welche sich
noch am ersten mit den griechischen Heroen vergleichen lassen und
hin und wieder wirklich mit ihnen identificirt haben, eine vierte die
untergeordneten Collectivgottheiten der freien Natur, die Faune und
Silvane, Lymphen und Viren, welche meist als dienende Umgebung
der höheren Gottheiten erscheinen 1 ).
1. Die Götter.
Dei sind, wie schon Varro 1. 1. V, 66 richtig erklärt 8 ), eigentlich
die Lichten, die Himmlischen, denn der Himmel ist nach
einer alle Naturreligionen durchdringenden Ueberzeugung der Sitz des
Lichtes und die höchste Quelle alles Lebens, aller Macht und Herr-
lichkeit in allen Dingen. Es ist derselbe Stamm, welcher bei dem
*) [Diese Klassificiruog ist unhaltbar : dagegen spricht schon der technische
Gebrauch dei manes, penates (welche zu vgl.); der Begriff 'dienende Gottheiten'
ist ein relativer und willkürlich begrenzter. £ine — hier nicht durchführbare —
Klassificirung müfste einerseits von der römischen Staatstheologie (dei certi,
incerti, selecti), andrerseits von der vergleichenden Mythologie ausgehen. Vgl.
unten Zwölfgötter, dei magni, minuti, und über divi die A. z. S. 50].
*) Der Himmel sei der Ursprung aller Dinge und die höchste Macht. Das
beweise der altere Name des Iupiter Diovis und Diespiter d. i. Dies Pater
[s. Diovis, Diespiter], a quo dei dkti qui inde (d. h. welche daher, coelitus
stammen), et dies [so F.] et divum unde sub divo DiusFidius u. s. w. [Lachmann
zu Lucr. IV, 21 schreibt et dius et divum, von welchen Nominativen sub dio,
sub divo komme. Diese beiden Formen finden sich aufser in den von Lach-
mann aa. St. St. z. B. in Acte arv. 7. Jau. 101. 108.].
Prell er, Rom. Mythoi I. 3. Aufl. 4
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50
ERSTER ABSCHNITT
Namen des griechischen Zeig und des römischen Jupiter, d. i.
eigentlich der himmlische Vater, zu Grunde liegt und auch bei den
generellen Benennungen der indischen devas und der griechischen
#foi den Wurzelbegriff bildet 1 ); ein Begriff, in welchem sich die
46 sinnliche Vorstellung von dem strahlenden Glänze des Himmels und
dem beseelenden Tageslichte mit der religiösen von göttlichen Wesen
die über alle irdischen Dinge erhaben und vollkommner und seliger
als alle irdischen Dinge sind, zu einem Ganzen verschmolzen hat.
Wie wesentlich in den italischen Religionen diese Vorstellung zu
der göttlichen Natur überhaupt gehörte, beweist der Umstand, dafs
nicht allein die eigentlichen Götter und Mächte des Himmels Janus,
Jupiter, Juno, Diana danach benannt sind, sondern auch Gottheiten
der Erde und des Getreidesegens z. B. die Dea Dia der Arvalischen
Brüder, welche von der Ceres, der schöpferischen Göttin des Ackers
nicht wesentlich verschieden gewesen sein kann.
Unterschieden werden die Götter nach den verschiedenen Ge-
bieten des Naturlebens, welches sie vertreten, namentlich nach den
beiden Hauptgebieten des Himmels und der Erde, auf welchen
Unterschied auch Varro oft zurückkommt, nur dafs seine au diese
Zweitheilung geknüpften Betrachtungen weit mehr der stoischen
Theologie als dem wirklichen Sinne der alten Naturreligion ent-
sprechen (S. 33). Die Götter der See, welche in der griechischen
8 ) [Sieber ist die Abstammung von Subst. deus Adj. divus (alt deivosj
devot) f substantivisch im Plur. divi, von iudog. W. div 'leuchten' (Corssen A.
2», 339 Curt. Et. 6 236 Max Müller Vöries. 2, 386 ff.), streitig das Verhältuifs
von deus zu Vtoe (Curt. a. 0. 513 ff. M. Müller Essays 4, 444 ff), nicht völlig
aufgeklärt das Vcrhältnifs des dem griech. tfioc gleichen uralten adj. diu* {den
dia, diu* fidius, fulgur dium), vgl. dialis, diana, zu divus, vgl. divinu* (auf der
unten zu II, 1 a. archaischen luschrift deina, dinai = divind, divinae). Eben-
falls von div Diovis, wahrscheinlich Ianus (unten). — Der Name Diovis, und das
Adj. devus sind Umbrern, Oskern (bei ihnen auch ein davon abgeleitetes Verb.
deiv-aum, frcia{siv), Volskern gemeinsam, während die Etrusker Juppite r Tinia ,
(nicht = Ianus), die Götter angeblich aesar nannteu. Hängen mit letzterem die
übrigens durchaus nicht sicher erklärten italischen Wörter aisos (altmarsisch),
esaristrom (volsk.), esune (umbr.) zusammen, so müsste etr. aesar als Lehnwort
angesehn werden (vgl. Corssen A. 1 *, 375 Spr.d. Etr. 1, 634; Müller-Deecke Etr. 2,
83. 500). — Auch der Gebrauch von divi, divus ist noch ungenügend behandelt:
wie hei Homer 6ios scheint divus ursprünglich allein oder vorwiegend mit weib-
lichen Götternamen verbundeu vorzukommen; daher wohl sei deo sei deivae C. 1. L.
1, 632. Verschieden davou divus pater, diva mater mit folgendem Namen; ebenso
Iovi Sat. deivos der archaischen Inschr. Annali 1880, 178.]
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DIE GÖTTER
51
Mythologie von solcher Bedeutung sind, dafs auch ihnen ein eigen-
thumliches, von vielen individualisirten Kräften und Erscheinungen
belebtes Gebiet eingeräumt wurde, blieben für die ältere italische
Volksauschauung so unbedeutend, dafs eine besondre Klasse für sie
gewöhnlich nicht angenommen wurde. Vielmehr ist das ganze Ge-
biet des Feuchten, Hiefsenden und Strömenden, das Reich der
Flüsse, der Bäche, der Quellen, mit ihren singenden und reinigenden
Lebensgeistern, ihren väterlich waltenden und befruchtenden Dämonen,
in dem Gebiete des Erdelebens mit einbegriffen , zu welchem auch
die Götter des Waldes und der Weide gehören, während andrerseits
die Götter des feurigen Elements, der beseelende und bildende
Vulcanus und der heimathliche Heerd der Vesta, zu dem Reiche der
Himmlischen gerechnet werden mochten. Wohl aber wurde insge-
mein für die verborgnen Mächte der Erd tiefe, bei denen die Saaten
gedeihen und die Geister der Verstorbenen fortleben, eine eigne
Klasse ausgesondert, grade so wie bei den Griechen, wo die Obern
und die Untern auch den gewöhnlichen Gegensatz bilden. Dem
entspricht im Lateinischen die geläufige Eintheilung der Götter in
Superi und lnferi 1 ), welche auch im Gottesdienste bei vielen
örtlichen und ritualen Einrichtungen, wodurch dem religiösen Ge-
danken die Richtung nach der Höhe oder nach der Tiefe gegeben 47
werden sollte, zu Grunde liegt. Dazwischen pflegen sich, wo eine
mittlere Klasse unterschieden wird, die Gottheiten der Erde einzu-
schieben, z. B. in der alten Formel der Fetialen bei Liv. I, 32 Audi
lupiter et tu Iane Quirine 2 ) diique omnes caelestes vosque ter-
restres vosque infern i audite. Eine alterthümliche Benennung
für diese mittlere Klasse war die der dii medioxumi, wie es
namentlich beiPlautusCistell.il, 1, 36 heilst: ita me di deaeque,
superi atque inferi et medioxumi d. h. medii, in welchem
Sinne auch Varro den Ausdruck gebrauchte 8 ). Erst spätere, vou
den dämonologischen Theorien ihrer Zeit bestimmte Schriftsteller
') Vgl. Drakeoborch zu Liv. I, 32, 9.
*) So liest Perizonius mit Recht [?] für luno, Quiriae.
8 ) Non Marc. p. 141. Vgl. Serv. V. A. III, 134 quidam aras superorum
deorum volunt esse, medioximorum i. e. vutrinorum focos , inferorum vero
mundos, wo die dii tnarini die &aldootoi der Griechen sind. (Dies bangt mit
einer von Serv. zu Ecl. 5,66 schlecht referirten Lehre des Varro zusammen :
dis superis altaria, terrestribus aras, inferos focos dicari, über welche vgl.
Lübbert, Quaestiones pontificales, Berlin 1859, S. 87 ff.].
4*
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52
ERSTER ABSCHNITT.
gebrauchen den Ausdruck medioxumi für die in der Mitte zwischen
den Göttern und Menschen schwebenden Geister, vgl. Apulej. d.
dogm. PI. I p. 204 Oud. [c. 11 p. 73 Goldbacher; aus ihm] Serv.
V. A. VIII, 275, Martian. Cap. II, 154.
Obwohl die italische Mythologie weder den seligen und ewig
heitern Olymp noch den finstern Hades kannte, so ist doch ein ge-
wisser qualitativer Unterschied zwischen diesen Götterklassen, wie
er in dem Eindruck, den jene verschiedenen Naturgebiete auf das
menschliche Gemüth machen, tief begründet ist, recht wohl zu be-
merken. Die himmlischen Götter sind ganz vorzugsweise die wohl-
wollenden und helfenden, die herrschenden und heiligen, auch die
schöpferischen Götter alles Anfangs und aller Beseelung, daher
Ennius sie gelegentlich die dii genitales nannte, d. h. die Ursprungs-
götter, von denen Alles abstammt 1 ). Aach war das Bild, das man
sich von ihrer Erscheinung machte, ein lichtes und freundliches,
dahingegen die Götter der Tiefe und des Todes natürlich finster
und unhold und von schrecklicher Gestalt sind, danach hin und
wieder dii aquili d. h. fusci, atri benannt wurden und in ent-
sprechender furchtbarer Erscheinung auch in alten Volkssagen vor-
« kommen 3 ). Vollends aber war der Cultus dort ein eben so freund-
licher und heiterer als hier ein schwermüthiger und grausamer,
daher Einige zwischen diesen beiden Klassen wie zwischen guten
und bösen Göttern unterschieden 3 ). Endlich ist die zwischen beiden
») Eonius b. Serv. Aen. VI, 764 Romulus in cadn cum dis genitalibus
aevum degü. Vgl. Anson. Perioch. Iliad. 4 Iuppiter interea cum dis genitalibus
una Concilium cogit superum de rebus j4chivis. Zu vergleichen genitalia
corpora , genitalia semina d. b. die Elemente der Dinge, die befruchtenden
Stoffe. In einem andern Sinne wird dii genitales von den Göttern der Geburt
und der Entbindung gesagt auf einer Münze der Crispina, Gemahlin des Com-
modus, Eckhel, D. N. VII p. 139. [Vgl. Juno Lucina].
») Der Todesgott [vgl. OrcusJ erscheint nach der Legende der römischen
Secularspiele b. Zosimus IT, 3 p. 65, 13 B. als Tic r*0«T<uo**jc ir\v oiptv, ^fttfun-
pivoc MQfiaii fiiXavi. Auch können die finstern, die schwarzen, die unholden
Götter, von denen einige Schriftsteller wissen, keine andern sein als die des
Todes und der Unterwelt, vgl. Pliu. H. Y II, 17 atri coloris , Arnob. III, 14,
Martian. Cap. II, 164 dii quos aquilos dicunt, Placidi glossae : Di aquili inferi.
Aquilos antiqui ntgros dice.bant fp. 30 Deuerling, vgl. Löwe Prodromus gloss.
lat. p. 296 ff.; aquilus gebrauchen Plautus und Lucilius]. Daher die Furinae
(?] und furvae hostiae, die Furiae und Proserpina furva, Paul p. 84. 93, Valer.
Max. II, 4, 5, Horat. Od. II, 13, 21.
8 ) Aogustin C. D. II, 11 Labeo, quem huiuscemodi rerum peritissimvm
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DIE GÖTTER.
53
in der Mitte stehende Klasse der Feld- und Waldgötter, der Erndte
und Weinlese, der Quellen und Flüsse, wie sie die volksthümlichste
war und in ihrer Natur sich am meisten der W r andel des Jahres
und der irdischen Dinge offenbarte, so auch die mythologisch und
durch Mährchendichtung noch am meisten bewegte. Auch liefe sich
der Cultus und die Festfeier bei diesen Göttern so wenig in Italien
als in Griechenland den derben Scherz und die ausgelassene Lust-
barkeit nehmen, obgleich eine solche Schwermuth und ein solcher
Fanatismus, wie er in Griechenland wesentlich zur Religion der
Demeter und des Dionysos gehörte, dem ernsteren Gemüthe der
alten Latiner und Römer immer widerstanden hat.
Beschäftigen wir uns näher mit den Benennungen dieser Götter,
ihrem Verhalten unter einander und zu der Natur- und Menschen-
welt, ihren verschiedenen Ordnungen, so sind zunächst die Namen 1 )
bei den meisten merkwürdig unbestimmt und blos in allgemeinster
Weise prädicativ. So Janus und Diana, Jupiter und Juno d. i. der
Himmlische und die Himmlische, Faunus und Fauna d. i. der Gute
und die Gute, Bona Dea, Dea Dia, Ceres d. i. die Schöpferische und
viele andere; daher oft die grofse Schwierigkeit einer näheren Be-
stimmung, das leichte Hinüberfliefsen des einen GötterbegrhTs in
den andern, die grofse Geneigtheit vieler von diesen Göttern und
göttlichen Wesen sich ins Griechische übersetzen zu lassen, wodurch
die Vorstellung gleich so viel mehr Festigkeit und Dichtigkeit be-
kam, z. B. Evander und Herkules, welche dem Faunus der Latiner
und dem Semo Sancus der Sabiner entsprachen. Auch gehört da- 49
hin die grofse Sprödigkeit dieser Götter gegen locale und land-
praedicant (es ist der Jurist unter August) unterschied zwischen numina
bona und numina mala. — Malos deos propüiari caedibus et tristibus sup-
plicationibus, bonos autem obsequiü laetis atque iucundü, qualia sunt, ut ipse
aüj ludi, convivia, lectisternia.
l ) [Vgl. die einzelnen Gottheiten. Eine grofse Anzahl Namen kann, da
die Wurzeln sonst im Latein nicht mehr vorbanden sind, nur mit Hilfe der
vergleichenden Sprachwissenschaft erklärt werden. Aber auch diese Hilfe
(umfassender Versuch von Grassmann Zs. f. v. S. 16, 101 ff. 161 ff.) versagt
oft. Es fehlt eine zusammenhängende Untersuchung der adjectivisch gebildeten,
unter denen ältere und jüngere Schichten nach den Snlfixeu zu unterscheiden
sind, sowie die nothwendige Grundlage für eine solche, eine Sammlung uud
Sichtung der zum Theil das Wesen der Götter bezeichnenden zum Theil vou
lokalen Kulten herrührenden Beinamen, soweit dieselben nicht auf individueller
poetischer Erfindung beruhen].
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54
ERSTER ARSCHNITT.
schaflliche Beziehungen, wenigstens soweit sich dieselben in ent-
sprechenden Beinamen und Fabeln auszudrücken pflegen; da bei
den Griechen grade dieses Localisiren der Götterbegriffe nach der
besondern Art und Natur der Berge, Thäler, Landschaften, Städte
eine der wichtigsten Ursachen der Mannichfaltigkeit und so mancher
feineren Schattirung ihrer Mythen und Sagen geworden ist. Aller-
dings ist zu bedenken, dafs wir von dem alten Italien und seinen
örtlichen Gottesdiensten zu mangelhaft unterrichtet sind, um darüber
mit Sicherheit urtheilen zu können. Doch scheint es wohl, soweit
man nach römischen Beispielen urtheilen darf, dafs überall weit
mehr Cultusbeziehungen und die Rücksicht auf das menschliche
Leben die Quelle der Beinamen gewesen sind als landschaftliche
Naturbeziehlingen und ähnliche Umstände, unter welchen die Götter
andrer Religionssysteme auf die örtlichen Bedingungen der Natur
oder Geschichte selbst eingehen und dadurch in ihrem persönlichen
Verhalten bestimmt werden, also als Subjecte eines gewissen Wechsels
von handelnden und leidenden Zustanden auftreten: bei welcher
Auffassung sich der Mythus von selbst bildet und weiter entwickelt.
So zeigt sich das Wesen der italischen Götter auch rücksicht-
lich ihres Verhaltens unter einander und zu den Menschen durch-
aus nicht geneigt zu mythologischer Bewegung; vielmehr verharren
sie auch in dieser Beziehung in einer würdigen und feierlichen, aber
abstracten Ruhe, wie sie wohl bei einem vielseitig ausgebildeten Gottes-
dienste mit seinen Opfern, Anrufungen und Gebeten bestehen konnte,
aber nicht mit der lebendigen Anschauung eines geistreichen phanta-
sievollen Volkes vereinbar war, welches die Götter nicht allein an-
betete, sondern dieselben auch bei seinem Nachdenken und seinen
Ueberlieferungen über die Anlange der Dinge und der Geschichte
überall mit einmischte. Von einer Kosmogonie und Theogonie sind
nur sehr schwache Anfange bemerkbar [oben zu S. 3]; in den Er-
zählungen vom Ursprünge der Nation treten von italischer Seite nur
die Culturgötter auf, Saturnus, Faunus, Pales u. a., welche den
Segen der Agricultur, der Viehzucht, der göttlichen Inspiration be-
deuten, einige gute Genien, einige alte Könige: alles Uebrige, na-
mentlich die Helden mit bestimmten Eigennamen, sind von den
Griechen entlehnt. Unter sich sind die italischen Götter zwar durch
das Geschlecht verschieden: eine Unterscheidung, welche gleich
bei der ersten Begriirsbilduug der Naturreligion und den ersten
so Schöpfungen der Sprache so nothwendig und von selbst mit ein-
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DIE GÖTTER.
55
(liefst, dafs sie allen auf diesem Boden entsprungenen Göttersystemen so
angeboren ist. Auch kamen diese Götter in den älteren römischen Ge-
beten zwar als paarweise und ehelich verbundene vor, die Lua Saturni,
Salacia Neptuni, Hora Quirini, Maia Yolcani und namentlich die
Nerio Marlis 1 ), wie man bei diesem Gotle denn auch von seiner
Liebe zu Minerva und seiner Buhlschaft mit der Mond- und Quellen-
göttin Anna Perenna erzählte, ja selbst von der Liebe des ernsten
Janus zur Juturna, Venilia, Carna und Camasene, von der des Vor-
tumnus zur Pomona, des römischen Hercules zu Acca Larentia und
andern Nymphen wufste und selbst Varro ähnliche Vorstellungen
schon bei den alten Römern anerkennen mufste*). Doch sind diese
Ehen in den meisten Fällen kinderlos, und volleuds fehlt es der
italischen Mythologie gänzlich an dem Sinn für ein solches Princip,
wie in der griechischen der allgemeine Liebesgott Eros wirkt, durch
welches die Götter unter sich und zu den Menschen in eine lebendige
Wechselbeziehung des Geschlechts gesetzt werden und dadurch die
Quelle der genealogischen Dichtung eröffnet wird, welche in der
griechischen Mythologie gleichfalls so aufserordentlich reichlich strömt.
Vielmehr wurden die italischen Götter insgemein als Väter und
Mütter gedacht, im Sinne einer patriarchalischen und einfach ge-
müthlichen Vorstellungsweise, von welcher sich bei den Griechen
und andern Völkern wohl einzelne Spuren 3 ), nirgends aber so viele
*) Gellios N. A. XIII, 23 Comprecationes deutn immortalium, quae ritu
Romano fiunt, expositac sunt in libris sacerdotum populi Romani et in plerisque
antiqtäs orationibus. In his scriptum est: Luam Saturni, Salaciatn Neptuni,
Horam Quirini, Viriles Quirini, Maiam Vokani, Ueriem Iunonis, Moles Martts
Nerienemque Marlis.
2 ) Augustin C D. III, 12 id. Varro dicit — in omnibus generibus deorum
sicut in animalibus mores et Jeminas. Ib. IV, 32 Dicit etiam de generationibus
deitrum magis ad poetas quam ad physicos (die Philosophen) fuisse populos
inclinaios et ideo et sex um et generationes deorum maiores suos i. e. veteres
credidisse Romanos et eorum constituisse coniugia. Der Eifer Andrer gegen
die coniugia und matrimonia deorum, z. B. des Stoikers Baibus b. Cic. Ff. D.
II, 28 und des Seneca b. Augnstin C. D. VI, 10 trifft nur die Griechen.
•) Ztvi naxriQ und dr\ni)xr\a bei deo Griechen, dstn€avQoc, bei den epi-
rotischen Tymphaern nach Hesych. s. v., d. i. wahrscheinlich der italische
Jupiter, Vater bei den Deutschen für Gott, Allvater Odin u. dgl., s. J.
Grimm D. M. 20, nach welchem die Letten beinahe jeder Göttin das Epithet
mähte, rnflhmina d. i. Motter, Mütterchen anhängen. [Dafs der 'Vater Himmel'
der Indogermanen auf einer andern Stufe steht als die im Text weiterhin be-
sprochenen pater zu benannten Götter lehrt unten der Abschn. Jupiter].
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EHSTER ABSCHNITT.
als in der Praxis des römischen Gottesdienstes erhalten hahen.
m Wenigstens mufs in diesem der Zusatz von Pater und Mater zu
dem Mamen des Gottes viel allgemeiner gewesen sein als man nach
den gewöhnlich angeführten Beispielen Iupiler, Marspiter, Liber
Paler glauben sollte, da aus den uns erhaltenen Quellen auch folgende
Fälle feststehen : lanus Pater, Diespiter, Dis Pater, Summanus Pater,
Vediovis Pater, Quirinus Pater, Saturnus Pater, Neptunus Pater
[und eine Reihe von Flufs- oder Lokalgöttern] *), daneben freilich nur
die einzige Terra Mater, doch leidet es keinen Zweifel, dafs auch
dieser Zusatz bei den weiblichen Gottlieiten in alter Zeit gewöhnlich
war 3 ). Ja wir wissen aus Varro, dafs auch in den Indigitamenten
bei den Anrufungen jener vielen kleineren Hülfsgötter der einzelnen
Acte und Thätigkeiten des menschlichen Lebens derselbe Zusatz her-
kömmlich war, und zwar in der verwandten Formel Divus Pater
und Diva Mater 3 ), aus welcher ersten im gemeinen Sprachgebrauche
*) So führte Lucilius in seiner Götterversammlung eioeo Gott redend ein:
llt nemo (nemo ut L. Müller) sit, nostrum quin aut pater optima' divum, Aut
Neptunu? pater, Liber, Satumu' pater, Mars, Ianu' , Quirinu' pater siet ac
dicatur ad unum, s. Lactant. lust. IV, 3, 12. Vgl. Gell. N. A. V, 12 nach
alten Gebetsformeln: Sic et Neptunuspater coniuncte dictus est et Saturnuspater
et Januspater et Marspater, hoc enim est Marspiter, itemque Iovis Diespiter
appeilatus. [Ueber Tiberinus pater unten VIII, 2: Widmungen Turpeno patfri]
(C. I. L. I, 1541 p. 562), Albsi patre (Eph. epigr. II, 198) — beide wohl
Flursgötter — Pado patr[t] (Boll, dell' inst. 1876, 85), sämmtlich archaiseh; über
Reatinus pater unten XI, 2. Auch der divus pater Falacer, von dem der
Flamen Falacer benannt war (Varro V, 84), wird ein Flufsgott sein.]
*) [Dafs der Beiname mater in ältester Zeit verbreiteter gewesen ist,
das beweist die alte Iuno sispes mater regina, Lua mater (Liv. XLV, 33),
mater Matuta, und die umbrische Cupra mater = bona mater der von Corssen
Zs. f. vgl. Spr. 20, 81 ff. behandelten Inschrift (cubrar matrer u. s. w.). Ein
Ersatz dieser Bezeichnung mag der stehende Beiname alma sein, welchen Ceres
(Verg. G. I, 7 Vita Aureliani 48 Heoz. 5717), Maia (Hör. C. I, 2, 43), Pales
(Ov. F. IV, 723), Venus (vicus Veneris almae in Rom, vgl. geiietrix) , Fides
(Eonius bei Cic Off. 3, 29, 105; Gedicht aus dem 1. Jahrb. auf einem Brun-
disiner Stein Bull. d. i. 1872, 30), fausta Felicitas (das ist alma Faustüas bei
Hör. C. IV, 5, 17) fuhren. Dagegen stehen wohl die unten III, 3 besprochenen
matres und matronae aus dem keltisch -germanischen Gebiet (S. 257) aufser
historischem Zusammenhang mit der ältesten italischen Bezeichnung mater.
Vgl. die ff. A. und Klausen Aen. S. 869 ff. — Auch kommt das Epitheton bei
männlichen Göttern vor: vgl. Sol, Iupüer, Dies (Hör. C. II, 7, 7).] ,
*) August in C. D. VII, 3 [p. 277 Dom.] Vnde dicit etiam ipse Varro, quod
Diis quibusdam Patribus et Deabus Matribus sicut hominibus ignobilüas
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DIE GÖTTER.
57
nicht selten Iupiter geworden zu sein scheint, z. B. Iupiter Indiges
für Divus Pater Indiges, Iupiter Clitumnus für Divus Pater Clituinnus,
Iupiter Ruminus, neben welchem die Diva Rumina angerufen wurde,
für Divus Pater Ruminus iL s. w. So erklärt es sich auch wohl
am besten, wie Varro in seinen Satiren von dreihundert Jupitern
sprechen konnte 1 ); vermuthlich dachte er dabei an eben jene sehr
zahlreichen Divi Patres d. h. eben so viele dii minuti von unter-
geordnetem Range, welche er mit grofser Mühe aus den bald näher
zu besprechenden Indigitamenten zusammengesucht hatte.
Sehr characteristisch ist der häufige Gebrauch des Wortes
numen für Gott, da dieses Wort weit mehr unserm Begriffe der
Gottheit im Sinne einer abstracten Macht als dem eines per-
sönlichen Gottes entspricht. Numen ist nehmlich eigentlich nur sa
die Machtäufserung eines Gottes oder eines geistigen Wesens in
der Natur oder der von menschlicher Thätigkeit bewegten Welt,
von nuere in der bekannten Bedeutung der zustimmenden Be-
wegung des Hauptes, die durch die erhabenen Verse der Ilias I, 528
vom Olympischen Zeus so berühmt geworden ist 8 ). So erklärt na-
mentlich Varro 1. 1. VII, 85, indem er aus dem älteren römischen
Tragödiendichter L. Attius diesen Vers anfuhrt: Multis nomen
vestrum numenque ciendo und dabei erklärend hinzufügt:
numen dicunt esse imperium, dictum a nutu [quod cuius nutu]
omnia sunt, eius imperium maximum esse videatur. Itaque in
luve hoc et Hontems et annalis et aliquotiens Livius 3 ) d. h. der
accidissei , w obei nur die Götter der Indigitamenta gemeint sein können. Vgl.
ib. VI, 10 [p. 269 Dom.], wo Augustin diese Götter, bei denen Varro keine
männliche oder weibliche Hälfte hinzugefügt hatte, caeltbes und viduae iuruut.
») Tertull. ad. Nat. I, 10 Sed et Diogenes nescio quid in Herculem lusit
et Romani stili Diogenes Varro trecentos Ioves seu luppiteres dicen-
dum est sine capitibus indueü. Vgl. Tertull. Apolog. 14 und Oehler Varr-
Menipp. p. 48. 238 sq., Tertull. Vol. 1 p. 171. [Roeper im Philologus 18, 419.
Riese zu Varr. Sat. S. 10. 31. 239. Die Identität von divus pater und Iuppiter
bestreitet Reifferscheid Annali dell'inst. 1866, 216. Vgl. unten S. 175.]
*) Vgl. auf einem andern Gebiete Liv. V, 22, von dem Transporte des
Bildes der Juno Regina von Veji nach Rom: Dein cum quidam seu spiritu
divino tactus seu iuvcnali ioco „visne Romam ire lunoV 1 ducisset, adnuisse
eeteri deam conclamaverunt.
s ) So ist diese Stelle verbessert worden von Lachmann z. Lucret. p. 111-
Bei den Annales wäre zu denken an die des Ennius, aus denen Lachmann den
bekannten Vers anführt: Iuppiter hic risit tempestatesque serenae Risertmt
omnes risu Iovis omnipotent is.
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58
ERSTER ABSCHNITT.
alte römische Dichter und Uebersetzer der Odyssee Livius Androni-
cus. Wie in jener Stelle des Attius offenbar eine höchste mensch-
liche Autorität vorausgesetzt werden mufs, so wird es auch bei
Liv. VII, 30, 20 von dem römischen Senate gebraucht: Adnuite
patres conscripli nutum numenque vestrum invictum Campanis,
und Lucretius III, 144 sagt mentis numen von der Herrschaft
des menschlichen Geistes, während unter den Kaisern oft vom
numen Augusti die Rede ist, welchem auch Altare errichtet
wurden. Gewöhnlicher aber ist der Gebrauch des Wortes von dem
unsichtbaren Walten der Götter, entweder von der höchsten Gott-
heit im Allgemeinen, oder von einzelnen Göttern, s. Cic. d. Fin.
IV, 5. 11, wo er von dem Eindruck des gestirnten Himmels auf
das menschliche Gemüth spricht, wie sehr dieses zugleich von De-
muth und von Zuversicht durchdrungen werde, cum cognitum
habeas quod sit summi rectoris ac domini numen, quod consilium,
quae voluntas, und von der göttlichen Vorsehung im Allgemeinen
pro Mil. 30, 83 nec vero quisquam aliter arbitrari potest nisi qui
nullam vim esse ducit numenque divinum. Dagegen ein merk-
würdiges Beispiel für den Gebrauch von der Willensäufserung eines
einzelnen Gottes diese Inschrift aus Tereventum ist bei Mommsen
I. N. n. 5162: P. Florius u. s. w. Dianae numine iussu posuit 1 ).
bs Sehr oft, ja mit besonders prägnantem Ausdruck wird es ferner
von den Offenbarungen der Götter in den verschiedensten Kreisen
des Naturlebens gebraucht, z. B. bei Horaz, wenn er Od. III, 10, 7
von Jupiter als dem Gotte des Himmels sagt : (Sentis) et positas
ut glaciet nives puro numine Iuppiter, und bei Virgil Aen. V,
766, wo es eben so schön vom Meere heifst : quibus aspera quon-
dam visa maris facies et non tolerabile numen: namentlich auch
von der unsichtbaren Gottheit eines heiligen Haines und von den
Dämonen der Gebirge und Wälder, für welche die Alten immer ein
sehr lebendiges Naturgefuhl gehabt haben, z. B. Ovid. Met. I, 320
Corycidas nymphas et numina montis adorant, und Ders. Fast. III
*) [Preller fährte hier noch an dafs auf dem Constantinsbogen in Rom
an der Stelle der Worte instinetu divinüaUs ursprünglich natu low* o. m.
gestanden habe. Diese von Borghesi anderen Gewährsmännern entlehnte Be-
hauptung (von Benzen zu Or. 1075 referirt) ist durch De Rossis Untersuchung
der Inschrift (Bull, di arch. crist. 1863, S. 57 ff.) als irrig nachgewiesen
worden (vgl. Henzen, Bull. d. i. 1863, 183 ff. 1864, 156f.). Dagegen mögen
theil weise die unten S. 75 a. Widmungen an numina hierher gehören.]
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■
die Götter. 59
295 Lucus Aventino suberat niger ilicis umbra, Quo posses viso
dicere: Numen inest. Ders. Am. III, 1, 1 Stat vetus et densa
praenubilus arbore lucus, Aspice, concedas numen inesse loco,
endlich Plinius H. N. XII, 3 quin et SUvanos Faunosque et deorum
genera silvis ac sua numina tanquam et caelo attributa crediraus,
welcher Schriftsteller ein andermal sehr schön von der Alles bele-
benden Naturmacht der Sonne sagt II, 13 hunc (Solem) mundi
esse totius animum ac planius m entern, hunc principale naturae
regimen ac numen credere decet 1 ). Und so scheint es denn
auch in dem römischen Cultus vorzugsweise von den untergeord-
neten Göttern gebraucht zu sein, in welchen sich die durch die
ganze Natur und Welt verbreitete Gottheit wie in eben so vielen
einzelnen Kräften offenbart ; wenigstens werden diese in den ponti-
ficalen Indigitamenten zu ganzen liturgischen Reihen zusammen-
gruppirten Götter von den Schriftstellern, welche darüber meist
nach Varro berichten, häufig numina genannt, z. ß. von Censorin
d. d. n. 3 omnes hi semel in unoquoque homine im min um s Ho-
rum effectum repraesentant d. h. sie zeigen ihre göttliche Thätig-
keit bei jedem Menschen in seinem Leben nur einmal, während
der Genius durch das ganze Leben hindurch sein unsichtbarer Be- 64
gleiter und Schutzgott ist. Vgl. Serv. Georg. 1,21, wo es von
denselben göttlichen Kräften heifst: nomina numinibus ex ofliciis
constat imposita, und Augustin C. D. VII, 2, wo den eigentlichen
Haupt- und Cultusgöttern des römischen Staates, welche Varro dii
selecti nannte, entgegengesetzt wird illa quasi plebeia numinum
multitudo minutis opusculis deputata: daher auch bei Varro in
einem bei Non. Marc. p. 167 erhaltenen Bruchstücke seines Catus
vel de liberis educandis betitelten Buches gewifs zu schreiben ist:
Hisce numinibus (für manibus) lacte fit, non vino % Cuninae
propter cunas, [Ruminae propter rumam d. i. mammam. Und in
der That werden wir sehen, dafs die römische Religion grade auf
der Stufe ihrer Entwickelung, welcher die gewöhnlich dem Numa
zugeschriebenen Indigitamenta entsprechen, noch weit mehr pan-
*) Tacitus Aon. II, 17 gebraucht das Wort sogar von einer begeisternden
Erscheinung von aebt Adlern vor eioer Schlacht der Römer mit den Deutschen:
Interea puleherrimum augurium, octo aquilae petere Silvas et intrare visae im-
peratorem ( Germonictnn J advertere. Exclamat, t'rewf, sequerentur Romanos aves,
proprio legionutn numina, mit BeziehuDg auf die Legionäradler.
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60
EHSTER ABSCHNITT.
theistisch gestimmt war als polytheistisch d. h. dafs die Zahl der
höheren Cultusgötter mit persönlichen Eigennamen, eignen Priestern
D. s. w. damals noch eine sehr geringe war, die dieser göttlichen
Kräfte dagegen, welche das menschliche Leben unsichtbar um-
schweben und nur in einer besondern Beziehung auf dasselbe für
das Gebet und den Cultus personificirt wurden, eine um so gröfsere,
ja unbegrenzte.
Auch in der Art und Weise, wie sich sonst die Götter offen-
baren und mit den Menschen verkehren, zeigt sich überall dieses
pantheistische Grundgefühl, welchem das griechische Volk durch sei-
nen Polytheismus weit mehr entfremdet wurde. So ist namentlich
der Schicksalsglaube in allen seinen Gestaltungen, sowohl der Fortuna
als das Fatum, der Orakel und aller möglichen Mittel der Divination
in Italien immer aufserordentlich lebendig gewesen und geblieben,
namentlich auch der Glaube an göttliche Vorbedeutungen, War-
nungen, Mahnungen, die in den verschiedensten Formen und Arten
auftraten und in Rom bekanntlich einen so weit ins Einzelne
ausgebildeten Wunder- und Aberglauben zur Folge hatten , wie
er auf solcher Stufe der Civilisation sonst unerhört ist. Denn
niemals oder doch nur ganz ausnahmsweise treten die römischen
und italischen Götter persönlich unter das Volk, wie die grie-
chische Demeter und Dionysos , wenn sie den Ackerbau und
den Weinbau stiften, Minerva, wenn sie den Oelbaum pflanzt,
Poseidon, wenn er das Rofs zähmt, oder Apollo und andere
Götter in ihren Epiphanieen , sondern immer wirken sie nur
mittelbar durch Zeichen und .Wunder, Misgeburten, Erdbeben,
Sonnenfinsternisse, aufserordentliches Brausen der Luft u. s. w.,
abgesehen von den regelmäfsigen Beobachtungen des Vögelflugs und
66 des Angangs der Thiere oder der Blitze und der Eingeweide: so dafs
in dieser Hinsicht auch für den Römer die ganze Natur von Göttern
und Geistern durchdrungen war, nur dafs ein Glaube ihn wohl zum
Aberglauben und zum opus operatum anleiten konnte, aber nicht
zu Kunst und Wissenschaft. So hört man auch sehr oft von re-
denden Thieren und von geisterhaft erschallenden und schwer zu
deutenden Stimmen der Götter, mit denen sie ihren Willen aus den
Hainen und Wäldern oder von den Bergen herab und aus ihren
Tempeln unter die Menschen rufen, wie solch ein Ruf nach der
Zerstörung Alba Longas von der Höhe des heiligen Berges über der
Stadt erscholl, der über die Vernachlässigung des alten Gottes-
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I
DIE GÖTTER. 61
dienstes klagte , ein andrer aus dem Tempel der Juno Moneta,
welcher bei einem Erdbeben eine trächtige Sau als Sühnopfer for-
derte 1 '), ein andrer aus dem Haine der Vesta, der vor dem Ein-
falle der Gallier warnte, daher man später an derselben Stelle einen
Altar des Aius Locutius d. h. des Sagers und Sprechers er-
richtete 8 ), endlich viele Stimmen der Faune und Silvane aus dem
einsamen Dickicht des Waldes, welche bald die Herzen der Dorf-
bewohner mit süfsem Zauber bald die der Feinde mit wildem
Schrecken erfüllten. Und zwar sind es natürlich immer ganz be-
sonders die eminenten Naturerscheinungen, Erdbeben, Sonnenfinster-
nisse u. dgl., welche den Staat und seine Priester am meisten in
Bewegung setzen, wo es denn wieder sehr characterisüsch ist, dal's
bei solchen Gelegenheiten, namentlich bei Erdbeben, die Ursache
nicht auf einem bestimmten Gott zurückgeführt wird, wie die
Griechen in solchen Fällen zu ihrem Poseidon Asphalios zu beten
pflegten, sondern es wurde in Rom der dann immer beschlossene
Feiertag ohne nähere Bestimmung des zu versöhnenden Gottes an-
gesagt, und, war ja bei diesem Feste ein Versehen vorgefallen, das
dadurch nöthig gewordene Sühnopfer unter der Formel si deo
si deae dargebracht: so wenig getraute man sich den Namen
oder das Geschlecht des Gottes, welcher das Erdbeben veranlafst
haben könnte, zu bestimmen 3 ). Eine Gewissenhaftigkeit übrigens, s«
*) Cic. de Divio. I, 45, 101. Zu Satricum im Lande der Volsker rettet
eine vox horrenda edita templo cum tristibus minis den Tempel der
Mater Matuta bei der Zerstörung der Stadt durch die Latiner, Liv. VI, 33.
Vgl. auch Virgil. Ge. I, 476 Vox quoque per lucos vulgo exaudita »i-
lentes Ingens et simulacra modis pallentia miris Visa sub obscurum noctis etc.
a ) [Die Geschichte bei Cic. de div. I, 45, 101 kürzer Liv. V, 32. 50. 52, 11
u. a. (Becker Top. S. 244): Aius Locutius nennt den Gott nur Livius an der
zweiten und dritten Stelle (wo der Veronensis auf alio loco und apatulocutio,
die übrigen iamlocutio und alloculio haben: Mommsen, Livü cod. Veron.
p. 203 f.), sonst heifst er Aius loqttens, Aius; griech. vetbc */>i}^ijf xttl KXnöovtq.
Ueber die Bildung von Aius Corssen Ausspr. 1», 306, über die Lage des
Heiligthums vgl. S. 56 a. 1].
8 ) Gellius N. A. II, 2S Propterea veieres Romani, cum in omnibus aliis
vitae officiis tum in constüuendis religionibus atque in dis immortalibus ani-
madvertendis castissimi caulissimique, tibi terram movüse senserant nuntiatmnve
erat, ferias eius rei causa edicto imperabanl, sed dei nomen ita uti solet, cui
servari ferias oporteret, statuere et edicere quiescebant, ne alium pro alio no-
minando falsa religione populum alligarent. Eas ferias si quis polluisset pia-
culoque ob hanc rem opus esset, hostiam Si deo si deae immolabant, idqtte
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62
ERSTER ABSCHNITT.
st; welche auch sonst in dem öffentlichen Gottesdienste der Römer
d. h. dem unter Oberaufsicht der Pontilices begangenen herkömm-
lich war, da hei allen feierlichen Anrufungen eines Gottes oder bei
Dedication eines Tempels an denselben zu dem gewöhnlichen Namen
hinzugesetzt zu werden pflegte: Quisquis es und Sive quoalio
nomine fas est appellare, so wenig glaubte man durch einen
einzelnen Namen das ganze Wesen des Gottes umschreiben zu
können. Oder man liefs in gewissen Fällen, namentlich in solchen
wo zu verborgenen Göttern und Ortsgenien gebetet wurde, deren
Individualität nicht genau zu bestimmen war, oder absichtlich nicht
näher bestimmt werden sollte, das Geschlecht dahingestellt sein,
entweder mit der schon bemerkten Formel Sive Deo Sive Deae oder
mit den gleichartigen Sive mas sive femina, Si deus si dea
u. dgl. 1 ), woraus man ja nicht die Folgerung ziehen darf, als ob
die Römer auch doppelgeschlechtige Wesen, wie die orientalischen
ita ex de crelo pontifictim observatum esse M. Varro dicit, quoniam et
qua vi per quem deorum dearumve terra tremeret incertum esset. Obwohl bei
Erdbeben gewöhnlich die Götter der Erde angerufen werden, 8. Tellus.
') S. Serv. V. A. II, 351, wo diese Unbestimmtheit der Schutegötter und
Ortsgenien auf die Sitte diese Götter bei Belagerung einer Stadt zu evociren
zurückgeführt und dann hinzugesetzt wird: et in Capitolio fuit clipeus conse-
cratus, cui, inscriptum erat : Genio urbis ftomae sive mas sive femina,
et pontifices ita precabantur : luppiter Optime Maxime sive quo alio
nomine te apellari volueris. [loschr. e. Bleitafel von Arrezzo (Hermes
4, 282 = Wilm. Ex. 2749): uti vos Aquae ferventes si[ve] v[o]s ISimJas [si\ve
quo alio nomine voltis ape[f\lari). Vgl. die Vorschrift bei Cato r. r. 139 für
die Säuberung eines Hains, wobei man so beten solle: si deus si dea es
quoium iliud sacrum est etc. und die Acta fratr. Arv. t. 32, wo in einem
ähnlichen Falle sämmtlichen Göttern des Haines der Dea Dia geopfert wird
und darauf sive deo sive deae, Virginibus divis, Famulis divis etc. und
darauf noch einmal sive deo sive deae, in cuius tuUsla hic lucus locusve est
Fonti, Florae etc., beidemal offenbar örtlichen Schutegöttern. Vgl. Marioi Atti
p. 370 sq. [Henzen Acta S. 144. An der Westecke des Palatins steht eine Ära
mit der Inschrift sei deo sei deivae sac{rum). \ C. Sextius C.f. Calvinus praetor) \
de senati sententia \ restituü (C. I. L. 1, 632 = 6, 110 Abbildung Reber Ruinen
5. 372), welche INibby mit dem templum oder sacellum des Aius Locutius (oben)
identificiren möchte. Allein auch die Lage jener Kapelle (supra aedem f'estae
in novo via) widerspricht wie Visconti u. Lanciani (Guida del Palatino S. 76)
richtig bemerken. Restituirt ist die Ära wie es scheint von dem Sohn des
Consuls v. 630. Zwei andere römische Arae C. I. L. 6, III: sive deo sive deae
und Henz. 5952: sei deus sei dea. — Ueber die zu Grunde liegende Rechtsan-
schauung vgl. Jordan Krit. Beiträge S. 96 f.]
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DIE GÖTTER.
63
Völker und die Griechen, verehrt hätten. Vielmehr liegt in allen
diesen Fällen eine und dieselbe Religiosität zu Grunde, welche das
persönliche Wesen eines Gottes lieber ungewifs läfst als zu eng
umschreibt; wie man denn auch sonst bei Opfern, Gebeten und
Sühnungen immer von dem Glauben ausging, dafs nicht blos der
einzelne Gott, dem die religiöse Handlung zunächst galt, sondern
die ganze Götterwelt solidarisch betrolFen sei, so wenig wagte man
den einzelnen Fall auf diese oder jene besondere Gottheit allein zu- 67
rückzuführen. Man pflegte deshalb nach jedem Gebete zu einem
einzelnen der Götter immer nachträglich alle Götter insgemein an-
zurufen, wofür der Ausdruck galt deos confuse oder generali -
ter invocare 1 ).
Besondre Geschlechter und Ordnungen der Götter, wie man sie
in den mythologischen Systemen andrer Völker findet, werden wir
in dem religiösem Grundgesetze des Numa und den pontificalen Ur-
kunden kaum voraussetzen dürfen, sondern auch hier werden nur
die Formeln des Gebetes eine gewisse herkömmliche Reihefolge und
Gruppirung der Götter herbeigeführt haben. So wurde unter allen
Umständen Ianus, der alte Sonnengott des Anfangs, zuerstgenannt
und Vesta als die Göttin alles heiligen Heerd- und Altarfeuers, bei
welchem gebetet und geopfert wurde, zuletzt, so dafs diese beiden
Götter recht eigentlich das Alpha und Omega des römischen Gottes-
dienstes genannt werden können 2 ). Zwischen ihnen wurden die
übrigen Götter in gröfseren oder längeren Reihen eingeschoben, wie
und zu welchem Zweck man opferte und betete. In den meisten
Fällen folgte gleich auf den Janus der höchste Himmelsgott Iupiter,
welchem, wie Varro sagt, in gleicher Weise alle Majestät gebührte
wie dem Janus aller Dinge Anfang 8 ). In dem alten Göttersyteme
*) Serv. V. Georg. I, 10 Hoc enim in sacris fieri solebat, ut post specialia
od eam rem, de qua agebatur, invocata numina umnes DU velDeae con fuse invo-
carentur. Ib. vs. 21 zu den Worten Dique Deaeque omnes: Posl specialem
invocationem transit ad generalitatein , ne quod numen praetereat, more Pon-
tifieum, per quos ritu veteri in omntbus sacris post speciales deos, quos ad
ipsutn su rum quod fiebat necesse erat invocari, generaliter omnia nutnina
invocabantur. Vgl. zu Aen. VW, 103 und Brisson. de formulis I, 88 und 89
p. 49 sq.
*) Wenn es bei Ovid. Fast. VI, 298 u. A. heilst, Vesta werde zu Anfang
angerufen, so ist dieses vielmehr die griechische Sitte, s. Griech. Mvthol.
1, 271. [347 der 3. Ausgabe.]
•) Bei Augustin C. D. VII, 9 penes lanum sunt prima, penes lovem summa.
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KRSTER ABSCHNITT
des Numa folgten darauf nur noch die beiden obersten Schutzgötter
der vereinigten Römer und Quiriten Mars und Quirinus, daher
Numa auch nur für diese drei Götter Jupiter, Mars und Quirinus
eigne Opferpriester eingesetzt hatte, unter denen der Flamen Dialis
bei weitem der vornehmste war, während die Opfer des Janus von
dem Rex sacrorum dargebracht wurden, der Cultus der Vesta aber
wie die Vestalinnen unter der speciellen Aufsicht des Pontifex
maximus stand: daher dieser in Fallen geistlicher Etikette wie Vesta
beim Opfer zuletzt zu kommen pflegte, der Rex sacrorum aber
immer zuerst 1 ). Später änderte sich dieses System wesentlich da-
durch, dafs Jupiter als Schutzgott des Capitols und des Staates die
beiden Göttinnen Juno und Minerva zu seinen unzertrennlichen
Gefahrtinnen bekam, wenn diese nicht, wie früher Juno allein, bei
dem Jupiter des alten Systems fortan stillschweigend mit einbe-
griffen wurden. Jedenfalls blieben diese drei Götter Jupiter,
Juno, Minerva fortan die angesehensten des römischen Staates,
welche bei jedem feierlichen Gebete gleich nach dem Janus in der-
selben Folge genannt wurden ; [auch waren sie nach Varro die
ältesten 8 ), da namentlich die Sabiner des Quirinais schon vor der
Gründung des Capitols dieselbe Göttergruppe gekannt haben sollen.
Es ist eine Art von höchstem Ausschufs der himmlischen Götter-
welt in Form einer Trias, die höchste Macht, die höchste Weib-
*) Ff st us p. 185 Ordo sacerdotum aestimatur deorum [ordine, ut deus]
maximus quisque. Maximus videtur Rex, dein Dialis, post hunc Martialis,
quarto loco Quirinalis, quinto Pontifex maximus. Itaque in [conviviis] solus
Rex supra omnis accubat, sie et Dialis supra Martialem et Quirinalem, Mar-
tialis supra proximum, omnes item supra Pontificem. Es ist die alte von
Numa eingesetzte Folge der Götter: Janas, Jupiter, Mars, Quirinus, Vesta,
die sich darin bestätigt, dafs die drei ßamines maiores immer in derselben
Folge Flamen Dialis, Marlialis, Quirinalis genannt werden und Janas and
Vesta immer den Anfang und das Ende bilden, vgl. auch Serv. V. A. VIII, 663
Salti — sunt in tutela lovis, Mortis, Quirini and Polyb. III, 25, wo die Fetialen
die Vertrage beschwören beim Iup. Lapis, Mar« und Quirinus. So lange es
Könige gab, werden diese den Cult des Janas und der Vesta besorgt haben,
letzteren freilich auch mit Hülfe der Vestalinnen. Hernach verglichen sieh
der Rex sacrorum und der Poutif. max. in der Weise wie Festus es andeutet.
Vgl. Gellius X, 15, 21, Serv. Aen. II, 2 and die verschiedeaen Erklärungen
von Ambrosch, Mercklin und Marquardt bei Diesem Handb. d. R. A. 4, 187
[Staatsverw. 3, 212].
>) Tertull. ad Nat. II, 12. Varro antiquissimos deos Iovem, lunonem et
Minervam refert. Vgl. Varro L L V. 158.
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DIE GÖTTER.
65
lichkeit, die höchste Weisheit, wie bei Homer gleichfalls Zeus, Apoll
und Athene als die drei höchsten Götter angerufen werden und in
der deutschen und nordischen Mythologie ebenfalls verschiedene
Spuren von drei obersten Göttern nachgewiesen sind 1 ). Neben der
Capitolinischen Trias blieb immer Mars der eigentliche National-
gott der Römer, wahrend Quirinus später mit dem verklärten Ro-
mulus ideulificirt und dadurch zu einem Halbgott herabgesetzt
wurde. Aufserdem wurden je nach der besonderen Veranlassung s»
>) J. Grimm D. M. 98. 102. Es verdient Beachtung und ist ein Bewei)( *"•/
von der hoben Achtung, dessen das weibliche Geschlecht im alten Italien ge-
nofs, dafs von den drei Capitolinischen Gottheiten zwei weiblichen Geschlechts
sind. [Die jetzt allgemeine Aonahme einer italischen Göttertrias ist un-
haltbar. Weder die auch bei den Jtalikern nachweisbare Heiligkeit der
Dreizahl (vgl. z. B. Heindorf zu Horat. Sat. S. 233) noch das quirinalische
Capitol oder gar das aventinensische Dreigötterheiligthum (s. Minerva) noch
endlich die Capitole andrer italischer und spätrömischer Städte begründen
sie. Vielmehr erscheint die capitolioische Trias als eine reine Schöpfung
der Tarquinier, als ihr Abglanz die Entstehung von Dreigötterheilig-
thümern anderer Capitole (s. unten). Dafs in den ältesten römischen Staats-
und Cultnsordnungen 'die gerade Zahl, besonders das Paar und die Zehn'
herrscht, die ungerade Zahl zum Theil nachweislich später eingeführt ist, be-
merkt Mommsen (Chronol. S. 15). Es ist also begreiflich dafs auch der ein-
zige sonst bekannte Dreigöttertempel Roms, Ceres Libera Liber, eine grie-
chische Gründung ist und es werden auch tres Fortunae (s. Fortuna), wenn
anders sie in einem mehr als änsserlich lokalen Zusammenhaag stehen, auf
die griechische Dreizahl der Chariten, Moiren, Hören, Nymphen zurückzu-
führen sein (Jordan, Arch. Zeitung 1871, 79). Diese Dreizahl tritt wie
bekannt (Preller, Gr. Mytb. 1,* 86 f.) in der homerischen Formel 'Zeus Athene
Apollon' wie in den drei Schwurgöttern deutlich hervor, während die römi-
schen Beamten per Iovem deosque penates schwuren (s. bantin. Gesetz- Z. 16,
22. Cic. Acad. pri. 2, 20, 65, Mommsen, Stadtrechte von Mal. u. Salp. S. 460 f.)
und auch in den sonst bekannten lateinischen Schwurformeln (Brisson de form.
8, 8 ff.) sich nirgends die Dreizahl findet. Auch bei den übrigen italischen
Stämmen sind Dreigöttervereine nicht nachweisbar, späte derartige Ver-
bindungen in gemeinsamen Kulten und Tempeln beweisen nichts. — Das
habeas propüeos deos luos (res auf der Wand des Atriums eines Hauses in
Pompeji (C. I. L. 4, 1679) scheint (Jordan Annal. d. i. 1872, 31) auf den
Genius und die zwei Laren zu gehen: vgl. Petron. S. 60. — Es mag hier noch
daran erinnert werden, dafs im Cultus selbst die Verbindung zweier Gottheiten
der Beschränkung unterliegt, dass nur eine von beiden die Herrin des Heilig-
thums ist, dem sie den Namen giebt und dass, wo in Kunstdarstellungen
römische Göttergruppen auftreten, ausser ihrer ideellen Verwandtschaft häufig
nur die lokale Nachbarschaft ihrer Heiligthümer das Motiv giebt (Lübbert,
Memorie doli' inst. 2, 143 ff.).]
Preller, Rom. MythoL I. 3. Aufl. 5
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66 ERSTER ABSCHNITT.
und dem besonderen Culte die andern Götter in längeren oder
kürzeren Reihen angerufen, wie davon die Urkunden der Arvali-
schen Bruder und andre sacrale Urkunden allerlei Beispiele an die
Hand geben. Auch die Redner und andre öffentliche Verhandlungen
pflegten wohl mit einer feierlichen Anrufung der höchsten Götter
des römischen Staates zu schliefsen *), daher noch Vellerns Pater-
culus seine Geschichte mit einer ähnlichen Anrufung abschliefst.
Selbst Varro in seinem Abschnitte über die dii selecti, obgleich er
mit denselben sonst ziemlich willkürlich umgeht, nannte zuerst den
Janus und Jupiter und zuletzt die Vesta.
Die Spuren eines sabinischen Systems von zwölf Göttern
hat man bei Varro 1. 1. V, 74 finden wollen, wo nach alten Jahr-
büchern der Stadt von Altaren die Rede ist, die der König T. Ta-
tius zu Rom geweiht und mit Inschriften in sabinischer Sprache
versehen habe : avae Sabinum linguam olent quae Tati regis voto
sunt Romae dedicatae nam, ut Annales dicunt, vovit Opi, Florae,
Vediovi Saturnoque, Soli, Lunae, Volcano et Summano itemque
Larundae, Termino, Quirino, Vortumno, Laribus, Dianae Lucinae-
que 2 ). Indessen fehlen hier nicht allein die drei wichtigsten Götter
*) [So Cicero am Schlufs der Verrioen, vgl. de domo 57 (nachgeahmt voo
dem Rhetor or. pridie quam in exilium iret 10). Bis auf die Zeit der Grachen
war ein Gebet zu Anfang der Rede regelmäfsig. Jordan Proleg. zu Cato
S. XCVI.]
") Vgl. 0. Müller Etrusker 2, 64 und Fest. p. XLIV. [Lachmann und
Haupt (Hermes 1, 401) erkennen hierin Verse aus den Annalen des Ennius;
Haupt liest:
vovit Opi Florae Vedio Iovi Saturnoque
Soli Lunae Volcano et Summano, itemque
Larundae Quirino
Vortumno Laribus Dianae Lucinaeque
Nach Larundae habe Varro zusammengezogen, daher sei nicht auszumachen
wie Terminus im Verse verwandt werde. Bedenken gegen Vedio Iovi (so F)
s. unter Veiovis (es mufs Veiovis genannt sein). Von diesen mehr als 16
Göttern nennt Dionys. 2, 50 Ops, Saturnus, Sol, Luna, Volcanus, Quirinus
(? 'Evvdlios), Diana, dazu Vesta (nach Müller = Larunda?) (xai äXXois
Unov t&tniiv'EkXadi yktorrn tit 6v6{iaia)-, Augustin C. D. 4,23 Ops, Saturnus,
Luna, Volcanus, Lucina (? statt Lucem möchte man Lucinam schreiben, unwahr-
scheinlich ist Luam): et quoscumque alios addidit , inter quos etiam deam
Cluacinam Felieitate negleda. Es sind demnach weder 12 Götter, vielmehr,
mindestens 16, noch läfst sich aus der Reihenfolge bei Ennius irgend etwas
schliefsen (wie Schwegler 1, 249 Mommsen Dial. S. 351 Marquardt Handb.
4, 24 gethan).]
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DIE GÖTTER
67
des Capitolium vetus d. h. Jupiter, Juno, Minerva (Varro 1. L V,
158), sondern auch noch andere Götter, die wir für altsabinisch
halten dürfen; auch scheint die Folge, in welcher jene Götter auf-
gezählt werden, keineswegs die des gottesdienstlichen Gebrauchs zu
sein : so dafs man allenfalls zwölf Altäre an jener Stelle annehmen,
aber doch etwas Näheres für das Göttersystem der Sabiner daraus
nicht folgern kann. Wohl aber scheint mit so vielen andern Ele-
menten der griechischen Bildung und des griechischen Glaubens
auch das griechische Zwölfgöttersystem sich der italischen
Bevölkerung ziemlich früh mitgetheilt zu haben, jenes System von
sechs männlichen und sechs weiblichen Göttern, welches Air alle
Griechen, sowohl die des Mutterlandes als die der Colonieen, eine
nationale Geltung bekommen hatte und deshalb durch Altäre und
Bilder besonders an solchen Stellen vergegenwärtigt wurde, wo viel
nationaler Verkehr war, z. B. auf dem Markte von Athen, in dem
Haine des Zeus zu Olympia, auf einem alten Vereins- und Verkehrs-
punkte in Thessalien, und auf einem Berge über der Einfahrt in
das schwarze Meer, wo jährlich so viele griechische Schiffer aus
und einfuhren. Im mittleren Italien dürfen wir es zeitig bei den
Etruskero voraussetzen, im südlichen bei den Sammlern und den
von ihnen ausgegangenen Mamer tinern, welche nach Festus p. 158 so
diesen Namen angenommen hatten, weil sie unter den Namen der
zwölf Götter, von denen der griechische Apoll sie zur Auswande-
rung aus Samnium bewog , den des Mars , der in ihrem Dialekte
Mamers hiefs , durch das Loos gezogen hatten 1 ). In Rom hören
wir von demselben Systeme zuerst zu Anfang des zweiten punischen
') (Vgl. Mommsen, Dial. S. 141. 351, der auch in den 12 — vielmehr min-
destens 16 — 'sabinischen' Göttern des Tatius das System erkennen will. Dafs
den Jtalikeru ebensogut wie zahlreiche einzelne griechische Gottheiten so die
Zwölfgötter sehr früh bekannt wurden, ist gewifs wahrscheinlich und der Um-
stand dafs wir von der Pcrsou des Alfius, aus dem Festus a. 0. ausschreibt, nichts
wissen, beweist nichts gegen die ofTcobar aus saranitischcr Stammsage geschöpfte
Erzählung. Aber sichere Belege für einen verbreiteten Zwölfgötterkultus
bei den Jtalikeru giebt es uicht. Es ist bemerkenswerth dafs sie auch auf der
pränestinischeu Ciste, welche die Gründung eines Marskultus darzustellen
scheint (Moo. delT inst. 9 T. LVIII f.) nicht erscheinen, sondern elf: Mars,
rechts Diama (so), Fortuna, links Menerva, Victoria; Jpolo, Leiber; Mercuris,
Hercle; lovos (so), Inno. Freilich würde die 12. Person eine kleine fliegende
Victoria (ohne Beischrift) sein, welche eine Binde der Minerva (?) ums Haupt
legen will, wenn diese mitzählen könnte. Vgl. Mars. — Ueber das Duo-
decimalsystem der Etrusker Corssen Spr. d. Etr. 1, 423.]
5*
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68
ERSTER ABSCHNITT.
Krieges, wo bei der Annäherung des Hannibal unter andern reli-
giösen Gebräuchen auch drei Tage lang ein Lectisternium von sechs
Kissen veranstaltet wurde, bei welchem die Decemvirn der sibyllini-
schen Bücher den Dienst hatten. Das erste Kissen galt dem Jupiter
und der Juno, das zweite dem Neptun und der Minerva, das dritte
dem Mars und der Venus, das vierte dem Apoll uud der Diana,
das fünfte dem Vulcan und der Vesta, das sechste dem Mercur
und der Ceres (Liv. XXII, 10): wo schon wegen jener Decemvirn
nur an griechische Götter gedacht werden kann, wie denn auch die
Auswahl und Paarung derselben entschieden die des griechischen
System ist. Bald darauf gefiel sich Ennius in seinen Annalen darin,
die Namens derselben zwölf Götter in zwei Hexameter zu bringen,
wodurch die rechte Folge derselben freilich sehr gestört wurde J ),
und aus Varro d. r. r. I. 1, 4 erfahren wir, dafs dieselben Zwölf
als Consentes d. h. als hoher Rath der Götter am Forum in ver-
goldeten Bildern aufgestellt waren, sechs männliche und sechs weib-
liche, auch dieses also nach griechischer Sitte und höchst wahr-
scheinlich nach dem Vorbilde einer bestimmten Stadt im südlichen
Italien 2 ). Und zwar standen diese Bilder, wie der Fund eines
Restaurationstitels vom J. 367 n. Chr. an derselben Stelle gelehrt
hat, in einer eignen Halle beim Aufgange vom Forum auf das
Capitol 8 ) , wo sie ursprünglich gleichfalls , wie auf dem Markte zu
*) [Enning Ann. V. 64 f. Vahlen: Iuno, Vesta, Minerva, Ceres, Diana,
Venus, Mars, Mercurius, Iovis, Neptuniis, Vulcanus, Apollo. Cs sind die auch
von Plautus Epid. 5, 1, 4;"]2, 9 genannten duodecim dei, dargestellt auf dem
Wandbilde in Pompeji, Heibig Wandg. n. 7 (nur dafs die Venus als Venus
Pompeiana dargestellt und der Vesta das italische Attribut des Esels gegeben
ist). Ihre Verbreitung in Italien mag mit der Einführung des eudoxischen
Kalenders zusammenhängen, in welchem sie als Monatsgötter erscheinen
(Mommsen, Rom. Chron. 'S. 305 ff.). Keine andern meint die Warnung auf
einer Wand in den Titusthermen (Henzea-Or. 7302): duodecim dem et Deanam
et Iovem v optumum maximum habeat iratos quüquis hic müterit aut cacarit.
ladessen ist ihr Eindringen, namentlich in Sicilien, mit den Colonien sicher
uralt (Bergk, Gr. Litt. G. 1, 762).]
') Varro nennt sie ausdrücklich städtische Götter, deos urbanot, uod
setzt ihnen deshalb zwölf ländliche Gottheiten entgegen, lauter alte italische
und fortwährend auf dem Lande verehrte etc., auch diese nach Paaren ge-
ordnet: Inpiter Tellus, Sol Luna, Ceres Liber, Robigus Flora, Minerva Venus,
Lympha Bonus Eventus.
») Henzen z. Or. n. 5083, Becker Handb. d. R. A. 1, 318 (C. I. L. 6, 102
. . [deorum c)onsentium sacrosaneta simulacra . . .].
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DIE GÖTTER.
60
Athen und in andern griechischen Städten, als die höchsten, allem
Geschäft der Menschen präsidirenden Götter gedacht sein mögen.
Der Name Cousentes, welcher jedenfalls älteren Ursprungs ist und
ursprünglich wohl nur die Zusammenseienden, also eine Götter-
silzung bedeutete, wird von diesem höchsten Götterrathe auch
sonst gebraucht, namentlich in verschiedenen Inschriften aus ver- 01
scbiedenen Theilen des römischen Reichs 1 ). Das Wesen der
Sache drückt Ovid Met. VI, 72 aus : Bis sex coelestes medio love
sedibus altis Augusta gravitate sedent. Die ganze Vorstellung scheint
den an einen starken Abstand des Senats von dem übrigen Volke
gewöhnten Römern sehr gefallen zu haben, daher bei späteren
Schriftstellern auch von diis maiorum gentium und im Gegensatze
dazu von einer Plebs der Götter nicht selten die Rede ist 2 ). In
») Orelli n. 2119 [«=C. L L. 3, 1, 942 Brucla, DacienJ: /. 0. M. ceter-
is(que) dis Consentibus M. Opcllius etc. n. 2120 [= C. I. L. 5, 1, 1935,
Salona]: Consen[ti]o (über das plebejische {Neutrum vgl. Hermes 7, 200] deorum
Mariana Sozomene etc. o. 2121 [« C. 1. L. 5, 1, 1063] aus Alba Julia in Sieben-
bürgen: /. O. M. et Consessui deorum dearumque pro salute imperii Romani
et virtute leg. XIII cet. Vgl. Arnob. III, 40 und Augustin C. D. IV, 23 tatet
deos Consentes, quos dicunt in consilium Iovis adhiberi. Die Griechen pflegteu
einen solchen conscssus deorum eine ayoott üttov zu ncnnrn. [Consentes, Gen.
Omsentum (Varro VIII, 75) kann wohl nur zu absens, praesens gestellt werden
und hat mit eonsilium nichts zu thuo. Noch weniger gehört dahin der Mercu-
rius consentiens (C. I. L. 3, 1, 898, Dacien). Demnach ist die Bildung sehr alt
und echtlateinisch (vgl. Müller Etr. 3, 81; Moinmseu will davon Consentia ab-
leiten, Dial. S. 141, wofür weiter Aesernia neben etr. aisar, Gott angefühlt
werden kann). Die unzweifelhaft vorhandene direkte Anlehnung an einen
griechicheo Ausdruck aber ist noch nicht nachgewiesen. Was in der Glosse
bei Festus Ausz. S. 05 consentia saera quae ex muUorum con sensu sunt statuta
steckt, ist unsicher. Ist die Aufstellung der Zwölfgötter unter dem Capitol
dem bekannten atheuischen Monument nachgebildet und wann? Zu beachten
ist die weitere Analogie des umbilicus und miliarium in nächster Nähe (Jordan
Top. 2, 454 vgl. O. Müller, De foro Athenarum 2 § 5.]
») Cic. Tusc. I, 13, [Acad. 2, 14,] Ovid Ibis 81, Aogustin C. D. VII,
2 inter illam quasi plebeiam numinum muUitudinem minutis opusculü
deputatam. Ib. 3 cum igitur in his minutis operibus — et tarn ipsos selectos
videamus tan quam senatum cum plebe paritcr operari. Nutnina minora
der Ovantes im Gegensatz des lupiter O. M. b. Serv. A. III, 189. Auch bei
Piautas Gas. II, 5, 24 sind die dii minuti keine Zwerge, wofür J. Grimm
D. M. 409 sie nimmt, sondern dii minores. [Vgl. den«. Cist. II, 1, 46: magni
minuti et pateUarü über welche letzteren unten. Allen gegenüber steht der
sitpremus oder summus Iovis (s. Jupiter). Nicht selten sind auf späteren
Denkmälern die magni, maiores z. B. C. I. L. 3, 2 S. 1161. — Uebrigens scheint
der Ausdruck di maiorum gentium nur bildlich zu sein (quasi maiorum gentium,
70
KRSTER ABSCHNITT.
diesem Sinne gefiel sicli Augustus darin, mit seinen engeren Freun-
den gelegentlich ein „Zwölf-Götter-Mahl" einzunehmen, bei welchem
er seihst als Apollo auftrat 1 ). Auch die beiden wichtigsten Denk-
mäler des Zwölfgöttersystems, die Ära Gabina und die Ära Borg-
hese sind römischen Ursprungs 2 ).
Ein noch weiter ausgebildetes System der Götter fand sich bei
den Etruskern. Wir erfahren davon durch Seneca Natur. Quaest.
II, 41 in einem Excerpte aus dem etruskischen Schriftsteller Aulus
Caecina, einem Freunde Ciceros, welcher den Römern die Fulgural-
disciplin seiner Heimath in einem lateinischen Werke zugänglich
gemacht hatte, vgl. Fest. p. 129 v. Manubiae, wo dieselbe Quelle
zu Grunde liegt. Es wurde darin zwischen solchen Blitzen unter-
schieden, die Jupiter auf eigne Hand schleuderte, aber nur zur
Mahnung und in friedlicher Absicht, 2) solchen welche schon viel
gewaltsamer wirkten und von Jupiter in Lebereinstimmung mit dem
Rathe der zwölf Götter geworfen wurden, endlich 3) solchen
Blitzen, welche zünden und zerstören und nach etruskischem Glau-
ben von Jupiter in Uebereinstimmung mit dem Bathe der soge-
nannten dii super iores s. involuti geworfen wurden, also
62 höherer und verhüllter Götter einer geheimen Weltordnung, welche
der menschlichen Beobachtung nicht zugänglich ist. Man wufste
weder die Zahl noch die Namen dieser Götter, wohl aber, dafs sie
den allerintimsten Rath des Jupiter bildeten und in den innersten
Räumen des Himmels wohnten, dahingegen man von den zwölf
Göttern glaubte, dafs sie einer niederen Ordnung angehörten und
der bestehenden Natur und dem menschlichen Geschlechte näher
ständen: daher man diese auch für entstanden und für vergänglich
hielt und deshalb Co nsen tes und Complices nannte; wenigstens
scheint Gaecina mit diesen lateinischen Benennungen entsprechende
etruskische übersetzt zu haben 8 ). Höchst wahrscheinlich waren
qui maiorum g. habentur sagt Cicero, als plebs superum werden voo Ovid die
J'auni satyrique laresque u. s. w. bezeichnet). Ueber die tnaiores und minores
gentes selbst s. Mommsen, R. Forsch. 1, 258 f.].
*) Suetoo 70. Tiberius erbaute bei seinem Aufenthalte auf Capri zwölf
Villen, welche vermutlich nach den zwölf Göttern benannt waren, s. Tacit.
Ann. IV, 67, Sueton Tib. 65.
*) (Müller, Handb. d. Arch. § 96,22 vgl. auch Braun, Ruinen u. Museen
S. 151ff.l.
3 ) Vgl. das confuse Excerpt aus Varro b. Arnob. III, 40 und 0. Müller,
Etrusker 1, 81.
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DIE GÖTTER. 71
diese identisch mit den zwölf Göllern der Griechen; über densel-
ben aber standen nach diesem Systeme also gewisse verborgene
Mächte des Schicksals oder einer höheren Weltordnung, welche
sich nur selten und dann immer in gewaltsamen Katastrophen
offenbarte. Wie dieselben sonst zu denken und wie das Yerhält-
nifs des Jupiter zu ihnen gedacht wurde, ist bei so mangelhaften
Nachrichten nicht klar; gewifs aber ist es, dafs Jupiter auch bei
den Etruskern für den höchsten Gott und den wahren König und
Regierer der Welt gegolten hat.
Endlich mag hier noch von solchen Eintheilungen der Götter
die Rede seiu, wie wir sie hin und wieder bei den römischen
Schriftstellern finden, namentlich bei denjenigen, welche aus Varros
grofsem Werke über die Religions - Alterthümer geschöpft haben.
Varro hatte erst in den drei letzten Büchern dieses Werks von den
Göttern gehandelt und zwar in dieser Folge: 1) de diis certis,
2) de diis incertis, 3) de diis selectis. Es ist nicht leicht
zu sagen, wie namentlich die dii certi und incerti unterschieden
gewesen 1 ), doch ist das Wahrscheinlichste dieses, vgl. namentlich
Serv. V. A. II, 141; V, 45; VIII, 275; XII, 139. Die dii certi
gelten ihm für ab initio certi et sempiterni, daher er sie auch dii
perpetui und dii proprii nannte, also für eigentliche und ausge-
machte Götter, die dazu nicht erst durch Consecration geworden,
sondern von jeher Götter gewesen waren. Als Kriterion dienten
ihm dabei ohne Zweifel die sacralen und priesterlichen Urkunden,
namentlich die Indigitamenta und alten öffentlichen Gebetsformeln, es
wohin Serv. Aen. II, 141 deutet : Pontiüces dicunt singulis actibus
proprios deos praeesse: hos Varro certos deos appellat').
Und so war es auch dem Principe seines W r erkes gemäfs, eben nur
oder doch hauptsächlich den positiven Götterglauben erläutern zu
wollen, d. h. also über die Natur und Bedeutung der einzelnen
Götter nicht nach seinem eigenen Meinen, sondern nach Mafsgabe
*) Merkel Ovid Fast. p. CLXXXV sqq. scheint mir nicht immer das
Richtige zu treffeu , am wenigsten in der Art wie er die einzelnen Götter
über diese Bücher vertheilt.
") [So die Faid. Hs., vgl.] Marini Atti Arv. p. 381 und Merkel Ovid
Fast. p. CLXXXV. Vgl. Intp. Mai. Virg. Aen. X, 76 p. 103 Keil. Farro
verum divinarum XIIII de diis certis, in welchem Buche namentlich die
Gotter der Indigitamenta vorkamen. Vermuthlich hatte auch Gellius N. A.
XIII, 23 und V, 12 diesen Abschnitt des Varro vor Augen.
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I
72 ERSTER ABSCHNITT.
der bestehenden sacralen Ordnungen zu referiren. Dii incerti
müssen also dem entsprechend solche Götter gewesen sein, welche
nicht von Anfang an , sondern erst zu einer gewissen Zeit d. h.
durch Gonsecration zu Göttern geworden wann, also im engeren
Sinne des Worts nicht für Gölter gehalten werden konnten 1 ), vgl.
Serv. Aen. VIII, 275 Varro dicit deos alios esse qui ab initio certi
et sempiterni sunt, alios qui immortales ex homnibus facti sunt,
also Castor und Pollux, Uber, Hercules u. A.*) Auch glaube ich
dafs nicht allein solche Götter, die man nach der tief eingeflossenen
euhemeristischen Anschauung der Zeit, welcher auch Varro ganz
ergeben war, für consecrirte Menschen hielt, in diesem Abschnitte
behandelt wurden, sondern auch die Personifikationen der Tugenden
und Fehler, vgl. Cic. de Leg. II, 8, 19. Endlich die dii selecti
waren solche, welche im öffentlichen Cultus der Tempel und Bilder
64 am meisten hervortraten, vgl. das Excerpt aus dem Vorworte zu
diesem letzten Buche bei Augustin C. D. VII, 17. In tertio porro
isto de diis selectis posteaquam praelocutus est quod ex naturali
theoiogia praeloquendum putavit, — De diis, inquit, Populi Romani
publicis, quibus aedes dedicaverunt eosque pluribus signis ornatos
notaverunt in hoc libro scribam, sed, ut Xenophanes Colophonius
scribit, quid putem, non quid contendam ponam. Nehmlich in
diesem Buche ganz vornehmlich hatte er sich auf allegorische Er-
klärungen eingelassen. Es kamen also erst jetzt die eigentlichen
Haupt- und Cultusgötter des römischen Staates zur Sprache, nicht
blos die Consentes, sondern alle, welche im öffentlichen Gottes-
dienste der Zeit am meisten galten, obschon sie unter andern Ge-
sichtspunkten hin und wieder schon im ersten und im zweiten
! ) Daber zur Einleitung die bei Augustin C. d. VII, 17 erhaltenen Worte.
Varro, sagt Augustin, komme bei allen seinen ErkläruDgen nicht über Schwan-
ken nod Zweifeln hioans. Nam trium extremorum primum cum de diis
certis absolvissel librum, in altero de diis incertis dicere ingressus ait:
„Cum in hoc libello dubias de diis opinione s posuero, reprehendi non debeo.
Qui enim putabit iudicari oportere et posse, cum audierit faciel ipse. Ego
citius perduci possum ut in primo libro quae dixi in dttbitationem revocem t
quam in Aoc, quae perscribatn, orrin ia ut ad aliquam dirigarn sunrmatn. « Ita,
setzt Augustin biozu, non soium de diis incertis, sed etiam illum de certis
fecit incertum. Es scheinen aber in diesem Buche besonders viele Fabeln zur
Sprache gekommen zu sein, die vom Liber Pater, vom Hercules, vom Aescu-
lapius u. s. w. [Vgl. Marquardt Staatsverw. 3, 8.]
») [Vgl. Hör. C. IV, 8, 30 ff. Ovid. Am. III, 8, 51; Jordan Hermes 14, 271.}
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DIE GÖTTER.
73
Buche de diis cerüs und incertis besprochen worden waren 1 ). Es
waren zwölf männliche und acht weibliche Gottheiten, die zwölf
männlichen: Ianus, Iupiter, Saturnus, Genius, Mercurius, Apollo,
Mars, Vulcanus, Neptunus, Sol, Orcus, Liber Pater, die acht weib-
lichen: Tellus, Ceres, Iuno, Luna, Diana, Minerva, Venus, Vesta.
Man dar! behaupten , dafs bei der ganzen Eintheilung in gewisser
Weise die beliebte Unterscheidung einer dreifachen Theologie (S. 31)
zu Grunde liegt. Die dii certi entsprechen dem genus civile, denn
beide, sowohl die Sicherheit jener Götter als der bürgerliche Character
dieser Ueberzeugung, beruhen auf derselben Autorität der sacralen
Rechtsquellen. Die dii incerti entsprechen dem genus mythicon,
da die Geschichte, wie diese Götter aus Menschen zu Göttern ge-
worden waren, wesentlich Mythologie ist. Endlich die selecti dem
genus physicon, wenigstens hatte Varro sich vornehmlich in diesem
Buche auf ausführliche Erklärungen der einzelnen Götter einge-
lassen, immer nach den allegorischen Principien der stoischen
Philosophie und des damit verbundenen Pantheismus.
Man hat, glaube ich, nicht bemerkt, dafs diese Eintheilung
Varros, namentlich was die beiden ersten Glieder betrifTt, sich
mit einigen Aenderungen bei Cicero de Leg. II, 8, 19 wiederholt.
Es werden dort [neuralich unterschieden: 1) die Götter, qui cae-
lestes semper habiti, diese entsprechen den diis certis bei Varro.
2) Die Götter, quos endo caelo merita locaverunt, Herculem, Libe-
rum, Aesculapium, Castorem, Pollucem, Quirinum, welche den diis es
incertis des Varro entsprechen würden. 3) Die consecrirten Vir-
tutes oder wie er sich ausdrückt iila propter quae datur homini
adscensus in caelum, d. h. die Mens, Virtus, Pietas, Fides etc.,
welche Varro wahrscheinlich in seinem zweiten Abschnitte mitbe-
handelt hatte. Und in der That ist zu vermuthen, dafs Cicero bei
dieser Eintheilung dem Varro folgte, da er von dessen Verdiensten
um die richtige Erkenntnifs und Beurtheilung des römischen Alter-
thums, auch des alten Glaubens, im Eingange der Academica poste-
riora mit so grofer Emphase spricht 8 ). Wie weit übrigens auch
f ) Augustin C. D. VII, 2. Janus, Jupiter, Saturnus kamen auch in den
Reihen der ludigitamenta vor, Liber Pater als mythologischer Gott verinuth-
Uch auch im zweiten Buche u. s. w.
*) [Mit der schon 702 begonnenen Schrift de legibus ist Cicero vielleicht
noch im J. 708, also um dieselbe Zeit als Varro die antiquitates veröffent-
lichte (Merkel zu Ov. F. S. CX, Ritschi. Op. 3, 471) beschäftigt gewesen,
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74
ERSTER ABSCHNITT
Cicero im Euhemcrismus ging, beweist die gelegentliche Aeufserung,
dai's selbst die oberen Götter doch eigentlich nur Menschen ge-
wesen seien l ).
Es würde zu weit führen, wenn ich hier auch auf die Ver-
suche der späteren Schriftsteller eingehn wollte, in dem Wirrwarr
altitalischer Cullusgebräuche und griechischer Fabeln, in welche der
öffentliche Gottesdienst zuletzt verfiel, durch allegorische Deutung
oder durch schroffen Widerspruch einen Ausweg in den reineren
Monotheismus zu linden, den die ganze Zeit so dringend empfahl.
Sowohl die griechische Philosophie drängte dahin als die Ueber-
sättigung am Polytheismus, endlich auch der vom Judenthum und
Christen th um in immer weitere Kreise ausgestreute Glaube au den
einen Gott, der zugleich Schöpfer und Erhalter aller Dinge ist.
Lange hat man sich in Italien mit dem Pythagoreismus beholfen,
dessen Schule bei den südlichen Griechen, namentlich in Tarent
niemals ganz ausgestorben war. Dann flüchteten sich die keckeren
Geister zum Epicur, die skeptischen zur Akademie, die positiven zur
Stoa 2 ), mit deren Lehrsätzen namentlich Varro den Göttern einen-
neuen Schein von Leben und Wahrheit bei den Gebildeten zu ge-
winnen suchte; obwohl es sehr bemerkenswert!] ist, dafs er sich
bei seinen Mahnungen zu einem geistigeren Gottesdienste nicht
66 blos auf die eigne Vorzeit Roms, sondern auch schon auf den
Gott der Juden berief (Augustin C. D. IV, 31). Aus etwas späte-
rer Zeit sind die Aeufserungen Senecas beachtenswert!], aus dessen
Schrift contra superstitiones Augustin C. D. VI, 10 einen bedeu-
tenden Auszug erhalten hat. Kein Kirchenvater hätte schonungs-
dcinnach eine Benutzung dieses Buchs durch Cicero chronologisch kaum mög-
lich, aber auch sachlich unwahrscheinlich. Vielmehr haben beide in verschie-
dener Weise die Lehre der Pontificalbucher benutzt.]
') Tuscul. I, 13 Si scrutari vetera et ex Ms ea quue scriptores Grae-
ciae prodiderunt eruere coner, ipsi iÜi maiorum gentium dii qui habentur hinc
a nobis profocti in caelum reperientur. Er meint Geschichten wie von der
Geburt und dem Tode des Jupiter, der Flucht des Saturn nach Italien u. s. w.,
wie Ennius sie den Hörnern aus dem Euhemerus zusammengetragen. Vgl. auch
die gelegentliche Mittheilung bei Cic. N. D. III, 19, 49 Nostri quidem publi-
cum, cum essent agri in Boeotia deorum immortalium excepti lege ccnsoria,
negabant immortales esse ullos qui aliquando homines fuissent.
Es handelte sich um die Grundstücke des Tiophoniua bei Oropos.
*) [Vgl. D. Zimmermann Quae ratio philosophine Stoicae sit cum religione
Romana, Erlanger Programm 1858, oben S. 29.]
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DIE GEMEN.
75
loser über den öffentlichen Gottesdienst urtheilen können als dieser
im Leben eben so gefügige als in seinen Schriften ungestüme Mann.
Endlich eifert Plinius d. Ä. als vollendeter Pantheist gleich heftig
gegen alle Vielgötterei, sowohl die der griechischen Mythologie, als
gegen den einheimischen Pandämonismus, wo jede Wirkung und
Lebenserscheinung als die Thütigkeit eines eignen Geistes oder
Gottes aufgefafst wurde. Auch er will nur von der einen Welt-
seele wissen, die unsichtbar sichtbar und überall fühlend, hörend,
beseelend gegenwärtig sei. Es sei nur Schwäche und Endlichkeit
der Menschen, wenn sie diese eine Seele nach ihren verschiedenen
Wirkungen und Erscheinungen in eben so viele Theile zerlege und
als eben so viele einzelne Götter anbete, welche sich nach der
Zahl der Länder, Völker, ja der einzelnen Menschen vollends ins
Unendliche vervielfacht habe (H. N. Ii, 7).
2. Die Genien^ Laven, Penaten, Manen.
W'urden die Götter, obwohl der alte italische Glaube darin
nichl soweit ging als der griechische, als selbständige und persön-
liche Einzelwesen gedacht und durch ihre Namen, Beinamen und
die an sie gerichteten sinnbildlichen Handlungen des Gottesdienstes
aus der unendlichen Gottheit gewissermafsen ausgeschieden , so
waren neben ihnen die Geister und Dämonen in dem Glauben der
Kömer und ihrer Verwandten vollends ein nach Zahl und Wirkung
unbegrenztes und unbestimmbares Geschlecht und namentlich im
häuslichen , örtlichen und ländlichen Gottesdienste von solchem
Belange wie nicht leicht in einer andern Religion der heidnischen
Vorzeit.
Das eigentliche Gebiet dieser Geisterwelt ist die Erde und die
ganze irdische und creatürliche Erscheinung, wo sie Natur und
Menschenwelt von allen Seiten umgeben und umschweben, in der
Geburt wie im Tode, bei jeder einzelnen Lebensregung, an allen
Ställen und bei allen Stiftungen, nationalen, socialen und bürger-
lichen, wo sich nur irgend eine eigen thümliche und individuelle
Thätigkeit offenbart : mit welcher Thätigkeit sich diese Schutz-
und Lebensgeister dergeslall identiliciren , dafs sie dadurch und 67
erst dadurch selbst eine eigenlhümliche und selbständige Existenz
gewinnen, als Schutzgeister der einzelnen Menschen, Häuser, Fa-
milien, Städte, Völker u. s. w. , die unter ihrer unsichtbaren Lei-
tung und Beseelung entstehen , bestehen und vergehen. In der
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76
ERSTER ABSCHNITT.
Natur entsprechen diesen schützenden Geistern die Silvaue und
Faune, die Viren und die Lymphen, obwohl diese ländlichen Natur-
und 1 lernen targeister in der Religion des alten Italiens, soweit wir
sehen können, lange nicht das Gewicht hatten wie die allem mensch-
lichen Treiben sich gesellenden Genien, Laren und Penaten : so
sehr überwog auch hier das praktische Lebensinteresse über das
poetische Naturgefühl, wie sich jenes denn nicht allein durch alle
Einrichtungen des menschlichen Lebens verfolgen läfst, von dem
einzelnen Hause und Gehöfte bis zur Völkerschaft und zum Staate,
sondern auch im Durchschnitte des einzelnen Lebens von der Ge-
burt bis zum Tode. Wohl aber hat der Grundgedanke des Genien-
glaubens, dafs jeder geistigen Wirkung entsprechend ein individuel-
ler Lebensgeist angenommen werden müsse, sein Ziel mit solcher
Konsequenz verfolgt, dafs diese Kette der Geister von der Erde
und den Menschen sich selbst bis zu den Göttern fortsetzte.
Selbst jedem Gölte entsprechend wurde nehmlich in Italien ein
eigner Genius angenommen, gleichsam seine individuelle Erschei-
nung und örtliche Begrenzung , sein numen in persönlicher Ver-
gegenwärtigung für den Cultus : wieder ein neuer und merkwürdi-
ger Beweis von der Hinneigung des alten italischen Glaubens zur
rein geistigen und jeder irdischen Berührung entrückten Auffassung
des Wesens der Götter.
Eine allgemeine Benennung dieser ganzen Klasse, wie im ge-
wöhnlichen griechischen Sprachgebrauch das Wort daifiovsg 1 ), giebt
es im Lateinischen nicht; doch hat das Wort genius einen sehr
umfassenden Sinn. Offenbar hängt es zusammen mit gens, geno,
gigno, so dafs also genius eigentlich ein schöpferisches und besee-
lendes Wesen ist, welches wo sich immer ein eigenthümliches
Leben regt unsichtbar thätig ist, sowohl im Ganzen und im Grofsen
als im Einzelnen und im Kleinen. Dieses wollte namentlich Varro
>) [Ueber den griechischen Däuioncnglauben Preller Gr. Myth. 1, 71, 88
und C. Wachsmuth , Die Ansichten der Stoiker über Mantik und Dämonen,
Berlin 1860 besonders S. 31 ff'. — Zu den im Folgenden behandelten lateini-
schen und umbrischen Namen für Geister kommt möglicherweise noch der
oskische und päligoische puebi, in der Widmung von Sulmo C. I. L. 1 S. 555
(foviois pudois) und in der Verwünschungsformel von Capua Zwetajelf Syll.
inscr. Ose. 50 (in verschiedenen Casusformen hinter valaima*, valaimais).
Huschke (Jahrb. f. Philol. Suppl. 5, 863) denkt dabei an pungere, nvxjrje,
Büeheler (Rhein. Mus. 1877, 15 ff.) an pu—er u. s. w. ; Bugge dagegen (Altital.
Studien Christiania 1878 S. 8 ff.) übersetzt pungamentum (von /w-, reinigen).]
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DIE GEMEN.
77
sagen, wenn er bei Augustin C. D. VII, 13 den Genius schlecht-
hin, welchen er zu den diis selectis rechnete, als den Gott defi-
nirte, qui praepositus est ac vim habet omniura rerum gignendarum,
und an einer andern Stelle den Genius geradezu mit der vernünf-
tigen Seele jedes einzelnen Menschen identificirte , daher es so
viele Genien gebe als einzelne Menschen, der Universalgenius der
Welt aber für identisch mit Gott oder der göttlichen Weltseele es
gelten müsse *) : bei welchen Erklärungen sich Varro wieder von der
stoischen Philosophie hat leiten lassen. Doch inufs den römischen
Theologen diese Ableitung des individuellen Genius aus der allge-
meinen Gottheit auch sonst geläufig gewesen sein, da es auch in
der Definition eines gewissen Aufustius [ungewisser Zeit, auch von
Priscian citirt] bei Paul. D. p. 94 heifst, der Genius sei deorum
filius et parens hominum, ex quo homines gignuntur, also eine
Art von mittlerer Kraft zwischen den Göttern und Menschen ent-
stehen lassen und behüten , während es umgekehrt die Menschen
beim Gottesdienste zunächst nur mit den Genien der Götter, nicht
direct mit diesen zu thun haben würden. Indessen darf diese
schöpferische Kraft nicht allein auf die Menschen beschränkt wer-
den, da man nicht weniger innig von einer unsichtbaren Obhut der
Genien über ganze Geschlechter, über Städte und Völker, endlich
über alle durch ein bedeutendes Naturleben oder eine eigenthüm-
liche moralische Wirkung ausgezeichnete Stätten überzeugt war:
wie dieses alles bei Servius V. G. I, 302 in den Worten zusam-
mengefafst wird : genium dicebant antiqui naturalem deuni unius-
que loci vel rei vel hominis, vgl. Paul. p. 94 Alii genium esse
putarunt uniuscuiusque loci deum: so dafs es also in der Natur
des Genius lag sich eben so sehr nach örtlichen als nach persön-
lichen Beziehungen zu individualisiren. Noch'Andere [hielten den
J ) Ibid. Mio bco genium dicii esse uniuscuiusque animum rationalem et
ideo esse singulos singulorum : talcm autem mundi animum deum esse, — ut
tanquam universalis genius ipse mundi animus esse credatur. Vgl. ib. VII, 23,
nach welcher Stelle Varro io diesem Abschnitte vom Genius drei verschiedene
Stufen der Seele unterschied, die der vitalen Lebenskraft, welche sich in den
organischen Theilen des Körpers offenbare, die der sinnlichen Empfindung d. h.
die Thätigkeit der fdnf Sinne, und endlich drittens die Seele als Geist, als
Intelligenz, wodurch die menschliche Seele den Vorrang vor allen thierischen
habe und den Göttern verwandt sei. Diese Seele [nun heifse im VVeltganzen
Gott, in uns Einzelnen Genius (hanc partem animae mundi dicit deum, in
nobis autem genium vocarij.
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t
78 ERSTER ABSCHNITT.
Genius mehr für das absolut Drastische und Energische, indem sie
mit ihren Erklärungen auf die Wurzel gerere zurückgingen, s.
Paul. p. 94 genium appellabant deum , qui vim obtineret rerum
omnium gerendarum. Ib. p. 95 Geniales (dii) dicli a gerendo,
quia plurimum posse putabantur, quos postea gerulos appellarunt*).
Martian Gap. II, 152 specialis singulis mortaübus genius admovetur,
quem etiam praestitem, quod praesit gerundis omnibus, vocaverunt.
Eine etymologisch zwar falsche, aber in der Sache richtige Erklä-
eo rung , da diese absolute und allgegenwärtige Activität eben ganz
vorzugsweise zum Wesen des Genius gehörte.
Indessen pflegte die ältere Zeit diese dämonischen Wirkungen
doch immer ganz vorzugsweise als zeugerische und schöpferi-
sche aufzufassen. Genius meus heifst es bei Paul. p. 94 in
diesem Sinne ganz richtig, nominatur qui me genuit, daher der
Genius in den Familien vorzugsweise in dieser Bedeutung verehrt
wurde d. h. als genius natalis und am Geburtstage auch als
genius generis, wie Laberius sagte, Non. Marc. p. 119, Genius
generis nostri parens, also als das fortzeugende, die Familie von
einer Generation zur andern erhaltende Princip. Ueberhaupt konnte
eben deshalb von einem Genius nur bei Männern und Begriffen
männlichen Geschlechts die Rede sein, bei Frauen nur von einer
Juno, der idealen Personification alles Weiblichen und Empfängli-
chen. Auch stimmt damit überein der äufserst inhaltreiche und
vielseitige Gebrauch des Adjectivs genialis, welches in den ver-
schiedensten Beziehungen des Lebens und der Natur das Zeugende,
Ueppige, Fröhliche und Heitre bedeutet, weil der Begriff einer gött-
lichen Zeugung nicht ohne den der Fülle und des überschwengli-
chen Segens gedacht werden konnte. Daher sagte man genialis
lectus vom Ehebette, wo der Genius der Familie segnend und be-
fruchtend waltet, dafs es dem Hause nie an Kindern fehle, s. Paul,
p. 94, Arnob. II, 67, Horat. Ep. I, 1, 87, Cic. Cluent. 5 extr.
u. A. 1 ), sagte aber auch geniales homines von gastlich freigebigen,
qui ad invitandum et largius apparandum cibum promtiores essent,
nach Sanlra b. Non. Marc. p. 117. Daher die Redensart geniuin
suum defrudare von einem kärglichen Lebensgenufs, und in ent-
gegengesetzter Bedeutung genio indulgere, weil der natürliche Ge-
*) Gloss. Labb. Geruli nQttXTrjQes, gerulus dvvtr\s, tfioixrjTixog.
l ) Otid. A. Am. 1, 125 ducuntur raptae, genialis praeda, puellae. Stat.
Silv. 1), 3, 108 genialia iura d. h. coniugalia.
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DIE GEMEN.
79
müthszug des Genius die Fülle des Lebens und seiner Güter ist 1 ).
Ferner genialis hieros von dem gastlich heiteren und gastlichen 70
Leben im Winter, wo die Saturnalien gefeiert wurden, Virg. Ge. I,
302, festum geniale Ovid. F. III, 523, genialia serta Met. XIII, 929,
geniale rus Heroid. XVIII, XIX, 9, genialis Musa Amor. III, 15, 19, ge-
nialis dies Juven. IV, 66 u. s. w. Endlich auch in dem Naturleben
von allem productiven Segen und physischer Schöpfungskraft, s. Ovid.
Met. IV, 14 genialis consitor uvae, X, 95 platanus genialis, Plin. H.
N. XVII, 53 genialis copia pecudum, Stat. Theb. XII, 618 Bacchus
et Ceres — geniales dei : daher dasselbe Wort bei gewissen Dich-
tern oder Philosophen selbst von den vier Elementen und von den
Gestirnen gebraucht worden war, weil auch von ihnen ein mäch-
tiger Einflufs auf Leben und Geburt abgeleitet wurde, s. Paul,
p. 95 geniales deos dixemnt aquam terram ignem aerem ; ea enim
sunt semina rerum. — Duodecim quoque signa, lunam et solem
inter hos deos computabant.
Dazu stimmt aber auch das andere ältere und allgemein in
Italien verbreitete Wort für den Begrifr des Genius, Cerus oder
Kor us, welches mit creo und Ceres verwandt ist und auf die
Sanskritwurzel kri — kar d. i. facere zurückweist, also eigentlich
auch wieder einen schöpferischen Geist bedeutete 3 ). So wurde in
dem alten Liede der Salier Cerus Man us in dem Sinne von Crea-
tor bonus gesagt , Paul. p. 122 , und wirklich ist bei Varro 1. 1.
*) Bei Plaut us ist dieser Gebrauch des Wortes sehr häufig. [Vgl.
Jordan Annali 1872, 45; für genius steht auch gleichbedeutend anitnus}.
Einer der Geld hat erklärt Persa II, 3, 11 nunc et amico meo prosperabo
et genio meo multa bona faciam , [vgl. Stich. 622 geniutn meliorem tuum
non facies, Cas. IV, 2, 5 animo volupe facere; auch lepide ingeniatus
Mil. 731]. Ein anderer, dem Geld entwendet ist, klagt Aulular. IV, 9, 15
egomet me dejraudavi , Amieum meum geniumque meum. Trucul. I, 2, SO
heifst es: Sed isti qui cum geniis suis belligerant parci promi, [vgl. Trin. 305 IT.
qui homo — cum animo depugnat — suo], und von einem Gutschmecker Pers.
1, 3, 28 : Sapis muitum ad genium. Sehr häufig heifst auch der gute Freund
genius meus. Vgl. Terent. Phorm. I, 1, 11 Quod Uli tmciatim, vix de demenso
suo Saum defrudans genium comparsit miser. [Ueber das genio suo sacrificare
Capt. 260 Cure. II, 3, 21 und das teneo dextera genium meum des Peniculus
in den Men. 138, wie überhaupt über de» genius familiaris generis nostri parens*
s. unten X, 2].
•) [S. Corssen, Ausepr. 1 J , 473; Pott etymol. Forschungen, 2. Aufl., 2,
1, 842 f.; Curtius Et. »154 f.: vgl. Ceres. Bücheler (Bonner Progr. z. 3. Aug.
1S76 p. 24) vermuthet das cerus = cur rus, dies das umbrische cerfe ist].
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80
VII. 26 ein Bruchstück dieses Liedes erhalten, wo es vom Janus
heifsl duonus cerus es d. h. bonus creator es 1 ). Dazu kommt
die Inschrift einer in Vulci gefundenen, jetzt zu Rom im Gregoria-
nischen Museum aufbewahrten Schale Kl IM POCOLOM d. i. Ceri
poculum [C. I. L. 1, 40]. endlich der häufige Gehrauch der Namen
Cerfus und Cerfia in Verbindung mit andern Gotternamen auf den
umbrischen Tafeln aus Iguvium und der entsprechende Gebrauch
des Substantivs kerris d. i. genius und des Adjectivs kerriios d. i.
genialis in des oskischen Weibinschrift von Agnone, immer von
erzeugenden und befruchtenden Gottheiten des ländUchen Gottes-
dienstes, den Flüssen, den Lymphen, dem Hercules u. s. w.*). Auch
das alte Wort ceremonia oder cerimonia, welches im Wesent-
lichen dem Begriffe sanclimonia entspricht, wird am besten von
n diesem Stamme abgeleitet werden *) , desgleichen der ältere Name
des römischen Hercules Garanus, s. Verrius Flaccus b. Serv. V.
A. VIII, 203, zumal da dieser Hercules, wie wir sehen werden,
ganz wesentlich ein Genius der Fruchtbarkeit war 5 ). Ja ich möchte
auch das alte Wort cerriti, welches wie lymnjiati und larvati von
solchen gebraucht wurde, die einen Geist gesehen und darüber
ihren Verstand verloren hatten, lieber von diesem Worte cerus als
mit den gewöhnlichen Erklärern, z. B. Non. Marc. p. 44, 26j und
Serv. A. VII, 377 [vgl. auch Fabretti Glossarium Italicum pg. 832]
von der Ceres ableiten, zumal da man dieselbe Wirkung den
Geistern aller ländlichen Haine zuschrieb, in welchen, wie Senilis
') Th. Bergk Ind. lect Marb. hib. 1947—48 p. YIIl.
') Aufrecht und Kirchhof umbr. Sprachdenkm. 2, 265.
») Mommseu Unterital. Dial. S. 129. 133. 270. [Fabretti Glossarium Itali-
cum p. 830 sq.]
«) [Die Schreibung caerimonia haben abgesehen von der wahrscheinlich
falschen Or. 2188 die Inschriften vom J. 78 C. I. L. 6, 934 (jedoch aar bs.
erhalten) and 143 das. 1001; cerimonia d. I. v. J. 301 das. 2143 (nur hs. er-
halten): jene ist also vorzuziehen, auch durch die alte Etymologie (von Caere
VtL Max. I, 1, 10; andrerseits Carinae a caerimonia? Varro V, 47, vgl.
Jordan Top. 1, 1, 196) empfohlen, aber nicht gefordert; die Herkunft des
Worts noch unsicher].
») [ebenso M. Breal Hereule et Cacus, Paris 1861, p. 5911. und Reiffer-
scheid, Ann. 1867, 353; Klausen De carm. fratr. arv. S. 70 dachte an gerere.
Indessen hatte Schott längst richtig bemerkt (wie Jordan Hermes 3, 409 er-
innert), dafs CaranuM kein anderer ist als der mythische Gründer der make-
donischen Dynastie (worüber unten zu XI, 3).]
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DIE LAREN UND PENATEN.
81
Ecl. V, 40, I, 441 sagt, die Geister der Seligen (heroum animae)
wohnten 1 ). Selbst der Name Geres scheint in alter Zeit nicht
Mus im weiblichen, sondern auch im männlichen Geschlechte ge-
braucht zu sein, gerade so wie es eine weibliche und einen männ-
lichen Pales gab*).
Die Genien waren den Laren so nahe verwandt, dafs schon
die Alten die Identität dieser Wesen ziemlich allgemein anerkannten 8 ),
s. Censorin d. d. nat. 3 Eundem esse genium et larem multi veteres
memoriae prodiderunt, in quis etiam Granius Flaccus in libro quem
ad Caesarem de Indigitamentis scriptum reliquit, und in der That
entspricht namentlich der lar familiaris genau dem genius generis.
Die Laren aber können wieder nicht ohne die Penaten gedacht
werden, mit denen sie gewöhnlich zusammen verehrt wurden und
von denen sie sich nur durch die speciellere Beziehung auf den
Haushalt und Hausstand unterschieden, während die Laren gewöhn-
lich für die verklärten Geister der Verstorbenen aus der Familie 7a
gehalten wurden. Beide, die Laren und die Penaten, walten aber
auch auf dem Lande, auf den Strafsen, desgleichen in der Stadt
als dämonische Behüter der Strafsenquarüere, endlich im Mittel-
punkte des gesammten Gemeindelebens als Lares Praestites und
Penates Publici, immer mit der vorherrschenden Beziehung auf
menschliche Ansiedelung und menschlichen Verkehr, daher nament-
l ) [W. Sonne in Kuhns Z. für vergl. Sprachforschung 10, 104 stellt cer-
ritus «= cersitus zu xoqan und erklärt es: kopfsüchtig, wahnsinnig.]
») Arnob. III, 40 Caesius (wohl Caecina s. S. 61 [doch s. Müller ßtr. 1 »,
36 — 86]) et ipse eas sequens (sc. disciplinas Etruscas ) Forlunam arbitratur
( esse Penates J et Cererem Genium Io via lern ac Palcm, sed non illam
feminam quam vulgaritas accipit, sed masculini nescio quem generis ministrum
lovis ac vilicttm. Gewöhnlich interpuogirt man Cererem, Genium , lovialem,
aber vgl. Servius A. II, 325 Tusci Penates Cererem, Palem et Fortun am
dieunt. [Dagegen Bursian Liter. Centralblatt 1859, S. 608.]
•) [Die Vermischung von Genien, Laren, Penaten, Manen, ja Lemuren
u. a. , welche bereits zu Ciceros Zeit (vgl. Timae. 11) und bald nach ihm
noch mehr (bei Nigidius Figulus, Granius Flaccus, Labeo u. a.) gangbar ge-
wesen ist, geht wohl im wesentlichen auf die Anwendung der stoischen Dä-
monenlehre auf die römische Religion zurück und hat bis auf den heutigen
Tag nicht eine genügend durchgreifende Kritik erfahren: Jordan Ann. d. inst.
1872, 40f. Niederschläge dieser Theorien, wenn auch mit späteren Zuthaten
versetzt, sind die unten S. 74 citirten Phantastereien von Apulejus de deo
Soor. p. 49 Elm. und Martianus Capeila 2, 149 ff. Das Nähere über die ein-
zelnen Gottheiten s. Abschn. X.]
Preller, Horn. Mythol. I. 3. Aud. 6
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82 ERSTER ABSCHNITT.
lieh die Penaten der Vesta so nahe standen. Und eben wegen
dieser specitischen Beziehung auf das häusliche, gesellige, bürger-
liche Leben treten sie durchweg als eine eigene Klasse aus dem
allgemeineren Geschlechte der Genien heraus , obwohl diese als
genii locorum und populorum und als die dämonischen Triebe und
Schutzgötter so vieler Corporationen und Stiftungen, der Gewerke,
der Heere von jenen oft sehr schwer zu unterscheiden sind. Pe-
nates ist ohnehin nur ein Adjectiv , bei welchem man am natür-
lichsten genii ergänzen wird 1 ). Das Wort lar dagegen entsprach
wenigstens in dem benachbarten Etrurien dem griechischen ava%,
freilich in anderer Declination, da man lars larlis Ton dem hohen
Adel sagte, z.B. Lars Porsenna 8 ), während im Lateinischen die
lares oder lases immer nur verklärte Geister sind, Schutzgeister
der Flur, der Wege, der Häuser, die als Selige der Vorzeit gedacht
wurden. Daher die altlatinische Todesgöttin Lara oder Larunda,
welche auch die Mutter der Laren und Mania genannt wurde, des-
gleichen Acca Larentia [unten VI, 5], eine Personification der
römischen Stadtflur und ihres tellurischen Segens. Auch ist larva
offenbar dasselbe Wort wie lar, nur dafs dieser immer männlich
und als Schutzgeist gedacht wurde, larva dagegen weiblich und als
anima, ifwxv d- h. als die umgehende Seele eines Verstorbnen, als
Spukgeist , woran sich sehr natürlich die Vorstellung einer Strafe
schlofs, so dafs die Laren auch für die verklärten Geister der Guten,
die Larven und die gleichbedeutenden Lemuren für die rastlos um-
schweifenden Geister böser Menschen genommen wurden. Dafs ein
solcher Unterschied in dem gewöhnlichen Todtendienste nicht ge-
l ) [Vielmehr dei, wie sich Abschn. X ergeben wird.]
*) Liv. II, 9 [Tolumnius IV, 17]. Daher Larth, Larthia oft als Ehren-
Dame auf etruskischen Grabschriften vorkommt. [Vielmehr sind es regelrechte
männliche und weibliche Vornamen , Larth verschieden von dem gleichfalls
männlichen Vorn. Lar. Corssen Spr. d. Etr. I, 301 u. ausführlich Deecke Etr.
Forsch. 3, 174 ff.: mit den Laren haben sie Nichts zu thun]. Der Unterschied
in der Declination wird von den lateinischen Grammatikern angemerkt, s. Charis.
S. 136 Keil nnd den alten Zusatz zu Prisciaa V, 3, 13 S. 149 Hertz. Auf
etruskischen Spiegeln ist Lasa wiederholt der Name einer weiblichen Flügel-
figur, Gerhard I, 37, 181. [S. lasa Feeu, lasa Racuneta, lasa Sämica: Corssen
Etr. I, 256 ff. Ihnen verwandt scheinen die Göttinnen Mpan, Mean (das. 256 ff.).
Daneben kommt ein männlicher Laran, Lalan vor: das. S. 252. Der auch von
Corssen Etr. 1 , 246 (vgl. Ausspr. 2 , 309) angenommene Zusammenhang des
Etr. lata mit Loses, Lares besteht unzweifelhaft nicht (vgl. Deecke zu Müller
2, 97), so wenig sicher auch die Ableitung dieses iNamens ist. Vgl. X.]
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DIE LAREN UND PENATEN.
83
macht wurde, beweist der alte und allgemein verbreitete Gebrauch
des Wortes M a n e s [unten VII, 1] von allen Verstorbenen, nament- 73
lieh mit dem Zusätze Di vi Man es d. h. die durch den Tod und
die Weihe der Bestattungsgebräuche geläuterten , erhöhten und
gleichsam consecrirten Verstorbenen , welche fortan wie andere
Götter und Geister verehrt wurden. Denn Manes sind eigentlich
die Lichten, die Reinen, die Guten, daher mane und Mater Ma-
tuta [unten III, 7] von dem aufsteigenden Lichte des jungen Ta-
ges und seiner Göttin, manus in der Bedeutung von bonus, clarus,
prosper, immanis in der Bedeutung unseres ungeheuer 1 ), dahin-
gegen die Manen den Holden und Elben unsrer deutschen Mytho-
logie entsprechen. Ein verklärtes Volk der Geister, welche unter
der Obhut der Mania, der mater larum, Varro 1. 1. IX, 61, die
stille Erdtiefe bewohnen und deshalb auch die Stummen, Silentes,
und die Unteren, Inferi, genannt wurden, wie Lara oder Mania
selbst schlechthin "die Stumme" hiefs, s. Ovid. Fast. II, 581 ff. In-
dessen konnten auch sie recht gut zu dem allgemeinen Geschlechte
der Genien gerechnet werden, wie denn sehr häufig der Genius
als der verklärte Geist eines verstorbenen Mannes, [seltener Iuno
als der einer verstorbenen Frau (vgl. S. 76)] gedacht und deshalb an
Gräbern verehrt und angerufen wurden 8 ). Ja die Manen wurden
*) Varro LI. VI, 4 [vgl. Fest. 0. manare p. 158] Diei prineipium mane,
quod tum manat dies ab Oriente, nisi potius quod bonum antiqui dice-
bant manum , ad quoiusmodi religionem Graeci quoque quom turnen adfertur
solenl dicere fptos «ya&ov. Paul. p. 122 Matrem Matutam antiqui ob boni-
tatem appellabant — et Inferi dii Manes, ut suppliciter appellati bono essen t.
Ib. p. 125 Mane a diis Manibus dixerunt, nam mana bona dicitur. Non.
Marc. p. 66. Manum dicitur darum. — In de volunt etiam deos Manes manes
appeUari i. e. bonos ac prosperos. — Inde i mm an es non boni, ut saepe. Vgl.
Serv. V. A. III, 63. Die Elben oder Elfea sind nach Grimm D. M. 413
ursprünglich lichte, weifse, gute Geister, lieber die Holden, Holdichen,
Holderchen, die sich zur Frau Holde verhalten, wie die Manen zur Mania,
s. ib. 425 [Corssen A. 1 2 , 432].
•) S. die reiche Sammlung von Grabinschriften bei Fabretti Inscr. p.
70 sqq. und Orelli n. 1723 ff. Ueber lunones von Verstor benen Fabr. p. 74.
[Beispiele sind nicht allzu häufig. Die ganze Frage kann erst nach dem Er-
scheinen der SepulcralU von Koni (vgl. Or. 696, 1 3 1 9 f . , 1723) befriedigend
behandelt werden. Sonst vgl. z. B. Pompej. I. R. Y 2340 Lambäse Renier
Alg. 1194 Oberitalien (besonders Mailand, Turin) Index C. I. L. 5 p. 1179.
Die Verschiedenheit von genius und manes wird betont z. B. C. I. L. 5, 246
dis manibus et genio. Dazu geboren endlich noch die dii parentes: unten.]
G*
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84
ERSTER ABSCHNITT.
von späteren Erklärern geradezu mit den Genien identificirt und
der früher nur von Verstorbenen gebrauchte Name nun auch von
den Schutzgeistern der Lebenden gebraucht 1 ). Selbst Varro, wel-
cher sich nach seiner Art zugleich von den positiven Gründen der
Alterthumsforschung und von der griechischen Philosophie bestim-
74 men liefs, erklärte wo er jenen folgte die Laren, Manen und
Larven d. h. die Geister der Verstorbenen in gewifser Hinsicht für
Genien
Also ein sehr weit verbreitetes Reich der Geister, welches sich
die späteren Theologen nach der herkömmlich gewordenen Eiu-
theilung der Welt in den höheren Lichtkreis des gestirnten Himmels
und in die sublunarische Welt des irdischen Luft- und Nebelkreises
an diese letztere gebunden dachten. So lehrt auch Varro bei
Augustin C. D. VU, 6, die ganze Welt sei voll von Geistern (animae),
aber nur die im Aether lebenden Geister der leuchtenden Sterne,
die man mit leiblichen Augen sehen könne, seien unsterblich, nicht
die Nebelgeister der Luft, des Wassers, der Erde, des sublunarischen
Kreises überhaupt, welche man nicht sehen könne, dieselben Geister
welche im gewöhnlichen Gottesdienste als Heroen, Laren und Genien
verehrt würden. Aehnliche und noch weiter ausgeführte Unter-
scheidungen findet man bei Apulejus [de deo Socr. p. 49 Elm. c. 15
p. 17 f. Goldb.] und bei Martianus Gapella H, 155 — 162, wie sich
denn die spätere Theologie und Philosophie, vollends seitdem sie
von den Neuplatonikern beherrscht wurde, immer mit ganz besondrer
Vorliebe auf die Dämonologie des älteren Volksglaubens eingelassen
hat. Dieser selbst aber kannte solche Eintheilungen und Abgrenzungen
natürlich nicht, der der Griechen und der italischen Bevölkerung
um so weniger, da eine ähnliche Verehrung der Gestirne, wie sie
im Oriente gewöhnlich war und sich später von dort auch über
den Occident verbreitet hat, beiden fremd war. Wohl aber kannte
der italische Genienglaube nicht blofs Genien der Menschen, der
') Serv. V. A. III, 63 Sunt etiam qui putenl Maries eosdem esse, quos ve-
tustas Genios appellavit, duosque Manes (ein guter uod ein böser Dämon) cor-
poribus ab ipsa statim conceptione assignatos fuisse, qui ne mortua qui dem
corpora deserant consurnptisque etutrn corporibus sepulcra inhabüent. Ks sind
die Neuplatoniker, s. Augustin C. D. IX, 11.
*) Arnob. III, 41 Varro similüer haesitans nunc esse Mos (sc. Lares) Manes
et ideo Maniam matrem esse cognominatain Lamm , nunc aerios rursus deos
et heroas pronuntiat appellari, nunc antiquorum sententias sequens larvas dicit
Lares, quasi quosdam genios et defunctor um animas.
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GENIEN DER GÖTTER.
85
irdischen Verhältnisse, der Verstorbenen, sondern auch Genien der
Götter, ein sehr eigenthümlicher Glaube, welcher eben deshalb nicht
leicht zu erklären ist So heifst es in einer merkwürdigen Inschrift
aus Furfo im Lande der Vestiner bei Mommsen I. N. n. 6011, Orelli
n. 2488, [C. I. L. 1, 603] der Stiflungsurkunde eines Tempels
des luptter Liber v. i. 58 v. Chr.: Sei quei ad hoc templum rem
deivinam fecerit lovi Libero aut lovis Genio, pelleis coria fanei
sunto, und in den Urkunden der Arvalischen Brüder t. 32 und 43
[s. Bensen Acta S. 144] wird auf dieselbe Weise neben der Haupt-
göttin des Haines, der Dea Dia, eine luno Deae Diae genannt, wie
bei Or. n. 1882 eine luno der Isis Viclrix. Eben dahin gehört der 7*
Genius Iunonis Sospitae bei Martian. Cap. I, 53, ein Genius Priapi
bei Petron. 21, ein Genius Famae bei Martial VII, 12, 10 ein Genius
Forinarum, welche Göttinnen zu Rom verehrt wurden, bei Or. n.
49 = 1712 [=C. I. L. 6, 422], ein Genius Somni bei Or. n. 1681:
neben welchen Stellen und Inschriften des eigentlich römischen
Sprachgebrauchs viele Ahnliche aus verschiedenen Gegenden des
Reiches beigebracht werden können: Or. n. 1731 [= C. I. L. 5,
5216] Genio Asclepii aus der Gegend von Lecco am Corner See,
lb. n. 1351. 1352 Genio Marlis aus Rheinbaiern, Henzen n. 5866
Genio Mercurii Alauni aus Mannheim, Creuzer D. Sehr. II, 2, 361 ff.
Genio Apollinis aus dem badischen Unterrheinkreise, Seidl Dolichenus-
cult S. 69 n. 43 Genium 1. 0. M. D. d. h. lovis 0. M. Dolicheni
aus Niederöstreich, [ein Genius Virtutum bei Ren. Alger. 1515, ein
Genius Lib(eri) Aug(usti) C. I. L. 5, 326, unter vielen anderen Gott-
heiten in Tarraco ein G. lovis, G. Marlis, G. Victoriae und endlich
G. Meus 2, 2407 u. a. m.]. Also eine eben so weit verbreitete
und ausdauernde als in ihrer Wurzel gewiß italische und alt-
römische Vorstellung, deren Grund und Absicht auf verschiedene
Weise erklärt worden ist. Einige, wie Creuzer a. a. 0. haben sich
diese Genien der Götter als deren Ausflüsse und Epiphanien gedacht,
oder mythologisch aufgefafst als zeugungsfähige Söhne, Boten und
Diener der Götter, deren Namen sie führen, Andre, wie Schömann
und Ukert 1 ), als untergeordnete und dienende Gehülfen, wie die
dalfiovtg ttqotioXoi im Cultus der Griechen: gegen welche Er-
l ) Ukert über Dämonen , Heroen und Genien in den Abb. d. Piniol. Hiator.
Cl. der K. Säebs. Geaellacb. d. W. 1, 137—219, Schümann de Dia Manibna,
Laribna et Geoiia, Opusc. acad. 1, p. 350— SSO.
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86
ERSTER ABSCHNITT.
Erklärungen vorzüglich dieses spricht, dafs hei jedem Gottesdienste
immer nur ein Genius genannt wird, nicht mehrere, selbst dann
nicht, wenn die angebetete Gottheit selbst im Plural benannt ist
z. B. Genius Forinarum, [Virtutum]. Es scheint mir deshalb richtiger
diese Genien den geniis locorum unterzuordnen, so dafs sie für die
Repräsentanten der in einem bestimmten örtlichen Cultus verehrten
Gottheit zu halten wären 1 ), welche gleichsam für und anstatt dieser
Gottheit die Opfer, Gebete, Gelübde der Frommen in Empfang
nehmen: also für das localisirte numen dieser Gottheit, wie
sich denn in der That in der Praxis des römischen Gottesdienstes
die Begriffe numen und genius sehr nahe standen, vgl. Or. n. 1770
[= C. L L. 6, 1770] aus Rom : Numini Fortis Fortune, Ib. n. 2192
Sacerdos Publ. Numinis Cap(uani), Henzen n. 5758* [=Ren. Alg. 93]
die Inschrift eines Quellenhauses : Numini Aquae Alexandrianae ;
hanc aram Nymphis extruxi u. s. w., bei Fabr. p. 77, 87 [C. I. L.
6, 151] sogar ein Genius Numinis Fontis. [Ferner, C. I. L. 3,
985: numini Aesculapio et Hygiae, 6, 6: Aesculapio . — gratias
agentes numini tuo 3, 1562: dis et numinibus Aqua nun, Bull. dell.
inst 1870, 19: numini evidentissimo (das gr. ijTKpa^ijg) Mi-
nervae Aug.; C. I. L, 6, 3681: Fortunae Primigeniae aram ex voto
posuerunt, numin(i?) eius inb. eius (so verdorben) privato. Doch
gehören diese Vorstellungen z. Th. zu den oben S. 52 behandelten.]
Womit übrigens nicht in Abrede gestellt werden soll dafs hin und
76 wieder diese Genien wirklich in eine genealogische Verbindung mit
den Göttern, welche sie zu vertreten hatten, gebracht oder auch
mythologisch für deren Diener und Gehülfen angesehen worden
sind, vgl. den schon einmal angeführten Ausspruch des Aufustius
bei Paul. p. 94 Genius est deorum filius et parens hominum.
Namentlich scheint die Theologie der Etrusker in dieser Hinsicht
sehr weit gegangen zu sein , da z. B. das wunderbare Kind Tages,
ein Kind an Jahren, grau vor Weisheit, welches bei Tarquinii im
*) [Diese Auffassung trifft gewiss allein das richtige: der genius dei, die
iuno deae sind die Persönlichkeiten dieser im Kultus individualisirten Per-
sönlichkeiten, welche wie die einzelnen Menschen ihr Haus (aedis), in welchem
sie allein herrschen und nur Schutzbefohlene Mitbewohner aufnehmen, ihren
Geburtstag (natalis), ihr Vermögen (sacra res, supellex) haben: vgl. Jordan
Eph. epigr. 1872, 232 ff., Top. 2, 276. Wenn von genü weiblicher Gottheiten
die Rede ist [Furinarum, Virtutum), so ist das ungenau oder es mischt sich
hinein der freilich verwandte Begriff der Tutela und des Genius huius loci,
über welchen mehr Abschn. X.]
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DIE GEMEN.
87
frischgepflügten Felde auftauchte und den Lucumonen Etruriens die
Grundzüge der Haruspicin offenbarte, Genii fllius und nepos lovis
genannt wird, s. Fest. p. 359, Cic. de Divin. II, 23, 50 u. A. [Müller
Etr. 2 8 , 24 ff.] Eben dahin gehört wohl auch die etruskische Lehre
von den Penaten, über welche Arnobius III, 40 aus verschiedenen
Schriftstellern allerlei Unklares zusammengetragen hat. Es werden
nehmlich hier zuerst nach Nigidius vier Klassen der Penaten unter-
schieden, Penaten des Jupiter oder des Himmel«, Penaten des Nep-
tun oder der Gewässer, Penaten der Unterwelt und viertens die
gewöhnlichen Penaten unter den Menscheu auf der Erde, und da-
rauf aus einem andern Schriftsteller als Penaten des Himmels, wie
es scheint, namhaft gemacht : Fortuna , Ceres oder der Genius Io-
vialis und der männliche Pales, ein Diener und gleichsam der länd-
liche Statthalter des Jupiter, wie von ihm hinzugesetzt wird : wenn
ich anders diese nachlässig excerpirten Bruchstücke einer dunklen
Lehre richtig verstanden habe 1 ).
Das Walten und Wirken der Genien wurde natürlich noch
geisterhafter gedacht als das der Götter, daher sich die Vorstellung
hier auch weit länger gegen die Bilder in menschlicher Gestalt ge-
sträubt hat. Immer ist das Bild der Schlange im Volke das ge-
wöhnliche für die Genien geblieben, selbst in Rom und nachdem
die ofticielle Darstellung z. B. des Genius Populi Romani die mensch-
liche geworden war [unten X, 2]. Was das Geschlecht betrifft, so
ist der Begriff des Genius zwar männlich, doch liefs man es in ge-
wissen Fällen dennoch dahingestellt sein (S. 56, 1), während sonst
die Frauen anstatt der Genien ihre Iunones hatten*) und in
solchen Häusern, wo Mann und Frau in blühender Ehe lebten, 77
zwei Genien angenommen wurden, die sich hin und wieder durch
die Erscheinung von zwei Schlangen , einer männlichen und einer
weiblichen, am Ehebette offenbarten. Und so pflegte auch den
Ortsgenien entsprechend eine weibliche Fortuna oder Tutela loci
l ) Nigidius — discipUnas Etruscas sequens gener a esse Penatium quattuor
(prodidit) et esse lovis ex his alios, alios Neptuni, Inferorum tertios, morta-
Uum hominum quartos, inexpUcabile nescio quid dicens. Caesius et ipse eas
sequens Fortunam arbitratur et Cererem Genium Iovialern ac Patern, etc.
Vgl. oben S. 71 and 0. Möller Etrusker 2, 88 ff. [Möglich dafs zu diesen
dienendes Gottheiten der E. die Maris gehören: Corssen Etr. 1, 263 ff.]
») Plin. EL N. II, 16 maior caelüum populus etiam quam hominum — ,
cum singuli quoque ex semet ipsis totidem deos faciant, Iunones Geniosque ad-
aptando sibi. [Vgl. unten S. 242, 566.]
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88
ERSTER ABSCHNITT.
verehrt zu werden , obwohl der Genius schlechthin auch hier das
Gewöhnlichere war. Endlich liefs man auch hier gewisse ethische
Unterschiede gelten, indem man lichte und dunkle, freundliche und
feindliche, gute und böse Genien annahm, wobei es freilich schwer
ist den griechischen Glauben der späteren Zeit von dem älteren
italischen und griechischen zu unterscheiden. Da indessen nach
italischem Volksglauben selbst unter den Göttern auf ähnliche Weise
unterschieden wurde (S. 47), so mag es bei den Genien noch viel
mehr der Fall gewesen sein, vollends bei den Etruskern, deren
Dämonologie überhaupt sehr weit ausgebildet war und deren Ge-
müth ohnehin zum Schrecklichen und zur Selbstpeinigung neigte;
wenigstens sind die Bilder und Gemälde ihrer Gräber sehr reich
an allerlei Schreckgestalten der Geisterwelt Doch darf man für
gewifs halten, dafs der gewöhnliche Glaube an den genius natalis
für jeden Menschen nur einen solchen zu lief s, welcher indessen je
nach der individuellen Begabung, dem sittlichen Verhalten und dem
Geschick oder Ungeschick des seiner Hut befohlenen Menschen
selbst mächtiger oder ohnmächtiger, reiner oder weniger rein, ge-
schickt oder ungeschickt galt, wie dieses später weiter ausgeführt
werden wird. Hier sei nur auf den Excurs über die Genienlehre
bei Ammian. Marc. XXI, 14 verwiesen, wo die eigne sittliche An-
strengung des Invividuums ausdrücklich vorbehalten und dem Tüch-
tigen die unsichtbare Hülfe seines Genius versprochen wird, wie
Scipio d. Ä. , Marius und Octavian nur im Vertrauen auf ihren
Genius und von demselben unterstützt so Aufserordentliches hätten
leisten können. Dagegen soll der Glaube an zwei Genien für jeden
Menschen unter den griechischen Philosophen zuerst von dem Me-
gariker Euklides ausgesprochen und nach diesem von dem römi-
schen Dichter Lucilius weiter ausgeführt sein, Gensorin d. d. n. 3,
eine dualistische Lebensansicht, welche hin und wieder zwar nach-
gesprochen wird J ) , aber auf den herrschenden Glauben niemals
Einflufs gewonnen hat.
3. Die Semonen und Indigeten.
Heroen in dem Sinne der griechischen Heldendichtung hat
Italien allerdings nie gehabt; es fehlte eben die wesentliche Be-
») S«rv. V. A. VI, 743 cum natcimur duos Genios tortimur. Unus est
qui hortalur ad bona, alter qui depravat ad mala: quiius astistentibu* post
mortem asser itnur in meliorem vitam aut condemnamur in deteriorem.
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DIE SEMONEN. 89
dingung einer solchen, das nationale Epos. Wenn die griechischen
Schriftsteller das römische Wort lar durch ygoag übersetzen 1 ), so
ist dieses Wort dabei nur in seinem späteren Sinne zu verstehen,
wo es jeden verklärten Geist eines Verstorbenen bezeichnete und
beinahe gleichbedeutend mit daipcov war. Wohl aber ist eine ge-
wisse Anlage zum Heroenglauben im Sinne der älteren griechischen
Sage auch in Italien nicht zu verkennen, ich meine den Glauben
an personificirte Schutzgeister, welche für die Urheber der ältesten
nationalen Stiftungen , Verbündungen und Staaten , die ältesten
Könige, die ältesten Anfuhrer im Kriege galten und bei den Grie-
chen gewöhnlich als ygcosg i/ccovvfiot, intxcoQioi,, xilatai d. h.
als die idealen Urheber der ältesten Benennungen eines Volkes, der
Blüthe seiner Landschaft und der Gründung seiner Städte verehrt
wurden. Nur dafs auch dieser Glaube in den meisten Fällen so
sehr bei den ersten Anfangen stehen geblieben ist und so wenig
die Kraft einer originalen Sagenbüdung bewiesen hat, sei es dafs
dieselbe überhaupt nicht vorhanden war oder dafs ihre Entwicklung
so früh gestört wurde, dafs gewöhnlich auch hier die griechische
Mythologie hat aushelfen müssen, z. B. beim Hercules und beim
Aeneas, wo der Kern ein latinischer ist, aber der Name und aller-
lei mit demselben übertragener Putz der griechische. In andern
Fällen, wie in gewissen Sagen aus Praeneste, aus dem sabini-
schen Cures, selbst in der Sage von Romulus und Remus, sind die
Bilder schon concreter und die Gestalten so fest geworden, dafs der
originale Kern sich auf die Dauer behaupten konnte. Aber merk-
würdiger Weise und ganz im Sinne der politischen Vorbestimmung
Italiens werden auch diese Heroen mit besonderer Vorliebe als Ur-
heber der ältesten Staaten und als Gesetzgeber geschildert, deren
Verdienst, damit es um so glänzender hervortrete, gewöhnlich auf
dem Hintergrunde eines durch sie überwundenen Lebens von armen
') So übersetzt Dionys. Hai. die lares compüales durch rjototq nQovtömoi
und Derselbe IV, 2 und Plutarch d. fort Ro. 10 in der Geschichte des Servins
Tullius den Ausdruck lar fa miliaris durch 6 xect olxlttv rjnwg oder r/o mg
oIxovqos. Vgl. die Gloss. Labb. ^wf c lares, lares yowts xaroixtötoi und
Cicero Fragm. Timaei 11 Reliquorum autein, quos Graeci taipovas appellant,
nostri ut opinor lares, si modo hoc rede cottversum videri potest. [Die Er-
finder der Gleichstellung des lares und ygutes gehören in die Reihe der S. 81
A. 3 characterisirten philosophirenden Grammatiker. Fustel de Coulaoge,
La cite antique, 2. A. S. 20, u. a., halten diese Theorie für geschichtliche
Ueberlieferung.]
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90
ERSTER ABSCHNITT.
79 Hirten und bösen Räubern erscheint, weit weniger als Helden natio-
naler Kriege und Schlachten, mit denen sich die italische Sage nie-
mals eingehender beschäftigt zu haben scheint.
Es handelt sich hier von den schwierigen Begriffen der Se-
monen und der Indigetes, die schon den Alten mit der Zeit
sehr unklar geworden waren, aber beide mit einiger Sicherheit als
nationale Laren oder Genien deOnirt werden können. Als
solche d. h. als Schutzgötter und ideale Vorstände einer ganzen
Landschaft oder Nation hatten sie von derselben sicher auch ge-
wisse Grundzüge einer bestimmteren Gharacteristik durch Eigen-
schaften und örtliche Verehrung angenommen und dieses mag die
Ursache sein, weshalb man sie von der allgemeinen Klasse der
Genien und Laren ausschied und besonders benannte. Offenbar
sind sie es welche mit den griechischen Heroen des älteren Glau-
bens noch am meisten Verwandtschaft haben.
Die Semones werden als den Laren gleichartige Wesen schon
durch das Lied der Arvalbrüder characterisirt, dessen erste Hälfte
mit dem Verse beginnt: E nos Lases iuvate, während die corre-
spondirende zweite so anfangt: Semunis alternei advocapit conctos
d. h. Semones alterni advocabite cunctos ! ). Den Plural Semones
kennt auch Martian. Cap. n, 156, obwohl er bei seiner Erklärung
des Wortes irrthümlich an Semis denkt und deshalb die Semonen
für Halbgötter (Semidei, rjfjtl&sot) d. h. im Sinne der Griechen für
Heroen hält 8 ). Endlich kennen wir namentlich den sabinischen
J ) So die gewöhnliche Erklärung, welche für unrichtig zu halten mich die
Bedenken von ßergk Ztschr. f. A. W. 1856 n. 18 nicht bestimmen können.
[Doch vgl. Jordan Krit. Beitr. 210.]
*) [Sed supetior portio eos sie ut conspieis claudit quos rjuiOtoi; dicunt
quosque Latine Semones aut semideos convenit memorart. Nichts anderes als
die Notiz, die Semonen seien Halbgötter, hatte, wie schon Härtung und Lersch
bemerkt haben, der Falscher Fulgentius vor Augen, dessen Zeugnifa P. im
Text gelten litis de abstr. serm. S. 561 (vgl. Lersch S. 40) : Semones dici
voluerunt deos, qttos nec caelo dignos ascriberent ob meriti paupertatem, sicttt
Priapus Epona Vertumnus, nec terrenos eos deptäare vellent pro gratiae vene-
ratione sicut Farro {Varro fehlt in Lerschens Brüsseler Hsch.) in Mystagogo-
rum (ysagogarum eine Brüss. Hs.) libro ait : Semoneque inferius derelicto detim
pinnato orationis edtollam eloquio (semonesque i derelicios die eine Brüss. Hs.;
pinnato Für depennato Preller). Fiogirt ist das Citat und rein willkürlich die
Anführung der drei Götter. Verunglückt ist Hartungs Conjektor (Rel. 1, 42):
in universo* semunis (homines die Hs.) seien die Salierlieder verfasst. Vgl.
Jordan Krit. Beitr. S. 204.J Einige unterschieden zwischen Halbgöttern und
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DIE INDIGETEN.
91
Semo Sailens, welcher identisch war mit dem Schwurgotte DiusFidius
und dem römischen Hercules so nahe stand, dafs er mit ihm ver-
wechselt werden konnte, s. Varro 1. L V, 66 Auch dieser römische
Hercules aber war, wie ich unten [XI, 1J weiter ausführen werde,
kein Gott im strengeren Sinne des Worts, sondern ein Genius, der so .
schaffende und schützende Genius der römischen Stadtflur, welcher
später mit dem frühzeitig auch in Italien für gleichartige Gestalten
sehr behebt gewordenen Namen des griechischen Heroen benannt
wurde. Die rechte Wurzel des Wortes Semo ist schwer zu finden,
doch scheint es nicht blos dem sabinischen, sondern auch dem la-
tinischen Dialecte angehört zu haben, da es sich sonst kaum in
jenem alten Liede der Arvalbrüder finden würde. Am natürlichsten
wird man es mit Härtung u. A. von dem Stamme sero, semen,
semino ableiten, von welchem auch die Göttin Semonia ihren Na-
men hatte. Das seltnere und altertümliche Wort Semo würde
dann genau dem gewöhnlicheren Genius entsprechen, da es in einem
ähnlichen Verhältnifs zu serere stände wie dieses zu genere. Wie
alt und tiefgewurzelt auch in Italien die Uebertragung der Vorstel-
lung des Säens auf Zeugung, der Saatgottheiten auf die Gottheiten
des Anfangs, der Erzeugung, der Bildung und ersten Cultur über-
haupt war, das beweist sehr deutlich die Verehrung des Janus Con-
sivius, des Saturnus, der Ops Consivia u. dgl. m. *).
Nicht weniger schwierig ist die etymologische Erklärung des
Begriffs der Indigetes oder Indigites, wo die Alten mit ihrer
mangelhaften Etymologie wieder fehlgreifen, aber durch ihre Etymo-
logieen doch wenigstens die herrschende Vorstellung ausdrücken,
s. Servius zu Virg. Ge. I, 498 u. Aen. XII, 794. Nigidius Figulus,
ein ebenso schlechter Etymolog als Varro, leitete das Wort ab von
egere, Indigetes seien überhaupt alle göttliche Wesen, quasi nullius gi
Heroen, z. B. Labeo b. Augustin C. D. II, 14, welcher Plato zu den Halb-
göttern rechnete, wie Hercules und Romulus. Semideos atdem heroibus ante-
ponit, sed utrosque inter numina collocat. [Endlich ist anzuführen, dafs nach
dem Zeugnifs des Baebius Macer, eines Zeitgenossen des Trajan, bei Serv. A.
IX, 47 dem Caesar bei Lebzeiten eine Statue mit der Inschrift Caesari hemitheo
gesetzt wurde. Ueber diese Anknüpfung des Kultus der divi an die Heroen-
verehrung, vgl. Jordan Hermes 9, 345. 355.]
') [Vgl. fiugge, Altital. Studien (Chris tiania 1878) S. 71 f. Jordan Krit.
Beitr. S. 206 : Semunis st. Semones kommt auf Rechnung der späten und
fehlerhaften Steincopie des Arvalenliedes].
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92
ERSTER ABSCHNITT.
rei egentes 1 ), welche Erklärung schon dadurch widerlegt ward dafs
das Wort im gewöhnlichen Sprachgebrauch eine so allgemeine Be-
deutung nie gehabt hat. Andre erklärten Indigetes proprie sunt
dii ex homnibus facti, quasi in diis agentes, also consecrirte Sterb-
liche von besonderm Verdienste, wie die Helden der Vorzeit und
die Divi unter den Kaisern, und diese Erklärung, so wenig sie ety-
mologisch haltbar ist, scheint nicht allein am meisten Anklang ge-
funden zu haben 2 ), sondern auch das Wesen der Sache am meisten
zu treffen, nur dafs diese Divi nicht wirkliche Menschen gewesen
waren, sondern schützende Genien des Landes und der Nation,
welche in den Sagen der Vorzeit als Menschen erschienen. Noch
Andre erklärten ab invocatione Indigetes diclos, quod indigeto est
precor et invoco , wodurch diese schwierige Untersuchung mit der
gleichfalls schwierigen über die Bedeutung der priesterlichen Indi-
gitamehta in Verbindung gebracht und dadurch vollends erschwert
worden ist 3 ). Mir scheint, um hier gleich meine Ansicht über
beide Benennungen auszusprechen, das Wort Indigitamenta mit
index und indicare zusammenzuhängen, wie denn auch der seit August
als Sol Indiges verehrte Sonnengott nicht wohl etwas Anderes ge-
wesen sein kann als der Späher, der Anzeiger, der index, in dem-
selben Sinne wie in Athen ein Hercules Mijvvrjig verehrt wurde,
s. Cic. d. Divin. I, 25, 54 [s. Griech. M. 2, 259 A. 1]. Der Name der
Indigetes dagegen scheint mir abgeleitet werden zu müssen von
i n d u und g e n o , zumal da auch die Form Indigentes im Ge-
brauche war 4 ). Also eingeborene Genien oder Heroen, örtliche
82 Schutzgeister die an einem bestimmten Orte und im engsten Natur-
») Vgl. M. Hertz de P. Nigidii Fig. stud. p. 20. 36. Cato d. Ä. hatte
eioe Rede de Indigitibus gehalten, s. Fest. p. 339 Sequester [Jordan S. 70],
so dafs also die Vorstellung bis dahin ziemlich feststehen mufste.
*) Arnob. 1, 64 tyrannos ac reges vestrot — appellatü Indigetes atque Divos.
Vgl. Sil. Ital. X, 437 Indigetesque Dei, sponie inter numina nosira. Claudian
de hello Gildon. 131 Macrent Indigetes et si quos Roma recepü aui dedit
ipsa deos.
») Klausen Aeneas und die Penaten S. 907 ff.
«) Vgl. die verstümmelte Inschrift vom Forum in Pompeii, die zu einem
Bilde des Aeneas gehörte, bei Mommsen I. N. >. 2188 [C. I. L. 1 , p. 283]
Aeneas Feneris et Anchisae filius — ( cum nimbo exorijo non con ( paruisset
dictus J est Indigens (et in deorumj nurnero relaitts. Placidus Gloss. p. 474
ed. Mai [p. 56 Deucrl.J Indiges dicitur interdum hemitheus — ab indigendo
divinitate, qui cum homines fuerint, dicuntur tarnen divini. Dicunt etiam qui-
dam Indigetes deos naturales et caelestes a contrario, quod nulüs indigeant.
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und geschichtlichen Zusammenhange mit diesem Orte verehrt wur-
den, die ^Qatsg iyyouuoi oder imxt*Q*oi der Griechen. Gewifser-
mafsen die ansä£sig gewordenen Aboriginer, denn auch diese Vor-
stellung ist weit mehr eine mythische als eine historische.
Zu dieser Erklärung führt auch die Analyse verschiedener alter
Eides- und Gebetsformeln sammt andern Stellen, in denen die In-
digeten bald neben den Laren bald neben den Penaten bald neben
andern Genien und Schutzgöttern des römischen Staates genannt
werden. So spricht der Pontifex bei der Devotion des Decius nach
Liv. VIII, 9 demselben diese Formel vor : lane, Iupiter, Mars Pater,
Quirinus, Bellona, Lares, Divi Novensiles. Divi Indigetes,
Divi quorum est potestas nostrum hosüumque, Diique Manes, vos
precor etc. Desgleichen in der wichtigen, leider nur in griechischer
Uebersetzung erhaltenen Verschwörungsiormel des Drusus bei Dio-
dor Exc. Vat. XXXVII, 4, wo es mit einigen notwendigen Aende-
rungen so heifst: öfiwp* tov Jla töv KantxüUov xai %yv
l E(ftlav tijg l Ptofir]g xai tov natq^ov avtyg v Aqt\v xai töv ysv-
aQ%fiv 'Evväliov*) xai evtqyinv ty&v xs xai (pvttav rijt>,
it i di vovg xxiötag y eyevtj fisvovg Tyg'Pwfjbtjg tjpi&sovg
xai tovg (fvvav^tjaavtag trjv fiytfiovlav avttjg yQutag,
auf Lateinisch etwa: per Iovem 0. M., Vestam, Martern Patrem, Qui-
lonum genitorem , Terram matrem , Deos Indigetes , wo jene Dii
Patrii entweder die Lares publici oder die Penaten von Rom sind,
die Indigetes aber (ich wüJste nicht welche Götter sonst verstanden
werden könnten) deutlich neben ihnen als Schutzgeister des Staates
bezeichoet werden. Dazu kommen die Stellen der Dichter bei der
Anwendung ähnlicher Formeln, voran Virgil. Georg. I, 498 Dii
patrii indigetes 8 ) et Romule Vestaque Mater, ferner Ovid. Met. XV,
861 Di, precor, Aeneae comites, quibus ensis et ignis cesserunt
(die troischen Penaten), Diaue Indigetes genitorque Quirine Urbis
(d. i. Romulus) et invicti genitor Gradive Quirini (d. i. Mars),
[Anders Corssen De Volscorum lingua pg. 18, nach welchem ladiges und
indigitameota voa einem verschollenen Vernum indigere i. e. invocare
abzuleiten sind. Indiges, aus indigetus wie mansoes aus mansuetua, be-
*) So ist zu lesen für das gewöhnliche iov ytvnQXW "HUw n. t. tv~
■) Es war seit alter Zeit streitig ob zu interpungiren sei Dii patrii, in-
digetes oder nicht.
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94
ERSTER ARSCHNITT.
Vestaque Caesareos inter sacrala Penates. Endlich Lucan PharsaJ.
ss 1 , 556 Indigetes flevisse deos nobisque laborem Testatos sudore
Lares, und Silius Ital. Pun. IX, 294 Indigetesque Dei Faunusque
satorque Quirinus, und dazu die Erklärung bei Paul. p. 106 Indi-
getes dii. quorum nomina vulgari non licet 1 ), wodurch sie gleich-
falls für schutzende Genien der Stadt und des Staates erklart wer-
den, denn nur bei diesen wurde der Name so sorgfaltig geheimgehalten.
Uebrigens gab es solche Indigeten nicht blos in Rom, sondern auch
in Präneste, s. Serv. V. A. VIII, 698 ibi erant pontifices et dii In-
digetes, sicut etiain Romae. Der einzige etwas näher bekannte
Cullus der Art aber ist der mit Beziehung auf das alte fiundes-
heiliglhum der Penaten von Lavinium am Numicius verehrte Pater
Indiges oder Deus Indiges oder Iupiter Indiges d. h. Divus
Pater Indiges, welcher später allgemein für identisch mit dem troi-
schen Aeneas gehalten und deshalb auch als Aeneas Indiges an-
gerufen wurde. Die gewöhnliche Erzählung lautete, dafs Aeneas in
der Schlacht mit Turnus oder Mezentius plötzlich und zwar in dem
Flufse Numicius verschwunden sei, worauf ihm sein Sohn oder
die Latiner dieses Heiligthum errichtet hätten, wie Dionys. Hai. I, 64
auf griechisch erzählt: xai avtta xara<fxfvä£ov(fu> ol Aailvoi
rjQtooy tniyot((f i; i oiüds '*oOfiov(A£VOV flatQog &eov /'/orior
6g noxapov Nopixlov Qevpa didnti d.h. auf lateinisch
etwa: Divi Patris Indigetis, qui Numicii amnis undas temperat.
Es ist, wie ich später weiter ausfuhren werde, nicht unwahrschein-
lich, dafs dieser Indiges, der Urheber der latinischen Penaten und
der P natenstadt Lavinium, ursprünglich kein Andrer gewesen als
der Flusgott des Numicius , als alter König dieses Thaies gedacht,
wie Pater Tiberinus gleichfalls für einen alten König galt und zu
Rom und anderswo in demselben Sinne einer schöpferischen und
culüvirenden Macht der Vorzeit verehrt wurde. Erst später wurde
der Name des troischen Aeneas auf jenen Pater Indiges übertragen
und dadurch die ganze Aeneassage als ein neues und ausländisches
») Vgl. das Glossar, b. Barth. Advers. XXVHI, 19 Indigetes dii, quo-
rum nomina non audebant profe rre [aus Festos]. Auch die Erklärungen
der Gloss. Labb. Indigetes rjfiid tot . KovQrjrfs öttfftovfs und Indigetes
KovQrjits ol ntol tov Tlatava chnracterisiren die Indigetes als schützende
Dämonen und altijtxttxot , zumal da auch die Laren nicht selten mit den Ku-
reteu verglichen werden, s. Lobeck Agl. p. 1177. Bei Macrob. Somn.
Scip. I, 9, 7 werden die Hesiodischen Dämonen, Op. 124, durch Indigetes Divi
übersetzt.
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95
Reis auf den alten Latinerstamm der Sage und des Cultus von
Lavinium gepfropft.
Eine Eigenthürolichkeit dieser Indigeten und der latinischen m
und römischen Könige und Helden der Vorzeit überhaupt ist
es, dafs sie zwar menschlich leben, aber dann auf eine geisterhafte
Weise verschwinden, nicht wie die Homerischen Helden sterben,
sondern wie die der deutschen und andrer Volkssagen ] ) entrückt,
aber dadurch zugleich verklärt und erhöht werden. Der gewöhn-
liche Ausdruck dafür ist non comparuit oder nusquam appa-
ruit, was unserm -ward nicht mehr gesehn' entspricht und sich
bei den Römern in so verschiedenen Wendungen und bei so vielen
Veranlassungen wiederholt, dafs die zu Grunde hegende Anschauung
eine sehr volkstümliche gewesen sein mufs *). So ist dieses na-
mentlich immer der Ausgang der Erzählungen vom Aeneas, s. Serv.
V, A. IV, 620 nach Cato [Catonis reliquiae ed. Jordan p. 6], qui
Urnen Aeneas in ipso praelio non comparuit, und Augusün C. D.
XVLI1, 19 nach Varro : Sed Aeneam quoniam — non comparuit,
deum sibi fecerunt Latini, vgl. Paul. p. 106 Indiges. — Hoc nomine
Aeneas ab Ascanio appellatus est, cum pugnans cum Mezentio
nusquam apparuisset, und Schol. Veron. Aen. 1, 259 Aeneas
uxore et regno potitus Laüno mortuo Etruscos certamine premens
in conflictu bellico (petitus nusquam ap)paruit et Numici flu-
minis gurgite haustus putatur 5 ). Daher Arnobius I, 36 parodirend
sagt : Indigetes Uli qui flumen repunt [irrepunt emendirt Klussmann
im Rudolstädter Gymnasialprogramm 1863, S. 17] et in alveis Nu-
mici cum ranis et piscicuüs degunt, so ganz und gar wurde dieser
Aeneas Indiges als numen des Flufses Numicus oder Numicius,
also als Flufsgott gedacht, gerade so wie Rea Silvia, die Mutter
der römischen Zwillinge, nach deren Geburt in den Anio oder den
Tiber stürzt und hier vom Pater Tiberinus zu seiner Gemahlin d. h.
zur Flufsgöttin erhöht wird. Aber auch der König Latinus, ver-
mutlich auch ein Indiges und dem Aeneas nahe verwandt, nur
l ) J. Grimm D. M. 903 ff.
') (Die hier gegebene Sammlung ergänzt C. F. W. Müller Plautinische
Prosodie S. 514 f.]
>) Vgl. noch die Inschrift tos Pompeii oben S. 81 und Dionys. I, 64 i6
<N Alvtiov aupa yavtaov ovöapij yevoptvov ol plv tlf 9tove pna-
vaarrjvat dxaCov ol d' Iv Jtf noTa/uifi — ötaq&ttQijvat. Zonar. Ann. VII, 1
«tf«vi)s 6 Alvituq ytvofxtvos, ovt€ yaq £av wpdrj ht ovrt ftijv
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96
ERSTEH ABSCHNITT.
dafs sein Heiligthum auf der Burg zu Lavinium, das des Aeneas
an jenem Flusse gezeigt wurde, verschwindet auf gleiche Weise,
Fest. p. 194 Latinus rex, qui proelio quod ei fuit adversus Mezen-
tium, Caeritum regem, nusquam apparuerit iudicatusque sitlupiter
factus Latiaris, welches nach Analogie jener Erzählungen vom
Aeneas höchst wahrscheinlich zu erklären ist durch Divus Pater
Latiaris d. i. der verklärte König, Held und Vater seiner Nation,
zumal da auch der sabinische Hercules d. i. Semo Sancus auf ähn-
liche Weise als erster König und verklärter Gott seines Volkes ge-
dacht und zu Reate als Pater Reatinus verehrt wurde 1 ), vgl.
noch Schol. Bobiens. Cic. pr. Plane. 9, 23 post obitum Latini re-
gis et Aeneae, quod ii nusquam c omparuerunt. Ferner ver-
schwindet auch Romulus auf dieselbe Weise, woraus später seine
Himmelfahrt gedichtet wurde, s. Probus V. Georg. III, 27 Proculus
Iulius persuasit populo, cum Romulus non compareret, und Ael.
Lamprid. Commod. 2 Indutus autem toga est Nonarum luliarnm
die, quo in terris Romulus non apparuit'), auch der albanische
König Aventius, derselbe nach welchem der Berg in Rom seinen
Namen bekam, s. Augustin G. D. XVIU, 21 Alii noluerunt eum in
proelie scribere occisum, sed non comparuisse dixerunt, auch Acca
Laren tia, die römische Flurgöttin, welche bald als die Frau des
Hirten Faustulus und Pflegemutter des Romulus , bald als liebe
Buhle des römischen Hercules gedacht wird und an einem angeb-
lichen Grabe von ihr im Velabrum verehrt wurde 3 ) , desgleichen
Saturnus, welcher gleichfalls gewöhnlich als alter König gedacht
wurde, s. Macrob. Sat. I, 7, 24 cum inter haec subito Saturnus
l ) Aognstin C. D. XVIII, 19 Sabini etiam regem suum primum Sancum
— retulerunt in deos. Vgl. Or. d. 1858.
*) Liv. I, 16 subito coorta tempestas cum magno fragore tonitribusque tarn
denso regem operuü nimbo, ui contpectum eius contioni abstulerit nee dein de
in terris Romulus fuit. Eben so heilst es in der Chronik, des Hierony-
mus [p. 83 Seh.]: Romulus apud paludem Caprae nusquam comparuit et
suadente lulio Proculo Quirini nomine apud suos eonsecraius est, und bei dem
Chronographen vom J. 354 subito nusquam comparuit, s. Mommsen in
den Philol. hist. Abb. der K. Sachs. G. d. W. 1 S. 645 nnd 691.
•) Plutarch Ro. 5 Uyerai Sh airrrjv frtfofov ovaav rjSt] xal d-toytlij ro-
{uCoufrijv aajavfj ytvta&ai ntql iovxov tov xonov iv ©5 xul ttjv
nqoriottv Ixtivnv Attoevitav xetafhxi. Von dem Hirten Fanstnlas, welcher
gleichfalls ein örtlicher Dämon ist, zeigte man ein Grab anf dem Comitium,
Fest. p. 177 Niger lapis.
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DIE GENEALOGISCHE FAMILIENDICHTUNG.
97
non comparuisset . excogitavit Ianus bonorum eius augmenta. Ja
derselbe Glaube und derselbe Ausdruck wiederholt sich auch von
einem Flufsgott in Campanien *) und in verschiedenen andern Wen- es
düngen s ) , so dafs wir ihm jedenfalls eine weite Ausdehnung und
allgemeine volkstümliche Geltung in Italien zuschreiben können:
was dann wieder wohl auf einen lebhaften Zug zum Mährchen hin-
deutet, dem wir noch oft begegnen werden, aber keineswegs auf
eine Anlage zur Heldensage und zur epischen Dichtung.
So ist auch die genealogische Familiendichtung, welche sich
bei einer mythologischen Grundanschauung in den älteren Ueber-
lieferungen der Völker und Staaten sonst so lebhaft geltend macht
und in Griechenland bis auf die Zeit des Plato und Alcibiades fort-
wucherte , ja das alte lacedämonische Königthum bis zu seinen
letzten Sprossen begleitet hat., in Rom und Italien niemals über
die ersten Anlange hinausgekommen. Romulus ist zwar der Sohn
eines Gottes, aber selbst ohne Kinder; Numa empfängt seine
Weihe durch die Auspicien, seine Offenbarungen von der Egeria;
Servius Tullius ist der Sohn eines Hauslaren und Liebling der
Fortuna. Die Fabier leiteten ihr Geschlecht zwar vom Hercules ab
und so mögen auch andere Geschlechter auf die einheimischen Ge-
nien und Dämonen zurückgegangen sein, aber eine weitere Ausbil-
dung und Ausbeutung solcher Sagenkeime durch Tradition und Dich-
tung ist auch hier schwerlich anzunehmen, da nachmals die grie-
chischen Genealogieen so gänzlich vorherrschen. Ist später von
Romulus und Remus gesagt und gesungen worden, dem Wunder
ihrer Geburt, ihrer Schönheit und ihrer ausserordentlichen Bega-
bung, wie der alte Annalist Fabius Pictor sich nach einer Andeu-
tung des Dionys v. Halicarnafs auf solche Lieder wirklich berufen
») Saeton d. dar. rhet. 4 Hic Epidius ortum se ab Epidio Nurtino prae-
dicabat, quem ferunt olim praecipitaturn in fontein flutntnü Sami paulo pott
cum cornibus exstitisse ac s tu tun non comparuisse in numeroque deorum Ita-
bitum. Vgl. Serv. Aea. III, 108 vom Scamander: Victor in Xantho flumine lap-
sus non comparuit.
*) Auch die Sibylle vou Cumä verschwindet so, Gell. JN. A. I, 19 postea
nusquam loci visäm constitit, desgleichen die Dioskuren in der Schlacht bei
Sagra, Justin. XX, 3, 8 nec ultra apparuerunt quam pugnatum est. Vgl. auch
Cicero de Divin. I, 28, 58 von einem Traume seines Bruders, wo dieser ihn
zu Pferde in einem Fluss verschwinden {nusquam apparuiue) und dann wieder
auftauchen sah.
Prell er, Bom. Mythol. I. 3. Aufl. 7
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98
ERSTER ABSCHNITT.
hatte 1 ), so dürfen wir dabei kaum etwas Anderes voraussetzen als
die Lieder der Salier, welche nach Allem was wir von ihnen und
87 von anderen derartigen Gesängen wissen im höchsten Grade einfach
und weit mehr im Sinne einer Liturgie als in dem eines Epos ab-
gefafst waren. Und so werden auch jene oft besprochenen Lieder,
weiche von den Römern in alter Zeit beim Mahle zum Lobe ihrer
Vorfahren gesungen wurden'), weit mehr ethischen als epischen
Inhalts gewesen sein d. h. mehr die bürgerlichen und kriegerischen
Tugenden der einzelnen Glieder eines alten Geschlechts als die
Wunder seiner Abstammung und den Glanz seiner Helden in einer
mythischen Vorzeit hervorgehoben haben, welche letztere in Er-
mangelung einer lebhaften Einbildungskraft überall gar nicht oder
doch nur in sehr dürftigen Zügen vorhanden war. Weiterhin tritt
der alte volkstümliche Glaube an die übernatürliche Abkunft aufser-
ordentlicher Männer und die zeugende Kraft des Genius noch ein-
mal auf überraschende Weise in den Erzählungen von der Herkunft
des altern Scipio zu Tage. Dann aber kommt die Zeit wo die
griechische Bildung, unterstützt von dem adligen Hochmut Ii und
der politischen Berechnung der vornehmen Geschlechter, sich ganz
und gar auch dieses Zweiges der römischeh Ueberlieferung bemäch-
tigt hatte. Auch die gangbaren Erzählungen vom Stamm der Ju-
lier , der sich von Venus und Aeneas bis zu den albanischen Kö-
') Dionys H. 1, 79 otovs av Tic «|/w<rei€ Toif ix ßaaile(ov re (fuvras
yivovc xai änb öaifiovtav anoqag ytvio&tti vofitfapivovc., tos iv toTs na-
TQlotg vfxvoig vno 'Ptopaitov £n xai vvv tföetat. Plut. Nun. 5 xai
'Ptopvkov fih ovrot nccida &tdiv vfivovai (pqfiaig xai TQotprjv nva öatfxo-
viov avrov xai atot rjoiav amOTov ht vtjniov liyovatv. (Wobei zu bedenken
ist, \lass (ah ii' und vfivttv bei den überschwenglichen Griechen {auch von dem
Lobe in gebundner Rede gesagt wird. [Ebenso Dionys. 8, 62 wie Coriolan,
<f$eT«t xai vfirtirut nobs anavitov, als gerecht.] 3
*) Cicero Tusc. IV, 2 gravissimus auctor in Originibus dütä Cato, morein
apud maiores hutic epularum fuüse, ut deinceps qui accubarent canerent ad
tibiam clarorum virorum laude* atque vir tut ei. Vgl. Cic. Brut. 18, 19 [der
das apud maiores des Cato hier bestimmter mit multis ante suam aetatem sae-
culis umschreibt] und Non. Marc. p. 77 Varro de vita pop. R. lib. II: in con-
viviis pueri modesti ut cantarent carmina antiqua, in quibut landet erant maio-
rum, et asta voce et cum tibieitie. [Das 2. Buch des Varro behandelte wahr-
scheinlich die Zeit vom Ausgang der Königsherrscbaft bis auf die punischea
Kriege; er kann hier sehr wohl von Cato abhängig sein, jedesfalls bezeichnet
auch er die Sitte als längst erloschen, was Mtzsch, Annalistik S. 245 ff. über-
sieht.]
Googl
DIE GENEALOGISCHE FAMILIENDICHTUNG.
99
nigen und darauf wieder von Mars und Romulus bis zum Cäsar
und Augustus in einer mühsam verschlungenen Kette ausländischer
und einheimischer Ueberlieferungen zusammengefügt hatte ] ) , sind
ganz in diesem Geiste erdacht, vollends die Sagen der übrigen so-
genannten trojanischen Geschlechter, über welche Varro ein eignes
Buch geschrieben hatte. Die vielen Griechen , die als Hausfreunde,
Hauslehrer, Haussklaven, oder als Rhetoren und Grammatiker in
Rom lebten, hatten bald die Genugthuung der vornehmen Römer-
welt ihre Huldigung nun auch in dieser Form darbringen zu kön-
nen ; dahingegen diese vornehmen Römer selbst, ob sie gleich den
mythologischen Pomp und Staat einer solchen Verherrlichung nicht
ungerne sahen, doch wohl eigentlich in der Sache sich immer sehr
kühl und ironisch verhielten. So neckte Octavian den Antonius, 8S
der sich sehr mit seiner Abkunft vom Hercules brüstete, Cäsar
würde ihn gewifs adoptirt haben, wenn er es als Aeneade hätte
wagen dürfen einen Herakliden in sein Geschlecht aufzunehmen ■).
Und als die Julier nicht mehr regierten, sondern die Flavier, be-
dachte man sich nicht länger selbst die vielverherrlichten Geschich-
ten von Troja und dem troischen Aeneas zu den Fabeln zu
werfen *).
4. Dienende Gottheiten.
Neben den Hauptgöttern werden noch gewisse dienende Götter
genannt, welche mit jenen gewöhnlich ein Gruppe ausmachen und
insofern einen gottesdienstlichen Collectivbegriff bilden. Nach Paulus
p. 19 hiefsen sie anculi und anculae, ein Wort welches mit
ancilla, anculare und ancus zusammenhängt, welches leztere in der
Zusammensetzung cupencus bei den Sabinern einen Priester des
Hercules bedeutete, s. Serv. V. A. XII, 534. Nach Andern hiefsen
sie famuli, wie z. B. bei Virgil Aen. V, 95 Aeneas, nachdem er am
Grabe seines Vaters geopfert hat und darauf eine Schlange erscheint
l ) S. Casars Leichenrede zur Ehre seiner Tante bei Sueton 6 and Virgil.
Aen. VI, 756 ff.
>) Appian de bell. civ. III, 16. Derselbe hebt es II, 151 in einer Paral-
lele Alexanders d. Gr. und Casars hervor, dass beide grossen Männer vom
Summe des Zeus waren, 6 AtaxÜrje re xal 'HQaxlctdns, 6 öl änl
'4y/i<tov tc xal AtpQodiTns.
•) Tacit. Ann. XII, 58 Romanum Troia dentis tum et luUae stirpis auc-
torem Aeneatn aliaque haud procul fabulii vetera.
7*
a
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100
ERSTER ARSCHMTT
um dies Opfer zu verzehren, unsicher ist geniumve loci famulumve
parenlis esse putet, zu welcher Stelle Servius (vgl. zu Aen. VII,
84. 761) bemerkt, in gleichem Sinne könne Virbius für einen Die-
ner der Diana, Adonis für den der Venus, Erichthonius für den
der Minerva gelten. Auch gebraucht Horaz A. P. 239 das Wort
famulus vom Silen in seinem Verhältnisse zum Bacchus, Ovid. Met.
VIII, 272 von dem kanonischen Eber als einem heiligen Thiere
der Diana; endlich kennen auch die Urkunden der Arvalischen
Brüder denselben Cultusbegriff und zwar in einer interessanten Zu-
sammenstellung mit entsprechenden weiblichen Gottheiten, indem
sie neben den höheren Cultusgöttern des Hains der Dea Dia wieder-
holt Virgines Divae und Famuli Divi nennen [üenzen Acta
fr. arv. S. 145]. Jene „göttlichen Jungfrauen 44 waren höchst
wahrscheinlich Nymphen, entweder Baum- oder Quellnymphen, denn
von beiden wird das Wasser auch sonst gebraucht, wie es denn
nach der zu Grunde liegenden Vorstellung offenbar den griechischen
89 Nymphen entspricht. So heilst es bei Fest. p. 261 Querquetu-
lanae Virae putantur significari nymphae praesidentes querqueto
virescenti, quod genus silvae indicant fuisse intra portam quae ab
eo dicta sit Querquetularia. Sed feminas antiqui, quas scias dici-
mus, viras appellabant, unde adhuc permanent virgines et vira-
gines, wobei zu bemerken ist dafs der Ausdruck mulieres sciae auch
sonst in der Bedeutung von weisen Frauen, sagae (a sagiendo) vor-
kommt 1 ). Diese also hiefsen in alter Sprache Virae oder Vires,
denn auch diese Form kommt vor; und zwar wurden sie vorzug-
lich als Baumnymphen gedacht, wie denn auch das Wort virere
und viridis offenbar damit zusammenhängt. Zugleich aber wurde
auch das Wort virgines und viragines in seiner ursprünglichen
Bedeutung solcher herbjungfräulicher Elementar- und Baumgeister
davon abgeleitet, wie andererseits die Namen Sagae, Sciae, auch
Fatuae und Fata das übernatürliche Wissen und Weissagen
dieser Frauen und Jungfrauen ausdrücken, welche in den
Mythologieen aller Völker so ziemlich dieselben sind. Wassernym-
phen werden dagegen bei Paul. p. 63 Camelis Virginibus supplicare
*) Petroo. 63 Rogo vos, oportet credatis, sunt mulieres plus sciae, sunt
nocturnae et quod sursum est deorsurn faciunt. Vgl. die intpp. und Muncker
zu Hygin f. 92 p. 149. Vir« ist eigentlich Männin. Vgl. die slavischcn
Wilen. Ueber die Form Vires s. unten bei der Diana und Virbius,
dessen INamc vermutblich auch mit diesem Worte zusammenhängt
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DIENENDE GOTTHEITEN.
101
nupturae solitae erant vorauszusetzen sein, obgleich dieselben sonst
mit dem eigentlich italischen Worte Lymphae genannt werden.
Was die neben ihnen verehrten „göttlichen Diener" oder „göttlichen
Gesellen" betrifft — denn das oskische famel und das lateinische fa-
mulus , wovon familia , drückte ursprünglich mehr das Verhältnifs
der Geselligung als das der Bedienung aus — so wäre nach jenen
Andeutungen zunächst an Cultusgenien zu denken, in dem Sinne
der genii deorum, namentlich wenn nur von einem famulus, nicht
von mehreren die Rede ist. Ist aber dieses der Fall, wie in den
Arvalinschriften , da ist höchst wahrscheinlich, schon der ent-
sprechenden Jungfrauen wegen, an Faune oder Silvane zu denken,
welche als männliche Wald- und Naturgeister jenen Viren und
Viragines zunächst standen. Üeberhaupt aber scheint diese Collec-
tivverehrung der Götter, so dafs in einer bestimmten Cultusgruppe
den örtlichen oder natürlichen Beziehungen derselben gemäfs dem
Hauptgotte andre Gottheiten in verwandter aber untergeordneter
Bedeutung hinzugefügt wurden, wie in Griechenland *), so auch in 90
dem alten Italien etwas Gewöhnliches gewesen zu sein, namentlich
im ländlichen und Naturculte. So kommen neben der marsischen
Angitia in Inschriften der Gegend mehrere Angitiae im Plural vor
und neben der römischen Furina gleichfalls mehrere Furinae. Fer-
ner gab es eine Carmenta und mehrere Carmentes und jenseits
des Tiber einen Cult der Divae Corniscae, welche für Schutzgöttin-
nen der Krähen , die unter der Obhut der Juno standen, erklärt
wurden. Auch gehört dahin die Verehrung der Egeria in der gleich-
artigen Umgebung der Camenen und die des umbrischen Flufs-
gottes Clitumnus als eines Divus Pater der Gegend in der Umge-
bung von kleineren Quellgöttern , welche neben seinem Tempel in
kleineren Capellen verehrt wurden, s. Plin. Ep. VIII, 8. Auch
scheinen mir auf gleiche Weise die sabinischen Novensiles oder
Novensides erklärt werden zu müssen, obgleich schon die Alten
über diesen Namen sehr im Unklaren waren, s. Arnob. III, 38.
Nach Livius VIII, 9 (S. 82) wurden sie in alten Formeln neben
den Laren und Indigeten angerufen, daher man sie in der Voraus-
setzung dafs diese letzteren einheimische, eingeborne Götter oder
Dämonen seien in späterer Zeit für ausländische und neu eingeführte
Götter erklärte*). Indessen erklärt Varro sie sehr bestimmt für
l ) Vgl. über die daffioves 7Tq67ToIoi Lobeck Aglaoph. p. 1234 sq.
*) So namentlich Cincins b. Arnob. 1. c. nam solere Romanot religiones
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102 ERSTER ABSCHNITT.
sabinische Götter *), ja wir wissen aus einer Inschrift vom Fuciner-
see, dafs sie auch in dieser Gegend, also im Gebiete der Marser,
und aus einer andern aus Pisaurum, daJfe sie auch in Umbrien ver-
ehrt wurden*). Die Sabiner, von denen Varro spricht, sind also
die des T. Tatius, welche diesen Gottesdienst wie viele andre mit
nach Rom gebracht hatten, daher sie fortan wie der sabinische
Quirinus neben dem römischen Mars , so diese Gottheiten neben
91 den römischen Indigeten angerufen wurden. Als das Gebiet aber
im Lande der Sabiner, woher sie stammten, wird Trebia genannt,
welches höchst warscheinlich mit Trebula Mutuesca identisch ist,
einem alten Gentraiorte sabinischer Gottesdienste, wo auch der sa-
binische Mars und die sabinische Feronia seit alter Zeit verehrt
wurden 8 ). Unter den verschiedenen Erklärungen des Namens wird
aber die von novem die beste sein, an welche auch Varro, Piso und
urbiutn superatarum partim privatim per familias spargere partim publice
consecrare ac ne aliquis deorum multüudine aut ignorantia praeteriretur,
brevitatis et compendii causa uno pariter nomine cunctos Novensiles in-
vocan*
>) Varro L L V, 74 Feronia, Minerva, Novensides a Sabinis. Die Ver-
tauschuDg von d und 1 ist in den italischen Dialekten etwas sehr Gewöhn-
liches, [s. flg. A.]
») Mommsen Unterital. Dial. S. 339 [Ritsehl P. L. M. T. XCVIU* F = Fa-
bretti Inscr. It. 2742 bis: Esos | Novetede | pesco pacre] und 342 [C. I. L. f,
no. 178 deiv(ai?) [Nov]e . sede \ T. Popaio /»...], Huschke Osk. und Sabell.
Sprachdenkm. S. 254. [Corssen in Kuhns Zeitachr. 9, 160 ff.]. In beiden In-
schriften erscheint die Form Novensides (NOVESEDE) als die ursprüngliche.
[Novensides sind dem Sinne nach mit Corssen als Neunsassen zu nehmen, vgl.
prae-sides, de-sides, re-sides. Die Form novensides hat ausserdem nur
Varro, novensiles ist überliefert bei Livius, Arnobius (überall), Capeila, beide
Formen nennt als gleichberechtigt ausdrücklich Marius Victorinus Gramm, lat.
6, 26; die Form novensides erkannte als die richtige schon Mommsen Dial.
S. 342, novensiles gehört in den Kreis der wenigen Beispiele der Vertauschung
von d und /, die das volkstümliche Latein bietet: vgl. Jordan, Krit. Beiträge
S. 45. Uebrigens ist die Lesung und Deutung der Inschrift von Pesaro zweifel-
zweifelhaft: vgl. Jordan, Hermes 15, 11.]
a ) Arnob. 1. c. Novensiles Piso deos esse credit novem in Sabinis apud
Trebiam constitutos. Hos Granius Musas putat, consensum aecommodans Aelio;
novenarium numerum tradit Varro etc. Vgl. Arnob. III, 44 Novensiles musae
sunt, Trebiani quinimmo dii sunt, und Plin. H. N. III, 109 Anw in monte Tre-
banorum ortus, wo das jetzige Trevi gemeint ist. Eine Stadt Trebia b. Sueton
Tib. 31, Trebiates in Umbrien b. Plio. III, 114. Der Name ist identisch mit
Trebia und Trebula, unter welchem Namen zwei sabinische und eine campa-
nische Stadt bekannt sind, s. Aufrecht u. Kirchhoff Umbr. Sprachdenkm. 2 S. 120.
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DIENENDE GOTTHEITEN
103
Aelius Stilo dachten, welcher das Wort vermuthlich auch in dem
Saliarischen Liede gefunden hatte. Einige erklärten sie für neun
männliche Gottheiten, Andre für Musen, also für Quellnymphen,
welche den römischen Camenen gleichen mochten. Jedenfalls war
auch dieser Cultus ursprünglich ein bei der alten italischen Be-
völkerung verbreiteter ColleclivbegrhT d. h. der Ausdruck einer
Göttergruppe, welche namentlich den Sabinern theuer war und
durch sie auch in das römische Göttersystem eingebürgert wurde.
Die spatere Zeit hielt sich nach ihrer oberflächlichen Weise an den
Klang und die Alterthümlichkeit des Namens , den sie bald hier
bald dort verwendete 1 ).
M So nannte Manilius die neun Götter, welchen Jupiter nach etruskisrher
Theorie den Blitz überliefs, Noveosiles, während Andre alle dii novicii d. h.
die divi ex hominibos facti so genannt wissen wollten, s. Arnob. III, 38. 39.
Martian. Cap. I, 46 dagegen verbindet Fans, Lymphae, Dii Novensiles.
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ZWEITER ABSCHHITT,
Zur Geschichte des römischen C'oltus,
9a Je wichtiger im Zusammenhange des ganzen römischen Gottes-
dienstes der Gultus war, desto mehr mufs uns daran gelegen sein,
auch über seine Eigentümlichkeiten uns im voraus eine Uebersicht
zu verschaffen. Dieses ist aber nicht anders möglich als in histo-
rischer Entwicklung, so sehr haben sich auch hier im Laufe der
römischen Geschichte die verschiedenartigsten Formen neben ein-
ander festgesetzt, ohne immer zu einem Ganzen zu verschmelzen.
Schon für die älteste, die nationale Periode werden nicht ohne tie-
feren Grund zwei verschiedene religiöse Gesetzgeber genannt, Faunus
und Numa 1 ). Jener ist ein Ausdruck für die älteste Naturreligion
und Naturbegeisterung, wie sie sich überall auf der ersten und ele-
mentaren Stufe der Naturreligion vorfindet, dieser der Repräsentant
des sabinischen Priesterthums und des pontificalen Cerimonial-
gesetzes mit seiner heiligen Würde und seiner theokratischen Hal-
tung. Eine dritte Periode beginnt mit den Neuerungen der Tar-
quinier und des Servius Tullius, welche den etruskischen und
») Lactant. I, 22, 9 Sed ut Pompilius apud Romanos üutitvior ineptarum
religionum fuit, sie ante Pompilium Faunus in Lotio, qui et Saturno am ne-
faria sacra constituü et Picwn patrem inter deos honoravä. Er citirt weiter-
bin § 13 diese Verse des Lucillas: Terriculas Lamias, Fauni quas Pompi-
liique instäuere Numae. Probas Virg. Georg. I, 10 Existimatur autetn fuisse
Faunus rex Aboriginum, qui cives suos mitiorem vitam docuerit ritu ferarum
viventes et primus loca certis numinibus et aedißeia quaedam lucosque sacra-
verit. Das Opfer bei den lateinischen Ferien nach Einigen inihtm ex impe-
rato Fauni, Schol. Bob. in Cic. pr. Plancio p. 256.
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DIE PERIODE DES FAUNU3.
105
hellenischen Gottesdienst herbeizogen , von denen der letztere mit 9s
der Zeit immer mehr Einfluss bekam.
1. Die Periode des Faunus.
Varro legte nach Augustin C. P. IV, 31 ein besonderes Gewicht
darauf, dafs die Römer ihre Götter über 170 Jahre ohne Götterbild
(sine simulacro) verehrt hätten. Wenn sie dabei geblieben wären,
meint er, würde auch der Gottesdienst ihrer Nachkommen ein rei-
nerer geblieben sein 1 ). Er berief sich dabei u. a. auf die Juden
und schlofs mit der Erklärung, dafs die, welche den Bilderdienst
eingeführt hätten, ihren Mitbürgern die Furcht Gottes genommen
und dafür einen Irrthum gegeben hätten 8 ). Auch Tacitus schildert
deshalb den einfachen und bilderlosen Gultus der Germanen mit
so grofser Vorliebe. Es ist die Sehnsucht der des Polytheismus
und eines eben so wüsten als eitlen Gepränges der Tempel, der
Processi onen , der Spiele überdrüssigen Herzen nach einer reineren
Religion, die sie auf den frühesten Stufen der Gultur zu finden
glaubten, da es doch in Wahrheit eines ganz neuen Anfangs be-
durfte. Denn die Naturreligion auf dieser Stufe ist eben auch schon
Polytheismus und Symbolik, nur sind ihre Götter noch Geister und
ihre Tempel und Bilder noch die unmittelbaren Räume und Gegen-
stände der Natur: bis später mit der höheren Bildung und den
complicirteren Forderungen der (Zivilisation auch die Idololatrie und
eine künstlichere Symbolik des Gultus sich geltend machen.
Suchen wir uns die Eigenthümlichkeiten dieser ältesten Periode
näher zu vergegenwärtigen, so könnte es verwegen erscheinen bis
auf eine Zeit zurückgehen zu wollen, welche älter als der König
*) Quod si ad tute manrisset, castixu dii observarentur. [Varro rechnete
die 170 J. von der Gründung der Stadt, meinte also bis zur Anfertigung des
Iuppiter fictüis unter dem 1. Tarquinier, wie Kettner Varronische Studien
S. 57 f. zeigt. Das Capitolium war die erste aedes auf römischem Boden,
frühere gelten schon den Alten für apokryph oder für fana: s. Jordan Top.
1, 1, 160 f. Daher auch das Tempelbild des Capitols das erste Götterbild.
Übrigens vgl. über die ältesten Götterbilder DetleBWs oben S. 41 a. Schrift
de arte Romanoram antiquissima. Unter den später noch erhaltenen galten
als uralt die hölzernen t-oava (vgl. Detleffsen 1, 14), aber es gab deren auch
jüngere, wie das des Vejovis aus Cy pressenholz: unten S. 136].
*) Qui primi simulacro deorttm populis posuerunt , eos civitatibu* sttis et
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106
ZWEITER ABSCHNITT
Numa ist. Doch darf man nicht vergessen dafs diese Grundzüge
aller Naturreligion nicht Mos die Anfange derselben sind, sondern
sich auch fast überall neben den künstlicheren Formen des Gottes-
dienstes erhalten, namentlich auf dem Lande und unter einfacheren
Culturbedingungen , während in den Städten die Tempel und die
94 Bilder vorherrschen 8 ). So war es in Griechenland, wo z. B. Arka-
dien sehr lange der einfacheren Verehrung seiner Götter auf hohen
Bergen, in schattigen Hainen, an den Quellen, in den Höhlen zu-
gethan blieb, während in den Städten, auf welche es von seinen
Bergen herabsah, schon lange der Dienst einer glänzenden Archi-
tectur und Plastik begonnen hatte. So war es auch in Italien, wo
der Apennin wie jetzt so im Alterthum immer die einfachere Sitte
und das ältere Yolksthum bewahrt hat, und auf dem Lande, selbst
in den Umgebungen Roms die alten Haine der Götter, die heiligen
Quellen und alle Naturmale eines göttlichen Wirkens immer Gegen-
stände einer lebhaften religiösen Verehrung geblieben sind. Es kam
hinzu die natürliche Beständigkeit aller religiösen Gewöhnung, die
Sitte der älteren Römer mehr auf dem Lande als in der Stadt zu
leben, endlich in älterer Zeit auch die strenge Zucht des pontificalen
Grundgesetzes, dessen Geist allem plastisch Bildlichen der Kunst
und Mythologie entschieden mehr abgeneigt als zugeneigt war und
sich deshalb eher mit jenen elementaren Formen als mit den künst-
licheren des Hellenismus vertragen mochte.
Von der Verehrung der Götter auf hohen Bergen ist der Dienst
des Jupiter Latiaris auf dem majestätischen Berge über Alba Longa
ein gutes Beispiel, ein andres die Verehrung des Apollo Soranus,
eines altitalischen Sonnengottes mit griechischem Namen, auf dem
durch Gestalt und Anmuth in den Umgebungen Roms gleichfalls
ausgezeichneten Soracte, ein drittes die Verehrung der Diana auf
dem Berge Tifata über Gapua. Nach Dionys I, 34 wurde selbst
Saturnus als Stifter des Ackerbaues und Urheber aller Segnungen
desselben durch ganz Italien auf den Höhen und Bergen verehrt,
3 ) Cicero de Leg. II, 8, 19 delubra [in urbibus) habento, lucos in
agris habento et larum sedes [über die hs. Lesung vgl. Jordan Krit.
Beiträge S. 230]. Vgl. 10, 26 die Erklärung: Tempel müsse es in den Städten
geben, nec sequor magos Persarum , quünu auctoribus Xerxes infiammasse
termol/i firaeeiatt dinhir mind nariatihuM inoltiderent dem Ib 11 Melius Graeci
atque nostri, qui ul aagerent pietatem in deos, eatdem ilto» urbes qua* nos in-
colere voluerunt
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DIE PERIODE DES FAUNUS.
107
und nach den Gromat. vet. p. 239 heiligte noch August die Gipfel
aller Berge dadurch dafs er sie unter den Schutz der Rhea stellte.
Wären die örtlichen Nachrichten über die Culte des alten Italiens
zahlreicher vorhanden oder die von den Stiftungen der ältesten
Klöster und Kirchen auf hohen Bergen fleifsiger durchforscht, so
würden sich gewiss noch viel mehr Spuren eines derartigen Gottes-
dienstes nachweisen lassen. So wird überliefert dass der h. Benedict
bei der Gründung des Klosters auf Monte Cassino ein sehr altes
Heiligthum des Apollo d. h. des Sonnengottes und andrer heid- 95
nischer Götter vorgefunden habe, welchen die ländliche Bevölkerung
der Umgegend auch damals noch in den rings um den Tempel ge-
legenen Hainen fleifsig geopfert habe 1 ).
Sehr verbreitet war durch ganz Italien die religiöse Verehrung
der Flüsse und Quellen, namentlich der capita fontium, wo die
reinigende, nährende, beseelende und begeisternde Elementarkraft
unmittelbar aus der schöpferischen Hand der Natur zu Tage tritt;
worauf ich in einem eigenen Abschnitt zurückkommen werde. Nicht
weniger tief und innig durchdrungen war es von der Heiligkeit des
Feuers, wie davon die in Rom und Latium sehr alten und bedeu-
tungsvollen Dienste des Vulcan und der Vesta Zeugnifs ablegen.
Ganz vorzüglich aber war auch in Italien die Bevölkerung dem
Gultus der Bäume und der Verehrung der Götter in Hainen ergeben:
auch dieses eine allgemeine Eigenthümlichkeit des früheren und
ländlichen Heidenthums, daher sich auch im Orient, in Griechen-
land und bei den Deutschen und überhaupt den nördlichen Völkern
viele gleichartige Gebräuche nachweisen lassen 2 ). Ueberhaupt hatten
die Alten zwar nicht den landschaftlichen Natursinn, der bei uns
durch Kunst und Poesie so weit ausgebildet ist 8 ); wohl aber hatten
sie weit mehr Sinn für das Dämonische in der Natur, wie es sich
in der Stille des Waldes, zwischen ragenden Bergen, an murmeln-
den Quellen offenbart und auf jedes empfangliche Gemüth mächtig
wirkt. Da hörten sie vernehmbarer als sonst die Stimme der Gott-
heit und selten blieb eine Stätte der Art ohne religiöse Weihe.
Auch die römischen Dichter äufsern sich nicht selten recht lebendig
«) Greporii M. Dialogi II, 8.
») J. Grimm D. Mythol. 59 ff. und 614, C. Bötticher der Baumcultus der
Hellenen, Berl. 1856.
■) [Vgl. L. Friedländer Über die Entstehuog und Eotwickelung des Ge-
fühls für das Romantische in der Natur L. 1873].
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108 ZWEITER ABSCHNITT.
über derartige Eindrücke 1 ), desgleichen Seneca in seinen Briefen 8 )
96 und Plinius H. N. XII, 3 f., weicher die Bäume geradezu die ältesten
Tempel der Götter nennt, die das Landvolk seinen Göttern noch
jetzt heilige. Da bete man inniger als vor Bildern, die von Gold
und Elfenbein strahlen ; daher sei die Heiligung der einzelnen Baum-
arten für den Dienst gewisser Götter abzuleiten, der Eiche für den
des Jupiter, des Lorbeers für den des Apoll, des Oelbaums für
Minerva, der Myrte für die Venus, der Pappel für den Dienst des
Hercules; daher der Glaube, dafs der Wald das eigne dämonische
Gebiet der Waldgeister sei, der Silvane, der Faune, der Baum-
nymphen. Noch bestimmter spricht Apulejus im Eingange seiner
Florida von den verschiedenen Arten dieses eben so alten als all-
gemein verbreiteten Naturcultus, wie jeder Wandrer über Land sie
an seinem Wege finde, von dem Haine, wo er ein Gebet zu sprechen,
eine Gabe darzubringen, in stiller Andacht zu weilen pflege, dem
mit frischen Blumen bekränzten Altare, der Grotte mit hängenden
Laubgewinden, einer Eiche die mit den Hörnern, einer Buche die
mit den Fellen der Opferthiere geschmückt ist, einem für die An-
dacht eingehegten Hügel, einem alten Stamm mit künstlich * aus-
geschnitzten Bilde, einem mit frischer Spende getränkten Rasen,
einem mit Salböl benetzten Steine aus alter Zeit.
Unter den Bäumen war auch in Italien die Eiche vor allen
übrigen heilig, namentlich die alte mit weitreichenden Zweigen und
unvordenklichen Erinnerungen. Solch eine alte Eiche war auch auf
*) Virg. Ge. III, 332 Sicubi magna Iovis antiquo robore quercus Ingentes
tendat ramos, aut sicubi nigrum IUcibus crebris sacra nemus accubet umbra.
Tibull. I, 1, 11 Nam veneror seit stipes habet desertus in agris Seu vetus in
trivio florea serta lapis. Ov. Am. III, 1, 1 Stat vetus et muUos incaedua silva
per annos, Credibile est Uli numen inesse loco, Font sacer in medio spelunca-
que pumice pendens Et kttere ex omni dulce queruntur aves. Vgl Virg. Aen. I,
165 ff. und die Beschreibung des uralten Haines in Gallien b. Lncan III, 399 ff.
*) Ep. 41, 3 Si tibi occurrü vetustis arboribm et solitam aüüudinem
egressis frequens lucus et conspectum caeli densitate ramorum aliorum alios
protegentium submovens, illa procerüas silvae et secretum loci et admiratio
umbrae in aperto tarn densae atque contimiae fidem tibi numinis facit. Et
»i quis specus saxis penitus exesis montem suspenderit non manu f actus, sed
naturalibus causis in tantam laxitatem excavatus, an im um tuum quadam reli-
gio nis suspicione percutiet. Magnorum ßuminum capita veneramur, subita ex
abdito vasti am nis eruptio aras habet, coluntur aquarwn calentium fontes et
stagna quaedam vel opadtas vel immensa altiiudo sacravä. [Vgl. Heibig Unters,
ü. d. camp. Wandm. p. 297 ff]
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DIE PERIODE DES FAUNUS.
109
dem römischen Capitol das älteste Heiligtbum des Jupiter gewesen ;
noch Romulus legte nach Liv. I, 10 seine Spolien zu ihren Füfsen
nieder. Weiter sah man auf dem Yatican eine alte Steineiche mit
einer Dedication in etruskischer Schrift, welche also auch nicht viel
jünger als die Stadt sein konnte, und bei Tibur eine alte Gruppe
von drei Steineichen, die man für älter als Tibur hielt, da der
Gründer der Stadt Tiburnus der Sage nach unter ihnen die Weihe
erhalten hatte, Plin. H. N. XVI, 237. Einen eigenen Fall, welcher
recht deutlich beweist wie tief der Glaube an die Heiligkeit solcher
alten Bäume wurzelte, erzählt rLivius III, 25. Die Aequer lagern
auf dem Algidus gleich hinter Tusculum, die Römer kommen hin-
aus um im Namen des Senats Genugtuung zu fordern. Der Füh- 97
rer der Aequer heifst sie ihren Auftrag an eine mächtige Eiche
ausrichten, die sich über seinem Zelte erhob, er habe etwas Andres
zu thun. Da wendet sich einer der Gesandten zu dieser Eiche und
beschwört sie und die Götter des Ortes, den Bruch des Bundes zu
rächen. So erzählt auch Sueton Vespas. 5 von einer alten dem
Mars geheiligten Eiche in dem Sabinischen Geburtsorte der Flavier
und Lucan I, 136 ff. schildert eine uralte Eiche, wie sie einsam
auf dem Acker dastehe, Weihgeschenke der früheren Geschlechter
an ihren Zweigen hängend l ), kaum vermag sie sich noch auf ihren
Wurzeln zu behaupten, ringsum prangt der Wald in kräftiger Jugend,
doch betet das Volk nur zu ihr. Aufser der Eiche ist nicht selten
von heiligen Feigenbäumen die Rede, da auch dieser Baum im
Süden eine mächtige Krone hat und zu hohen Jahren kommt. So
der bekannte Ruminalische Feigenbaum, in der Nähe des Lupercal,
*) Exuvias populi veteris tacrataque gestans dona dumm. Exnviae ist
Alles was aus- oder abgezogen wird, auch Spolien der Feinde, Attribute der
Götter. Docb sind hier wahrscheinlich Thierfelle gemeint. Vgl. J. Grimm
D. M. 616. Von der Eiche wurde auch in Rom oft das Laub zur Bekräozuug
des Jupiter z. ß. des Victor oder der höchsten Verdienste z. B. bei der civica
Corona des August genommen s. Plin. H. N. XVI, 11 Civica iligna primo
fuit, postea magis placuit ex aesculo lovi sacra. variatumque et cum
quercu est etc. luglans hiefs eine besondre Art von Nufsbaum, dessen
Müsse den Eicheln glichen und von außerordentlich angenehmem Geschmack
wareu, daher man sie luglandes nannte, angeblich nach Jupiter, s. Varro 1. 1.
V, 102 quod cum haec nux antequam purgatur similis glandis, haec glaris
optuma et maxuma ab Iove et glande iuglans est appellata, [wiederholt
von Gavius Bassus bei] Macrob. S. III, 18, 3, Serv. V. Ecl. I, 17. Doch fragt
sich ob die Silbe iu in dieser Zuzammensetzung nicht einfach grofse Annehm-
lichkeit bedeutet. [Über iuglans, Wallnuss s. Hehn Kulturpflanzen 8 342 ff.].
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110
ZWEITER ABSCHNITT.
wo die Zwillinge gefunden wurden, und ein andrer Feigenbaum
auf dem Comitium, den man später sogar für identisch mit jenem
Ruminalischen hielt. Der berühmte Augur Attus Navius habe ihn
vom Lupercal dahin gezaubert; daher ihn die Geistlichkeit aufs
ängstlichste beobachtete und unter allen Umständen zu erhalten
suchte 1 ). Ein dritter hatte bis zum J. 260 d. St. vor dem Tem-
pel des Saturn gestanden, wo ihn die Vestalischen Jungfrauen, da er
ein Bild des Silvanus umzustürzen drohte, unter sühnenden Ge-
98 brauchen entfernten, doch hielt man einen jüngern, welcher um
dieselbe Zeit beim lacus Gurtius aufsprofste, für seinen unmittel-
baren Nachkommen, s. Plin. H. Y XV, 77. So wird auch der
Mars Ficanus einer Inschrift aus Ostia bei Henzen z. Or. n. 7194,
wie der alte Ort Ficana unweit der Tibermündung, in welchem er
verehrt wurde, wahrscheinlich von einem ähnlichen alten Feigenbaum
benannt worden sein. Endlich erzählt Virgil Aen. XII, 766 von
einem alten dem Faunus geweihten Oleaster an der latinischen
Küste, an welchem die Schiffer nach glücklicher Rückkehr fromme
Gaben und ihre Kleider aufzuhängen pflegten, Plutarch Rom. 20
von einem heiligen Gornelkirschbaum auf dem Palatin, dessen Ur-
sprung man von einer Lanze ableitete, welche Romulus vom Aven-
tin dahin geschleudert hatte, und welcher unter Caligula auf Ver-
anlassung eines Baues in dortiger Gegend einging, Plin. II. N. XVI,
235. 236 von verschiedenen sehr alten Lotosbäumen in Rom, un-
ter denen namentlich einer gleichfalls für so alt als Romulus und
für seine Pflanzung galt s ).
Weit gewöhnlicher war indessen die Verehrung der Götter
in Hainen, auch ist diese in culturgeschichtlicher Hinsicht von nicht
*) Er hiefs daher gewöhnlich ficut Navia, auch war ein Bild des Augurs
neben ihm aufgestellt, s. Fest. p. 169, Dionys H. III, 71 und Tacit. Ann. XIII,
58 Ködern anno Ruminaltm arborem in Comüio, quae octingentos et quadra-
ginta ante annos Remi Romulique infantiam iexerat, mortui* ramaUbus et
arescente trunco dem inu tarn prodigii loco habitum est, donee in novo* fetus
revire teeret. [Sie stand nach Conon Narr. 48: inl 7t,g dyooas [noo] rov ßov-
ItvrrjQiov xtyxllai %alxate ntQtttQyaOfnivn (vgl. auch Plin. H. N. XV, 77
colitur ficus arbor in foro ipso ac comüio nata) und ist dargestellt auf
den 1872 auf dem Forum gefundenen dieses selbst darstellenden Reliefs aus
der Zeit des Trajan. S. Jordan im Jahresb. über Top. bei Bursian Fortschr.
1875, 754 f.]
a ) [Eine stand beim Tempel des Juno Lucina, eine auf dem Volcaoal.
Dahin gehören wohl auch die Myrten beim Quirinustempel. Plin. N. H. XV,
20, vgl. Jordan Eph. epigr. 1, 240.]
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DIE PERIODE DES FAUNUS.
111
geringem Interesse. Man nannte solche Haine in Italien nemora
und lucus welche Wörter beide sehr vernehmlich, wie so vieles
Andre in den italischen Religionsalterthümern , an das alte Wald-
und Weideleben erinnern. Nemus ist das griechische vtfiog, also
eigentlich ein Weideplatz, lucus eine im Walde ausgehauene Lichtung,
ein ausgerodeter Platz, auf dem man sich ansiedelte und dann
immer zugleich für die Göttter sorgte, zumal für den Silvan, wel-
cher zugleich der Gott des Waldlebens und der Ansiedelung im
Walde, des Hinterwäldlers ist. Hatten doch die Lucaner im süd-
lichen Italien von diesem alten Waldleben und den Lichtungen, in
denen sie sich ansiedelten, ihren Namen bekommen und zwischen
dem römischen Gebiete und dem innern Etrurien erstreckte sich
noch im vierten Jahrhunderte Roms ein so ausgedehnter und un-
wegsamer Wald, daß Livius IX, 36 ihn mit den Wäldern Deutsch-
lands vergleicht. Vollends der Apennin mufs in ältester Zeit ganz
mit Urwald bedeckt gewesen sein. In diesen Wäldern also siedelte
sich jene alte Bevölkerung Italiens an wie unsre Vorfahren in
Deutschland, wobei sie zwischen den neugewonnenen Aeckem und
Weiden immer einige Baumgruppen stehen liefs und ihren Göttern
weihte, und so entstand die religiöse Bedeutung der Wörter ne-
mora und lucus in dem Sinne der ältesten Heiligthümer überhaupt 3 ). 99
*) [Neben lucus findet sich jetzt in der unten a. Urk. von Luceria, die
Form lucar (in hoce loucarid u. s. w.), welche nach Paul. p. 119 sonst aes quod
ex Iuris captatur bedeutete (und so scheint es C. L L. 5, 5128 vorzukommen,
vgl. unten S. 387). Übrigens behandelt die Begriffe nemus und lucus schärfer
Rudorff in den Schriften der röm. Feldmesser 2, 260 ff., vgl. Marquardt Staats-
verw. 3, 148. Besonders lehrreich ist die Stiftungsurkunde des lucus Dianius
in nemore Aricino bei Cato Orig. fr. 2, 2 t Jord. , über dessen Einrichtung in
späterer Zeit die Ausgrabungen am Nemisee belehren: s. Henzen Hermes 6, 8.
Aus einem lucus bei Pisaurum stammen die Götteraltäre C. I. L. 1, 167 — 180.
Neuerdings sind zwei archaische Verordnungen zum Schutz von lud in Luceria
und Spoletium zum Vorschein gekommen: jene ist zuerst Eph. epigr. 2, 205,
diese in den 'Miscellanea Capitolina', Gratulationsschrift der Iuvenes Capito-
lini zum 50j. Jubil. des Arch.-Iost R. 1879 (= Bull, dell' inst. 1879, 67 f.)
publicirt. Auch kommen municipale Hainpriester vor: der flennen lucularis
der Laurentes Lavinates Henz. 6747 «= Wilm. 1599 und der sacerdos III luco-
rum [Et)ruriae Or. 97 (mit Henzens Note).]
») Paul p. 119 Lucani, lustin. XXIII, 1, 8. Vgl. Calpurn. Eel. VII, 16.
[Doch ist diese Etymologie sehr zweifelhaft.]
*) Tacitus Germ. 9 ceterum nec cohibere parietibus deos neque in ullam
humani oris speciem adsimulare ex magnüudine caelestium arbürantur. Lucos
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ZWEITER ABSCUMTT.
In den Hainen weilte die Gottheit, weilten die Seelen der Ver-
storbnen und die Laren, denen auf dem Lande überall eigne Haine
geweiht wurden ; in dem Haine feierte man opfernd und schmau-
send die Gottheit, der man sich aber nur bei solchen festlichen
Gelegenheiten und wenn die Religion es erlaubte nähern durfte :
wehe dem welcher ungeweiht den Hain betrat, wehe vollends dem
der gegen seine Bäume, seine HeUigthümer zu freveln wagte! 1 ) Nur
in aufserordentlichen Fällen erlaubten die Götter eines solchen Hains
wohl eine Zuflucht selbst unmittelbar aus der Schlacht , wie z. B.
gleich nach der Niederlage an der Allia die flüchtigen Römer
schaarenweise in einen ausgedehnten Hain in der Nähe des Tiber
drängten und dort Schutz fanden, welcher aufserordentlichen Ret-
tung zum Andenken jährlich in Rom am 19. und 21. Juli das
Fest der Lu curia begangen wurde Sonst wurde der Heiligkeit
des Ortes unter allen Umstanden mit der ängstlichsten Gewissen-
haftigkeit wahrgenommen, so dafs selbst vor Alter umgefallene oder
vom Blitz getroffene Bäume eines Hains unter Beobachtung gewisser
Sühnungsgebräuche weggeschafft und ein Eisen nie ohne ähnliche
Beobachtungen in den Hain gebracht werden durfte, wie davon in
den Urkunden der Arvalischen Brüder verschiedene Beispiele zu
linden sind 8 ). Durch ganz Italien waren diese durch ein hohes
ac nemora consecrant deorumque nominibus appellant secretum
illud quod sola reverentia videtit.
l ) Paul. p. 187 Oblucuviasse dicebant antiqui mente errasse, quasi in luco
deorum alicui occwrisse. Serv. V. A. I, 441 dicuntur enim heroum animae
Utcos teuere. Ecl. V, 40 quia heroum animae habita/U vel in fonlibus vel in
nemoribus. V. A. XI, 740 in altos lueos. IUic enim epulabantur sacris
diebus. Auf die Verletzung mancher Haine standen wenigstens in älterer Zeit
Capitalstrafen, s. Paul. D. p. 66 capitalis lucus. [Doch s. A. 3.]
*) Paul. p. 119 Lucaria festa in luco colebant Romani , qui permag nu*
inier viam Salariam et Tiberim fuit, pro eo quod vidi a GaUis fugientes e
proelio ibi se occultaverint. Vgl. Macrob. Sat I, 4, 15 und Kai. Maff. und Aini-
tern. z. XIV. und XII. Kai. Aug. [C. I. L. 1 p. 397.]
s ) [Die piacula, welche die Verletzung der arbores in dem lucus Deae diae
sühnen, s. bei Henzen Acta arv S. 136 ff. und über das htcum (nicht luco
coinquere Jordan Krit. Beiträge 'ß. 277. Die oben aa. Verordnungen von
Luceria und Spoletium setzen für Verletzungen verschiedener Art Geldstrafen
fest, mit deren Eintreibung die zuständigen bürgerlichen Behörden betraut
sind, die zweite aufserdem ein piaculum in Gestalt eines Rindopfers an den
Herrn des Hains Juppiter. Dahin gehört wohl auch die Glosse bei Paulus p. 66
capitalis lucus, ubi siquid violatum est, caput violatoris acpiatur. — Ähnlich
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DIE PERIODE DES FAUINUS 113
Alterthum und den Glauben der Vorfahren geweihten Haine, die
man überall am Wege und auf dem Felde traf, etwas Hochheiliges
und Würdiges, so dafs Quintilian X, 1, 88 den Dichter Ennius
nicht schöner auszeichnen konnte, als da er von ihm schrieb:
Ennium sicut sacros vetustate lucos adoremus. Unter den Göttern
waren es vorzüglich Jupiter und Diana, die wie überhaupt auf dem
Lande und im Freien, so auch am meisten in Hainen verehrt wur- 100
den 1 ), wie z. B. vor allen übrigen Hainen der der Diana am See
von Nemi berühmt war [oben S. 111 A. 1.] und Plinius XVI, 242
von einem andern in der Nähe von Tusculum erzählt, unter dessen
Buchen eine so schön war, dafs ein vornehmer Römer der Zeit
sich alles Einstes in sie verliebte. Selbst in Rom hatte sich das
Andenken an viele Gehölze und Haine aus alter Zeit erhalten, da
auch hier namentlich der breite Rücken des Viminal und Esquilin
dereinst von Eichen und Buchen bestanden war, von denen die rö-
mischen Bürger bis zur Zeit des Königs Pyrrhus die Schindeln für
ihre Häuser nahmen"). Dort gab es z. ß. ein Fagutal, ein Heilig-
thum des Jupiter, welches an einen alten Buchenhain erinnerte, doch
wird auch der alte Hain der Juno Lucina in der Gegend von S. Maria
Maggiore oft erwähnt. Auch riefen die Namen der Esquilien, des
Viminalis und der porta Querquetulana den Alterthumskundigen von
selbst entsprechende Pflanzungen und Heüigthümer ins Gedächtnifs 8 ).
die römische Verordnung zum Schutz des pagus montanus Bull, munic. 3
T. XIX S. 194 Jordan Jabresb. ü. Top. bei fiursian Fortscbr. 1876, 185.]
*) Virgil Aen. HI, 679 quälet cum vertice celto aeriae quercus aut
coniferae cyparissi constüerunt, silva alia lovis htcusve Dianas. Vgl. Serr.
V. Ge. III, 332 nam — et omni* querem Iovi est contecrata et omni* lucus
Dianae.
*) [Ueber die Verwendung von Schindeln Nepos bei Plin. XVI, 37, vgl.
Schöne in Missens Pomp. Stud. 23.]
•) Paul. p. 87 Fagutal saceüum lovis, in quo fuit fagus arbor, quae Iovi
sacra habebatur. Plin. XVI, 37 silvarum certe distinguebatur insignibus (uehm-
lich Rom), Fagutali Iovi etiam nunc ubi lucus fageus fuü, porta Quer-
quetulana, coUe in quem vimina peiebantur, iotque lucis y quibusdam et
geminis (er meint wohl die beiden des Vejovis auf dem Capitol). Q. Horten-
sius dictator t cum plebs secessisset in Ianiculum, legem in aesculeto iulit etc.
[über diese lex Mommseo R. Forsch. 1, 191: übrigens Becker Top. 536, Jordan
Top. 2, 253 f.]. Von solchen aesculetis leitet Varro L L V. 49 mit Andern
den Namen der Esquilien ab, weil damit auch andre Ortsnamen der Umgegend
übereinstimmten, quod ibi lucus dicitur Fagutalis et Larum Querqne-
tulanum sacellum (vgl. oben S. 89) et lucus Mefitis et Iunonis Lu-
Preller, Rom. Mythol. I. 8. Aufl. 8
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114
ZWEITER ARSCHMTT.
Vollends aber werden in der nächsten Umgegend von Rom fortge-
setzt viele Haine erwähnt, z. B. der lucus Deae Diae, der lucus Ännae
Perennae, der lucus Rohiginis, Camenarum, Furrinarum, Cornisca-
rum, Albionarum und andrer weiblicher und männlicher Gottheiten,
deren Haine zum Theil, wie der der Camenen gleich vor der porta
Capena und der der Furrinen jenseits der alten Holzbrücke, später
mitten in volkreichen Vorstädten lagen 1 ). Aus andern Gegenden
Italiens aber sei hier nur noch der Haine der sabinischen Stamm-
101 göltin Vacuna am Veliner See und des Hains der Angitia, der Göttin
der Marser, am Fuciner See gedacht, weil eine Erinnerung an beide
sich bis jetzt in den Ortsnamen derselben Gegenden erhalten hat,
so wie der Name Nemi und der See von Nemi noch jetzt an den
Ruhm des nemus Dianae von Aricia erinnert. Es geschah nehmlich
nicht selten dafs sich neben solchen alten und vielbesuchten Heilig-
thümern allmählich andre Ansiedelungen bildeten, so dafs daraus
zuletzt ein kleiner Ort entstand, auf den der Name des Heiligthums
überging.
Eine andre Eigentümlichkeit dieses ältesten Gottesdienstes ist
die Vergegenwärtigung der Götter zwar nicht durch Bilder, aber
wohl durch Symbole und Attribute, entweder Bäume, Pflanzen und
Thiere, deren Natur dem Wesen der zu vergegenwärtigenden Gott-
heit in gewisser Weise entspricht, z. B. der Adler dem Jupiter, der
Woll dem Mars, oder es sind leblose Gegenstände und Artefacta,
welche zu solchem Zwecke geheiligt werden, Steine, Stäbe, Lanzen,
Schilde u. dgl. Auch in dieser Hinsicht lassen sich viele Beispiele
aus dem römischen und italischen Alterthum nachweisen, unter
denen die heiligen Thiere im Vergleich mit andern Gegenden,
namentlich den nördlichen a ) , eine besondere Berücksichtigung ver-
ein ae. Quorum angusti fines; non mir um: iam diu mim lote avariUa minc
est [un esse corr. sus une est F, viell. Avaritiae numen est, Jordan Top. 2,
601 Z. 20]. Ib. 51 Viminalis a Iove Vimino, quoius [quodY] ibi arae.
[ara? Top. 2, 261 f.] Vgl. Fest p. 376 [ubi ara Iovis yiminei; diese selbst ist
dargestellt mit der Beischrift vim(ineo?) t auf einer Grafitzeichnung einer am
viminalischen Thore gefundenen Marmorplatte Fiorelli Notizie 1877, 82, Brozza
in Cumment. philol. in honorem Mommseni 557 ff., vgl. Jordan Jahresb. ü.
Top. bei Bnrsian Fortschr. 1879, 419 Top. 1, 1, 223|. Auch der Caelius soll
einmal Möns Querquetulanus geheifsen haben, Tacit. A. IV, 65.
') Paul. p. 4 Albiona ager trans Tiberim diciiur a luco Albionarum ,
quo loco bos alba sacrißcabatur. [Verzeichniss der luci Jordan Top. 1, 1, 146.]
a ) Es verdient Beachtung, dals der Specht, der Wolf, das Pferd, welche
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DIE PERIODE DES FAUNUS.
115
dienen. ' Namentlich war es der Cult des Mars, des volkstümlich-
sten von allen italischen Gottern, in dem sich manches Alterthüm-
liche der Art erhalten hatte. Wie er selbst, so erinnern auch seine
Thiere vorzüglich an Wald und Krieg. So zunächst der Wolf,
welcher in dieser seiner italischen Bedeutung ganz dem deutschen
Isengrimm entspricht, dem grausamen Thiere des Waldes, welches
einem Volke von alterthümlicher und roher Sitte zum Bilde seines
Kriegsgottes vorzüglich geeignet erscheinen mochte. Auch waren
Italiens Wälder wie die im höheren Norden voll von Wölfen, welche
vom Apennin im Winter bekanntlich noch später selbst bis in die
Nähe von Rom streiften. Ebenso der Specht, welcher in den
Sagen und Mährchen vieler Völker l ) als der Waldvogel und Wald-
gräber schlechthin geschildert wird, der einsam wohnt und gräbt
und hackt und aus den Felsen und Bäumen allerlei geheime
Kunde herausholt, aber auch mit seinem mächtigen Schnabel und
seinem bissigen Wesen die Vorstellung eines martialischen Thieres 102
erweckte: daher er in den italischen Sagen und Culten zugleich
der Prophet des Mars und ein streitbarer Held, aber als Picumnus
auch ein um Düngung und Ackerbau verdienter König der Vorzeit
ist. Zu demselben Kreise gehört ferner das Pferd , das dem Mars
ganz vorzugsweise geweihte Thier und sein heiliges Opfer, ein Her-
kommen welches wieder sehr an das deutsche und nordische Alter-
thum erinnert, namentlich auch das Annageln des Hauptes *). Von
den übrigen Thieren hatte z. B. der Pflugstier (bos arator) die Be-
deutung der Ansiedelung überhaupt 8 ) , der Bock und die Ziege in
im Cultus des Mars als heilige Thiere besonders hervortreten, auch bei den
nördlichen Völkern, den Slaven, Germanen und Celten für heilig galten. Ueber
den Specht s. Grimm D. M. 639 und 925. [Ueber den Wolf s. W. Hertz der
Werwolf, Stuttgart 1862, S. 14 ff. Doch fehlt es über das ganze Kapitel
noch an einer ausreichenden monographischen Behandlung].
*) S. Cassel, Schamir, ein archäol. Beitrag zur Natur- und Sagenkunde,
Denkschr. d. K. Akad. d. gemeinnütz. W. in Erfurt, 1854 S. 48—112.
*) Fest. p. 181% welcher die Pferdeopfer der Lacedämonier vergleicht,
qui in monte Taygeio equum ventis immolant ibidemque adolent, ut eorum
flalu cinis eins per ßnes quam latissime differatur, und die der Sallentiner
in Apulien, weiche ihrem Iupiter Mensana ein Pferd ins Feuer stürzten, und
die Rhodier, welche dem Sol jährlich ein Viergespann ins Meer stürzten, quod
is tah curriculo fertur circumvehi mundum. Aber weit besser passen zum
Vergleich die Beispiele bei Grimm D. M. 42 und 621 ff.
8 ) [Ueber den Stier als Symbol der italischen Ansiedlnng Einiges bei
Nissen Templum 131 f.]
8*
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I
116 ZWEITER ABSCHNITT.
dem Culte des Faunus, der Juno u. a. die der Befruchtung, der
Hund wegen seiner feinen Witterung eine besondre Beziehung zu
Geistern und Faunen , dahingegen der Fuchs wegen seiner rothen
Farbe zugleich für ein Bild der feindlichen Rutuler und der schäd-
lichen robigo gelten mufste. Allgemein war ferner die Schlange,
das bei allen Völkern in unzählichen Mährchen und Sagen bedeut-
same Thier 1 ), wegen ihres Schlüpfens und Schleifens in der Erde
und der jährlichen Erneuerung ihrer Haut ein Symbol der Genien
und Hausgeister, daher die Schlange in Rom sogar zu den gewöhn-
lichen Haustbieren gehörte. — Lauter Elemente einer Thiersymbo-
lik, welcher man in andern Naturreligionen auch begegnet, welche
sich aber in Italien, so viel wir wissen, weder für die Sagen- noch
für die Fabel- und Mährchendichtung so fruchtbar erwiesen haben
wie in Griechenland, Deutschland und bei andern Völkern. Um so
wichtiger war das gesammte Thierleben, und auch dieses entspricht
wieder ganz dem mehrfach geschilderten Charakter des italischen
Volksthums, für den religiösen und priesterlichen Bedarf der Deutung
und Weissagung, wie sie sich bei diesen Völkern frühzeitig in dem
eignen Stande und Berufe der Augurn entwickelt hatte. Von den
Umbrern, Sabinern, Marsern, Latinern wissen wir es gewifs , dafs
die Auguraldisciplin bei ihnen blühte, von den übrigen, namentlich
den oskisch redenden Völkern darf man es gleichfalls annehmen.
Das wesentliche Gebiet der auguralen Beobachtungen war aber be-
103 kanntlich die Thierwelt, sowohl der Angang der vierfüfsigen und
der kriechenden Thiere, des Fuchses, Wolfes, Pferdes, der Schlange
u.s.w. 8 ), als die Bewegungen und das Geschrei der Vögel und
zwar ganz besonders dieser letzteren, was wieder, wie mir scheint,
auf eine alte Heimath zwischen Bergen und Wäldern deutet, zumal
da der Waldvogel schlechthin, der Specht, der bedeutungsvollste
Vogel war wie die Erscheinung des W r olfes die bedeutungsvollste
unter den Quadrupeden 8 ). Uebrigens wurde bekann tich sowohl der
') [Vgl. Mähly Die Schlange im Mythus der klassischen Völker L. 1867.]
*) Den ganzen Kreis der auguralen Beobachtungen nennt Paul. p. 260
Quinque gener a signorum observant augures y ex caelo, ex avibus, ex tripudiü,
ex quadrupedibus, ex diris. Dem Angaog (Grimm D. M. 1072) entsprechen die
pedestria auspicia. s. Paul. p. 244 Pedestria auspicia nominabantur quae
dabantur a vulpe, lupo, serpente, equo ceteritque animalibus quadrupedibus.
8 ) Fest p. 197 Oscines, Non. Marc. p. 518 Picumnus, Plin. H. IV. VIII, 83
vom Wolf: inter auguria ad dexteram commeanüwn praeciso itinere, si pleno
id ore fecerit, null um animal praestantius. Nach Cicero d. Divin. I, 41, 92
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DIE PERIODE DES FAÜNUS.
117
Flug als die Stimme der Vögel beobachtet und demgemäfs für die
Auspicien alites und oscines unterschieden, obwohl einige Vögel,
namentlich der Specht und die Elster, zu beiden Klassen gehörten.
Ferner hatte jeder Vogel seinen Gott , dem er entsprach , so dafs
alle Vögel heilig waren 1 ), obgleich einige, die den Todes- und Un-
glücksgöttern entsprachen, nur Unheil bedeuteten. Weiter galt es
die Richtung und die Art des Fluges und so manches Andre zu
beobachten. Das bekannte Augurium aus dem Fressen der Hühner,
welches vorzüglich im Lager beobachtet wurde, ist für diesen Zweck
offenbar deshalb so allgemein geworden , weil es unter allen Um-
ständen das einfachste war.
Auf eine sehr alterthümliche Tradition deutet ferner der Ju-
piter Lapis im Heiligthum des Feretrius, desgleichen die Bedeutung
der Lanze im Culte des Mars und Quirinus, sowie in dem der sa-
binischen Juno, der sogenannten Ancilien im Culte der Salier:
lauter Symbole des italischen Alterthums, zu welchen erst später
durch griechischen Verkehr die Palladien, die Kerykeien, der Lor-
beer des Apollo u. A. hinzukamen. Und so scheint auch der fast
in allen Naturreligionen nachweisbare bildliche Gebrauch des mann- iQ4
liehen Zeugungsgliedes in der Bedeutung einer zeugenden und
schöpferischen Kraft schon im alten Italien verbreitet gewesen zu
sein, da dieses Symbol wenigstens bei den ländlichen Liberalien der
Latiner eine nicht weniger bedeutsame Rolle spielte als bei den
ländlichen Dionysien in Atüka. Auch die bei mehr als einer Ge-
legenheit beliebten fescennini versus deuten darauf, sammt der
durch ganz Italien verbreiteten Anwendung des fascinum als Amu-
let und Gegenzauber bei vielen einzelnen Gelegenheiten, bei denen
doch wohl eigentlich der Glaube an einen Schutz der ewig schöpfe-
rischen Gotteskraft ausgedrückt werden sollte.
war die Beobachtung der Vögel am weitestes gediehen in Phrygien, Pisidien,
Cilicien, Arabien und in Italien in Umbrien, gröfstentheils Gebirgsgegenden.
Vgl. ib. 42, 94 Grabes autem et Phrypes et Cilices, qtiod pastu peeudum
maxime vtuntur, campos et montes Menne et aestate peragrantes , propterea
facti ins cantus avium et volattts notaverunt , eademque et Pisidiae causa fuit
et huic nostrae Umbriae. [Daher in den igavinischen Tafeln die Beobachtung
der Vögel der römischen ahnlich: s. Aufrecht u. Kirchhotf. U. S. D. 2,
25 f. 41 f.]
*) Serv. V. A. V, 517 Nuüa enim avis caret consecratione , qtna sitipulae
aves numinibus sunt consecratae. Vgl. Marquardt Handb. d. R. Alterth. IV
S. 358 [— Staatsverw. 3, 387, besonders ab'er Mommsen Staatsrecht 1», 73 ff.].
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118
ZWEITER ABSCHNITT.
Damit wir uns aber diese Stufe der Religion nicht gar zu
harmlos vorstellen, ist zu bedenken, dafs grade diese älteste Zeit
wie anderswo , so auch in Italien ganz vorzugsweise die Zeit der
Menschenopfer gewesen sein mufs, obwohl dieselben später bis
auf seltene Ausnahmen abgeschafft und durch stellvertretende Ge-
bräuche ersetzt wurden. Deutliche Spuren solcher Opfer hatten
sich z. B. bei den latinischen Ferien erhalten , bei denen noch
unter den Kaisern ein verurtheilter Verbrecher den Altar des Ju-
piter zu Rom mit seinem Blute benetzen mufste ; weniger deutliche
bei der Feier der Saturnalien und der Compitalien, in dem ge-
wöhnlichen Ritus der Blitzsühne, dem sogenannten Asyl des Vejovis
und anderen allerthümlichen Sagen und Gebräuchen. Und so ist
auch der in der alten Geschichte Italiens oft erwähnte Gebrauch
einen heiligen Frühling, ver sacrum, zu weihen 1 ) deutlich der Aus-
druck einer religiösen Stimmung, welche den Göttern und ihren
Priestern auch das Liebste darzubriugen nicht anstand. Es war
der Gebrauch in schweren Kriegsläuften, Sterbezeiten und andern
Calamitäten den Göttern, vorzüglich dem Mars im voraus die säramt-
lichen Erzeugnisse des nächsten Frühjahrs d. h. der Monate März
und April zu weihen, Menschen, Vieh und die Frucht der Felder,
worauf man im nächsten Jahre das Vieh und die Feldfrüchte wirk-
lich opferte, die junge Mannschaft aber sobald sie herangewachsen
war als Geweihete d. h. den Göttern Verfallene zum Lande hinaus-
trieb und ihrem Schicksale überliefs : eine gewöhnliche Veranlassung
für diese sich unter dem Schutze des Mars und der Anführung
seiner heiligen Thiere eine neue Heimalh zu erkämpfen. Endlich
106 lassen sich auch die bei verschiedenen volkstümlichen Gelegen-
heiten in Italien und Griechenland erwähnten oscilla am besten
durch sinnbildliche Menschenopfer und den Baumcultus erklären.
Es sind kleine schwebende Figuren und Masken, welche nament-
lich bei der Feier der latinischen Ferien an den Bäumen aufge-
») Vgl. Marquardt Handb. IV, 232 [Staatsverw. 3, 370] and Schweiler
H. Gesch. I, 240 Ii'., welcher letztere aber die Gebräuche der Devotion mit
denen des Ver Sacrum verwechselt. [Vgl. Rüper Lucubr. pontif. p. 38. Doch
ist die Annahme italischer Menschenopfer zweifelhaft: nichts hat damit zu thun
das Lebendigbegraben des Graecus et Graeca, Gallus et Galla auf dem forum
boarium (im J. 536 d. St. und noch zu Plinius Zeit nach Vorschrift der sibylli-
nischen Bücher Liv. XXII, 57, 6 Plin. N. H. XXVIII, 12), bei welcher Gele-
genheit Livius sagt a. 0.: hostiis humanis, minime Romano sacro. Ueber
ver sacrum Nissen Tempi um 154 vgl. Hasenmüller Rh. Mus. 19, 402].
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DER GOTTESDIENST DES >'UMA.
119
hängt und von den Alten, nachdem der rechte Sinn verloren ge-
gangen war , auf sehr verschiedene Weise erklärt wurden. Da in
alter Vorzeit die Köpfe und Glieder der geopferten Thiere oder
Menschen an die Bäume des Hains aufgehängt wurden , so hatten
diese Puppen und Masken wahrscheinlich den Sinn einer hildlichen
Stellvertretung, wie sie uns in dem römischen Gottesdienste öfters
begegnen wird *).
2. Der Gottesdienst des Numa,
Immer hat Numa für den eigentlichen Begründer des römi-
schen Gottesdienstes und insofern für den ersten Gesetzgeber Borns
gegolten, da dessen Verfassung vor den Tarquiniern wesentlich auf
religiösen und theokraüschen Principien beruhte.
Da die alte Ueberlieferung ihn einen angesehenen Sabiner aus
dem benachbarten Cures, der zweiten Metropole Borns nennt, so
werden wir den nationalen Kern seiner Gesetzgebung bei diesem
altitalischen Volke suchen müssen, zumal da die Sabiner auch sonst
als ein sehr ernstes, gottesfürchtiges und sittenstrenges Volk ge-
schildert werden und ihre Gottesdienste in Born gleichfalls den
Eindruck einer sowohl in religiöser als in sittlicher Hinsicht
weit gediehenen Entwicklung machen. Indessen ist auf der
andern Seite nicht zu verkennen , dafs auch das alte Herkommen
und die sacralen Satzungen der Latiner auf Numas Verordnungen
einen bedeutenden Einflufs ausüben mufsten , da es ohnehin sein
Hauptzweck war aus den bisher getrennt gebliebenen Bömern und
Quiriten d. h. den palatinischen Latinern und quirinalischen Spin-
nern ein durch gemeinsame Beligion gebundenes Ganzes zu bilden.
Auch wissen wir dafs viele von Numa in sein Werk aufgenommene
Institute, z. B. das der palatinischen Salier und ihr Dienst des
Mars , die Luperci und ihr Dienst des Faunus , die Arvalischen
Brüder und ihr Dienst der Dea Dia latinischen Ursprungs waren,
während viele andre z. B. die Gülte des Saturnus und der Ops,
des Jupiter und des Veiovis, der Diana und Lucina, der Laren und
der Mutter der Laren, des Vulcanus und der Vesta sowohl latinisch 100
als sabinisch waren : endlich dafs auch der geistliche Stand und das
Priesterthum bei den Latinern weit gediehen war. So gab es
Flamines , Vestalische Jungfrauen , Pontifices und Augurn , auch
») Vgl. J. Grimm D. M. 67 und Bötticher ßaumcultus 80 ff.
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ZWEITER ABSCHNITT.
Fetialen so gut bei den Latineru als in Rom oder bei den Sabi-
i ic in. Ja es scheint in Gabii, einer Cotonie von Alba Longa,
eine eigene Priesterschule gegeben zu haben , zunächst für das
Auguralwesen, worauf auch die Sage führt dafs Romulus und Re-
mus, die ersten Augurn in Rom, ihre Bildung zu Gabii empfangen
hatten, Dionys EL I, 84, Plutarch Rom. 6. Wenigstens wissen
wir aus Varro 1. 1. V, 33 dafs die Auspicien auf römischem und
auf gabinischem Stadtgebiete in gleicher Weise angestellt wurden.
Auch war der sogenannte cinctus Gabinus, eine eigene Art die
Toga aufzuschürzen, welche die freiere körperliche Bewegung be-
günstigte und deshalb bei den Römern vorzüglich im Lager her-
kömmlich blieb, nach sicherer Ueberlieferung ursprünglich vielmehr
bei verschiedenen gottesdienstlichen Verrichtungen üblich gewesen,
namentlich wie es scheint bei solchen , welche mit Umzügen ver-
bunden, also schreitend auszuführen waren a ).
Die Verschmelzung der getrennten Römer und Quinten er-
reichte Numa theils durch die Curienverfassung , theils durch ge-
wisse centrale Institute des neuen Staatscullus und der religiösen
Oberaufsicht des Königs, namentlich die Regia und den Gemeinde-
heerd der Vesta in der Nähe derselben, endlich durch eine solche
Einrichtung der Priesterthümer und des öffentlichen Gultus d. h.
seiner Gebräuche, Opfer und Gebete, dafs dieselben fortan für die
gesammte Bürgerschaft der Römer und Quiriten, nachmals auch
füs den dritten Stamm der Luceres verbindlich waren. Vermöge
der Curienverfassung wurden sämmtliche Familien des Patriciats
d. h. der ältesten Bürgerschaft in dreifsig Curien eingetheilt, welche
zugleich eine politische und eine religiöse Bedeutung hatten und
insofern mit den Kirchspielen mancher deutscher Städteverfassungen
verglichen werden können. Jede Curie hatte ihr besonderes Local
zu ihren corporativen und gottesdienstlichen Versammlungen und
zu demselben Behuf ihren eignen Curio und Flamen, alle zusammen
aber standen unter der geistlichen Oberaufsicht eines sogenannten
Curio Maximus, welcher zu dem Gottesdienste der Curien und zu
») S. die Stellen bei Müller Etrusker I, 265 [1*, 251 vgl. 2», 125]. Auch
die Laren wurden wohl deshalb cinctu Gabino bekleidet gedacht, weil sie für
alle Zeit expedite und hülfreiche, rastlos allgegenwärtige Genien gehalten
wurden. [Vielmehr tragen die tanzenden Laren griechische, bakchische Klei-
dung: Jordan Annali dell' inst 1862, 336 f. Der cinctus Gabinus ist nichts
weiter als die eigentümlich hochgeschürzte und über den Kopf gezogene
toga.]
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121
ihren Vorstehern und Priestern ein ähnliches Verhältnifs gehabt zu 107
haben scheint wie der König, später der Pontifex Maximus zu dem
römischen Gottesdienste und zu den Geistlichen überhaupt. Die
Regia war ursprünglich, wie dieses schon der Name sagt, der cen-
trale Sitz des Königs, sofern dieser zugleich das Haupt und der
oberste Priester und geistliche Repräsentant des Staates war und
als solcher zugleich eine Oberaufsicht über alle gottesdienstliche
Hebungen desselben ausübte, sowohl die des öffentlichen als die
des Familienlebens. In der Regia, welche am Fufee des palatini-
schen Hügels an der sogenannten Via Sacra lag, wo diese in das
Forum mündete, wurde solange es einen König gab von diesem
und der Königin, später von den dazu verordneten Priestern und
Priesterinnen den höchsten Göttern des Staats, namentlich dem
Janus, Jupiter, der Juno, dem Mars, der Ops im Namen der ganzen
Rürgerschaft geopfert. In der Nähe dieser Regia aber lag auch
das Heiligthum der Vesta mit dem Gemeindeheerde , auf welchem
gleichfalls unter der unmittelbaren Aufsicht des Königs, später des
Pontifex Maximus, von den reinen Händen der Vestalischen Jung-
frauen die heilige Flamme unterhalten wurde, in welcher sich die
unsichtbare Lebensflamme des Staates und der Gemeinschaft seiner
Bürger bildlich darstellte , grade so wie jede der dreifsig Curien
und jede einzelne Familie auf ihrem Heerde ein ähnliches Feuer
unterhielt und dabei der schützenden und erhaltenden Götter und
Genien gedachte von denen sie ihre besondere Existenz und ihr
eignes Gedeihen ableitete 1 ).
In der Verfassung der Geistlickeit lassen sich drei verschiedene
Systeme unterscheiden, deren erstes die Priester und den regel-
mäfsigen Dienst der höchsten Staatsgötter, des Janus, Jupiter und
der Juno, des Mars, Quirinus und der Vesta umfafst. Hatte hier
früher der König an der Spitze gestanden, so scheinen dessen
Rechte, namentlich die Aufsicht über den gesammten Cultus nach
Anleitung der Gesetze des Numa , schon unter den Königen zum
Theil auf den Pontifex Maximus übergegangen zu sein *), und vol-
*) Ambrosch Stadien und Andeutungen S. 1 — 40.
*) Wenigstens müssen wir dieses nach Liv. I, 20 und 32 vermuthen, da-
hingegen spater unter den Kaisera die Sache gerne so dargestellt wurde, als
ob die Könige wie diese die Würde des Pontifex Max. niemals von der ihrigen
getrennt hätten, s. Serv. V. A. in, 80, Plutarch Numa 9, Zosim. IV, 36. [Vgl.
Marquardt Staatsverw. 3, 231.]
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122
ZWEITER ABSCHNITT.
lends veränderte sich die alte Ordnung der Dinge, als das König-
thum abgeschafft und nur noch ein Schatten seines Namens ge-
108 duldet wurde. Seitdem gab es nur noch einen Opferkönig, Rex Sacrorum
oder Sacriliculus genannt, der Erbe der priesterlichen Functionen, welche
dem Könige bis zuletzt geblieben waren, namentlich der Opfer an
den Janus (S. 64). Auf ihn folgten dem geistlichen Range nach
die drei sogenannten Flaraines Maiores, welchen Beinamen sie den
zwölf Flamines Minores niederer Ordnung verdankten, die durch
die Einfuhrung anderer Gülte mit der Zeit nöthig wurden und auch
den Plebejern zugänglich waren *). Unter den Flamines der höhern
Ordnung büeb der Flamen Dialis immer der angesehenste, als Re-
präsentant des höchsten Gottes im lichten Himmel, dessen Heilig-
keit sich in vielen und schwierigen Beobachtungen ausdrückte, die
ihm für sein persönliches Verhalten vorgeschrieben waren. An
seiner Seite war seine Gemahlin, die Flaminica schlechthin, dem
Dienste der Juno gewidmet, wie sich denn bei den meisten dieser
höheren römischen Priesterthümer die Erscheinung wiederholt, dafe
ihre Inhaber in erster und einziger Ehe verheirathet sein mufsten
und dafs ihre Frauen den Dienst bei der weiblichen Gottheit zu
versehen hatten, welche der männlichen ihres Gemahls am nächsten
stand. Die beiden andern Flamines, der Martialis und Quirinalis,
entsprachen, wie bereits früher bemerkt wurde, den beiden alten
Stammgöttern der palatinischen Römer und der quirinalischen Sa-
biner*). Endlich folgte dem Range nach als der letzte der Ponti-
fex Maximus, obwohl er vermöge seiner geistlichen Macht wenig-
stens im Laufe der Republik bei weitem der erste war und für
den persönlichen «Mittelpunkt des gesammten römischen Staatsgottes-
dienstes gelten konnte. Von ihm ging die Besetzung aller bisher
genannten priesterlichen Würden aus, des Rex Sacrorum, der
Flamines Maiores und der Vestalischen Jungfrauen, ja er übte auch
eine Disciplinargewalt über diese Priester und Priesterinnen, welche
') Paul. p. 151 Maiores flamines, Fest. p. 154 Maximae dignationis, vgl.
Gai. 1, 112. Ennius scheint dem Nunia auch die Einsetzung dieser geringeren
Flamines zugeschrieben zu baben, Varro 1. 1. VII, 45, und jedenfalls waren die
meisten von ihnen alt, wie die Gottesdienste denen sie entsprachen. Nur
ueon sind bekannt, der fl. Polcanalü, Voltumalis, Palatualis, Furrinalis,
Floralis, Carmentalis , Portunalis, Falacer, Pomonaiis [Marquardt Staatsverw.
3, 314 f.].
*) Weil Quirinus später allgemein mit dem Divus Romulus identificirt
wurde, lafst Dionys II, 63 schon Numa den Cultus des Romulus stiften.
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DER GOTTESDIENST DES NÜMA. 123
insofern alle seiner Oberaulsicht untergeben waren Ferner war
er in allen laufenden Fragen des Gottesdienstes und des geistlichen io»
Rechtes, sowohl in öffentlichen Angelegenheiten als im Familien-
leben, die letzte Instanz, so dafs er auch in das Staats- und Beam-
tenwesen und in das civile Recht, z. B. wo es über die Legitimi-
tät einer Ehe und über die von der Religion vorgeschriebenen
Pflichten gegen die Verstorbenen zu entscheiden galt, oft hinüber-
griff und dadurch Veranlassung bekam sich nicht allein um die
geistlichen, sondern auch um die weltlichen Angelegenheiten zu be-
kümmern, welche bei diesem Amte sogar je länger desto mehr zur
Hauptsache wurden. Aufserdem hatte er die Aufsicht über die von
Numa überlieferten, im Laufe der Zeit vielfach erweiterten und
überarbeiteten Urkunden des geistlichen Rechts und des öffentlichen
Gottesdienstes, also auch über den Kalender und die von demsel-
ben abhängigen Bestimmungen der Fest- und Geschäftstage, sowie
über die jährlichen Aufzeichnungen aufserordentlicher Ereignisse
von religiöser Bedeutung, aus welcher die sogenannten Annales
Maximi hervorgingen. Lauter Geschäfte die ein zahlreiches Beam-
tenpersonal und ein bedeutendes Archiv von selbst mit sich brach-
ten und unter seiner Leitung von einem eignen Collegium der
Pontifices besorgt wurden, welches zuerst aus 4, seit der 1. Ogulnia
v. J. 454 d. St. 300 v. Chr., durch welche die Plebejer den Zu-
gang zu diesem wichtigen Amte erlangten, aus 8, seit Sulla aus
15 und noch mehr Mitgliedern bestand und sich durch Cooptation
ergänzte, während der Pontifex Maximus durch Volkswahl unter den
Mitgliedern des Collegiums bestimmt wurde 2 ). Auch der Opferkönig
und die drei höheren Flamines gehörten zu diesem Collegium, welches
in allen Religionssachen, bis auf die Zulassung neuer Gottesdienste,
in Rom und durch ganz Italien die höchste consultative Behörde bildete.
Ein zweites System dieser Geistlichkeit vom ältesten Datum
bildete das Collegium der Augurn, deren es bis zur 1. Ogulnia
gleichfalls 4, seitdem 9, seit Sulla 15 und mehr gab. Ihre geist-
liche Aufgabe war die . Beobachtung des Willens der Götter aus den
conventionellen Zeichen (S. 116 f.) und die Anwendung dieser Beob-
*) Daher der Pontifex auch für den Fl. Dia 1 is fungirte, sobald dieser
durch Krankheit oder sonst verhindert war. Aach wahrend der 75 Jahre,
wo die Stelle des Fl. Dialis gar nicht besetzt wurde, sorgte der Pontifex für
den Dienst, s. Tacit A. III, 58.
*) Mercklin, die Cooptation der Römer S. 91 ff., 131 ff.
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124 ZWEITER ABSCHNITT.
achtungen auf alle wichtigeren Vorgänge des öffentlichen Lebens,
wobei sie indessen niemals unmittelbar und persönlich einschritten,
sondern immer nur den vollziehenden Behörden zurathend oder
110 abmahnend zur Seite standen. Die Beobachtungen selbst wurden
nach einer altherkömmlichen Technik und sorgfältig fortgepflanzten
Lehre (disciplina) angestellt, wobei es sich besonders darum handelte
auf der Erde den rechten Standpunkt zu nehmen, den Himmel in
gewisse Felder einzutheilen, und demgemäfs über die gute oder
schlimme, ein Unternehmen, die Wahl eines Beamten u. s. w. billi-
gende oder mifsbilligende Bedeutung der göttlichen Zeichen zu ent-
scheiden. Ferner waren die Augurn bei allen Weihungen betheiligt,
sowohl den vielen persönlichen der Priester, welche erst nach vor-
genommener Einweihung (inauguratio) ihr Amt antreten und nicht
ohne eine förmliche Aufhebung dieser Weihe (exauguratio) von
demselben wieder entfernt werden durften, als bei den örtlichen
Einweihungen der Stadt und des Stadtgebiets, der Tempel und
Heiiigthümer, auch der Aecker, Weinberge und Obstgärten, welche
dann durch gewisse Umzüge, Opfer und Gebete zu besimmten
Zeiten oder auf außerordentliche Veranlassung zugleich von aller
Befleckung gesühnt und zu neuer Weihe eingesegnet wurden , bei
weichen Gelegenheiten die Augurn gewöhnlich mit den Pontifices
und andern Priestern zusammenwirkten. Endlich hatten sie bei
außerordentlichen Gelegenheiten, namentlich bei drohenden Erschei-
nungen des Himmels den Zorn der Götter zu sühnen, Blitze zu
beschwören, und wieder unter andern Umständen gewisse Verflu-
chungen auszusprechen, welche für alle Bürger der Stadt galten.
Die Grenze ihrer Beobachtungen in der Stadt war das sogenannte
Pomerium, das Local derselben und das ihrer amtlichen Versamm-
lungen und Verhandlungen das sogenannte auguraculum auf der
Capitolinischen Burg (in arce) , wo sie zu gewisser Zeit ein sehr
heiliges und heimliches Opfer darbrachten 1 ). Auch gehörte es zu
ihren amtlichen Bechten und Verpflichtungen darauf zu achten, daß*
sie von dort aus den ganzen Horizont der Stadt ungehindert über-
sehen konnten. Seinen ersten Ursprung leitete dieses Collegium
nach alter Ueberlieferung von Bomulus ab, dessen lituus, mit dem
er das bekannte Glückszeichen der Gründung gewonnen hatte, als
eine heilige Beliquie bewahrt wurde. Aber erst seit dem sabini-
") Paul. p. 16 Arcaoi, p. 18 Auguraculum.
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DER GOTTESDIENST DES NUMA
125
sehen T. Tatius war die Stätte der Beoabachtung auf der Burg auf-
geschlagen worden, und erst Numa galt mit gutem Grunde für den
Stifter des Collegiums. Uebrigens gab es auch aufser diesem Col-
legium viele Augurn in Rom, wie sie zu Privatzwecken oder sonst
befragt wurden , vollends in älterer Zeit, wo z. B. der berühmte in
Sabiner Attus Navius nicht eigentlich zum Collegium der öffentlichen
Augurn gehörte. Es ist derselbe welcher Tarquinius dem Aelteren
mit seinen Zeichen und Wundern so imponirend entgegentrat, da Ts
der mächtige König von seinen Neuerungen ablassen mufste, ein
Vorgang auf welchen die Tradition der Augurn ein solches Gewicht
legte, dafs das Collegium seinen ausserordentlichen Einflufs auf den
Gang aller öffentlichen Angelegenheiten erst von da an datirte
Ihre religiöse Bedeutung besteht ganz wesentlich darin dafs sie im
Sinne der Vorzeit für die Dollmetscher des unsichtbaren Willens
der Götter, vor allen des Jupiter galten 1 ). Sobald man nicht
mehr an die Theilnahme dieser Götter an allen irdischen und welt-
lichen Angelegenheiten und an die Bedeutung der Zeichen glaubte,
sank das ganze Institut natürlich zur politischen Farce herab.
Eine dritte Gruppe ist die der Sodalitäten und Brüderschaften,
namentlich die der Luperci, der Salii , der Sodales Titii und der
Fratres Arvales : ältere Verbrüderungen zu gewissen Cultuszwecken,
welche Numa in seine Verfassung aufnahm oder durch dieselbe neu
organisirte und dadurch zu öffentlichen Instituten machte. Ihr
Unterschied von den gewöhnlichen priesterlichen Collegien besteht
theils in ihrem Ursprünge und der Enge ihrer Verbrüderung theils
in der Art ihres öffentlichen Hervortretens. Dem Ursprünge nach
deuten sie entweder auf gentilicische Vereine oder sonst die ele-
mentaren Zustände des Gemeindeverbands, wie dieses auch von
den Alten ausdrücklich anerkannt wird und z. B. in dem Namen
der Luperci Fabiani und Quinctiliani sich deutlich darstellt. Ihre
Verbrüderung aber war besonders deswegen so enge, weil sich mit
ihrer Gesellung das religiöse Element aufs innigste verband, indem
sie sich eben zunächst zur gemeinschaftlichen Feier eines Opfers
') Liv. I, 36 ut nihil belli domique pottea nisi atupicato gereretur, cort-
cilia populi, earercUus vocati, summa rerum, ubi avet ntrn admititsent, diri-
•) Cic. de Leg. 11, 8, 21 inierpretes autem Iovis Opt. Max. pubUci augures
signie et auspieiis pottea [so die Hss.: pottera verb. Manutios richtig] vidento.
Vgl. Hubin«» UDtersucbungeu über röm. Verf. und Gesch. I, 37 ff.
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126 ZWEITER ABSCHNITT.
und Opfermahles verbunden hatten, dadurch aber überhaupt zur
innigsten Betreundung in Noth und Tod angehalten wurden, wie
dieses ja auch der Name Sodales und Fratres und Germani aus-
drückt *). Der Zahl nach scheinen diese Vereine gewöhnlich aus
112 zwölf Mitglieder bestanden zu haben, die sich durch Gooptation er-
gänzten. Ihr religiöser Dienst unterscheidet sich von dem des ge-
wöhnlichen Priesters dadurch, daüs sie immer nur bei gewissen
festlichen Veranlassungen hervortreten , im Uebrigen aber nur als
religiöse Corpora tionen von öffentlicher Geltung existirten. So
traten die Luperci öffentlich nur im Februar hervor, wo sie im
Dienste des palatinischen Faunus, eines sehr alten Cultus, gewisse
sinnbildliche Gebräuche der Sühnung und Befruchtung verrichteten,
die Salier im März, wo sie zu Ehren des alten palatinischen Stamm-
gottes Mars, seit Tullus Hostilius auch zu Ehren des sabinischen
Quirinus mit eigenthümlichen Liedern und Tänzen durch die Stadt
zogen, die Titier bei einer nicht näher bekannten Veranlassung zur
Erinnerung an den Sabinerkönig T. Tatius, endlich die fratres
Arvales im Mai, wo sie zu Ehren der Dea Dia in ihrem vor der
Stadt gelegenen Haine die vorgeschriebenen Gebräuche verrichteten
und gemeinschaftliche Opfermahlzeiten hielten.
Der Cultus des Numa wird im Allgemeinen dadurch
characterisirt dafs zugleich seine grofse Einfachheit und seine
aufserordentliche Mühsamkeit d. h. die grofse Zahl seiner Ge-
bräuche und Beobachtungen, welche namentlich den Dienst der
Priester sehr schwierig machten, hervorgehoben wird. In die-
l ) Cic. pr. Cael. 11, 26 Fera quaedam sodaläas et pastoricia atque agrestü
germanorum Lupercorum, quorum coüio illa süvestris ante est insti-
tuta quam humanitas atque leges, si quidem non modo nomina inter se de-
ferunt sodales, sed etiam commemorant sodalitatem in accus an do . ut ne si
quis forte nesciat timere videantur. Bei Macrob. I, 16, 32 gelten die sacri-
ßcia, sodalitates und nundinae für Stiftungen des Romulus uod T. Tatius.
Paul. p. 296 erklärt Sodales dicH quod una sederent et essent, vel quod
ex suo datis vesci soliti sint, vel quod inier se invicem suader ent quod utile
esset. [Doch s. Corssen Ausspr. I 9 , 314. 2, 64.] Bei den Griechen waren die
'OQyeoZveg und Gtao<5rat etwas Aehnliches. [Irrig ist die Deotung der St. des
Cicero: germani Luperci heilst 'leibhaftige Wölfe', was sehr gut zu der allein
zulässigen Ableitung des Worts lup-er-cus, Wölfling, vgl. nov-er-ca, passt:
Jordan Krit. Beitr. S. 164. 207. Die Bezeichnung 'Brüder' führten so weit
wir wissen von italischen tSodalitäten nur die römischen fratres arvales und
die iguvinischen frater Mijediur {fratres Miedü) der iguvinischen Tafeln. S.
Henzen Acta arv. S. 1, Breai Tab. Eugub. 218.J
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DER GOTTESDIENST DES MJMA
127
Siune äufsert sich Cicero *) und unter den Kirchenvätern
, Tertullian , welcher letztere wiederholt auf diesen Punkt zurück-
kommt und wegen der vielen Gebräuche, Gelübde und Obser-
vanzen das Gesetz des Numa sogar mit dem des Moses vergleicht 2 ),
dabei aber gleichfalls die grofse Einfalt und Nüchternheit der Aus-
stattung des Dienstes rühmt. Gewifs ist dafs dieser Gharacter in ns
den engeren Kreisen des alten römischen Staatsgottesdienstes sich
trotz der später hinzugekommenen Tempel und Bilder, der präch-
tigen Processionen , der rauschenden Spiele immer als fester Kern
alter Sitte und Frömmigkeit erhalten hat, daher auch die Patrioten
immer wieder darauf zurückwiesen und namentlich auch dieses vor
Augen haben, wenn sie auf die vielgerühmte Religiosität der Vor-
fahren zu sprechen kommen, welche einer der wirksamsten Hebel
des römischen Staates und der römischen Macht gewesen sei 3 ).
Denn ein religiöser Mensch ist im Sinne des römischen Sprach-
gebrauchs nur der gesetzlich fromme und gewissenhafte, welcher
sich streng an die vom Staate vorgeschriebenen Normen des Götter-
glaubens und des Gottesdienstes hält und darin weder zu viel noch
zu wenig thut) 4 , wobei also freilich nur von einer Gesetzlichkeit
*) Cic. de Rep. II, 14, 27 Sacrorum ipsorum diligentiam dif fidlem, ap-
paratum perfacilem esse voluit. Nam quae perdiscenda quaeque observanda
essent mitlta constituit, sed ea sine impensa.
') Tertullian Apolog. 21 Pompilius Numa, qui Romanos operosissimis
superstitionibus oneravit. De Praescript. Haeret. 40 Si Numae PompiUi super-
stitiones revolvamus, si sacerdotalia officia et insignia et privilegia, si sacri-
ficalia minist er ia et instrumenta et vasa ipsorum sacrificiorvm ac piacu-
orum et votorum curiositates consideremus, nonne manifeste diabolus moro-
sitatem illam Iudaicae legis imitatus est? Vgl. Apolog. 25.
•) Cic. N. D. II, 3, 8 Si conferre volumus nostra cum externis, ceteris
rebus aut pares aut etiam injeriores reperiemur, religione i. e. cultu deorum
multo superiores. Sallust Catil. 12 noslri maiores religiosüsimi mortales.
Vgl. unter den Griechen Polybins oben S. 24 und Posidonius bei Athen. VI,
107 p. 274, unter den Kirchenvätern Tertull. Apolog. 25 illa praesumptio di-
centium Romanos pro merito religiositatis diligentissimae in tantum sublimi-
tatis elatos ut orbem occuparint, et adeo deos esse ut praeter ceteros floreant
qui Ulis officium praeter ceteros faciant.
*) Fest. p. 289 Religiosi dieuntur qui faciendarum praetermittendarumque
rerum divinarum secundum morem civitatis delectum habent nec se superstitio-
nibus (d. h. vom Staate nicht recipirten Sacris) implicant. In demselben Sinne
sagt Cotta bei Cic. N. D. III, 2 Sed cum de religione agitur Tu Corun-
canium, P. Scipionem, P. Scaevolam pontißces maximos, non Zenonem aut
Cleanthem aut Chrysippum sequor. Diese Religion verstand auch Varro unter
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128
ZWEITER ABSCHNITT.
im pharisäischen Sinne des Wortes die Rede sein konnte, nicht von
der Religion und dem Glauben im Sinne des Neuen Testaments.
Obwohl sich auf der andern Seite nicht läugnen läfst dafs diese
peinliche Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit der gottesdienstlichen
Uebungen und der hohenpriesterlichen Oberaufsicht das ganze römi-
sche Staats- und Rechtswesen der guten alten Zeit wie im Keime
in sich enthielt und dafs Numa als Urheber des pontificalen Grund-
gesetzes mit gutem Fuge für den Urheber des alten römischen
Staates gelten konnte, welcher trotz aller politischen Neubildungen
der spätem Könige und der Republik doch im Stillen noch immer
sehr mächtig nachwirkte.
114 Versuchen wir uns diese Eigenthümlichkeit des römischen
Cultus, seine Simplicität auf der einen Seite und die Ueberladung
mit religiösen Observanzen auf der andern näher zu vergegenwär-
tigen, so bestand jene zunächst in der noch immer dauernden Ent-
haltung von aller äufsern Vergegenwärtigung der Götter durch
Tempel und Bilder 1 ). Denn Tempel im architectonischen Sinne
des Wortes gab es auch unter Numa nicht, sondern nur geweihte
Räume zu gemeinschaftlichen Opfern und Gebeten, sogenannte Gurien
und Atrien (z. B. das atrium Regium, das atrium Vestae), wodurch
gewisse alte und einfache Symbole und Unterpfander des göttlichen
Schutzes und der göttlichen Gegenwart nicht ausgeschlossen sind,
z. B. die Lanzen und die Ancilien des Mars, der Bogen des Janus,
das Feuer der Vesta und andre mehr, welche entweder aus dem
höheren Alterthum beibehalten oder von Numa neu geschaffen
wurden. Auch fragt es sich ob es nicht auch damals schon so-
seinem genas civile (S. 34), obwohl er das Wort religiosus in dem Siooe eines
Uebermaafses von Frömmigkeit erklärte, wie soperstitiosus, s. Gelüus >'. A.
IV, 9. Etwas Andres ist religiosum im objectiven Sinne des Wortes, von
Tagen, Stätten u. s. w., wo es von sacrnm und sanctnm unterschieden wurde,
s. Fest. p. 289, Macrob. S. III, 3, Serv. V. A. II, 686, Gellius 1. c. [Vgl. Lübbert
Quaestiones pontificales B. 1859 S. 1 ff. Ueber die Ableitung von religio ist
noch immer Streit (Corssen Ausspr. 1*, 444 f. Curtius Grund/. S. 364): das
von Gell. a. 0. ans einem Dichter a. religens vgl. diligens ist wobl jedesfalls
eine etymologische Erfindung.]
l ) Tertullian Apolog. 25 Nam etsi a Numa concepta est curioritas super-
stitiosa, nondum tarnen aut simulacris out templis res divina apud Romanos
constabat. Frugi religio et pauperes ritus et radln Capitolia certantia ad cae-
lum, sed temeraria de caespite altaria et vasa adkuc Samia et nidor ex illis et
deus ipse nusquam. Nondum enim tuno ingenia Graecorum atque Tuscorttm
fingendis simulacris urbem inundaverant. Vgl. Plut. Numa 8.
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DER GOTTESDIENST DES NUMA. 129
genannte pulvinaria gegeben habe, eine eigen thümliche Weise die
Gottheit für das Gebet, namentlich die supplicatio zu vergegenwär-
tigen, auf welche ich gelegentlich zurückkommen werde. In jenen
Bet- und Opfersalen standen Opfertische von einfachem Holz, auf
welchen die frommen Gaben in Körben oder auf thönernen Platten
dargebracht wurden; die Altäre, welche im Freien standen, waren
meist von natürlichem Rasen, wie auch später in den altertüm-
lichen Gülten solche viel zu finden waren. Ferner war die alter-
tümliche Einfachheit aller nach dem Gesetze Numas zum Gottes-
dienste erforderlichen Geräthe und Gefafse mit der Zeit zum Sprich-
worte geworden namentlich die der Form und ihrer Bestimmung
nach mannichfaltigen , aber dem Stoffe nach gleichfalls sehr kunst-
losen Gufsgefafse, Schalen, Töpfe Numas, in denen die Spenden
dargebracht oder die Opferstücke gekocht oder die Erstlinge des 115
Kornfeldes, der Weinberge und andre Naturgaben geweiht wurden,
wie davon wieder die Urkunden der Arvalischen Brüder manche
Andeutung geben. Die Opfer selbst waren theils blutige d. h. Thier-
opfer, welche von dem Gesetze Numas keineswegs ausgeschlossen,
aber gleichfalls durch sehr ins Einzelne eingehende Vorschriften
geregelt waren, gröfstentheils aber unblutige 2 ), darunter besonders
*) Persius II, 59 sfurttm vasa Nümae Saturniaque impulü aera t Vestaiet-
que urnas. Cic. N. D. III, 17, 43 docebo meliova me didicisse de colendis diit
immortalibus iure pontißcio et maiorum more capedunculü iis, qua* Numa
nobis reliquä, de quibus in Uta aureola oratiuncula dicü LaeUu* (S. 25), quam
ratwtiibus stoicorum. Dionys H. II, 23 iyta yovv {»faadfiijv iv hgaig olxtaig
dtlnva ngoxtifieva dfois inl rganiCatg Sulivatg o^«ix«tf, iv xavrjoi xal
7tivaxtoxote xegapioig dl(p£t<ov pafas xal nonava xal Cias xal xagnüv itvorv
dnaQxag xal alla -totavTa Ina xal iiöanava xal ndarjg änetgoxaUae anrjl-
layutva' xal anovSag tldov iyxexgapivag ovx iv agyvqoTg xal j^wrotf ay-
yeotv, all* iv bargaxivatg xvxigt xal ngoxoig, xal ndvv rfydo&ijv rtov av-
Jqüv ort dtaß(vovaiV iv roTf nargioig t&eoiv, ovöhv ij-alldnovres rdav
ÜQXalun hiuüv tlg rr\v dlaCova nolvrtlitav. [Gemeint sind besonders die
im Arvalenkult und sonst noch später gebrauchlichen ollae, simpuvia, worüber
Henzen Acta arv. p. 30. lieber das olla* precari der Arvalen vgl. Aufrecht
und Kirchhoff U. S. D. 2, 229. — Man meint, solche ollae seien erhalten.
Vgl. jetzt die Nachweisungen bei Hei big, die Italiker in der Porben e,
L. 1879. 86 f.].
») Von Thieropfern ist ausdrücklich die Rede bei Liv. I, 20, auch wissen
wir dafs in der Regia und bei andern Gelegenheiten Widder und Lämmer
geschlachtet worden. Ueberdies enthielt das [pontificische] Ritualgesetz auch
über solche Opfer genaue Vorschriften, s. Varro 1. 1. V, 98, Serv. A. XII,
170 u. a. Also geht Plutarch Numa 8 zu weit, wenn er im Vergleiche Numas
PrelUr, Röm. MythoL L 8. Aufl. 9
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130
ZWEITER ABSCHNITT.
die bei jedem Opfer unvermeidliche mola salsa, welche gewöhnlich
auch von Numa abgeleitet wurde, aber gewifs älter ist als er.
Ferner gab es sehr viele Spenden, meist ohne Wein 1 ), endlich sehr
viele Opferkuchen, liba, die in sehr verschiedenen Formen gebacken
wurden, zu welchem Behüte es unter dem dienenden Personal der
verschiedenen Priesterthümer eigne geistliche Kuchenbäcker, soge-
nannte Octores gab 2 ). Das allgemeine Material dieser Spenden und
Opfer war, soweit Mehl dazu erforderlich war,
Getreide far oder ador d. i. Dinkel, Spelt, welcher daher auch sonst
auf Veranlassung vieler alterthümlicher Gebräuche genannt wird
und namentlich den ältesten religiösen Gebräuchen der ehelichen
Verbindung oder Trennung den Namen confarreatio und diffarreatio
gegeben hat 3 ). Mit welcher peinlichen Sorgfalt übrigens z. B. die
iie mola salsa für den öffentlichen Cultus zubereitet wurde, davon
geben die darauf bezüglichen Gebräuche der Vestalischen Jungfrauen
eine deutliche Vorstellung. Die Menschenopfer scheinen, soweit sie
überhaupt noch bestanden, durch Numa gänzlich entfernt und durch
sinnbildliche Gebräuche ersetzt zu sein, worauf namentlich die Le-
gende von Numa und dem Jupiter Elicius deutet. Ja die Aengst-
lichkeit vor allem Blutigen und was daran erinnern konnte war in
dem römischen Gottesdienste so grofs, dafs der Gebrauch des Eisens
von allen heiligen Handlungen streng ausgeschlossen war und auch
und der Pythagoreer keine blotigen Opfer anerkennen will: dvtti/LiaxTot yctQ
fiaav af Tf nokkal d7 dhf iiou xal anovöffs xal täiv tvxtktatdroiv nenoiTj-
fiivai.
») Plin. H. N. XV11I, 7 Numa instituä deos /rüge colere ei mola salsa
supplicare. Nach Dems. XIV, 8S worden die von Romains eingesetzten
Opfer ohne Wein dargebracht, die vou Numa nur von dem Wein beschnittener
Reben. [Vgl. Uenzen Acta arv. 14. Bei den Anhängern voo Heho's Theorie,
dafs vinu in Lehnwort sei ond die Weinkultur in Italien nicht ursprünglich,
spielen auch diese Bestimmungen eine Rolle. S. zuletzt noch Heibig a. 0. 71.]
l ) Ennius b. Varro 1.1. VU, 43 von Numa: mensas constüuü idemque
ancilia . . . libaque, fictores, Argeos et tutulatos. Ib. 44 fictores dich
a fingendis libü. Vgl. die Nachweisungen b. Marquardt IV, 198 [= Staats-
verw. 3, 240].
3) Dionys II, 25, Plin. H. N. XVIII, 82. Vgl. ib. 62 Poputum Romanum
farre tanlum e frumento CCC annis usum Ferrius tradit, und 14 gloriam
denique ipsam a farris honore adoream appellabant. Non. Marc. p. 52 ador
frumenti genus quod epulis et immolationibus sacris pium putatur. Ib. p. 114
Vari'o de vita populi Ro. lib. I. In eorum sacris liba cum sunt facta, inicere
solent farris semina et dieere se ea februare i. e. pura facere.
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OER GOTTESDIENST DES KüMA. 131
der Leib der Priester nicht von einem Eisen berührt werden durfte,
eine Rücksicht welche sich übrigens auch in andern alten Religionen
findet und in Italien auch von den Etruskern und Sabinern beob-
achtet sein soll 1 ). Endlich wird auch der Gebrauch der später bei
Opfern und andern heiligen Handlungen allgemein herkömmlichen
Flötenmusik immer so bestimmt von den Etruskern abgeleitet, dafs
eine solche oder überhaupt irgend eine Musik beim Gottesdienste
des Numa nicht wohl denkbar ist.
Drückt sich in diesen Thatsachen eine strenge Nüchternheit
und eine ebenso grofse Gewissenhaftigkeit des religiösen Gedankens
aus, so ist die Seele einer andern Reihe von Gebräuchen die casti-
tas d. h. der Sinn für Reinheit, welche sowohl von allen Betenden
und Opfernden 2 ) als von dem Opfer selbst, vor allem aber von
dem ganzen priesterlichen Personal gefordert wurde und wieder
eine Menge von einzelnen ritualen Vorschriften und Bestimmungen
zur Folge hatte. Daher die vielen Waschungen, Besprengungen
und Räucherungen, wie sie bei allen religiösen Handlungen erfor-
derlich waren; daher die äußerste Reinlichkeit und Sauberkeit
namentlich beim Culte der Vesta, deren Heerd als Gemeindeheesd m
zugleich ein Symbol des öffentlichen Gottesdienstes überhaupt war:
daher ferner die vielen und häufig wiederholten Lustrationen der
Stadt, des Stadtgebietes, der Bürgerschaft, des Heeres, ja selbst de*
Viehstandes, wie sie in den verschiedensten Culten, namentlich aber
in dem der alten Nationalgötter Mars und Faunus vorkommen, alle
mit der zu Grunde liegenden Vorstellung, dafs nur das den Göttern
lieb und angenehm sein könne, was von dem Makel und der Be-
fleckung der irdischen Natur und des irdischen Gebrauchs immer
*) Macrob. V, 19, 13 Prius üaque et Tuscos aeneo vomere uti, cum con-
derentur urbes, solitos in Tageiici» eorum sacris invenio, et in Sabinis ex aere
cultras quibus sacerdotes tonderentur. Serv. V. A. I, 449 flamm Dialis aereis
eidtris tondebatur. Auch bei dem Bau der alten Holzbrücke durfte kein Eisen
gebraucht und in die Haine und Heiiigthümer der Götter ohne vorgangige
Sühntingen kein Eisen gebracht werden. [Schiff des Aeneaa in den Navalia
nach Prokop Goth. 4, 22 S. 573 ohne Eisen gebaut] Vgl. Lobeck Aglaoph.
p» 686. 896 und Lasaulx Studien des class. Alterthums S. 117. [Uenzen
Acta arv. 132, Jordan Topogr. 1, 1, 396 f., Heibig, Mal. in d. Poebeoe 80 f. J
>) Die allgemeine Vorschrift bei Cicero de Leg. U, 8, 19 Ad divos adeunto
caste, pietatem adkibento, opes amovento : qui secus faxü, deus ipse vindew erit.
[Daher wohl castus = ieiunium : castus Cereris, Isidix , unten S. 438. 736 d.
2. A.; auch Diovis castud in der unten zu S. 242a. Inschrift der Inno Lucina?]
9*
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132
ZWEITER ABSCHNITT.
von neuem gereinigt werde. Daher ferner die strenge Feierlichkeit
in der Anwendung der einmal hergebrachten und consecrirten
Formel des Gebets oder frommen Gebrauchs, weil durch die bei
jeder Weihe vorgenommenen Auspicien die Gottheit selbst diese
Formel genehmigt, also ein für allemal geheiligt hatte, so dafs die
kleinste Abweichung ein Verstofe gegen ihren Willen war : eine
neue Quelle vieler Verschuldungen und dadurch veranlafsten Süh-
nungen. Das ist das Gebiet der sogenannten piacula, von denen
in den sacralen Vorschriften der Pontifices gleichfalls sehr aus-
führlich die Rede war. Piaculum commissum oder piacularis
commissio hiefs nehmlich eine jede Versündigung der Art, welche
durch einen eignen Act der Sühnung, expiatio, wieder gut gemacht
werden mufste ; piaculum dann aber auch das Sübnopfer, welches
als Mittel der Sühne dargebracht werden mufste; aufser welchen
bestimmt vorliegenden Fällen aber auch für eine eventuelle Ver-
sündigung z. B. beim Dienste der Todten vor der Erndte die porca
praecidanea geschlachtet, oder in solchen Fällen, wo aus bestimm-
ten Zeichen der Götter auf eine nicht näher nachweisbare Versün-
digung geschlossen wurde, sogenannte postiliones oder postulationes
als von den Göttern geforderte Sühnopfer dargebracht wurden
Und zwar war bei den Opfern, den Gebeten, den Processionen der
Iis geringste Verstofs schon wichtig genug, um solche Sühnungen oder
auch eine Wiederholung der ganzen heiligen Handlung oder wenig-
*) Araob. IV, 31 Si th cerimoniis vestris rebusque divinis postilionibus
[so die Hs.] locus est et piacularis dicitur contracta esse commissio , si
per imprudeutiae lapsum eut in verbo quispiam aut simpuvio deerrarit, aut si
rursus in soUemnibus ludis curriculisque divinis commissum omnes statim
in religiones clamatis sacras, si ludius constitit aut tibicen repente Contimit,
aut si patrimus ille qui vocüatur puer omiserit per ignorantiam lorum aut
tensam teuere non potuit. Vgl. Cic. de Harusp. resp. 10, 20 [postiliones (postu-
lationes die Hss.) esse Iovi Saturno Neptuno Telluri dis caelestibus, wie Orelli
richtig schreibt, da ebenda 14, 31 Telluri postüio (oder postülo) deberi dicitur
und bei Varro de I. 1. 5, 148 deum + manio postilionem postulare überliefert ist]
und Plut Coriolan 25. In demselben Sinne sagt Virg. Aen. VI, 569 commissa
piacula und Cic. de Leg. D, 9, 21 sacrum commissum, quod neque expiari
poterit, impie commissum esto; quod expiari poterit, publici sacerdotes
expianto [vgl. Jordan Proleg. in Cat. S. LXXIX f.]. Doch sind piacula auch die
victimae, quibus facinus expiabatur admissum, Pseudoacron z. Horat. Od. I, 28,
34. [Der technische Sprachgebrauch, der namentlich in den Arvalacten vorliegt,
kennt piaculum als Opferthier nicht. Aeltestes Beispiel in der oben S. III, 1
a. ürk. von Spoletium Iove bovid piaclum daiod.)
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DER GOTTESDIENST DES N'UMA.
133
stens des besondern Acts, in welchem das Versehn vorgefallen war,
nothwendig zu machen: irgend ein Versehn oder eine Auslassung
beim Vortrage des Gebets, eine falsche Bewegung der Hand beim
Gufsopfer, eine plötzliche Stockung der Tanzbewegung oder der be-
gleitenden Flöte oder Procession, indem etwa eins der Pferde,
welche die Processionswagen der Götter zogen, scheu wurde oder
der Knabe, welcher den Wagen führte, die Zügel mit der linken
Hand ergriff oder fallen liefs. Es soll vorgekommen sein dafs um
solcher Versehen willen ein und dasselbe Opfer wohl dreifsig mal
wiederholt worden war. Ferner mag der hier in Rom und ganz
Italien zu allen Zeiten aufserordentlich zahlreichen Gelübde (vota)
erwähnt werden, eine Art von Religiosität die man in so häufiger
Anwendung auch nicht leicht in einer andern Religion des Alter-
thums wird nachweisen können. Gleich in den ältesten Zeiten der
Nation kündigt sich dieser Trieb in den häuGgen Gelübden des
heiligen Frühlings an (S. 118), und bis zu den letzten Zeiten der
Kaiser beurkundet er sich in zahllosen Dedicationstiteln und in den
häufigen Gelübden für das Wohl des Kaisers und des kaiserlichen,
Hauses, wie sie namentlich am dritten Januar, welcher Tag danach
der der Vota hiefs, von Staatswegen concipirt wurden. Zu Grunde
liegt, von dem Mifsbrauche abgesehen, gewifs auch hier ein tiefes
Gefühl der Verpflichtung für alles Gute und alles Heil, welches man
von den Göttern durch fromme Stiftungen zu erlangen hofft; die
häufige Uebung hatte frühzeitig die Form eines formlichen Con-
tractes angenommen, vermöge dessen der Gelobende für den ge-
setzten Fall einer Erhörung seines Gebetes reus wird d. h. verpflich-
tet zu der angelobten Gabe, Stiftung oder Heiligung seiner eignen
Person, wie er nach erfolgter Erhörung als damnatus, also als
gleichsam Verurtheilter sein Gelübde erfüllen mufs 1 ). Endlich die
vielen Ahndungen, Träume, omina, ostenta, portenta, lauter Andeu-
tungen, Prüfungen und Merkmale des göttlichen Willens, ein Auf-
merken auf jedes Zeichen der göttlichen Vorsehung, wo es sich ir-
gend zeigen mochte und konnte, am Himmel oder auf Erden, im u»
Bauche des Opferthiers oder durch allerlei Abnormitäten des natür-
lichen Verlaufs der Dinge : die merkwürdige Superstition des Lebens
l ) Macrob. S. III, 2, 6 Haec vox proprio, sacrorum est, ut reut vocetur
qui suscepto voto se numinibus obligat, damnatus autem qui promissa vota
iam solvit. In diesem Sinne konnte auch eine Vestalia rea heilsen, und ich
glaube dafs dieses der Grund der Benennung der Rea Silvia ist.
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134
ZWEITER ABSCHNITT.
und der Naturempfindung, welche die Römer den Griechen gegen-
über allerdings weit abergläubischer und schwerfalliger zu jeder
Wissenschaft erscheinen läfst, aber doch auch eins von den vielen
Merkmalen ihrer tiefinnerlichen Furcht der Götter ist.
Eine besondere Beachtung verdienen schliefslich die vielen
öffentlichen Gebete und Gebetsformeln (precationes, carmina), welche
für uns um so wichtiger sind, weil grade in dieser Hinsicht die
pontiiicale Gesetzgebung des Numa offenbar einen sehr bedeutenden
I nflufs auf das Göttersystem und den Götterglauben d. h. auf die
Namen und Anrufungen der Götter gehabt hat Namentlich sind
hier die Indigita menta wichtig, ein eigner Abschnitt der heiligen
Urkunden, welcher in seiner ersten Abfassung auch auf Numa zu-
rückgeführt wird, aber mit der Zeit gleichfalls erweitert und viel-
fach überarbeitet sein mag. Die Kirchenväter und andre Schrift-
steller, welche sie aber nur aus dem grofsen Werke Varros kannten,
pflegen sie wie ein Repertorium alter Götternamen zu benutzen
und besonders bei ihren Klagen über den ausgearteten Polytheismus
der Römer darauf zurückzugehn, obwohl Cicero seinerseits von einer
übergrofsen Menge der Götter in den pontificalen Urkunden nichts
wissen will 1 ). So hat man auch neuerdings in diesen Indigitamen-
ten meist Verzeichnisse, eine Art von officieller Protokolle der
ältesten Götternamen gesehen 1 ), ich glaube mit Unrecht, da man
sie vielmehr für eine Sammlung der alten Gebetsformeln des öffent-
lichen, von den Pontifices überwachten Gottesdienstes hätte hal-
ten sollen, in denen die Reihen und Namen der Götter nach eigen-
thümlichen liturgischen Principien zusammengestellt waren. Der
Titel indigita men tum wird wohl am besten als Frequentativ von
120 index zu verstehen sein 8 ); so dafs diese Bücher insofern allerdings
*) Arnob. II, 73 Non doctorum in litterü continetur, Jpoliinis nomen
Pompiiiana indigitamenta nescire? wo aber wohl nur der älteste Theil
der Sammlung zu verstehen ist, denn die Vestalinnen nannten in ihren Ge-
beten auch den Apoll. Serv. V. Ge. 1, 21 in indigiiamentis i. e. in libris pon-
tißcalibus, qui et nomina deorum et rationes ipsorum nominum continent. Auch
Cic. N. D. I, 30, 84 meinte gewifs diese Bücher: Deinde nominum non magnus
numerus, ne in pontificiis quidem nostris, deorum autem (d. h. der wirklich
oxistirenden und in aller Welt verehrten) innumevabilis.
*) J. A. Ambrosch über die Religionsbücher der Römer, Bonn 1843, 8.
[Vgl. auch oben S. 39.]
•) Wenn der Name nicht vielleicht gleichbedeutend mit axamenta ist,
s. weiter unten S. 141 [und Anm. 4 zu S. 92].
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DER GOTTESDIENST DES NUMA.
135
Verzeichnisse waren, aber nicht von blofsen Götternamen , sondern
von solchen Gebeten, in denen nach alterthümlicher Weise bei den
verschiedensten Veranlassungen des Lebens, Geburten, Hochzeiten,
Todesfallen, für die Aecker, für das Vieh u. s. w. zu den Göttern
gebetet wurde Daher das Wort indigitare auch in derselben Be-
deutung wie Beten und Anrufen gebraucht wird, namentlich von
dem priesterlichen, mit religiöser Weihe und bei einer feierlichen
Gelegenheit vorgetragenen Gebete der Pontifices, der Vestalischen
Jungfrauen und der Flamines 8 ); ja auch wohl, weil man dem
Gebete überhaupt und vollends dem Gebete der höchsen geistlichen
Würdenträger eine magische Kraft zuschrieb, in dem Sinne einer
magischen Beschwörung durch Gebet und Anrufung 8 ). Ja es ist
gelegentlich ausdrücklich von einer in den Händen der Pontifices
befindlichen Sammlung der öffentlichen Gebete des römischen
Staatscultus die Rede 4 ), so dafs man eben die Indigitamenta dafür
wird halten dürfen d. h. für einen authentischen Originalcodex
säramtlicher in der Praxis des römischen Staatsgottesdienstes bei
dieser oder jener Gelegenheit vorgetragenen Gebete, nach welchem
die Pontifices als Oberaufseher des öffentlichen Cultus auch diese
Praxis überwachten. Der Form nach wird man sich diese Gebete
nach Art der alten Liturgieen oder Hymnen zu denken haben, etwa
der Orphischen Hymnen und der ältesten Gesänge und Liturgien
der christlichen Kirche, wo auch häufig der Text nur aus einer
i
') Censorin d. d. n. 3, 4 alii sunt praeterea dei complures hominum
vitam pro sua quisque portione adminiculantes , quos volentem cognos-
cere Indigitamentorum libri satis edocebunt.
•) Varro b. Noo. Marc. p. 352 Numeriae, quam deam solent indigitare
etiam pontifices. Serv. V. A. VIII, 330 Tiberinut — a pontißcibus indigitari
solet. Macrob. I, 12, 21 von der Main : Auetor est Cornelius Labeo, — hanc
eandam Bonam Faunamque et Opern et Fatuatn pontificum Ubris indigitari.
Ib. 17, 5 firgines Vestales ita indigitant: Apollo Medice, Apollo Paean.
Daher Serv. V. A. XII, 794 indigeto durch precor et invoco erklärt. Vgl.
Paul. p. 114 indigitanto imprecanto. Gloss. Labb. Indigitamenta
teottTtxd.
8 ) Paul. p. 114 Indigitamenta incantamenta vel indicicu Tertull. de
leiunio 1(5 Cum stupet caelum et aret annus, nudipedalia denuntiantur, ma-
gistratus purpuras ponunt, fasces retro avertunt, preces indigitant, kostiam
instaurant
4 ) Gell. IS. A. XI», 23 (22), 1 Comprecationes deutn immortaUum, quae
riiu Romano fiunt, expositae sunt in Ubris sacerdotum populi Romani.
Darunter sind die Pontifices zu verstehen. [Vgl. Jordan Top. 2, 272 f.]
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136
ZWEITER ABSCHNITT.
Zusammenstellung vieler einzelnen Namen und Beinamen besteht
Ohne Zweifel waren auch diese Texte, noch viel mehr als die
Fasten und der Kalender, ursprunglich geheim d. h. nur für die
geweihten Kreise der Priester bestimmt und der Oeffentlichkeit
sorgfTdtig entzogen; bis später bei der allgemeinen Verweltlichung
des Priesterthums und der priesterlichen Bildung auch sie zugäng-
lich und ein Gegenstand der gelehrten Forschung wurden, in wel-
chem Sinne z. B. ein gewisser Granius Flaccus ein eignes Buch de
Indigitaraentis an den Cäsar gerichtet hatte, wahrscheinlich als dieser
Pontifex Maximus geworden war, s. Censoriu d. d. n. 3'). Vorzüglich
aber war Varro auch in diesen wichtigen Urkunden sehr zu Hause ;
namentlich scheint er sie in dem Abschnitte seines Werkes de düs
certis (S. 71) durchgängig excerpirt und auf eigenthümliche Weise
überarbeitet zu haben, aus welcher Quelle dann wieder die späteren
Schriftsteller schöpften. Auf die in mehr als einer Hinsicht
höchst interessanten Götternamen der Indigitamenta , so weit wir
deren Reihen aus diesen späteren Schriftstellern wiederherstellen
können, werde ich in dem zehnten Abschnitt zurückkommen. Hier
sei nur soviel bemerkt, dafs ich die grofse Mehrzahl dieser Götter
keineswegs für Cultusgötter im eigentlichen Sinne des Worts
halten kann, wie sie denn auch Varro nicht als solche behandelt
hatte. Vielmehr können sie neben den wenigen Cultusgöttern,
welche schon zur Zeit Numas galten (S. 63), nur für numina und
eine eigenthümliche Art von männlichen und weiblichen Genien
gelten, welche ich zum Unterschiede von den Orts- und Personal-
genien (S. 68) Gelegenheitsgenien nennen möchte, d. h. für geistige
Kräfte und Wirkungen der allwaltenden Gottheit, welche nach
Art des ältesten Göttercultus eben nur fürs Gebet und durchs Ge-
bet um Schutz und Hülfe nach Mafsgabe der einzelnen Gelegen-
heiten, für welche man sie anrief, personificirt wurden. Auch wer-
den diese Götter bei den Kirchenvätern sowohl von den mytholo-
gischen als von den Cultusgöttern ausdrücklich unterschieden 8 ) und
*) Lobeck Aglaoph. p. 400 sq.
a ) [Ueber die jetzt ziemlich allgemein aufgegebene Anaahme dafs Granius
Flaccus und Granius Licinianus identisch seien (s. die Bonner Ausgabe des
letztern S. XIX ff.) vgl. die Litteratur bei Teuffei L. G. § 355, 5.]
8 ) Tertull. ad Nat. II, 11 Nec contenti eos deos asseverare, qui visi retro,
auditi contrectatique sunt, quorum efßgies descriptae, negotia digesta, me-
moria propagata, umbras nescio quas incorporales inanimales et
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DER GOTTESDIENST DES NUMA.
137
von Tertuilian gelegentlich sogar recht passend mit den bibli-
schen Engeln verglichen *), obwohl sie sich an andern Stellen wieder in
geflissentlich über diesen unberufenen und ganz überflüssigen Götter-
pöbel, wie sie sich ausdrücken, argern und lustig machen 8 ); wozu ein
gegründeter Anlafs zu ihrer Zeit um so weniger vorhanden war,
da die grofse Mehrzahl dieser Namen schon zur Zeit Varros so gut
wie verschollen war. Hatten sie ja hin und wieder einen eignen
Cultus im Volke gehabt und einzeln sich sogar auf die Dauer in
demselben behauptet, so darf man daraus keineswegs auf den ein-
fachen und bilderlosen Gottesdienst des Numa zurückschliefsen.
Es liegt in der Natur solcher Personificationen von geistigen Kräf-
ten, auch die der Tugenden bei Griechen und Römern können als
Beispiel dienen, dafs sie mit der Zeit an Consistenz gewinnen und
darüber selbst zuletzt zu Cultusgöttern werden, vollends wenn der
Trieb nach Bildern und andrer sinnlicher Vergegenwärtigung ein-
mal erwacht ist.
Wie viel in Rom gebetet wurde und wie ängstlich und ge-
wissenhaft man auch in dieser Hinsicht war, erfährt man aus einer
wichtigen Stelle bei Plinius H. N. XXVIII, 10, wo er über die
magische Wirkung von Gebets- und Beschwörungsformeln spricht
und bei dieser Gelegenheit verschiedener noch zu seiner Zeit ge-
brauchter Formeln der Art gedenkt. Der Glaube an die Kraft des
Gebets sei so allgemein, dafs kein Blut eines Opferthiers, keine
Beobachtung des göttlichen Willens ohne Gebet für wirksam gelte.
Gewisse Formeln werden gesprochen wenn man göttliche Zeichen
zu haben wünscht, andre wenn ein Uebel abgewendet werden soll,
wieder andre wenn den Göttern ein Wunsch vorgetragen wird.
Auch sind die Götter von den höchsten Magistratspersonen immer
mit bestimmten herkömmlichen Worten beschworen worden, und
damit ja kein Wort des Textes ausgelassen oder nicht in der rech-
nomina de rebus efflagitant deosque saneiunt. Augustin C. D. IV, 8
Quando autetn postint uno loco libri huius commemorari omnia nomina deo-
rum. aut dearum, qttae ilti grandibus voluminibus vix comprehendere potue-
runt, singulis rebus proprio dispertientes officia numinumt Vgl.
IV, 24 und Serv. Georg. I, 21 Nam, ut supra dücimus, nomina numinibus ex
officiis constat imposita.
l ) De anima 37 nos officia divina angelis credimus.
«) Augustin C. D. IV, 9 turba minutorum deorum. IV, 11 turba quasi ple-
beiorum deorum. Vgl. oben S. 59 und VII, 4, wo er diese Götter tanquam
minuscularios vectigalium conductores nennt.
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138
ZWEITER ARSCHMTT.
ten Folge gesprochen werde, liest eine dazu angestellte Person die
Formel nach dem geschriehenen Texte vor, während eine andre zur
Controle dabei steht, eine dritte vor beiden steht um jedes störende
Wort zu verbieten und endlich der Flötenbläser dazu bläst, damit
ja nichts Störendes gehört werde: da berühmte Beispiele vorliegen
dai's entweder ein Fluch geschadet hat oder das Gebet durch eine
falsche Wendung seines Ziels verfehlte, in welchen Fällen z. B. die
Merkmale der Eingeweide oder das Herz des dastehenden Opfer-
m thieres entweder ganz verschwinden oder sich verdoppeln. Noch ist
die alte Formel vorhanden, fahrt er fort, mit welcher sich die bei-
den Decier, Vater und Sohn, devovirt haben, auch die Reinigungs-
formel der Vestalin Tuccia, als sie der Unkeuschheit angeklagt
das Wasser im Siebe trug. Noch in unsrer Zeit hat man gesehen,
wie auf dem Forum Boarium ein Grieche und eine Griechin oder ein
Paar aus einer andern Nation, mit welcher wir eben zu thun hatten,
lebendig begraben wurde , wozu von dem Vorsteher des Collegiums
der Fünfzehn eine Formel gesprochen wird, so grausig und mächtig,
dafs man schon beim blofsen Lesen ihre Gewalt zu empfinden
glaubt : lauter Thatsachen welche die Erfahrung von 830 Jahren
für sich haben. Ja wir glauben noch heute dafs unsre Vestalischen
Jungfrauen flüchtige Sklaven, wenn sie die Stadt noch nicht ver-
lassen haben, durch ihr Gebet festzuhalten vermögen, da man ohne-
hin, wenn einmal im Princip zugegeben wird dafs die Götter das
Gebet erhören und durch Worte bestimmt werden , diesen ganzen
Glauben auch zugeben mufs. Unsre Altvordern wenigstens haben
immer daran geglaubt, selbst an das Seltsamste, dafs Blitze durch
Worte vom Himmel herunter beschworen werden können. Ja man
hielt, setzen wir hinzu, eine Beschwörung bei dem Namen der Göt-
ter unter allen Umständen für so unwiderstehlich, dafs Verbrecher,
sobald sie in öffentlicher Volksversammlung eine solche Beschwörung
ausgesprochen hatten, dielbe feierlich zurücknehmen (resecrare)
mufsten , s. Paul. p. 280 *). Von einzelnen herkömmlichen Fällen
aber, in denen sonst von derartigen Gebets- und Beschwörungs-
formeln ein öffentlicher Gebrauch gemacht wurde, setzen wir noch
folgende hinzu; die meisten sind solche, wo die Pontifices überhaupt,
namentlich der Pontifex Maximus als Priester oder als Oberauf-
seher des Gottesdienstes die Formel vorsprach. Zunächst viele
») [Vgl. E. Lübbcrt Coramcntatiooes pontificales B. 1859 p. 139 f.]
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DER GOTTESDIENST DES NUMA. 139
feierliche Opferhandlungen, welche im Namen des römischen Volkes
vollzogen wurden und zwar so dafs sehr oft auch die Pontifioes
dabei als Priester fungirten l ). Ferner die feierlichen Beschwö-
rungen der Götter (obsecrationes) in besondern Unglück verheifsen-
den Fällen, wo entweder die Sibyllinischen Funfzehner oder der
Pontifex Maximus die Formel vorsprach, verba praeibat'), vgl. Sue-
ton Claud. 22; desgleichen die vielen Einweihungen (consecrationes),
wo der Pontifex in derselben Weise thätig war 8 ). Derselbe mufste m
ferner bei den vielen im Namen des Staates ausgesprochenen Ge-
lübden den Behörden die Formel vorsagen 4 ), auch bei den in älte-
rer Zeit nicht seltenen Devotionen, vollends wo ein höherer Magi-
strat oder gar der Feldherr seine Seele für das Wohl des ganzen
Volks den Unterirdischen verschwor, z. B. nach der Niederlage an
der Allia, wo die in den Würden der letzten Generationen er-
grauten Senatoren sich für das Vaterland und ihre Mitbürger als
Sühnopler dargeboten haben sollen, und bei den bekannten Devo-
tionen derDecier s ). Ferner waren sie in gleicherweise thätig bei
den Evocationen der Götter einer belagerten Stadt (Plin. II. N. XXVIII,
14), auch bei dem Sühnopfer der Argeer, wo die Pontifices und die
Vestalischen Jungfrauen wie in andern Fällen zusammenwirkten
(Dionys. I, 38, Varro 1. 1. VII, 44), endlich bei den Opfern und
Gebeten des sogenannten Amburbium d. h. eines sühnenden Um-
zugs um die Grenzen des Stadtgebiets (Strabo V p. 230), vermuth-
lich auch bei den ehelichen Trauungen nach dem alten Ritus der
Confarreatio, wo der Pontifex Maximus und der Flamen Dialis zu-
gegen waren und nicht Mos symbolische Gebräuche verrichtet, son-
dern auch bestimmte Formeln gesprochen wurden 6 ). Ja es wurde
') S. die Nachweisuogen b. Marquardt Haodb. IV, 197 ff. [Staatsverw.
3, 239 ff.)
*) [S. Marquardt Staatsverw. 3, 172.]
3 ) Liv. IX, 46, Pliu. H. N. XI, 174. Immer wurde bei solchen Gelegen-
heiten die einzuweihende Stätte zuerst von den Augurn von dem profanen
Gebrauche losgesprochen und darauf von einem weltlichen Magistrate unter
dem Beistande der Pontifices die Consecration vorgenommen. Und zwar wurden
mit dem Tempel auch alle darin befindlichen oder zu ihm gehörigen Geräthe,
der Opfertisch, der Altar u. s. w. geweiht [d. h. die supellex sacra, s. Jordan
Top. 2, 276 f.], s. Serv. V. A. I, 446; VIII, 279. Mehr bei Marquardt Handb. IV
S. 223 ff. [Staatsverw. 3, 259 IT.]
*) Liv. IV, 27; XXXVI, 2 u. a.
») Liv. V,41; VIII, 9; X, 28.
•) Serv. V. Ge. I, 31 Xuptim ßebant — farre, ti per Pontificem max.
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selbst vor den öffentlichen Verhandlungen und Reden auf dem
Markte in älterer Zeit, sogar bis zu der des Cato und der Gracchen
ein religiöser Act vorgenommen, namentlich ein feierliches Gebet zu
den alten Göttern des Staats gesprochen, bei welchem vermuthlich
wieder der Pontifex Maxiinus die dirigirende Person war d. h. dem
Consul oder der sonst prasidirenden Magistratsperson das sollemne
126 carmen precationis vorsagte l ). Nur in den einzelnen Gottesdiensten
z. B. der Vesta, des Jupiter, der Ackergöttinen Tellus und Ceres
und in ähnlichen Fällen sprachen die Priester und Priesterinnen
dieser Götter selbst das Gebet 8 ), auch dann natürlich in der her-
gebrachten und consecrirten Formel, welche wie vorhin bemerkt
wurde ohne Zweifel gleichfalls in den Urkunden der Pontifices,
vermuthlich den Indigitamenten verzeichnet war.
So hatten auch die Augurn bei ihren Beobachtungen, ihren
Umzögen und Weihungen ihre bestimmten Formeln der Anrufung
und des Gebets, von denen leider nur wenige Bruchstücke erhalten
sind 3 ), endlich die verschiedenen Brüderschaften und Sodalitäten
et Diätem flaminem per Jruges et molam salsam coniungebantur , unde con-
farreatio appellabatur. Vgl. die Inschrift b. Or. n. 264S, Plutarch Qu. Ro.
50 und Gai. I, 112, nach welchem die Handlung vorgenommen wurde ctmi
eertis et sollemnibus verbis, praesentibus decem iestibus. [Das Opfer wurde
nach der durch Studemund berichtigten Lesart bei Gajus Iovi farreo darge-
bracht: vgl. Marquardt Staatsverw. 3, 292 Privatalt. I 1 , 46.]
») Gellius N. A. XIII, 23 (22), vgl. V, 12, wo zu schreiben ist in antiquis
precationibus [statt des überlieferten speclationibus]. Von den Exordien der
alten Redner Serv. V. A. XI, 301 nam maiores nuUam orationern nisi in-
vocatis numinibus inchoabant, sicut sunt omnes orationes Catonis et Gracchi,
vgl. Syminach. Ep. III, 44 Iovem deosque ceteros Catonis lege pracfabinutr [und
mehr bei Jordan Catonis q. ext., Proleg. p. XCV1 f.]. Dafs bei feierlichen Ge-
legenheiten der Pontifex die solennen Worte des Gebetes vorsprach, darf man
nach Liv. XXXIX, 15 voraussetzen: contione advocata cum sollemne carmen
precationis, quod praefari priusquam poptdum adloquantur magistratus
solent, peregisset consul, ita coepü. Gleich der Eingang seiner Rede beweist
dafs es eine Aufzählung und Anrufung der Götter gewesen, quos colere, vene-
rari precarique maiores instüuerunt.
a ) Serv. V. Ge. I, 21, Macrob. S. I, 17, 15.
') Cic. N. D. III, 20, 52 in Augurum precatione Tiberinum, Spinonem,
Almonem, Nodinum, elia propinquorum fluminum nomina videmus, vgl. Serv.
V. A. VIII, 95. Fest. p. 351 Berne sponsis beneque volueris in precatione augu-
rali. Serv. V. A. XII, 176 per speciem augurii, quae precatio maxima
appellatur, — cum plures deos quam in ceteris partibus auguriorum precatur
Ib. VI, 167 proprie effata sunt Augurum preces. [Das einzige gröfsere
Stück aus den Auguralbüchern hat Varro 1. 1. VII, 8, vgl. S. 42, 3.]
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DER GOTTESDIENST DES NUMA
141
gleichfalls ihre alten Gesänge und Formeln, welche in alten Urkun-
den bei ihnen bewahrt und nach diesen eingeübt wurden l ). Und
zwar waren alle diese Formeln und Gesänge consecrirt, so dafs
nichts daran verändert werden durfte 8 ), und wenn sie vorgetragen
wurden, so wurden sie de scripto vorgetragen, wie wir dieses aus
den Urkunden der Arvalen sehen, welche uns ein altes Lied dieser
Brüderschaft erhalten haben und zugleich über die Art des Vor-
trags belehren. Die berühmtesten unter diesen Liedern waren be-
kanntlich die der Saher, welche axamenta genannt wurden und
als eine Reihe von Versen beschrieben werden, von denen jeder
einzelne einem bestimmten Gotte galt, daher sie nach ihnen Ianui,
Iovii, Iunonii, Minervii u. s. f. genannt wurden 3 ). Der Name axa- ue
menta ist entweder ab axibus abzuleiten, weil die älteste Urkunde
auf ähnlichen Holzpyramiden wie die Solonischen Gesetze geschrie-
ben waren, oder von axare, einem alten Frequentativ von agere in
dem Sinne von opfern, weil sie zu den Opfern der Salier vorge-
tragen wurden 4 ). Der Ursprung des Concepts wurde bei diesen
Liedern ausdrücklich auf Numa zurückgeführt, daher sie allgemein
für das älteste Denkmal der römischen Poesie und der römischen
*) lul. Capitolin M. Antonio. Philos. 4, dieser Kaiser sei io der Sodalität
der Salier sowohl praesul als vaies und maxister gewesen, et multos inau-
guravit atque exauguravü nemine praeeunte, quod ipse carmina cuncta
didicisset.
a ) Qaintil. I, 6,40 saliorum carmina vix sacerdotibus suis satis intel-
lecta: sed illa tnutari vetat religio et consecratis utendum est.
8 ) Paul. p. 3 A xamenta dicebantur carmina saliaria, quae a saliis sacer-
dotibus canebantur in vniversos daemonas composita. Nam in deos singulos
versus facti a nominibus eorum appetlabantur, ut Ianui, Iovii, Iunonii, Minervii.
Für daemonas giebt der gewöhnliche Text komines, wofür Müller deos
wollte, Härtung Rel. d. St. 1, 42 Semones. [Ueberliefert ist angeblich com-
ponebantur in universos homines composita: canebantur, cantabantur wird
vermuthet. Ist etwa in universos homines composita Glosse, deren Verf. die
in dem liederlichen Excerpt ausgelassene, in der ursprünglichen Glosse wahr-
scheinlich ausführlicher lautende Bezeichnung des Gegenstandes der Gesänge auf
gut Glück ergänzte?] Für Ianui, Iovii giebt derselbe Text Ianuli. [Vgl.
Preller Ausgewählte Aufsätze S. 282 f., wo er lanii, Iovii liest.]
«) Vgl. Scaliger zu Paul. p. 301 ed. Lindem. , Marini Atti p. 595 und
Corssen Orig. Po. Ro. p. 45 sq. vgl. Paul p. 8 axare nominare, Gloss. Labb.
anaxant ovofiaCovaiv, axamenta Oxlxoilnl &vo*i(5v 'Hqaxltovc (eine Ver-
wechslung mit Mars). [Vielmehr von agere, sagen, wovon ad-ag-ium, nego,
indigito, nach Corssen de Volscorum lingua p. 17.]
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ZWEITER ABSCHNITT.
Sprache galten, s. Varro 1. 1. VII, 3, Cic. de Orat. III, 51, Horat. Ep.
I, 2, 85.
Also überall eine Neigung zum opus operatuin und zum Formel-
wesen und Buchstabendienste, welche in der That sehr an Mosais-
tun > und Pharisäismus erinnert. Es ist nicht zu verkennen, dafs
ein solches Wesen, von den ältesten Zeiten her in den Schulen
der Priester und in den einzelnen Collegien überliefert, dem römi-
schen Rechte und dem strengen Formelwesen der Römer mit ihrem
starren Festhalten am Herkömmlichen sehr zum Frommen gereichen
mochte. Aber eben so einleuchtend ist es, dafs eine freiere Auf-
fassung der Reügion und des göttlichen Wesens dabei nicht auf-
kommen konnte, am wenigsten eine Mythologie und ein Cultus wie
der griechische. Um so merkwürdiger ist die Revolution, welche
von den hellenisch gebildeten Tarquiniern und dem zu ihnen ge-
hörigen Servius Tullius wie überhaupt in der Geschichte des rö-
mischen Staats und der römischen Sitte, so ganz vorzüglich auf
diesem Gebiete herbeigeführt wurde.
3. Die Neuerungen der Tarquinier und ihre Folgen.
Mögen diese Tarquinier nun wirklich von dem Griechen Dema-
ratos, jenem Auswanderer aus Korinth, abgestammt haben oder ein
127 eingebornes etruskisches Geschlecht gewesen sein 5 ), gewifs ist dafs
die Bildung der Etrusker damals schon mit hellenischen und andern
ausländischen Civilisationselementen ganz durchdrungen war und
dafs durch sie der Strom dieser neuen Bildung zuerst in das bis-
her im ältern latinischen und sabinischen Herkommen noch gleich-
sam embryonisch verschlossene Rom geführt wurde : eine Thatsache
welche um so merkwürdiger ist, weil das Zeitalter der Tarquinier
der Zeit nach mit dem der griechischen Tyrannen vom ältern Da-
tum , zu denen auch sie gewissem» afsen gezählt werden können,
zusammenfallt. Wie diese im Kampfe mit der Aristokratie begriffenen
Tyrannen überall zugleich die untern Stände gehoben und. eine
glänzende Architectur, einen glänzenden Gottesdienst gefordert haben,
*) [Seitdem ist ein etruskisches Familiengrab der Tarchna» in Caere ge-
funden worden. Corssen Sprache der Etr. 1, 238. 415: über den angeblich
mit einem der Tarquinier identischen Tarchunies auf dem vnlcentischen Ge-
mälde vgl. dens. 331. 416. 1005 o. Jordan Top. 1, 1, 295.]
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DIE NEUERUNGEN DER TARQUIMER.
143
so geschah es auch in Rom; ja es ist geschichtlich überliefert
dafs der letzte Tarquinier in persönlicher Verbindung nicht allein
mit den gleichartigen Dynasten in Latium, sondern auch mit dem
Tyrannen Aristodemos von Cumä stand. Die durch die Tarquinier
herbeigeführten Neuerungen mufsten aber in Rom schon deshalb
weit folgenreicher sein als bei den Griechen, weil diese auf den
Polytheismus der Kunst durch ihre Mythologie und den Eiuflufs
des Orients lange vorbereitet waren; dahingegen in Rom, wie ich
mir durch die Entwickelung des von Numa eingerichteten Gottes-
dienstes deutlich nachgewiesen zu haben schmeichle, die alte Zeit
mit der nun eindringenden neuen im entschiedensten Widerspruche
gestanden haben muls
Vermuthlich dachte Varro, wenn er den bilderlosen Cultus der
Vorzeit auf 170 Jahre berechnete, an das alte Schnitzbild der Diana
auf dem Aventin, welches nach der herkömmlichen Chronologie der
Stadt zwischen dem J. 176 und 219 d. St. von dem Könige Servius
Tullius dedicirt und dem Vorbilde des Cultus der Artemis zu Massa-
lia, mittelbar zu Ephesus entlehnt sein soll 2 ). Indessen genau ge-
l ) [Die Geschichte des jedenfalls in weit auseinander liegenden Absätzen
und von verschiedenen Seiten her erfolgten Einflusses der griechischeu Kulte
bedarf erneuerter Untersuchung. Soviel darf auch jetzt schon angenommen
werden, dafs die Kulte des Apollo, Herakles und Asklepios den mittelitalischeu
Völkern sehr früh bekannt waren (vgl. zu den betr. Abschnitten), wie schon
die italischen Formen sowohl dieser Namen (vgl. im Allgemeinen Jordan
Krit. Beitrage S. 78 f.), als auch einiger mit dem Kult zusammenhängender
Appellativ a beweisen (so pompa, triumpus, caduceus, viell. auch Ihensa, thus,
s. ders. Top. 1, 1, 275 u. Hermes 15, 541 (f.). Dafs man auch in dem Auftreten
und der Ausstattung der ältesten Priester, wie in dem Oelzweig auf dem Hut
des Flamen dialis, Spuren entlehnter griechischer Sitte zu sehen habe (so Hehn
Kulturpflanzen 8 99), ist einstweilen eine mit unsrer sonstigen Kenntnifs dieser
Dinge anvereinbare Hypothese. Denn wohl zu beachten ist, dafs wie auf dem
Gebiet des römischen Staatswesens, so auf dem des römischen und italischen
Rejigiouswesens der Kreis der alten griechischen Lehnwörter ein äufserst
kleiner ist. Ebenso beachtenswerth ist, dafs die aus Etrurien eingewanderten
Tarquinier wohl griechische Lehnwörter, aber keine etruskischen mitgebracht
haben, vielleicht mit Ausnahme des mit dem Bauwesea zusammenhängenden
favita (Jordan Top. a. 0.). Schon die Alten liefsen sich täuschen und hielten
für nationales Eigenthum der Etrusker, was diese den Italikern entlehnt
hatten, wie z. B. idtu, was so gut lateinisch ist wie kalendae, die Neueren
noch mehr.]
») Strabo IV p. 180, vgl. Mommsen Rom. Gesch. 2te Ausg. 1,220. [Doch s.
oben zu S. 105].
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144
ZWEITER ABSCHNITT.
nommen nicht dieser Cultus, sondern der von dem ersten Tarqui-
nier begründete, von dem letzten vollständig ausgestattete der Ca-
pitolinischen Trias der erste in seiner neuen und bildlichen Art;
jedenfalls war er es, durch welchen zugleich ein neuer Geist aus-
gesprochen und das Vorbild eines neuen Gottesdienstes aufgestellt
wurde, welches für den gesammten römischen Staatscultus außer-
ordentlich folgenreich werden sollte. Diese Götter treten zuerst
mit einem Anspruch auf weltliche Macht und Herrlichkeit auf, wie
128er gleichzeitig von ihren Schützlingen, den Königen, später von
den Prätoren, Consuln und Dictatoren im Namen des römischen
Volkes erhoben wurde. Ihnen zuerst wurde von etruskischen Bau-
meistern der prächtige Tempel auf dem Gapitol erbaut, welcher
immer eine der schönsten Zierden der Stadt geblieben ist, ihnen
zuerst von etruskischen Künstlern jene Bilder in ganz ausgeführter
menschlicher Gestalt errichtet, welchen ganz im Stile des etruski-
schen und hellenischen Götzendienstes der Zeit von vielen dienenden
Personen aufgewartet wurde 1 ). Dazu kam die Einführung der
ludi Romani, der ersten Spiele in dem speciflsch rumischen Sinne,
wie sie sich bald in den verschiedensten Kreisen des Götterdienstes
geltend machten und zuletzt für das Volk und die vornehme Welt
bei weitem zur Hauptsache des Gottesdienstes überhaupt wurden.
Zwar sollen auch Kumulus und Numa einzelne Spiele gefeiert und
gestiftet haben, doch können dieses nur elementare Anfange ge-
wesen sein, da jene von den Tarquiniern nach etruskischen Mustern
gesiftete, für welche Tarquinius Priscus den grofsen Gircus zwi-
schen dem Palatin und Aventin einrichtete, von allen Kundigigen
*) Seneca b. Augustin C. D. VI, 10 Alius numina deo subiicü, alius horas
Jovi nuntiat, alius lictor [lüor Linker J est, alius unctor, qui vano motu
bracchiorum imitatur ungeniem. Sunt quae Iunoni ac Minervae capillos dis-
ponant; longo a templo, non tantutn a simulacro stantes digilos movent
ornaniium modo. Sunt quae speculum teneant, sunt quae ad vadimonia sua
deos advocent, sunt qui UbeUos offerant et illos causam suam doceant. Doetus
archimimus, senex iam decrepitus, cotidie in Capitolio mimum agebat, quasi
dii Ubenter spectarent quem homines desierant: — Sedent quaedam in Ca-
pitolio quae se a Iove amari putant etc. Offenbar ist hier manches Spätere
auszuscheiden, doch gehören die Wurzeln dieses Aberglaubens der Idololatrie
der älteren Zeit an, vgl. die Toilette und Garderobe der griechischen Tempel-
bilder bei Müller Handb. d. Archäol. § 69. Neuerdings erzählt Granius Liri-
nianus Annal. fragm. p. 32 ed. K. A. F. Pertz [p. 21 Bonn.] von einer matrona,
quae quasi mente commota sedü in consilio Iovis, worauf das Capitolium
lustrirt wird.
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NEUERUNGEN DER TARQUINIER.
145
für die ersten in ihrer Art gehalten werden und mit dem ganzen
Character des neuen Gapitulinischen Gottesdienstes genau zusammen-
hängen. Zerlegen wir sie in ihre einzelnen Bestandteile, so wird
das Aufserordentliche auch dieser Neuerung noch einleuchtender
werden. Da gab es zuerst reichliche Opfer und einen feierlichen
Opferschmaus, das epulum Iovis, wie solche Opferschmäuse fortan
gleichfalls wesentlich zu den heiligen gehörten l ) und namentlich
bei den Spieleu Jupiters immer den alten Mittelpunkt der Feier
bildeten. Ja diese Opfer und Opferschmäuse wurden mit der Zeit 129
so zahlreich, dafs die Stiftung einer eignen priesterlichen Behörde
für diesen Theil des Cultus nöthig wurde. Bald nach dem zweiten
punischen Kriege, im J. 196 v. Chr., wurde nehmlich ein eignes
Collegium anfangs triumviri, später septemviri epulones zu diesem
Behufe eingesetzt, zunächst zur Erleichterung der Oberaufsicht der
Pontifices, da sie propter sacrilicorum multitudinem d. h. bei der
von Jahr zu Jahr zunehmenden Menge von Opfern und Opfer-
schmäusen so vielen Pflichten nicht mehr genügen konnten *).
Ein zweiter Act war die feierliche Procession, pompa, welche die
Attribute der Capitolinischen Götter auf sogenannten Tensen d. h.
den Processions wagen vom Gapitole herab zum Circus geleitete,
damit sie bei den dort zu ihrer Ehre gefeierten Spielen sinnbildlich
gegenwärtig wären, ein buntes Gewimmel von Wagen und Reitern,
von Tänzern und Spielern, welche im etruskischen Geschmack
costümirt waren, von Göttern und Heiligthümern , welches gleich-
falls zuerst bei den Römischen Spielen aufkam und immer vorzugs-
weise bei ihnen beibehalten wurde. Endlich und drittens folgten
dann die Circensischen Spiele selbst, für welche schon Tarquinius
Priscus den Circus Maximus angelegt hatte, auch diese ein neuer
Cultusact der Capitolinischen Götter, daher die Quadriga ein wesent-
liches Attribut des Capitolinischen Jupiter und der Capitolinische
Tempel selbst so gerichtet wurde, dafs die Götter auf den Circus
>) Dio Cass. LI, 1 ayuva — Uqov, ovtio y«p rovs rtjv oftrjfftv fyovrat
6vof*d£ovoi t xarida&v.
*) Liv. XXX11I, 42, Cic. de Or. III, 19, 73, Marquardt Handb. IV, 291 ff.
[Staatsverw 3, 333 ff. Vgl. nuten S. 195]. Wenn nach Cicero die Pontifices
illud ludorum epulare sacrificiorum schon nach der Stiftuug IN'unias besorgten,
so ist das nur eine von seinen vielen Ungenauigkeiten. Nach Paul p. 79
hiefsen die Epulones in älterer Sprache Epoloni. Er setzt hinxu: Datum
est autem hü nomen, quod epulas indicendi Ioii ceterisque diis potestatem
habent.
Preller, Rom. Mythol. I. S. Ao8. 10
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«
L46 ZWEITER ABSCHNITT.
Maximus, den Schauplatz ihrer heiligen Spiele, hinabblickten. Auch
dabei lagen aber etruskische Vorbilder zu Grunde 1 ), ja man fin-
det die lebendigen Bilder zu jenen Processionen , jenen Spielen in
Rom in den Wandgemälden der alten Graber der etruskischen
Stadt Tarquinü. Wurden doch selbst die ersten scenischen Spiele,
wie sie in Rom zuerst im J. 390 d. St., 364 v. Chr. beliebt worden
waren, nach etruskischen Mustern und durch etruskische Künstler
besorgt, bis spater die griechische Bildung auch hier die etruski-
sche verdrängt hat, s. Liv. VII, 2. Ja damit der Capitolinische
Göttercultus in jeder Hinsicht seinen umbildenden, die alte Sitte
130 und den alten Cultus ganz erschütternden Einflufs bewähre, wurde
damals auf Veranlassung des neuen Tempelbaus auch die etruski-
sche Haruspicin zuerst in Rom geübt und somit auch eine neue
Art von Divination gestiftet, welche sich neben der älteren und ein-
heimischen Technik der Augurn zwar niemals völlig einbürgern
konnte^, aber doch seitdem gleichfalls sowohl für den römischen
Staat als für das Familienleben unentbehrlich geblieben ist.
Die Tarquinier haben aber nicht allein den etruskischen Gottes-
dienst nach Rom verpflanzt, welcher die herben Eigentümlichkeiten
seiner Heimath in späteren Generationen wieder abgestreift hat.
Sie haben durch die Einführung der Sibyllinischen Sprüche aus
dem griechischen Cumä auch ein fruchtbares Reis der griechischen
Bildung und des griechischen Gottesdienstes in den römischen
Boden eingesenkt, welches mit der Zeit einen Sprofs nach dem
andern getrieben, ja auf die Dauer ganz vornehmlich zur Hellenisi-
rung des gesammten römischen Gottesdienstes beigetragen hat 2 ).
Tarquinius Superbus war es, der diese Sprüche erwarb, in dem
neu erbauten Tempel des Capitolinischen Jupiter niederlegte und
für den Staatsgebrauch heiligte. Der Gebrauch, den der Staat von
diesen Sprüchen machte, bestand darin, dafs man bei aufserordent-
lichen Calamitäten und Prodigicn Sühnmittel in ihnen suchte,
welche gewöhnlich in der Stiftung von neuen Gülten und Cultus-
handlungen bestanden. Ihr umbildender Einflufs beruhte wesentlich
darauf, dafs sie griechischen Ursprungs waren und speciell zum
Kreise der Apollinischen Religion gehörten, also auch im Sinne
*) Liv. I, 35, 9 Ludicrum fuit equi pug ilesque ex Etruria maxime
acciti. Sollt- in nes deinde anmii mausere ludi, Romani Magnüjue varie
appellati.
J ) Marquardt a. a. 0. S. 294 ff. [336 ff.].
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EINFLUSS DER APOLLINISCHEN RELIGION.
147
dieser Religion d. h. zur Verbreitung Apollinischer und verwandter
griechischer Sacra in Rom wirkten.
Die Apollin ische Religion hatte sich mit den griechischen
Colonieen nach Italien verbreitet und auch hier, wie überall, ihren
seelenvollen und bildenden Character in den hervorragendsten
Städten von Grofsgriechenland bewiesen, vorzüglich dadurch dafs
sie mit den Künsten der griechischen Musik, Mantik und Kalhartik
überall Hand in Hand ging und in dieser Hinsicht für die Pflege
des Geistes sowohl als des Körpers wie kein andrer Gottesdienst
sorgte. Von dem Apoll von Cumä, der nächsten Nachbarin der
Latiner (S. 17), dürfen wir schon wegen der Sibyllinischen Weis-
sagung annehmen, dafs er vorzugsweise als Päan d. h. als Heiler
und Sühner bei leiblichen und geistigen Schäden angesehen wurde.
So erscheint Apollo aber auch in Metapont und Kroton, wo die m
Pythagoreische Schule sich vornehmlich an diesen Dienst anlehnte
und wo die Münzen eine sehr enge Verbindung mit Delphi nach-
weisen, auch in Kaulonia, dessen alterthümliche Münzen das Bild
des sühnenden Apollo mit seinem Lorbeerzweige zeigen, auch in
Rhegium," wo die Sage von der Zuflucht des Orestes zu Hause war.
So endlich auch in Rom, wo wir alle diese Institute der Sühnung,
der Weissagung, der Musik, wie sie organisch zusammengehören,
nach und neben einander auftreten sehen werden. Dafs aber der
Apollinische Cultus und seine Priesterin und Prophetin, die Cuma-
nische Sibylle, schon so früh in Rom Anklang fand, dieses beweist
wohl nicht so sehr ein vorherrschendes Vertrauen zu solcher Pro-
phetie, denn an wahrsagenden Nymphen und andern dämonischen
Wahrsagern , die sich der griechischen Sibylle wohl vergleichen
mochten, fehlte es weder in Latium noch in Etrurien. Wohl aber
beweist gleich die Aufnahme jener Sprüche eine sehr bestimmte
Hinneigung zum Apollinischen Cultus, welcher sich von Cumä und
den südlichen Griechen frühzeitig unter den Campanern und Sam-
nitern verbreitet hatte (S. 67) und in der benachbarten Etrusker-
stadt Caere eine feste Verbindung mit Delphi unterhielt. Ja es
wird überliefert dafs Rom selbst kurz vor dem Ausgang der Königs-
herrschaft und später bei der Belagerung von Veji seine Theoren
nach Delphi so gut wie eine griechische Stadt sendete. Dennoch
bleibt es eine aufserordentlich wichtige, für Rom und das ganze
Gebiet der romanischen Bildung äufserst folgenreiche Thatsache,
dafs die in der griechischen Welt allgemein verbreitete Religion
10*
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148
ZWEITER ABSCHNITT.
nun auch in der für die Zukunft der Welt bestimmten Stadt einen
neuen und fruchtbaren Boden gewann. Kein Gott ist nächst den
alten latinischen und sabinischen, dem Janus, dem Jupiter, dem
Mars so populär geworden als der griechische Apollo, ja dieser aus-
ländische Gott hatte die Kraft sich in einer Zeit, da jene alten
Culte schon im Absterben begriffen waren, unter Augustus, noch
einmal zu verjüngen und neben dem Capitolinischen Jupiter als der
mächtigste und am meisten angebetete Gott bis zum Ausgange des
Heidenlhums zu behaupten.
Die nächste Folge jener Aufnahme der Sibyllinischen Bücher
war die Gründung einer eignen priesterlichen Behörde für die
Beaufsichtigung und Anwendung derselben, einer bald durch ihren
Einllufs auf Religion und Politik so wichtigen, dafs- sie mit den
älteru Collegien der Pontifices und Augurn an Rang und Würde
is2 wetteiferte und die Plebejer einen ihrer frühsten Triumphe dadurch
erlangten, dafs sie den Zutritt zu diesem Collegiuin gewannen.
Wie sehr dasselbe auf griechischen Gottesdienst und auf griechische
Bildung angewiesen war, sieht man daraus dafs ihm zum richtigen
Verständnifs der Sprüche von Staatswegen zwei geborne Griechen
als Dollmetscher beigegeben wurden und dafs sie bei bestimmten
gollesdienstlichen Veranlassungen opfernd auftraten, dieses immer
graeco ritu thaten, also mit solchen fiigenthümlichkeilen des reli-
giösen Herkommens, welche dem griechischen Gottesdienste un-
mittelbar entlehnt waren. Uebrigens waren ihrer anfangs nur zwei
Patricier, welche duumviri sacris faciundis genannt wurden d. h.
eingesetzt zur Begehung solcher, meist griechischer Sacra, wie
sie von den Sibyllinischen Sprüchen befohlen wurden. Seit dem
J. 387 d. St., 367 v. Chr., wo Patricier und Plebejer in gleicher
Anzahl zugelassen wurden, bestand das Collegium aus zehn Männern,
endlich seit Sulla aus fünfzehn, daher sie seitdem X viri und XV
viri sacris faciundis genannt werden. Die speeifische Beziehung
zum Dienste des Apollo tritt bei verschiedenen Gelegenheiten her-
vor, ja Livius nennt sie gradezu Priester des Apollinischen Gottes-
dienstes 1 ). Sie wurden dieses vollends seitdem August die Sibylli-
nischen Sprüche vom Capitol in das von ihm neu gestiftete Heilig-
*) Liv. X, 8 decemviros sacris faciundis , carnunum Sibyüae ac fatorum
populi kuius interpretes , antistites eosdem Apollinaris sacri ceritnoniarumque
aliarum. Vgl. Jul. Obseq. 47 (107) apud aedern Apoll in is decemviris immu-
lantibus.
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GRIECHISCHE GOTTESDIENSTE.
149
thum des Palatinischen Apollo verlegte, so dafs sie nun auch ört-
lich und amtlich immer mit diesem Dienste zu thun hatten.
Eine weitere Folge derselben Stiftung war die Einführung einer
ganzen Reihe von griechischen Gottesdiensten, welche unter solcher
Autorität sehr bald in Rom feste Wurzeln schlugen, ja dem
römischen Volke, namentlich allen Bestandtheilen desselben welche
nicht zum Patriciate und zur alten Ordnung der Dinge gehörten,
ganz vorzugsweise gefallen zu haben scheinen. Abgesehen von
dem nächst verwandten Apollodienste sind folgende Religionen und
Religionsgebräuche auf solche Weise nach Rom gekommen: 1) Im
J. 258 d. St., 496 v. Chr. der Dienst der Ceres, des Liber und
der Libera d. h. der griechischen Götter Demeter, Dionysos und
Persephone, welchen bald darauf in der Nähe des Circus Maximus
der Tempel erbaut wurde, welcher immer der Mittelpunkt dieses
Cultus geblieben ist Eine um so wichtigere Stiftung, da bei dieser im
Gelegenheit zuerst griechische Künstler in Rom thätig waren ; denn
vor diesem Tempelbau war, wie Varro berichtet hatte, alle Einrich-
tung der Tempel von den Etruskern besorgt worden 1 ). 2) Zuerst
im J. 355 d. St., 399 v. Chr., dann später oft wird durch die Si-
byllinischen Bücher ein sogenanntes Lectisternium veranlafst, eine
eigenthümliche Art von religiöser Feier, welche mit der Zeit im-
mer allgemeiner in Aufnahme kam. Die Feierlichkeit bestand da-
rin, dafs man den Göttern wie zu einem heiligen Mahle Pfühle
(pulvinaria, lectos) bereitete, auf diese ihre Attribute oder ein Ge-
flecht von Zweigen oder auch ihre Büsten (capita deorum), wahr-
scheinlich als drapirte Wachsmasken legte und darauf ihnen Speise
vom Opfer oder von den Mahlzeiten mittheilte, welche gleichzeitig
durch die ganze Stadt begangen wurden. Gewöhnlich sind damit all-
gemeine Supplicationen verbunden, bei welchen durch die ganze Stadt
von allem Volke bei denselben Pulvinarien gebetet und dazu mit
Wein und Weihrauch geopfert wurde. Ich möchte beide Gebräuche
keineswegs für ausschliefslich griechischen Ursprungs halten, da die
elementaren Bestand theile derselben, das Iure et vino supplicare,
*) Plin. H. N. XXXV, 154 Plastae laudatissimi fuere Damophüus (ver-
muthlich aas Himera in Sicilieo gebürtig, s. Bröcker Unters. S. 35 [vgl. Bronn
Künstler 1, 530 f.]) et Gorgasus, iidem pictores, qui Cereris aedem Romae ad
Circum Maximum tdroque genere artis sitae exeoluerant , versibus inseriptis
graeee, qiabus signißcarent ab dextra Damophili esse, ab laeva Gorgasi. Mute
haue aedem Tuscanica omnia in aedibus fuisse auetor est Varro.
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150
ZWEITER ABSCHNITT
die Vergegenwärti^i in- der Götter durch pulvinaria mit ihren Attri-
buten und selbst die Sitte die Götter zu speisen sicher altitalisch
waren 1 ). Indessen leidet es keinen Zweifel dafs bei den durch die
Siiiyllinischen Bücher veranlagten Leclislernien der griechische, spe-
ciell der Apollinische Gottesdienst mit im Spiele ist; erscheinen
doch gleich bei der ersten Feierlichkeit Apollo mit seiner Mutter
und Schwester, die gewöhnliche Apollinische Trias, neben andern
184 griechischen Göttern als die wichtigsten, s. Liv. Y, 13, Dionys XII, 9.
Auch kennen wir unter den Apollinischen Cultusacten ein Fest,
welches wohl als Vorbild dienen konnte, ich meine die Theoxenien,
wie sie namentlich zu Delphi als eine Art von Erndle- und Freuden-
fest im Sommer mit einer allgemeinen Speisung der Götter ge-
feiert wurden, zumal da die grofsen Lectisternien gewöhnlich durch
ganz Rom mit Mahlzeiten und mit grofser Festlichkeit und Geist-
lichkeit begangen wurden. So erinnern auch die allgemeinen Suppli-
cationen sehr an den Päan, dieses acht griechische und Apolli-
nische Bilt- und Freudenfest, auch dadurch dafs sie in den meisten
Fällen zur Sühne von Prodigien und andern Calamitäten, ferner
bei schweren Seuchen mit dem Gebet um Heilung, auch bei krie-
gerischen Unternehmungen um Segen für dieselben zu erflehn, end-
lich als Dank- und Freudenfest nach gewonnenen Siegen befohlen
wurden. Auch wurden sie gewöhnlich, zumal wenn es Prodigien
uud böse Seuchen zu beschwören galt, von den Decemvirn der Si-
byllinischen Bücher dirigirt, bei feierlichen Gelegenheiten so, dafs
das ganze Volk, Männer, Frauen uud Kinder, Städter und Land-
leute, durch die Stadt wogte um in allen Tempeln bei den Pulvi-
narien anzubeten, während von Staatswegen gleichzeitig grofse Opfer
dargebracht wurden. Ja es ist hin und wieder auch der Apollini-
') Ich stimme also Dicht mit Marquardt Handb. IV, 52 ff. [vgl. Staats-
verw 3, 45 ff.] überein, der diese Gebrauche für griechische hält, doch bedarf
es einer ausführlicheren Nachweisung. Hier nur einige Stellen zum Beweise,
dafs die lecti und pulvinaria deorum, auch das Speisen der Götter und das
supplicare etwas Altes und Volkstümliches war: Plin. H. N. XXXII, 20 in
eiuer Verordnung des Numa: ut convivia publica et privala cenaeque ad
pulvinaria faciliw compararentur. SerV. V. A. X, 76 f arro Päumnum et
Picumnum infanlium deos ait eisque pro puerpera lectum in atrio sterni,
dum exploretur an Vitalis sii qui natus est. VfL die Sitte der Juno bei Ge-
burten eiuen Tisch zu bereiten b. Tertull. de An. 39, Serv. V. Ecl. IV, 62.
Im Liede der Salier: divum deo supplicante, Varro 1. 1. VII, 27. Suppli-
care ist eigentlich kniefällig beten.
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GRIECHISCHE GOTTESDIENSTE.
151
sehe Lorbeer mil im Spiele, das Laub der Sühne, des Heiles und
des Glücks, welches sich in dieser symbolischen Bedeutung in Rom
ohnehin eine allgemeine Anerkennung erworben hatte 1 ). 3) Im
J. 463 d. St., 291 v. Chr. wird in Folge einer heftigen Pest auf
Belehl der Sibyllinischen Bücher die Schlange des Aesculap von
Epidauros geholt, das erstemal dafs Rom von dem griechischen Ita-
lien nach Griechenland selbst hinübergreift, übrigens auch nur eine
weitere Folge des schon bestehenden Apollodienstes, da Aesculap
ganz wesentlich zum Kreise des Heilgottes Apollo gehörte, 4) Im
J, 514 d. St., 240 v. Chr. die Stiftung der Floralien auf Veran-
lassung eines Miswachses. Obgleich Flora sonst wie Venus eine
italische Göttin ist, so lag doch bei so ausgelassenen Gebräuchen,
wie sie bei diesen Floralien zur Regel gehörten, höchst wahrschein-
lich ein Fest der griechischen Aphrodite der Gärten zu Grunde.
5) Im J. 518 d. St., 236 v. Chr. die erste Feier von Secularspielen
(nach der späteren Zählung die dritte), ein Fest welches ursprüng-
lich nur die Götter der Unterwelt anging und erst später durch isö
August mit einer Feier des Apollo und der himmlischen Götter
verbunden wurde, damals aber von den Decemvirn höchst wahr-
scheinlich nach dem Muster des chthonischen Gölterdiensles der
Griechen begangen wurde, s. Liv. XXXVH, 3, Iul. Obseq. 1 (55).
6) Im J. 537 d. St., 217 v. Chr., nach der Schlacht am Trasime-
nischen See wird auf Veranlassung der Decemvirn u. a. der Tempel
der Erycinischen Venus gelobt , einer schon ganz orientalischen
Gottheit, deren Cult zugleich wesentlich beigetragen hat die Aeneas-
sage in Rom zu befestigen. 7) Im J. 549 d. St., 205 v. Chr. die
Einholung der Grofsen Idäischen Mutter aus Pessinus, auf welche
nach einigen Jahren die Stiftung der Megalesien folgte, ein gleich-
falls wesentlich asiatischer Cultus, welcher trotz aller Beschrän-
kungen, die er sich anfangs gefallen lassen mufste, zur Verbreitung
des Fanatismus und der geistlosen Superstition in Rom sehr viel
beigetragen hat. — Also eine ganze Reihe von griechischen Gottes-
diensten, denn die beiden zuletzt genannten waren, obgleich un-
griechischen Ursprungs, doch in der Form lange hellenisirt, und
ein Einflufs welcher je länger desto mehr an Kräften gewinnen
mufste, da ohne Zweifel alle diese Elemente der griechischen Bil-
*) Liv. XL, 37 Maiores duodeeim annis omnes coronati et lauream in
manu tenentes supplieaverunt. Vgl. XXVII, 11. 37; XXXIV, 55; XXXVI, 37.
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152
ZWEITER ARSCHMTT.
dung gemeinschaftliche Sache und gegen die alte italische und rö-
mische Weise Partei machten. Kein Wunder wenn nun bald die
Römer sich selbst griechischen Ursprungs zu sein schienen und die
Griechen in Rom, die ihnen dieses vordemonstrirten und ihre Stadt-
geschichte danach zurechtmachten, gläubig anhörten.
Auch die Ausstattung der Tempel und Bilder blieb nicht zu-
rück; hatten darin ehemals die Etrusker geherrscht, so wurde nun
auch hier Alles griechisch. Und zwar findet man in Rom wie in
Griechenland selbst zugleich den Geschmack an alten Holz- und
Cultusbildern und an der ästhetisch vollendeten Bildung der Götter
und Verzierung der Tempel. Eins der ältesten Holzbilder griechi-
schen Ursprungs in Rom war jedenfalls jenes angeblich von Servius
Tullius im Tempel der Diana auf dem Aventin aufgestellte, von
welchem die Rede gewesen. Ferner galt für sehr alt das troische
Palladion im Tempel der Vesta, welches vermutlich von den
Griechen im südlichen Italien herstammte und jedenfalls vor dem
ersten punischen Kriege schon vorhanden war. So werden auch
die Heiligthümer der Penaten von Lavinium, von denen Timaeos zu
136 erzählen wufste 1 ), in der ältesten Zeit des griechischen Einflusses
dahingekommen sein. Aufserdem wird ein altes Bild des Vejovis
von Cypressenholz erwähnt 2 ), endlich zwei Bilder von demselben
Holze, welche der Juno Regina auf dem Aventin, im J. 547 d. St.,
207 v. Chr., von einer Procession unter Anführung der Sibyllini-
schen Decemvirn ganz nach griechischer Weise überbracht wurden»
Dazu hatte der Grieche Livius Andronicus in lateinischer Sprache
einen Hymnus gedichtet, der nach griechischer Weise von einem
Mädchenchore aufgeführt wurde, wieder etwas ganz Neues und eine
für die Poesie in Rom sehr folgenreiche Anregung, da solch ein
Hymnus nach griechischer Art und die alten Gesänge der Salier,
der An alen u. s. w. (S. 140 f.) etwas wesentlich Verschiedenes waren.
Beide Feierlichkeiten, die Procession mit den Bildern und Opfern
und der Chorgesang des Hymnus, wurden nach römischer Weise
mehrfach wiederholt. Der Dichter Livius Andronicus aber erlangte
') Bei Dionys H. 1, 67 xrjovxuc OtdriQa xal x a ^*<* xal xiqapor Tqqhxov
tlyat rä iv xorp aivroig xoif Iv siaovtvttp xttmva Und.
«) Plio. H. N. XVI, 216 Nonne simulacrum Veiovis in arce e cupresso
dural a condiia urbe DCLXI anno dicatum? Leider ist die Zahl verdorbeo.
[Wahrscheinlich ist DLXI zu lesen: vgl. Jordan in Comment. in honorem
Momnseni S. 361 und oben S. 105 A. 1].
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ITALISCHE GOTTESDIENSTE.
153
durch sein Lied, so kümmerlich es übrigens ausgefallen sein mochte,
sogar die Ehre und Goncession eine Art von Schule und Zunft
der wenigen Litteralen und Schauspieler jener Zeit im Tempel
der Minerva auf dem Aventin zu stiften: eine Einrichtung deren
stillen Einflufs wir in jenen Zeiten immerhin recht hoch anschlagen
dürfen.
Man würde aber irren, wenn man sich den alten römischen
Cultus so bald von der griechischen Weise überflügelt denken wollte.
Noch immer waren die Pontifices und die Augurn mit ihren alten
Gebrauchen und Satzungen die angesehensten Pries terthümer; immer
von neuem erinnerten die Umzüge der Salier im März, die naiven
Gebräuche der Luperci im Februar an die ältesten italischen Zeiten
und Gewohnheiten. Immer blieben Janus und Vesta der Anfang
und das Ende jeder öffentlichen Gultushandlung und in der langen
Reihe der Götternamen, welche sich im öffentlichen Gebete zwischen
diesen beiden einschoben, war Iupiter Optimus Maximus ein für
allemal der alte römische Gott über alle Götter, römische und fremde,
auch der Gott, welcher im Cultus bei weitem am meisten hervor-
trat, denn die Römischen Spiele, die Plebejischen Spiele, die oft
wiederholten Grofsen Spiele dienten alle zu seiner als des höchsten
Staatsoberhauptes Verherrlichung. Auch ist nicht zu verkennen dafs
in der älteren Zeit, da Roms Eroberungen und Erweiterungen sich ist
noch auf Italien beschränkten, aus den verschiedenen Gegenden
desselben viele andre italische Culte und Götter nach Rom versetzt
wurden, die nolhwendig zur Verstärkung des nationalen Elementes
der Religion dienen mufsten. Rald geschah es durch Einbürgerung
und Einwanderung einzelner Personen und Geschlechter, oder in
älteren Zeiten auch wohl ganzer Gemeinden; in welchen Fällen die
Anzügler gewöhnlich ihre heimathlichen Götter mitbrachten, welche
dann wohl als dii adventicii von den diis publicis d. h. den Göttern
des römischen Staatscultus unterschieden J ), mit der Zeit doch aber
») Tertalliau ad Nat. II, 9. Aufser den von Varro unterschiedenen diis
certis, iueertis und selectis sei noch zu unterscheiden zwischen den diis
publicis und adventieiis. Hoc enitn arae docent adventiciorum ad fanwn
Carnae, publicorum in Pa(latio). Das Heiligthum der Carna lag auf dem
Caelius. wo allerdings besonders viele Metökengötter zu finden gewesen sein
mögen. Vgl. übrigens Fest. p. 157 Municipalia sacra vocantur quae ab
initio habuerunt ante civitatem Romanam aeeeptant, quae observare eos volue-
runt pontifices et eo more facere quo adsuessent antiquitus, was auch für die
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154
ZWEITER ABSCHNITT.
auch sehr oft unter diese aufgenommen wurden. Auf solche Weise
mag namentlich auch die grofsenlheils aus übersiedelten latinischen
Gemeinden entstandene Plebs ihre Götter anfangs für sich verehrt
haben, bis dieselben zuletzt unter dieselben aufgenommen wurden,
worauf u. a. die grofse Zahl der s. g. Hammes minores deutet
(S. 122). In andern Fällen waren solche Erweiterungen die Folge
der Verbündung, namentlich des vieljährigen und sehr engen Bundes
mit den Lalinern, welchem Rom verschiedene wichtige Gottesdienste
verdankt, zuerst die Diana auf dem Aventin und den Jupiter Latiaris,
der auch in Rom verehrt wurde, später die Juno Sospila von La-
nuvium, welche seit dem J. 416 d. St., 338 v. Chr. zu den an-
gesehensten Gülten in Rom gehörte '). Dazu kommen ferner die in
älterer Zeit gleichfalls nicht seltenen evocationes der Götter bei
Belagerungen und Eroberungen feindlicher Städte, deren Schulz-
götter dann feierlich zur Uebersiedelung nach Rom eingeladen
werden und dort einen neuen Cultus erhalten, z. B. die Juno Regina
von Veji. Dafs die Zahl solcher Götter in Rom ziemlich grofs war,
beweisen die oft auf diesen Gebrauch zurückweisenden Erklärungen
der Alterthumsforscher 2 ). Endlich die vielen neuen Stiftungen von
188 Tempeln, Bildern und Spielen ex voto, ein ganz besonders oft er-
wähnter Anlafs zur Gründung neuer Gottesdienste, nachdem ent-
weder der Senat durch die Consuln oder der Feldherr in heifser
Schlacht diesem oder jenem Gotte einen Tempel in Rom gelobt
hatte 3 ), worauf diesem Gelübde später durch Erbauung des Tempels,
seine Einweihung und Einrichtung des Cultus von Staalswegen
Folge gegeben wird. Die letzte Entscheidung hatte sich in allen
nach Horn eingewanderten Bürger aus solchen Städten galt, s. Marquardt
llandb. IV, 37 If. [Staatsvtrw. 3, 35 ff.J
>) Liv. \ 111, 14. Vgl. Ambrosch Studien S. 183 if.
*) Cincius erklarte den Namen der Novensides durch diese Sitte, s.
oben S. 1 Ol A. 2. Vgl. S. 139 und Fest p. 237 Peregrina sacra appeltantur
quae aut evocalis dis in oppugnandis urbibus Romam sunt coacta [conata die
Hs.] aut quae ob quasdam reli&iones per pacem sunt petita, ut ex Pkrygia
Matris Magnae, ex Graecia Cereris, Epidauro Aesculapii: quae coluntur
eorum more, a quibus sunt aeeepta. Die dii evocati waren natürlich
meist italischen, die auf Veranlassung der Sibyllinischen Bücher geholten
Götter ausländischen Ursprungs.
s ) Liv. X, 12 in ipso discritnine, quo templa diis immortalibus voveri mos
erat. Beispiele von ludis votivis giebt Friedländer bei Marquardt IV, 474
[Staatsverw. 3, 476].
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1>EDICATI0>EN
155
diesen Fällen, wo es auf die Anerkennung und Stiftung eines neuen
Gottesdienstes iu Rom ankam, der Senat vorbehalten, ulme welchen
also kein Gott zu der £hre gelangen konnte, vom römischen Staate
anerkannt zu werden Im Uebrigen hatten die Pontitices die
Einrichtung des neuen Cultus und die Dedication und Consecration
des Tempels zu überwachen, vor welcher der ganze Gottesdienst,
wie er in dem neuen Tempel gehalten werden sollte, und die Rechte
desselben durch eine eigne lex consecrationis aufs genaueste for-
mulirt wurde a ). Der Tag der Einweihung wurde immer zugleich
der jährliche Fest- und Kalendertag des Gottes, sein Geburtstag,
natalis, wie er in den späteren Kalendern genannt zu werden
pflegte 3 ). Die Dedication selbst wurde nach alter Sitte durch einen
Consul oder Imperator, wo möglich den welcher den Tempel gelobt
hatte, später oft durch dazu ernannte Duumvirn vollzogen, immer isa
unter dem Beistande des Collegiums der Pontifices, namentlich des
die Dedicationsformel vorsprechenden Pontifex Maximus (S. 138 f.).
Immer war diese Handlung eine der feierlichsten und die Ehre der
Dedication sehr begehrt, da der Name des Dedicirenden durch die
Inschrift des Tempels zugleich aufs höchste geehrt und auf die
Nachwelt gebracht wurde. Mithin fehlte es weder an einer stren-
l ) Liv. IX, 46 ne quis templum aramve iniussu senatus dedicaret. Tertull.
Apolog. 5 vetus erat decretum ne qui deus ab imperatore consecraretur nisi a
senatu prubatus. Seit M. Aemilius de deo suo Alburno. Ad Nat. I, 10 ne qui
itnperator f'anum, quod in beüo vovisset, prius dedicasset quam senatus pro-
basset, ut contigit M. Aemilio, qui voverat Alburno Deo — , ut deus non sit
nisi cui esse permiserit senatus etc. Die Quelle ist auch iu diesen Stellen
Varro. Die Geschichte des Gottes Alburnus scheint in ihrer Art berühmt
gewesen zu sein. [Vgl. Mominsen Staatsr. 2*, 602].
a ) Merkwürdige Beispiele solcher leges consecrationis sind die des t.
Jovis Liberi zu Furfo im Lande der Vestiner b. Or. n. 2488, Mommsen I. N.
n. 2488 [C. 1. L. 1, 603], und die des t. Marlis liltoris bei Dio LV, 10.
[Dazu Bestimmung über das Asylrerht aus der lex aedis divi lulii, Dio XLVII,
19 vgl. Jordan Hermes 9, 348; die leges der ara Augusti zu INarbo, welche
sich auf die der ara Dianae in Aventino beruft, Or. 2489 u. Wilin. Ex. 104»
der des Juppiter von Salonae v. J. 137, C. I. L. 3, 1933, vgl. Jordan Kritische
Beitrage 251 ff., Marquardt Staatsverw. 3, 201].
") Virg. Aen. VIII, 600 SÜvano fama est veteres sacrasse Pelasgos, Ar-
vorum pecorumque deo lucumque diemque, wozu Servius: Hoc a Romanis
traxtt, apud quos nihil fuü tarn sollemne quam dies consecrationis. Vgl.
die Nachweisuugen bei Marquardt a. O. [Es ist die Frage ob der natalis der
Tag der Dedication des fertigen Baus oder der oft lange voraus liegende der
JJestiramnng der Regionen des Tempels ist: Jordan Eph. epigr. 1, 233 ff ]
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156 ZWEITER ABSCHNITT.
gen und erfahrnen Aufsicht noch an Gelegenheit für die natürliche
Eifersucht des Priesterthums, sich geltend zu machen. So lange
diese Behörden ihre Schuldigkeit thaten, konnte ein anderer Verfall
als derjenige, welchen die innere Seelengeschicbte des römischen
Staates und seiner Bürger von selbst mit sich brachte, nicht wohl
eintreten.
Anhang. Der Kalender 1 ).
Auch der römische Kalender trägt ganz das Gepräge der römi-
schen Staatsreligion, wie sie sich im Laufe der Jahre aus einfachen
Anfangen zu einem immer künstlicheren Systeme entwickelt hatte.
Man erkennt wohl die alte Grundlage der Naturreligion, aber die
praktischen und zufalligen Beziehungen des bürgerlichen und häus-
lichen Lebens haben sich doch weit mehr geltend gemacht, und
der nüchterne Sinn der Römer, weicher die Töchter des Hauses
nicht benannte, sondern numerirte, zeigt sich auch in der Benen-
nung der meisten Monate, welche bis auf die ersten und letzten
einfach gezählt wurden.
Innerhalb der einzelnen Monate sind Jupiter und Juno als
herrschende Mächte des lichten Himmels die bestimmenden Gott-
heiten. Dem Jupiter waren alle Idus heilig d. h. die Tage des
Vollmonds, welche immer in die Mitte des Monats fielen, also den-
selben theilten, und zwar deshalb weil dann der Gott des Lichtes
und der Helle, Iupiter Lucetius und Diespiter, sich den Tag und
die Nacht hindurch in einer beständigen Folge lichter Klarheit offen-
barte, daher diese Tage für ein Unterpfand seiner Weltregierung
140 galten und sehr heilig gehalten wurden 3 ), der Juno Lucina alle
*) [Die Arbeiten von Mommsen, Die römische Chronologie bis auf Cäsar
2 A. 1859 und besonders seine Commcutarii diurni im C. I. L. 1, und von
Huschke, Das alte römische Jahr Breslau 1869, haben der Forschung neue
Wege eröffnet. Vgl. anch Marquardt Staatsverw. 3, 270 ff. Eine Berichtigung
des Texts war hier am Wenigsten thunlich.]
*) Macrob. S. I, 15, 14 Iduum porro nomen a Tuscis, apud quos is dies
Iiis vocatur, sumpttim est Item autem Uli interpretantur Iovis fiduciam.
Nam cum Jovem aeeipiamus lucis auetorem, unde et Lutetium Salii in ear-
minibus canunt et Cretenses dta r^v riftigav vocant, ipsi quoque Romani
Diespürem appeüant ut diei patrem, iure hic dies Joris fiducia vocatur,
cuius lux non finitur cum solis occasu, sed splendorem diei et noctem continuat
illustrante luna: quod Semper in plenüunio i. e. medio mense ßerisolet. Iovis
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DER KALENDER.
157
Kaienden, d. h. alle Tage an denen nach der Verborgenheit des
Neumonds die Mondessichel zuerst wieder am Himmel erschien 1 ).
Einer der Subalternen des Collegiums der Pontifices hatte die Ob-
liegenheit diese Erscheinung zu beobachten und, sobald er sie wahr-
genommen, nachdem der Rex und die Regina Sacrorum zuvor der
Juno geopfert hatteu, das Volk auf das Capitolium zu berufen (ca-
lare) und ihm anzuzeigen, wie viel Tage es von den Kaienden bis
zu den Nonen zu zählen habe, ob fünf oder sieben: daher der
Name Kalendae. An den Nonen versammelte sich das Volk von
neuem auf der Burg, um von dem Opferkönige zu erfahren, welche
Feste in jedem Monate zu feiern und welche Geschäfte in demselben
vorzunehmen seien. Auch an den Nonen und an den Idus wurden
regelmässige Opfer dargebracht, an den Idus immer dem Jupiter.
Man erkennt aus dieser ganzen Ordnung sehr deutlich sowohl das
alte Mondjahr als die religiöse Begründung derselben in dem Culte
der Lichtgötter. Erst seit dem J. 450 d. St., 302 v. Chr., in wel-
chem Cn. Flavius die Fasti bekannt machte, mögen jene alten Ge-
bräuche eine wesentliche Aenderung erlitten haben.
Aufser jenen beiden Göttern, dem Jupiter und der Juno, ist
der Dienst des Mars und des Janus für den römischen Kalender
von besondrer Bedeutung. Mars ist der alte Nationalgott der
schadenden Naturkrafl, auch des Frühlings: daher der Monat dieses
Gottes, der mensis Martius, bei den Römern und den verwandten
Völkern den natürlichen Jahresanfang bildete und namentlich am
ersten Tage dieses Monats zugleich die Juno als Göttin aller Kaienden
und der wiederkehrende Gott Mars mit unverkennbarer Beziehung
fiducia ist die Bürgschaft, das Unterpfand, s. Cic. de Off. III, 17, pr. Caecina
3, pr. Flacco 21 u. a. Doch ist, wie ich unten zeigen werde, so wenig diese
Idee blos etruskisch als das Wort idus, welches vielmehr Theihing bedeutet
und der griechischen cfi/o/o jvia entspricht, s. Macrob. I. c. 16 Idus — dies
qui dividit ntensem. Iduare enim Etrusca Unqua dividere est, und« vidua [so
auch Huschkc Jahr S. 29]. \arro 1. 1. VI, 28 Idus ab eo quod Ttisci llus, vel
potius quod Sabini Idus dicunt. Das Wort ist allgemein italisch und Itus
nur die etruskische Form von Idus. [Vgl. Fabretti glossarium italicnm p. 342.
0. Keller Jahrb. für Philologie 87, 767 stellt es zu fidof, also die
Hauptmonderscheinong, der Vollmond, gewiss irrig; Fick Wörterb. 2 *,
32, vielleicht richtig zu W. i&, entzünden, erhellen, vgl. t&ccQog.] Ueber den
Kalender der Etrusker s. 0. Müller Etr. 2, 323 ff. [Seitdem sind sieben an-
geblich etr. Monatsnamen aus Glossaren hervorgezogen, aber nicht sicher ge-
deutet: Mommsen Chron. 219 f., Corssen Spr. d. Etr. 1, 849].
*) Macrob. S. I, 15, 18, Ovid Fast. I, 55.
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158 ZWEITER ABSCHNITT.
zur Natur gefeiert wurden. Neben diesem natürlichen und die
längste Zeit der Republik hindurch beibehaltenen Anfange des alten
Mondjahres aber giebt es noch einen zweiten Anfang, den des Janus
141 und des ihm geheiligten Monats Januar, wobei ohne Zweifel andre
und jüngere Principien der Jahresordnung zu Grunde liegen, ohne
dafs wir leider etw T as Bestimmteres zu sagen wissen, als dafs die
Einführung des Januscultus und der Monate Januar und Februar
dem Numa zugeschrieben wurde. Höchst wahrscheinlich aber war
Janus ursprünglich ein Sonnengott, der als solcher zum Gott des
Anfangs schlechthin geworden ist, weil man den Sonnengott auch
kosmogonisch für den Gott des Ursprungs der Dinge, für den Er-
öflner aller Natur und aller Geschichte hielt. Heiligte man diesem
Gotte grade den Monat, in welchem nach dem kürzesten Tage die
Sonne und das Licht wieder zunimmt, also nach dem gewöhnlichen
Begriffe das Jahr beginnt 1 ), so darf auch darin eine Beziehung auf
den Sonnencultus erkannt werden; nur ist es seltsam dafs der alte
Jahresanfang mit dem März dennoch beibehalten und nur die An-
fange aller Monate, also die Kaienden, von nun an nicht blos der
Juno, sondern auch dem Janus geheiligt wurden. So entstand die
eigenthümliche Ordnung des römischen Kalenders, dafs die Monate
nach wie vor von dem März an gezählt wurden, also auf den April
und Mai zunächst der Quintiiis folgte, dann der Sextiiis u. s. w. bis
zum December. Darauf folgte nach dem kürzesten Tage der Januar
als Monat des Janus, der erst in späterer Zeit und sehr allmäiig
auch als Gott des Jahresanfangs sich geltend machen konnte, und
der Februarius als der allgemeine Reinigungs-, Sühnungs- und Aller-
seelenmonat, in dem gewissermafsen alle Ansprüche und alle Be-
fleckung des alten Jahres, des Winters, des Todes beseitigt wurden,
damit im März das neue Jahr in aller Reinheit und Freudigkeit
begangen werden könne. Weil auf diese Weise nur bis zum zehnten
Monate, dem December, gezählt wurde und die beiden letzten Monate,
der Januar und Februar, wie spätre Anhängsel erschienen, ist bei
den Alten oft behauptet worden, dafs das römische Jahr ursprüng-
lich nur zehn Monate und 304 Tage gehabt und erst durch Numas
Zusatz jener beiden Monate zwölf Monate und 355 Tage bekommen
l ) Varro 1. 1. VI, 28 nt novus annus h'alendae Ianuariae ab novo sole
appellalae. Ovid Fast. I, 163 ßruma novi prima est ceterisque novissima
solis, Principium eapiunl Phoebus et annus idem. Vgl. Plutarch
Qu. Ro. 19.
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DER KALENDER. 159
habe: eine Ordnung welche, wenn sie überhaupt jemals bestanden
hat, unmöglich jemals eine praktische Bedeutung für das Leben ge-
habt haben kann 1 ).
Eine weitere Beziehung des Cultus zu dem natürlichen Ver- ua
laufe des Jahres und seinen wichtigsten Abschnitten hat gewifs
vielfach stattgefunden, doch tritt sie bei weitem nicht so klar und
entschieden als in den Kalendern und Monatsnamen der Griechen
hervor. Aufser dem Martius ist auch der gleichfalls allgemein la-
tinische und oskische Maius nach einer Gottheit benannt, der alten
Frühlingsgöttin Maia; ob auch bei dem Aprilis eine ähnliche Be-
ziehung anzunehmen, mufs bei der Unklarheit des Namens dahin-
gestellt bleiben 2 ). Auch der Junius wurde häufig auf die Juno
bezogen, obgleich hier wie bei den andern Monatsnamen schon von
den römischen Gelehrten die verschiedensten Erklärungen versucht
wurden. Gewifs ist dafs die schaffenden, empfangenden und be-
geisternden Gottheiten Faunus, Mars, Pales, Venus, Bona Dea vor-
zugsweise in den drei Frühlingsmonaten d. h. vom Februar bis zum
Mai gefeiert wurden, Vulcan als heifser Gott des Feuers recht in
der Mitte des heifsen Sommers, Jupiter vorzüglich in den Herbst-
monaten vom September bis November, wo die Witterung in Italien
am beständigsten und der Himmel meist heiter und freundlich ist,
endlich die Götter der Erde und der Unterwelt, Consus, Saturnus,
Ops u. s. w. in den Wintermonaten, namentlich im December, wo
die Felder wieder bestellt sind und die Hoffnung des Säemanns im
verborgenen Schoofse der Erde ruht. — Sehr auffallend ist es aber,
dafs nicht etwa blos die verschiedenen Völker und Staaten in Ita-
lien verschiedene Kalender hatten , sondern selbst unter den Lati-
nern die einzelnen Städte, z. B. Tusculum, Aricia, Präneste, Tibur,
daher auch die Bedeutung der Monatsnamen und die Festordnung
in diesen Kalendern eine verschiedene war. So war z. B. der
Martius, welcher gewifs in keinem italischen Kalender fehlte, in
l ) [Vgl. über das zehnmonatliche Jahr Mommsen Chronologie S. 47 ff.]
*) Der Maius und die Maia werden allgemein latinisch genannt bei Fest,
p. 134. Bei den Oskern hiels er Maesius, ib. p. 136. Im Monate Aprilis
wurde seit alter Zeit die Venus gefeiert, s. dort. J. Grimm D. M. 749 ver-
gleicht mit den Monaten März, April, Mai die drei deutschen Frühlings-
monate. Ueber die Namen der römischen Monate vgl. Macrob. S. I, 12 und
Merkel Ovid F. p. LXXIX sq. [Mommsen Chronol. S. 9 u. 222, Hoschke Jahr
S. 8 ff.].
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160
ZWEITER ABSCHNITT.
Alba, Aricia und Tusculum wie in Rom seit dem neueren Jahres-
anfänge der dritte Monat , hei den Laurentern und Faliskern der
fünfte, hei den Hernikem d.h. zu Anagnia der sechste, bei den
Aequern der zehnte, in Cures der erste von drei Monaten, bei den
Sabinern und Paelignern der vierte, nach Ovid F. HI, 87 ff. 1 ).
148 Schon aus dem oben Bemerkten geht hervor, dafs der Kalender
ursprünglich eine Sache des Gottesdienstes, also auch der Ober-
aufsicht der Pontifices unterworfen war. Sie kündigten nicht allein
die neuen Monate und die innere Disposition jedes Monats sammt
seinen Festtagen an, sondern sie hatten auch über alle Geschäfts-
lage im öffentlichen und privaten Leben zu verfügen, welche Tage
für Volksversammlungen und Gerichtsverhandlungen geeignet d. h.
dies fasti, comitiales sein sollten, welche zu allen Geschäftslagen
ungeeignet d. h. dies atri 2 ), welche Tage religiosi d. h. wegen ge-
wisser religiöser Bedenken zu öffentlichen Geschäften, zum Reisen,
zum Heirathen nicht geeignet. Aufserdem hatten die Priester, hier
die Flamines, auch dadurch einen bedeutenden Einflufe auf das
Geschäftsleben, namentlich das ländliche, dafs die meisten Geschäfte
des Ackerbaus, des Weinbaus, also die Erndte, die Saat u. s. w. von
ihnen initiirt d. h. durch gewisse religiöse Gebräuche eröffnet wurden 3 ).
Endlich war auch das eben so schwierige als wichtige Intercalations-
wesen in den Händen der Pontifices, worüber die römische Jahres-
rechnung zuletzt in eine gräuliche Verwirrung gerieth.
Eine politische Reaction gegen diese Herrschaft des Priester-
thums erfolgte in Rom sobald die Plebs d. h. das neue, auf poli-
tischen Principien beruhende Bürgerthum mit dem Patriciate d. b.
der alten, von sacralen Elementen durchdrungenen Bürgerschaft zu
1 ) [Mommsen Chron. 218 ff.}
2 ) Dies atri waren z. B. alle Tage Dach den Kaienden, Nonen and Idas,
weil die römischen Waffen an solchen Tagen wiederholt schweres Unglück
erlitten hatten, s. Macrob. S. I, 16, 21, Gellius N. A. V, 17. [Vgl. Moramsen
im C. 1. L. 1 p. 373 f.]
*) Cic. de Leg. II, 8, 19 f. [Er spricht von den feriae: eaeque uti cadent
{itaque ut ita cadat oder cadel die guten Hss.) in annuü an fructibus descrip-
tum esto (vgl. die descriptio fer[iarum] der Inschr. C. I. L. 6, 3744 v. J.
362 p. C, wofür untechnisch feriale Henz. Or. 6112) certasque fruges certas-
que baccas sacerdotes publice libanto certis sacrificiü ac diebus itemque alios
ad dies uberlatem lactis feturaeque servanto idque ne commüti possit, ad certam
rationem {ad eam rem rationem die Hss.) cursus annuos sacerdotes finiunto.
Verbessert von Jordan Krit. Beitr. 230 f.]
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DER KALENDER.
161
kämpfen begann und bald einen Erfolg nach dem andern erlangte 1 ).
Dennoch wurde erst im J. 450 d. St., 304 v. Chr. durch den Aedi-
len Flavius jene wichtige Veröffentlichung der Fasti vorgenommen,
seit welcher der Kalender jedem Bürger zugänglich war 8 ). Höchst
wahrscheinlich wurden schon damals die Monate, die Wochen, die
einzelnen Tage so benannt, abgetheilt, gezählt und notirt, wie es
seitdem herkömmlich geblieben ist 8 ). Die einzelnen Tage waren i**
entweder festi d. h. Feiertage oder profesti d. h. Geschäftstage oder
intercisi d. h. halbe Feiertage *). Zum Wesen eines Feiertags gehört
für die Freien Ruhe von allem Geschäfts- und Gerichtsverkehr, für
die Unfreien Ruhe von der Arbeit, wie dieses in den Urkunden der ~
Pontilices wieder sehr genau vorgesehen war und von gewissen
Ausrufern der höheren Priester, die an solchen Tagen keine Arbeit
auch nur sehen durften, den Handwerkern in der Stadt noch be-
sonders eingeschärft wurde 5 ). In sacraler Hinsicht machen einen
Festtag aus Opfer, Opferschmäuse und feriae d. h. Gottesdienst und
Ruhe von der Arbeit. Diese waren theils stativae theüs conceptivae
theils imperaüvae d. h. gebundene, bewegliche und aufserordentliche
Festtage. Feriae conceptivae d. h. ein bewegliches Fest, welches
nicht immer an denselben Tagen gefeiert, also immer vorher
concipirt d. h. angesagt wurde, waren z. B. die latinischen Ferien,
das Fest der Dea Dia in Rom, die Erndtefeierlichkeiten u. a. e ).
Natürlich konnten nur die feriae stativae in den Kalendern ange-
merkt werden.
Bekanntlich gerieth dieser ältere römische Kalender durch die
*) Liv. IV, 3 Obsecro WS, si non ad fastos, non ad commentarios ponti-
ficum admittimur etc.
') [Vgl. Mommsen Chronologie S. 210 f.]
•) Vgl. über die dabei üblichen Zeichen Merkel Proleg. Ovid Fast,
p. XXXI sqq. [Mommsen Chrouol. S. 233 f. u. C. I. L. 1 p. 367.]
*) Varro 1. 1. VI, 31 Intercisi dies sunt per quos mane et vesperi est
nefas, media tempore inter hostiam caesam et exta porrecta Jas.
8 ) Sie hiefsen praeciae oder praeciamitatores und gehörten zu
der Klasse der calatores, s. Paul. p. 224, Fest. p. 249, Macrob. 1, 16, 9
and 19, Serv. V. Ge. I, 268. Ueber die Festtage und ihre Heiligung s. Cic.
de Leg. II, 12, 29, Serv. ib. 272, Marquardt S. 233, 398 [Staatsverw. 3,
220. 317].
•) Macrob. I, 16, 6 conceptivae sunt quae quotannis a magistratibus vet
sacerdotibus concipiuntur in dies vel certos vel etiam incertos f ut sunt Latinast
Sementivae Paganatia, Compüalia. Vergl. Marini Att. Arv. p. 128 [Marquardt
a. 0. 284].
Preller, Rom. Mjthol. I. 3. Aufl. H
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162
ZWEITER ABSCHNITT.
Fahrlässigkeit und Willkür der Priester zuletzt in eine so heillose
Unordnung, dafs Casar eine gewaltsame Reform vornehmen mufste,
und ohne Zweifel ist es als eine Folge von dieser anzusehn, dafs
ein älterer römischer Kalender d. h. einer aus der Zeit vor Cäsar
und August bis jetzt nicht zum Vorschein gekommen ist. Vielmehr
sind die meisten aus der Zeit unter August und Tiberius, unter
welchen also solche Kalender in Rom und durch ganz Italien auf
den Märkten oder in öffentlichen Gebäuden von Obrigkeits wegen
. oder auf Veranlassung von Privatpersonen aufgestellt wurden und
auch in dem Gebrauche der Privaten viel vorhanden gewesen sein
mögen. Eine Eigenthümlichkeit aller dieser Kalender ist einmal die
lange Dauer aller gröfseren Feste, namentlich der Spiele, welche,
wie schon bemerkt worden (S. 25), erst in den späteren Zeiten der
Republik in solcher Weise ausgedehnt wurden, zweitens die grofse
Anzahl der August und der kaiserlichen Familie geltenden Bet- und
Festtage. Neben den gröfseren Festen, welche sich als solche im
Laufe der Zeit entwickelt hatten, erscheinen viele andre, zum Theii
gleichfalls sehr alte Feste und Götterdienste nur als Dedicationstage
der Tempel, welche jährlich durch gewisse Opfer, ausnahmsweise
auch wohl durch Spiele zu begehen waren. Der älteste von diesen
Kalendern und zugleich der einzige vollständige ist das Kalendarium
MafTeianum, dessen Original sich ehemals im Palazzo Maflei zu
Rom befand. Er giebt den Kalender, wie er unter August geordnet
wurde, und ist auch deshalb wichtig, weil Ovid in seinen Fasten
in den meisten Fällen mit ihm übereinstimmt 1 )* Nächst dem ist
besonders wichtig der des Grammatikers Verrius Flaccus (S. 37),
welcher die von ihm selbst geordneten Fasten auf dem Markte von
Präneste hatte aufstellen lassen. Davon wurden im J. 1770 ver-
schiedene Bruchstücke gefunden, welche aufser dem eigentlichen
Festkalender der vier ersten Monate und des December allerlei er-
läuternde Anmerkungen enthalten 2 ). Aufserdem giebt es Bruch-
stücke eines Kalendarium Amiterninum, Venusinum, Capranicorum
(sonst, im Pal. Capranica), Farnesianum, Allifanum, Antiatinuin,
i) S. den Abdruck der Copie des Pigbius bei Merkel Ovid. Fast. P . XII sq.
[Neue Ausgabe im C. I L. 1 p. 303 ff. Das älteste der Kaiendarien ist übri-
gens wahrscheinlich das Pincianum (zwischen 723 u. 725), das jüngste das
Antiatinuin (v. J. 51 p. C.)].
») Herausgegeben von Foggini, Rom 1781 fol. [C. L L. 1 p. 311 ff.]
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DER KALENDER. 163
Esquilinum , Pincianum und Vaticanum 1 ). Als Probe eines Fest-
kalenders, wie sie im Culte des Augustus gebrauchlich waren, haben
sich in Cumae verschiedene Bruchstücke des sogenannten Kai.
Cumanum gefunden*), als Probe eines ländlichen Kalenders, in ue
* welchem die Feldarbeiten der einzelnen Monate, die wichtigsten
Feste der ländüchen Gottheiten, der Eintritt der Zeichen des Thier-
kreises u. A. bemerkt wird, dient das Kai. rusticum Farnesianum 8 ).
Endlich haben sich doch auch aus den letzten Zeiten des sinkenden
Heidenthums zwei wichtige Urkunden der Art erhalten. Das eine
ist ein erst neuerdings in den Ruinen des Amphitheaters zu Capua
ausgegrabenes feriale d. h. ein Verzeichnifs blofs der Feste, kein
vollständiges Kalendarium, und zwar der Feste wie sie in Capua
und in der Provinz Campanien gefeiert wurden, übrigens erst im
J. 387 nach Chr. Geb. concipirt und zur Characterisük des reli-
giösen Verhaltens der Zeit recht merkwürdig 4 ). Das andre ist ein
unter Constantius II. (337—361) verfafster römischer Staatskalender,
welcher wegen seines späten Ursprungs gleichfalls in vielen wesent-
lichen Punkten von jenen älteren Kalendern abweicht, also über
die Entwicklung des öffentlichen Gottesdienstes unter den Kaisern
wichtige Aufschlüsse giebt 6 ). Noch werden hier die alten Feste
des Mars, der Vesta, die römischen Spiele und andre Festtage des
ältesten römischen Kalenders gefeiert, aber neben diesen altrömischen
M [Wir besitzen jetzt Bruchstücke von 22 Kaiendarien. Zu den im
C I. L. 1 p. 293 ff. mit Commentar publicirten 19 Nummern (von dem AJli-
fanum, p. 299, neue Bruchstücke Eph. epigr. 3, 85. 4, 1; die stadtrömischen
auch C. L L. 6 p. 625 ff.) kommen noch der Kalender der Arvalen Eph. epigr.
1, 33, Henzen Acta arv. CCXXXI ff. (= C. I. L. 6 p. 622), ein zweiter
römischer Eph. epigr. 3, 10 und der von Caere das. S. 5 ff.]
') Kellermann bei 0. Jahn Spec. Epigr. p. 1 — 22, Mommsen I. IN. n. 2557
[C. I. L. p. 310].
») [C. I. L. p. 358.]
*) Zuerst publicirt von Avellino Opuscoli T. III p. 215 — 307 mit einem
ausführlichen Commentar. Neuerdings berichtigt und besprochen von Mommsen
in den Berichten der K. Sachs. Ges. d. W. zu Leipzig 1850 S. 63 ff. Der Text
auch bei Henzen Suppl. Or. n. 6112.
5 ) Calendarium Romaoum sub Imp. Constaotio, Imp. Constaotini Magni
filio, circa a. Cbr. 354 compositum et Valentino cuidam dedicatum, nach der
Ausgabe von Lambecius wiederholt in Graevii thes. Antiq. Ro. T. VIII p. 97 sqq.
Vgl. Mommsen über den Chronographen vom J. 354, Abb. d. Philolog. histor;
Classe der K. Sachs. Ges. d. W. Bd. I S. 569 ff. [jetzt mit dem Kalender des
Polemius Silvius aus dem J. 448/49 im C. I. L. p. 332 ff.].
11*
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164
ZWEITER ABSCHNITT
Culten nehmen nun auch die ausländischen Gottheiten, die Gotter-
mutter aus Phrygien und die ägyptischen Sacra der Isis und des
Serapis, schon eine sehr bedeutende Stelle im Kalender ein, des-
gleichen der Cultus der Divi d. h. der consecrirten Kaiser und die
Spiele zum Andenken der von Constantin oder früheren Kaisern
über die Perser, die Gothen, die Marcomannen, Alamannen, Franken
und Sarmaten gewonnenen Siege.
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DRITTER ABSCHNITT.
Die himmlischen und die herrschenden tiötter.
Allen diesen Göttern ist die Naturbeziehung auf den Himmel 147
und seine Erscheinungen eigen, wie sie zumal beim Jupiter, der
Juno, dem Janus, der Diana, der Mater Matula sehr vernehmlich
hervortritt und beim Jupiter zugleich der reale Grund seiner höch-
sten Obmacht, Güte und Heiligkeit ist, dieses wegen der übertragenen
Bedeutung des himmlischen Lichtes, welches in der moralischen
Welt das Element des Rechtes und der Wahrheit, der Treue und
der Heiligkeit aller Verträge ist. Deutlich erkennbar ist auch eine
alte Verehrung der beiden himmlischen Lichtkörper, der Sonne und
des Mondes, welche alle alten Religionen so viel beschäftigt und
hier in den eigenlhümlichen Gestalten des Janus, Vejovis, Jupiter
Anxur und Apollo Soranus auftritt, während die Verehrung des
Mondes im Culte der Juno und der Diana durchschimmert. Juno
ist zugleich die ideale Weiblichkeit und die himmlische Königin,
Minerva die Göttin der Besinnung und Erfindung, und zwar dieses
so ganz vorherrschend , dafs sich die alte Naturbeziehung beinahe
ganz verschliffen hat. Unter diese italischen Götter ist der grie-
chische Apollo so früh eingetreten, dafs er fast für heimisch gelten
darf, vorzüglich als Repräsentant der Ideen des Heils und der Süh-
nung, welche in dieser Auffassung dem italischen Alterthum ver-
um t Iii ich fremd war. Aber auch in den andern Culten hat sich
mit den älteren italischen Elementen die jüngere griechische Bildung
vielfach verbunden und verschmolzen, besonders in dem der Minerva
und der Diana, wo man den Einflufs des griechischen Athena- und
Artemisdienstes sehr bald merkt. Die eigenthümlichste Figur ist
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DRITTER ABSCHNITT.
148 Janus geblieben, mit dem wir einem alten Gesetze des römischen
Cultus folgend (S. 63) den Anfang machen.
I. Janus.
Es fehlte nehmlich den italischen Völkern zwar an einer kos-
mogonischen und theogonischen Dichtung, da ihr Gottesbegrifl
und ihr Gottesdienst sie zu einer solchen nicht kommen liefs.
Doch hatten sie dafür den Gottesdienst des Janus, welcher sich
weder bei den Griechen noch sonst in einer andern Mythologie
in einem entsprechenden Bilde nachweisen läfst, in dem alten
Italien dagegen sehr verbreitet gewesen zu sein scheint 1 ). In Rom
war sein Dienst nach zuverlässiger Ueberlieferung durch Numa
eingeführt worden, seit welcher Zeit er immer unter den höch-
sten und heiligsten Göttern verehrt wurde. Hatte früher der
König selbst dem Janus das zu bestimmten Zeiten vorgeschriebene
Opfer in der Regia dargebracht, so that dieses später der an seiner
Stelle eingetretene Rex Sacrorum, welcher eben deshalb seinem
geistlichen Range nach für den obersten Priester galt (S. 64, 1).
Ueberhaupt wurde er als Gott des Anfangs und des Ursprungs der
Dinge bei allen Opfern zuerst bedacht, bei allen Gebeten und in
allen Gebetsformeln zuerst und noch vor Jupiter genannt 8 ). Schon
*) Cic. N. D. II, 27 Cumque in omnibus rebus vim haberent maximam
prima, principem in sacrißcando Ianum esse voluerunt. Vgl. die Devotions-
formel b. Liv. VIII, 9, die Formeln b. Cato d. r. r. 134 und 141 und die
Götterreihen der Arvalischen Tafeln [in denen die Reihe der Götter, denen
piacula dargebracht werden mit Janus beginnt und mit Vesta schliefst: Ilenz n
Acta S. 144 ff.] Varro bei Augustio C. D. VII, 9 penes Ianum sunt prima, penes
lovem summa.
■) [Die im Text entwickelten Ansichten theilt Corssen, Beitr. zur italischen
Sprachkunde 350 ff. , bekämpfen z. Th. Böthke Ueber das Wesen des Janus,
Progr. d. Gymn. z. Thorn 1863, Deecke Etr. Forschungen 2, 125 ff. ; nament-
lich will letzterer Janus dem Namen und Wesen nach für national-etruskisch
ausgeben: er sei der Gott des Bogens (= Himmels), welchen die Etrnsker er-
funden und zu ISumas Zeit (!) in Rom eingeführt haben sollen. Der Versuch
IVrvanoglu's, bei den Thrakern ähnliche Vorstellungen nachzuweisen (Das
Familienmahl auf altgriech. Grabsteinen L. 1872, 71 ff.) stützt sich auf eio
gefälschtes Denkmal (Conze, Sitzungsber. d. Wiener Ak. 1872, 324). Es bleibt
bei Mommsens Satz (Münzw. 185) dals Janus (und zwar nicht blos sein
zweiköpfiges Bild) , sicher italisch und soweit wir sehen können, eben
römisch' ist.]
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IANUS.
167
die alten Lieder der Salier hüben mit ihm an zu singen und nannten
ihn den Gott der Götter (Divura Deum), oder mit dem herkömmlich
gebliebenen Gultusnamen der patriarchalischen Zeiten den Vater
•I mus, welcher sich in diesem Gultus besonders lange erhalten hat 1 ).
Die vielen alten Gultusnamen, welche Macrob. S. I, 9, 15 aufzählt:
In sacris quoque invocamus Ianum Geminum, Ianum Patrem, Ianum
Iunonium, Ianum Gonsivium, Ianum Quirinum, Ianum Patulcium et
Glusivium und andre werden einzeln erläutert werden.
Bei der Erklärung seines Namens und Wesens ist häufig fehl-
gegriffen worden, obschon das Rechte ziemlich nahe liegt. So haben "9
Gicero N. D. II, 27 und nach seinem Vorgange Andre den Namen
Ianus ab eundo erklären wollen, als ob dieses etymologisch zulässig
und ein Gott der Thüren und des Ein- und Ausgehens, welcher
nichts als dieses bedeutet hätte, im Sinne des höheren Alterthums
überhaupt deukbar wäre. Andre sahen, indem sie dieselbe Ety-
mologie beibehielten, im Janus ein Bild der ewigen Bewegung des
Himmels, Macrob. S. I, 9, 11, noch Andre erklärten ihn für das
uranfängliche Ghaos, Ianus wie Hianus, Paul. p. 52. Das Richtige
ist ohne Zweifel was unter den Alten schon Nigidius Figulus bei
Macrob. I, 9, 8 gesehen und unter den Neueren besonders Buttmann
Mythologus 2, 72 geltend gemacht hat, dafs Ianus oder was das-
selbe ist Dianus die Masculinform ist zu dem weiblichen Iana oder
Diana d. i. der Mond, eigentlich der Lichte und die Lichte,
von dius und dium in der Bedeutung des lichten Himmels 2 ). Also
————— *
i) Varro 1. 1. VII, 27 fahrt aus dem Liede der Salier den Vers au:
Divum empta cante, Divum Deo supplicante. Deorum Deus b. Macrob.
I, 9, 14. Iano Patri s. die Acta fr. Arval. t. XXXII, 1, 25 [Heozen a. 0.]
und die Inschriften b. Or. n. 1583. 5739 [C. I. L. 3, 2881. 3030], vgl. die
Münze des Gallien b. Eckhel D. N. VII p. 396 und Plin. H. N. XXXVI, 28.
a ) Varro r. r. I, 37, 3 Nunquamne rure audisti octavo Ianam et eres-
centem et contra senescentem et quae crescente fieri oportet, tarnen quae-
dam melius fieri post octavo Ianam [beidemal ist lanam überliefert und tunam
in alten AA. verbessert]. Nach Tertullian Apolog. 10 fand sich im Liede der
Salier der Ablativ Iane [doch s. Corssen a. 0. 352]. Ein Dativ Ianui Quirino
findet sich bei Fest. p. 189, 17, ein Ablativ Iauu in einer Inschrift aus Cales
bei Mommsen I. N. n. 3953. [Der Name des Ianus ist identisch mit dem
Appellativum ianus (vgl. Jordan Top. 1, 1, 29 und die Inschr. Bull. arch. mun.
1875, 274 = Bull, dell' inst. 1875, 204 Her per ianum maior{em) hortor{um)
sive fundi Meropiani), neben ianua (vgl. portus, porta), daher sicher latinisch-
römisch, die Etymologie nicht sicher ermittelt: denn die besonders von
Corssen a. 0. vertheidigte Annahme, Ianus = Dianus (vgl. Iovis = Diovis,
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168
DRITTER ABSCHNITT.
ein altitalischer Licht- und Sonnengott, welcher zu einem Gott de»
Anfangs und des Ursprungs schlechthin geworden ist, in einer eigen-
tümlichen Abstufung von Bildern und Vorstellungen, deren orga-
nischer Zusammenhang mit dem ersten Grundgedanken sich indessen
noch gut nachweisen läfst.
Der Sonnengott ist der Pfortner des Himmels und des himm-
lischen Lichtes, dessen Thore er Morgens öffnet, Abends schliefst,
ausgehend und eingehend: dieses einfache Bild und seine bedeu-
tungsvolle Anwendung ist den Griechen wohl nur deshalb entgangen,
weil ihnen in ihrem Lande Okeanos der Ursprungsgott zu sein und
Helios aus demselben auf- und in ihn unterzutauchen schien. Doch
kennen auch sie eine Schwelle des Himmels, über welche Nacht
und Tag sich flüchtig begrüfsend aus- und eingehn, und die hei-
lige Schrill spricht von der Sonne wie von einem Bräutigam, welcher
Morgens mit strahlendem Antlitz aus seiner Kammer tritt. Bei den
alten Umbrern, Sabinern, Latinern war aber grade diese Vorstellung
des Aus- und Eingangs, des Oeflnens und Schliefsens die vorherr-
schende geworden; daher der einfache Bogen, ianus, eigentlich ein
offener Durchgang (transitio pervia, Cic. N. D. II, 27) ! ) das Symbol
des himmlischen Gewölbes und seines Pförtners Janus, des himm-
lischen Lichtgottes wurde. Eben daher in der späteren Zeit, sobald
eine bildliche Darstellung beliebt wurde, der bekannte Doppelkopf
des Janus (daher Ianus geminus, bifrons), weil er, wie schon die
Alten bemerken, sowohl der Pförtner des Aufganges als des Unter-
ganges, sowohl der Oeffner ist als der Schliefser *), wie Horaz Carm.
Saec. 9 sehr schön vom Sonnengotte sagt: Alme Sol, curru nitido
futurna — Diuturna) sei das Masculinum zu Diana, ist sprachlich nicht un-
bedenklich und wird nicht durch die Inschrift von Aquileja C. I. L. 5, 763
Iovi Diana erwiesen, da hier Diano wohl Epitheton und sein Zusammen-
hang mit Janus sehr unwahrscheinlich ist. Da indessen ianus, ianua un-
zweifelhaft die Oelfnung bedeutet und diese Bedeutung der natürlichen Vor-
stellung entspricht, die sowohl im lateinischen lumim (Fenster, leere Zwischen-
räume, vgl. Schöne u. Nissen Pomp. St. p. 2JS IT.), wie in unserem , lichte
Weite' technisch fixirt ist, so mufs man sich hüten vorschnell den Zusammen-
bang dieser Wörter mit der indogermanischen Wurzel, welche Licht (Himmel)
bedeutet, zu leugnen: vielmehr bleibt derselbe trotz der Schwierigkeit die
Wortform zu erklären im höchsten Grade wahrscheinlich.]
>) [S. die vorige Anmerkung ]
») Macrob. I, 9, 9 Ianum quidatn Sötern demonstrari volunt et ideo gemi-
num, quasi utriusque imune oaelestis potentem, qui exoriens aperiat dient f
occidens claudat.
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IANUS.
1G9
diem qui promis et celas. Deshalb war der älteste Ianus Geminus
in Rom, der von Numa gestiftete an der Grenze des Forums (s. unten),
so gerichtet dafs der eine Kopf gegen Aufgang der andre gegen
Untergang schauete 1 ).
So ward also aus diesem Pförtner des Himmels zunächst der
himmlische OefTner und Schüefser (Palulcius, Clusius)*) schlecht hin.
der sowohl im Himmel als auf Erden über allen Aus- und Eingang
gebietet, am Himmel ein Herr über alle an ihm aufsteigenden und
verschwindenden Erscheinungen, welches Ovid F. I, 117 sogar in
so weitem Umfange von ihm aussagt, dafs er nicht allein den
Himmel mit seinen Wolken, sondern selbst das Meer Und die Erde
unter seine Aufsicht stellt: auf der Erde als Herr über alle Thüren,
Thorr und Strafsen und über alles sich in denselben hin und her
bewegende Geschäft und Treiben der Menschen; ja er ist, weil durch
ihn der Weg zu den Göttern des Lichts führte, auch der allgemeine
Vermittler zwischen Himmel und Erde 3 ), daher seiner wie gesagt
bei jenem Opfer und Gebet zuerst gedacht wurde. Auch die Wege
und UefTnungen des Krieges und des Friedens, die des Handels und
der Schifffahrt, ja die alles Lebens und aller Lebenslhätigkeit waren
in seine Hand gelegt, wie sich gleich deutlicher zeigen wird.
Nur darf man sich dieses Amt des Oeffnens und Schliefsens m
nicht so ganz mechanisch denken, dafs nicht auch die dynamische
Wirkung seiner lichten Sonnenkraft mit im Spiele wäre, wie dieses
in folgenden Fällen deutlich zu sehen ist. So wurde er zunächst
mit jedem neuen Morgen als Matutinus Pater angerufen, Horat.
*) Ovid Fast. 1, 139 Sic ego protpicio caelestis ianitor aulae Eoas partes
Hesperiasque simul. Procop. d. bcllo Goth. 1, 25 xal tou ngoatonov »artoov
ftlv nobc ävioxovra, jo di heoov xqos Mona tjhov rtroanttu, 9vqoi ti
Xtthtttl Itp' ixaityq) nQOCtontp ttalr.
») [Clusius Ov. F. I, 130, Clusivius wiederholt Macr. S. I, 9, 16.]
s ) Ovid F. I, 171 Mox ego: Cur, quamvis ab'orum numitta placcm,
Jane, tibi primum ihura merumque Jero?
i't possis aditum per me, qui limina servo,
Ad quoscunque voles, inquü, habere deos
Daher galt er auch für den Stifter alles Gottesdienstes in Italien, Macrob. 1,
9, 3 vgl. ib. 9, wo auch die Sitte ihn bei jedem Opfer zuerst anzurufen durch
die Absicht erklärt wird ut per eum pateat ad illum cui immolatur accessut,
quasi preces supplicum per portas suas ad deos ipse transmittat. Arnob. III, 29
quem in cundis anteponitis precibus et viam vobis pandere deorum ad audien-
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170
DRITTER ABSCHNITT.
Sat. II, 6, 20, d. h. als der Gott des anbrechenden Tages, mit lein,
wie Horaz hinzusetzt, die Menschen täglich alle ihre Lebensarbeit
beginnen. Auch waren ihm deshalb die Anfange aller Monate heilig
d. h. die Kaienden , wo sich das Licht des zunehmenden Mondes
zuerst wieder am Himmel zeigte, daher er auch als Ianus Iunonius
angerufen und an allen Kaienden mit der Juno verehrt wurde 1 ).
Unter den Monaten aber war ihm der Ianuarius gewifs deswegen
heilig, weil dieser Monat gleich nach dem kürzesten Tage begann,
also den natürlichen Anfang eines neuen Jahres bildete, obwohl
Numa aus Rücksicht auf den Cult der Salier und des palatinischen
Mars den alten Frühlingsanfang des Jahres mit dem Monate des
Mars auch ferner gelten liefs.
Ein andres Merkmal, dafs wir es beim Janus mit einem Sonnen-
gotte zu thun haben, ist der Ursprung der Quellen, Flüsse und
Ströme vom Janus ; daher er in örtlichen Legenden für den Gemahl
der Quellengöttin Iuturna und für den Vater des am Ianiculum ver-
ehrten Fontus, in andern selbst für den des Flufsgottes Tiberinus
galt, in noch andern die Feinde Roms dadurch abwehrt, dafs er
bei einem ihm heiligen Thore plötzlich einen heifsen Sprudel aus
der Erde entspringen läfst, Ovid Fast. I, 269 Oraque, qua pollens
ope sum fontana reclusi, Sumque repentinas eiaculatus aquas. Ein
Glaube dessen näheres Verständnifs erschlossen wird durch eine
Erzählung bei Dionys H. I, 55, welcher sich auf örtliche Ueber-
lieferung beruft. Als Aeneas mit seinen Trojanern an dem öden
Strande der Laurenter landet, leiden sie an brennendem Durst.
Da sprudeln plötzlich zwei reiche Quellen aus dem Boden hervor,
durch welche die Trojaner gesättigt und die ganze Gegend be-
fruchtet wird, obgleich Dionysius sie zu seiner Zeit nur spärlich
fließen sah. Dieses Wasser aber war dem Sonnengotte geweiht
und man sah zwei Altäre desselben an der Quelle, den einen nach
Morgen den andern nach Abend, angeblich eine Stiftung des Aenas
Vielmehr war es höchst wahrscheinlich eine alte latinische Ueber-
152 lieferung von jenem Pater Indiges am Numicius, welcher gewöhnlich
für den Aeneas galt; wenigstens wüfste ich einen ähnlichen Glauben
von der Sonne in Griechenland nicht nachzuweisen 1 ).
l ) Macrob. I, 9, 16 Iunonium quasi — menriutn omnium ingressus tenen-
tem; in dicione autem Iunonis sunt omnes Kahndae.
l ) Wohl aber Raden sich Sparen desselben Glaubens in der deutschen
und scandioaviscben Mythologie, wo Phol und Haider zugleich Sonnen- und
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IANUS. 171
•
Ja dieser Gott galt auch für den Urheber des organischen
Lebens, namentlich für den Erreger und Befruchter des Keims der
( menschlichen Erzeugung, in welcher Bedeutung er in den Indigi-
tamenten als Consivius angerufen und auch hier vor allen Göttern
zuerst genannt wurde, Macrob. I, 9, 16 Consivium a conserendo
i. e. a. propagine generis humani, quae Iano auctore conseritur 1 ).
Daher Janus in einigen Geschlechtern patricischer Abkunft gradezu
als Urheber des Geschlechts wie sonst der Genius verehrt wurde.
So gab es in Rom ein altes Denkmal des Zweikampfs der Horatier
und Curiatier, das sogenannte Sororium Tigillum, eine Art von Joch
in einer der lebhaftesten Straften, unter welchem der Sage nach
der letzte Horatier zur Sühne des Schwestermords hatte hindurch-
gehn müssen. jDaneben sah man zwei Altäre, £ welche der Iuno
Sororia und dem Ianus Curiatius geweiht waren, jener wegen der
getödteten Schwester, diesem wegen des Todes der Curiatier, Fest,
p. 297, Dionys. III, 22, Labeo bei Io. Lydus d. Mens. IV, 1, nach
welchem Schriftsteller es sogar einen eignen Ianus Patricius in
Rom gab, welcher von den ältesten und eingebomen Geschlechtern
vermuthlich in ähnlicher Weise verehrt wurde wie Apollon nccTQwog
von den Ioniem in Athen.
Nimmt man dazu dafs Ianus von den Saliern gefeiert wurde
als duonus cerus d. h. als creator bonus (S. 80), dafs er bei ihnen
der Gott der Götter hiefs und von Andern der Aelteste von allen
Göttern genannt wird und der Gott des Anfangs schlechthin, aller
Dinge, aller Zeiten, aller Götter 2 ), so ist es auffallend genug dafs
sich aus solchen Vorstellungen nicht eine bestimmtere kosmogonische 168
Anschauung, etwa die eines kosmischen Demiurgen entwickelt hat.
Quelleogötter sind. Grimm. D. M. 207. [Vgl. Rabiao Beiträge z. Vorgesch.
Italieos 137 ff., welcher jeoe Altäre für Greatsteioe der laurolavioischea Feld-
mark, halt]
l ) Tertull. ad Nat. II, 1 1 qui consationibus concubitalibus praesit. Auguslio
C. D. VII, 2 ipse primum Ianus cum Puerperium concipitur — aditum aperit
recipiendo semini. Ib. VI, 9 [p. 266 Dom.] Varro enumerare deos coepit a con-
ceptione humana, quorum numerum exorsus est a Iano.
*) Iuveoal S. VI, 393 die antiquissime Divum — Iane Pater. Herodiaa I,
161 &eoc äQxuiÖTciTos r% 'ItaMas tnixcootos. Martial X, 28, 1 annorum
mundique sator. Septim. Sereo. Aothol. I, 191 0 cate rerum sator, o priri-
eipium deorum, — cui res er ata mugiunt aurea daustra mundi. Paul. p. 52
(o. Chaos) cui primo supplicabant veluti parenti et a quo rerum omnium fac-
tum putabant initium.
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172
DRITTER ABSCHNITT.
Und wirklich hatte der Begriff dieses Gottes sich bei einigen Den-
kern und Gelehrten bis dahin erweitert. Namentlich verweist Ma-
crobius auf eine Schrift des M. Valerius Messalla, eines Zeitgenossen
des Cicero [Consul 701], worin derselbe vom Janus gesagt hatte:
„Der Alles bildet, Alles regiert, alle Elemente, die nach unten drän-
gende Natur des Wassers und der Erde und die nach oben ent-
schwebende des Feuers und der Luft in der Wölbung des Himmels
verbunden und dadurch für immer an einander gekettet hat"; vgl.
lo. Lydus d. Mens. IV, 1, nach welchem derselbe Messalla den
Janus für identisch mit dem Aeon d. h. im Sinne der damaligen
Theologie für den Demiurgen erklärte. Aehnliche Vorstellungen
hatte Varro ausgesprochen und durch eine sehr gezwungene Aus-
legung des gewöhnlichen Doppelkopfes unterstützt, Augustin C. D.
VII, 7. 8, daher sie sich bei Ovid Fast. I, 103 ff. wiederholen und
Martial X, 28 den Ianus den Schöpfer aller Jahre d. h. der Zeit
und dieser ganzen schönen Weltordnung nennt. Möglich dafs solche
Gedanken durch die Etrusker angeregt wurden, deren Litteratur
grade damals in Rom zugänglicher geworden war. Wenigstens
sollen auch sie den Janus als einen Gott des Himmels und als den
göttlichen Aufseher über alles Geschäft verehrt haben 1 ). Dafs aber
bei diesem merkwürdigen Volke auch kosmogonische Bilder und
Vorstellungen seit alter Zeit in der Litteratur ihrer Priester gepflegt
wurden, beweist das vielsagende Bruchstück bei den Gromat vet.
p. 350: Scias mare ex aethera remotum. Cum autem Iuppiter
terram Etruriae sibi vindicavit etc., nach welchem also der Aether
d. h. der reine leuchtende Himmel als das Erste gesetzt wurde und
das Meer und die Erde erst durch Absonderung und Niederschlag
aus demselben entstanden sind, doch wohl unter Betheiligung einer
demiurgischen Gotteskraft.
In Rom erinnerten zunächst alle Thüren und Thore an Janus,
denn sie hiefsen ja nach ihm ianuae und iani, bei welchem letzteren
Worte immer speciell der Durchgang zu verstehen ist, entweder
durch einen über die Strafse geschlagenen Bogen oder durch ein
*) Varro sagte nach Io. Lydus d. Mens. IV, 2 im 14. B. Herum Divinaruin
vom Janas (tvrdv nag« Govoxois ovgavov X(yt(t&m xnl ftpogov naariq
7iQa$i(os. [Diesem Zeugniss glaubt auch Merkel Prol. Ov. F. p. CD. Doch
fuhrt Lydus aus ,Cato und Varro' Dinge an die sicher bei ihnen nicht ge-
standen haben: s. Jordan Proleg. Cat. p. XXXD].
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IANUS. 173
verschliefsbares Thon, auch die Stadtthore l ). Also alle Thore und 154
alle Bogen erinnerten an ihn, viele aber waren ihm auch ausdrück-
lieh geheiligt, namentlich solche die auf Märkten und besonders
lebhaften Strafsen oder Kreuzwegen lagen, in welchem Falle sein
Bild darin aufgestellt und aus dem Doppelbogen auch wohl ein ver-
schliefsbarer Tempel mit zwei Thüren, aus dem doppelten Doppel-
bogen mit einem Ianus quadrifons ein entsprechender Tempel mit
vier Eingängen wurde. Unter diesen Tempeln war keiner so alt,
so bedeutsam und ehrwürdig als der Ianus Geminus am Forum,
als dessen Stifter immer Numa genannt wird. Wegen seiner krie-
gerischen Bestimmung führte dieser alte Janus und nur dieser den
Beinamen Quirinus d. i. nach Macrob. I, 9, 16 quasi bellorum
potens, ab hasta quam Sabini curin vocant, vgl. Lucan. Phars. I,
62 belügen limina Iani. Wirklich gab es in den Urkunden der
Pontifices eine Vorschrift des Numa über die auf Veranlassung von
sogenannten spoliis opimis darzubringenden Opfer, dafs in gewissen
Fällen der Art dem Ianus Quirinus ein Schaafbock geopfert werden
solle, Fest. p. 189, 16, vgl. Plut. Marcell. 8, und der Historiker
Piso erzählte von dem Gesetze Numas dafs dieser Bogen oder dieses
Thor immer offen stehen solle, nisi quom bellum sit nusquam,
Varro 1. 1. V, 165. Das ist der bekannte Gebrauch von welchem
bei den Dichtern und Historikern so oft die Rede ist und um des-
willen Livius I, 19 sagt, Numa habe diesen Janus gemacht zu einem
index pacis bellique, apertus ut in armis esse civitatem, clausus
pacatos circa omnes populos signiticaret. Ueber die Lage dieses
Janus sind wir genau unterrichtet; er stand nehmlich an der sehr
lebhaften Strafse, welche von dem alten Forum zu dem des Cäsar
führte, daher er in Folge der grofsen Bauten Domitians grade vor
dem Senatsgebäude dieses Kaisers zu stehen kam, welches in jener
die beiden Foren verbindenden Strafse lag 8 ). Sehr unklar ist da-
!) Z. B. bei der p. Carmentalis, s. Becker Haodb. d. röm. Alterth. 1, 137.
Besonders häufig genannt wurden die drei Iani auf dem Forum, in welcher
Gegend die Wechsler ihre Buden hatten, Horat. Ep. I, 1, 54 c. intpp. Nach-
mals baute Domitian durch die ganze Stadt viele iani und arcus, von denen
die letzteren als Triumphbögen mit Quadrigen, Spolien, Bildern der Feldzüge
und des Siegs geschmückt waren, Sueton Do mit. 13.
') Ovid Fast. I, 257. 263, Procop. de bello Goth. I, 25, Becker flandb. 1,
255 ff., 348 ff. Becker scheint mir auch S. 119 die Hypothese Niebuhrs, dafs
dieser Janus ursprünglich auf den Verkehr der Römer auf dem Palatin und
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174
DRITTER ABSCHNITT.
gegen die Ursache jenes alten Gebrauchs, diesen Janus offen zu
halten so lange es einen Krieg gab und nur dann zu schliefsen
wenn überall Friede war, zumal da die Alten sehr verschiedene
Gründe angeben. Einige erzählen eine Stadtlegende, wie sich der-
155 gleichen schon im alten Rom im Munde des Volkes nach gegebenen
örtlichen Merkwürdigkeiten bildeten und im Laufe der Zeit immer
ungenirter fortwucherten. Als die Römer und Sabiner unter Ro-
mulus und T. Tatius um das Forum kämpften, habe der römer-
freundliche Janus die durch das ofTene Thor andringenden Sabiner
vermittelst eines plötzlich entsprungenen heifsen Schwefelquells zurück-
gejagt, seit welcher Zeit das Thor ihm heilig geworden und nur
in Friedenszeiten verschlossen sei, s. Ovid. Fast. I, 259 ff. [Metam.
XIV, 728 IT.] Indessen wurde diese Legende nicht allein von diesem
Thore, sondern auch von einem andern in einer andern Gegend
der Stadt erzählt, wo auch ein solcher Sprudel und ein offenes
Thor zu finden sein mochte, Macrob. I, 9, 17 1 ). Andre erklärten
sich die Pforten dieses Janus als Pforten des Kriegs, als ob dieser
Dämon in Friedenszeiten unter der Hut des Janus darin ver-
schlossen sitze, im Kriege aber gegen die Feinde losgelassen werde,
Virgil Aen. I, 293, VII, 607, Andre umgekehrt als Stätte des
Friedens, als ob dieser bei verschlossenen Thoren vom Janus fest-
gehalten werde, Ovid Fast. I, 281 pace fores obdo, ne qua dis-
cedere possit, Horat. Ep. II, 1, 255 claustraque custodem pacis
cohibentia Ianum. Am weitesten kommt man wohl wenn man sich
den Janus auch hier als einen Gott alles Ein- und Ausgangs und
alles geweiheten Anfangs denkt, mit dem der alte Glaube bei jedem
wichtigen Unternehmen anhub, also gewifs auch bei jedem krie-
gerischen Unternehmen, zu welchem die Schaaren der bürgerlichen
Jugend auf Leben und Tod ausrückten. Wie Janus seine Gläubigen
auf allen Wegen behütete, so ganz vorzugsweise auf diesem, daher
die Pforten seines Heiligthums offen standen so lange die Landes-
jugend im Felde war; denn die Oeffnung eines Tempels stellt sym-
bolisch die begleitende Mitwirkung eines Gottes dar, daher der
Tempel der Hora Quirini, einer alten sabinischen Segensgötlin,
immer offen gehalten wurde, weil man sie sich immer segnend und
thätig dachte, Plutarch Qu. Ro. 46. Ist aber der Krieg glücklich
der Sabiner auf dem Quirioal berechnet gewesen sei, treffend widerlegt zu
haben. [Revision der ganzen Frage bei Jordan Hermes 4, 229 ff.]
») [S. Jordan a. 0. S. 252. 253.]
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IAMJS.
175
beendet, das Heer zurückgekehrt, so wird der Tempel geschlossen,
denn der Staat bedarf der Mitwirkung dieses Janus, des Janus
Quirinus, des ausdrücklich für den glücklichen Anfang und Auszug
zum Kriege geweiheten nun nicht mehr: eine Erklärung welche
schon bei den Alten angedeutet wird Gewifs ist dafs bei diesem
Tempel seit alter Zeit beim Ausbruch eines Krieges Opfer gebracht iae
und gewisse sinnbildliche Gebräuche vorgenommen wurden, daher
dieser Janus allein ein consecrirter war, Ovid F. I, 257 cum tot
sint iani, cur stas sacratus in uno? Virgil Aen. VII, 607 sunt
geminae belli portae — religione sacrae et saevi formidine Martis.
Virgil, der diese Gebräuche für ein altes latinisches Herkommen
hielt, erzählt dafs, sobald ein Krieg vom Staate beschlossen war,
der Consul mit einer Quirinalischen Trabea angethan und nach
gabinischer Weise gegürtet, die Thore des Tempels geöffnet und zur
Schlacht gerufen habe, welchen Ruf die Jugend und schmetternde
Kriegstrompeten wiederholten. Höchst wahrscheinlich wurden auch
beim Abschluss des Friedens und dem Wiedereinrücken der Bürger
entsprechende Gebräuche verrichtet, zumal da Numa immer als der
Friedensfürst geschildert wird und Janus seiner Natur nach mehr
den Frieden als den Krieg lieben mufste. Indessen wurde ein
Friede mit allen Nachbarn in Rom immer seltener; daher das
aufserordenlliche Gewicht, welches auf die Schliessung dieses Janus
gelegt wurde. Nach Livius I, 19 war er seit der Zeit des Numa
nur zweimal geschlossen worden, einmal im J. 235 v. Chr., sechs
Jahre nach dem Frieden des ersten pi mischen Kriegs, wo er aber
noch in demselben Jahre wieder geöffnet wurde, Varro 1. 1. V, 165,
zum zweitenmal im J. 29 v. Ghr., als August nach der Schlacht
bei Actium und einem Aufenthalte in Griechenland, Asien und
Aegypten den Frieden auf die Dauer gesichert zu haben glaubte.
Indessen ist der Tempel auch damals nicht lange verschlossen ge-
blieben, da August selbst sich rühmt 2 ) dafs der Janus dreimal von
ihm geschlossen sei, nehmlich zum zweitenmal im J. 25 v. Chr.
») Serv. V. A. I, 294 Ideo autem Ianus belli tempore palebat, ut eiusdem
eonspectus per bellum pateret, in cuius potestate esset exitus redi-
tusque.
*) Mon. Ancyr. [Gr. 7, 5 = Lat. 2, 42 vgl. Momrosen p. 3]. Der grie-
chische Text hat nvXijv ivvaXiov, der lateinische hatte vielleicht [lanum]
Qmri[ni] Jordan a. 0. S. 235.] Bei Horat. Od. IV, 15, 9 heifst es ungenau [?]
lanum. Vgl. Sueton Octav. 22.
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176
DRITTER ABSCHNITT
und zum drittenmal im Jahre der Geburt Christi. Nach ihm rühmte
sich Nero noch einmal der Welt den Frieden gegeben und den
Janus geschlossen zu haben, daher auf seinen Münzen dieser Tempel
ott zu sehen ist, ein kleines und niedriges Gebäude mit verschlos-
sener Thür und von aufseu angebrachten Gewinden *).
Aufser diesem Heiligthum des Janus scheint es ein gleichfalls
sehr altes und angesehenes auf oder bei dem Janiculum gegeben
iä7 zu haben, welches Castell bekanntlich von dem Könige Ancus Mar-
cius zum Schutze des Uebergangs über den Tiber und des Verkehrs
auf diesem Strom angelegt wurde, zumal da Janus nach herkömm-
licher Ueberlieferung auf dem Janiculum gewohnt hatte 3 ). Auch
befanden sich dort alte Altäre seines Sohnes Fons oder Fontus
und in dessen Nähe das Grab des Numa *). Weiter ist auszuzeichnen
der Ianus Quadrifons mit einem entsprechenden Gebäude im Vela-
brum, der erste in seiner Art, da das darin befindliche Bild mit
vier Gesichtern von Falerii gebracht worden war, vermuthlich im
J. 461 d. St., 293 v. Chr., xMacrob. I, 9, 13, Serv. V. A. VII, 607.
Bekanntlich hat sich dieses Gebäude, welches auf einem lebhaften
Kreuzwege lag, in später Restauration bis auf diesen Tag erhalten 4 ).
») VfL Ovid F. I, 275 Am mihi posüa est parvo eonmncta sacello,
Uaec adolet flammis cum strue farra suis. [Besonders die Kupfermünzen des
Nero (Cobeo N. 153 ff., Abbild. Bd. 1, T. XI Nero 177), verbunden mit der Be-
schreibung bei Prokop lassen deutlich erkennen dals das Gebäude wesentlich
aus 2 durch halbhohe plutea verbundene portae mit flachem Dach bestand.
Der Grundriss scheint quadratisch gewesen zu sein, die Seite mag etwa 20
bis 24, die Höhe 15 — 20 F. gemessen haben. S. Jordan a. 0. S. 236. 23S.
Eine aedes also im eigentlichen Sinn war es nicht. Ueber das Bild unten
S. 164.]
») Virgil .-Yen. VIII, 358, Ovid F. I, 245, Macrob. I, 7, 19 u. A. Jeden-
falls war hier ein alter und wichtiger Durchgang, s. Paul. p. 104 laniculum
dictum quod /wr eum (montem) Romanus populus primüus transierit in
agrum Etruscum.
») Cic. de Leg. II, 22, 56, wo mit den besten Handschriften zu lesen
ist ad Fontis aras. [Vielmehr fuhrt die hs. Ueberl. auf quod [haud] procul a
Fonti ara est.] Vielleicht sind zwei Altare anzunehmen, wie bei der Quelle
in der Nähe von Laurentum, s. S. 170. Vgl. Arnob. III. 29, Beeker Haodb.
1, 656.
«) [Wo der Ianus quadrifrons aus Falerii — der übrigens durch Camillus
513/341 nach Rom kam — in Rom verehrt wurde, ist unbekannt; der erbal-
tene sog. Janus quadrifrons auf dem Velabrum ist, wie mit Andern Preller
aelbst Reg. 60. 195 richtig annahm, der arcus Constantini der Not. reg. XI
Vgl. Jordan Top. 2, 9, a. a. 0. 240 ff.]
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IANUS.
177
Ferner gab es einen Tempel des Ianus Geminus beim Theater des
Marcellus, gleich vor dem Carmentaiischen Thore und wieder in einer
sehr lebhaften Gegend, da der ganze Verkehr zwischen dem Ochsen-
markte und dem Circus Flaminius hier durchrauschte; C. Duilius
hatte ihn im ersten punischen Kriege gestiftet und Augustus und
Tiberius restaurirten ihn, daher die Kalender ihrer Zeit an be-
stimmten Tagen Opfer bei diesem Janus vorschreiben 1 ). Endlich
wurden alle diese Gebäude an Pracht und Gröfse bei weitem über-
troffen durch den Ianus Quadrifons auf dem Durchgangsforum (f.
transitorium) des Nerva, wo Domitian dieses bis in das Mittelalter
erhaltene Gebäude errichtet hatte, Martial. X, 28. Also lauter
lebhafte Passagen, daher es kein Wunder ist wenn die Römer sich
ihren Janus nicht blos als den allgemeinen Schliefser, sondern auch
als rüstigen Wanderer dachten und deshalb seine Bilder, wenn er
in ganzer Figur dargestellt wurde, aufser dem Schlüssel mit einem
Wanderstabe ausrüsteten, Ovid F. 1, 99 ille tenens baculum dextra
clavemque sinistra, Macrob. I, 9, 7 cum clavi et virga figuratur,
quasi omnium et portarum custos et rector viarum.
Wie Janus aber als Gott des glücklichen Ein- und Ausgangs
in allen Häusern, allen Strafsen, allen Städten gedacht wurde, so
scheint er auch ein Gott der Häfen gewesen, also als Portunus iäs
verehrt worden zu sein, obwohl dieser Name später gewöhnlich
auf den griechischen Melikertes übertragen wurde. Portus war in
der älteren Sprache ein Gebäude zum Ein- und Ausgehn 2 ), also
auch das Haus, daher Portunus ganz richtig für einen Gott sowohl
der Thore als der Häfen genommen ward und so gut wie Janus
den Schlüssel in der Hand führte,, also in der That eigentlich
Janus war, nur dafs die gemeine Praxis des Hafen- und Seelebens
aus der besondern Eigenschaft des allgemeinen Geleitgottes einen
besondern Hafengott gemacht hatte. Als solcher hatte er einen
Tempel am Tiberhafen in der Nähe des pons Aemilius, wo am
') Kai. Capranic. XVI Kai. Sept. Iatio ad theatrum Marcelli. Kai.
Ainitern. XV Kai. Nov. Inno ad theatr. Marcelli. Vgl. Tacit. A. II, 49
und Becker S. 138. 259. [Jordan a. 0. S. 229 f.]
3 ) In den Zwölftafelgcsetzen stand portus noch für douius, s. Fest. p. 233.
Die Wurzel ist nÖQog [vgl. Curtius Etyra. 5 272 und über portus, portoriuoi
Jordan Top. 1, 1, 430]. üeber Portunus vgl. Paul. p. 56 claudere et elavis
ex Graeco descendit, cuius rei tutelam penes Portunum esse putabant, qui
elavim manu teuere fingebatur et deus putabatur esse portarum. Die
Inschrift b. Or. n. 15S5 lauo Portuuo ist verdächtig.
Preller, Rom. Mvthol. L 3. Aufl. ' 12
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178 DRITTER ABSCHNITT.
17. August eigne Portunalia gefeiert wurden, unter dem Aventin,
wo noch jetzt die Tiberschitfe anzulanden und auszuladen pflegen
Dafs dieser Cultus alt und volksthümlich war beweist der plebejische
Flamen Portunalis b. Fest. p. 217. Es kommt hinzu, dafs Janus
für den Gemahl der See- und Quellengöttin Venilia galt, endlich
dafs Janus auch für den Erfinder des Schiffbaues gehalten wurde;
wenigstens erklärte man sich so das gewöhnliche Gepräge des
römischen As, Januskopf und Schiff, obwohl Andre dabei an das
Schiff dachten, welches den Saturnus über See zum Janus brachte 8 ).
Ist jene Erklärung richtig, und sie wird dadurch dafs Janus der
eigentliche italische Gott des Geschäftsverkehres zu Wasser und zu
Lande war, sehr empfohlen, so würde sich dadurch auch das
gleichartige Gepräge der etruskischen Seestadt Telamon erklären.
Regelmäfsige Festtage des Janus waren alle ersten Monats-
tage, wo dem Ianus Iunonius neben der Juno geopfert wurde,
daher ihm, leider ist nicht gesagt wo und von wem, zwölf Altäre
159 für eben so viele Monate geweiht waren, und zwar bestand das ge-
wöhnliche Opfer an diesen Tagen in einem Opferkuchen, den man
lau ual nannte 1 ). Ohne Zweifel war unter diesen Festtagen der
erste Januar in dem nach ihm benannten Monate von jeher be-
sonders feierlich. Aufserdem wurde in diesem Monate der neunte
Tag durch eine Opferhandlung in der Regia ausgezeichnet, welche
mit einem aiterthümlichen, der Opferpraxis entlehnten Worte Agonia
oder Agonalia genannt ward und in den römischen Kalendern zu
wiederholten malen vorkommt, aber dem Janus so viel wir wissen
nur an diesem Tage des Januar galt 2 ). Das Characteristische be-
») Varro L l VI, 19 Portunalia dicta a Portuno, cui eo die aedes in
portu Tiberino facta et feriae institutae. Iotp. Veroa. Aen. V, 241 Portunus,
ut Varro aü, deus port[uum porta]rumque praeses. Quare huius dies festus
Portunalia , qua aput veteres claves in focum add . . . mare institutum. Ich
lese: quo apud veteres aedes in portu et feriae institutae. Vgl.
die alten Kaieoder XVI Kai. Sept. [und dazu Mommsens Bemerkung p. 399.
Die Lage des portus und des Portunium ist controvers: Jordan Top. 2, 199
1, 1, 432].
») Athen. XV p. 692 E, vgl. Ovid F. I, 233 ff., Plutarch Qu. Ro. 41,
Macrob. S. I, 7, 22. [Doch s. Mommsen Münzwesen 184 A. 50].
») Varro b. Macrob. I, 9, 16, Paul. p. 104. Vgl. Io. Lyd. d. Mens. IV,
2, wo u. a. 6 6k Buoquv — xai nonttviova (aviov Uyeo9tu) Siä 16 h rats
xttlavöais avttif-toco&ai nonava.
*) Varro spricht von mehreren Tagen, 1. 1. VI, 12 Agonales (dies) per
quos reo: in regia aridem immolat, dicti ab agone, eo quod interrogatur a
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IAKUS
179
stand an demselben darin dafs ein Widder, und zwar als Führer
seiner Heerde (princeps gregis) geopfert wurde und dafs der opfernde
Priester der Rex Sacrorum, ursprüngUch ohne Zweifel das wirkliche
Haupt des Staates (princeps civitatis) war, indem übrigens die bei
allen Agonien herkömmliche Förmlichkeit beobachtet wurde. Der
Opfernde that nehm I ich die solenne Frage agone? d. h. soll ich
das Opfer herbeiführen? und erst nachdem es ihm ausdrücklich
geheifsen war, brachte er das Opfer dar. Unverkennbar entsprechen
sich bei jenem alten Gebrauche der princeps civitatis d. i. der Rex
und der princeps gregis d. i. der Widder als Opfer, höchst wahr-
scheinlich sollte aber auch hier der Gott Janus als der Erste, der
Anlängliche, als princeps deorum gefeiert werden, und verinuthlich
geschah dieses ursprünglich mit Reziehung auf die Jahreszeit, da
die Tage eben wieder anfingen länger zu werden, das uraufängliche
Licht der Sonne zur Erde zurückzukehren. Eine bedeutendere und
allgemeine Neujahrsfeier zu Ehren des Janus war freilich erst dann
möglich als die Kaienden nach dem kürzesten Tage von Staats wegen
Neujahrsanfang geworden waren, d. h. seit dem J. 601 d. St.,
153 v. Chr., seit welcher Zeit die Consuln ihr Amt Kalendis Ianuariis
antraten, was zu der allgemeinen Lust des Tages den eben so ieo
feierlichen als stattlichen Act des Zuges der neuen Consuln auf
das Capitol hinzufügte. Durch die ganze Stadt, ja durch ganz
Italien und alle von römischer Sitte bestimmte Provinzen war der
erste Januar nun der Tag des neuen, des glücklichen Anfangs, wo
man sich auf jede Weise des Guten und Glücklichen zu versichern
suchte, so dafs der alte Gott des neuen Anfangs nun erst recht zu
Ehren kam. Alles bat ihn gleich mit dem ersten Tagesanbruch
um gunstige Zeichen , Alles vermied auf das ängstlichste jede
Störung, jeden Streit, jede Mühe, da nach römischem Glauben bei
jedem W r erke unendlich viel auf einen guten Anfang ankam: Alles
wünschte sich unter einander Glück und beschenkte sich mit ge-
principe civitatis et princeps gregis immolatur. Vgl. Paul. p. 10 Ago-
n i u in und Ovid F. 1, 317 ff*. [Natürlich ist Varros Etymologie falsch; die
Frage hätte ja auch nur agamne lauten können.] In den Kalendern sind noch
drei andre Tage mit AGON, AGO oder AG bezeichnet, der 17. Mars, der
21. Mai und der 11. December, doch ist dabei nur an den alterthümlichen
Ritus, nicht an ein und dasselbe Fest zu denken. [Vgl. Mommsen im C. I. L.
1 p. 383. 388. 394.] Ovid F. V, 721 ad Ianum redeat qui quaerü Agonia
quid sint verweist seine Leser auf das was er über diesen Ausdruck im
Mt. Januar gesagt habe.
12*
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180
DRITTER ARSCHMTT.
ringen, aber Glück und Annehmlichkeit und einen gesegneten An-
fang bedeutenden Geschenken, s. Ovid F. I, 71 ff., Plin. H. N.
XXVIII, 22. Vorzüglich beliebt waren zu diesem Behuf die soge-
nannten strenae 1 ), von denen sich eine letzte Spur bekanntlich in
den französischen etrennes erhalten hat. Das war ein sehr alter
Brauch, dessen Name mit dem Culte der sabinischen Segensgöttin
Strenia, einer Art von Salus, zusammenhängt, aus deren Hain schon
zur Zeit des T. Tatius d. h. seit der ersten Begründung des
sabinischen Auguralwesens auf der Arx (S. 124) beim Jahresanfang
Glück verheifsende Zweige auf die Arx getragen sein sollen. Aus
diesem alten Gottesdienste war der populäre Gebrauch entstanden,
sich in Erinnerung der alten Heilsgöttin allerlei Glück und Heil
verheifsendes Laub, jetzt namentlich die Apollinischen Lorbeer- und
Palmzweige mit entsprechenden Glückwünschen und mit allerlei
Geschenken zuzuschicken, welche vorzugsweise in allerlei süfsen
Dingen bestanden, Feigen, Datteln und Honigkuchen, zum guten
Omen dafs das neue Jahr nur Süfses und Angenehmes bringen
möge, s, Ovid F. I, 185 ff., Martial VIII, 33, 11; XIH, 27. Dazu
fügte man auch efsbare Eicheln, welche an die älteste Vorzeit des
Waldes, und einige Stücke der altherkömmlichen Asses mit dem
Januskopfe und dem Schiff, welche an die gesegnete Vorzeit des
Janus und Saturnus und den neuen guten Anfang in allen Dingen
erinnern sollten, sammt andern Münzen mit andern zu der Weihe
des Tages passenden Symbolen; daher auf jenen Asses die häufige
Bekränzung des Janus mit Lorbeer, wie man denn nun dem alten
Gölte auch die Erfindung des Kranzes zuschrieb 2 ). Endlich fügte
man einen guten Wunsch hinzu und bediente sich zu diesem
i6i Zwecke, um alle diese Dinge in einem Miniaturbilde zu verei-
nigen, gerne jener eben so unscheinbaren als zierlichen Lampen
von Thon oder Bronze mit dem Bilde einer Victoria, die einen
Schild mit der Inschrift Annum novum faustum felicem in der
Hand trägt und von den kleinen Bildern eines Lorbeerblatts, eines
Zweiges mit Datteln, eines Haufens geprefster Feigen, einer Eichel,
einem As mit dem Januskopfe und andern Münzen umgeben ist,
wie sich davon verschiedene erhalten haben 3 ). Namentlich wurden
*) (Vgl. auch Marquardt Privatleben 1', 245.]
2 ) Athen. XV p. 092 E, Klausen Aeneas u. d. P. 714.
8 ) Z. Ii. die irdene bei Passeri lue. flctil. 1,6 und die bronzene aus
Pompeji in der Sammlung vou Roux VI t. 4S, vgl. Büttiger kl. Sehr. 3, 307 ff.,
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IANUS.
181
die vornehmen Gönner von ihren Clienten mit solchen Gaben be-
grüfst, ja selbst die Kaiser verschmähten es nicht sich von ihren
getreuen Unterthanen an diesem Tage mit vollen Händen beschenken
zu lassen und wieder zu schenken; der finstre Tiberius mufste dem
Andrang der Gaben und Glückwünsche, welche sich nicht immer
am ersten Tage des neuen Jahres anbringen liefsen, durch ein eignes
Edict steuern 1 ). Auch pflegte ein Jeder sein tägliches Geschäft an
diesem Tage durch einen kurzen und glücklichen Anfang, aber nur
durch diesen für das ganze Jahr zu weihen, sowohl auf dem Lande
als in der Stadt, so sehr war man davon überzeugt dafs was an
diesem ,Tage gut von statten gehe auch für die Folge glücken
müsse 2 ). Die gröfste Feierlichkeit aber für die ganze Stadt war
jenes erste Hervortreten der neu gewählten Magistrate, namentlich
der Consuln an demselben ersten Januar, indem auch sie nun an
diesem Tage ihr Amt unter feierlichen Opfern und Gebeten an-
traten. Vor Tagesanbruch erhoben sie sich, um unter freiem
Himmel nach günstigen Zeichen zu suchen, legten darauf in ihrem
Hause die amtliche Kleidung an, empfingen die Glückwünsche von
ihrem Anhange und den Senatoren und zogen darauf, während alle
Altäre dampften, in der Begleitung des Senats, der Ritterschaft und
einer zahlreichen Menge hinauf zum Capitol, um dort dem Jupiter
0. M. als höchstem Schutzherrn des römischen Staates das gewöhn- ie«
liehe Opfer auserlesener weifser Farren darzubringen und gleich
darauf die erste Senatssitzung zu halten 8 ). Der zweite Tag galt in
jedem Monate für einen unglücklichen (S. 160), daher auch in
diesem erst der dritte zu einer neuen Feier bestimmt war, nehm-
Fabretti Inscr. p. 500 n. 36. 37, Mommsen L N. 6308, 2 — 4. Für Hadrian
uad Antoainus Pias bestimmte Münzen mit der Inschrift S. P. Q. R. A. N. F. F.
d. h. Senatus populusque Romanas annam novam faustam felicem bei Eckhel
D. N. VI p. 508; VII p. 11. [Vgl. Prellers Aasgewählte Aufsätze S. 310 f.,
Marquardt Privatleben 1 *, 245.]
') Sneton Octav. 57, Dio Cass. LIV, 35, Soeton Tiber 34, Calig. 42, Nero
46. Die Sitte dauerte bis auf Arcadius und [Honorius. [Vgl. Friedläoder
Sitteng. 1*, 148.]
») Ovid F. I, 167 Quisque suas artes ob idem deUbat agendo Nec plus
quam solitum testißcatur opus. Vgl. Seneca Ep. 83, 5, Columella d. r. r.
XI, 2, 98.
>) Ovid ex Ponto IV, 9, 7, Fast I, 75 ff., Becker Handb. II, 2, 122 ff.
[Mommsen Staatsrecht 1 *, 594 f.] Die Beschreibung bei Io. Lyd. IV, 3 kann
höchstens für die Zeit der späteren Kaiser gelten.
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1S2
DRITTER ABSCHNITT
lieh zu der der Gelübde für das Wohl des Kaisers, weshalb dieser
Tag gewöhnlich zum Unterschiede von den Opfern der Kalendae
Ianuariae schlechthin der Tag der Vota genannt wurde. Es waren
dieses die üblichen Vota pro salute prineipis d. h. Opfer und Gebete,
welche von den höchsten Magistraten unter Mitwirkung der Ponti-
lices und andrer Geistlichen für das Wohl des Kaisers und des
kaiserlichen Hauses, wie sie im vorigen Jahre gelobt worden waren,
den Göttern dargebracht und von neuem versprochen und in dieser
Form von Jahr zu Jahr immer zugleich geleistet und von neuem
coneipirt wurden 1 ). Beide Feierlichkeiten, sowohl die Sacra des
ersten Januars als die Vota des dritten, haben sich bis in sehr spate
Zeit erhalten.
Neben diesen Festlichkeiten bildete und erhielt sich allerlei
volkslhümliche Ueberlieferung vom Janus, in welcher er bald als
der erste und anfängliche Landeskönig erscheint, bald als Gatte
und Liebhaber von verschiedenen Nymphen und Göttinnen, wie sie
eben zu seiner Natur pafsten. Es war eine heilige und selige Zeit,
erzählte man sich, als Janus regierte, eine Zeit wo Götter und
Menschen noch in ununterbrochenem Verkehre standen 2 ). Alles
war voll Unschuld und Sicherheit und immer dampften die Altäre
von lodernden Opfern, daher dem Janus alle Eingange und Aus-
gänge der Häuser geheiligt blieben und, weil er die Menschen opfern
und beten gelehrt, bei jedem Opfer immer zuerst seiner gedacht
wurde. Seine Residenz sei das Janiculum gewesen, behauptete man
in Rom, doch habe er anfangs gemeinschaftlich mit einem andern
168 eingebornen Könige Cameses regiert, nach welchem das Land Cama-
senc genannt worden sei, dann aber allein und mit solcher Umsicht
und Weisheit, dafs man ihm deshalb später das doppelte Gesicht
zugeschrieben habe 3 ). Hernach sei Saturnus über See zu ihm ge-
*) Marini Atti Arv. p. 56, Avellino Opusc. III p. 241 sqq., Marquardt
Handb. d. R. A. IV, 219, wo ich aber den Beweis vermisse, dafs am ersten
Januar von den neuen Consuln vota pro salute reipublicae coneipirt wurden.
Dio Cass. fr. 102, 12 spricht von öffentlichen Gebeten der Priester im All-
gemeinen. Tacitus An. IV, 70 unterscheidet ausdrücklich die Sacra des
ersten und die Vota des dritten Januars. [Doch ist das votum pro incolumi-
täte prineipis erst später abgesondert und auf den 3. Jan. fixirt worden: s.
jetzt Mommsen a. 0., Marquardt Staatsverw. 3, 256.]
a ) Ovid F. I, 247 Tunc ego regnabam patiens cum terra deorum
esset et humanis numitia mixta locis.
8 ) [Macr. S. I, 7, 19]. Ein beliebter Witz, s. Seneca de morte Claudii 9
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IANUS. 183
kommen und dem Janus ein Lehrer im Ackerbau und vielen nütz-
lichen Erfindungen geworden, namentlich im Münzprägen und im
Schiffbau. Andre Schriftsteller nennen Camesene oder Camasene
die Schwester oder die Frau des Janus, mit welcher er den Flufs-
gott Tiberinus erzeugt habe 1 ); wobei entweder eine den römischen
Carmentes und Casmenen verwandte Quellengöttin oder eine Erin-
nerung an den alten umbrischen Stamm namen der Camertes zu
Grunde liegt, welcher sich in der Umgegend von Clusium lange
behauptet hatte. Andre Ueberlieferungen nannten die Flufs- und
Seegöttin Venilia seine Gattin und Canens, die schöne und gesang-
reiche Nymphe, die zärtliche Gattin des laurentischen Picus, seine
Tochter, Ovid Met. XIV, 335 IT., wieder andre nannten ihn Gemahl
der durch ganz Latium verehrten Heil- und Segensgöttin Juturna
und Vater des Fontus, Amob. III, 9, lauter Erzählungen in denen
seine alte Natur des Ursprungs- und Quellengottes deutlich durch-
blickt. Dahingegen das naiv drollige Volksmährchen von seiner Liebe
zur Carna bei Ovid F. VI, 101 ff. speciell den Gott alles Aus- und
Eingangs vor Augen hatte, wie diese Göttin alle Liebe und Lieb-
haber Höh, bis kein Versteck sie vor dem Doppelgesicht des Janus
zu schützen vermag und der mächtige Gott dann ihre Hingebung
mit dem Ehrenamte über alle Thüren und Schwellen und mit der
Gabe des Weifsdorns belohnt, einem wirksamen Gegenzauber gegen
jede Anfechtung der Strigen*).
Schliefslich mag von dem bekannten Doppelkopfe des Janus
und von andern bildlichen Darstellungen des auch in dieser Hinsicht
eigenthümlichen Gottes die Rede sein. Obwohl es die Frage ist
ob der Doppelkopf eine eigenthümliche Erfindung des alten Italiens
ist oder ob auch dieses Symbol den Etruskern und Hörnern von iej
den Griechen zukam, da es sich bei diesen in sehr verschiedner
Anwendung findet, namentlich auch in dem alten ßilde des gestirnten
Himmels Argos, den Hermes tödtet. Genug man findet diesen
Doppelkopf nicht blos auf römischen Münzen, sondern auch auf den
qui semper videt apa nQoooot xttl onlaaut. Pers. I, 58 0 fane, a
tergo quem nulla ciconia pirisit.
l ) Serv. V. A. VIII, 330, Athen. XV p. 692 E., Plutarch Qu. Ro. 22, welche
Schriftsteller mit thessalischen und epirotiscben Vö'lkernamen bei diesem
Paare anknüpfen. Camese könnte stehen für Camere, vgl. Tutere. [Eine ge-
nügende Erklärung der Namen Camcses, Camesene ist noch nicht gefunden.]
») Bei Martian. Cap. I, 4 Ianusque Argionam utraque miratur efßgie
ist wohl zu lesen Carnam.
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184
DRITTER ABSCHMITT
etrurischen von Volaterrä und Telamon und den campanischen von
Capua ; ja nach Athen. XV p. 692 E hätten auch sonst viele Städte
in Griechenland, Italien und Sicilien mit dem Januskopfe und einem
dem römischen As entsprechenden Reverse gemünzt. Was Rom
betrifft so ist es kaum wahrscheinlich dafs dieses Gepräge dort er-
funden wurde, daher man aus dem Schiffe auf der Kehrseite nicht
zu viel folgern sollte. Immer sind beide Gesichter des Doppel-
kopfs von derselben Bildung, in Rom bärtig, in Volaterrä und Capua
beide unbärtig, wobei vielleicht die Verehrung des Quellengottes
Fontus, des jüngeren Janus zu Grunde liegt, dessen Doppelkopf auf
den Münzen der römischen Familie Fonteia gleichfalls unbärtig er-
scheint. Wie nahe die bärtige griechische Doppelherme dem römi-
schen Januskopfe stand, sieht man daraus dafs Augustus ein Bild
für diesen, man wufste nicht ob es ein Werk des Scopas oder des
Praxiteles war, aus Aegypten (doch wohl aus Alexandrien) mit-
brachte, Plin. H. N. XXXVI, 28. Eine Bildung, wo der eine Kopt
bärtig, der andre unbärtig wäre, dürfte aus älterer Zeit nicht nach-
zuweisen sein, doch sieht man einen Janus in ganzer Figur mit
solchem Doppelkopfe auf Münzen des Kaisers Gallien. Ueberhaupt
scheinen die Bilder in ganzer Figur auch beim Janus mit der Zeit
gewöhnlich geworden zu sein. Bereits erwähnt ist die mit den
Attributen des Schlüssels und des Stabes; bei andern hatte man die
Finger der rechten Hand so gestellt, dafs sie die Zahl CCC, die der
linken dafs sie die Zahl LXV, also beide zusammen die Zahl der
365 Tage des Jahres darstellten 1 ).
2. JupUer.
Dieser Name ist ein Compositum wie Marspiter, die Wurzel
der ersten Silbe aber ist Iov oder Iü, wie sie deutlicher in dem der
im älteren Sprache noch sehr geläufigen Namen Diovis oder Jovis her-
') Plin. XXXIV, 33 [über die Lesung Moinmsen Chron. * S. 34: er galt
dem Plinius als Ianus Geminus a Numa rege dicatus, war also das Tempelbild
des Ianus Geminus, vgl. Jordan Herrn. 4, 239], Macrob. S. 1, 9, 10, Suid. v.
'Iavovä()io( , lo. Lyd. IV, 1. £in Janusbild mit dem Stabe hat Panofka auf
einer Gemme nachgewiesen. Auf der M. Galliens erscheint Janus stans to-
galtu d. pateram s. sceplrum. Eckhel D. N. VII p. 396. [lieber die Münz-
bilder Mommsen Münzw. 185 A. 53. — Doch war oben S. 166 A. 1 au den doppel-
köpßgen Boreas (Annali 1860 tav. d'agg. L M vgl. S. 328 f.), den Doppelkopf auf
Münzen von Regium und den doppelküpägen Argos (Gr. Myth. 1, 318) zu
erinnern (Heibig).]
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IUPITER. 185
vortritt. Jene Wurzel, ein Erbgut aller indogermanischen Stamm-
sprachen und mythologischen Systeme [vgl. zu S. 50], bedeutet in
ihnen den lichten Himmel, die Tageshelle, den ätherischen Glanz
des Lichtes der vom Himmel ausgeht; und sie hat allen jenen
Völkern zur Bezeichnung des höchsten Gottes, ja der Götter über-
haupt gedient, weil die natürliche Erscheinung des Himmels mit
dem leuchtenden Gewölbe, dem Alles durchdringenden und beleben-
den Lichte, der furchtbaren Gewalt des Blitzes, dem befruchtenden
und sättigenden Regen ihrer Vorstellung von der Natur der Götter
am nächsten kam 1 ). So heifst der Himmel im Indischen djaus und
die Perser nannten ihn und ihren höchsten Gott mit demselben
Namen in wenig veränderter Form, Hesych. v. Jiav, Herod. I, 131.
Bei den Griechen ist der gewöhnliche Name Ztvg nur eine schein-
bare Abweichung, da Z aus dj entstanden ist ( Ct^oV = jugum), in
den Declinationsformen Jiöq u. s. w. der alte Wurzelklang alsbald
wieder hervorbricht, und bei den Kretern die Form Jyv für Zyv
im gewöhnlichen Gebrauche sich erhalten hatte. In Rom ist die
Verwandtschaft von Diovis oder Jovis mit Divus, Dius. Deus [doch
s. oben a. 0], Dii von Varro, Verrius und andern Forschern aner-
kannt worden 8 ), obgleich sie nicht die richtige Folgerung für die
Wurzelbedeutung ihres Jupiter daraus zu ziehn wufsten. Auch der
etruskische Name des Tinia oder Tina, welcher dem griechischen
Zeus entsprach, hängt gewifs mit demselben Stamme zusammen,
mag man ihn nun für eine Nebenform des griechischen Jig oder
Jt]V halten oder die Wurzel in nördlichen Göttersystemen suchen 3 ),
') Lucret. V, 1188 in caeloque deum sedes et templa locarunt,
per caelum volvi quia lux et luna videtur,
luna, dies et nox et noctis signa serena,
noctivagaeque face* caeli ßammaeque volantes,
nubila, sol, imbres, nix, venti, fulmina, grando
et rapidi fremitus et murmura magna minarum.
*) Varro L 1. V, 66 obeo S. 50, Paul p. 71 Dium antiqui ex graeco
appellabant ui a deo ortum et diurnum sub caelo hinten, ano xov dt 6$.
Lnde adhuc sub diu fieri dicimus quod non fit sub tecto et interdiu cui
cnntrarium est noctu. Ib. 87 Dialis autem appeüatur (flamen) a dio, a quo
vita dari putabatur hominibus, weil vom Himmel Licht und Lebeo kommt.
Fest. p. 185 Dialis — universi mundi sacerdos, qui appellabatur dium, wo
mundus i. q. caelum ist, vgl. Lucret. V, 1434 at vigiles mundi magnurn ver-
satüV templum Sol et luna suo lustrantes lumine circum u. s. w.
8 ) [Corssen Sprache d. Etr. 1, 308 ff. will Tinia mit lamis ideotificireo,
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186
DRITTER ABSCHNITT
endlich der altdeutsche Zio, welchem ein gothisches Tius entsprach.
In Italien war es die alte Gewohnheit der patriarchalischen Cultus-
166 anrufung (S. 56 A. 1), welche neben der sonst herkömmlichen Form
Diuvis, Diovis, Iovis 1 ) die Zusammensetzung Jupiter oder Juppiter
gebildet hat, die aus Iov oder lu-pater zu einem Worte verschmolzen
ist und als solches die andre Namenform aus dem gemeinen Sprach-
gebrauche zuletzt verdrängt hat s ). Daneben hat sich, wie es scheint
vorzüglich in der ritualen Praxis der Fetialen , als eine andre Zu-
sammensetzung Diespiter erhalten d. i. speciell der Gott des lichten
Tages, des Lichtes überhaupt in seiner physischen und moralischen
Bedeutung 3 ).
Also einen Guten Vater im Himmel meinten die alten
Völker Italiens, wenn sie zu ihrem Jupiter beteten, einen Vater des
Lichts, der im Himmel wohne und von dort seine Zeichen sende
und alle himmlische und irdische Natur als höchster Gott regiere,
keineswegs einen abstracten Gott der Hülfe, wie man seit Ennius
den Namen Iupiter a iuvando zu erklären pflegte 4 ); vielmehr ist
gewiss mit Unrecht; doch auch der Zusammenhang mit Zeus ist mehr als
zweifelhaft.]
*) Jiovfti FegooQH Tavoofi, Oskische Inschrift b. Mommsen Untental.
Dial. S. 191 [n. 146 Zwetaj., Diuvei auf d. Bronze v. Agnone; umbrisch durch-
gehend Iov-). Anonym b. A. Mai Auel. Class. V p. 151 Legimus in Capro
hic Iovis. Etiam Naevius, Jttius, Pacuvius, omnes Uli utuntur exemplo.
Diove statt Iove auf einem Erztäfelchen aus republikanischer Zeit, Archäol.
Ztg. 1846 n. 257. [C. I. L. 1, 57. 188. 638. 1435 = C. I. L. 5, 2799, dazu das
zweite Ex. Addend. p. 1073 zu 2975, beide (Aquileja) .noch* aus republ. Zeit; da-
gegen auf der uralten römischen Gefafsinschrift Annali 1880, 158, der Spoletiner
Haininschrift (oben S. 111, 1) und der Spiegelinschrift C. I. L. 1, 56 Iove, Iovei.)
») Varro L L VIII, 74 nunc in consuetudine aliter rficere, pro Iovü Iup-
piter, pro bovis bos. Sowohl Jupiter als Juppiter findet sich auf Münzen und
Steinen guter Zeit, doch ist eigentlich kein Grund zu der Verdoppelung des
p, da Iupiter aus Iu-pater gebildet ist wie ju-cundus aus jov-cundus,
nuper aus nov-per, vgl. naufragium, auspex, augur, nicht aus lovispater,
wie man in Rom gewöhnlich erklärte, s. Gell. V, 12. Die iguvinischen Tafeln
haben gewöhnlich Iuvepater, daneben aber anch Iupater. (Die correcte
Orthographie seit Augustus kennt nur Iuppiter (z. B. die der Arvalakten ohne
Ausnahme), etymologisch entstanden aus Iövi-püer = Iou-püer; also ist p
nur gedoppelt zur Bezeichnung der verschärften Aussprache hinter «: Jordan
Hermes 16, 51.] Interessant ist ^tmttxvQoq bei einem epirotischen Volke, 8.
oben S. 55, 3. [Vgl. Curtius Quaest. etym. Kiel 1856, Etymol. 6 617, Bugge
in Bezzeobergers Beiträgen 3, 101 f.]
») [Ueber Diespiter vgl. Corssen Aussprache 2», 233 fif.]
«) Ennius Epicharm. p. 169 Haece propter Iuppüer sunt ista (die Luft, der
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IUPITER.
187
auch der Sinn dieses Wortes iuvare für alles Förderliche, Hülfreiche,
Heilsame, Wohllhuende aus jener älteren Naturempfindung der
Wurzel Iov zu erklären, die auch sonst noch in vielen bedeutsamen
Worten und Zusammensetzungen ihre reiche Kraft bewährt. Die
Sprache und die Gewohnheit war in dieser Hinsicht correcter als
die gelehrte Etymologie, denn so lange man sub divo und interdiu
sagte und in vielen Wendungen Jupiter anstatt des Himmels und
seiner Erscheinungen nannte 1 ), konnte die richtige Vorstellung nicht 167
ganz verloren gehn. Auch sorgte der Cultus und manche alte Ge-
betsformel in Rom dafür, dafs man bei diesem Namen immer zuerst
seine Gedanken dahin richtete, wo der Mensch zu allen Zeiten die
Quelle des Guten und alles gottlichen Segens gesucht hat und wo
vollends die Völker, welche mit ihren Gedanken auf der Stufe der
Naturreligion verweilten, im Hinblick auf alle die Wunder der himm-
lischen Erscheinungen und das tägliche Wunder des Lichtes, auf
die Quelle des Regens, des niederfahrenden Blitzes und rollenden
Donners 8 ) noth wendig alles Höchste und Erhabenste suchen mufsten,
was sie auf dieser Stufe der religiösen Erkenntnifs überhaupt zu
erfassen vermochten 8 ).
Man darf für gewifs annehmen dafs Jupiter nicht allein durch
ganz Italien , sondern auch dafs er überall im Wesentlichen als
Wind, der Regen) quae dicto tibi, quoniam morlalis alque urbes beluasque
omnes iuvat. Vgl. Cic. IN. D. II, 25, 64, Gell. IN. A. V, 12 Iovem Latini
veteres a iuvando appellavere eundemque alio vocabulo iuncto patrem dixerunt.
*) Cic. N. D. II, 25, 65 Hunc igitur Ennius — nuncupat ita dicens:
Aspice hoc sublime candens, quem invocant omnes Iovem. — Hunc
etiam Augures nostri, quum dicunt Iove fulgente, tonante. Horat. Od. I,
1, 25 sub Iove frigido. III, 10, 7 audis ut glaciet nives puro numine Iupiter.
Virg. Ecl. VII, 60 Iupiter et laeto descendet plurimus imbri.
*) Ennius Ann. 561 divutn domus altisonum cael. Non. p. 180 Varro
Bimarco: Tunc repente caelitum allum tonitribus templum tonescit. Lucret ius
H, 1030 percipito caeli darum purumque colorem Quaeque in se cohibet pa-
" lantia sidera passim, Lunamque et solis praeclara luce nitorem. 1039 caeli
lucida templa.
8 ) [Das Beiwort iovius führen verschiedene Gottheiten: Venerus Ioviae
muru[m) C. I. L. 1, 565; Hercio Iovio alte palign. Widmung Fabr. C. I. It.
2971 bis, stadtrömische der Kaiserzeit Herculi Iovio Bull. arch. communale
4380, 286; loviois puclois C. 1. L. 1 S. 555 (oben S. 76); in den iguvinischen
Gebeten findet sich ioviu neben cerfiu als Beiwort mehrer Gottheiten (vgl.
Huschke Iguv. Tafeln 352 ff.). — Reifferscheid Annali 1866, 216 bringt diese
Erscheinung mit Namen wie Iuppüer - Uber in Verbindung. S. unten
S. 173 f.]
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188
DRITTER ARSCHNITT.
derselbe Gott verehrt wurde, als Gott der Höhen und des Himmels,
als höchste Quelle aller Offenbarung durch seine himmlische Zeichen,
auch als die aller Ordnung auf Erden, alles Sieges, aller letzten
Hülfe und alles Heils; nur dafs allerdings je nach der Natur der
einzelnen Landschaften und dem Gemüth der Stämme auch die
Auffassung dieses Gottes sich veränderte. So scheinen die Sabiner
vorzugsweise von der Idee der lichten Reinheit und Heiligkeit des
himmlischen Vaters, seiner höchsten Treue und der von ihm aus-
gehenden Stiftung alles Rechtes und aller Ordnung durchdrungen
gewesen zu sein; wenigstens deuten darauf die vielen Reinigungen
und Heiligungen, dem sich der von Numa eingesetzte Flamen Diaiis
unterwerfen mufste, der Dienst des Dius Fidius, der Fides, des
Terminus, welche von den Sabinern abgeleitet wurden. Dahingegen
bei den Etruskern Jupiter vorzugsweise für den Herrn der Blitze
und aller Verhängnisse im Himmel und auf Erden galt, die er durch
seine Blitze allein oder mit Hinzuziehung des Götterrathes lenkt
(S. 70). da sich in diesem an Wundern und Erscheinungen beson-
ders reichen Lande die Beobachtung und Verehrung des Volks und
168 seiner Priester am meisten auf diesen Punkt fixirt hatte. Indessen
verehrten auch sie und die Latiner, so sehr mufs man sich vor
einer Trennung der einzelnen Religionen Italiens hüten, den Jupiter
zugleich als die höchste Quelle des Lichts und aller Ordnung, da
Jupiter Lucetius und die Bedeutung der Idus, ferner die Verehrung
des Jupiter Terminus, des Jupiter Rex und Imperator auch bei
ihnen verbreitet war. Selbst die gemeinschaftliche Verehrung der
drei höchsten Götter auf dem Gapitol, des Jupiter, der Juno und
der Minerva, scheint in Italien allgemein herkömmlich gewesen zu
sein, da auch die Sabiner des römischen Quirinais (S. 64) und die
Etrusker (Serv. V. A. I, 422, s. unten) sich zu ihr bekannten.
Fassen wir zuerst die Bedeutung des Jupiter im Naturleben
bestimmter ins Auge, so tritt in Italien noch mehr als in den
stammverwandten Religionen, namentlich auch in Griechenland, die
Bedeutung des Lichtgottes in den Vordergrund, wie dieses schon
der alte Gultusname Diespiter lehrt, ferner der gleichfalls sehr alte
und verbreitete Name Lucetius, unter welchem er namentlich in
den Saliarischen Liedern angerufen und auch bei den oskisch reden-
den Völkern verehrt wurde 1 ). Und zwar ist Jupiter als Lichtgott
1 ) Paul p. 114 Luceti um Iovem appellabant quod eum Iuris esse cau-
sam credebant. Macrob. I, 15, 14 oben S. 156, Gell. V, 12, 6 itemque lovU
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IUP1TER
189
nicht etwa blos der Urheber der täglichen Helle des Tages (dies),
welchen die Sonne bringt, sondern auch der Gott der lichten Er-
scheinungen des Himmels überhaupt, auch des leuchtenden Wetter-
strahls 1 ), auch des nächtlichen Vollmonds, welcher die dem Jupiter
heiligen Idustage bringt, an denen die Tageshelle und die nächtliche
Helle sich zu einer ununterbrochenen Lichtoffenbarung des himm-
lischen Vaters zusammenschlofs, daher jeder Vollmondstag mit einem
den Etruskern entlehnten Ausdruck Iovis fiducia genannt wurde,
d. h. eine Bürgschaft des Jupiter, ein immer wiederkehrendes Unter-
pfand seiner himmlischen Gegenwart und seines göttlichen Segens.
Es ist schon oben S. 156 f. bemerkt worden, dafs sowohl dieser ie9
schöne und tiefe Gedanke als das System der Idus etwas nicht blos
Etruskisches zu sein scheine, sondern sich auch bei den Sabinem
und Latinern wiederfindet, da überall dem Jupiter die Idus heilig
waren und namentlich in Rom deshalb dem Jupiter an jedem Voll-
mondstage die Idulia Sacra gebracht wurden. Ueberdies scheint mir
aber auch die Legende von dem Ursprünge der zwölf Ancilien, die
sich unverkennbar auf die zwölf Monde des Jahres beziehen, aus
demselben Ideenzusammenhange erklärt werden zu müssen, da Ju-
piter dem Numa das erste Ancile, das himmlische Urbild der übrigen,
auf sein Gebet unmittelbar vom Himmel und zwar gleichfalls als
Unterpfand (pignus) seines göttlichen Segens sendet. Endlich decken
sich, worauf ich unten ausführlicher zurückkommen w r erde, in einer
ganzen Reihe alter religiöser Begriffe, namentlich in dem Culte des
Diespiter, der Fides und des Dius Fidius die Vorstellungen von Licht,
Diespiter appellatus i. e. diei et lucis paler. (Vielmehr gehört das s in
Dies zum Stamm. [Vgl. S. 166, 3.]) Idcircoque simili nomine Iovis Diiovis
dictus est et Lucetius, quod nos die atque luce quasi viia ipsa afficeret et
iuvaret. Lucetium autern Iovem Cn. Naevius in libro belli Poenici appellat.
Serv. V. A. IV, 570 lingua Osca Lucetius est Iupiter dictus a luce, quam
praestare dicitur hominibus. Vgl. Mommsen Unterital. Dial. S. 274. [Dafür
loucetius natürlich die altere Schreibung, bezeugt durch Victorinus Gramm,
latini 6, 12. Ob damit das nur auf rheinischen Inschriften als Epitheton des
Mars vorkommende loucetius, leueeiius zusammenhängt, ist noch nicht ent-
schieden: Jordan Krit. Beiträge 33.]
l ) Das Gebet der Salier nach der Herstellung Bergks [De carm. Sal. S. XII] :
Cume tonas, Leucesie, prae tet tremonii. [Doch ist überliefert bei Scaurus
Gramm, lat. 7, 28 cuinc ponas leucesiae prae texere monti u. s. w., bei Fest.
205 pretet tremonti, die Herstellung unsicher, selbst leucesie wegen des eu
und des s nicht unbedenklich: Jordan Krit. Beiträge 211 ff.]
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DK1TTER ABSCHNITT.
Recht, Wahrheit und Treue, so dafs dafür, wie mir scheint, ein
alter italischer, namentlich sabinischer und latiniscber Wurzelbegritf
nothwendig angenommen werden mufs.
Ein andres Gebiet des Jupiter wie das aller ihm verwandten
Götter der Griechen, der Deutschen u. s. w. ist das Wetter und
Gewitter, von der segnenden Wolke bis zum zerstörenden Strahl
der Wetterwolke; nur dafs sich auch hier in Italien aus der gege-
benen Vorstellung keine Bilder und Mythen, sondern nur Gebete
und abergläubische Gebräuche entwickelt hatten. Eigentlich ist
Jupiter heiter, serenus; wenn Jupiter lacht, so lacht der ganze
Himmel, wie Ennius sich ausdrückte 1 ). Doch ist er auch befruch-
tender Regengott, imbricitor, pluvius, pluvialis und als solcher be-
fruchtend und nährend, sowohl für die Weide als für den Acker und
170 Weinberg, daher man ihn als almus und frugifer anrief. Ueber-
haupt sind alle Veränderungen der Luft sein Gebiet und seine
Herrschaft, namentlich auch die Winde und Stürme, welche auch
auf Italiens Bergen und Meeren tapfer zu hausen pflegen, daher
Jupiter und die Tempestates d. h. die Gewitterstürme nicht selten
zusammen genannt wurden s ). Vor allen übrigen Lufterscheinungeu
aber war es Blitz und Donner, in welchem man die Gewalt des
höchsten Gottes im Himmel erkannte; daher die vielen darauf be-
züglichen Beinamen, unter denen er verehrt wurde: Iup. Fulgur
[in Rom verehrt am 7. October] 3 ) oder Fulgurator von dem leuch-
>) Bei Serv. V. A. 1, 254 [Ab. 445 f.], vgl. Virg. Aen. I, 245 Olli suhri-
Apul. de Mundo p. 37Mc. 37 Goldbacherf Dicüur et FuTgurator et Toni-
trualis et Fulminator, etiam Imbricitor et item Serenator, et plures
eum Frugiferum vocant. Ennius b. Varro 1. 1. V, 65 Islic est is IuppUer
quem dico, quem Graeei vocant Aerem: qui ventus est et nubes, imber postea
Atque ex imbre Jrigus, ventus post ßt . aer dermo. Als Regengott heil st
lupiter pluvius bei Tibull. I, 7, 26, pluvialis in einer lnscbr. aus Pom-
peji b. Mommseu n. 2254. Imbricitor sagt Ennius auch vom Winde: spiri-.
tus Austri imbricitor, b. Macrob. VI, 2, 28. Iup. Serenas oder Sereoator
ist vorzüglich der Aufheiternde nach dem Sturm, daher er neben der Fortuua
Redux und in ähnlichen Verbindungen genannt wird, s. Or. n. 1262 [= C. I. L.
6, 433] 4310 [and C. I. L. 6, 43 t].
') Inschriften aas Lambaese in Numidien bei Marini Atti p. 774, Or. n. 127],
Renier, Inscr. Ro. de l'Algerie, n. 6 Iovi 0. M. Tempestalium divinarum
potenti leg. III etc. n. 7 Ventis bonorum Tempestatium poten-
tibus leg. III etc.
>) [Iovi Fulguri Kai. Arv. Ost. Non. Oct. vgl. Mommsen Eph. epigr. 1, 39].
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IDPITER.
191
tenden Strahle, auch lup. Fulgur Fulmen oder Km 1 miliaris und Ful-
minator, wo der niederfahre n de Donnerkeil des Blitzes (fulmen) zu
dem aufleuchtenden fulgur hinzutritt, endlich auch als Tonans oder
Tonitrualis, ein seit August in Rom beliebter Cultus, wo der er-
schütternde Donner zur Hauptsache geworden ist 3 ). In ganz Italien
sind die Gewitter häufig, vor allem im Frühlinge und im Herbste,
wie Plinius auseinandersetzt 4 ), und zwar pflegen solche Erschei-
nungen im Süden weit heftiger und plötzlicher aufzutreten als bei
uns. Wie oft Rom von stürmischen Gewittern heimgesucht wurde,
lehren die Verzeichnisse der Prodigien bei Livius und Julius Obse-
quens: und die Verehrung eines eignen Gottes der nächtlichen Blitze,
des Summanus [s. unten], ferner die des lup. Elicius, der seit alter
Zeit einen eignen Altar auf dem Aventin hatte, beweist, dafs man
nicht blos in Etrurien mit einer sorgfältigen und superstitiösen
Beobachtung, Beschwörung und Sühne der Blitze beschäftigt war.
Namentlich soll auch IS'uma sich auf die Beschwörung der Blitze
gut verstanden haben, nach der Legende bei Ovid u. A., weil Picus
und Faunus, die mächtigen Waldgeister ihn den Zauber gelehrt
hatten, den der fromme König nur zum Besten seiner Römer an-
wendete 4 ). So heftige und häufige Blitze schreckten Stadt und
Land, dafs er den Jupiter im Blitze vom Himmel beschwor, um
von ihm selbst ein sichres Mittel der Blitzsühne zu erfahren.
Jupiter erschien und forderte das Haupt und die Seele eines in
Menschen, worauf Numa statt des Hauptes (caput) eine Zwiebel
(cepa) darbrachte, statt des Menschenhauptes (caput hominis) dessen
Haare (capillos), statt der lebendigen Seele (anima) den Fisch
(maena), und Jupiter sich lächelnd auch damit zufrieden erklärte.
Doch sollte die höchste Auszeichnung in solchen Künsten und Ge-
*) lup. Fulgur b. Fest. p. 229, 2, lovi Fulguri Fulmini b. Henzen z. Or.
d. 5629 [I. 0. M. Ful(guri) C. I. L. 3, 1680], lovi Fulminari ib. n. 5630
(— C. I. L. 5, 2474], lovi Fulgeratori Or. d. 1238 [= 6, 377], I. 0. M. Fulm.
Fol. ib. ii. 1239 [= 3, 3953], lovi Fulmin. Folg. Tonanti ib. 1241 [I. 0. M.
Tonitratori C. I. L. 3, 2766«. Verschieden ist der kl. -in asiatische Bqovtüv,
über welchen S. 211. Auch in dem oskischen luvet Flagiui der Inschrift von
Capua (Zwetaj. I. Ose. 34) bat man einen Iupüer fulgerator sehen wollen.
Die Deotung ist unsicher].
*) Plin. H. N. II, 135, vgl. Io. Lydns de Ostentis 43, auch Lucret. VI,
357 ff. und die schone Schilderung bei Virgil Ge. I, 311 ff.
*) Ovid Fast. III. 261 ff., Plnt. Numa 15, Valer. Antias b. Arnob. V, 1,
vgl. Varro 1. 1. VI, 94, Liv. 1, 20.
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DRITTER ARSCHMTT.
brauchen den abergläubischen Etruskern vorbehalten bleiben, die
mit ihrer Kunst dann in Horn und sonst in Italien aushalfen.
Hatte doch einst Yolsinii, als ein schreckliches Ungeheuer sein
Gebiet verheerte und die Stadt bedrohte, durch Blitzbeschwörung
Kettung gefunden, und von dem Könige Porsenna wufste man
gewifs dafs er sich so gut als Numa auf diese Kunst verstanden
halte 1 ). Aus den langjährigen Gewitterbeobachtungen und Blitz-
sühnen der etruskischen Priester aber hatte sich eine Doctrin ge-
bildet, welche practisch in Rom durch die Haruspices (S. 16) sehr
oft geübt wurde und theoretisch später auch zugänglich wurde,
namentlich durch Aulus Caecina aus Yolaterrä, welcher die Römer
in seinem Werke über die etruskische Disciplin sowohl mit dem
wesentlichen Inhalte der alten libri fulgurales und tonitruales als
sonst mit den Grundzügen der Theologie und Divination seiner
Heimath bekannt machte 2 ). Der oberste Grundsatz auch dieses
Systems war, dafs die Blitze eine OfFenbarung des Willens der
Götter seien, und zwar hielt man sie in Etrurien für die sichersten
und zuverlässigsten unter allen himmlischen Zeichen. In der weitern
Ausführung wurden verschiedene Arten von Blitzen unterschieden,
die Götter von welchen sie geschleudert wurden, ihre Bedeutung
und Veranlassung, nach denen sie verschiedentlich benannt wurden.
*) Plio. H. N. II, 140 Exstat annalium memoria sacris quibusdam et
precationibus vel cogi fulmina vel impetrari. Fetus ffama Etruriae est impe-
tratum Folsinios urbem depopuUdis agris subeunte monstro quod vocavere Fol-
tam, evocatum et a Porsenna suo rege. Et ante eum a Numa saepius hoc
factitatum in primo annalium suorum tradidit L. Piso gravis audor, quod
imitatum parum rite Tullum I/ostilium ictum fulmine. Noch zur Zeit des
Alarich beschwören die etruskischen Priester ein Donnerwetter gegen die
Barbaren, Zosim. V, 41.
*) Auf die alten Beobachtungen der Etrusker deutet Lucret. VI, 379 ff.
Von Caecina s. Cic. de Div. I, 33. Wichtige Auszüge aus seinem Werke bei
Seoeca Qu. Nat. II, 32—49. Auch Varro, Nigidius Figulus u. A. hatten über
die Lehre von den Blitzen nach römischem und etruskischem Gebrauch ge-
schrieben, vgl. Plin. H. JN. II, 138 f., Serv. V. A. 1, 42, lo. Lydus d. ostent.
21 — 52, 0. Müller Etrusker 2, 31 ff. [Für ein Stück aus den 'etruskischen
Fulguralbüchern' hielt Müller Etr. 2», 133 das Stück bei Mart. Capella I 44
welches die 16 caeli regiones und die Sitze der einzelneu Götter in denselben
aufzählt; Nissen Tempi. S. 182 ff. hielt dasselbe für durch und durch römisch-
italisch und alt, Scbmeilser (s. üeceke zu M. S. 135 A. 26a) für eine 'späte Er-
findung '. Dieselbe Eintheilung findet sich angeblich auf einem kürzlich in Piaeenza
gefundenen räthselhaften kupfernen Gerath: Dcecke Etr. Forschungen 4 (1880).]
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IUPITER.
193
In Rom galten solche Blitze immer für die bedenklichsten, welche
geheiligte oder für das öffentliche Leben wichtige Stätten trafen, 172
die alten Haine der Götter oder ihre Tempel, die geweihten Denk-
mäler des bürgerlichen Lebens der Stadt, oder wohl gar das hehre
Capitol und den eignen Tempel des Jupiter 1 ). Auch gab es eine
eigne ars fulguritorum, welche für eine Eingebung der etruskischen
Nymphe Begoe gehalten und seit August mit andern Schriften der
Art im Tempel des Palatinischen Apollo aufbewahrt wurde 8 ), d. h.
eine technische Anweisung zur Weihe der vom Blitz getroffenen
Stätten und Gegenstände (fulgurita), welche für heilig galten, weil
Jupiter selbst davon Besitz genominen zu haben schien. War der
Blitz in die Erde gefahren, so wurde die von dem himmlischen
Feuer berührte Erde zuerst sorgfaltig gesammelt und eingescharrt
(fulgur condere), dann die Stätte durch das Opfer eines zarten
Lamms (daher bidental) geweiht und endlich in Form einer Brunnen-
mündung (puteal) bedeckt und ummauert; daher das puteal Libonis
oder Scribonianum auf dem römischen Forum, von welchem die
Denare der Familie Scribonia eine Ansicht geben, und andre der-
artige Blitzgräber, welche in Rom und Italien etwas sehr Gewöhn-
liches gewesen sein müssen 8 ). Waren die Bäume eines Hains ge-
troffen, so wurden sie nach sorgfaltigen Sühnungen entfernt und
mit gleicher Sorgfalt neue gepflanzt 4 ). Auch der vom Blitz er-
schlagene Mensch galt nach einem Gesetze Numas ftir geweiht,
nach welchem man die Leiche nicht wegtragen und bestatten
durfte, sondern an Ort und Stelle liegen und einscharren mufste.
Wurden aber Personen hohen Standes von dem Blitz nur berührt,
*) [Vgl. die fulguritae arbores Plaut Trio. 539.] Bei Seneca Qu. N. II,
4'' werden u. a. genannt regalia f ulmin a d. h. solche quorum vi tangitur
vel comüium vel principaUa urbis liberae loca y quorum signißcatus regrium
civitaii minatur. Ein Blitz in das Prätorium des Lagers bedeutet Eroberung
. desselben uod Tod des Feldherrn, Dionys IX, 6, ein Blitz in den T. der Juno
Gefahr der Frauen, Liv. XXVII, 37, 8.
») Serv. V. A. VI, 72, Paul. p. 92 fulgur itum id quod est fulmine
tctum, qui locus statim fieri pulabatur religiosus, quod eum deus sibi vindi-
casse videretur.
») Becker Handb. d. R. A. 1, 280, t. 5, 6, Marquardt IV, 250. [Staats-
verw. 3, 252 f., C. 1. L. 2, 2421, G, 205 f., 5, 6778. Der steinerne Rio*,
auf welchem das puteal Libonis stand, ist wahrscheinlich an der Ostseite des
Castortempels noch erhalten. Vgl. Jordan Hermes 7, 2S5.]
<) Acta fr. Arv. I, 43 [Henzen Acta S. 142], Paul. p. 295 strufertarios
(Vgl. piaculum slruibus fertis Heozen Acta S. 135.]
Preller, Röm. Mrtbol. I. S. Aufl. 13
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DRITTER ABSCHNITT.
ohne getödtet zu werden, so durften sie dieses für ein sicheres
Zeichen der höchsten Ehre für ihre Nachkommen halten 1 ). —
Endlich gab es eine der Blitzbeschwörung entsprechende Kunst der
Wolken- und Regenbeschwörung, welche man aquilicium nannte
und gleichfalls vorzüglich den Etruskern verdankte. Sie wurde bei
grofser Dürre angewendet, wo das römische Volk, Männer und
Frauen, auch wohl mit bloßen Füfsen auf das Capitol zu eilen und
die Beschwörung durch brünstige Gebete zum Jupiter zu unter-
stützen pflegte 2 ).
Als Regengott war Jupiter zugleich der Befruchtende, der
Nährende, in welcher Eigenschaft er besonders auf dem Laude viel
verehrt wurde. So pflegte ihm der Landmann vor der Aussaat im
Herbste oder im Frühjahre ein Mahl (daps) zu bereiten und dazu
Wein zu spenden und zu dem Jupiter dapilis um Regen für seine
Felder und sein Ackervieh zu beten 8 ) und auch vor der Erndte
wurde zu ihm und der Juno gebetet, ehe der Ceres die her-
kömmliche porca praecidanea geschlachtet wurde (Cato d. r. r. 134.)
Eben deshalb nannte man ihn almus und frugifer und Ruminus
d. i. der Alles wie an seiner Brust (ruma) Nährende, auch Pecunia,
welches Wort sich gewifs auf den Segen des Viehstandes bezog 4 ).
Dahingegen der Beiname Pistor, auf welchem Jupiter auf dem
Capitol« verehrt wurde, doch wohl besser durch „Zerschmetterer,
Blitzschleuderer" übersetzt wird, obwohl man später aus Misverstand
des Wortes pistor an Gebäck und die gallische Noth zu denken
pflegte; Jupiter habe damals den Belagerten die List in die Hand
gegeben, dem Feinde wie im Ueberflusse Brod ins Lager zu werfen 5 ).
>) Fest. p. 178, PJin. H. N. II, 145. Vgl. Serv. V. A. II, 649 und den
F«U bei Ammian. Marc. XXIII, 5, 13. Ein Q. Fabius Eburnens, welchen ein
Blitz am After getroffen hatte, bekam darüber den Spitznamen Pallos Iovis,
Fest. p. 245.
*) Tertullian Apolog. 40, vgl. Petron Sat. 44 und die ähnlichen Gebräuche
bei Grimm D. M. 159. Etwas Anderes ist der Tuscus aquilex bei Varro Non.
Marc. p. 69, s. 0. Müller Etr. 2, 340 [2», 318].
8 ) Cato r. r. 50. 131. 132, Paul. p. 68 daps apud antiquos dicebatur
res divina qttae fiebat aut hibema sementi aut verna. Vgl. Grimm D. M«
1165 ff.
4 ) Almus und Ruminus heifst er bei Augustin C. D. VII, 11 quod aleret
omnia, quod ruma i. e. mamma aleret omnia. Ib. VII, 12 et Pecunia voca-
tur, quod eius sint omnia.
*) Ovid F. VI, 343 ff., Laclant. I, 20, 33. [Dafs die ara Iovis pistoris auf
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IIJPITER.
195
Wohl aber gehört hierher der in Italien weit und breit verehrte
Iupiter Liber, ein um so mehr bemerkens werther Cultus, da er
wesentlich und eigenthümlich italisch ist, denn die Griechen haben
für diese Thätigkeit einen eignen Gott, den Sohn ihres Zeus,
Dionysos angenommen. Wir kennen diesen Jupiter Liber durch 174
Inschriften aus Capua (Mommsen I. N. n. 3568) und aus dem
Gebiete von Furfo im Lande der Vestiner (Or. n. 2488, Mommsen
I. N. n. 6011 [cbb C. I. L. 1, 603]), ferner durch ein Gewicht
in der Form eines alterthümlichen Jupiterkopfes mit oskischer
Inschrift (Mommsen Unterital. Dial. S. 170 t. VII [= Zvvetaj. I.
ose. n. 3]), endlich eine Inschrift aus Amiternum, der alten Haupt-
stadt der Sabiner, welche in ihrem Stammvater Sabus oder Sabinus
den ersten Winzer verehrten (Mommsen I. N. n. 5760). Dazu
kommt ein durch verschiedene Inschriften bekannter Iupiter Libertas,
welcher namentlich in Latium und Rom verehrt wurde, s. Or. n.
1249 und die Inschrift aus Tusculum n. 1282 [= C. I. L. 1,
1124], ferner gab es in Rom auf dem Aventin drei Tempel der
Minerva, der Juno Regina und des Jovis Libertas, ein Neubau des
Augustus nach dem Monumentum Ancyranum, dessen griechischer
Text ungenau Zevq * EXevO-iqioq übersetzt 1 ). Diese Namen Liber
und Libertas können nichts wesentlich Anderes bedeuten als bei
dem Capitol gestanden, ist nicht bezeugt und folgt nicht nothwendig aus Ovid.]
Man gefiel sich sehr die Noth der damaligen Belagerung auszumalen und bezog
darauf auch einen Altar des Iup. Soter auf dem Capitol, s. Serv. V. A. VIII,
651. Doch gab es bis zu dem Kriege mit Perseus keine pistores in Rom,
auch bedeutet pinsere überhaupt tundere, molerc, frangere, s. Plin. H. N. XVIII,
107, Varro b. Non. Marc. p. 152.
») [Mon. Anc. 4, 55. vgl. Jordan Eph. epigr. 1, 236 f.: Iuppiter liber ist die
altere Bezeichnung, die Beziehung dieses Kults auf den Weinbau nicht sicher.
Reifferscheid Annali dell' inst. 1866, 216 vergleicht Iuppiter Iuventus (unten
S. 233, nicht stadtrömisch), Clitumnus, Terminus (beide sebr zweifelhaft:
S. 519, 228), ruminus (oben S. 173, der vielmehr zu den S. 197, 2 (3. A.)
erwähnten dapalis u. s. w. zu stellen ist), und glaubt einen Iuppiter Silvanus
aus den Typen der Bildwerke erschliefsen zu können. — Zu /. Iuventus dürften
eher /. Fulgur, I. Lapis zu stellen sein: immer bleiben diese Umformungen
sporadische Erscheinungen, die neben den Diflereaziruugeo des grofsen Gottes
durch Beiwörter eine untergeordnete Rolle spielen. Ob Kunstdarstellungen,
wie der Juppitcr mit den vereinigten Attributen des Juppiter und Neptun
(höchster Beherrscher von Land und Meer?) noch hierhergehören ist zweifel-
haft: so auf einer tegula manunata von Urbisaglia mit der Inschr. Iove iutor
Bull, dell' inst. 1879, 44, vgl. 1861, 86.]
13*
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DRITTER ARSCHMTT.
der Benennung des Liber Pater und der Libera, also Fülle und
üppigen Segen und die damit verbundene Stimmung ausgelassener
Lust, wie sie ein reicher Erndtesegen vollends der Weinberge von
selbst mit sich bringt. Auch wissen wir dafs in Latium der
Weinbau und die Weinlese vorzugsweise unter den Schutz des
Jupiter und der Venus gestellt war, welche letztere der Libera ent-
spricht. So waren die ländlichen Vinalien, welche schon am
19. August gefeiert wurden und unter der Betheiligung der Priester
das Signal zur Weinlese im September und October gaben, diesen
beiden Göttern geweiht, s. Varro L 1. VI, 20, Paul, und Fest,
p. 264, 265 Rustica Vinalia. Namentlich wurde dann vom Flamen
Dialis, also dem Jupiterpriester, die Weihe der Weinlese in der
Weise vorgenommen, dafs er zuerst einige Trauben abschnitt und
dabei zur Weinlese feierlich aufrief, darauf dem Jupiter ein Lamm
zum Opfer schlachtete und, während man mit der Zubereitung
desselben beschäftigt war, abermals mit seiner auspicirenden Wein-
lese fortfuhr Darum war in den Weinpflanzungen der Tusculaner
das ausdrückliche Verbot angeschlagen, man solle keinen neuen
Wein in die Stadt fahren, ehe die Vinalien ausgerufen wären 8 ), wie
') Varro 1. 1. VI, 16 Vinalia a vino. Hic dies Iovis, non Veneria.
Huius rei cura non levis in Lotio, nam aliquot locis vindemiae primum ab
sacerdotibus publice fiebant, ut Romae etiam nunc. Nam flamen Dialis auspi-
catur vindemiam (dieses auspicari ist immer zugleich ein inchoare der eiozu-
weihenden Handlung, s. oben S. 180) et ut iussit vinum legere (dieses ist das
kalare des Anschlags in hortis Tusculauis) agna lovi fadt y inter quoius exta
caesa et porrecla flamen prorsus (codd. porus, primus Müller) vinum legit.
Müller hat diese Stelle nicht richtig verstanden. [Vgl. Mommsen im C. I. L.
1, 392. 399.]
a ) Ib. In Tusculanis ortis est scriptum: Vinum novurn ne vehatur
in urbem ante quam Vinalia kalentur, Paul p. 264 Rustica Vinalia
XIV Kai. Sept. celebrabant, quo die primum vitta in nrbem deferebant. Für
ortis haben die Ausgaben sacris, doch hat der cod. Flor, sortis und es
ist kein Grund zu ändern, vgl. Varro 1. 1. VI, 20 Vinalia Rustica dicuntur
a. d. XIV Rai. Sept. quod tum Veneri dedicata aedes et orti ei deae dicantur.
Hortus ist in der älteren und ländlichen Sprache jeder eingehegte Platz, so-
wohl eine Pflanzung als der ganze bäuerliche Hof, also auch eine Weinpflan-
zung. Vgl. Mommsen Unterital. Dial. S. 131. [Auch Mommsen C. I. L. 1 p. 392
schreibt hortis: aber scriptum est in hortis kann nicht gebraucht sein wie
z. R. in muris; aufserdem ist unzweifelhaft von heiligen Vorschriften die Rede,
wie es sacra Argeorum, sacra Tiburtia sind (Varro 6, 50. 52. Servius Fuld.
Arn. 1, 17): also von Büchern. Daher sacris für sortis richtig verbessert ist.
Vgl. Jordan Top. 2, 240, Hermes 8, 220.]
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IUPITER.
197
denn auch eben dieses Hineinschaffen des ersten heurigen Weins
in die Stadt mit besondern Feierlichkeiten verbunden gewesen zu
sein scheint. Auch die Meditrinalia am 11. Octbr. waren nach dem
Kalender von Araiternum mit einer religiösen Feier des Jupiter
verbunden. Wie bei der Feier der Dea Dia im Mai, welche hin-
sichtlich der Feldfrüchte dem Feste der ländlichen Vinalien und
jenen Cerimonien des Flamen Dialis entsprach, die Arvalbrüder
zugleich von den frischen Früchten des neuen Jahres und von denen
des vergangenen Jahres genossen, so kostete man an diesem Feste
zugleich den heurigen und den alten Wein und sprach dazu die
Worte, indem man sich der heilenden Kraft des Weins erfreute
(Meditrinalia a medendo): Neuen Wein, alten Wein trinke ich, mit
neuem Weine, altem Weine heil' ich mich 1 ). Auch im nächsten
Frühjahre, wo man am 23. April wieder Vinalia feierte, auch diese
dem Jupiter und der Venus, gedachte man, ehe der junge Wein
angezapft wurde, zuerst des Jupiters mit einer Spende, welche man
nach dem dabei gebrauchten Gefafse calpar nannte, s. Paul p. 46
und 65, Ovid Fast. IV, 863 IT., Kai. Maff. Praen.
Unter den Eigenschaften, welche den Jupiter mit den Menschen
und dem Nationalleben verbanden 9 ), sei zuerst seiner kriegerischen
gedacht, welche in der älteren Zeit sogar am meisten hervortraten,
so dafs Jupiter in ganz Italien neben Mars als der eigentliche Ent-
scheider der Schlachten und der Gott des Sieges verehrt wurde.
Diese Eigenschaften, die des Stator und Feretrius, werden auch in
der römischen Geschichte zuerst genannt und Augustin C. D. VII,
1 1 hat, vermuthlich aus Varro und alten Gebeten, eine ganze Reihe
alter Cultusnamen erhalten, welche Jupiter als den Gott der m
Schlachten nach Art der Indigi tarnen ta in verschiedenen Acten des
Kampfes schildern: Dixerunt eum Victorem, Invictum, Opitulum,
Impulsorem, Statorem, Centumpedam, Supinalem, wo Centumpeda
») Novum vetus vinutn bibo, novo veteri vino morbo medeor. Varro 1. 1.
VI, 21. [Wo aber nothwendig im zweiten Gliede vino zu streichen ist. S. Jor-
dan Krit. Beitr. 182.]
2 ) [Die zahlreichen Beinamen des Juppiter, über welche schon die Alten
scherzten (trecenti Ioves Varro, oben S. 51, vgl. die Fictionen bei Flaut us Pcrsa
251 f. Iovi o pulen to, incluto, Ope gnato, supremo, viripotenti, Amph. 740 pro-
digiab's, Pseud. 335 lenonius) bezeugen seine Theilnahme an den einzelnen
Acten des menschlichen Lebens, z. B. dapalis, farreus, epulo, ruminus. Doch
bedarf dieser Gegenstand noch einer umfassenden und von andern Gesichts-
punkten ausgehenden Untersuchung.]
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198
DRITTES ABSCHNITT.
der wie auf hundert Föfsen Stehende ist, eine so feste Stütze bot
er den Seinigen, Supinalis der die Feinde rückwärts Hinstreckende 1 ).
Als Stator ist Jupiter zugleich Versor der Feinde {tQOTtaXoc), unter
welchem Beinamen ihm in einer oskischen Inschrift bei Mommsen
Unterial. Dial. S. 191 ein Stier geweiht wird. Endlich ist er auch
Praedator, als welchen er einen eignen Cultus in Horn hatte, in
welchem Stücke der Beute geweiht wurden, Serv. V. A. III, 222.
Die wichtigsten Culte dieses kriegerischen Jupiter sind aber doch
die des Stator, des Feretrius und des Victor. Als Stator hatte
ihm Homulus den Tempel am Aufgange der Via Sacra auf den
Palatin gewidmet, wo die Römer sich von neuem zum Kampfe
mit den Sabinern gesammelt hatten. Später gelobte der Consul
M. Atilius Regulus in einer heifsen Schlacht mit den Samnitern
im J. 460 d. St., 294 v. Chr. einen zweiten Tempel, welcher
wahrscheinlich in der Gegend des Circus Flaminius erbaut wurde.
Auch war derselbe Cultus sonst in Italien und in den romanisirten
Gegenden verbreitet 2 ). Jupiter Victor, der höchste Gott des Siegs,
scheint seinen ersten Tempel in Rom durch den berühmten Sieger
der Samniterkriege Q. Fabius Maximus Rullianus auf Veranlassung
einer Schlacht vom J. 457 d. St., 297 v. Chr. erhalten zu haben 3 ).
Später gab es mehr als einen Tempel desselben, einen dessen De-
dications- und Festtag auf die Iden des April fiel (Ovid F. IV, 621)
und einen andern welcher an den Iden des Juni dem lupiter Invictus
gestiftet war (Ovid F. VI, 644, Kai. Venus, [vgl. dazu Mommsens
') Quod haberet impellendi , statuendi, resupinandi potestatem, setzt
Augustin hinzu. Mit Furcht erfüllte Jupiter auch die Plebs auf dem Möns
sacer, daher sie sich zur Rückkehr Dach Rom eotschlofs und jenen Hügel unter
einem entsprechenden Beinamen dem Jupiter weihte, s. Paul. p. 319, Dionys.
VI, 90.
*) Liv. X, 36. [Der Unterbau möglicherweise noch erhalten, vgl. z. B.
Lanciani-Visconti Guida del Palatino S. 24.] — Varro b. Macrob. Dl, 4, 2 [in
circo Fi, Fast. Urb. d. inc. ad circum Fi, CLL.1 p. 330. 410], Becker
Handb. 1, 60S. Ein signum lovis Statoris bei Arretium erwähnt Cic. de Divin.
I, 35, 77. Iup. Stator in Alba Fucentia b. Mommsen I. N. n. 5628—5633; iu
Rom: Or. n. 1263 [—CLL. 6, 435]; sonst: Or. He. 1264. 5644 [= C. I. L.
3, 1087 u. 5937; dazu 1089], eine Inschrift aus Thagaste: Iovi Opt. Max.
Statori et Iun. Aug. Reg. b. Renier Inscr. de l'Algerie 1 n. 2898. [Auch Stator
item Conservator C. I. L. 6, 434 oder üem depulsor 3, 895.]
8 ) Liv. X, 29. Wenige Jahre darauf, nach dem glorreichen Siege des
L. Papirius Cursor bei Aquilonia im J. 461 (293) ist wieder von diesem Jup.
Victor die Rede, Liv. X, 42.
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UNTER.
109
Bemerkung C. I. L. 1 p. 395.] Einer von diesen Tempeln lag nt
auf oder an dem Palatin, vermuthlich in der Nähe des Iup. Stator 1 ),
ein andrer auf dem Capitol, wo dieser Jupiter des Siegs wenigstens
in späterer Zeit einen eigenen Tempel hatte, in welchem er in der
Umgehung von Viclorien thronte , einen Eichenkranz auf dem Haupte,
eine Victoria auf der Rechten 3 ) Endlich das Heiligthum des Ju-
piter Ferch' ins war bekanntlich das älteste Capitolinische und
eins der ältesten auf römischem Grund und Boden überhaupt. Der
Sage nach wurde es von Romulus gestiftet, als er gleich nach dem
Raube der Sabinerinnen im Kampfe mit den Latinern oder Sabinem
von Caenina deren König Acron, einen Sohn des Hercules, erschlagen
und die nahe bei Rom gelegene Stadt erobert hatte. Bei der Rück-
kehr mit dem siegreichen Heere habe er selbst die Spolien des
feindlichen Königs auf dem dazu bereiteten Gestell (feretrum) ge-
tragen, sei mit denselben triumphirend aufs Capitol gestiegen und
habe sie dort unter einer heiligen Eiche niedergelegt (S. 109). Bei
dieser Eiche soll Romulus jenes Heiligthum des Iup. Feretrius ge-
gründet haben, welcher nach seinem Vorgange speciell der Sieges-
gott der Spolia opima war d. h. solcher Spolien, welche wie
damals von einem Anführer des römischen Heeres einem feindlichen
Könige oder Heerführer im Zweikampfe abgenommen wurden (Liv.
I, 10). Der Name Feretrius ist von feretrum abzuleiten, das ist
*) Cic. de Leg. II, 11, 28 cognomina Statores et Invieti Iovis. Vergl.
Becker Handb. 1, 422. [Doch berechtigt weder Cic. a. 0. noch die Not. Reg.
X die Nachbarschaft beider Tempel anzunehmen. Aach die Ideotificirung mit
eioer dem Circas zugewandten Ruine ist unsicher. Lanciani Guida del Pala-
tino 130.]
') Er wird bald nach dem Tode Casars und seitdem wiederholt erwähnt.
Dio Cass. XLV, 17, wo der Blitz einschlägt Ic rov vttbv rov roT /Iii' rcf
Kanirtokitp h r<p Nixalqi ovra. XLVII, 40 ig rov rov Nixalov Aibg ß(ouov.
LX, 35 »/ avTOfjatog rov vaov rov Jibg rov Nixaiov avotg'tg. Also ein eigner
T. des lup. Victor, einer von den vielen, die den größeren Tempel des Capi-
tolinischen Jupiter umgaben. Das Bild vergegenwärtigt eine Inschrift aus
Cirta bei L. Renier Inscr. de l'AIg. 1 n. 1890 in einem Verzeichnis von Tempel-
schätzen: Iovis Victor argenteus in Kapitolio habens in capite coronmn ergen-
team querqueam folior. XXP, in qua glandes n. Xy, ferens in manu dextra
orbem argenteum et Victor iam palmam ferentem . . . XX et coronam folior.
XXXX , sinistra hastam arg. tenens. Ohne Zweifel nach einem Vorbilde
des römischen Capitols. [Vgl. die Widmung [Di]ovei Victore vom Quirinal
C. I. L. 1, 638 und die von Quintil. I, 4, 17 erwähnte Diove Victore, unten
S. 235.]
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200
DRITTER ABSCHNITT.
jenes aus Baumstämmen gezimmerte Gestell, auf welchem die
Spolien d. h. die dem Feinde abgenommenen Stücke der Rüstung
getragen und aufgestellt zu werden pflegten *). Numas Gesetz be-
stätigte die Stiftung (Fest. p. 189) und Ancus Marcius soll den
178 Tempel erweitert haben (Liv. I, 33), welcher in der Nähe des
grofsen Capitolinischen Tempels gelegen zu haben scheint. Nur
zwei Romer waren so glücklich zu jenen Spolien des Romulus neue
hinzuzufügen: A. Cornelius Cossus, welcher als Führer der römi-
schen Reiterei im J. 317 d. St., 437 v. Chr. dem Vejenterkönige
Tolumnius, dem Führer der feindlichen Reiterei, in einer Schlacht
vor den Mauern Fidenäs die Rüstung abgewann, welche er neben
jener des Acron von Caenina mit dem üblichen Dedicationstitel auf-
stellte (Liv. IV, 20), und M. Marcellus, nachdem er als Consul im
J. 532 d. St., 222 v. Chr. den celtischen König und Führer der
insubrischen Gallier Viridomar während einer Schlacht am Po in
ritterlichem Zweikampfe bezwungen hatte (Liv. Epit. XX, Plut.
Marc. 7 u. A.). Andre, wie T. Manlius Torquatus, Valerius Corvinus,
Scipio Aemilianus, hatten zwar auch mit gleicher Tapferkeit feind-
liche Heerführer im Zweikampfe getödtet, aber sie mufsten auf die
gleiche Ehre verzichten, weil sie nicht unter eigner, sondern unter
eines Andern Anführung diese That gethan hatten 2 ). Der alte, ge-
wöhnlich verschlossene Tempel war mit der Zeit so verfallen, dafs
Augustus ihn wiederherstellen mufte. Eine Vorstellung von seiner
Gestalt giebt der kleine Rundtempel des Mars Ultor, welchen der-
selbe Augustus bald darauf für die von den Parthern ausgelieferten
Adler des Crassus als Gegenstück erbauen liefs, wie uns die Münzen
der Zeit denselben vergegenwärtigen 3 ).
Nächst dem wurde die sittliche Idee des Rechtes und der
Treue früh und mächtig angeregt durch den mit dem Institute
der Fetialen innig verwachsenen Cult des Diespiter und den der
Fides, des Dius Fidius, des Terminus und andre alterthümliche
Traditionen, auf die ich zurückkommen werde. In Rom scheint
die Regia und die Capitolinische Arx durch T. Tatius und Numa
*) Virg. Aen. XI, 83 Indutosque iubet truncos hostüibus armis fptos ferre
duces inimicaque nomina figi,
*) Valer. Max. III, 2, 6, vgl. Hertzberg io Schneidewins Philol. I p. 331
—339. [Marquardt Staatsverw. 2, 560.]
') Dio Cass. LIV, 8, vgl. Piuder in den Abh. der philol. Iiistor. Kl. d.
Berl. Akad. 1855 S. 612 and t. IV, 3. [Vgl. Jordan Hermes 7, 206.]
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Il'PITER.
201
ganz vorzugsweise dem Culte dieses alten Vaters des himmlischen
Lichtes und der himmlischen Erscheinungen geweiht worden zu
sein, worauf die an beiden Punkten an den Kaienden, Nonen und
Idus gebrachten Opfer deuten, namentlich die letzteren, welche
dem Jupiter der Idus galten. Leider erfahren wir nur wenig von
diesen Sacra Idulia, doch wissen wir dafs sie aus dem Opfer eines
ausgewachsenen weifsen Lammes bestanden, welches der Flamen iro
Dialis dem Jupiter darbrachte, und zwar so dafs zugleich gewisse
sühnende und weihende Umzüge auf der daher Sacra Via genannten
Strafse von der Regia bis zur Arx stattfanden 1 ). Ein andres Merk-
mal aber des Begriffs von höchster Reinheit und Heiligkeit,
welchen Numa mit dem Namen des Jupiter, dem er selbst als
Priester diente (S. 20, 1), verbunden hat, sind die in dieser Hin-
sicht fiochst merkwürdigen Vorschriften für das persönliche Ver-
halten des Flamen Dialis und seiner Gemahlin, der Flaminica, welche
vermöge derselben gewissermafsen wie lebende Bilder jener Götter
des Lichtes, denen sie dienten, vor dem Volke wandeln sollten.
Der Wiederherstellung jener priesterlichen Würde durch August
(S. 27) verdanken wir wohl die ausführlichen Nachrichten 2 ), wobei
allerdings zu bedenken bleibt, dafs die alten Bestimmungen des
Numa in manchen Punkten durch spätere Zusätze erweitert oder
verändert wurden. Dem Range nach war er unter allen Flamines
der höchste und angesehendsle; so war auch seine Kleidung, seine
Gewöhnung, sein Auftreten im Publicum ein sehr würdiges und
feierliches. Nur durfte er allein unter allen Priestern, obgleich der
Senat für ihn immer offen stand, kein weltliches Amt bekleiden
noch sich um ein solches bewerben, eine Bestimmung, welche
*) Paul p. 104 Idulis ovis dicebatur quae omnibus Idibus Iovi macta-
batur. Fest. p. 290 Sacram Viam, — quod eo itinere uiantur sacerdotes
idulium sacrorum conficiendorum causa. Itaque ne eatenus quidem,
ut vulgus opinatur, sacra appellanda est, a Regia ad domum Regis Saerißculi,
sed etiam a Regis domo ad sacellum Streniae et rursus a Regia usque in
Arcem. Varro J. 1. V, 47 qua sacra quotquot mensibus ferentur in
Arcem. Vgl. Macrob. I, 15, 16, Ovid F. I, 55 uud 587.
2 ) Besonders bei Gellins N. A. X, 15, welcher seine Mittheilungen mit
den Worten beginnt: Cerimoniae impositae flamini Diali multae, item castus
multiplicesy quos in tibris qui de sacerdotibus publicis composüi sunt, item in
Fabii Pictoris librorum primo scriptos legimus. Anderes ist durch Festus
uud Paulus, Servius zum Virgil und Plutarch erhalten. Vgl. Marquardt Handb.
d. R. A. IV, 271. [Staatsverw. 3, 315 f.]
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202
MUTTER ABSCHNITT
ursprünglich gleichfalls seine speciüsch geistliche Dignität ausdrücken
sollte, bei den nachmals vorherrschend weltlichen Interessen aber
freilich von den Patriciern, die zu deu Stellen der drei Hammes
raaiores allein wählbar blieben, sehr schwer empfunden wurde.
Ferner durfte der Flamen Dialis allein nie ein Pferd besteigen,
keine bewaffnete Mannschaft aufserhalb des geweihten Pomeriums
180 sehen, wie die Vestalinnen nie einen Eid schwören 1 ), keinen ge-
schlossenen Ring an seiner Hand, keinen Knoten an seinem Apex
oder seiner Gürtung oder sonst an seinem Leibe 2 ), sondern nur
Spangen an seiner Kleidung haben. Sein Haar und Bart durfte
nur von einem freien Manne und mit einem ehernen Messer ge-
schoren werden; die Abschnitte seiner Nägel und seiner Haare
mufsten unter einem fruchttragenden Baume eingescharrt werden.
Eine Ziege, einen Hund und rohes Fleisch, den umstrickenden
Epheu und die den Todten geweihte Bohne durfte er nicht an-
rühren, ja nicht einmal nennen, auch einen in der Gährung be-
griffenen Teig nicht berühren und unter geile und verstrickte Schöfs-
linge eines Weinstocks oder eine von solchen Schöfslingen gebildete
Laube nicht treten. Die Füfse seines Bettes mufsten mit einem
leichten Anstrich von Lehm versehen sein, auch durfte er nicht
drei Nächte hinter einander aufserhalb dieses Bettes zubringen,
noch durfte ein Andrer in demselben schlafen 8 ); am Fufsende des
M Gellius 1. c. lurare Dialem fas nunquam est. Daher weiterhin die
Worte aus dem Edict. Perpet. des Praetor«: Sacerdotem Festalem et Fla-
min ein Dialem in omni sua iurisdictione iurare non cogam. Der Grand ist
auch hier die besondre Heiligung und Reinheit der Person. Ein blofses Ja
sollte genügen.
a ) Gellius 1. c. Annulo uti nisi pernio cassoque fas non est. — Nodttm in
apice neque in cinctu neque alia in parte ullam habet. Es sollte nichts Bin-
dendes, nichts Fesselndes an diesem geweihten Leibe sein. Denn auch der
geschlossene Ring ist eine Art von Fessel, wie in der Mythe vom Prometheus.
Der apex ist eigentlich das Reis vom Oelbaumc auf dem galerus, dann der
geweihte Hut. Es wurde gewöhnlich mit geweihten wollenen Fäden befestigt,
auf dem Hute des Dialis also ohne Knoten. [Vgl. Hehn Kulturpflanzen 6 99,
Heibig Sitzungsber. d. k. Bair. Ak. d. Wiss. Phil. Hist. Cl. 1880, 487 ff.] Der
galerus selbst war ein albogalerus d.h. genommen von einer hostia alba
Iovi caesa, Paul. p. 10. Auch darin ist die Symbolik des Lichtes durchgeführt.
s ) Er durfte nach der altern Bestimmung keine Nacht aufserhalb der Stadt
zubringen, auch nach Augusts Bestimmung nicht mehr als zwei Nächte und nur
zweimal in demselben Jahre und mit Erlaubnis des Pont. Max. abwesend sein,
s. Liv. V, 52, 13, Tacit. Ann. III, 71.
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IUPITER.
203
Bettes aber mufste immer eine Lade mit den gewöhnlichen Opfer-
gaben (Capsula cum strue atque ferto) zur Hand sein. Niemals
durfte er unter freiem Himmel ohne seinen Apex sein; dafs er ihn
zu Hause abnehmen durfte, war erst später durch einen eignen
Beschlufs der Ponlifices erlaubt worden , welcher auch sonst Manches
milderte; noch L. Com. Merula hatte, als er in dem blutigen Jahre
des Marius und Cinna (87 v. Chr.) seiner Ermordung durch Selbst-
mord zuvorkam, eine eigne Urkunde darüber hinterlassen, dafs er
seinen Apex bevor er sich die Adern geöffnet abgenommen habe.
Ferner durfte der Dialis sich nie unter freiem Himmel entkleiden,
damit Jupiter nicht den ihm geweihten Priester entblöfst sähe i»i
Jeder Tag war für ihn ein Feiertag. Niemals durfte Feuer aus
seinem Hause genommen werden, es sei denn dafs es zu einer
heiligen Handlung dienen sollte. Er und sein Haus waren eine Zu-
flucht der Gefesselten und zur Hinrichtung Geführten. Gelang es
einem solchen dem Dialis zu Füfsen zu fallen, so durfte die Hin-
richtung an dem Tage nicht vorgenommen werden und Gefesselte
wurden, wenn sie in sein Haus traten, alsbald gelöst, ihre Fesseln
aber durch den innern Hof des Hauses auf das Dach und von dort
auf die Strafse geschafft. Heirathen durfte er nur einmal und
unter den alten religiösen Formen der confarreatio. Eine Schei-
dung der Ehe war für ihn nur durch den Tod möglich; aber starb
die Frau vor ihm, so mufste er sein priesterliches Amt aufgeben.
Einen Ort, wo sich ein Grab befand, durfte er nicht betreten, einen
Todten nicht anrühren, einem Leichenbegängnisse zwar beiwohnen,
aber die klagenden Weisen der dabei gebräuchlichen Flöten nicht
hören. Dazu kamen noch höchst rigorose Vorschriften hinsichtlich
seiner priesterlichen Functionen 2 ), bei denen er entweder durch
seine eignen Söhne oder durch Opferknaben von edler Geburt,
denen Vater und Mutter noch lebten unterstützt wurde 3 ). Seine
Frau, die Flaminica Dialis, war zugleich eine priesterliche Dienerin
l ) Gellius 1. c. tun kam intimam nisi in locis tectis non exuit, ne sub caelo
tanquam sub oculis Iovis nudus sit. Vgl. Plut. Qu. Ro. 40.
') VtL Max. I, 1, 4 Consimili ratione P. Cloelius Siculus, M. Cornelius
CetkeguSy C. Claudius propter exla parurn curiose admota deorum immorta-
lium aris variis temporibus bellisque diversis ßaminio abire iussi sunt coactique
etiam. At Sulp k in inier sacrißcandum e eapite apex prolapsus eidem sacer-
dotium abstulü. Vgl. Liv. XXVI, 23, Plut. Marc. 5.
') Paul. p. 93 Flamioias camillus. Eine ähnliche Camilla ging der Flami-
nica zur Hand, s. ib. v. Flaminica.
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204
DRITTER ABSCHNITT
der Juno und das Modell einer römischen Matrone nach den Ge-
bräuchen und Sitten der alten Zeit. So durfte der Dialis nur eine
solche Toga tragen, welche seine Frau gewebt hatte l ), während sie
selbst das Haar nach alter Sitte in dem pyramidalen tutulus, aber
mit einem purpurnen wollenen Bande durchflochten trug. Aufser-
dem gehörte zu ihrer unterscheidenden Kleidung die sogenannte
rica, ein grofses Kopftuch von dunkelrother oder blauer Farbe,
welches von edlen und unverwaisten Jungfrauen aus frisch vom
Lamm genommener Wolle gewebt und gefärbt wurde. Bei jeder
182 heiligen Handlung trug sie auf dem Haupte ein sogenanntes arculum
oder inarculum d. h. den Zweig eines Granatbaums, welcher zu-
sammengebogen (arcuare) und an den Enden mit einem Faden von
weifser Wolle zusammengebunden war 8 ). Dabei durfte sie weder
Schuhe noch Sohlen von dem Leder eines gefallenen Vieh tragen
noch sich über die Knie aufgurten noch eine sogenannte griechische
Treppe höher als die ersten drei Stufen steigen. Andre Vorschriften
galten für gewisse heilige Gebräuche und Zeiten des Jahres, z. B.
dafs sie im März, solange die Ancilia umgingen, im Juni, solange
das Heiligthum der Vesta gereinigt wurde, weder ihr Haar machen
noch ihre Nägel schneiden noch ihren Mann berühren durfte , endlich
dafs sie auch beim Argeeropfer mit ungekämmtem Haar und ohne
gewöhnlichen Kopfputz erscheinen mufstc.
Als den Gott der innern Monatsabtheilung bewährt Jupiter sich
auch dadurch, dafs ihm an allen Nundinen von der Flaminica in
in der Regia ein Schaafbock geschlachtet wurde, worauf diejenigen
sich beriefen, welche diese Tage für alte Festtage gehalten wissen
wollten, während andre Alterthumsforscher und mit ihnen Varro
behaupteten, dafs eine religiöse Feier der Nundinen erst nach Ver-
treibung der Könige und zwar zuerst zum Andenken an den guten
l ) Es war eine toga praetexta aas schwerer Wolle, daher laena genannt.
Aach die Flaminica und überhaupt die Priester trugen Wolle.
*) Serv. V. A. IV, 137, Faul. p. 113 Inarculum [virgvla ex malo Ptuu'co
incurvata; Gell. a. 0. § 28: sureulum de arbori felici. Ueber das Alter der
Einführung des Granatbaums in Italien vgl. Hehn Kulturpflanzen 208 f.]. Offen-
bar ist der Zweig der Granate ein Sinnbild der Fruchtbarkeit, welche eben
so sehr zum Wesen der Juno als zu dem einer gaten Hausfrau gehörte.
Der geweihte Oelzweig auf dem Apex des Dialis und der andern Priester
ist analog aufzufassen, also etwa als Symbol des Segens und der Fracht-
barkeit.
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IUPITER.
203
König Servius Tullius aufgekommen sei 1 ). Gewifs ist dafs die neun-
tägige Woche in Rom und in Italien etwas Altes war, auch bei den
Etruskern, welche nono quoque die ihren König zu begrüfsen und
sich gemeinschaftlich zu berathen pflegten 8 ): ja diese Woche ist in
Italien und in der romanischen Welt bis zum Schlüsse des zweiten
Jahrhunderts die officielle geblieben, in den älteren römischen
Zeiten, wo die Bürger, namentlich die vermögenden Plebejer meist
auf dem Lande lebten, hatte diese Eintheilung zugleich die Bedeu-
tung, dafs man sieben Tage lang seines Geschäftes auf dem Lande
pflegte, am achten aber jedesmal einen Feiertag machte, um zur
Stadt und auf den Markt zu gehen und bei dieser Gelegenheit auch m
alle städtischen Geschäfte abzumachen ; daher bis zum J. 287 v. Chr.
keine Comitien an solchen Tagen gehalten werden durften 8 ).
Auf die Zeiten des Numa folgten die der Tarquinier und damit
ein neuer Aufschwung des Jupiterdienstes, sowohl des latinischen
als des römischen, freilich mehr ein politischer und in cultur-
geschichtlicher Hinsicht merkwürdiger, als religiöser, wie ich die neue
Enlwickelung dieser Zeit schon oben S. 142 ff. angedeutet habe.
So entstand der Cultus des Iupiter Optimus Maxim us auf dem
Capitol d. i. des idealen Staatsoberhauptes, welches im Sinne der
Zeit Rex genannt wurde, wie höchst wahrscheinlich auch der prä-
nestinische Iupiter Imperator, dessen Bild man später auf dem
rumischen Capitole sah, die Bedeutung eines solchen höchsten Staats-
oberhauptes hatte, in dessen Namen das wirkliche Staatsoberhaupt
oder die höchsten Magistrate handelten 4 ). In Rom ist die ganze An-
») Macrob. S. I, 16, 28 ff. Vgl. Niebuhr R. G. 2, 242 ff., Becker Handb.
II, 3, 61. [Mommsen rb'm. Chrono! 2. Aufl. 240 f.]
*) Macrob. I, 15, 13 vgl. Varro r. r. II praef., Dionys. II, 28, Orelli Inscr.
II p. 406 sq., Merkel Ovid Fast p. XXXI sq. [Mommsen Chron. 283 ff., Huschke
Jahr 288 ff.]. Von der Verbreitung und Einführung der siebentägigen Woche
im Occident s. Grimm D. M. 111.
*) [Ueber das vom Senat resp. den Kaisern in den von ihnen verwalteten
Provinzen verliehene ius nundinarum belehrt jetzt die Verleihungsurkunde an
eine Gemeinde der Provinz Africa v. J. 138 p. C. (G. Wilmanns Eph. epigr.
2, 271 ff.). Daher ein Iupiter 0. M. JNundinarius auf einer Inschrift aus
Siscia in Pannonien v. J. 238 C. I. L. 3, 3936].
*) Cic. de Rep. III, 13, 23 Sunt enim omnes qui in populum vitae necis-
que polestatem habent tyranni, sed se Iovis Optimi nomine malunt reges
vocari. Vgl. Casars Worte b. Dio Cass. XLIV, 11, als Antonius ihn zom
Könige machen will, ort Ztvs <uoVo? tuv 'Ptofiaitov ßadifavs ffij, worauf er
das Diadem auf dem Capitole niederlegen Hilst. Jupiter wird nur ausnahms-
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DRITTER ABSCHNITT.
läge und Ausfuhrung des Capitolinischen Jupiterdienstes ein redender
Beweis, dafs man bei diesem Jupiter vorzugsweise weltliche Macht
und Ehre, Triumph und Majestät vor Augen hatte, nicht mehr jene
superstitiöse, aber stille und andächtige und von einem tiefen reli-
giösen Gefühl durchdrungene Heiligkeit und Reinheit des alten Licht-
gottes. Und in diesem Sinne sind auch jene beiden Beinamen
Optimus und Maximus zu erklären, welche durch den Capitolinischen
Jupiter zu einem so wesentlichen Merkmal der höchsten Majestät
des römischen Namens wurden, dafs sie sich allmälich, je mehr
die Macht des römischen Staates sich ausbreitete, über das ganze
Reich ausgedehnt und wie ein römischer Grundton in die verschie-
densten ^Göttersysteme eingescldichen haben. [Zwar pflegte man
184 später gerne das Optimus von der [höchsten moralischen Güte zu
verstehen*, wie [Cicero J sagt, Jupiter werde zuerst Optimus, dann
Maximus genannt, weil Güte göttlicher sei als Macht 1 ). Aber ur-
sprünglich sollte Optimus gewifs nichts Anderes bedeuten als der an
Macht und Ehre Vorzüglichste, der Höchste unter allen Göttern 2 ),
weise Rex genannt, weil das Wort der Republik überhaupt fatal war, desto
häufiger Juno neben ihm Regina. Der Iup. Imperator von Praeneste (Liv.
VI, 29) ist zu verstehen wie Ennius Ann. 86 omnibus cura viris uter esset
induperator, nehmlich ob Romulus oder Remus. Auch der Iupiter Mains
der Tusculaner wurde erklärt a magnitudine et maiestate, Macrob. I, 12, 17.
Doch halte ich es für richtiger ihn mit der Maia zu verbinden. [Daher denn
volksthümlich der optimus maximus supremus (Plaut. Amph. 1128. Capt. 426.
768. 976), summus (As. 414, Cist. II, 1, 40, Most. 243, Pseud. 265. 327),
tnagnus (Aul. IV, 10, 46, Poen. V, 3, 44), supremus et maier familias Juno
(Amph. 832, vgl. Cas. III, 3, 14, Bacch. 218, Merc. 956).]
l ) Cic. N'. I). II, 25, 64 Iupiter i. e. iuvans pater (s. oben S. 186, 4) — a
maioribus nostris dicitur Optimus Maximus, et quidem ante optimus i. e. bette-
ficentissimus quam maximus, quia maius est cerieque gratius prodesse omni-
bus quam opes magnas habere. Die Pontifices beteten weislich: Iupiter Op-
time Maxime sive quo alio nomine te appellari volueris. Serv. V. A. II, 351
[oben S. 62, 1].
9 ) Das Wort hängt zusammen mit optare und ist wie optimas von dem
angesehensten Bürger zu verstehn , vgl. Mercklin die Cooptation d. R. S. 6.
Als höchster von allen Göttern wurde dieser Iupiter 0. M. oft einfach neben
den übrigen genannt, vgl. die alte Formel der Votivinschrift des Cincinnatus
b. Liv. VI, 29 luppiter atque divi omnes hoc dederunt und die Formeln loci
Optimo Maximo (oder Iovi 0. M. Iunoni Minervae) ceterisque diis deabusque
immortalibus [omnibus, oder ceterisque dis consentibus, et consessui deorutn
dearumque (oben S. 69), wofür jetzt das C. I. L. zahlreiche Beispiele bietet,
s. besonders 3 p. 1162, 5 p. 1179]. Vgl. Horat. Od. I, 12, 17 Lnde nil maius
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1UPITEH.
207
dahingegen Maximus speciell Majestät im politischen Sinne des
Wortes bedeutet, d. h. die Fülle von Macht und Hoheit, wie sie
sich unsichtbar in dem Capitoiinischen Jupiter als höchstem Ober-
haupte des römischen Staates darstellte, sichtbar in den Königen,
später im Römischen Volke und seinen höchsten Behörden 8 ), noch
später in den Kaisern. Daher die Dichtung bei Ovid Fast. V, dafs
zu Anfang der Dinge noch keine feste Ordnung gewesen sei, bis
Honor und Reverentia sich der Gewalt bemächtigt hätten. Von
diesen stamme die Maiestas, welche, umgeben von Pudor und Metus,
über alle Welt, alle Götter und Geister herrsche und neben dem
Jupiter thronend seine treueste Dienerin sei und es ihm möglich
mache ohne Gewalt zu regieren. Selbst die spätere Uebertragung
des Titels Optimus Maximus auf die Person des Kaisers 4 ) ist nur
insofern ein Frevel, als er dem höchsten Gotte entlehnt war. Seiner
ältesten und eigentlichen Bedeutung nach pafste er eben so gut auf
den Kaiser als auf den Jupiter.
Ehe ich diese neue Richtung der Tarquinier und ihre Folgen
für den römischen Jupitercultus weiter verfolge, genüge es das Bild
dieses Gottes, wie es sich mit der Zeit den Römern gestaltete, auch
von andern Seiten her abzurunden. So war Jupiter, wie er auf
dem Lande für Fruchtbarkeit und Wachsthum sorgte, auch in der
Stadt der Mehrer der Jugend, daher er selbst als Iuvenis, Iuventus iw
und Adultus und in seinem Tempel die Göttin Iuventas als eigne
Person ification verehrt wurde. Ferner wurde er auch in den Häusern
viel verehrt als deus penetralis, d. h. als höchster Glücks- und
Segensgott der Familie, wie der griechische Zsvg sqxsioSj und als
hospitalis d. h. als livioq, als Gott der Gastfreundschaft und ihrer
Rechte *). Endlich war er der allgemeine Gott der Hülfe, des Segens,
der gütige und gnädige Gott schlechthin, daher die später allgemeine
Erklärung des Jupiter durch Iuvans Pater. Auch in diesem Sinne
heifst er Opitulus und Opitulator d. i. opis lator (Paul. p. 184, oben
S. 197), auch Praestes d.h. der Gott der sichern Erfüllung 3 ), und
generativ ipso, Xec viget quidquam sitnile aut secundum: Proximos 0a
tarnen occupavit Pallas honores.
8 ) Vgl. Becker Haodb. II, 2 S. 09.
«) Zuerst beim Caligula, Mariui Atti p. 359.
>) Cic. de Fin. III, 20, 00, Paul. p. 101 Ilerceus Iuppiter intra comaeptttm
dorn as cuiusque colebatur, quem etiam deittn penetralem appellabant. Vgl.
deu lup. O. M. Douiesticus bei Or. n. 1230.
») Ein sacelluin lovis Praestitis bei lul. Capitol. Max. et Balbio 5. Vgl.
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208
DRITTER ABSCHNITT.
Obsequens d. h. der Gott aller gnädigen Erhörung und Hülfe 1 ).
Hatte ihm doch Hercules, selbst ein Glücksgenius, nachdem er seine
Rinder wiedergefunden, unter dem Aventin einen eignen Altar als
Patri Inventori gestiftet (Dionys I, 39). Andre Beinamen der Art
entsprechen schon meist dem griechischen Zevg ZoiiijQ und ^Xe-
lixctxos, dessen Cultus zu Rom in den späteren Zeiten grofsen
Anklang fand. So wurde Jupiter nun in öffentlichen und privaten
Angelegenheiten als Conservator 2 ) und als Custos verehrt, unter
welchem Namen üim Domitian einen prächtigen Tempel auf dem
Capitol stiftete, auch als Tutor und Tutator, oder auch als Vindex
und Ultor, wenn es Verbrechen zu bestrafen galt. Doch ist er
gewöhnlich Salutaris, ein Gott des Heils und der Erlösung von leib-
lichen und geistigen Uebeln, wie er namentlich in schweren und
186 bedrängten Zeiten angerufen wurde 8 ). Auch als Iup. Valens wurde
die Inschrift aus Tibur: Iovi Praettiti Hercules l'ictor, Or. o. 1253, Bullet.
Archeol. 1846 p. 91. [Die Soldateninscbrift C. I. L. 3, 4037 prestito Iovi
s{acrum) u. s. w. scheint den J. etwa nach dem Muster der Lares praestites
zu benennen.]
l ) Or. n. 1249, Henzen n. 5638. 5639. [Ganz unsicher das angebliche
tem(plum) Iovi* d(omesticit) Wilm. Ex. 2730. Uebrigens erscheint luppiter
unter den 'Penaten' des Hauses auch in Pompeji (Heibig Wandg. n. 60 ff.,
vgl. Jordan Annali 1872, 32 ff.) und fuhrt daher ganz mit Recht diesen Namen
wie auch andere Götter, inschriftlicb z. B. Mercurius, Silvanus, Silumius: Henzen
5695. 5746. 2046. Beispiele eines Hanscultus des J. geben die Inschriften,
viele, z. B. Iovi o. m. et di* penatibus Scaurianus (C. I. L. 3, 1081, auch der
Beamteneid per Iovem et deos penatet hängt damit zusammen) und 6, 424
Iovi optimo maximo Purpurioni, der, wie bekannt, nach einer der 3 Oedican-
tinnen, Licinia Purpuris benannt ist.]
a ) In Privatangelegenheiten als Bewahrer des Hauses und Hofes z. B. bei
Henzen z. Or. n. 5619 [= C. I. L. 5, 42, 41] Iovi 0. M. conservatori posses-
sionum Hotciorvm. [J. als conservator, d. h. Schutzherr einzelner Personen,
daneben oder verbunden mit depulsor (häutig custos), s. C. I. L. 2, 3, 5:
die Bedeutung des auch andern Göttern zukommenden Beiworts tritt deutlich
hervor in der I. Terrae matri — deae piae et conservatrici meae Bull, munic.
1, 24. — Ebenso Schutzherr des Staats: conservatori imperii C. I. L. 6,423.
Vgl. auch C. I. L. 6, 376 Iovi custodi et genio thesaurorum.] Iup. Tutator
wird auf Münzen und Inschriften wiederholt genannt [Or. 1273 = I. R. N. L.
1376, Eckhel D. N. VH1 p. 9]. Iup. Tutor in einer Inschrift aus Ostia bei
Henzen n. 5650. Iup. Vindex bei Tacit. Ann. XV, 74. Ultor bei Iul. Ca-
pitol. Pertin. 11.
8 ) Cic. de Fin. HI, 20, 66 Atque etiam Iovem cum Optimum et Maxi-
mum dicimus cumque eundem Salutarem, Hospitälern, Statorem , Aoc inteüigi
volumus, saht (ein hominum in eius esse tutela. Vgl. Or. n. 1260 Iovi Salutari
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IÜPITER.
209
dieser Gott neben andern Heilsgöttern gefeiert 1 ), desgleichen als
Liberator, unter welchem Namen er auf dem Aventin verehrt wurde 2 ).
Endlich gehört dahin der gleichfalls vorzugsweise in den sinkenden
Zeiten genannte lup. Depulsor, welcher bei drohenden Zeichen und
Prodigien angerufen wird, oder auch in Fällen von Noth und Krank-
heit für die bedrohte Person, namentlich des Kaisers 3 ), hin und
wieder aber auch als Schutzgeist einer bestimmten Stätte z. B. eines
Bades 4 ). Auch der lup. Propugnator in Palatio, welcher wiederholt
in Bruchstücken der Fasten eines priesterlichen Collegiums der
späteren Zeit erwähnt wird, hatte wohl nur die beschränktere
Bedeutung eines Schutzgeistes des kaiserlichen Palastes und
Hauses 5 ).
Unter den Stiftungen der Tarquinier mag zuerst von der
erneuerten Stiftung der latinischen Ferien, dann von der Grün-
dung des Capitolinischen Dienstes mit seinen weitern Folgen die
Rede sein.
Vlpianus gravi inßrmitate Uberatus, [C. I. L. 3, 6456 /. 0. M. Salutari et
Gertio dorn us eius L. Serenas Bassus — gravissima infirmilati (so) Uberatus v.
s. I. m.}. Treb. Poll. Gallien 5, nachdem das Keich von schwerem Unglück
heimgesucht worden: Pax igitur deum quaesita inspectis Sibyllae libris fac-
tum qua lovi Salutari ut praeceptum fuerat saerificium.
l ) fuschrift aus Lambaesc in Numidicn bei L. Renier Inscr. de l'Alg. 1
n. 2S lovi Volenti, Aesculapio et Saluti.
') Tacit. Ann. XV, 64; XVI, 35. In den sinkenden Zeiten wurde er im
Monate October durch Spiele gefeiert. Vgl. m. Kegionen d. St. Rom S. 192.
[C. I. L. 1 p. 404. Bei Tac. aa. 00. ist libare lovi l. vor dem Tode, wie Lipsius
erkannte, eine Anspielung auf das Speiden des letzten Bechers beim Mahl an
Zivs öbJTijo (vgl. Preller Gr. Myth. I, 121); möglich dafs dabei an luppiter
über, Libertas (s. oben) gedacht wurde; über den liberator des Philocalus ist
nichts bekannt. Gehört hierher der mehrmals (wohl nur in Spanien C. I. L. 2,
vgl. Eph. epigr. 3, 33 n. 4) vorkommende luppiter solutorius ?]
») Plant. Amphitr. II, 2, 107 (740) nennt ihn lup. Prodigialis, vgl.
Phlegon Trall. Mirab. 6, wo der Kaiser Claudius auf Veranlassung der Geburt
eines Hermaphroditen dem Z. l4Xt!jixaxog auf dem Capitole einen Altar stiftet,
und Or. n. 1230 [= C. I. L. 3, 3269] lovi Depulsori pro salutc Dom. V. hup.
M. Aur. Antonini. [u. Private pro salute sua, z. B. C. I. L. 3, 4034. 4111.
5494.]
4 ) Henzen n. 5621 lovi Depulsori., Genio Loci. Or. n. 1231 [= C. I. L. 3,
4796] lovi Depulsori et Nymphis. A. de Boissieu Inscr. de Lyon p. 3 n. 1
/. 0. M. Depulsori et diis dmbusque omnibus et Genio loci etc., in einem Bade
gefunden.
•) (Die Akten im C. I. L. 6, 2004—2009.]
Prell er, Rom. Mjthol. L 3. Aufl. 14
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210
DRITTER ABSCHNITT.
lupiter Latiaris 1 ) ist das höchste Oberhaupt des latinischen
Bundes in demselben Sinne wie der Capitolinische Jupiter das
höchste Oberhaupt des römischen Staates und Staatscultus sein
sollte. Mithin gehört seine volle Bedeutung dem höheren römischen
Allerlhum an, wo Rom noch als Glied und Hauptstadl des latini-
schen Bundes mit den übrigen Städten und Gemeinden desselben
zu demselben Jupiter betete, bis diese Städte von ihrem Haupte am
Tiberstrom immer abhängiger wurden und zuletzt, nach dem Kriege
187 vom J. 414 d. St., 340 v. Chr. sich zu gänzlicher Abhängigkeit be-
quemen mufsten. Ohne Zweifel war die Verehrung des Jupiter auf
dem schönen Berge über Alba Longa, dem sogenannten Möns
Albanus, eine sehr alte, und schon jener ältere Vorort mochte hier
die mit ihm verbündeten oder von ihm abhängigen Städte zur ge-
meinschaftlichen Festfeier versammelt haben"). Indessen verfiel diese
mit der Zerstörung von Alba Longa, bis die Tarquinier, deren Macht
sich vornehmlich auf dem Beistande der Dynasten von Latium stützte,
den Bund und das Biuidesfest wieder herstellten und zu ihren
Zwecken ausbeuteten, natürlich in der Form dafs Rom nun als das
Haupt des Bundes und der römische König als dessen oberster Vor-
stand anerkannt wurde. Den Tarquinius Superbus nennt Dionys
IV, 49 als Urheber dieser Erneuerung, aber derselbe Schriftsteller
berichtet VI, 95, dafs der erste und älteste Festtag nach einem Siege
über die Etrusker gestiftet worden sei, welcher kein andrer sein
kann als der von ihm selbst III, 57 ff. und Florus I, 5 erwähnte
») Cic. pr. Mil. 31, 85 latiaris sancte lupiter. Lucan Phars. I, 198 **
resident celsa Latialis Jupiter Alba. Die Schreibart schwankt, weil die
Aassprache zwischen 1 and r schwankte, wie Palilia and Parilia a. dgl. Doch
gilt Latiaris für die bessere, s. die Aasleger zu Saeton Caiig. 22 and za
Liv. XXI, 63, 8. [Latiaris (griech. uimtagtos, z. B. Dionys. IV, 49) hat die
gute hs. Ueberlieferang einstimmig, besonders der alte cod. Bob. des Lact.
Epit. 23, za hdioris verschrieben auch der Florentiner Varro L 1. 5, 52; inschr.
Zeugnisse aufser dem verstümmelten fovi Lotio[ri?] C. I. L. 6, 2022 scheinen
za fehlen.] Bei Henzea n. 7415 p. 499 (Pisaaram) findet sich lap. Lttius.
[Vgl. jetzt Mommsen R. Forsch. 2, 97 ff., Marquardt Staatsverw. 3, 284 ff.,
Robino Beitr. z. Vorg. IUliens 170 ff.].
*) Daher die Ueberlieferang dafs das Fest ex imperato Fanni (S. 104) oder
nach dem Verschwinden des Königs Latinas gestiftet wordeo, h. Fest. p. 194
Oscillantes and Schal. Bobiens. Cic. pr. Plaocio IX, 23 p. 255 Or., obwohl der
lopiter Latiaris in der Geschichte des Latinas anders za erklären sein möchte,
s. oben S. 96. Auch die Prodigieo auf dem Möns Albanas b. Liv. I, 31 deuten
auf sehr alten Gottesdienst.
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IUPITER.
211
cSieg des Tarquinius Priscus, welcher vermuthlich mit Hülfe der
Laliner gewonnen wurde. Ein zweiter Festtag soll nach der Ver-
treibung der Könige aus Rom hinzugefügt worden sein, welche in-
* .sofern die Latiner und die Römer gemeinschaftlich betraf, weil die
Tarquinier sich in den meisten Rundesstädten mit den edelsten
Familien verschwägert hatten (Liv. I, 49), so dafs die Reaction der
Aristokratie gegen die Dynastie der Tarquinier und ihren Anhang
sich in vielen Städten wiederholt haben mag. Im J. 260 d. St.
erfolgte die Auswanderung der römischen Plebs auf den heiligen
Rerg und die Herstellung der Eintracht nach Einsetzung des Volks-
tribunats, im J. 261 die Erneuerung des Ründnisses mit den Lati-
nern durch den Consul Sp. Cassius: bei welcher Gelegenheit zu den
latinischen Ferien ein dritter Festtag zur Erinnerung an die Aus-
söhnung Roms mit seiner Plebs hinzugefügt wurde, mit Dankopfern
und Spielen, welche die mit den Volkstribunen zugleich eingesetzten
Volksädilen zu besorgen hatten (Dionys VI, 95): so nahe schien
diese Aussöhnung das gesammte Latium anzugehn, welchem die
römische Plebs nach ihrer Abstammung bekanntlich zum gröfsten
Theile angehörte. Ja es soll noch im J. 387 d. St. (367 v. Chi*.), 188
als wieder einmal die Eintracht zwischen den Patriciern und Ple-
bejern hergestellt worden war, ein vierter Festtag zu den latinischen
Ferien hinzugefügt worden sein 1 ). Auch war der vorherrschende
Character des ganzen Festes der des Friedens und der allgemeinen
Refreund ung der sonst oft getrennten Latiner, daher während des
Festes die bestehenden Verträge von Jahr zu Jahr erneuert und
durch ein gemeinschaftliches Opfer und Opfermahl und Gebete der
verschiedenen Theilnehmer für einander aufs feierlichste bekräftigt
wurden 8 ). Selbst nach der Unterwerfung der Latiner im J. 340
v. Chr. wurde wenigstens das fortbestehende Ründnifs mit den
Laurentern jährlich gleich nach den latinischen Ferien erneuert
(Liv. VIII, 11), und immer galt es in Rom für sehr bedenküch in
dieser einst durch ganz Latium den Gefühlen des Friedens und der
Stammgenossenschafl geweihten Zeit einen Krieg zu beginnen oder
*) So berichten Dionys, a. a. 0. und Plutarcfa Camill. 42, doch liegt hier
wahrscheinlich eine Verwechslung mit den Römischen Spielen zu Grunde, s.
Mommsen Rö. Gesch. 1, 2. Aufl. 429 [doch s. deos. R. Forsch. 2, 107, Mar-
quardt a. 0. 285.]
*) Dionys. IV, 49, vgl. Macrob. I, 16, 17 Latinarutn tempore, quo publice
.quondam indutiae inter populum Romanum Latinotque firmatae sunt.
14*
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KRITTER ABSCHMTT.
eine Schlacht zu wagen (Macrob. I, 16, 16). Eine feste Zeit hatte
das Fest nicht, sondern es wurde in jedem Jahre von neuem con-
cipirt d. h. von den römischen Consuln gleich nachdem sie ihr Amt
angetreten hatten, auf einen bestimmten Tag angesetzt und durch •
ganz Latium angesagt. Dieses nannte man concipere Latiar oder
ferias Latinas, von welchen Ausdrücken jener wahrscheinlich speciell
das dem Iupiter Latiaris dargebrachte Opfer bezeichnete, dieser die
ganze Dauer des Festes und die beiden folgenden Tage, welche auch
für religiosi galten 1 ). Die Zeit scheint ehedem der Beginn des Früh-
lings gewesen zu sein, im April oder Anfang Mai 2 ), dahingegen es
in der späteren Zeit, aus welcher verschiedene auf dem Albaner
Berge gefundene Bruchstücke der auch hier geführten Fasten vor-
handen sind, vom Juni bis zum August begangen wurde. Eigentlich
189 sollten immer die Consuln das Opfer bringen und nicht eher als
nachdem sie diese religiöse Pflicht erfüllt in ihre Provinzen gehn,
duch linden sich Ausnahmen und namentlich wurde bisweilen eigens
zu dieser Handlung ein Dictator ernannt (dictator feriarum Latinarum
causa), während die Consuln, so lange sie wegen dieses Festes aufser-
halb der Stadt blieben, in derselben von einem dazu ernannten
Praefectus Urbis feriarum Latinarum vertreten wurden 3 ). Aufser
den Consuln waren auch die andern Magistrate zugegen, selbst die
Tribunen und die Aedilen der Plebs, welche im Namen der letzteren
die sie betreifenden Dankopfer brachten und dabei in königlichem
Schmucke auftraten (Dionys VI, 95; VUI, 87), endlich die Magistrate
und Stellvertreter sämmtlicher übrigen Städte und Staaten, welche
*) Cic ad Qu. Fr. II, 4. Latiar ist wie Palatuar zu verstehen, s. Fest,
p. 148 cui sacrifieiutn quod fit Palatuar dicitur. Vgl. Lupercal, Ianual [Apol-
Iinar] u. dergl.
») Vgl. die Data bei Marquardt IV, 443 [jetzt Staatsverw. a. O.J. Im
März hätten die Römer wegen der Feier der Salier nicht gekonnt und auf deu
April lauten die meisten Angaben. Bei Cic. de Div. 1, 11, 17 ist von Schnee
die Rede, der sich dort oben sehr lauge hält. Die Reste der Fasten s. bei
Marini Atti p. 129, Or. n. 2471. 2472, Moiumsen I. Ff. 6750. [Vermehrt durch
die neuesten Ausgrabungen C. I. L. 6 p. 455 ff. und dazu Mommsen Forsch,
a. 0. Die Zeit richtete sich nach dem ursprünglich wandelbaren Antritt der
Beamten und scheint seit der Fi.xirung des Anfangs des Amtsjahrs auf deu
15. Miirz im 6. Jahrh. ziemlich regelmäßig nicht vor Anfang April (auch nach
der Annahme des 1. Jan. als Anfang des Amtsjahrs) indicirt worden zu seinj.
3 ) Vgl. Marquardt S. 441 und über den Praef. Urbi Latinarum causa Gel-
lius XIV, 8, Becker Handb. II, 2, 149 (Mommsen Staatsrecht 1 *, 643J.
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IUPITER.
theilnahmen. Dieser waren bei der Erneuerung des Festes durch
Tarquinius Priscus oder Superbus, wo neben den Römern und
Latinern auch die Herniker und Volsker sich betheiligten, 47 ge-
wesen 1 ), eine Anzahl, weiche sich mit der Zeit natürlich sehr ver-
ringerte, obgleich die einmal eingeschriebenen Mitglieder auch in der
Zeit des Verfalls bis zum letzten Athemzuge ihrer Existenz an diesen
alten und erinnerungsreichen Festlichkeiten festhielten. Denn es ist
zu vermuthen dafs nicht allein die Römer, sondern auch die übrigen
Latiner, namentlich in der älteren Zeit, das Andenken an Epoche
machende Vorfalle ihrer Geschichte durch entsprechende Acte an
diesem Stammfeste gepflegt hatten.
Der religiöse Mittelpunkt des Festes war wie gewöhnlich das
Opfer mit dem Gebete und das darauf folgende Opfermahl, zu
welchem Behuf das Opferthier in gewissen herkömmlichen Stücken
unter den Theilnehmern des Bundes und des Bundesfestes vertheilt
wurde 2 ). Das Opfer war, wie bei den gröfseren Jupiterfesten ge- 190
wohnlich, namentlich auch bei den Römischen Spielen, ein junger,
eben von der Mutter" genommener, von keiner Arbeit berührter
Stier (iuvencus) von weifser Farbe, zu welchem Zweck es eigne
Gezüchte von Jupitersstieren gab, namentlich auf den schönen Wiesen
>) Dionys. IV, 49. Plinius H. N. III, 68 f. giebt ein alphabetisches Ver-
zeichnirs verschollener Städte, welche einst am Opfer und an dem Fleische
des Opferstiers theilgenommen haben sollen, cum bis carnem in monte Alhano
soliti accipere populi: Albenses (dieses sind die Einwohner von Alba Fucentia,
die auch bei Strabo V p. 240 zu Latium gerechnet werden, vgl. Klausen
Aeneas S. 794), Albani, Aesulani, Accienses, Abolani, Bubetani u. s. w., indem
(Ueber dies Verzeichnis ist neuerdings viel gehandelt worden, vgl. Schwegler
2, 298, zuletzt Beloeh Der italische Bund L. 1880.]
*) Von dem Opfermahl spricht ausdrücklich Dionys, a. a. 0. tva ouvto-
j(6fi€Voi xa&' exaarov Ivwvrbv tig tov anoöeixd-irra ronov naynyvQfljitHfi
xal Ovv€Ott<ovTat xal xonnöy ieoiov tmui.außävioair. Auch liegt es in
dem Ausdrucke vi see ratio von der Vertheilung des Fleisches bei Serv. V.
A. I, 211. Von den Theilnehmenden heilst es gewöhnlich carnem petere,
weil Jeder ein Recht auf sein Stück hatte, s. Cic. pr. Plancio IX, 23 niri
forte te Labien na aut Gabina mit Bovillana vicinitas adiuvabat, quibus e muni-
eipiis vix iam qui carnem Latinis petant reperiuntur. Varro 1. 1. VI, 25
Laiinae feriae — a Latinis populit, quibus ex Alban 0 monte ex sacris carnem
petere fuit ius cum Romanis. Dionys, a. a. 0. ivos o*i ravoov xotvüg vnb
naoüv dvofiivov fiigof Uaain ro TtTaypivov lavßdvti. &vovoi & vnto
ndvreav xal tt)v i\yifiovtav räv Upäv &ot*« 'Ptopaioi.
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214
MUTTER ABSCHNITT
in der Gegend von Falerii und in der von Mevania am Clitumnus 1 ).
Das Opfer wurde in Gegenwart aller übrigen Behörden der Städte
von dem Consul dargebracht und dazu von den Anwesenden Gebete
gesprochen, in welchen Rom für die Latiner und alle Latiner für
Rom um Heil und Segen zum Jupiter flehten 9 ). Der Bundesstier
wurde von allen Theilnehmern gemeinsam gestellt, während andre
Lieferungen an Lämmern, Käse, Milch, Opferkuchen u. s. w. den
einzelnen Mitgliedern oblagen. Das gemeinschaftliche Opfermahl
hatte ursprünglich gewifs, wie das epulum Iovis bei den Römischen
Spielen und andre Festlichkeiten der Art, den Character eines
Liebes- und Verbrüderungsmahls. Aufserdem werden gewisse volks-
tümliche Feierlichkeiten erwähnt, namentlich die sogenannten
») Ovid F. I, 83, Virg. Ge. II, 146. Vgl. Arnob. II, 68 in Albano anti-
quitus monte nullot alios Ucebat quam nivei tauros immolare candoris. Es
sind iuveoci, Farren, mannliche Kälber, welche frisch von der Weide and
der Motter kommen, s. die schönen Verse bei Lucret. II, 352 ff. und Virgil
Aen. IX, 625 ff. Die Hörner waren bei solcheu Opferstieren immer vergoldet;
sie selbst mit Binden behangen,' daher Virg. Aen. V, 366 velatum auro vittis-
que iuvencum, IX, 624 aurata fronte iuvencum candentem. Einige Altcrthümler
behaupteten, dem Jupiter dürften keine tauri geopfert werden, s. Macrob.
S. DI, 10, 3 und Serv. V. A. III, 21, doch sind junge Stiere auch Stiere, daher
sich auch Virgil Aen. III, 20 nicht genirt zu sagen superoque nitentem Caeli-
colum regi mactabam in litore taurum, vgl. die oscische Inschrift bei Mouicn-
sen Unterit. Dial. S. 191 t. XII Diovei Versorei taurom [wo Mommsen an
ein Bild denkt, ohne dadurch den Widerspruch zu beben]. Ja Numa selbst
hatte das Opfer eines bos für die Spolia Opima erster Ordnung an den Iup.
Feretrius vorgeschrieben, Fest p. 189. [Vgl. Lübbert Quaest. pontificoles
B. 1859 S. 111. Doch bedarf das ganze Kapitel von den Opferthieren (so-
wohl des J. wie der übrigeo Götter), für welches die Arvalacten und die igu-
vinischen Tafeln ein reiches, aber nicht das einzige urkundliche Material
bieten (vgl. z. B. die merkwürdige afr. I. bei De Villeffosse, Rapport snr une
mission arch. en Algerie P. 1875 S. 61 ff. und C. I. L. 2, 3820), erneuter Be-
handlung. Bove (nicht tauro, der z. B. dem Genius geopfert wird), wird dein
Joppitcr Capit. von den Arvalen geopfert, lovi bove piaclum in Spoletium, oben
S. 132, 1. Uebrigens wurden nivei boves auch dem Capit. Juppiter von den neu-
antretenden Beamten dargebracht Ov. Ex Ponto IV, 3, 25 (iuvenci F. I, 83),
cretatumque bovem Juv. 10, 66; dagegen vacca et taurus Serv. Aen. IX, 6, 28.]
*) Liv. XLI, 16, wo von mehreren Opferthieren die Rede ist, bei denen
indessen der eine weifse Bundesstier recht wohl bestehen kann, vergl. Dionys
a. a. 0. *cu tptQovatv etg ravras €tt jm^owr«* tiov Uq<ov n 61 eis al per
ägvaf al dl jvqovs al dt ydlaxTO( n pirQov etc. Von einer Spende mit
Milch zur Einweihung des Festes, die der Consul brachte, spricht Cic. de
Div. I, 11, 17, von einer lactata potio Schol. Bob. Cic. pr. Plancio IX, 23.
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IUPITER.
215
Oscilla (S. 118), welche später für eine Gedächtnisfeier des mythi- i»i
sehen Königs Latinus und des Aeneas galten. Da bei dem ganzen
Feste, sowohl beim Concipiren als bei dem Opfer, dem Gebete und
der Vertheilung des Fleisches viele Rücksichten auf so viele Be-
theiligte zu nehmen waren, so kommt bei diesen latinischen Ferien
besonders oft eine sogenannte Instaura tion vor d. h. eine Wieder-
holung einzelner Acte oder auch des ganzen Festes in Folge der
vorgefallenen Versehen Während dieses Opfer auf dem ganz
Latium überragenden Berge im Namen Aller dargebracht wurde,
scheinen auch die einzelnen Städte daheim den Jupiter Latiaris
durch entsprechende Gebräuche gefeiert zu haben. Wenigstens
wissen wir von solchen in Rom. Es flofs hier nehmlich nach dem
einstimmigen Zeugnisse vieler Schriftsteller 9 ) in denselben Tagen
dem Jupiter Latiaris zu Ehren das Blut eines zum Tode verurtheilten
Verbrechers (bestiarius) , und auf dem Gapitole wurde ein Wett-
rennen mit Quadrigen gehalten, bei welchem der Sieger Absinth
zu trinken bekam, zur Andeutung der Gesundheit und körperlichen
Rüstigkeit, die seine Anstrengungen lohnen werde 3 ). Auf dem
Albaner Berge aber wurde Jupiter wenigstens später wie auf dem
Capitole als Optimus Maximus und neben der Juno und Minerva
verehrt, neben welchen auch die Vesta Albana erwähnt wird 4 ).
Noch jetzt befinden sich auf dem Gipfel des Berges in den Mauern
des dort liegenden Passionistenklosters Reste eines Tempels, auf
einer schönen Höhe mit weiter Aussicht über das Gebirge, die Cam-
f ) S. Liv. V, 17 und Plut Camill. 4, wo etwas bei der Conceptiou ver-
sehen ist, Liv. XXXII, 1, wo Ardea sein Stück Fleisch nicht bekommen hat,
XXXVII, 3, wo die Laurenter nicht das rechte Stück Fleisch bekommen
haben, XL1, 16, wo der Magistrat von LanuTium das Gebet in una hostia
nicht richtig gesprochen hat. Vgl. oben S. 133 und Ritsehl Parerga Plautioa
S. 309 ff., Friedländer bei Marquardt Handb. d. R. A. IV, 476 [Staatsverw.
3, 465].
») Tertull. Apolog. 9, Scorp. 7, Lactant. 1, 21, 3, Minuc. Fei. 22, 6; 30, 4
Prudent adv. Symmach. I, 379, Porphyr, de Abstin. II, 56 u. a. Auch gab es in
Rom seit alter Zeit einen collis Latiaris, Varro 1. 1. V, 52. [Jordan Top. 2, 263 f.]
3 ) Plio. H. N. XXVII, 45, vgl. Quintil. III, 1, 5 partim hie liber melUs,
absinthii multum, saUtbrior quam dulcior.
4 ) Vom Bilde des Jupiter ist wiederholt bei Dio die Rede, s. XXXIX,
15, XLVII, 40, vom T. der Juno ib. XXXIX, 20. Vgl. Or. n. 1288 Iunoni
Albanae und n. 1393 Iovi Optima Miurimo, Minervae, Iunoni, Vestm Alban.
Sacrar. Ein eignes Haus zum Aufenthalte für die Cousuln erwähnt Dio
LIV, 29.
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216
DRITTER ABSCHNITT
pagne und das Meer. Auch hat sich am Abhänge des Berges ein
ansehnlicher Rest der heiligen Strafse erhalten, auf welcher einst
die Bürger und die Processionen von Rom und ganz Latium zu
dieser ehrwürdigen Stätte hinaufzogen 1 ).
Auch der Triumph auf dem Albaner Berge beruhte wahr-
scheinlich auf Vorgängen der Zeit, wo Rom und Latium zu gleichen
Rechten verbündet ihre kriegerischen Erfolge nicht blos ein jeder
daheim in seinen Mauern, sondern auch auf dieser Allen gemein-
samen und heiligen Höhe des Iupiter Latiaris feierten. Später
wurde er bekanntlich von solchen römischen Feldherrn gehalten,
denen der Triumph in Rom nicht bewilligt wurde, also ohne Be-
vollmächtigung von Seiten des Staates und nur als militärisches
Schauspiel. C. Papirius Maso, Gonsul des J. 523 d. St., 231 v.
Chr., war der erste welcher nach einem siegreichen Feldzuge in
Corsica auf die Weise triumphirte, und seinem Beispiel folgten viele
Andre. Der Ehrenkranz bei diesem Triumphe war nicht der Lorbeer,
sondern die Myrte, wie bei der Ovation, einer geringem Art des
Triumphes, welche gleichfalls auf dem Albaner Berge begann, von
wo der Sieger nicht auf einem Wagen, sondern zu Pferde, in alter
Zeit sogar zu Fufse, und auch sonst mit geringerer Auszeichnung
in Rom ein und auf das Capitol zog: so dafs sie vielleicht ursprünglich
nur der letzte Act eines Triumphes auf dem Albaner Berge war,
wie er ehemals im Namen des verbündeten Latiums gefeiert sein
mag. Jedenfalls deutet die Myrte auf den Dienst der Venus, einer
Göttin die wir unten näher als eine alte latinische Bundesgöttin
kennen lernen werden").
Endlich der Iupiter Optimus Maximus*auf dem Capitol. Die
ersten Anfange auch dieses Cultus fallen in die Zeit des Tarquinius
Priscus. Er gelobte den Tempel in einem Kriege mit den Sabinern
und legte den Grund dazu, indem er den bis dahin für eine solche
>) [Vgl. Firm. Mat. 26, 2 Latiaris templi cruore. Die neuesten Unter-
suchungen der Brüder De Rossi Annali dell' Inst. 1873, 163 ff., 1876, 315 ff.
haben wenigstens Lage und Umfang der Area des Juppitertempels mit Hilfe
alterer Pläne genau bestimmt. Ueber die Zerstörung der alten Reste im J.
1783 durch den Hardinalerzbischof von Frascati, Herzog von York, und die
Reste der Pflasterstrafse vgl. Nibby, Dintorni di Roma 1, 117 ff.]
») [Ueber den Triumph in monte Albano Marquardt, Staatsverw. 2, 570 f.
und Michaelis Annali dell' inst. 1876, 105 ff. (Monum. 10 T. \ WIM . . der,
wohl mit Recht (vgl. Jordan lü it. Beitr. S. 14), denselben auf einer pranesti-
nischen Ciste dargestellt glaubt]
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1UP1TER. 217
Anlage ungünstig beschaffenen Hügel durch aufserordentliche An-
strengungen zu einer breiten Fläche uuischuf 1 ). Auf derselben
wurde dann der Tempel von Tarquinius Superbus erbaut, mit Hülfe
der Beute von Pometia und vieler Künstler aus Etrurien, während
das römische Volk in harter Arbeit karren und Ziegel streichen
mufste. Die Einweihung erfolgte im ersten Jahre der Republik,
man wufste nicht bestimmt durch welchen Consul. Bei den Vor-
bereitungen zum Bau ereigneten sich die bekannten Wunder, dafs
von den sabinischen Heiligthümern, welche seit T. Tatius auf dieser
Höhe angesiedelt waren, das des Terminus und der Juventas nicht
weichen wollte, ein sichres Zeichen dafs die neue Anlage ewig 193
währen und ewige Jugend haben werde. Und als man den Grund
legte, fand sich in der Tiefe des Felsens ein menschliches Haupt
mit unzerstörten Gesichtszügen (integra facie), welches die etruski-
schen Seher alsbald dahin deuteten, dafs diese Stalte in Zukunft
das Haupt des Reiches und der Welt sein werde. Daher der Name
Capitolium, welcher vielmehr eigentlich Burg bedeutete 8 ), indem die
mit der Zeit noch weiter ausgesponnene Legende erst aus dem ge-
gebenen Namen enstanden ist, wie jene Legende vom Terminus
und der Juventas daraus dafs beide im Tempel des Jupiter, also
als zu ihm gehörige Personificationen verehrt wurden. Der in dieser
ummauerten und verschliessbaren Burg gelegene und nach ihr gleich-
falls Capitolium benannte Tempel war nach der sogenannten toska-
nischen Ordnung erbaut und hatte für die drei Götter drei Cellen,
in deren mittler Jupiter thronte, während die zu seiner Rechten
') Liv. I, 38, Dionvs. III, 69, vgl. meinen Aufsatz 'Zur Gesch. und Topogr.
des röm. Capitols' im Vhilologus 1 S. 72 [= Abgewählte Aufsätze S. 471 ff.
und jetzt Jordan Topographie Bd. 1, Abth. 2].
*) Vgl. Das Capitolum Hernicum b. Plin. H. N. III, 63, Strabo V p. 23S
und Scaliger und J. G. Vossius b. Schwegler Rö. Gesch. 1 , 793. [Heber die
Bildung von Capit-oli-um vgl. capü-äl-is, prim-öri-s , primär-üts s. Corssen
Ausspr. 2*, 84, Jordan Top. 1, 1, 180. Das Capitulum hat unmittelbar damit
nichts zu thua. Wort und Sache sind römisch, erst von Rom aus verbrei-
tet Vgl. unten S. 215. 235.] Die gewöhnliche Legende b. Liv. I, 55. Bei
Plin. ist sie schon erweitert. Noch später wird der Kopf der eines berühmten
etroskischen Sehers Olus oder Aulus, noch spater ein caput humanuni litteris
tuscis scriptum Caput Oli Regis, s. Arnob. VI, 7, Serv. V. A. VIII, 345,
Catal. Imper. p. 645, Mommsen Isidor XV, 2. Natürlich spricht dann auch
die Sibylle ein Wort mit, s. Dio Cass. fr. 25, 9 ort 2tßuHt}i /nijauög Hfaoxt
To Kantrtoliov xttfdlatov (Oeo&ai rrjs oixovfiiyrjs ftfyQ' T °v *<x*fiov
xaralvcftos.
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218
DRITTER ABSCHNITT.
für Minerva, die zur Linken für Juno bestimmt war 1 ). Es konnte
den Tarquiniern dabei sowohl das Beispiel der Sabiner als der
Etrusker vorschweben (S. 188), doch deutet der weltliche und fürst-
liche Charakter der ganzen Anlage, wie ihre architectonische und
übrige Ausstattung entschieden nach Etrurien. Denn auch das
Tempelbild war die Arbeit eines etruskischcn Künstlers aus Veji,
welcher den Römern auch ihr ältestes Bild des Hercules geschaffen
haben soll. Es war von Thon und mit dem Attribute des Blitzes
iw in der Rechten ausgerüstet'), übrigens nach Art der älteren grie-
chischen Tempelbilder ein Gegenstand zahlreicher Bedienung und
Aufwartung (S. 144); namentlich pflegte es an Festtagen auch mit-
zufeiern und zu dem Ende das Gesicht an solchen Tagen mit
Mennich roth angestrichen zu werden. Das Tempelgebäude war
von einem geräumigen Tempelplatze (area) umgeben, welcher sich
mit der Zeit mit allen höchsten und heiligsten Erinnerungen und
Andenken an Tapferkeit, Sieg und Ehre der römischen Geschichte
anfüllte. Was die Lage des Tempels betrifft, so wird ihm sowohl
durch deutliche Aussagen der alten Schriftsteller als durch eine ört-
liche Tradition, welche sich bis in das Mittelalter verfolgen läfst,
der dem Palatin und Aventin zunächst gelegene Hügel, auf welchem
jetzt der Palast Caffarelli liegt, angewiesen. Wenn dessenungeachtet
die römischen Topographen und Architekten behaupten, dafs der
i) Vgl. Eckhel D. N. VI p. 327, 0. Jahn Archäol. Beitr. S. 80. Gewöhn-
lich sind alle drei Götter thronend abgebildet, bisweilen die beiden Göttinnen
stehend. Auf den Platz der Minerva zur Rechten beziehn sich die oben
S. 206, 2 citirten Worte des Horaz. Die gewöhnliche Formel der Anrufung
war dagegen Iovi Iunoni Mioervae, s. Marini Atti p. 104. [Ueber die
Darstellung der drei capit Gottheiten das Nähere bei Jordan Top. 1, Abth. 2.]
s ) Plin. H. N. XXXV, 157 Praeterea elaboratam harte artem {plasticen)
Italiae et maxime Etruriae, et Vulcam Veiis [uulgam (von 2 H. uulcani) tili*
die Bamb. Hs.] accüum, cui locaret Tarquinius Priscus Iovis effigiem in Capi-
tolio dieandatn; ßctüein eiirn fuisse et ideo miniari sollt um. — Ab hoc eodem
factum Herculem qiti hodieque materiae notnen in Urbe retinet. XXXIII, 111
Enumerat auctoris Perrius, quibus credere necesse sit, Iovis ipsius simidacri
fadem diebus festis minio inlini sotitam triumphantiumque corpora ; sie Ca-
millum triumphasse. ffac religione etiamnum (minittm) addi in unguenta
cenae triumphaUs et a censoribus in primis Iovem miniandum locari. Roth
ist nehmlich die Farbe der festlichen Freude und des Glucks, der felicitns,
auch eine Symbolik der Etrusker, s. Macrob. S. III, 7, 2. Uebrigens vgl.
Arnob. VI, 25 riciniatus Iupiter atque barbatus, dextra fomitem sustinens
perdolatum in fulminis morem. Ovid Fast. I, 202 inque Iovis dextra fictile
f (ihnen erat.
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IUPITER
219
Tempel auf der Höhe von Araceli gelegen haben müsse, so liegt
dabei eigentlich nur das Postulat zu Grunde, dafs man die Facade
vom römischen Forum habe sehen müssen. Ja dieses Postulat ist
im Sinne der alten Zeit nicht einmal zulässig, da zur Zeit des
Tempelbaus das römische Forum seine spätere Bedeutung noch nicht
hatte, während die Gegend wohin der nach Mittag gerichtete Tempel
(Dionys IV, 61) und die Götter in ihm blickten, das Palatium mit
seinen alten Heiligthümern und Erinnerungen, die Ära Maxima des
Hercules, endlich der gleichzeitig erbaute Circus Maximus, entweder
für den Glauben und die Geschichte der Römer im höchsten Grade
bedeutsam waren oder, wie namentlich der Circus Maximus, mit
dem Culte und der Festfeier der Gapitolinischen Götter unmittelbar
zusammenhingen 1 ).
Wie dieser Cultus von allen römischen der angesehenste war
und in allen öffentlichen Angelegenheiten am meisten gefeiert wurde,
so waren auch seine Opfer, Opfermahlzeiten und Feste die statt-
lichsten und für das römische Staatsleben, seine Erinnerungen und
* seine Auszeichnungen , bedeutungsvollsten. Es gehören dahin die
ludi Romani, Magni, Plebeii und Capitolini, von welchen im Fol-
genden zunächst die Rede sein wird. Bei allen wird festzuhalten iw
sein dafs sie sowohl aus dem religiösen Acte eines Opfers und Opfer-
mahles, des epulum Iovis, als aus dem festlichen der Procession
und der Spiele bestanden, welche letztere anfangs blos circensische
waren, bis später auch die scenischen hinzutraten. Ferner dafs der
Hauptfeiertag, also namentlich das Opfer mit dem dazu gehörigen
Gebete und dem epulum, immer auf den Tag der Idus, den alten
Festtag des Jupiter (S. 156) gefallen sein wird, bei den Römischen
Spielen, so viel ich sehe, auf die Idus des September, bei den Ple-
bejischen auf die des November, bei den Capitolinischen auf die des
October.
Dafs die Römischen Spiele (ludi Romani) in den September
fielen, von Tarquinius Priscus gestiftet wurden und in ihrer Art
l ) [Die bedeutenden Trümmer von Quadermauern im Bereich der Pal.
Caffarelli hatten schon Fabretti, Bunsen u. a. (besonders Abeken, Mittelit.
221 ff.) richtig für Reste des capito). Tempels erklärt. Neuere Entdeckungen
(1865. 1875. 1876) haben diese Ansicht eodgiltig bestätigt. S. jetzt Lanciani
Bull, munic. 1875, 165 ff., 1876, 30 ff. Jordan, Annali 1876, 145 ff. (mit Schup-
manns Plan Monum. 10 T. XXX a) und dess. Capitol, Forum und Sacra via in
Rom B. 1881 (mit Plan).]
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DRITTER ABSCUMTT.
d. Ii. als circensische Spiele, die mit größtem Aufwände, zunächst
nach dem Vorbilde etruskischer Ritterschaft und Sitte gefeiert wurden,
die ältesten waren, ist sonst bekannt 1 ); dafs der wichtigste Tag des
Festes auf die Idus des September fiel, folgt schon daraus dafs an
diesem Tage der Tempel eingeweiht wurde, im ersten Jahre der
Republik, im J. 245 d. St., 509 v. Chr. (Plul. Popl. 14). Es kommen
aber auch noch andre Umstände hinzu, um diesen Tag als sehr
wichtig und bedeutsam für den älteren römischen Staatscultus er-
scheinen zu lassen, namentlich dafs nach einem alten Gesetze der
Republik der höchste Magistrat (qui praetor maximus sit) an den
Iden des September den Nagel in die rechte Wand des Jupiter-
tempels einschlagen sollte (Liv. VII, 3), ferner dafs die Consuln in
den ersten Jahren der Republik an diesem Tage ihr Amt antraten 3 ).
Dazu kommt dafs die Plebejischen Spiele, welche nach dem Vor-
bilde der Römischen im November gefeiert wurden, ihr epulum
Iovis gleichfalls an den Idus dieses Monates feierten. Endlich bemerkt
wenigstens das Kai. Antiatinum auch an den Iden des September
iw$ein epulum Jovis 3 ). Der Opferschmaus setzt aber noth wendig ein •
Opfer voraus, welches auch bei dieser Gelegenheit, wie bei den
latinischen Ferien und dem gewöhnlichen Amtsantritt der Consuln
ein junger Stier von weifser Farbe und mit vergoldeten Hörnern
war, zu welchem für Juno gewöhnlich eine Kuh hinzugefügt wurde 4 ).
Das Opfermabl [technisch als Mahl des Iupiter bezeichnet, der
daher auch als Iupiter Epulo verehrt wurde] war zugleich eine
Speisung für die drei Capitolinischen Götter, denn auch Juno und
') Liv. I, 35. Cic. io Verr. V, 14. 36 JSunc tum detignatu* aedilis: —
mihi ludot antiquistimos , qui primi Romam sunt nominati, maxima cum
dignilate ac religione lovi Iunoni Minervaeque esse faciendot. Vgl. de Rep.
II, 20, 36. [Das Nähere in Marquardts Staatsverw. 3, 477 ff.]
•) Dionys V, 1 [vgl. Mommsen Chronol. 86 ff., 197 ff.]. So wurde auch
die Mola Salsa voo den Vestalinneo an den Luperealien, den Veatalien uod
den Idus des September bereitet, Serv. V. Ecl. VIII, 82, endlieh die corona
graminea oder obsidionalis, die höchste aller militärischen Auszeichnungen
vom Senate dem August an den Idus des September überreicht. Plin. H. IN.
XXII, 13.
•) Kai. Aotiat. Id. Sept. [EPVLI IN (dietio). Hierüber sowie über die
übrigen Kalendernoten s. C. I. L. 1, 401 u. zum Arvalk. Eph. ep. 1, 38]. Unter
Tiberius wurde die Vereitelung der Verschwörung des Libo an den Iden des
Sept. gefeiert, s. Tacit. Ann. II, 32, Kai. Amitera [Mommsen S. 402].
«) Serv. V. A. IX, 628, Marini Atti p. 47 [oben S. 214, 1].
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221
Minerva nehmen an dieser Ehre Theil 1 ), und ein Liebes- und Ver-
brüderungsmahl für sämmtliche höhere Beamten des römischen Staats
und den Senat, welche dann auf dem Capitol vor dem Angesichte
des höchsten Gottes gespeist wurden 2 ), umgeben von den grofs-
artigsten Erinnerungen der Vorzeit und auf die mächtige Stadt zu
ihren Füfsen hinabschauend. Auch ist dieses epulum Jovis auf dem
Capitol immer einer der festlichsten Tage im römischen Kalender
geblieben 3 ).
Nicht minder wesentlich als das epulum Iovis gehörten die
Procession in den Circus und die dortigen Spiele zum Capitolinischen
Culte der Tarquinier; in welcher Beziehung das Symbol der Qua-
driga interessant ist, welches vielleicht ursprünglich nur ein Attribut
des Donnergottes Jupiter war, bei den Etruskern aber und in Born
ganz wesentlich königliche Ehren und Sieg und Triumph bedeutete 4 ).
Ja eine alte Quadriga von Thon und etruskischer Abkunft, welche
auf dem Giebel des Capitolinischen Tempels stand , hatte sogar die 197
Bedeutung des Sieges über alle Siege, daher sie für eine der vielen
Bürgschaften einer ewigen Wohlfahrt galt, deren sich Rom zu rühmen
wufste. Vor der Einweihung des Tempels, so erzählte die Legende,
und kurz vor seiner Vertreibung hatte Tarquinius jene Quadriga in
*) Vater. Max. II, 1, 2 Iovis epulo ipse in lectulum, luno et Minerva in
sellas ad cenam invitabantur , quod genus severitatis aetas nostra diligentius
in Capitolio quam in suis domibus conservat. Vgl. Pliu. XXV, 105 hac Iovis
mensa verritur. [Epulum Iovis, wie aedes Iovis, ara Iovis, als des Hausherrn.
Widmung der [magistri] quinq(ennales) [collegi] teib(icinutn) Rom{anorum) qui
\s{acris) piublicis) p(raesto) s(unt)\ Iov(i) Ep(uloni) sac{rum) auf dem Forum gel'.
C. 1. L. 6, 3696. Die Personificatiou ist aufzufassen wie in dem Opfer lovi
Farreo, bei der confarreatio: zu S. 140.]
2 ) Vgl. die Geschichte von P. Africanus d. Ä. und T. Gracchus den Vater
b. Gell. V A. XII, 8, Liv. XXXVIII, 57 und die Anecdote vom Luculi. b.
Plin. H. N. XXVIII, 56. Es ging bei dieser Mahlzeit, wie bei den pontiticalen
und saliarischen , sehr hoch zu, s. Martial. XII, 48, 11 Non Albana mihi sU
commissatiß tanti nec Capitolinae pontificvmque dapes. Daher Lucilius b. Non.
p. 204 Idem epulo cibus atque epulalio (I. epulae mit Lipsius) Iovis omnipoientis.
Auch die Epulones waren speciell Epulones Iovis 0. M., s. Cic. de Harusp.
resp. 10, 21, oben S. 145, 2.
«) Vgl. Dio XXXIX, 30, Sueton Domit. 13, Ael. Lamprid. Alex. Sev. 37.
4 ) Dionys. II, 34 von dem Triumphe des Romulus: l'va 16 ßaaihtov
al-idfia ffwfij is&Q(7ino> 7iaQ(fAß(ßrjx(6(. Vgl. ib. 54 und Plut. Rom. 24 von
der ehernen Quadriga, welche Romulus als Siegeszeichen auf dem Yu Kanal
aufstellt.
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DRITTER ABSCHNITT
Veji bestellt. Sie gebt im Ofen nicbt zusammen wie gewöhnlich,
sondern sie schwillt und schwillt, dafs man Decken und Wände
einreifsen mufs, um sie nur aus dem Ofen nehmen zu können. Die
Seher weissagen dafs diese Quadriga ihren Besitzern die höchste
Macht sichere, daher sich die Vejenter der Auslieferung weigern.
Aber als bald darauf Spiele in Veji gefeiert werden, rennt die Qua-
driga des Siegers in wilder Hast davon und nach Rom, wo der
Sieger bei der porta Ratumena gleich unter dem Capitole vom
Wagen stürzt und seinen Geist aufgiebt, worauf die Vejenter er-
schreckt die Quadriga ausliefern 1 ). Genug das Viergespann gehört
eben so wesentlich zum Capitolinischen Jupiter als der Dreifufs zum
Pythischen Apollo, daher es wiederholt unter den Weihgeschenken
des Jupiter genannt wird (Liv. X, 23; XXXV, 41). Ferner gehörten
zu jener Procession und den Spielen im Circus Maximus, welcher
immer als notwendiger Anhang des Capitolinischen Cultus zu denken
ist, nicht minder wesentlich die sogenannten tensae d. h. die Pro-
cessionswagen der drei Capitolinischen Götter mit ihren exuviis d. h.
ihren Attributen, welche man an solchen Tagen den Göttern ab-
nahm und anstatt der Götter selbst vom Capitol hinab in den Circus
führte, wo sie auf dem sogenannten Pul vinar niedergelegt wurden*),
so dafs die Spiele gleichsam unter der persönlichen Betheiligung der
Götter gehalten wurden. Und zwar sind die exuviae Iovis Opt. Max.,
welche bei dieser Gelegenheit erschienen und auf der ihm geweihten
198 tensa 3 ) in den Circus gefahren wurden, wieder die Attribute seiner
') Nach einer andern Version der Legende erobern die Römer die Qua-
driga, worauf jenes Viergespann aus Veji gelaufen kommt, der Sieger bei der
p. Ratumena stirbt und die Pferde sich erst beim Anblicke der Qaadriga auf
dem Gipfel des Tempels beruhigen, s. Fest. p. 274 Ha turne na porta, Plut.
Poplic. 13, Serv. V. A. VII, 188 [Jordan Top. 1, 1, 210].
') Fest. p. 364 Tensam (von tendere) ait vocari Sinnius Captin vekiculum,
quo exuviae deorum ludicris Circensibus in Circum ad pulvinar vehuntur.
Fuit et ex ebore et ex argenlo. Vgl. Serv. V. A. I, 17, Pseudascon. in Verr.
p. 200. [Die bessere Orthographie thensa ('s. fg. Anm.), vielleicht griechisches
Fremdwort wie pompa, triumpus: Jordan Hermes 15, 542. Vgl. auch Corssen
in Kuhns Zeitschrift 9, 142.]
*) Nach Sueton Vespas. 5 erhielt Nero vor seinem Sturze im Traume die
Mahouog, ut tensam Iovis 0. M. e sacrario in domum Vespasiani et inde in
Circum deduceret, vgl. Dio LXVI, 1. Das sacrarium ist der besondre Raum
für die Tensen auf dem Capitol, auf den ein Militärdiplom deutet [v. J. 60,
C. 1. L. 3 p. 845]: in Capitol in ad latus sinistr(um) aedis thensar{um) extri-
secus. Die tensa Iovis zerbricht bei Dio L, 8, die dar Minerva b. Dio XLVII,
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223
königlichen Weltherrschaft und des Sieges und Triumphs, der Blitz
und das Adlerscepter und der goldne Kranz, endlich die tunica
palmata und toga picta, von denen das Adlerscepter und die zuletzt
genannten Kleider sammt dem Stuhle von Elfenbein in Etrurien und
seit Tarquinius Priscus in Rom den königlichen Ornat bildeten,
während spater nur noch von den Führern der grofsen Procession
und den Triumphirenden ein solcher Schmuck von dem höchsten
Gotte entlehnt werden durfte 1 ).
Diese Procession (pompa), welche die Spiele im Circus eröffnete,
zog vom Capitol herunter über das Forum durch den Vicus Tuscus
zum Velabrum und in den Circus, den sie gleichfalls in seiner
ganzen Länge durchzog; alle diese Plätze, diese Strafsen und die
langen Gallerieen des Circus waren dann festlich geschmückt und
von einer gedrängten Volksmenge besetzt: es gab in den besten
Zeiten Roms keine bedeutungsvollere, keine volkstümlichere Feier
als diese*). Den Mittelpunkt des Zuges bildeten jene Tensen der
Götter, vor allen die der drei Capitolinischen, deren jede von einem
edlen und unverwaisten Knaben mit der gröfsten Sorgfalt geführt
wurde, denn hier war jedes, auch das geringste Versehen bedenklich *).
Allen Tensen voran aber fuhr der Magistrat, dem die Ehre geworden
war den Zug zu leiten und bei den Spielen den Vorsitz zu führen,
aufs festlichste geschmückt, denn seine Tracht war keine geringere
40. Alle drei Capitolinische Götter und ihre Tensen sind zu sehen auf den
Denaren der Robria, die des Jupiter mit dem Blitz, worüber eine Victoria
schwebt, die der Judo mit dem Pfau, die der Minerva mit der Enle. Merk-
würdig ist die Goldmünze mit dem Kopfe Octaviaas bei Riccio 59, 27,
wo eine Quadriga als Symbol des Jupiter in einer Tense zum Circus ge-
fahren wird.
») Dionys. III, 61, Liv. X, 7, Soeton Octav. 94, Müller Etrusk. 1, 373 ff
Der Stuhl des Jupiter mit seinen Attributen, dem Blitz, dem Adler, dem
Scepter u. s. w. bei Braun Vorschule der Kunstmythologie t. 6. [Vgl. Mommsen
Staatsrecht 1 », 376 ff., 394 fl.]
») S. die Stellen b. Becker Handb. 1, 491 , Friedlander b. Marquardt IV,
49Sff. (Staatsverw. 3, 487].
•) S. oben S. 133. Es machte viel Sensation als C. Terentius Varro,
derselbe welcher als Coosul die Schlacht bei Cannä verlor, als Aedil einen
grmietheten Koaben von grofser Schönheit auf der tensa Iovis die Exuvien
dieses Gottes tragen liefs, worüber Juno, wie man glaubte, eifersüchtig ge-
worden jene Niederlage herbeigeführt habe. Val. Max. I, 1, 16, Lactant. II,
16, 16.
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DRITTER ABSCHMTT.
w als die der Triumphirenden 1 ), während ein Staatssklave einen nach
etruskischer Weise aus Gold und Edelsteinen verfertigten Eichen-
kranz über seinem Haupte hielt und die Begleitung seiner Kinder,
vieler dienten und andres Gepränge das Glück, welches ihm ge-
worden, noch mehr hervorhob (Juvenal X, 36 IT.). Vor diesen Heilig-
thümern und hinter denselben aber sah man viele andre Gruppen
und Haufen von Knaben, Jünglingen und Männern zu Pferde und zu
Fufs, viele Spielleute mit Blas- und Saiteninstrumenten, viele Tänzer
und Springer, die sich im Waffen tanze oder in dem Costüme der
etruskischen Ludionen oder in andrer Tracht und Vermummung
sehen liefsen, viele Priester und Bilder der Götter, seit Caesar und
August auch der Kaiser, viele üpferthiere und prachtvolles Geräth,
sammt andern Prachtstücken der Vorzeit oder eines auserwählten
Ruhms 2 ). Kurz es war ein buntes Gedränge aller Klassen und
aller Arten des Volks, aller Stände, aller Collegien, aller Lebens-
alter.
Da nach den Kalendern am 14. September, dem Tage nach
den Idus eine Prüfung der zum Rennen eingemeldelen Pferde vor-
genommen wurde 3 ), worauf am 15. die Spiele selbst begannen, so
wird man auch die Procession auf diesen Tag setzen dürfen, welcher
die Spiele sich unmittelbar anschlössen. Nach denselben Kalendern
dauerten diese Spiele im Circus damals fünf Tage lang, vom 15.
bis 19. Sept., welche Ausdehnung sie erst allmälich bekommen
hatten, da wie bei den latinischen Ferien und andern Festen auf
besondre Veranlassung ein Tag nach dem andern hinzugefügt wurde *).
Mit der Zeit traten die scenischen Spiele hinzu, seit 390 d. St.
(364 v. Chr.) im etruskischen Geschmack, seit etwa 514 (240 v. Chr.)
im griechischen, da in diesem Jahre, gleich nach dem ersten puni-
schen Kriege, Livius Andronicus zuerst Dramen auf die Bühne
brachte, ein Jahr vor der Geburt des Ennius. Auch das geschah
zuerst bei den Römischen Spielen, welche darauf mit den übrigen
») Liv. V, 41 quae augustUrima vestis est tensas ducentibtu triumphan-
tibusve.
a ) Vgl. Dionys. VII, 72, welcher nach Fabius Pictor berichtet, aber viel
Fremdartiges einmischt, oud Tertull. de Spectac. 7, wo das Gewühl der Pro-
cession recht lebendig beschrieben wird.
*) Probatio equorum, vgl. Dio LV, 10.
«) Liv. VI, 42; XXXIX, 7. Der fünfte Tag wurde nach dem Tode Casars
hinzugefügt.
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Festen auch in dieser Hinsicht immer mehr beladen wurden. Und
zwar waren zu diesen scenischen Spielen bestimmt die Tage vor
den Idus, nach den Kalendern vom 4. Sept. bis zum 12., also neun soo
Tage hintereinander: eine Erweiterung welche namentlich seit der
Zeit des zweiten punischen Kriegs erfolgt sein mag. Wenigstens
wissen wir aus Liv. XXIV, 43, dafs schon im J. 540 (214 v. Chr.),
zwei Jahre nach der Schlacht bei Cannä, die Bühnenspiele vier Tage
lang dauerten. Gegeben wurden sie bekanntlich von den curilischen
Aedilen, denen auch bei der grofsen Procession und den circensischen
Spielen die Einrichtung im Ganzen und die polizeiliche Oberaufsicht
oblag, während das Geleite der Tensen bei der Procession und der
Vorsitz im Circus, ursprünglich eine Sache des Königs, später den
Consuln oder in ihrer Abwesenheit dem städtischen Prätor zustand,
nach dem Fall der Republik aber natürlich den Kaisern und den
von ihnen ernannten Stellvertretern zufiel 1 ).
Neben den Römischen Spielen werden die Grofsen Spiele
(ludi Magni oder Maximi) gewöhnlich in solcher Weise genannt 2 ),
dafs beide lange für identisch gegolten haben. Eine genauere Be-
obachtung aber hat gelehrt, dafs sie sich von jenen dadurch wesentlich
unterschieden, dafs sie nicht regelmäfsig, sondern nur in Folge
aufserordentlicher Veranlassungen und als votivi gefeiert wurden,
indem ein solches Gelübde beim Beginn schwerer Kriege oder sonst
in gefahrlichen Lagen des Staates feierlich ausgesprochen und die
Spiele selbst nach glücklicher Beendigung des Kriegs oder Abwen-
dung der Gefahr zu Ehren des höchsten Gottes, der seine Römer
wieder einmal zum Siege geführt, gefeiert wurden. Das erste Bei-
spiel fallt in die Zeit des Kriegs gegen die Tarquinier und die mit
ihnen verbündeten Latiner, welcher durch den Sieg am See Regülus
im J. 258 (496 v. Chr.) entschieden wurde; welche Spiele zugleich
sehr oft als Beispiel der strengen Gewissenhaftigkeit angeführt werden,
*) Becker Handb. II, 2, 324 ff. Statt der curulischen Aedilen bekamen
unter den Kaisern die Prätoren die Aufsicht Uber die Spiele, ib. II, 3, 264.
*) Cic. d. Rep. Ii, 20, 35 eundem primum ludos Maximos, qui Romani
dicti sunt, J'ecisse accepimus. Liv. I. 35 sollemnes deinde annui mantere ludi,
Romani MagnUjue varie appellati. Paul. p. 122 Magno* ludos Romanos ludos
appellabant quos in honorem Iovis, quem principem deorum putabant, faciebanl.
Vgl. Ritsehl Parerga p. XIII sqq. und 290, Marquardt Handb. IV, 474 [jetzt
477 f. M i mimsen Die ludi magni und romani, im Rheinischen Museum
14, 79 ff. = Forsch. 2, 42 ff. und besonders die hier eingefügten Zusätze
S. 51 f.]
Preller, Röm. Mythol. I. 3. Aufl. 15
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DRITTER ABSCHNITT.
mit welcher solche Gelübde in den alten Zeiten beobachtet wurden 1 ).
201 Das erstemal, so erzählt die Legende, hatte ein plötzlicher Ueberfall
des Feindes die Feier unterbrochen. Das zweitemal, als es zur wirk-
lichen Ausführung kam und der Circus schon voll von Menschen
war, wurde ein strafbarer Sklave vor Aller Augen mit der Gabel
auf dem Rücken durch den Circus geführt und gefuchtelt: was den
frommen Sinn eines Plebejers vom Lande so empörte, dafe er auch
zu Hause keine Ruhe fand. Jupiter erschien ihm im Traume,
höchlich verletzt durch solch einen Vortanzer bei seinen Spielen;
er solle gehn und bei den Consuln auf Wiederholung der Spiele
dringen. Der Landmann zögerte, da starb sein Sohn und er selbst
wurde gelähmt an allen Gliedern, bis er sich endlich in den Senat
tragen liefe und, sobald er den Auftrag ausgerichtet, gesund wieder
heimkehrte. Der Senat aber befchlofs alsbald die Instauration und
zwar mit einer Ausstattung, die viermal so kostbar war als die erste.
Die ältere Republik mochte solche Spiele um so lieber sehen und
um so mehr auf sie verwenden, weil bei ihnen allein beide Stände,
die Patricier und Plebejer, vereinigt waren, welches auch wohl der
Grund ist, weshalb man sie vorzugsweise die Grofsen nannte ; doch
wurden sie auch im weitern Verlaufe der Republik sehr oft gelobt
und immer mit grofser Gewissenhaftigkeit und kostbarer Ausrüstung
gehalten, gewöhnlich zehn Tage lang 8 ). Wie die Römischen mögen
sie aus einem Opfer und Opferschmause, der Procession und den
circensischen Spielen bestanden haben, dahingegen von scenischen
Spielen bei ihnen nicht die Rede ist. Wohl aber wurden nicht
selten anstatt der Spiele grofee Opfer dem Jupiter geweiht, meistens
Stieropfer, seit dem Hannibalischen Kriege auch wohl nach grie-
chischer Sitte ganze Hekatomben 8 ), einmal sogar und zwar auf Ver-
») Cic. de Div. I, 26, Liv. II, 36, Dionys. VII, 68, Macrob. S. I, 11, 3,
Augustin C. D. IV, 26 u. A.
") Vgl. Sigonius in Liv. XXXIX, 22, 1. Das Gelübde wurde von dem
Consul oder dem Dictator praeeunte Pontifice Maximo gesprochen, Liv. IV, 37.
Als Beispiel diene das vom J. 191 v. Chr., beim Ausbruch des Kriegs gegen
Antiochos, s. Liv. XXXVI, 2. Die ludi votivi des Poinpejus, welche er im
Kriege gegen Sertorius gelobt, dauerten 15 Tage, Cic. in Verr. Act. 1, 10,
vgl. Suetoo Octav. 23 Vovit et Magnot ludos Iovi Opt. Max., si respublica
in meliorem statum vertisset (nach der Varusschlacht), quod factum Cimbrico
Marsicoque bello erat. Ib. iNer. 11 ludis, quos pro aeternüate imperü susceptos
appellari Maximos voluit.
*) Scipio opfert nach seiner Rückkehr aus Spaoien eine Hekatombe von
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IÜPITER.
227
anlassung der Sibyllinischen Bücher ein Ver Sacrum, welches in 20a
älteren Zeiten nur in dem Culte des Mars herkömmlich gewesen zu
sein scheint.
Aufser den Römischen Spielen im September und diesen Grofsen
gab es eigne Plebejische Spiele im November, welche ursprünglich
speciell für die Plebs bestimmt waren und von ihren Obrigkeiten,
den plebejischen Tribunen und Aedilen besorgt wurden, man weifs
nicht genau seit welcher Zeit und auf welche Veranlassung 1 ); ohne
Zweifel lag aber noch die alte Scheidung der Patricier und der Ple-
bejer dabei zu Grunde. Später verlor sich diese Scheidung, aber
die beiden Spiele bestanden dennoch neben einander fort, übrigens
bei gleichartiger Einrichtung, denn auch bei den plebejischen Spielen
wurde an den Idus ein epulum Iovis gehalten 8 ), worauf gleichfalls
circensische Spiele folgten, welche aber nicht im Circus Maximus,
sondern in dem des Flaminius gehalten wurden, vor dessen Einrich-
tung vermuthlich im freien Marsfelde. Endlich gingen auch hier
dem epulum scenische Spiele voran, welche die plebejischen Aedilen
zu veranstalten hatten 3 ). Nach den Kalendern der Augusteischen
Zeit dauerte das ganze Fest vom 4'. bis zum 17. Novb., von welchen
Tagen die ersten acht auf die scenischen kommen würden, die Idus
auf das Opfer und das Opfermahl, an welchem ursprünglich gewifs
nur die plebejischen Magistrate theilnahmen, endlich die Zeit vom
14. bis zum 17. auf die scenischen Spiele und den vorbereitenden
Act der probatio equorum. Von einer Procession zur Eröffnung der
Spiele ist nie die Rede.
Endlich gab es auch Capitolinische Spiele des Jupiter,
Stieren auf dem Capitol, Liv. XXVIII, 38. Nach der Schlacht am 1. Trasi-
menus wurde sogar bubus trecentis geopfert und das Ver Sacram gelobt d. h.
ein Opfer von allem qnod ver attolerit ex suillo, ovillo, caprino, bovillo grege,
welches später wirklich gebracht wird, s. Liv. XXII, 9. 10; XXXIII, 44;
XXXIV, 44.
*) Ascon. in Verr. p. 143 Phbeii ludi quos exactis regibus pro Ubertate
plebis fecerunt aut pro reconciliatione plebis post secessionem in Aventinum.
Am wahrscheinlichsten ist die Einsetzung dieser Spiele nach der Rückkehr
vom b. Berge, wo auch zu den latinischen Ferien ein neuer Tag hinzugefügt
wurde. [Friedländer a. a. 0. 478 f.]
») Vgl. die Kalender und Liv. XXV, 2, XXVII, 36, XXIX, 38, XXX, 39,
XXXI, 4, XXXII, 7, XXXIII, 42. Immer heirst es et epulum Iovis fuit
ludorum causa, so sehr wurden die Spiele überall zur Hauptsache. Die
Kalender bemerken zu den Idus Nov. Epul. indict. oder Epulum indicitur.
8 ) S. die Didaskalie b. Ritschl Parerga p. 261.
15*
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DRITTER ABSCHNITT
über welche wir aber nur mangelhaft unterrichtet sind. Nach Ennius
hatte Romulus bei der Einweihung des Tempels des Jup. Feretrius
Spiele veranstaltet, welche noch ganz den Stempel ländlicher Einfalt
trugen; es wurden nehmlich geölte Felle auf den Boden gebreitet,
803 auf welchen sich dann seine Römer im Faustkampf und im VVett-
lauf sehen liefsen. So erzählen auch Andre von einer ähnlichen
Stiftung, welche Romulus Tarpejische oder Gapitolinische Spiele ge-
nannt habe 1 ). Wieder Andre wissen von einem Triumphe des
Romulus über Veji, welcher an den Iden des October gefeiert worden
wäre und wo unter andern Gefangenen auch der König von Veji,
ein kindischer alter Mann, aufgeführt worden sei; daher man am
Tage der Capitolinischen Spiele d. h. bei der Feier dieses Triumphs
immer einen alten Mann in königlichem Aufputz und mit der Bulle,
wie sie die Kinder zu tragen pflegten, über das Forum aufs Capitol
führe und dazu von einem Herolde durch öffentlichen Ausruf „zum
Kauf der Sarder" einlade, weil von den Sardern mit den übrigen
Etruskern auch die von Veji abstammten 2 ). Endlich berichtet Liv.
V, 50, dafs nach dem Abzüge der Gallier Capitolinische Spiele zur
Erinnerung an die Rettung des Capitols unter dem Schutze des
Jupiter gestiftet und zu diesem Behuf von Camillus ein eignes Colle-
gium gebildet worden sei, aus denen welche auf dem Capitol und
der Burg d. h. auf den beiden Hügeln des Capitolinischen Berges
wohnten. Aus dem Allen darf man wohl folgern, dafs auch an den
Iden des October ein altes Triumph- und Siegesfest zu Ehren des
Capitolinischen Jupiters gefeiert wurde, ein so altes, dafs man es für
eine Stiftung des Romulus hielt; und wirklich mag es älter sein als
die Plebejischen Spiele, da diese sonst kaum in den November ver-
legt worden wären. Doch scheint dieses Fest nur eine beschränkte
örtliche Bedeutung gehabt d. h. speciell die Einwohner der beiden
Capitolinischen Hügel betroffen zu haben 3 ), welche später nicht mehr
geduldet wurden.
») Serv. V. Ge. II, 384 (angeblich aus Ennius; vgl. Vahlen p. 16], Tertull.
de Spectac. 5. Iup. Tarpeius bei Ovid F. VI, 34 und ülpian tit XXII §6.
[Vgl. Marquardt Staatsverw. 3, 132. 465.]
a ) Plut. Rom. 25, wo die Worte &vovrec tmvixta nicht auf den Triumph
überhaupt, sondern auf den des Romulus vom 15. Oct. zu beziehen sind, vgl.
Qu. Ro. 53 und Fest. p. 322 Sardi venales. Aodre leiteten dieses Sprich-
wort richtiger von einem entscheidenden Siege über die Sarder ab. Vgl. deu
Gebrauch bona Porsetmae regis vendendi b. Liv. II, 14.
•) Eben dieses scheint der Sinn der Worte bei Festus 1. c. zu sein : quod
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IÜPITER. 229
Wie nun Siegesfeier und Triumph bei allen diesen Festen des
Jupiter 0. M. der leitende Gedanke war, so war auch der Triumph
im engeren Sinne, nehmlich der der heimkehrenden Feldherrn, kein
blos militärisches, sondern zugleich wesentlich ein religiöses Schau-
spiel, eine Verherrlichung desselben höchsten Gottes auf der Capi-
tolinischen Burg, dessen Stellvertreter die Inhaber der höchsten
Staatsgewalt waren. Daher das Opfer an den Jupiter beim Amts-
antritte der Consuln (S. 181, 3), daher feierliche Gelübde bei jedem
Auszuge derselben zum Kriege, wo sie vorher jene Gelübde auf dem
Capitole concipirten und darauf von ihren Freunden mit grofser
Feierlichkeit und allen guten Wünschen aus der Stadt hinausgeleitet
wurden 1 ). Diesem Vorgange entspricht der Triumph, von Seiten
des Feldherrn als Erfüllung jener Gelübde, von Seiten des Staates
als höchste Anerkennung die dem Bürger zu Theil werden konnte.
Gewöhnlich betrat der Feldherr, nachdem er das siegreiche Heer und
den Triumphzug vor der Stadt geordnet hatte, das Gebiet derselben
bei der porta triumphalis an der Grenze des Marsfeldes, bis wohin
ihm die Behörden, der Senat und ein grofser Theil der Bürger ent-
gegenkamen. Darauf bewegte sich der Zug durch den Circus Fla-
minius in die Stadt und über das Forum Boarium, wo der Hercules
der Ära Maxima in seiner Weise theilnahm, in den Circus Maximus;
endlich von dort um die Palatinische Altstadt herum und auf der
Via Sacra über das Forum und hinauf zum Capitol, dem Zielpunkte
der ganzen Feier. Voran gingen der Senat und die Behörden, dann
folgte Musik, darauf die lange Reihe der erbeuteten oder eroberten
Gegenstände, deren glänzende Darlegung immer mehr zur Hauptsache
ludis [Capitolinis qui] fiunt a vicinis [praetextatis au]ctio Feientium [fieri
solel], wo gewöhnlich mit Scaliger a vicanis gelesen wird. Nach der Hin-
richtung des Manlius Capitolinus wurde verboten ne quis patricius in Arce
aul Capitolio habitaret, Liv. VI, 20. IS. Jordan Top. 1, 1, 278 ff. Es waren
Spiele des pagus Capitolinus.]
l ) Liv. XLII, 49 Per hos forte dies P. Licinius consul t'otis in Capitolio
nuncupatis paludattts ab Urbe profeetus est. Semper quidem ea res cum magna
digniiate ac maiestate geritur etc. XLV, 39 Diis quoque, non solum homimbus
debetur (triumphus). — Consul proßciscens praetorve paludatis lictoribus in
provinciam et ad bellum vota in Capitolio nuncupat. Victor perpetrato eodem
in Capitolio triumphans ad eosdem deos, quibus vota nuncupavit, merita dona
populi Romani traducit. Vgl. Becker Handb. II, 2, 64 und von den Bedin-
gungen des Triumphs ib. 79 [Mommsen Staatstr. 1 2 , 96. 414. — 124], von
der Feier selbst Marquardt III, 2, 446 ff. [Staatsverw. 2, 564].
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230
DRITTER ABSCH.MTT.
wurde, darauf die weifsen Opferstiere *), dann die vornehmeren Ge-
fangnen, endlich der Triumphator selbst, wieder ein lebendes Bild
des Capitolinischen Jupiter, von dem er Macht und Sieg empfangen
hatte und in dessen Schoofs er jetzt den errungenen Lorbeer nieder-
805 zulegen im Begriff stand , während er die übrigen Insignien dieses
höchsten Ehrentages mit in sein Haus nehmen und seinen Nach-
kommen zum ewigen Angedenken hinterlassen durfte. Wie der hohe
und vergoldete, seit Camill gewöhnlich von vier weüsen Rossen ge-
zogene Triumphwagen ein Bild der quadriga Iovis war 2 ), so die mit
Palmenzweigen und Victorien gestickte Tunica, die mit Gold auf
purpurnem Grunde gestickte Toga des Triumphators, das elfen-
beinerne Adlerscepter in seiner Hand, der über seinem Haupte
schwebend gehaltene Triumphalkranz von Gold und Edelstein, sein
eignes nach dem Vorbilde Jupiters mit Mennich hochroth gefärbtes
Antlitz recht eigentlich der ornatus Iovis Optimi Maximi 3 ): daher
einer solchen Erhebung der sterblichen Menschen als heimliches
Amulet gegen den Neid und bösen Blick ein Fascinus unter dem
Wagen dienen mufste und deshalb auch den folgenden Soldaten jeder
beliebige Spott erlaubt gewesen sein soll 4 ): so sehr fürchtete der
*) Virg. Ge. II, 148, Plutarch Aeinil. Paul. 33, Comment. Cruq. Horat.
Ep. 9, 22 [a triumphatoribus Oos alba et indotnäa in Capitolio immolari sole-
bat, was freilich io den übrigen Scholien fehlt, aber eben deswegen auch
wenig Autorität hat]. Nach Serv. V. A. IX, 627 wurden von den Triumphi-
renden auch Suovetaorilien dargebracht, aber nicht dem Jupiter, sondern dea
andern Göttern des Kriegs.
*) Liv. V, 23 Iovis Solisque equis aequiparatum dictalorem in religionem
trahebant. Mithin war auch die teusa Iovis gewifs so bespannt.
8 ) Liv. X, 7, vgl. Serv. V. Ecl. X, 27, Sueton Octav. 94. Es scheint
sogar dal's die tunica palmata und die toga picta den Triuaiphirenden e Capi-
tolio verabfolgt wurden, s. Lamprid. Alex. Sev. 40, lul. Capitol. Gordian 4,
Vopisc. Prob. 7. Von dem Kranze s. Piin. II. IV. XXX III, 11 und oben
S. 109, 1 und 224, von der Färbung des Gesichts S. 218, 2 und Serv. V. Ecl. VI,
22, X, 27.
4 ) So ist Plin. H. N. XXVIII, 39 zu versteh n: fascinus imperatorum
quoque, non sola in Infant htm custos, qui deus inter sacra Romana Vestalibus
colitur et currus triumphantium sub his pendens defendit medicus invidiae,
iubetque eosdem resipiscere (so schreibt Sillig mit Hecht f. respicere) similis
medicina Imgitae (n elimlich die Spottlieder der Soldaten), ut sit exorata a
tergo Fortuna gloriae carnifex. [Ueberlielert ist reciperex vgl. Prellers Aus-
gewählte Aufsätze S. 304 f.] Vgl. Dio Cass. L1X, 17, wo Caligula vor seinem
Triumphe bei Puteoli dem Neptun opfert xal cillois xial &£oTs 4*9ovtfi xt,
fiirj xal ßaoxavia ns «vto~ ws ttfaaxe ytvnxoa.
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IUP1TER.
231
{Jiaube der Alten bei jedem aufserord entlichen Gedeihen die dämo-
nische Gewalt des Neides. Umgeben von den Genossen seines
Ruhms verliefs er endlich oben auf dem Gapitole angekommen den
Wagen, stieg die Stufen zum Tempel hinan nabele sich anbetend
dem Bilde Jupiters und legte den Lorbeer, gewöhnlich den der vor
ihm getragenen Pasees, der Sinnbilder seiner Gewalt, oder auch eine
Palme in den Schoofs des Gottes 2 ). Dann folgte das Opfer und
ein festliches Opfermahl im Tempel, an welchem der ganze Senat 206
und alle Behörden theilnahmen und der Triumphirende natürlich die
Hauptperson war, bis er zuletzt von diesem Mahle feierlich heim-
geieitet wurde 3 ) und somit wieder in die gewöhnliche Lebens-
ordnung zurückkehrte. Die freudige Aufregung, das Gedränge der
ganzen Stadt bei solchen Gelegenheiten, zumal wenn der Triumphi-
rende beliebt war, kann man sich nicht lebhaft genug vorstellen 4 ).
Auch wurde in späterer Zeit das Volk gewöhnlich von dem Trium-
phator im Saale des Hercules der Ära Maxima oder sonst in der
Stadt gespeist und mit scenischen Spielen und andern Ergötzlich-
keiten unterhalten 5 ).
Haben wir so die verschiedenen Feste und festlichen Ver-
anlassungen übersehen, bei denen der Gapitolinische Jupiter als der
höchste Gott aller römischen Staatsgewalt und aller ihrer Erfolge
verehrt wurde, so mag schliefslich, um das Bild örtlich und histo-
risch abzurunden, auch von der Ausstattung und Umgebung seines
Tempels und der späteren Geschichte des Capitols die Rede sein,
*) Der grofse Cäsar machte dieseu letzten Gaog auf seinen Kaieeo, was
Claudius nachahmte, s. Dio Cass. M.III, 21, LX, 23. So kletterte auch Carl
<1. Gr. die Stufen von S. Peter knieend empor, indem er jede Stufe küfste.
*) Von dem Lorbeer der Fasces s. Dio Cass. LIV, 25 und Lipsius Exc.
D. Taeit. Ann. II, 26 [Mommsen Staatsrecht 1 s , 358]. Auf zwei alten Ge-
mälden, welche die Kaiser Hadrian und Antonius Pius auf Triumphwagen
darstellen, Mon. dell' Inst. 3 t. X. XI, haben die Kaiser den zu weihenden
Lorbeer in der Hand. Auch das palmam dedit der Triuuiphalfasten ist auf
diesen Act zu beziehe, vgl. Macrob. II, 7, 8.
») Vgl. Liv. XLV, 39, Varro b. Non. Marc. p. 94 cenatus und Cato Orig.
b. Gell. N. X, 24, wo mit Beziehung auf dieses Festmahl der Befehlshaber der
puoischen Reiterei zum Hannibal sagt: Milte tnecum Romam equitatum; die
quinti in Capitolio tibi cena cocta erit.
<) Vgl. Liv. III, 29; IV, 20 u. A.
6 ) Vgl. Plut. Luculi. 37, Dio LV, 2, wo Tiber das Volk auf dem Capitoi
und durch die ganze Stadt speist, Livia und Julia aber im Palatium die Damen.
Aehnlich ib. 8.
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DRITTER ABSCHNITT
da auch in diesen der Grundgedanke dieser Anlage, das terrestre
domicilium Iovis darzustellen (Cic. Verr. IV, 58, 129), deutlich
hervortritt 1 ).
Zahllos waren zunächst die kostbaren Geschenke und Stilllungen
sowohl des frommen Glaubens der Einheimischen und des Staates
als der verzagten Ehrfurcht auswärtiger Völker und Könige, welche
ihre huldigende Anerkennung der Obmacht Roms durch Geschenke
an seine höchste Götter -Trias auszudrücken pflegten. Gewöhnlich
bestanden solche Tribute in goldnen und silbernen Schaalen und
anderm Cultusgeräth , goldnen Kränzen und andern Kostbarkeiten,
wie sie die mehrfach erhaltenen Verzeichnisse andrer Tempelschätze
aufzählen, nicht selten aber auch in solchen Gegenständen, welche
zu den Attributen und Symbolen der Götter gehörten, z. B. in
M7 Blitzen von Gold oder Silber, Quadrigen u. dgl. Die grofse Masse
solcher Weihgeschenke wurde von Zeit zu Zeit eingeschmolzen, die
übrigen in den sogenannten Favissen niedergelegt, kellerartigen An-
lagen unter dem Tempelhofe, in welchen auch das abgängig gewor-
dene Tempelgeräth und veraltete Cultusbilder verwahrt wurden.
Ueberdies gab es noch einen besondern Schatz des Capitolinischen
Jupiter, welcher unter seinem Sitze in dem Throne niedergelegt war.
Camill hatte ihn angelegt, als die Gallier endlich abziehn mufsten,
und treulich verwahrte und mehrte ihn die Republik, bis mit der
Zeit des Marius und Sulla zugleich der Brand des Capitols und die
Plünderung bedürftiger Feldherrn auch diese Schätze störten. Was
Sulla wiederhergestellt hatte, ging von neuem durch Crassus und
Caesar verloren, bis Augustus wieder auf einmal 16000 Pf. Goldes
und eine entsprechende Menge von Edelsteinen und Perlen in der
Cella des Jupiter niederlegte 8 )•
Nicht weniger zahlreich und für die Geschichte des römischen
Staates und des römischen Ruhms im höchsten Grade lehrreich
waren die vielen von Privaten oder von Staatswegen dahin gestifteten
Andenken, Inschriften, Ehrenschilde, Tropäen, Victorien u. dgl. m.,
so zahlreich dafs der Tempel und seine Säulen von Zeit zu Zeit von
dem UeberOufs gesäubert werden mufsten (Liv. XL, 51). Schon die
vielen historisch merkwürdigen Inschriften, welche es dort zu lesen
gab, waren für den Patrioten ein wahrer Schatz, wie z. B. die Feld-
') [Ergänzungen des folgenden Abschnitts giebt Jordan Top. 1 AML. 2.)
*) Liv. V, 50, Plio. H. N. \ Will. 14, Sueton Caes. 54, Octav. 30, Di©
XLI, 39. [Vgl. Schwegler R. G. 3, 266, Jordan Annali dell' inst. 1876, 169.)
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IUPITER
233
herrn, ehe sie triumphirten, ein Verzeichnifs ihrer Thaten in Satur-
nischen Versen auf dem Capitole anzuschlagen pflegten, wovon einige
Beispiele durch die Schriftsteller erhalten sind, darunter die alte und
ehrwürdige Inschrift, in welcher T. Quinctius Cincinnatus mit ein-
fachen Worten von seinen durch die Gnade Jupiters und aller Götter
im J. 374 (380 v. Chr.) erfochtenen Siegen über Präneste berich-
tete 1 ). Die stille Würde dieser älteren Zeit mochte merklich ab- 20s
stechen gegen die goldne und silberne Pracht der späteren, wo Rom
von seinen Feinden lernte, auch seiner eignen Siege und Götter mit
grofsem Aufwand und mit einer anspruchsvollen Kunst der Dar-
stellung zu gedenken. So lernte man von den Puniern die goldnen
und silbernen Ehrenschilde mit eingegrabenen Bildern kennen, wo
es sich denn gelegentlich zutrug, dafs derartige auf dem Capitol
befindliche Schilde von Silber von den Censoren lange für eherne
gehalten wurden (Plin. H. N. XXXV, 14). Auch wurde es um die-
selbe Zeit beliebt, in ausgeführten Bildern der Schlachten zum Volke
zu sprechen 8 ), wie man auch im Mittelalter in Florenz und Rom
durch historische und allegorische Bilder sich an das Volk wendete.
Später mehrten sich die nach griechischer Weise aufgestellten Vic-
torien, namentlich seitdem der goldnen Victoria, welche Hieron dem
Senate in schwerer Bedrängnifs übersendet hatte, so grolse Ehre
erwiesen worden war 8 ). Auch die gröfseren Tropäen, wie man deren
*) Atll, Fortunat, p. 2680 P. [Gramm. Lat. 6, 265] apud nostros in ia-
bidis emtiquis, quas triumphaturi duces in Capitolio figebant victoriaeque suae
tüulum Saturniis versibut prosequebantur, talia repperi exempla etc. Vgl.
Marini Atti p. 37, Ritsehl inscriptio quae fertur columaae rostratae Duellianae
Bonu 1852 [Op. 4, 200 f.]. Die erhaltenen Beispiele sind: 1) das vom Cin-
cinnatus b. Liv. VI, 29, vgl. Fest. p. 363. 2) die an den Seesieg des L.
Aemilius Regillus über die Flotte des Antiochus erinnernde Inschrift b. Liv.
XL, 52. 3) die des Ti. Sempronius Gracchus, welche von einer bildlichen
Darstellung der Insel Sardinien und seiner auf ihr gefochtenen Schlachten be-
gleitet war, Liv. XLI, 28.
») Plin. XXXV, 19, vgl. Papencordt Cola di Rieuzo S. 73. [Vgl. Urlicbs,
in dem oben S. 45, 2 a. Progr. ,Die Malerei in Rom vor Casars Dictatur'
Würzburg 1876. Reste eines Schlachtgemäldes haben sich auf einem Grabe
in Rom erhalten: Jordan in Comment. phil. in hon. Mommseni p. 358 f. Vgl.
dens. De Vortumni et Consi aedibus Aventinensibus (in der Gratulationsschr.
d. Königsberger Universität z. 50jähr. Jubiläum des Arch. Instituts in Rom)
Königsberg 1879.]
') Liv. XXII, 37. Vgl. die von dem numidischen Könige Bocchus dem
Sulla zu Ehren aufs Capitol geweihten Nixcu jqonutotfOQOt b. Plutarch Mar.
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DRITTER ABSCHNITT
noch jetzt auf dem Capitole sieht, wurden immer häufiger, und die
Kette der Triumphbögen, welche auf dem Forum, vor den Thoren
und in den belebtesten Strafsen die gewöhnliche Richtung der
Triumphzüge bezeichneten, begann unter August und Tiber den Fufs
des Capitols zu erreichen, unter Nero dasselbe zu ersteigen 1 ).
Dazu kamen die vielen Tempel und Bilder andrer Götter, welche
sich allmählich um den grofsen Capitolinischen Haupttempel wie um
ihren Mittelpunkt ansammelten, die Menge von Bildern und Statuen
berühmter Männer, die vielen alten Gesetze und öffentlichen An-
schläge, da auch aufserhalb des Tabulariums viele Gesetze auf
besondern Säulen von Erz oder an die Mauern und Flächen der
Tempel und der Monumente angeheftet wurden 3 ), endlich eine grofse
Menge von kostbaren Bildern und Gemälden griechischer Kunst,
welche die Sieger nach Rom brachten. Unter den Götterbildern mag
vorzüglich der historisch wichtigen des Jupiter gedacht werden:
ao9 namentlich des von Sp. Carvilius Maximus, dem Sieger über die
Samniter vom J. 461 (293 v. Chr.), aus den Rüstungen der heiligen
Schaar geweihten Colosses, der von solcher Höhe war, dafs man ihn
vom Gipfel des Albaner Berges deutlich unterschied 8 ), und des auf
einer Säule aufgestellten Bildes, dessen unter den Prodigien des
J. 65 v. Chr. gedacht wird, wo ein Gewitter so außerordentliche
Verwüstungen auf dem Capitole anrichtete, dafs man das Schlimmste
befürchten mufste*). Andre Bilder kamen aus Griechenland, z. B.
eine Statue des Zeus Urios d. h. des Senders guter Winde* aus
Macedonien, welchen Flamiuius auf das römische Capitol versetzte,
32, Sulla 6. Victoria quadrigam in sublime rapiens, ein Gemälde des Nico-
mächtig auf dem Capitol, Plin. XXXV, 108.
*) Propert. III, 11, 45 von den Tropäen des Marius. Tropaea Germanici
in tribunali quae sunt ad aedem Fidei Populi Romani auf Militärdiplomen
v. J. 86 [C. 1. L. 3 p. 856 f.]. Vgl. Tacit. Ann. XV, 18 uod Henzen in den
Jbb. d. V. v. Alterthumsfr. im Rheinl. XUI S. 26 uod 59.
8 ) Vgl. Cicero Cat. III, 8, Dio XXXVII, 9, XLI, 14, Sueton Vespas. 8.
») Plin. H. N. XXXIV, 43. Zu den Füfsen des Colosses stand ein
kleines Bild des Carvilius, welches aus den Abfällen der Feile gegossen war.
Kleinere Votivtempel des Jupiter, wahrscheinlich Betkapellen mit einem
Altare und Bilde, werden erwähnt bei Liv. XXXV, 41. [Doch vgl. Jordan in
Comm. phil. in hon. Mommseui p. 358 f.J. Eine columna — secuudum Iovem
Africum auf Militärdiplomen [C. I. L. a. O.j.
«) Cic. Catil. III, 8. de Divio. I, 12, Dio XXXVII, 9, vgl. Becker Handb.
1, 394.
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IUP1TER.
wo man den griechischen Namen durch Iup. Imperator übersetzte,
ein dreifsig Ellen hoher Apoll aus Apollonia am schwarzen Meere,
den Lucullus mitgebracht hatte, verschiedene ßilder des Mars, des
Hercules u. s. w. 1 ) Weit zahlreicher müssen aber die Statuen der
verdienten Bürger gewesen sein, da es während der Republik für
eine der höchsten Auszeichnungen galt, in der Nähe des Jupiter
0. M. ein Bild von sich aufstellen zu dürfen a ). Sah man doch selbst
die Bilder der sieben Könige auf dem Capitole und neben ihnen das
des Brutus, neben welchem man später das des Cäsar stellte, was
den damaligen Brutus, den Mörder Casars, ganz besonders zur Theil-
nahme an der Verschwörung gereizt haben soll 8 ). Daran schlössen
sich so viele andre Statuen berühmter Männer mit entsprechenden
Inschriften, z. B. die des L. Caecilius Metellus, des Siegers von
Panormus, der als Pontifex das Bild der Vesta rettete, des M. Aemilius
Lepidus, wie er sich schon als Knabe in der Schlacht ausgezeichnet
hatte, des Scipio Africanus und seines Bruders Lucius, welcher sich
in griechischer Tracht hatte abbilden lassen, des Q. Marcius Rex
und vieler Andrer 4 ), dafs August, weil der Platz zu eng wurde, 210
eine grofse Anzahl dieser Statuen vom Capitol nach dem Marsfelde
versetzte. Der höchsten Ehre unter Allen war aber doch Scipio
Africanus d. Ä. gewürdigt worden, da nicht allein der Tempelhof
seine Statue zeigte, sondern ein Bild von ihm selbst in dem eignen
Tempel des Jupiter hatte aufgestellt werden dürfen, eine Wachs-
maske welche, so oft das Geschlecht der Cornelier ein feierliches
Leichenbegängnifs zu begehen hatte, von dort zu dem Zuge der
Ahnenbilder abgeholt wurde 5 ). Auch mochten wenige Römer die
Herrlichkeit des Capitolinischen Jupiter und seinen unsichtbaren
Schutz der römischen Gröfse mit so innigem Gemüthe erfafst haben
als dieser Scipio, welcher mit seiner an griechischen Enthusiasmus
erinnernden Begeisterung in dem nüchternen Rom ohnehin eine
auffallende Erscheinung ist und wegen seiner religiösen Hingebung
») Cic. Verr. IV, 57, 12Sff., ad Att. VI, 1, 17 [vgl. Jordan Eph. epigr.
3, 64], Plio. IV, 92, XXXIV, 39, Dio XL1, 14, XLII, 26.
a ) 1 M om rasen Staatsrecht 1 *, 434.]
*) In der Mähe derselben alten Königsbilder fiel Ti. Gracchas, s. Püb.
XXXIH, 9, XXXIV, 22, Appian b. civ. I, 16, Dio XLIII, 45, Ascon. Cic.
Scaur. p. 30 Or. [p. 25 Sch. u. K.]
*) Cic. ad Att. VI, 1, 17, Dionys. II, 66, Valer. Max. III, 1, 1; 6, 2, Sueton
Cal. 34.
») Liv. XXXVIII, 56, Val. Max. VIII, 15, 1, Appian Hisp. 23.
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236
DRITTER ABSCHNITT.
an den höchsten Gott und seiner aufserordentlichen Erfolge beim
Volke sogar den Glauben an eine übernatürliche Abkunft erweckt
hatte. Schon als junger Mann war er jeden Morgen, sobald der
Tag graute, von seiner gleich unter dem Capitol gelegnen Wohnung
hinauf in die Burg und in den Tempel gegangen, wo die Hunde ihn
nicht mehr anbellten und die Wächter stillschweigend aufschlössen,
In stiller Sammlung weilte er dann eine Zeitlang vor dem Bilde
Jupiters, um sein tägliches Geschäft und das Wohl des Staates mit
sich und mit ihm zu berathen, bis diese Morgenandacht ihm zur
unentbehrlichen Gewohnheit geworden war, so dafs seine spätem
Erfolge und Triumphe, der vom J. 201 v. Chr. und der über seine
Ankläger im J. 187, nur als die letzte Erfüllung von dem erschienen,
was sich in seiner Seele früher still gebildet hatte 1 ). Auch war ja
grade dieses die Zeit, wo Jupiter die alte Verheifsung, dafs seine
Burg in Rom das Haupt über alle Welt und ihre Grenze niemals
verrückt werden solle, durch unerhörte Siege und Eroberungen der
Börner jährlich mehr zu einer aller Welt einleuchtenden Wahrheit
machte.
Der alte Tempel hatte über 400 Jahre gestanden und schien
wie den Anfang, so auch das Ende der Republik erleben zu wollen,
als er am 5. Juli des J. $3 v. Chr. durch eine bei Nacht ausgebro-
chene Feuersbrunst zerstört wurde, mitten im Kriege zwischen Marius
und Sulla, welcher letztere gleich zur Wiederherstellung schritt; doch
an war diesesmal nicht er der Glückliche, sondern Q. Lutatius Catulus,
der Consul des Jahres der Einweihung, 78 v. Chr., dessen Name seit-
dem unter dem Giebel neben dem des Jupiter 0. M. prangte. Der
alte Bauplan wurde beibehalten, aber prächtiger ausgeführt; auch
war jetzt das Bild des Jupiter ein ganz und gar griechisches, eine
Copie des Jupiters in Olympia, in welchem schon L. Aemilius Paulus,
der Sieger des Perseus, das wahre Urbild des Capitolinischen Jupiters
erkannt hatte 8 ), und von einem griechischen Künstler Apollonios
aus Gold und Elfenbein und mit prächtiger Gewandung ausgeführt.
i) Liv. XXVI, 19, Gell. VI. 1, Dio Cass. fr. 57, 40 p. 65 Bekk.
>) Li. XL1V, 28 Iovern velut praesentem intuens motus animo est. Itaque
haud situs quam si in Capüolio immolaturut esset, sacri/icium amplius solito
apparari iussit. Vgl. Chalcid. in Plat. Tim. p. 440 ed. Meurs. [p. 361 ed.
Wrobel L. 1876] und Bronn Gesch. d. griech. Künstler 1, 543. Daher schrieb
Varro de vita populi Ro. über I b. Non. Marc. p. 162 Quid inter hos loves
intersit et eos qui ex marmorn ebore auro nunc fiunt etc.
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237
Hernach war Augustus, der grofse Restaurator des römischen Gottes-
dienstes, auch für die Verschönerung und Wiederherstellung des
Capitols auf mehr als eine Weise bedacht, namentlich auch dadurch,
dafs er einen ganz neuen Tempel des Iupiter Tonans baute, wozu
ihn ein Abenteuer seines spanischen Feldzugs vom J. 26 v. Chr.
bestimmte. Als er nehmlich einst bei Nacht unterwegs war, fuhr
ein Blitz mit furchtbarem Donnerschlage so dicht bei der Sänfte
nieder, dafs er selbst geblendet, der vorleuchtende Sklave erschlagen
wurde; daher Jupiter nun auch in dieser dem griechischen Zsvc
Bqovvwv [oder Bgovrijaiog] 1 ) entsprechenden Form einen Cultus
auf dem Capitole bekam. Der Tempel ward an den Kaienden des
September im J. 22 eingeweiht und wurde seitdem' von so vielen
Andächtigen besucht, dafs der alte Jupiter sich darüber bei dem
Stifter im Traume beklagte; worauf dieser den Giebel des neuen
Tempels mit kleinen Glöckchen versehen liefe, als ob dieser neue
Jupiter Tonans nur die Bedeutung eines Pförtners an der Schwelle
des alten Jupiter 0. M. habe. Schon deshalb kann dieser Tempel
nicht unten am Aufgange zum Capitol gelegen haben, wo die gewöhn-
liche Tradition der römischen Topographie ihn sucht.
Der neue Tempel verbrannte wieder bei dem von Tacitus so ais
\ anschaulich beschriebenen Sturme der Vitellianer, wo sich die Vespa-
sianer auf dem Capitole festgesetzt und hinter dessen Thoren mit
den Statuen der Vorzeit eine mächtige Barrikade errichtet hatten.
Vespasian hatte den Tempel kaum wiederhergestellt und dabei auf
die Mahnung der Uaruspices wieder den alten Bauplan befolgt, als
er durch die grofse Feuersbrunst unter Titus im J. 80 von neuem
») So übersetzt Üio LIV, 4 den lup. Tonans. Z. Bqovthv ist eine sehr
geläufige Form des Zeuscultus der späteren Zeit, namentlich in Kleinasien.
[Vgl. Welcker Götterl. 2, 104, Kiepert u. Franz Fünf Inschriften und fünf
Städte in Kleinasien, Berlin 1840 S. 5 ] Der auf römischen Münzen zuweilen
genannte lup. Cantaber scheint identisch mit dem lup. Tonans zu sein,
lieber die Glöckchen am Giebel s. Sueton 91, welcher hinzusetzt dafs solche
Glöckchen meist an den Thüren zu hängen pflegten. Anders Dionys. LIV, 4,
wo August dem Jupiter Tonans selbst ein Glöckchen anhängt, ol yoQ rag
auvoix(ag vuxtwq (fvlttaoovTts xajötuvotföQovotv, onw a^tth'iiv atffair
onoiav ßovlr\^wai Svvmiat. [Von einem Griechen rührt, wie die Naraen-
gebung zeigt, die Widmung Iovi sancto Brontonti Aur, Poplius (unter einem
Relief, Apollo und zwei Frauen darstellend, Rom Villa Pamfili) her: C. I. L.
6, 432, ein sacer{dos) dei Brontontis das. 2241. Uebrigens läfst sich bei den
späteren Widmungen an den »Donnerer' (oben S. 191) nicht immer entscheiden,
ob es sich um römische oder griechische Vorstellungen handelt.]
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238
DRITTER ABSCHNITT.
zerstört wurde. Domitian vollendete den Tempel im J. 82, wie die
unter ihm geprägten Münzen lehren 1 ). Derselbe Kaiser hatte noch
eine besondre Veranlassung dem Capitolinischen Jupiter zu huldigen ,
da er bei jenem Sturme der Vitellianer auf dem Capitoie gewesen
und kaum gerettet worden war; daher er noch unter der Regierung
seines Vaters auf dem Platze der Küsterwohnung, wo er sich ver-
steckt hatte, eine Capelle des Iup. Conservator mit einem Altare
stiftete, dessen Reliefs die Geschichte seiner Rettung bildlich klar-
stellten, später aber als Kaiser dem Iup. Gustos einen grofsen und
mächtigen Tempel erbaute und sich selbst in demselben als Schützling
des Gottes darstellte 2 ). Ueberdies stiftete Domitian neue Capito-
1 in i sehe Spiele, deren bei den Schriftstellern und Dichtern der
«13 Zeit nicht selten gedacht wird 8 ). Sie bestanden nach griechischer
*) Kok hei D. N. VI p. 377 and Pinder in den Abb. d. Berl. Akad. 1855
S. 625 t. Vi, 7. Zwischen den Säulen thront in der Mitte Jupiter, während
Juno und Minerva zur L. und zur B. stehen. Oben auf dem Gipfel siebt man
die Quadriga. Ueber verschiedne Reliefs, welche Ansichten von dem Giebel-
felde dieses Tempels geben, s. Brunn Sul frootone del tempio di Giove Capi-
tolino, Annal. dell' Inst. 1851 p. 289 sq. Vgl. Cavedoni Bullet. Arch. 1852
p. 157, 0. Jahn Archäol. ßeitr. S. 81. [Kühne Revue oum. Beige 5. Ser. 2
(1870), 51. Wieseler Gött. G. A. 8. Mai 1872 1, 723 ff. Nachrichten d. k. G.
d. VV. zn Gottingen 29. Mai 1872, 265 fl. E. Schulze Arch. Zeitung 1872 (30),
1 ff. und mehr bei Jordan Top. 1 Abth. 2.]
*) Tacit. Hist. III, 74, wo mir [das hs. überlieferte] aramque posuit
casus suos in marmore expressam die richtige Lesart zu sein scheint.
Weiterhin deuten die Worte seque in sinu Dei sacravit auf ein Tempel-
bild. Der Iup. Conservator ist auf den M. Domitians dargestellt stans d. ful-
men s. bastam [vgl. Eckhel VI p. 379. 393 und Cohen 1 p. 430. 432], der Iup.
Cnstos sedens d. fulmen vel Victoriolam. Beide entsprechen dem Z. 2mtt]q
der Griechen, s. Or. n. 1225 — 1228, Henzen n. 5619 a., besonders Or. 1228 aus
Tuder, wo im Namen dieser Colonie und ihrer Obrigkeiten Iovi Opt. Max.
Custodi Conservator i gedankt wird, weil er einen bösen Zauber, den ein
servus publicus gegen die hohe Obrigkeit gerichtet hatte, vereitelt hatte.
[Ueber den nicht seltenen Privatcultus des Juppiter conservator - custos vgl.
oben zu S. 208.] Von dem T. des Iup. Custos auf dem Capitol glaubt mau
gleich hinter dem Palaste der Conservatoren Trümmer gefunden zn haben.
[Diese Annahme Canina's Indic. p. 309 ist abhängig von seiner falschen Ansicht
über die Lage des grofsen Juppitertempels.]
*) Das gewöhnliche Thema waren die laudes Capitolini lovis und natür-
lich die des Domitian, s. Quintil. III, 7, 4, Sueton Domit. 4 und die Inschrift
b. Or. n. 2603 und Mommsen L Ff, n. 5252. Auch Herodian I, 9 spricht von
diesen Spielen. Vgl. Ritscbl Rh. Mus. N. F. I, 309 [Op. 3, 735] und Studer
ib. II, 210 [besonders Friedländer Sitteng. 2», 464 ff. 616 ff.]
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njprrra
239
Weise aus musischen, ritterlichen und gymnastischen Wettkämpfen,
und zwar durfte bei den musischen sowohl in Poesie als in Prosa
und sowohl in griechischer als in lateinischer Sprache concurrirt
werden.
So hatte sich der alte Cultus zwar noch einmal verjüngt und
immer blieb daher Jupiter der höchste Repräsentant der Majestät
des römischen Namens und Staates. Aber wie der Kaiser jetzt in
diesem Staate zur Hauptsache geworden war, so war er es nun auch
auf dem Capitol: worüber das Geistliche und das Weltliche, Adulation
und Andacht, wie in dieser ganzen letzten Periode der römischen
Staatsreligion, oft auf eine recht widerwärtige Weise vermengt wurde.
Für den Kaiser wurde zu Anfang jedes neuen Jahres (S. 181) und
an seinem Geburtstage und dem Tage seines Regierungsantritts, aber
auch bei vielen aufserordentlichen Veranlassungen auf dem Capitole
gebetet und geopfert 1 ), seltner freiwillig und von Herzen als unter
dem strengen Gebote der Tyrannei und mit verstohlenen Flüchen,
welche eben deshalb nach dem Tode des verhafsten Gewalthabers
um so leidenschaftlicher hervorbrachen. Mit den Statuen der Kaiser
füllte sich jetzt der Vorhof des Tempels, meist mit silbernen und
goldnen, wie namentlich Domitian nur solche duldete, dagegen
Trajan nur eherne 8 ). Die Kaiser verliefsen wie weiland die Con-
suln nie ohne einen Gang aufs Capitol und feierliche Gelübde an
Jupiter die Stadt und so war auch bei ihrer Rückkehr gewöhnlich
*) Bei Sueton Octav. 59 verfügen einige alte Herrn sogar testamentarisch,
dafs ihre Erben nach ihrem Tode auf dem Capitol opfern sollten, quod super-
stitem slugustum reliquissent. Vgl. Sueton Calig. 5 von der allgemeinen Ver-
zweiflung bei den bösen Nachrichten über die Krankheit des Germanicus: Lapi-
data sunt templa, subversae deum arae, lares a quibutdam familiäres in
publicum abiecli, partus coniugum expositi. Als es dann heifst, es gehe besser,
lauft Alles aufs Capitol, passim cum luminibus et victimis in CapitoHum con-
cursum est ac paene reversae templi fores, ne quid gestientes vota reddere
movarentur. Vgl. Soetou Tib. 53 und von den unablässigen Opfern unter
Domitian, quum saevissimi domini atrocissima efßgies tanto victtmarum cruore
coleretur, quantum ipse humani sanguinis profundebat, Plin. Panegyr. 52, aus
späterer Zeit Flav. Vop. Prob. 12.
2 ) Sueton Domit. 13, Plin. 1. c. 52. Die silbernen Statuen waren den
Körnern zuerst durch den Triumph des Pompejus bekaunt und unter Augustus
schon zu einem gewöhnlichen Mittel der Adulation 'geworden, Plin. H. IN. XXXIII,
151. Dem Kaiser Claudius, dem Besieger der Gothen, wurde sogar eine goldne
statua equestris, 10 F. hoch, vor dem grofsen Tempel errichtet, Oros. Hist.
VII, 23, Trebell. Poll. Claud. 3.
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DRITTER ABSCHMTT.
tu ihr erster Gang dabin gerichtet und erst der zweite in die kaiser-
liche Pfalz auf dem Palatin 1 ). So war natürlich auch der Triumph
jetzt ein kaiserliches Monopol, von welchem August vor lauter Ehren
zuletzt gar nicht einmal Gebrauch machte 3 ), bis später Trajan und
andre Kaiser auch diese alte Verherrlichung des Capitolinischen
Reichsgottes wieder zu Ehren brachten und seinen Tempel hei
solchen Gelegenheiten mit kostbaren Geschenken überhäuften. Bei
Trajan, welcher nicht den Schwur bei seinem Genius, sondern nur
den beim numen Iovis 0. M. duldete, wollten seine Verehrer auch
darin eine besondre Fügung erkennen, dafs Nerva seine Adoption
zuerst auf dem Capitol. im Angesichte des höchsten Gottes, feierlich
ausgerufen, dann dem Senate und ihm selbst angezeigt hatte*). In
demselben Sinne einer Anerkennung des Capitolinischen Jupiters als
des höchsten Reichsgottes handelten auch Aurelian und Diocletian,
welcher letztere durch geflissentliche Verehrung dieses Jupiter, dessen
Stellvertreter auf Erden der Kaiser war, die schon in der Auflösung
begriffene römische Staatsreligion sogar noch einmal zu stützen ver-
suchte 4 ), wie Jupiter denn auch sonst in diesen letzten Zeiten vor-
zugsweise als Praeses Orbis, Pacator Orbis, Propugnator, Tutator,
Sponsor Saeculi Augusti verehrt wurde, immer mit specieller Be-
ziehung auf den Kaiser. Dazwischen wird er in dem Gewirr so
vieler verschiedner Götter und Götterculte nun auch wohl als der
summus excellentissimus und summus exsuperantissimus, wie sich
die schwülstige Sprache der Zeit ausdrückte 5 ), gefeiert. Sonst treten,
*) Vgl. Herodian II, 14, 2, III, 8, 4, Lamprid. Alex. Sev. 57, Treb. Pollio
Gallien. 8, wo der Zog auf» Capitol besonders feierlich ist. Die Stände
voran, das ganze Volk, die Frauen mit Lichtern und Fackeln, unendlich
viele und reich geschmückte Opfer, 100 weifse Ochaen mit vergoldeten Hör-
nern u. s. w.
') Mon. Ancyr. 1, 22 [cumque plu]ris triumphos mihi sen[atus decrevisset,
iis su)persedi [et tantum laurjus deposui in Capüo[Uo votis quae q]uoque hello
rmncu[param reddt]tis, s. Zumpt p. 45 [Mommsen p. 10]. Eben so Domitian
Sueton 6, vgl. Nero 13. Die Feldherrn muteten sich mit den Insignien des
Triumphs begnügen, welche sogar bald zur gewöhnlichen Decoration wurden.
«) Plin. Panegyr. 1. 8, Dio LXVIll, 3.
<) A. Vogel der Kaiser Diocletian, Gotha 1857 S. 23 ff. Daher nannte
Diocletian sich Iovius, auch sind seine Münzen voll von Beziehungen auf diesen
Cultus, In Eckhel D. Y VIII p. 49. In Rom stiftete er einen Campus Iovis und
ein Nympheum Iovis, s. m. Regionen S. 136. 169. lieber Aurelian vgl. Flav.
Vopisc. 29. 33.
») Or. n. 1267-1269, Mommsen I. IV. n. 1068. 3581 [C. I. L. 6, 426 =
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I UPI TER.
241
wie bemerkt, in diesen sinkenden Zeiten am meisten die Culte des 215
Iup. Depulsor und Salutaris hervor, und die Culte der Vermengung
der römischen Begriffe mit den orientalischen, z. B. im Dienste des
E. 0. M. Heliopolitanus, Damascenus, Dolichenus u. s. w., oder auch
denen der celtischen und germanischen Völker des Nordens, deren
verwandte Götterdienste nun gleichfalls auf diese Weise übersetzt
wurden. So namentlich die auf den hohen Bergen der nördlichen
Grenze verehrten Götter, welche zugleich als schützende Mächte
der Wandrer, die diese Strafsen zogen, angerufen wurden, z. B.
I. 0. M. Poeninus, dessen Silz der grofse S. Bernhard war, und
ein I. 0. M. Culminalis in der Steiermark, neben welchem sogar
die Wege und die Stege göttlich verehrt wurden [vielleicht auch ein
italischer Cacunus] 1 ).
Zu dieser Verschmelzung hat der Umstand nicht wenig bei-
getragen, dafs nicht blos die ausländischen Culte in Rom zugelassen,
sondern auch das römische Capitol mit seinen Göttern vielfach in
Italien und in den Provinzen nachgeahmt wurde, vermuthlich zuerst
in Italien, wo man sich in den städtischen Einrichtungen und Be-
nennungen immer gerne nach der Hauptstadt richtete 2 ). Anderswo
Or. 1268]. Bei Or. n. 1269 [= C. I. L. 3, 1090] heißt es: Iovi 0. M. summo
exsuperantissimo, divinarum humanarumque reruvi rectori fa -
torumque arbitro, vgl. die Iuschr. b. Hcn/.en n. 5609 [= 5, 4296] uud die
Gebetsforineln b. Vogel a. a. 0. S. 90.
») Or. n. 228 Jf., Uenzen 5642 [C. I. L. 5, 6866 ff.], vgl. J. Grimm D. M.
154 and die Jbb. d. V. der A. F. im Rhein l XI S. 1 7 II*. Daneben gab es aber
auch einen 1. 0. M. Apenninus, s. Or. n. 1220, Henzen 5613, vielleicht der-
selbe welchem Aurelian in seinem Tempel des Sounengottes Apenniuis sor-
tibus additis unter dem Namen C 0 u s u 1 oder Consuleus ein Bild stiftete,
Flav. Vopisc. Firm. 3. Votivsteine des Iup. 0. M. Culminalis [C. I. L. 3,
4032. 51S6, Eph. ep. 2 p. 441, 967 oder Culminaris C. I L. 3, 3328, Eph. a. 0.
p. 361. 595] und I. 0. M. et viis semitibusque b. Mommsen in den Monats-
ber. d. Ak. d. W. zu Berlin 1857 S. 454 [a. 0. 5524. Vgl. auch Jbb. d. V. der
A. F. im Rheinl. XXIX S. 264. [C. I. L. 6, 371: Iovi* (Nom.?) Cacunus (auf
einer ßronzeplatte). Or. 1209: [I\ovi Cacuno (,in inoute Morctta in Sabinis
extat'); vgl. ca-cü-menl]
2 ) Namentlich scheint es in Benevent ziemlich früh ein Capitolium mit
dem Culte der drei Götter gegeben zu haben, s. Sueton d. illustr. Gramm. 9,
vgl. die Inschr. bei Mommsen I. N. n. 1377 — 13S3, wo aufser dem Iup. 0. IL
auch ein Iup. Tutator und Iup. Tonans erwähnt wird, auch Iuno Regina. Ein
Capitolium in Maruvium s. b. Mommsen I. N. n. 3301, zu Histonum ib. 5242
Capitolium Fabius Maximus instauravit. Das zu Capua weihte Tiberius ein,
Sueton Tiber. 40, Calig. 57. Andre Capitolc sind bekannt aus Florenz, Ra-
P reiler, Röm. Mythol. L 3. Aufl. 16
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kam die Huldigung gegen Rom hinzu, z. B. in Antiochien, wo
Antiochus Epiphanes, nachdem er lange als Geifsel in Rom gelebt
hatte, einen prächtigen Cultus des Capitoiinischen Jupiter einrieb -
tu tete 1 ). Vollends unter den Kaisern verbreiteten sich diese Filial-
culte des römischen Capitols über das ganze Reich und slmmtliebe
Hauptstädte, daher der Name des Capitols immer mehr zu einem
Symbol der römischen Staatsreligion wurde und in diesem Sinne
namentlich in den Legenden der christlichen Märtyrer oft erwähnt
wird. Beispiele lassen sich sowohl in den westlichen Provinzen nach-
weisen, in Afrika, wo auch das neu erstandne Karthago sein Capitol
hatte, Spanien, Gallien und Germanien, als in Kleinasien, am kim-
der Stelle des Salomonischen Tempels einen T. des Capitoiinischen
Jupiter erbauen liefs, nachdem sich die Juden schon früher, seit
Vespasian und Titus, zu einer jährlichen Abgabe an den römischen
Jupiter hatten verstehen müssen*); endlich in Constantinopel, wo
nachmals eine Art von Akademie auf dem Capitole bestand. Da diese
Tempel gewöblich auf den höchsten Punkten der Stadt errichtet
wurden, wo sich die übrigen Schutzgötter des lindes oder des
Reiches anschlössen, so ist es kein Wunder, dafe der Capitolinische
Jupiter zuletzt zum Repräsentanten des Heidenthums überhaupt wurde.
War doch auch das römische Capitolium immer mehr zu einem
Pandämonium aller mächtigeren Götter des heidnischen Glaubens
geworden *).
venna , hin und wieder in Spanien, in Toulouse, Narbonne, N ismes, Besancon,
Rheims, Köln, Augsburg d. a. Vgl. Braun, die Capitole, Bonn 1849. [S. jetzt
besonders Castan, Le Capitole de Vesontio et les Capitols provinciaux du
munde Romain (Mem. Ins a la Sorbonne P. 1869 S. 47 ff.); vgl. Saglio Art.
Capitolium im Dict. des antiquites (1879). — In der col. Julia Genetiva Ur-
sooensis finden ludi Jovi Iunoni Minervae statt (Lex col. G. 70. 71). — Daher
die zahlreichen privaten und öffentlichen Widmungen Jovi o. m. Capitolino in
allen Tbeilen des römischen Reichs, die leicht aus dem C. I. L. zusammen-
gestellt werden können. — Der Gegenstand bedarf erneuerter monographischer
Behandlung.]
i) Liv. XLI, 20, vgl. 0. Müller Quaest. Antiochen. 1 p. 55 u. C. Grani
Liciniani fr. ed. Pertz p. 40 [p. 9 ed. Bonn.], nach welchem Epiphanes zwei
eherne Colosse von 12 Ellen Höhe errichtete, unum Olympio alterum Capi-
tolino Jovi.
») Dio LXVI, 7. LX1X, 12.
•) Tertull. d. Spectac. 12 Capitolium omnium daemonum templum. Serv.
V. A. H, 319 in CapitoUo omnium deorum simulacra colebantur. Vgl. Vitra v.
I, 7, Arnob. 1, 34, IV, 16, V, 9, Lactant. I, 11, 39.
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SIMMANUS.
243
Selbst nach dem Siege des Ghristenthums scheint das römische
Capitol, wenigstens der grofse Tempel in der Wiederherstellung des
Domitian sich noch ziemlich lange erhalten zu haben. Stilicho be-
raubte ihn der goldnen Platten seiner Thüren, Genserich der einen
Hälfte seiner vergoldeten Bronzeziegel, der Papst Honorius der andern.
Noch bis ins 9. Jahrh. ist von dem templum Iovis die Rede, aber
schon verräth die geschäftige Legende, welche sich der Trümmer
des alten Roms bemächtigte und in den sogenannten Mirabilien der
Stadt zu einer festen Gestalt gediehen ist, eine eben so grofse Zer-
störung als plötzliche Unwissenheit, bis in den Stürmen des Mittel-
alters, nachdem die römischen Barone die alten Gebäude zu Burgen
umgeschaffen hatten, auch die letzten Reste der örtlichen Tradition
und vieler Ruinen verloren gingen.
Anhang. 817
Ich stelle hier eine Anzahl von Nebenfiguren und eigen thüm-
lichen Formen des römischen Jupiterdienstes zusammen, welche
gröfstentheils das Interesse eines hohen italischen Alterthums für
sich haben und gewisse, dem römischen Jupiter mit der Zeit ver-
loren gegangene Eigenthümlichkeiten in einer abgesonderten Ent-
wicklung zeigen. So gehört dahin zunächst
a. Summanus
ein Gott des nächtlichen Himmels, den Varro L L V, 74 unter den
sabinischen Göttern des T. Tatius nennt. Auch auf dem Capitole
wurde er verehrt, sowohl in einer eignen Capelle als in einem Bilde
von Thon, welches auf dem Giebel des grofsen Tempels stand und
gelegentlich so hart von einem Wetterstrahle getrofTen ward, dafs
man den Kopf im Bette des Tiber wiederfand 1 ). Das geschah zur
Zeit des Pyrrhus (278 v. Chr.) und es scheint dafs ihm damals zur
Sühne ein eigner Tempel beim Circus Maximus gestiftet wurde, wo
man ihm jährlich am 20. Juni ein Opfer brachte*). Auch wurden
») Cic. de Div. I, 10, Liv. Kpit. XIV, Plin. XXIX, 57. [Doch irrt P. wohl:
die von IM i ii ins erwähnte aedes ist der Tempel am Circus. Ueber den Sum-
manus in fasligio Iovis o. m. der Stelle des Cicero (Iovis Signum irrig Liv.
Ep.) s. Wieseler G. G. Anz. 8. Mai 1872, 1, 723 ff. and Jordan Top. 1 Abth. 2].
») Ovid F. VI, 725, Kai Amitern. Esquil. Venus. Vgl. Liv. XXXII, 29
unter den Prodigien des J. 197 v. Chr. quod aedes Fulcani Summanique de
caelo taäa erant.
16*
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DRITTER ABSCHMTT.
eigne Opferkuchen für ihn in der Form eines Hades gebacken,
welches Symbol sich wahrscheinlich auf den Wagen des Donner-
gottes beziehen sollte Die gewöhnliche Veranlassung seines Cultus
waren nehmlich nächtliche Gewitter, welche wegen der gröfseren
Kälte der Nacht seltner sind als die am Tage und deshalb um so
sorgfältiger beobachtet wurden. Man unterschied deshalb zwischen
dem fulgur dium oder diurnum und dem fulgur noclurnum, indem
man jene dem gewöhnlichen Jupiter, diese dem Summanus zuschrieb,
in streitigen Fällen aber, wenn man nicht gewifs wufste ob es noch
Nacht oder schon Tag gewesen sei (noctu an interdiu sit factum),
beiden Göttern opferte 2 ) Ein Beispiel geben die Acta fr. Arv. t. XLIII
[Uenzen Acta arv. p. 146], wo das Gewitter, durch welches der Hain
der Dea Dia beschädigt wurde, in diese Zeit der Dämmerung gefallen
sein mufs, denn es wird bei der Sühnung sowohl dem Jupiter als
ai8 dem Summanus Pater geopfert, diesem mit zwei schwarzen, jenem
mit zwei weiften Widdern 8 ). Ein Beispiel von einem nächtlichen
Blitze dagegen, welche wie die des Tages begraben wurden (S. 193),
giebt die von Marini p. 687 angeführte Inschrift: Fulgur Sum(manum)
conditum. Der Name bedeutet eigentlich einen Gott der Nacht vor
dem Tage, wobei zu bedenken ist daft die Römer den Tag von
Mitternacht an rechneten, denn Summanus ist Submanus und
dieses ist in der Bedeutung zu nehmen wie in den Wörtern mane,
Manius, Matuta, in welchem Sinne auch einige alte Glossen er-
klären 4 ). Doch blieb der vorherrschende Begriff der eines Gottes
der dunkeln Nacht, daher Plautus, der den Summanus auch Bacchid.
IV, 8, 54 [895] nennt, diesen Gott parodirend einen Gott der Diebe
nennt und von seinem Namen das Zeitwort summanare in der
») Fest. p. 348 Sumraaualia. Vgl. Hesych. v. Uaolßnovr« — Intl doxtT
(>Xnp« *ow dtbg q ßQonri th>ai. Grimm D. M. 151.
») Fest p. 229 provorsum fulgur, Paul. p. 75 dium fulgur, Piin. H. N.
II, 138.
») Vgl. die loscbr. b. Or. n. 1216 [— C. I. L. 5, 5660] V. S. L. M. /ort
Alto Su m mann d. i. AUitonanti et Summano [vgl. Iovi Summan(o) das. 3256].
*) [Vgl. die kürzlich gefundene I. (Rom: Fiorelli. Notizie 1880, 465) Sum-
manium (so) fulgur conditum. Beispiele für fulgur dium häufiger: Marquardt
Staatsverw. 3, 252.] Gloss. Labb. p. 105 xeottwoßoliov npiQivov, ftügurium
1. fulgur dium, xtouwoßoliov ano notol vuxrtotvov, fulgur submanum. Wenn
dieselben Glossen p. 179 den Summanus durch rTooptj&ive erklärten, so dachten
sie ihn als nachtlichen Lichtgott.
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DIESPITER.
245
Bedeutung von stehlen bildet, Curcul. III, 43 [413 ff. 543], wie die
Göttin Laverna, wahrscheinlich eine Nebenform der Lara und Mater
Lamm, also eine Göttin der dunklen Unterwelt, als solche zugleich
für eine Schutzgöttin der Diebe galt. Ganz verfehlt ist die Erklärung
der späteren Zeit, welche den Zusammenhang des Cultus nicht mehr
kannte und deshalb den Summanus für einen Summus Manium nahm,
also mit dem Pluto oder Dis Pater identificirte 1 ).
b. Diespiier und das Institut der Fetialen.
In wie hohem Grade die Idee des Rechtes und der Gewissen-
haftigkeit zum Wesen des alten italischen Jupiter, des himmlischen
Lichtgottes gehörte, erkennt man am besten aus den Gebräuchen
und Gebeten der Fetialen, welche vorzugsweise die Diener dieses
Gottes waren und ihn in den noch vorhandnen Gebetsformeln ge-
wöhnlich als Diespiter anrufen d. h. als den Gott der lichten Tages-
klarheit, als Lucetius (S. 188 f.). Bedenken wir, dafs dieses Institut
ein allgemein italisches war (denn es findet sich auch bei den Aequern,
den Ardeaten, den Latinern, den Samniten) und dafs es in Rom
nach der gewöhnlichen Tradition durch Numa oder Ancus Marcius,
die Könige sabinischer Abkunft, eingeführt wurde, so werden wir
auch diese Ueberlieferungen zur Vervollständigung des Begriffs von ai9
göttlicher Reinheit und Heiligkeit benutzen dürfen, den wir in den
älteren römischen Ueberlieferungen des Jupitercultus schon früher
nachgewiesen haben.
So sind gleich die Symbole der Fetialen jenem ältesten Jupiter-
cultus und einer Zeit entlehnt, wo dieser Gott noch nicht in dem
grofsen Tempel der Tarquinier und im menschlich gestalteten Bilde,
sondern als geistig allgegenwärtiges Wesen und nur unter andeu-
tenden Symbolen verehrt wurde. Zunächst gehören dahin die s. g.
sagmina oder verbenae, ein Büschel geweihten Grases, welches die
Fetialen bei ihren Sendungen von dem Könige oder dem Consul mit-
bekamen und wodurch sie selbst und ihre amtlichen Handlungen
geweiht wurden. Dieses Gras wurde ex Arce genommen, worunter
im genaueren Sprachgebrauche immer der Gipfel des Capitolinischen
Hügels zu verstehen ist, wo die Augurn seit T. Tatius und Numa
ihren geweihten Sitz hatten (S. 124); und zwar wurde das Gras auf
dieser Stelle mit der Wurzel und der daran hängenden Erde aus-
») Arnob. V, 37, Martian Cap. II, 161, vgl. Aagnstio C. D. IV, 23.
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246
DRITTER ABSCHNITT
gehoben 1 ): ein Gebrauch, welcher sich bei verschiednen Völkern in
analogen Gebräuchen des höheren Alterthums wiederfindet, immer
in dem Sinne dafs die mit dem Grase ausgehobene Scholle stell-
vertretend den ganzen Grund und Boden, aus welchem sie aus-
gehoben worden, bedeuten soll. Mithin wird auch hier jenes geweihte
Büschel, welches die Fetialen durch einen eignen Verbenarius wie
eine heilige Bürgschaft des Friedens vor sich hertragen liefsen und
durch dessen Berührung vor jeder amtlichen Handlung der dazu
bevollmächtigte paler patratus geweiht wurde, für eine Stellvertretung
eben jener Gapitolinischen Arx anzusehen sein, in welcher sowohl
die Beobachtungen und Umzüge der Augurn als andre Gebräuche
eine alte Stätte des sabinischen Jupiterdienstes und der Einweihung
aller amtlichen Handlungen erkennen lassen. Ferner gehörte zu
diesen Symbolen der Fetialen ein heiliger Kiesel, den man Iupiter
Lapis nannte, und ein altes sceplrum lovis, welche Heiliglhümer
220 gewöhnlich in dem T. des Iupiter Feretrius aufoewahrt und, wenn
die Fetialen zu einer ihrer völkerrechtlichen Functionen, namentlich
zur Abschliefsung eines Bündnisses über Land zogen, ihnen aus dem-
selben verabfolgt wurden 5 ). Von dem Scepter, welches als hasta
pura zu denken ist, weifs auch Servius V. A. XII, 206, nach welchem
es die Schwörenden in die Hand nahmen, wie auch bei den alten
Griechen die Könige und ihre Stellvertreter die Herolde nie ohne
einen solchen amtlichen Stab auftraten und die Atriden ihr Skeptron
d. h. das Symbol ihrer königlichen und ritterlichen Amtsgewalt gleich-
falls unmittelbar vom Zeus ableiteten. Dahingegen jener Kiesel schon
wegen der Benennung Iupiter Lapis für mehr als ein gewöhnliches
Symbol genommen werden mufs. Höchst wahrscheinlich war es ein
! ) PI in. H. N. XXII, 5 utroque nomine (sagmina und verbenae) idem
significatur h. e. gramen ex Arce cum sua terra e vuls um, ac Semper
e legatis, cum ad hostet clarigatumque mitterentur i. e. res raptas clare repe-
titum, unus utique verbenarius vocabatur. Fest. p. 321. Sagmina vocantur
verbenae i. e. herbae purae, quia ex loco sanclo Arcis dantur {arce-
bantur die Hs., carpebantur Mcrcklio) a consule praetoreve legatis proficis-
ceniibus ad foedus faciendum bellumque indicendum, vel a sanciendo i. e. con-
ßrmando. Mebr Stelleo bei Marquardt IV, 385. 390 [Staatsverw. 3, 403].
s ) Paul. p. 92 Feretrius Iupiter — , ex cuius templo sumebant sceptrum f
per quod iurarent, et lapidem silicem, quo foedus ferirent. Da Anrus Marcius
den T. des Jup. Feretrius erweitert (S. 199) und das ins fetiale in Rom ein-
geführt haben soll (Liv. I, 32 [Marquardt a. 0. S. 407 ff.]), so mögen jene Heilig-
thümer durch ihn dort niedergelegt worden sein.
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247
s. g. Donnerstein, welcher als FL ins (silex) des Donar, als Miölnir
des Thor auch in der deutschen und nordischen Mythologie so oft
genannt wird 1 ) und hier wie in den Gebräuchen der Fetialen als
Symbol des niederfahrenden Donnerkeils speciell die rächende Straf-
gewalt des himmlischen Gottes ausdrückt.
Die einzelnen amtlichen Handlungen der Fetialen, welche hier
noch zur Sprache kommen mögen, sind ihre Eidesleistungen, der
Ritus mit welchem sie ihre Bündnisse abschlössen, und endlich ihre
Genuglhuungsforderungen und die Ankündigung des s. g. bellum
pium. Bei allen wird sich zeigen, dafs Jupiter oder in ihrer Sprache
Miespiter die unsichtbare göttliche Macht ist, in deren Dienst und
Auftrag sie wie Priester handelten, Jupiter als Gott des höchsten
Rechtes und eben deshalb auch des Krieges und des Sieges, wenn
das Recht nicht anders als durch die Gewalt der Waffen zu erlangen
ist. Bei einigen dieser Handlungen wurde neben ihm wie sonst in
dem ältesten Gottesdienste auch Mars und Quirinus angerufen (S. 64).
Aber immer ist Diespiter der höchste Schutzpatron der Fetialen und
ihrer amtlichen Handlungen.
Vorzüglich erscheint Jupiter dabei als Schwurgott, wie er m
denn bei den Römern überhaupt der älteste und heiligste Schwur-
gott war, wieder als Lucetius, in welchem, wie wir oben sahen
(S. 188 f.), sich die Eigenschaft des allgegenwärtigen Lichtgottes, der
in dem Schwur beim Dius Fidius deutlich zu erkennen ist, mit der
des strafenden Blitzschleuderers, den wir beim Jupiter Lapis vor-
aussetzen mufsten, auch sonst verbindet Der letzlere ist es welcher
als höchster Gott aller Treue zugleich alle Untreue mit seinem Blitze
rächt, daher er bei Eidschwüren gewöhnlich dann geroeint ist, wenn
mit der eidlichen Versicherung der laulern Treue beim Namen des
höchsten Gottes (der precatio) die Selbstverfluchung für den Fall
einer Untreue (die exsecratio) verbunden wurde*). Daher auch die
») J. Grimm D. M. 163. 1171. [A. Kuhn die Herabkanft des Feuers S.226.]
Ist in späterer Zeit von mehreren Kiesein der Art die Rede, die für ver-
schiedne gleichzeitige Sendungen der Fetialen bereit liegen (Liv. XXX, 43),
so kann das eben nur eine Aushülfe der späteren Praxis gewesen sein [Mar-
quardt a. 0. 407 f.].
») Virg. Aen. XII, 200 audiat haec genitor, qui foedtra /ulmine
sanxit. Vgl die Erzählung bei Pausan. V, 24, 9 von dem Z. oqx,o S im
Rathsbause zu Olympia, bei dem die Kämpfer über den Stücken eines geopfer-
ten Schweins schwuren, dafs sie die Gesetze des Olympischen Kampfspiels in
keiner Weise verletzen wollten: 6 dl tv t$ ßovUvri\^ ntrttov dnoott
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248 DRITTER ABSCHNITT.
Fetialen gewifs diesen Jupiter meinten, wenn sie bei ihren Eiden,
die sie im Namen des römischen Staates zu schwören hatten, den
Jupiter Lapis in die Hand nahmen und zu dem Eide selbst zuletzt
die leider nicht in ihrer ursprünglichen Fassung überlieferten Worte
hinzusetzten: „So ich die Wahrheit sage, möge mir Gott helfen. So
ich aber nicht mit lautrer Treue geschworen habe, so soll mich
Diespiter ohne allen Machtheil für Stadt und Burg, wie ich hier
diesen Stein von mir schleudre, aus meiner Heimath und allem Hab
und Gut nach menschlichem und nach göttlichem Rechte heraus-
schleudern", nach welchen Worten er den heiligen Kiesel von sich
schleuderte 1 ), der dabei gewifs nicht die passive Bedeutung jedes
beliebigen Kiesels, sondern die active eines vom göttlichen Geiste
beseelten Donnerkeils hatte. Es war dieses der älteste und heiligste
Eid, von dem die Römer wufsten; auch wurde er in späterer Zeit,
wie es scheint, selbst im privaten Rechts verkehre angewendet,
natürlich ohne den begleitenden Ritus, zu welchem der heilige
Kiesel aus dem T. des Jup. Feretrius erforderlich war'). Ja der
222 Eid überhaupt galt in so eminentem Sinne für eine Sache des Jupiter,
dafs Ennius selbst das Wort ius- oder iousiurandum durch Iovis
itirandum erklärte.
Auch bei Abschlielsung von Bündnissen und dem dabei gebräuch-
lichen Opfer eines männlichen Schweins (porcus), wie uns die Münzen
der italischen Bundesgenossen ein solches Opfer oft vergegenwär-
ayal/suta Jiog fidliaia |f exnlijbv aSixtov uvS^wv ntnoCriiaf l7t(xlt]ats
f/iv ttyxioc forty ttvrtp, <W tv ixartQ« xtQuvrbv X il Q l -
l ) Paul. p. 115 Lapidem silicem, wo ja nicht mit Müller bei Dispiter
oder Diespiter an den Jap. infernus zn denken ist. Ausführlicher giebt
IV. Mi. III, 26 die Formel, aber auch er nicht vollständig. Vgl. Daax der
sacrale Schatz im röm. Rechtsverkehr, Jena 1 S5T S. 13 ff.
») Gell. N. A. I, 21 fovem lapidem, quod sanetissimum iusiurandum est
habitum, paratus ego iurare sunt. Vgl. Cic. ad. Famil. VII, 12, Apulei. de
Deo Sacr. p. 131 Oodend. [c. 5 p. 10 Goldb.j. Auch die Art wie Horat. Od.
1IT, 2, 29 den Namen Diespiter gebraucht: Suppe Diespiter neg leclus in-
cesto addidit integrum ist wohl aus dieser alten Kechtspraxis der Fetialen zu
erklären. [Doch mag hier wie bei Plaut. Capt. 909 die Gestalt des Diespiter
mit Juppiter zusammenfließen. Auf der von Garrucci richtig gedeuteten Zeich-
nung der pränestinischen Ciste Moo. delP inst 6 T. LIV (vgl. C. I. L. 1, 1500
Jordan Krit. Beitrage 60 ff.) ist Diesptr vollends nur Vertreter des Zeus. —
Inschriften fehlen, uoecht doch wohl die ungedruekte (Vatic., Gal. lapid., ab-
gesehr. von Jordan 1880), d. m. \ Prastinae Frontonis \ scribae aedil. (so)
Diespitris (ohne Diespitris — Grut. 326, 11). — Ueber die Symbolik des Steins
Marquardt a. 0. 408, 1 u. Overbeck Berichte d. sächs. G. d. W. 1864, 142 ff.)
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tigen, gebrauchten die Fetialen den Jupiter Lapis in gleicher Bedeu -
tung. Es wurde bei solchen Gelegenheiten, wie das Beispiel des
Bündnisses zwischen Rom und Alba Longa bei Liv. I, 24 lehrt, zuerst
die Bumlesformel vorgelesen und darauf von dem bevollmächtigten
Fetial, dem s. g. pater patratus diese feierlichen Worte (precatio,
carmen) gesprochen: „Höre Jupiter, höre Du Bevollmächtigter der
Gemeinde von Alba, höre Du Gemeinde von Alba. Wie jene Punkte
deutlich von Anfang zu Ende von der Tafel abgelesen sind ohne böse
List und wie sie heute hier im rechten Sinne verstanden worden
sind, von denen wird das Römische Volk gewifs nicht abfallen.
Sollte es zuerst von ihnen abfallen nach gemeinem Beschlüsse und
mit böser List, dann treffe Du Diespiter das Römische Volk, so wie
ich hier heute dieses Schwein treffen werde, und triff es um so viel
stärker wie Du selbst viel stärker bist und mächtiger". Nach welchen
Worten er das Schwein mit eben jenem Kiesel traf, welcher den
Jupiter Lapis vorstellte, also auch hier speciell seine strafende
Gerechtigkeit bedeutete 1 ).
Und so ist auch bei der clarigatio d. h. ubi res repetuntur
Jupiter der höchste Schirmherr des römischen Staates und der
Fetialen, die in seinem Namen handeln. Der Fetial betrat, wie
Liv. I, 32 berichtet, die Grenze des Staates, von dem Genugthuung
gefordert wurde, mit den Worten : „Höre Jupiter, hört es ihr Grenz-
götter [*)], höre es Du heiliger Götterspruch des Rechts (fas). Ich
bin der Bote des römischen Volks, komme in gerechter und guter
Sache und meine Worte verdienen allen Glauben". Darauf wurde
die Forderung ausgesprochen und dazu wieder Jupiter als Zeuge 223
angerufen: „Wenn ich gegen Recht und Gewissen fordre dafs diese
Personen und diese Gegenstande mir dem Boten des römischen
Volkes ausgeliefert werden sollen, so lasse mich niemals wieder in
mein Vaterland zurückkehren" 3 ). Dieselbe Formel und dieselbe Be-
schwörung wiederholte er mit geringen Abänderungen wenn er über
die Grenze ging, wenn er zuerst einem Bürger der feindlichen Ge-
meinde begegnete, wenn er in das Thor der Stadt eintrat und wenn
") Vgl. Liv. IX, 5. Einige wollten sogar den Beinamen des lup. Fere-
trius, bei dem jenes Symbol der Strafgewalt aufbewahrt wurde, a feriendis
hostibus erklären, Prop. IV, 10, 46.
[«) Audi fupiter, audite fines. Vgl. Rudorff Schriften d. rbm. Feldm.
2, 241 f.]
•) Vgl. Dionys. H. II, 72, nach welchem der Fetial für den Fall der Un-
treue sowohl sich als seinen Staat mit den stärksten Flüchen verfluchte.
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250
DRITTER ABSCHNITT.
er auf ihrem Markte angekommen war. Waren die geforderten
Gegenstande oder Personen in 33 Tagen, dieses war die gewöhnliche
Frist, nicht ausgeliefert worden, so kündigte er den Krieg mit diesen
Worten an: „Höre Jupiter und Du Janus Quirinus (S. 54) und alle
ihr Götter des Himmels und der Erde und der Unterwelt ich rufe
euch an zu Zeugen, dafs dieses Volk ungerecht ist und nicht am
Rechte hält. Wie wir aber zu unserm Rechte gelangen sollen, dar-
über wollen wir daheim die Aeltesten der Stadt berathen lassen".
Darauf kehrte der Felial nach Rom zurück, wo nun der König oder
der Consul die Sache dem Senate vortrug, und nachdem hier be-
schlossen war: „dafs man nun sein Recht in einem reinen und
gerechten Kriege geltend machen müsse", ging der Fetial wieder an
die feindliche Grenze, kündigte dort in der Gegenwart von wenigstens
drei erwachsenen Männern förmlich und feierlich den beschlossenen
Krieg an und schleuderte zugleich eine mit Eisen beschlagene oder
blutige und an der Spitze versengte Lanze über die Grenze hinüber 1 ),
worauf der Krieg selbst seinen Lauf nahm. Später wurde bekanntlich,
als im Kriege mit Pyrrhus die feindliche Grenze nicht mehr zu er-
reichen war, vor dem Thore der Stadt beim Tempel der Bellona ein
kleiner Platz, den ein gefangener Soldat des Pyrrhus zu diesem
Zwecke kaufen mufste, für ausländisches Gebiet erklärt und auf dem-
selben ein symbolischer und so zu sagen collectiver Grenzpfeiler
errichtet, den man die columna bellica nannte. Ueber diesen warf
damals und überhaupt fortan bei ausländischen Kriegen der Fetial
seine Lanze 8 ).
224 c. Fides.
Auch dieser Cultus ist ein Beweis von der grofsen Innigkeit
und Feierlichkeit, mit welcher im alten Italien die Rechtsbegriffe
erfafst wurden, in Rom seit der Ansiedelung der Sabiner und der
Gesetzgebung Numas, denn auf diese wird sowohl die Stiftung des
Dienstes der Fides (Varro L L V, 74) als des Terminus zurück-
*) Bei andern Völkern wurde vor dem Kriege eine Fackel in das feind-
liche Land geworfen, von einem eignen 7tvq({6qos , welcher gleichfalls eine
geheiligte Person war, s. Schol. Enr. Phoeoiss. 1377 und Welcker über die
Dariusvase in d. Arch. Ztg. 1857 S. 52. Ueber den ganzen Ritus der clari-
gatio und Kriegsaokündigung, wodurch der Krieg erst zum bellum pium
oder iustum wurde, s. Cic. de Off. I, 11, 36 und Varro b. Nou. Marc. p. 529
Fetiales.
») Serv. A. IX, 53, Ovid F. VI, 205 u. A. b. Becker Handb. 1, 607.
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FIDES. 251
geführt, dieser beiden Säulen alles privaten und öffen Hieben Rechts-
verfahrens in Sachen des Eigenthums und des gegenseitigen Verkehrs.
Was insbesondre den Begriff fides betrifft, so ist sie eigentlich das
auf Treu und Glauben, gewöhnlich durch einen Handschlag unter-
stützte Wort des Mannes, welches in dem älteren Rom so heilig
gehalten wurde, dafs es so gut wie ein Eid war und in streitigen
Fällen, wo Zeugen fehlten, nach der Versicherung auf Treu und
Glauben entschieden zu werden pflegte 1 ); daher fides auch sehr oft
die anerkannte Gewissenhaftigkeit eines Bürgers oder eines Staates
selbst ist, wie in den Redensarten conferre se in fidem et clientelam
oder in amicitiam et fidem oder in fidem et tutelam alieuius. Dafs
dieser Begriff einen tieferen religiösen Grund hatte, beweist schon
die Stiftung des Numa; der bestimmtere Grund ist aber auch hier
durch den alten italischen Gult des Diespiter und des Iup. Lucetius
gegeben: weil nehmlich Jupiter als der Gott des lichten Himmels
zugleich selbst die höchste Treue und das höchste Gesetz aller himm-
lischen und irdischen Verhältnisse ist 3 ), in welchem Sinne sowohl
der terminus auf Erden als der regelmässig wiederkehrende Tag und
Vollmond am Himmel für sein Werk gehalten und letzterer sogar
lovis fiducia, seine Bürgschaft (S. 156, 2) genannt wurde. Scheint
doch selbst der Name der Fetialen, dieser geheiligten Diener des
internationalen Rechtsverkehrs, mit fides und fidus zusammenzu-
hängen, welchem jedenfalls das Wort und der Begriff foedus aufs 225
engste verwandt ist 8 ). In Rom gab es ein altes Heiliglhum der
Fides publica oder der Fides Populi Romani, weiches sogar älter
*) Dionys II, 75, Plut. Numa 16. Vgl. Cic. de Off. I, 7, 23 fundamentum
iuttitiae fides i. e. dictorum conventorumque constantia et veritas. Partit. 22
extr. iustitia in rebus creditis fides nominatur. Terent. Andr. J, 5, 55 te oro
per tuam fidem. Ad. III, 4, 87 civium antiqua virtute et fide. Cic. de Fin.
II, 20 Regulas sua voluntate, nulla vi coactus propter fidem quam dederat hosti
ex patria Karthaginem revertU. [Ennins Abd. 342 ille vir haud magna cum
re sed plenu' fidei. Grabschr. Eph. epigr. 4, 297 0. 861 pudentis hominis, frugi,
cum magna fide u. a. m.]
*) Vgl. den Spruch des Freidank: Viernau doch gevelschin mac Gotis wort
unde Hehlen tac, der im alten Rathhause zu Erfurt in einer Reihe von Bildern
und Sprüchen aus dem Freidank von einem edlen Frauenbilde, einer Art von Fides
gesprochen ward. P. Cassel das alte Erf. Rathhaus u. s. Bilder, Rrf. 1857 S. 43.
•) Varro 1. 1. V, 86 Fetiales quod fidei publica e inter popubs praeerant,
nam per hos fiebat ut iustum coneiperetur bellum et inde desilum ut f oeder e
fides pacis constüueretur. — Per hos etiam nunc fit foedus, quod fidus
Ennius scribit dictum. [Vielleicht mitfateri eines Stamms. Marquardt Verw. 3, 400.]
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DRITTER ABSCHNITT.
war als der grofse Capitolinische Tempel, denn es war von Numa
gegründet worden 1 ). Der später wiederholt erneuerte Tempel lag
in der Nähe dieses grofsen Tempels, auf welchen für das Wesen
heider Gottheiten bedeutungsvollen Umstand der alte Cato gelegentlich
in einer Erinnerung au die römische Vorzeit hingewiesen hatte 8 ).
In der Thal war diese Fides publica auf dem Capitole nichts weiter
als eine Personification des guten Gewissens des römischen Staates,
wie dasselbe sich in der treuen Aufrechterhaltung und gewissen-
haften Beobachtung aller von ihm eingegangenen Rechtsverhältnisse
und Bündnisse bewähren sollte und in der allen guten Zeit auch zu
bewähren pflegte; daher der Senat sich oft in diesem Tempel ver-
sammelte und die verbündeten Völker und Städte auch wohl in
öffentlichen Monumenten z. B. auf ihren Münzen dieser Fides populi
Romani die Ehre geben 3 ). Von dem Cultus dieser Capitolinischen
Fides publica hat Liv. I, 21 die merkwürdige Nachricht bewahrt,
dafs nach der Satzung des Numa die drei von ihm eingesetzten
Flamines des Jupiter, Mars und Qnirinus zu diesem Gottesdienste
in einem Wagen hinauffahren sollten, welcher mit einem gewölbten
Schirmdache versehen war, und dafs sie beim Opfer ihre rechte
Hand bis zu den Fingern in eine weifse Binde wickeln sollten 4 ).
226 Jenes hatte die sinnbildliche Bedeutung, dafs die Fides nicht sorg-
J ) Becker Uandb. 1, 403, wo aus den oben S. 234, 1 citirteo [und andern]
Militärdiplomen die Erwähnungen der aedes Fidei Populi Romani hinzu-
zusetzen sind. Vgl. Valer. Max. HI, 2, 17 in aedem Fidei Publica e con-
tocati Patres. VI, G, 1 de Fide publica. [Vgl. Mommsen C. I. L. 3 p. 916
Annali dell' Inst. 1858, S. 198 IT.]
») Cic. de Off. III, 29 qui iusiurandum violat, is Fidem violat, quam in
Capüolio Vietnam Iovis 0. Jf., ut in Catonis oratione est, maiores nostri esse
voluerunt.
s ) Roma von der ffiaitg bekränzt auf einer Münze von Locri in Italien
[Klügmann L'effigie di Roma (Strenna festiva u. s. w. Horn 1879) S. 7 ff.]. Val. Max.
VI, 5, 5 illam curiam mortalium quis concilium an non Fidei tempktm dixerü*
Der alte T. der Fides in Palatio, von welchem der Grieche Agathokles bei Fest,
p. 269 spricht, scheint ein blolses Compliment an Rom zu sein.
*) Ad id sacrarium flamines bigis curru arcuato vehi iussit manuque ad
digitos usque involuta rem divinam facere, significantes fidem ttitandam sedetn-
que eius etiam in dextris sacratam esse. Vgl. Serv. V. A. I, 292. Das Wort
tutari gilt dem Schirmdache des Wagens, s. Liv. III, 22 Volsci tuiabantur se
vallo. Cic. N. D. II, 57 genae ab inferiore parte tutantes (oculos) subiectae.
Tacit. A. I, 30 Hiems imbribus adeo saevis ut non egredi tentoria, via; tutari
signa possent.
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1
FIDES. 253
fällig genug behütet und beschirmt werden könne, dieses dafs ihr
Sitz, die rechte Hand, rein und heilig gehalten werden müsse. Denn
immer wurde die Hand und der Handschlag, namentlich der mit
der Hechten, als das Symbol eines Versprechens und einer Verbind-
lichkeit auf Treu und Glauben angesehn *), und die Umwicklung eines
Gliedes mit geweihten Binden ist dem Alterlhum auch sonst als Sinn-
bild der Heiligung dieses Gliedes bekannt a ). Auch das Bild der Fides
war mit vorgestreckter Rechten dargestellt und mit einem weifsen
Schleier versehn, denn weifs ist die Farbe des Lichts und der lautern
Treue 3 ), der Schleier aber bedeutet dasselbe was bei der Fahrt der
Flamines zum Tempel das schirmende Dach des Wagens. — Die
römischen Dichter sprechen von der alten Treue wie die griechischen
von der Zeit da Aidtag und Ntpeöig, die hehren Göttinnen, noch
auf der Erde weilten. In diesem Sinne nannte Ennius sie beschwingt
(apta pinnis), weil sie sich zum Himmel aufgeschwungen, Virgil
altersgrau (cana), weil sie dem vergangnen Geschlechte der Vorzeit
angehört, und endlich führt Silius es weiter aus, wie sie die Erde
verlassen habe seitdem Mord, Ungerechtigkeit und Geiz auf derselben
heimisch geworden, und wie sie nun im Himmel weile, älter als
Jupiter, eine Zierde unter Göttern und Menschen, ohne welche weder
die Erde noch das Meer den Segen des Friedens kennen würde, eine
Gesellin der Gerechtigkeit und eine stille Gewalt in der Brust jedes
guten Menschen 4 ).
*) Plin. H. N. XI, 250 inest et aliis partibus quaedam religio, sicut
dextera osculis aversa appetitur, in fide porrigitur. Vgl. die Redensarten
devtram fideiuque dare u. dgl. bei Danz der sacrale Schatz im Rechtsverkehr
S. 133. 139.
*) Uebcr die heiligen Binden und ihre Anwendung zur Weihe s. Bötticher
Bauincultus S. 43. 418. Nach Phot. p. 180, 7 uad Lex. rhet. p. 273, 25 banden
sich die Mysten, wahrscheinlich bei den Elcusinien, einen Fadeu am die
rechte Hand und den rechten Fufs, vermuthlich über dem Knöchel. Auch
dieses scheint der symbolische Ausdruck einer Heiligung oder eines Gelübdes
zu sein.
») Horat. Od. I, 35, 21 fl/6o Fides velata panno. Val. M«x. VI, 6, 1 euius
imagine ante oculos posita venerabile Fidei numen dexteram suam, certissimtnn
salutis humanae pignus ostentat. Vgl. Hesiod. T. W. 197 Xtvxoicriv if-KQiioat
xaki^pttfiivw /{>"('. xalov — Aldtos xttl Nifitan. [H. Gräfe de Concordiae
et Fidei imaginibus. Petropoli 1858.]
*) Sil. lud. Puo. II, 484 ff. Vgl. Virgil Aen. I, 292 und Ennius b. Cic.
de Off. III, 29, 104 0 Fides alma apta pinnis et iusiurandnm lovis [alma heifst
sie auch in dem Gedicht des Brundis. Steins Bull, dell' instit. 1872, 30], im
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254
DRITTER ABSCHNITT.
d. Terminus.
Auch die Grenze und der sie darstellende Grenzstein oder
Grenzpfahl (termen, terminus) 1 ) galten im höheren Alterthum , wo
die bildliche Darstellung einer Idee noch mehr vermochte als ihr
abstracter Ausdruck, für etwas Heiliges und von den Göltern Ein-
gesetztes, unter welchen Göttern in Griechenland und Italien der
höchste Gott des Himmels, Zeus und Jupiter, als Princip aller Ord-
nung auch der eigentliche Schulzherr und Urheber der Grenzsteine
ist. Man wufste es wohl dafs die Abtheilung und Abmarkung des
Grundeigenthums nach Gemeinden, Corporationen oder Privatgrund-
stücken der Anfang aller Befriedigung und Berechtigung der sonst
einander wild widerstrebenden Ansprüche Aller auf Alles ist. In Rom
sind es wieder die beiden fürstlichen Sabiner, auf welche auch in
diesem Kreise die elementaren Ordnungen zurückgeführt wurden.
T. Tatius soll den bekannten Terminus auf dem Capitole geheiligt
haben (Liv. I, 55, vgl. Varro 1. 1. V, 74), Numa galt für den Stifter der
Terminalia, wie sie zu Ende jedes Jahrs d. h. am letzten Februar
in Horn und auf dem Lande begangen wurden (Dionys II, 74, Plut
Numa 16, Qu. Ro. 15). Weil solch ein Fest ohne Grenzen und Ab-
markung des ländlichen Grundeigentums nicht denkbar ist, machte
man den Numa auch zum Urheber der Begrenzung überhaupt und
der auf ihr beruhenden Eintheilung des ländlichen Gebiets nach s. g.
pagis d. h. Landgemeinden, welche aus verschieden Dörfern und
zerstreut liegenden Höfen bestehend durch gemeinsame Verwaltung
und gemeinsamen Gottesdienst verbunden waren'). Und weil diese
Thyest, wo Dar die Rede von verletzter Treue seia kann, vgl. die folgenden
Verse bei Ribbeck v. 361 nuüa sancla tocielat itec fides regni est. Sonst
heifsea Cupido, die Musen, Fama bei den römischen Dichtern pinnatae, was
immer dem griechischen nrt 9 totai entspricht.
>) [lUlisch, griechisch: Curtius Et.» 222. Zu dem ganzen Abschnitt sind
besonders Rudortf, Grom. Institutionen (Schriften d. röm. Feldmesser H) und
Nissen Templum S. 9 ff. zu vergleichen.]
*) Cic. Rep. II, 14, 26 primum agros, quos btUo Romulus ceperat, divisü
virüim eiribus. Vgl. Dionys. II, 76. Der magister pagi war zugleich der
Grenzaufseher in jedem pagus, dessen Mitglieder pagani bielsen, wie die Glieder
jedes vicus vicani. Das Wort pagus hängt zusammen mit pago und pax und
bedeutet eigentlich Dorffriedeo, den ländlichen Gemeindeverband sämmtlicher
zu demselben pagus gehörenden Bauernschaften. [S. besonders Rudorff a. 0.
S. 250 ff. Detlefseu Bull, dell' inst. 1*>61, 45; vgl. auch Marquardt Verwaltung
1, 13 ff. 3, 192 ff.)
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TERMINUS. 255
Grenzen und Grenzsteine nach altera Herkommen durch religiöse
Gebräuche geheiligt und durch sehr strenge Gesetze geschützt wurden,
galt Numa auch für den Begründer dieser Gebräuche und dieser
Gesetze, namentlich des eben so strengen als alterthümlichen und
häufig wiederkehrenden, dafs derjenige welcher einen Grenzstein aus-
pflüge verflucht sein solle, er und das mitschuldige Joch Ochsen 1 ). 22s
Jeder durfte den Schuldigen ungestraft und ohne sich zu verunrei-
nigen wie den Frevler gegen ein Heiligthum todtschlagen; wofür
freilich mit der Zeit mildere Strafen eintraten, d. h. Geldstrafen
anstatt der Capitalstrafen. Nach deutschen Weisthümern sollte einem
solchen Verbrecher mit vier wilden Pferden das Haupt abgepflügt
und er selbst auf der Stätte des ausgeackerten Grenzsteins vergraben
werden.
Auch die bekannte Legende von dem Gapitolinischen Terminus,
dafs er dem Jupiter nicht habe weichen wollen und deshalb in
dessen Tempel mit aufgenommen werden mufste, ist nur eine Um-
schreibung seiner Un verrückbar keit und seines idealen Zusammen-
hanges mit Jupiter. In dem Tempel hatte man über diesem alten
Symbole eine Oeffnung im Dache angebracht; so wesentlich schien
Terminus und sein Cultus unter den lichten Himmel zu gehören 8 ).
Später giebt es dann auch einen eignen Iupiter Terminus oder Ter-
minalis, der dem Z. ÖQiog der Griechen nachgebildet ist und auf
römischen Familienmünzen als Herme mit starkem gelocktem Haupt-
haar und gleichem Bart 8 ), auf einer aus der Gegend von Ravenna
1 ) Paul. p. 36S Termino und Dionys. II, 74. Natürlich galten diese Ge-
setze eben so sehr für die Gebietsnachbarn und die Grenzsteine des Gebiets
als für die Besitzungen auf römischem Grund und Boden. Lieber verwandte
Gesetze und Gebräuche s. Rudorff a. 0. p. 236 sqq und J. Grimm Deutsche
Grenzalterthümer, Abb. der Berl. Akad. v. J. 1S43.
a ) Paul. p. 368 Terminus, Serv. V. A. IX, 44S unde in Capitolio prona
pars tecti palet, quae lapidem ipsum Termini spectat , nam Tennino nonnisi
.sub divo sacrificabatur.
*) Auf Münzen des M. Terentius Varro, des berühmten Gelehrten, der
sie als Proquästor im Gefolge des Pompejus schlag [Cohen Cons. T. XXXIX
Ter. 5. 6 vgl. Mommsen Münzwesen S. 654 A. 553]. lieber die Herme aus der
Gegend von Ravenna mit der Inschr. IOV. TER. M. VAL. ANT. AN. TI CO. V. L. S.
s. Gerhard Annali delf Inst. 1847 p. 327 PI. S. T. und Henzen z. Or. n. 5618,
der nur eine Dedication dieser Herme au den Iup. Terminalis, nicht eine Dar-
stellung desselben gelten lassen will. Jedenfalls ist es eine griechische Form
der Darstellung, vgl. Griech. Myth. 1, 252, und nichts daraus für das italische
Altertbum zu schliefsen. Scheint man doch später jenen alten symbolische»
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256
DRITTER ABSCHNITT.
erhaltnen Henne sogar mit den Merkmalen beider Geschlechter, also
nach Art der griechischen Hermaphroditen dargestellt wird. Dagegen
sich der alte italische Volksglaube, etwas modificirt durch die Lehre
etruskischer Priester, erhalten hat in dem merkwürdigen Fragmente
wo eines Orakels oder einer Offenbarung, welches in dem Sammelwerke
der römischen Feldmesser steht 1 ) und so lautet: „Wisse dafs das
Meer aus dem Aether abgeschieden ist (S. 172). Als aber Jupiter
das Land Etrurien für sich in Beschlag nahm, beschlofs er und
befahl, dafs man die Felder messen und die Aecker abgrenzen solle.
Denn er kannte die Habsucht der Menschen und ihre irdische Be-
gierde, daher er Alles durch Grenzsteine abgemarkt haben wollte.
Diese werden die Menschen im achten Seculum, wo es bald zu Ende
geht, antasten und verrücken. Aber wehe dem der sie antastet und
verrückt um seinen Besitz zu mehren, den des Nächsten zu mindern:
er ist wegen dieses Verbrechens verdammt von den Göttern. Wenn
Sklaven es thun, so sollen sie von ihrer Herrschaft harte Strafen
leiden. Wenn es mit Wissen der Herrschaft geschieht, so wird deren
Haus schnell ausgerottet werden und all ihr Geschlecht untergehn 2 ).
Die aber, deren Hände den Stein verrückt haben, werden mit
schlimmen Krankheiten und Wunden geschlagen und ihre Glieder
werden schwach werden. Dann wird auch die Erde unter Gewitter-
stürmen und Wirbelwinden erbeben und einstürzen, die Feldfrucht
von Sturm und Hagel zerschlagen, von den Hundstageu verbrannt,
vom Mehlthau gefressen werden, und im Volke wird viel Kampf
Grenzsteiu im T. des Capilolinischen Jupiter für den Stein ausgegeben zu
haben, den Saturnus anstatt des Jupiter verschluckt haben soll, s. Loctant. I,
20, 3S. [Vgl. auch Archaol. Anz. 1864, S. 251 u. 260.]
*) Giomat. vet. p. 350. Die Ueberschrift ist: Ex libris Vegoiae Arrunti
Veltymno. Also ein aus den Büchern des Vcgoia entlehntes Orakel, welches
an den Arruns Veltymuus gerichtet war. Aach den ersten Worten Scias —
remotum ist etwas ausgefallen, da nothwendig von der Entstehung der Erde
und ihrer Vertheiluog unter den verschiedenen Völkern die Rede sein mufste.
Auch weiterhin nach den Worten quos quandoque quis scheint etwas ausge-
fallen zu sein. Der ganzeu Sprache merkt man die Lebersetzung an. [Vgl.
Mommseo röm. Chronol. 2. Aufl. S. 189.)
*) Vgl. die Inschr. eines terminus bei Or. u. 4332 quüiquis hoc sustulerit
aut Idt-srrit , alt im its suorutn moriatur [aus Gudius; echt? Unter der ohne
Zweifel von einem Grabmal stammenden Protome einer Frau in der Gal. lapid.
des Vatican steht: quisquis \ hoc sustuler{it) \ vel üisterü (so) | ultimus suo \ rum
moriatur (abgeschr. von Jordan 1863)].
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TERMINUS.
257
und Streit sein 1 ). Das wird geschehen wenn solche Verbrechen
begangen werden. Deshalb merke es Dir und hüte Dich vor Betrug
und Falschheit und bewahre diese meine Lehre in einem feinen
Herzen".
Die durch die Heiligkeit der Grenze veranlafsten religiösen
Gebräuche betreffen theils die Setzung der Grenzsteine theils das
stadtische und ländliche Fest der Terminalien am 23. Febr. d. h.
am alten Ausgange des Jahrs, welches durch dieses Fest selbst be-
grenzt und abgeschlossen wurde 2 ). Beim Setzen der Grenzsteine 230
wurden diese Gebräuche beobachtet. Zuerst wurden die Steine in
der Nähe der Gruben, in welche sie eingelassen werden sollten, auf-
gerichtet, gesalbt und mit Binden und Kränzen geschmückt. Dann
wurde in den Gruben ein Opfer dargebracht und verbrannt, der
Boden der Grube mit dem Blute des Opferthiers getränkt und dazu
Weihrauch und Feldfrüchte, Honig und Wein hineingeschüttet. Wenn
das Opferthier ganz verbrannt war, wurden die Steine auf die noch
heifsen Kohlen und die Knochenreste des Opferthieres aufgesetzt,
weil diese in der Erde nicht verwittern, also dem künftigen Friedens-
richter als sichres Merkmal dienen konnten. Endlich wurden die
Steine selbst mit der gröfsten Sorgfalt in die Erde eingerammelt.
Und zwar betheiligten sich bei diesen Feierlichkeiten entweder beide
Nachbarn oder, wo drei Grundstücke an einander stiefsen, alle drei 8 ).
Die ländlichen Terminalien, welche Ovid F. II, 641 ff. beschreibt,
waren ein gemüthliches Fest der Familien und der guten Nachbar-
schaft. Denn auch hier vereinigten sich die Nachbarn, indem der
eine die eine, der andre die andre Seite des Grenzsteins bekränzte
und an derselben opferte, gewöhnlich mit einem Opferkuchen und
unblutigen Opfern, wobei sich immer die ganze Familie betheiligte,
Mann und Frau, die Kinder und das Gesinde, jeder etwas zum Opfer
herbeitragend, alle festlich und andächtig. Von Andern wurde auch
wohl ein Lamm oder ein Ferkel geopfert und der Grenzstein mit dem
*) Vgl. Cic. de harusp. resp. 19 und 25. Nach deutschem Glauben sind
die unseligen Geister und Irrwische solche die bei ihren Lebzeiten am Acker-
feld frevelten oder die Heiligkeit der Grenze nicht achteten, s. Mosers Patriot
Phantas. 3, 309, Grimm D. M. 870.
*) Varro 1. 1. VI, 13 Terminalia quod is dies anni extremus constitutus ;
duodecimus enim mensis Juit Februarius et quom intercalalur inferiores qttin-
que dies duodeeimo demuntur mense Vgl. Ovid F. II, 49, Mncrob. S. I, 13,
15, Censorin 20, 6, Liv. XLIII, 11, XLV, 44.
8 ) Siculi Flacci de condicionibus agrorum, Gromat. vet. p. 141.
Preller, Röm. 3fvthol. I. 3. Aufl. 17
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258
DRITTER AUSCHMTT.
Blute besprengt *). Endlich vereinigte sich die ganze Nachbarschaft
zum gemeinschaftlichen Mahle und sang Lieder auf den Terminus,
den Urheber aller Grenzen zwischen Gemeinden, Städten und mäch-
tigen Reichen, ohne den überall Streit und Hader sein würde 8 ).
Gewifs wurden an diesem Tage auch auf dem Capitole und an der
alten Grenze der römischen Stadtflur entsprechende Gebräuche ver-
richtet; auf die letztere bezieht sich der Hain des Terminus an der
Via Laurentina, sechs Meilen von Korn, wo an den Terminalien mit
einem Lamme geopfert wurde. Vermuthlich war dieses die alte
Grenze zwischen dem Gebiete der Stadt Rom und dem der Laurenter,
wo ein alter Grenzstein und ein nachbarlicher Cultus desselben sich
am längsten erhalten konnte, weil Laurentum und Lavinium von den
Kömern fort und fort als zu gleichen Rechten verbündete Gemeinden
angesehen wurden.
e. Der Nagel in der eella Iovis. 8 )
Da dieser Nagel nach einer alten ritualen Vorschrift, die ehe-
dem an der rechten Wand der cella Iovis, da wo die cella Minervae
an dieselbe stiefs, zu lesen war, jährlich an den Iden des September,
dem Einweihungstage des Capitolinischen Tempels und dem heiligsten
Festtage der Römischen Spiele (S. 219), von der höchsten obrig-
keitlichen Person des Römischen Staats (qui praetor maximus sit,
Liv. VII, 3) eingeschlagen werden sollte, so kann er unmöglich blos
die praktische Bedeutung gehabt haben, die Jahre in Ermangelung
einer bessern Einrichtung zu zählen, sondern er mufs auch eine
religiöse Bedeutung gehabt haben. Das Vorbild linden wir auch hier,
wie bei den meisten andern Einrichtungen des Capitolinischen Cultus,
bei den Etruskern, wie namentlich in Vulsinü die ähnliche Sitte
bestand, mit jedem Jahre in dem Tempel der Schicksalsgöttin Nortia
einen Nagel einzuschlagen und diese Nägel als eine Art von Jahres-
«) Ovid. Fast. II, 653, Horat. Epod. 2, 59 vel agna festi* caesa Tcrmi-
naUbus.
*) Vgl. Gromat. vet. p. 366 uud Varro ib. p. 393, wo uicht allein die
Begrenzung der Aecker und der Friede, sondern auch alle Mefskunst in Zeit
und Kaum vom Terminus abgeleitet wird. Vgl. Plut. JNuma 16, Qu. Ro. 15,
JNuma habe den terminus geheiligt c6c intoxonov xoi ifilaxcc (/*lias xai
■tyfaff) weshalb auch früher keine blutigen Opfer erlaubt gewesen wären.
Dasselbe versichert Dionys. II, 74. [Missen a. 0.]
8 ) [Vgl zu diesem Abschnitt Mommseu Rom. Chronologie 2. Aull. S. 176 ff.]
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DEIl NAGEL IN DER CELLA IOVIS
259
register zu benutzen. Auch fehlt es nicht an sichrer Kunde der
symbolischen Bedeutung eines solchen Balkennagels, dafs nehmlieh
dadurch der feste und unwiderrufliche Beschlufs des Schicksals aus-
gedrückt werden sollte, daher Balkennägel, Klammern und flüssiges
Blei, lauter Mittel um die Glieder eines Gebäudes unerschütterlich
fest zusammenzufügen, bei Horaz Od. I, 35, 18 die Attribute der
ehernen Nothwendigkeit sind, und in einer andern Stelle bei Horaz
Od. III, 24, 5 so wie auf einem etruskischen Spiegel die unabwend-
bare Stunde des Todes durch einen von der Parce über dem Haupte
des der Zeit Verfallenen eingeschlagenen Nagel sinnbildlich aus-
gedrückt wird 1 ). Dazu kommt der sprichwörtliche Gebrauch der
Nägel und des Nageleinschlagens für alles unwiderruflich Abgemachte m
und unerschütterlich Ergriffene 8 ), endlich dafs Jupiter selbst unter
andern Beinamen als Tigillus angerufen wurde d. h. als fester
Stütz- und Tragebalken des Himmels und der himmlischen Erschei-
nungen 3 ). Mithin wird auch jener an den Iden des September ein-
geschlagene Nagel etwas Aehnliches bedeutet haben, entweder das
Unerschütterliche seiner himmlischen Beschlüsse überhaupt, oder
speciell die lichte Jahresordnung der Idus (S. 156), unter denen die
des September für den Capitolinischen Göttercultus so besonders
bedeutsam waren und deshalb auch zu einer regelmässigen Zählung
des Jahre gut dienen konnten. Uebrigens wurde dieser Nagel seit
dem Einweihungsjahre des Tempels eine Zeitlang regelmässig von den
Consuln eingeschlagen. Dann wurde, seit der Einführung der Dic-
tatur im J. 253 d. St. dem Dictalor als höchster Obrigkeit nach
dem Wortlaute jenes Gesetzes die Vollziehung jener Ceremonie über-
tragen und dadurch ihr regelmässiger Verlauf von selbst unterbrochen.
Bald wurde sie nach römischer Weise zum blofsen opus operatum
*) Auf dem Spiegel ist Atropos (Atbrpa) d. h. das unabwendbare Schicksal
eben im Begriff den Nagel über dem Haupte des Meleager einzuschlagen, s. bei
Gerhard 1, 176 [Corssen Spr. d. Etr. 1, 830, Müller Etr. 2», 308].
2 ) Cic. Verr. V, 21, 53 ut hoc beneficium, quemadmodum dicitur, clavo
Irabali figeret. Petrou. 71 nosti, quod semel destinavi, clavo tabulari (irabali
Scheffer) fixum est. Plaut. Asiuar. I, 3, 4 fijcus Ate apud nos est animus luus
clavo Cupidinis. Vgl. Aeschyl. Suppl. 907 TtüW i>frj).(axai ro^tog yoptfog
t)iau;iiti a>s utyttv dgaoowos.
•) Augustin C. D. Vif, 11, wo mundus der Himmel ist, das dium, s. oben
S. 1S5, 2. Vgl. den Ausdruck columen reipublicae, faiuiliae, rerutu uud Horaz
in dem Gedichte auf die Fortuna Autias Od. 1, 35, 13 iniurioso ne pede pro-
ruas stantem columnam d. h. die bestehende Ordnung der Dinge.
17*
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260
DRITTER ARSCH.MTT
mit wunderbarem Erfolge, wie man z. B. im J. 260 d. St., dem
Jahre der Secession, dem vom Dictator eingeschlagenen Nagel einen
sonderbaren Einflufs der Sühnung und Beruhigung zuschrieb und
bei einer andern Gelegenheit das Aufhören einer Pestilenz mit dem-
selben Acte in Verbindung brachte (Liv. VII, 3; VIII, 18). Später
ward der Gebrauch nur ausnahmsweise angewendet, so dafs jedesmal
ein eigner dictator clavi figendi causa gewählt wurde, namentlich im
J. 391 d. St. auf Veranlassung einer Pestilenz, bei welcher man sich
jenes früheren Falls erinnerte, und im J. 423, da viele Personen an
Gift starben und endlich eine Magd verrieth dafs römische Matronen,
darunter zwei patricischer Abkunft, dieses Gift gebraut hatten: eine
so unerhörte Unthat, dafs man an eine geistige Störung und Ge-
müthskrankheit dachte und dabei sich des Nagels im Jahre der
Secession erinnerte. August bestimmte dafs die abgehenden Censoren
233 in den T. des Mars Ultor einen Nagel einschlagen sollten (Dio LV, 10).
Das Privatleben kannte denselben Gebrauch als abergläubisches
Heil- und Sühnungsmittel, durch welches man Krankheiten und
dämonische Einflüsse abzuwenden und anderswo zu fixiren (defigere)
glaubte 1 ).
/. Juventus.
Auch Juventas wollte nicht weichen, als man das Capitol baute,
daher man ihr in der Nähe Jupiters, in der Vorhalle «Ter Minerva
eine eigne Capelle eingeräumt hatte, zum günstigen Zeichen der
ewigen Jugend des römischen Staats. So die bekannte Legende 2 ),
doch ist in Wahrheit auch diese Göttin nur die abgesonderte Perso-
nification einer Eigenschaft, welche zum Wesen des Jupiter gehörte,
da derselbe als Gott des Segens und natürlichen Wachsthums auch
das göttliche Urbild und der Hort aller männlichen Jugend ist. Daher
lupiterluventus in den beiden [jedoch nicht stadtrömischen]
Inschriften bei Henzen n. 5634. 5635 und der altherkömmliche,
*) Plin. H. N. XXXIII, 63 cUtvum ferreum defigere in quo loeo primwn
caput fixerit corruens morbo comitiali absolutorium eiut mali dicüur. Vgl.
die Zaubernägel bei 0. Jabn über den Aberglauben des bösen Blicks bei den
Alten, in den Berichten über d. V. d. K. Sachs. G. d. W. Leiprig 1855 S. 107.
[Die von P. hier noch erwähnte Erzählung des Fälschers Pseudoplut. Parall.
35, welche in Falerii spielt, ist werthlos. Ueber die Art der Erfindung vgl.
z. B. Hercher Praef. zu Plut. de fluv. S. 28 ]
») Dionys. III, 69, Plin. H. N. XXXV, 108; Dio LIV, 19.
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IUVEKTAS.
261
angeblich von Servius Tullius eingeführte Gebrauch, dafs für jeden
Knaben, der zum Jüngling wurde, ein Stück Geld in den Kasten
der Juventas gelegt werden mufste, wie für jedes Kind in den der
Iuno Lucina, für jeden Verstorbenen in den der Venus Libitina
(Dionys IV, 15). Denn immer ist Juventas die Göttin der männ-
lichen Jugend und ihrer besten Blüthe, wo der Bart zu wachsen,
der Geist und Charakter sich zu bilden beginnt und der Knabe zum
Bürger wird, welcher zunächst als iunior dem Staate durch seine
Wehrkraft, später als maior demselben auch durch seinen Rath
nützen wird. Der Gebrauch war dafs der junge Bürger wenn er
auf dem Forum die toga praetexta der Knabenjahre mit der toga
virilis vertauscht und die Bulle mit dem Anratet abgelegt hatte, da
er sich nun selbst zu schützen Mannes genug war, dafs er dann
alsbald aufs Gapitol hinaufging, um dort der Juventas seinen Tribut
zu zahlen und vor ihr und dem Jupiter anzubeten 1 ) : ein Familien- 234
fest welches bei angeseheneren Familien von selbst einen öffentlichen
Charakter annahm und unter den Kaisern vollends ein Gegenstand
der Ostentation und Adulation wurde 2 ). Ueberdies wurden der
Iuventas regelmäfsige Opfer zu Anfang des Jahres und zwar gleich-
falls pro iuvenibus gebracht 8 ). Seit dem J. 193 v. Chr. gab es
einen zweiten Tempel von ihr beim Circus Maximus, seit August
l ) Serv. V. Ecl. IV, 50 Iovem merito puerorum dicunt incrementa curare,
quia, cum pueri iogam virilem sumpserint, ad Capitolium eunt. Augustin C.
D. IV, 11 ipse (Jupiter sit) Dea Juventas, quae post practextam excipiat iuve-
nilis exordia etc. Vgl. Valer. Max. V, 4, 4, Sueton Claud. 2, Petron. 88.
[Vgl. Marquardt Privatalt. 1 >, 123 f. Hierher gehören wohl die Widmungen
. . ex[voto?) Juventuti l. d. d., Iuventuti Jrtanorum posuit coüegium und Iu-
ventuti C. M. S. (Name?) M. Q(uintius) Glycerus d. d. (Orig. verloren) C. 1. L.
2, 45. 5, 4083. 4244.]
*) Im Kai. Cumanum heifst es zum 18. Octhr.: Eo die Caesar togam
virilem sumpsit. Supplicatio Spei et Juve(ntatt). Vgl. das Kai. Antiat. zu
dems. Tage [C. I. L. 1 p. 404]. Es geschah in seinem 14. Lebensjahr. Auch
die erste Schur des Bartes gab zu ähnlichen Festlichkeiten Anlafs, indem man
die Erstlinge der Fortuna ßarbata oder dem Apoll darbrachte, oder sie auch,
wie Nero, auf dem Capitole niederlegte, s. Dio XLVIII, 34, luvenal. III, 186,
Martial. I, 31, Petron. 29 und über Nero, der bei dieser Gelegenheit s. g.
luvenalia d. h. Spiele der vornehmen Jugend veranstaltete, Sueton Nero 12
Dio LXI, 19, Lips. z. Tacit. Ann. XIV, 15. Eine ähnliche Beziehung hat
vermothlicb die Iuventas und Iup. Iuvenis auf Münzen des M. Aurel und
des Commodus.
») Cic. ad Att. I, 18, 3, Paul. p. 104, Liv. XXXVI, 36.
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262
MUTTER ABSCHNITT.
einen eignen T. der Juventas in Palatio 1 ), wahrscheinlich für die
Opfer und Gebete im nächsten Kreise der kaiserlichen Familie.
Auch wurde es seit August Sitte dafs der kaiserliche Prinz und
bestimmte Thronfolger, sobald er iuvenis geworden war, an die
Spitze der Ritterschaft trat und als solcher princeps iuventutis ge-
nannt wurde, was neue Festlichkeiten und Auszeichnungen zur Folge
hatte 8 ). Die Göttin Juventas wurde in den Zeiten der griechischen
Bildung gewöhnlich mit der Hebe identificirt 8 ).
g. Düovis und f'eiovis.
Diese beiden Götter werden zusammengenannt bei Quintil.
I, 4, 17 und Gellius V, 12, welcher sich auf alte Gebetsformeln
235 beruft 4 ), in denen diese Namen neben einander vorkamen. Düovis
wurde, wie es scheint, von dem gewöhnlichen Diovis oder Iupiter
als Compositum von Di und Iovis unterschieden, obgleich der Name
nichts Anderes als Diovis bedeutet haben kann, nehmlich einen wohl-
thätigen Gott des Himmels und des himmlischen Lichtes ß ). Vediiovis
ist dasselbe Wort mit dem Praefix ve, welche Silbe in solchen Zu-
sammensetzungen immer eine nachtheilige, sich in sich selbst auf-
hebende Wirkung und Eigenschaft des Begriffs ausdruckt, der in dem
1 1 Mon. Ancyr. [4, 8]. Auch in den Provinzen wurde die luventas oder
luventus auf ähnliche Weise verehrt, s. den Hamen Iuventutis bei Or.
n. 2213.
*) [Daher auch eine Widmung Iuventuti s/ug(ustae) C. I. L. 2, 1935.]
») Liv. XXI, 62, Cic. N. D. I, 40, 112.
4 ) Für in antiquis spectationibus ist zu lesen precatiouibus. Vgl.
meine Abhdlg. in den Leipz. Berichten der K. Sachs. G. d. W. 1855 S. 203 IT.
[= Prellers Ausgewählte Aufsätze S. 268. S. jedoch die flg. An in., wonach
der Abschnitt ganz umzugestalten gewesen wäre: ein Gott Düovis = Di-lovis
existirt uicbt]
*) [Aehnlich Mommsen C. I. L. 1 S. 36. 382, aber irrig. Quintilian a. O.
bringt für den Satz, da Ts für t früher e geschrieben wurde (und nur für diesen)
das Beispiel einer Dedication an den bekannten Juppiter Victor (oben S. 198)
bei: Diove {deioue Ambr.) victori, non Diovi (so Ambr.) victori (die Varianten
diiovi, dii iovi anderer Hss. sind also Schreibfehler); Gellius will a. 0. luppiter
a iuvando und Diovis, dessen sprachliches Verhältnifs zu Iovis ihm unklar ist,
von dies herleiten: ob ihn selbst diese Unkunde bcwog Düovis (und Vediiovis)
zu schreiben oder auch hier nur die Abschreiber irrten, ist gleichgiltig. Bei
Liv. XXXI, 21 endlich ist Düovis eine verunglückte Conjectur von Valesius.
Sonst aber kommt Düovis nicht vor, könnte auch schwerlich erklärt werden.
S. Jordan Comment. phil. in hon. Mommseni p. 366 ff.J
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veiovis. 263
Stammworte ausgesprochen ist, z. B. vehemens oder vemens, vecors,
vesanus, vegrandia farra, d. h. im Sprachgebrauch der Landleute
solche die nicht recht wachsen wollten, vescus d. i. ein solcher der
entweder nicht essen mag oder mit Heifshunger und ohne Erfolg
für seine Ernährung ifst. Daher kann weder die Erklärung solcher
Grammatiker die richtige sein, welche den Veiovis für einen kleinen,
nicht ausgewachsenen Jupiter hielten (Paul. p. 379, Ovid. F. III,
445 IT.), noch die andrer, welche in der Voraussetzung dafs Jupiter
a iuvando abzuleiten sei, den Veiovis für das Gegentheil von einem
hülfreichen Gott, also für einen schädlichen und bösen Jupiter er-
klärten. Jedenfalls gehörte dieser Gott zu den altitalischen, da er
sich namentlich bei den Sabinern 1 ) und Latinern nachweisen läfst
und nach Rom aus Alba Longa gekommen zu sein scheint. Aus
der kleinen Stadt Bovillae am Fufse des Albaner Gebirgs, einer
alten Golonie von Alba Longa, hat sich nehmlich ein alterthümlicher
Altar erhalten 8 ), welcher auf der einen Seite die Inschrift trägt:
Vediovei Patrei genteiles Iuliei, auf der andern diese: leege
! ) Varro 1. 1. V, 74, wo zu lesen ist Vediiovi Saturnoque. Die durch
Möller beliebt gewordne Form Vedius findet sich nar bei Marti au. Cap. II,
142. 166. Bei Aminian Marc. XVII, 10, 1, aas welcher Stelle man einen
blitzschleudernden Veiovis der Etrusker gefolgert hat: ut in Taget i vis [tage-
tinicis die Uss.] libris legitur Veiovis f ulmine mox tangendos, haben die Mss.
uegonicis, so dafs eher Vegoiicis zu schreiben sein möchte [et Vegonieis
schreibt Gardth.], vgl. Plin. H. N. II, 143 f. [Lachmann hat erkannt (s. oben
S. 66), dafs die von Varro a. O. citirten annale* die des Ennius sind und
Haupt danach den Vers so gemessen: vovü Opi Florae Vedio Iovi Saturnoque.
Aber wie auch der Vers gelautet haben mag (die Restitution ist schon des-
wegen unsicher, weil der folgende Vers unvollständig ist), Müller zu Festus
S. XLIV hat richtig Vediovi für das hs. vedio iovi hergestellt. Ob der etrus-
kische (?) Vedius des Capeila mit ihm etwas gemein hat (quem etiam Düem
Veiovemque dixerunt § 166) und ob etwa Vediovis durch vedius Iovis um-
schrieben werden konnte, ist ganz unsicher, irrig auch die Vergleichung von
Fedi-us, Vedi-ovis mit umbr. Fis-us , Fis-ovius (vgl. Grab-ovius) bei Aufr. u.
Kirchh. 2, 195. — Dafs Diovis — Iovis und Ve-diovU — Ve-iovi* (ve- 'getrennt
von 1 ) sich ausschliefsende Gegensätze sind, erkennt auch Ribbeck (Beitr. z.
Lehre von den lat. Partikeln L. 1869 S. 10). Sicher aber ist er nicht Todten-
gott: gerade deswegen nicht, weil er mitDispater und den Manes angerufen
wird (Macr. S. III, 9, 10). S. Jordan a. O.]
*) S. Klausen Aeneas u. d. Penaten S. 1083 T. IV, 3, Ritsehl Mon. Epigr.
p. 29, Canina Via Appia p. 209 t. XLVHJ, 2. [C. I. L. 1, 807 jetzt in Rom
im Garten Colonna.j Die Einwohner von Bovillae nennen sich auf Inschriften
gewöhnlich Longaui Bovilleuses.
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DRITTER AÜSCHMTT
Albana dicata, woraus also abzunehmen ist dafs dieser Altar nach
einer aus Alba Longa traditionell überkommenen oder mit den dor-
«36 Ugen Gottesdiensten bewahrten ritualen Vorschrift geweiht worden
war. Die Gentiles Iulii sind die Sippen der Gens Iuiia, welches
Geschlecht notorisch zu den ältesten albanischen gehörte und in
Bovillae wie zu Rom seit alter Zeit angesiedelt war. In Rom hatte
Veiovis ein berühmtes Heiligthum zwischen dem Capitolium und der
Arx d. h. zwischen den beiden Gipfeln des Capitolinischen Hügels,
wo das sogenannte Asyl des Veiovis und in späterer Zeit sein
Tempel zwischen zwei Hainen lag, daher der gewöhnliche Zusatz
inter duos lucos 1 ). In dem Tempel sah man sein Bild mit einem
Bündel Pfeile in der Hand, daher man ihn später gewöhnlich für
den griechischen Apollo erklärte. So ist er auch auf verschiedenen
Familienmünzen als Apollo gedacht und abgebildet, der Kopf immer
jugendlich und unbärlig, das Haar mit Lorbeer bekränzt, gewöhnlich
so, dafs er mit der Rechten mehrere in einen Bündel zusammen-
gefafste Pfeile zückt, die man nach einer herkömmlichen und weit
verbreiteten Allegorie des Alterthums am besten für ein Bild der
schielsenden Sonnenstrahlen erklären wird. Auch bei der Ver-
gleichung dieses Gottes mit dem griechischen sivxwQijg oder Avxm-
Qsvg, auf die der römische Alterthumsforscher Piso geführt worden
war 8 )', liegt Apollo zu Grunde, denn Lykores ist kein andrer als
Apoll von Delphi in der speciellen Bedeutung eines Gottes der Sühne.
Eine andre Eigenthümlichkeit dieses Cultus war das Symbol der
Ziege, welche in dem Tempel neben dem Bilde des Veiovis stand
und auf jenen Münzen gleichfalls abgebildet wird, gezügelt von einem
auf ihr sitzenden geflügelten Knaben, den man mit Recht für den
Genius des Veiovis (S. 85) erklärt hat 8 ). Die wahre Bedeutung des
*) Becker Handb. 1, 377. 400. [Mit dem Ausdruck inter duos lucos iden-
tisch ist inter arcem et Capitolium (Gell. V, 12) und das poetische lucos ante
duos Ov. F. III 429.f., aber nicht in arce, worüber unten.j
») Serv. V. A. II, 761, 0. Jahn in den Leipz. Ber. 1847 S. 421 ff. [^i*w-
Qtvs lautete den Römern lucoreus, also an den deus lucaris sehr anklingend.
Bei Serv. a. 0. hat die Fuld. Hs. quem locum (das Asyl) deus lucoris, sicut
Piso aä, curare dicitur, wo demnach Lucoreus oder Lucores zu schreiben ist.
Vgl. Preller Aufs. S. 272 ]
») Dieselbe Ziege erscheint wieder auf den Münzen des Antoninus Pius und
des Gallien, auf jenen mit dem Attribute eines Adlers, auf diesen mit der In-
schrift Iovi Cresceoti, Eckhel D. N. VII p. 33. 39$, so dafs also die Erklärung
des Veiovis durch den kleinen Jupiter haften blieb. Auch haben einige Familien-
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VEIOVIS.
265
Gottes scheint die eines jugendlich gedachten Jupiter zu sein, der
zugleich Sonnengott war und als solcher namentlich im Frühlinge,
wo durch die heifse Sonne leicht Epidemieen erzeugt werden, ge-
fürchtet wurde; wenigstens führt darauf sowohl der Vergleich mit
verwandten Erscheinungen als das was wir sonst von diesem Gottes-
dienste wissen. Die Nonen des März waren der herkömmliche Fest-
tag, s. Fast. Praenest. und Ovid F. III, 429 ff. Die Ziege war das «37
gewöhnliche Opfer, und zwar wurde sie, wie Gellius a. a. 0. sich
ausdrückt, ritu humano dargebracht, das will vermuthlich sagen:
als stellvertretendes Sühnopfer 1 ). Deshalb verglich Piso den Veiovis
mit dem Apollo Lykoreus von Delphi, ja selbst die Sage vom Asyle
des Kumulus erklärt sich unter dieser Voraussetzung am natürlichsten.
Immer heilst es dafs Romulus zwischen jenen beiden Hainen des
Veiovis eine Zutluchtsstätle für flüchtige Verbrecher gegründet und
münzen deutlich einen Doppelblitz und keine Pfeile obwohl Ovid nur von letz-
teren wissen will. [Ovid a. 0. 445 sagt, dafs der Gott in dem Heiligthum inter
duos lucos als iuvenis dargestellt ist, ftümina nulla tenet und dafs stat quoque
capra simul. Von dem Bilde desselben Heiligthums (demselben Bilde?) sagt Gell.
V, 12 sagütas tenet, quae sunt videlicet partae (so Hss. , paratae Ausg.: wohl aptae)
ad nocendum: quapropter eum deum plerumque //poUüurrn esse dixerunt. Man
hat den jugendlichen Juppiter, der Blitze (angeblich auch ein Bündel Pfeile)
schleudert auf Denaren, für diesen Vejovis gehalten und das Monogramm X
Apollo aufgelöst. Aber die Pfeile sind keine solche (mau schleudert auch
nicht Bündel Pfeile) sondern Blitze, das Monogramm heifst wahrscheinlich
Roma, der ganze Typus ist der des unbärtigen Juppiter, wie er auf den älteren
republ. Münzen überhaupt üblich ist. Jordan a. 0. S. 365 und ausführlich
Klügmann Arch.-Zeitung 36 (1878), 105 »".]
*) [Die Note der prän. Fasten . . . 011' artis Vediavis inter duo \ lucos ist
stark verdorben: [I\ovi[s M]artis Foggini, / Xltjovi, a[ed]is Mommsen C. I. L.
1 p. 388, atra] ovi[in]aris Huschke Jahr p. 248. Jordan's Vorschlag a. 0. S. 365
ist unhaltbar.] Paul p. 105 Humanum sacrifieium dicebant quod
mortui causa fiebat. Dieses mortuus ist entweder von einem Getödteten
im Sinne der ßlutsühne zu verstehn oder in dem eines houio sacer d. h. eines
für todeswürdig erklärten und deshalb ausgestorbenen Verbrechers, der eigent-
lich getödtet werden sollte, aber nach einem stellvertretenden Sühnopfer wieder
zu Gnaden angenommen wird, vgl. Virgil Aen. V, 482, wo Eotellus, nachdem
er den Stier anstatt des Dares erschlagen, hinzufügt: Hanc tibi, Eryx, melio-
rem animam pro morte Daretis persolvo. Eben deshalb unterschied
man hostiae animales d. h. solche wo die anima, das der Gottheit dar-
gebrachte Leben die Hauptsache war, und consultatoriae, wo es auf die Unter-
suchung der Eingeweide abgesehen war, s. Macrob. III, 5, 1, Serv. V. A. IV,
56. [Vgl. dagegen Lübbert Commentationes pontificales, Berolini 1859, S. 170
u. Mercklin in den N. Jhrbb. f. Philol. Bnd. 81, S. 278.]
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266
DRITTER ABSCHNITT.
auf diese Weise viele Börger für seinen jungen Staat gewonnen habe,
dem dieser zweideutige Ursprung später oft genug vorgeworfen ist.
Die Griechen haben diese Einrichtung nach ihrer Art ein Asyl ge-
nannt und wirklich wurde sie auch in Rom später dafür gehalten
(Dio XLVH, 19). Der wahre Zusammenhang ist aber vermuthlich
der, dafs Veiovis als Gott der Sühne zugleich ein Gott der Zuflucht
verurtheilter und ausgestofsener Verbrecher war, welche, wenn sie ihr
Vaterland meiden mufsten, in der Stadt wo sie Sühnting fanden auch
einen neuen Heerd fiuden mochten; wie sich denn verwandte Ge-
bräuche der Ausstofsung (exsecratio) und Wiederherstellung nach
einem Todschlage oder andern todeswürdigen Verbrechen aus dem
griechischen und römischen Allerthum nachweisen lassen. Gewifs
ist dafs die Ziege und der Bock in Rom auch sonst als Sühnopfer
herkömmlich waren, z. B. im Culte der Juno und des Lupercus 1 ). —
Aufser dem alten Heiligthum zwischen den beiden Hainen [und einem
zweiten capitolinischen auf der Arx] 2 ) gab es noch einen Cult des
Veiovis auf der Tiberinsel, nur dafs sein Name hier seltsam mit dem
des Jupiter oder Diiovis abwechselt, daher es wahrscheinlich ist dass
vorzüglich in diesem Culte beide Götter neben einander verehrt
238 wurden 3 ). Geopfert wurde in diesem Culte am 1. Januar und neben
*) [Die griechische Asylie ist jedesfalls dem römischen Alterthum fremd.
Vgl. htmy xtti äovlov | sacrum C. I. L. 6, 824: noch nicht befriedigend er-
klärt Cic. de lege agr. II, 16, 36: sunt enim loca publica urbis, sunt sacella,
quae post restüutam tribuniciam potestatem nemo altigit, quae maiores in urbe
partim periculi perfugia esse {voluerunt). Zum Wesen des Heiligthums inter
duos lucos gehört die Imfriedigung und Unnahbarkeit, vielleicht das Symbol
der Unschädlichmachung dieses schlimmen Gottes, der aber nicht Todteu-
gott ist. Em. Hoffmann Mythen aus der VVanderzeit 1 (L. 1876) S. 97 f.]
1 [Erwähnt von Plinius N. H. XVI, 216: simulacrum f^eiovis in arce e
cupresso durat a condita u. DLL Sieber ist dafs dies nicht das Bild inter
arcem et Capitolium sein kann, fraglich bleibt ob mit 1 Hs. DLXI zu schreiben
und an die verdorbene oder falsch wiedergegebene Notiz bei Liv. XXXV, 41,
8 (562) aedesque duae Iovi in Capitolio dedicatae sunt zu denken ist (Jordan
a. O. 361. 364 f.)]
») Die Pasti Praenest. [zum 1. Jan.] nennen Veiovis, Ovid F. I, 289 ff.,
Liv. XXXI, 21 und XXXIV, 53 Jupiter oder Diiovis, welcher Name bei Liv.
XXXI, 21 mit H. Valesius zu restituiren ist. [Vielmehr ist wohl hier aus
dem bs. aedemque deo iovi vovit mit Merkel zu Ov. F. CXXIV aedemque
Vediovi v. herzustellen. Ovids luppiter in parte est ^a. 0.) entscheidet nichts,
da er auch III, 447 den Veiovis für den »groTsen Juppiter' erklärt Die
Entscheidung hängt von der schwierigen Bestimmung der Tempel auf der
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IlTITER ANXUR
267
dem Aesculap, so dafs er hier vollends als ein Gott der Heilung
erscheint. Möglich dafs auch der neuerdings auf derselben Stätte
bekannt gewordne Iupiter Iurarius mit diesem Doppelculte zusammen-
hängt 1 ), zumal da Diiovis dem auch auf der Tiberinsel verehrten
Schwurgotte Dius Fidius oder Semo Sancus sehr nahe gestanden
haben mufs. Später, nachdem das Verständnifs der älteren italischen
Götter verloren gegangen war, pflegte man auch den Vejovis mit
dem Dis Pater, dem Gott des Todes und der Unterwelt zu identi-
ficiren 2 ), vermuthlich nur deswegen weil man ihn für einen bösen
und finstern Jupiter hielt.
h. Iupiter Anxur.
Iup. Anxur war der Gott der alten Volskerstadt Anxur, welche
ihren andern Namen Tarracina vermuthlich den einst auch in dieser
Gegend herrschenden Etruskern verdankte, dahingegen jener gewifs
italischen Ursprungs ist, vgl. die Stadt Anxanum mit dem Gentile
Anxas im Gebiete der Marser, eine andre Stadt Anxa in dem der
Sallentiner, ferner die bei den Marsern verehrte Göttin Ancitia oder
Angilia. Iupiter Anxur oder Anxurus und die Frühlings-, Quellen-
und Haingöttin Feronia waren nach Virgil Aen. VII, 799 die herr-
schenden Götter der Gegend von Tarracina. Jener wurde nach Ser-
vius in der Gestalt eines unbärtigen Jünglings dargestellt, also wie
der albanische und römische Vejovis, diese als Iuno Virgo, also als
seine Gattin und von gleicher Jugend uud Schönheit. Auf den
Münzen der Gens Vibia sieht man das Cultusbild des Iovis Axur,
Insel ab: Diiovis kommt, wie oben bemerkt, nicht in Betracht. Vgl. Jordan
a. 0. 362 ff.]
Eine auf der Stelle, wo der T. des Aesculap gestanden [?], gefundene In-
schrift: C. Volcad C. f. har(uspex) de stipe Iovi I-VRARIO .... onimentom.
Vgl. Canina Bullet, d. Inst. Arch. 1854 p. XXXVII, Henzen Suppl. Or. n. 5633 a.
Vielleicht ist dieser Iup. Iurarius aber auch nur eine Uebersetzung des Z. oqxios
[d. h. der auf der Insel verehrte Semo Sancus Deus Fidius? Mommsens Vor-
schlag zu C. I. L. 1, 1105 Iovi aram c[um m]onimento m(erito) zu andern ist
weder sachlich noch sprachlich überzeugend. — Der Kultus des Vejovis ist
bis jetzt nur in Rom (Bovillae), hier nur auf dem Capitol und der Tiberinsel
nachgewiesen und wohl an diese Orte gebunden : daher das Wesen des Gottes
(wie für den capitolin. Kult schon Klausen Aen. p. 1089 vermuthet hat) mit
der Natur dieser Orte, welche Unterpfänder der Sicherheit der Stadt sind, in
enger Beziehung stehen mufs (vgl. Jordan Topogr. 1, 1,402, Commcnt. in hon.
Mommseni 366)].
») Macrob. S. III, 9, 10, Martian. Cap. I, 58; II, 142. 166.
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DRITTER ABSCHNITT
wie er hier genannt wird, ein thronendes jugendliches Götterbild
mit Scepter und Schale, das Haupt mit einer grofsen Strahlen-
krone r ) geschmückt, so dafs also auch er zugleich dem Jupiter und
dem Apollo verwandt gewesen sein mufs.
239 f. Apollo Soranus.
So hiefs später der auf dem Gipfel des malerischen Berges
Soracte in der Nähe des alten Falerii verehrte Gott, über welchen
wir leider gleichfalls nur mangelhaft unterrichtet sind. Mit dem
griechischen Namen Apollo benennt ihn namentlich Virgil Aen. XI, 785
summe deum, sancti custos Soractis Apollo, vgl. Sil. Ital. Pun. V, 175,
VII, 662, VIII, 494, ohne Zweifel um ihn als Sonnengott zu cha-
racterisiren. Der Name Soranus scheint nicht nach dem des Berges
gebildet zu sein, sondern dieser seinen Namen erst durch den Cult
des Sonnengottes bekommen zu haben, denn das Wort Soracte oder
Sauracte hängt höchst wahrscheinlich zusammen mit dem lateinischen
Sol oder Saul, dem golhischen Savil, litth. Säule, da die tenues 1
und r in den italischen Dialecten sehr oft in einander Übergehn und
alle diese Wörter ihre gemeinsame Wurzel haben in dem Sanskrit-
stamm svar d. i. glänzen 9 ). Merkwürdig ist es dafs auch hier
Feronia neben dem Sonnengotte verehrt wird, daher sich dieser
Apollo Soranus von selbst zu jenem Iupiter Anxur stellt. Was wir
sonst noch von seiner Verehrung erfahren, hängt zum Theil mit der
Natur des Berges Soracte zusammen. Derselbe ist aus der Mitte
einer fruchtbaren Landschaft von vulkanischen Kräften in die Höhe
getrieben; noch jetzt befindet sich an seiner östlichen Seite, in der
Nähe der Kirche S. Romana, eine Höhle mit tiefen Spalten (le Vora-
gini), aus welchen böse Dünste aufsteigen, von denen auch die Alten
erzählen 8 ). Das jetzige Dorf Sant Oreste ist wahrscheinlich der alte
») (Cohen Com. T. XLI Vib. 13 m. d. Beischr. Iovü Axur vgl. Fabretti
Gloss. It. 123: vielmehr mit einem Blätterkranz, s. L. Stephani Nimbus u.
Strahlt-» kränz S. 18 f.]
*) G. Curtius in der Zeitschr. f. vergl. Spracht 1, 29 ff. [Etym. 8 551 f.,
Corssen Ausspr. 1 9 , 463, 2, 64: von Wurzel svar leuchten, also mit lat. söl
verwandt. Das horazische vides ut alta stet nive candidum Soracte hat damit
natürlich nichts zu schaffen : selten bedeckt sich eben der Soracte mit Schnee.]
Vgl. Cato bei Varro r. r. II, 3, 3 (Frg. S. 11 Jord.) in Sauracti FisceUo (Sau-
racti et F. Cluverus) caprae ferae sunt etc., wo von einem andern Berge die
Rede ist. Die Endung acte ist zu vergleichen mit Teate Reate [wohl eher
mit humectiiSf saiietum: doch ist die Bildung unsicher].
*) Plin. H. IN. II, 207. Varro wufste auch von einer heifsen Quelle am
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APOLLO SORANUS
269
lucus Feroniae, aus welchem mit der Zeit eine kleine Stadt geworden
war, die sehr alte Kirche San Silvestro oben auf dem Soracte liegt
vermuthlich auf der Stelle des allen Apollotempels. Der Apennin
ist so nahe, dafs die Wölfe im Winter zahlreich in dieser Gegend
streifen, während sie sich in der besseren Jahreszeit wieder ins
Gebirge zurückziehn. Daher die Legende b. Servius zu Aen. XI, 785, uo
dafs einst, als man grade dem Dis Pater auf diesem Berge, der ihm
und den Todten geweiht sei, geopfert habe, plötzlich Wölfe erschienen
seien und die Opferstücke von dem brennenden Altare geraubt hätten.
Als die Hirten sie verfolgten, seien sie an eine Höhle gekommen, aus
welcher ein mefitischer Dunst mit solcher Stärke hervorgedrungen
sei, dafs die Hirten alsbald todt niederfielen. Ja es habe sich darüber,
dafs die Hirten die Wölfe verfolgten, eine Pest über das ganze
Land verbreitet, von welcher ein Orakel Erlösung versprochen habe,
sobald die Einwohner wie die Wölfe vom Raube leben würden. So
sei das Geschlecht der Hirpi Sorani d. h. der dem Gotte des Soracte,
den man also später auch für einen Dis Pater nahm, geweiheten
Wölfe entstanden *), ein Geschlecht von welchem sich einige Familien
bis in die Zeit der römischen Kaiser erhalten hatten. Es scheinen
Geweihte des Gottes vom Soracte gewesen zu sein, welche beiläufig
auch die in Italien seit alter Zeit sehr verbreitete Kunst der Vogel-
schau trieben. Besonders berühmt aber waren sie durch die Künste,
mit denen sie bei dem jährlichen Feste des Apollo und der Feronia,
welches bei Feronia, dem jetzigen Sant Oreste, gefeiert wurde, her-
vortraten. Sie gingen nehmlich dann mit blofsen Füfsen durch
brennende Haufen Holzes ohne sich zu verbrennen und waren dafür
vom römischen Senate ein für allemal vom Kriegsdienste und andern
Soracte, die am Sonnenaufgang besonders stark fliefse und deren Wasser den
Vögeln tödtlich sei, ib. XXXI, 27. Ueber die Oertlichkeiten s. Dennis, die
Städte und Begräbnifsplätze Etruriens, Lpz. 1852 S. 119 ff. [Vgl. Nibby Din-
torni di Roma 3, 103 ff., Gell. Top. of Rome and its vicinity 8 404 ff.]
l ) Hirpus oder irpus ist das sabinisebe Wort für lupus und nur dialektisch
davon verschieden. Der Wolf heilst nehmlich sanskr. vrka, slav. ulk, volk,
vlukü, griech. kvxog, lat. lupua, sab. irpus (p für k), goth. wulfs (f für das
lat. p), immer dasselbe Wort. Aach die samnitischeo Hirpiner hatten ihren
Namen daher. Ueber die Hirpi Soraui s. Varro b. Serv. A. XI, 787, Plin.
H. N. VII, 19 [aus ihm Solio. 2, 26], Strabo V p. 226. [Ueber die sprachliche
Streitfrage und die Legende bei Varro vgl. Jordan Krit. Beiträge 163 ff :
die Verwandtschaft der Wolfsgilde der hirpi mit der der römischen lup-erci
scheint aufser Frage.] Augur Soranus, Cic. de Div. I, 47, 105.
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DHITTER ABSCHNITT.
gemeinen Verpflichtungen freigesprochen. Eigentlich sollte es die
Begeisterung des Gottesdienstes sein, welche dieses Wunder verrich-
tete, doch wufste Varro von einer Salbe, mit welcher diese s. g.
Wölfe ihre Fufssohlen bestrichen. Der Gebrauch als solcher erinnert
sehr an die Oster- und Johannisfeuer in Deutschland und andern
Gegenden, welche gleichfalls der Sonne galten und nach dem Glauben
früherer Zeiten eine reinigende Kraft hatten, so dafs die hindurch-
gehenden oder springenden Menschen oder das hindurchgetrieberie
Vieh, wie dieses auch bei den römischen Palilien geschah, dadurch
gesühnt und gereinigt wurde; ja wir wissen von einem schottischen
Feste, welches dem alten celtischen Sonnengotte Beal oder Belenus
241 galt, wo eine durch das Loos bestimmte Person dreimal durch ein
angezündetes Feuer springen mufste und dabei sein Leben riskirte,
doch glaubte man sich auf diese Weise der Gunst des Gottes zu
versichern und das Jahr fruchtbar zu machen 1 ). So mögen auch
jene geweiheten Wölfe ihren gefährlichen Gang durchs Feuer ur-
sprünglich stellvertretend für das Land oder die Gemeinde der Falisker
gethan haben, um dasselbe zu sühnen und ihm die Gunst des auf
dem Gipfel des Soracte thronenden Gottes für das bevorstehende Jahr
zu gewinnen, denn die Wölfe und die Pestilenz erinnern sehr au
den Winter. — Noch ist zu bemerken, dafs auch die Tuskulaner
einen Jupiter des Frühlings kannten, den sie Deus Maius oder
lupiter Maius nannten und neben der Maia verehrten 2 ), welche
mit der Bona Dea identisch ist und dem Maimonate seinen Namen
gegeben hatte: ein Paar, welches von selbst an den volskischen
lupiter und die Juno Virgo und an den Gott vom Soracte und die
Feronia erinnert. Dafs das Bild eines jugendlichen Jupiter, der zu-
gleich als Sonnengott verehrt wurde, überhaupt in Italien verbreitet
war, beweist auch eine im Gebiete des alten Picenum gefundene
Bronzefigur in der Gestalt eines anmuthigen, halb bekleideten Jüng-
lings, dessen Haupt wie beim Jupiter Anxur mit Strahlen umgeben
ist, mit einer sonst nicht verständlichen Inschrift, in welcher man
aber das Wort Juve für Jovi leicht erkennt 8 ).
») J. Grimm D. M. S. 579 ff.
s ) Macrob. S. I, 12, 17, vgl. Heuzen Suppl. Or. n. 5637 [mit einer Zeile
mehr bei Garrucci Sylt, ad n. 564: verdächtig, wie H. Dessau erinnert).
») S. Mommsen üuterital. Dial. t. XVI S. 359 ff. [= Fabr. C. I. It. 26S0],
Aufrecht und Kirchhoff Uinbr. Sprachdenkm. II, 400, Th. ßergk Zeitscbr.
f. A. W. 1S56 u. 18. Die Inschrift ist Cais Paiz Kartens (der Name) Iine
zalsesure.
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1UIS0.
271
3. Juno.
Juno 1 ) ist Jovino, das Femininum von Jovis, also eine weib-
liche Macht des Himmels und des himmlischen Lichtes, näher des
neu erscheinenden Mondes; daher zugleich Geburtsgöttin und die
weibliche Göttin schlechthin, als himmlische Matrone und Königin,
in welcher Bedeutung sie neben dem Iupiter Rex als Regina verehrt
wurde. Die Geburt des Lichtes aus dem Dunkel ward den Alten
immer zur Allegorie der Geburt und der Entbindung überhaupt, daher
in Italien auch die Mater Matuta zugleich die Göttin des frühen
Tageslichts und eine Geburtsgöttin ist und sowohl in Italien als in
Griechenland Diana oder Artemis zugleich Mond- und Geburtsgöttin, w
Juno aber repräseutirte in Italien so ganz wesentlich die weibliche
Natur überhaupt, als gebärende Göttin, Mutter und Matrone dafs sie
in dieser Hinsicht ganz dem Genius der Männer entsprach, d. h.
wie dieser zeugerisch ist und als solcher in jedem Manne von neuem
invidualisirt, so ist Juno als das weibliche Wesen schlechthin auch
in jedem einzelneu weiblichen Wesen individualisirt. Daher bekanntlich
jede Frau und jedes Mädchen so gut ihre Juno hatte wie jeder Mann
seinen Genius, ihrer Juno am Geburtstage opferte, hei ihrer Juno
schwur u. s. w. 2 ).
Unter den einzelnen Gülten ist zunächst der der luno Lucina
wohl der älteste und durch ganz Italien am allgemeinsten verbrei-
tete 3 ). Sie entspricht als solche dem lup. Lucetius und ist wie
') [Vgl. Koscher Studien z. vergl. Muh. 2 (Junu u. Hera) L. 1875].
8 ) S. oben S. 87 und Seueca Ep. 110 tnemtnerit maiores nostros sloicos
fuisse: singulU enim et Genium et Iunonem dederunt. Tibull. DI, 6, 47 etsi
penjue suos J'aUax iuravil ocelios Iunonemque suam perque suarn F euerem.
IV, 6, 1 Satali* luno sanetos cape turis acervos. Vgl. Petron. 25 und die In-
schriften b. Fabretti Iuscr. Antiq. p. 73 sq., Or. n. 1319 ff. [1320 (Rom), 1321
(Luna), 1328 (Pompeji = I. H. IN. 2340): das. auch manches Verdächtige oder
Falsche (wie 1310. 1325) und nicht Hergehörige, wie die Widmungen an die
Iunones = Matrox (unten S. 257, oben zu S. 87]. Charisius p. 117 ed.
Lindem. [198 K.] keunt den Schwur Ejuno, wie Ecastor, Kdepol. [Juno auf
Bildwerken mit Hercules verbunden, welcher hier als Genius aufgefalst werde:
Reifferscheid Annali 1867, 352 ff. Vgl. Hercules.]
*) luno Lucina unter den Göttern des T. Tating, Varro 1. 1. V, 74, in
Campanien s. die lnschr. aus Cales bei Mommseu 1. IN. 3953. Eine sehr alter-
thümliche bei demselben n. 6762 [C. I. L. 1, 189 = 6, 3694] Iunonei Low
cina [stadtrömisch; desgl. die jetzt in Bologna befindliche das. 812. 813,
vollständiger 6, 357, [Iunon]e Loucinai \ [Diovu c]astud facitud. Das in []
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DKITTER ABSCHNITT.
dieser zunächst Lichtgott, d. h. wie Jupiter der Gott aller Idus, der
Vollmondstage war, so Juno die Göttin aller Kaienden, wo die Mond-
sichel nach dem Neumonde zuerst wieder erschien, also wie von
neuem geboren wurde (S. 156 f.); daher Juno bei den Laurentern den
Beinamen Kalendaris führte und in Rom an jedem ersten Monats-
tage ihr regelmäfsiges Opfer bekam. Sobald der Pontifex Minor die
Mondsichel wieder am Himmel sah, meldete er es dem Rex Sacro-
rum, der darauf mit ihm das Gapitol bestieg und in der Guria
Calabra der Juno opferte, während ihr gleichzeitig in der Regia von
seiner Gemahlin, der Regina Sacrorum, ein Lamm oder ein Schwein
dargebracht wurde. Dann rief eben jener Subalterne des Collegiums
der Pontifices bei derselben Gurie, welche deshalb Calabra hieß, vor
dem versammelten Volke aus, wie viele Tage in jedem Monate bis
zu den Nonen sein würden, ob fünf oder sieben, wie Varro berichtet
mit diesen Worten: Dies te quinque calo Iuno Covella, oder Septem
dies te calo Iuno Covella, welcher Beiname mit cavus, xollog und
coelum zusammenhängt, 4 also den ausgehöhlten, nehmlich den zu-
nehmenden Mond bedeutet (Macrob. I, 15, 10, Varro L 1* VI, 27 J ).
Zweitens galt dann aber eben diese Mond- und Lichtgöttin Juno in
Italien zugleich für die erste und mächtigste aller Geburtsgöttinnen
[neben Ops Opifera, S. 419], daher sie als solche von allen Frauen
in den heifsesten Stunden ihres Lebens angerufen*) und auch sonst
geschlossene Stück jetzt verloren, von Garracci Sylloge inscr. 547 T. I, 1 nach
der Zeichnung; Secchi's publicirt: vgl. Ritsehl Op. 4, 519. 533. 556. 727, welcher
erklärt: castu facto, allenfalls castu facito, castu — ieiunio (vgl. unten S. 438.
736). Mommsen versteht jetzt (C. I. L. 6 a. 0., vgl. 1 p. 561) Iunoni Lucinae Iovis
(uxori) castu facito, was zwar nicht mit ihm durch die Bezeichnung der Frauen,
Caecilia Meteüi u. s. w., aber allenfalls durch die der Göttinneu Lua Saturni u. a.
(Gell. XIII, 23), umbr. Vemne Puemunes (unten zu S. 399), gestützt werden kann.
Aber die eine wie die andere Deutung begegnet schweren Bedenken. Nach dem
von Ritsehl Op. S. 557 mitgetheilten Brief Garrucci's und der Zeichnung in dessen
Sylloge (nicht erwähnt im C. I. L. 6) ist doch wohl die Möglichkeit, dafs ein
gelehrter Ergänzungsversuch vorliegt, ausgeschlossen. — Capua: Iuno Louciria
Tuscolana C. I. L. 1, 1200, Hain von Pisa ur um Iuno Loucina C. I. L. 1, 171.
Vgl. S. 244]. Nach Apulei. Met. VI, 4 p. 389 nannte der ganze Orient die lunoZvyia
[Vgl. Gr. Myth. 1, 137], der ganze Occident Lucina. Nach Martian. Cap. II, 149
gab es auch eine Iuno Lucetia. Die Griechen übersetzten "Hqa (ftootfÖQos.
l ) [Vgl. Mommsen röm. Chronol. 2. Aufl. S. 16 u. Düntzer im Philol. XVII,
316 ff., Huschke Das röm. Jahr p. 12 f.]
*) Plaut. Aulul IV, 7, 11 [Truc. II, 5, 23], Terent. And. III, 1, 14, Propert.
IV, 1, 99, vgl. Ovid F. II, 447 ff., Plut. Qu. Ro. 77, Tertull. d. An. 39, Arnob.
III, 21. 23 u. A.
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OHIO.
273
in vielen eigenthümlichen und alterlhüm liehen Gebräuchen verehrt
wurde. Varro erzählt dafs die Frauen der Iuno Lucina ihre Augen-
brauen zu heiligen pflegten, weil die Augen das Licht des Leibes
und die Augenbrauen ein Schutz der Augen sind 1 ), Tertullian dafs
•die schwangern Frauen ihren Leib mit Binden, die im T. der Lucina
geweiht waren, umwickelten und nach ihrer Entbindung derselben
■eine ganze Woche lang einen Tisch deckten, Andre daß solche Frauen,
wenn sie zum Gottesdienste der Lucina gingen, alle Knoten an ihrem
Leibe, auch die des Haares auflösten, weil jeder Knoten, selbst die
Verschränkung der Hände, als Hindernifs einer leichten Geburt an-
gesehen wurde 8 ). In Rom lag ihr Heiligthum, eins der ältesten und
angesehensten der Stadt, an den Esquilien, nicht weit von der Subura
und den Carinen, umgeben von einem Haine, dessen Ovid F. II.
427 ff. in einer für diesen Gottesdienst characteristischen Legende
gedenkt. Die neuvermählten Sabinerinnen, die Stammmütter des
römischen Patriciats, sind unfruchtbar. Männer und Frauen pilgern
zum Haine der Lucina 3 ) und beten; da ertönt aus den Wipfeln der
Bäume plötzlich eine Stimme, der heilige Bock solle den Rucken der
Mütter besteigen (Italidas matres sacer hircus inito), eine Mahnung
an den Gott der Befruchtung, den Faunus, Lupercus oder Inuus,
den römischen Frauen Fruchtbarkeit zu verleihn. Ein Seher schlachtet
nun einen Bock, schneidet Riemen aus dem Fell und schlägt mit
diesen den Rücken der Frauen , worauf sie mit Lucinas Hülfe su
schwanger werden: ganz nach dem gewöhnlichen Ritus der Luper-
ealien im Februar, bei welchen auch Juno betheiligt war. Nach einer
angeblichen Bestimmung des Servius Tullius mufste für jede männ-
liche Geburt in den Kasten der Lucina ein Stück Geld gethan werden
(S. 261). Das dauernde Ansehn des Cultus zeigt sich auch in ver-
schiedenen Inschriften und Münzen, von denen die letzteren zugleich
das Bild der alten Nationalgöttin vergegenwärtigen, wie es verschleiert
sitzt oder steht und in der rechten Hand eine Blüthe, das Symbol
») Vgl. Paul. p. 304 Supercilia.
*) Serv. V. A. IV, 518 , Ovid F. III, 257 ff. Mao schenkte deshalb den
Frauen Schlüssel, ob significandam partus facilitateui, Paul. p. 56 clavim. [Der
von Preller hier noch angeführte Artikel des Fälschers Fulgcntius ambegnae
eves p. 389 (vgl. Lersch S. 36 f.) ist unbrauchbar.]
•) Dieser Hain galt für älter als die Stadt, man leitete sogar den Namen
Lucina davon ab, s. Plin. XVI, 235. Vgl. ib. 132 von einem Haine der Juno
in Nuceria.
Prellcr, Röna. Mrthol. I. 3. Autt. IS
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274
DRITTER ABSCHNITT
der Hoffnung, in der linken ein Wickelkind hält 1 ). Das angesehenste
Fest dieser Göttin fiel auf die Kaienden des März, weil diese Kaienden
als die ersten des neuen Jahrs nach alter Rechnung auch die Göttin
des neuen Lichtes und der Gehurt vor allen übrigen in Erinnerung
brachten. Es war ganz ein Fest der Matronen d. h. der Mütter
von altrömischer Abkunft'), daher es auch den Namen der Matro-
nalia führte: wohl das angesehenste und populärste von den ver-
schiedenen Frauenfesten, welche in Rom gefeiert wurden. Nur Jung-
frauen oder unbescholtene Ehefrauen durften theilnehmen, dem Kebs-
weibe (paelex) war es durch ein Gesetz des Numa ausdrücklich unter-
sagt worden, den Altar der Juno zu berühren; hatte sie ihn ja
berührt, so mufste sie mit gelöstem Haar der Göttin ein Lamm
opfern (Gell. N. A. IV, 3). Uebrigens ein heitres und gemüthliches
Fest, welches im Schoofse der Familien begangen wurde, daher die
Unverheiratheten übel daran waren (Horat. Od. III, 8, 1). Ueberall
wurde für das Glück der Ehe geopfert und gebetet, die Männer be-
schenkten die Frauen, die Frauen aber bewirtheten an diesem Tage
2« die Sklaven, wie die Männer an den Saturnalien ; daher der beliebte
Atellanendichter L. Pomponius ein Stück unter dem Titel Martiae
Kalendae gedichtet hatte. Zugleich eilte an diesen ersten Tagen des
>) Vgl. namentlich die auf Veranlassung einer glücklichen Entbindung der
Lucilla geschlagenen Münzen mit der Inschrift lunoniLucinae b. Eckhcl
D. N. VII p. 99. Auch wiederholt sich derselbe Typus auf M. der Mammäa
und Salonina. Die von H. Brunn Ann. d. Inst. 184$ p. 430 sq. besprochene
Darstellung der tav. N. , wo die Göttin eine Fackel in der R. hält und mit
der linken Brust ein Kind stillt, während hinter ihr ein Baum mit einer Jagd-
tasche zu sehen ist, scheint die Iunu Lucina im Sinne der späteren Zeit zu
sein, wo sie oft mit der Diana idcntificirt wurde, vgl. Catull. 34, 13 und die
auf eine Entbindung der Kaiserin Salonina geschlagene M. mit der Inschr.
lunoni Cons(ervatrici) Aug. und dem Bilde eines Hirsches. Verschiedne In-
schriften, welche in der Gegend des alten Heiligthums gefunden sind und
sich auf Gelübde und Geschenke glücklich entbundner Frauen, Gebete für das
Wohl der kaiserl. Familie u. a. beziehn, b. Or. n. 874. 1297 [= C. I. L. 0,
360. 359; dazu 361. 3695]. 1298, Stephani Bullet. Archeol. 1845 p. 65 sq.
(Der Fundort der Inschriften ist theils unsicher, theils nicht der Ort des
Heiligthums (aus den Kaiserpalästen stammt 3695): dagegen ist die auf den
Bau des murus Iunonis Lticinae bezügliche I. v. J. 713 C. I. L. 6, 358 nicht
weit von demselben gefunden, vielleicht auch die Widmung C. I. L. 6, 359:
Jordan Top. 2, 252 f. — Auffallend ist das Fehlen des Kults in den Provinzen
C. I. L. 2, 3, 5, 7.]
*) Mater, materfamilias und matrona ist so ziemlich dasselbe, s. Paul p. 125,.
Serv. V. A. IX, 217; XI, 474. 531, Gellius N. A. XVIII, 6.
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1UN0.
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Marz, wo auch der Stiflungstag des bald nach der Zerstörung Roms
durch die Gallier erbauten Tempels der Lucina gefeiert wurde, Alles
zu diesem alten Heiligthum, Mädchen und Frauen, um fromme Gaben
und Gebete darzubringen und Mars und Juno zu feiern, den männ-
lichsten aller Götter und die grofse Schutzgöttin aller weiblichen
Natur, welche den starken Mars, das Urbild aller Manneskraft, an
diesem Tage geboren und damit das neue Jahr eröffnet hatte 1 ). Auch
gedachte man der Geburt des Romulus und des Raubes der Sabi-
nerinnen, der ersten Ehefrauen und der ersten ehelichen Vermählung
der römischen Geschichte: vor allen übrigen Sabinerinnen der He r-
silia, der bräutlichen Gemahlin des Romulus-Quirinus, hinter welcher
sich vermuthlich eine ältere Liebes- und Ehegöttin verbirgt 2 ). Auch
die bei Gellius XIII, 23 (22) erwähnte Herie Iunonis scheint in
diesen Zusammenhang zu gehören, da beide Namen mit dem um-
brischen und oscischen Stamm her zusammenhängen, welcher ein
Verlangen ausdruckt und uns in andern Benennungen der älteren
latinischen Mythologie wieder begegnen wird 3 ).
Auch verschiedne andre alterthümliche Beinamen der Juno be-
ziehn sich auf Schwangerschaft und Geburt und es ist zu vermuthen,
dafs vorzugsweise Lucina in öffentlichen Gebeten mit solchen Cultus-
namcn angerufen wurde. So wird eine Iuno Fluonia oder Flu-
viona genannt als Göttin der Menstruation, welche diese während
der Schwangerschaft hemme und auf die Weise, wie man glaubte,
die Leibesfrucht nähre 4 ), eine andre welche man Ossipago nannte,
weil man ihr die Verdichtung und Befestigung der Knochen des
Kindes im Mutterleibe zuschrieb, endlich eine Iuno Opigena, welche
im Augenblick der Geburt als Hülfe angerufen wurde 5 ).
') Ovid Fast. III, 170 fT., Tibull. III, 1, Plut. Romul. 21, Paul. p. 147
Martias Kalendas nod die Stellen bei Marquardt Handb. IV, 446 [Staatsverw.
3, 548].
2 ) [Vgl. Sonne in Kuhns Zeitschrift 10, 103.]
*) [Corssen Ausspr. 1 a , 466 f.]
*) Paul. p. 92 Fluoniam Iunonem midieres colebant, quod eam sanguinis
ßuorem in conceptu retinere putabant. Vgl. Tertull. ad Nat. II, 1 uod Plin.
VII, 66 haec est generando homini materia. Augustin C. D. VII, 2 kennt eine
eigne Dea Mena, quae menstruis ßuoribus praeest, lovis ßlia.
8 ) Arnob. III, 30 Si aer Uta est, — nulla soror et coniunx omnipotentis
reperietur lovis, nulla Fluvionia, nulla Pomana, nulla Ossipagina, nuün
Februtis, Populonia, Cinxia, Caprotina. Ib. IV, 7 A'am quac dural
et solidat infantibus parvis ossa, 0 ssilag o ipsa memoratur. An jener Stelle
18*
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I
276
DIUTTElt AÜSCHMTT.
i Ein andrer sehr alterthümlicher und durch ganz Latium sehr
angesehener Cultus war der der luno Lanuvina oder Sospita
und Sispita (auch Sospes und Sispes), deren alter Hain und
Tempel in Lanuvium auch für Rom sehr heilig war 1 ). Auch gab
es einen eignen Tempel dieser Göttin in Rom am forum Holitorium
und einen zweiten auf dem Palatin 8 ); obwohl das angesehenste Heilig-
thuin immer jenes alte zu Lanuvium blieb, dessen Tempel und Hain,
von Priesterwohnungen umgeben und reich durch seinen Schatz, auf
Veranlassung von Prodigien und andrer Umstände oft erwähnt wird 3 ).
Die römischen Consuln mufsten hier jährlich zu einer bestimmten
Zeit ein Opfer darbringen (Cic. pro Murena 41, 90), und noch
Antoninus Pius, welcher auf einer Villa in der Nähe von Lanuvium
das Licht der Welt erblickt hatte, erbaute einen neuen Tempel dieser
Göttin, welche ohne Zweifel auch Geburtsgöttin war 4 ). Ihr voll-
ständiger Name ist in Dedicationsinschriflen luno Sospita Mater
Regina 5 ). In dem Haine befand sich eine Höhle, in welcher eine
ist zu lesen: nulla Lucina, nulla Opigena, nulla Februlis [?], vgl. Mar-
tian Cap. II, 149, an dieser [mit CanterJ Ossipago.
l ) Liv. VIII, 14, Fest. p. 343 Sispitem Iunonem, quam vulgo Sospüetn
appellabant, antiqui usurpabant. Iunone Seispitei Uenzen n. 5659a [C. I. L.
1, 1110, Ritschi Op. 4, 335 ff*.; über die Form seispes Corssen Ausspr. 1 *,
425, 2, 365]. Auf M. des Antoninus Pius und b. Or. n. 1309 [sie ist ligoria-
nischj heilst sie Sispita, bei Or. 1292. 1293 Lanumvina.
») Liv. XXX11, 30, XXXIV, 53, wo für I. Matutae mit Sigooius zu
schreiben ist Sospitae [?]. Vgl. Ovid F. II, 55.
*) Liv. XXII, 1, Iul. Obseq. 5. 46 n. A. Besonders machte das Gesicht
der Caecilia im J. 90 v. Chr. Sensation, nach welchem der Senat sich des
vernachlässigten Cultus eifrig annahm, s. Cic. de Divin. I, 2. 44, Iul. Obseq.
55. Inschriften erwähnen eine Priesterin der Juno und einen Sacerdos et Pon-
tifex Lanuvinorum immunis, s. Mommsen I. N. n. 5786 — 89. Im Tempel be-
fanden sich u. a. zwei Bilder der Helena uud der Atalante d. h. der hingeben-
den und der spröden Weiblichkeit, Plin. XXXV, 17. Ueber die Lage des
Tempels s. Abeken Mittelitalien S. 215 [Vgl. Marquardt Staatsverw. 3, 456].
*) S. Iul. Capitolin. 8. Daher die Münzen dieses Kaisers und des Com-
modus, welcher gleichfalls dort geboren war, mit dem Namen und dem Bilde
der Göttin, s. Eckhel D. N. V p. 293. [Im Verein mit Pius und Personen
seiner Familie und mit Mars, Venus Genetrix, Victoria, erscheint Juno Lanu-
vina auf der wahrscheinlich aus der Villa des Kaisers bei Lorium stammenden
Basis PamGli, herausg. von ü. Köhler Annali deli' inst. 1863, 195 ff., Mon.
Bd. 6, 7 T. LXXVI.]
*) Or. n. 1308, Henzen n. 5659a, Mommsen I. N. 6763, vgl. Or. 4014
[Wilmanns 1772 f.], abgekürzt I. S. M. R., auch auf den Denaren des Thorius
Baibus mit dem Stier [Cohen Cons. T. XXXIX, Mommsen Münzw. N. 193].
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IL'NO
277
Schlange hauste, vermuthlich als Symbol der Iuno Iunonis (S. 85),
welcher alljährlich im Frühjahre von einer Jungfrau ein Opferkuchen
dargebracht wurde, wobei sie mit verbundenen Augen in die Höhle
geführt wurde. Genbfs die Schlange von diesem Opfer, so galt dieses
für einen Beweis der Reinheit des Mädchens und der Fruchtbarkeit «47
des Jahres, verschmähte sie es, so war das Mädchen nicht rein ge-
wesen (Propert. V, 8", 3 Jf., Aelian H. A. XI, 16). Sehr eigentümlich
war das Bild der Göttin, welches wir theils durch Beschreibungen
der Alten theils durch das Gepräge verschiedner Münzen römischer
Familien kennen 1 ), welche aus Lanuvium stammten oder sich aus
andern Gründen zu diesem Culte bekannten; auf welchen Münzen
man hin und wieder auch jenes Wunder der Schlange und des Mäd-
chens abgebildet findet. Angethan mit einem matronalen Gewände
ist diese Juno darüber bekleidet mit einem Ziegenfell, welches zu-
gleich als Helm und als Panzer dient, gebogenen Schnabelschuhen
aller Sitte und einem ausgeschnittenen Schilde, wozu sie den Jagd-
spiefs schwingt. Also war sie als Sospita zugleich eine wehrhafte
Göttin, wie Juno denn auch zu Tibur und bei den Sabinern als
solche gedacht wurde, auch in Griechenland und in Rom, wo sie
Gewitter erregt und Blitze schleudert so gut wie Jupiter*). Doch
war sie auch Mater d. h. eine Muttergöttin der weiblichen Natur,
der Ehe, Entbindung und Kinderzucht, wie Lucina; auch wird dahin
jenes Ziegenfell zu deuten sein, welches gewifs dasselbe bedeutete
wie das Bocksfell im Culte der Luperealien, nehmlich Reinigung und
Befruchtung, daher das Bocksfell der Luperci auch amiculum Iunonis
d. h. eine Gürtung der Juno genannt und diese Göttin selbst als
Februlis oder Februata an der Feier der Luperealien betheiligt
wurde 8 ). Es ist eben deshalb zu vermuthen dafs auch das Hauptfest
l ) Cic. N. D. I, 29, 83 iUam vestram Sospitam, quam tu nunquam ne in som-
it iis quidem vides nisi cum pelle caprina, cum hasta, cum scutulo, cum calceolis
repandU. [Ueber die Schuhe 0. Müller Etr. 1 *, 257.] Vgl. die Grabinschrift einer
Priesterin dieser Juno Or. 1308, quae in aede Iunonis Sospitae Matris Reginae
scutulum et clypeum et hastam et cateeos rite novavit voto, die Darstellung [tb.
Kopf, th. ganze Figur, auch zu Wagen] auf den Denaren der Cornuficii, Mettii,
Papii, Procilii, Roscii, Thorii und die nach den Münzbildern restaurirte Statue im
M. Pio Cl. b. Visconti II t. 21. [Conze Heroen und Götter T. V S. 9. Vgl. die
Basis Pamfili.] Wichtiger Kopf b. Panofka Terrae, des K. Mus. z. Berlin T. X.
*) Virg. Aen. I, 42 u. dazu Serv., welcher Stellen aus Attius und Varro
citirt, vgl. Liv. XXII, 1 Iovi donurn fulmen aureum pondo L factum y lunoni
Minervaeque ex argento.
*) Paul. p. 85 Februarius mensis quod tum — populus februaretur i. e.
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DRITTER ABSCHMTT
der Juno zu Lanuvium im Februar war und zwar an den Kaienden
dieses Monats, zumal da nach Ovid F. II, 55 in Rom derselbe Tag
der Sospita heilig war.
248 Auch bei den Sabinern wurde Juno unter eigenthumlichen
Formen verehrt, namentlich als Curitis oder Quiritis, welcher
Cultus durch die Sabiner nach Rom kam und dort mit der Einrich-
tung der Curien in engem Zusammenhange stand; doch fand sich
derselbe Cultus auch zu Tibur und zu Falerii 1 ), welche letztere Stadt
wie Rom und andre Städte dieser Gegend in früher Zeit ein starkes
Element sabinischer oder umbrischer Bevölkerung in sich aufgenom-
men zu haben scheint. Der Name ist wie der des sabinischen Qui-
rinus und der Quirites abzuleiten von dem Worte quiris oder curis,
welches Lanze bedeutete, das Symbol des wehrhaften Mannes, hier
speciell in seinem ehelichen Verhältnifs zur Frau, der Mutter seiner
Kinder, welche sich auf Leben und Tod in seine Gewalt gegeben
hat, aber dafür auch von ihm vertreten werden inufs, rechtlich oder
mit Gewalt, daher diese Juno als Schutzgöttin der Matronen die
Lanze in der Hand führt 2 ). Als Göttin der Ehe und des auf der
Ehe beruhenden Familienlebens in seinen engeren und weiteren
Kreisen wurde sie vorzüglich in den Curien verehrt 8 ), die sogar
lustraretur, vd a Iunone februata, quam alii februalem, Rotnani
februlim vocant, quod ipsi eo mense sacra fiebant eiusque feriae erant
Lupercalia, quo die midieres februabantur a Luper eis amiculo Iunonis i.e.
pelle caprina, quam ob causam is quoque dies februatus appeüabalur.
l ) Tertull. Apolog. 24 Faliscorum in honorem Patris Curis [patriae Curilis
Garrucci] et aeeepit cognomen Iuno. Vgl. die Inschriften b. Or. n. 1304 und
Henzen n. 5659 und die aus Tibur b. Or. 1303. Die aus ßenevent b. Mommsen
I. N. n. 1381 hält Henzen Sappl. Or. in p. 135 für unächt.
') [Vgl. Garrucci Annali dell' inst. 1860, 222 f., dessen Ergebnisse jedoch
zu berichtigen sind. Die Ueberlieferung nennt die Göttin theils Currilis (so
Arvalkal. 7. Okt., Serv. Fuld. Aen. 1,17) oder Curitis (Or. 1303, Mart. Cap. II,
149; zweifelhaft Henz. 5659 Iun. Cu . . .), theils Quiritis (Benevent I. R. N.
1381, etwa augusteisch, Kai. v. Ostia 7. Okt Iunoni Qiuiräi), I. von Falerii
Or. 1304); die erste Form bringt schon das Tiburtiner Gebet (s. die fg. S. A. 3)
mit currus zusammen. Indessen bat in diesen Schreibungen die Deutelei der
Gelehrten ihre Hand im Spiel wie in Exquiliae und currulis (Jordan Hermes
15, 1. 543). Die Deutung ist noch unsicher: sprachlich ist der Zusammenhang
mit Quirites (wie schon die Alten, die curis verglichen, annahmen, Fest. 254
Auszug 49) möglich, dann aber der Zusammenbang mit curia (ebenfalls alte
Etymologie) Fiction. Jordan Hermes 8, 217 ff., vgl. unten zu S. 326 ]
3 ) Dionys. II, 50 von T. Tatius: iv ccnaoaig raig xovntaig "HQ(f rp«7r4«ff
t&tro KvQirftt (KvQiriti Schömann) Xtyoptvri, iä xttl eis red« XQ° V0V
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279
nach ihr benannt zu sein scheinen, wie die einzelnen Curien in Rom
ihre Namen von den ersten sabinischen Müttern bekommen haben
sollen; ja es scheint wohl dafs auch der alte römische Hochzeits-
gebrauch, das Haar einer Braut mit einer s. g. hasta caelibaris d. h.
einer Jungfernlanze zu scheiteln 1 ), mit dem Culte dieser Juno zu-
sammenhängt, indem dadurch vermulhlich symbolisch ausgedrückt
werden sollte, dafs die Braut als eheliche Frau sich zwar in der
Gewalt des Mannes, aber auch unter dem Schutze der Juno befinden
werde. In Tibur 8 ) scheint diese Juno zugleich wie die Lauuvinische
als kriegerische und als befruchtende Schutzgöttin der Stadt verehrt
worden zu sein; daher man zu ihr betete 3 ): „0 Juno hoch zu Wagen, 549
erhalte mit deinem Wagen und mit deinem Schilde den jungen Nach-
wuchs meiner Curie bei guter Gesundheit." Also eine Göttin die
für die Fruchtbarkeit der Mütter und somit zugleich für den Nach-
wuchs der Bevölkerung sorgt, daher sich hier auch die in verschie-
denen Gegenden Italiens verehrte IunoPopulona oder Populonia
anschliefsen mag, eine Göttin welche ohne Jupiter, also als Güttin
sowohl der männüchen als der weiblichen Bevölkerung verehrt wurde 4 ).
Paul. p. 64 Curiales mensac, in quibus immolabatur Iutioni, quae Curis apel-
laia est Da die Curie ein weiblicher Begriff ist, konnte ihre Schutzgöttin nur
-eine Juno sein.
») Faul. p. 62 caelibari hasta, vgl. Plut. Qu. Ho. 87, Ovid F. II, 559, Arnob.
IT, 67. Man nahm dazu gerne eine Lanze, die in dem Körper eines dadurch
getö'dteten Gladiators gesteckt hatte. Vgl. den verwandten Aberglauben b.
Plin. H. N. XXVIII, 34 [vgl. Marquardt Privatleben 1 », 44].
*) [Irrthümlich hatte P. hier die Inseln-. Or. 3740 für die Existenz von
Curien in Tibur angeführt: die L gehört nach Lanuvium.]
8 ) Serv. Fuld. V. A. I, 17 in sacris Tiburtibus — sie precantur: Iunn
Curritis [so die Hs., wofür P. mit andern falsch curulis las] tuo currtt clypeo-
que tuere meos curiae vernulas sane (I. sanos), wo vernulae in demselben
Sinne zu verstehen sind wie in dem Gebote Aumas für das vereinigte Volk
der Römer und Quiriten b. Fest. p. 372 vernae. [Dafs Curritis zu lesen sei
und sane nicht zu dem Gebete gehöre hatte Jordan a. 0. 220 gezeigt: die
Herausgeber des Servius jetzt ebenso. Der clipeus scheint die äan\g "Hqus
oder i§ "ifQctg der argivischen Heräen (Welcker A. D. 512) zu sein, mithin
das Tibur Argeo positum colono des Horaz an die Ausstattung des tibur-
tinischen Kultus mit argivischem Ceremoniell zu erinnern.]
4 ) Arnob. III, 30, Macrob. III, 11, 5, Seneca b. Aug. C. D. VI, 10, der
diese Göttin unter den viduae, d. h. ohne einen Gemahl verehrten nennt,
Martiao. Cap. II, 149 und die Inschriften aus Aesernia und Teanum Sidicinum
b. Or. n. 1306, Moramsen I. N. n. 3983 — 3987, vgl. dessen Unterital. Dial.
S. 143. [Vgl. Nissen, Pompejaoische Studien S. 343. — Populona ist die spraeh-
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DRITTER ABSCHNITT.
Auch die übrigen Beiwörter, mit welchen Juno bei öffentlichen Ge-
legenheiten als Eliegöttin angerufen wurde, mögen hier wenigstens-
angeführt werden, da ich auf Veranlassung der Indigitamenta nocb
einmal auf sie zurückkommen mufs, die Iterduca und Domiduca r
welche den Hochzeitszug vom Hause der Braut in das des Bräuti-
gams geleitet, die Unxia, welche die Pfosten ihres neuen Hauses
zum guten Zeichen salbt, die Cinxia, welche den bräutlichen Gürtel
schürzt und löst, endlich die Iuno Pronuba (Virg. A. IV, 166) 1 ) und
Iuga, von welcher letzteren der vicus Iugarius in Rom seinen
Namen fuhren sollte, in welchem sich ein Altar dieser Göttin be-
fand (Paul. p. 104). Wurde doch auch Juno selbst wie die grie-
chische Hera an der Seite ihres Gemahls als Nupta verehrt 2 ), d. h,
als seine bräutliche Gattin, wie Jupiter selbst das Vorbild aller
männlichen Jugendblüthe war und eben deshalb wohl auch der
Flamen Dialis bei den Hochzeiten nach altem religiösen Brauch zu-
gegen sein mufste.
An der Küste von Picenum [und in Umbrien] gab es eine Göttin
Namens Cupra, welche für eine Juno und etruskischen Ursprungs
gehalten wurde; noch Hadrian, der sein Geschlecht vom picentini-
schen Hatria herleitete, hat den Tempel erneuert 8 ). Doch ist der
Name wahrscheinlich durch das sabinische Wort cyprus d. i. gut zu
250 erklären, daher der vicus Cyprius in Rom und ein Mars Cyprius
in Umbrien 4 ), so dafs diese Göttin also eher eine Bona Dea oder
eine Feronia gewesen zu sein scheint, welche auch mit der Juna
verglichen wurden. Desto bestimmter wird immer die Göttin
von Falerii in der Gegend von Civita Castellana und des Soracte
für eine Juno erklärt; ja dieser Cult der Juno war einer der be-
lich vorzuziehende, von den Inschriften bezeugte Form: von den a. Schrift-
stellern hat so nur Mart, Populonia die übrigen.]
1 ) [Bildwerke die Pronuba darstellend: Marquardt Privatleben 1, 48.]
») Plaut. Cas. II, 3, 14 Heia, mea Iuno, non decet te esse tarn tristem tu*
IovL Vgl. Varro b. Serv. V. Ecl. VIII, 30.
») Strabo V p. 241, Sil. Ital. VIII, 434, Grut. p. 1016, 2 «= Or. 1852, vgl.
Varro 1. 1. V, 159, Mommseu Unterital. Dial. S. 350. [Ueber die uinbrische-
Cubra mater s. u. Bona Dea, unten S. 351. — Demnach ist, wie schon
Mommsen vermuthete, der italische (nicht etruskische) Ursprung des Wort»
sicher, wenn auch nicht die Erklärung der Wurzel kup- (vgl. cupiot Fick
Wörterb. 1 8 , 536, vgl. cupeneus, saholl . kiperul Corssen Ausspr. 1 430)4
«) [Die Inschrift [Majrti Cyprio Or. 4950 = Henz. 5669.]
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ICSO.
nih in testen, daher Falerii später den Namen der Colonia Iunonia
erhielt und ihre Einwohner bei Ovid F. VI, 49 Iunonicoiae Falisci
heifsen. Dafs auch diese Göttin eine Iuno Curitis oder Quiritis, also
vermuthlich sabinischen oder umbrischen Ursprungs war, ist bereits
nachgewiesen ; wenn die Griechen sie dessenungeachtet für die argi-
vische Juno und Falerii deshalb für eine Golonie der Argiver und
der Pelasger erklärten, so lagen dabei nur äufserliche Aehnlichkeiten
des Gultus zu Grunde, die sich theils von selbst erklären theils durch
spätere Einwirkung der griechischen Gultur entstanden sein mögen,
s. Dionys I, 21. Das Fest in Falerii beschreibt Ovid Am. III, 13,
dessen Frau aus Falerii gebürtig war, leider ohne die Jahreszeit an-
zugeben. Die ganze Umgegend strömte dann zusammen und der
feierlichste Act war die Procession aus dem alterthümlichen und ehr-
würdigen Haine der Göttin zur Stadt, wo Opfer und Spiele gefolgt
sein mögen. In jenem Haine wurde zuerst gebetet und geopfert,
dann gaben Flöten das Zeichen zur Procession, die Ovid sehr lebendig
schildert. Zuerst kam der Zug der Opferthiere, schneeweifse Fersen
(iuvencae), welche auf den Wiesen von Falerii gezogen wurden,
Kälber und Ferkel, ihnen voranschreitend ein auserlesener Stier mit
gewundnen Hörnern. Nur die Ziege war der Göttin verhafst, man
erzählte sich dafs Juno durch dieses Thier auf einer Flucht ins Ge-
birge verrathen sei, daher die Knaben bei diesem Feste auf die Ziegen
förmlich Jagd machten; obwohl sich hinter solchen Gebräuchen und
Legenden gewöhnlich eine speciellere Cultusbeziehung verbirgt, welche
der zu Lanuvium entsprochen haben mag. Wo der Zug mit dem
Bilde der Göttin durchkam, breiteten Knaben und Mädchen (Camillen)
Teppiche über die Strafsen, die Mädchen im höchsten Schmuck, Gold
und Geschmeide in den Haaren, in langen Kleidern und goldgestickten
Schuhen. Andre Mädchen trugen nach Art der griechischen Kane-
phoren in weifser Kleidung und verschleiert die Heiligthümer auf
dem Kopfe. Darauf folgte der Zug der Priesterinnen und die Göttin
selbst, ganz wie sie in Argos zu erscheinen pflegte. Nach der Er-
mordung des Agamemnon, so hiefs es, war sein Abkömmling, der
fromme Halesus aus Argos entflohn und über Land und Meer bis 23t
in diese Gegend verschlagen worden, wo er Falerii gegründet und
das Volk in dem Gottesdienste seiner Heimath unterwiesen halte.
Dagegen einheimische Lieder den Halesus oder Falesus, den Stamm-
vater der Falisci und Gründer der Stadt Falerii, als einen Sohn des
Neptun und Stammvater eines Geschlechtes priesen, dessen Spröfsling
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DRITTER ABSCH.MTT.
Morrius, ein König von Veji, die Salier gestiftet habe, welche jene
Lieder sangen 1 ). Wie dieser Name Morrius wahrscheinlich mit
Mavors zusammenhängt, so kann jener Pater Curis der Falisker,
nach welchem ihre Iuno Curitis hiefs, nicht wohl ein Andrer ge-
wesen sein als der Stammvater Halesus oder Faliscus, dessen Name
gleichfalls auf ein altes italisches Stammwort hinweist. Wahrscheinlich
liegt die Wurzel hal oder fal zu Grunde, welche eine befestigte Höhe
(altum) bedeutete 2 ), wie denn das alle Falerii in der That eine sehr
feste Stadt war; obwohl es auch in Rom einen Divus Pater
Falacer mit einem eignen flamen Falacer gab (Varrol.LV, S4,
VII, 45), welcher mit der Zeit gleichfalls unverständlich geworden
war. Genug es galt in der gewöhnlichen Ueberlieferung und schon
zur Zeit Calos für ausgemacht, dafs Halesus wie Evander, Diomedes,
welcher nachmals in Lanuvium für den Gründer des dortigen Heilig-
thums der Juno gehalten wurde 3 ), Odysseus und andre Heroen aus
Griechenland nach Italien gekommen sei. Virgil Aen. VII, 723 ff.
252 läfst ihn mit seinen Schaaren aus Campanien heranziehen, wo man
also gleichfalls von ihm zu erzählen wufste, vgl. oben S. 18, 1.
Aufser den Frühlingsfesten der Juno scheint es ziemlich all-
l ) Serv. V. A. VIII, 2S5 quidam dicunt Salios a Morrio reffe Feientano-
rum instüutos, ut Alesus Neptuni filius eorum carmine laudaretur, qui
ciusdein regit familiae audor ultimus fuit. Veji und Falerii erscheinen in
der römischen Geschichte meist eng verbündet; möglich auch dafs Veji ein-
mal seinen König von Falerii bekommen hatte. Dafs Halesus ein Sohn des
INeptun heifst, hängt wahrscheinlich mit ritterlichen Hebungen zusammen,
s. Virg. Aen. VII, 723 Hinc Agamemnonius, Troiani notninis hostis, curru
iungit equos.
•) Paul. p. 91 Faleri oppidum a fale dictum. Ib. p. 85 falarica
genus teti nrissile , quo utuntur ex falis i. e. ex locis exstructis dimicantes,
und falae dictae ab altüudine, a falando, quod apud Etruseos signißcat
caelum. Ein kleiner sabinischer Ort in der Nähe von Reale, der Geburtsort
Vespasians, hiefs Falacrine oder Falacrinum, Sueton Vespas. 2, Anton. Itinerar.
307, 3 W. Auch Alsium, der Hafen von Caere, hatte nach Sil. Ital. VIII, 476
seinen INaineu von Halacsus bekommen, [lieber Falerii vgl. Corssen Beiträge
zur lat. Formenl. 473, über Falacer 344.]
•) Appian d. ball. civ. II, 20, weil auch Diomedes Argiver und als solcher
ein Diener der Juno war. Falisca Argis orta, ut auctor est Cato, Plin. H. N.
III, 51. [Das Wort ist italisch (nicht etruskisch, wie noch 0. Müller Etr. 2 2 ,
2S5 annahm), die Reste der faliskischen Sprache bestätigen den italischen Ur-
sprung der Stadt und der Kulte. Oben S. 14] Auch die Picentiner in der
Gegend von Salernum verehrten eine Juno, die sie für die argivische und zwar
für eine Gründung des lason hielten, Plin. ib. 70.
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IUSO.
283
gemein auch Sommerfeste gegeben zu haben; wenigstens waren in
Horn nicht allein die Kaienden des März, sondern auch die des Juni
der Juno vorzugsweise heilig, und ein nach der Juno benannter,
dem römischen Junius entsprechender Monat fand sich in den Fasten
der Laurenter und in denen von Lanuvium, Aricia, Tibur und Prä-
neste l ). Namentlich galten in Rom die Kaienden dieses Monats für
den Stiftungstag der luno Moneta in Arce, welcher Tempel im
J. 410 d. St., 344 v. Chr. auf Veranlassung eines Gelübdes des Camill
auf derselben Stelle erbaut worden war, wo früher das Haus des
Manlius Capitolinus gestanden hatte»). Weil die Münze der Republik
in der Nähe lag, ist der Name Moneta auf diese übergegangen, ob-
wohl der Name der Göttin a monendo abzuleiten ist, nehmlich von
einer Mahnung welche von dieser Juno ergangen war, nach der zu-
verlässigsten Ueberlieferung bei einem Erdbeben, wo sie das Opfer
einer trächtigen Sau forderte 8 ). Als Höhen- und Burggöttin, wie
Juno auch bei den Griechen, den Etruskern und sonst in Italien ver-
ehrt wurde, wird sie auch dadurch characterisirt dafs die Krähen ihr
heilig galten, daher sie jenseits des Tiber in der Umgebung von so-
genannten Krähen -Göttinnen, Divae Corniscae, verehrt wurde 4 ).
*) Ovitl F. VI, 57 IT., Macrob. I, 12, 30, vgl. Paul. p. 103 lunium mensem
dictum jmtant a hmone. Iidem ipsum dicebant lunonium et Iunonaletn.
Varro b. Ceosorin 22, 12.
») Becker Handb. 1, 392. Es ist die Höhe der Kirche und des Klosters
von 8. Maria in Araceli.
•) S. oben S. 61. Auch auf dem Albaner Berge gab es einen T. der
Moneta, Liv. XLV, 15 [? aedem Moneta« in monte Albano Drakenb.: adein
möetalbano die Hs.]. In Benevent, wo man wie in Rom ein Capitol hatte,
eine Regio Exquilina, eine Regio Viae Novae etc., auch den lup. 0. M. und
die luno Regina verehrte, gab es eine luno Veridica s. Momrasen I. N.
n. 1384, welche vermuthlich der Moneta entsprach. Den Kopf der römischen
I. Moneta sieht man auf den Münzen der gens Carisia [Cohen Cons. T. X Car. 7].
Von ihrem Culte am 1. Juni s. Ovid F. VI, 183, Macrob. 1. c., Io. Lyd. IV, 57,
Kai. Venus. Spätere Erklärungen des Namens b. Suidas v. Movtjra und Schol.
Lucan. I, 379. [Mommsen Münzw. S. 301.] Der alte Dichter Livius hatte in
seiner Odyssee [Priscian. VI, 5, 6) die griechische MvnfAoavvn durch Moneta
übersetzt, die dadurch zur Mutter der Camcnen wurde.
4 ) Paul. p. 64 Corniscarum divarum locus erat trans Tiberim corni-
eibus dicatus, quod in Iunonü tutela esse putabantur. Vgl. die trans Tiberim
gefundne Inschr. b. Or. n. 1850 [C. I. L. 1, 814] DEVAS CORNISCAS
SACRVM, wahrscheinlich für den Dativ DevaYs CorniscaYs, s. Ritsehl de
fictil. litter. p. 26 [= Op. 4, 289, vgl. Corssen Ausspr. 1', 764 f.]. Auch zu
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284
DRITTER ABSCHNITT
Denn die Krähen lieben die Höhen und dienen deshalb auch sonst
als Umgebung der Burggöttinnen z. B. der Pallas in Athen. Zu-
gleich sind sie Wettervögel und verkündigen durch ihr Geschrei
Regen 1 ), welches sie gleichfalls zu weissagenden Vögeln speciell der
Juno machen konnte.
Endlich ist Iuno Regina d. h. die himmlische Königin, die
Gemahlin des Iupiter Rex, daher sie neben diesem oder auch allein
auf den herrschenden Burgen und als Schulzgöttin der Städte,
namentlich aller Matronen verehrt wurde: ein Cultus welcher vor-
nehmlich bei den Etruskern geblüht zu haben scheint*), obwohl er
sich auch sonst in Italien nachweisen läfst, z. B. in Ardea, in Lanu-
vium, zu Pisaurum in Umbrien und an andern Orten 3 ). In Rom
hatte diese Bedeutung zunächst die Capitolinische Juno, welche Ovid
deshalb die Matrona Tonantis mit dem goldnen Scepter nennt; auch
heifst sie in Inschriften und ofticiellen Urkunden gewöhnlich Regina 4 ).
Ihr gewöhnliches Opfer waren Kühe, in dem Tempel selbst aber
wurden bekanntlich Gänse unterhalten, welche als Thiere von feiner
Lanuvium waren die Krähen der Juno heilig, s. die M. der g. Cornificia bei
O. Müller Denkra. a. K. I, 45, 341. [Cohen Cons. T. XV, vgl. S. 113.]
») Lucret. V, 1082, Virg. Ge. 1, 388, Horat. Od. III, 17, 12, Ovid Am. II,
6, 34.
*) Scrv. V. A. I, 422, Appian bell. civ. V, 49 von Perusia, diese Stadt
sei eine der 12 Hauptstädte Etruriens gewesen, cf<6 xal "Hqttv iatßov oia
TvQQTjvoi. Vgl. Dio XLV1II, 14 und die Juno Regina in Veji. [Vgl. Müller
Etr. 2», 44, der mit einem »vielleicht' sogar Nebencellen des Juppiter (!)
und der Minerva, also Capitole annimmt. Vgl. oben S. 241. Ueber Uni, an-
geblich Hera, Corssen Sprache d. Etr. 1, 380.]
•) Die Iuno v. Ardea s. Virg. Aen. VII, 419 und die Inschrift des Künst-
lers, der den Tempel der Güttin, Kegiuac Ianonis supremi coniugis
tcmplam, mit Gemälden verziert hatte, b. Plin. H. N. XXXV, 115 [Müller
Etr. 2 a , 269, Lachm. Lucr. 216, Brunn Künstler 2, 303, Hertz Ind. lect.
Vratislav. aest. 1867 p. 11 f.]. Die Inschrift aas Pisaurum [C. I. L. 1, 173,
vgl. Riuchl Op. 4, 408] 1VJNOINE REg MATRONA PISAVRESE DONO
DEDROT d. b. Iunoni Reginae matronae Pisatirenses dono dedertint, eine aus
Tereventum b. Mominsen I. N. n. 5164. Auch die Inno Moneta führte den Titel
Regina Or. n. 1299 [= C. I. L. 6, 362].
«) Vgl. die Acta fr. Arv. und Marini p. 160 [häufig neben Iuppüer o. m.,
Minerva, Salus p. p. Ä., daher cetfa Iunonis reginae, vgl. Henzen S. 82],
Ovid F. VI, 34 und 37. [Vgl. C. I. L. 6, 364; auch neben Iuppüer o. m.
Dolichenus auf dem Aventin das. 365. 366. — In den Provinzen häufig, allein
oder in Verbindung namentlich mit Juppiter und Minerva: C. I. L. 2, 3, 5].
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1UN0.
2S5
Witterung *) in jener verhängnifsvollen Nacht die Gallier noch früher
als die Hunde merkten, daher sie seitdem von der Republik mit
Ehre überhäuft wurden. Die Censoren pflegten die Fütterung der
Capitolinischen Gänse unter den ersten Pachtartikeln zu nennen, und
auf dem Capitole wurde jährlich zur Erinnerung an jenen Tag eine
Gans mit grofser Pracht auf einer Sänfte um den Tempel getragen, 254
wahrend ein Hund sich in dessen Nähe lebendig ans Kreuz schlagen
lassen mufste. Der Juno aber waren die Gänse aus demselben
Grunde heilig, weshalb sie auch bei römischen und griechischen
Hausfrauen, selbst der Penelope beliebt waren, weil dieses Thier
nehm lieh zugleich ein häusliches und ein leicht befruchtetes ist 2 ).
Ein zweiter Gultus dieser Göttin war der auf dem Aventin, wohin
er mit dem alten Gultusbilde aus Veji nach der Zerstörung dieser
Stadt verpflanzt worden war (Liv. V, 22) 8 ). Wie viel Gewicht die
römischen Matronen auf die Gunst auch dieser Göttin legten, sieht
man aus verschied n i n Vorfallen während des Hannibalischen Krieges.
Gleich im zweiten Jahre desselben (217 v. Chr.) wurde bei der
Annäherung Hannibals den drei Capitolinischen Göttern, der Juno
Regina auf dem Aventin und der Juno Sospita zu Lanuvium ein
gröfseres Opfer gebracht, und zugleich sammelten die Matronen Geld,
um der Juno auf dem Aventin ein Weihgeschenk zu bringen und
ein Lectisternium zu bereiten, wie es die Libertinen gleichzeitig ihrer
Schutzgöttin Feronia bereiteten. Zehn Jahre später beschlofs das
Collegium der Pontifices auf Veranlassung einer monströsen Geburt,
dafs drei Chöre von neun Mädchen nach griechischer Weise durch
die Stadt ziehen und ein Lied zu Ehren der Juno Regina singen
sollten, welches Livius Andronicus gedichtet hatte und mit den Mäd-
chen im T. des Jup. Stator einübte. Da schlug gar der Blitz in den
T. auf dem Aventin, worauf die Matronen der Stadt und der Vor-
städte innerhalb des zehnten Meilensteins neue Gaben und neue
Opfer darbrachten und nun auch die Decemvira der Sibyllinischen
\i Lucret. IV, 680 humanuni longo praesentÜ odorem R&mulidarum arcü
gervator, Candidus anser. Vgl. Liv. V, 47, Plin. H. N. X, 51, XXIX, 57,
Plut. de fort. Ro. 2. Silberne Gaus in Capitolio, zum Andenken, Serv. V. A.
VIII, 655.
*) Petron. Sat. 137 occidisti Priapi delicia*, anserein omnibus matronis
acceptissimum. Daber Jupiter bei der Leda nicht selten die Gestalt einer
Gans annimmt.
*) [Den Stiftungstag 1. Sept. giebt der Arvalkalender allein: vgl. Jordan
Eph. epigr. 1, 237.]
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286
DRITTER ARSCHMTT.
Sprüche einschritten. Auf ihren Betrieb wurde eine feierliche Pro-
cessen angestellt, die sich beim Tempel des Apoll vor der p. Car-
mentalis in Bewegung setzte. Voran schritten zwei weifse Kühe,
dann folgten zwei Bilder der Iuno Regina von Cypressenholz, darauf
die 27 Mädchen in langen Kleidern, ihr Lied auf die Juno singend,
endlich die Decemvirn, bekränzt mit Lorbeern und in priesterlichen
Gewändern. Vom Thore zogen sie durch den Vicus lugarius auf
das Forum, wo die Mädchen ihr Lied im Reigen umschreitend vor-
trugen; dann ging der Zug weiter durch den Vicus Tuscus, das
Velabrum und das Forum Boarium nach dem Clivus Publicius, der
255 sie hinauf zum Aventin und zu dem T. der Juno führte 1 ). Ein dritter
Tempel der Iuno Regina wurde im J. 575 (179 v. Chr.) von dem
Censor M. Aemilius Lepidus in der Vorstadt des Circus Flaminius
gestiftet, vermuthlich für die zahlreich bevölkerten Vorstädte im
Norden der Stadt 8 ).
Noch ein alterthümlicher Dienst der Iuno war der der Iuno
Caprotina, doch ist über ihre Bedeutrng nicht mehr aufs Klare
zu kommen. Am 5. Juli, zwei Tage vor den Nonen, wurden zur
Erinnerung an eine alte Gefahr die Poplifugia gefeiert, an den Nonen
selbst das Fest der iuno Caprotina, daher der Tag Nonae Caprotinae
hiefs. Nach der gallischen Noth, so heifst es, als Rom sehr ge-
schwächt war, benutzten die eifersüchtigen Nachbarn am obern und
untern Tiber den günstigen Augenblick zu einem allgemeinen An-
griff, wobei Postumius Livius, der Dictator von Fidenae, das feind-
liche Heer führte. Er fordert vom Senat die Auslieferung aller
römischen Frauen und Jungfrauen. Eine Magd Namens Tutela oder
Tu tula oder Philotis (ein römischer und ein griechischer Name) er-
bietet sich mit den übrigen Mägden anstatt der Römerinnen ins
feindliche Lager zu gehen. Sie kleiden sich danach, begeben sich
ins Lager, wissen die Feinde zu einem lustigen Gelage zu bereden
und geben, als jene im tiefen Schlafe liegen, den Römern ein Zeichen
von einem wilden Feigenbaume (caprificus) aus, welcher dicht bei
dem Lager stand. Der Ueberlall der Römer gelingt und der Senat
beschliefst die Freilassung aller Mägde, ihre Ausstattung auf Staats-
J ) Liv. XXVII, 37. Die zwei Kühe und zwei Bilder sollten vermuthlich
für die Matronen intra et extra urbem gelten. Dieselbe Feierlichkeit wurde
nach römischer Weise später bei ahnlichen Veranlassungen unverändert wieder-
holt, s. tri, Obseq. 46. 48.
') [Liv. XL, 52, vgl. XXXIX, 3, 8, Cal. Urbin. C. I. L. 1 p. 330.]
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iuno. 287
kosten und dafs sie die Tracht der Matronen, in welcher sie in das
feindliche Lager gegangen waren, für immer beibehalten sollten. Der
Tag der Poplifugia wurde zur Erinnerung der ersten Bedrängnifs, in
welche die Römer durch jenen Angriff gerathen waren, jährlich durch
eine sinnbildliche Flucht gefeiert, von welcher sich auch später einige
Spuren beim Gottesdienste dieses Tages erhalten hatten 1 ). Am Tage
der Nonen folgte der Auszug der Mägde und am Tage darauf die
Siegesfeier mit einer sogenannten vitulatio. An den Nonen zog das
Volk haufenweise vors Thor und rief sich unter einander mit allerlei
Vornamen, Caius, Marcellus, Lucius u. s. w. Dann erschienen die 256
Mägde im Putz und trieben allerlei Muthwillen mit ihnen. Endlich
folgte ein Opfer und ein festliches Mahl bei jenem Feigenbaum, dessen
Milch beim Opfer gebraucht wurde und dessen Laub an dem heifsen
Sommertage einen willkommnen Schatten bot. Andre glaubten dafs
sich diese Gebräuche auf den Tod des Romulus bezögen, welcher an
den Nonen des Julius beim Ziegensumpf (ad caprae paludem) unter
plötzlich hereinbrechendem Gewittersturm, vor dem das Volk aus-
einander floh, verschwunden war. Es scheint wohl dafs bei diesen
Ueberlieferungen zwei verschiedne Feste combinirt und darüber mis-
verstanden wurden, die Poplifugia mit ähnlichen sinnbildlichen Ge-
bräuchen eines Handgemenges und einer Flucht, wie sie auch sonst,
bei gewissen Sühnopfern vorkommen 2 ), und ein altes Frauenfest der
Iuno Caprotina, welches auch sonst in Latium gefeiert wurde 3 ).
Auch scheint der Name und die Natur des caprificus auf weibliche
Befruchtung zu deuten, da sowohl der Bock (caper) als die Feige
(Heus) in dieser sinnbildlichen Bedeutung herkömmlich waren und
die sogenannte caprificatio d. h. die künstliche Zeitigung der Feige
mit Hülfe der Frucht eines wilden Feigenbaums um dieselbe Jahres-
zeit vorgenommen zu werden pflegte 4 ).
») Varro 1. 1. VI, 18, Kall. MafT. Amitern., Macrob. I, 11, 36, m, 2, 14,
Pltit. Rom. 29, Camill. 33, Auson. Ecl. de fer. Rom. 9. Aach Augustin C. D.
II, 6 scheint sich auf dieses Fest zu beziehn: tibi Fitgatia celebrarenlur
effusa omni licentia turpitudinum et vere Fug-alia, sed pudoris et honestatis.
[Vgl. Mommsen im C. I. L. 1, p. 396, Huschke Rom. Jahr 422. — Eine Dar-
stellung der Göttin glaubt Mommsen Münzwesen S. 519 anf dem Denar des
C. Renius N. 95 (Cohen Cons. T. XXXVI) zu erkennen.]
») Lobeck Aglaoph. p. 680, Marquardt Handb. d. R. A. IV, 267.
8 ) Varro 1. 1. VI, 18 Nonae Caprotinae quod eo die in Latio Iunoni Capro-
tinae mulier es sacrificantur et sub caprifico faciunt, e caprifico adhibent virgmn .
*) Plin. H. N. XV, 68 f., Colum. XI, 2, 59, Pallad. IV, 10, 28; VII, 5, 2.
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2S8
DRITTER ABSCHNITT
Schon zum griechischen Gebiete von Italien gehört der Cultus
der Iuno Lacinia in der Nähe von Kroton, doch war er so an-
gesehn, dafs die Verehrung dieser Göttin auf alle benachbarten Völker
und somit später auf die Römer uberging. Sechs Millien von der
Stadt lag der Tempel mit einem Haine, mitten in einem dichten
Tannengehölz. In dem Haine befanden sich schöne Weiden für die
heiligen Heerden der Göttin, die einen so reichen Ertrag lieferten,
dafs eine Säule von solidem Golde davon geheiligt werden konnte.
Daßs die Kunst der Griechen sehr zur Verschönerung des Ortes bei-
getragen hatte, beweisen die Münzen von Kroton und Pandosia mit
dem prächtig geschmückten Kopfe dieser Juno. Pyrrhus und Han-
nibal ehrten diese Göttin, der letztere, welcher in ihr die Schutz-
göttin seiner Vaterstadt wieder erkennen mochte, stellte in dem
2&7 Haine einen Altar auf, auf welchem er in punischer und griechischer
Sprache ein Verzeichnifs seiner Thaten eingegraben hatte 1 ). Als der
römische Censor Q. Fulvius Flaccus im J. 174 v. Chr. den Tempel
der Hälfte seiner Marmorziegel beraubte und diese Ziegel bei einem
Bau in Rom verwenden wollte, wurde er deswegen vom Senate scharf
getadelt und mufste die Ziegel wieder an Ort und Stelle schaffen,
wo man sie aber leider nicht mehr einzufügen verstand 8 ). Zur Zeil
der Seeräuber wurde der Tempel geplündert und zerstört, doch hat
der Cultus unter den Kaisern fortbestanden 8 ). Von der Iuno Cae-
lestis, der alten Schutzgöttin Karthagos, wird unten die Rede sein.
Schon im zweiten punischen Kriege wurde sie als solche von den
Römern feierlich beschworen, im dritten förmlich evocirt (Serv. V. A.
XII, 841), daher sie auch bei den Dichtern, zuerst bei Naevius,
später bei Virgil eine bedeutende Rolle spielte. Andre Iunones sind
die in den Iuschriften der nördlichen Gegenden erwähnten Iunones
Montanae, häufiger Matres und Matronae genannt, segnende
Göttinnen der Flur und des Waldgebirges, welche von der celtischen
Bevölkerung des nördlichen Italiens und des südlichen Deutschlands
bis zur Donau, auch Galliens, Spaniens, so wie am Niederrhein und
Vgl. Martial. IV, 52 Gextari innctis nUi desinis Hedyle capris, Qui modo ficus
erat, tum caprificus erit.
») Liv. XXIV, 3, XXV1U, 46, XXX, 20, Cic. d. Divin. I, 24, 48.
») Liv. XL1I, 3, vgl. Lactant. II, 7, 16.
») Plut. Pomp. 24, Strabo VI p. 261, vgl. die Inschr. aus Kroton b.
Mommsen I. N. n. 72 Herne Laciniae sacrum pro salufe Marcianae sorori
Aug. Oecitis Hb. proe.
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in Britannien viel verehrt wurden und auf den zahlreich vorhandnen
Votivsteinen in der Gestalt von drei neben einander sitzenden Frauen
vergegenwärtigt werden, welche gewöhnlich Blumen und Früchte in
ihrem Schoofs haben 1 ).
Wie Jupiter zuletzt vorzugsweise für einen Schutzgott der Kaiser
galt, so Juno der Kaiserinnen, daher sie bei ihren Entbindungen als
Lucina, sonst als Augusta und Conservatrix oft angerufen wurde 8 ).
Eine eigenthümliche Gestalt dieses späteren römischen Junodienstes
ist die Juno Martialis mit dem Attribut der Scheere und einer Lanze, 25s
wahrscheinlich auch eine Entbinduncsgöttin a ).
4 Minerva
Auch diese Göttin ist dem Namen nach italisch, doch scheinen
etruskische und griechische Einflüsse in ihrem Culte wenigstens in
Rom bald die Oberhand gewonnen zu haben. Der Name Minerva
oder Menerva, auf etruskischen Denkmälern Menerfa und Menrfa ist
auf den Stamm men zurückzuführen, zu welchem auch die Wörter
mens, memini, das griechische pivoq, im Sanskrit manas gehören,
so dafs die Grundbedeutung auf eine göttliche Macht des Verstandes,
des sinnigen Denkens und Erfindens hinweist 4 ). Sie wurde auch
») Boissieu loser, antiqaes de Lyoa p. 55 sqq., De Wal de Moedergodinnen,
Leyden 1846. Sehr oft ist von ihnen io deo Jbb. des Vereins d. A. F. io
d. Rhein lau de Ii die Rede, da solche Denkmäler besonders häufig am Nieder-
rhein gefunden werden. [Vgl. über sie auch L. Stephani Nimbus u. Strahlen-
kranz S. 76 u. Frz. Fiedler die Gripswalder Matronen- u. Mercuriussteiae,
Bonn 1863. Iunones matronae in Como C. I. L 5, 5240, /. montanae INemausus
Or. 1324; Iunones häufig im C. I. L. 5 (s. p. 1179); 2, 2764. 2776; 3, 4766.
Matres (oben S. 56) und Matronae häufig Brambach C. 1. Rhen., auch mit
keltischen (oder deutschen?) Beinamen (wie Eiraienae, Gesahenae). S. neuer-
dings besonders die vorzügliche Abbildung des Matronensteins von Rödingen
erläutert von Haug und Hübner Archäol. Zeitung 34, 61 ff.]
3 ) Vgl. Or. n. 849. 1290. 1301 und oben S. 273 f. Wie in Rom in
solchen Fällen der Iuno Lucina , so wurde in Aegypten bei ähnlichen Ver-
anlassungen der Isis Aoxiat geopfert, s. Letronne Ree. des Inscr. Gr. et Lat.
de l'Egypte 1 p. 379.
») Eckhel D. N. VII p. 358, Welcker kl. Sehr. 3, 199.
*) Quiotil. I, 4, 17 Qttid? non E quoque I loco juit? Menerva et leber et
magester et Düove VidLore , non Dünn Victori? Vgl. die Inschr. b. Or. n.
1421 [C. I. L. 1, 191 — 6, 523, Rom?] PL Specios Menervai donom port (das
t nicht ganz sicher); [dieselbe Form haben die Betschrift der pränestinischen
Ciste Mon. dell' inst. 9 T. LVIII. LIX, die republ. Ioschr. von Aquileja 1457
= 5, 799 und der Gegend von Triest 1462 = 5,703, endlich die etruskischen,
Praller, Rom. Mjthol. L S. Aufl. 19
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291)
DRITTER ABSCHNITT
bei den Sabinern als Burggöttin verehrt, in welcher Bedeutung sie
u. a. in der Gegend von Reate einen sehr alten Tempel hatte 1 ).
Vorzüglich aber scheint ihr Cultus doch bei den Etruskern gepflegt
zu sein, als der einer blitzschleudernden Göttin der Höhen und aller
sinnreichen Erfindungen, namentlich auch der gottesdienstlichen
Flötenmusik, welche diese etruskische, in mancher Hinsicht an Lydien
erinnernde Minerva wahrscheinlich mit sich nach Rom gebracht hat.
Noch später trat der griechische Einflufs hinzu, der sich namentlich
im Gebiete der Poesie und der Schauspielkunst geltend machte,
welche wie wir sehen werden in Rom gleichfalls unter den Schutz
der Minerva gestellt wurden. Ueberhaupt kannte Rom zwar auch
die blitzschleudernde und die kriegerische Minerva*), die griechische
ü. Möller Etr. 2, 48 Corssen, Sprache d. Etr. 1, 246, und die faliskische,
Garucci Ann. 1860, 266 — Diss. arch. S. 61] und die Form promenervat für
monet aus dem carmen Saliare b. Fest. p. 205. Das V wird oft nach R eio-
geschoben, wie in dem Liede der Arvalen luerve d. i. luervem für luerem
steht und arvum von arare gebildet ist, vgl. auch caterva, nervus, servns,
cervus u. a. Bei Paul. p. 123 heifst es Minerva dicta quod bene moneat.
Sonst pflegen die Alten speciell die Thätigkeit des Gedächtnisses, der memoria,
von der Minerva abzuleiten, s. Augustin C. D. VII, 3, Arnob. III, 118. [Ueber
den Namen Corssen Krit. ßeitr. 409 Curtius Grundz. »312. Entscheidend
kommt jetzt das latinisirte menurbid (für marsisches menurfid) der Inschrift
vom Fucinersee, im Sinne von decreto, scito, hinzu: lat. ital. men-er-va (da-
von men-er-va-re, inen-er-bi-d) ist mit cat-er-va, nov-er-ca, lup-er-cus zu ver-
gleichen (Jordan Krit. Beitr. 207 f. Hermes 15, 9). — Das Wesen der ital.
Minerva ist durch die griechische Pallas und die etrusk. Verwendung als
Blitzgöttin, in welcher Gestalt sie nach Rom zurückkam, verdunkelt, die Spar
einer Beziehung zum alten Jahresgott Mars sehr unsicher, worüber A. 2.
Sicher erscheint sie früh und national als Schutzpatronin der Werkthätigkeit,
des kunstfertigen Handwerks, daher weiterhin als Schutzpatronin der Künstler.
Etruskische Einflüsse aufserhalb des bezeichneten engen Kreises sind nicht
nachweisbar.]
>) Dionys. I, 14, vgL Varro L L V, 74 und das Capitoüum vetus ib. 158
[s. unten]. Auch bei den Aurunkern und in Campanien und Samnium wurde
Minerva verehrt, s. Mommsen I. N. n. 4093. 5356, Klausen Aeneas S. 692.
[Alter und Art dieses Kultus ist zweifelhaft].
») Liv. XLV, 33 und Virgil. Aen. I, 42, XI, 259 mit den Noten des
Servius. [Die von P. noch a. Stelle Liv. XXXII, 1 enthält nichts Bezügliches.
Aber auch die übrigen beweisen Nichts: bei Liv. erscheint M. neben Mars
und Lua, quibus spolia hostivm dicare ius fasque, bei Virg. schleudert die
griechische Pallas und die Schol. bringen dies mit Varros 4 blitzschleuderndeo
Gottheiten, unter denen Minerva war, dies wieder mit der eapitoliniseben M.
in Verbindung (zu I) und nennen manubiae minervales eine besondere Art der
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MINERVA. 29t
Pallas, doch herrschten ihre friedlichen Beschäftigungen vor, bis
Minerva eben in Rom zuletzt ganz einseitig die Göttin aller Erfin- 259
düngen und aller Kunst und Wissenschaft geworden ist.
Die ältesten und wichtigsten Heiligthümer der Minerva lagen
alle auf den Höhen der Stadt, auf dem Capitol, dem Aventin und
dem Caelius. Auf dem Capitol befand sich ihre Cella zur Rechten
des Jupiter (S. 217 f.), welcher Platz nicht immer nothwendig der
Ehrenplatz war, wie denn Juno als Gattin des Jupiter und als Regina
jedenfalls mehr zu bedeuten hatte als Minerva. Dafs diese auch auf
dem Capitol vorzugsweise das geistige Princip, Intelligenz und Er-
findsamkeit vertrat, sieht man aus dem Gebrauch, den Jahresnagel
in der Wand zwischen ihrer und Jupiters Cella einzuschlagen, weil
die Zahl eine Erfindung der Minerva sei 1 ). Uebrigens hatte sie so-
wohl an den Römischen Spielen als bei andern Gelegenheiten den
gleichen Antheil wie Juno 8 ). Dafs auch der Tempel auf dem Aventin
alt und angesehn war 8 ), folgt aus seinem engen Zusammenhange mit
dem Feste der Quinquatrus, sowohl der gröfseren als der kleineren,
bei denen wahrscheinlich diese Minerva als Schutzpatronin der
Pfeiferzunft vorauszusetzen ist. Eben dieses mag der Grund gewesen
sein, warum später auch die scribae und histriones d. h. die Dichter
und Schauspieler von Dramen in griechischer Manier unter den
Blitze (zu XI). Dafs hier etruskische and griechische Vorstellungen durch-
einandergerührt sind , bat schon 0. Müller Etr. 2, * 48 erkannt Ueber die
Deutung der Nerio als Minerva unten zu S. 303.]
*) Liv. VIT, 3. Varro erklärte Jupiter für den Himmel, Juno für die
Erde, Minerva Pur die Ideen, dieses im Sinne der Platonischen Philosophie,
caelvm a quo fiat aliquid, terram de qua /tat, exetnplum secundum quod fiat,
August. C. D. VII, 28.
a ) [Die von P. hier angezogene Stelle des Fälschers Fulgentius p. 560
lehrt nichts.]
*) Ueber die Lage s. Becker Handb. 1, 454, wo Orosius Bist. V, 12 über-
sehen ist, nach welcher Stelle dieser Tempel nicht weit von dem der Diana
lag. [Preller, Ausgew. Aufs. S. 513; vgl. Nissen Rh. Mus. 28, 548. 29, 422.
Gegen die Annahme, dafs die Tempel des Jupiter Libertas, der Juno regina,
der Minerva auf dem Aventin eine capitoliniscbe Trias gebildet haben s.
Jordan Eph. ep. 1, 238 f.] Nach Verr. Flaccus in den Pränestio. Fasten u.
Fest. p. 257 wurde der Tag der grosseren Quinquatrus d. h. der 19. Marz
zugleich als Geburtstag der Minerva und als Stiftungstag dieses Tempels ge-
feiert, nach Ovid F. VI, 722 und dem Kai. Amitern. und Esquil. der 19. Juni,
bald nach den kleineren Quinquatrus. [Ueber die Stiftungstage der Minerva
auf dem Aventin und der Minerva Capta auf dem Coelius f. Jordan a. 0.]
19*
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292 DRITTER ABSCHNITT.
Schutz derselben Minerva auf dem Aventin gestellt wurden und dort
ein amtliches Local für die Versammlungen und Uebungen ihrer
Zunft angewiesen bekamen. Es geschah zur Zeit und zur £hre des
Livius Andronicus, weil dessen Gedicht auf die Juno Regina (S. 285)
einen vorzüglichen Erfolg gehabt hatte, daher die Zunft der Dichter
und der Schauspieler den Livius später in diesem Tempel als ihren
260 Stifter verehrte 1 ) und Verrius Flaccus zum 19. März diesen Tag,
den Einweihungstag des Tempels, einen Tag der Künstler (dies
artißcum) nennt. Endlich auf dem Caelius wurde eine Minerva
Capta oder Capita verehrt, deren Tempel nach Ovid am Tage der
Quinquatrus eingeweiht worden war, so dafs also auch sie bei diesem
Feste betheiligt gewesen sein muß. Der Name wird sehr verschieden
erklärt, am wahrscheinlichsten dadurch dafs der Kopf für den Sitz
des Verstandes und Minerva in Rom vorzugsweise für die Göttin der
Intelligenz galt 9 ).
') Fest. p. 333 Scribas proprio nomine anliqui et librarios et poelas vocabant.
— Itaque cum Livius Andronicus bello Punico secundo scripsisset Carmen,
(juod a virginibus est cantatitm, quia prosperius resp. populi R. geri coepta
est, publice adtributa est ei (vulg. et) w Aventino aedis Minervae, in qua
liceret scribis hUtrionibusque consistere ac dona ponere in honorem Livi, quin
is et scribebat fabulas et agebat. Vgl. Valer. Max. III, 7, 11 und 0. Jahn
in den Leipz. Berichten 1856, 293 ff.
J ) Ovid F. III, 835 ff. Capitale vocamus ingenium sollers: ingeniosa Dea
est. Vgl. Io. Lyd. de Mens. IV, 39 xapakahtv 6k Id&tfväv ttjv tpQovnoiv av
us elnoi, und Cic. ad Q. Fr. H, 13 (11), 4 von dem Historiker Philistus:
Siculus üle capitalis, creber, acutus etc. Trebell. P. XXX tyr. 10, 3 ca-
pita Ii et uim ioco regna promeruit. Die bei Ovid zuletzt erwähnte Beziehung
des Namens auf Capitalstrafen wird durch Paul. p. 66 capitalis lucus unter-
stützt, vgl. Brunn Annal. dclP Inst. 1849 p. 376. [Doch ist diese Deutung
sprachlich unmöglich, obwohl schon von Ovid zweifelnd vorgeschlagen. Der-
selbe denkt außerdem noch an das Haupt des Zeus und fragt dann: An quia
perdomitis ad nos captiva Falücis venit et hoc ipsum littera prisca docet?
An quod habet legem capitis quae p ender e pomas ex illo iubeat furta reperta
loco? D. b. also: stand in alten Annalen dafs sie capta hiefs weil sie aus
Falerii (wie Juno Curritis, s. oben) stammte? oder weil das Tempel Statut
statt einer Mult eine Ca pi talstrafe verhängte sei qui heic sacrum surupuerit
(wie das Statut von Furfo sagt)'? Wundersame Auslegungen dieser einfache»
etymologischen Hypothesen giebt Huschke R. Jahr 355 Jahrb. f. Phil. Sappl. 5,
827f. Der Name kann wohl nur die .Gefangene' bedeuten: sie kann aus
Falerii stammen. In dem neuen Falerii hatte sie einen Kalt; aber die In-
schrift Fabr. 2441 Menerva \ A. Cotena La f. p[r . .] | senatuo sente[ntia?) |
dedet cuando | cuncaptum lehrt auch eben nur dies und cuncaptum, was es
auch bedeuten möge (doch wohl = captum, Huschkes Ergänzung ist wili-
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MINERVA.
293
Wie der Juno so scheint auch der Minerva seit alter Zeit der
März und der Juni geweiht gewesen zu sein, und zwar in beiden
Monaten der fünfte Tag nach den Idus, welcher nach einem im
älteren Italien ziemlich allgemeinen Sprachgebrauche Qu inquatrus
genannt wurde 1 ): also der 19. März und der 19. Juni, welche Tage
zugleich als Einweihungstage der Tempel auf dem Aventin und dem
Caelius gefeiert wurden. Auch galt die Fünfzahl überhaupt für die
der Minerva und der 19. März für ihren Geburtstag. Indessen hatte
man später das richtige Verslandnifs des Wortes Quinquatrus ver-
loren, daher man dieses Fest nun fünf Tage lang vom 19. bis zum
23. März feierte, von welcher Feier Ovid. F. III, 809-834 eine
Uebersicht giebt. Der erste Tag, also der ursprünglich einzige, sei
friedlicher Art, weil Minerva an ihm geboren sei, die folgenden vier
würden der kriegerischen Minerva zu Ehren mit Gladiatorenspielen
begangen. Indessen scheint dieses erst seit August der Fall gewesen
zu sein»), da die Gladiatoren erst seit 264 v. Chr. und lange nur m
bei Leichenspielen, erst gegen das Ende der Republik auch bei
gottesdienstlichen Spielen zugelassen wurden. Vom 19. März wissen
wir überdies dafs dann eine Feier der Salier auf dem Comitium statt-
fand, doch scheint diese mehr der sabinischen Nerio, welche später
mit Minerva verwechselt wurde, als dieser gegolten zu haben, wie
die Tubilustrien am 23. März d. h. die Weihe der zum Gottesdienste
erforderlichen Trompeten 8 ). Sonst überwog bei den Quinquatrus
kürlich) hat mit der römischen Capta Nichts zu tbun. Aach an Minerva als
tteutegöttin (oben S. 290, 2) zu denken verwehrt das Wort entschieden. —
Das Heiligthum stand zwischen Colosseum und SS. Quattro coronati, io seiner
Nähe, wie öfters bei Miaervenheiligthümern (vgl. unten zu S. 264), später
ein Isisheiligthum: Jordan Top. 2, 255.]
*) Man zählte aehmlich von den Idus an Triatrus, Quinquatrus, Sexatrus.
Septimatrus, Decimatrus, s. Varro 1. 1. VI, 14, Fest p. 254. Vgl. Charis I
p. 62 [S. 8t K.J und Serv. V. Georg. I, 277. [S. Mommsen im C. L L. I, 389]
») VgL Dio L1V, 28. Auch Domitian feierte sie auf seinem Albanum mit
Gladiatoren, Dio LXVI1 , 1. Von Rom und Italien verbreiteten sich diese
blutigen Spiele auch nach Griechenland, z.B. nach Koriath und Athen, wo
unter den Kaisern sowohl bei den Panathenäen als bei den Dionysien Gla-
diatoreo auftraten, Pbilostr. v. Appollon. IV, 22.
») [Der Zusammenhang des Festes mit den Quinquatrus den Mommsen
C. 1. L. 1 S. 389 hervorhebt wird nach dems. jetzt noch deutlicher durch die
Inschr. aus Rantum ia superior v. J. 229 Epb. epigr. 4, 146 n. 503 Minervae
4ug{tutae) sac{rum): scola tubicinum ex voto patuä. Doch kann auch anders
erklärt werden: s. zu S. 262.]
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294 DRITTER ABSCHNITT.
ganz der friedliche Character von Kunst und Wissenschaft, beides
im weitesten Umfange genommen, von dem Lesen und Lernen der
lieben Schuljugend und der weiblichen Handarbeit an bis zu dem
Pinsel des Malers und dem Meisfel des Bildhauers. So waren die
Quinquatrus zunächst im kreise der Schulen ein sehr populäres
Fest, sowohl für die lernenden Kinder als für die Lehrer, von denen
jene Ferien bekamen und nach dem Feste einen neuen Gursus be-
gannen, diese in der Form eines freiwilligen Geschenks, des soge-
nannten Minerval, ihr Honorar erhielten, s. Horat. Ep. II, 2, 197,
luvenal. X, 114 — 117 u. A. l ) Ferner verehrten Mädchen und Frauen
die Minerva vorzüglich an diesem Feste als die Urheberin der künst-
lichen Wollarbeit im Spinnen und Weben, welche nach alter Sitte,
da die Hausfrau noch selbst für die Bekleidung des Mannes und der
Kinder sorgte, in Rom immer sehr hoch geschätzt wurde. Daher
kommt es wohl auch dafs die solchen Beschäftigungen nahe ver-
wandte Zunft der Walker (fullones), welche die Kleider durch
Stampfen, Waschen, Pressen u. s. w. zum neuen Gebrauche her-
stellten, an diesem Feste merklich hervortritt: ein zahlreiches Ge-
werbe, welches zu Rom im volksthümlichen Leben eine gewisse Rolle
spielte und deshalb auch auf der volksthümlichen Bühne oft bedacht
wurde. Wie sie die Minerva überhaupt als ihre Schutzpatronin ver-
ehrten und dieselbe deshalb in ihren Werkstätten durch ihre Bilder
und Attribute vergegenwärtigten, so wurden namentlich von ihnen
die Quinquatrus in heitrer Lust begangen 2 ). Aber auch andre Hand-
werker, die Schuster, die Tischler, feierten das Fest in ihrem Sinne
262 mit 3 ), ferner die Aerzte, welche allmälich mit der griechischen Wissen-
») [S. jetzt Marquardt Staateverw. 3, 417 Privatleben 1», 92f.]
*) Plin. H. N. XXXV, 143 Simus (pinxil) iuvenem requiescentem , offi-
cinam fullonis Quinquatrus celebrantem. Vgl. 0. Jahn Archaol. Ztg.
1S54 S. 191 und das Fragm. des Novius bei Non. Marc. p. 508, 20 fullonem
compressi Quinquatrubus. [Fullones weihen in Spoleto der Minerva (C. 1. L.
1, 1406), lotores in Aquileja, wo ebenfalls schon io republikanischer Zeit ein
Minervenkult war (oben S. 289, 4), der Minerva Augusta. S. Mommsen, Zs.
für gesch. Rechtswissenschaft 15, 330.)
») [S. Ovid a. 0. 621 ff. Die nahe Verbindung der Schasterzunft mit Mi-
nerva scheint daraus hervorzugehen, dafs das Tubiiustrium in atrio sutorio
vorgenommen wird, welches Mommsen sogar mit dem atrium Minervae am
Forum identificiren wollte (Controverse: Mommsen C. I. L. 1 S. 389, 23. März
vgl. Urlichs Memorie dell' inst. 2, 85 Jordan Hermes 4, 232). — In Pisaurum
(256 p. C.) in schola deae Minerve Jug(ustae) col{leg ittm) fab{rum) collegae
unicersi convenerunt (Fiorelli Wotirie 1880, 261).]
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MINERVA.
295
schaft nach Rom kamen und dort in der Minerva Medica ihre Schutz-
patronin verehrten 1 ), endlich die Maler, die Bildbauer, die Redner
und Dichter, sammt andern Professionisten der geistigen Arbeit 2 ),
deren Verhältnifs zur Minerva durch die bekannten Redensarten pingui,
crassa, invita Minerva und das dem Griechischen nachgebildete Sprich-
wort sus Minervam (Fest. p. 310) angedeutet wird. Also eine fest-
liche und volkstümliche Bewegung durch alle Hauser und die ver-
schiedenartigsten Berufskreise, daher dieses Fest auch unter den
Kaisern immer mit grofser Heiterkeit begangen wurde, seit Nero
vermuthlich auch mit öffentlichen Spenden 8 ).
Die kleinen Quinquatrus an den Iden des Juni entsprachen im
Wesentlichen den grofsen, nur dafs sie specieli ein Fest der Pfeifer-
zunft waren, deren Angehörige dann in der Stadt umherschwärmten,
in ihren langen Kleidern und maskirt, häufig auch betrunken, denn
die Musik hat von jeher den Wein geliebt, wie Livius bei dieser
Gelegenheit hinzusetzt. Auch sie versammelten sich dann beim
Tempel der Minerva, ihrer Schutzpatronin 4 ), hatten aber auch das
Recht auf einen festlichen Zunftschmaus im Tempel des Capitolini-
l ) S. ni. Regionen S. 133. [Joppiter, Minerva, Valetndo vereint Wil-
ma uns Ex. 2753.] Es scheint dafs Varros Satire Quinquatrus eine Gesell-
schaft von Acrzten, welche dieses Fest feierten, darstellte. Auch die Minerva
Memor verschiedner Inschriften aus der Gegend von Placentia, Velleja und
Mediolanum b. Or. n. 1427 — 1429 kann von der M. Medica nicht wesentlich
verschieden gewesen sein. [Sie heifst auch Cabardiacensis, wahrscheinlich
von dem Ort wo sie verehrt wurde, und Medica: Bortolotti Bull, dell' ist.
1867, 21 9 ff. 237 f. vgl. Friedländer Darstell, a. d. Sitteng. 3, 478.]
*) [Gehören dazu auch die Militärmusiker wie alle Musiker? Auf dem
Cälius in Rom: Miner[vae] donum [dat] conkgi[um cor]nieinutn C. I. L.
6, 524; am Rhein: Minervae aeneatores eoh. I Seq. et Raur. v. s. I i m.
VVilmauns Ex. 1531. Bei der verhältnissmässig geringen Anzahl von Steinen
des Mioervenkulta fallt dies Zusammentreffen ins Gewicht. Vereinzelt arti-
ficibus Miner(vae) Babullia Sex. f. Maxi[m\a v. $., Oalmatien C. I. L. 3, 3136.]
8 ) Sueton Octav. 71 Quinquatrus satis iucunde egimus. Vgl. Tacit. Ann.
XIV, 4 und 12 und die Münzen von Nero, Titus, Nerva u. A. b. Eckhel
1). N. VI p. 270. 276 u. a. , wo bei der Inschrift CONG. DAT. POP. S. C.
der Kaiser auf einer Tribüne sitzend die Geschenke vertheilt, das Bild der
Minerva und ihre Attribute neben ihm aber wahrscheinlich auf die Quin-
quatrus deutet.
4 ) Varro 1. 1. VI, 17 Quinquatrus Minusculae dictae luniae idus ab simili-
tudine Maiorum, quod tibicines tum feriati vagantur per urbem et conveniunt
ad aedem Minervae. Vgl. Fest p. 149, Ovid F. VI, 649 ff, Liv. IX, 30,
Valer Max. II, 5, 4, Censoriu d. d. n. 12, 2.
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296
DRITTER ABSCHNITT.
sehen Jupiter an diesem Tage, und dieses gab gelegentlich zu einer
nicht geringen Störung Aula ('s, die glücklicher Weise mit allgemeiner
Heiterkeit endigte. Diese Zunft der Pfeifer war nehmlich seit alter
Zeit eine sehr zahlreiche und wichtige, da bei den meisten Opfern,
Spielen, auch bei den Leichenbegängnissen die Musik und Begleitung
der Flöte nicht zu entbehren war; daher sie nicht allein sehr gut
bezahlt, sondern auch sonst ausgezeichnet und verzogen wurden.
Als ihnen daher während der berühmten Censur des Ap. Claudius
263 Caecus und G. Plautius im J. 312 v. Chr. jenes alte Recht des
Zunftschmauses im T. des Jupiter genommen wurde, waren sie sehr
empört und beschlossen die Römer durch eine förmliche Secession
von ihrer Unentbehrlichkeit zu überzeugen. Sie rottirten sich also
zusammen und zogen nach Tibur, worüber man in Rom wirklich
in Verlegenheit kam. Also schickte der Senat nach Tibur, man
möge eine Ausgleichung in Güte herbeiführen. Die Tiburtiner
suchten ihre Gäste zu überreden; als sie nicht hören wollten, gelang
eine wohlberechnete List. An einem Festtage ladet man sie ein,
trinkt ihnen weidlich zu, bis sie berauscht und eingeschlummert
sind; darauf packt man sie in grofse Wagen und zurück geht es
nach Rom. Auch sollen sie nicht eher zum Bewufstsein gekommen
sein, als nachdem sie auf dem Forum richtig angelangt waren und
der junge Tag den Katzenjammer beleuchtete. Da lief alles Volk
zusammen und sie liefsen sich bereden zu bleiben und feierten
seitdem jährlich diesen Tag mit lustigen Aufzügen durch die Stadt,
auch wurde denen, die zu Opfern aufspielten, das Recht des Mahles
auf dem Capitol wieder hergesteilt 1 ). Ovid erzählt dieselbe Ge-
schichte mit einigen Abweichungen, denen man den Humor des
Tages anmerkt.
Je länger Minerva in Rom verehrt wurde, desto mehr trat
natürlich die griechische Auffassung in den Vordergund. So wenn
Pompeius ihr nach seinen Feldzügen im Orient von der Beute ein
Heiligthum gründete und in demselben ein Verzeichnifs seiner Thaten
aufstellte, PI in. H. N. MI, 97, wobei ihm die Athena Nike der
Griechen vorschwebte; und wenn Cicero das Bild der Minerva, in
welchem er die Göttin in seinem Hause verehrte, bei seiner Ver-
bannung aufs Capitol weihte, als Custos Urbis, wie die Inschrift
*) (Daher die \\ idmuog [magistri] quinq(ennales) | [coüegi] Unb(icinum)
qui | s(acru) p(ublicu) p{raesto) s(unt) hv(i) Epul{oni) s{acrurn) C. I. L. 6, 3696.]
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MI5ERVA. 297
4
sagte, d. h. als eine solche welche Volk und Senat mit ihrem Geiste
erfüllen und behüten sollte, s. Plut Cic. 31, Cic. de Leg. II, 17.
Es ist die von den (kriechen allgemein verehrte Athena ßovXaia
und äyogata, welcher in Rom das erste Heiligthum von August
k gestiftet wurde, in Verbindung mit seinem Neubau der Curie am
Forum, welche er die Mische nannte und mit einem der Minerva
geweiheten Chalcidicum d. h. einer Eingangshalle versah, s. Dio
LI, 22 1 ). Als diese Curie in späteren Feuersbrünsten unterging,
bauete Domiüan, der Hersteller des Forums, an ihrer Stelle einen
eignen T. der Minerva, welcher neben dem der Castoren und dem
des Augustus auf Militärdiplomen bis in die Zeit der Gordiane er-
wähnt wird. Das neue Senatsgebäude dagegen wurde von ihm in
der Gegend des alten Janustempels (S. 173) erbaut und mit dem-
selben auch hier ein eignes atrium Minen ae verbunden 8 ). Minerva, se»
die personilicirte Intelligenz, gehörte seitdem so wesentlich zum
Senate, dafs auch in Constantinopel, dem neuen Rom, ihr Bild vor
der Curie stand 8 ). Bei Domitian kam noch die persönliche Vorliebe
für den Dienst der Minerva hinzu, wie er denn für einen besondern
Schützling, ja sogar für den Sohn der jungfräulichen Göttin gelten
v wollte*). Wie er daher die Stadt und ihre öffentlichen Gebäude,
auch seine Münzen zum Ueberdrufs mit den Bildern und Attributen
der Minerva erfüllte, so pflegte er auch die Quinquatrien in seiner
burgartig befestigten Villa am Albaner Berge (in der Gegend von
Castel Gandolfo) mit besonderm Eifer zu feiern; ja es war von ihm
zu diesem Zweck ein eignes Collegium gestiftet worden, welches für
die Feier und für Jagden, scenische Spiele und die damit verbun-
denen rhetorischen und poetischen Wettkämpfe, deren die Dichter
*) [Dio nach cod. Veo.: ro 94 'A^vatov ro Xabttduöv uvopaaugvov;
August™ selbst: chalcidicum s. Mommsen Res g. d. Aug. p. 52].
*) [Vielmehr ist das atrium Mimrvae neben dem senalus ( Domitiani) der
ISotit. R. VIII das restaurirte Chalcidicum des Augustus: unsicher ist die
Erklärung der seit d. J. 93 p. C. auf den Militärdiplomen vorkommenden
Ortsbestimmung post templum divi /4ug{uuti) ad Minervam; Curios. R. VIII
templum Cattorum et Minervae; vgl. den Katalog der Bauten Domitians
Jordan Top. 2, 32.]
«) Zosim. V. 24. Sonst pflegt auch die Sapieotia und Providentia Prin-
ripis durch die Attribut« der Minerva ausgedrückt zu werden, a. Eckhel D.
N. VIII p. 65.
«) Sueton. Domit. 15, Quintil. X, 1, 91, Phüostr. V. Apollon. VII, 24.
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298
DRITTER ABSCHNITT
der Zeit wiederholt gedenke», zu sorgen hatte 1 ). Auch in Rom ent-
standen durch diesen Kaiser noch zwei Tempel der Minerva, der
der Minerva Chalcidica in der Gegend der Kirche und des Klosters
von S. Maria sopra Minerva, wo die schöne Statue der Pallas Giu-
sliniani gefunden sein soll, und der Tempel auf dem von Domitian
erbaueten, aber erst unter Nerva vollendeten Durchgangsforum
(f. transitorium) in der lebhaften Passage zwischen dem f. Iulium
und dem f. Pacis. Die Ruine dieses Tempels hatte sich bis in das
16. Jahrhundert erhalten, ein Theil der Ringmauer aber steht noch,
geschmückt mit Bildwerken, welche die Sorge der Minerva für weib-
liche Handarbeit und die Bestrafung der überm üthigen Arachne ver-
gegenwärtigen 2 ). Durch Hadrian wurde in Rom auch ein eignes
Athenaeum d. h. eine unter diesem griechischen Namen dem Schutze
der Minerva empfohlene BUdungsanstalt in griechischer und latei-
nischer Rede und Poesie gestiftet 8 ). Ja noch Gordian wurde der
Stifter eines neuen Spieles der Minerva, indem er die von Nero
2w den cyciischen Spielen der Griechen nachgebildeten Neronia, das
erste Beispiel der Art in Rom, wiederherstellte und der Minerva
weihte *).
Auch das Bild der römischen Minerva war ganz das griechi-
sche 5 ), ja es fand sich neben den kunstgerechten Bildern der Göttin
auch hier ein sogenanntes Palladion, welches wie gewöhnlich für
das troische galt und für eins der wirksamsten Unterpfander des
göttlichen Segens gehalten wurde. Die Familie der Nautii, angeblich
») Sueton. 4, Dio LXVII, 1, SUt Silv. III, 5, 28, IV, 2, 64ff.; 5, 21.
Auch V, 3, 228 und oft bei Martial wird auf diese Wettkämpfe, bei denen
goldne Kränze vertheilt wurden, angespielt. [Vgl. Friedlander Darst. a. d.
Sitteng. 3, 328.]
*) [Nah der Minerva Chalcidica stand das Isenm, vgl. oben S. 292, 2 a. E.
Ueber den Fondort der jetzt im Braccio noovo des Vatican befindlichen Pallas
vgl. Nibby zu Nardioi 3, 131. — Ueber den Tempel auf dem Forum transitorium,
der die Inschrift . . . Mi]neroae fecä trog, Jordan Forma urbis S. 27. Die
Bildwerke jetzt genau Mon. «teil* inst. 10 T. XL— XLIa mit Blumners Text
Ann. 1877, 5 ff.]
*) Die spateren Kaiser unterhielten diese Stiftung, s. Aurel. Vict. Caes.
14, Lamprid. Alex. Sev. 34, lul. Capitol. Pertinax 11, Gord. 3, Dio LXX1II,
17. [Becker Handb. 2, 3, 327 Friedlander a. 0. 3, 322.]
4 ) Aurel. Vict. 27, Catal. Imp. p. 647 ed. Mommsen. Ueber die Nerouia
s. Tacit. Ann. XIV, 20, Dial. de Orat. 11, Suet. Nero 12.
6 ) [So schon die imago clipeata mit der alten Widmung der bewies C.
I. L. 1, 817 Ritsehl P. L. M. T. I Dd.]
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APOLLO.
299
trojanischen Ursprungs, machte auf die Ehre Anspruch, dieses Bild
über Lavinium nach Rom gebracht zu haben. Ihr Stammvater
Nautes, hiefs es in der gewöhnlichen Ueberlieferung, habe es von
Diomedes für den Aeneas in Empfang genommen, Diomedes aber
sei von göttlichen Mahnungen getrieben worden, das heilige Bild den
trojanischen Helden freiwillig auszuliefern 1 ). Es wurde unter den
heiligsten Heiligthümern im Tempel der Vesta bewahrt und gegen
den Ausgang des ersten punischen Kriegs bei einer Feuersbrunst
durch den Pontifex Maximus L. Metellus (S. 235) gerettet, worüber
er seine Augen verlor, aber die bis dahin unerhörte Ehre gewann,
in den Senat fahren zu dürfen 2 ). Unter Gommodus mufste das
Bild nochmals bei einem Brande des Vestatempels gerettet werden,
bei welcher Gelegenheit es von verschiednen Personen, damals zuerst
von profanen Augen gesehen wurde 3 ).
5. Apollo.
Der erste rein griechische Gottesdienst, welcher uns begegnet.
Von seiner Verbreitung in Italien, seiner hohen Bedeutung für die 266
römische Religionsgeschichte, seiner engen Verbindung mit den durch
Tarquinius Superbus nach Rom verpflanzten Sibyllinischen Sprüchen
und den wichtigen Folgen des Gebrauchs dieser Sprüche bei so vielen
Veranlassungen ist S. 147 ff. die Rede gewesen 4 ), so dafs hier nur
l ) So berichtete Varro. Nach einer andern Erzählung, welcher Virgil
und Dionys VI, 69 folgen, war Nantes schou in Troja ein Liebling und
Priester der Pallas. Vgl. Virgil. Aen. V, 704 und Serv. zu d. St. und zu
Aen. II, 166, III, 407, Cassius Heraina bei Solin. 2, 14, Sil. Pun. XIII, 65 lt.,
Procop. bell. goth. I, 15. Ueber das troische Palladion im südlichen Italien
und in Rom s. Strabo VI p. 264, XIII p. 601, Lycophr. Alex. 1261. Neben
so vielen andern Städten rühmte man sich später anch in Neu-Ilion es zu
besitzen, s. lul. Obseq. 56, Serv. V. A. II, 166.
') Cic. pr. Scauro 2, 4S, der das Palladium ein piguus nostrae salutis
atque imperii nennt, vgl. Phil. XI, 10, 24, Dionys I, 69, II, 66, Ovid F. VI,
425ff., Val. Max. I, 4, 5, Plin. H. N. VII, 14t, Lucan I, 592, IV. 991 n. A.
[S. Scbwegler R. G. 1 , 332 ff. Ein praepositus Palladii Palati ni wird auf
einer Inschrift des 4. Jahrb. n. Chr. erwähnt, ßullettino dell' Instituto 1863,
p. 208 vgl. Jordan Top. 2, 509.]
*) Herodiao I, 14, 4 vgl. V, 6, 3 Lamprid. Heliog. 6. Bei der Neronischen
Feuersbrunst wird seiner nicht gedacht, s. Tacit. A. XV, 41.
*) [Die unten zu S. 268 aa. Inschriften lehren die Ausbreitung des Kults
des A. im 5. Jahrh. d. St.: besonders wichtig ist dafs er in dem alten Hain
von Pisaurum als einziger fremder neben lauter italischen Göttern vorkommt.
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300 DRITTER ABSCHNITT.
das Nötbige zur Geschichte und Characteristik des Apollodienstes in
Rom und der mit ihm immer eng verbundenen Sibyllinischen Spruch-
bücher hinzuzusetzen ist
Die Sibyllen *) sind von Apollo begeisterte Prophetinnen, welche
in sehr verschiednen Gegenden genannt werden, am frühesten in den *
Umgebungen des troischen Ida, wo auch Kassandra zu ihnen gehört,
dann in dem ionischen Erythrae, dessen Sibylle mit der Zeit vor
allen übrigen berühmt wurde, ferner auf Samos, in Delphi und in
dem italischen Cumae. Immer werden sie als Jungfrauen geschil-
dert, die in einsamen Höhlen oder Schluchten wohnen, von dem
Geiste Apollos ergriffen in wilder Entzückung wahrsagen und dabei
im Volke das höchste Ansehn genossen; bald nennt die Sage sie
Apollos Priesterinnen, bald seine Geliebten, Schwestern, Töchter oder
Gattinnen. Da sie dem Geiste nach verwandt waren, lag es nahe
genug sie auch äufserlich mit einander in Verbindung zu setzen; so
galt namentlich die Cumanische gewöhnlich für identisch mit der
Erythräischen, welche, so erzählt man, von Apollo so viele Lebens-
tage als der Sand am Strande ihrer Heimath Körner zählte erlangt
habe, doch unter der Bedingung dafs sie ihre Heimath verlassen
solle und deren Erde nie wiedersehn dürfe. Also habe sie sich nach <
Cumae begeben und dort ein unendlich langes Leben gelebt, bis sie
zuletzt aufs sehnlichste nach dem Tode verlangte und denselben
endlich durch einen mit der Erde ihrer Heimath versiegelten Brief
fand 8 ). Oder sie soll zuletzt nur noch als Stimme gelebt haben,
welche als flüsternder Laut durch die unterirdischen Räume und
Gänge rauschte, die sich unter dem Apollotempel zu Cumae und in
den Felsen, auf denen die Stadt lag, in vielen unter einander ver-
zweigten Höhlen weit hinein ins Land, man sagt bis zum Avernersee
erstrecken und die Sage von der Sibylle bis jetzt bewährt haben.
Auch bei Virgil sind diese Felsen und diese Höhlen der Schauplatz
ihrer Weissagung. Dort sitzt sie und schreibt ihre Geschichte „in
Zeichen und Namen" auf Palmblätter, welche sie dann zusammen-
Dazu die Spar eines alten Kults bei den Sainuitern oben S. 67. Vgl. Aes-
culap.]
>) [Man vgl. über die Sibyllen und die sibyllinischen Bücher die Notizen
bei Marquardt Staatsverw. 3, 336 ff., nach denen Manches Einzelne zu be-
richtigen ist.]
•) Serv. V. A. VI, 321, vgl. Aristot Mirab. 97, Pausan. X, 12, 8, Pe-
tron. Sat. 48, lustin M. Cohoi t. 37.
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APOLLO.
301
legt und in der Höhle verbirgt, bis der Wind sie verweht und unter
die Menschen bringt. Oder er schildert sie wie die Priesterin des 207
Apollo und der unterirdischen Diana, deren Weissagung aus den
Katakomben der Tiefe in den darüber liegenden Tempel Apollos
hinaufquillt und die denselben Aeneas später zu den Opfern am
Avernus anleitet und seine Führerin in der Unterwelt ist 1 ). Lange
vor Virgil hatte Naevius in seinem Gedichte vom Punischen Kriege
dieselbe Sibylle die kimmerische genannt 2 ), weil der Sage nach
einst das mythische Volk der Kimmerier in denselben unterirdischen
Gängen bei Cumae gehaust hatte. In Rom erscheint diese Sibylle,
von deren Sprüchen sich in alter Zeit jedenfalls eine Sammlung zu
Cumae befand, bekanntlich unter Tarquinius Superbus in der Gestalt
einer Greisin, welche dem Könige zuerst 9, dann 6, endlich 3 Bände
immer für denselben Preis anbietet 3 ). Auch war es dieser König,
welcher die Commission zur Aufbewahrung und Befragung dieser
Sprüche (S. 148) begründet und eine hochverrätherische Verletzung
ihres Geheimnisses mit der Strafe der Vatermörder und Tempel-
* Schänder zuerst bestraft hatte. Nie durften diese Sprüche anders
als auf Befehl des Senats befragt werden.
Von einer Verehrung des Apollo in Rom erfahren wir aus
sicherer Nachricht erst zur Zeit der Decemvirn, doch darf man
wegen des engen Zusammenhanges seines Dienstes mit der Sibylli-
nischen Weissagung ein höheres Alterthum ohne Bedenken annehmen.
Und zwar ist es auch hier neben der Weissagung der andre Grund-
gedanke dieser Religion, die Heilung von leiblichen und geistigen
Schäden, mit denen uns Apollo zuerst entgegentritt, bis in späteren
Zeiten auch die Apollinische Musik in Rom Eingang fand. Das Zu-
trauen zur Apollinischen Inspiration wurde auch durch die in Italien
früh verbreitete Verehrung des Orakels zu Delphi 4 ) befördert, wohin
— — 1
») Virgil Am. m, 443 ff, VI, 9 ff., vgl. Ovid Met. XIV, 101 ff.
') Varro bei Lactant. I, 6, 9, vgl. Strabo VI p. 243 sq.
•) Dionys H. IV, 62, Gellius N. A. I, 19, Tzetz. Lycophr. 1278—80. Varro,
welcher zehn Sibyllen unterschied nnd die Erscheinung der Cumanischen aus
chronologischen Gründen, die aber hier nicht gelten können, unter Tarquinius
Priscus setzte, scheint gleich die erste Sammlung für eine gemischte gehalten
zu haben, wie es die spatere wirklich war, s. bei Lactant. I, 6, 7, vgl. Serv.
V. A. VI, 36, Plin. H. N. XIII, 88.
4 ) Schatzhäoser von Caere und Spina zu Delphi, s. Strabo V p. 214. 220,
vgl. Herod. I, 167. Eine spätere Sendung der Römer nach Delphi ist die nach
der Schlacht bei Cannä, wo der Annalist Q. Fabius Pietor theilnahm, s. Liv.
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302
DRITTER ABSCHNITT.
bekanntlich auch Rom seine Sendungen schon zur Zeit der Vertrei-
2«8 bung der Tyrannen, dann während der Belagerung von Veji gerichtet
haben soll. Den sühnenden und heilenden Apollo aber verehrten
die Römer so allgemein und vorzugsweise 1 ), daß auch die Vestali-
schen Jungfrauen beteten: Apollo Medice, Apollo Paean!, offenbar
weil die Sibyllinischen Sprüche und der Cultus der für sie bestimmten
Decemvirn den griechischen Gottesdienst am meisten von dieser
Seite empfahlen. Auch der häufige Gebrauch des Apollinischen Lor-
beers 2 ) in Rom und andre Spuren deuten darauf, dafs Apollo in
Rom vorzüglich in dieser Eigenschaft des äXs&xaxog Eingang fand.
Selbst die älteren Namen des römischen Apollo hängen mit dieser
Auffassung und Herkunft seiner Religion zusammen. Die Etrusker
nannten den griechischen Gott, den auch sie als Licht- und Heilgott
allgemein verehrten, Aplu, eine Form des Namens, welche sich in
Griechenland bei den Tbessalern im Gebrauch erhalten hatte. Die
Römer aber gebrauchten die in älterer Zeit bei den Griechen des
südlichen Italiens herkömmliche Form Apello, die sie im Sinne ihrer
Sprache vom Abwenden der Krankheiten und andrer Uebel ver-
standen 3 ). Oder sie machten sich den fremden Namen dadurch
verständlicher, dafs sie ihn im Sinne des offenbarenden Orakelgottes
umbildeten, so dafs aus Apello Aperta wurde, wie aus Persephone
Proserpina 4 ). Von der später recipirten Form Apollo bildete man
XXII, 57, XXIII, 45, XXVIII, 45, Appian Hannib. 27. Vgl. auchLiv. XXXVIII,.
48, XLV, 27.
!) Macrob. S. I, 17, 15. In den Indigitamenten des Numa fehlte Apollos
Name, s. oben S. 134, 1. Auf die Verehrung des sühnenden Apollo deutet
auch die Uebei tragung der Reliquien des Orest von Rhegiuui nach Aricia und
von dort nach Rom, s. Hygin. f. 261, Serv. V. A. II, 116, VI, 136. [Spuren
des Heilsgottes Apollo im Kult der Provinzen des römischen Reichs: vier
Danksagungen zu Aquae caldae in Hisp. Tarrac. C. 1. L. 3, 4487 ff.; ein Veteran
ex iussu dei ApolUnis fontem Aeterni restituü (gef. im ,Römerbrunnen', Karls-
burg) 3, 990?]
*) [Der Lorbeer — das Wort in ums noch unerklärt — ist nach Hehn 's
Hypothese (Hausthiere und Kulturpflanzen * 197. 525) mit dem Kult des Apollo
nach Italien gekommen. Danach müssten Laurentum und die alten, später
abgeholzten laureta (maius, minus) in Rom jünger sein.]
■) Paul. p. 22, Macrob. I, 17, 14.
4 ) Paul. p. 22 Aperta idem Apollo vocabatur, quin patente coriina responsa
ab eo dentur. Vgl. Ritsehl im Rh. Mus. f. Philol. XII 1857 S. 106 f. nnd 476 f.
[Op. 2, 492. 514]. In einem vermuthlich Ennianischen Verse bei Cic. de Divin.
I, 21, 42 heifst es noch: ut se edoceret öbsecrans Apollonem. Vgl. die Form
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APOLLO.
303
zunächst den Genitiv Apollonis, bis später Apollenis und Apollinis
das Gewöhnliche wurde.
Die erste Spur eines Apollinischen Heiligthums, etwa eines
Lorbeerhains, findet sich wie gesagt in der Zeit der Decemvirn,
und zwar in derselben Gegend, wo später der Flaminische Circus
und das Theater des Marcellus erbaut wurden, eine Gegend die
eigentlich Vorstadt war, aber sich aufserordentlich schneU bevölkerte 1 ). 269
Zwanzig Jahre später, in den Zeiten des Militärtribunats, wurde bei
einer Pestilenz auf Geheifs der Sibyllinischen Sprüche auf derselben
Stelle der Tempel des Heilgottes Apollo gelobt und vier Jahre darauf
(429 v. Chr.) eingeweiht*): ein geräumiger Tempel, welcher oft zu
Senatssitzungen benutzt wurde und aufeer dem Bilde des Apollo
gewifs auch die seiner Mutter und seiner Schwester enthielt, übri-
APOLONES bei Or. n. 1433 [= C. I. L. 1, 187J, APOLENEl auf einem Stein
im Hai. von Pisaurum [das. 167], APOLINKI Henzen 5700 [Rom, das. 562],
APOLONei, Präneste, das. 73, Ritsehl Op. 4, 512 f., vgl. Mommsen Bull. 1862,
39, APOLONE, Cales, Ritsehl Op. 4, 520, APOLO prän. Ciste Moa. dell' ist. 9
T. 58. 59. Dazu kommeu die etruskischen Formen Apulu, Aplu (Corsseu Sprache
d. Etr. 1, 817). Die archaischen lateinischen Denkmäler, ohne Ausnahme, kennen
also nur die wahrscheinlich altgriechische Grundform 'AnolXwv (z. B. sparta-
nisch; vgl. jetzt noch die archaische Inschrift von Metapont, Notizie 1880, 190
T. VI, 4), nicht die wahrscheinlich lokale Nebenform % An4ll*>v: auf letztere
das ganz vereinzelte Aperta der Glosse des Festus zurückzuführen ist sprach-
lich unmöglich (Jordan Krit. Beiträge S. 17 ff.); eher könnte es, wie VVelcker
(Götterl. 1, 460) schon bemerkt, griech. äntfyxins sein. Doch fehlt für dies
Wort ein Beleg aus alter Sprache]. Der pythische Apoll hiefs lateinisch Putins,
Placidi gl. p. 492 [p. 74 D. and so die Inschr. C. I. L. 1, 562 (Delphi); später
Pythius Wilm. Ex. 139. 874).
») Liv. III, 63 vi prata FUnninia, tibi nunc aedes Apollinis est, iam tum
Apoll inarein appellabant, avoeavere senatum. Es ist wohl hinzuzudenken
lue um. [apollinare der Veroneser Palimpsest, apollinarem, apollinarum die
übrigen; jenes ist richtig und langst durch Vermuthung hergestellt. Ein
zweites Apollinar bat man durch tionjectur in die Sacra argeorum hinein-
gebracht. Varro 5, 52: adversum est Apolinar eis (pilonarois F.) aedem
Salutis; wohl mit Recht: Jordan Top. 2, 265 f.]
•) Liv. IV, 25 Aedis Apoltini pro valetudine populi vota est etc. Der
bei Liv. VII, 20 erwähnte Tempel ist wahrscheinlich derselbe, auch der T.
Apollinis Medici bei Liv. XL, 51, wo wobl zu lesen ist: et post Spei ad
Tiberim {et ad) aedem Ap. M. [S. Becker Handb. 1, 59, 2, 1, 400. Sieber ist
dafs es zur Zelt des Cicero, also vor Gründung des palatinischen Heiligthums,
nur eine aedes Apollinis gab (Ascon. in Cic. in Top. cand. p. 81 S. u. K. ,
also den Tempel ad theatrum Marcelli, dessen Gründungstag, 23. Sept., der
Arvalkalender allein erhalten hat.]
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DRITTER ABSCHNITT.
gens bis August der einzige dieses Gottesdienstes geblieben ist. Bald
darauf, seit dem Jahre 399 v. Chr. beginnen die L < tisternien in
Rom, auf deren oft wiederholte Feier der Apollinische Cultus gleich-
falls einen bestimmenden Einflufs ausübte; namentlich ist die all-
gemeine Heiterkeit, Versöhnlichkeit und Gastlichkeit, mit welcher
diese Lectisternien in älterer Zeit von Haus zu Haus begangen
wurden, ein Grundzug der Apollinischen Sommer- und Erndtefeste
Endlich, aber erst 200 Jahre später (212 v. Chr.) wurden auch
Apollinarisen« Spiele in Rom eingeführt, wie sie bei den Griechen
als Pythien so weit verbreitet waren. Die Veranlassung gaben der
schwere Krieg mit Hannibal und die Sprüche eines berühmten Sehers
der italischen Vorzeit, des Marcius [unten zu S. 339], welche kurz
vorher sehr vernehmlich auf die Niederlage bei Cannä gedeutet
hatten. Jetzt empfahlen sie Spiele des Apollo als ein sichres Heil-
mittel gegen den Feind, „dieses garstige Geschwür im Leibe Italiens",
und zwar sollten diese Spiele in aller Lust und Heiterkeit (comiter)
gefeiert und die Kosten durch eine Collecte von Haus zu Haus ge-
deckt werden, der städtische Prätor ihnen vorstehen, die Sibylli-
nischen Decemvim aber das Opfer nach griechischem Ritus ver-
richten 2 ). Es war grade die Zeit wo Hannibal Tarent eroberte und
270 wieder bis Campanien vorrückte, während Hasdrubal von Spanien
her mit dem Einfall in das obere Italien drohte. Apollo, der Arzt,
der Abwender, sollte auch in dieser Noth helfen, und er half wirk-
lich, nachdem man das Opfer in der vorgeschriebenen Weise dar-
gebracht und. die Spiele im Circus Maximus aufgeführt hatte, wobei
das Volk mit Lorbeer bekränzt zuschauete und die Matronen für
Alle beteten: wieder ein sehr festlicher und heiterer Tag, der wie
jene Lectisternien mit Familienschmäusen und offenen Thüren durch
die ganze Stadt gefeiert wurde. In den folgenden Jahren wurden
dieselben Spiele von dem Prator von neuem gelobt und gehalten,
bis sie endlich im J. 208 v. Chr. auf Veranlassung einer Pest ein
») Vgl. oben S. 150 und Liv. V, 13 tota lirbe patentibtu ianuis promis-
cuoque usu rerum omnium in propatulo positU noios ignotosque passim advenas
in hospitiurn duetos Jerunt et cum inimicis quoque benigne ac comiter sermones
habitos , iurgii* ac litibwt temper at um , vinctU quoque dempta in eos dies vin-
cula; religione deinde fuisse, quibus eam opem dei tulissent, vinciri. So mögen
von den Griechen die Theoxeoien, die Metageitnien und ähnliche Feste des
Apollo begangen sein.
») Liv. XXV, 12, Macrob. I, 17, 27 ff. (bei beiden ist nach ApoUini zu
ergänzen et Dianae), vgl. Liv. XXVI, 23, XX VII, 11. 23, Paul. p. 23.
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APOLLO. 305
für allemal gelobt und auf den 13. Juli 1 ) verlegt wurden, immer
unter der Oberaufsicht des städtischen Prätors. Man stritt sich
später ob diese Spiele das erstemal des Sieges oder des Wohlseins
wegen (victoriae an valetudinis ergo) gelobt worden waren, da eigent-
9 lieh beide Meinungen Recht hatten, denn Apollo der Gott des Heils
ist als solcher auch der Gott des Siegs, wie dieses ja auch in jenem
Spruch des Marcius sehr bestimmt angedeutet wurde 8 ). Doch ist
es interessant bei dieser Gelegenheit eine Legende kennen zu
lernen, welche den Glauben an die schnelle Hülfe des Heilgottes
und liiitzi.il i\|iolIo T den die Joni€i ( 1 ^_ .s 1 1 ii 1 1 ^ til^ ^$ (j ) d ' 'j j.i i o Ui v^j
ehrten, gleichfalls gut ausdrückt. Das Volk habe eben bei diesen
Spielen gegessen und dem gesticulirenden Gesänge eines alten Mimen
zugehört, als es plötzlich durch alle Reihen hiefs: der Feind ist vor
der Stadt. Alles eilt nun schnell hinaus und dem Feinde entgegen,
siehe! da stürzt eine ganze Wolke von Pfeilen herab auf die Feinde,
so dafs diese eilig umkehren und die Römer eben so eilig zu den
Spielen des Helfers in der Noth (dei sospitalis) zurückkehren konnten 8 ).
Ja jener alte Mime hatte die ganze Zeit über unverdrossen fort- «ti
getanzt und fortgesungen, so dafs die Spiele nicht einmal instaurirt
> zu werden brauchten. Eine Erzählung die auch insofern zu beachten
ist als daraus erhellt, daL? diese Apollinarischen Spiele gleich von
Anfang an sowohl scenische als circensische waren. Auch sind sie
jedenfalls bald nach den römischen Spielen und den Megalesien mit
dramatischen Aufführungen verbunden worden, da schon im J. 179
v. Chr. von der Erbauung eines Thealers und eines Prosceniums
beim Tempel des Apollo die Rede ist und zehn Jahre später, kurz
vor dem Tode des Ennius, dessen Thyest bei den Spielen des Apollo
zur Aufführung kam 4 ). Der gewöhnliche Schauplatz der circensischen
*) Friedländer bei Marquardt IV, 493 [3, 480].
") Höstes Ii Oman i si ex agro ex pell er e vultis , Vomiea qua« gentium
*) Macrob. I, 17, 25, Fest. p. 326 Salm res est dum caniat senex, ein aas
diesem Vorfall entstandenes Sprichwort. Die welche auch bei diesen Spielen
aa den Heilgott Apollo dachten, beriefen sich auf die Zeit mitten im heifsen
Sommer. Die bei Festns 1. c. erwähnten parasiti Apollinis sind die für seine
Spiele eingesetzten Schauspieler, Mimen u. s. w., deren Zunft zu seinem Tempel
in einem ähnlichen Verhältnisse gesunden zu haben scheint wie die der Pfeifer
und der Dichter zu dem der Minerva auf dem Avenlin, s. Friedländer bei
Marquardt IV, 533 [Staatsverw. 3, 517].
Ui 4 ) Cic. Brut. 20, 78, vergl. Liv. XL, 51 und Ritsehl Parerga S. 217. 291.
Prell er, Rom. MythoL I. 3. Aufl. 20
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306
DRITTER ABSCHNITT.
Spiele des Apollo war nachmals der Circus Flaminius, welchen C, Fla-
minus zwei Jahre vor der Schlacht am Trasimenischen See angelegt
hatte. Wie alle Spiele in Rom, so haben auch diese sich mit der
Zeit immer weiter ausgedehnt, bis sie nach den vorhandnen Kalen-
dern vom 6. Juli bis zum 13. gefeiert wurden, nur dieser letzte Tag
im Circus.
Also wurde Apollo seit dem zweiten punischen Kriege in dem
ganzen Umfange seines Wesens zu Rom verehrt, als Sühn- und
Heilgott, in welcher Hinsicht der einheimische Vejovis je länger desto
mehr hinter dem gleichartigen griechischen Gottesdienste zurücktrat,
als Orakelgott und als festlicher Gott der Musik und der heiteren
Lebensfreude, obgleich auch der römische Apollo, wenn er gereizt
wurde, ein strenger und eifriger Gott sein konnte '). Manche Neue-
rungen brachte die Zeit des Sulla, unter dessen Vorfahren der erste
welcher den Namen Sulla führte als einer der Sibyllinischen Decem-
virn die Stiftung der Apollinarischen Spiele vorzüglich betrieben und
darüber eben jenen Namen bekommen hatte 2 ). So war auch der
Dictator Sulla ein abergläubischer Verehrer des Apollo aXe^ixaxoq y
von dem er ein kleines goldnes Bild, welches aus Delphi stammte,
in den Stunden der Schlacht bei sich zu tragen pflegte; was ihn
übrigens nicht abhielt das Orakel zu Delphi, dessen Ansehn freilich
272 damals sehr gesunken war, schonungslos zu plündern 3 ). Eine sehr
verhängnifsvolle Katastrophe war dann auch für die Sibyllinischen
Sprüche und den Apollodienst jene Feuersbrunst, welche im J. 83
v. Chr. den Capitolinischen Tempel und mit ihm die ältere Samm-
lung der Sprüche verzehrte. Alsbald wurden Boten in alle Welt
ausgesendet, um in Italien, Sicilien, Afrika, Samos, Uium, vorzüglich
aber in Erythrae Alles was von Sibyllinischen Sprüchen in Apolli-
nischen Tempeln oder bei Privaten aufzutreiben war zu sammeln
*) Vgl. Valer. Max. I, 1, IS, Appiao. Puo. 127. Weniger Umstände machte
mao mit einem alten Bilde des Apoll, welches nach dem plötzlichen Tode des
jüngeren Scipio drei Tage lang weinte. Dio Cass. fr. 84.
*) Macrob. I, 17, 27, vgl. Charis. I, 18, 20 [p. 110 K.J and Serv. V. A. VI,
70, welcher diese Ueberlieferuug falsch verstanden hat. Daher auf einem As
des P. SVLA an der prora navis der Kopf der Sibylla angebracht ist [Borghesi
Oeuvres 1, 161, Mommsen Münzw. S. 510J. Auf dem römischen Forum befandeo
sich in der INähe der Rostra drei eherne Bilder der Sibylla, die man für sehr
alt hielt, Plin. H. N. XXXIV, 22.
>) Plut. Sulla 12. 29, Valer. Max. I, 2, 3. Vgl. Cic. de Divioat. I, 19,
II, 57.
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APOLLO.
307
und zu sichten, woraus eine neue Sammlung sehr gemischten In-
halts in mehreren Büchern entstand l ), unter welchen nur die Sprüche
der erythräischen Sibylle bestimmter nachweisbar waren, da dieselbe
sich in dem Vorworte ihrer Weissagungen ausdrücklich nannte und
sich dabei zugleich ihrer Abkunft aus Babylon rühmte. Schon dieses
weist nach dem Orient ; auch ist nicht zu verkennen, dafs mit dieser
neuen Sammlung auch sonst manche Elemente orientalischer Weis-
sagung und Anschauung nach Rom kamen, selbst monotheistische
Ueberzeugungen und messianische Hoffnungen, welche bald deutlich
verlauteten. So war nun auch von Apollo in einem ganz andern
Sinne die Rede ; er wurde mit dem orientalischen Sonnengotte identi-
iicirt und in dem bevorstehenden zehnten und letzten Weltalter eine
Herrschaft des Apollo in diesem Sinne geweissagt, welche später
Augustus gerne auf sich anwenden hörte*). Auch die Vermehrung
des Gollegiums der Sibyllinischen Zehnmänner um fünf Stellen scheint
aus dieser Zeit zu stammen, desgleichen die völlige Verschmelzung
dieses Priesterthums mit dem Apollinischen Gottesdienste, daher sie
von diesem nun auch die Insignien des Lorbeers, des Dreifufses,
des Delphins und des Raben annahmen 3 ).
Einen neuen Aufschwung nahm der Dienst des Apollo in Rom 273
unter August. Dieser Fürst verband mit einer griechischen Bildung
eine persönliche Vorliebe für diesen Gottesdienst, welche zum Theil
auf älteren Traditionen seiner Familie beruhen mochte 4 ), bei ihm
*) Vgl. Dionys. H. IV, 62, welcher sich auf Varros Untersuchungen be-
zieht, und Tacit. Ann. VI, 12. Sprüche von stark monotheistischer Färbung
führen Justin. M. Coh. 16 u. Lact. I, 6 an, vgl. Aug. C. D. XVIII, 23 und die
Audeutuug einer der römischen Staatsreligion gefahrlichen Tendenz bei Cic.
de Divin. II, 54, 110. Auch jüdische Weissagungen hatten sich in diese spätere
Sammlung eingedrängt, sowohl aus Palästina als aus Alexandrien, s. Pausan.
X, 12, 5.
2 Vgl. Virgil in der bekannten, wahrscheinlich gegen Ausgang des J. 4"
v. Chr. gedichteten Ecl. IV, 4 und dazu Servius. Die Vertheilung der ver-
schiednen Weltalter an verschiedne Götter stammt aus der ägyptischen Theo-
logie, s. Nigidius Figulus bei Servius zu vs. 10. Auch Horaz in dem Carmen
Seculare identiiieirt Apollo mit Sol, Diana mit Luna.
>) Arnob. IV, 35, Serv. V. A. III, 332. Vgl. die M. des L. Torqoatus in
vir mit dem K. der Sibylle und dem Dreifufs und Eckhel D. N. VI p. 816
[Borghesi Oeuvres 1 , 345 ff.].
4 ) Vgl. den Gentilcult des Vejovis — Apollo bei den Juliern, oben S. 264.
Einige erklärten den Namen der Cäsaren und die traditionelle Verehrung
des Apollo von einer Geburt durch den Kaiserschnitt, s. Serv. V. A. VII,
761, X, 316.
20*
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308
DRITTER ABSCHMTT.
und seinen Verehrern aber um so mehr Anklang fand, als die
Erfahrungen seines Lebens und seine persönliche Erscheinung in
mancher Hinsicht einen besondern Schutz des hebten Gottes zu
bestätigen schienen. Schön und jung trat er in das durch Casars
Ermordung von neuem aufgeregte Römerreich als Ordner und
Friedensstifter, und als nun vollends der unter den Augen des
Aktischen Apollo gewonnene Seesieg über Antonius und Kleopatra
seine Alleinherrschaft entschieden hatte 1 ), nahmen sowohl die my-
thologischen Huldigungen der Dichter als Augusts wohlberechnete
Stiftungen zu Ehren seines Schutzgottes einen immer kühneren An-
lauf. Die Dichter combimrten die alte Weissagung von der Herr-
schaft der Aeneaden mit dem Bilde des troischen Apollo, wie ihn
die Ilias und die troische Sage schilderte, als den mächtigen Schutz-
gott des alten Troja, der Aeneas gerettet, Achill getödtet und seinen
Schutz nun auf Rom, das neu erstandene Troja, und auf seineu
Liebling Augustus übertragen habe 3 ). Die Schmeichler gingen einen
Schritt weiter und behaupteten geradezu, dafs Apollo der wahre
Vater des August sei, welcher seinerseits gerne auf solche Fictionen
einging, indem er sich bald in Apollinischer Haltung und mit Apol-
linischen Attributen darstellen lieft, bald wohl gar selbst als Apollo
auftrat 3 ). Dazu kam die Verherrlichung des Apoll durch die Stif-
») Vgl. Virgil Acd. VIII, 704 in der poetischen Beschreibung der Schlacht
bei Actiam: Actiut haec cernens arcum int endebat Apollo desuper etc. uod
Propert. V, 6, 29 cum Phoebus — astitü Augusti pupp im super et novo
jlamrna luxü in obliquam ter sinuata facem.
s ) Horst. Od. IV, 6 ad Apollinem, ein prooemiom des rannen seculare.
wo dieses geflissentlich hervorgehoben wird. Achill würde Troja zerstört
haben , ni tuis vietus Fenerisque gratae voeibus Divom pater annuisset rebus
Aeneae potiore duetos alüe muros, ganz im Sinne der griechischen Sage, s. m.
Griech. Mythol. 2, 308 [438 der 2. Ausg.]. Bei Virgil Aen. Vi, 69 ff. erscheint
sogar die Erbauung des T. des Palatinischen Apoll wie die Lösung eines
Gelübdes des Aeneas, vgl. Serv. zu. v. 69. [Apoll und Diana, schon zur
Zeit der actischen Spiele (unten), dann bei den Säcularspielen gefeiert, auf
dem Panzer der Statue von Prima Porta dargestellt (neben Ca c Jus und Tellus):
Köhler Annali doli' inst. 1863, 448. Vgl. Horaz C. I, 12 mit den Auslegungen
von 0. Jahn Hermes 3, 182 und Reifferscheid Ind. lect Vratial. 1870/71
p. 6 f.]
•) Sueton Octav. 70, vgl. Serv. V. Ecl. IV, 10 tangü Augustum, cui
simulacrum factum est cum Apollinis cunetis insignibus. Co nun. Cruq. Hör.
Ep. I, 3, 17 Palatinus Apollo dictus est a monte Palatino, ubi Caesar in bibli-
otheca sibi statuam posuerat habitu ac statu Apollinis. [Eine Wiederholung
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APOLLO. 309
tung neuer Tempel, Tempelbilder und Spiele, sowohl zu Ehren des 274
Aktischen Apollo, welchem gleich nach jenem am 2. Septbr. des
J. 31 v. Chr. gewonnenen Siege die Aktien, ein nach griechischer
Weise mit musischen und gymnische« Spielen und mit Wettrennen
alle vier Jahre zu begehendes Kampfspiel gestiftet und der Tempel
erweitert und mit den Spolien der Schlacht umgeben wurde, als zu
Ehren seines speciellen Schutzgottes d. h. des Palatinischen
Apollo, welcher seit August zu den angesehensten Göttern in Rom
gehörte. Schon vor der Schlacht bei Actium hatte August, als er
sich auf dem Palatium ein Haus baute und der Blitz in dasselbe
einschlug, den Platz zu einem Tempel des Apollo bestimmt, welcher
nun vollends nach dieser Schlacht, unter dem Eindrucke so aufser-
ordentlicher Ereignisse mit der gröfsten Pracht und allen Hülfsmit-
teln der damaligen Kunst ausgeführt wurde 1 ). In den Umgebungen
des Tempels sah man die Bilder der Danaiden und der Aegyptiaden,
welche vermuthlich gleichfalls an die Niederlage Aegyptens erinnern
sollten, in dem Tempel die Statue des Apollo zwischen Latona und
Diana, welche letztere den Namen Victrix führte, da Augustus ihr
einen ähnlichen Antheil an dem Siege über S. Pompejus zuschrieb*)
der Note des sog. Acron, die ebenso wie die des Servius auf Mifsverständoifs
der Dichterstelleo beruht. Sueton spricht aar von einem Stadtklatsch: es
hiefs er habe ein Zwölfgöttermahl gehalten et ipsum (discubuüse) pro ApolUne
ornotum. Sicher hat er sich nicht bei Lebzeiten wie die spätem Kaiser als
Gott darstellen lassen.]
«) Vellei. Pat. II, 81, Sueton Octav. 29, Dio XLIX, 15, vgl. Becker
Handb. I, 425. Im J. 28 wurde er eingeweiht, wie es scheint am Jahrestage
der Schlacht bei Actium, da gleichzeitig die Feier der Actischen Spiele
in Rom eingesetzt wurde, s. Dio LIII, 1, daher auch Propert. V, 6 in dem
Gedichte vom Palatinischen Apoll zugleich von der Schlacht bei Actium singt.
Die vierte Feier dieser römischen Aktien erwähnt Dio LIV, 19, eine spätere
LIX, 20, Stat. Silv. II, 2, 8, Or. n. 2633 u. A. [Ueber die ur tischen Spiele
{dctiaca?) , auf die sich wahrscheinlich Horaz C. I, 21 bezieht, Mommsen zu
Res g. d. Aug. S. 25, Friedlander Darstell, a. d. Sitteng. 2 3 , 461. 615.]
*) Eckhel D. N. VI p. 93 sq. Ueber die Ausstattung des Tempels [dessen
Ueberreste in der jetzt französischen Nonnen gehörigen Villa Mills (Spada)
zu suchen sind] s. 0. Müller Handb. d. Arch. § 125, 4, 361, 4, 0. Jahn Archäol.
Aufs. S. 22 ff. Da der Tempel nach dem Neronischen Brande von Domitian
neu erbaut oder restaurirt wurde (Tacit. Ann. XV, 39, Martini XII, 3, 7) und
unter Commodus ein neuer Brand den kaiserlichen Palast verheerte (Dio LXXII,
24), wird auch die Tempelstatue später nicht mehr dieselbe gewesen sein;
und wirklich ist auf den Münzen des Commodus das Bild des Palatinischen
Apoll ein andres als auf den früheren. Um so schwieriger ist es den Bei-
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310
DRITTER ABSCHNITT.
wie dem Apoll an dem über Antonius und Kleopatra: lauter Werke
berühmter griechischer Meister, denen sich ähnliche Kunstschätze
in der benachbarten Bibliothek anschlössen. Ferner wurden seit
dem J. 12 v. Chr., nachdem auch das Pontificat an Augustus über-
gegangen war, die Sibyllinischen Spräche nicht mehr auf dem
Capitol, sondern in diesem Tempel des Palatinischen Apollo auf-
276 bewahrt, nachdem August nochmals eine strenge Sichtung derselben
vorgenommen und eine grofse Menge verdächtiger Sprüche, die sich
immer von neuem einschlichen, hatte verbrennen lassen 1 ). Die
natürliche Folge dieser Einrichtung war, dafs auch die Quindecimvirn
von nun an speciell die Diener des Palatinischen Apollo wurden,
wie dieses besonders in einem Gedichte des Tibull (II, 5) aus-
gesprochen ist, mit welchem er den ältesten Sohn seines Gönners
Messala bei seiner Aufnahme in das Collegium der Quindecimvirn
begrüfste. Mithin war dieser Apollo zugleich der Gott des Heiles
und des Sieges, wie der alte römische und der Aküsche Apollo, und
der der Weissagung und der musischen Künste, in welchem Sinne
der Tempel und die Tempelstatue ausgestattet waren; vorzugsweise
aber doch auch er wieder der alte Heilsgott, worin zugleich der
wahre Grund des hervorragenden Antheils zu suchen ist, den
Augustus dem Palatinischen Apollo an den von ihm im J. 17 v. Chr.
neu eingerichteten Secularspielen einräumte. Hatten diese Spiele
nehmlich früher nur den Göttern der Unterwelt gegolten, so ver-
schmolz zuerst Augustus mit diesem Culte den der himmlischen
Götter, namentlich des allen (kapitolinischen Jupiter und des neuen
Palatinischen Apollo, offenbar weil diese beiden Götter unter den
himmlischen die vornehmsten Heilsgötter waren und die Ideen jenes
Festes damals und früher vornehmlich die der Heilung und Sühnung
aller alter Schäden gegenüber einer neuen Zukunft waren. Auch
werden solche Vorstellungen deutlich in dem bekannten Secular-
Gedichte des Horaz ausgesprochen, welches durch dieselben Secular-
namen Ap. Hhamnusius zu erklären, der nur aas den Regionen bekannt ist,
s. m. Reg. S. 182. [Dieser Apollo hiefs Rhamuasius , weil seine Statue, ein
Werk des Skopas, deren Replik nach £. Q. Visconti der vaticanische Apollo
Citharödus ist aus Rhamnus herstammte, s. L. Ulrichs Skopas Leben und
Werke, Greifswald 1863, S. 67 f. Beschreibungen bei Tibull II, 5 Properz II, 31.]
*) Sueton Octav. 31, vgl. Dio L1V, 17 und die Anspielungen bei Virgil
Aen. VI, 69 ff. mit Servius zu vs. 72, so wie die epikritischen Maafsregeln
Tibers bei Tacit. Ann. VI, 12 und Dio LVII, 18.
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APOLLO. 311
spiele des August veranlaßt und zum Vortrage im Tempel des Pala-
tinischen Apollo am dritten Tage des ganzen Festes bestimmt war *).
Neben dieser neuen Stiftung blieb aber auch jener alte Dienst
des Apollo vor der porta Carmentalis immer sehr angesehn; ja es
scheint dafs dieser alte Tempel zur Zeit des August von C. Sosius,
welcher unter Antonius Befehlshaber in Syrien und Cilicien war, 279
kunstvoller ausgebaut und bei der Gelegenheit mit einem neuen, von
Seleucia nach Rom geführten Bilde des Apoll von Gedernholz und
jener berühmten Gruppe der Niobiden ausgestattet wurde, um derent-
willen Sosius und sein Tempel seitdem so oft genannt ist 2 ). Audi
die Apollinarischen Spiele wurden fortgesetzt gefeiert, sowohl die
circensischen als die scenischen 3 ). Daneben beweisen manche hin
und wieder erwähnte Bilder und Heiligthümer des Apoll 4 ), dafs
«) Horat. carm. sec. 37 ff. und 61 ff., Od. I, 21, 13 Mb bellum lacrünosum,
hic miseram Jameln pestemque a populo et principe Caetare in Persas atque
lir Hannos vestra motu* aget prece. Vgl. Zosimus II, 1 owttltt öl nqos
loifxvüv xal f&oQUJV xal voocuv äxious und 4, wo es von August heilst, er
habe das Fest aus denselben Gründen erneuert. Anders erklärt den Zusam-
menhang K. F. Hermann de loeo Apollinis in carminc Horatii seculari,
Gott. 1843.
») Plin. H. N. XIII, 53 XXXVI, 34, wenn dieser Tempel wirklich mit
jenem alten identisch ist. Es konnte auch ein kleinerer Tempel in der Nähe
des gröfseren gewesen sein , vorzüglich zur Aufnahme jener seltnen Kunst-
werke bestimmt. [Doch widerspricht dieser Annahme Asconius in der oben
a. Stelle: Jordan Hermes 9, 342. 14, 578.]
») Von einer Feier des Agrippa, als er Prätor war, s. Dio XLVIJI, 2i>,
von einer Feier der circenses Apollinares unter Antoninus Pius, bei welcher
der Circus einstürzte, Catal. Imper. p. 647, lul. Capitol. Antonin. P. 9. Auf
scenische Apollinares scheint sich die Terracotta bei D'Agincourt Ree. de
fragm. de sculpt. en terre cuite, P. 1814 Titelv. zu beziehn, vgl. 0. Jahn
Archäol. Beitr. S. 209.
«) Der Ap. Sandaliarius und Tortor d. i. der Schinder des Marsyns
gehörten zu den von August und Agrippa an deu Kreuzwegen und Wasser-
bassins aufgestellteg Kunstwerken, s. Sueton Octav. 57 und 70 [Jordan Hermes
4, 231]. Andre Bilder befanden sich bin und wieder in den Tempeln und
Hallen, darunter Apollo und die neun Musen in einem eignen T. bei der
Halle der Octavia oder jenem alten Tempel, s. Plin. XXXVI, 34, Iuvenal. VII,
37, Martial. XII, 3, 9. Ein Apollo Monetae wird genannt auf Münzeu
des Commodus, eine area Apollinis bei den Regionariern [Notit R. I. vgl.
Jordan Forma urbis zu T. I, 1]. Der Heilgott Apollo, Salutaris, Con-
servator etc. wird auf den Münzen des Caracalla und der späteren Kaiser
oft genanut und scheint mit dem älteren Palatinus identisch zu sein, daher
bisweilen neben ihm die Diana Victrix erscheint, s. Eckhel D. N. VII p. 212.
357. 372. 383. 395.
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312
DRITTER ABSCHNITT.
dieser Gott vollends seit August zu den beliebtesten in Rom gehörte
und sowohl den Sinn für Kunst und Bildung vielfach anregte als
in schlimmen Zeiten die beängstigten Gewissen zu trösten wufste.
Erst das zunehmende Gewicht des orientalischen Sonnendienstes und
die mit der Zeit immer rücksichtsloser durchgeführte Tendenz, die
individuellen Bilder und Gestalten der Götter in die Abstraction all-
gemeiner Weltmächte aufzulösen, scheint den griechischen Apollo
allmählich in den Hintergrund gedrängt zu haben. Am längsten
dauerte das Ansehn des Palatinischen Apoll und der Sibyllinischen
Sprüche, welche noch zur Zeit des Aurelian mit eifrigem Glauben
befragt und unter Julian bei einem Brande des Tempels mit grofser
Mühe gerettet wurden, bis sie endlich in der Zeit, da Rom von den
Gothen und andern Barbaren bedrängt war, in solchem Grade eine
Quelle des Aberglaubens und schädlicher Aufregung wurden, da ('s
Stilicho sie verbrennen liefs 1 ). Noch ist zu bemerken dafs in den
sinkenden Zeiten manche Götter der nördlichen Völker, vorzüglich
der Celten, mit dem Namen Apollo genannt werden, welche auf eine
weite Ausbreitung des Sonnendienstes auch in diesen Gegenden
schliefsen lassen, namentlich Apollo Grannus und Belenus').
6. Diana.
Diana, später gewöhnlich nach Art der griechischen Artemis
an der Seite Apollos verehrt, ist in Italien ursprünglich eine von
diesem unabhängige, alteinheimische Göttin, wie darauf schon der
Name deutet, welche in der weiblichen Form dem männlichen Ianus
l ) Vopisc. Aurel. 18. 19, Ammion. Marc. XXIH, 3, 3 Claudian bell. Gel.
228, Rutil. Namat II, 52 p. 215 ed. Zumpt.
*) Beli s heilst er bei Herodia » VIII, 3, 8, als ein Hauptgott der Gegend
vod Aquileja, sonst Belenus oder Belinus, s. Tertull. Apolog. 24, ad Nat.
II, 28, nach welchem er überhaupt in INoricis verehrt wurde, vgl. J. Grimm
D. M. 579 und oben S. 240. [Zahlreiche Weihinachr. Jpoüini Bdeno oder
JUeleno (Belino) zu Aquileja C. I. L. 3, 733 ff. und sonst in den Alpen s. Ind.
p. 1178.] Ap. Grannus, oft erwähnt in rheinischen und elsassiscben In«
Schriften , ist Grannaur d. h. der Schöngelockte , s. Martin rel. des Gaulois
chap. 21 sqq. und Crenzer Deutsche Sehr. z. Archäol. 2, 120. 456. [Nach
Andern zu erklären ans dem irischen grian, Sonne, vgl. A. Maury Croyances
et legendes de l'antiquite, Paris 1863, pg. 242 ff., H. Müller in den Jahrb. des
Vereins v. A. F. im Rheinlande 33. 34, 56 ff; daselbst S. 68 ff. auch über
Belenus. Gr anno, Cainenis auf einer Inschrift im Rhein. Museum, 29, 53.J
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DIANA. 313
entspricht ')• Mithin ist sie eigentlich eine himmlische Macht und
Mondgöttin, obwohl diese erste Naturbedeutung in den uns bekannten
Gottesdiensten zurücktritt. Wohl aber bestätigt sich der allgemeine
Character der Mondgöttinnen auch bei ihr in der Uebertragung auf
das Naturleben in Feld und Busch und im feuchten Grunde, ferner
auf die durch den Mond bestimmten Wandlungen des menschlichen
Gemüths und des weiblichen Geschlechtslebens, endlich auf Jagd und
Krieg und körperliche Rüstigkeit des Mannes. Dafs Diana so gut
wie Janus bei den Sabinern verehrt wurde, lernt man aus Varro
1. L V, 74. Genauer ist die Diana der Aequer, Herniker und Latiner
bekannt, von denen jene diese Göttin seit alter Zeit auf dem rauhen,
stark mit Eichen bewaldeten Gebirge von Algidum hinter Tusculum
verehrten, welches sehr oft in den Kämpfen der Aequer und Römer
genannt wird und ehemals ein Mittelpunkt der Zusammenkünfte jener
Nation, später durch seine den römischen Pontifices gehörigen Vieh- 27s
weiden bekannt war 8 ). Ferner gab es einen berühmten Hain der
Diana in der Nähe von Anagnia, der Hauptstadt der Herniker
(Liv. XXVH, 4) und einen andern, dem ganzen Latium seit alter
Zeit heiligen und wegen seiner schönen Buchen berühmten, welcher
Corne hiels, in der Nähe von Tusculum (S. 113). Vor allen übrigen
aber war in der ganzen Nachbarschaft berühmt und gefeiert der
Hain und das Heiligthum der Diana von Aricia am See von
*) [Doch s. oben za S. 167 A. 2. Neben dem archaischen Diana erscheint
in der Kaiserzeit, aber doch verhältnifsinäfsig selten und auf Denkmälern der
Volkssprache, die Form Deana (so in Rom C. L L. 6, 118. 122. 132. Or.
Henz. 5704. 7302; Mailand C. 1. L. 5, 5763, bei Chieti Notizie 1880, 254,
Köln Or. Henz. 6598; unsicher Deanae Ephesiae auf der monumentalen Inschr.
3, 424), Iana nur in der unsichern Stelle Varro de r. r. I, 37, 3 (denn die
Fiction des Nigidius Macr. S. I, 9, 2 bezeugt INichts), während andrerseits
Dianas für lanut nicht sicher zu belegen ist (oben). Dazukommt endlich, wenn
auch vereinzelt (seit Ennius), die Messung Diana. Hiernach ist ein un-
mittelbarer Zusammenhang von Diana und Ianus kaum anzunehmen, dea
diana wahrscheinlich (von di-tu) wie dea dia, bona dea u. a. eine der 'Licht-
göttinnen', umgestaltet durch Artemis wie Minerva durch Pallas. — Es fehlt
an monographischer Behandlung auch hier. Beiworte wie lucifera, lucifera
Luna (C. I. L. 5, 3224. 7355) später Zeit haben natürlich für das Wesen
der ursprünglichen Diana kein Gewicht]
») Horat. Od. 1, 21, 6, III, 23, 9, IV, 4, 58, Carm. See. 69, vgl. Abekeo
Mittelitalien S. 215. Algidum ist die Staut, von algor und algere, Algidus
der Berg. Vgl. Virgil Aen. VU, 746 horrida praecipue cui gens assuetaque
mulio venatu nemorum duris s/equicula glebit.
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314
DRITTER ABSCHNITT.
Nemi, welcher eben von diesem Haine (nemus) seinen Namen
bekommen hat, nach welchem auch Diana gewöhnlich schlechthin
Nemorensis genannt wurde. Er lag unterhalb des heutigen Städt-
chens Nemi, das den Namen des alten Nemus erhalten hat, in
einer quellenreichen und einsam ländlichen Gegend, welche mit der
Aussicht auf den schönen und heimlichen See, den man den Spiegel
der Diana nannte (Serv. V. A. VII, 515), und seine wohlbestellten
Rebengehänge eine der lieblichsten des Albaner Gebirges ist 1 ). Neben
der Diana wurde in diesem Haine ein männlicher Daemon Virbius
verehrt, dessen Name wahrscheinlich mit dem der Viren d. h. der
Wald- und Baumnymphen zusammenhängt 8 ). Man verglich ihn mit
dem griechischen Hippolytus, den Aesculap, nachdem er durch die
wilden Rosse des Poseidon den Tod gefunden, wieder erweckt und
Diana in diesen entlegenen Hain entrückt habe, der deshalb von
Pferden nicht betreten werden durfte*). Seine Gestalt entsprach
einem in der Nähe von Aricia aufgefundenen Bilde nach zu urtheilen
279 ganz der der jagenden Waldgöttin Diana *), so dafs er also ein dieser
') [Die Inschrift eines Grenzsteins aus der Gegend von Labicam, af spe-
culu(m) Diane usque u. s. w. lehrt, wie De Rossi Ball. arch. niunic. 1, 270 IT.
zeigt, dafs auch der See von Labicam speculum Dianae hiefs: data auch dort
ein Dianenheiligthum war, folgt nicht oothwendig. Uebrigens ist zu vergl.
die Bezeichnung clibanus almae Veneris (wie Jordan Top. 2, 425 vgl. 1, 1, 392
bei dem sogen. Aethicus hinter Gronovs Mela für libantu schreibt) für die
Tiberinsel. Leber die Lage des Heiligthuins, welche auch P. noch im Text
irrig mit der der Stadt Nemi identiBcirte, ». S. 316, 3 der 3. Ausg.]
*) S. oben S. 100. Vgl. Grut. 1011, ] Dianas et Viribus »actum,
ib. 89, 9 [C. 1. L. 6, 797] Viribus sacrum, mit einem auf Jagd bezüg-
lichen Relief, Or. n. 2324 Nymphis et Viribus Augustis L. Granius etc.
— fontem et omne opus. (C. I. L. 5, 5648 Lymfis Viribus (vgl. unten VIII, 2):
diese Vires, auch die der J. C. I. L. 6, 797, haben also mit dem vires excipere
des Tanrobolienkalta nichts gemein.] Vgl. Cassiodor Orthogr. 6 [Gramm.
Lat. 7, 181] alii de um qui Viribus praesit interpretantur , was
Battmann Mythol. 2, 152 nicht richtig verstanden hat [In Bezog auf die
Etymologie von Virbius vgl. auch Pott in Kuhns Z. 8, 110. Der Zusam-
menhang mit Vires ist sprachlich kaum zulassig; eher ist verb-ena zu ver-
gleichen. — Die ältere Litteratur verzeichnet Jahn zu Per*. 6, 55.]
*) Virg. Aen. VII, 761 ff. and Servias za vs. 761, vgl. Ovid F. III, 265 lf.,
VI, 731, Metam. XV, 545 u. A. Ein flamen Virbialis wird mehrfach erwähnt,
s. Or. n. 2212 [doch s. Henz ] 4022, Mommsen I. N. n. 2456.
«) S. Uhden in den Abb. der Berl. Akad. 1818 S. 189 ff. Das bei der-
selben Ausgrabung vom J. 1791 gefundene alterthiimliche Relief, welches im
Almauach aus Rom von Sickler and Reinhart 1810 S. 85 abgebildet ist, be-
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DIANA.
315
Göttin gleichartiger Genius oder Indiges des Waldes und der Jagd
gewesen sein mufs, der zugleich für den ältesten König und Priester
der Diana galt, den ersten Rex Nemorensis, der als solcher den
seltsamen Brauch gestiftet haben soll, welcher sich auch spater er-
halten hatte. Das Priesterthum dieses sogenannten Rex Nemorensis
d. h. des Oberpriesters und Oberaufsehers bei diesem Dienste war
nehmlich nur durch blutigen Kampf zu erlangen, indem es dem-
jenigen als Preis zufiel, welcher, nachdem er von einem bestimmten
Baume im Haine der Diana einen Zweig abgebrochen hatte, den der-
zeitigen Inhaber der Stelle im Zweikampfe erschlug: eine Aufgabe
welche später flüchtigen Sklaven überlassen blieb 1 ). Dieser blutige
Gebrauch vermochte die Griechen, die Diana von Nemi mit ihrer
scythischen Tauropolos zu vergleichen, daher mit der Zeit sogar be-
hauptet wurde, dafe Orestes das Büd dieser Göttin über Rhegium
nach Aricia und in dieses Heiliglhum gebracht habe. Doch möchten
sonst wenig Berührungspunkte da gewesen sein, da die latinische
Diana im Uebrigen ganz die gute und gnädige Göttin der Natur und
des weiblichen Geschlechts, namentlich der Entbindung war; daher
auch die Nymphe Egeria in ihrer Umgebung verehrt wurde, an-
geblich dieselbe welche Rom als die beseelende Göttin und Gattin
des Numa unter den Camenen verehrte, eine Quellen-, Geburts- und
Heilgöttin, welche in diesem Haine der Diana für die Pflegerin des
Virbius galt 8 ). Für den ersten Begründer des Gultus galt nach
zieht sich aber nicht auf den Auftritt eines neuen Rex Nemorensis, sondern
es stellt nach der wahrscheinlichsten Erklärung den Mord des Aegisth dur.
Nach Ovid. Met. XV, 538 ist vorauszusetzen, dafa Virbius gewöhnlich nicht
als Jüngling, sondern als Mann gedacht wurde. Nach Serv. V. A. VII, 776
durfte sein Bild nicbt berührt werden. Der clivus Virbii bei Pcrs. S. VI, 5b
Scbol., wo die Bettler Posto zu fassen pflegten, ist vermuthlich identisch mit
dem in Urkunden des 9. und tO. Jahrb. erwähnten clivus Aricinus in der Gegend
von Genzano, in welcher Gegend auch das von Uhden besprochene Bild des
Virbius samint andern Aiterthümern zum Vorschein gekommen ist.
*) Strabo V p. 239, wo wohl zu lesen ist: vnioxaxat <T avxijs (über
Aricia), to pkv Aavoviov — iv dt£>« xrjc Idnnias ödW, — to <F Xoxeutoiov,
S xalovat Atyioc, ix xov iy aQtOttoit fjiiqovs f% 6Jov rot* i$ 'Aoixüts «va-
ßaivovaiv. r^c <T lAQtxivrfi xo Uqov liyovoiv atpfÖQV/biä xi xrjs Tavqonokov
u. s. w. Vgl. Sueton Cal. 35, Pausan. II, 27, 4, Serv. V. Aen. VI, 136, Ovid.
Met. XV, 497, A. amat. I, 259, Lucan. III, 84 ff., VI, 73, Sil. Ital. IV, 366.
Die Geschichte des Orest, welche schon bei Cato [Jordan Orig. p. 15 Proleg.
p. XLVj und Varro erzählt wurde, s. bei Solin 8, Prob. Virg. Ecl. prooem.,
Serv. V. A. II, 116, Hygin. f. 261.
') Ovid Fast. III, 273 ff., Met. XV, 485 ff., Martial. VI, 47.
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DRITTER ABSCHNITT.
280 aricinischer Ueberlieferung Manius Egerius, der Ahnherr eines be-
rühmten Geschlechts 1 ), dessen Name sich deutlich auf den frühen
Morgen und auf leichte Geburt bezieht. Nach der Zerstörung von
Alba Longa war der Hain eine Zeitlang das gemeinschaftliche Heilig-
thum von Tusculum, Aricia, Lanuvium, den Laurentern, Cora, Tibur
und den Rutulern von Ardea gewesen, und der Tusculaner Egerius
Laebius hatte den Hain der Diana gelegentlich im Namen dieser
Gemeinden als latinischer Dictator eingeweiht 2 ). Später kam die
Oberaufsicht an Rom, welches die Reliquien des Orest bei einer
uns nicht bekannten Veranlassung auf sein Forum und zwar in die
Nähe des Saturnustempels versetzte. Sonst blieb der alte Cultus in
seinem vollen Ansehn und Reichthum, so dafs noch Octavian hier
und bei der Fortuna von Antium, der Juno von Lanuvium, dem
Hercules von Tibur ein Anlehn erheben konnte 8 ). Das jährliche
Fest fiel in die heifseste Jahreszeit und auf einen Tag der Idus,
also des Vollmonds, vermuthlich in die Iden des August, welches
auch der Festtag der Diana auf dem Aventin in Rom war. Es ist
dabei von einem nächtlichen Fackelzuge die Rede 4 ), wie diese Diana
l ) Fest. p. 145 Manius Egeri{us lucitm) Xemorensem Dianae consecravü,
a quo muUi et elari viri orti sunt et per muUos annos fuerunt, unde et pro-
cerbium: MuUi Moni Ariciae. Vgl. Pers. S. VI, 55 c. Schol.
») Cato bei Priscian IV p. 129 VII p. 337 H. Lucum Dianium in nemore
Aricino Egerius Laevius Tusculanus dedicavä dictator Latums, hi populi
communiter : Tusculanus, A ricinus, Lanuvinus, Laurens, Coranus, Tärurtis,
Pometinus, Ardeatis Rutulus. Vielleicht folgten noch mehr Namen. Tusculum
und Aricia erscheinen auch sonst als Verbündete, s. Dionys. V, 36. [Vgl.
Jordan Cat. p. XLI. 12. Beloch Ital. Bund p. 179.]
•) Appian de bello civ. V, 24 mit dem Zusätze iv als ftaliaia noleat
xal vvv eiai \h\oavyol xQr\uax<ov JaxptXtig. Des Tempels gedenkt Vitruv. IV,
7, 4. Das Topographische s. bei Bonnann altl.it in. Chorograph. 134 ff. [Rosa
Mon. Ann. Bull, dell' iost. 1856, 5 hat die Reste der Area des Tempels da,
wo sie Strahn in der oben a. St. vermuthen liefs, in dem unterhalb Nemi
terrassenförmig über dem See ansteigenden 'Giardino' gefunden; spätere von
Henzen Bull. 1871, 53 ff. (vgl. Hermes 6, 6 ff.) beschriebene Untersuchungen
lehren, dafs auf dieser Area zur Zeit des mithridatischen Krieges von klein-
asiatischen Völkern Weihgeschenke aufgestellt und wenig später Jana der Isis
und des Bubastis errichtet wurden. Auch von einem wahrscheinlich zur Zeit
des Augustus errichteten, von Hadrian restituirten Sacellum findet sich eine
Spur. Vgl. S. 111. Nemus wurde (unter Fortlassung von Aricinum) früh
Eigenname (so Strabo und Vitruv; daher Diana IS'emorensis, unten) und findet
sich als Name einer oberhalb des Heiligthums an der Stelle des heutigen
Nemi belegenen massa schon im 9. Jahrhundert: Nibby Dintorni 2, 392.]
4 ) Stat. Silv. III, 1, 52 ff., dessen Beschreibung auf die Zeit der Hunds-
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auch selbst mit der Fackel in der Hand abgebildet, also als die
Göttin des nächtlichen Lichts gedacht wurde. Uebrigens war sie
vorzugsweise eine Göttin der Frauen, die dort um glückliche Geburt
und für ihr eheliches Leben zu beten und Gelübde zu thun pflegten
und zum Dank für Gewährung heilige Binden und Votivtafeln an
den Wänden des Tempels aufhingen und brennende Fackeln oder
Lichter als fromme Gabe darbrachten 1 ), Auch haben frühere Aus- m
grabungen in der Gegend von Nemi verschiedne Yotivgeschenke von
Frauen zu Tage gefordert, namentlich bekränzte Frauenköpfe und
ein Relief, welches eine Entbindung darstellt. Doch war die Diana
von Aricia auch Sospita im weiteren Sinne, da auch von Männern
zu ihr um Familienglück gebetet wurde, desgleichen Jagd- und Wald-
götlin, als welche sie sowohl in diesem Haine als sonst in Latium
gewöhnlich dargestellt wurde 2 ).
Aufserdem war durch ganz Italien berühmt der Hain und
Tempel der Diana Tifatina am Abhänge des Berges Tifata 8 ), etwa
drei Million vom alten Capua, wo jetzt die Kirche S. Angeio in
Formis mit einem kleinen Benedictinerkloster aus seinen Trümmern
erbaut ist Auch sie scheint zugleich Wald- und Jagdgöttin und
eine Göttin der weibüchen Natur und des ehelichen Glücks gewesen
zu sein 4 ). Seit alter Zeit angesehn kam sie zu besondem Ruhme
tage und auf die Iden des August führt, welche mitten in die Zeit der Hands-
tage fallen. Vgl. Martial Epigr. XII, 67.
») Propert. II, 32, 9, Ovid F. HI, 267 ff., Gratias Fal. vs. 483 nad die
Inschriften bei Or. 1453. 1455 [= Wilm. Ex. 1767, Deanae, Dianas Xemorensi,
ans JNemi] 1456 [Dianai opifer(ae) Nemorensi, aus Tibur; vgl. Ops opifera:
echt? and C. I. L. 3, 1773 Diavae Nemore*(i) Narona.) Virg. Aen. VII, 764
nennt den Altar dieser Diana wegen der vielen Gaben und ihrer freundlichen
Hülfe pinguis et placabilis.
*) Vgl. den Bericht über eine altere Ausgrabung zu Nenii und die Abbil-
dungen bei Tomasin us de donariis c. 2, Graev. thes. T. XII p. 754. Auch
die Inschrift bei Or. 1455 wurde bei dieser Gelegenheit gefunden, so wie
eiuc Statue der Diana , welche durch Ludwig XIII. nach Frankreich kam und
vielleicht die berühmte der Diana von Versailles ist. [Doch fehlt es dafür
durchaus an Beweisen.] Auch die Diana aus Gvbii, jetzt in der Glyptothek
zu München, ist als Pflegerin des Wildes dargestellt, ein Reh haltend und
mit einer Krone aus Rehböckeheu geschmückt. [Römische Copie eines griechi-
schen Originals, als die nächtliche Himmels- und Lichtgb'ttin aufgefalst von
Brunn, Beschr. der Glyptothek S. 114 f. d. 3. A.].
«) Der Name hängt zusammen mit tifa und tiba, d. i. Hügel, Berg, s. Varro
r. r. III, 1, 6, Paul. p. 366, Mommsen Unterital. Dial. S. 300.
«) Vgl. Mommsen I. N. n. 3576. 3634. 3636. 3789, und Minervini im
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DRITTER ABSCHNITT
durch Sulla, welcher in dieser Gegend nach einem Glück verheifsen-
den Gesicht ein günstiges Treffen geliefert hatte und darum nicht
allein das Gebiet des Tempels sehr erweiterte, sondern auch be-
nachbarte Heilbäder zu diesem Gebiete schlug 1 ), in welchem Besitze
das Heiligthum der Diana noch durch Vespasian geschützt wurde.
Neben den Heiligthümern war auch hier mit der Zeit ein bewohnter
Ort entstanden.
282 In Rom gab es sporadisch auf und zwischen den Hügeln viele
alte Heiligthümer und Haine der Diana, z. B. im Vicus Patricius
zwischen dem Viminal und Esquilin, wo keinem Manne Eiutritt ver-
gönnt wurde (Plut. Qu. Ro. 3), ohne Zweifel weil die Göttin auch hier
als Lucina, also nur von Frauen verehrt wurde. Ein andres lag
auf der Höhe des Vicus Cyprius, wo Servius Tullius seinen Tod
gefunden hatte (Liv. I, 48), ein drittes auf der Caeliolus genannten
Anhöhe, welche an den Caelius stiefs (Cic. Harusp. resp. 15) a ); ja
man rühmte sich in Rom auch eines Aktäon, in einer jener wunder-
lichen Stadtmärchen, die an die mittelalterlichen Mirabilia erinnern
und wie diese meist aus misverstandnen Bildern der Vorzeit ent-
standen waren. Eins der später veralteten Thore der Befestigungen
des Servius war mit Erz beschlagen und hiefs deshalb p. Rauduscu-
lana. Auf dem Thorflügel sah man den gehörnten Kopf eines
Mannes, den man Genucius Cipus nannte und mit dem griechischen
Aktaon verglich, nur dafs er nicht wie dieser ein Jäger war und
Bullet. Arch. Napol. 1856 n. 104 p. 41 sq. [Vgl. Novi, Iscrizioni monumenti
e vico scoperti, con uuove notizie sul tempio di Diana Tifatina etc. Napoli
1661. [Fiorelli JXotizie 1877, 116. 273, 1880, 450 ff. und Minervini in Comment.
philo!, in honorem Mommseni p. 660 ff. beschreiben ein zum pagus montis
Dianae Tifatinae gehöriges Gebäude, in welchem eine Kapelle der Göttin mit
deren Bild im Kostüm der Jägeriu, aber mit der Fackel in der Linken, an
der linken Seitenwand eine Hirschkuh, wie M. erinnert, das von Silius Puu.
Xin, 113 f. erwähnte heilige Thier der Göttin. - Ein auch von Nissen (Hermes
1, 156 f.) behandeltes ioschr. erhaltenes Gedicht aus der Zeit Constantins d. Gr.
feiert die Göttin ebenfalls als Jägerin.]
») Vellei. Paterc. II, 25, vgl. Plut. Sulla 6 und Mommsen I. W. n. 3575
lmp. Caesar k'espasianus Aug. cos. yill ßnes agroruin dicatorutn Dianae
Tifat. a Cornelia Sulla ex forma Divi Aug. restituit. Auch der Revers der
Münze mit der Inschrift L. Buca und dem K. der Venus bei Riccio 2, 15 be-
zieht sich wahrscheinlich auf dieses Ereignis. [Doch vgl. Mommsen Münzw.
S. 647 f.]
») [Alles saceüa, die beiden letztgenannten zu Cicero's nnd Livius' Zeiten
abgebrochen.]
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DIANA.
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von der Diana bestraft wurde, sondern da er als Prätor eben an der
Spitze des Heeres zu diesem Thore hinauszog, wuchsen ihm plötzlich
Hörner aus dem Kopfe hervor: ein Prodigium welches nach dem
Ausspruche der Seher für ihn die königliche Würde, also für die
Stadt den Umsturz der Republik bedeutete, daher Cipus als guter
Patriot in seine Vaterstadt nimmer zurückgekehrt sei 1 ). Berühmter
und wichtiger als alle übrigen Dianen tempel aber war der auf dem
Av entin, eine Stillung des Servius Tullius, welche für die ältere
Geschichte Roms und Latiums von grofsem Interesse ist. Es war
nehmlich kein Heiligthum der Stadt Rom insbesondre, sondern ein
Bundesheiligthum der Latiner insgemein, in welchem Umstände ver-
muthlich der Grund zu suchen ist, dafs der Aventin lange nicht zum
römischen Stadtgebiete gerechnet wurde und gelegentlich sogar das
Ziel einer Auswanderung der Plebs war. Auch mufs der bei der
Gründung Roms verschmähte Hügel in der Zeit der Gründung dieses
Bundesheiligthums noch ein ganz ländliches Ansehn gehabt haben,
reich an Quellen und an schattigen Baumpflanzungen, wie er es
auch später noch war, so dafs die städtische Sage die Höhle des
Cacus dahin verlegen und Picus und Faunus an seinen Abhängen
ihre Wesen treiben lassen mochte: bis er später nach Aufhebung
der alten latinischen Bundes Verhältnisse zuerst als ager publicus zum
römischen Gebiete geschlagen, dann vermöge einer lex Icilia parcelirt
und unter die Plebejer vertheilt wurde. Der alte Hain und Tempel 283
der Diana mufs gleich beim Aufgange des Clivus Publicius gelegen
haben, da Fulvius Flaccus bei dem durch G. Gracchus erregten
Aufstande sich in dem Tempel wie in einer Burg festsetzte und
längere Zeit gegen die auf jenem Clivus andringenden Feinde ver-
theidigte 8 ). Noch Dionysius von Halikamass sah in dem Tempel die
alte Bundesurkunde der Dedication, nach welcher derselbe von den
Latinern und Römern auf gemeinschaftliche Kosten und mit einem
Asyl gestiftet worden war und jährlich einmal bei allgemeiner Fest-
versammlung der in dem Bunde vereinigten Stadtgemeinden gemein-
») Plin. H. N. XI, 123 Mtoeonem emm et Cipum etimn in Lotio hütoria
fabulosos reor. Vgl. Val. Max. V, 6, 3, Ovid Met XV, 565 ff. [Vgl. Jordan
Top. 1, 1, 251.]
') Oros. II ist, V, 12 p. 316 Haverk., eine Stelle die von Becker S. 540 ff.
und andern Topographen übersehen ist. Das Iauium ist das Dianium. [Vgl.
Preller Ausgewählte Aufsätze S. 513, dagegen wieder Nissen Rhein. Mus. 28,
546: die Frage ist noch unentschieden.]
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320 DRITTER ABSCHMTT.
schaftliche und eigne Opfer dargebracht werden sollten; auch sollten,
wenn Streitigkeiten zwischen einzelnen Bundesgliedern ausgebrochen
wären, dieselben bei diesem Gottesdienste durch ein aus den übrigen
Gemeinden gebildetes Schiedsgericht ausgetragen werden *). % Das an-
geblich von Servius Tullius in diesem Tempel dedicirte Bild der
Diana folgte dem Typus der ephesischen Diana, woraus mit der Zeit
die verkehrte Meinung entstand dafs Servius die ganze Idee eines
Bundesheiligthums der Diana von den Griechen entlehnt habe. In
der Vorhalle des Tempels sah man viele Generationen hindurch ein
Paar mächtige Hörner angenagelt. Einst hatte sie, so erzählten die
Priester der Diana, eine Kuh getragen, welche auf dem Hofe eines
begüterten Sabiners das Licht der Welt erblickte, ein Thier von so
wunderbarer Gröfse und Schönheit, dafs die Seher dem Staate das
Reich versprachen, dessen Bürger diese Kuh der Diana opfern würden.
Also geht der Sabiner mit seinem Wunderthier nach Rom und auf
den Aventin, wo der römische Priester, nachdem er den Spruch der
Seher erfahren, ihn an den Flufs schickt, damit er sich vor dem
Opfer wasche, in seiner Abwesenheit aber schnell das Thier opfert 3 ).
Als Dedicationstag des Tempels wurden die Iden des August gefeiert,
vorzüglich von den Sklaven und Sklavinnen, welche in dem Könige
Servius eine Art von Schutzpatron verehrten, daher der Tag auch
284 schlechtweg Servorum Dies genannt wurde 8 ). Ueberhaupt scheinen
die flüchtigen Sklaven durch ganz Italien eine besondre Beziehung
zur Diana gehabt zu haben, da sie Hirsche genannt wurden, vielleicht
*) Dionys. H. IV, 26. [Auch die alt« lex arae Dianae in Aventino war
zur Zeit des Augustus noch erhalten und wird im Allgemeinen in den Inschr.
der Arae des August v. J. 11 zu Narbo und des Juppiter zu Salonae v. J. 137
(Or. 2489 — Wilm. Ex. 104 u. C. I. L. 3, 1933, Jordan Krit. ßeitr. 253) und
für das Wort nesi von Festus 165 b, 25 citirt.] Als ßundesheiligthum und
Zufluchtsort erscheint dieser T. der Diana auch bei Varro 1. 1. V, 43, wo der
Name Aventinus u. a. erklärt wird ab adventu hominum, quod commune Lati-
norum ibi Dianae templum sit constitutum.
*) Liv. 1, 45, vgl. Val. Max. VU, 3, 1, Plut. Qu. Ho. 4 und die Münze der
g. Postumia bei Riccio t. 40, 1 [gedeutet von Borghesi Fasti 2, 43, vgl. Mommsen
Münzw. S. 617 A. 442.]
3 ) Fest p. 343 Servorum dies festus vulgo existimatur Idus Aug., quod
eo die Ser. Tullius, natus servus, aedem Dianae dedicaveril in Aventino, cuius
tu telae siut cervi, a quo celerüate fugitivos vocent cervos. Vgl. Paul. p. 345,
Kai. Capran. Amitern. Antiat. [Vgl. C. I. L. 1 , p. 399.] Martial. XII, 67.
Auch die Brettii d. h. servi fugitivi sind eigentlich cervi, 8. Bergk, Zeitschr.
f. A. W. 1851 n. 3.
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0
1UPITER. 321
weil sie als Flüchtlinge wie diese im Walde hausten, und somit auch
der Waldgöttin wie jener rex Nemorensis der Diana von Nemi am
besten empfohlen waren. Doch hatten sich auch Spuren einer
allgemeineren Bedeutung des Festes darin erhalten, dafs die Frauen
an demselben Tage den Kopf zu waschen und das Haar zu säu-
bern püegten (Plut Qu. Ro. 100), was an jene in dem Haine
von Aricia gefundenen Weihgeschenke bekränzter Frauenköpfe
erinnert
Mit diesen Elementen des altern italischen Dienstes der Diana
verband sich also der griechische der Artemis und zwar ziemlich
früh, da Artemis überall die treue Gefahrtin ihres Bruders ist. Bei
dem Lectisternium vom J. 399 v. Chr. wird sie ausdrücklich erwähnt
und in dem Tempel des Apollo vor der p. Carmentaiis sowie bei
den Apollinarischen Spielen ist sie gleichfalls vorauszusetzen. Eben
deshalb ist zu vermuthen dafs der im J. 187 v. Chr. vom Consul
M. Aemilius in einer Schlacht mit den Ligurern gelobte und im
J. 179 beim Circus Flaminius geweihte T. der Diana gleichfalls der
griechischen galt 1 ). Dazu kam die Stiftung des Palatinischen Apollo-
dienstes, wo Diana als Victrix an der Seite ihres Bruders verehrt
wurde, daher auch ihre Betheiligung an den Secularspielen, zu
welchen auch die Diana in Aventino herbeigezogen wurde. Wie
Apollo bei diesem Feste vorzugsweise als Sonnen- und als sühnender
Lichtgott angerufen wurde, so sie als Mond- und Geburtsgöttin, als
Lucina, welche dadurch dafs sie die Geburten fordert auch ihrerseits
zur Erneuerung und Erhaltung des menschlichen Geschlechts bei-
tragt 8 ). Catull in einem schönen Gedichte auf Diana und Horaz
feiern sie auch in der allgemeineren Bedeutung der mächtigen Natur- m
göttin in Bergen und Wäldern, wo sie das Wild behütet, als Göttin
der Ströme, der Seen, des Meeres, in denen sie badet und über
deren Fluthen sie gebietet, endlich als die grofse Königin der Nacht
und aller nächtlichen Erscheinungen der Geisterwelt, als welche sie
») Liv. XL, 52. Auch den Bau des L. Cornißcius, von dem Saeton Octav.
29 erzählt, wird man am besten in diese Gegend verlegen. Bei Plin. H. N.
XXXV, 94 Luis dem (Apeliis) arbitrantur manu esse et in Annae [so Bamb.]
templo Her cu lern aversum ist gewifs zu lesen: in Dianae templo. [Doch
s. unten zu S. 306.]
») Horat. Carra. See. 13 Rite maturos aperire partus lenis, Ilithyia, tuere
tnatres, sive tu Lucina probas vocari seu Genitalis. Vgl. Od. I, 21; III,
22; IV, 6, 37; C. seculare, Catull carm. ad Dianam 34; Virgil Ecl. IV, 10.
Preller, Rom. Mythol. I. 3. Aufl. 21
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1
322 DRITTER ABSCUMTT.
mit der Hekate identißcirt [und deshalb Tri via genannt] wurde 1 ),
und als die reifende Jahresgöttin der Monde und Monate,* welche die
Scheuern des Landnianns mit den Früchten des Feldes fülle; wobei
sie nach griechischer Weise immer als blühende Jungfrau und
Lieblingskind des Jupiter gedacht wird, welche sich aller blühenden
Jugend der Mädchen und Knaben erfreut und darum ganz vorzugs-
weise von diesen verehrt werden müsse. Natürlich werden nun
auch ihre Lieblingssitze in Griechenland und Kleinasien, jene be-
rühmten Stätten in Arkadien, im Thale Tempe, auf Euböa, auf Delos,
in Ephesus, in Lycien nicht minder eifrig gefeiert als die alten
italischen*).
7. Maier Matuta.
Das Wort Matuta hängt zusammen mit mane, manus und ma-
tutinus und bedeutet eine Göttin des Frühlichts, der Morgenröthe,
welche Mater Matuta in demselben Sinne genannt wird wie Ianus
Pater Matutinus angerufen wurde 3 ). Es war eine gute und segens-
reiche Göttin, welche, wie sie das Licht aus der Finsternils an den
Tag führte, also auch eine Göttin der Geburt war und darum vor-
züglich von den Frauen angerufen wurde, daher ihr Fest schlechthin
*) [So nach dem griech. rgiofttts seit Eonius bei Varro VII, 16 (der
erklärt: Diana est dicta ab eo quod in trivio fere ponitur in oppidis Graecis)
die röm. Dichter allgemein, z. B. Lucr. I, 84, Catnll 34, 15, Prop. III, 28, 10,
Virg. A. VII, 516; Delta virgo triformu sagt der Vf. der Verse C. I. L. 2,
2660; daher Dianae Tifatinae triviae sacrum Henz. 5707 and triplicis Diane
(Verwechslung mit Cybele triodeia) C. I. L. 6, 511. Aber unrichtig wird hier-
her wohl Trivis C. I. L. 3, 3159 als Dat. von Triviae und Dom(nü) 7>(ww?)
5, 8246 gezogen : ersteres scheint eine Personifikation der irivia zu sein (vgl.
unten S. 493), letzteres ist ganz unsicher.]
*) [In den im ganzen Umfang des röm. Reichs zahlreichen Weih-
inschriften tritt die Jägerin Artemis -Diana vielfach hervor: vgl. als be-
sonders charakteristisch die schöne poetische Widmung eines Legionärs aus
der Zeit Trajans C. I. L. 2, 2660; Signum Dianae et venationem et salientes
das. 5, 3222. Daher die Verbindung mit Silvan (s. unten), auf welche Reiffer-
scheid (Annali 1866, 220) Gewicht legt.]
») Paul. p. 122, Non. Marc. p. 66, Priscian II, 10, 53 p. 76 H. vgl. oben
S. 83, 1 und Lucret. V, 654 roseam Matuta per oras aetheris auroram dijf'ert
et In an na pandit. [Vgl. Corssen Kritische Beiträge S. 518: matri metid(ae)
auf der nicht alten Pränestiner Inschr. Bull, lall' inst. 1867 181 kann
wohl kaum als ein Beleg für älteres ma-e-tutus (vgl. sa-e-turnus) angesehen
werden. Den Beinamen matuta führt übrigens auch Pales: Schol. Veron.
Virg. Ge. III, 1. Vgl. unten IV, 11.]
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MATER MATUTA.
323
Matralia hiefs d. h. das Fest der Mütter, welches zu Rom am 11. Juni
begangen wurde, s. Ovid F. VI, 473, die Kalender und Paul. p. 125.
Aufserdem wurde sie aber auch als See- und Hafengöttin verehrt,
wie die griechische Leukothea, mit welcher sie spater gewöhnlich
idenlificirt wurde, wie der an ihrer Seite verehrte Hafengott Portu-
nus mit Palämon oder Melikertes, dem Sohne der Leukothea. Der
Cultus der Mater Matuta scheint bei der alten Bevölkerung Italiens
sehr verbreitet gewesen zu sein. Sehr berühmt war ihr Tempel zu
Satricum im Lande der Volsker, welchen ein dämonischer Ruf mit
furchtbaren Drohungen im J. 377 vor der Zerstörung durch die
Latiner bewahrte und auch die Römer später verschonten, s. Liv. VI, sse
33, VII, 27, XXVIII, 11. Auch wurde sie in derselben Gegend zu
Cora verehrt, Or. n. 1501, wie in Campanien zu Gales, Mommsen
I. N. n. 3952. 3953, ferner im Hain zu Pisaurum in Umbrien, Or.
1500 [= C. I. L. 1, 177], dessen Inschriften meist auf den Cult
der Matronen deuten, [und zu Präneste, Bull, dell' ist. 1867, 181].
Aber auch die Göttin von Pyrgi, der Hafenstadt von Caere, mit dem
reichen, von Dionysius, dem bekannten Tyrannen von Sicilien, ge-
plünderten Tempelschatze, welche Göttin die Griechen bald in ihre
Eileithyia bald in die Leukothea übersetzten, ist wahrscheinlich die
italische Mater Matuta *). In Rom wurde ihr zuerst von dem Könige
Servius Tullius ein Tempel gestiftet, den Camill um die Zeit der
Eroberung von Veji wiederherstellte. Er lag an dem Forum Boa-
rium 2 ). Eigenthümliche Gebräuche und Vorschriften dieses Cultus
waren, dafs alle Sklavinnen ausgeschlossen blieben bis auf eine,
welche mit einem Backenstreiche aus dem Tempel wieder hinaus-
getrieben wurde, und dafs nur eine in erster Ehe lebende Frau das
Bild der Göttin bekränzen durfte, ferner dafs die Frauen zuerst für
das Wohl ihrer Geschwisterkinder, erst dann für das ihrer eignen
Kinder beteten, endlich dafs die Opferkuchen nach alterthümlicher
Weise gekocht, nicht gebacken wurden 3 ): lauter Bestimmungen welche
später so gut es ging durch die Geschichte der Leukothea motivirt
wurden. Da auch diese Göttin zugleich eine Göttin des Frühlichts,
») Strabo V p. 226, Müller Etr. 2, 55.
») Liv. V, 19. 23, XXV, 7, XXXIII, 27, XL1, 2S, Ovid F. VI, 4731f.
Becker Handb. 1, 481 IT.
8 ) Varro 1. 1. V, 106, Tertull. de Monogam. 17, Plut. Camill. 5, Qu. Itu.
16. 17, vgl. Cic. N. I). III, 19, Tusc. I, 12, Ovid F. 1. c., Prob. V. Ge. I,
437, Lactant. I, 21, 23.
21*
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324
DRITTER ABSCHNITT.
der beruhigten See und Amme des Dionysoskindes war und an allen
Küsten des Mittelmeers, namentlich auch in Elea und Massüia ver-
ehrt wurde, so war ihre Verschmelzung mit der Mater Matuta natür-
lich. Desto weniger pafste Portunus, wahrscheinlich eine Nebenform
des Janus (S. 177) zum Melikertes, indessen wurden auch sie gleich-
gesetzt und der alte italische Hafengott Pater Portunus (Virg. Aen.
V. 241) dadurch zu einem Kinde. So entstand die Geschichte dafs
die thebanische Prinzessin, die Tochter des Cadmus, nach ihrem
Sprunge ins Meer von den Nereiden an die Mündung des Tiber ge-
führt worden sei, wo sie ihre Schwester Semele wiedergefunden
habe; diese wurde nehmlich seit der Verbreitung der Bacchanalien
in Ostia unter dem Namen Stimula verehrt. Die von der Juno ge-
as7 hetzten Mänaden wollen ihr das Kind rauben; da flüchtet sie nach
Rom, wo Hercules ihr beisteht und Carmentis (die Heiligthümer von
beiden lagen nicht weit von dem der M. Matuta) sie gasüich bei
sich aufnimmt. Carmentis räth ihr auch in Rom zu bleiben und
sich und ihr Kind mit einheimischen Namen zu benennen.
8. Sol.
Sicheren Spuren einer alten und weit verbreiteten Verehrung
des Sonnengottes sind wir schon im Culle des Janus, auch in dem
des Vejovis, des Jupiter Anxur und des Apollo Soranus begegnet,
und zwar scheinen namentlich die Sabiner dieser Religion des Lichtes
vor Alters zugethan gewesen zu sein. So war ihnen auch der Name
Sol für die Sonne eigen, den Varro 1. 1. V, 68 sogar aus ihrer Sprache
abzuleiten geneigt ist, wie Sol denn auch unter den Göttern des
T. Tatius genannt wird, ib. V, 74. Dionys H. H. 50. Auch das
zweite Wort, welches in Italien die Sonne und ihren leuchtenden
Glanz bezeichnete, war bei den Sabinern einheimisch. Es ist dieses
ein auf die Wurzel aus, sanskr. ush, lat. uro, welche zugleich brennen
und leuchten bedeutet, zurückweisendes Wort, das bei den Sabinern
ausel lautete, daher der Geschlechtsname der Auseli d. h. Aurelii,
bei den Etruskern der Lichtgott Usil, und in den alten Saliarischen
Liedern zu Rom die Anrufung o Zeul adosiose d. i. Sol venerande.
Auch das lateinische Wort Aurora stammt von derselben Wurzel,
so wie das griechische ästag d. i. rjtag und äsiXiog d. i. qiXiog 1 ).
*) Paul. p. 23 Inn-Uli in Jamiliam ex Sab uns oriundam a Sole dictum
putant, quod ei publice a populo Ro. dolus sit locus in quo sacra faceret Soli,
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SOL.
«
325
Die alte sabinische Cultusstätte des Sol in Rom befand sich dicht
bei dem Tempel des Quirinus 1 ), vor welchem wohl eben deshalb im
J. 293 v. Chr. durch L. Papirius Cursor die erste Sonnenuhr aufge-
stellt wurde. Nach den Kalendern des Augusteischen Zeitalters [s.
C. I. L. t p. 398] feierte man diesen Sol am 8. August, und zwar
mit dem Beinamen Indiges, der schwerlich so alt ist wie man ge-
wöhnlich annimmt. Höchst wahrscheinlich bedeutet er in dieser An-
wendung dasselbe wie Index, denn man glaubte in Rom wie in m
Griechenland, dafs der Sonnengott alles Verborgene wisse, also auch
verborgene List und Verrätherei anzuzeigen vermöge. So habe er
auch um die Verschwörung gegen Cäsar gewufst und deshalb an dem
Tage vor seiner Ermordung von der sechsten Stunde bis zur Nacht
sein Haupt verborgen'); daher zu vermuthen ist, dafs er erst seit
dieser Zeit als Indiges verehrt wurd. Auch die Bildung des Sonnen-
gottes m der Gestalt eines umstrahlten Hauptes und seines Tempels
auf den Münzen des Antonius und des Octavian wird man am besten
durch diesen Glauben erklären. Aufserdem wurde Sol im Circus
verehrt, wo sein [alter] Tempel in der Mitte der Rennbahn stand 3 )
qni ex hoc tu sei i dicebantur, ut Falesii, Papisii pro eo quod est Valerii,
Papirii. [Ders. p. 9 aurum a Sabinis translatttm. Wahrscheinlich kommt
noch palignisches uns hinzu: etr. i'sil (Corssen Spr. d. Etr. 1, 280) wird ura-
brisches Lehnwort sein. Vgl. Jordan Krit. Beitr. S. 134 und über die indo-
germ. Wurzel Curtius Et. 6 399. Ueber den von Bergk de carm. sal. p. IV
mit Wahrscheinlichkeit bei Varro VII, 27 erkannten Anfang des Saliarverses
vgl. Jordan a. 0. 131. 224.]
l ) Quintil. I, 7, 12 in pulvinari Solis, qui colitur iuxla aedem Quirini,
Varro 1. 1. V, 52, wo man am besten liest: advorsum Solis pulvinar eis aedem
Salutis, vgl. K. F. Hermann de loco Apoll, in carm. Horat. sec. p. 9. [Doch
s. oben zu S. 269.]
a ) Virg. Georg. I, 463 ff. und Serv. zu vs. 466 constat autem occiso Cae-
sar e in Semd ii pridie iduum Martiarum Solis ftn'sse defectum ab hora sexta
iisque ad twetem , vgl. Ovid Met XV, 785. Bei Diod. Exe. Mai. XXXVII,
4 in dem Eide des Drusus ist für rbv y(vno/t]V "Hktov zu lesen 'Ewuliov,
s. oben S. 92.
•) Tertull. de Spectac. 8: circus Soli principaliter conservatur cuitts aedis
medio spatio et effigics de Jastigio aedis emicat u. s. w. [Tac. Ann. XV, 74 :
Soli ctii est vetus aedes apud circum.] Vermuthlich am Abhänge des Aventin
über dem Circus, da die Regionen ihn zwar in der 11. Region, aber neben
dem T. der Luna nennen, s. meine Reg. d. St. Rom S. 192. [Auf den bild-
lichen Darstellungen des Circus findet sich keine Andeutung des Tempels.
Vgl. die von Jordan Forma urbis S. 17 a. Litteratur. Vgl. was unten über
die aedes Lunae bemerkt ist.]
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326
DRITTER ABSCHNITT
und sein Bild auf dem Giebel des Tempels; ja er war als der gött-
liche und unermüdliche Wagenlenker am himmlischen Plane der vor-
nehmste Schutzgott dieses alten für die Circensischen Spiele und die
Kunst der Wagenlenkung bestimmten Raumes. Auch der Obelisk
im Circus war ihm heilig, wie die ägyptische Theologie es verlangte x ) r
und häufig erscheint sein Bild auf den Familienmünzen als Wagen-
lenker, immer jugendlich und mit der Strahlenkrone. Sonst galt
auch hier der Glaube an seine allsehende Kraft und Vorsicht, daher
sich dieselbe Verherrlichung des Sonnengottes auf Veranlassung einer
diesmal vereitelten Verschwörung bei diesem Cultus in der Geschichte
des Nero wiederholte, s. Tacit. Ann. XV, 74. Auch werden dem Sol
wegen dieser allwissenden Fürsorge nicht selten öffentliche Denk-
mäler z. B. die Gräber empfohlen 3 ), während ihn andre Inschriften
wegen seiner gütigen Hülfe als Sol iuvans anrufen, oder als Sol
aeternus d. h. als Bild der Ewigkeit, oder als Sanctissimus d. h. als
strahlendes Bild des Lichtes und der Reinheit 8 ), obwohl bei solchen
289 Prädicaten schon der spätere, gegen den Ausgang des Heidenthums
sehr weit verbreitete Sonnencultus [XII, 5] mit im Spiele ist. Da-
neben erhielt sich das Bild des Sonnengottes auf Münzen und andern
öffentlichen Monumenten als Allegorie des Aufgangs in der geogra-
phischen Bedeutung des Ostens, des Sol oriens. So erscheint das
Bild oder das Haupt des Sol namentlich au! den Münzen des Ves-
pasian und Trajan, der Sieger über den Orient, und es scheint dafs
Vespasian in demselben Sinne den Colofs des Nero in den des Sonnen-
gottes umschalten liefs, als welcher er sich in den folgenden Zeiten
l ) [Sowohl der im Circus als der auf dem Marsfeld von Augustus auf-
gestellte Obelisk (jener jetzt auf Piazza del Popolo, dieser auf Monte Citorio)
tragt die Ioschrift Aegupto in potestatem populi Romani redacta Soli donum
dedit (C. I. L. 6, 701 f.). Aufser der ägyptischen Theologie mag auch die
nationale, von Augustus wie es scheint wieder belebte Verehraog des Sol da-
bei mitgespielt haben. Vgl. Hör. C. saec. 9 alme Sol n. s. w. (über almus
oben S. 56 A. 2); auf dem Panzer der Statue von Prima Porta ist er als
Wagenlenker dargestellt, vorausfliegend Aurora. Vgl. Köhler Aonali 1863,
446 Garrucci Diss. Areh. S. 5 f.]
') Or. n. 4791 Sol tibi co mm endo qui manus inlulit ei. n. 4792 Quisquis
ei laesit mit nocuit Severae immerenti, Domine Sol tibi commendo , tu ittdiees
eius mortem. Ich glaube dafs auch das so oft als Amulet angebrachte und
abgebildete Auge ursprünglich als Symbol den Schutz des Sonnengottes aus-
drücken sollte.
") Or. n. 910. 1928. 4934. [Monatsberichte der Berliner Akad. 1861,
S. 736 f. 800.]
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LUNA UND DIE GESTIRNE.
327
erhielt 1 ). Auf andern Münzen wird dasselbe durch das Bild der
Aurora ausgedrückt, welche in älteren römischen Gedichten auch
wohl die Tochter des Sonnengottes genannt wurde *) und auf einem
Denar der gens Plautia nach griechischer Weise als Führerin der
Sonnenrosse auftritt.
9. Luna und die Gestirne.
Auch Luna, welche sich zur Diana verhält wie Sol zum Janus,
wurde von der italischen Bevölkerung, wenigstens den Sabinern und
Etruskern göttlich verehrt. Denn auch sie wird unter den von T.
Tatius verehrten Gottheiten genannt, und auf einem etruskischen
• Spiegel erscheint Losna d. i. Louna, welches wieder auf lux und
lumen zurückweist, mit dem Attribute des Halbmondes neben Pollux,
auf einem andern Denkmale als Lala d. i. Lara, Jianowa, neben
dem Sonnengotte Aplu 3 ). In Rom gab es einen Tempel der Luna
Noctiluca, welcher in der Nacht erleuchtet wurde, auf dem Palatin 4 ),
und ein altes, oft erwähntes Heiligthum der Luna, wahrscheinlich
das von Servius Tullius gestiftete, auf dem Aventin über dem
Circus 5 ). Als Monatsgöttin wurde sie am letzten Tage des ersten
Monates März gefeiert, s. Ovid F. III, 883, Fast. Praen. 6 ) VerGn-
») Eckhel D. Ff. VI p. 335. 489. Vgl. Virg. Aen. V, 739 et me saevus
cquis Orlens qfßavü anhelis, für Sol oriens. Ueber den Colofs des Nero s.
Becker S. 220 A. 441.
') Fest. p. 197 Obstinet dicebant anliqui quod nunc est ostendit, ut in
veteribus carminibus: Sed iam se caelo cedens Aurora obstinet suum patrem.
Vgl. Riecio t. 37, 12; 62, 6 und Eckhel D. N. VI p. 442.
») Gerhard etrusk. Spiegel t. 171, Gotth. d. Etrask. S. 39 t. II. [C. I. L.
1, 54]. Losna f. Louna wie casnar für canus. Cic. N. D. II, 27 Luna a lu-
cendo nominata: eadem est enim Lucina. [Das Wort ist echt lateinisch, nur
nicht an den lat. Stamm lue- mit auslautendem k anzuknüpfen, sondern an
einen mit * auslautenden, auf den Analogien anderer Sprachen wie Zend.
raokhs-na, Glanz, (vgl. Curtius Et. 6 161), altpreuss. laux-nos (Plur.), Gestirne,
führen: also ist tos-na = lous-na, lu-na regelmäßig gebildet und es erledigen
sich auch diese von Jordan Krit. Beitr. S. 34 f. betonten Zweifel. Fraglich
bleibt nur immer noeb, wie es mit dem angeblich im hentigen Romagnolischen
gebrauchten losna, lusna Glanz (Fabretti Gloss. 1067) steht.]
*) [Varro V, 68 ff. Luna . . dicta Noctiluca in Palatio: nam ibi noctu lucet
templum.]
») Tacit. Ann. XV, 41, vgl. Liv. XL, 2, Appian bell. civ. I, 78, u. a.
Becker Handb. 1 , 456. [Jordan Eph. epigr. 3, 70. Es ist streitig ob dieser
Tempel in der Notitia R. XI Solis et Luna» genannt wird. Vgl. S. 290.]
•) [Außerdem: Lunae in Graecost{asi) Kai. Pinc. 24 Aug., was durch
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328 DRITTER ABSCHNITT.
290 sterungen des Mondes pflegte man nach einem weit verbreiteten
Aberglauben mit lärmendem Getöse von ehernen Becken und Blas-
instrumenten zu vertreiben, Liv. XXVI, 5, Tacit. Ann. I, 28. üebri-
gens war auch Luna eine circensische Gottheit, weil auch sie wie
Sol auf einem Wagen fahrend gedacht wurde, nur dafs dem Sonnen-
gotte die prächtige und stolze Quadriga vorbehalten blieb und Luna
sich mit der bescheidneren Biga und einem Gespann von Mauleseln
begnügen mufste 1 ). Sol und Luna zusammen aber sind gewöhnliche
Bilder der Ewigkeit, er aufsteigend, sie niedersteigend, beide mit dem
Epitheton aeternus und aeterna, in welcher Weise sie oft nebenein-
ander abgebildet, verehrt und pro salute imperii oder pro salute eines
Kaisers angerufen wurden*).
Unter den Gestirnen wurde auch in Italien vorzüglich der
Morgen- und Abendstern ausgezeichnet. Man nannte ihn Iubar
wegen seines strahlenden Glanzes oder weil die Strahlen dieses
Glanzes sich mähnenartig ausbreiten*), auch Vesper oder Vesperugo,
welches Wort aus vesperu, einer älteren Form für vesperi, entstanden
ist, und Nocturnus d. i. den Stern der Nacht, endlich Lucifer, wenn
dieser Name nicht erst durch Uebersetzung des griechischen 0cd<f(p6Qoc
Mommsen's Combinationen C. I. L. I S. 400 Münzwesen S. 585 A. 363 nicht
genügend erklärt wird.]
») Tertnll. de Spectac. 9, vgl. Paul. p. 148 mnlns und Anthol. ed. H.
Weyer n. 891, 17 Lunae biga datur Semper, Soiique qttadriga, Castoribus
simpli rite dicantur equi.
*) Or. n. 1926—29, [Monatsber. der Berliner Akademie 1861, S. 736f.j
0. Jahn Archäol. Beitr. S. 89. [Sol und Luna waren auf dem Giebelfelde
des capitolinischen Juppitertcmpels dargestellt. Zweifelhaft bleibt die Bedeu-
tung des Festes d. 28 August (Kai. Pbiloe.) Solis et Lunae, nach Mommsen
Stiftungstag des angeblichen Tempels auf dem Aventin (S. 289), und des viel-
leicht zum pränestinischen Kai. gehörigen Fragments C. I. L. 1 p. 412 Z. 2
[So]lU et Lun[ae] . .]
») Varro L L VI, 6, VII, 76, Paul, p 104, Placid. p. 474 [p. 57, 1 D.]
Iubar hiefs überhaupt Alles was einen strahlenden Glanz verbreitete, daher
man auch iubar solis, lunae, argenti und gemmarum sagte, daher der Stern
Iubar bei Serv. V. A. IV, 130 wohl richtig durch luvar und Stella lovis er-
klärt wird. Also wäre auch dieses Wort und vermuthlich anch lugula d. i.
Orion, Paul. p. 104, auf den Stamm Iov zurückzuführen, s. oben S. 184 f.
[Gewöhnlich iubar Neutr. ; als Masc. (wie Caelus) Jubär mit rein metrischer
Längung des a bei Ennius An. 326; daher nicht mit Corssen (Krit Beitr.
157 ff.) iub-ar von iub-a wie calc-är von calc-s herzuleiten. Eine sichere
Erklärung fehlt: Jordan Krit. Beitr. 62]
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WINDE UND STÜRME.
329
entstanden ist 1 ). Gewöhnlich galt er für einen Stern der Venus
Urania, namentlich als nächtlicher Abendstem, der die Braut zum
Bräutigam führt 2 ), hin und wieder und wohl als Morgenstern auch
für einen Stern des Jupiter oder der Juno Lucina. Aufserdem ver-
anlafsten wie überall vorzüglich der grofse Bär, die Plejaden und
Hyaden und der Orion zur volkstümlichen Beobachtung und Be-
nennung. Der grofse Bär hiefs bei den italischen Bauern bald plau- aai
strum und dessen Deichsel temo, bald wegen der nächtlichen Um-
drehung septem triones, das sind eigentlich sieben Dreschochsen, die
auf der Tenne umgehend das Korn dreschen, triones von terere 3 ).
Die Pleiaden hiefsen Vergiliae, nach der gewöhnlichen Erklärung,
weil ihr Aufgang mit dem Frühling (ver) zusammenfallt, auch Suculae
d. i. ein Rudel kleiner Ferkel und das Gestirn der Palilien (sidus
parilicium), weil sie um die Zeit dieses * ländlichen Festes er-
schienen 4 ). Endlich der Orion hiefs lugula, welcher Name ver-
schieden erklärt wurde.
10. Winde und Stürme.
Auch die Winde und Stürme wurden in Italien und den west-
lichen Provinzen häuGg verehrt, zu Lande und zur See, als wohl-
lliätige oder gefährliche Dämonen. Unter den wohlthätigen war vor
allen beliebt und geehrt der befruchtende Favonius, der dem grie-
chischen Zephyr entspricht und seinen Namen wie der gute Berg-
geist Faunus von favere hat, denn er wirkte befruchtend wie dieser
und brachte, wenn er um die Mitte des Februar zu wehen anfing,
die Schwalbe und den Frühling 5 ). Gefürchtet dagegen waren beson-
*) Qyiotil. I, 7, 12 interim g quoque (adiecta), ut est in pulvinari Solis.
qui cotüur iuxta aedem Quirini VESPERI G, quod vesperuginem accipimus.
Vgl. Plautr. Amphitr. I, 1, 116 credo ego hoc noctu Nocturmtm otjdormuissa
rbrium und die Inschriften bei Henzcn z. Or. n. 5857. 58. [C. I. L. 5, 4287.
'.\, 1946. — Qnintilian und init ihm P. irren: Vesperug. war Abkürzung und
Fesper-ü-go ist gebildet wie aer-ü-go lan-u-go; ferner: inter Vesperuginem
i-t Iubar dicta nox intempesta (Varro VI, 7); der Stern der Venus bald
Vesperugo bald Lucifer genannt (Vitr. IX, 4, 7.]
*) Catull. 62, vgl. Serv. V. A. IV, 130 und Augustin C. D. VII, 15.
Nach Varro führte der Venusstern den Aeneas nach Latium, Serv. V. A.
II, 801.
») Varro 1. 1. VII, 73—75, Serv. V. A. I, 744, vgl. J. Grimm D. M. 688.
•) Plio. H. N. XVIII, 246, Fest. p. 372 Vergiliae, Serv. V. A. I, 744.
Vgl. das Kai. Venus. Mai. Non [C. I. L. 1 p. 301].
6 ) Varro d. r. r. I, 28. 29. Cic. Verr. II, 5, 10, Horat. Od. I, 4, 1 Sol-
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330
DRITTER ARSCHMTT
tlers die Nordwinde, welche mit markdurchbohrender Kälte aus den
nördlichen Gebirgen daherfuhren und die junge Vegetation tödteten,
der Septembrio und der Aquilo d. h. der mit Adlersfittigen daher-
stürmende, ein gewöhnliches Bild für alle stürmende Kraft auch in
Griechenland und im Norden 1 ). Doch waren auch die Südwinde
gefahrlich, welche dicke Wolken und erschlaffende Hitze mit sich
führten, der Auster, welcher im Herbst die meisten Gewitter brachte
und deshalb wie Jupiter, Juno und andre Götter mit dem Blitze be-
wehrt gedacht wurde 8 ), und der von Afrika herüber wehende Africus,
vollends wenn sie mit den Winden der entgegengesetzten Richtung,
dem Aquilo oder den Ostwinden zusammengeriethen 3 ). Die wohl-
thätigen, befruchtenden und beruhigenden Winde wurden mit weifsen,
die bösartigen Aequinoctial- und Winterstürme mit dunkeln Opfer-
thieren bedacht, gewöhnlich mit Böcken oder Lammern 4 ), und manche
Capelle mit manchem Altare mag sich den Stürmen und Winden
(tempestatibus ventisque) an den Küsten oder am Fufse hoher Gebirge
erhoben haben z. B. an dem des apulischen Voltur, welcher für Italien
ein so auserwahlter Sitz der Winde war, dafs er dem Volturius den
Namen gegeben. Man glaubte in Italien wie anderswo, dafs Stürme
vitur acris hiems grata vice veris et Favoni. Locret. I, 11 genitabilis aura
Favoni, V, 735 it ver et Venus et veris praenuntius ante pennatus gradüur
Zephyrus. Vgl. Plin. H. N. II, 122 und XVIII, 337.
*) Die stürmende Kraft der Nordwinde beschreibt Varro b. Non. Marc,
p. 46 v. syrus, Varro Marcipore: Ventique frigido se ab axe eruperant
freneticiy Septemtrionum filii, secum ferentes tegulas, ramos, synis. Vgl.
Virg. Ge. III, 196 ff. [Vgl. H. Genthe die Windgottheiten bei den indoger-
manischen Völkern, Memel 1861.]
a ) Lucret. V, 742 Inde aliae tempeslates ventique secunfur, altitonans
V olturnus et Auster Julmine pollens. Vgl. Serv. V. A. VIII, 429
Xonnulli vero manubias fulminis his nurninibus i. e. Iovi, Iunoni, Marti et
Austro vento adserunt attributas. Der Name Auster hängt mit av<o und
austerus zusammen. [Curtius Etym. 6 398.] Vgl. Horat. Od. II, 14, 15; III, 23.
5, Sat. II, 6, 18, Virg. Georg. III, 278 nigerrimus Auster, IV, 261, Macrob.
Somn. Scip. II, 5, 20.
») Ennius b. Macrob. S. VI, 2, 28, Horat. Od. I, 3, 12, Epod. X, Virg.
Aen. II, 416 ff.
«) Horat. Ep. X, 23, Virg. Aeo. III, 120, V, 172 Or. 1330 — 1340 [drei
runde Arae aus Aotium (jetzt im capitolinischen Museum, Zimmer des Fauns)
mit den Inschriften ara Tranquillitatis (segelndes Schiff), ara Ventorum (Wind-
gott), ara Neptuni (Neptun): vgl. zu S. 293] vgl. die beiden Windesgötter in
den Mouum. Archeol. 1855 T. VIII u. IX und p. 50. Mommsen I. N. 5012
Tempest. sacr. aus Aesernia in Samoium.
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WINDE UND STÜRME.
331
und Schlössen durch Zaubergesang sowohl erregt als beschworen
werden könnten; in den Weinbergen suchte man sich dadurch zu
schützen, dafs man im Herbste das geweihte Bild einer gemalten
Traube zwischen die Weinstöcke stellte 1 ). An der gallischen Küste,
vermulhlich zu Narbo, hatte Augustus dem Gircius, der mit scharfen
Schwingen von dieser Küste übers Meer bis Ostia fuhr und dort
wohl selbst die Häuser abdeckte, weil er die Luft reinigte und des-
wegen der Gesundheit zuträglich war, sogar einen Tempel gestiftet,
s. Plin. H. N. II, 121, Seneca Qu. N. V, 17. Werden diese Windes-
götter den andern himmlischen Göttern als Trabanten untergeordnet,
so ist gewöhnlich Jupiter ihr Herr 2 ). Doch war ihre Verehrung zur
See oder mit Beziehung auf die Schiffahrt, also neben dem Neptun,
nicht weniger gewöhnlich, auch bei den Römern, deren Feldherrn 293
deshalb, wenn sie in See stechen wollten, neben den andern Göttern
gewöhnlich auch zu den Winden und Stürmen beteten und Spenden
oder auch blutige Opfer für sie in die Fluthen versenkten 3 ). Selbst
in Rom hatten diese Seesturme ein eignes Heiligthum mit bestimmten
Opfern bei der porta Capena, wo L. Cornelius Scipio, derselbe dessen
Grabinschrift erhalten ist, es gestiftet hatte, wahrscheinlich in Folge
eines Gelübdes auf einer Expedition gegen die Sarden und Corsen
im J. 259 v. Chr., bei welcher seine Flotte durch die Wuth der
Stürme beinahe zu Grunde gerichtet wäre 4 ).
») Plin. H. N, XVIII, 294. Vgl. XVII, 267 cum averti carmine grandines
credant plerique, cuius verba inserere nou equidem serio aus im. Seneca Qu.
N. IV, 7 rudis adhuc antiqtätas credebat et atirahi imbres cantibus et repeÜi.
-) S. oben S. 192, 1. Uenzen z. Or. 0. 5615 /. 0. M. autori bonorum
Tempestatum, aus dem südlichen Frankreich. Auch in dem Fragmente des
Etruskers Vegoja (S. 256, 1) sendet Jupiter Stürme und Wirbelwinde.
») Cic. N. D. III, 20, Lucret. V, 1224 ff., vgl. Virgil. Aen. III, 120 und
527, V, 772 ff., Liv. XXIX, 27, Appian d. b. civ. V, 99, wo Octavian vor
dem Aufbruch der Flotte gegen S. Pompejus im Hafen von Puteoli opfert
avtuut; tvöfotq y.c.i ao<f«Xn'(>i ffoantUört xai dxvftovt &aXäaon d. h. Ventis
Bonis, Neptwto et TranquiUitati. Vgl. die Münze des Commodus b. Eckhel
D. N. VII p. 129, wo vor dem Aufbruch der Afrikanischen Flotte Stiere ins
Meer versenkt werden.
«) Ovid. Fast. VI, 193, vgl. meine Regionen d. St Rom S. 118. [Vgl.
Mommsen im C. I. L. 1 p. 18.]
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VIERTER ABSCHRITT
>Iars und sein Kreis.
Diese Göttergruppe ist in gewisser Hinsicht die interessanteste,
weil sie uns nehmlich den tiefsten Blick in das alte nationale Leben
der Bevölkerung von Italien thun läfst und von fremden Zuthaten
am wenigsten berührt ist. Es ist das centrale Land der Berge und
Wälder, auf die wir durch sie zurückgewiesen werden, das Land der
Viehzucht und des nomadisirenden Hirtenlebens, die Zeit der ersten
Ansiedelung und der kriegerischen Ausbreitung und Eroberung.
Zugleich zeigt sich in allen Gottesdiensten dieser Gruppe eine eigen-
thümliche Verschmelzung von Naturbegeisterung und den Stimmungen
des ältesten Volksthums, wie sie das früheste Stadium der Religionen
des vorchristlichen Alterthums überhaupt characterisirt. Mars ist
der Mittelpunkt und das Haupt des ganzen Kreises, der Gott eines
mächtigen und männlichen Naturtriebes, wie er sich vorzüglich im
Frühlinge offenbart, und der Gott der kriegerischen Begeisterung
schlechthin, der sowohl die alten Umbrer und Sabiner sammt ihren
jüngern Stammgenossen als die Latiner und Römer zum Siege führte.
Neben ihm stellt sich im Picus, im Faunus, im Silvanus zugleich
die Dämonologie des Waldlebens und das Element der natürlichen
Inspiration und der ersten Ansiedelung dar, in einer Reihe von weib-
lichen Gottheiten, welche neben diesen männlichen Göttern verehrt
wurden oder dem Wesen nach zu ihnen gehören, derselbe Liebes-
und Befruchtungstrieb auf der einen und dieselbe weissagerische und
kriegerische Naturbegeisterung auf der andern Seite. Endlich im
Pales, dem männlichen und der weiblichen, kommen noch einmal
die Stimmungen und Traditionen jenes allitalischen Hirtenlebens,
des zu allen Zeiten in dieser Halbinsel weit verbreiteten, zu Tage.
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MARS. 333
Noch eine Eigenthümlichkeit aller dieser Götter und Gottesdienste ist
die, dafs sich in ihnen eine gewisse Praxis der religiösen Sühne und
Weihe ausgebildet hatte, welche bei sehr verschiedenen Gelegenheiten
zur Uebung kam und wohl in dem Umstände seine Erklärung findet,
daXs alle Götter dieses Kreises als Frühlingsgötter und Götter der
Befruchtung zugleich solche sind welche den Winter, den Tod und
andre im Gedanken sich von selbst anschliessende Schrecknisse aus-
treiben und sowohl die Natur als das menschliche Gemüth davon
zu befreien die Macht haben. Ein Ideenzusammenhang welcher auch
in andern Naturreligionen gewöhnlich ist und in diesem Kreise,
namentlich in der Religion des Mars, des Faunus Lupercus, der
Pales, in verschiedenen ebenso alterthümlichen als eigenthümlichen
Gebräuchen sich ausdrückt.
1. Mars.
Mars war neben Jupiter der eigentliche Haupt- und Stamm gott
der italischen Bevölkerung. Sowohl bei den Umbrern wurde er ver-
ehrt, wie dieses die Urkunden von Iguvium und andre Denkmäler
bezeugen 1 ), als bei den Sabinern, Paelignern, Aequern, Hernikern,
Faliskern und Latinern, bei welchen Völkern ihm nach Ovid F. III,
87 ff. ein eigner Monat geheiligt war. Ihm pflegte die alte Gebirgs-
bevölkerung jene heiligen Frühlinge ihrer Felder, ihrer Weiden und
der Landesjugend zu weihen, welche für die älteste Geschichte Italiens
so wichtig sind. Von Mars und seinen heiligen Thieren geführt
suchte und fand diese geweihte Jugend, sobald sie herangewachsen
war, aufserhalb der Landesgrenzen eine neue Heimath, die Samniter
unter der Führung eines Ackerstiers, die Picenter unter der des
Spechtes, die Hirpiner unter der des Wolfes, bis endlich die Mamer-
tiner, der letzte und südlichste Sprofs dieses lange anhaltenden Aus-
wanderungstriebes, den Namen und die Verehrung des alten Stamm-
gottes bis hinüber nach Sicilien trugen. Auch die Latiner und voll-
ends die Römer bekannten sich seit alter Zeit vorzüglich zu diesem
Gotte. Wie in dem Stammlande der latinischen Aboriginer in einem 296
Orte ein sehr alter Tempel des Mars, in einem andern, Tiora Matiene,
ein eben so altes Orakel des Mars genannt wird, wo der Specht auf
l ) Vgl. die in der Nähe von Iguvium mit einem Bilde des Mars gefun-
dene Inschrift [Marti cyprio n. s. w. b. Or. n. 4950. 51 — Henzen n. 5669,
oben S. 280 and Sil. IUI. Pan. IV, 222 Gradivicolam ceUo de eoile Tudertem.
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334
VIERTER ABSCH.MTT.
einer hölzernen Säule sitzend weissagte (Dionys I, 14), so finden sich
entsprechende Anlagen am latinischen Strande zu Laurentum, dem
mythischen Königssitze des Picus, dessen Sohn Faunus, der Vater
des Latinus, ein Abkömmling des Mars, in der Landessage für den
Begründer der Landescultur galt. Rom aber hatte seinen Dienst des
Mars sogar aus einer doppelten Quelle bekommen, den Palatinischen
Mars mit seiner Umgebung des Picus und Faunus und der Sage von
Romulus und Remus von den albanischen Latinern, und den Qui-
rinus d. h. den sabinischen Mars des Quirinais, der später mit dem
vergöttlichten Romulus identificirt wurde, von den Sabinern von Cures,
welche mit diesem örtlichen Gottesdienste auch den Namen der Qui-
nten nach Rom gebracht hatten.
Der alte Wortstamm des Namens scheint mar oder mas zu sein
und die männliche Kraft eines zeugenden und aufregenden Gottes
zu bedeuten, welcher in der älteren Zeit auch Naturgott war, aber
den späteren Generationen bei einseitiger Auffassung immer mehr
zum Kriegsgotte schlechthin geworden ist 1 ). Aus mar entsteht durch
Reduplication Marmar und Marmor, unter welchem Namen der Gott
im Liede der Arvalischen Brüder um Schutz und Segen der Felder
angerufen wird. In der Declination ist aus demselben Stamme Mar-s
Mar-t-is geworden, dahingegen in der Zusammensetzung mit dem
*) Vgl. Corssen Ztschr. f. vgl. Sprachforschung 2, 1 — 35 [Ausspr. 1 *,
404 ff.]. Andre etymologische Erklärungen s. b. Mommsen uutcrit. Dial. S. 276,
welcher die Formen Mavors und Maurs für die ursprünglichen und die Be-
deutung des Abwendcns und Abwehrens, das avortere, für die primitive halt,
und b. Bergk Zeitschr. f. A. W. 1856 n. 17 S. 143, welcher Mars für einen
Sonnengott erklärt. Vgl. auch A. Kuhn in Haupts Zeitschr. f. D. Alterth. 5,
491 und L. Meyer z. ältesten Gesch. d. griech. Mythol. S. 47 [Grassmann Zs.
f. vergl. Sprachf. 16, 162], welche den italischen Mars wie den griechischen
Ares für einen Gott des Sturms halten und auf die Sanskr. Wurzel inarüt
Sturm zurückgehu. [Die Herleitung von tnarül hat bereits Corssen (Ausspr.
a. 0.) gebührend gewürdigt. Allein seine eigene, von mar ,glänzen', daher
Sonnengott', stützt sich sachlich wesentlich auf die Identität des Beiworts des
späten römisch-keltischen Ufers loucetius: allein wenn auch das Wort mit dem
alten Beiwort loucetius der Juppiter (oben S. 189) verwandt sein mag, so ist
doch der geschichtliche und sachliche Zusammenhang beider zu leugnen (vgl.
Jordan Krit. Beitr. 33 f.). Corssen's Aulfassung führt aus Roscher, Studien
zur vergl. Mytb. 1 (Apollon und Mars) L. 1873, dem Mars ,Sonncngott' ist,
im Wesentlichen theilt sie auch Usener Rh. Mus. 30, 206 ff, dem er ,Jahres-
gott' ist. Die 12 Ancilien (12 Monate), die Austreibung des (alten) Jahres
(Mamurius Veturius, Anna Perenna) sollen dies beweisen.]/ JtiuWLßdju t it W.
ti t+oU 5i*».jrw. ^**fcc*. Krx-yKYj . If}4.
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MARS.
335
patriarchalischen Ehrenprädicate pater die Form Maspiter 1 ) auf den
Stamm mas zurückweist, Marspiter aber die gewöhnliche Zusammen-
setzung mit der schon zur Declination vervollständigten Form Mars
ist. Aus derselben Form Mars ist ferner durch Einschiebung eines V
geworden Maurs, welche sich in einer alterthümlichen Inschrift aus
Tusculum erhalten hat, daraus das gewöhnlichere Mavors 2 ). Noch 297
andre Bildungen desselben Stamms sind die Eigennamen Marius und
Marcius, desgleichen Mamurius, der Name des Schmiedes der An-
cilien, die Adjectivbildung einer Nebenform Marmor; endlich im sabi-
nischen und oscischen Dialect der Name des Mamercus, eines Sohns
des Numa, von welchem die Mamerci Aemilii ihren Namen ableiteten,
und der Volksname der Mamertini, beide von der Nebenform Mamers 3 ).
Der Wurzelbegriff aller dieser Formen ist wie gesagt die mannliche
und zeugerische Kraft eines Gottes, welcher sich sowohl in der Natur
als unter den Menschen durch kräftigen Trieb und belebende Erre-
gung offenbarte, durch den Frühling in Wäldern und Feldern, durch
Befruchtung der Heerden und des ehelichen Bundes, begeisternde
Gemülhswirkung, mannhafte Thaten, starkes lleldenthum und sieg-
reiche Kriegsführung 4 ).
') Vurro 1. 1. VIII, 49, IX, 75, X, 65. Der Genitiv war oach Priscian
Maspiteris oder Maspitris. Vgl. Fest. p. 161 Marspedis sive sine r littera
Maspedü in t precaticie sesita uallium [so die Hs. nach Keil Rh. M. 6, 621,
precatione solitaurilium Seal.] quid singnificet ne Messaüa quidem augur in
Explanatione auguriorum reperire se potuisse ait.
*) Henzen z. Or. n. 5674 [= C. I. L. 1, 63] M . FOVRIO . C . F . TRIBVNOS.
MI LIT AHL . DE . PRAIDAD . MAVRTE . DEDET.
8 ) Paul. p. 131 Mamercus und Mamers, Fest. p. 158 Mamertini, Plut.
Numa 8.
4 ) [Vielmehr ist die Vielheit der Namensformen wohl so zu beurtheilen:
neben urlat. Mär-(t)-s (Vocativ im Arvalenl., Nom. Pränest. Bronze Eph. ep.
1 n. 21, Marte Dat. C. I. L. 1, 62, Tibur) und umbr. Mar-(t)-s {Marte Dat.
Iguv. T.), dessen a naturlang (daher das wurzelgleiche Mar-cus auch Maarcus
geschrieben), gab es noch älteres lat. Mä-vor-(t)-s (gerettet durch die feier-
liche und dichterische Literatursprache, vgl. Liv. XXII, 1, 11 und die Ety-
mologie qui magna votieret b. Cic. de n. d. II, 26, 67; Mauortei C. I. L. 1,
808, Rom; doch vgl. Garrucci Syll. 1414), mundartlich (C. I. L. 1, 63, Tus-
culum) Maürte (mit Ausstofsung des v; nicht Maurte oder Mavrte\ vgl. Ritsehl
Op. 4, 489 f.); dies Ma-vors ist wohl als Urform des schon früh daneben
cootrahirten Märs anzusehen und, wie A. Bezzenbcrger wahrscheinlich
macht, auf mac-vors (verw. mit //«/-»?; der Stürmer, Kämpfer, was für
alle Hauptäusscrungen des Begriffs pafst) zurückzuführen. — Wenn daneben in
demselben Arv. L., das Mars hat, Mannar (daneben marmor, marma Fehler
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VIERTER ABSCHNITT.
Das hohe Alterthum dieser Religion bestätigt sich durch die
Merkmale eines dem Mars geweiheten Baumcultus und einer mit
diesem Dienste eng verbundenen Thier- und andrer Symbolik. Auch
dem Mars wurden hin und wieder die ältesten Bäume der Vorzeit
geheiligt, Eichen, Feigenbäume und andere Bäume 1 ). Seine beiden
heiligen Thiere sind der Wolf und der Specht, jener ein Bild
alles grimmigen und gefräfsigen Wesens, wie es dem alten Wald-
und Kriegsgotte am meisten zu entsprechen schien, dieser ein Symbol
aller Heimlichkeit des Waldes, wie sie sich in den Orakeln des Mars
und des Faunus in dunkeln Stimmen und Sprüchen offenbarte. Der
Wolf hiefs bei den Hörnern deswegen Schleen weg lupus Martius oder
lupa Marüa, sein Bild stand in den Tempeln des Gottes, seine Er-
scheinung im freien Felde bedeutete die Hülfe des Mars 8 ); allbekannt
298 ist die Theilnahme der Wölfin an der Rettung und Ernährung der
römischen Zwillinge 3 ). Was die Bedeutung dieses Symbols betrifft,
so wird von den Alten natürlich immer am meisten das Grimmige
Blutige, Tückische, den Heerden und aller menschlichen Ansiedelung
des Exemplars: Jordan Krit. ßeitr. 192 f.) als Vocativ vorkommt, so scheint
dies Mär-Mär, eine aar für die Anrufung bestimmte Doppelung des Vocativs
zu sein, wie das ebenfalls singulare ItiQis-'Aots (Becker Horn. 81. 1, 194. 2,
213). Dann bleibt nur die Uberhaupt nicht aus Originaldenkmälern bekannte,
möglicherweise von den Glossatoren nur aus Mainertini, Mamertus erschlossene
Form Mamers (denn C. I. L. 1, 850 ist Mamerti Personenname; vgl. Moniniaen
Dial. a. 0.; die Zugehörigkeit von Mamurius ist mindestens fraglich): dies
könnte unmittelbar aus Ma-vors, Ma-vert durch Assimilation des v an das
erste m entstanden sein, wie ebenfalls A. ßezzenberger meint. Oder ist es
durch Doppelung entstanden? Ma{r)spüer ist so zu erklären wie Iüpiter.]
J ) Quercus autiqua Marti sacra, Sueton Vespas. 5, Mars Ficanus b. Henzen
n. 7194, vgl. oben S. 110 ff. Auch der angeblich aus einer Lanze des Kumulus
entsprungene Coroelkirschbaum auf dem Palalin, Plut. Rom. 20, Serv. V. A.
III, 46, Araob. IV, 3, war veruiuthlich ein altes Heiligthum des Mars. [Doch
s. Schwegler ß. G. 1, 395.]
») Liv. X, 27, XXII, 1, vgl. Cic. d. Divio. I, 12, 20, Horat. Od. I, 17, 9,
Virg. Aen. IX, 563, Prop. V, 1, 55, Justin XL1II, 2, 7, Serv. V. A. f, 273,
n, 355 u. A. Allerlei Aberglaube bei Plin. H. IM. XXVIII, 157. 263, und
Serv. V. A. IV, 458. Auch glaubte man so gut in Italien wie in Arkadien
und Deutschland au Wehrwölfe, s. Varro b. Augustin. C. D. XVIII, 17, Virg.
Ecl. VHI, 97, Plio. VIII, 80, Petron. Sat. 62. [Vgl. W. Hertz Der Werwolf.
Stuttgart 1862.]
8 ) [Er ist der Archeget der Hirpüii — denn hirpus ist sein sabiuischer
d. h. samnitiseber Name (Strabo V, 4, 12, Festus 106 u. Irpini vgl. Jordan
Krit ßeitr. 163) — wie picus der Archeget der Picentes (s. unten).]
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*
MARS
337
Feindliche des Wolfes hervorgehoben. Doch scheint dieses Thier
wie in den Religionen und Mythologieen anderer Völker, so auch in
Italien neben dieser nächsten Bedeutung des blutigen Mörders die
allgemeinere des Wösten und Unheimlichen überhaupt gehabt zu
haben, namentlich die des Winters und seiner allegorischen Neben-
gedanken: wie andrerseits die Götter, deren Symbol der Wolf ist,
nicht blos als seine gleichartigen Herrn und Meister, sondern auch
als seine Feinde und Ueberwinder, also als Repräsentanten einer Se-
lchenden Naturmacht gedacht werden, namentlich als Frühlingsgötter,
wie der griechische Apollo Xvxoxtovos und der römische, zum Kreise
des Mars gehörige Faunus Lupercus [unten 4]. Einfacher ist das
Bild des Spechtes, des picus Martius, wie er gewöhnlich in Italien
hiers, und des in den Sagen und Bildern Italiens wie andrer Völker
oft mit ihm verwechselten Wiedehopfes. Immer erscheint er als
Waldvogel und Waldgräber schlechthin, der einsam wohnt und gräbt
und hackt und um allerlei verborgene Kunde und Schätze weifs, dabei
aber auch mit seinem mächtigen Schnabel und dem Büschel auf
seinem Haupte den Eindruck eines martialischen Thieres machte 1 ).
Sein italischer Name picus (umbrisch peiqu) sollte wahrscheinlich
den Schall seiner einsamen Schnabelarbeit im Walde ausdrücken,
wenn er als Baumhacker (ÖQVoxokdnTijg) im W T alde pickt. In dem
latinischen Marsdienste und in den entsprechenden Sagen erscheint
er zugleich als Seher und als Krieger, in andern italischen Tradi-
tionen vorherrschend als der Prophet des Mars. Die am adriatischen
Meere ansässigen Picenter mit der Hauptstadt Asculum, ein Zweig
der Sabiner, leiteten bekanntlich ihren Namen davon ab dafs ihren 299
Vätern beim Auszuge aus der Heimath der heilige Vogel des Mars
als Führer vorangezogen sei*).
Aufser diesen Thieren des Waldes waren aber auch die der
! ) Plut. Qu. Ro. 21 xal yag tv9«Qaiis xal yttvQot iari xal ?6 §vyx°s
ovtwq l/€i xQajaiov, mme Joüs avta^ntiv orav xomtarv ngog tt> Iweqtto-
vrp l$(xrpai. Bei den Griechen heilst der Specht wegen seines Schnabels
neltxäs, 71 aim to Tjf.Xfxüy tu Ijula, wie der Schnabel des Wiedehopfs n€ltxv(
hieb, a. Plin. X, 38, Aelian H. A. I, 45, III, 26. Als Schatzgräber erseheint
er bei Plaut. Aulul. IV, 8, 1 Pici divitiis, qui aureot montei colunt, vgl. Won.
* Marc. p. 152. Keltisch bedeutete beeco den Schnabel des Hahns, s. Suetou
Vitell. 18, vgl. in den romanischen Sprachen becco, bec, bicco. (Diez Rom.
W. B. ] », 60. Doch ist picus mit dem keltisch-romaniachen Wort vermuthlich
nicht verwandt Corssen Aasspr. 1 *, 379.]
>) Paul. p. 212 Picena regio, Strabo V p. 240.
Preller, Röm. Mytbol. L 3. Aufl. 22
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VIERTER ABSCHNITT.
Cultur vorzugsweise dem Mars geheiligt, der Ackerstier und das
Streitrofs, auch die Heerden der Lämmer und der Schweine; wenig-
stens wurden ihm von allen diesen Thieren Opfer dargebracht und
als eine Auswahl des Heerdenreichthums überhaupt vorzüglich ihm
die Suovetaurilien, so dafs er also jedenfalls eben so sehr Culturgott
gewesen ist, namentlich in den Kreisen der Viehzucht, als blutdür-
stiger Kriegsgott. Der Ackerstier (bos arator), ein Bild alles
Ackerbaus und aller darauf beruhenden Cultur, die Mars als arvalis
behütet, schritt den Samnitern als ein von Mars gesendeter Führer
voran, als sie gen Süden zogen und die Stadt Bovianum gründeten 1 );
das kriegerische Streitrofs (equus bellator) wurde dem Mars zu Rom
nach altem Brauche bei den Feierlichkeiten des 15. Octb. im Mars-
telde geopfert. Auch scheint die Pferdezucht, welche im innem
Italien bei den vielen Berg weiden .sehr gut gedieh, gleichfalls unter
dem Schutze des Mars gestanden zu haben, da ihm die sehr beliebten
Wettrennen (Equiria) gefeiert wurden. Immer ist dabei vorzugsweise
an das edle, das ritterliche Streitrofs zu denken, welches in der
Schlacht, wenn die Trompete ruft, so begeistert und wie zusammen-
gewachsen mit seinem Reiter dahinstürmt 8 ), eine Zierde des Mannes
und das Abzeichen des ritterlichen Standes, wie er durch ganz
Italien blühte und sowohl den höheren Wohlstand als die feinere
Bildung in sich vereinigte. Nur dafs als Schutzpatrone dieses ritter-
lichen Standes auch in Rom sehr früh nach griechischer Sitte die
Dioskuren verehrt wurden, dahingegen Mars als kriegerisches Ideal-
bild entweder Gradivus ist d. h. schwerbewaffneter Kämpfer zu Fufs
oder nach Art der griechischen Heroendichtung auf dem Kriegswagen
kämpft.
Den Kriegsgott Mars bezeichnete weiter das alte Symbol der
Lanze (hasta, curis), sowohl bei den Latinern als bei den Sabinern,
in frühester Zeit vermutlich die einzige bildliche Vergegenwärtigung
») [Vgl. Nissen Templum S. 57. 132 f., wo zugleich über den SÜer mit
Menschenantlitz auf den Münzen süditalischer Städte gehandelt wird.]
*) Virg. Ge. III, 83, vgl. Lueret. II, 662, Umigerae pecudes et equorum
duellica prole* und den Ausdruck equus bellator b. Virg. Aen. X, 891, XI, 39,
Prop. IV, 4, 14, Ovid F. I, 698, II, 12, Met. XV, 368 u. A. Wenn die Dichter
von den Rossen des Mars sprechen, so ist immer an seinen Kriegswagen zu
denken, s. Virg. Aen. XII, 332, Georg. III, 91, Horat. Od. III, 3, 16, Ovid F.
II, 358 u. A. (Rofskopf und Marskopf auf den alten campanischen Münzen
Cohen Cons. T. XLIV: vgl. Heibig Annali 1865, 271.]
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MARS. 339
lies streitbaren Gottes 1 ). Daher die heilige Lanze des Mars in der 300
Regia zu Rom, welche man schlechthin Mars nannte (Plutarch Rom. 29)
und der sabinische Quirinus, dessen Cultus in dem Institute der
Salier zu Rom mit dem des Palatinischen Mars früh verschmolzen
wurde; weshalb auch die hastae Martiae der Regia, und dieser Plural
ist häufiger als der Singular, höchst wahrscheinlich von zwei Lanzeu,
einer des Mars und einer des Quirinus, wie diese Götter in dem
alten Göttersystem des Numa neben einander erscheinen (S. 64), zu
verstehen sind. Es gehörte zu den schwersten und bedeutungsvollsten
Prodigien, wenn diese Lanzen sich von selbst bewegten. Der Ponti-
fex Maximus, welcher in der Regia wohnte, mufste darüber alsbald
an den Senat berichten, welcher denn die Consuln mit der feier-
lichen Sühnung zu beauftragen pflegte 2 ). Und zwar war dieses nicht
allein in Rom der Fall, sondern auch in andern latinischen Städten,
wie die gleichartige Meldung eines solchen Prodigiums aus Präneste
bei Liv. XXIV, 10 beweist. In Rom wurden neben jenen heiligen
Lanzen der Regia auch die Ancilia der Salier bewahrt und in gleichem
Sinne beobachtet, daher auch von ihnen bei solchen Prodigien wieder-
holt die Rede ist 3 ).
Als Gott der fiefruchtung war Mars zunächst Fr ühlingsgott'
wie dieses sowohl aus der römischen Märzfeier als daraus erhellt,
dafs ihm das ver sacrum d. h. der ganze Ertrag des jungen Jahres,
namentlich der Monate März und April geweiht zu werden pflegte.
Zwar haben die Römer nach ihrer Weise auch den Reginn des neuen
Jahres mit dem Märzmouate durch die kriegerischen Eigenschaften
des Gottes erklären wollen, s. Fest. p. 150 Martius mensis, Ovid
F. I, 39, III, 79 lf., doch ist der heilige Monat des Mars so deutlich
Frülilingsmonat, dafs auch dieses nicht verkannt werden konnte 4 ),
und sowohl die Art der Feier als die allgemeine Verbreitung dieses
Monats bei den Latinern 5 ), entflieh die allgemeine Analogie der
*) [Achnliche Anuahnien bei Bötticber Baumkultus 226. 232, Overbeck
Ber. d. säebs. Ges. d. Wiss. 1864, 154.]
») Gell. N. A. IV, 6, vgl. lul. Obseq. 60. 96. 1U4. 107. 110, Liv. XL, 19.
3) Liv. E,iit. LXVIII, vgl. IuL Obseq. 104, Dio XLIV, 17, lo. Lvd. IV, 42.
*) Vgl. Ovid F. III, 235 ff. uud Isidor Orig. V, 33, 5 Martius — propter
Martern Ro. gentis auetorem vel quod eodem tempore cuneta animantia agantur
ad mores et ad coneumbendi voluptatem.
6 ) Verrius Fl. Fast. Praeo..: Martius ab Latinorum [Marte. Appet\landi
ilaqutt apud Albanos et plerosque [po]pulos Lat[ii m\os idetn J'uit ante conditam
Homam. Vgl. Ovid F. III, 87 lf.
22*
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340 VIERTER ABSCHNITT.
Monatsbenennung beweist, dafs die Beziehung auf die Natur und die
Erneuerung des Jahres die ursprunglichere war. Auch wurde Mars
soi bei vielen andern Gelegenheiten als Gott der natürlichen Production
gefeiert, selbst im October, da ihm das Pferd ob frugum eventuro
dargebracht wurde. So baten auch die Arvalischen Brüder bei der
Feier der Dea Dia im Mai den Mars und die Laren der Stadtflur
um Schutz und Segen der Aecker und Cato in seiner Schrift über
den Landbau nennt den Vater Mars wiederholt unter den mächtig-
sten Göttern der Viehzucht und des Ackerbaus 1 ). Der Viehzüchter
soll zum Mars Silvanus im Waide beten und für jedes Stück
Rindvieh eine eigne Spende darbringen (83), zum Mars Sflvanus
aus demselben Grunde, aus welchem in Italien alle Waldgötter zu-
gleich Götter der Viehzucht sind, Faunus, Silvanus und Pales, weil
nehmlich die Viehweiden meist im Walde oder zwischen den Wäldern
lagen d, h. sogenannte saltus waren 8 ). Der Ackersmann aber soll
bei der ländlichen Ceremonie der Ambarvalien d. h. der Flurweihe
also beten (141): „Vater Mars, ich flehe zu Dir und bitte Dich,
dafs Du mir, meinem Hause, meinem ganzen Hausstande günstig
und gnädig sein wollest: zu welchem Behufe ich die Suovetaurilien
um meinen Acker, mein Land, mein Grundstück habe herumfuhren
lassen. Dafs Du alle Krankheiten, sichtbare Und tinsichtbare, alle
Seuche und Verheerung, Schaden und böse Witterung abhalten, ab-
wehren und abwenden mögest. Dafs Du allen Feldfrüchten, allem
Korn und dem Weinberge und Baumgarten gutes Gewächs und gutes
Gedeihen gewähren, Hirten und Vieh behüten, und mir, meinem
Hause und Hausstande gute Gesundheit und alles Heil verleihen
mögest". Allerdings erscheint Mars bei solchen Gebräuchen zugleich
als Verleiher des natürlichen Segens und als averruncus 8 ) d. h.
») [Mars ist der Hauptgott im Hain der Dea Dia. Jordan Rrit Beitr.
202. 206.]
■) Vgl. Varro 1. 1. V, 36 quos agros non colebant propter Silvas
aut id genus, übt pecus possit pasci, et possidebant ab usu salvo saltus
nominarunt; haec etiam Graeci vturj, ttostri nemora. Vgl. L. Speogel üb. d.
Kritik d. Varron. B. d. ling. lat. Münch. 1854 S. 42, Fest. p. 320 Saltnm
Gallus Aelius l. II significationum quae ad ius pertinent ita definä: Saltus
est ubi silvae et pasiiones sunt , quar um causa casae quoque. Si qua
particula in eo saltu pastorum aut custodum causa aralur, ea res non peremit
nomen saltuis. Auch die Hirtengöttin Pales ist silvicola, Ovid Fast. IV, 746.
>) Auch der Dens Averruncus bei Varro 1. 1. VII, 102, Gellius N. A. V,
12, 14 ist höchst wahrscheinlich Mars.
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MARS.
341
als Abwender alles Schadens den Krankheit, böse Witterung oder
auch der Krieg und andre Calamität den Feldern zufügt. Doch
würde ihm und andern Göttern diese Macht der Abwendung nach-
theiliger Einflüsse nicht zugeschrieben sein, wenn sie nicht ihrem
Wesen nach als gute und segnende Götter gedacht worden wären, S02
wie er denn auch am 25. April bei der Feier der Robigalien neben
der Robigo als Schutz gegen den Kornbrand angerufen wurde 1 ).
Selbst der Umstand, dafs der dem Mars geweihte Monat in den
verschiedenen Kalendern in verschiedene Jahreszeiten fiel (S. 159),
beweist dals bei den verschiedensten Gelegenheiten zu ihm um den
Segen des Jahres gebetet wurde.
Noch deutlicher wird diese Beziehung des Mars zur Natur der
Dinge und zur Erneuerung des Jahrs hervortreten, wenn wir die
verschiednen Göttinnen ins Auge fassen, mit welchen ihn der Cultus
und die in seinem Kreise gleichfalls besonders lebendige Mythologie
der Römer in eine nähere Verbindung setzte. Zunächst gehört dahin
die Juno, sowohl als Geburtsgöttin (Lucina) als als Göttin der Ehe,
daher Mars sowohl an den Kaienden des März als an denen des
Juni von den Matronen neben der Juno gefeiert wurde. Die mytho-
logische Begründung ist unklar 8 ), doch scheint es wohl dafs man
sich später die Juno nach griechischer Weise als Mutter des Mars
und den ersten März als seinen Geburtstag dachte; wozu das Mähr-
chen erzählt wurde, dafs Juno durch die Berührung einer wunder-
baren Frühlingsblume, also ohne Mitwirkung des Jupiter die Mutter
des Mars geworden sei 3 ). Der wirkliche Grund mag darin gelegen
haben, dafs Mars in älterer Zeit und namentlich bei den Sabinern
auch als Schutzgott der Ehe und des ehelichen Lebens verehrt
wurde, in welcher Hinsicht sein Verhältnifs zu Nerio besonders
merkwürdig ist. Dieses war eine sabinische Göttin (Nerio Nerienis,
wie Anio Anienis), welche bald für die Minerva bald für die Venus
*) Tertull. d. Spectac. 5 Post hunc (Romulum) Numa Pompilius Marti et
Robipim fecit. Vgl. Ovid F. IV, 907 IT., Plin. H. N. XVIII, 285.
*) Ovid F. III, 169 Cum sis officiis Gradive virüibus aptus, Die mihi rna-
tronae cur tua festa colant. Vgl. VI, 191 und Verr. Fl. Fast. Praen. 2. Marz.
Ovid giebt F. III, 231 ff. verschiedene Erklärungen.
») Ovid F. V, 253. Die Einkleidung der Fabel ist ganz griechisch.
Doch wurde Iuno Lucina mit einer Blume in der Hand abgebildet (S. 273)
und die Frauen trugen in jenen Tagen Frühlingsblumen in ihren Tempel.
Einige erklärten sogar den Namen Gradivus, quia gramine sit ortus.
Paul. p. 97.
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342 VIERTER ABSCHNITT.
»
erklärt wird, also sowohl die Eigenschaften einer kriegerischen als
einer befruchtenden Liebesgöttin gehabt haben mufs. Dem Namen
nach entsprach sie meist der römischen Virtus, denn Nero bedeutete
in der sabinischen Sprache i. q. fortis und strenuus, beide Wörter
aber, Nero und Nerio, auch das umbrische nerf der iguvinischen
Tafeln, sind zurückzuführen auf den Sanskritstamm nar (nr), mit
dem auch das griechische apyg zusammenhängt 1 ). Als die Gattin
des Mars und als sabinische Schutzgöttin der Ehe erscheint sie in
einem merkwürdigen Bruchstücke älterer römischen Annalen, wo
Hersilia bei der bekannten Intercession der Sabinerinnen während
des Kampfes der Römer und Sabiner also betet: Neria Martis te
obsecro, pacem da, te uti liceat nuptiis propriis et prosperis uti T
quod de tui coniugis consilio contigit uti nos itidem integras rnpe-
rent, unde liberos tibi et suis, posteros patriae pararent 8 ): wobei
wieder zu bedenken ist dafs der Raub nur eine alte Form der Braut-
werbung war, daher Mars als Anstifter dieses Raubes und Gemahl
der Nerio gleichfalls ein Schutzgott und Anstifter der Ehe gewesen
sein mufs; wie denn auch die matronale Feier des Mars und der
Juno am 1. März nach Ovid desselben Raubes der Sabinerinnen
dachte (S. 275). Ja es scheint wohl dafs die Ehe des Mars und der
Nerio selbst in dieser Hinsicht vorbildlich d. h. eine durch Raub
geschlossene war; wenigstens wissen verschiedene Schriftsteller von
einer heftigen, aber abgewiesenen Liebe des Mars zur Nerio oder
Minerva 8 ), während eine Familienmünze der Gellier nach der wahr-
») Gell. N. A. XIII, 23 (22), Soeton Tib. 1, Io. Lyd. d. Mens. IV, 42,
vgl. Pott etymol. Forsch. 1, 106, Aufrecht und Kirchhof! Umbr. Sprachdenkm.
2, 157, Ebel in der Zeitschr. f. vgl. Spracht 1, 307 u. A. Auch die Namen
Nerius, Neria, Neratius gehören dahin. {Auf der oskischen Seite der Bant.
Tafel Z. 29 steht nerum (Gen. PI.), auf der J. von Capua Zwetaj. 34 hinter
Eigennamen ner., beides pflegt ohne ausreichende Gründe patricius , nobilis
übersetzt zu werden. Vielleicht ist es der Name einer Magistratur oder von
Senatsmitgliedern : Jordan in ßezzenberger's Beitr. z. Kunde d. indog. Spr.
4, 204 ff.)
*) Gellius a. a. 0. Vgl. Roepcr im Philologus 1852 S. 591 [Jordan Krit.
Beitr. 181.]
•) Porphyrion z. Horat. Ep. II, 2, 209 Maio mense religio est nubere et
Hern Martio, in quo de nuptiis habito certamine [deputetis habito, ohne cert.,
die Münch. Hs.] a Minerva Mars victus est et obtenta virginitate Minerva
Xeriene est appeüata. Vgl. Martiao. Cap. I, 3, 1 certumque esse Gradivum
Xerienis coniugis amore tarreri. [S. Rhein. Mus. N. F. 17, 638.] Io. Lyd.
d. Mens. IV, 42, am 23. werde das Tubilustrium gefeiert, xal Ttfinl"AQ(og
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MARS. 343
scheinlichsten Erklärung sogar den Raub der Nerio durch Mars dar-
stellt, dessen Gattin sie auch bei Plautus und andern älteren Dichtern
genannt wird 1 ). Noch mehr, auch die gelegentlich erwähnte Here
Martea, welche neben dem Mars verehrt wurde*), kann von der
Nerio nicht wesentlich verschieden gewesen sein, nur dafs sie mehr 304
jener andern Seite dieser Göttin entsprach, weswegen dieselbe mit
der Venus verglichen wurde. Denn der Name Here wird auf den-
selben Stamm zurückzuführen sein, zu welchem auch die Herie
Iunonis und Hersilia, ferner Herentas d. i. Venus, wahrscheinlich
auch die lateinische Quellengöttin Ferentina gehört, denselben der
in dem oscischen Worte herest d. i. volet hervortritt, so dafs also
jene Here Martea eine dem Mars gesellte Göttin der Liebe und des
Verlangens gewesen sein mufs, wie Hersilia in ähnlicher Bedeutung
neben dem Quirinus verehrt wurde [s. V, 3].
Endlich ist hier des anmuthigen Mährchens vom Mars und der
Anna Perenna zu gedenken, zumal da es gleichfalls die Festlich-
keiten des Märzmonats betrifft und indirect auf das Bündnifs des
xal N€g£yrjs } öeas ovrto ry Zaßtvaiv yltoaan ItffOfUyogtVO/iiPtfi , rj&ovv
(tvat rrjv^i&nväv q xal '4(f go^trrjv. Vgl. die M. de Gellia b. Riccio t. 21,
1. 2. [Cohea Cons. T. XIX Gell. 1 vgl. Mommsen Münzw. 543, 144. — Da-
her die oben S. 258 berührte Deutung der Minerva als Nerio. Auf der von
Michaelis Moo. dell' ist. 9 T. LVIII . LIX Annali 1873, 221 ff. publ. prä-
nestinischen Ciste scheint Menerva dem kleinen auf einem Gefäfs knieenden
Mars durch Handauflegen 'den Mund zu üffoen', d. h. bei seiner Geburt thätig
zu sein. Indessen bleibt es zweifelhaft, ob nicht auch hier ein griechischer
Mythus zu Grunde liegt, tjeber die Zwölfzahl der hier dargestellten Götter
oben S. 67, 1. Ebenso, unsicher Corssen's Combinationen Spr. d. Etr. 1,246.
— Spätere Widmungen Marti Minervae, z. ß. C. I. L. 5, 5114, haben schwer-
lich hiermit etwas zu thun.J
l ) Plaut. Trucul. II, 6, 34 Mars peregre adveniens salutat Nerienem uxorem
suam. Vgl. das Fragm. eines älteren Komödiendichters Gellius Imbrex b.
Gell. a. a. 0. Nolo ego Neaeram te vocent, set Nerienem, cum quidem Mavorti
es in conubium data. Aus Ennius im ersten Buche der Annalen wird von
dems. angerührt: Nerieniem Mavortis et Herem, aus Varros Satiren der Vocativ
Nerienes. [Nerienis schreibt Bücheler V. 507; aus dem Gebet der Voc. Neria.
Bei Mart Cap. hat Eyss. Nerines hinter Nerienis mit Recht gestrichen, lieber
den Kampf des Mars und der Nerio vgl. Reifferscheid Annali dell' ist.
1867, 359.]
*) Paul. p. 100 Herem Marteam antiqui accepta heredUate colebant, qvae
a nomine appellabatur keredum et esse una ex Mortis comitibus putabatur.
[Ennius in d. A. 1 a. Verse.] Zu vergleichen ist f erfus Martins und ähnliche
Namen in den iguvinischen Urkunden, s. Aufrecht und Kirchhof! Umbr. Sprach-
«lenkm. 2, 265. [S. auch Moinmsen C. I. L. 1 p. 34 zu 182.]
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VIERTER ABSCHNITT.
Mars mit der Nerio zurückweist. Ovid F. III, 523 ff. hat uns eine
lebendige Schilderung von der Feier der Anna Perenna hinterlassen,
welche an den Iden des März, also um die Zeit des ersten Voll-
monds im neuen Frühlinge, in dem Haine der Göttin am Tiber
begangen wurde; derselbe befand sich von der p. Carmentalis an
gerechnet beim ersten Meilensteine der via Flaminia, also wahr-
scheinlich nicht weit von der p. del Popolo 1 ). Das Volk zog an
jenem Tage hinaus in diesen Hain, warf sich gruppenweise ins grüne
Gras, zechte und war guter Dinge, Einige unter freiem Himmel,
Andre in Zelten und Lauben. So oft sie tranken, so viele Jahre
wünschten sie einander, wobei 'natürlich Viele über den Durst tranken.
Dazu sangen sie die neuesten Weisen, gesüculirten mit beiden Armen,
führten taumelnd allerlei Tänze auf, derbe Bursche und geputzte
Mädchen, wie man sie bei ähnlichen Volksfesten noch jetzt in Rom
beobachten kann. Wenn sie endlich heimzogen, lachten die Begeg-
nenden und freueten sich der lärmenden Neujahrsfeier, welche
Laberius in seinen Mimen durch ein eignes nach der Anna Perenna
benanntes Stück verherrlicht hatte. Die Erklärung, was dieser Name
zu bedeuten habe, fiel in der gelehrten Zeit des Ovid natürlich sehr
verschieden aus. Die Gebildeten dachten gewöhnlich an Anna, die
sofi Schwester der Dido, von welcher man erzählte dafs sie nach dem
Tode ihrer Schwester aus Karthago vertrieben und übers Meer an
die latinische Küste verschlagen sei. Hier habe Aeneas sie freundlich
aufgenommen, Lavinia aber durch ihre Eifersucht so erschreckt, dafs
sie in der Nacht aus dem Fenster springt, hinab ins Thal rennt und
sich in den Numicius stürzt, neben welchem sie sofort als Nymphe
verehrt wurde*). Andere erklärten sie für den Mond (v. 657 sunt
quibus haec luna est, quia mensibus impleat annum), Andre für die
') Kai. Vatic. z. 15. März: Feriae Annae Perennae Via Flam. ad la-
pidein prim. [Mommsen C. I. L. 1 p. 322. 388]. Von demselben Haine spricht
Martial. IV, 64, 16 ff-, wo das illic nicht auf den Hain der Anna Perenna
zu beziehn ist, sondern auf den Punkt der Aussicht aus dem beschriebenen
Garten auf dem Janiculus. [Da sie auch in Bovillae eine Kultusstätte gehabt
zu haben scheint (unten), so ist nicht abzusehen weshalb sie nicht auch in
Rom selbst eine solche gehabt haben sollte. Daher bei Plinius XXXV, 94
das überlieferte in Annae templo wohl nicht nothwendig mit P. (oben S. 284)
in Dianae zu ändern ist. Auch ein templum Mamuri scheint ja existirt zu
haben.]
*) Aus dem Flusse ertönt t als sie gesucht wird, eine Stimme: placidi
mm nympha Numici, Amne perenne latens Anna Perenna vocor.
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MAUS.
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Themis als Mutter der Hören, noch Andre für die Io, wieder Andre
für eine Atlantide und für die Nährerin des Jupiter, bei welcher
Erklärung die griechische Vorstellung von den fruchtbaren Plejaden
und Hyaden im Spiele ist. Andre wollten wissen, die Feier gelle
dem Andenken eines guten Mütterchens aus Bovillae, welche beim
Auszüge der Plebs auf den heiligen Berg für die darbende Menge
mit geschickter Hand Brod gebacken und das frische und noch
dampfende früh Morgens unter den Lagernden ausgetheilt habe: ver-
mutlich eine Erzählung aus Bovillae, wo man die gute Mutter Anna
als eine fruchtspendende Göttin verehren mochte 1 ). Ganz seltsam
aber sei der Inhalt der Lieder, welche die Mädchen bei jenem Feste
unter derben Scherzen zu singen pflegten. Mars habe der Anna
seine Liebe zur Minerva d. h. zur Nerio gestanden, Anna ihre Hülfe
versprochen. Da habe sich das Mütterchen anstatt ihm zu helfen
in der Gestalt jener Göttin und in bräutlicher Verkleidung in seine
Kammer geschlichen und den brünstigen Gott hintergangen, der
darüber sehr böse geworden sei; aber Anna habe ihn weidlich aus-
gelacht und Venus sei über das seltsame Paar ganz entzückt gewesen.
Also jedenfalls eine nährende und befruchtende Göttin des Frühlings
und des jungen Jahrs, bald als alterndes Mütterchen gedacht bald
als ein schönes und reizendes Mädchen; auch erscheint ihr Kopf
auf den Münzen der Annia et Tarquilia als ein jugendlicher, mit
einem Diadem und reichem Haar- und Ohrenschmuck 8 ). Die Er-
klärung kann schwanken zwischen der von amnis perennis d. h. der
aus bestandiger Quelle fliefsenden Strömung, da sie in Rom am
Tiber und bei Lavinium am Numicius verehrt wurde und zwar um
die Mitte des März, wenn die Quellen von neuem fliefsen und alle
Flüsse sich von neuem füllen 8 ). Oder aber, und dieses scheint mir
das Richtigere, Anna ist die wechselnde Mondgöttin des laufenden
Jahres, die in jedem Monate alt ist und wieder jung, vollends in so«
dem Frühlingsmonate März, wo sie nicht ohne Grund grade zur Zeit
der Iden d. h. des Vollmonds als Freudenspenderin und als Buhle
des Mars mit ausgelassener Lustbarkeit gefeiert wurde. Der Name
entspricht genau dem griechischen evi} xal via d. i. Alt- und Neu-
Mond, daher evog d. i. annus und ivictviög, ditvoq tqlsvoq d. i.
x ) [Ovid a. 0. 667 ff., wo pace domi facta Signum postiere perenne (oder
PerennaeJ) wohl auf ein Kultusbild m Bovillä geht.]
») [Cohen Cons. T. II. XXXVIII. Mommsen Münzw. 600, 228.]
») So erklärt Mouimsen unterit. Dial. S. 249. [S. unten ttg. A.]
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j
VIERTER ABSCHNITT.
biennis triennis, vgl. svat ägxccl die Obrigkeiten vom vorigen Jahre
im Gegensatze zu den neugewählten 1 ). So ist auch Anna Perenna
oder Peranna die Alte und die Junge, immer mit specieller Beziehung
auf Jahres- und Mondeswechsel, daher man ihr öffentlich und pri-
vatim mit dem Gebete ut annare perennareque commode liceret
opferte') und bei jener lustigen Feier in ihrem Haine in so vielen
Zügen einander zutrank als man sich Jahre zu leben wünschte.
Auch wird sich weiterhin in dem Mamurius Veturius der Mamuralien-
feier an dem Vortage der Iden des März eine Gestalt von entspre-
chender Bedeutung nachweisen lassen. Selbst die Verehrung dieser
Göttin an Flüssen und Bächen und ihr Verschwinden im Numicius
tritt erst so in das rechte Licht, da die Mondgöttinnen immer das
Wasser lieben und das Ahnehmen und Verschwinden des Mondes
wiederholt auf dieselbe Weise motivirt wird, z. B. wenn die kretische
Diktynna vor der Liebe des Minos ins Meer springt.
Der kriegerische Charakter des Mars braucht neben diesen Be-
ziehungen zum Naturleben kaum besonders hervorgehoben zu werden,
so sehr ist derselbe mit der Zeit im Bewufstsein der Alten zur
Hauptsache geworden. Doch mögen auch hier die wichtigsten That-
sachen des älteren und des nationalen Gottesdienstes zusammen-
gestellt werden.
Von den Symbolen und Attributen dieses Mars ist schon die
Hede gewesen, dem grimmigen Wolf, dem zugleich kriegerischen und
weissagerischen Specht, dem Streilrofs und dem Speere. Aufserdem
gehört dahin das Institut der Salier mit der hüpfenden Bewe-
gung (a saliendo) des kriegerischen Waffentanzes, der über die ganze
!) [Keiiie der bisherigen übrigens sehr zweifelhaften Deutungen von annus
's. die üebersirht in Corssen's Beitr. znr ital. Sprachk. S. 36 ff.) gestattet es
aus der Wurzel von %vos, h'n, lat. sen-is o. s. w. (Curtius Et. 8 31 1) N abzu-
leiten. Dafs Anna- Per anna mit annus zusammenhängt und das 'laufende Jahr
mit seinem Segen' (daher auch nach ihm Annona) 'und das abgelaufene' bedeute
fuhrt auch üsener aus Rh. M. 30, 206 ff. Ist dies richtig so hat jedenfalls
omni» peremnis nichts damit zu thun. Ausführlich aber verworren handelt
über die Quellgöttin Anna Perenna Klausen Aen. 717 ff.]
*) Macrob. S. I, 12, 6 vom März: eodem quoque mense et publice et pri-
vatim ad Annam Perennam sacrificatum üur, ut annare perennareque commodr
liceat. Vgl. Varro in einer seiner Satiren bei Gell. N. A. XIII, 22 Te Anna
ac Peranna, Panda telato [so der cod. Petav., te die Vossiani] Pakt, Nerienes
[et] Minerva, Fortuna te ac Ceres. [Aus telato hat Mommsen, U. Dialekte
S. 136, mit Wahrscheinlichkeit Cela, te gemacht; s. unten S. 592. Vgl. dens
im C. I. L. 1 p. 388.)
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MARS.
347
alte Welt verbreiteten Pyrrhiche *), wie dieselbe aucb sonst bei den
Latinern und überbaupt in Italien seit alter Zeit einheimisch war
und im Dienste des Mars, des Hercules und andrer kriegerischer
Götter geübt wurde. Denn auch in Tibur und in Tusculum gab es
seit sehr alter Zeit Salier, zu Tibur im Dienste des Hercules; so7
namentlich wufste man von einem grofsen Siege der Tiburtiner über
die Volsker, bei dessen Feier die Salier mit ihren altherkömmlichen
Waflentänzen hervorgetreten waren. Ferner wurde ein König der
Vejenter Morrrius als Stifter einer Feier des Salier zu Ehren seines
Ahnherrn Alesus, des Eponymen der Falisker genannt, dessen Lob in
den Liedern dieser Salier gesungen wurde*). Solche Lieder pflegen
immer einen mythischen oder historischen Inhalt zu haben, und so
mögen denn auch, wie die Salier von Tibur jenes Sieges über die
Volsker gedachten, die von Rom des Romulus und T. Tatius, so
die von Veji das Andenken jenes alten Königs iMorrius erhalten
haben, dessen Name dem des Mars (Mamor, Mamurius) verwandt zu
sein scheint und dessen Abstammung von Falerii vermuthen läfot,
dafs von diesem Orte aus einmal eine ähnliche Eroberung und Er-
neuerung von Veji erfolgt war, wie sie in Rom von dem sabinischen
Cures aus erfolgte. Genug in allen diesen Städten und wohl noch
in vielen andern gab es seil unvordenklicher Zeit Sodalitäten der
Salier, welche bei hesondern Veranlassungen mit Opfern und Gebeten
für das Wohl ihrer Stadt hervortraten und dazu den alten nationalen
Waflentanz [unten S. 315] aufrührten und Lieder sangen, in denen
sich die Erinnerung an die Sagen und Thaten der Vorzeit fort-
pflanzten, vornehmlich immer im Culte des Mars, welcher Gott ohne
>) [Vgl. auch Möllenhoff, Ueber den Schwerttanz, in Festgaben für G. Ho-
meyer Berlin 1871, Hilf.]
') Serv. V. A. VIII, 285. Dals Mars einer der wichtigsten Götter von
Falerii war, folgt ans Ovid F. III, 89. Salier in Alba s. Or. n. 2247. 2248,
in Lavininm, Momtnsen I. N. 2211. [Vielleicht aach in Anagnia (anten zu S. 316)
nnd in den Municipalstädten der späteren Zeit: Marquardt Staatsverw. 3, 410].
Dionys. II, 71 vergleicht mit dem Tanze der Salier ganz richtig den xovgt)-
napos der lodiones bei der Prozession der Römischen Spiele nnd im Theater:
ImxtoQiov tW 'Pojuaioig xnl navv rfutov 6 xovQTjtitSfios, tos tx nolltuv pjiv
xnl ttkXtov fyat ovußalXopittt, ur.i.tnru <T ix ?£? 7Mq\ t«c nofittas t«c re iv
% InnodQoptp xnl t«c (v roif StaTQOie yivofjtvnf iv ännoais yoQ avrais
7TQoar]ßot xoqoi x* tto * taxov S ivöttvxores ixnQtnus, xgavri re xal xal
nnpftas txwits aroixytäv noQevovrtti , xal etaiv ovroi rije nopnrjc rjyt-
fiovts, xalovptvoi rrpoc ttirtüv — ItWatvfe, tlxovfs «c iftol dWf röjv
Znlitov.
I
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348 VIERTER ABSCHNITT.
Zweifel selbst als Salier gedacht wurde. Ja er wird in dem alten
Liede der Arvalischen Brüder als solcher geschildert: Satur furere
lim«' n sali, sta herber d. h. Satt vom Rasen spring über die
Schwelle und stelle die Geißel: eine Aufforderung das kriegerische
Toben der Schlacht vom Kriegswagen herab zu lassen und im Waffen-
tanze triumphirend heimzukehren in die friedliche Stadt und in
seinen Tempel, wo er die Geiisel einstweilen aus der Hand legen
sog möge 1 ). Auch entspricht diesem Mars der Salier der oft genannte
MarsGradivus, ein altes von dem Sturmschritt der Schlacht her-
genommenes Epithel des Kriegsgottes 8 ). So erschien der Gott den
Römern in einer heifsen Schlacht gegen die vereinigten Bruttier und
Lucaner im J. 472 d. St. (282 v. Chr.), als der Consul nicht anzu-
greifen wagte. Da schritt ein Jüngling mit der Sturmleiter voran
mitten durch die Feinde bis zu ihrem Lager, dessen Wall er rasch
erstieg, um von der Höhe herab seine Römer zum muthigen Sturme
herbeizurufen, bei welchem er selbst dann so fürchterlich wüthete.
dafs die Zahl der getödteten und gefangenen Feinde alles Maafs über-
stieg. Als man am andern Tage nach dem Krieger mit doppeltem
Helmbusch, den Alle gesehen hatten, fragte, war er verschwunden
und es blieb nichts übrig als den Gott mit Dankgebeten zu feiern »).
Auch der Mars vor der p. Capena in Rom war der Gradivus,
s. Liv. XXH, t, Serv. V. A. I, 292. Die Dichter beschreiben ihn nicht
selten, wie er bald zu Fufs bald zu Wagen in der Schlacht erscheint,
umgeben von der Bellona und seinen Gesellen, dem Pavor und Pallor,
welche seit Tullus Hostilius in Rom verehrt wurden, obwohl bei
») Vgl. Ovid F. HI z. A. Bellice depositis cUpeo paulisper et hasta Mars
ades et nitida* casside solve comas. [Leber die sehr zweifelhafte Deutung der
Worte des Arvalenliedes vgl. Jordan Krit. ßeitr. S. 208 f.]
*) Paul. p. 97 Gradivus Mars appellatus est a gradiendo in belb ultro
citroque. Serv. V. A. III, 35 Gradivum, dovqtov "Aq^cc i. e. exsilientetn in
proelia. [Andere bei dems. von XQttdalvto. — Gradivus Virgil u. A., auch Ovid
Faat. II, 859, Gradivus dera. Met. VI, 426, daher die Ableitung von gräd-
bedenklich (auch kaum durch die Analogien von son-ivus, vac-ivus, noc-ivus
zu schützen; die übrigen alten Bildungen auf -ivus scheinen vom Part. Perf.
Pass. auszugehen: s. Jordan Hermes 15, 15 f. wo condit-ivus hinzuzufügen ist).
Ganz unzulässig ist die Zerlegung in grä-divus (was mit grä-men zusammen-
hängen soll: Schwegler t, 229). Auch die Zusammenstellung von gräd-ivus
mit umbr. krap-uvi-o (jünger grab-ovi-o), in den iguv. Tafeln Beiwort des
Juppiter, Mars und Vofionus (Aufrecht u. Kirchhoff 2, 13ü) hat bis jetzt zu
keinem sicheren Ergebnifs geführt (vgl. Breal Tab. Eug. 64 ff.)]
») Val. Max. 1, 8, 6, Ammian. Marc. XXIV, 4, 24, Liv. Epit. XI.
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MARS.
349
solchen Beschreibungen sonst die Vorbilder des griechischen Epos
einzuwirken pflegen 1 ). Auf den römischen Familienmünzen, bei
denen wenigstens einheimische Vorbilder vorauszusetzen sind, obwohl
auch diese meist von griechischen Kunstlern gearbeitet gewesen sein
mögen, erscheint Mars immer jugendlich und behelmt, der Helm
oft sehr schön verziert und mit einem stolzen Federbusch versehen,
welcher auch in Italien der gewöhnliche Schmuck des Helmes war*).
Oder sie zeigen ihn auf sturmschnell dahin eilenden Zwei- oder Vier-
gespann, die Lanze schwingend oder mit dem Siegeszeichen der
Spolien.
Dieser kriegerische Mars war es auch, der in der gewöhnlichen,
beinahe von Jahr zu Jahr wiederholten und durch so viele rühm- 309
volle Erinnerungen geheiligten Kriegspraxis der Römer vor jedem
Auszuge der Bürger und vor und nach jeder Schlacht durch Gebet
und Opfer, Gelübde und Gaben des Dankes und in seinem Namen
ertheilte Auszeichnungen verdienter Krieger gefeiert wurde, daher er
zuletzt sowohl in dem öffentlichen als in dem Familienleben der
Römer neben dem Gapitolinischen Jupiter der eigentliche Staats- und
Nationalgott geworden und mit allen Momenten der römischen Ge-
schichte von ihrem Ursprünge an aufs innigste verwachsen war.
Beim Ausbruch jedes Krieges wurde er feierlich zur Theilnahme
') Virg. Aen. VIII, 700 ff., XII, 331 ff., vgl. Sil. lul. IV, 430 ff. u. A. Ob
die Molae oder Moles Martis, deren Gellins XIII, 23 (22) nach alten
römischen Gebetsnrknnden gedenkt, sich auf den Krieg bezogen, mufs dahin-
gestellt bleiben. Vgl. den Iupiter Pistor oben S. 194. [Steine selten und wie
es scheint jung: Henz. 5670 (Monte Porzio), C. 1. L. 5, 6236 (Aquileja), 3,
6279, Renier Alg. 36.)
') Vgl. Liv. IX, 40 in der Schilderung der auserlesenen Samniter: galeae
cristatae, quae speciem magnüudini corporum adderent und den Helm des
Romnlus bei Virg. Aen. VI, 779 viden' ut geminae statd vertice cristae? [Genau
entsprechen die Helme der Krieger auf den Wandbildern von Pästum Mon.
deir inst. 8 T. XXI, vgl. Heibig Ann. 1865, 285. — Kopf des Mars auf den
alten campanischen Münzen Cohen Cons. T. XLIV, 11 — 14, auf dem Denar das.
XXI. Jul. 27. Ganze Figur z. B. T. XII, Clodia 9, 12. — Eine zusammen-
fassende Untersuchung über die Darstellungen des Mars fehlt: über den spätem
Typus, den man auf den polykletischen Doryphoros zurückzuführen pflegt (ein
ostieosisches Exemplar durch die Unterschrift Marti gesichert), vgl. die Notizen
bei Benndorf und Schöne, A. Bildw. d. Lateran N. 127. — Ob der sogenannte
Mars von Todi, die bekannte Bronzestatue des Mus. Gregor, mit umbriscber
Inschrift (zuletzt wieder publicirt von Rayet, De l'art antique, 2. Lief.) über-
haupt ein Mars ist, bleibt unsicher, vgl. S. 314.]
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350
VIERTER ABSCHNITT.
aufgefordert, indem der Feldherr der Legionen in das alte Heilig-
thum der Regia ging und dort zuerst an die Ancilia, dann an den
Speer des Mars schlug und dazu den feierlichen Ruf 1 ) ertönen liefs:
Mars vigila! Auch während des Feldzuges und vor der Schlacht
wurde ihm viel geopfert (Sueton Ocfav. 1), und in seinem Namen
vorzüglich wurden auch die kriegerischen Ehren nach erfochtenem
Siege ertheilt, namentlich die höchste aller militärischen Auszeich-
nungen, die corona graminea oder obsidionalis, welche immer nur
von dem ganzen Heere und zwar nach der Errettung aus einer ver-
zweifelten Gefahr dem Retter in der Noth ertheilt wurde. Das Gras
zu diesem Kranze wurde von dem Boden des Platzes genommen,
wo das errettete Heer sich in so verzweifelter Lage befunden hatte:
eigentlich ein sinnbildlicher Ausdruck der völligen Uebergebung dieses
Platzes an den Erretter 8 ), denn das Gras oder sonst ein Theil des
Bodens pflegt bei derartigen symbolischen Handlungen den Boden
selbst zu bedeuten; daher die Angabe, dafs das Gras dem Mars heilig
gewesen sei 8 ), ihren Grund nur entweder in dieser herkömmlichen
Symbolik der feierlichen Uebergabe eroberter Gebiete oder in jenem
Ehrenzeichen der Corona graminea haben kann. Auch scheint es bei
dieser seit dem Vorgange des gröfsten Helden der römischen Kriegs-
geschichte, des L. Siccius Dentatus, herkömmlich geworden zu sein
dafs der mit dieser höchsten Ehre Ausgezeichnete dem Mars ein
310 feierliches Dankopfer darbrachte*). Auch von der Beute pflegten
») Serv. V. A. VIII, 3, vgl. VII, 6U3 und Virg. Aen. X, 228 Vigilasne
deum gens Aeneal Vigila et veU* immitte rudentes.
*) Plia. H. N. XXII, 8 Namqm suminum apud antiquos signum vidoriae
erat herbain porrigere vicios A. e. terra et altrice ipsa humo et humatione
etiam cedere, quem moretn eliam nunc durare apud Germanos scio. Vgl. die
Formel herbam do iu der Oedeutaog victum me fateor, cedo vidoriam, Serv.
V. A. VIII, 128, Paul. p. 99, Placid. p. 470 [p. 52D.J und Michelseu über die
festuca ootata S. 12. 20. 23. Auch bei deu Verbenea der Fetialen scheint ein
ähnlicher Zusammenhang zu Grunde zu liegen, s. oben S. 245.
») Serv. V. A. XII, 119, Paul. p. 97.
<) [So allein der auch hier von P. benutzte Fälscher Fulgentius (p. 56U
angeblich nach Varro) am Schlufs des Katalogs der Thaten und Ehren des
Deutatus: et istum primum sacrum fecisse Marti. Dafs P. Decius Mus
bovem eximium Marti immolavü erzählt Livius VII, 37 und (mit der Variaute
bovem album) Plinius XXII, 9. Dafs bei Plinius die Geschichte des Dentatus
voraufgeht und darauf wahrscheinlich die Fälschung des F. fufst, hat schon
Lersch (Fulg. S. 36) bemerkt.]
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MARS.
351
immer gewisse Stücke dem Mars dargebracht zu werden, daher der
Ausdruck aere Martio von der Beute in einer alterthümlichen In-
schrift aus Cora 1 ). So pflegte man ihm auch Spolien und die in
der Schlacht getragenen Waffen zu weihen 8 ). Ueberhaupt wurde
dieser Mars je länger desto mehr zum Schutzpatron des gesammten
Waffenhandwerks und von allem was damit zusammenhing, also der
Soldaten, der Gladiatoren und was sich sonst dazu bekannte;
daher die von den Inschriften hin und wieder erwähnte Verehrung
eines Mars Campester und Militaris der römischen Lager und Le-
gionen, denn campus ist nach römischem Sprachgebrauche speciell
campus Martius, das militärische Uebungsfeld 8 ). Andre Inschriften,
auch die Münzen, nennen Mars mit Hinsicht auf die verschiedenen
>) Zeitschr. f. A. W. 1845 S. 787. [C. I. L. 1, 1148: Q. Pomponius Q. f.
L, Tulius Ser. f. praitores aire martio emeru{nt).]
») Propert V, 3, 71 armaque qiiae tulero portae votiva Capenae. Sehr
oft wird Mars auf deo römischen Münzen als tropaeophorus abgebildet [Doch
bedarf seit Momuisen's Behandlung der Begriffe pratsda und manubiae (s. Forsch.
2, 443, C. I. L. 1 p. 149 f., vgl. Staatsr. 1», 232) die Frage, welchen Antheil
die Götter an diesen wie an den spolia (vgl. Marquardt Verwaltung 2, 560)
hatten erneuter Erwägung. Die Beute (praedä) und deren Erlös (manubiae),
von der die vom Feinde getragenen Waffen (spolia) ein Theil sind, hat der
imperator das Recht ganz oder theilweis (daher deeimam, vieesimam, von der
praeda C. I. L. p. 149) den Göttern oder den Officieren und Maunschaften des
römischen Heeres oder den Bundesgenossen (daher wohl der Kauf der Prätoren
von Cora) zu schenken (daher weiht eiu Kriegstribun de praidad Maurie und
'Fortune zwei Geschenke C. I. L. 1, 63. 64, vgl. Marti et Fortunae 6, 481,
Widmung eines Legionars) oder als den Göttern consecrirt zu vernichten (so
die spolia Liv. XLV, 33). Die Auswahl der Götter ist Sache des Feld-
herrn (daher er auch seine Waffen Vukano sive cui alio divo vovere volet
weiht, Liv. VIII, 9, 13), der sich aber mit den Pontifices und dem Seuat darüber
benimmt , wenn es sich um den Bau von Tempeln de manibiis handelt. Doch
giebt es Götter qvibus spolia hostium dicare ius fasque, Mars, Minerva, Lua
,und die übrigen' (Liv. a. 0.) und solche denen alle spolia opima zu-
kommen, Juppiter, Mars, Janus Quirinus (oben im Text). Auch für die Wei-
hung der vicesima und deeima mögen Vorschriften bestanden haben : wir kennen
als Empfänger derselben Apoll und Hercules Victor (s. Mommsen imC. I. L.
p. 149). — Da Ts der Triumph dem Mars »geführt wird', steht iu einer inter-
polirten Stelle des Censorin (unten zu 316). Der Gott um den es sich dabei
bandelt ist Juppiter.]
•) Or. n. 1355. 1356. 3496, Henzen n. 5672. [Jahrb. des Vereins der A. F
in den Rheinl. 29, 95 ff.] Das Amphitheater war dem Mars und der Diana ge-
weiht, weil dort aofser den Kämpfen der Gladiatoren auch die Hetzjagden der
wilden Thiere gegeben wurden, s. Tertull. de Spectac. 12.
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:S52
VIERTER ABSCHNITT.
Wechselfalle der Schlacht und des Krieges Custos, Conservator, In-
victus, Victor, Pacifer d. h. den durch Krieg zum Frieden führenden,
als welcher sein Bild zugleich bewehrt und mit dem Oelzweige geziert
war 1 ), Amicus et Consentiens u. s. w. s ). Nur Jupiter war auch in
solchen Fällen über ihm, theils als höchster Entscheider der Schlacht
und des Sieges (S. 198) theils als höchster Schwurgott sowohl bei
allen kriegerischen als bei allen friedlichen Veranlassungen. So wurden
nach einem Gesetze Numas die höchsten Spolia opima dem Jupiter
Feretrius, die zweiten dem Mars, die dritten dem Janus Quirinus mit
gewissen vorgeschriebenen Opfern geweiht (Fest. p. 189) und selbst in
solchen Fällen, wo die heiligen Speere in der Regia sich bewegt hatten
(Gell. N. A. IV, 6) und sonst bei kriegerischen Veranlassungen wurde
zuerst dem Jupiter, dann dem Mars geopfert, ganz in der seit Numa
herkömmlich gewordenen Folge der Götter. Und so mag in ähn-
lichen Fällen auch bei beiden geschworen sein, nur dafs auch dann
3u immer Jupiter der höchste Gott blieb. Selbst bei dem merkwürdigen
und alten, durch ganz Italien verbreiteten Kriegsgebrauche, in beson-
dern Fällen heilige Schaaren zu bilden, deren Mitglieder sich unter
den furchtbarsten Eiden zum absoluten Gehorsam gegen den Feld-
herrn und zum Kampfe auf Leben und Tod verpflichteten, wurde
») Vgl. Archäol. Z. 1857, Sp. 30.
') [Die meist spaten Belege für diese meist aus dem Soldateolebeo und
innerhalb dieses Kreises oft aas individuellen Auffassungen und augenblick-
lichen Veranlassungen hervorgegangenen Epitheta bedürfen noch besonderer'
Bearbeitung. Deutlich knüpfen an Hercules Victor und invictus die Warnen
Mars victor (z. B. C. 1. L. 7, 706) und invictus (dieser schon im venus. Kalender
14. Mai, C. I. L. 2, 2990. 3, 2803) an, ja in Rom begegnet noch im 3. Jahrh.
ein soldatisches c[oI)l. Mortis et Herculis (6, 2819), zum deutlichen Beweis,
dafs das Bewußtsein für die altitalische Verwandtschaft beider (in Tibur dienen
die Salier beiden: Serv. Georg. VIII, 285, vgl. Macr. S. III, 12, 7) nicht er-
loschen war. An das Lagerlebeu erinnert der M. campester (2, 4083) neben
besondern (dei) campestres (7, 1080. 1114), vereinzelt bleiben der müüaris
(7, 390 f.) oder militiae potens (Wilmanns Ex. 1471) oder pacifer (7, 219);
conservator (3, 1099. 1600. 5, 66, 53. 6, 485. Or. 1344) und custos (3, 3232,
Hcnz. 5490) heifst er wie andere Götter als persönlicher Schutzpatron. —
Dazu kommt dann die Verschmelzung mit epichorischen Gottheiten besonders
in den Garnisonen der keltisch -germanischen Provinzen (dahin gehören der
Mars Loucetius und viele andere, einstweilen s. C. I. L. 7) und der vermuth-
lich jenem Mars-Hercules untergeordnete Kult epichorischer Gottheiten bei
den fremden Truppen der kaiserlichen Garnison, z. B. der thrakischen (Mommsen
C. I. L. 6 p. 720.]
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MARS.
Jupiter vor allen übrigen Göttern der alten Schwur- und Verwün-
sch ungsformel genannt 1 ).
Was endlich die einzelnen Acte, Veranlassungen und Heilig-
thümer des römischen Mars betrifft, so waren von den letzteren
die beiden ältesten das in der Regia und das im Marsfelde; wenig-
stens scheinen beide aus der Zeit des Numa herzurühren. Das in
der Regia, wo sich die heiligen Speere und die Ancilien befanden,
wird wiederholt sacrarium, einmal sacrarium Regiae genannt, so dafs
es als innerstes Heiligthum dieses alten priesterlichen Königssitzes
zu denken sein wird, in welchem unter der Oberaufsicht des Pontifex
Maximus jene alten Symbole der Vorzeit aufbewahrt wurden, später
aber auch ein Pulvinar des Mars und sogar ein vollständiges Bild
des Gottes mit einer Lanze in der Hand aufgestellt zu sein scheint 2 ).
Im Marsfelde bildete ein alter, schon in einem Gesetze des Numa
erwähnter und ziemlich in der Mitte des Feldes gelegner Altar 8 ) den
religiösen Mittelpunkt der dortigen Octoberfeier und der bei jedem
Lustrum vorgenommenen Reinigung der bewaffneten Bürgerschaft,
welche mit einem Opfer des Mars beschlossen wurde. Das Marsfeld
selbst war bekanntlich die alte, dem Mars geweihte Uebungsstätte
für die körperlichen, kriegerischen und ritterlichen Uebungen der
römischen Jugend. Ein schönes, seit der Vertreibung der Tarquinier
vom Quirinal bis zum Flusse sich hinstreckendes Feld, welches mit
der Zeit, namentlich seit August und unter den Kaisern bei fort-
gesetztem Anbau freilich sehr beengt und eingeschränkt wurde; doch
haben jene Heiligthümer der Mitte, der alte Altar, neben welchem
später auch verschiedene Tempel des Mars erwähnt werden 4 ), eine
Rennbahn für die Rennen, ein gröfserer Platz, welcher zu gym- 312
nastischen und militärischen Hebungen diente und nicht bebaut
») Liv. IV, 26, IX, 39, X, 38. (Die Strafandrohung der lex sacrata er-
wähnt Livius nnr an der zuletzt a. Stelle und zwar ut qui ütniorum non con-
vemsset — captä lovi sacratum esset.) Vgl. den gleichartigen Fall bei Liv.
H, 45 Centurio erat M. Flavoleius, inter primores pugnae flagitator. Victor,
inquit, Jf. Fabi revertar ex acte. Si fallat, Iovem Patrein Gradivttmque Martern
aliosque iratos invocat deos.
») Gell. N. A. IV, 6, lul. Obseq. 78, Serv. V. A. VIII, 3, vgl. Becker Handb.
I, 228 ff. [Vgl. Jordan Top. 2, 272 ff ] Auch bei lul. Capitolin. Antonin. Pb, 4
ist vermuthlich von diesem sacrarium Kegiae die Rede.
s ) Vgl. Fest. p. 189a 16 uud meine Regionen der St. Rom S. 171 ff.
*) Dio LVI, 24, Ovid F. II, 858, vgl. Becker a. a. 0. S. 630.
Preller, Rom. Mythol. 3. Aufl. L 23
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VIERT KU ABSCHNITT.
werden durfte, sich bis in die letzten Zeiten des alten Roms erhalten.
Endlich ein drittes, wahrscheinlich auch sehr altes Heiligthum des
Mars befand sich beim ersten Meilensteine vor der p. Capena an der
südlichen Hauptstrafse, der via Appia, in einer Gegend wo sich bald
eine lebhafte Vorstadt bildete 1 ). Es ist dasselbe Heiligthum des
Gradivus, dessen ich bereits erwähnt habe; der Tempel, worin das
Bild des Gottes zwischen zwei Wölfen stand, scheint gleich nach
dem Abzüge der Gallier geweiht worden zu sein (Liv. VI, 5), was
die ältere Existenz eines Haines oder eines Altares nicht ausschliefst.
Seine überwiegend kriegerische Bestimmung zeigt sich auch darin
dafs WafTen und Stücke der Beute vorzüglich darin geweiht wurden,
so wie bei andern Gelegenheiten a ). Der Umstand dafs diese beiden
dem Publicum am besten bekannten Heilig thüiner, das im Marsfelde
und das der Via Appia, sich aufserhalb der Stadt befanden, das eine
in der südlichen das andre in der nördlichen Vorstadt, hatte sogar
mit der Zeit die unbegründete Meinung zur Folge, dafs Mars als
Kriegsgott vor August in der Stadt gar nicht verehrt worden sei 3 ).
Und doch scheint selbst jener Mars vor der p. Capena kein blofser
Kriegsgolt gewesen zu sein, sondern in älterer Zeit auch für einen
befruchtenden Gott gegolten zu haben, da bei seinem Tempel der
sogenannte lapis inanalis aufbewahrt wurde, ein Cylindcr welchen
die Priester in Zeiten grofser Dürre durch die Stadt schleiften,
3is worauf wie man glaubte alsbald Regen erfolgte. Also ein aquilicium
so gut wie jene im Culte des Jupiter erwähnten Beschwörungen
(S. 194) 4 ). Möglich dafs jenes Schleifen und Walzen der Steine
l ) Der Tempel lag gleich vor der spätem p. Appia, jetzt p. S. Sebastiane.
Die ganze Vorstadt hiefs ad Maitis. Vgl. Becker S. 511, meine Regionen
S. 116, Caoina im Ballet. Arch. Ro. 1850 p. 85. [Jordan Top. 2, 110 ff.]
*) Vgl. Propert. V, 3, 71 und die altertümliche, in jener Gegend gefundne
Inschrift b. Grut. p. 5ö, 7, Mommsen I. N. n. 0766 [C. I. L. 1, 531 = 6, 474]
MARTEI | m. CLAVD1VS M. f. | cOINSOL DEDet. Dort versammelt sich die
junge Mannschaft bei Liv. VII, 23, dort beginnt der Zug der Ritter b. Dionys.
VI, 13. Später wurde dort ein arcus Traiani und andre Triumphbogen er-
richtet. Es war eben der Haupteingang von der Südseite.
8 ) Serv. V. A. I, 292, vgl. Vitruv. 1, 7, 1 Marti extra urbern, sed ad
vampum. [Wir kennen innerhalb der servianischen Mauer keine Kultusstätten
des Mars: denn die curia der salii Palatini und das sacrarium in der Regia
sind keine solche, Quirinus, dessen aetdes auf dem Quirinal stand, ist nicht
Mars.]
4 ) Paul. p. 129 Manalem vocabant lapidem etiam petram quandam quae
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MARS.
355
ursprünglich nur eine sinnbildliche Darstellung des über die Felder
und Raine dahin strömenden Wassers gewesen war 1 ); wenigstens
ist es bei solchen Gebräuchen in den meisten Fällen weniger auf
einen Zauber abgesehn als auf einen bildlichen Ausdruck dessen was
man durch die begleitenden Gebete und Gelübde zu erlangen hoffte,
z. B. wenn man Wasser über ein junges, mit Gras, Blumen und
Kräutern bekleidetes, also die Erde darstellendes Mädchen ausgofs,
oder über die Brunnensteine u. dgl. m.
Ehe wir eins der wichtigsten und heiligsten Feste des römischen
Kalenders, die Feier des Mars in dem ihm heiligen Monate, dem
ersten des Jahres, näher ins Auge fassen, mufs von dem römischen
Institute der Salier, wie dasselbe seit Numa bestand, ausführlicher
die Rede sein 2 ). Als der fromme Numa eines Morgens früh vor der
Regia stand und seine Hände betend zum Himmel emporhob, fiel
aus demselben ein Schild in seine Hände, welches er wegen seiner
zu beiden Seiten ausgeschnittenen Gestalt ancile nannte 8 ). Zugleich
erat extra p. Capenam iuxla aedem Marlis, quam cum propter nimiam
siceüatem in Vrbem pertraherent, insequebatur pluvia statim, eumque quod
aquas manarent manalem lapidem dixerunt. Vgl. ib. p. 2 aquae liciuin, Serv.
V. A. ITC, 175 lapis manalis, quem trahebant pontifices quoties siccitas erat,
und Varro bei Non. Marc. p. 547 trulleum, nach welchem man lapis manalis
uud maoale sacram in derselben Bedeutung sagte wie urccolus aqnae manaiis,
ein Krug aus dem das Wasser strömt, vgl. Paul. p. 128 manalem fontem dici
quod aqua ex eo Semper manet. (Die von P. hier angezogene Angabe des
Fälschers Fulgentius (angeblich nach Labeo) p. 559 manales . . . petras, i. e.
quas solebant antiqui in cylindrorum modum per limites trahere pro pluviae
commutanda inopia ist, wie Lersch (Fulg. S. 32) bemerkt, von Paulus ab-
hängig und beweist nichts dafiir data dies , überhaupt in Italien', wie er im
Text bemerkte, Sitte gewesen sei, noch weniger freilich fiir die »walzenför-
mige' Gestalt des Steins, was Marquardt (der die Worte dem Nonius giebt,
Verwaltung 3, 252) aus der plumpen Paraphrase herausliest. Dafs aus dem
Aufbewahrungsort des Steins ,beim' Marstempel nichts fiir die regenspendeude
Gottheit folgt, liegt auf der Hand.]
*) Vgl. den alterthümlichen Ausdruck „Wie Kugel walzt und Wasser
rinnt" zur Bezeichnung einer Markscheide nach der Schneeschmelze bei J.
Grimm Deutsche Grenzalterthümer, Abh. der Berl. Ak. 1S43 S. 124, und die
verwandten Gebräuche andrer Völker bei J. Grimm D. M. 5ü0ff., Bötticher
ßaumcultus S. 409.
a ) Vgl. Plut. Numa 13, Dionys. II, 70, Paul. p. 131 Mamuri Veturi, Ovid
Fast. III, 357 ff. [Vgl. S. 346 und den Abschnitt bei Marquardt Verwaltung
3, 410.]
*) Varro 1. 1. VII, 43 Ancilia dicla ab ambecisu , quod ea arma ab
23*
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356 VIERTER ABSCHNITT.
erscholl eine Stimme, der von ihm neugeschaffene Staat werde so
lange blühn und alle übrigen an Macht übertreffen, als er diesen
Schild, ein gewisses Unterpfand des himmlischen Segens 3 ), bewahren
werde. Daher Numa, um jeder Entwendung zuvorzukommen, zu
jenem Wunderschilde elf andre hinzu verfertigen läfst: welche Auf-
gabe einem wunderbar begabten Künstler, dem Mamurius Veturius
so gut gelingt, dafs Numa selbst das himmlische Schild nicht mehr
von den irdischen zu unterscheiden vermag. Diese zwölf Ancilien
wurden seitdem in der Regia neben den heiligen Speeren bewahrt;
zur Obhut aber über diese Schilde und zu dem feierlichen Umzüge
mit ihnen durch die Stadt im Laufe des Märzmonates stiftete Numa
die zwölf Palatinischen Salier, welche ihre Curie auf dem Palatin
hatten 3 ). Tullus Hostilius fügte dem sabinischen Quirinus auf dem
utraque parte ut Thracum incisa. Paul. p. 131 ancile i. e. scutum breve,
quod ideo sie est appeüatum, quia ex utroque lotete erat recisum, ut sum-
mum infimumque eius latius media pateret. Also von an oder am in der
Bedeutung von autpis, utrimque, vgl. anfractas und ancaesa i. e. vasa caelata,
quo-^ circumeaedendo talia fiunt, Paul. p. 20. In dem zweiten Worte cilia ist
1 wie oft für d eingetreten, vgl. caelare und incilia i. e. fossae, Paul. p. 107
Man sieht die Ancilien der Salier abgebildet auf Denaren des P. Licinius Stolo
und auf Erzmüuzen des Antoninus Pius, s. Eckhel D. N. VII p. 13, Riccio
t. 27, 19, 20, endlich auf einer Gemme des Mus. Florent. II, 23. Auch der
Schild der Iuno Lanuvina ist im Wesentlichen von derselben Bildung. [Doch
s. jetzt Marquardt S. 413 f. Die Frage nach dem Kostüm der Salier bedarf
erneuter Prüfung. Die Erklärung der daselbst herangezogenen Reliefs ist
nicht zweifellos. Da nicht einmal feststeht dafs die ancilia ,von zwei Seiten
eingeschnitten' waren, so mufs auch für die Etymologie einstweilen die end-
giltige Entscheidung ausstehen. Dafs der Uebergang von d in l keineswegs
eine regelrechte Lautverschiebung ist, ist bekanut. Vgl. Corssen Ausspr. 1»,
322 f., Jordan Krit. Beitr. 45. — Der Helm der angeblichen Salier auf dem
Relief von Anagni hat mit dem Helm des angeblichen Mars von Todi (oben
S. 349, 2) Aehnlichkeit.]
') Paul. L c. unaque edita vox omni um potentissimam fore civitatem
quamdiu id in ea mansisset. Ovid F. III, 346 itnperii pignora ceria dabo.
Florus I, 2 ille ancilia atque palladium, secreta quaedam imperii pignora {dedä).
Vgl. Serv. V. A. VII, 188. Nach den späteren Dichtern, namentlich Lucan
IX, 475, Stat. Silv. V, 2, 132 fielen alle Ancilia vom Himmel, nicht blos das
eine Prototyp.
») Curia Saliorum Palatinorum, s. Cic. de Div. I, 17, Dionys, fr. XIV,
2, 5, Val. Max. I, 8, 11, welche ihrer sämmtlich auf Veranlassung des Wun-
ders gedenken, dafs der dort aufbewahrte lituus Romuli nach einer Feuers-
brunst, die das Gebäude verzehrt hatte, unbeschädigt wiedergefunden wurde.
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MARS.
357
Quirinale zu Ehren ein entsprechendes Gollegium von zwölf Agona-
lischen oder Collinischen Saliern hinzu, welche auf dem Agonalischen
oder Collinischen Hügel d. h. dem Quirinal ihren Sitz hatten und
wie die Palatinischen dem Jupiter und den beiden alten Stamm-
göttern, Mars und Quirinus, geweiht waren 1 ). Beide Collegien waren
wie die übrigen priesterlichen Sodalitäten organisirt d. h. sie ergänzten
sich durch Cooptation aus den besten und edelsten Familien der
Stadt und zerfielen unter sich in jüngere und ältere Mitglieder, von
denen jene in ihren religiösen Obliegenheiten, den Gesängen, For- su
mein u. s. w. von diesen unterrichtet wurden. An der Spitze stand
wie gewöhnlich ein Magister, neben welchem noch die Würde eines
Praesul d. h. des Vortänzers und eines Vates d. i. vermuthlich des
Vorsängers erwähnt wird 2 ). Noch zur Zeit des Polybius gehörten
sie zu den angesehensten priesterlichen Collegien 8 ); werden die Salier
später auch nicht mehr unter diesen genannt, so rechneten es sich
doch immer noch selbst die Kaiser zur Ehre zu ihnen zu gehören.
Ihre priesterlichen Functionen bestanden zunächst in gewissen Opfern:
namentlich ist von einem Opfer in der Regia die Rede, welches der
Pontifex Max. mit Hülfe sogenannter Salischer Jungfrauen, die dazu
gemiethet und nach Art der Salier costümirt wurden, darbrachte 4 );
leider ist nicht gesagt an welchem Tage, doch ist zu vermuthen
») Serv. V. A. VIII, 663 SaKi sunt in tuteta lovü, Mortis, Quirim, vgl.
oben S. 64 uud Liv. V, 52 quid (loquor) de ancilibus vestris, Mars Gradice
tuque Quirine Pater! Ueber die Stiftung des Tullus Hostilius s. Liv. I, 27,
Dionys. II, 70, III, 30, Serv. V. A. VIII, 285 duo sunt genera Saliorum, sicut
in Saliaribus carminibus i?ivenitur, Dio Cass. fr. 7, 5. Wie sie ihre eigne
Carie hatten, nehmlich auf dem Quirinal, so hatten sie auch ihr eignes Archiv,
Varro 1. 1. VI, 14 in libris Saliorum quorum cognomen Agonensium.
*) Iol. Capitolin. M. Antonin. Philo«. 4, vgl. Valer. Max. I, 1, 9, Stat.
Silv. V, 3, 180, Fest. p. 270 redantruare. [Vgl. Marquardt a. 0. 411, 9.]
») Polyb. XXI, 13, 10 Ttov totüv ¥v avatrjfiu, dY <ov avußaivei las
tmifavtarttTus &vo(ns iv tjj 'Ptofin OwiiUlo&ai tolg &toTq. Hier sind die
Pontifices, die Decemviri sacris faciundis und die Salii gemeint. Später
galten für die IV summa oder amplissima collegia die Pontifices, Augures, XV
viri s. f. und die VII viri Epulones, wozu als fünftes unter Tiberius die
Sodales Augustales hinzutraten.
*) Fest. p. 329 SaUas virgines Cincius ait esse conducticias , quae ad
Salios adhibeantur cum apicibus paludatas: quas Aelius Stilo scripsit sa-
crificium facere in Regia cum Pontifice paludatas cum apicibus in modum
*N all oph i ft ■
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358 VIERTER ABSCHNITT.
dafs es im Zusammenhange mit der Märzfeier stand und dafs auch
die Salier seihst dabei zugegen waren. Um so häufiger wird ihrer
Umzüge durch die Stadt gedacht, bei denen sie in einem eigenthüm-
lichen, halb kriegerischen halb priesterlichen Costüme auftraten und
gewisse altherkömmliche Tänze und Gesänge aufführten 1 ). Jenes
Costüm bestand in einer bunten Tunica, über welche ein breiter
eherner Gurt geschnallt wurde, einer Trabea mit purpurnem Vorstofs
und dem sogenannten Apex, der gewöhnlichen priesterlichen Kopf-
bedeckung mit dem auf der Spitze befestigten heiligen Zweige, bei
sie den Saliern in der Form eines Helms. Ferner trug jeder an seiner
Seite ein Schwerdt und am linken Arme das heilige Schild , in der
rechten Hand aber eine kleine Lanze oder einen Stab, um damit
auf dasselbe zu schlagen 2 ). Der Tanz bestand aus Umgängen um
die Altäre der Götter und aus allerlei verschlungnen Figuren, bei
denen bald alle zusammen bald verschiedne Abtheilungen abwechselnd
auftraten; der Rhythmus war der des herkömmlichen dreimaligen
Auftretens (tripudium), zu welchem eine Flöte den Takt angab 8 ).
') Liv. I, 20 Salios item duodecim Marti Gradivo legit tunicaeque pictae
iusigne dedit et super tu nimm aeneum pectori tegumen caelestiaque arma,
quae ancilia appellantur , J'erre ac per Vrbem ire canentes carmina cum tri-
pudiis sotemnique saltatu. Vgl. Dionys. II, 70 und Plut. Numa 13. Die
bunten Tuniken, /iTtü>«? noixttot erinnern an die tunicae versicolores der
auserlesenen samnitischen Krieger bei Liv. IX, 40. Ueber die trabea, welche
aus der Zeit der Könige stammte und später nur von den Priestern im Dienste
der Götter und den Augurn getragen wurde, s. Se.rv. V. A. VII, 187, Isid.
Orig. XIX, 24, 8. [Vgl. Mommsen Staatsrecht P, 414.]
>) Aufser den solennen Acten des Tanzes und Opfers d. h. bei den Um-
zügen durch die Stadt trugen sie die Ancilien auf dem Rücken, oder sie
wurden ihnen von Bedienten nachgetragen, s. Dioays. II, 71, Lucan I. 603,
Stat. Silv. V, 2, 129.
') Dionys. 1. c. xivovvrai yäo nyog avlov Iv <)v,'Hio> ras {vorcliovg
xiVTjaetc, tork filv buov roxk ö*k naQaXXa$, xa\ naroiovs uvas vfivovs
itöovatv ä/*a rote x°9 t(tt ^' plut « L c - xwomiai yäg InireorHos ihypovs
xal fieittßoXas h $v&fnji id/os f%ovii xal nvxvoznia pera (fcJjUijf xal xov-
tf OTTjios anoJuiövTts. V. A. VIII, 285 [tum salü ad cantus i ncensa altaria
circum populeis adsunt evineti tempora ramis, wozu Servius] Salü sunt qui
tripudiantes arae circumibant — ritu veter i armati. Horat. Od. I, 36, 12
neu morem in Salium sit requies pedum. [Porph.: — hodieque tripudiare
in sacrifieiis Mortis dicuntur, der sogen. Acron citirt den Vers ans d. Aen.]
Od. IV, 1, 28 pede candido in morem Salium ter quatient humum. Seneca
Ep. 15, 4 saltus — Saliaris aut ut contumeliosius dicam fullonius. Diomed.
p. 473 [476 K.] Numam Pompüium — hunc pedem pontificium appeüasse me-
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MARS. 359
Zu dem Tanze sangen sie die oft erwähnten Lieder, von denen oben
S. 140 f. die Rede gewesen ist, ein durch den Ursprung von Numa
und religiöse Weihe geheiligtes Ganze von verschiedenen Strophen
und Anrufungen zunächst der alten römischen Staatsgötter, des Janus,
des Jupiter mit der Juno und Minerva, des Mars und Quirinus u. s. w.,
darauf der berühmtesten Namen und Helden der Vorzeit, namentlich
des Romulus und Remus (S. 98, 1), zu denen seit August auch die
Namen der Kaiser und einzelner Mitglieder der kaiserlichen Familie,
endlich die der Divi hinzugefügt wurden 1 ). Den Schlufs des ganzen
Liedes bildete eine Anrufung jenes Schmiedes der Ancilien, des
Mamurius Veturius 2 ). Die Zwölfzahl der Schilde entspricht offenbar
der Zwölfzahl der Salier, welche sich als Normalzahl solcher Sodali-
taten bei den Arvalischen Brüdern und vermuthlich auch bei den 317
Luperci, wiederfindet. Doch mögen die Recht haben, welche bei der
Zwölfzahl der Ancilien zugleich eine sinnbildliche Beziehung auf das
System der zwölf Monate annahmen, wie dasselbe von Numa geordnet
wurde 3 ); namentlich scheint die Benennung des Mamurius Vetu-
rius und eine eigen thümhche Ceremonie, welche am Vortage der
Idus des März d. h. des Frühlings- Vollmondes vorgenommen wurde,
darauf hinzuweisen. Es wurde nehmlich an diesem Tage ein mit
Fellen bekleideter Mensch durch die Stadt geführt und mit langen
weifsen Stäben aus der Sladt hinausgeprügelt, indem man ihn Ma-
murius Veturius nannte und für eben jenen Schmied der Ancilien
morant, cum Salios iuniores aequis gressibus circulantes induceret spondeo
inelo patrios placare ludiget es. Bei Censorin d. d. n. 12 non cum [cum fehlt
im Vat.] tibicine aut triumphus ageretur Marti [die Darmst. Hs. hat marti
übergeschrieben] ist wohl zu lesen avitus triumphus, mit Beziehung auf
die Salierfeier. [Jahn: non cum tibicine aut [cum tubicine) t. ageretur Marti,
Hultsch: non cum tibicine Marli t. ageretur; doch ist Marti sicher Glosse,
die ganze Stelle gehört nicht hierher.]
*) Mon. Ancyr. II, 21 [nomen meum inclu]sum est in Saliare Carmen.
Dio LI, 20 tq tovs vpvovc avibv II; laov toic d-eoic iyyodtfta&tti. Vgl.
Tacit Ann. II, 83, IV, 9 Capitolin. Antonin. Pb. 21.
») Bei Ovid F. III, 389 bittet sich Mamurius aus: Merces mihi gloria
detur nominaque extremo carmine nostra sonent, d. h. in dem Anrufe: Ma-
muri Veturi.
•) lo. Lyd. de Mens. IV, 2 JuoxaAfexa novravus ngös tov Novfta rovs
xttlov(x(vovc 2aklovq boio&rjvcti f/aotv, vpxvovvtecc top 'lavov xara tov tcö>
'JiaXixfüV aot&jiöv. Vgl. Corssen in der oben S. 334, 1 angeführten Ab-
handlung.
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360 VIERTER ABSCHNITT.
erklärte, der darüber sogar zum Sprichworte geworden war 1 ): ein
Gebrauch welcher so entschieden an das in Deutschland, bei den
Slaven und sonst gebräuchliche Austreiben des Winters im Monat
März erinnert 8 ), dafs man eine ähnliche Bedeutung, wenu sie sich
durch andere Gründe unterstützen läfst, nicht abweisen wird. Nun
ist Mamurius offenbar eine Adjectivbildung von Mamor d. i. Mars und
Veturius hängt eben so offenbar mit vetus zusammen, dessen ur-
sprüngliche Bedeutung die eines abgelaufenen Jahres, einer vergan-
genen Zeit gewesen sein mufs, denn vetus ist = Fstog d. i. annus 3 ).
Mamurius Veturius repräsentirt also eigentlich den Mars vom alten
Jahre, weil Mars im Sinne des älteren römischen Kalenders der
Monatsgott schlechthin war, der Anführer der zwölf Monate welche
zusammen das römische Jahr ausmachten, wie später Janus der
als Jahresgott schlechthin wurde; wobei zu beachten ist dafs die Feier
der Mamuralien am Vorabende des ersten Vollmonds im neuen Jahre
stattfand, an welchem Tage von den Mädchen im Volke in der Anna
Perenna, die mit dem jungen Mars des neuen Jahres buhlt, eine
entsprechende Gestalt gefeiert wurde. Ward dieser Mamurius Vetu-
rius zugleich für den Urheber der elf nachgemachten Schilde gehalten,
während das einzige ächte, das wahre Unterpfand des Heils, für ein
l ) Io. Lyd. 1. c. III, 29, IV, 36. vgl. das KaL Constantioi prid. Id. Mart.,
Serv. V. A. VII, 188 cui et diem vonsevrarunt , quo pellem virgis caedunt ad
arti* similitudinem (weil auch der Schmied hämmert, nur freilich nicht mit
Ruthen), Minne. Fei. Octav. c. 24, 3 Nudi crtida hierne discurrunt (die Luperci),
alii incedunt pileati, scuta vetera circiimferuiit , pellen caedunt (die Salii).
Auch das Kai. rust. Farnes, bemerkt im März das sacrum Mamurio. [Ma-
muralia Philocalus, der alte Kaieoder Equirria, Feriae Marti. C. I. L. 1
p. 388.] Die Regionen nennen eine statua Mamnri in der sechsten Region,
zwischen den Thermen des Constantin und dem T. des Quirious. Aach hat
sich das Andenken eines clivus und eines vicus Mamuri in den Umgebungen
des Quirinais erhalten. [Vgl. Jordan Top. 2, 125 ff.]
») J. Grimm D. M, 724 ff. (Usener in der oben a. Abh. S. 209 ff]
*) Pott etyinol. Forschungen 1, 108. 230. [Corssen Orig. p. Ro. S. 21
und sonst.] Die Alten erklärten den Kamen durch vetus memoria, Varro 1. 1.
VI, 45 memoria amanendo — ut manirnoria — itaque Salii quod cantant
Mamuri Veturi signißcant veterem memoriam. [Die Deutung der Stelle
des Salierliedes ist für uns unmöglich, die Erklärung des Mamurius, Mämurrius
(neben Mamurius, vgl. Lachmann zu Laer. I, 360. Jordan Krit. Beitr. 121 f.)
als Mämers und des vetür-ius als vetus, veter bleibt nach wie vor eine Hypo-
these, der nun vollends die Eigennamen Mamurra, Morrius, FeUirius nicht zu
Hilfe kommen.]
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MARS.
361
vom Himmel gefallenes, also für eine Gabe des Jupiter galt, so hatte
dieses wohl keine andre Bedeutung als dafs die ewige Regel alles
Wechsels der Monde, die sich an jedem Idustage mit jedem Voll-
monde von neuem ankündigte, von Jupiter als dem Urheber alles
Lichtes und dem höchsten Gotte im Himmel abgeleitet werden
sollte, das Vergängliche aber und Ablaufende in dieser Erscheinung,
indem aus zwölf Monaten ein Jahr wurde und darauf dem alten
Jahre ein neues folgte, von dem endlichen und irdischen Künstler.
Verfolgen wir die ganze Feier des Märzmonats, welche
während der längsten Dauer der Republik eine der heiligsten und
populärsten in Rom war, durch ihre einzelnen Acte und nach ihrem
vollständigen Zusammenhange, so ist damit zurückzugehn bis auf die
Luperealien des 15. Februar, welche als Reinigungs- und Befruch-
tungsfest des dem Palatinischen Mars nahe verwandten Faunus
Lupercus in älterer Zeit gewifs auch in directer Beziehung zur
Frühlings- und Neujahrsfeier im Monate März standen. Zwei Tage
darauf wurden die Quirinalien gefeiert und in derselben Zeit bis
zum 21. Februar die Feralien als Todtenfest des alten Jahres,
endlich am 23. die Terminalien zum Beschlufs der ganzen ab-
gemessenen Frist der letzten Vergangenheit (S. 257). Bald darauf,
am 27. Februar 1 ), begann mit den Equirien im Marsfelde der
erste Act der Feier des Mars, in älterer Zeit vielleicht ein Wett-
rennen, wie es noch jetzt beim Carneval zu Rom im Corso gehalteu
wird, später aber ein Wettfahren, wie die gewöhnlichen circensischen
Uebungen *). Gewöhnlich wurde es im Marsfelde, in der Nähe jener
alten ara Martis gehalten, ausnahmsweise, wenn die in dieser Jahres-
zeit nicht seltenen Ueberschwemmungen des Tiber das Rennen an
jener Stelle unthunlich machten, in der Gegend des Caelius, ver- 319
muthlich beim Lateran 8 ). Darauf begann an den Kaienden des
März die eigentliche Frühlings- und Neujahrsfeier, mit der mehr-
fach erwähnten Feier der Matronen zu Ehren des Mars und der
l ) Es ist dieses die Zeit wo die ersten Schwalben nach Koni kamen, ge-
wöhnlich am 21. Febr. « Fast überall gilt der Marz für den eigentlichen
Fruhlingsmonat. Auch die alten Slaven begannen ihr Jahr mit ihm, s. Grimm
D. M. 734. 741.
*) Ovid F. II, 857 ff. spricht bestimmt von Wagen. Unbestimmter drückt
sich Varro 1. 1. VI, 13 aut: Equiria ab equorum cursu; eo die enim ludis
currunt in MarUo campo, vgl. Paul. p. 81 Equiria.
8 ) Paul. p. 131 Martialis campus. Unter Augustus wurden sie einmal
auf dem forum Augusti gehalten, Dio LVI, 27.
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362
VIERTER ABSCHNITT
Juno (S. 274) und vielen antlern Neujahrsgebräuchen, welche später
zum Theil auf die Kaienden des Januar verlegt wurden, grofsentheils
aber doch immer an denen des März haften blieben. So wurde an
diesem Tage noch später das Feuer der Vesta neu entzündet, die
Thüren der Regia und des Vestatempels, auch die der Curien und
der Häuser der Flamines mit frischem Lorbeer bekränzt, den Lehrern
das Jahresgeld bezahlt, von Senat und Bürgerschaft eine kurze
Sitzung zum guten Anfang gehalten und vom Senate an diesem Tage
auch die Verpachtung der sogenannten Vectigalia d. h. der Nutzungen
und indirecten Steuern vorgenommen 1 ). Auch die Salier scheinen
gleich an diesem Tage ihre Opfer und feierlichen Umzüge mit den
Ancilien begonnen zu haben; wenigstens wissen wir dafs sie während
der ganzen Dauer des März durch ihre religiösen Verpflichtungen in
Anspruch genommen wurden 3 ), und einige Kalender nennen den
ersten März ausdrücklich als den Geburts- d. h. Stiftungstag des
Mars und den Tag, wo das Ancile vom Himmel gefallen sei 3 ), was
also auf die Stiftung des sacrarium Marlis in der Regia deutet. Am
7. März fand wieder eine Feier des Mars statt, diesmal in Verbindung
mit Jupiter und Vejovis 4 ), doch bleibt der nähere Zusammenhang
unklar. Einen neuen Aufschwung nahm die Feier mit den Idus,
>o dem alten Festtage des Jupiter, zu dessen Verherrlichung die Salier
nicht weniger als zu der des Mars und Quirinus bestimmt waren.
>) Oviil F. III, ] 35 ff., Macrob. S. 1, 12, 6. 7. [Vgl. besonders Mommseo,
Die Rechtsfrage zwischen Caesar und dem Senat, S. 13 f.]
*) Die Salier durften sich im Laufe des Monats März 30 Tage lang,
»ata tov xtttQOV jrjg &vo(ac, nicht mit profanen Dingen beschäftigen noch
von dem Orte entfernen, wo sie sieh eben befanden, eigentlich wohl nicht aus
Rom, s. Polyb. XXI, 13, 12, Liv. XXXVII, 33; daher es sich von selbst ver-
stand, dal's Consuln und Prätoren, so lange sie diese Aemter bekleideten, von
den Verpflichtungen des Saliats frei gesprochen wurden. Auch Dionys. II, 70
nennt die Feier der Salier eine iogTrj — Sr l f.to7(Xr)S tnl noXXag r]fx^Q(tg uyofiivt].
*) Das Kai. Constantini nennt den ersten Mär/ den Vitalis Martis,
vgl. oben S. 155 und die Kalender der Mss. des Qvid bei Merkel Ovid F.
p. LV, wo einer zu demselben Tage bemerkt Casus ancMs, ein andrer:
Festum Marlis, ancilia feruntur. [C. L. L 1 p. 387.]
«) Kai. Praen. iOVIs mARTIS VEDIOV1S UNTER DVOS LVCOS. [Mommsen
C. !. L. 1 p. 388 ergänzt vediOVI und vermuthet, dafs ARTIS vielleicht aus
AEDIS verderbt und dedicata ausgefallen sei. Anders Huschke Jahr 248.
S. oben S. 265, 1.] Das Kai. Coustant. bemerkt zwei Tage darauf, zum 9. März:
Arma ancilia movent.
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MARS.
363
Schon am Tage vor den Idus gab es nicht blos die Feier der
Mamuralien, sondern auch ein neues Wettrennen im Marsfelde 1 ).
An den Idus folgte jene volksthümliche Feier der Anna Perenna
(S. 343) und ein feierliches Opfer des Jupiter auf dem Capitole
unter der Oberaufsicht des Pontifex Maximus und der Virgo Maxima,
bei welchem für das Heil des Staates geopfert und um allen guten
Segen für das neue Jahr gebetet wurde, jedenfalls unter Betheiligung
der Salier, da unter den verschiedenen Gegenden der Stadt, die sie
mit ihren Umzügen berührten und an denen sie ihre heiligen Tanze
aufrührten, ausdrücklich das Comitium [der Pons sublicius] und das
Capitol genannt wird 2 ). Auch der Umstand dafs die Consuln in
den besten Zeiten der Republik, vom Jahre 531 bis 601 d. St., an
den Iden des März ihr Amt antraten, ist ein Beweis der hohen
Bedeutung dieses Tags, an welchem also damals auch jene später
auf die Kaienden des Januar verlegten Opfer und Gebete der zuerst
amtlich auftretenden Consuln (S. 181) stattgefunden haben werden.
Am 17. März folgte eine Frühlingsfeier des Liber Pater, bei welcher
die Salier gleichfalls mitwirkten; wenigstens wurden an diesem Tage
neben den Liberalia auch Agonia gefeiert, welche speciell den Mars
und die Salier angingen, namentlich die Agonalischen Salier des
Quirinais 3 ). Zwei Tage darauf, am Tage der Quinquatrus (S. 293)
*) Ovid. F. III, 5 1 9 ff . , vgl. Kai. MuH*, and Vatic. [An die Equiria des
14. Marz erinnerte P. selbst in den Bericht, der I. Ausgabe. S. oben
S. 360, 1.]
*) Dionys, a. a. 0. Vgl. Io. Lydus de Mens. IV, 36 ifdofc Magrlaif
ioQTr] Jibq tfi« ttjv fieoouTjviav xul tvyai öijpioaiai vntg io£ Lytttvbv yevto-
&ai tov Ivutviov. ItQuxwov äk xccl juvqov i&Trj untQ itöv tv roig bptaiv
aygiov (d. i. pro saltibus, für die Viehweiden) qyovfitvov iov «p/«p^of *«/
twv x«vr)if 6i)(ov rijg fitjTQÖyov, d. i. die Virgo Maxima. [Vgl. Mommsen
a.a.O. zu Mart. Id.] Nach Augustin C. D. IV, 23 wollten beim Bau des
Capitols nicht weichen Mars, Terminus und Iuventas, so dafs immerhin auch
ein altes Heiligthura des Mars der Salier auf dem Capitole angenommen
werden darf. [Die drei genannten Stätten des Saliertanzes gehören begriff-
lich zusammen: Capitol und Brücke (über diese vgl. unten zu S. 322) als zwei
für die militärische und sacrale Existenz der Stadt entscheidende Punkte, das
Comitium als der Ort der Watfeuweihe.]
•) Varro 1. I. VI, 14 in libris Saliorum, quorum cognomen Jgonensium,
forsüan hie dies ideo appelletur put ms sfgonia, vgl. Kai. Vatic. und Macrob.
S. I, 4, 15 Masurius etiarn secundo Fastorum Liberalium dies, inquit, a puu-
tifieibus agonium Martiale appellatur. Auch der Name Möns Agonus
f. Quirinalis, p. Agonalis f. Collina, endlich der Salii Agonales oder
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364 VIERTER ARSCHMTT.
finden wir die Salier mit den Pontifices und dem Tribunus Celerum
auf dem Gomitium beschäftigt, sie tanzend, während die Pontifices
sai vermuthlich opferten 1 ), vielleicht zur Erinnerung an den Bund des
Romulus und T. Tatius, welcher der Sage nach auf dem Comitium
abgeschlossen worden war und sowohl von der Sage als in dem
Rituale des von Numa begründeten Cultus mit dem Raube der Sabi-
nerinnen und der Frühlingsfeier des Mars in unmittelbare Verbin-
dung gebracht wurde 2 ). Weiter folgte am 23. März, dem Tage des
Tubilustrium, ein neuer Umzug der Salier und eine gemeinschaft-
liche Feier des Mars und der Nerio (S. 342, 3), während das Tubi-
lustrium selbst ein Reinigungsfest der beim Gottesdienste gebrauchten
Tuben und anderes heiliges Geräthes war, welches in dem soge-
nannten Schusterhofe (Atrium Sutorium) auf dem Palatin Degangen
wurde 8 ). Endlich waren die Salier auch bei einer zweiten Feier
Agouensis scheint mit diesem Opfer zusammenzuhängen. Vgl. aber die
Agonit oben S. 176, 2.
») Kai. Vat. z. 19. Marz: QVINQ. FERIAE MARTI, Verr. Fl. Fast.
Praeu fACIVNT IN COMITIO SA LTV cum ponTIFICIBVS ET TRIB
CELERum. [So Mommsen.] Vgl. Varro 1. 1. V, 85 Salii a salitando, quod
facere in comitio in sacris quotannis et solent et debent. Auch Dionys. 1. c.
sagt: ioQTtj cT aitüv iart neQl tu nava^vata, das sind die Quinquatrus, so
da Ts um diese Zeit wohl die bedeutungsvollsten Acte der Feier stattfanden,
vermuthlich speciell die Feier des Mars und der Minerva-IN'erio.
*) Fest. p. 372 Vernas qui in villi* vere nati, quod tempus duce natura
feturae est et tunc rem divinam instituerit Marti Numa Pompilius pacis Con-
cor diaeve obtinendae gratia inter Sabinos Romanosque ut vernae viverent
neu vincereni: d. h. dafs sie wie Söhne eines Frühlings, also wie Brüder
zusammenleben sollten. Vgl. das Gebet der Tibortiner b. Serv. V. A. I, 7
Iuno currüis — tuere meos curiae vernulas [oben S. 279, 3], und Martial. X, 76
de plebe Remi Numaeque verna. Ueber das comitium und die mythische Be-
deutung des Raubes der Sabineriunen s. Plut. Rom. 19 und oben S. 275. 342.
8 ) Varro 1. 1. VI, 14 und Verr. Fl. Fast. Praen. zum 23. März. Es waren
die Tubi, quibus in sacrit utuntur, welche dann lustrirt wurden, und zwar
geschah es mit dem Opfer eines Lamms, s. Fest. p. 352, Paul. p. 353, und
durch die s. g. tubicines sacrorum, eine eigne zum priesterlichen Stande ge-
hörige Zunft, welche bei Fest 1. c. , Gell. N. A. I, 12 und in verschiedenen
Inschriften erwähnt wird, s. Marquardt Handb. d. R. A. IV, 376 [Verwaltung
3. 219]. Auch der lituus Romuli und die litui überhaupt wurden wegen ihrer
Gestalt zur Gattung der tubi gerechnet, ein Wort welches ursprünglich eine
weitere Bedeutung gehabt haben mufs als tuba, vgl. Gellius V, 8, 8, Cic. de
Divin. I, 17, 30. Also wurden auch die litui an diesem Tage lustrirt, ver-
muthlich auch die Ancüia, s. Charis. 1 p. 62 [p. 81 K ] Quinquatrus a quin-
quando i. e. lustrando, quod eo die (er versteht die Quinquatrus in der späteren
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MARS.
365
auf dem Comilium, einem Sühnopfer welches am 24. März unter
der Leitung des Rex Sacrorum vollzogen wurde, betheiligt 1 ). Also
eine ganze Reihe von gottesdiensllichen Acten, wo je nach der Be- ssa
deutung des Tags neben Mars andre Götter gefeiert wurden, an den
Kaienden Janus und Juno, an den Nonen Vejovis, an den Iden
Jupiter, an den Quinquatrus Minerva oder Nerio, und dabei wahr-
scheinlich immer Umzüge mit den Ancilien und Tänze der Salier
bald bei diesen bald bei jenen örtlichen Heiligthümern der Stadt
aufgeführt wurden 2 ). Diese ganze Zeit hindurch war das alte Heilig-
thum des Mars in der Regia geöffnet und die Ancilia in Bewegung
(movebautur), bis sie endlich wieder zur Ruhe gebracht (condeban-
tur) d. h. in jenem Heiligthume wieder aufgehängt und das Heilig-
thum selbst wieder geschlossen wurde 3 ): eine Zeit der kriegerischen
Bewegung und Aufregung der ganzen Stadt, in welcher sich die
ältere Zeit eben deshalb aller wichtigeren Unternehmungen enthielt.
Auch galten alle in dieser Zeit abgeschlossenen Ehen für bedenklich,
da sie eine stürmische Zukunft befürchten liefsen, und die Gemahlin
des Flamen Dialis mufste während der ganzen Dauer dieser Umzüge
ihr Haar ungekämmt lassen. Während der Umzüge aber wurden
die Ancilia an verschiedenen Stellen aufbewahrt, wie sie sich z. B.
am Vorabende der Idus des März, an welchen Cäsar ermordet wurde,
bei diesem als Pontifex Max. befanden 4 ), zu andern Zeiten in eigens
Bedeutung als fünftägiges Fest) arma ancilia lustrari sint solita. [Vgl. Mommsen
C I. L. 1 p. 369.]
*) Fest. p. 27S Regifngium, vgl. Müller p. 403 und Marquardt a. a. 0.
S. 265.
s ) Dionys a. a. 0. iv aig (fi« ifjg nolsug uyovoi tovg j^opor? tlg Tf Tfjv
(iyoottv xal to KuTMidhov xai nolXovg iciJLovg lälovg r« xul Srntoafovg io-
riovg. Auch die Lieder der Salier gedachten verschiedener Opfer, von denen
in dieser Zeit auch eins auf dem pons Sublicius stattgefunden zu haben scheint,
s. Varro I. 1. V, 110, Fest. p. 141 uiolucrum, Serv. V. A. II, 165, Catull. 17, 5.
[Vgl. Jordan Top. 1, 1, 398.]
3 ) Serv. V. A. IV, 301 Moveri sacra dicebantur cum solemnibus diebus
nperiebantur templa instaurandi sacrificii causa, cuius rei Plautus in Pseudolo
(I, 1, 107) meminit. — Hoc vulgo apertiones appeUant. Vgl. Sueton Otho
8, Tacit. Bist. I, 89.
4 ) Dio Cass. XLIV, 17 tk t€ yito onXa t« ',-tonu nao' avr(o tot« a>g
xal naoü nqyttQii xaxa u naxoiov xtlutvu xpötfov irjg vvxrog inoiTjOf, wo
das Wort toti beweist, dafs die Ancilia nicht immer dort waren, sondern
eben nur in dieser Nacht, da am folgenden Tage der Zug aufs Capitol und
das dortige Opfer unter der Leitung des Pontif. M. erfolgte. Nun wohnte der
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366
VIERTER ABSCHNITT.
zu diesem Zwecke gestifteten Mansiones Saliorum d. h. Einkehrs-
häusern der Salier und der Ancilien für die Nacht und die Zeit
der Mahlzeiten, welche immer so prächtig und üppig ausfielen, dafs
sie wie die der Pontifices in ihrer Art sprichwörtlich geworden
waren *).
323 Im weitern Verlaufe des Jahrs hrachte, soviel wir wissen, der
römische Kalender nur im Juni und im Octoher neue Feste des
Mars, an den Kaienden des Juni jene gemeinschaftliche Feier der
Juno und des Mars, bei welcher diesem namentlich in dem Tempel
an der Appischen Strafse gehuldigt wurde (Ovid F. VI, 191), an
den Iden des October neue Rennen im Marsfelde und dabei das
merkwürdige Opfer des Octoberpferdes 2 ). Der ganze Zusammen-
hang dieses alten Gebrauchs scheint dieser gewesen zu sein. Zu-
erst fand wie gewöhnlich das Rennen zu Ehren des kriegerischen
und ritterlichen Gottes statt, dann wurde das Handpferd des Ge-
spanns, welches bei diesem Rennen gesiegt hatte, an jenem alten
Altare des Mars geopfert, und zwar ob frugum eventum d. h.
zum guten Gedeihn der neuen Aussaat; daher das Haupt des zu
opfernden Pferdes mit einem Kranze von Broden behangen wurde,
wie beim Feste der Vesta die Esel als Gehülfen der Müller 3 ). Dem
Haupte und dem Schwänze des geopferten Pferdes wurde eine be-
sondere Kraft der Sühnung zugeschrieben, daher sich um das Haupt
ein hitziger Kampf zwischen zwei der ältesten Stadtquartiere erhob,
dem der Subura und dem der Sacra Via. Die Bewohner von jenem
nagelten es, wenn sie es erlangten, an den Mamilischen Thurm, die
Pontif. M. zwar in der Regia, aber das Sacrarium Martis, wo die heiligen
Speere und die Ancilia gewöhnlich aufbewahrt wurden, war jedenfalls ein
andrer Raum als seine Wohnung. Dieses gegen Becker Handb. 1, 230.
*) Or. n. 2244 [= C. I. L. 6, 2158] Mansiones saliorum Palatinorum a
veteribus ob armorum magnalium fd. h. mirabilium] custodiam constitutas longa
nimis aetate negledas pecun. sua reparaverunl pontifices Pestae etc. Fest. p. 329
Salios, — qtn'bus per omnis dies ubicumque manent quia amplae ponuntur
cenae, si quae aliae magnae sunt, saliares appellantur. Vgl. Cic. ad Att
V, 9, Horat. Od. I, 37, 2, Sueton. Claud. 4. 33 u. A.
3 ) Fest. p. 17S October equus, Paul p. 220 Panibus, Plut. Qu. Ro. 97. Im
Kai. Constant. Id. Octob. Equus ad INixas fit ist dasselbe Opfer gemeint,
s. meine Regionen d. St. R. S. 173.
3 ) Lactant. I, 21, 26. Am 21. Decb. wurde nach Macrob. S. III, 11, 10
dem Hercules und der Ceres geopfert sue praegnante, panibus, mulso. Vgl.
die panes laureati der fratres Arvales bei Marini p. 526. [Vgl. Henzen Acta
S. 14.]
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MARS.
367
der Sacra Via an die Mauer der Regia 1 ), vermuthlich weil man
glaubte data das dort angenagelte Haupt seinen Segen über das ganze
Quartier verbreiten werde. Der Schwanz wurde so schnell als mög-
lich in die Regia getragen, wo man das Rlut auf den Altar der
Vesta träufeln liefs, worauf die Vestalinnen aus diesem geronnenen
Blute und andern Ingredienzien das Räucherwerk bereiteten, dessen
man zu den Sühnungen der Palilien bedurfte 2 ). Es war eine ssi
schreckliche Parodie dieses alterthümlichen Gebrauchs, als nach den
Triumphen Casars im J. 46 v. Chr., wie es scheint zur Sühne einer
Meuterei unter den Soldaten, auf dem Marsfelde zwei Menschen von
den Pontiüces und dem Damen Martialis geopfert und ihre Köpfe
gleichfalls an der Regia, wo Cäsar als Pontifex Max. wohnte, ange-
genagelt wurden (Dio XLI1I, 24). — Endlich scheint auch das am
19. Oct. gefeierte Armilustrium vorzugsweise dem Mars gegolten zu
haben, eine im Armilustrium am Aventin begangene Cerimonie,
welche aus einem Opfer unter dem Schall der heiligen Trompeten
und einem Umzüge mit den zu lustrirenden Waffen bestand, für
welche Varro 1. L VI, 22 die Ancilien nennt 3 ).
Inzwischen fand mit der Zeit auch in diesen Kreisen immer
mehr die griechische Kunst und die griechische Fabel Eingang, so
dafs die älteren Culte des Palatin und Quirinal zuletzt vergessen
und verkannt und dafür mit neuen Ideen und nach neuen Mustern
auch dem Mars neue Tempel und neue Culte gestiftet wurden.
Schon der T. des Mars, den D. lunius Brutus Callaicus, der Consul
des J. 138 v. Chr. auf Veranlassung eines kriegerischen Erfolges
gelobt und der griechische Architekt Hermodor aus Salamis in der
Nähe des Circus Flaminius erbaut hatte, scheint speciell zur Auf-
nahme von griechischen Kunstwerkeu, namentlich eines sitzenden
Colosses des Mars von der Meisterhand des Scopas gedient zu haben 4 ).
Ganz im Sinne der neuen Zeit und im Familieninteresse des Ju-
lischen Geschlechtes, welches zugleich die Venus und den Mars
*) Fest. 1. c. Vgl. das Abschneiden und Annageln des Pferdchaupts in
Deutschland, Grimm D, M. 41 und 624 fl. Auch sonst wurden bei den Alten
Weibgeschenke, Theile von Opferthieren u. dgl. an Heiligthümer angenagelt,
s. Bötticher Baumcultus S. G9.
■) Prop. V, 1, 19, Ovid F. IV, 731.
8 ) Vgl. Paul. p. 19, Kai. Maff. Amitero.
*) Corn. Nepos b. Priscian VIII, 4 p. 370 [1 p. 3S3 H.J, vgl. Plin. H. N.
XXXVI, 26. [Becker Top. 619.]
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368
VIERTER ABSCHNITT.
verehrte, erfolgte dann die Stiftung eines neuen Dienstes des Mars
Ultor durch Augustus. Schon Cäsar hatte, da er die Venus Ge-
nitrix auf seinem Forum verherrlichte, auch einen T. des Mars von
solcher Pracht und Gröfse, wie man ihn sonst nirgends fände, er-
bauen wollen *). August nahm diesen Gedanken seines Adoptiv-
vaters wieder auf, indem er zugleich dessen persönliches Andenken
und das an die göttliche Strafe, welche seine Mörder getroffen hatte,
damit vereinigte. Er gelobte nehmlich in dem Kriege gegen Brutus
und Cassius 42 v. Chr. dem Mars einen T. pro ullione paterna,
daher der Name Mars Ultor, dessen glänzender Tempel zugleich mit
326 dem forum Augusti in Angriff genommen wurde, aber erst im J. 2
v. Chr. eingeweiht werden konnte. Inzwischen erfolgte im J. 20
die Rückgabe der von Crassus an die Parther verlornen Feldzeichen,
zu deren Aufnahme August einen kleineren Tempel des Mars Ultor
auf dem Capitole erbauen liefs, ein Gegenstück zu dem wiederher-
gestellten T. des Jupiter Feretrius, in welchem sich, wie man aus
häufigen Abbildungen auf römischen und asiatischen Münzen der
Zeit sieht, aufser den wiedergewonnenen Feldzeichen auch ein
Standbild des Mars befand, der in der R. einen Legionsadler, in der
L. ein anderes Feldzeichen trug. Die Einweihung dieses Tempels
erfolgte schon im J. 19 oder 18 v. Chr., also geraume Zeit vor
der des gröfseren *). Dieser letztere , welcher auf dem gewöhnlich
forum Augusti, ausnahmsweise auf f. Marlis genannten Platze lag
und in einigen Trümmern noch vorhanden ist, war einer der
prächtigsten in der ganzen Stadt, von innen und von aufsen geziert
mit vielen kriegerischen Ehrenzeichen, kostbaren Kunstwerken und
mit Erinnerungen an Aeneas und die Ahnen des Julischen Ge-
schlechts bis hinab zum Divus Julius, während die beiden göttlichen
Ahnen dieses Geschlechts, Mars und Venus, in seinem Innern durch
eine entsprechende Gruppe vergegenwärtigt waren 8 ). Das Ein-
weihungsfest dieses Tempels wurde am 12. Mai unter persönlicher
») Im Marsfelde, vermuthlich in der Gegend des Pal. Farnese, s. Sueton
Caes. 39, 44, Dio XLIII, 23, meine Regionen S. 160. 218.
a ) Dio UV, 8, vgl. Becker Handb. 1, 371 und Pinder in der S. 200, 3 an-
geführten Abhandlung.
•) Ovid Trist. II, 296 stat Venus Ultori iuncta, Hr (d. i. Vulcao) ante
fores, nach der Enieodation von Haupt b. Lachmann z. Lucret. p. 199. Vgl.
Ovid F. V, 550 ff. Auch das Schwerdt des Divus Iulius wurde in diesem T.
aufbewahrt, s. Suetou. Viteil. 8.
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QdRÜNUS.
369
Betheiligung des August mit aufserordenüich kostbaren und glän-
zenden Spielen begangen 1 ); die bei Dio LV, 10 in einem Auszuge
erhaltene Gonsecrationsurkunde 8 ) bestimmte unter andern Aus-
zeichnungen, dafs die jungen Cäsaren nach Anlegung der toga virilis
in diesem Tempel opfern, der Senat in ihm über Krieg und Frieden
und über zu ertheilende Triumphe berathen, die zur Verwaltung
der Provinzen bestimmten Magistrate von hier in dieselben abgehen,
die zurückkehrenden Sieger hier die Attribute ihres Triumphs
niederlegen sollten; auch sollten in seiner Nähe alle Triumphatoren
älterer und neuerer Zeit in ehernen Bildsäulen verewigt, in ihm alle
etwa verlornen und wiedereroberten Feldzeichen aufgestellt werden 8 ).
So wesentlich war es hier, wie sonst bei den Stiftungen des August, 326
auf eine Verschmelzung des Ruhms der Julier und der Ansprüche
ihrer Dynastie mit dem des römischen Namens überhaupt abgesehn.
2. QUirinus.
Quirinus ist der sabinische Mars als Stammgott von Cures
und seiner Bürger, der Quiriten, wie der albanische Mars der
Stammgott der palatinischen Römer war. Deshalb galt jener für
den Vater des Gründers von Cures Modius Fabidius, wie der al-
banische Mars für den der römischen Zwillinge. Die Wurzel des
Namens ist quiris oder curis d. i. auf sabinisch die Lanze, welche
so gut das Symbol des sabinischen als des latinischen Mars war 4 ).
") Vgl. Vellei. Pat. II, 100, Kai. Maff. zum 12. Mai [vgl. Mommsens An-
merkaug dazu], Ovid F. V, 597. Nach dem Kai. Venus, war der 14. Mai dem
Mars Invictus heilig.
») Vgl. Sueton Octav. 29.
») [S. Mommsen C. I. L. 1 p. 281.]
4 ) [Dafs Quirinus auf dem Quirinal ursprünglich unter dem Namen Mars
verehrt worden sei schliefst Mommsen zu C. I. L. 1, 41 daraus, dafs daselbst
.in hortis Qoirinalibus pontifieiis' die sehr alte Widmung P. Corn[etü>s) L. f.
coto{t\ prob[avit] Mar[te sacrotn?\ (41 = 6, 475) zusammen mit der jüugcren
Quirino L. AimiUus L. f. praitor (1, 630 «= 6, 565) gefunden worden ist —
Der Zusammenhang von quir-lnus (vielleicht Epitheton des Mars) mit quir-ltes
ist sicher, der mit Cures unwahrscheinlich, ob das angebliche sabinische Wort
curis Lanze überhaupt mehr ist als ein etymologischer Rückschlufs aus den
a. Wörtern sehr fraglich: oder sollte es nicht auffallen, dafs die quirites die
hasta und das püum schwingen, die vermeintliche curis aber aufser den Ety-
mologen Niemand kennt? Die bisherigen Erörterungen (Corssen Ausspr. 2«,
Preller, Röm. Myüiol. I. 3. Aufl. 24
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370
VIERTER ABSCHNITT.
Ueberhaupt haben wir gesehen dafs Mars durch ganz Italien, sowohl
hei den Sabinern als bei den Latinern, der nationale Frühlings-,
Feld- und Kriegsgott war, daher es nicht auffallen kann dafs dieser
Gottesdienst neben seiner allgemeinen Geltung und dem gewöhn-
lichen Namen hin und wieder eigentümliche und locale Formen
und Namen angenommen hatte. In Rom entstand dadurch der
alten Verdoppelung der beiden Stämme, der Latiner auf dem Palatin
und der Sabiner auf dem Quirinal, entsprechend eine locale Ver-
doppelung des Marsdienstes, welche die römischen Alterthumsforscher
wohl bemerkt haben, aber sich nicht zu erklären wufsten *), wäh-
rend die Griechen den Mars gewöhnlich in ihren Ares, den Quirinus
in ihren Enyalios übersetzen, welche beiden Götter der griechischen
Mythologie bekanntlich gleichfalls nur verschiedene Formen eines
und desselben nationalen Kriegsgottes waren. Der historische Grund
des Unterschieds war darin angedeutet, dafs Quirinus für den Gott
der mit T. Tatius von Cures nach Rom übergesiedelten und auf
dem Quirinale angesiedelten Sabiner galt 2 ). An dem Abhänge dieses
327 Hügels, in der Gegend von S. Andrea, lag auch das alte Heiligthum
des Quirinus und in seiner Nähe das des gleichfalls nationalen
Gottes oder Halbgottes Dius Fidius, des sabinischen Hercules. Die
grofse Wichtigkeit dieses Gottesdienstes für die ältere Zeit ist daran
zu erkennen, dafs Numa den Quirinus neben dem Mars unter die
Götter seines Systems aufnahm und dem entsprechend auch dem
flamen Quirinalis seine eigene Stelle unter den drei sogenannten
357 und so fort bis auf Soltau Volksvers. 456 f.) haben die etymologische
Frage nicht um einen Schritt vorwärts gebracht. Vgl. S. 278, 2.]
») Dionys H. II, 48 nach Varro: rov <T % Evvahov ol Zaßivot xttl nao'
Ixtivtov ol 'Ptoftttiot fxa&ovreg KvqTvov ovofjaCovatv , oix f/orrtc flntiv to
nxoißh (Ire v AQr\q iatlv tfr( '(regos Tic 6uo(«g "4oft riuhg /pv ol fikv yttQ
i<p' Ivoc oTovrtti &tov nolffiixdiv ayatvtov ^yifiofoc ixuTfoov tüv ovopaTtav
xartjyoQUO'&ttt , ol 6*k xttra SvoTv tamaSat öaifiovatv noktuiotoiv ra ovo-
fxain. Vgl. Plut. Rom 29.
») Varro I. I. V, 51 Collis Quirinalis ob Quirin i fanum. Sunt qui a Qui-
ritibus, qui cum Tatio Curibus venertwt Romam , quod ibi habuerint castra.
Vgl. Fest. p. 254 Quirinalis. Nach Varro ib. 74 und Dionys II, 50 brachte T.
Tatius die Verehrung des Quirinus nach Rom. Ueber die Lage des Tempels
a. Liv. VIII, 20, Urlichs in der Beschr d. St. Rom III, 2, 366, Becker Handb.
I, 569. [Lanciani Bull. arch. municipale 1, 226.] Auch die p. Collina hicfs
mit einem anderen iNamen p. Quirinalis und auch in ihrer Nähe befand sich
ein sacellnm Quirini, Paul. p. 255.
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QUIRINUS.
371
Flamines majores anwies 1 ), ferner daran dafs noch Tullus Hosti-
lius dem Quirinus zu Ehren ein zweites Collegium der Salier stiftete
(S. 356 f)- Auch ist der flamen Quirinalis , der sich zur Zeit der
gallischen Noth um die Rettung der Heiligthümer der Vesta so ver-
dient machte, immer ein sehr angesehener Geistlicher gehlieben,
und die Beibehaltung des Schwurs beim Mars und Quirinus in alten
Schwurformelu 8 ) sammt andern Merkmalen alter Tradition beweist,
dafs der Cultus auch hier conservativer war als die populäre Mei-
nung, für welche Quirinus bekanntlich später für identisch mit dem
vergöttlichten Homulus galt. Durch diese Identification von zwei
ursprünglich ganz verschiedenen Wesen ist denn freilich die Bedeu-
tung des alten nationalen Stainmgottes von Cures Quirinus eben so
sehr verkürzt, als die des römischen Stadt- und Nationalheroen
Romulus erhöht worden.
Gewisse Merkmale der alten Bedeutung und Geltung des Qui-
rinus lassen sich indessen noch jetzt nachweisen. So ist wohl zu
beachten dafs der flamen Quirinalis aufser dem Dienste des Quirinus
am 25. Dec. mit den Pontifices ein jährliches Opfer am Grabe der saa
Acca Larentia, ferner am 25. April das jährliche Opfer des Robigus,
damit der Kornbrand nicht schade, zu bringen, endlich mit den
Pontifices und den Vestalinnen zusammen am 7. Juli und 21. Aug.
die Feier der Consualien zu besorgen hatte 3 ) : lauter alte Gottheiten
der Flur und des Erdbodens, so dafs also auch Quirinus nothwendig
in ähnlicher Weise ein Gott der Flur und des Ackerbaus gewesen
sein mufs als Mars. Dazu kommt die Verehrung der Hora Qui-
*) Vgl. oben S. 64 und Fest. p. 185 Quirinalis (flamen) socio itnperii Bo-
mani Citribus adscito Quirino Vgl. Liv. V, 39. 40 und Plut. Camill. 20, aus
welchen Stellen zugleich hervorgeht, dafs der fl. Quirinalis in der Nähe des t.
Quirini wohnte. Selbst die Wohnung des Numa wurde von Einigen an den
Quirinal verlegt, s. Plut. Num. 14, Solin. 1, 21. [Vgl. Jordan Top. 1, 1, 156 f.]
Galt Numa für den Stifter des Cultus des Quirinus, so ist das eben nur von
der Einreihung dieses Gottes in sein Göttersystem zu verstehn, s. Dionys II,
63, wo der sabinische Gott wie später allgemein mit Homulus Quirinus ver-
wechselt wird. Auch Mamurius, der Schmied der Ancilien, war am Quirinal
zu Hause, s. oben S. 360, 1.
») Vgl. oben S. 65 f., Liv. V, 52, VIII, 9 und den Schwur des Drusus
S. 93. Zu bemerken ist auch der alte Schwur Equirine d. i. beim Quirinus,
wie Eiuno, Eccere, Ecastor, Paul. p. 81 und die altherkömmliche Cultus-
formel Quirinus pater b. Ennius [Ann. 121 V.j und Lucilius [S. I, 11 M.].
») Gellius VII, 7, 7, Ovid F. IV, 910, Tertull. de Spectac. 5.
24*
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372
VIERTER ABSCHNITT
rini und sogenannter Virites Quirini nach den Auszügen aus
priesterliclien Gebetsurkunden bei Gellius (S. 55, 1), welche Namen
gleichfalls auf einen Gott der Befruchtung, sowohl des Feldes als
der Ehe deuten. Die Virites Quirini hängen nehmlich höchst wahr-
scheinlich mit virere und virescere zusammen, wie die S. 100 nach- 1
gewiesenen Virae Querquetulanae und die Vires der Diana (S. 314, 2)
und ihr Schützling Virbius und Visidianus, der Schutzgott von
Narnia 1 ). Die Hora Quirini aber, welche auch in den Annalen des
Ennius vorkam*), war den Andeutungen (Kids Met. XIV, 832 ff.
zufolge identisch mit derHersilia d. h. der zur Göttin gewordenen
Gemahlin des Komulus Quirinus, welche auf den Romulus aber erst
nach seiner Identilicirung mit dem sabinischen Quirinus übertragen
sein kann. Juno sagt dort zur Hersilia, wenn sie ihren Gemahl
wiedersehn wolle, so soll sie mit ihr gehn zu dem Haine, welcher
dem Quirinus auf seinem Hügel grüne *). Als sie hingegangen sind,
fallt ein Stern vom Himmel und auf den Scheitel der Hersilia, wo-
rauf sie verschwindet (vgl. oben S. 95) und von Romulus unter
dem Namen der Hora Quirini in seinen Tempel aufgenommen wird *).
Also eine Göttin gleich der sabinischen Nerio, der Gemahlin des
Mars, welche auch zugleich als weiblich hingebend und als krie- |
329 gerisch und neben dem Mars als Schutzgöttin der Ehe gedacht
wurde (S. 342). Neben diesen Beziehungen zur Natur und Frucht-
barkeit aber wurde Quirinus wie Mars doch vorzugsweise als ein
Gott der Waffen und des Kriegs gedacht und verehrt *). Sein Bild
>) Tertull. Apolog. 24, Ad Nat. II, 8 [nach Varro]. Zu bemerken ist
dafs in jener Stelle des Gellias weder die Lesart Virites Qoirioi ganz
sieber steht noch die Deutung als Plural, was auch von den Moles Martis
S. 349, 1 gilt.
*) Bei Non. Marc. p. 120 Quirine Pater veneror Horamque Quirini. Bei
Plut. Qu. Ro. 46 heifst sie Horta, welcher Name nach Antistins Labeo abzu-
leiten wäre ab hortaodo, die tu guten und löblichen Thaten ermahnende.
Doch ist die Form Hora (b. Eonius Höra, b. Ovid Hora) am besten beglaubigt.
Nach Platarch 1. c. stand ihr Tempel immer offen, vgl. oben S. 174. Ueber
den Namen der Hersilia s. S. 275.
•) Colle Quirino qui vir et et templum Romani regit obumbrat. Vielleicht
waren die Virites Quirini die Göttinnen dieses Hains, der wie gewöhnlich das
älteste Heiligthnm des Gottes war.
«) Prücum pariter cum corpore nomen mutat Horamque vocat, quae nunc
Dea iuneta Quirino est.
•) Stat. Silv. V, 2, 129 kumeris quatere arma Quirinus (monstrabit).
Vgl. Fest. p. 217 persilllum: so hiefs im priesterlichen Sprachgebrauche ein
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QUIRINUS.
373
scheint das eines bärtigen, in einem halb kriegerischen halb priester-
lichen Schmucke dasitzenden Mannes gewesen zu sein *).
Plinius erzählt H. N. XV, 120, dafs vor dem alten Tempel
des Quirinus lange zwei Myrten gestanden hätten, von denen die
eine die patricische, die andere die plebejische hiefs. Viele Jahre
habe die patricische Myrte ein fröhlicheres Wachsthum gehabt,
während die plebejische verkümmerte, so lange eben der Senat oben
auf und der gemeine Mann zurückgesetzt gewesen sei. Dann aber,
während des marsischen Kriegs, als die Demokratie die Aristokratie
überllügelte, sei die plebejische Myrte auf einmal mächtig aufge-
schossen, die patricische aber verwelkt und eingegangen. Diese
beiden Bäume erinnern sehr an die beiden Lorbeeren im Heilig-
thume des Mars in der Regia (lul. Obseq. 78), und man darf wohl
vermuthen, dafs beide Pllanzungcn, die Myrten vor dem T. des
Quirinus und die Lorbeern im Heiligthume des Mars, sinnbildüch
dasselbe bedeuten sollten, das fröhliche Gedeihen des vereinigten
populus Romanus Quiritium unter dem Schutze der beiden alten
Stammgötter: bis eine spätere Zeit bei jenen Myrten nicht mehr
an die beiden Stämme der Vorzeit, sondern an die feindlichen Stände
der Patricier und Plebejer dachte. Der Apollinische Lorbeer be-
deutete Reinheit und Erneuerung, die Myrte aber, das Laub der
Venus, Befruchtung und Einigung; daher die Sage ging, dafs die
Römer und die Sabiner, als sie nach blutigem Streit zur Verbün-
dung geschritten, sich beim Heiligthume der Venus Gluacina mit
Myrtenzweigen gereinigt hätten. Wird doch selbst die Stiftung des
Dienstes des Quirinus gewöhnlich auf jenen ältesten Bund und
Verlrag zwischen den Römern und Sabinern und eben so der Name
Quirites auf denselben ältesten Grundvertrag des römischen Bürger-
rechtes und Stadtfriedens bezogen 8 ). Vielleicht hängt es damit zu-
cigeuthüniliches Gefäls, rudusculum picatum, ex quo unguiiie flamen PorlunaUs
arma Quirini unguet.
l ) Auf Münzen der Memmia der K. des Quirinus, würdig, langbärtig in
gelockten Reihen, mit einem Myrten- oder Lorbeerkranz. [Cohen Cons. T.
XXVII Meiumia 5, vgl. Mommsen Münz*. S. 642 A. 527.] Auf M. der Fabia
(Pictor) behelmter Mann, sitzend, in der R. die ,Priestermütze', die L. , die
einen Speer hält, gestützt auf einen Schild mit der Inschrift Q VIRIN [d. h.
flamen Quirinalis, Cohen a. 0. XVII Fabia 6, vgl. Mommsen a. 0. S. 542
N. 141.]
») Fest. p. 254 Quirites autem dicti post foedus a Rotnulo et Tatio
374
VIERTER ABSCHNITT.
3«o sammen dafs man später den Quirinus als einen ruhigen und fried-
lichen Gott dem Mars Gradivus geradezu entgegensetzte (Serv. V.
A. I, 292).
Leider läfst sich die Zeit, wo der erhöhete Romulus und Qui-
rinus zu einer Person verschmolzen, nicht näher bestimmen; jeden-
falls kann es nicht eher geschehen sein als nachdem das Bewufstsein
von jener ältesten Thatsache der römischen Geschichte, der Ver-
doppelung der Bürgerschaft durch Verbündung der Römer und
Sabiner, verloren gegangen war. Seitdem ist Romulus Quirinus
als alleiniger Stammheros an die Stelle der beiden alten Stamm-
götter eingerückt, wie die Formel Populus Romanus Quirites oder
Quiritium ursprünglich eine Verdoppelung ausgedrückt hatte, aber
später nur das eine Volk der römischen Bürger bezeichnete. Gewifs
ist dafs zur Zeit des Cicero und der Dichter des Augusteischen
Zeitalters Romulus und Quirinus allgemein für dieselbe Person
galten 1 ).
Das jährliche Fest des Quirinus, die Quirinalia, fiel auf den
17. Februar, also in die Annäherung des Frühlings. Leider hören
wir von demselben nur auf Veranlassung der Fornacalien, bei welchen
denen, welche sich zu keiner bestimmten Curie hielten, eine eigne
Feier auf den Tag der Quirinalien angesagt wurde, welchen man
deshalb auch den Festtag der Narren, Stultorum ferias nannte 1 )
Der alte Tempel des Quirinus wurde im J. 461 (293 v. Chr.) von
L. Papirius Cursor nach einem Gelübde seines Vaters von neuem
erbaut und mit den Spolien der Samniter und einer Sonnenuhr,
der ersten in Rom, geschmückt 8 ). In diesem Tempel wurde, als
Quirinus schon allgemein für den göttlichen Romulus galt, dem
percussum comtnunionem et societatem populi faetam indicant. Vgl. Plut.
Rum. 29.
') Orelli Onoinast. Tull. v. Quirinus Wenn Cic. de Off. III, 10 sagt:
Rwmultis frütre lutcret/ipto sins controversia peccavit , pace vel Quirini vel
Romuli düterim, so ist das nur der gewöhnliche Unterschied zwischen dem
sterblichen uud unsterblichen Romulus. Vgl. Ge. HI, 27 victorisque artna
Quirini. Aen. I, 292 Remo cum fratre Quirinus. Ovid F. II, 476, III, 41,
VI, 375 lituo pulcher trabeaque Quirinus. luveual. XI, 105 geminos Qui-
rinos von Romulus und Remus. Vgl. Plin. H. IV. XV, 120, Plut. Rom.
29 u. A.
») Varro I. l. VI, 13, Fest. p. 254 Quirinalia, Ovid F. II, 475 ff., vgl. Kai.
AI äff. und Farnes. 17 Febr.
») Liv. X, 46, Plin. H. PI. VII, 213.
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QÜIRIMJS.
375
Cäsar als seinem Abkömmlung eine Statue mit der Inschrift „dem
unbesiegten Gotte" errichtet 1 ). Augustus, welcher sich gleichfalls ssi
für einen Abkömmling des Romulus hielt und sich gerne einen
zweiten Romulus nennen hörte, stellte den durch Alter und Brand
beschädigten Tempel des Quirinus noch einmal her, seit welcher
Zeit (er wurde im J. 16 v. Chr. eingeweiht) das Gebäude ein sehr
prächtiges und von einer doppelten Säulenhalle umgeben war 8 ).
3. Picus und Picumnus und Pilutnnus.
Es ist wieder ein recht deutlicher Beweis von dem mährchen-
haften Zuge der älteren italischen und latinischen Volkssage, dafs
aus dem picus Martius, dem heiligen Waldvogel des Mars, im Laufe
der Zeit ein Walddämon und ländlicher Schutzgeist, ja in den Sagen
der Laurenter sogar ein König und streitbarer Held werden konnte.
Als silenenartiger Dämon des Waldes, der die Quellen liebt und
weissagerischen Geistes ist, tritt Picus neben dem gleichartigen
Faun us auf in dem Mährchen bei Ovid F. III. 291 ff., wo Numa
beide Dämonen 3 ) an einer Quelle am Aventin auf dieselbe Weise
längt wie Midas den Silen. In andern Sagen erscheint er als ein
Dämon des Ackerbaus, namentlich des Düngens, daher man ihn
einen Sohn des Stercutus d. h. des Saturnus und den Stifter eines
Altares des Stercutus in Rom nannte, offenbar wegen der sterqui-
linischen Neigungen des Wiedehopfes, an dem solche l"i Sauberkeit
auch sonst in allerlei unpoetischen Beinamen hervorgehoben wird.
Wieder andre Sagen oder Culte nannten ihn Picumnus und neben
ihm als seinen Bruder und Doppelgänger den Pilumnus, von
denen jener die Düngung der Felder erfunden habe und deshalb
Sterculinus genannt worden sei, dieser das Stampfen des Getreides
(pinsendi frumenti usum), daher er von den Bäckern (a pistoribus)
verehrt werde, deren Mörserkeule (pilum) nach ihm benannt sei 4 ):
] ) Dio XL] II, 45. Daher Cicero ad Att. XIII, 28 den Casar einen con-
tuberualis Quirini nennt.
a ) Dio L1V, 19, Vitruv. III, 1, 7, Beeker Handb. 1, 569. [Ueber die De-
dicatioostage der von Augustus als Peripteros wiederhergestellten papirischeu
aedes und des davon verschiedenen älteren fanum Quirini». Jordan Eph. epigr.
I, 231 ff.]
■) Sie sagen vou sich v. 315 di minus agrestes et qui dotninemur in altis
montibu*.
4 ) Serv. V. A. IX, 4, X, 75, Martian. Cap. II, 158 cornminuendae fru#is
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376
VIERTER ABSCHNITT.
eine volkstümliche Unterscheidung der zwei nahe verwandten, sonst
8sa oft verwechselten Vögel, des Stänkers Wiedehopf (upupa, snoxp) und
des Stampfers Specht (picus, ÖQVOxo^nitjg), welcher also hier zu
einem Schutzpatron der pistores geworden war. Gewifs ist dafs
Picumnus auch sonst beim Volke für einen ländlichen Dämon galt 1 ),
daher eine Sage ihn zum Gemahl der Pomona machte, während
Pilumnus in der Sage von Ardea für den Ahnherrn des Königs
Turnus galt. Ja Picumnus und Pilumnus hatten selbst in den
Gebetsurkunden des römischen Volks eine Statte gefunden, als Schutz-
götter der Kindbetterinnen und kleinen Kinder, daher ihnen, wenn
auf dem Lande ein Kind geboren war und dessen Lebenskräftigkeit
nach altem Brauche dadurch dafs man es auf die Erde stellte ge-
prüft wurde, als Göttern des ehelichen Kindersegens im Atrium ein
Speiselager bereitet wurde 2 ), doch wohl vermöge der gewöhnlichen
üebertragung der Aussaat und des Gewächses der Feldfrucht auf die
Frucht des Mutterleibes. Von einem andern ländlichen Gebrauche
erzählt Varro bei Augustin C. D. VI. 9, nehmlich dafs drei Götter
um Schutz für eine Kindbetterin angerufen wurden, damit Silvanus
nicht zur Nacht in das Haus schleiche und der Mutter Gewalt an-
thue, und dafs um diesen Schutz sinnbildlich auszudrücken drei
Männer in der Nacht um das Haus gingen und beide Schwellen
(der Vorder- und der Hinterthüre) zuerst mit einem Beile, dann,
mit einer Mörserkeule (pilum) schlugen, endlich drittens mit einem
Besen abfegten: drei Sinnbilder der menschlichen Cultur (weil die
Bäume mit dem Beile behauen, das Getreide mit der Keule gestampft,
die Feldfrucht mit dem Besen zusammengefegt werde), welche Sil-
vanus so wenig vertragen konnte als in den deutschen Sagen die
farrisque fragmcnta Pilumno assignat Italia. Sonst ist pilum der Wurf-
spieß, daher pilumnoe poploe d. i. Romani im Liede der Salier, Fest.
p. 205.
x ) Aemilius Macer (ein Dichter der Augusteischen Zeit, Freund Virgils
und Ovids) in theogoniae (lies Ornithogoniae) lib. I b. Non. Marc. p. 518 et
nunc agrestis isüer Picumnus habetur.
*) Non. Marc. p. 518. 528. Varro de vita P. R. lib. II. Natus si erat
vüali* ac sublatus ab obstetrice, statuebatur in terra ut auspicaretur rectus
esse, diis coniugalibus Pilumno et Picumno in aedibus lectus sternebatur.
Serv. V. A. X, 76 Varro Päumnum et Picumnum infantium deos esse ait
eisque pro puerpera lectum in atrio sterni, dum exphretur an Vitalis sit
qui natus est. Eine andre Sitte war die der Vornehmem, s. Serv. Ecl. IV, 62
proinde nobüibus pueris editis in atrio domus Iunoni lectus, Herculi mensa
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PICÜS.
377
Riesen des Gebirgs den Pflüger im Thale. Nach jenen drei Hand-
lungen wurden diese Schutzgottheiten der Wöchnerin genannt Inter-
cidona von dem Einschnitte des Beils (a securis incisione), Pilumnus
von der Mörserkeule und Deverra von dem Fegen des Besens. Das
Fegen der Schwelle erinnert an den Ausfeger (everriator) im Todten- sss
hause und ähnliche Gebräuche 1 ). Wenn nehmlich ein Todter in
einem Hause war, so wurde dasselbe mit einer eignen Art von Besen
ausgefegt, doch wohl auch zum Schutze vor bösen und gewaltthätigen
Dämonen. Endlich als König und als streitbarer Held erscheint
Picus in der Sage der Laurenter, die ihn einen Sohn des Saturnus
und den Vater des Faunus nannte. Virgil Aen. VII, 170 ff. schilderte
seinen Palast mit sehr poetischen Farben, wo aber doch eine alter-
thümliche Ueberlieferung durchschimmert, Waldeinsamkeit und alt-
herkömmlicher Glaube der Väter, so dafs diese angebliche regia Pici
zu Laurentum wohl eigentlich ein altes nationales Waldheiligthum
des Mars und seines heiligen Vogels gewesen sein möchte, wie das
der Aboriginerstadt Tiora Matiene. Dort pflegten die Könige des
Landes ihre Wörde zu empfangen und einzuweihen, dort sich mit
ihren Aeltesten zu berathen, dort die Opfermahlzeiten und alle fest-
lichen Schmause zu halten. In der Vorhalle sah man die Bilder der
Ahnen, des Itaius und des Sabinus, des Janus und des Saturnus
und andrer alter Könige und Helden, an den Säulen aufgehängt die
erbeuteten Waffen, Kriegswagen und Beile, die Riegel gesprengter
Thore und Schiffsschnäbel. Picus selbst aber thronte mit aufgegür-
teter Trabea, mit dem lituus und am linken Arm ein ancile tragend,
der reisige Picus, den seine Gattin Circe in einen Specht verwan-
delte: so dafs er also wie alle alten Könige zugleich als Augur und
als Krieger gedacht wurde'). Das Mährchen von seiner Verwandlung
wird ausführlich erzählt von Ovid Metam. XIV, 313 — 434, welcher
dabei eines jugendlichen und reichlich bekränzten Bildes des Picus
mit einem Specht auf dem Haupte gedenkt. Immer ist es die Eifer-
>) Paul. p. 77. Als Keinigungsgebrauch wird dieses Ausfegen auch unter
den vorbereitenden Reinigungen der Palilien erwähnt, Ovid F. IV, 736 unda
priut spargat virgaque verrat humum.
') Doch wird am Picus immer, sowohl an dem Vogel als an dem Abo-
riginerkönige, vorzugsweise die augurale Thätigkeit und Bedeutung hervor-
gehoben, s. Fest. p. 197 Oscines, p. 209 Picum aveni, JNon. Marc. p. 518 Pi-
cumnus, Plin. H. N. X, 40. 41, Serv. V. A. VII, 190 Aoc ideo fingüur quia
augur fuit et domi habuü picum, per quem futura noscebat, quod pontificales
indicant Ubrü
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378
VIERTER ABSCHNITT.
sucht und der Zauber der Circe, welche den jungen Ritter in einen
Vogel verwandelt, doch nannten Einige Circe als seine Galtin, Andre
die Fruchtgötttin Pomona, noch Andre, mit ihnen Ovid, die schöne
und gesangreiche Quellnymphe Canens 1 ). Picus war eben so schön
als tapfer, in den besten Jahren der Jugend, ein grofser Jäger, der
334 Liebling aller Wald- und Quelluymphen von Latium. Er aber lieble
nur die eine Canens, die Venilia auf dem Palalium dem Janus ge-
boren hatte (S. 183). Sie war schön, aber noch schöner war ihr
Gesang, nach welchem man sie Canens nannte; wie Orpheus ver-
mochte sie Wälder und Steine zu bewegen, wilde Thiere zu zähmen,
den Lauf der Ströme und den Flug der Vögel zu hemmen. Einst,
während sie sang, ging Picus auf die Jagd auf muthigem Rofs, mit
zwei Jagdspeeren bewaffnet und mit einem purpurrothen Kragen
bekleidet, den vorne eine goldne Spange zusammenhielt. Da sieht
ihn Circe, die eben im Walde Kräuter liest, und lockt ihn in Liebe
entbrennend in den tiefen Wald. Er aber will von keiner andern
Liebe wissen; da verwandelt ihn Circe in den gleichnamigen Vogel,
der sich deshalb so scheu in die Wälder zurückzieht und in seiner
Wuth mit seinem Schnabel in die harten Stamme und die langen
Aeste der Bäume hackt. Von dem Purpur des Kragens und dem
Golde der Spange sieht man die Spur an seinem Gefieder. Die
treue Canens suchte ihn sechs Tage und sechs Nächte, ohne Speise
und ohne Schlaf, durch Thäler und Wälder, bis sie zuletzt am Tiber
ermattet hingesunken unter Thränen und Sülsen Gesangen hinstarb,
nur noch ein Hauch, der in der Luft zerOiefst. Aber alle Lieder
nennen den Ort nach ihrem Namen „zur süssen Stimme". Es
braucht kaum hinzugesetzt zu werden dafs diese Canens, die Tochter
des Ursprungs und der Welle, die Gehebte des einsamen Waldvogels,
nichts weiter ist als eine Personificalion des Gesanges in seiner
ältesten Wirkung und Bedeutung, wie er aus den Stimmen der
Natur, aus Wäldern, Flüssen und Quellen in süfsen und lockenden
Klängen hervortönt als Gesang der Musen und Nymphen, als Orakel
oder als Zauber. Im weiteren Verlaufe dieser Untersuchungen
werden sich noch manche andre Spuren finden, dafs das alte Italien
für solche Naturlaute und Naturwirkungen nicht minder empfanglich
war als das alte Griechenland und alle Volkssagen und Volks-
m ährchen.
») Vgl. Plut. Qu. Ro. 21 und Serv. V. A. VII, l»ü.
FAUNÜS UND FAUNA. 379
4. Faunus und Fauna.
Dennoch ist Picus, da er wesentlich nur Symbol des Mars war,
niemals eigentlicher und seihständiger Cultusgott gewesen, wie sein
naher Verwandter Faunus l ) : einer der ältesten und volksthüm liebsten
Götter Italiens, dessen Eigenthümlicbkeit und grofse Wichtigkeit für
den Volksglauben man sich oft deswegen hat entgehen lassen, weil
er in Rom sehr bald mit dem griechischen Pan identificirt und wie ss&
sein historischer Doppelgänger Evander aus Arkadien hergeleitet
wurde. Und doch ist schon der Name ganz italisch, denn Faunus
ist der Gute, der Holde, von faveo, wie Faustus und Faustulus und
der befruchtende Frühlingswind Favonius (S. 329). In umhrischen
Sprachdenkmälern lindet sich das Wort fous in der verwandten Be-
deutung von gnädig und hülfreich *), und wirklich hiefsen die oft im
Plural gedachten Faune in der Volkssprache auch Fönes. Auch zeugt
eben jene alte griechische Uebersetzung des italischen Namens durch
Evander für die Richtigkeit der Erklärung, die den Alteu nicht ent-
gehen konnte 3 ). Also ein guter Geist der Berge, der Trifteu, der
Fluren, orakelnd und den Acker, das Vieh und die Menschen be-
fruchtend, ein Stifter milder und frommer Sitte, alter König und
Urheber vieler alter Geschlechter: das sind etwa die Grundzüge
eines Glaubens, der durch ganz Italien galt und den auch Varro bei
Serv. V. A. VIII, 275 als einen alten italischen und römischen be-
zeichnet. Im Volke war der Glaube an diese guten Geister der Flur
und des Waldes so lebendig und eingewurzelt, dafs die Bauern in
der Umgegend von Rom fort und fort behaupteten, man sähe sie
oft auf den Feldern 4 ).
Den gewöhnlichen Volksglauben schildert am besten Horaz
*) iVgl. Motty, De Fauoo et Fauna sive Bona dea eiusque mysteriis, Berlin
(Diss.) 1&40, uod Einiges bei Reifferscheid Auiiali 18t)6, 218 f., der auch ein
Bild des Faunus (Tav. d'agg. Y) nachweisen zu können glaubt]
*) Aufrecht und Kirchhoff 2, 139, vgl. Bugge iu der Zeit sehr. f. vgl.
Sprachf. 3, 41. Breul Tables Eug. 73 f.] Mart. Cap. II, 167, Glossa Isidor! :
Fönes, dei silvestres. [Die Alten erklären faunus a J'ando: unten zu S. 339. |
a ) Serv. Georg. I, 10 quidam Faunos putant dictos ab eo quod frugibus
Javeant. A. VIII, 314 quidam Faunurn appeUatum volunt eum quem not pro-
pitium dieimus.
*j Prob. z. Yirg. Ge. 1, 10 plures auiem existimanlur esse et praesentes.
Idcirco rusticis persuasurn est incolentibus eatn partein Italiae, quae suburbana
est, saepe eos in agris conspici.
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VIERTER ABSCHMTT.
Od. HI, 18, zu welchem Gedichte die ländlichen Faunalien, wie sie
an den Nonen des December gefeiert wurden, Veranlassung ge-
geben haben 1 ). „Faunus, sagt der Dichter, wenn du die flüchtigen
Nymphen haschest, gehe mir gnädig über meine Grenzen und son-
nigen Fluren 9 ) und lasse mir die junge Zucht der Trift ungeschoren.
Schlachte ich dir doch jährlich, wenn deine Zeit kommt, ein zartes
Böcklein, fülle dir die Becher reichlich mit Wein, dem Gesellen der
säe Liebesgöttin, auch duftet der Väter Altar von reichlichem Weihrauch.
Alles Vieh hüpft auf der Weide, wenn deine Nonen wiederkehren,
das ganze Dorf, mit ihm der Pflugstier feiert dich auf den Wiesen,
kein Lamm fürchtet sich vor dem Wolfe. Der Wald streut dir seine
Blätter und der Bauer trampelt mit lustigem Tanzschritt auf der
Erde, die sonst seine Plage ist". Verliebt ist Faunus wie alle Be-
fruchtungsgötter; die junge Heerde soll er verschonen, weil er wie
alle Dämonen, wenn man sie vernachlässigt, tückisch wird. Dafs er
sonst die Heerde mehrt und vor dem Wolfe schützt, deutet das
Gedicht selbst an, und Faunus wurde deshalb bei den Hirten
allgemein als Inuus verehrt und als Lupercus. Inuus ist der
Bespringer, ab ineundo 3 ), zunächst im Sinne der thierischen
Begattung, Lupercus der Wolfsab wehrer, in der nächsten Bedeutung
als Beschützer der Heerde 4 ), in der entfernteren als Austreiber des
Winters durch die Erneuerung des Jahres im Frühlinge. Wir
werden beide Eigenschaften bei den römischen Luperealien wieder
zusammenfinden. Einstweilen mag das Castrum Inui an der Küste
') Porphyrion bemerkt za diesem Gedichte: Nonis Decembribus Fau-
nalia sunt h. e. dies festus Fauni, in cuius honorem peeudes laseiviunt. Vgl.
Acroo. ib. (In den Staatskalendcr bat dieses als Fan nalia nur hier erwähnte
Fest keine Aufnahme gefunden: in Italia quidam annuum sacrum quidam
mmstruum celebrant sagt Probus in der unten zu S. 341 benutzten Stelle zu
Georg. I, 10. Jcdesfalls handelt es sich bei Horaz um ein lokales Fest.]
») Ovid F. IV, 761 nec Dryadas nec nos videamus labra Dianae, nec Fau-
num medio cum premit arva die.
s ) Paul. p. 1 10 init ponitur interdum pro coneubüu.
4 ) Paul. p. 15 arcere prohibere est. Simäiter abarcet prohibet. Porce
quoque dictum ab antiquis quasi porro arcet. Ib. p. 25 abercet prohibet. [Die
alte Etymologie ist falsch: lup-er-cus, vgl. nov-er-ca ist (s. oben S. 126 A. 1)
zwiefach erweitertes lup~us, etwa ,Wolfliog'=. Wolf. G.F.Uoger, Die Luperealien
Rb. Mus. 1SS0, 62 IT. erklärt lu-percus, qui luem parcit (parcere soll abwehren
heifsen!): es sei ein Epitheton des Inuus, dieser ein etruskischer Sonnengott,
kenntlich, wie die Himmelskönigin von Lanuviuiu, an dem zottigen Fell (in
das die Priester sich kleiden), das Fell heilse februum (S. 34 ff.).]
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1
FAUNUS 17*D FAUNA. 381
von Ardea, wahrscheinlich eine alte laünische Hirtenstation (Virg.
Aen. VI, 755), die populäre Geltung dieses Namens beweisen.
In andern Ueberlieferungen des Volksglaubens erscheint Faunus
oder als GollectivbegrifT das Geschlecht der Faune mehr nach Art
des nahe verwandten Silvanus als Waldgeist, der im tiefen Walde
haust, in verborgenen Höhlen oder an rauschenden Quellen, wo er
weissagt oder die Vögel fangt und die Nymphen jagt. Den Menschen
tritt er in solchen Erzählungen meist nur geisterhaft, mahnend und
schreckend entgegen, mit gewaltiger Stimme aus dem Walde rufend,
so dafs alle Herzen erbeben, oder mit allerlei dämonischer Plage des
Schlafes und Traumes, wie die alten Gallier sie von ihren Dusiern,
die Deutschen von ihren Schraten erzählten 1 ). Namentlich ist bei
den Römern oft von den Stimmen und Rufen des Faunus die Rede,
welcher dadurch mehr als eine Schlacht entschieden haben soll, indem
er die Brust der Feinde mit panischem Schrecken erfüllte 2 ). Oder
man dachte sich dieselben Wesen wie Geister umherschleichend, 337
1
daher die Hunde in Italien dem Faunus und der Mutter aller guten
Geister gesellt wurden wie in Griechenland der Hekate, weil die
Hunde Geister sehen, namentlich glaubte man die jungen Hündinnen
vom ersten Wurfe der Mutter. Daher auch der Glaube an allerlei
Neckereien der Faune im Schlaf, so dafs sie bisweilen ganz als
Plagegeister erscheinen wie bei uns der Alp; gegen welche Anfech-
tungen man sich mit allerlei Wurzeln und Quacksalbereien zu schützen
suchte, besonders mit der Wurzel der Waldpäonie, welche man aber
nur bei Nacht ausgraben durfte, weil der Marsspecht, wenn er es
bemerkte, dem Gräber die Augen aushackte 8 ). Vorzüglich hatten
sich die Frauen vor den Faunen und Silvanen in Acht zu nehmen,
da diese lüsternen Waldgeister sie leicht im Bette beschlichen; daher
der volkstümliche Name Incubus für solche nächtliche Geister und
Kobolde 4 ). Dahingegen die Dichter meist nur von dem nächtlichen
») Grimm D. M. 448.
*) Cic. d. Divin. I, 45, 101 saepe etiam in proeliis Fauni auditi. Vgl. M. D.
II, 2, 6, III, 6, 15 und die Erzählungen von der Schlacht mit den Etruskern
in der Nähe der silva Arsia, wo Einige den Silvanus, Andre den Faunus
nannten, Liv. II, 7, Dionys V, 16, Val. Max. I, 8, 5.
8 ) Plin. VIII, 151, XXV, 29, XXX, 84. lieber das Geistersehen der
Hunde s. Grimm D. M. 632.
«) Augnstin C. D. XV, 23, Isidor Orig. VIII, 113 f., Serv. V. A. VI, 776,
Macrob. S. Scip. I, 3, 7 u. A. Der Incubus oder Iocubo, ab iucumbendo dictus,
entspricht dem griechischen tniiiXir^. Wegen ihrer geilen Productiooskraft
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382
VIERTER ANSCHNITT.
Spiele und Tanze der Faune und Nymphen in den Schluchten des
Waldes erzählen, wo das Echo wiederhallt und die lärmenden Laute
oder süfse Musik weithin durch die stille Nacht zu den Ohren des
Landmannns trägt. Oder sie dichten von dem Jagen und Vogel-
steilen des Faunus, der darum auch mit der Diana nahe hefreundet
ist '). Immer gehören die Faune und die Nymphen des Waldes zur
Lust und ländlichen Staffage des Gebirges, wie es die Arbeit und
das Leben der Menschen im Thale mit ahndungsvollem Hintergrunde
umgiebt und in dasselbe wie Rübezahl mit allerlei dämonischem
Spuk, aber doch eigentlich wohlwollenden und gutmüthigen Geistes
hinübergreift.
Der eine Faunus dagegen erscheint in latinischen und römischen
Ueberlieferungen zunächst und vorzüglich als ein Gott der Weis-
sag sagung und Offenbarung, sowohl der unmittelbaren aller erregten
und bewegten Natur als der durch Traum oder Verzückung. 8 ) Faunus
hiefs in dieser Eigenschaft Fatuus oder Fatuelus 3 ) von fari
nannte man sie auch Fauni ficarii, Hieron. in Isai. V, 13, 21 vel Ineubones
vel Satyros vel silvestres quosdatn homines, quos nonnulli Faunos ßcarios vocant,
vgl. Isidor. Orig. a. 0. Nach einer gotbiseben Sage wor das Volk der Hunnen
aus der Vermischung solcher Fauni fiearii mit Alraunen d. h. zaubernden
Nymphen, Hexen entsprungen, Ioruandes d. reb. Get. 24.
>) Lucret. IV, 570 ff., Virg. Georg. I, 10, Aen. VIII, 314, Prop. V, 2, 33,
Grat. Fal. Cyneg. 16 ff. u. A.
') [Doch mufs, was hier über die Weissagung gesagt wird, viel schärfer
gefafst werden. Das alte Italien kennt keine in Versen redende Orakel: ab-
hängig von den griechischen sind die versifleirten Weissagungen des Marcius
(nnten) und die hexametrischen der sortes. Das nationalitalische Orakel
ist das Zeichen- und Staborakel, wie es uns namentlich durch die präaesti-
nische Fortuna bekannt ist (X, 1). Außerdem wissen wir nur vom Deuten
von Stimmen der Vögel (Mars- oder Spechtorakel, oben) und von Naturlauten,
wie sie sonst in Wäldern vernommen werden. Möglich dafs von solchen
Orakeln Varro in der Satire Mysteria (S. 173 Riese) sagt: prisca horrida
silent oracla, crepera in nemoribus. Das Wort oraculum bedeutet ursprünglich
den Ort ubi oratur (daher oraclum patet im Prän. Kai. 9. 10. April), orare
wie fari (vgl. unten Fatua) ist der allgemeinste Ausdruck des ,Aussagens* der
Gottheit, wie dies auch immer bewerkstelligt werde. — Auch hier verdankt
Vieles, was P. Für altitalisch hielt, der gracisirenden Auffassung der römischen
Kunstdichter seinen Ursprung.]
«) Serv. V. A. VI, 776, VII, 47, VIII, 314, Fest. p. 325 versus quibus Fau-
nus fata cecinisse hominibus vidMur. Auch der Deus Vaticanus, von
welchem der Vaticanische Hügel seinen Namen bekommen hatte, wird am
besten abgeleitet a vaticiniis , quae vi atque instinetu eius dei in eo agro fieri
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FAUNUS UND FAUNA.
383
und fatuari, also der Sprecher in dem Sinne wie unser Wahrsager
und der griechische nt>o<f>ijTt]$. Nimmt doch selbst Numa, der
Liebling der Egeria, in solchen Fällen wo es die Geheimnisse der
Götterwelt zu erfahren gilt, zum Picus und Faunus seine Zuflucht,
welche nach dieser Sage von dem Könige und seinen zwölf Be-
gleitern erst berauscht und dann gebunden und zur Offenbarung
des furchtbaren Zaubers gezwungen werden 1 ). In einer andern
Erzählung, bei Ovid F. IV, 644 ff., wird ein Traumorakel des Faunus
mit sehr alterthümlichen Zügen beschrieben. Wieder wird Numa
vom Faunus belehrt, diesmal wie in einem unfruchtbaren Jahre die
Erde durch ein Opfer von zwei Kühen versöhnt werden müsse. In
einem alten dem Taunus geheiligten Walde, wo der gute Geist sich
in der Nacht den Träumenden zu offenbaren pflegte, schlachtet
Numa zwei Schaafe, eins dem Faunus, das andre dem Schlafe. Beide
Felle werden auf der blofsen Erde ausgebreitet, der König besprengt
sein Haupt zweimal mit dem Wasser der Quelle, flicht zwei Kränze
von Buchenlaub um sein Haupt und legt sich, durch keusche Ent-
haltung, Fastenspeise und Entfernung des Ringes von seinem Finger
vorbereitet, nachdem er gebetet, auf die Felle zum Schlafe nieder.
Nun kommt die Nacht und mit ihr Faunus, der die Felle betritt
und dem Könige das Gebot jenes Opfers ins Ohr flüstert. Eine
dritte Erzählung von den Offenbarungen des Faunus ist die bei
Virgil Aen. VII, 79 — 95, und zwar wird auch hier ein bestimmtes
Faunus-Orakel der Latiner beschrieben, in der Hauptsache wie bei
Ovid. Seine Stätte war der Hain der Albunea, wahrscheinlich der
bei den Wasserfallen von Tibur 2 ). Der König Latinus, von bösen 339
Zeichen erschreckt, begiebt sich in jenen durch alten Glauben der
Latiner und aller umwohnenden Völker geheiligten Hain. Dahin,
sagt der der Vorzeit kundige Dichter, ging der Priester um fromme
Gaben darzubringen, Schaafe zu schlachten und sich auf ihre Felle
soläa essent, Gell. V. A. XVI, 17. Also wohl auch ein alter Dienst des Faunus.
[Doch s. Jordan Top. 1, 1, 196 f.]
») Ovid F. III, 291 ff , Arnob. V, 1, Plnt. Numa 15, oben S. 191.
2 ) Nach Servius der bei Tibnr, nach Prohns z. V. Georg. I, 10 in Lan-
rentinorum silva, daher Bormann altlatin. Chorogr. S. 49 ff. das von Virgil
beschriebene Orakel an die Solfatara d'Altieri in der Gegend von Ardea ver-
legt; doch weist der Ausdruck sub alta Albnnea und der grofse Ruhm des
Ortes mehr nach Tibur. Vermuthlich waren beide Stätten dem Faunns und
der Fanna heilig. Auch Vitruv. VIII, 3, 2 nennt beide Solfataren als gleich-
artige Erscheinuogen zusammen. [Vgl. unten VIII, 2.]
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384
VIERTER ABSCHNITT.
zum Schlafe zu legen, worauf er viele wunderbare Gesichte sah und
viele seltsame Stimmen im Gespräche mit den Göttern hörte. Da-
hin also ging damals auch Latinus, that wie Alle zu thun pflegten
und hörte eine Stimme aus dem Gipfel der Bäume, welche ihm
seine Tochter nicht dem Turnus zu geben, sondern für den Fremd-
ling aus weiter Ferne aufzubewahren befahl. Ein andrer Dichter,
Calpurnius Ecl. I, 8 ff., weifs von einem Buchenhain des Faunus
mit einer Höhle, in welche nur Enthaltsame gehn durften und in
deren Nähe die Hirten die Orakel des Faunus in die Stämme der
Buchen eingeschnitten fanden, während Fronto de eloq. p. 85 [Nieb.
146 Nab.] die Faune im Allgemeinen vaticinantium incitatores nennt.
Daher die bekannte Ableitung alles ältesten Gesanges, welcher immer
religiösen und oraculösen Inhaltes oder Zaubergesang ist und in
Italien dieses sehr lange blieb, von Faunus oder den Faunen; aus
welchem Grunde auch das Versmaafs solcher Gesänge und über-
haupt der alten und nationalen Dichtung das Faunische hiefs
oder das Saturnische 1 ), denn Saturnus gehörte in Italien eben
so wesentlich zu dem Bilde der mythischen Vorzeit als Faunus.
Wie eben dieser Faunus als Geist der Inspiration in verschiedenen
Ueberlieferungen als ältester Religionsstifter von Latium erscheint
und als solcher sogar neben Numa genannt wurde, haben wir oben
S. 105 gesehen.
Nächst dieser weissagenden Natur wird auch in den römischen
Gebräuchen und Legenden am meisten hervorgehoben die Kraft der
Befruchtung, so namentlich in der Mythe vom Faunus und der
Fauna d. h. der Guten, der Holden, der deutschen Frau Hulda,
der römischen Bona Dea, welche bald die Tochter bald die Frau des
Faunus heifst und von ihm in Gestalt einer Schlange befruchtet wird,
») Ennius Ado. v. 221 scripsere aUi rem vertibus quos olim Fauni vatesque
canebant etc., wozu Varro 1. 1. VII, 36 bemerkt: hos (Faunos) vertibus quo*
vocant Saturnio* in silvestribus locis tradiium est solitos fori futura^ a quo
Jando Faunos dictos, eine beliebte, aber falsche Etymologie. Vgl. Fest. p. 325
Sa türm», Mar. Victorin A. Gramm. Dl, 18 [Gramm. Latin i 6, 139], Placid. Gl.
p. 463 [44 D.j. Alte Propheten, welche Apollinis operta d. h. donkle Sprüche
der Weissaguog, in solchen Versen gesungen hatten, waren Marcius und
Poblicius, s. Cic. de Divin. I, 50, 115, II, 55, 113. [Ueber Cn. Marcius vates
vgl. oben S. 5 und 304: er verdient nach den ungenügenden Behandlungen
von Goicherit (Leiden 1846) und Havel (De Saturnio 270 ff. 415 ff.) eine kri-
tische Untersuchung.]
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FAUOJUS UM) FAUNA.
385
aber auch F a t u a genannt wurde 2 ) weil sie wie Faunus zugleich für wo
weissagerisch galt, für eine sibyllenartige Göttin der ekstatischen
Begeisterung und Wahrsagung, auch des Gesanges und Zaubers. Wir
werden auf den Cult dieser alten, in Italien unter verschiedenen
Formen und Namen verbreiteten Göttin zurückkommen, indem wir
hier nur noch auf die alterthümliche, der griechischen Natursymbolik
nahe verwandte Bildersprache hinweisen, in welcher die oft erzählte
Legende vom Faunus und der Fauna oder Bona Dea (s. dort) sich
ausdrückt. Nehmlich die Myrtenzweige, mit welchen Faunus die
Fauna streicht, waren sicher ursprünglich nur ein Bild der Befruch-
tung, welche im Frühlinge von dem schöpferischen und zaubernden
Geiste der Berge und Wälder ausgeht und in der jungfräulichen
Erde einen neuen Trieb zu allem Wachsthum erweckt. Eben so der
Genufs des Weins, mit welchem er sie trunken macht, denn nun
beginnen die Quellen wieder zu strömen und die Blätter zu rauschen
und die ganze Natur wird von jenem trunknen Taumel der Liebe
ergriffen, welcher auch der ekstatischen Gemüthsverzückung, die man
beiden, sowohl dem Faunus als der Fauna zuschrieb, ganz nahe ver-
wandt ist. Endlich die Schlange, in deren Gestalt Faunus der Fauna
beiwohnt, wie in den griechischen und phrygischen Mythen Zeus der
Proserpina oder der Bhea, kann nach der Analogie der gewöhnlichen
italischen Symbolik (S. 87) nichts Anderes sein als ein Bild des
schaffenden Genius und der ewigen Verjüngung und Erneuerung des
Jahres, wie das Gefühl für dieselbe denn grade in den römischen
Culten der Luperealien und des Opfers der Bona Dea mit fast auf-
fallender Lebendigkeit sich ausdrückt.
Ei nl lieh wurden Faunus oder die Fauna auch sehr häufig in
den mythischen Ueberlieferungen von der ältesten Vorzeit genannt
und zwar in zwiefacher Weise, entweder so dafs Faunus als König
der ältesten Landesbevölkerung und als Stammvater seiner Könige
und Edlen selbst Bildung und Ordnung stiftet, oder dafs die Faune
und Nymphen nur die Staffage einer mythischen Vorzeit sind, welche
im Allgemeinen der griechischen Tradition von eichelessenden Pelas-
gern entspricht. Doch finden sich in solchen Erzählungen zugleich
gewisse Vorstellungen von dem Ursprünge des menschlichen Ge-
*) lastin. XLII1, 1 Fauno fuit uxor nomine Fatua, quae assidue dhino
spirüu impleia velut per furorein futura pruemonebat; unde adhuc qni inspi-
rari solent fatuari dicuntur. Vgl. Serv. V. A. VII, 47 u. A.
Preller, Rom. Mythol. I. 8. Anfl. 25
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386
VIERTER ABSCHNITT.
schlechts aus dem Walde und aus Bäumen angedeutet 1 ), welche wie
84i in andern Ländern, so auch in Italien wirklich volksthümlich gewesen
sein müssen. Auch werden sie durch alterthümliche Geschlechts-
sagen z. B. die der albanischen Silvier bestätigt, während andre
Genealogieen und Stammsagen direct auf Faunus zurückgehn, der
in den alten italischen Ueberlieferungen überhaupt sehr oft die Rolle
eines ersten Erzeugers gespielt zu haben scheint 9 ). Noch andre
Ueberlieferungen nannten die Faune und die Aboriginer d. h. die
italischen Autochthonen als so nahe Verwandte, dafs beide darüber
zu einem herkömmlichen Bilde für die rohe und naturwüchsige Urzeit
geworden sind 8 ). Dahingegen sich in Latium solche Sagen zu der
Tradition von jenem Aboriginerkönige Faunus, dem Sohne des Picus,
verdichtet hatten, welcher für einen sehr weisen und verdienten
König galt, der nach seinem Tode zum Schutzgott des Landes nach
Art der Indigeten geworden war und als solcher durch Opfer und
Gesänge verherrlicht wurde 4 ). Wenn man ihn in Lavinium den
Gemahl der für identisch mit der Circe gehaltnen Nymphe Marica
nannte, so waren diese Nymphen und Göttinnen wohl nur verschie-
dene Localformen der einen Fauna oder Bona Dea.
Auch der Cultus des Faunus war meist ein sehr alterthümlicher
gebheben, da er mit seltenen Ausnahmen im freien Felde verehrt
wurde, entweder in Höhlen oder in Hainen und durch heilige Bäume,
z. B. den wilden Oelbaum an der laurentischen Küste, an welchem
nach Virgil Aen. XII, 766 die SchifTer nach glücklicher Rückkehr
ihre Kleider dem guten Schutzgeiste der Heimath zu weihen pflegten.
Auf dem Lande scheint man ihm monatlich ein Opfer dargebracht
zu haben, obwohl ihm speciell die Nonen des December heilig waren,
ein ländliches Fest beim Eintritt des Winters, worüber bereits nach
') Virg. Aeo. VIII, 314 Haec nemora indigenae Fauni Nymphaeque tene-
bant gensque virum truncis et duro robore nata etc. luvenal Sat. VI, 11
Quippe aliter tutic orbe novo caeloque recenti vivebant homines, qui rupto robore
nati compositive luio nullos habuere parentes. Vgl. Griech. Myth. 1, 57 [= 63,
3. Aufl.].
») Vgl. Virg. Aen. X, 550, Sueton Viteil. 1 und die Sage vom umbrischen
oder etruscischen Ocnus b. Silius lt. V, 7, vgl. Virg. A. X, 197 und Müller
Etr. I, 132, II, 274.
») Gell. N. A. V, 21, XIII, 9.
4 ) Dionys I, 31, vgl. Prob. z. Virg. Ge. I, 10, lustin XLIH, 1, Aurel.
Vict. 4 u. A.
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FAUNUS UND FAUNA.
3S7
Horaz berichtet ist 1 ). In Rom dagegen war das alte und alterthüm-
liche Fest der Lupercalia am 15. Februar, also bei der Annäherung 342
des Frühlings, der Verherrlichung des söhnenden und befruchtenden
Lupercus gewidmet, dessen Heiligthum in der bekannten Höhle am
Palatinischen Hügel, das sogenannte Lupercal, für das älteste aller
Heiligthümer auf städtischem Grund und Boden gehalten wurde 2 ).
Es war eine Höhle nach Art der griechischen Panshöhlen, dieselbe
in welcher der Sage nach die Wölfin des Mars die Zwillinge stillte.
Einst hatte sie, von mehr als einer Quelle tropfend, in einem dichten
Gebüsch alter und heiliger Bäume gelegen, später war sie in einem
der belebtesten und glänzendsten Quartiere der grofsen Stadt nur
noch das alterthümliche Merkmal und Wahrzeichen einer Zeit, wo
Hirten und Räuber, wilde Thiere und die Fluthen des Tiber sich
um die Wiege der künftigen Weltstadt stritten 3 ). Die gewöhnliche
Ueberlieferung war dafs unter jenem Aboriginerkönige Faunus der
arkadische Evander an die latinische Küste verschlagen wurde und
vom Faunus freundlich aufgenommen auf dem Palatinischen Hügel
das sogenannte Palatium gestiftet, an seinem Abhänge jene Höhle
dem lykäischen Pan seiner Heimath geheiligt habe, demselben welchen
die Römer später Lupercus und Inuus nannten 4 ). Indessen ist schon
von Andern bemerkt worden dafs dieser Evander nur eine griechische
: ) Probus 1. c. Eundetn Pana, eundem Inuum, eundem Faun um quidam
interpretantur , quud ei in Italia quidam annuum surr um celebrant, quidam
mensfruum 'Auch im Frühliug wurde dem Faunus allgemein auf dem Lande
geopfert, s. Horat. Od. I, 4, 1 1 und Calporn. Ecl. V, 26'. [P. in den Berichtig,
und Zus. d. 1 A. Doch s. oben S. 380, 1.]
») [Ausführlich G. F. üoger, Die Luperealien, Rhein. Mus. 1880, 50 ff.,
welcher aufser anderem besonders die Götter des Festes Betreffendem (oben
S. 380, 4) nachzuweisen versucht, dafs das Fest in der von Livius in der
2. Dekade behandelten Epoche aus einem palatinischen Bezirksfest zu einem
Stadtfest geworden sei.]
») Dionys I, 32. 79 vgl. meine Regionen der St. R. S. 187 ff. [und die
Nachweisungen bei Jordan Top. 1, 1, 451 A. 77. 454 f.] Bei Virg. Aen. VIII,
630 fecerat et viridi fetam Mavortis in antro proeubuisse lupam, geminos huic
ubera circum ludere pendeniis pueros etc. ist zu verbinden Mavortis lupam.
Faunus ist in der Geschichte der Zwillinge Faustulus, die Wölfin Acca La-
rentia, welche auch Lupa genannt wird, oder Fauna d. i. in diesem Culte
Luperca, s. Arnob. IV, 3 quod abiectis infantibus pepercit lupa non mitis,
Luperca dea est auetore appellata Varrone. Lactant. I, 20, 1 Romuli nutrix
Lupa honoribus est affecta divinis.
*) Liv. I, 5, vgl. Ovid F. V, 99, Serv. Georg. I, 10, Schwegler R. G.
1, 351 ff.
25*
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3S8
VIERTER ABSCHNITT.
Maske des allen latinischen Nationalgottes Faunus ist, der hier seine
Heiligthümer selbst stiftet so gut wie der römische Hercules selbst
den Dienst seiner ganz in der Nähe gelegenen Ära Maxima und in
andern Cultusül>erlieferungen andre Götter. Dem Lupercal entspricht
die Feier der Lupercalia *) , dessen alterlhümliche, in Rom immer
mit grofser Lust und Liebe gepflegte Gebräuche auf Befruchtung
und Sühnung des Landes, der Stadt, ihrer Einwohner und ihrer
343 Heerden deuten. Als Tag der Sühnung hiefs dieser Festtag dies
februatus von februare in der Bedeutung reinigen und sühnen,
daher der ganze Monat Februarius seiuen Namen bekommen hatte 2 ).
Für die Festfeier d. h. für die Tradition und Verrichtung der her-
kömmlichen Gebräuche bestanden seit unvordenklicher Zeit zwei
Collegien oder Sodalitäten sogenannter Luperci, der Fabiani und
Quintiliani, welche diese Namen nach ihren mythischen Stiftern und
Anführern angenommen hatten und meist junge Leute waren: ver-
um thlich bestand jedes Collegium aus 12 Mitgliedern 8 ). Die Feier
begann mit einem Bocksopfer im Lupercal, bei welchem der Flamen
Dialis zugegen war 4 ) und auf welches wie gewöhnlich ein Opfermahl
folgte. Bei dem Opfer beobachtete man den bedeutungsvollen Ge-
») Dionys I, 32, Ovid F. II, 267 ff., Plut. Rom. 21, Kai. Maff. und Farnes,
z. 15. Febr. [C. I. L. 1 p. 386.]
*) Varro I. 1. VI, 13. (vgl. 34) Reo; (Sacrorum) quom Jerias menstruas
Koni* Februariis edicit (S. 157), hunc diem februatum appellat. Februum
Sabini purgamentum , et id in sacris nostris vcrbum, nam et Lupercalia fe-
bruatio, ut in Antiquüatum libri* demon*travi. Vgl. Ovid F. II, 19 ff.
8 ) Ich folgere dieses aus Arnob. V, 1, wo die zwölf casti iuvenes, die
den Picus und Fauous an der Quelle greifen, höchst wahrscheinlich die Luperci
sind. Ueber die Fabiani und Quintiliani s. Paul. p. 87, Orelli n. 2253 ff. und
Marquardt Handb. IV, 400 ff. Die Fabiani entsprechen der gens Fabia, die
Quintiliani der albanischen gens Quinlilia. Auf gewisse Vorzüge der Fabii
oder Fabiani beim Opfer deutet Ovid F. II, 371 ff. , vermuthlich waren die
Quintiliani von späterer Stiftung. In der populären Tradition galten Romulus
und Remus für die Stifter der beiden Haufen. [Doch bedarf der Gegenstand
auch nach Henzen's Berichtigungen Annali 1863, 279 f. (dem Marquardt Ver-
waltung 3, 422 f. folgt) erneuter Untersuchung. Unger Rh. Mus. 1880, 55f.
meint die Fabii und Quintilii seien wegen ihren omiuösen an februare und
quinquare erinnernden Namen zur Vorstandscbaft der Gilden gelangt.]
4 ) Varro 1. 1. V, 85, VI, 13 Luperci quod Lupercalibut in Lupercali sacra
faäunt. Ovid F. II, 280 und Serv. V. A. VW, 343 sub monte Palatino est
quaedam spelunca, in qua de capro luebatur i. e sawificabatur, Wide et Lu-
percal dictum nunnulli putant: eine falsche Etymologie, deren auch Quintil. I,
5, 66 gedenkt.
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FAUMJS UND FAUNA.
3S9
brauch, dafs zwei Jünglinge vornehmer Abkunft herbeigeführt und
von den Opferern mit blutigem Messer an der Stirne berührt wurden,
worauf Andre das Blut mit in Milch getränkter Wolle gleich wieder
abwischten, die Jünglinge selbst aber lachen mufsten: entweder ein
sinnbildlicher Act der Sühnung durch das Blut des Opfers oder eine
Erinnerung an ältere Menschenopfer. Nach dem Mahle umgürteten
sich die Luperci mit den Fellen der geopferten Böcke, zerschnitten
andre in Riemen und liefen so zunächst um die Palatinische Altstadt,
namentlich auf der heiligen Strafse auf und ab, dann über das Forum
und überhaupt durch die Stadt, bis auf jene Umgürlung völlig nackend,
in welcher Weise auch das Bild des im Lupercal verehrten Faunus
costümirt war 1 ). Das römische Volk nannte die Luperci wegen
dieser Bekleidung creppi d. i. Böcke, mit einer noch jetzt in Rom 344
und Neapel gewöhnlichen Lautverschiebung für capri*). Das Herum-
laufen der Luperci und ihr Gostüm erklärte man sich auf verschiedne
Weise; der wahre Grund liegt auch hier in den Ideen der Reinigung
und Befruchtung, welche durch den Umlauf der mit den Fellen der
geopferten Böcke Bekleideten und die Berührung der Begegnenden
mit den daraus geschnittenen Riemen durch die ganze Stadt getragen
werden sollte 8 ): wobei sowohl die verwandte Bekleidung und die
ähnlichen Gebräuche der Iuno Sospita von Lanuvium (S. 277. 380, 4)
als die Gebräuche der Griechen bei der Sühnungsfeier des Zeus mit
dem sogenannten Zeus-Vliefse {Jioq xoidiov), endlich jene Anwen-
dung der Felle beim Traumorakel des Faunus verglichen werden
können. Auch wird in einer leider nicht in allen Punkten verständ-
lichen Stelle bei Varro 1. 1. VI, 34 ausdrücklich gesagt, dafs an dem
dies februatus das Volk durch einen sühnenden Umlauf der luperci
um die Palatinische Altstadt gereinigt sei 4 ), so dafs also nach dem
') lastin XL111, l Ipsum dei simulaerum nudum caprina pelle amictum
est, quo habüu nunc fiomae Lupercalibus decurrilur.
*) Paul. p. 57. So sagten die Bauern fibra für herba, Nigid. Fig. p. 22
Hertz, und nach Placid. gl. sagte man dracumis für lacrimis, frestram
für feoestram.
*) Ovid P. II, 31 Mensis ab his dictus, secia quin pelle luperci Omne
solum lustrant idque piainen habent. Vgl. ib. v. 281 IT., Plut. Rom. 21,
Varro b. Augnsti» C. D. XVIII, 12 und 17, welcher in dem Auf- und Ablaufen
der luperci anf der Sacra Via eine Beziehung auf die Deucalionischc Fluth zu
finden glaubte.
4 ) Quod tum februaiur poptdus i. e. lupercis nudis lustratur antiquom
oppidum Palatinum gregibus humanis cinctum y wo die greges homani wohl
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VIERTER ABSCHNITT.
Opfer im Lupercal zunächst der Umlauf um diesen Theil der Stadt
und darauf erst der discursus durch die übrigen Theile erfolgte: bei
welcher Gelegenheit von den Frauen der bekannte Gebrauch beob-
achtet wurde, sich den lupercis in den Weg zu stellen und sich
von ihnen mit den Riemen der dem Faunus geopferten Böcke in
die Hache Hand schlagen zu lassen 1 ). Immer galt der Bock und
Widder ganz vorzugsweise für das Thier des befruchtenden Triebes,
345 bei den Griechen im Gülte des Hermes und der Aphrodite, bei den
Körnern in dem des Faunus und der Iuno Lucina (S. 273); daher
die Luperealien bisweilen ausschliefslich auf die Verehrung des Inuus
und auf Befruchtung bezogen wurden. Aufser den Böcken wurden
auch Hunde geopfert 3 ), welches Thier wie bemerkt wegen seiner
feinen Witterung dem dämonischen Wesen des Faunus zu entsprechen
schien. Endlich war mit diesen alten sinnbildlichen Gebräuchen allerlei
volkstümliche Lust und Kurzweil verbunden, wie sie sich bei einem
solchen Aufzuge der meist jungen Männer, wenn sie halb nackend
und halb thierisch, von Salben triefend und aufgeregt von Wein
und ausgelassener Festlust durch die Stadt liefen und die Frauen
ungestraft necken durften, natürlich von selbst einstellte 3 ). Im J. 45
nach der Rückkehr Casars aus Spanien wurde ihm zu Ehren eiu
nach Analogie des sacrificium humanuni Panl. p. 103 von Sühnopfern und das
cingere wie cireuire, also der ganze Ausdruck von lustrirenden Umzügen zu
verstehen ist. Vgl. Dionys I, 80 r\vixa ixw* *oi>s neol to Ilalavnov
oixovvrac rwv vtüiv Ix toi Avxatov je^vxotas ntoiek&eTv doopat inv
xüfirjv yvpvove, vnt&oOfitvovs rrjv ctlStü itag öoquis twv veo&VTtov. xovro
ö*k xadaofiov iiva JtSv x(o[xi)T(ov naxoiov ttiuvaro, wc xal vvv ht öqüjch.
Mommsen CLL. 1 p. 364 vermutbete a regibus Romanis moenibus einet um:
alleiu von dem Bau durch mehrere reget weifs die Ueberlieferuog nichts, wie
Jordan Top. 1, 1, 162 bemerkte, und Varro konnte also auch nicht die Frage,
♦welcher einzelne König das einzelne Mauerstück gebaut habe', wie jetzt
Mommsen Forsch. 2, 39 zum Schutz seiner Conjectur annimmt, als eine au
dieser Stelle nicht zu erörternde bezeichnen: sie existirte nicht. 'Scurril'
(wie derselbe wiederholt sagt) ist die Bezeichnung 'Menschenheerden' garnicht.
Menschen, die durch Einhüllung in Thierfelle die betreffenden Thiere nach-
ahmen, wollen eben den Thieren gleichen: die luperci sind während der
Ceremonie 'Wölfe', wie die Mädchen an den Brauronien 'Bären', aoxrot.)
») Iuvenal Sat. II, 142 nec prodest agili palmas praebere luperco. Vgl.
Plut. Rom. 21, Cacs. 61, Serv. V. A. VIII, 343, Paul. p. 85 Februarius.
') Plut. Rom. 21, Qu. Ro. 68.
8 ) Liv. I, 5 ut nudi iuvenes — per ludum et laseiviam eurrerent. Vgl.
Cic. Philipp. XIII, 15, Plut. Anton. 12.
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FAUNUS UND FAUNA.
391
drittes Collegium der Luperci Iuüi gestiftet, und diese waren es
welche ihm bei der Luperealienfeier des nächsten Frühlings durch
ihren Vorstand Antonius, der damals Consul war, auf offnem Markte
das Diadem anboten *) : eine verhängnifsvolle Auszeichnung, denn vier
Wochen darauf fiel Cäsar unter den Dolchen seiner Mörder. Um den
Ausartungen der letzten Vergangenheit zu steuern, stellte August das
sacrum Lupereale und das alte Heiligthum wieder her, indem un-
bärtigen Jünglingen für die Zukunft die Theilnahmc an dem Um-
laufe verboten wurde 2 ). Das volkstümliche Fest und die Collegien
der Luperci haben sich bis in die letzten Zeiten des römischen
Heidenthums behauptet 3 ).
Aufser dem Heiligthume des Faunus im Lupercal gab es wahr-
scheinlich noch ein andres sehr altes in jener Gegend am Aventin,
wo Numa mit seinen Jünglingen den Picus und Faunus beschlichen
hatte. Endlich hatte man im J. 558 d. St. (196 v. Chr.) von Straf-
geldern dem Faunus auf der Tiberinsel einen Tempel erbaut, welcher
zwei Jahre darauf eingeweiht wurde 4 ). Derselbe lag auf der obern
Spitze der Insel, von wo der alte Wald- und Weidegott denn wenig-
stens den frischen Duft der raschen Strömung des Flusses einathmen
und sich nach seinem Ursprünge in den blauen Bergen der Ferne 34«
aus der geräuschvollen Stadt hinaus sehnen konnte. Die Bildung
des Faunus wurde gewöhnlich wie die des griechischen Pan, die des
Geschlechts der Faune wie die der Panisken gedacht, oder auch wohl
wie die des Silenos und Marsyas. Wenigstens ist zu vermuthen,
dafs die Maske oder das Bild des Silenos auf den Münzen ver-
schiedner Städte Italiens, namentlich auf denen von Hatria, die auf
dem Reverse den schlafenden Hund zeigen, den einheimischen Faunus
») Dio Cass. XLIV, 6, Sueton Caes. 76. 79, Plut. Caes. 61, Anton. 12.
9 ) Sueton. 31, Mon. Ancyr. IV, 2. [Vgl. das Efarendecret für den jüngern
Drusus C. 1. L. 6, 912a 9 (vgl. Addenda), wo wahrscheinlich [statuat] in
iupercali p[oueretur) zu schreiben ist S. Jordan Jahresb. über Top. bei
Bursian Fortschr. 1875 S. 778.]
') Noch unter Papst Gelasius (492—496) wurden die Luperealien gefeiert,
vgl. Büdinger in den N. Jahrbüchern f. Philol. 75, 201 [Marquardt Verwaltung
3, 117.]
4 ) Liv. XXXIII, 42, XXXIV, 53. Das Opfer wurde an den Idus des
Februar gebracht, zwei Tage vor den Luperealien, Ovid F. II, 193. Vitruv.
III, 2, 3 spricht von einer aedes lovis et Fauni. [Vgl. Jordan in Comment.
philol. in hon. Mommseni p. 359 IT.]
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392 VIERTER ABSCHNITT.
bedeutet 1 ). Auch die Erzählungen von dem phrygischen Könige
Marsyas am Fuciner See, von welchem die Marser ihren Namen und
die Kunst der Weissagung ableiteten 9 ), sind wohl nur ein spaterer
Ausdruck für den einheimischen Faunusdienst.
5. Silvanus.
Silvanus entspricht in allen wesentlichen Punkten dem Faunus,
nur dafs seine Thätigkeit mehr auf das eigentliche Waldleben be-
schränkt bleibt 8 ), dafür aber auch das älteste Ansiedler- und Dorf-
leben im Walde und die durch den Wald gezogenen Grenzen mit
umfafst und behütet; was diesem Gottesdienste in culturgeschicht-
licher Hinsicht ein besondres Interesse verleiht. Wie Faunus ist er
ein guter Geist, gelegentlich aber auch ein Spukgeist des Waldes, der
in diesem haust, gelegentlich aus demselben wie Faunus einen mark-
erschütternden Ruf ertönen läfst, bei nächtlicher Weile die Kind-
betterin im benachbarten Gehöfte beschleicht u. s. w. Auch ist er
wie Faunus ein Gott der Fluren und des Viehstandes 4 ), obwohl er
nicht wie dieser als mächtiger Naturgott auch auf die befruchtenden
Kräfte überhaupt und auf die Gemüthserregung wirkt, sondern immer
*) [Ueber ein angebliches Bild des Faunus — mit Strahlenkrone, r. Füll-
horn, 1. Keule, ein Thierfell über die 1. Schalter geworfen — s. Reifferscheid
in der oben S. 379, 1 a. Abhandlung.]
») PHn. H. N. III, 108 — Solin. 2,6, Sil. Pan. VIII, 503, Serv. V. A.
III, 359.
») [Ueber Silvanus mit Bezug auf die Bildwerke vgl. Reifferscheid Annali
1866, 210, welcher in dem Typus des Silvanus den Typus des Juppiter wieder-
zuerkennen glaubt (worüber oben S. 195, 1). Unter den seither hinzugekommenen
ist das Bull. arch. munic. 2 T. XIX veröffentlichte (vgl. das Berliner Relief
Annali 1866 T. d'agg. 1, 1, beide durch die Inschrift gesichert) wegen der
Deutlichkeit der Attribute besonders merkwürdig. Vgl. das. P. E. Visconti
S. 183 ff. Die von P. für die Identität von Faunus und Silvanus a. Stelle
der sogenannten Origo gentis Rom. 4 bat keine Beweiskraft. Vgl. Jordan
Hermes 3, 408 ff. — Das kaum übersehhare neue inschriftliche Material lehrt
wenig iNeues.]
4 ) Virg. Aen. VIII, 600 arvorum pecorisqne deo. [P. fügte noch hinzu
'und Wolfsabwehrer', jedoeh mit Bezug auf die verdorbene Stelle des Lucilius
bei Non. p. 110 luporum exauctorem malvanum et fulgirtatem arborum,
deren Anfang Lachmann V. 555 lucorum exactorem Jlbanum, L. Müller
XXXVI, 74 lutrarum exactorem schreibt. Lipsius hatte Süwnum hinein-
gebracht (vgl. Dousa zu XXVI, 57): die Stelle ist noch nicht sicher her-
gestellt.]
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SILVANUS.
393
nur um das eigentliche Wald- und Baumleben und um das mensch-
liche Treiben nur soweit es davon berührt wird sich bekümmert.
So war auch sein gewöhnliches Bild das eines struppigen Alten, der
im Dickicht wohnt, wo er mit den Faunen die Fichten und Stein-
eichen behütet und von Bauern und Hirten an einem ländlich ein-
fachen Altare mit dem Opfer eines Schaafbocks oder eines Schweines 317
verehrt wird 1 ), oder das eines rüstigen Alten, welcher mit einem
derben Knittel in der Hand erscheint, gleich dem wilden Mann mit
dem entwurzelten Tannenbaum auf dem Wappen mehrerer Fürsten
Niederdeutschlands, das Haupt mit Waldblumen bekränzt 2 ): ein
Freund der Heerden und der Hirten und selbst hin und wieder als
weidender Hirte gedacht 3 ), auch ein Freund der Jäger, deren einer
ihm in England ein bleibendes Andenken gestiftet hat 4 ). Oder man
dachte sich ihn als sorglichen Pflanzer und Forstmann, welcher einen
zarten Setzling an der Wurzel tragend durch den Wald geht und
auf alle jungen Stamme Acht hat 6 ), ein Gott der Bäume, der Haine,
auch der menschlichen Anpflanzungen und Gärten, daher sein Bild
auch in den Hainen der Götter und in den Gärten der Menschen
gewöhnlich zu finden war, meist in der allereinfachsten und primi-
tiven Form wie sie sich aus dem Baumcultus unmittelbar entwickelt
») Horat. Od. III, 29, 22 horridi dumeta Silvani. Martial. X, 92, 5 semi-
docta villici manu structas tonantis aras horridique Silvani, wo tonans sein
schallendes KulYn im Walde ausdrückt, s. Liv. II, 7. Vgl. luven. VI, 447.
*) Virg. Ecl. X, 24, vgl. Georg. II, 494, Grat. Falisc. Cyneg. 20. [Mit
einem Kranz von Pinienzweigen im Haar, einem Pinienzweige in der Linken,
die zugleich einem um den Hals gehängten mit Früchten gefüllten Thierfell
als Stütze dient, in der R. ein Gartenmesser (vgl. Benndorf und Scböoe La-
teran N. 297), zur Seite den Hund, erscheint er auf dem neuerdings ge-
fundenen Relief (S. 392, 3) und ähnlich auch sonst. Einen Pinienkranz trägt
auch der lateranensische Kopf bei Benndorf und Schöne IN. 141, vgl. das
Mosaik von Ostia daselbst 551, wo den Kranz 'ein bläulicher ins grünliche
spielender Nimbus' ersetzt. Vgl. auch die Beschreibung der Bildwerke
C. I. L. 6, 583. 640. 658. 666 (wo zur Seite als Opferthier ein Schwein,
wie bei Hercnles, erscheint). 672. Irrig wird öfters statt des Hundes der
Wolf angegeben.]
') Vgl. die Inschrift aus der Gegend von Capistrano in den Abruzzen b.
Henzen n. 5751 Magne Deus Silvane potens, sanetissime pastor.
4 ) S. die Inschrift aus Stanhope [Widmung eines Reiterofßciers] bei Or.
n. 1603 [= C. I. L. 7, 451] Silvano Invicto sacrum — ob aprum eximae formae
eaptum, quem muüi antecessores praedari non potuerunt.
8 ) Virg. Ge. I, 20 und dazu Servios.
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394
VIERTER ABSCHNITT.
hatte 1 ). Alle derartige Pflanzungen auf dein Felde oder die Lich-
tungen im Walde, wo ein kühles Laubdach, eine schattige Grotte,
eine murmelnde Quelle in der Mittagshitze den Hirten lockte 2 ) oder
am Abend die Dorfjugend versammelte oder bei ländlichen Festen
die Umzüge zur Ruhe einlud, wurden von selbst zu geweiheten
Statten des Silvanas, der eben dadurch, als stiller Theilnehmer so
vieler menschlicher und ländlicher Leiden und Freuden, allen Land-
•
und Dorfbewohnern nicht weniger nahe stand als die Laren, Ceres,
Liber Pater, Pales und andre Götter. Daher Silvanus überall zu
848 den Göttern des ländlichen Gottesdienstes gehörte und namentlich
bei den Erndtefeierlichkeiten immer mit bedacht wurde, sowohl von
dem Ackersmann als von dem Winzer und dem Baumzüchter 8 ).
Elien dieses gemüthliche Verhältnifs des Silvanus zur menschlichen
Ansiedlung und die grofse Ausdehnung der Wälder im alten Italien
machten ihn zugleich zu einem Gotte der Grenzen und des Grund-
eigenthums, sowohl in öffentlichen als in privaten Besitzungen, was
diesem Gölte vollends eine grofse Popularität verliehen hat, so dafs
namentlich die Inschriaen und örtlichen Denkmäler seiner aufser-
ordentlich oft gedenken. Die Waldgrenzen sind überall die ältesten 4 ),
daher die Waldgötter nothwendig zu den Grenzgöttern gehören, vor
allen Silvanus, dem man also im alten Italien auf der Grenze eine
Lichtung (lucum) zu weihen und damit die Grenze selbst unter seinen
Schutz zu stellen pflegte; vgl. die schöne Schilderung Virgils Aen.
VIII, 596 fT. von einem solchen Heiligthurae des Silvanus bei Caere,
welches die ersten Ansiedler dieser auf der Grenze von Latium und
Etrurien gelegenen Gegend geweiht hatten, am kühlen Strome einen
V) Die In sehr. b. Or. n. 1613 Silvane sacra semicluse fr cur in o El huitis alti
summe custos hortuli. Vgl. das simulacrum Silvaiii unter dem alten Feipenbaum
vor dem T. des Saturous in Rom, Plin. XV, 77. [Haine des S. in Rom? unten
S. 396, 2. Characteristisch die Bildwerke eines Silvanaltars C. I. L. 5, 7704:
auf den Seitenflächen ,animal in rupe iacens' — ,arbores', unter der lnschr.
Silvan in gewohnter Gestalt. — Widmung der sectores matcriarum an Sil-
vanus zu Aquileja (das. 815), wo auch zahlreiche Widmungen an Silvanus
Augustus vorkommen.]
2 ) Prop. V, 4, 3 ff.
8 ) Vgl. Virg. Ge. I, 20, Horat. Epod. 2, 17 ff,, Ep. II, 1, 139 ff., Or. n. 1612,
wo Liber, Silvanus und Hercules, auch ein Gott des ländlichen Segens, zu-
sammen genannt werden.
«) Vgl. über die Waldgrenzen im deutschen Alterthum J. Grimm in den
Abh. d. Berl. Akad. 1843 S. 111 und 116 ff. Ein Waldgeist haut die Grenze
zwischen Schweden und Rußland, Ders. D. Myth. S. 455**).
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SILVANUS.
395
weiten, durch alten Glauben geheiligten Hain, der von ausgeschweiften
Hügeln und einem dichten Tannengehölz umkränzt war. Im Walde
d. h. auf ausgerodeten Plätzen siedelten sich aber auch die einzelnen
Gehöfte zuerst an, denn auch in Italien hat die Axt des Hinter-
wäldlers lange der Cultur der Dörfer und Städte vorarbeiten müssen;
ja das Andenken und die Ueberlieferungen aus diesen entlegenen
Zeiten scheinen sich grade im alten Italien, wo die Kernvölker im
Gebirge so lange als möglich in Dörfern und selbst die Römer am
liebsten auf dem Lande lebten, besonders lebhaft erhalten zu haben.
Daher der Cultus des Silvanus auf jedem italischen Bauernhofe,
worüber eine merkwürdige Stelle in den Schriften der römischen
Feldmesser (Grom. vet. p. 302) näheren Aufschluß giebt. Seine all-
gemeine Bedeutung war auch hier die des Grenzgottes, welcher
gleichsam von seinem Gebiete, dem Walde, zuerst das Stück zur
Rodung hergegeben und auf derselben den ersten Grenzstein des
neugewonnenen Grundstücks aufgerichtet hatte. Doch pflegten auf
jedem Grundstücke (possessio) drei verschiedene Silvane unter ver-
schiedenen Benennungen verehrt zu werden: 1) der domesticus, 349
welcher für Haus und Hof Sorge trug, 2) der agrestis, welchem die
Heelden und die Hirten anempfohlen wurden, und 3) der orientalis
d. i. der Silvanus der Grenze im engeren Sinne, der tutor finium,
wie Horaz Epod. 2, 22 ihn nennt, dem auf der Grenze verschiedner
Grundslücke, deren Marken von dort ausgingen (oriebantur), ein
eigner Hain geweiht zu werden pflegte 1 ). So vielseitig hatte sich
also das Wesen dieses einfachen und alterthümlichen Waldgeistes mit
der Zeit gestaltet; daher ihm auch die Inschriften sehr verschiedne
Beinamen geben, meistens um ihn im Interesse des ländlichen Eigen-
thums um seinen Segen und um seinen Schutz zu bitten. So
nennen auch sie ihn domesticus, aber auch casanicus oder
vilicus, oder auch als den Schutzgott eines bestimmten Grundstückes
mit dem Namen desselben oder seines Eigenthümers. Oder sie
nennen ihn conservator und custos d. h. Bewahrer und Mehrer des
Gutes; ja noch mehr, er ist auch Behüter aller zum Hofe gehöriger
Leute, vor allen des Herrn, daher salutaris und ein guter Schutz
auf der Reise, indem er für eine fröhliche Heimkehr zum heimischen
*) Orientalis, cui est in conßnio lueus positus, wobei zur Erklärung hin-
zugesetzt wird : a quo inter duos pluresve (zwischen 2 oder 3 Nachbarn) fines
oriuntur. Ideoque inter duo pluresve est et locus finis.
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396 VIERTER ABSCHNITT.
Heerde sorgt und insofern selbst den Laren und Penaten nahe ver-
wandt ist, ja selbst als lar agrestis verehrt wurde 1 ). Vorzüglich
legen zwei gröfsere Gedichte ein beredtes Zeugnifs ab von der Fröm-
migkeit der Alten und ihrem Sinne für Heimath und stille Ländlich-
keit, das eine von einem kaiserlichen Verwalter, welcher auf einer
Reise über die Alpen in einem Haine des Silvanus Schutz gefunden
hatte und dort um glückliche Rückkehr in seine schöne Heimath
bittet, wo er unter des Waldgotts Obhut sein Feld dankbar bauen
und ihm tausend hohe und schöne Räume weihen wolle (Or. n. 1613),
das andre aus einem Thale der Abruzzen und das Denkmal der
bescheidenen Fürbitte eines Verwalters für das Wohl der guten
Antonine und seiner eignen Angehörigen (Henzen n. 5751). Sehr
gewöhnlich ist in solchen Inschriften auch das Reiwort Sanctus, ohne
Zweifel auch wegen seiner Fürsorge für Eigenthum und Begrenzung.
Selbst in der grofsen Hauptstadt Rom scheint Silvanus in den zahl-
reichen Parks und Gärten der Kaiserzeit oft nach ländlicher Weise
360 verehrt worden zu sein 2 ), hin und wieder als Schutzgeist (Sanctus
») So wird genannt ein Silvanas Staianus Or. 1605 [= I. R. IN. 1393],
Naevianus 1607 [= C. I. L. 6, 645], Caeserianensis Or. He. 5740. [Tetens 5754,
Vetnriaous Garrucci Diss. Arch. 1, 51 u. a., wozu dann der Silvanus Augustus
als S. Flaviornm, Aurelianus u. s. w. kommt]. Vgl. Moinnaseo Dial. S. 132.
[P. E. Visconti Bull. I, 166 f. — Silvan mit Laren und Penaten: Or. 1587;
C. I. L. 6, 562. 630. 692; als lar agrestis das. 646; mit Hercules 6, 597. 607.
629. 645. 3, 349; mit Hercules und Terra Mater 3, 1152; mit Hercules und
Liber oben S. 394, 3; mit Diana 6, 658 n. ö., mit dem Genius loci 3, 4426. Aber
auch mit mehreren Göttern, z. B. Apoll, Minerva, Ceres, Bull, dell' inst. 1873,
15 f., mit Juppiter, Vulcan, Asclepius, Diana C. I. L. 6, 656. — Als deits
domesticus (besonders häufig C. I. L. 3 mit Addenda Epb. ep. 3; charakte-
ristisch die Widmung eines domus iüius alumnus C. I. L. 3, 1149) heilst er
dann wie andere Hausgötter (vgl. oben S. 208) custos (das. 6, 640) oder con-
servator (He. 5742), wird auch im Kostüm des vilicus dargestellt (in Tuoica,
mit Bauernschuhen: Mosaik v. Ostia Benndorf u. Schöne Lateran 551 u. sonst)
uud besonders von vilici verehrt (z. B. C. 1. L. 6, 615. 619. 623. 666).]
*) Vgl. die aedes Silvani in colle Viminali einer Inschrift vom J. 111 n. Chr.
b. Or. n. 4956. [Diese stadtrömische Inschrift (= C. I. L. 6, 691) besagt nur Silvano
— porticum — fecit, der Fundort ist unbekannt. Sehr merkwürdig wäre das.
610 luco Silvani \ scyphum marmorn \ incluso impensa sua \ C. Iulius Abas-
cantus | donum dedit et | maceriem corrupta impensa | stta restituit (nur aus
Pighius bekannt), wenn sie echt wäre, und nicht blos corrupt, und das. 576
extra hoc limen aliquid de sacro Silvani efferre Jas non est (die wohl jeden-
falls von einem eingehegten Hain zu verstehen ist), wenn ihr stadtrömischer
Ursprung feststände.]
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SILVANUS. 397
Saiutaris), als welcher er namentlich auf einer Besitzung des Kaisers
Trajan auf dem Aventin durch Tempel und Bilder verherrlicht
wurde 1 )- Die wiederholt erwähnten collegia Silvani waren ver-
mulhlich Leichencommune, da Silvanus mit der Fichte oder Cypresse
in der Hand abgebildet zu werden pflegte und beide Bäume eine
specielle Beziehung auf Tod und Leichenbegängnifs hatten 3 ). Auf
den erhaltenen Votivbildern ist seine Darstellung seltner die des
struppigen Waldgottes als die des Pflanzers und Gärtners, wie er in
den zahlreichen Gärten in und um Rom von den Aufsehern vielfach
verehrl sein mag. Die Griechen identificirten auch ihn und sein
Geschlecht mit Pan und den Panisken; daher das Mährchen vom
Krathis bei Probus z. Virg. Ge. 1, 20, wo dieser Flufsgott mit einer
Ziege den Silvanus erzeugt, der hier als gutmüthiger, aber halb-
thierischer Panisk geschildert wird. Der Eigenthümer der Heerde
erzieht ihn und Silvanus lohnt die Pflege durch Vermehrung seines
Vermögens. Als er aber herangewachsen ist, offenbart sich die
ächte WaJdteufelnatur, daher der Herr ihn in den Wald trägt und
dort laufen läfst. Auch der Fichtenkranz, die Pansflöte und das
Mährchen von der Echo 3 ) wurde von dem griechischen Gotte auf
diesen italischen übertragen.
Das Geschlecht der Waldfrauen wird von den römischen Dich-
tern gewöhnlich mit den griechischen Namen der Nymphen und
Dryaden benannt, während das höhere italische Alterthum und die
volkstümliche Tradition dafür den Namen der Virae, Vires, Virgines
und Viragines gebrauchte, s. oben S. 100. Die hin und wieder aut wi
») Or. n. 1596 = 2518 (C. I. L. 6, 543]. Trajan wohnte auf dem Aveotin,
ehe er Kaiser wurde, und machte auch spater dort verschiedene Anlagen, s.
meine Regionen S. 200 ff. [Doch weiht hier jemand die beschriebene Kapelle (?)
in tetnph saneti Süvani saiutaris, quod est in hor[tis?t e]t praedio suo.]
Sehr gewöhnlich ist der Silvanus Augustus als Schutzgeist des Kaisers und
des kaiserlichen Hauses; daher die Abkürzuug S. A. S. d. i. Silvano Augusto
Sacruni, Marini Atti p. 542.
*) Daher Silvanus Dendrophorus Or. n. 1602 [= C. I. L. 6, 641. Vgl. 642]
und die oft erwähnten Collegia Dendrophororum. Vgl. Virg. Ge. 1, 20 und
die Script, rer. mythic. lat 1, 6 und 178.
») Auch in den Versen des Attius b. Cic. N. D. II, 35 Silvani melo
consimilem ad aures cantum et auditum refert liegt eine Uebertragung aus
dem Griechischen zu Grunde. Vgl. Bötticher Baumcultus fig. 6. 16 — 18
und 32.
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308
i
VIERTER WISCH MTT.
«
alten Denkmälern erwähnten Silvane, Or. 2103 [== C. L L. 3, 4441,
dazu 3393], oder Suleviae, Or. 2099 ff. [2099. 2101 = C. I. L. 6,
767. 768, vgl. noch 3, 725. 7, 37], welche auf Feldern und in den
Wäldern, namentlich auf Kreuzwegen zu Hause sind, gehören mehr
dem deutschen, celtischen und slavischen Volksglauben an als dem
italischen.
6. Maia und Bona Dea.
Der Fauna, von welcher beim Faunus die Rede gewesen, mag
sich Bona Dea anreihen 1 ), dieselbe Göttin und fast derselbe Name,
denn Fauna ist die Gute, die Holde, wie die Hulda unsrer Väter,
welche auch Frigga d. i. die Freie, die Schöne und Bertha d. i. die
Leuchtende, die Helle hiefs. Auch Maia war ein andrer Name der-
selben, denn beide, Bona Dea und Maia, wurden am 1. Mai gefeiert,
und die Identität von beiden mit der Fauna wird ausdrücklich in
der Stelle eines alten Schriftstellers bezeugt, welcher alle diese Namen
für verschiedene priesterliche Anrufungen einer und derselben Erd-
göttin erklärt 2 ). Der Beiname Maia, welcher sich im tusculanischen
Dienste des Jupiter in männlicher Form wiederholt (S. 270), ist
desselben Stammes wie magis, maior, auch mactus u. s. w., so dafs
er also eigentlich eine Gröfse, Vermehrung, Wachsthum verleihende
Göttin bedentet: daher der Monat Maius, wo alle Vegetation im besten
Wachsthum begriffen ist. Maia selbst wurde in den alten römischen
Gebeten speciell als Maia Volcani angerufen und dessen Frau ge-
*) [Vgl Motty in der S. 379, 1 a. Diss. De Fauno u. s. w. f Dom. Goidobaldi,
Damit o Bona dea, ad occasiooe d'una iscrizione osca opistografa, Napoli,
stamp. della r. univ., 1865, 8 (über diesen S. 355), Marucchi in der zur flg. S.
a. Abhandlung. Die umbrische Inschrift Fabr. Primo Suppl. p. 14, 105 (vgl.
Corssen Kuhn's Zs. 20, 88 ff., Bugge Altit. Sind. 44 f.) auf einem an einem
Thongcfrifs angebrachten Kupferplättchcn Cubrar matrer u. s. w. (Widmung
irgend welcher Beamter, su maronatu, vgl. die Widmung eines GefaTses durch
den praifectot pro trebibos Kpb. epigr. 2, 208) lehrt unzweifelhaft eine ver-
wandte bona mater kennen (da cuprum ■= bonum , Sabin isch' d. h. Italisch):
aber diese ,gute Mutter* könnte die von den Etruskern den Italikero ent-
lehnte Juno sein (oben S. 249). Nicht hierher gehörig ist die späte bona dea
Inno: s. a. E. Ob sie oskisch Damia hiefs ist ungewifs: s. unten.]
*) Macrob. I, 12, 21 /tuetor est Cornelius Labeo kuic Maiae i. e. Terrae
andern kalendis Maiis dedicatam sub nomine Bonae Deae, et eandem esse
Bonant Deam et Tcrram ex ipso ritu occultiore sacrorum doceri posse con-
firmat. Hanc eandem Bonarn Faanamque et Opern et Fat natu pontificum libris
indigitari etc.
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BONA DEA.
399
nannt 1 ), als eine fördernde und segnende Göttin der Flur, mit
welcher sich im Monate Mai die belebende und beseelende Kraft des
Feuers verbindet, um alle Blüthe und Frucht des Sommers zu er-
zeugen. Von der Bona Dea aber werden bei verschiedenen
Autoren allerlei Mährchen und Legenden erzählt, welche der bild-
lichen Darstellung dieser Göttin und den Gebräuchen der nächtlichen
Feier im December, wo diese Göttin von den Frauen im Hause des
obersten Staatsbeamten um Heil und Segen für das römische Volk
beschworen wurde, genau entsprechen a ). Ihr Bild hielt in der linken S52
Hand ein Scepter, daher man ihr eine * königliche Gewalt gleich der
Juno zuschrieb, mit welcher sie auch die Eigenschaft theilte, dafs
sie wesentlich eine Göttin der Frauen und der weiblichen Empfangnifs
war 8 ), wie die Erdgöttinnen aller Naturreligionen. Andre verglichen
sie mit der Proserpina, weil ihr wie der Ceres und Proserpina bei
den Griechen zur Saatzeit Schweine geopfert wurden, andre mit der
chthonischen Hekate und mit der Semele, der Mutter des Dionysos.
Auch nannte man sie eine Tochter des Faunus, welche den brün-
stigen Trieben des Vaters widerstrebend von ihm mit einer Myrten-
ruthe gezüchtigt worden sei; sie aber habe selbst nachdem der Vater
sie mit Wein berauscht hatte, seinem Gelüste nicht nachgegeben.
Da habe Faunus sich in eine Schlange verwandelt und in dieser
Gestalt der eignen Tochter beigewohnt: eine Erzählung welche nicht
wohl anders als von der Befruchtung der Erde durch den männ-
lichen Naturgeist des Waldes und aller Vegetation verstanden werden
kann (S. 385), welcher im Winter gewaltsam auftritt, im Frühlinge
aber Erde und Wald mit dem süfsen Taumel der Lust erfüllt; daher
») Gellius N. A. XIII, 23, Macrob. I, 12, 18.
*) Aufser Macrob. I, 12, 23 ff., vgl. Plut. Caes. 9, Qu. Ro. 20, Tertull.
ad Nat. II, 9, Arnob. I, 36, V, 18, Lactant. I, 22, 9. [Dromaoo 2, 203 f.]
•) Die Griechen nannten sie deshalb r} &tbs ywaixela, s. Macrob. I, 12,
27, Plut. Caes. 9. Daher Prop. V, 9, 25 Jemine ae loca clausa ßeae. [Als
Matrone erscheint Bona Dea sitzend, 1. ein Füllhorn haltend (die R. hielt wohl
die Patera) in der Marmorstatuette von Albano (Kopf alt, aber nicht zugehörig)
mit der Inschrift auf der Plinthe: ex visu, iussu Bonae deae sacrum: Callistus
(so die Umschrift, die Abbildung Caüystus) Rufinae n{ostrae) act(or)\ publ.
von Maruccbi Bull. arch. com. 1879, 227 ff. T. XXIII. — Das Scepter führt
auch Terra Mater Bull. arch. munic. 1872 T. III und vielleicht führt auf
die Verwandtschaft mit der Erdgöttin auch die Form der ,ara rotunda'
der Bona dea C. I. L. 6, 54, vgl. Jordan Top. 1, 1, 34. Vgl. Feronia,
Tellos.]
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400
VIERTER ABSCHNITT
auch Faunus vorzüglich zu Anfang des Winters und des Frühlings
gefeiert wurde. In Rom berief man sich bei diesen Erzählungen
darauf dafs in dem Tempel der Bona Dea kein Myrtenzweig geduldet
wurde, wohl aber eine Weinlaube über ihrem Haupte sich wölbte
und ein Krug mit Wein bei ihr zu sehen war, nur dafs man den
den römischen Frauen in ältester Zeit aufs strengste verbotenen Wein
euphemistisch Milch und jenen verdeckt hingestellten Weinkrug einen
Honigkrug (mellarium) nannte. Auch sah man eine heilige Schlange
bei dem Bilde der Göttin, während andre zahme Schlangen von der
Art wie sie in Rom sehr häufig waren in ihrem Tempel gehalten
wurden und die Frauen ihre Feier unter geflochtenen Weinlauben
zu begehen pflegten. Wieder Andre verglichen diese Göttin mit
der griechischen Medea, weil in ihrem Tempel allerlei Heilkräuter
aufbewahrt wurden, von denen die Priesterinnen den Leidenden
verabfolgten, und endlich Varro erzählte, diese Tochter des Faunus
sei von solcher Zucht und Keuschheit gewesen, dafs sie nie das
Frauengemach verlassen und keinen Mann je gesehen habe noch
von einem Manne gesehen worden sei, ja man habe niemals ihren
Namen öffentlich nennen hören; weshalb auch niemals ein Mann in
353 ihren Tempel gelassen werde. Dagegen galt sie in andern Erzäh-
lungen nicht für die Tochter, sondern für die Frau des Faunus und
für eine Waldnymphe, in welchem Zusammenhange auch die Ge-
schichte von ihrer Trunkenheit und dem Schlage mit der Myrten-
ruthe anders lautete : nehmlich weil sie heimlich einen ganzen Krug
süfsen Weins geschlürft und darüber trunken geworden sei, habe
der Gemahl sie mit jener Ruthe gestrichen (Plut. Caes. 9, Qu. Ro. 20).
Also eine weibliche Göttin des Erdbodens und der Vegetation wie
Fauna, fruchtbar und empfanglich und eine Göttin alles Segens,
welchen die Erde spendet, aber zugleich ekstatisch bewegt und ver-
zückt wie Faunus und des Zaubers und der Heilung und allerlei
verborgner Wissenschaft kundig wie Girce und Medea und Hekate,
daher man auch sie Fatua nannte, wofür man später auch Fan tu a
sagte 1 ). Dafs sie in Rom für eine streng jungfräuliche Göttin ge-
') Martiao. Cap. II, 167 und dazu Kopp. Vgl. oben S. 3S2 und Lactant.
1. c. quam Genius Bassus [oben S. 32 A.) Fatuam nominatam tradit, quod ntu-
lieribus fata canere consuevisset ut Faunurn wrw. Bei Serv. V. A. VIII, 315
hic Faunus habuüse filiam dieüur oma castita [so Daniel] et disciplinis Om-
nibus emditam , quam quidam quod nomine dici prohibitum fuerai Bonam
Deam appellatam volunt, ist iu schreiben omnütm castUsimam. [Vielmehr
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BONA DEA
401
halten wurde, hängt zunächst damit zusammen, dafs sie wie Juno
zugleich ein Bild der matronalen Fruchtbarkeit und der matronalen
Würde war, mit welcher es in guten Zeiten überhaupt und namentlich
bei religiösen Gelegenheiten d. h. im Dienste weiblicher Göttinnen
immer sehr strenge genommen wurde; daher auch bei diesem Gottes-
dienste eigentlich nur ganz unbescholtene Frauen zugelassen werden
sollten und vollends bei dem nächtlichen Opfer alles Männliche mit
solcher Aengstlichkeit entfernt wurde, dafs selbst solche Bilder, auf
denen Männer oder Thiere mannlichen Geschlechts zu sehen waren,
verhängt wurden 1 ). Der tiefere Grund aber ist gewifs auch hier in
der Natur der Erde und andrer Erdgöttinnen zu suchen, wie z. B.
auch die arkadische Demeter und Demeter Thesmophoros zugleich
als jungfräulich widerstrebend und als züchtige Hausfrau und das
göttliche Vorbild jeder zugleich fruchtbaren und streng sittlichen Ehe
gedacht wurde. Das alte Heiligthum der Bona Dea befand sich in
Rom am Abhänge des Aventin gegen die Piscina Publica, unter dem
Felsen (saxum), auf welchem Remus die Vögel lieobachtet hatte,
daher die Göttin in diesem Culte den Beinamen Subsaxana führte 3 ). 354
Auch dieses war ursprünglich ein schattiger Hain mit einer reichlich
fliefsenden Quelle gewesen, daher die Sage ging, dafs Hercules, dessen
Heiligthümer an der andern Seite des Aventin lagen, bei seinem
Aufenthalte in Rom dürstend nach einem Labelrunk aus der Quelle
verlangt habe, aber von den feiernden Frauen und der Priesteriii
als Mann mit Abscheu zurückgewiesen sei 3 ), weshalb nun auch
seinerseits Hercules befahl, dafs keine Frauen bei seinem Gottes-
dienste zugelassen werden sollten. Der Tempel lag über dem Haine
am Abhänge des Hügels und war von einer Vestalin Claudia am
1. Mai, dem altherkömmlichen Feiertage der Guttin, eingeweiht
worden 4 ). So hören wir auch im J. 123 v. Chr. von einer frommen
wohl summa castitate et; Rursian Liter« 1. Centralbl. 1859, 609 Romain, catti-
tate et vgl. Serv. V. A. 1, 273 und 277.]
! ) [Weibliche sacerdotes Bonae Deae, ein coüegium mit einer magistra an
der Spitze, in Rom C. I. L. 6, 2236—2240. Ebenso weiblicher Dienst außer-
halb Rom: so in Florenz (?) Or. 686 (mulieres) und in Aquileja (mogistrae
und ministrae) C. L L. 5, 757. 759. 762.]
s ) Ovid F. V, 148 er., meine Regionen d. St. R. S. 196.
3 ) Propert. V, 9, 23 ff., Macrob. I, 12, 28. Es scheint wohl dafs dieser
Hain und diese Quelle dieselben sind, wo Picus und Faunus von INuiua ge-
fangen werden, s. S 191. 383.
*) Ovid F. V, 155, Macrob. I, 12, 21, vgl. Cic. pr. domo 53, 136 (cum-
Preller, Rom. Mythol. I. 8. Anfl. 26
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402 VIERTER ABSCHNITT.
Stiftung der Vestalin Licinia in diesem Heiligt.hu ine, welches zuletzt
durch Livia, die Gemahlin des August, wiederhergestellt worden war,
daher die Göttin seitdem ofliciell Bona Dea Restituta genannt wurde 1 ).
Jenes nächtliche Opfer der Frauen galt für eins der ältesten und
heiligsten in Rom: Cicero de leg. II, 9, 21 nimmt bei seinem Ver-
bote ähnlicher Sacra dieses Opfer ausdrücklich aus. Der Zeit nach
fiel es in den Anfang des December 8 ): seine Bedeutung war die
eines Opfers und Gebetes für das römische Volk (pro populo Ro-
mano), daher es in dem Hause des höchsten Staatsbeamten (in ea
domo quae est in imperio), entweder des Consuis oder des Praetors,
von dessen Frau und zwar unter Mitwirkung der Vestalischen Jung-
frauen dargebracht wurde. Ein Weiteres erfahren wir auf Veran-
lassung des bekannten Frevels des P. Clodius 3 ). Dieser vornehme,
reiche, verwegene und ausschweifende junge Mann, einer der mäch-
tigsten Führer der geheimen Verbindungen, die damals den Staat
355 und das Recht beherrschten, liebte Pompeja, die Gemahlin Casars,
und war ihrer Gunst sicher ; doch wurde sie von Aurelia, der Mutter
Casars, einer Dame von alter Zucht und Sitte, strenge bewacht. Da
nahm Clodius seine Zuflucht zur List, indem er sich in der Nacht,
wo im Hause Casars das Opfer der Bona Dea dargebracht wurde
und alle Mannspersonen aus demselben entfernt wurden, in der Ver-
kleidung einer Harfenistin einschlich. Die Feier ist wahrscheinlich
so zu denken, dafs zuerst jenes Opfer, ein Sühnopfer zarter Schweine,
welches mit einem griechischen Worte Damium hiefs, dargebracht
wurde 4 ), ohne Zweifel mit einem feierlichen Gebete für das offen t-
aram et aediculam et pulvinar sub saxo — dedicasset). Es ist bedenklich
jene Yestalin Claudia für identisch mit der Matrone Claudia Quinta (S. 447)
zu halteu.
*) Ovid F. V, 157, vgl. Marini Atti p. 543. Hadrian versetzte den T. an
eine andre Stelle, s. Spartian Hadr. 19 aedem ßonae Deae transtulü, doch
wohl innerhalb der alten Grenzen des Heiligthums.
*) Im J. 63 v. Chr. wo es im Hause des Cicero begangen wurde, in der
Nacht vom 3. zum 4. Dec, s. Plut. Cic. 19, Dio XXXVII, 35. Auf dieselbe
Zeit, aber einen beweglichen Tag führen die Briefe Ciceros ad Att. I, 12 und
XV, 25. Vgl. Drumann Gesch. Roms 2, 204. 5, 502.
8 ) Cic. ad Att. I, 13, 3, de Harusp. resp. 17, 37, Seneca Ep. 97, 2, Plut.
Caes. 9, Dio Cass. XXXVn, 45.
4 ) luvenal S. II, 86 atque Bonam tenerae placant abdomine porcae et magno
cratere Deam. Der grofse Krug ist jener Weinkrug. Die Üpferthiere also
waren jene porcae oder porciliae piaculares, wie sie in den Urkunden der
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BONA DEA.
liebe Wohl, den Segen der Aecker, Fruchtbarkeit der Frauen u. s w.
Darauf begann eine ziemlich ausgelassene Festlichkeit der Frauen, bei
welcher sie dem Character der Göttin gemäss, wie er sich in der
Legende spiegelt, unter heiterem Scherz und aufregender Musik
allerlei sinnbildliche Gebräuche verrichteten, die die Griechen an die
Orphischen Mysterien erinnerten l ). Bei dieser Feier schlich Clodius
sich ein, im Einverständnisse mit einer Magd, welche vorauslief um
der Pompeja einen Wink zu geben. Da verirrt er sich in den Gängen
des Hauses und wird von einer Magd der Aurelia erkannt, worauf
der Scandal stadtkundig und selbst im Senate und im Collegium der
Pontiüces besprochen wurde. Pompeja ward von ihrem Gemahle
verstofsen, Clodius aber kam mit dem bösen Leumunde davon, so
verdorben und bestechlich waren damals die Gerichte 2 ). Es war
dieses eben nur ein Symptom der allgemeinen Sittenverwilderung,
welche sich trotz aller Scheinheiligkeit der Regierung des Augustus
und der Livia in den vornehmen Famiüen und der Damenwelt be-
hauptete, bis sie in den Zeiten des Claudius und Nero ihr Aeufserstes
erreichte. In diesem Sinne berichtet Juvenal in seinen Sittenschil-
derungen des Zeitalters der Agrippinen und Messalinen auch von 366
dem Feste der Bona Dea mit so bitterm Spotte und so grimmigem
Ernste, den ausgelassenen Tänzen, den wollüstigen Spielen, dafs die
damalige Feier der römischen Frauen in Wahrheit hinter dem wil-
desten und sinnlichsten Orgiasmus der griechischen Mänaden und
Arvalischen Brüder wiederholt erwähnt werden und als Sühuopfer an die
Götter der Erde und der Fruchtbarkeit herkömmlich wareu. Leber das Wort
Damium s. Placid. gl. p. 351 (30, 11 D.] und Paul. p. 68, welcher hinzusetzt:
Dea quoque ipsa Damia et tacerdos eius damiatrix appellabatur. Ans dem
Lateinischen wird sich dieses Wort nicht erklären lassen. Vielmehr ist es
das griechische tiufjiiov und mit so manchen andern Gebräuchen und Benen-
nungen aus dem griechischen Ritual, etwa dem des in den ersten Jahren der
Republik eingeführten Demeterdienstes herübergenommen. [Hervorzuheben ist
dafs das Fest der Japta (vgl. Hermann Gottesd. A. § 52, 17) sich auch in
Tareut findet (vgl. Welcker Götterl. 3, 136). Ganz dunkel ist noch immer
die Deutung von osk. damit, damuse auf deii Inschriften von Capua Zwetaj.
36 a. b und damia auf der Bleitafel Zwetaj. 50 Z. 3 (vgl. Bücheler Rh. Mus.
1377, 71, Bugge Altit. Stud. S. 12 f.). Lnter Hinzuziehung der ersteren ver-
breitet sich Guidobaldi a. 0. über den Gegenstand, doch, wie schon seine
etymologische Gleichung Damia — dea Maia = Demeter zeigt, ohne Methode
und demgeinaTs ohne Resultat.]
») Plut. Caes. 9. Auch Cicero ad Att. XV, 25 nennt das Fest mysteria.
a ) Cic. ad Att. I, 16, 5, Seneca Ep. 97.
26*
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404
VIERTER ABSCHNITT.
der phrygischen Mysterien nicht zurückgeblieben zu sein scheint
(Sat. II, 83 fl'., VI,314tr.). Indessen darf man sich durch solche
Ausartungen der grofsen Stadt und der höheren Stände nicht gegen
den Dienst der Bona Dea überhaupt einnehmen lassen, welcher in
den Umgebungen Roms und sonst in Italien wie der des Faunus
und Fauna in ländlicher Einfall fortbestand. Wenigstens lässt
sich der Cultus der Bona Dea mit Hülfe der Inschriften sowohl im
südlichen Italien als im mittleren und obern, aber auch im innern
Italien nachweisen, z. B. zu Corfinium, der Hauptstadt der Paeligner,
wo sie als die Göttin eines ganzen Pagus erscheint 1 ). In einer
andern Inschrift heifst sie ausdrücklich agrestis und wird als Heils-
göttin verehrt, welcher ein Leidender die Heilung seiner Augen ver-
dankte (Or. n. 1 518) 2 ). Auch in der Nähe von Bovillae gab es ein
ländliches Heiligthum der Bona Dea, das bekannte bei welchem
Clodius sein Leben verlor; man glaubte dafs sich die Göttin durch
den Mord des Frevlers gerächt habe 3 ). Ihre grofse Heiligkeit be-
weisen auch Beinamen wie Sancta und Sanctissima, während andre,
wie Caelestis [Or. 1523], «1er späteren Vermengung gleichartiger
Culte zuzuschreiben sind. Denn die Cultusnamen Bonus Deus und
1 ) Mommseo I. N. n. 5351. Dedicationen a» die Bona Dea aus Canusium
in Apulien, aus der Umgegend von Neapel, aus Minturnae, aus Aquinum ib.
038. 2588. 4053. 4310. Andre Inschriften aus Rom, Florenz, Verona [Pisau-
rum, Aquileja] uud andern Gegenden giebt Orelli u. 080 und 1512 ff. Gewöhn-
lich sind es die Frauen, welche diese Göttin verehren. [Wichtig ist das Vor-
kommen eines vermuthlich nicht jungen Cultus der Bona Dea im Gebiet des
alten pagus Ianicolensis in Rom (Henzen Bull, dell' inst 1861, 178 f., C. 1. L.
0, 65—67) und des ebenfalls sicher alten einer pagana oder cereria in Aqui-
leja (5, 761. 762, vgl. Silvanus). Dazu kommen die Beinamen agrestis und
nutrix (C. I. L. 6, 68. 74) und ibre Verehrung iu den Horrea Galbiana zu
Rom als Bona dea Galbilla (Eph. epigr. 4, 260 n. 723a). — Vereinzelt und
zweifelhaft ist die direkte Beziehung zum Todtencultus in der 1. von Velletri
Or. 1527; auf wahrscheinlich unrichtiger Interpretation beruht dieselbe Be-
ziehung der umbrischen Cupra mater, oben S. 398, 1 {oseto = ossuarium, s. z. ß.
Bugge Altit. Stud. 44 f.). — Der in Rom (s. C. I. L. 6, 53 — 76) und Italien
bis in spate Zeiten verbreitete Kult fehlt fast ganz in den Provinzen.]
») [C. I. L. 6, 68 (gef. 3 Millien vor Porta S. Paolo) : — ob luminibus restitutis
derelictus a medicis post menses decern beneficio dominae medicinis sanatus •
ebenso heilt die Göttin kranke Augen in Trastevere als Bona Dea Oclata (das. 74,
vgl. Preller Ausg. Aufs. 309) und heifst Hygia (das. 72), als kräuterkundige ßauern-
göttin. Gehört dahin etwa das räthselhafte Auribus Bonae Deae C. I. L. 5, 579?]
») Cic. p. HU. 31, 86 und dazu Ascon. p. 32 Or. Vgl. die Inschrift aus
Bovillae bei Orelli n. 1515.
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CARMENTA
405
Bona Dea hatten mit der Zeit eine sehr allgemeine Bedeutung
bekommen, daher auch andre weibliche Göttinnen, namentlich
die Magna Mater und die Juno Caelestis als Bonae Deae verehrt
wurden *).
7. Carmenta oder Cartnentis.
Auch diese Gottin war vermuthlich nur eine Nebenform der
Fauna oder Bona Dea. Born kannte sie in einer doppelten Gestalt, 357
als hülfreiche Mutter und weissagende Begleiterin des Evander, d. h.
des historischen Faunus und seiner Ansiedlung auf dem Palatin, und
als eine vorzugsweise von den Müttern verehrte Geburtsgöttin. Jene
palatinische Carmenta galt gewöhnlich für eine arkadische Nymphe
und Seherin Namens Nikostrate*), was auf kriegerische Begeisterung
deutet: ein wesentlicher Zug der ältesten Weissagung und des dem
Mars verwandten Faunusdienstes, wie denn auch Evander in präne-
stinischen Sagen als streitbarer Held auftritt, der mit einem Riesen
kämpft, und in Rom ein sehr alter Dienst der Victoria auf dem
Palatin für seine Slitlung galt. Die Geburtsgöttin Carmenta wurde
in der Nähe der porta Carmen taiis, welches Thor von ihr seinen
Namen hatte, so eifrig verehrt, dafs es einen eignen Flamen Car-
mentalis und zwei Kalendertage für sie gab; nehmlich am 11. und
am 15. Januar wurden sogenannte Carmentalia begangen, welche in
der älteren Zeit zu den angesehensten Festen der römischen Matronen
gehörten 3 ). Der 11. Januar galt der Heil- und Quelleugöttin Juturna
und der Carmenta gemeinschaftlich, wie die Quellnymphen den Göt-
tinnen der Entbindung immer nahe stehen*). Der zweite Festtag
») Mommseo I. N. n. 4608, Or. n. 1523. Vgl. Or. 11. 1522 bonae deae
feneri Cnidiae, n. 1272 bono deo Brontonti, n. 1934 If. bono deo puero Phos-
phoro. [Wichtiger Fortunat conservatrici et bonae deae Iunoni Eph. epigr. 3, 372
n. 649, aber doch wohl ohne Zusammenhang mit der Iuno-Cupra oben S. 280.]
») Virg. Aen. VIII, 335 ff., Dionys. 1, 31, Strabo V p. 230, Serv. V. A. VIII,
51. 130. 336.
9 ) Varro I. 1. VI, 12, Macrob. I, 16, 6, vgl. Cic. Brat. 14, 56 and über
die Lage der uralten ara Carmentis und ihres fanum Becker Handb. 1, 137.
Der Dienst war bei diesem and einigen andern Heiligthiimern mit solcher Ge-
wissenhaftigkeit ein unblutiger, dafs kein Leder, weder von einem geschlach-
teten noch von einem gefallenen Vieh in den heiligen Raum kommen durfte,
Ovid F. I, 629, Varro 1. 1. VII, 84, Serv. V. A. IV, 518. [Vgl. Mommsen im
C. I. L. 1 p. 384. Flamen: vgl. Eph. epigr. 4, 269 n. 759 ]
*) Ovid F. I, 461 ff., der diesen Tag ein sacrum poutificale nennt Vgl.
Kai. Maff. Praeu.
406
VIERTER ABSCHNITT.
soll nach der Eroberung Fidenäs im J. 328 d. St. (426 v. Chr.)
durch den Dictator Mamercus Aemilius gestiftet sein 1 ). Die gewöhn-
liche Legende ist wieder einmal ein merkwürdiges Beispiel der
Willkür und Confusion solcher Ueberlieferungen, doch ist die speci-
(ische Beziehung dieses Gottesdienstes auf Schwangerschaft und Geburt
auch darin zu erkennen. Es sei den Frauen vom Senate das Fahren
verboten worden. Da hätten sie sich unter einander verschworen,
sich nicht eher zu den Pflichten der Ehe zu verstehen, als nachdem
ihnen die Wagen (carpenta) erlaubt sein würden. Der Senat mufs
also nachgeben, und nun habe Carmenta einen so reichen Kinder-
368 segen geschenkt, dafs die Frauen ihr jenes Heiligthum am Carmen-
talischen Thore und den zweiten Feiertag stifteten*). Beim Gebete
hörte man die Namen der Porrima und Postverta, zwei Geburts-
göttinnen, welche n$ben der Carmentis als Carmentes verehrt wurden
und eigentlich von der Kopf- und Steifsgeburt galten; doch dachte
man auch bei ihnen gewöhnlich an die Weissagungen der Mutter
des Evander 3 ). Der Name Carmenta ist natürlich abzuleiten von
Carmen, welches in der älteren Sprache den weissagenden Gesang
nach Art des Fatuus und der Fatua d. h. des Faunus und der Fauna
ausdrückte 4 ). Indessen wird man auch hier speciell den Begriff der
weissagerischen Geburtsgöttin festzuhalten haben, wie die griechische
Eileithyia und die Mören und die Parcen zugleich der Frucht ans
Licht helfen und derselben ihr Geschick im Verlaufe des Lebens an-
weisen 6 ). Auch betrafen die nahe verwandten Camenen, eigentlich
*) Verr. Fl. Fast. Praenest. [Vgl. dazu Mommsens Bemerkung.]
a ) Ovid F. I, 616 ff., Plut. Qu. Ro. 56. Es liegt dabei theils ein ety-
mologisches Spiel mit den Wörtern Carmenta and carpenta, theils eine
dunkle Erinnerung daran zu Grunde, dafs die Matronen das Recht der
Wagen einer besondern Erlaubnis nach der Eroberung von Veji verdankten,
Liv. V, 25.
«) Varro bei Gellius XVI, 16, 4 [- arae stalutae sunt duabus Carrnen-
tibus, quarum altera Postverta cognominata est, Prosa altera, a directi per-
versique partus et potestate et nomine. Or. F. I, 633 Porrima placatur Post-
vertaque. Mit Ilmdeutung Anteverta und Postverta bei Macr. S. I, 7, 20. Prosa
Tür Prorsa (vgl. Ritsehl Op. 2, 544), gleichbedeutend mit Porrima (gebildet von
porro wie intimus von intus u. «.)].
*) Virg. Aen. VBI, 339 ff. , wo Servias Ideo Carmentis appellata, quod
divinatione fata caneret, nam antique vates carmentes dicebantur, unde etiam
librarios qui eorum dieta perscriberent carmentarios nuneupatos.
6 ) Plat. Rom. 21 ir\v 6k Kaofiivinv otortai rtvts Moioav «*?a» xvolav
av&Qtun cor ytvfoitos, «fio xal riuwotv avjrjv at nnxiqt$.
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VITULA.
407
Casraenen d. i. Carmenen [vgl. VIII, 2], und unter ihnen Egeria
speciell das weibliche Leben und Entbindung. Ohne Zweifel ist
Carmenta aus demselben Grunde in der römischen Stadtsage zur
Mutter schlechthin d. h. zur Mutter des Evander, des ersten
Ansiedlers von Rom, geworden, welchem sie bei Virgil gleich
bei dem ersten Ursprünge der Stadt deren ganze Zukunft singt;
obwohl sie Einige nicht die Mutter, sondern die Frau des Evander
nannten (Plut Rom. 21), also ganz wie die Fauna zum Faunus
stellten.
8. Vitula oder Vüellia.
Auch diese Göttin scheint eine Nebenform der Fauna zu sein,
eine Göttin des Siegs und des Jubels über den gewonnenen Sieg,
wie wir bereits der von Evander auf dem Palatin gestifteten Victoria
gedacht haben und in der sabinischen Vacuna gleich eine ähnliche
Göttin kennen lernen werden. Das alte Wort vitulari und vitulatio,
welches Siegesjubel bedeutete und bei den älteren römischen Dich- &S9
tern Ennius, Naevius und Plautus noch im Gebrauche war, wurde
von ihrem Namen abgeleitet 1 ) und hängt jedenfalls mit ihm zu-
sammen 2 ). In den Geschlechtsüberlieferungen der Vitellier, welche
») Macrob. S. III, 2, 11, Varro I. 1. VII, 107, Enoius bei Paul. p. 369
/* habet coronam vüulans victoria, Naevius bei Non. Marc. p. 14, Plaut. Pers.
n, 3, 2.
*) Macrob. 13 Hytlus [Hyginus ? Momniseu C. 1. L. 1 p. 26] libro quem
de dis eontposuü aü Vüulam vocari deam quae laetitiae praeest. Piso aü
f itulani Vicloriam nominari etc. So ist aucb bei Varro 1. c. zu schreiben:
vüulantes a Vitula [statt vitulu . Einige leiten das Wort ab a bonae vüae
contmodo (Non. Marc.), Andre von vitulus, Paul. p. 369 vüulans laetans g audio
ut pastu vitulus. Die 1. Silbe wird gewöhnlich laug gebraucht. [Auf dein
pränestinischen Spiegel C. I. L. 1, 58 steht Cudido (so), Venös, Vitoria (so),
Hit (?), aber auf den pra'n. Cistea das. 1500 und Eph. epigr. 1 n. 21 Victoria.
Entweder ist Vüoria wie Cudido (wohl auch Belohn f. Belonai auf dem be-
kannten Thongefäfs) blofses Versehen (vgl. Jordan Krit. Beitr. S. 7 f.) oder es
ist Einwirkung der präoestinisehen, d. h. sabinisch-oskischen, nicht (wie Corssen
Beitr. z. ital. Sprachenk. 32 f. will) etruskischen Mundart (Vit- aus Viht- =
Vict- entstanden) anzunehmen, da im Lateinischen c vor t nicht schwindet.
Daher wohl die Annahme des etymologischen Zusammenhangs mit Vie-toria,
Vic-a, vinc-o nicht haltbar ist. Aber andererseits wird die verlockende Ana-
logie von ov-are (vgl. ancb popul-ari) nicht ausreichen um vitulari von vitulus
abzuleiten. Sicher bleibt dafs ein Göttername Vitula sich zu vitulari verhält
wie Panda, Ceta, Stata zu den entsprechenden Verben und dafs daher zuerst
das Appellativ vitulari zu erklären ist. — Dafs für die Göttin eine Namens-
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40S
VIERTER ABSCHNITT.
r
sabinischer Abstammung waren, hiefs dieselbe Göttin Vitellia und
die Frau des Aboriginerkünigs Faunus. Es wird dabei ausdrücklich
hinzugesetzt, dafs diese Güttin in verschiednen Gegenden Italiens
verehrt worden sei 8 ).
9. Vacuna
war eine bei den Sabinern viel verehrte Güttin, deren angesehenstes
Heiligthum ein Hain in der fruchtbaren Ebne von Reate in der Nähe
der Einmündung des Flusses Avens (jetzt Velino) in den Veliner See
war 4 ). Ein andres lag auf einem Hügel über dem Thale der Digentia
(jetzt Licenza) nicht weit von dem sabinischen Landgute des Horaz,
welcher deshalb Ep. I, 10, 49 schreibt: Haec tibi dictabam post fanum
putre Vacunae. Die alten Ausleger zu dieser Stelle theilen aus dem
Werke Varros einiges Nähere über diese Göttin mit. Man verglich
sie mit der Bellona, der Diana, der Ceres, der Venus, der Victoria,
der Minerva, so wenig wollte sich diese Gestalt auf einen der geläu-
figen mythologischen BegrifTe zurückführen lassen. Doch sieht man
aus diesen Umschreibungen, dafs sie zugleich den friedlichen Cha-
36o racter einer mütterlichen Göttin der Flur hatte, welche wie Venus
aus dem Feuchten schuf und wie Ceres den Acker mit Korn seg-
nete, und den einer Göttin des Waldes, der Jagd, der kriegerischen
Begeisterung und des Sieges. Namentlich mufs der Character einer
Siegesgöttin zu ihrem Wesen gehört haben, da der aus der Gegend
von Reate gebürtige Kaiser Vespasian das von Horaz erwähnte Heilig-
thum unter dem Namen eines Tempels der Victoria von neuem erbaut
form Vitellia (vielmehr Vitelia) vorhanden gewesen ist, wird wenigstens durch
die Familienchronik der Vitellier nicht bewiesen. — Endlich ist auch die
Verwandtschaft des seltenen und wohl nicht latinischen Geschlechtsnumea
Vitorius (=Veü-, t <-t-':\, mit vitulari (noch neuerdings von Mummsen Hermes
13, 429 behauptet) ganz ungewifs.]
s ) Suetoo Vitell. 1. Exstat Qu. Eulogii ad Q. Vüeüium Divi Augusti
quaestorem libeüus, quo continetur Vitellios Fauno Aboriginum rege et Vitellia,
quae multis locis pro numine coleretur, ortos toto Lotio imperasse. Horum
residuam stirpein ex Sabinis transisse Romarn etc.
4 ) Plia. H. N. III, 109, welche Stelle so zu leseu ist: Sabin i — Velinos
accolunt Ulcus roscidis collibus. Aar amnis exhaurii illos, sulp hur eis aquis
Tiberim ex hü petens, replet e monte FisoeÜo Avens [aves die Ilss.] iuxta
Vacunae nernora et Beate in eosdem condüus. Der Hain lag vermuthiich bei
Pie di Luco über dem See. S. meinen Aufsatz in den Leipz. Berichten 1855
S. 191 ff. [= Prcllers ausgewählte Aufsatze S. 256ff.J
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VACUNA. 409
hat, s. den Dedicationstitel bei Or. n. 1868 l ). Als Mittelpunkt alter
satanischer Gemeindeversammlungen und nationaler Opfer und Opfer-
schmäuse erscheint sie bei Ovid F. VI, 307 f., welche Stelle man
am besten auf das Heiligthum bei Reate beziehen wird. Varro ver-
glich sie mit der Minerva, indem er den Namen von vacare ableitete,
als ob sie zugleich eine Göttin der kriegerischen Erregung und des
stillen Fleifses gewesen sei 2 ), welche Erklärung sich doch mit dem
Leben und den Sitten der alten Sabiner schwerlich verträgt. Eher
möchte mau im Hinblick auf die Natur der Landschaft von tteate
den Namen von vacuo in dem Sinne von ausleeren ableiten, denn
jene Landschaft leidet an Ueberfülle des Wassers, welche früher durch
einen natürlichen, später durch einen künstlichen Abzug in den Nar
und durch diesen in den Tiber abgeleitet wurde 3 ): in welchem Falle
sie als mütterliche Culturgöttin jenes Thals für die Urheberin jenes
natürlichen Emissärs gehalten worden wäre, welcher das Thal wie
die Katabothren des kopaischen Sees das Thal von Orchomenos und
Hyle ausleerte und dadurch erst seine Cultur möglich machte; es
sei denn dafs in den italischen Dialecten ein passenderes Etymon
gefunden würde. Dieselbe Göttin läfst sich übrigens als sabinische
Victoria noch einmal in derselben Gegend nachweisen, auf einer Insel
im See von Cutilia, welcher für den Nabel d. h. für den Mittelpunkt
') [Vespasian aedem Victoriae vetustate dilapsam sua impensa restituit.
Trümmer dieses Tempels meint man auf dem linken Ufer der Digentia ge-
funden zu haben (Bull, delf inst. Ib57, 151 ff). Allein ob dort das fanum
Vacunae gestanden hat, ist noch immer nicht sicher (vgl. das. 30 II. 105 ff.)]
*) [Preller stützte sich hier auf Acron. Doch liegt die Sache anders:
Porf. zu Hör. a. 0.: Vacuna in Sabinis dea, quae sub incerta specie est for-
mata. hanc quidam Beüonam alii Minervam alii Dianam. , Acron': quidam
Miner vam alii Dianam putaverunt nonnulli et Cererem (etiam t euerem y) esse
dixerunt. sed Varro in primo rerum divinarum Victoriam ait; et (quod yb) ea
maxime hi gaudent qui sapientia vincunt (sapie/itiae vacent oder vaent yb).
Wenn die auch hier von , Acron' abhängigen Schol. Cruq. in den Worten des
Varro Minervam dicit — sapientiae vacant schreiben, so ist das willkürliche,
lediglich zu verwerfende Ioterpolatiou. Die Worte et ea — vincunt (d. h. die
bessere Redactiou) gehören offenbar nicht zu dein Excerpt aus Varro, von
dem wir also nur die Gleichung Vaeuna = Victoria kennen. — Die analogen
Bildungen auf -una, -unus bei Corssen Ausspr. 1 s , 435: die Wurzel ist ebenso
wenig ermittelt wie für Ves~una (V, 5).]
8 ) Vgl. Varro b. Serv. A. VII, 712, Cic. ad Att. IV, 15, 5, pro Scauro
II, 27 nuper cum Beatini — me tuam publicam causam de Velini ßurninibus
et cuniculis apud hos consules agere voluissent, wo die flumina Velini die Zu-
flüsse zum Velinua sind, cuniculi die Abzüge, Tacit. Ann. I, 79.
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410 VIERTER ABSCHNITT.
Italiens galt und als Sitz der latinischen Aboriginer sowie wegen
seiner schwimmenden Insel, später auch wegen seiner kalten Bäder
sei berühmt war 1 ). Einen gröfseren Auszug aus den Mittheilungen Varros
über diesen merkwürdigen See und seinen Gottesdienst verdanken
wir dem Dionysius v. Hai. I, 15. Derselbe habe einen Umfang von
vier Jugera, reichliche Quellen und eine unergründliche Tiefe. Der
ganze See sei der Victoria geweiht und deshalb in seinem ganzen
Umfange mit heiligen Binden und Gewinden umzogen 9 ), so dafs
Niemand an das Wasser herantreten könne. Nur bei gewissen feier-
lichen Gelegenheiten wurde einmal im Jahre der Bann gehoben, die
Insel betreten und dort der Göttin geopfert. Diese mit Sumpfpflanzen
und niedrigem Gestrüpp bewachsene, wenig über dem Spiegel des
Sees erhabene Insel hatte etwa fünfzig Fufs im Durchmesser und
keinen festen Grund, daher sie ihre Stelle beständig wechselte, wie
der Wind sie hin und her trieb. Wie am Velinus neben der
Vacuna eine Lympha Velinia, neben der Diana von Nemi Egeria
als Quellgöttin ihres Hains verehrt wurde, so werden am See von
Cutilia neben der Victoria sogenannte Lymphae Gommotiae genannt,
eben wegen jener beständigen Bewegung der Insel im See, Varro
L L V, 71.
10. Angitia, Circo, Marica.
Auch die Göttin Angitia wird sich hier passend anschliefsen,
da sie von den Nachbarn und Verwandten der Sabiner, den Marsern
am L Fucinus unter ähnlichen Bedingungen verehrt wurde wie die
Vacuna am 1. Velinus, und zugleich als Heilsgöttin, welche sich
namentlich auf heilende Kräuter verstand, von selbst zur Bona Dea
der Römer zurückführt. Auch ihre Verehrung war die altertümliche
und ländliche des Hains, wie davon noch jetzt der kleine Ort Luco
mit einigen Trümmern alter Anlagen ein Andenken bewahrt hat 3 ),
») Plin. H. N. n, 209, W, 109, XXXI, 10, Seoeca Qu. Nat. HI, 25, 8,
Macrob. S. I, 7, 29.
») Vgl. Prop. V, 9, 24 ff., von dem Haine der Bona Dea in Rom: Devin
puniceae velabant Omina vitiae.
*) Scbon bei den Alten werden die Lncenses als ein besondrer Pagus der
Marser erwähnt, Plin. III, 106. Ueber den 1. Fucinus und die anliegenden
Oertlichkeiten a. G. Kramer der Fuciner See, Berl. 1856, über den Hain der
Angitia Klausen Aeneas S. 1041 Taf. IV, 2. [Nahe bei Luco (am Südrande
des Sees) ist die Inschrift Or. 115«=Henz. 5826 = 1. R. JN. 5592 gefunden,
■
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ASGITIA, CIRCE, MARICA.
411
und auch sie mufs das Ansehn einer Stammgöttin gehabt haben, da
die Marser ihren Namen und ihre ältesten Könige in verschiedenen
Erklärungen und Genealogieen von dieser Göttin ableiteten. Da
manche Texte ihren Namen Anguitia schreiben, so haben neuere
Mythologen sie für eine „Schlangengöttin" erklären wollen; allein 302
der wahre Name ist in den bessern Handschriften und verschiednen
Inschriften entweder Angitia oder Ancitia, welches Wort am natür-
lichsten auf den weitverbreiteten Stamm ancus zurückgeführt wird
(S. 267) 1 ). Jene Inschriften sind auch deshalb interessant, weil sie
den Dienst dieser Göttin in weiterer Ausbreitung kennen lehren, und
zwar in der Form einer Gruppe von mehreren zusammengehörigen
Göttinnen, wie die Carmentes, die Corniscae, die Furrinae u. A. Eine
ist aus Sulmo im Gebiet der Paeligner, eine andre aus Antinum in
dem der Marser, eine dritte aus Peltuinum in dem der Vestiner'),
so dafs sie also in dieser ganzen Gegend verehrt wurde und zwar
als wohlthätige Heilgöttin, zu welcher man pro salute sua oder der
Seinigen betete und opferte. Der alte Centraisitz blieb indessen das
Gestade des Fuciner Sees 8 ), wo der Reichthum der benachbarten
Berge einerseits an giftigen Schlangen, andrerseits an oflkinellen
Krautern, den auch neuere Reisende hervorgehoben haben, den eigen-
thümlichen Character ihrer Verehrung bestimmt hatte. Namentlich
rühmten sich die Marser allerlei wirksame Kräuter und Sprüche
(carmina) um die Schlangen zu beschwören und ihren Bifs un-
in welcher zwei Paccii quinq{ennales) murum vet[u*tate] contumpturn a solo
rett[ituerunt) tx p(ecunia) p(ublica) Angitiae, also wie in Rom der Quästor
murum lunoni Lucinae C. I. L. 6, 358.]
') [Die vereinzelten Schreibungen Anguetia (so der Medic. Aen. VIII, 759)
und Ancitiae (s. die ioscbr. in den flg. A.) haben keinen Werth und die Ver-
wandtschaft mit anguü (ebenso mit An-ger-ona) ist entschieden abzuweisen.
Aber auch die naheliegende Zusammenstellung mit ang-o, ang-ut-tus u. s. w.
(Curtius 6 190) hilft nicht, solange nicht der begriff liehe Zusammenhang klar
wird. Der Bildung nach gleich ist Aec-etia mm Aequ-Üia (vgl. Ritsehl Op.
4, 283 ff.).]
») Or. 1846 [— I. R. N. 7255] Angitiis, Mommsen I. N. n. 5433 Angitiis,
n. 6012 Dis Ancitibus.
3 ) Virg. Aen. VII, 750 ff. and dazü Servius. Vgl. v. Salis Reisen in ver-
schiedenen Provinzen des K. R. Neapel 1, 259 ff., 268, 274. [Der Name einer
am Fucinersee verehrten Gottheit scheint in den noch nicht enträtbselten
Worten der dort gefundenen archaischen marsisch -lateinischen Inschrift (No-
tizie 1877, 328 T. XIII, vgl. Jordan Hermes 15, 5 ff.) zu stecken Cato Can-
tonios — socieque doivovt Atoierp (oder d) attia pro l[egio]m'bus Martses.]
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412
VIERTER ABSCHNITT.
schädlich zu machen von ihr geerbt zu haben 1 ). Man identificirte
sie deshalb bald mit der Circe von Circeji, deren Sohn nun für den
Stammvater der Marser galt, bald mit der griechischen Medea, welche
nach ihrer Flucht von Kolchis bis nach Italien und an den Fuciner
See verschlagen sei: oder man nannte sie eine Schwester von beiden.
Jene Circe von Circeji'), wo sie noch in späteren Zeiten eifrig ver-
ehrt wurde, kann aber ursprünglich auch nichts Anderes gewesen
sein als solch eine der Bona Dea und der Fauna verwandte Heil-
und Zaubergöttin der feuchten Gründe und der Vegetation, in welcher
die cumanischen Griechen ihre Circe wiedererkannten, was sowohl
für die Auffassung und Erklärung der Odyssee und andrer Sagen als
für die Sagengeschichte von Latium und Italien so viele wichtige
3S3 Folgen haben sollte. Eine Spur der einheimischen Bedeutung hat
sich darin erhalten, dafs man sie für identisch mit der Marica von
Minturnae hielt 9 ), welche schon als Gemahlin des Faunus, von dem
sie den Latinus gebiert, gar sehr an Fauna und Bona Dea, so wie
an jene Stammgöttinnen der Sabiner und Marser erinnert, zumal da
auch die Verehrung der Bona Dea in Minturnae bekannt ist 4 ). Der
alte Hain und Tempel der Marica lag an der Mündung des Liris,
welcher Flufs nicht weit von den Marsern und Vestinern entsprang
und sich bei Minturnae ins Meer ergofs, wo jene in der ganzen
Gegend hochverehrte Göttin ihr Heiligthum gleich unter der Stadt
hatte 5 ). Ihre wahre Bedeutung ist auch daran zu erkennen, dafs
die griechische Aphrodite, die Göttin des üppigen Vegetationstriebes,
neben ihr verehrt wurde. Minturnae war einst eine lebhafte und
») Plin. H. N. VII, 15 (— Solio. 2, 27), XXV, 11, Gell. N. A. XVI, 11.
Ueberhaupt waren die Marser und Sabeller d. b. jene kleineren Seitenzweige
sabinischer Abkunft in Ron» als Zauberer, Wahrsager und Quacksalber be-
kannt, s. Horat. Sat. I, 9, 29, Epod. 17, 28, luven. S. III, 169.
») Vir*. Aen. VII, 10 ff., vgl. Cic. FL D. III, 19, 48.
>) Lactant. 1, 21, 23, vgl. Virg. Aen. VII, 45 ff. und Servius zu d. St
nnd zu Aen. XII, 164 Latinus secundum Hesiodum in damSonoua Ulixis et
Circae filius fuit, quam rnulti etiam Maricam dicurä. [Sie kommt auch unter
deu im Hain von Pisaurum von den Frauen verehrten Gottheiten vor C. I. L.
1, 175 dei(va) Marica (Dativ), ist also weder eine Lokalgöttia von Minturnae
noch gar (wie Corssen Auaspr. 1 », 405 will) die Göttin des Sees (nicht der
See) daselbst. Wieder ist die Bildung (vgl. form-lca, ves-ica u. s. w., dera. 2, <
590) klar, die Wurzel nicht]
4 ) Mommsen I. N. n. 4053.
») Strabo V p. 233. 237, Horat Od. III, 17, 7, Lucio. II, 424, Vib. Seq.
v. Liris und Marica u. A.
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PALES.
413
bedeutende Stadt und die Hauptstadt der umliegenden Ortschaften
gewesen. Später war sie ein offener Ort, aber noch immer der
Mittelpunkt eines lebhaften Marktverkehrs und auch wegen jener
alten Heiligthümer viel besucht. Bekanntlich nahm Marius auf der
Flucht vor den Sullanern seine Zuflucht zu dem Haine der Marica,
indem er sich dort, an der Mündung des Liris, im Binsendickicht
zu verbergen suchte, aber von Sullas Reitern doch entdeckt und
hervorgezogen wurde 1 ).
II. Palet.
Italien ist von jeher vorzugsweise das Land der Viehzucht, der
Viehweiden, der wandernden Hirten gewesen. Der innere Gebirgs-
stock mit seinen Schluchten und Wiesen liefert im Sommer die
beste Weide, der Abhang und die Landschaft bis zur Küste an beiden
Seiten in der kühlen und nassen Jahreszeit, und wie im Süden der
Halbinsel und auf Sicilien Theokrit, im Norden Virgil zu ihrer Zeit
die anmuthigsten Genrebilder dieses Hirtenlebens gedichtet haben, so
kann der Reisende in Rom und der römischen Campagne noch jetzt
entsprechende Erscheinungen beobachten 2 ). Ein geordneter Landbau 364
und eine so zahlreiche Ansiedlung, wie sie in Latium und überhaupt
in Italien während der besten Blüthe seiner Bevölkerung Platz ge-
griffen hatte, mochte sich mit diesem wandernden Hirtenleben aller-
dings nicht wohl vertragen. Aber wie es bei dem zunehmenden
Verfall der kleineren Städte und Völker von neuem um sich grhT,
so dafs die Viehzucht selbst von Cato als die lohnendste Art der
Landwirtschaft empfohlen wurde 3 ), so werden wir es uns in der
ältesten Vorzeit, wo jenes politische Leben noch in der Wiege lag,
gleichfalls als ein sehr reges zu denken haben. Und wirklich scheint
grade auf der Stätte, wo später die Weltstadt Rom sich aufbauete,
eben dieses alte latinische Hirtenleben eine der beliebtesten Nieder-
lassungen für den Winter und den nassen Frühling gefunden zu
haben, eine Art von Castrum Inui, wie jener Ort an der Küste von
Ardea noph später hiefs. Wenigstens stimmt darin die oft wieder-
holte Sage der Römer von ihrer ältesten Vorzeit 4 ) merkwürdig überein
*) Vellei. Pat. II, 19, Plut. Mar. 37. 38.
*) Vgl. die eingehenden Schilderungen bei Dionys. I, 37 und Plin. III, 40 f.
und Timäus und Varro bei Gell. XI, 1.
») Cic. de Off. II, 25, 89.
4 ) Varro d. r. r. II, 1, 9 Romanoruin vero populär* a pastoribüs esse ortum
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414
VIERTER ARSCHMTT.
mit den örtlichen Culten des Palatinischen Hügels, auf welchen alle
ältesten Erinnerungen der Stadt zurückwiesen, und selbst der Name
dieses Hügels und seiner ältesten Ansiedlung, das sogenannte Palatium,
der wieder aufs engste mit dem Culte der Hirtengöttin Pales zu-
sammenhängt, will nichts Anderes sagen. Pales war den Alten so-
wohl in der Bedeutung einer männlichen als einer weiblichen Göttin
bekannt 1 ), obwohl nur die letztere bei der volksthüuilichen Palilien-
feier am 21. April berücksichtigt wurde. Aufserdem gab es in den
römischen Religionsalterthümern eine Diva Palatua, die Schutzgöttin
des Palatium, mit einem eignen Hamen PalatuahV), desgleichen ein
beim Septimontium in dem Palatium dargebrachtes Opfer, welches
365 Palatuar hiefs 3 ), welche Wörter alle zu demselben Stamme gehören,
auch die gräcisirenden Namen Pallas, welcher bald der Gro&vater
des Evander, bald sein Sohn genannt wird, und Pallantia seine
Tochter, und Palanto die Frau des Latinus 4 ). Dafs aber vorzüglich
die beiden Namen Palatium und Pales keine blofs örtlich römische,
sondern eine allgemeinere Bedeutung haben, welche auf gewisse
Zustände und die Vorzeit Italiens überhaupt zurückweist, lehrt ihr
Vorkommen in verschiedenen Gegenden Italiens. Pales wurde als
Hirtengöttin nicht allein in Rom und Latium, sondern weit und
breit auf dem Lande gefeiert, u. a. bei den Sallentinern in der
Gegend von Brundisium, wo auch viel Viehzucht getrieben wurde
und wo die pastoricia Pales dem römischen Consul M. Atilius Regulus
im J. 487 d. St. (267 v. Chr.) unter der Bedingung den Sieg ge-
währte, dafs ihr ein Tempel gestiftet werde 5 ). So gab es auch
quis non dicit? quis Faustulum nescit pastorem J'uisse nutricium, qui Romulum
et Remum educarit? non ipsos quoque J'uisse pastores obtinebit, quod Parüibus
potissimum condidere Urbem? etc. Vgl. Tibull. II, 5, 25, Propert. IV, 1 und 4
und die Stellea b. Schwegler R. G. 1, 457.
') Serv. V, Ge. III, 1 Pales — dea est pabuli. Hanc — a/ü, inter quos
Varro^ masculino genere vocant , ut hic Pales. Vgl. Arnob. III, 40 oben
S. 81, 2, Martin. Cap. I, 50, V, 425.
») Varro 1. L VII, 45, Fest. p. 245. [Ueber Palatua vgl. Pott in der Zeit-
schrift f. vgl. Sprachf. 8, 186.]
s ) Fest. p. 348 Septimontio.
«) Varro 1. 1. V, 53, Serv. V. A. VIII, 51, Paul p. 220 Palatium, vgl. Dionys.
I, 32. 33 und Schwegler R. G. 1, 443. Bekanntlich haben die Griechen den
römischen Evander d. i. Faunus als erster Ansiedler und Inhaber des Palatium
zu einem aus der kleinen Bergstadt I'allanteum in Arkadien gebürtigen Griechen
gemacht.
6 ) Flor. Epit. 1, 15 (20), Schol. Veron. V. Ge. III, 1 p. 78 ed. Keil, wo
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PALES.
415
mehr als ein Palaüum, namentlich eins in der Gegend von Reate,
von wo die latinischen Aboriginer nach Latium und in das römische
Palaüum übergesiedelt zu sein behaupteten (Varro 1. 1. V, 53), ferner
einen Ort im Lande der Sabiner oder Umbrer, von welchem sich
Münzen mit der Inschrift Palacinu erhalten haben, mit dem Gepräge
des Vulcanuskopfes auf der einen und der geflügelten Silenusmaske
auf der andern Seite, des letzteren wahrscheinlich mit Beziehung
auf einheimischen Faunusdienst (S. 391). Die vergleichende Sprach-
forschung aber lehrt dafs alle diese Wörter, Pälas, Pales, Pälatua
(vgl. statua, aedituus), Pälatium (vgl. Latium) von einer Wurzel pä,
Tidofiaij pa-sco abzuleiten sind, welche die Bedeutung des Nährens,
Erhaltens und Weidens hat und sowohl im Sanskrit als im Grie-
chischen und in den italischen und andern verwandten Stamm-
sprachen viele Wörter, im Griechischen namentlich auch den Namen
des Gottes IJdv, dem der männliche Pales entspricht, erzeugt hat 1 ).
W T as namentlich das Wort Palaüum betrifft, so scheint es nicht so- sm
wohl einen Weideplatz als eine befestigte Hürde, eine zeitweilige
Hirtenansiedlung zu bedeuten, aus welcher mit der Zeit eine blei-
bende Ansiedlung geworden ist, mögen die Hirten und Heerden dieser
Niederlassung nun die der albanischen Könige gewesen sein, wie die
gangbare Ueberlieferung erzählt, oder mögen sie, wohin die Sage von
Pales Matuta wohl i. q. mana, bona ist. Mouimsen Unterital. Dial. 275 ver-
steht darunter „die Güttin der mit dem ersten Morgenstrahl austreibenden
Hirten". [Doch hat P. die Zeugnisse mißverstanden : Regulus gelobte (nach
gewöhnlicher Sitte) der Pales eiuea Tempel, wenn sie ihm den Sieg verliehe,
und baute iha dauu in Rom: Jordan Eph. epigr. 1, 231.] Ovid nennt die Pales
rustica und silvicola F. IV, 714. 746. Vgl. Schol. Pers. I, 72 Varro sie ait:
Palüia tarn privata quam publica sunt, et est gemts hilarüatis et lusus apud
rusticos etc.
M Die Sauskritwurzel pü bedeutet tueri, susteutare. Das griechische
naofittt hat sich nur im Aor. Inüaä/u >,v und im Perf. ninüfiat erhalten. Daher
niipa, noifit]V (lit. peinu) und der Gott Tläv, im Lat. pa-sco, pa-bu-lum. Ia
andern Formen tritt das 1 hinzu, wie in Paies und pälea d. i. ursprünglich
Viehfutter, Plin. H. N. XVIII, 72, vgl. Sauskr. palajami, ein denominatives Verbum
vom Substantiv pala-s rex, domiuus, vgl. das slav. pä-n Herr und das lydische
nakpvq re*. Grimm D. M. 592 vergleicht mit dem mänulichen Pales den
slavischen Hirtengott, rusa. Volos, böhm. Weles. Den Begriff des Nahrhaften
hebt hervor das Adjectiv alma Pales Ovid F. IV, 722. 723. [Die von P. vor-
getragenen Etymologien gelten zwar, abgesehen von Einzelnheiten (palea),
ziemlich allgemein als sicher (Corssen Ausspr. 1 *, 425 ff. , Curtius Et. 5 270),
sind es aber keinesweges (vgl. Jordan Top. 1, 1, 182). Auch alma hat schwer-
lich den hier behaupteten prägnanten Sinn: oben S. 56, 2.J
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416
VIERTER ABSCHNITT.
den palatinisch'en Aboriginern deutet, in jenen ältesten Zeiten wie es
die Jahreszeit erforderte zwischen diesen Hügeln und den Weiden
von Reale hin- und hergezogen sein. Dieselbe Ansiedelung wird
zugleich die gemeinschaftliche Cultusstätte der in diesen Gegenden
weilenden Hirten gewesen sein, die also hier ihren Mars, ihren
Faunus und Fauna, ihre Pales und andre auf Viehzucht bezügliche
Götter feierten, die letztere als Schutz- und Stiftungsgöttin des Pala-
tium, daher ihr Fest, die Palilien am 21. April, in den Ueberlie-
ferungen der Stadt fort und fort für deren Stiftungstag galt. Nennen
doch noch die Dichter des Augusteischen Zeitalters und spätere,
wenn sie der Pales gedenken, diese mit Beziehung auf jenen Ur-
sprung Roms die ehrwürdige, die urgrofsväterliche, die altersgraue 1 ).
Ueber die Gebräuche dieses Festes der Palilien oder wie man das
Wort in Rom gewöhnlich aussprach der Parilien 2 ) giebt Ovid
F. IV, 721 ff. nähere Auskunft. Ein blutiges Opfer durfte an diesem
Tage nicht gebracht werden, wohl aber räucherte man mit einer
eigentümlichen, von den Vestalischen Jungfrauen bereiteten Mischung
vom geronnenen Blute des Octoberpferdes (S. 366), der Asche eines
kurz vorher, am Tage der Fordicidien verbrannten, noch ungebornen
367 Kalbes und Bohnenstroh, welcher Mischung man eine reinigende
Wirkung zuschrieb, daher Ovid sie februa casta nennt. Auch mufsten
die Schaafe bei der ersten Dämmerung des Morgens lustrirt werden,
zu welchem Zwecke der Schaafstall mit Wasser besprengt und mit
frischen Besen ausgekehrt, darauf inwendig mit frischem Laube, an
der Thür mit Kränzen und Gewinden ausgeschmückt, endlich die
Schaafe selbst mit Schwefeldämpfen gereinigt wurden. Dann wurde
») Virg. Ge. III, 1 magna Pales, 294 veneranda Pales, Stat. Theb. VI, 111
cana Pales, INeme.sius Ecl. I, 68 grandaeva Pales.
*) Es ist die volkstbüinliche Aussprache, wie mau Remures sagte für
Lemures u. dgl. Dals es die gewöhnliche war, sieht man aus dem Sprach-
gebrauch der meisten Schriftsteller, Römer und Griecheu, s. Ovid F. IV, 721,
VI, 257, Plin. H. N. XVIII, 247 sidus Parilicium, Colum. VII, 3, 11, Solin. 1.
Dionys I, 68, Plut. Ro. 12, Athen. VIII p. 361 F., Dio Cass. XLIII, 42, Schol.
Pers. I, 72. Daher die falsche Erklärung der Parilia a partu pecoris oder a
partu lliae, Paul. p. 222, Dionys, Solin. 1. c. [Vielmehr ist nach dem Zeug-
nifs des augusteischen Kalenders (21. April, Par{ilia) der Mall, und jetzt auch
der Cäret. Eph. ep. 3, 7) Parilia nicht allein die gewöhnliche, sondern auch
die allein correcte und wohl sehr alte Schreibung des Namens. Doch ist die
Herleitung Parilia von Pales und die Annahme der Entstehung jenes r nur
durch Dissimilation (Corssen 1, 223) wohl allein zulässig.]
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PALE8. 417
auf dem Heerde von Rosmarin-, Fichten-, Oliven-' und Lorbeer-
zweigen ein Feuer angemacht, wobei es für ein gutes Zeichen galt,
wenn die letzteren im Feuer recht stark knisterten. Dazu brachte
man ein einfaches Opfer, aus Hirse gebackene Kuchen und ein
Körbchen mit Hirse, wie es die ländliche Göttin liebte, endlich ein
Speiseopfer mit Milch, und betete dabei um Segen für das Vieh, den
Stall und die Herrschati, um Verzeihung für allerlei kleine Sünden
z. B. wenn der Hirt seine Heerde auf einen geweihten Platz ge-
lrieben oder wenn er von einem Haine für sie Laub abgeschnitten
oder sich unter einem heiligen Baume niedergelassen hatte u. dgl.,
um Schutz gegen allerlei Seuche und Krankheit und um gute
Weide, gutes Wasser, gefüllte Euter, geile Böcke, fruchtbare Schaaf-
mütter u. s. w. Ein solches Gebet solle der Hirt nach Morgen
gewendet viermal sprechen, darauf ein Gemisch von Milch und
frischem Most trinken und alsbald den Sprung durch die Haufen
brennenden Strohs thun, von welchem bei diesem Feste immer am
meisten die Hede ist. Aus andern Beschreibungen sieht man, dafs
es dabei recht lustig zuging, indem vor und nach dem Sprunge von
den versammelten Hirten viel getrunken und gesungen wurde 1 ), aus
Ovid selbst im weiteren Verlaufe seiner Erörterung, dafs das Feuer
dazu künstlich angeschlagen wurde und dafs nicht allein die Hirten,
sondern auch die Heerden durch das brennende Stroh sprangen.
Die religiöse Bedeutung des Gebrauchs ist deutlich genug die einer
Reinigung durch das Feuer, wie sich denn derselbe reinigende Sprung
oder Gang durch das Feuer in sehr verschiedenen Gegenden als eine
alte und allgemeine Sitte des Heidenthums nachweisen läfst 2 ). Die
gewöhnliche Jahreszeit dieser Reinigung ist bekanntlich die Mitte des
Sommers und der Sonnenwende, wo noch jetzt in vielen Gegenden
von Deutschland Feuer auf den Bergen angezündet wird und ehe- »68
mals auch das Springen durch das Feuer selbst in den Städten auf
öffentlichen Plätzen herkömmlich war, in welchem Sinne, das lehrt
am besten derselbe Gebrauch in Griechenland, wo die Weiber mit
dem Rufe „Ich lasse meine Sünden" durch das Feuer springen.
') S. Dionys. I, 88, wo Romaiiis als Gründer der Stadt den Gebrauch ein-
setzt, Tibull. II, 5, 87 ff., Prop. IV, 4, 75 ff., Pers. I, 71 mit den Scholien,
Probus z. Virg. Ge. III, 1. Vgl. Ovid F. IV, 795 und 805. [Auch außerhalb
Rom wird der Tag festlich bcgangeo: fer{iae) coronatü om(nibus) der S. 416, 2
a. Kalender von Gäre.]
l ) Grimm D. M. 581 ff.
Prell er, Rom. Mjthol. I. 3. Aufl. 27
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418 VIERTER ABSCHNITT.
Doch gab es in Deutschland neben dem Johannisfeuer auch ein
Osterfeuer, welches vorzüglich im nördlichen Deutschland verbreitet
war und in alter Zeit wahrscheinlich der heidnischen Licht- und
Fröhlingsgöttin Ostara galt, jedenfalls aber dem Eintritt des Früh-
lings entspricht und in dieser Hinsicht dem Feuer der römischen
Palilien nahe verwandt ist. Denn offenbar sind auch diese zugleich
Frühlings- und Reinigungsfest, wie die Lupercalien im Februar, die
Feier des Mars im März und auch wohl die Feier des Vejovis an
den Nonen desselben Monats und die des Apollo Soranus mit der
entsprechenden Sitte eines reinigenden Ganges durch das Feuer
(S. 269), indem man an allen diesen Festen zugleich den Winter
und allen Schmutz des vergangenen Jahres abthat und sich zu dem
neuen Jahre wie zu einer neuen Zukunft reinigte. Auch in dieser
Hinsicht ist dieses Fest als Stiftungsfest von Rom von religiöser
Bedeutung. Die stadtische Feier wird sich übrigens von der länd-
lichen nicht allein durch bestimmte Hinweisung auf Romulus und
die Gründungsgeschichte, sondern auch durch andre Ausstattung
unterschieden haben, wie man sie z. B. zur Zeit Casars mit Pferde-
rennen feierte 1 ). Noch später, zur Zeit Hadrians, wurde das Fest
mit dem der Dea Roma verschmolzen und als Geburtstag derselben
mit lärmender Musik und entsprechenden Gesängen, so wie mit
circensischen Spielen begangen.
12. Huminus und Rumina.
Gleichfalls am Palatinischen Hügel und zwar in nächster Nähe
der Faunushöhle des Lupercal, da wo der durch die römischen
Zwillinge so berühmt gewordene Feigenbaum stand, wurde noch ein
andres Paar von Hirtengöttern verehrt, Jupiter Ruminus und die
869 Diva Rumina 2 ), von welchen jener Feigenbaum den Namen des
Ruminalischen bekommen hatte; ja es verdanken ihnen vielleicht
selbst Romulus und Rom und die Römer ihre Namen. lupiter
») Dio XLIII, 42, vgl. Athen. VIII p. 361 F. Aas dieser Identification der
Pales mit der Dea Roma oder der Tyche der Stadt im griechischen Geschmack
erklärt es sich, dals nach Serv. V. Ge. III, 1 Einige die Pales für die Vesta,
Andre fdr die Mater Deum erklärten.
*) Aagnstin C. D. VII, 11 s. oben S. 194, 4. Andre wissen nur von der
Rumina, welche von Seneca b. Augustin VI, 10 sogar zu den vidois d. b. zu
den unvermählten Göttinnen gerechnet wird.
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RUMINUS UNO RUMINA.
419
Ruminus ist in dieser Zusammenstellung höchst wahrscheinlich als
Divus Pater Ruminus zu erklären, neben welchem also Rumina als
Diva Mater angerufen wurde [vgl. oben S. 50. 56 f. 195]; beide aber
hiefsen nach den übereinstimmenden Zeugnissen vieler Schriftsteller
a ruma, welches Wort in der Bedeutung der säugenden Brust bei
den Hirten und Bauern im Gebrauche blieb. Die Hirten opferten
dieser Göttin; wie Varro sagt 1 ) mit Milch für das junge noch säu-
gende Vieh; dahingegen Andre ebenso natürlich an das Bild der
säugenden Wölfin mit den Zwillingen dachten, welche unter dem
lluminalischen Feigenbaum stand und höchst wahrscheinlich ein altes
Sinnbild derselben nährenden Muttergöttin Rumina war, die von der
Fauna Luperca (S. 387, 3) nur durch ihren Namen verschieden
gewesen sein kann. Auch der Feigenbaum mit seinen vielen, süfsen,
saamenreichen und nährenden Früchten war ein natürliches Bild
dieser gütigen Göttin, daher derselbe Baum in Griechenland der
Demeter und dem Dionysos heilig war.
Anhang.
Die Sühnungen und Weihungen im Dienste des Mars and der
verwandten Götter.
Noch mögen hier verschiedne Arten von Sühnopfern und
Weihungen der Flur, der Stadt, der Bürgerschaft zur Sprache
kommen, wie sie im Culte des Mars, des Faunus Lupercus, der
Bona Dea, der Pales herkömmlich waren, die sich auch dadurch s:o
als zusammengehörige Gruppe zu erkennen geben, neben ihnen aber
auch in dem der Ceres, des Liber Pater und andrer Götter des
') Varro d. r. r. II, II, 5 Non negarim ideo apud Divae Rttnrinae saceüum
a pastoribus saiam ficum. Ibi enim tolent sacrißcari lacfe pro vino et pro
tactentibus. Mammae enim rumes sive rumae, ut ante dierbant, a rumi, et
inde dicuntur sitbrumi agni. Vgl. Varro b. Non. Marc. p. 167 oben S. 59 and
Paul. p. 271 Ruminalis dicta est ficus, qttod sub ea arbore lupa mammam de-
derat Remo et Romulo. Mamma autem rvmit dicütir, unde et rustiei appet-
lant hoedot subrumos, qui adhuc sub mainmix habentvr. Pltn. H. N. XV, 77
(oben S. 110, 1]. Andre leiteten den Namen flrus Ruminalis ab von rumen
d. i. der wiederkäuende Schlund und ruminari d. i. Wiederkäuen, s. Pest. p. 270,
Plut. Rom. 4, welcher von der Dha Humina hinzusetzt: xttl dtov nvn rrje
fxTQcyijs rwv vqnftov inifAiltia&ai öoxoCoav dvopdCoiat 'PovfuiMav xttl
&vovoiv avry vntfälia xal yala roTf UooTf in ion(v&ov<Jiv. [Vgl. über Ru-
mina Corssen Beitrage zur lat. Formenlehre 429; über den Heus ruminalis
Kuba Herabkunft des Feuers ISO.]
27*
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420
VIERTER ABSCHNITT.
ländlichen Segens. Der allgemeine Ausdruck für diese Gebräuche
war lustrare 1 ), welches sich von den sinnverwandten Wörtern
februare, purgare, expiare dadurch unterscheidet, dafs es den Begriff
eines sühnenden Umgangs mit den Opferthieren oder sonst einein
Sülmimgsmittel um den zu reinigenden Gegenstand, ein Grundstück,
eine Stadt, eine Person oder eine gröfsere Anzahl von Personen in
sich schliefst: wie die Luperci nach jenem Opfer im Lupercal zuerst
um die Palatinische Altstadt und dann durch die übrige Stadt liefen.
Daher die Benennung der Ambarvalia und des Amburhium,
das sind weihende Umgänge mit Opferthieren, welche nachher unter
Gebet und Weihung geschlachtet wurden, um die Felder und um
die Stadt 2 ), die dadurch der magischen Kraft des Opfers und der
Weihe des Gebetes theilhaftig gemacht wurden. Die Opferlhiere
waren bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich die sogenannten Suove-
taurilien oder, wie man vor Alters gewöhnlich sagte, Solilaurilieii,
das speciell im Culte des Mars herkömmliche Opfer 3 ), wie sich
denn alle diese Sühnungen und Reinigungen vorzüglich im Culte
des Mars entwickelt zu haben scheinen. Suovetaurilien hiefs dieses
Opfer, weil es hergebrachlerinafseii aus einem männlichen Schwein,
einem Schaafhock und einem Stier bestand, die dabei die drei wich-
tigsten Arten der durch ganz Italien unter den Schutz des Mars
l ) [Ueber die Bildung von lu-s-tr-um (wovon lustr-are) von lu-o vgl. Curtius
Et. s 368 f. Vgl. auch haustrum Jordan Krit. Bcitr. 71.]
*) Virg. Ecl. V, 75 cum lustrabimus agros. Dazu Servius: lustrare
hic circuire t dicitur enim am barvale sacrificium. Daher ambarvalis
hostia, quae rei divinae causa circum arva ducitur ab his qui pro frugibus
faciunt, nach Pomp. Festus bei Macrob. III, 5,7, daher bei Paul. p. 5 zu
schreiben ist: Ambarval&s hostiae dicebantur quae pro arvis alque frugibus
(für a duobus fratribus) sacrißcantur. Die Forin ist zu erklären wie amter-
mini qui circa terminos provinciales manent, amiciri u. dgl. Paul. p. 17. Der
Sache nach vgl. das feierliche (Jmtragen und Umführen der Götterbilder bei
Grimm D. M. 1202. [Vielmehr ist mit Mommsen Chroo. 1 TU bei Paulus zu
schreiben pro arvis a XII fratribus und die Identität der Ambarvalien — als
eines von den Arvalbrüdero im Mai ursprünglich um das Stadtgebiet aus-
geführten Opferumgangs, von welchem später aus leicht begreiflichen Gründen
nur das Opfer im Hain der Dea Dia übrig blieb — mit dem Amburbiura (unten
S. 372) festzuhalten, wie es schon Murin i gethan hatte. S. Jordan Top. 2,
236. 1, 1, 269 f. und besonders Krit. Beitr. 200 ff.]
8 ) Cato d. r. r. 141, Liv. VIII, 10, Fest. p. 180 Opima Spolia. Namentlich
durften dem Jupiter eigentlich keine Suovetaurilien geopfert werden, a. Macrob.
S. III, 10, 3, Serv. V. A. IX, 627.
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SUOVETAURILIA. AMBARVALIA.
421
gestellten Viehzucht vertraten, Solilaurilien, weil diese drei Slücke
und Repräsentanten des Heerdenreichthums völlig ausgewachsen und
durchaus uuheschädigt sein muteten 1 ). Für weihliche Gottheiten s.i
nahm man Thiere weihlichen Geschlechts, hei andern Gelegenheiten
Thier« zarten Alters, sogenannte Suovetaurilia minora oder laclentia 2 ).
Dem Blute des Schweines und des Lammes wurde eine sühnende
Kratl heigemessen; der Stier scheint mehr als honorarius d. Ii. als
das edelste Stück und der Führer seiner Heerde hinzugefügt worden
zu sein 3 ). Immer wurden diese Thiere oder statt ihrer im Kind-
lichen Privatgottesdienste das einzelne üpferlhier dreimal um den
Acker, die Stadt u. s. w. herumgeführt 4 ) und darauf hei dem Opfer
seihst ein feierliches Gehet in alter und herkömmlicher Formel ge-
sprochen 6 ), welcher man wie immer eine hesondre Kraft zuschrieb.
') Quintil. 1, 5, 67 mit der Note von Spalding uud Fest. p. 293 Solitau-
i Uta — quia tollum Osce int am et solid um significat [solois = omnibut (?)
auf eioer päligniscbcn Inschrift Notizie 1879, 224, Bücheler Rh. Mos. 1880, 73]
so dafs also a potiori blos der Stier genannt worden wäre. Vgl. Charts. 1
p. 84 P. [109 K. Die Alten hielten solitaurilia (so die Urk. b. Festus 1S9 u. a.)
und suovetaurilia (so die Arvalacten, auch maiora uud minora, Henzcn Acta
143) für dasselbe, ein Schwein-Schaf-Stier-Opfer bezeichnende Wort. Dies ist
uomöglich. Aber der Versach Corsaeos solüaurilia als Opfer von unverschnit-
tenen Thieren (tauri Hoden!) zu erklären (Krit. Beitr. 317) ist schwerlich
berechtigt; andererseits fragt es sich ob die Bildung des angeblichen su-oue-
taur-ilia nicht gegen das lateinische Compositionsgesetz verstöfst: s. Jordan
Krit. Beitr. 104. Der ganze neuerdings vernachlässigte Gegenstaad bedarf
noch der Aufklärung, im Zusammenhang mit den oben S. 214, 1 berührten
Fragen. — Lieber das Opfer von Schwein, Schaf, Stier und einige der vielen
dasselbe darstellenden Kunstwerke s. Henzen Bull, dell' inst. 1872, 277].
») Serv. V. A. XII, 170, Mai ini Atti Arv. p. 364 [Henzen a. 0.]
») Marini Atti p. 216. 310. Namentlich war das Schwein bei Griechen
und Römern das allgemeine Sühnungsopfer, bei den Römern auch für die Laren,
s. Horat. Sat. II, 3, 164, Prop. V, 1 , 23 intpp., Cato d. r. r. 139. Waren
junge Schweine nöthig, so mofsten sie wenigstens zwei Monate alt sein, weil
sie erst dann zu säugen aufhören und ad sacrificium pari sind, Varro r. r. II,
1, 20. Als solche hiefsen sie sacres, s. Plaut. Rod. IV, 6, 4, Menaechm. II,
2, 15, Fest. p. 318. Dasselbe bedeuten die porcae oder porciliae piaculares
der Arvalischen Urkunden, s. Marini p. 307. 597.
4 ) Virg. Ge. I, 345 terque novas eircum feUx eat hostia frugum. Vgl«
Dionys. IV, 22 von den Snovetaurilien beim Lustrum und Servius V. A. VI,
229. Dasselbe ward bei dem süboenden Umzüge um Iguvium beobachtet, s.
Aufrecht und Kircbhoff Umbr. Sprachdenkm. 2 S. 272.
•) Fest. p. 161 Marspedis oben S. 335, 1 und p. 210 (Sched. Laeti)
Pesestas inter alia quae f si inter precationem dicuntur cum fundus lustra-
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422
VIERTER ABSCHNITT.
Am häufigsten erwähnt werden die ländlichen Ainbarvalien, wie sie
bei verschiedenen Gelegenheiten dargebracht wurden, besonders in
der Zeit wenn die Felder in der Blüthe standen und der Erndle
allmählich entgegenreiften, in welcher Zeit die Gefahren der Witterung
und andrer Schaden am meisten zu befürchten sind l ). Eine genaue
372 Anweisung wie bei einer solchen Weihe zu verfahren ist giebt Cato
r. r. 141, wo Mars noch der eigentliche Schutzgott des Ackers und
alles ländlichen Besitzes und Segens ist, s. oben S. 340 3 ). Später
wurden statt seiner gewöhnlich Ceres und Bacchus angerufen, wäh-
rend die Sitte des Umgangs dieselbe blieb, s. die Schilderungen
solcher ländlicher Festlichkeiten bei Virgil Georg. I, 345 und Tibull
II, 1. Alles pflegte an solchen Tagen von der Arbeit zu ruhn und
sich rein und heilig zu halten, Menschen und Vieh, der Herr und
die Knechte und Mägde. Während das Opferthier um die Felder
geführt wurde, folgte die Schaar der Arbeiter in festlicher Kleidung
und mit Oelzweigen in der Hand, zu den Schutzgöttern des Gutes
betend für die Saat, den Viehstand, den Landmann und den jungen
Nachwuchs der Sklaven, wie um Abwehr alles Schadens. Nicht weniger
verbreitet scheint aber auch der verwandte Gebrauch des Amburbium
d. h. der Stadtweihe gewesen zu sein, wo entweder regelmäfsig oder
auf ausserordentliche Veranlassung die sühnenden Opferthiere um
die Grenzen der Stadt oder eines Theiles derselben oder um die
Stadtflur geführt und dazu gleichfalls um Schutz und Segen gebetet
tur sig/iißcare videtur pestileidiam , ut inküigi ex ceteris polest {possunl die
Abschr.] quom dicitur: Averlas morbum, mortem, labern, nebulam,
impetigenem.
») Virg. Ge. 1, 338 ff. lnprimis venerare deos atque annua magnae sacra
refer Cereri laetis operatus in herbis (wenn die Saat blüht) extremae sub
casum hiemis, iam vere sereno. Vgl. das Kai. Farnes, rust. im Mai: Segetes
lustraotur und Marini Atti p. 137 sq. Auch das feriale von Capua (S. 163)
schreibt Tür den 1. Mai eine lustratio ad flumeu d. h. am Volturnus und zwar
bei Casilinum vor, offenbar eine lustratio segetum. Die zweite, in demselben
feriale für den 25. Juli und zwar ad iter Dianae (d. h. Tifatinae) vorgeschrie-
bene lustratio ad Humen scheint der porca praecidanea beim Beginn der Erndtc
zu entsprechen.
*J [Die von Jordan Hermes 7, 193 ff. erläuterte Inschrift von Doblino am
Gardasee C. 1. L. 5, 5005, wo ein Gutsverwalter Fatt's Fata[bus) — tegurium
— fecit el in tutela eins HS. n. CC conlustrio Jundi Vettiani dedit bat w ohl
mit dem alten jährlichen lustrare f und um nichts zu thun, wenn auch con-
lustrium fundi sprachlich, wie dort nachgewiesen ist, nur lustratio fundi
heifsen kann.]
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AMBURBIUM. LUSTRL'M.
423
wurde 1 ). Ein solches Opfer war dasjenige, auf welches sich die
S. 43 erwähnten Urkunden von Iguvium bezielm; wenigstens wird
in denselben, soweit die Deutung bis jetzt gelungen ist, ein Umgang
um die Burg (ocris) oder Altstadt beschrieben, bei welchem die
Opferthiere um die Grenzen derselben geführt werden, um sodann
an drei verschiedenen Punkten den Göttern, unter welchen Jupiter
und Mars besonders hervortreten, geopfert zu werden, mit Gebeten
welche auch hier um Abwendung aller Landplagen und um Heil
und Segen für Stadt und Volk flehen. In Rom ward die Palatinische
Altstadt bei den Luperealien insbesondre lustrirt; dahingegen sich
eine Stelle bei Strabo V p. 230, wo von Opfern der Pontifices die
Rede ist, welche au einem bestimmten Tage an verschiedenen
Punkten der alten Stadtgrenze dargebracht wurden, entweder auf
ein Amburbium der Stadtflur oder auf Ambarvaüa publica bezieht 8 ).
Aufserdem werden solche Sühnungen der Stadt wiederholt bei aufser- 373
ordentlichen Gelegenheiten erwähnt, wo es den Zorn der Götter zu
beschwören galt 5 ), u. a. bei Lucan 1, 592 fF., wo beim Ausbruch
des Kriegs zwischen Pompejus nnd Cäsar ein Amburbium um die
Grenzen der Stadt beschlossen wird, an welchem sämmtliche Priester-
schaflen des öffentlichen Gottesdienstes theilnehmen, die Pontifices
unter der Anführung des Pontifex Maximus und in ihrem Gefolge
die PontiGces minores, die Togen cinetu Gabino aufgegürtet, die
VestaUschen Jungfrauen unter der der Virgo maxima, die XV viri
sacris faciundis und die phrygischen Galli, die Augurn, die VII viri
*) Paul. p. 5 Jmburbiales hostiae appellaba/itur quae circum terminos urbis
Romae ducebantur. Serv. V. Ecl. III, 77 dicitur autem hoc sacrißeium ambar-
vale, quod arva ambiat victima, sicut amburbiak vd amburbium dicitur sacri-
ßeium quod urbem cireuit et ambit victima.
*) Es ist von einein Orte Festi zwischen dem 5. und 6. Meilenstein die
Rede, wo ehemals die Grenze gewesen sei, oX ttqofivriuovH dvot'av int-
rtlovaiv ttrav&a re xul iv iilloig lonoig itXrfoOiV tos 6o(oig av97j l utQov (an
einem und demselben Tage), j}r xctkovoiv !AnßaQov(«v, wofür entweder
ßovgßiov zn schreiben ist oder IffißitQovalia. [Der Ort ist identisch mit dem
am 6. Meilenstein gelegenen Hain der Dea Dia, sei es nun dai's , Festi' ein
sonst verschollener Pogus-Naiue ist, sei es dafs doch (s. Jordan Top. 2, 236)
ein Mirsverständnifs des lateinischen festus seitens Strabos vorliegt.]
3 ) Liv. XXI, 62, XXXV, 9, XLII, 20, lul. Obseq. 13. 36. 44. 63. Bei
Lucan I, 592 f. heifst es: Mox iubet (ein etruskischer Aruspex) et tot am pavidis
a civibus Urbem ambiri et festo purgantes moenia lustro longa per exlremos
pomeria cingere fines.
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424
VIERTER ABSCHNITT.
Epulones, die Sodales Titii und die Salier, endlich die Flamines.
Noch zur Zeit des Aurelian ist hei drohender Gefahr von ähnlichen
Sühnungen der Stadt und der Stadlflur die Rede 1 ). Endlich gehört
auch die sühnende Weihe der gesammten Bürgerschaft hieher, wie
sie nach dem Staatsgrundgesetze des Servius Tullius alle vier Jahre
zuerst von den Königen, dann von den Consuln, seit dem J. 311
d. St. von den Censoren zum Beschlüsse des gesammten Werkes der
Schätzung in dem Marsfelde, wahrscheinlich bei jenem alten Altare
des Mars (S. 353), mit religiösen Feierlichkeiten vorgenommen wurde.
Auch hier wurden zuerst die gewöhnlichen Solitaurilien des Mars
dreimal um die im Schmuck der Waffen versammelte und als
Bürgerwehr (exercitus) in Rotten aufgestellte Bürgerschaft herum-
geführt, daher die ganze Feier auch ambilustrum genannt wurde 8 ).
Darauf erfolgte an jenem Altare das feierliche Opfer, wobei der prä-
sidirende Magistrat, von den beiden Censoren immer derjenige den
das Loos dazu bestimmt hatte, in einer herkömmlichen, von einem
Staatssecretär aus der Urkunde vorgelesenen Gebetsformel die Götter
374 um Erstarkung und Mehrung der Macht des römischen Volkes an-
flehte, eine Formel welche seit Scipio d. J. dahin verändert sein soll,
dafs man nicht mehr um die Mehrung, sondern nur noch um die
Erhaltung dieser Macht betete. Auch Colonieen und Heere wurden
auf gleiche Weise lustrirt, desgleichen der Capitolinische Tempelplatz
beim Neubau des Vespasian; und zwar sah man wie bei allen reli-
giösen Handlungen immer darauf dafs Alles unter den glücklichsten
Zeichen vor sich gehe 3 ). Selbst bei den Reinigungen von Kranken,
namentlich Geisteskranken, denen von Heerden Viehs, endlich der
bei einem Leichenbegängnisse Versammelten und andern Anlassen
*) Flav. Vopisc. Aurel. 20 last rata Urbs, cantata carmina, amburbium
celebratum, ambarvalia promissa. Vgl. Hieronym. ad Vital, ep. 132 Invenietnus
lustralibus hostiis — portentuosas soboles tarn in hominibus quam in armeniis
ac pecudibus expiatas.
>) Liv. I, 44, Varro r. r. D, 1, 10, Valer. Max. IV, 1, 10, wo Kerapf mit
Recht hergestellt hat in solüaurili sacrificio, Pseudo-Ascon. Cic. Divin. III, 8
p. 103 Or. [wo nach Kielsling und Schöll Asc. p. 87 die Hss., wie die Prin-
ceps, solitaurelia haben], Dionys. IV, 22, vgl. Becker Handb. II, 2, 243.
[Mommseo Staatsr. 2 406 A. 3. Doch ist das Wort ambilustrum der Sache
nach, noch mehr der Bildung nach, sehr bedenklich und durch Serv. V. Aen.
!, 283 schlecht verbürgt; Spengels Conjectur bei Varro V, 153 unsicher.]
Auch der Pontifex war bei dem Opfer beschäftigt, s. Serv. V. A. VIII, 183.
») Cic. de Divin. I, 45, vgl. Cato r. r. 141 und Tacit. Hist. IV, 53.
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AMBUIIBIUM. LUSTRUM.
425
der Art wiederholen sich im Wesentlichen dieselben Gebräuche, nur
dafs das Mittel der Reinigung ein verschiedenes war und eben des-
halb auch die Ceremonie sich änderte 1 ).
>) Virgil Aen. VI, 229 ff. voo der Reinigung am Schlosse eines Leichen-
begängnisses, Plaut. Amphitr. II, 2, 144 und Serv. V. A. VI, 229 von der vou
Geisteskranken mit einer Fackel oder mit Schwefel, einer Art von Exorcismus,
vgl. Tibull. I, 2, 61. 5, 11, Ovid Met. VII, 261. [Plin. H. N. VIII, 161 nenut
es eio auguriutn . . . excutso auriga, ut st staret, equos cucurrisse in Capito-
littm et aedern ter lustrasie.)
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FÜKFTER ABSCHNITT.
Venus und verwandte Götter.
376 Sehr verbreitet war der Dienst einer Göttin der Blumen, des
Frülüings, der Lust und des irdischen Reizes mit Inbegriff seiner
Vergänglichkeit, welche an Quellen, in Hainen und Gärten und in
den Monaten April und Mai gefeiert wurde, auch als Göttin des weib-
lichen Reizes und der Liebe, endlich der bürgerlichen Verbündung
und Eintracht, wodurch sie zugleich einen ethischen und politischen
Characler annimmt. Da sie der griechischen Aphrodite, zum Theil
auch der Persephone nahe verwandt war, so war es sehr natürlich
dafs sich ihr Bild mit jenen vermischte. Doch darf das ursprüng-
liche Wesen dieser Gottheit für italisch genommen werden, so gut
die ihr in manchen Stücken verwandte Freyja eine germanische und
scandinavische Göttin ist. Unter den verschiedenen Formen, in
welchen sie vorkommt, nennen wir zuerst
I. Ferotria,
welche Göttin vorzüglich bei den Sabinern, Umbrern und Etruskern,
aber auch bei den Latinern und Volskern verehrt wurde 1 ). Eine
sabinische Göttin nennt sie Varro 1. 1. V, 74 und so erscheint sie
namentlich in der Tradition von dem Kriege des Tullus Hostilius
») [Vgl. besonders Borghesi Dec. 13, 5 — Oeuvres 2, 106 ff. und Lanciani
Bull, dell' inst. 1870, 26 ff., der jedoch Momrasen's von diesem selbst langst
zurückgenommene Identificirung der Namen Feronia mit Vetuna wiederholt
(über diese unten u. 5). Fer-ön-ia, wie die Eigennamen Petr-ön-ius u. a.,
Weiterbildung von fer-ön-us f vgl. patr-onus, matr-ona. Die Wurzel nicht
sicher ermittelt: von dhrisssdhar, die ,Erhalterin' Aufrecht u. Kirchhoff U*
S. D. 1, 102.]
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FERONIA.
427
mit den Sabinern bei Liv. I, 30 und Dionys. III, 32, wo römische
Bürger, die zur Messe der sabinischen Feronia gereist waren, fest-
gehalten werden, worüber es zwischen den Römern und Sabinern
zum Kriege kommt. Dionys setzt hinzu, dieses Heiligthum der 376
Feronia habe sowohl bei den Latinern als bei den Sabinern in
grofsem Ansehn gestanden, auch dafs die Griechen den Namen dieser
Göttin bald durch die Blumengöttin oder Kranzliebende C^y&fjif OQO?,
ftiXoaziyavoc) bald durch den der Persephone zu übersetzen pflegten,
welche Göttin bekanntlich zugleich Frühlings- und Todesgöttin war,
so dafs schon dadurch ihre nahe Verwandtschaft mit der Flora, der
Libera, der Venus deutlich angegeben ist. Bei dem jährlichen Feste
sei dort eine Menge Volks zusammengekommen, entweder um zu
beten und zu opfern oder in Marktgeschäften, Kaufleute, Handwerker
und Bauern, wie diese Messe denn zu den besuchtesten und leb-
haftesten in ganz Italien gehörte. Fabretti hat durch die vortreff-
liche Untersuchung Iuscr. Antiq. p. 451 sq. nachgewiesen dafs dieses
alte und berühmte Heiligthum bei Trebula Mutuesca, einem auch
durch seinen T. des Mars 1 ) und andre Gottesdienste bekannten Orte
lag, wo er selbst mehrere auf den Cult der Feronia bezügliche In-
schriften gefunden hat [C. I. L. 1, 1307—1309] und von wo wahr-
scheinlich auch die beiden römischen Familien Petronia und Plae-
toria stammten, die den Kopf der Feronia auf ihre Münzen gesetzt
und uns dadurch ein Bild von dieser Göttin erhallen haben. Es ist
das einer jugendlich blühenden Göttin, deren Haar mit Blumen ge-
schmückt ist, was zu jenen Umschreibungen der Griechen vortrefflich
pafst 8 ). Aufserdem läfst sich der Cult dieser Göttin durch Inschriften
auch in der allen sabinischen Metropole Amiternum, zu Aveja bei
den Vestiuem, in dem Orte Septempeda bei den Picentern und zu
Pisaurum in Umbrien nachweisen, so dafs er also bei der indigenen
Bevölkerung des mittleren Italiens sehr verbreitet gewesen sein mufs.
[Auch in Rom hatte sie einen Festtag, den 14. November, und dem-
nach auch eine Kultusstätte 3 ]. Auch der picus Feronius, welcher
l ) Iul. Obseq. 43. Vermuthlich stammte «ach der Cult der römischen
Noveosides von dort, s. obeo S. 102, 3.
*) [Cohen Cons. T. XXX f. Petroo. 1. 4. 6. 9 mit der Beischrift Fero{nia),
vgl. Borghesi a. 0. — Die Deutung des weiblichen Kopfes auf der Münte des
Plätorius Cestiaous Cohen T. XXXII Pitt. 1, an die P. wohl dachte, ist un-
sicher. Vgl. Moinmsen Miinzw. S. 623 A. 454.]
»j Mommseo I. N. n. 5753 [= C. I. L. 1, 1291]. 5983, Henzen z. Or. n. 6000,
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428
FÜNFTER ABSCHNITT.
neben dem picus Martius als ein für die auguralen Beobachtungen
sehr wichtiger Vogel genannt wird (Fest. p. 197), hatte jeneu Bei-
namen docli gewifs von der Feronia. Bei den Etruskern war das
Heiligthum der Feronia am Fufse des Berges Soracte, der lucus
Feroniae, woraus später ein eigner Ort geworden war (ursprünglich
hatte es zum Gebiete der Stadt Capena gehört 1 ), nicht weniger be-
rühmt und besucht als jenes sa bin i sehe bei Trebula Mutuesca. Alles
Volk der Umgegend war gewöhnt die Erstlinge der Feldfrucht und
s?7 viele Weihgeschenke dahin zu tragen, so dafs sich im Laufe der
Jahre eine Menge Gold und Silber in dem Tempelschatze gesammelt
hatte, welcher den Soldaten des Hannibal bei seinem Rückzüge von
Rom zur Beute wurde 8 ). Feronia wurde hier neben dem soge-
nannten Apollo Soranus verehrt und zwar fiel das beiden gemein-
schaftliche Fest vermulhlich in den Frühling (S. 269); auch war sie
hier wie an andern Orten eine Schulzgöttin der Freigelassenen, also
eine Libera, daher auch die Libertinen in Rom ihre (iahen in dieses
Heiligthum als das zunächst gelegene trugen 3 ). Einen andern lucus
Feroniae genannten Ort, welcher später Petra Sancta hiefs, gab es
im Innern von Etrurien 4 ). Ferner mufs unter den Latinern Prae-
neste dieselbe Göttin seit alter Zeit verehrt haben, da sie nach dor-
tiger Sage für die Mutter des Herilus galt, den Evander d. i. Faunus
Malfei Mus. Veron p. 471, 1. [= C. I. L. 1, 169. Aurser in Terracina
und Präneste (s. flg. S. A. 1. 2) finden sich auch in dem so manches Alte
bewahrenden Aquileja Sporen ihres Kults (C. L L. 5, 776. 8218 und die
Widmung der Ferottienses aqualores 8307. 8308). — Rom: Arvalkaleuder
14. Nov. Feroniae in [C\ampo, die einzige Notiz. Das frühe Erlöschen des
Kultus in Rom ersieht mau auch aus dem fast völligen Fehlen von Steinen
(nur 6, 146. 147?); über die Grenzen Italiens scheint er nicht hinausgedrungen
zu sein].
l ) [Ueberreste des Heiligthums glaubt Lanriani (a. 0. S. 30 f.) auf dem
Hügel S. Antimo bei JNazzano gefunden zu haben: es sei ein Kundtempel
(vgl. Bona Dea, Tellus) von gegen 20 m Durchmesser gewesen.]
») Liv. XXVI, 11, Sil. Ital. Pun. XIII, 84 ff., vgl. Strabo V p. 226, Plin.
H. N. III, 5, 8, A. W. Zumpt Commentat. epigr. Berol. 1850 p. 347. Cäsar und
August hatten ihre Veteranen n. a. in diesem Orte untergebracht.
8 ) Liv. XXH, 1, 18 f., 14, vgl. XXVII, 4.
4 ) S. die Urkunde bei Grut. p. 220, deren Aechtheit Holsten gegen Cluver
dargethan hat, und Ptolem. Geogr. III, 1. [P. wies im Text noch auf den
Kult in Verona und Florenz hin: allein von den bezüglichen Inscbr. gehört
die eine (Or. 1317 = C. I. L. 5, 776) nach Aquileja, die andere (Or. 131b =
C. 1. L. 6, 147) wahrscheinlich nach Rom.]
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429
als streitbarer Held erlegte 1 ). Endlich gab es an der Küste der
Yolsker, in der Nähe von Tarracina, ein oft genanntes und durch
alte Sagen berühmtes Heiligthum der Feronia in der Umgebung eines
anmulhigen Hains und einer Quelle, welche aus Horaz Sat. I, 5, 24
bekannt ist'). Auch hier wurden Feronia und lupiter Anxur, welcher
dem Apollo Soranus entspricht (S. 267), als Paar gedacht, Feronia
als segnende Frühlings- und Quellengöttin des Thals und Jupiter
als Gott der Höhe und der Sonne, s. Virgil. Aen. VII, 799, zu
welcher Stelle Servius eine Legende erzählt, welche sie als wohl-
thätige und fruchtbare Göttin des Hains charakterisirt. Noch be-
merkt Servius, dafs Feronia in dieser Gegend als Iuno Virgo neben
jenem Jupiter verehrt worden sei, und wirklich lassen sich verschie-
dene Inschriften nachweisen, welche einer Iuno Feronia gedenken 8 ),
während jenes Wort Virgo vermuthlich in demselben Sinne ver- 37*
standen werden mute wie sonst von Divae Virgines die Rede ist
(S. 100), also von einer Göttin der Vegetation und der Quellen. In
einem andern Zusammenhange endlich berichtet derselbe Servius
(zu Aen. VIII, 564), dafs diese Nymphe Campaniens, so nennt er
sie als Quellen göttin der Campagne, gleichsam eine Göttin der Frei-
gelassenen war, denen in ihrem Tempel das Haar geschoren und
darauf der Hut als Symbol der Freilassung aufgesetzt wurde, auch
habe sich in diesem Tempel eine Bank von Stein mit der Inschrift
befunden: Benemeriti servi sedeant, surgent liberi. Varro wollte
deshalb den Namen Feronia erklären durch Fidonia, da man doch
eher an denselben Stamm wie in dem Namen der Quellengöttin
Ferentina denken möchte, von welcher bei der Venus die Rede sein
wird. Auch als eine hülfreiche Göttin der See scheint Feronia
wenigstens an dieser Küste verehrt worden zu sein, wenn dieses
anders aus der confusen Sage bei Dionys. II, 49 gefolgert werden
*) Virgil Aen. VIII, 564 nascenti eui tris animas Feronia maier — dederat,
terna arma tn Oven da. [Nach Praneste gehört die Inschrift v. J. 69 Or. 1756
(vgl. Fieoroni Labico S. 35 f.) Fortunae Praen(estinae) et \Feroniae sanctti-
timae.]
>) In alter Zeit erstreckten sich die Befestigungswerke von Tarracina bis
zu diesem Heiligthume, s. Piin. H. IN. II, 146.
») Fnbretti p. 452, Or. n. 1314 [= C. I. L. 5, 412 Iunoni Feron[iae)] Or.
1315 [Iunoni reginae et Feroniae}. Borgbesi Giorn. Arcad. 25 p. 386 [a. 0.
S. 107] versteht diese Inschriften von der Iuno Feroniae, wie Iuno Deae Diae
u. dgl. [So P. in den Zusätzen; es kann auch, wie Mominsen G. I. L. a. 0.
thut, Iunoni, Feroniae verstanden werden. Nöthig ist keins von Beiden.]
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430 FÜNFTER ABSCHNITT.
darf, nach welcher die vermuthlich von Taren t bevorwortete Stammes-
verwandtschaft der Sabiner und Spartaner durch das Mährchen
bewiesen werden sollte, dafs zur Zeit des Lycurg eine Schaar
ausgewanderter Spartaner an diese Küste verschlagen sei. Sie hätten
darauf zum Dank für die glückliche Fahrt das Heiligthum der
Feronia gestiftet 1 ) und seien endlich landeinwärts zu den Sabiirern
gezogen.
2. Flora.
Auch diese Göttin ist von altitalischer Abkunft und wurde bei
den Sabinern und überhaupt im innern Italien viel verehrt. Varro
1. 1. V, 74 nennt sie unter den Göttern des T. Talius; auch kennen
wir sie und einen eignen Monat der Flora, welcher dem April oder
Mai entsprochen haben wird, aus den von Sabinern, Marsern und
379 Samnitem bevölkerten Gegenden *). Es ist die Göttin der Blüthen
und Blumen in weitester Bedeutung, denn wo immer etwas blüht,
wie Ovid sagt 3 ), auf dem Acker, im Weinberge, in der Olivenpflan-
zung und im Baumgarten, auch in der Blume des Weins, wenn er
sich im Fasse regt, so wie im Honig, dem feinsten Stoffe der Blumen,
endlich in der Blüthe der Jugend und eines fröhlichen Lebens-
genusses „so lange die Rose blüht", da ist Flora thätig. Daher sie
auf dem Lande und in den Städten viel verehrt wurde, auch als
mütterliche Göttin, Flora Mater, des Frühlings, der Feldfrucht und
selbst der „guten Hoffnung" der Frauen, deren Symbol die Blüthe
*) Der Name wird dabei für einen griechischen genommen und anb ir\s
nfXaytov (poQrjGfcos abgeleitet. So machte man ans einem alten, später zer-
störten Orte dieser Küste Amuclae oder Amunclae ein spartanisches Amyclae,
Plin. H. N. III, 5, 9.
a ) Or. n. 1620, Mommsen I. Y n. 6755, vgl. die Inschr. von S. Agnone
bei Mommsen Unterit. Dial. S. 12S [Zwetaj. Syll. 9a, 24] and die aus Pompeji
ib. S. 180 [Zwetaj. 67; auf einem Hausaltar der casa del Fauno], wo Fluttsat
oscisch = Florae ist. Ueber den Mt. der Flora s. Or. n. 2488 [= C. I. L. 1,
603: Furfo], Unterit. Dial. S. 339, 4 [= Fabr. C. I. It. 2737: Amiternum]. In
der lateinischen Inschrift aus Furfo, welche vom J. 58 v. Chr. ist, steht mense
Flutare [vgl. Jordan Krit. Beitr. 116. 130], in der andern, welche aus Ami-
ternum oder dem Lande der Marser stammt, mesene Flusare für mense FloraU.
[? Andere halten Mesene Tür den Namen einer Göttin. Vgl. unten S. 400.
Auf der I. von Agnone findet sich noch der Name Fiuusasiats a 20.]
») Ovid F. V, 261 ff. Vgl. Lactant. I, 20, 7 deam ßnxerunt esse quac
floribus praesä, eamque oporüre placari ut frtiges cum arboribus auf väibus
bene prospereque ßorescerent.
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FLORA.
431
ist, natürlich weit mehr im Sinne der Venus als in dem der Juno 1 ).
Denn immer wurde sie in der populären Vorstellung gleich der Acca
Larentia und andern Göttinnen des Frucht empfangenden Erdbodens
als „liebe Buhle" gedacht und in diesem Sinne auch allerlei Mähr-
chen von ihr erzählt 3 ) und ihr Fest mit ausgelassenem Frohsinn
begangen. In Rom gab es einen eignen Flamen Floralis 3 ) und zwei
Tempel der Flora, von denen der eine vermuthlich sabinischen Ur-
sprungs war und auf dem Quirinale lag, der andre, welcher mit den
Spielen der Flora entstand, in der Nähe des Cerestempels am Gircus
Maximus 4 ). Der Gultus der Flora hatte demnach seit alter Zeit
bestanden d. h. man hatte ihr um die Zeit, wo das Korn in der
Blülhe stand und der Kornbrand zu fürchten war, sowohl auf dem
Lande als in der Stadt geopfert 6 ), wahrscheinlich auch damals schon
mit allerlei derb muthwilligen Späfsen und Gebräuchen, welche zum sso
Wesen dieser Gottheit gehören 8 ) und in Italien zu allen Zeiten be-
liebt und volksthümlich gewesen sind. Dann aber entstanden bald
nach dem ersten panischen Kriege eigne Spiele der Flora, welche
namentlich dem gemeinen Manne sehr willkommen, aber gleichfalls
») Rustica Flora bei Martial. V, 22, 4. Vgl. das Kaiend. Rast Farnes,
im Mt. Mai. In den Urkunden der Arv. Br. wird sie als eine der Göttinnen
genannt, denen bei der Pflanzung von Baumen zu opfern ist, t. XLIli, Marioi
p. 377. [Die Flora gehört zu der geschlossenen, mit Janus beginnenden, mit
Vesta aufhörenden Reihe der Gottheiten, denen piacula wegen verschiedener
Vorkommnisse im lucus dargebracht werden. Sie steht hier zwischen Fons
und Summanus. Vgl. Henzen Acta 148.] Flora mater heifst sie bei Lucret.
V, 737 und Cic. in Verr. V, 14, 36 (oben S. 56, 2]. Vgl. Arnob. III, 23 Flora
iüa genetrix et saneta.
s ) Lactaat. I, 20, 5 Flora cum magna» opes ex arte meretricia quaesi-
visset, populum scripsit heredem certamque pecuniam reliquit, cuius ex annuo
fenore suus nalalis dies celebraretur etc. Offenbar ist sie hier, wie sonst Acca
Larentia, eine Göttin der römischen Stadtflor.
») Varro 1. 1. VII, 45, vgl. die Inschr. bei Mommsen I. N. 5192.
*) Becker Handb. 1, 577 und über den angeblichen cirons Florae ib. S. 673,
Tacit. Ann. II, 49. [Der Tempel am Circus scheint noch von Symmachus
(Consul 391) wiederhergestellt worden zu sein: Riese Anthol. n. 4 V. 114,
Mommsen Hermes 4, 358. Ueber das Fehlen von Dedicationen s. am Schlufs.]
8 ) Varro r. r. I, 1, 6 quarto Robigum ac Floram, quibus propitiis neque
rubigo frumenta atque arbores eorrumpit neque non tempestive ßorent. PI in.
H. N. XVIII, 286.
•) Ovid Fast. V, 331 fl., 351 Mm est de tefricü, non est de magna pro-
fessis, Volt sua plebeio sacra patere choro, Et monet aetatis specie dum floreat
uti, Contemni spinam cum cecidere rosae. Vgl. Lucret. V, 1393 ff.
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432
FÜNFTER ABSCHNITT.
sehr ausgelassen waren. Ueber ihre Entstehung berichten Ovid und
Tacitus, dafs die beiden Publicii, dieselben von welchen der clivus
Publicius am Aventin seinen Namen hatte, als plebejische Aedilen
jenen T. der Flora beim Circus Maximus und die Spiele in dem-
selben aus eingezogenen Strafgeldern gestiftet hätten 1 ). Doch seien
diese im J. 514 oder 516 d. St. (240 oder 238 v. Chr.) gestifteten
Spiele nicht regelmafsig alle Jahre gefeiert worden, sondern diese
jährliche Feier erst später i. J. 581 (173 v. Chr.) beschlossen, auf
Veranlassung eines von der Flora selbst, weil sie sich vernachlässigt
glaubte, verhängten Miswachses. Genug diese Spiele hatten sich wie
die der andern Götter erst allmählich bis zu solcher Ausdehnung
und Ausstattung sowohl circensischer als scenischer Lustbarkeiten
erweitert, in welcher wir sie bei den späteren Schriftstellern und in
den Kalendern des Augusteischen Zeilalters kennen lernen, nach
welchen sie vom 28. April bis zum 3. Mai gefeiert wurden 2 ). Am
28. April war der Stiftungstag des Tempels, also der alte Festtag
der Flora, zu welchem die übrigen Festtage erst mit der Zeit hinzu-
getreten sein mögen. Von den Spielen, deren entsprechende Aus-
rüstung zu den wichtigsten Obliegenheiten eines curulischen Aedilen
gehörte 3 ), wird namentlich der characteristische Gebrauch erzählt,
sei dafs bei ihnen Tänzerinnen nicht allein auf der Bühne auftraten,
sondern auch, wenn es das Volk verlangte, alle Kleidung abwerfen
und völlig entblöfst ihre Stellungen und Tänze fortsetzen mufsten:
ein Herkommen, welches zu dem bekannten Auftritte mit dem älteren
Cato führte, da er lieber das Theater verlassen als durch seine
Gegenwart des Volkes Vergnügen stören wollte 4 ). Auch sonst wurde
l ) Ovid F. V, 277 ff., Tacit. Ann. II, 49. Nach Vellei. Pat. I, 14, 8 und
IMiii. XVIII, 286 worden die Floralien gleich im Jahre 516 ex oraculis Sibyllae,
ut omnia bene deßorescerent, also auf Veranlassung eines Miswachses gestiftet,
vgl. Verr. Flacc. F. Praen. 28. April. Die Münzen der gens Servilia nennen
den C. Servilius C. F. als ersten Urheber der ludi Florales, was sich ver-
muthlich wie bei den Cerealien auf eine spätere Anordnung bezieht. Der Kopf
der Flora auf derselben M. ist jugendlich und mit Blumen und Geschmeide
reichlich geschmückt. [Cohen Cons. T. XXXVII Servil. 5, vgl. Mommseu
Münzw. S. 645 A. 538. Marquardt Staatsverw. 3, 363.]
a ) Kai. Maff. Praen. Venus., wo nach Mommsen I. IN. n. 698 [C. I. L. 1
p. 393] die Worte LVD. IN CIRCO FLORAE zum 3. Mai gehören, aber den-
noch zu verbinden ist Ludi Florae in Circo. Vgl. Ovid F. V, 185 Incipis
Aprili, transit in tempora Maii, AÜer te fügten», cum venit alter, habet.
8 ) Cic. in Verr. V, 14, 36.
«) Val. Max. II, 10, 8, Seneca Ep. 97, 8, Martial. I, Praef. Vgl. Iuvenal
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FLORA.
433
in diesen Tagen viel geschlemmt und viel leichtfertiger und lär-
mender Spafs getrieben 1 ); war doch auch Flora ein lustiges Blut
gewesen und die Jahreszeit eine solche, daTs die ganze Natur zu
Lust und Scherz von selbst einlud. Daher auch die bunten Kleider
bei diesen Spielen und die brennenden Lichter, welche bei den Alten
gewöhnlich ein Symbol der heitern Festlust sind. Auch die Ziegen
und Hasen, welche im Circus gehetzt wurden, entsprechen diesem
Character der Flora, denn auch ihre Natur ist üppig und muthwillig,
daher der Hase bei den Griechen zur Umgebung der Aphrodite ge-
hörte. Andre Schriflsteller erzählen von einer auch sonst herkömm-
lichen, bei den Floralien aber vorzüglich beliebten Lustbarkeit, indem j
Erbsen und Bohnen, die gewöhnliche Kost des gemeinen Mannes,
unter das Volk geworfen wurden, wo denn Jeder greifend und bal-
gend so gut er konnte, seine Taschen lullen mochte 2 ), noch Andre
von einem Umlaufe von Personen, welche Blumen, namentlich Rosen
trugen und durch die Eile ihres Laufes die Flüchügkeit alles natür-
lichen Reizes andeuten sollten 3 ). Denn immer ist die Rose vor allen
übrigen Blumen das Symbol des Frühlings und aller fröhlichen Lust
gewesen, wie sich denn auch in Italien von solcher Anwendung
dieser Blume bei öffentlichen und privaten Gelegenheiten viele Spuren
nachweisen lassen 4 ). Endlich wurden unter den Kaisern noch manche 3 82
aufserordentliche Vergnügungen hinzugefügt, denu fort und fort,
sowohl in Rom als in den Provinzen, behaupteten sich die Spiele
VI, 250 mit den Scholien and Augustin C. D. II, 26, Aroob. III, 23, VII,
33, Lactant. I, 20, 10. Es scheinen vorzüglich Minien aufgerührt worden
zu sein.
») Varro Eamenides bei Non. Marc. p. 11, 10 contra cum ptalte pisia
[Pisia?) et cum Flora htrcare ac slrepi [aistrepis die Hss.].
*) Pers. V, 177 an einen Ehrgeizigen: VigUa et cicer ingere longe rixanti
populo, nottra ut Floralia passint aprici meminisse senes. Vgl. Horat S. II, 3,
182 und Martial. VIII, 78, 8.
8 ) Philostr. Ep. 55 p. 360 Kayser: Eros liebe die Rosen, doch seien beide
vergänglich, y«Q 6 »tos xal rrj xalXovs onwQq, xal rrj (>6öwv Int,-
tinpiUt' HSov iv'Ptüptn rohe üv&o(f6oovs Tofyovrag xal rtp Taftt fiaQtvQovv-
t«j t6 aniaxov irjq axprjs. Doch wohl an diesem Feste, vgl. Ovid F. V, 194
dum loquitur Vernas efflat ab ore rosas.
*) So wurde nach dem feriale von Capua am 13. Mai in Caj.ua ein eignes
Roseolen gehalten, während in Rom der Kalender des Constantin ein ähn-
liches Fest am 23. Mai andeutet. Privatfeste gleicher Art werden in einzelnen
Collegienordnuogen und Grabinschriften erwähnt. Vgl. Marini Arv. p. 573.
580 sq., Avellino Opusc. III p. 247 sqq.
Pro 11 er, Rom. Mjthol. L 3. Aufl. 28
•I
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434
FÜ.NFTER ABSCHNITT
der Flora unter den beliebtesten Ergötzlichkeiten der schönen
Jahreszeit 1 ).
3. Venus.
Nach der bestimmten Aussage gründlicher Gelehrten, namentlich
des Cincius und Varro, kam der Name der Venus weder in den
Saliarischen Liedern noch sonst in den öffentlichen und priester-
lichen Urkunden der Königszeit vor (Macrob. S. I, 12, 12), so dafs
also eine Göttin dieses Namens in Rom d. h. von Staatswegen erst
später verehrt worden wäre 2 ). Indessen ist ihr darum ein höheres
Alterthum keineswegs abzusprechen. Sie konnte unter einem andern
Namen oder sie konnte hei den Latinern früher als in Rom verehrt
werden; denn Venus ist eben nur ein Name unter den verschiedenen,
welche dieser Göttin des Frühlings und der sprossenden und trei-
benden Vegetation beigelegt wurden, und grade bei den Latinern
scheint ihr Cultus in vielen und verschiedenen Formen verbreitet
gewesen zu sein, wie der der Feronia bei den Sabinern und ver-
wandten Völkern. Und zwar wurde sie bei den Latinern und von
daher auch in Rom seit alter Zeit nicht blofs in der nächsten Natur-
bedeutung und in der einer Liebesgöttin des Geschlechts verehrt,
sondern auch in der einer Vereinigung und Verbündung überhaupt,
gesellige und bürgerliche, stifteuden, wodurch sie die höhere Bedeu-
tung einer Concordia annahm, welche in späteren Zeiten gewöhnlich
statt ihrer genannt wird. Daher die besondre Wichtigkeit dieses
Cultus für den latinischen Bund, welches wieder zur Folge hatte
1 1 Vgl. Saetoo Galb. 6 und die Inscbr. aus Algier bei L. Renier 1. n. 1875
llonoratus Baebianus — per dietn ludorum Floralium — quo* triumvir sua
pecunia fecit. [Damit hängt vermuthlich auch die späte Erneuerung des Flora-
tempels in Rom (oben S. 431, 4) zusammen. Um so auffallender ist es, da Ts De -
dicationen an Flora in Rom und Italien (mit Ausuahmc der wenigen, einem
engen geographischen Gebiet angehörigen, oben S. 433) und in den Provinzen des
römischen Reichs, soweit sich bis jetzt übersehen Hilst , ganz fehlen. An
ihre Stelle scheint Venus getreten zu sein, namentlich als Gartengöttin.]
•) [In der That findet sich im Kalender aul'ser den späten Veneralia
1. April, ursprünglich dem Stiftungstag der Venus Verticordia, und dem
19. Aug., dem Stiftungstag der Venus Obsequens am Circus (über beide unten),
kein Venusfest und der Name fehlt auch in den Arvalacten. Doch zeigt die
Gründuug des Tempels am Circus (459 d. St.) und noch mebr das hohe Alter
der beiden sacella im Circusthal und auf dem Forum dafs die Göttin sicher
schon vor dem 5. Jahrhundert d. St. eine Stelle im Staatscultus hatte.]
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VENUS.
*5=
435
dafs mit der Zeit eine gleichartige Göttin des Auslandes, ich meine
die griechische und orientalische Aphrodite, von Sicilien und dem
südlichen Italien her mit dieser älteren latinischen und il ansehen
Venus verschmolzen und auf diesem Wege zugleich die Sage von
Aeneas, dem troischen Helden, dem Sohne der Aphrodite des Ida-
gebirges, in die Traditionen des latinischen Bundes hinübergezogen
wurde.
Auch der Name Venus ist altitalisch , da er sich aus der sss
Wurzel ven erklärt, welche lieben, begehren, günstig sein bedeutet,
derselben Wurzel von welcher wahrscheinlich auch olvog, vinum
Wein abzuleiten ist 1 ). Vana ist im Sanskrit lieblich, angenehm*
vanas Reiz, Lieblichkeit, das lateinische venustas, und auch im Alt- 1
nordischen ist vaen i. q. venustus, pulcher, daher vermuthlich die
Vanen der altnordischen Mythologie ihren Namen haben. Also ist
Venus die schöne, Hebe Frau des Frühlings, aller Blüthen, alles
Naturreizes, wie Flora, Feronia, Libera und andre Göttinnen der Art.
In Rom hiefs sie, wie es scheint bevor der Name Venus der all-
gemeine wurde, Murcia, welches mit muleere zusammenhängt, und
Cloacina und Libitina, welche Namen durch gleichfalls altla tinische
Wortstämme andre Beziehungen ihres Dienstes ausdrücken 2 ). Bei
den oskisch redenden Völkern hiefs sie Herentas*), welcher Name
mit dem Worte herest d. i. volet und der Sanskritwurzel hr d. i.
nehmen zusammenhängt, also eine Göttin des Verlangens, wie
Voluptas und Volupia, Volumnus und Voleta, welche Namen in den
Indigitamenten vorkamen und theils von velle theils von volupe ab-
zuleiten sind. Auch der Name Cupido, den man später für den
griechischen Eros wählte, gehört in diese Reihe. Die oskische
Herentas aber hilft uns zugleich zur näheren Bestimmung der lati-
*) Kuhn in d. Zeitschr. f. vergl. Sprachf. 1, 191, 2, 461. [lieber VeDus
8. auch J. Grimm in den Monatsber. der Berliner Akademie 1859 S. 519.]
*) [Die Unnahbarkeit dieser Ansicht wird sich unten zeigen.]
a ) Mommsen Unterital. Dial. S. 263. Uerius und Herennius, zwei bei den
Samnitern sehr beliebte Namen, stammen eben daher, auch die Herie Innonis
und die Hersilia Quirini, s. oben S. 275. 371 ff. [Osk. Inschr. von Herculanum
Zwetajeff (I. Ose. 60 a. b.) Herentateis (Gen.), Herentatei Herukinai (Dat.); Pälign.
1. von Corfinium (Bull, dell' inst. 1877, 184; vgl. Bücheler Rh. Mus. 33, 271 ff.
Bugge Altital. Studien S. 61 ff.) Herentas (Nom.?), wo sie mit den Semonen
und Persephooe vereint erscheint. Vgl. Fabretti Gloss. It. 578 und über die
Wurzel (har begehren, har nehmen ?) die verschiedenen Ansichten bei Corssen
Ausspr. 1 \ 468 und Curtius » 198. 199.]
28*
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FÜNFTER ABSCHNITT.
irischen Quellen- und Bundesgöttin Ferentina, die auch nichts
weiter als eine eigentümliche Form der Venus gewesen sein kann;
bekanntlich war ihr Hain ( Junis Ferentinae) und ihre Quelle (caput
Ferentinae) in dem anmuthigen Thale von Marino unter Alba Longa
der Ort, wo wenigstens seit der Organisation des latinischen Bundes
durch die Tarquinier die Bundesversammlungen gehalten wurden 1 ).
Der Name mufs im alten Italien sehr verbreitet gewesen sein, da
verschiedene Städte desselben Namens vorkommen, bei den Etrus-
384 kern, den Hernikern und in Apulien*). Als latinische Bundesgöttin
begegnet uns Venus aber auch in Ardea und Lavinium, also in der
wichtigen Gegend, in welche die gewöhnliche Tradition den Ursprung
des Bundes und seine ältesten Heiligthümer verlegte. Sowohl in der
alten Bundesstadt Lavinium als in der Nähe von Ardea gab es ein
Heiligthum der Venus, bei dem die Latiner in gemeinen Angelegen-
heiten zusammenzukommen pflegten 8 ), und zwar scheint sich hier
zuerst der Cultus und der Name der griechischen Aphrodite von
Sicilien her und in Begleitung der Aeneassage eingemischt zu haben 4 ),
») Liv. I, 50—52. Bei Liv. II, 38 heilst es ad caput Ferentinum. H und
F wurden in den italischen Dialekten oft verwechselt. [Eine Göttin Feren-
tina nennt Niemand. Die latinische Bundesversammlung; tagt ad caput aquae
Ferentinae (Liv. I, 51), ad lucum Ferentinae (also aquae; das. 50) oder iv
$Eg£irAf) (Dionys III, 34. 51, IV, 45) und vielleicht (s. Becker Top. 177) ist
bei Plut. Rom 24 Inl irjs <Pt(>tvifyf)S vXrjs (st. 7ivXr t g) zu schreiben. Also ist
Ferentinum der auch sonst bekannte Ortsname (A. 2); daneben kann aqua
Ferentina statt Ferentinensis sehr gut gesagt worden sein. Dieser Name wird
von Corsscn Krit. Beitr. z. lat. Form. 120. 174 wohl richtig zu forum gestellt.
— Ueber die Lage des Orts ist Streit: Nibby Dintorni 2, 319, Beloch Der
italische Bund 187.]
*) Das Ferentinum der Herniker zahlte spater zu Latium und hatte für
dieses eine volksthümliche Bedeutung, s. Ribbeck Com. Lat. p. 125. Aus Fe-
rentinum in Etrurien, welches in der Gegend von Viterbo lag, stammten die
Vorfahren des Otho, s. Sueton Otho 1 und Dennis die Städte und Begräbnifspl.
Etruriens S. 136. Ferentum oder Forentum in Apulien wird b. Horat. Od. HI,
4, 16 erwähnt, vgl. Diod. XIX, 65.
s ) Strabo V p. 232 ava (xiaov 6k rovraiv iditv noXearv toxi tö Aaovivtov
%Xov xoivöv rtuv Aaxtvw hoov AtfQo6ixr\c, InipeXovvxat 6* avxov 6ta ngo-
■noXwv 'A^ätaxar ilxa Aavqtvxov vrciQxaxax 6k rovxuv 17 AnÖH(, XUX0lx((t
'PovtovXotv. — faxt 6k xal xavxrjs ixXr]Ofov A(f(>o6fotov } onov 71 avrjyvfißovoi
AatZvot. Pün. III, 56. 57 Ardea, — dein quondam Aphrodisium.
4 ) Solin. 2, 14 nach Cassius Hemina: Aenearn aestate ab Ilio capto secunda
Italic is litoribus appulsum — , ubi dum simulacrum , quod secum ex Sicilia
advexerat, dedicat Veneri matri [vgl. S. 56, 2], quae Frutis dicüur, a Diomede
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VENUS.
welche Vermischung uns nicht abhalten darf an eine ältere latinische
Venus beider Stätten zu glauben. Auch in Alba Longa und in Gabii
m uis die Venus seit alter Zeit verehrt worden sein, da die Venus
von Alba wesentlich zu den gentilen Traditionen des albanischen
Geschlechts der Julier gehört; die Venus Gabina aber, ein alter
Sprofs des albanischen Dienstes, unter den angeseheneren Culten
von Latium und Rom genannt wurde 1 ).
Jene Angabe, da£s Aeneas ein Bild seiner Mutter aus Sicilien
mit sich an die latinische Küste gebracht habe, bezieht sich auf ein
altes Cultusbild, welches aus der Gegend des Berges Eryx stammen
und für Ardea und Lavinium eine ähnliche Bedeutung haben mochte
wie das bekannte Palladium in Rom und Lavinium, sammt andern
Götterbildern ältester Fabrik und Herkunft, welche den Eintritt der
Idololatrie nach dem Muster der griechischen Holzbilder verrathen
(S. 152). Eine Einwirkung des griechischen und phönicischen
Aphroditedienstes hatte ohne Zweifel schon früher stattgefunden, da
diese Göttin unter ihren übrigen Eigenschaften auch als mächtige
Schutzgöttin zur See verehrt wurde und ihr Cultus eben deshalb sbs
über die verschiedenen Küsten des mittelländischen Meeres und seiner
Nebenmeere sich rasch verbreitete. Namentlich scheint die eryci-
nische Venus auf Sicilien, welche zu dem Geschlechte der von
Phönicien und Kleinasien her verbreiteten Dienste der Venus Urania
gehörte und in dieser westlichen Gegend einen ähnlichen Mittelpunkt
von Sagen und Filialculten bildete wie die Venus von Kythere an der
südlichen Küste des Peloponnes, die von Paphos in den Umgebungen
von Cypern, auch in Italien von den Griechen und Etruskern sehr
zeitig anerkannt und vielfach angebetet worden zu sein*). Was
Palladium sutcipä. Paul. p. 90 Fruiinal templurn Venerü Fruit, Servius
V. A. I, 720 Dicüur et — Erycina, quam Aeneas seeum advexü. Die wahr-
scheinlichste Erklärung jener Venus Frutis ist die Scaligers, dafs das Wort
aus dem griechischen 'AyQOÖitri verdorben sei. [Sicher nicht: ebenso wenig
ist an osk. Fütris zu denken (Mommsen Dial. 310): die Zusammenstellung mit
Jru-t-ex (Corssen Ausspr. 2 *, 206) ist überzeugend.]
») Or. n. 1367. 1368 [= Wilmauns Ex. 307]. Die gabioische Venus ist
die der Antestier d. h. die auf den Münzen dieser Familie, vgl. Klausen Aeneas
S. 730. [Cohen Cons. T. m Antest 9.]
«) Vgl. Mommsen IJnterit. Dial. S. 142 und Gerhard Gottheiten der.
Etrusker S. 38. 40. Eine Inschr. aus Potenza in Lucanien: Veneri Erycinae
sacr. Oppia M. liberta Retlüuta etc. bei Mommsen I. JN. n. 374, Uenzen n. 5677.
Opfertisch der Venus Erycina mit oskischer Aufschrift aus Herculaoum bei
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FÜ.NFTER ABSCHNITT.
namentlich diese letzteren betrifft, so beweisen nicht allein die ver-
schiedenen einheimischen Namen, mit denen die Liebesgöttin auf den
etruskischen Denkmälern benannt wird, sondern auch der ausser-
ordentlich grofse Vorrath etruskischer Venusbilder '), welche bald mit
dem Attribute des Apfels oder der Blüthe, bald mit dem eines Ei's
oder mit dem der brünstigen Taube, oder mit einem Myrtenzweige,
einem Balsam gefäfs u. s. w. ausgestattet und immer langbekleidet,
ausnahmsweise auch beflügelt oder strahlenbekränzt sind, dafs der
Cultus dieser Göttin und ihrer verschiedenen Formen von der Pan-
demos bis zur Urania bei diesem Volke einen sehr fruchtbaren Boden
gefunden hatte.
In Rom gab es drei Heiligthümer der Venus, welche für alt
gelten dürfen, das der Murcia, das der Gloacina und das der Libitina.
Der Name Murcia hängt mit mulcere in dem Sinne von erweichen
zusammen 8 ), weiches Wort auch dem Mulciber d. i. Volcanus seinen
386 Namen gegeben hat, obwohl man später meist Murtea schrieb und
die so benannte Venus für die Myrtengöttin hielt. Ihr Heiligthum
hiefs im gewöhnlichen Sprachgebrauch das der Murcia schlechthin;
mithin kann der vollständigere Name Venus Murcia erst später auf-
gekommen sein. Es lag am Abhänge des Aventin, nahe am hintern
Ende des Circus Maximus, dessen Localitäten in dieser Gegend oft
danach benannt werden; ja der Name Murcia hatte sich auch auf
den Aventin und das ganze dort gelegene Stadtquartier ausgedehnt 8 ),
Mommseo Uuterit. Dial. S. 179 [oben S. 435, 3]. C am panischer Ziegel mit der
Inscbr. VENERVS HERVC bei Marini Atti p. 418 [— C. 1. L. 1, 1495. Die
von P. hier noch a. etrusk. Inschr. mi vener im vinttcenas Fabr. 2049 bat mit
Venus nichts zu thun: vgl. Corssen Spr. d. Etr. 1, 774, Deecke Etr. F. 3,
131]. Der etruskische Name Turan [Müller Etr. 2*, 75] scheint der Urania
zu entsprechen wie Turms dem Hermes. Aufserdem finden sich auf etrus-
kischen Denkmälern die Namen Thalna (Corssen Spr. d. Etr. 1 , 365 f.] und
Malavisch [ders. 1, 275. 341] für Venus.
>) Gerhard über Venusidole S. 6. [Deecke zu Müller Etr. 2, 112 f.]
*) Klausen Aeneas S. 733. Eben dahin gehört murcus und murcidus, 8.
Serv. V. A. VIII, 636 und Augustin C. D. IV, 16 Deam Murciam quae praeter
modum non moveret ac faceret hominem , ut ait Pomponius, murcidum i. e.
nimis desidiosum et inactuosum. Dem Sinne nach ist Murcia also identisch
mit der Libentiua und Volupia. [S. A. 3].
, ») Varro 1. 1. V, 154 Intumus Circus ad Murcim [lies Murciaet Jordan
Top. 1, 1, 194] vocatur etc. V gl. die metae Murciae bei Tertull. de Spectac. 8
Murciam enitn deam amoris volunt , cui in ilta parte aedem vovere d. h. am
«üd liehen Ende des Circus, keineswegs im Circus selbst, und Paul. p. 148 und
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VEMS
439
so dafs dieses Heiliglhum also jedenfalls ein sehr angesehenes war,
wie es denn auch bei andern Gelegenheiten immer als das ältesle
und angesehenste der städtischen Venus erscheint. So wurden später
die Tempel der Venus Obsequens und Verticordia in derselben Gegend
am Circus, also in dem Kreise des älteren Heiligthums der Murcia
gegründet, und auch die Frühlings- und Weinlesefeier der Venus
scheint sich vorzugsweise dahin gewendet zu haben. Da diese Gegend
durch Ancus Marcius mit Latinern eroberter Städte bevölkert wurde 1 ),
so mögen diese den Gottesdienst mit nach Rom gebracht haben.
Für noch älter galt das Heiligthum der Cloacina oder Cluacina,
welches sich in der Nähe des Comitiums befand, aber für die spätere
Zeit mehr ein historisches als ein religiöses Interesse hatte. Es heifst
nehmlich dafs Romulus und T. Tatius d. h. die Römer und Sabiner
vor ihrer feierlichen Verbündung nach blutigem Streite auf dieser
Stätte der Venus unter jenem Namen ein Heiligthum gestiftet und
sich selbst bei demselben mit Myrtenzweigen gereinigt hätten, daher
auch der Name von ciliare und cloare oder cluere d. i. purgare ab-
geleitet wird 2 ): so dafs also Venus hier wieder die Göttin der fried- 387
Serv. V. A. VIII, 636, nach welchen der benachbarte Abhang des Aventin
ehedem Murcus und das Circusthal die Vallis Murcia geheifsen hatte. Die
Aussprache schwankte zwischen Murtea und Murcia, s. Varro 1. c, Plin. XV,
120, Plut. Qu. Ho, 20. [Jedesfalls ist Murc-ia ursprünglich Lokalaame, nach
dem das Sacellum der Venus benannt wurde. Dasselbe gilt von der Cloacina
(A. 2). Es ist schwerlich zufällig dafs die beiden ältesten Sacella der Venus
an Wasserläufen standen: das der Murcia an der Murana, die aus dem sumpfi-
gen Circusthal, das andere an der grofsen Cloaca, die aus der Tiefe des
Forums abwässert (über jene Jordan Top. 1 , 1 , 138 f.). Man erkennt darin
leicht eine au die Natur des Weibes (vgl. oben S. 275, 4) anknüpfende Sym-
bolik. — Das Sacellum mit einem Götterbilde darin und einem Baum daneben,
innerhalb des Circus stehend, dargestellt auf dem Relief von Foligno An-
nali dell' inst. 1870 tav. d'agg. L. M. vgl. Zangemeister das. S. 245. — Der
ursprüngliche Lokalname ist wohl vallis murcia, Sumpfthal, vgl. mar-ceo,
tnor-ior (Jordan Top. 1, 1, 194); der Berg Murcus (Abhang des Aventin) bei
Servius a. 0., den Hübner vorzieht (Jahrb. f. Phil. 77, 343. 79, 473) sieht sehr
nach Erfindung aus. Mit dem Fremdwort Jtwrtus hat das Wort natürlich
nichts zu thun.]
') Liv. I, 33 quibus, ut iungeretur Palatio Jventinum, ad Murciae datae
sedes.
*) Plin. 1. c, Serv. V. A. I, 720. Daher cloaca, Cluilia fossa, Cloatius
oder Cluatius, Cluentius, Cluvius und die spätere Geschichte, T. Tatius habe
das Bild der Cloacina in der cloaca maxima gefunden, Lactant I, 20, 11.
Ueber die Lage vgl. Liv. III, 48, Becker Handb. 1, 320. Münzen der Gens
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440 FÜNFTER ABSCHMTT.
liehen Vereinigung und Verbündung ist, gleich der späteren Goncordia.
Endlich die Libitina, welche als Göttin der Lust gewöhnlich
Lubentina oder Lubenüa und Labia genannt wird, und dem Namen
nach mit dieser identisch ist '), war zugleich eine Göttin der Gärten,
der Weinpflanzungen, der Weinlese, daher ihr Heiligthum wie das
der Murcia am 19. Aug., dem Tage der ländlichen Vinalien, seinen
Stiftungstag feierte 3 ), und die bekannte Göttin des Todes und der
Verstorbenen, für welche nach einer Verordnung des Servius Tullius
bei jedem Todesfall ein Stück Geld in ihren Kasten gelegt werden
mufste, wie denn auch das zu Leichenbegängnissen Erforderliche,
namentlich die Bahren, aus ihrem Haine, dem deshalb oft erwähnten
I iiens Libitinae entlehnt wurde 8 ). Eine ahndungsreiche Zu-
sammenfassung des Gedankens an den Tod und an schwellendes
Leben, welche den Naturreligionen überhaupt geläufig ist und sich
auch in dem griechischen Dienste der Aphrodite wiederfindet, in
Italien aber sehr verbreitet und in der volksthümlichen Natur-
anschauung tief begründet gewesen sein mufs, da auch die sabinische
Mussidia mit der Inschrift CLOAC an einer Tribüne bei Riccio t. XXXIJI, 2.
3 und t. LXI, 1. [Die Münze (gut abgeb. b. Cohen Göns. T. XXIX Muss. 5. 6,
falsch beschrieben von Klausen Aen. 734 A. 1345) zeigt einen Schiffskörper
mit rostrum aach links, darauf zwei menschliche Gestalten, darunter (aber am
Schiffskörper selbst) die Inschrift. Noch unerklärt. lieber die Zeit der Prä-
guog Mommsen Müdzw. S. 653. — Der Name der Cloac-ina, von dem noch
nicht sicher erklärten doaoa (vgl. Jordan Top. 1, 1, 276 A. 40. 446 A. 71),
bei der das Sacellum stand, läfst unmittelbar keinen Schlüte auf das Wesen
der Göttin zu. Doch s. A. 3.]
') Varro 1. 1. VI, 47 (vgl. Non. Marc. p. 64 prolubium) Ab lubendo libido,
UbidmasuM ac Fenns Libentina et bUntina. Vgl. Cic. N. D. II, 23, 61, Serv.
V. A. I, 720. [Plautus Asin. 268 lubentiores quam Lubentia.]
*) Varro 1. 1. VI, 20, Fest p. 265 und 289.
*) Dionys H. IV, 15, Plut Qo. Ro. 23, Numa 12. Daher die häutig- Er-
wähnung der Libitina auf Veranlassung von Pestilenzen, Liv. XL, 19, XL!,
21, Sueton Ner. 39 und überhaupt mit Beziehung auf Sterben und Leichen-
begängnis, Horat. Od. III, 30, 7, Sat. II, 6, 19, ferner die Redensarten Libi-
tinam exercere, facere, die Libitinarii d. h. die beim Leichenbegängnis Be-
schäftigten, die Libitinensis porta beim Amphitheater. Besonders die Bahren
und das zum Verbrennen Nöthige wurden von dort geholt, Ascon. Argum.
Cic. Mil. [p. 29, 9 K. u. Sch.] und Martial. X, 97. Die Abgabe des Todtea-
geldes hiefs lucar Libitinae, Or. n. 3349 [«= C. I. L. 5, 5128]. Der lucus Libi-
tinae wird auch zur Bezeichnung des Wohnortes genannt, s. Or. 1378, Henzen
„. 5683 [= Fahret« p. 701, 232]. Leider hat seine Lage noch nicht mit Sicher-
heit bestimmt werden können.
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VENUS.
44t
Feronia zugleich mit der Flora und mit der griechischen Persephone
verglichen wurde und eine gleichartige Auffassung uns bei der Acca
Laren ti.i und andern Göttinnen der Flur von neuem begegnen wird.
Eben deshalb könnte der Ursprung einer von Gerhard nachgewie-
senen Darstellung der Venus, wo diese zugleich Proserpina d. h.
Todesgöttin ist 1 ), eben so gut in Italien zu suchen sein als in
Griechenland.
Im gewöhnlichen Cultus hatte Venus neben diesen besondern
Formen die allgemeinere Bedeutung einer Frühlingsgöttin der Blumen, sss
der Gärten, der Gemüse, der Weinpflanzungen. Die Gärten galten
so speciell für ihr Revier, dafs sie gewöhnlich unter ihren Schutz
gestellt wurden und alle Gärtner, Gemüsehändler, Blumenzüchter die
Venus wie eine Göttin ihrer Profession verehrten 8 ), und was die
Weinlese betrifft, so ist schon oben S. 196 bemerkt worden, dafs
sowohl die ländlichen Vinaüen am 19. August, das eigentliche Wein-
lesefest, als die sogenannten Vinalia priora am 23. April, wo man
den jungen Wein zuerst kostete, dem Jupiter und der Venus galten 3 ).
Namentlich wurden an diesen Tagen entsprechende Feierlichkeiten
im Haine der Murcia und in dem der Libitina vorgenommen, deren
Tempel beide den 19. Aug. als ihren Stiftungstag feierten, während
im Uebrigen auch diese Feste ganz vorzüglich von den Gärtnern
*) Gerhard Archaol. ISachlafs aus Rotn S. 121 — 105. Vgl. dessen Abb.
über Venusidole S. 9. 15 ff. [Vgl. v. Duhn Bull, dell' int. 1878, 21.]
*) Varro r. r. f, 1, 6 Item adveneror Minervam et P euerem, quarum unius
procuratio oliveti, alterius hortorum, quo nomine rustica Vinalia instituta.
Daher Naevius Venus für holera sagte, Paul. p. 58 cocum. Vgl. Plio. XIX,
50 hortos tutelae Veneris adsignante Plauto [vgl. Plaut. Meo. 371 f. Venus
me voluit magnißcare , neque id hattd immerito tuo: nam ecastor solus bene-
factis tuis me flor entern Jacis) uud bei Or. n. 1369. 1462 die Veous hor-
torum Sallustiaooroni. [Dazu kommt noch die Dedication eines vüicus (Rom
C I. L. 6, 779) und die Gefafsinschrift (Pompeji das. 4, 2776) presto mi
sinceru{m): sie te amet que custodit ortu(m) Venus. Aber sonst scheint
es an bezüglichen Denkmälern ganz zu fehlen. Vgl. Silvanus, Terra mater
Bona Dea]
•) Varro 1. 1. VI, 20 Vinalia Rustica dicuntur a. dL XIV Rai. Sept., quod
tum V eneri dedicata aedes et horti ei deae dicantur ac tum fiunt feriati holi-
tores. Vgl. Fest. p. 265 und 289 und die Kalender, von denen das Kai. Caprau.
für denselben Tag ein Opfer an die Venus beim Circ. Max. d. h. an die Mnrcia
vorschreibt [C. I. L. 1 p. 399]. Nach Plut. Qn. Ro. 45 erfolgten an den Ve-
neralien, wofür Vinaüen zu schreibeo, reichliche Weinspenden beim T. der
Venns. Von den Vinalia priora s. Plin. XVIII, 287. Varro hatte eine Satire
unter dem Titel Vinalia neoi eupQodiaiuv geschrieben.
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442
FÜNFTER ABSCHNITT
und Gemüsehändlern begangen wurden. Aufserdem scheint von
jeher der erste Tag des April der Venus heilig gewesen zu sein,
obgleich die Art wie dieser Tag später gefeiert wurde die deut-
lichsten Merkmale des griechischen und orientalischen Aphrodite-
dienstes an sich trägt, wie man denn später sogar den Namen des
Monats Aprilis von Aphrodite ableiten wollte. Richtiger ist die ab
aperiendo, quod ver omnia aperit 1 ), weil die Erde sich dann von
neuem öffnet und die Halme und Blüthen sich aus ihr hervor
drängen: was wieder zu dem Begriffe einer Göttin der sprossenden
Vegetation zurückführt.
Zu diesen älteren und einfacheren Formen des latinischen Venus-
dienstes kamen mit der Zeit die bedeutungsvolleren des Auslandes,
889 unter denen die der Venus Victrix und der Venus Genetrix
für die ältesten gelten dürfen. Beide gehören zu der gemeinschaft-
lichen Wurzel des Dienstes der Venus Urania, welche zugleich als
kriegerisch bewährte Siegesgöttin und als die befruchtende Mutter
aller Dinge verehrt wurde; auch mögen beide von demselben Ur-
sprünge des erycinischen Venusdienstes auf Sicilien abzuleiten sein,
welcher, wie bereits bemerkt worden, seine Einwirkung auch über
Italien, sowohl über die Griechen und Etrusker als über die ein-
gebornen Völker, zunächst wohl die Lucaner, Campaner und Sam-
niter verbreitet hatte. Die Venus Victrix wird von den Römern
geradezu mit der Victoria identificirt 2 ) und scheint als solche auch
sonst in und aufserhalb Italien viel verehrt worden zu sein. Namentlich
mufs sie in Latium frühzeitig Eingang gefunden haben, da man aus
dem Gebrauch der Myrte beim albanischen Triumphe (S. 216) fol-
gern darf, dafs auch hier die Venus Victrix im Spiele war. In Rom
hatte sie ein Heiligthum auf dem Capitole 8 ), wurde aber auch sonst
») Varro 1. 1. VI, 33, Ovid F. IV, 87 ff., Censorin 22, 9, Macrob. I, 12,
8 &'., wo der griechische Anthesterion verglichen wird. Vgl. Ovid F. IV, 125 ff.
Nec Veneri tempus quam ver erat aptius ullum, Vere nitent terrae, vere re-
mis sus ager, Nunc herbae rupta tellure cacumina tollunt, Nunc tumido gemmas
cortice palmes agit. (Vgl auch das Kaiend. Praenest. im C. I. L. 1 p. 364 mit
Mommsens Bemerkung.)
») Varro 1. 1. V, 62, Gellius N. A. X, 1 , 7. Vgl. die Inschriften aus
Sicilien Heozen 5679 [echt?], Umbrien Or. 1375 und Dalmatien Henzen 5678.
5680 [— C. I. L. 3, 1965. 2770, und häufiger Bd. 3; vgl. 2, 470. 5, 2805].
8 ) Ein T. der V. Victrix auf dem Capitol wird erwähnt in dem Kai. Ami-
tern. zum 9. (Mb. Pergelbe scheint identisch zu sein mit dem T. der Venus
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vesus. 443
von den Feldherrn viel verehrt, namentlich von Sulla und von Pom-
pejus, welcher ihr auf der Höhe seines Thealers einen Tempel ge-
stiftet hatte 1 ) , endlich von Julius Cäsar, welchem vermöge seiner
Abstammung die Venus Victrix und die Venus Genetrix zu einem
und demselben Bilde zusammenschmolzen 2 ). Diese letztere wurde
nehmlich zu Rom immer speciell als Mater Aeneadum d. h. als
Stammmutter der albanischen Geschlechter, welche sich von Aeneas
ableiteten, namentlich der Julier verehrt; daher anzunehmen ist dass
dieser Gultus geraume Zeit ein Gentilcult dieses Geschlechtes und 390
seiner nächsten Sippen war, bis er bei zunehmender Bedeutung der
Aeneassage für Rom und dessen conventioneile Geschichte zu einem
öffentlichen wurde. Schon in der Zeit des ersten punischen Krieges
war der Glaube an die troische Abstammung des römischen Volkes
ein festgewurzelter, so dafs wir also auch bei diesem Cultus, wenn
es sich von den Anfangen des Glaubens handelt, einige Generationen
weiter hinauf, also gleichfalls bis in die Zeit der Samniterkriege
zurückgehen müssen. Die römische Poesie trug das Ihrige dazu bei,
diese Venus noch mehr zu verherrlichen *), Ennius indem er sie in
seinen Annalen als Stammmutter des Romulus, also des römischen
Namens überhaupt auftreten liefs, Lucrez u. A. indem er sie in ihrer
kosmischen Bedeutung besang d. h. als die Göttin der Zeugung, des
Ursprungs, der Entstehung der Dinge überhaupt, welche ihre Macht
Capitoliua bei Sueton Cal. 7. [Mommsen C. I. L. 1 p. 403. — Die von P.
hier ooch a. Stelle des Fälschers Pseudoplut. parell. 37, nach welchem au«?
der jUTjjQonoXig twy 2avvtjcüv Tovfrov die Venus Victrix nach Rom über-
geführt worden sei, ist werthlos. Vgl. oben S. 260, 1.]
') Plut. Pomp. 68, Gellius 1. c, vgl. Becker Handb. 1, 676, welcher aoeh
das vom Kai. Amitero. zum 12. Ang. vorgeschriebene Opfer an die Venus
Victrix auf diese Pom|>ejanische bezieht. Was Sulla betrifft, so ist die Venus
auf seinen Münzen höchst wahrscheinlich V. Victrix. [? Münze Cohen Cons.
T. XV Com. 16, vgl. Mommsen Münzw. S. 598, 224c: Venuskopf, davor Cupido,
in der R. eine Palme.]
*) Prop. V, 1, 46 Vexit et ipsa sui Caesaris arma Venus, arma resur-
gentis porlans victricia Troiae. Dio Cass. XLIII, 43 xal dia iovjo xal yXvptpta
avTrjs fvonXov i<f,6(>tt xal atWiftu« avri)v iv nXefoxois xal fAtyloxuts xir-
fiuvo« Inouiro. Auch auf Casars Münzen ist die V. Victrix oft zu sehen,
gewöhnlich bekleidet mit Schild und Lanze, häu6g auch mit der Victoria
auf der R.
*) Bei Ennius [Ann. V. 53] betete llia vor der Hinrichtung: Te sale tiata
preeor Venus, le genetrix patris /tust vi , ui me de caelo visas cognata parumper.
Vgl. Lucret. de rer. nat. z. A. und Ovid F. IV, 91 ff.
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444 FÜNFTER ABSCHNITT.
vorzuglich in der Zeit des Frühlings, des jährlich sich erneuernden
Ursprungs der Dinge, offenbarte und als kosmische Liebesgöttin
bereits von dem Eleaten Parmenides und dem Agrigentiner Empe-
dokles gepriesen worden war. Einen eignen Tempel bekam diese
Venus Genetrix bekanntlich durch Julius Cäsar, welcher sich seiner
Abstammung von dieser Göttin und seiner Verwandtschaft mit
Kumulus und den albanischen Königen nicht allein sehr gerne
rühmte 1 ), sondern auch in seinem eignen Wesen etwas von jenen
alten Lieblingen der Venus, einem Aeneas, einem Paris u. A. hatte,
welche mit grofser Liebesfähigkeit und Liebenswürdigkeit eben so
viel Muth und Tapferkeit und die dämonische Gabe des Glücks ver-
banden; denn auch diese hielt man für ein Geschenk der Venus,
daher auch Sulla felix sich eifrig zu dieser Göttin bekannte. In der
Schlacht bei Pharsalos gelobte Casar ihr in Folge eines Traums den
Tempel, welchen er hernach auf seinem Forum sehr prächtig erbaute
und am 25. Septb. 708 (24. Juli 46) mit vielen Spielen einweihte 8 ).
391 Augustus war ganz der Mann, die mythologischen und religiösen
Prätensionen dieses Dienstes zum Vortheile der Dynastie der Julier
vollends auszubeuten, daher Mars und Venus, die Stammgötter dieses
Geschlechts, durch ihn zu römischen Stammgöttern überhaupt er-
hoben 8 ) und namentlich Venus Genetrix als solche fortan in vielen
Gegenden von Italien mit und ohne speciellere Beziehung auf die
Julische Familien tradition verehrt wurde 4 ). Ja diese Verehrung der
») Caesar Fenere prognatus Cic. Ep. Farn. VIII, 15, 2. Vgl. Casars Rede
bei Suetoo 6 und Vellei. Pat. II, 41 nobilissima Iuliorum genitus familia et
quod inier otnnes antiquissimos constabat ab Anchise ac V euere deducens genus.
Mehr bei Dio XL, 34 und XLIII, 43. [Dramana 3, 114.]
«) Becker Handb. 1, 363 ff., Fischer Röra. Zeittafeln S. 289. Bei Serv.
V. A. I, 720 ist für Vertu* Nut rix ex Caesarit somnio sacrata zu leseo
Genilrix [?].
») Mars and Venus sind die Stammgötter der Julier, s Dio L1U, 27 vom
Pantheon des Agrippa, C. I. Gr. n. 2957, wo Iul. Caesar anb v AQta>s xal
jttf-QoMttis abgeleitet wird, vgl. Tacit. Ana. IV, 9. Daher Romulus oach der
Erkläruog des Verrias Flaccus uod aodrer Gelehrten der Augusteischen Zeit
den ersteo Mt. seines Jahres seinem Vater Mars, deo zweiten der Venus
Genetrix d. h. der Mutter der Aeoeaden weiht, s. Verr. Fl. Fast. Praen. zam
1. April: Apräis a t'enere, quod ea cum Anchise parens fuü Aeneae regis,
qui genuü Iulutn, a quo populus Romanus ortus, Ovid F. IV, 25 ff., Macrob.
S. I, 12, 8.
*) Vgl. Or. n. 1377, Mommseo L N. n. 1385 und 4837 [C. I. L. 2, 3270].
Ueber das Bild der Venus Genetrix s. Visconli M. Pio Cl. III, 8, Gerhard
i
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VENUS.
445
Venus Genetrix als der Stamm mutter des römischen Volks behauptete
sich auch nach dem Aussterben des Julischen Geschlechts, da noch
Hadrian einen prachtvollen Doppeltempel der Roma und Venus mit
zwei colossalen Statuen der beiden Göttinnen erbaute 1 ), offenbar
wegen des alten und eingewurzelten Glaubens, dafs die troische
Venus durch Aeneas und die Aeneaden die Stammmutter des
römischen Volkes sei.
Nachdem die Römer diese Formen des Dienstes der Venus
Urania in früheren Zeilen durch Vermittlung der Latiner und andrer
italischen Völker kennen gelernt hatten, geriethen sie im Laufe des
ersten punischen Kriegs in unmittelbare Berührung mit dem Dienste
der erycinischen Venus und seinen Traditionen von der Wan-
derung des Aeneas; ja sie wurden seit dem Frieden vom J. 241
v. Chr. die Herrn über diese Gegend und diese Heiligthümer, welche
für sie längst die Bedeutung einer sacralen Metropole hatten und in
diesem Sinne fortan auch von ihnen gepflegt wurden 8 ). Die Folge
war dafs Rom sich den Dienst der erycinischen Venus nun bald un-
mittelbar von dort aneignete. Im Jahre der Schlacht am Trasi ma-
nischen See (217 v. Chr.) wurde auf den Rath der Sibyllinischen asa
Bücher der erste Tempel derselben und ein Lectisternium gelobt,
bei welchem Mars und Venus als zusammengehöriges Paar er-
schienen, während der neue auf dem Capitol erbaute Tempel der
erycinischen Venus im folgenden Jahre eingeweiht wurde 8 ). Ein
andrer und wie es scheint noch angesehener Tempel derselben Göttin
lag vor der p. Collina, wo er im J. 18J. v. Chr. eingeweiht wurde,
nachdem er einige Jahre vorher von einem Consul im Felde gelobt
worden war 4 ). Diese Göttin galt wie das Urbild auf Sicilien für
eine weibliche Macht des Himmels und der schöpferischen Natur,
Venusidole S. 2* [A. Reifferscheid De ara Veneris genetricis, Aonali dell' in-
stitutu 1863, p. 3JU ff., vgl. U. Köhler ib. p. 2Mf.]
*) Becker Handb. 1^ 444. Dafs auch diese Venus des Hadrian die Venus
Genetrix war, und zwar in der erweiterten Bedeutung einer Genetrix gentis
Martine, Arnob. IV, 35, folgt auch aus der Stiftung zu Ehren des Marc. Aurel
und der Faustina bei Dio LXXI, 3_L
>) Tacitns Annalen IV, 43^ Sueton Claud. 25. Vgl. Eckhel D. N. 1
p. 231L
»} Liv. XXII, 9, XXIII, 3A 31^ Becker S. 40&
*) Liv. [XL, 34] XXX, 38^ Strabo VI p. 212. [[F)eneri Eryc\inae extr]a
port(äm) Collin(am) der Arvalkal. 23. April. Vielleicht gehört hierher der
sortilegus ab rener e Erycina C. L L. 6^ 2274.]
146
FÜNFTER ABSCHNITT.
auch der beruhigten See, aus welcher Aphrodite geboren ist, aber
auch der Buhlerei und Prostitution, von welcher Seite sie in Rom
wie anderswo bald lebhaften Anklang fand.
Dazu waren im Laufe der Jahre noch verschiedene andre Formen
des griechischen und orientalischen Venusdienstes gekommen, welchen
bald in dem alten Bezirke der Murcia, bald in andern Gegenden der
Stadt neue Heiligthümer gestiftet wurden. So gab es in der Nähe
des Circus Max., also wahrscheinlich in jenem Bezirke, einen T. der
V. Obsequens d. h. der Willfahrigen, welcher im J. 2Ü1> v. Chr.
von Q. Fabius Gurges von den Strafgeldern ehebrecherischer Matronen
gestiftet worden war 1 ): ferner in demselben Bezirke einen T. der
V. Verticordia, welche der griechischen änoaiQotpia entspricht
und auf Veranlassung höchst bedenklicher Spuren von Unsittlichkeit
unter den Frauen und Jungfrauen der höheren Stände und eines
schrecklichen Vorfalls im J. 1 14 v. Chr. gestiftet wurde. Drei
Vestalische Jungfrauen, Aemilia, Licinia und Marcia, hatten sich
damals in verbotenem Umgange mit römischen Rittern betreffen
lassen, worauf in jenem Jahre die Sache zur öffentlichen Verhandlung
kam und Licinia durch die Beredsamkeit des L. Crassus, Marcia
durch einen andern Anwalt gerettet wurde, so dafs nur Aemilia als
Opfer fiel. In dem Herbste desselben Jahres, nach den römischen
Spielen, war ein römischer Ritter P. Elvius mit Frau und Tochter
auf der Rückkehr nach Apulien begriffen, als sie im Freien von
einem starken Gewitter überrascht wurden. Die Tochter wird ängst-
222 lieh, der Vater setzt sie auf ein Pferd , um schneller mit ihr unter
Dach zu kommen; da wird sie auf dem Pferde vom Blitz getroffen.
An den Kleidern, am Schmuck, an den Schuhen war keine Spur
des Blitzes zu finden, auch an ihrem Leibe nicht, nur dafs sie mit
entblöfster Schaam dalag und die Zunge aus dem Munde hervor-
ragte, daher man annahm, der Blitz sei durch die Schaam hinein
und aus dem Munde wieder herausgefahren. Auch das Pferd war
getödtet worden und der Sattel, Gurt und Zaum lagen zerfetzt
umher 3 ). In Rom sah man in diesem Vorfall einen deutlichen Aus-
») Nach Liv. X, 31^ vgl. Serv. V. A. 1^ 720, wo Fabius Garges diesen
Tempel nach dem Samniterkriege stiftet, weil Venns sich ihm gnadig erwiesen.
Er setzt hinzu: Harte ItaU Postvotam dicunt, welcher Name wohl ver-
dorben ist.
*) Liv. Epit. 63^ Plio. HL N. VII, 120, Iul. Obseq. 31 (97^ Oros. V, löj
Fischer Rom. Zeitt. im J. LH und 113.
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VENUS.
447
druck des göttlichen Zorns über jene Sünden der Vestalischen Jung-
frauen und ihrer Buhlen, der Ritter. Die Untersuchung wurde also
im folgenden Jahre wieder aufgenommen und jetzt auch Licinia und
Marcia verurtheilt, ferner auf Veranlassung der Sil »j Iiinischen Bücher
jenes Heiligthum und ein Bild der V. Verticordia gestiftet, zu welchem
Behufe Sulpicia, die Gatün des Q. Fulvius Flaccus unter hundert
Frauen als die keuscheste auserwählt wurde 1 ). Die Absicht der
Stiftung war, dafs in Zukunft das Herz der Frauen und Jungfrauen
sich um so leichter von der Lust zur Zucht und Keuschheit wenden
möge. Noch andre Formen dieses späteren römischen Venusdienstes
sind eine V. Ca Iva, welcher zu Liebe die in verschiedenen Städten
wiederholte Geschichte erzählt wurde, dafs die Frauen bei der Be-
lagerung des Capilols durch die Gallier ihr Haar zur Anfertigung
von Stricken und Kriegsmaschinen hergegeben hätten 2 ). Andre er-
zählten von einem Aussatze, in Folge dessen den römischen Frauen
die Haare ausgefallen wären, wobei sie sich auf ein Bild beriefen,
welches vermuthlich das der V. Calva war, dann aber viel jünger
gewesen sein mufs als man in Rom glaubte, denn diese Form gehört
wesentlich zur orientalischen Familie des Venusdienstes. Das Bild
trug nehmlich einen Kamm in der Hand und war im Gesichte bärtig,
wurde also mannweiblich gedacht, denn der Kamm (xtdg) ist das
Merkmal des weiblichen Geschlechts. Wieder eine andre Venus hiefs
Equestris, weil sie zu Pferde safs, angeblich eine Stiftung des 304
Aeneas 3 ). Höchst wahrscheinlich war es die griechische 7if?.ayicc*),
denn das Rofs hatte in der bildlichen Sprache der Alten sehr oft
die Bedeutung der Woge, so dafs Venus auf dem Rosse die Herr-
scherin über das Meer bedeuten sollte, wie die gleichfalls in Rom
verehrte V. Marina und Limnesia d. i. die Hafengöttin, welche mit
der Zeit den gleichartigen Dienst der alten Mater Matuta verdrängte.
Ferner wird genannt eine V. My rica, Myrtea und Purpurissa,
») PHn. I. c, Val. Max. VIII, 15, 12. Dafs das Heiligthum im Bezirk der
Murcia lag, folgt aus Serv. V. A. VIII, 636.
*) Serv. A. I, 720, nach welchem Andre die Venu* calva erklärten wie
pura, noch Andre quod corda amantiuin calviat i. e. fallat atque eludat. Die
Geschichte dafs die Frauen ihr Haar zu Kriegsmaschinen hergegeben, ward
auch von der Belagerung Karthagos und von der von Byzanz und Aquileja
erzählt, s. Lactant. I, 20, 27, Iul. Capitol. Maximin. Iun. 7.
») Schol. II. 2, 820, Serv. 1. c.
*) [Eine (natürlich nicht römische) Pelagia C. I. L. 3, 3066 (Insel Corcyra
Nigra). Vgl. die f. A.]
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448 FÜNFTER ABSCHNITT.
mit Beziehung auf das heilige Laub der Tamariske und der Myrte
und auf die Purpurfarbung: also gleichfalls Nebenformen der eryci-
nischen, cyprischen oder phönicischen Aphrodite. Ferner gab es
eine V. Salacia, welche später für die Liebesgöttin der Buhlerinnen
galt, ursprunglich aber wohl auch nur die Göttin der salzigen
Meeresfluth gewesen war 1 ), ferner eine namentlich in Campanien,
aber auch sonst in Italien und in Rom verehrte V. Felix, welche
eine Göttin weiblicher Fruchtbarkeit war und als solche wie eine
glückliche, eine gesegnete Mutter, ein Rind auf dem Arme abgebildet
wurde 2 ). Höchst wahrscheinlich ist auch die hin und wieder er-
wähnte V. Fisica mit dieser identisch, da das griechische Wort
(pvGixij dem lateinischen felix in dieser Bedeutung entspricht: eine
Schutzgöttin von Pompeji, daher sie auch schlechthin V. Pompeiana
heifst, wie Venus denn überhaupt in Campanien, von Capua bis nach
Sorrent und Bajae, wo die Natur so fruchtbar, das Meer so reizend,
die Gesellschaft so genufsreich war, das Leben und die Sitte in vielen
und verschiedenen Formen beherrschte 3 ). Die Gemälde von Pompeji
und Herculanum legen davon ein sehr beredtes Zeugnifs ab, indem
sie uns die italische Venus nun ganz wie die griechische in den
verschiedensten Anlässen des Lebens und der Fabel als die Alles
] ) [Diese Namen sind Servias zur Aen. 1, 720 entlehnt. Von einem Cultus
derselben ist sonst nichts. Die Deutung der Salacia ist jedesfalls ein Mifa-
verständnirs. Doch wird an vereinzelten privaten Kulten griechischer Aphro-
diten kein Mangel gewesen sein : vgl. z. ß. den condüor sacrari Veneris Chen-
diae (Cnidiae?) C. 1. L. 6, 2273 nnd Bonae deae Veneri Cnidiae das. 76 (vgl.
Bona Dea) und die Caelestis das. 780 und 5, 8137. 8138, die griechische
Urania.]
») Or. n. 1366 [=C. I. L. 6, 7S2, dazu 781] und 4036 [Peltuinun. . Mommsen
I. N. n. 3903. 4986. 6034, vgl. Visconti M. P. Cl. U p. 313 und Müller Handb.
der Archaol. § 376, 3. Venus felix ist zu verstehn wie arbor felix von fco,
fetus u. s. w. [Vgl. Corsseu Beiträge zur lat. Formenlehre S. 191 f.]
') Or. n. 1370 = Mommsen I. IN. n. 2253 [und C. I. L. 4, 1520], vgl.
Dens, im Rh. Mus. f. Philol. 1847 S. 457 und das Bullet. Archeol. Napol. 1854
p. 58. Die Mehlis Fisica bei Mommsen 1. N. n. 307 bedeutet wohl eine heifse
Schwefelquelle, in deren Nähe die Vegetation gut gedieh. [Das sicher osklsche
Wort fisica (mit tpvotx kann es nichts zu thun haben) ist noch nicht er-
klärt, die Vergleichung der Eigennamen Fiselius u. a. hilft nicht.] Pompeii
heifst COLonia VENeria CORnelia entweder nach dem Dictator Sulla oder nach
seinem Neffen P. Cornelius Sulla. Vgl. Martial. IV, 44 Haec Veneris sedes,
Lacedaemone gratior Uli, und Bullet. Nap. 1853 n. 27. [Vgl. Nissen Pomp.
Studien 327 ff.] Bekannt ist die Venus von Capoa, vgl. Mommsen n. 3561
Magistri Venems Joviae. In Sorrent aedes Veneris, ib. n. 2123. 2124.
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VENUS.
449
beseelende und beherrschende Guttin der Schönheit und der Liebe 395
zeigen, neben ihr eine grofse Anzahl von Eroten und Psychen, deren
heitres Spiel auch in der römischen Decorationsmalerei sehr belieht
war. Eros wurde zum Amor oder zum Cupido, Peitho, eine eben so
unzertrennliche Gefährtin der Aphrodite, zur Suada, neben welcher
als Göttin der Liebessehnsucht und des sinnenden Glücks oder Un-
glücks der Liebe eine eigne Venus Mimnermia oder Meminia ■
verehrt wurde 1 ).
Einer so veränderten Auflassung gemäfs mufsle sich natürlich
auch der gewöhnliche Gottesdienst der Venus in Rom wesentlich
verändern, da man von der einfacheren Auffassung dieser Göttin als
einer Göttin der Vegetation, der Weinberge, des Frühlings und seiner
Lust immer entschiedner zu der griechischen und orientalischen
übergegangen, d. h. Venus vorherrschend als Göttin des weiblichen
Reizes und des Genusses der Liebe zu feiern gewohnt geworden war.
Vorzüglich war es der April, wo man Venus in diesem Sinne feierte.
Der l. April galt nun vorzugsweise der V. Genetrix, der Stamm-
mutter 'des römischen Volks, der Erneueriii aller Fruchtbarkeit des
Jahres, welcher man jetzt auch die neue Eröffnung des Meeres und
der Schiffahrt zuschrieb. Namentlich beteten die Frauen an diesem
Tage eifrig zur Fortuna Viriiis d. h. zu der Götlin des Glückes der
Frauen bei den Männern, während die Frauen geringeren Standes
sogar die Badstuben der Männer aufsuchten, um dort ihre Andacht
zu verrichten 2 ). Ferner wird von einem Bade der Venus d. h. ihres
Bildes erzählt, bei welchem die Frauen gleich dem Bilde allen
Schmuck ablegten, nach dem Bade aber dasselbe mit neuem Ge-
schmeide und mit frischen Blumen, vorzüglich mit Rosen schmückten,
worauf auch sie selbst unter grünenden Myrten ein Bad nahmen,
wie einst Venus, da sie aus dem Meere aufgestiegen ihr Haar trock-
nete, vor der Zudringlichkeit lüsterner Satyrn ihre Zuflucht zu einem
Myrtengebüsch genommen habe 8 ). Endlich empfiehlt Ovid den Frauen
>) Serv. V. A. I, 720.
*) Verr. Flacc. b. Macrob. I, 12, 15 and Fast. Praen. 1. April. Frequenter
tnulieres supplicant Fortunae t'irili, humiliores etiam in balineis, quod in iU
ea parte corporis utique viri nudantur, qua feminarum gratia desideratur.
[Mommsen C. 1. L. p. 390 vermulhet supplicant [honestiores Veneri Ferticordiae],
Fortunae viriles humiliores, etiam u. $. w.J Vgl. Ovid F. IV, 145 ff., Io. Lyd.
d. Mens. IV, 45.
8 ) Ovid 1. c. v. 133 ff., vgl. Plot. Numa 19. Verrauthlich hängt damit zu-
Preller, Röm. Mythol. I. 3. Aufl. 29
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450
FÜNFTER ABSCHMTT.
396 an diesem Tage einen Mischtrank aus Milch, geslofsenem Mohn und
Honigseim zu nehmen, wie dieses auch Venus hei ihrer Vermählung
gethan hahe. Auch Venus Verticordia wurde an diesem Tage als
Göttin der weiblicheu Zucht und Sitte verehrt, so dafs also über-
haupt vorzugsweise die Matronen an ihm thätig waren. Dagegen
galt der 23. April, der Tag der Vinalia priora, in dieser späteren
Zeit speciell der Venus der Buhlerinnen und der Prostitution über-
haupt, derselben welche Lucrez IV, 1063 die V. Volgivaga nennt
und welche bei den Griechen Pandcmos hiefs. Es war die eryci-
nische Venus vor der p. Collina, wo am 23. die Teilen Dirnen mit
Myrten und Rosen ihre Andacht verrichteten, während seit Cäsar
der 25. April von den feilen Knaben als eigner Festtag ihrer Pro-
fession begangen wurde, so sehr war auch dieses Laster schon zu
einem anerkannten BedOrfnifs geworden 1 ). Die unschuldigere Be-
deutung der Venus als einer Göttin der weiblichen Geschlechtsreife
und Geschlechtsbestimmung tritt auch in dem Gebrauche hervor,
dafs die Mädchen, wenn sie aufhörten Kinder zu sein, entweder der
Diana oder der Venus ihre Puppen weihten 2 ).
4. Priapus.
Mit der Venus war auch Priap nach Italien und Born gekommen,
ganz in derselben Bedeutung wie er in Kleinasien, vorzüglich in der
Gegend von Lampsacus und überhaupt am Hellespont verehrt wurde
[Gr. Myth. 1, 608 f.], als Dämon aller üppigen Fruchtbarkeit und un-
verhülltes, aber den Alten durch lange Gewohnheit vertrautes Symbol
jedes geilen Naturtriebes. Sein eigentliches Gebiet waren die Gärten
und Baumpflanzungen, wo sein Bild in der von Horaz und andern
Dichtern mit so vieler Laune 1 beschriebenen Gestalt zugleich dem
praktischen Zweck einer Vogelscheuche und eines Schutzes gegen
saimnen die 'AifQoMrr] IntiuXaQiog bei Plut. fort. Ro. 10, welche ueben der
Fortuna Viriiis verehrt wurde.
i) Ovid F. IV, 863 ff., Verr. Fl. Fast. Praen. z. 25. April. [Mominscn
C. I. L. 1 p. 392.] Eben dahin gehört die V. militaris d. h. quae castrertsibus
flagitiis praesidet et puerorum stupris, Arnob. IV, 7, Serv. V. A. I, 720. So
spricht Varro r. r. II, 10, 6 von eher V. pastoralis d. h. eioer Göttio des
Liebesbedürfnisses der Hirten.
») Pers. II, 70, vgl. Anthol. Pal. VI, 280 uud O. Jahn z. Pers. p. 130.
Vgl. Varro b. Non. Marc. p. 156 Properate vivere puerae, quas sinit aetaitda,
ludere, esse, arnare et Veneris teuere bigas.
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PRIAPUS.
451
den linsen Blick des Neides und das Gelüst der Gartendiebe ge-
nügte 1 ). Doch trat er auch im Gefolge des Bacchus oder der Venus 397
auf, als asiatischer Alter, härtig, in einem langen Gewände und mit
dem asiatischen Kopftuch, Früchte und Trauben im Sehoofs 2 ), als
ein Gott des ländlichen Segens überhaupt. Ja sein Bild wurde,
wie das der Venus und des Cupido, als Symbol der ewigen Rege-
neration skraft der irdischen Natur selbst an Gräbern aufgestellt 3 ),
während er andrerseits in seiner derb unanständigen Weise zu den
beliebten Figuren des Volkstheaters 4 ) und des Volkswitzes überhaupt
gehörte.
5. Fertumnus und Pomona.
Vertumnus oder Vortumnus galt in Rom gewöhnlich für einen
Gott etruskischer Abkunft, aber nur weil sein Bild im Vicus Tuscus
stand, einer lebhaften Durchgangsstrafse zwischen dem Forum, Vela-
brum und Circus Maximus, wo ehemals Tusker angesiedelt worden
waren (Varro 1. 1. V, 46). Doch wurde derselbe Gott auch bei den
Latinern, den Sabinern und überhaupt in Italien als ein der Ceres
und der Pomona nahe verwandter Fruchtgott viel verehrt 6 ), wie ja
') Virgil Ge. IV, 110 mit den alten Aaslegern, Horat. S. 1, 8, vgl. Plin.
II. N. XIX, 50 hortoque et foro tantum contra tnvidentium effascinationes di~
cari videmus in remedio satyrica signa, quamquam hortos ttüelae f 'cneris ad-
signante Plauto [S. 441, 2], 0. Jahn in den Berichten der K. Sachs. Ges. d. W.
1855 S. 72. Inschriften b. Or. n. 1623 uod eine merkwürdige griechische ans
Rom C. I. Gr. n. 5960. [C. I. L. 6, 564 (offenbar ans einer ländlichen Villa) . . .
sigiU(utn) Pria(pi) Liber{i), wohl eher als sigilla. Vgl. Nissen Pomp. Stud.
S. 329; das bekannte Gedicht C. I. L. 5, 2803 u. a. m.j
') Petron. Satir. 60, vgl. O. Jahn in dens. Berichten 1856 S. 235 8*. In
einer Inscbr. b. Grut. p. 95, 4 heifst Priapus der conservator propaginis villi-
corwn, in einer griechischen Inschrift aus Rom C. I. Gr. n. 5962 rtjs ytviatug
notftriv.
») Inschriften von Gräbern b. Henzen n. 5756 a aus Rom: Gustos sepukhri
pene destricto deus Priapus ego suin mortis et vitai locus, vgl. Or. n. 1624
[= C. I. L. 5, 3634] aus Verona : Dis Manib. C. H. C. locus adsignatus moni~
mento in quo est aedicla Priapi etc. Vgl. Mommsen I. N. n. 4218 aus Interamna
am Liris: Dis Man ihn s und dazu als Bild: Venus nuda iacet cum Cupidine
vgl. Or. n. 4585. Ein Priapus Pantheus b. Or. n. 2117. [= C. I. L. 3, 1139!
Lieber Priapus vgl. 0. Jahn in den Jahrbb. des Vereins v. A. F. im Rheinlande
27, 45 ff.]
4 ) Augustin C. D. VI, 7.
6 ) Vgl. Varro 1. 1. V, 74, Mommsen 1. N. n. 375 und 636. Neben der
Ceres wird er genannt b. Mommsen n. 373 und b. Henzen z. Or. n. 5718.
29*
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FÜNFTER ABSCHNITT.
auch der Name acht klinisch und ilalisch ist, so dafs also auch in
diesem Punkte wie in so vielen andern der etruskische Götlerglauhe
mit dem des (ihrigen Italien übereingekommen sein mufs. Der Name
hängt jedenfalls zusammen mit vertere, und zwar ist Vertumnus
speciell der Fruchtgott des annus vertens 1 ), dessen wunderbar wech-
selnde Gaben an Blumen und Früchten, Gewächsen, Bäumen und
398 Beschäftigungen sich in der Wandelharkeit dieses Gottes und seiner
Gestalten und Zierden wiederspiegelt, So ist er zunächst sowohl
ein Gott des Frühlings 8 ) als des fruchtbaren Herbstes, ganz beson-
ders aber dieses letzteren und seiner Spenden in den Gärten und
Baumpflanzungen; daher er gewöhnlich wie ein Gärtner und Obst-
züchter gedacht und abgebildet wurde, Früchte im Schoofs und das
Gartenmesser in der Uand; doch besafs er nach dem Glauben des
Volks die proteische Natur einer absoluten Wandelbarkeit, so dafs
er jede beliebige Gestalt annehmen konnte 3 ). Den römischen Ver-
tumnus im Vicus Tuscus schildert Properz in einem allerliebsten
Gedichte (V, 2). Es reut ihn nicht, sagt er, Volsinii im Kriege ver-
lassen zu haben (daher mochte das spätere Erzbild stammen), denn
es gefalle ihm sehr in der lebhaften Strafse zu Rom, wo täglich so
viel Volks vorbeilaufe und von wo er auf das geschäftige Forum
') [Die Endung -u-mnus (auch Fem. -u-mnä) ist zwar unzweifelhaft mit dem
Part. Präs. Pass. verwandt, die participiale und passive Bedeutung aber ist den
zahlreichen damit gebildeten Namen und Wörtern (Corssen Ausspr. 2 S , 170 h".)
nicht mehr lebendig. Aehnlich die Verwendung des Suffixes -ndo- in älteren
weiblichen Gütternamen: (divae) Lar-u-nda, Fata Scrib-u-nda, sfdolenda, Com-
molenda, Deferunda. Außerhalb Rom (vgl. a. Schlufs) findet sich der Cultus
in Italien nur vereinzelt und ist wohl unter diesem Namen ursprünglich aus-
schliefslich römisch: aufscrhalb Italien ist er so gut wie unbekannt (C. I. L.
5, 7235 Segusio).]
') Columella X, 308 mereibus et vernis dives Vertumnus abundet. Vgl.
Prop. V, 2, 11 seu quia vertenlis fruetum praeeepimus anni, Vertumni rursus
creditur esse sacrum. Tibull. IV, 2, 13 TaUs in aeterno felix FeHumnus
Olympo: mille habet omatus, mitte decenter habet.
») Daher Horat. S. II, 7, 14 Fertumnis quotquot sunt nattts iniquis. Er
wurde darüber und wegen seiner Stelle im Vicus Tuscus, wo es viele Buden
gab, Horat. Ep. 1, 20, 1, II, 1, 269, Martial. XI, 27, 11, auch zum Gotte des
Kaufs und Verkaufs, s. Ascon. in Verr. II, 1, 154 p. 199 Vortumnus autem
deus invertendarum rerum est i. e. mercaturae. [Ein darauf bezügliches Wort-
spiel wahrscheinlich schon im Prolog des Curculio 21, vgl. Jordan Hermes
15, 123 ] Ueber seine gewöhnliche Bildung s. Welcker z. Müller Handb. d.
Arch. § 404, 1. [Doch vgl. Reifferscheid Annali 1866, 212 f.]
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VERTDMNUS UND POMONA.
453
sehen könne. Einst sei der Tiber da geflossen, doch habe er dessen
Strom gewendet, woher er nach Einigen seinen Namen bekommen
habe 1 ), dahingegen Andre diesen von den mancherlei Früchten ab-
leiteten, die ihm im Laufe des Jahres von dem Landvolke dargebracht
wurden. Ihm reife zuerst die Traube, sein Haar werde zuerst von
der reifenden Aehre geschmückt, Kirschen, Pflaumen, Maulbeeren,
Birnen könne man zuerst bei ihm finden. Alle Gestalten kann er
annehmen und pafst zu allen Gestalten, der des Kriegers, des Jägers,
des Gärtners, des Fischers, des Hirten, eines Mädchens oder eines
Jünglings. Aber am meisten berühmt und bewährt sei er doch als
Gärtner und die Zier der Gärten stehe ihm auch am besten an,
Gurken, Kürbisse, zierlich gebundene Kohlköpfe und alle Blumen.
Einst sei sein Bild ein einfacher Ahornstock gewesen, etwas zu-
gestutzt mit dem Messer, jetzt stehe er da als gegossenes und
geschnitztes Bild von Erz, das Werk eines zweiten Mamurius. Noch 399
hübscher ist das latinische Mährchen von Vertu mnus und der
Pomona bei Ovid. Met. XIV, 623 ff., natürlich spielt es in alter
Zeit, unter dem Albanerkönige Procas. Pomona ist die schöne
Nymphe der Gärten und der Fruchtbäume. Immer ist das Garten-
messer in ihrer Hand, bald um geile Triebe ihrer lieben Bäume zu
beschneiden, bald um edle Setzlinge in den wilden Stamm einzu-
lassen. Die Bäume sind ihre ganze Lust, sie zu begiefscn, zu pflegen,
gegen das Gelüste der Waldmänner zu hegen. Von keiner Liebe
wufste sie, wie sehr sich auch die lustigen Söhne der Flur und des
Waldes um ihre Gunst bemühen mochten, auch Siivan, dessen Herz
immer jünger ist als seine Jahre: bis Vertumnus die Spröde be-
zwang, durch treue Liebe und durch die Schönheit seiner wirklichen
Gestalt. Anfangs suchte er sie unter allerlei fremden Gestallen zu
gewinnen, indem er bald als Schnitter zu ihr trat, bald als Mäher,
bald als Ochsentreiber, dann wieder als Gärtner, als Winzer, als
kühner Krieger mit dem Schwerdt, als Fischer mit der Angel, zuletzt
in der Gestalt eines alten Weibes mit greisem Haar und bunter
*) v. 10 Vertumnus verso dicor ab amne deus. Vgl. Ovid F. VI, 403
und Serv. V. A. VIII, 90. Ueber das Oertliche s. Becker Handb. 1, 154. 439
und meine Kegionen S. 151. (Die Inschr. C. I. L. 6, 804 Vortmnnus tempo-
ribut Diocletiani et Maximiani ist am westlichen Ende des virus Tuscus,
der jetzt zum Theil wieder aufgedeckt ist, gefunden worden (vgl. Henz. 5755,
Jordan Eph. epigr. 3, 241). Dort stand sein Bild (sacellum) und war vom
Forum aus sichtbar.]
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454
FÜNFTER ABSCHNITT.
Haube, die an einem Krückenstabe in Pomonas Garten tritt, ihr
Obst lobt, die reizende Nymphe küfst, zu den vollen Zweigen ver-
wundert aufschaut und an dem Beispiel der Ulme, an welcher eine
Weinrebe voller Trauben reifte, das Glück der liebenden Vereinigung
nachweist. Warum sie so spröde sei, von so Vielen geliebt? Wohl
habe sie Recht, die gemeinen Gesellen des Waldes zu verschmähen,
nicht aber den Vertumnus, der in allen Gärten um Alba heimisch
sei und Pomona so zärtlich liebe, zärtlicher als alle. Auch sei er
jung und schön und seine Leidenschaft für das Obst so grofs wie
die ihrige. Alles umsonst, bis er seine wahre Gestalt annimmt, die
eines schönen Jünglings, so schön wie wenn die Sonne in vollem
Glänze strahlend durch die Wolken blickt. Da ergiebt sich die
Schöne freiwillig dem Schönen und beide sind fortan unzertrennlich.
Wirklich scheint es in Italien neben der Pomona einen männlichen
Gott desselben Namens gegeben zu haben, welcher in den iguvinischen
Opferurkunden Puemunus heifst 1 ) und wohl mit dem Vertumnus
identisch gewesen sein mag. Pomona aber hatte zwar auch in Rom
400 einen eignen Flamen, freilich seiner priesterlichen Würde nach den
am wenigsten angesehenen, weil die Aepfel (poma) im Rufe leicht-
fertiger Sitte standen 8 ), doch war ihr eigentliches Gebiet natürlich
wie das des Vertumnus auf dem Lande. So gab es auf dem ager
oder campus Solonius, der sich zwischen Ardea und Ostia erstreckte 3 )
l ) Aufrecht aod Kirchhoff ümbr. Sprachdenkm. 2 S. 364. [S. die A. 1 fl. S.}
Neben dem Puemunus und in steter Verbindung mit ihm erscheint auf den
igavinischen Tafeln eine Göttin Vcsuna, die sich auch bei den Volskern
und Marsern findet, aber noch nicht sicher erklärt ist, vgl. Mommsen Unter-
ital. Dial. S. 321. [Bronze von Antinum unweit des Fucinersees, volskiseh,
= Fabr. 2740. Stein von Milonia Mommsen T. XV S. 345 — Fabr. 2742 =
C. I. L. 1, 182. Dafs das umbrische Vemne Puemunes bedeutet ,Vesune Frau
des Puemunus' hat schon Mommsen zu C. I. L. 1, 182 gesagt (jetzt auch
Bücheler im Bonner Progr. 22. März 1880 S. 13). — Neuestens ist ein etrus-
kischer Spiegel gefunden worden (Mon. dell' ist. 11 T. XXI) auf welchem
Vesuna neben Phuphluns (Bacchus) erscheint: dafs Vesuna hier (wie ander-
wärts Minerva) von den Umbrern entlehnt ist, hat Klugmann richtig bemerkt
(Bull. 1880, 102, vgl. Heibig Ann. 18S0, 257). — Die sprachlich unmögliche
Identifictrung von Vesuna mit Feronia ist S. 426, 1 berührt worden. Möglich,
aber ganz unsicher bleibt die von Bücheler Rh. Mus. 1877, 45 behauptete
Zugehörigkeit von osk. Ves . ., Vesu . ., Vesulia, Fesulias, Vesulliais auf den
bei Zwet. Syll. 1. Ose. p. 107 verzeichneten Inschriften.]
») Varro 1. 1. VII, 45, Fest. p. 154 Maximae dignationis.
8 ) Fest. p. 250, vgl. Bormann altlatin. Chorogr. S. 118.
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VEHTLM.M'S UND POMONA.
455
und damals fleifsig cullivirt wurde, ein sogenanntes Pomonal, also
einen alten Ilain der Pomona, der für die ganze Umgegend von
religiöser Bedeutung sein mochte, wenigstens deutet auch die Fabel
von Picus und Pomona (S. 377) auf diese Gegend. Endlich wissen
wir dafs sie auch in der Gegend von Amiternum verehrt wurde 1 ).
Vertumnus aber hatte aufser jener Capelle mit dem alten Bilde
im Vicus Tuscus eine andre am Abhänge des Aventin, wo ihm am
13. August, wohl zur Begrüfsung der Obstzeit ein Opfer dargebracht
wurde *).
') Vgl. die oskische Inscbr. aus jener (legend bei Momraseo Unterit. Dial.
t. XV S. 339 [= Fabrctti 2737J mesene flusare poimunie [vielmehr bietet der Stein
hinter e noch das Zeichen /*] d. i. mense Florali Pomonae [docb s. S. 430, 2]. Vgl.
noch die Inschr. aus Salerno bei Mommsen I. N. n. 122, wo Einer eine Summe
legirt ad exornandam aedem Pomonis etc. [Die Annahme der Identität von umbr.
puemun-, sabell. poimun-, mit lat. pornon- ist, wie Aufr. und Kirchb. U. S. D.
2, 364 richtig bemerken, wegen des oi (= i/e??) = ö bedenklich und das Bedenken
wird durch Breal T. Eup. 29$ nicht gehoben. Die Entscheidung hangt von
der noch nicht gelungenen Erklärung von po-mum (von pä- ,nähren', Corssen
Ausspr. 1 342 oder pü ,zeugen', Curtius 2H7?) ab. — Auffallend aber docb
wohl zufällig ist das lautliche Zusammenfallen von Poimunie mit dem bar-
barischen Gölternamen Poemana C. I. L. 2, 2573.]
J ) Kai. Capranic. Aniitern. z. d. Id. Aug. [C. I. L. 1 p. 399]. Auch die
aciles Vertumni b. Fest. p. 209 Picta ist wahrscheinlich auf den Aventin zu
beziehn, s. Becker Handb. 1, 450. 453. 489 [und genauer Jordan in der S. 233
A. 2 a. Abhandlung]. Andre Stellen sind zweifelhart, weil die Namen Vor-
luuinus und Volturnus leicht verwechselt wurden.
Druck toü W. Pormotte r in Berlin C Nene Gran»tra»»e 30.
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