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Full text of "Römische Mythologie"

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RÖMISCHE 
MYTHOLOGIE 



Ludwig Preller 



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iL 



ROMISCHE 



MYTHOLOGIE 



L. PRELLBR. 



H. JORDAN. 



ERSTER BAND. 



BERLIN, 
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG. 
1881. 




DRITTE 



AUFLAGE 



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Das Recht der Uebersetzung io fremde Sprachen behalt sich die 
' Verlagshandlang vor. 



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0 



DER UNIVERSITÄT JENA 



BEI IHRER DRITTEN SEOUL AR FEIER 



GEWIDMET. 
[1358.] 



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VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE. 



Für die neue Ausgabe dieses Werkes ist der Grundsatz mafs- 
gebend gewesen, Preiler's Text unberührt zu lassen, ausgenommen 
an wenigen Stellen, an denen thatsächliche Irrthümer daraus entfernt 
werden konnten ohne den Zusammenhang wesentlich zu stören, hin- 
gegen den Beweisapparat der Anmerkungen einer vollständigen Nach- 
prüfung, Berichtigung und Ergänzung zu unterziehen. Dies ist in 
der Weise geschehen, dafs nicht allein sä mmt liehe Belegstellen 
aus der alten Litteratur und den Inschriften nachgeschlagen und 
nach den neueren Hilfsmitteln berichtigt worden sind (für die Natur- 
geschichte des Plinius ist die Paragrapheneintheilung Sillig's allein 
berücksichtigt worden), sondern auch, was sich an wichtigeren von 
Preller übersehenen oder ihm noch nicht zugänglichen Belegen darbot, 
seinen Sammlungen angeschlossen und in berichtigenden oder berich- 
tenden Zusätzen die Fortschritte, welche die Forschung seitdem 
gemacht hat, bald in knapper, bald in ausfuhrlicherer Darstellung 
verzeichnet worden sind. Diese sämmtlichen Zusätze sind in eckige 
Klammern gesetzt worden: es erschien nicht nöthig von ihnen die 
wenigen, ausschliefslich Gitate aus der neueren Litteratur enthaltenden 
der zweiten Ausgabe durch ein besonderes Zeichen zu unterscheiden. 

Preller hat erkannt dafs die Erweiterung der Betrachtung der 
römischen Staatsreligion zu einer Betrachtung der italischen Volks- 
religionen das eigentliche Ziel der Forschung, die wissenschaftliche 
Deutung der Namen und die Benutzung der bezüglichen Denkmäler 
der italischen Mundarten das wichtigste Mittel zur Erreichung des- 
selben sei. Man wird finden dafs beiden Gesichtspunkten eine durch- 
gängige und vorwiegende Aufmerksamkeit zugewendet worden ist, 
dem letztern in dem Sinne, dafs dem kühnen Spiel mit etymo- 
logischen Hypothesen nach Kräften Schranken gezogen worden sind. 

Aber es liefs sich begreiflicher Weise in die gegebene enge 
Form nicht der ganze Reichthum der seitdem aufgeschossenen neuen 



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VI 



VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE. 



Forschungstriebe, insonderheit der Denkmalerforschung hineinzwangen. 
Dazu kommt dafs diese Forschung nach mancher Richtung hin über 
ein zwar reiches, aber noch ungesichtetes Material verfugt. Inson- 
derheit wird auf dem weiten Trümmerfelde der Inschriften des römi- 
schen Reichs — für den vorliegenden ersten Band hat der achte 
des Corpus inscriptionum noch nicht, hingegen durch Henzen's Güte 
das noch nicht ausgegebene dritte Heft vierten Bandes der Ephemeris 
epigraphica benutzt werden können — erst durch weitgreifende 
monographische Bearbeitung Uebersicht und Ordnung geschaffen 
werden müssen, ehe eine zusammenfassende Darstellung des italisch- 
römischen Religionswesens mit Erfolg aus den mannigfachen Er- 
scheinungen die Summe zu ziehen im Stande sein wird. Leichter 
zu übersehen und besonders in Folge der von II. Brunn gegebenen 
Anregung im Detail genauer untersucht ist der Vorrath an neuen 
oder früher nicht beachteten Kunstdenkmälern. Nur von den Münz- 
bildern gilt noch dasselbe was von den Inschriften gesagt worden 
ist. Ueber Einzelnheiten auf beiden Forschungsgebieten habe ich 
während meines hiesigen Aufenthalts bei alten und neuen Freunden 
Raths erholen können. 

So sehr ich bestrebt gewesen bin, Preller's Arbeit in ihrem 
Bestände möglichst zu erhalten und sie in seinem Sinne zu ergänzen, 
so ist es doch nicht möglich gewesen eigene subjective Meinungen 
gänzlich auszuschliefsen. Ich werde anderwärts Gelegenheit haben 
über eine hier mehrfach nur gestreifte Fundamentallehre, die Lehre 
von dem Verhältnifs der römischen Staatsreligion zu den verwandten 
italischen und der fremden etruskischen, im Zusammenhang zu han- 
deln. Mehrfach mufste für die Geschichte der stadtrö mischen Kulte 
auf den Schlufsband meiner Topographie verwiesen werden, dessen 
Druck unmittelbar nach der Vollendung dieses Buchs beginnen wird. 

Ich erwähne endlich noch dafs die Verweisungen rückwärts sich 
auf die Seiten der neuen Ausgabe, diejenigen vorwärts auf die am Rande 
beigesetzten der zweiten beziehen, welche mit denen der ersten fast 
zusammenfallen. Es schien zweckmäfsig das Buch, das an Umfang 
nicht unerheblich zugenommen hat, in zwei Bänden auszugeben. Für 
die Nachträge und Berichtigungen verweise ich auf den zweiten Band. 

Möchte Preller's Arbeit in seiner neuen Gestalt fortfahren för- 
dernd und anregend in die römischen Studien einzugreifen. 

Rom, im Mai 1881. 

H. Jordan. 



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INHALT DES ERSTEN BANDES. 



Einleitung. 

Seite 

1. Die Religion der Römer neigte mehr zum Cultus als zur My- 



thologie 1 

2. Es fehlte an einem nationalen Epos 3 

3. Die stammverwandten Völker des alten Italiens 6 

4. Latiuin oud die Latiuer 9 

b. Die Etrusker and die Griechen 11 

6. Die Epochen der römischen Religionsgeschichte 19 

7. Die Quellen 29 

8. Die römische Mythologie seit Niebuhr 45 

Erster Abschnitt. 

Theologische Grundlage. 

1. Die Götter 49 

2. Die Genien, Laren, Penaten, Manen 75 ^ 

3. Die Semonen und Indigeten SS 

4. Dienende Gottheiten 99 

Zweiter Abschnitt. 

Zur Geschichte des römischen Cultus. 

1. Die Periode des Faunus 105 

2. Der Gottesdienst des Numa 119 

3. Die Neuerungen der Tarquiuier und ihre Folgen 142 

Anhang. Der Kalender 156 

Dritter Abschnitt. 

Die himmlischen und die herrschenden Götter. 

1. Ianus 166 

2. Jupiter 184 



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XII 



INHALT DES ERSTEN BANDES. 



Anhang, a. SjMHWMM 243 

b. Diespiter und Jas lustitut der Fetialen 245 

c Fides . , . , : , , , , , , , , , , , 2_öo 

d. Terminus , , , , , s , , , , , , , . . , 2hl 

e. Der Nagel in der cella Iovis 258 

f. Invenf * 260 

g. Diiovis und Veiovia 262 

h. Inpiter Anxur 267 

i. Apollo Soraaas 263 

3. Inno '271 

4. Minerva 2S'J 

5. Apollo 290 

6. Diana 312 

7. Mater Matuta 322 

8. Sol 324 

9. Lnna und iiie Gestirne . . 327 

ll). Winde und Stiirnir 829 



Vierter Abschnitt. 

Mars und sein Kreis. 

1. Mir» . , , , , . , , , , , , , , , , , , , , , 

2. Quirinus «it>i> 

3. Picus und Ficumnns und Pilumniis . 375 

4. Fannus tiud F'auna 379 

r>. Sil van us •'>'.) 2 

(>. Maia und Bona Uea •V.^ 

7. Carmenta oder Carmentia 4ü5 

8. Vitula oder Vitellia 4n7 

9. Vacuna 408 

10. Angitia, Circe, Marica 410 

11- P»lc« • 4J3 

12. Rnminns und Rnmina . . . . . . . . . 4J8 

Anhang. Die Sübnungen und Weihungen im Dienste des Mars und 

der verwandton Gülter . . . , .. = , : . = . Uli 

v\ s \i\ft.nr Absohnitt. 

Venus und verwandte Götter. 

1. Feronia 426 

2. Flora 430 

3. Venus 434 

4. Priapos 450 

5. Vertumnus und Pomona 451 



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Einleitung. 



I. Die Religion der Börner neigte mehr zum Cultus als zur Mythologie. 

Wer von der Beschäftigung mit der griechischen Mythologie zu 1 [Seien- 
der mit der römischen übergeht, dem kann es nicht lange verborgen " Aal.] 
bleiben, dafs er es nicht allein mit einer ganz andern, sondern auch in 
mehr als einer Hinsicht viel weniger günstigen Aufgabe zu thun hat. 

Zunächst kann von einer eigenthümlichen römischen Mythologie 
d. h. von einer, solchen, die auf älteren italischen Traditionen beruhte, 
überhaupt nur in einem gewissen Sinne die Rede sein , solern man 
nehmlich bei diesem Worte auch wohl an die polytheistischen Götter- 
systeme überhaupt, nicht an einen durch Sage und Dichtung soweit wie 
die griechische, indische, persische, deutsche und scandinavische My- 
thologie ausgeführten Complex von Bildern und bildlichen Erzählungen 
denkt. Die älteste Grundlage dieses römischen und italischen Götter- 
glaubens ist ohne Zweifel dieselbe einfache Naturreligion gewesen, deren 
Grundzüge wir bei allen Völkern des indogermanischen Sprachstamms 
wiederfinden: aber sowohl die ursprüngliche Gemüthsrichtung, wie sie 
die Geschichte eines jeden Volkes bedingt, als die äufsern Umstände 
derselben müssen bei der Bevölkerung des alten Italiens wesentlich 
andre gewesen sein als namentlich bei ihren nächsten Anverwandten, 
den Griechen. Bei diesen war eine sehr erregbare Sinnlichkeit und 
eine eben so lebhafte Einbildungskraft die vorherrschende Anlage , ein 
natürlicher Zug zum Schönen und zum Bedeutsamen, welcher ihre 
religiösen Vorstellungen zu einer eben so reichhaltigen als in ästhe- 
tischer Hinsicht vollendeten Mythologie und zu einem entsprechenden 
Gottesdienste angeleitet hat. Auch sind sie in ihrem vielgestaltigen, recht 2 
in die Mitte des Völkerverkehres auf dem mittelländischen Meere hin- 
eingeschobenen Lande sehr früh in Verbindungen, Kämpfe und Aben- 

Preller, Röm. MrthoL I. 3. Aufl. 1 



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2 



EINLEITUNG 



teuer verwickelt worden, die ihrem beweglichen Wesen entsprechend 
auch ihre Vorstellungen und Erinnerungen mit vielen neuen Bildern 
und Thatsachen befruchtet haben. Die italischen Altvordern der Römer 
dagegen sind, so viel wir wissen, von jeher weit weniger beweglich, in 
ihren Ansiedelungen und Gewöhnungen weit beharrlicher gewesen, 
offenbar weil sie ernsteren und beharrlicheren Sinnes und von einer 
Gemüthsart waren, welche sie mehr zur Beobachtung und Bewältigung 
der realen Lebensverhältnisse als zu einer idealen Auffassung derselben 
antrieb: daher wir sie auch in allen Sachen des Glaubens weit mehr 
zum Cultus und zur Religiosität als zur Mythologie und zur Aesthetik 
aufgelegt finden. Ich verstehe dabei dieses uns von den Römern über- 
lieferte Wort Religion und Religiosität in demselben Sinne, in welchem 
es auch die alten Schriftsteller gewöhnlich gebrauchen, in dem Sinne 
einer strengen Gewissenhaftigkeit • und peinlich genauen Ausübung 
heiliger Gebräuche, durch welche man sich der Gunst oder des Rathes 
der Götter zu versichern glaubte, ohne dafs man sich deshalb um das 
Wesen und die Natur dieser Götter viel mehr als soweit es die prak- 
tischen Lebensbedürfnisse mit sich brachten bekümmerte; vielmehr es 
liegt in der natürlichen Art einer solchen Frömmigkeit, dafs man die 
Namen, das Geschlecht, die persönlichen Eigenschaften der Götter lieber 
im Unklaren liefs als in deren Bestimmung, also in der Individualisirung 
der Götter zu weit ging. Dieses mufste von selbst zu einem sehr ins 
Einzelne ausgebildeten, aber immer streng ritualen Gottesdienste fuhren, 
zu vielen genau formulirten Opfern, Gebeten und Sühnungen, vielen 
Arten der künstlichen Divination, sammt andern Observanzen und Ceri- 
monien des öffentlichen und privaten Lebens. Aber einer mytholo- 
gischen Entwicklung konnte eine solche Religiosität unmöglich förder- 
lich sein, wie sich der italische Götterglaube denn offenbar in dieser 
Hinsicht von den einfachen Bildern und Gedanken jener ältesten Natur- 
religion, die wir als Gemeingut der Völker des indogermanischen Sprach- 
stamms annehmen dürfen, weit weniger entfernt hatte als der der 
Griechen. Es kommt hinzu dafs auch das Leben der italischen Be- 
völkerung, soweit wir nach ihrer Religion und nach andern Merkmalen ' 
darüber urtheilen können, weit länger ein einfaches, zurückgezogenes 
und continentales geblieben ist: ein Leben in den innern Bergen und 
3 Thälern des mittlem Italiens, wo diese Völker meist mit Viehzucht, 
Ackerbau und Weinbau beschäftigt waren und mehr in offenen Weilern, 
Dörfern und einzelnen Gehöften lebten als in Städten. Namentlich 
können sie weder die Wunder noch die Abenteuer des Meeres gekannt 



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I 



MEHR CULTÜ8 ALS MYTHOLOGIE. 3 

haben, da in dieser Hinsicht selbst das römische Göttersystem bis zur 
Einfuhrung der griechischen Götter merkwürdig lückenhaft geblieben 
ist; eben so wenig aber auch einen lebhafteren Handelsverkehr und so 
manche Erfindungen und Früchte der Ci?ilisation, welche ihnen erst 
durch den Verkehr mif Etruskern und Griechen zugeführt worden sind. 
Auch darf man bei einer solchen religiösen Gemüthsrichtung ein vor- 
zügliches Gewicht des geistlichen und priesterlichen Standes annehmen, 
welcher dieses Volk in der strengen Zucht vieler gottesdienstlicher 
Uebungen und Beobachtungen auf den späteren welthistorischen Beruf 
des römischen Staates und des römischen Rechtes vorbereitet haben 
wird. Selbst die vielen Kriege, von denen wir hören und welche wir 
wegen der allgemeinen Verehrung des Mars annehmen müssen, können 
dieses grolse Gewicht des priesterlichen Standes nicht gebrochen haben, 
da wir noch in der geschichtlichen Zeit in verschiedenen Gegenden und 
namentlich in der sabinischen Vorzeit Roms die deutlichen Merkmale 
davon wiederlinden. 

2. Es fehlte an einem nationalen Epos. 

Eben deshalb dürfen wir unmöglich ein nationales Epos in dem 
alten Italien annehmen, wie man es hin und wieder wohl angenommen, 
aber bei reiflicher Ueberlegung doch allgemein wieder aufgegeben hat. 
Wo ist hier die Spur einer eigenthümlichen Sagenbildung und Sagen- 
poesie im Sinne der Ibas und Odyssee? Wo die Spur einer Kosmogonie 
im Sinne der Hesiodischen oder der Edda? 1 ) Da es doch an alten 
Kriegen und Eroberungen, also an Anlässen wenigstens zu einer italischen 
Ibas nicht gefehlt hat und der Gottesdienst des Janus deutlich lehrt, 
dafs die religiöse Vorstellung sich mit kosmogoniscben Fragen allerdings 
beschäftigt hat. Nicht einmal Helden im epischen Sinne des Wortes 
scheint das alte Italien gekannt zu haben, sondern höchstens streitende 
Genien des Lichts, geheimnifsvoll wirkende Dämonen des stillen Wald- 
geheimnisses und wohlthätige alte Könige, welche wie Satumus und 

l ) [In der Folge der sogenannten italischen Könige Janas Satarnus Picus 
Kaunas Latinas hat Nissen (Tempi um S. 120 f.) den Rest einer italischen 
Schöpfungsgeschichte von fünf Tagen (Himmel Erde Vögel Thiere Menschen) 
linden wollen: eine andere ateeke in der Weissagung der Vegoia Gromat 
S. 350 Lachm. — Niebuhrs Annahme eines Volksepos hat zuletzt Nitzsch 
(die römische Annalistik, Berlin 1873, S. 245 ff.) wieder aufgenommen, ohne 
die metrische Frage (zu S. 5) zu berühren. Vgl. unten S. 86]. 

1* 



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4 



EINLEITUNG. 



Faunus in der frommen Urzeit regierten, dann aber ein für allemal 
in die Unsichtbarkeit der Berge oder der Flüsse entrückt wurden; 
dahingegen die wirklich epischen Gestalten und Namen, Hercules und 
die Castoren, Ulysses und Diomedes und der fromme Aeneas durch- 
weg von den Griechen entlehnt sind. Man könnte sagen, dafs in 
dem früheren italischen Alterthum vielleicht Manches der Art vor- 
handen gewesen sein möchte, was später aus Mangel an Litteratur 
und in Folge frühzeitigen Verlustes der nationalen Freiheit wieder 
verloren gegangen sei. Aber sollten wirklich Cato und Varro, die 
eifrigen und patriotischen Forscher, sollte Virgil, dem so viel daran 
lag ein nationales Heldengedicht für Rom und Latium zu schaffen, 
trotz alles Suchens nur so wenig gefunden haben, wenn früher be- 
deutend mehr vorhanden gewesen wäre? Ich möchte den alten Be- 
wohnern Italiens deshalb keineswegs jede Anlage zur Poesie und 
volkstümlichen Tradition absprechen. Auch bei ihren nationalen 
Festen und Versammlungen mag manches alte Wort von Mund zu 
Mund gegangen, in ihren Heihgthümern manches Denkmal der Vor- 
zeit gepflegt, beim festlichen Mahle und bei allen heiteren Veran- 
lassungen manches Lied gesungen sein: wo wäre ein Volk ganz ohne 
Lieder und ohne Sagen? Nur werden diese immer weit mehr ge- 
schichtlichen oder idyllischen und mährchenhaften Inhalts gewesen 
sein als epischen d. h. eines solchen, wo Götter und Helden die 
handelnden Personen sind: und vollends an eine Entwickelung des 
weltlichen Gesanges im Ganzen und Grofsen, wie sie bei den Griechen 
frühzeitig eingetreten ist, wozu ganz vornehmlich eine Emancipation 
der Dichtung von dem Einflüsse der Priester und der positiven 
Religion erfordert wird, an solche Aöden, wie sie uns in den 
Homerischen Gedichten entgegen treten, ist ganz gewifs nicht zu 
denken. Vielmehr weifs die Vorzeit Italiens nur von singenden 
Faunen und Nymphen, orakelnden Propheten und zaubernden Frauen 
zu erzählen, und die lateinische Sprache hat kein eignes Wort für 
Gedicht und Dichter in dem Sinne wie es jene griechischen Pro- 
fessionisten des weltlichen Gesanges gewesen sind 1 ). Auch ist es 

*) [Es ist bezeichnend dai's die Wurzeln von Carmen und väies wie es 
scheint nicht im Griechischen, wohl aber im Indischen nachweisbar sind; 
jenes ceu-men (vgl. unten Carmenta, Camenae) = skt. casman {cos anzeigen, 
loben Corsscn Beitr. S. 406 Fick vergl. Wörtern. ■ 1,58), dieses (sicher nicht 
yorTjf, inoifWVS w» vgl.: Pott Zs f. vg. S. 6,115) vielleicht (Curtius Etym. * 474) 
zu skt. gä (tönen, singen) zu stellen. Dafs wie Carmen jeden 'Sang' (unten 



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KEIN NATIONALES EPOS. 5 

charakteristisch genug dafs die römischen Gamenen, in denen die 
späteren römischen Dichter die griechischen Musen wiedererkennen 
wollten, nach der älteren Volkssage wohl den alten Priesterkönig 
Numa zu seinem Werke begeisterten, aber keinen italischen Orpheus, 
keinen Musäos; und in einer andern Wendung, dafs nach sabinischer 
Sage die Laren dem berühmten Augur Atta Navius, da er als Knabe 
in einem Weinberge eingeschlafen war, die Erfindung seiner Kunst 
eingaben, damit er ein verlornes Stück seiner Heerde wiederfinde, 
während nach griechischer Sage Dionysos dem Aeschylos in gleicher 6 
Lage die Tragödiendichtung eingab. Eben so wenig wufste das alte 
Italien von kunstreichem Metrum und von kunstreicher Instrumental- 
musik, womit der epische Gesang hätte begleitet werden können 1 ). 
Sondern Alles ist schlicht und einfach und kunstlos geblieben, und 
vollends bei allen öffentlichen Functionen der Religion hat immer 
nur die priesterliche Formel und das liturgische Gebet gegolten, 
nicht die bewegtere Gemüthsstimmung des festlichen Gesanges, den 
die Römer erst von den Griechen lernten, üeberall sind die Wunder 



zu S. 5), so vates ursprünglich jeden Sänger bedeutet hat, ist wahrscheinlich. 
In der Zeit der Gründung der JNationalliteratur heifst vates allerdings schon 
ausschließlich priesterlicher Sänger, Wahrsager, Verfertiger von versificirten 
Litaneien oder Weissagungen. £in solcher (nicht 'Naturdichter') ist Cn. Marcius 
vates, auf dessen IVamen noch später dgl. Lieder gesetzt wurden (vgl. auch 
Licinianus Annal. S. 20 Bonn.: Carmen in deos AA\A~|AE compositum, etwa 
a M. vateT). Dafs später das Wort wie das deutsche 'Barde' wieder zu Ehren 
gekommen ist, hat schon 0. Jahn richtig bemerkt (zu Persius S. 76). — Un- 
haltbar ist Corssens Erklärung des etruskischen Worts fa-un (von W./a, vgl. 
f a-ri u. s. w.) — vates (Spr. d. Etr. 1, 242 f.).] 

*) [Dafs der uralte versus Satumius der Latiner, welcher aus der Litteratur 
schon durch Ennius verdrängt, aber nicht vernichtet wurde, um die Zeit des 
ßundesgenossenkrieges wie es scheint noch einmal in Uebung kam, auch den 
Umbrern bekannt und im Wesentlichen mit dem indogermanischen epischen 
Verse (iod. Sloka, griecb. Hexameter, germ. Langzeile) identisch sei, haben 
besonders K. Bartsch (der saturnische Vers und die altdeutsche Langzeile, 
Leipz. 1867) und Westphal (Griech. Metrik» 2,36 ff.), gezeigt. Jetzt ist der 
saturnische Vers auch als Mals der Samniter und der Päligner in der Zeit 
des Bundesgenossenkrieges nachgewiesen worden (Inschr. von Bovianum vetus 
und Corfinium, behandelt von Bücheler Rh. M. 30,441. 33,271). Auch in diesem 
Mafs tritt die das ganze ältere Latein beherrschende Allitteration wirksam 
hervor, ohne jedoch, wie im Germanischen, versbildender Stabreim zu werden. 
Sie wirkt auch in ursprünglich prosaischen sprüchwörtlichen und Rechtsformelu : 
auch diese hei I sen, was Ritsehl nicht mit Hecht geleugnet hat, carmina. S. Jordan 
Krit. Beiträge z. Gesch. d. lat. Sprache S. 167 ff.) 



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0 



EINLEITUNG. 



- 



der Natur und des Lebens wohl ein Anlafe zu Opfern und Weis- 
sagungen, in denen der Priester und Seher sie zum Frommen des 
gemeinen Wesens technisch und praktisch ausheutet, aber nirgends 
begegnet man jenem poetischen Drange des Herzens und der Einbil- 
dungskraft, welcher in die Anschauung und das Gefühl für diese 
W T under versenkt Religion und Geschichte mit den idealen Gestalten 
der Dichtung belebt hätte. 

3. Die stammverwandten Kölker des alten Italiens. 

Wie dem nun sei, jedenfalls müssen wir uns auf alle Weise 
bemühen, unsre Aufgabe nicht blos als eine römische, sondern als 
eine allgemein italische aufzufassen, d. h. aus den engen Grenzen 
der Stadt Rom und der römischen Stadtchronik herauszukommen 
und das freie Feld und jene Berge und Landschaften zu gewinnen, 
zwischen denen ihre latinischen und sabinischen Altvordern ihre 
religiösen Vorstellungen empfangen und ausgebildet haben. Freilich 
ist uns auch dieses viel schwerer gemacht als in Griechenland, wo 
die vielstimmige Ueberlieferung der verschiedenen Stämme, Städte 
und Landschaften auch die Darstellung und Belebung der Mythologie 
ausserordentlich erleichtert, ja der Stoff des örtlich Mannigfaltigen 
sich einem eher zu reichlich als zu spärlich darbietet; dahingegen 
in Italien Rom nicht allein allen übrigen Völkern und Staaten gegen- 
über das Feld behauptet hat, sondern auch in ihrer aller Namen 
und zwar immer auf acht römische Weise d. h. in der Sprache des 
Siegers und Beherrschers das Wort führt. Indessen ist es doch 
auch so, namentlich mit Hülfe der monumentalen Ueberlieferungen 
und der ausgezeichneten linguistischen und antiquarischen Unter- 
suchungen, zu welchen diese Reste neuerdings Veranlassung gegeben 
haben, noch immer möglich, von den meisten Göttern des ein- 
6 heimischen römischen Glaubens ihren Ursprung und ihre Ausbreitung 
bei jenen Stammvölkern nachzuweisen: auf welchem Wege also das 
Römische aufhört etwas blos Römisches zu sein, vielmehr als der 
fortlebende Trieb eines älteren Volksthums erscheint, welches wir 
sogar in vielen Fällen noch weiter, nehmlich bis zu seiner organischen 
Verzweigung mit dem Glauben und der Sprache der andern ver- 
wandten Völker verfolgen können. Um so nothwendiger ist es gleich 
hier den ganzen geographischen und ethnographi sehen Complex dieser 
altitalischen, den Römern näher oder entfernter verwandten Bevölke- 



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DAS ALTE ITALIEN. 



7 



rung ins Auge zu fassen. Ihre nächsten Verwandten 1 ) waren be- 6 
kau iiü ich die Latiner, von welchen die Römer ihre Sprache be- 
kommen haben und mit denen sie auch die meisten Götter und 
Sagen gemein hatten, daher wir oft auf sie zurückkommen werden. 
Hier sei nur bemerkt, da£s sie selbst als Volk sich von sogenannten 
Aboriginern d. h. mythischen Ursprungsmenschen ableiteten, die in 
der Gegend von Reate ansässig gewesen und von dort durch die 
Sabiner vertrieben sein sollen; worauf sie sich am Anio abwärts 
nach Tibur und Latium gezogen und hier die ältere Bevölkerung 
der Sikeler vertrieben haben wollten, welche letztere von Italien 
nach Sicilien übersiedelnd dieser Insel den Namen gab. Seitdem 
bewohnten die Latiner das nach ihnen benannte Latium in vielen 
meist verbündeten Städten, welche früher in Alba Longa, später in 
Rom ihre Hauptstadt, im Jupiter Latiaris ihren Bundesgott verehrten, 
und einen eigen thümlichen, von den übrigen italischen Summsprachen 
verschiedenen Dialekt redeten, denselben, welcher später durch die 
Macht und Bildung der Römer zur lateinischen Litteratursprache ge- 
worden ist. Die südüchen Nachbarn der Latiner waren die Volsker, 
die Verwandten und Nachbarn der Aurunker und Ausoner, welche 
letztere den älteren Griechen am besten bekannt waren. Das eigen- 
thümlichste Kernvolk der Mitte waren dagegen die Sabiner, welche 
nächst den Latinern am meisten Einflufs auf den Glauben und die 
Sitte der Römer ausgeübt haben. Für ihren ältesten Wohnsitz galt 
die Hochebene von Amiternum am obern Laufe des Aternus, wo 
der göttliche Sancus ihr erster König gewesen war und sein Sohn 
Sabus, nach welchem sich der Stamm nannte, sie zuerst den Acker 
bauen und die Rebe pflanzen gelehrt hatte. Viele kleinere Völker 
sind von derselben Gegend ausgegangen: die Picenter, indem sie 



*) [Die Ermittelung des Stammbaums der italischen Völker kann lediglich 
aus der Analyse der erhaltenen Sprachdenkmäler hervorgehen. Der jetzige 
Stand derselben erlaubt noch kein definitives Urtheil. Deutlich ist dafs dem 
Lateinischen das von den Völkern samnitischen Stammes auf der Westseite 
des Apennin gesprochene Oskisch am nächsten steht, ferner das Umbriscbe und 
die Mundarten der, wie die Verwendung der Schrift beweist, in der Kultur 
stehen gebliebenen ostapenninischen Stämme Miltelitaliens. Wichtiges neues 
Material zur Wiederaufnahme der ganzen Frage bieten das pälignische Gedicht 
von Corfinium (oben S. 5) und die alten picenischen Inschriften (Fabretti Teno 
supplemento v. 438 ff.). Der Ertrag der litterarischen Nachrichten über die 
Verzweigung der ltaliker (zuletzt noch von Nissen Templum 101 ff. erörtert) 
ist geringfügig und unsicher]. 



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8 



EINLEITUNG 



über das Hochgebirge an das adriatische Meer von Ancona bis Hadria 
rückten, die Vestiner und Marruciner, welche sich zu beiden 
Seiten des untern Aternus an demselben Meere ausgebreitet hatten, 
7 die Pae ligner, welche sich in der schönen Ebne von Corfinium 
behaupteten, endlich die tapfern Marser, welche sich ringsum den 
Fuciner See angesiedelt hatten. Der alte Hauptstamm der Sabiner 
aber hatte sich im Laufe der Jahre immer weiter nach Westen bis 
in die Gegend von Rom hinabgezogen, indem sie von Amiternum 
aus sich zunächst der Gegend von Reate bemächtigten und darauf 
den Latinern nachrückend bis an den obern Anio und den Tiber 
vordrangen, wo sie in Cures, der zweiten Metropole Roms, einen 
neuen Mittelpunkt ihres Stammlebens gewonnen hatten. Nördlich von 
den Sabinern war der Apennin und seine Abhänge nach beiden 
Seiten von den Umbrern bewohnt, deren Gebiet bis nach Ariminum 
und an den Rubicon reichte und durch den obern Lauf des Tiber 
bei Perugia und Cortona von Etrurien geschieden wurde. Einst 
hatten sie auch Cortona und einen grofsen Theil von Etrurien be- 
sessen; ja es waren auch nach ihrem Abzüge aus diesem Lande 
grofse Haufen von ihnen als abhängige Bevölkerung zurückgeblieben, 
so dafs von ihnen die häufigen Spuren eines altitalischen Stamm- 
lebens abgeleitet werden dürfen, welche sich unter den sonst nicht 
zu der indigenen Bevölkerung Italiens gehörigen Etruskern nach- 
weisen lassen. Bei den römischen Geschichtsschreibern galten die 
Umbrer für das älteste Volk von Italien; jedenfalls mögen sie als 
nördlichstes Glied seiner Kernbevölkerung auch ihre Sitze und die 
angestammte Art am längsten behauptet haben. Südlich, von den 
Sabinern und jenen kleineren Stämmen sabinischer Abkunft wohn- 
ten die ihnen gleichfalls verwandten Samniter 1 ), ein mächtiges 
Volk, welches in vier Cantone getheilt das centrale Hochland des 
südlichen Italiens inne hatte und von dort sowohl Apulien als Cam- 

») Sainnites (ZawTjai) ist = SabDites oder Sabinites, vgl. Varro L 1. VII, 29 
a Salmas orti Samaites. [Sie nennen sich selbst Saßneis, was Nissen a. O. 
S. 139 vod dem Stammgott Sabinus — Sabus herleiten will. ladessen vgl. 
über diesen vermeintlichen Sabinus unten XI, 2.] Da die Samniter oskisch 
redeten, so mufs auch die Sprache der Sabiner der oskischen nahe verwandt 
gewesen sein, vgl. Varro 1. 1. VII, 28 cascum significat vetus: eius origo Sabina, 
quae usque radices in Oscam linguam egit. Die Verwandtschaft der Umbrer 
mit den Sabinern erhellt aus Dionys. H. II, 49. [Die . erhaltenen Ueberreste 
des 'Sabiniscbeu' gehören dem 'provinziellen Latein' der Sabiner, nicht der 
nationalen Mundart an (Mommsen Dial. 347 ff.). Solches Latein kennen wir 



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LATUM UND DIE LATINER. 



9 



panien bedrohte. Von ihnen sind wieder westlich die Campaner, 
sudlich die Lucaner ausgegangen, von diesen zuletzt die Bruttier, 
die drei südlichsten Zweige dieser italischen Stammbevölkerung, 
welche die in diesen Gegenden angesiedelten Griechen unterwarfen, 
aber dafür auch auf die ausländische Sitte und Bildung am meisten 
eingingen. Dafs diese Völker alle, von örtlicher und Stammes- 
zersplitterung abgesehen, in den Grundzügen dieselbe Sprache, 
denselben Glauben, dieselben Sitten hatten, diese Erkenntnifs ist 8 
eines der wichtigsten Resultate der neueren Sprach- und Alter- 
thumsforschung, welche die Kunst der Linguistik, eine der anziehend- 
sten Wissenschaften unsrer Zeit, auch auf die Reste der umbrischen 
und oskischen Sprache mit lohnendem Erfolge angewendet hat. 
Was den Götterglauben dieser Völker betrifft, so führt auch hier die 
Forschung zu demselben Resultate, indem man überall denselben 
mythologischen Grundbegriffen und gewissen Göttern begegnet, welche 
dem gesammten Italien in demselben Sinne gemein waren, wie Zeus, 
Hera, Athena, Apollo, Artemis u. s. w. die Götter von ganz Griechen- 
land waren. Namentlich gehören dahin Jupiter, Juno und Minerva, 
die höchsten himmlischen Götter, der Wald-, Frühlings- und Kriegs- 
gott Mars mit seiner gleichartigen Umgebung der Faune und Silvane 
und verwandten weiblichen Göttinnen, eine innige Verehrung der 
Elementarkräfte des Wassers und des Feuers, der Sonne und des 
Mondes, des nährenden Erdbodens und der Verstorbnen, endlich 
vieler örtlichen Geister und Genien, auch gewisser Frucht- und 
Schicksalsgöttinnen, welche sich zugleich durch Zauber, begeisterte 
Weissagung und Orakel offenbarten. Auch scheint, wie gesagt, das 
. Vorherrschen des ritualen und priesterlichen Elements im Gottes- 
dienste, die Scheu vor der mythologischen Versinnlichung der Götter, 
der Mangel an poetischer und epischer Anlage allen diesen Völkern 
angestammt und gleich eigenthümlich gewesen zu sein. 

4. Latium und die Latiner. 

Die Latiner 1 ) sind nicht allein die nächsten Verwandten der 

jetzt auch bei dea Marsera (Inschrift vom Fucinersee aus der Zeit des pyrr- 
hischen Krieges: Fiorelli Notizie 1877, 328 T. XIII vgl. Bücheler Rh. M. 33, 48ü. 
Jordan Hermes 15,5.] 

*) [Die Herkunft des Worts Latium ist unsicher, möglich, wie Bücheler 
annimmt (Jahrb. f. Phil. 1875, 133) die Identität mit dem umbrischen agre 
Tlatie der iguv. T. V b 9]. 



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10 



EINLEITUNG. 



Römer, sondern sie sind auch zwei Jahrhunderle lang ihre engen 
Verbündeten gewesen und in älterer Zeit durch massenhafte Ueber- 
siedelung nach Rom, später durch Geschlechtsverbindung, Einwande- 
rung und unablässigen Verkehr dergestalt mit ihnen verschmolzen, 
dafs beide von jeher als ein und dasselbe Volk angesehen wurden. 
Auch die Sage und die Geschichte der Latiner durchkreuzt sich be- 
ständig mit der römischen, welche eine geraume Zeit hindurch nur 
einen besonderen Abschnitt der Geschichte des latinischen Namens 
überhaupt gebildet haben mag. Bei dem frühen Verfall des latinischen 
Bundes ist nur das Eine gewifs geblieben, dafs Alba Longa die Ur- 
heberin und das erste Haupt dieses Bundes gewesen, welcher aus 
ihren eignen Colonieen und andern Städten latinischer Nation be- 
9 stand; übrigens ist diese alte Hauptstadt so früh zerstört worden, 
dafs sich bei den ohnehin bald in ganz andrer Richtung beschäftigten 
Römern nur ein sehr ungewisses Andenken von ihr erhalten hatte. 
Lieber ihr erhob sich der Möns Albanus, über welchem noch später 
Jupiter Latiaris als höchster Gott und unsichtbares Oberhaupt von 
ganz Latium gefeiert wurde; unter ihr befand sich im schattigen 
Haine bei Marino das Heiligthum und die Quelle der Ferentina, wo 
der latinische Bund seine Versammlungen hielt. In seiner Nach- 
barschaft waren dem Meere näher die wichtigsten Städte Aricia und 
Lanuvium, deren Gebiet sich bei Velitrae und Corioli mit dem der 
Volsker berührte: Aricia durch seinen Dienst der Diana in dem 
stillen Winkel am See von Nemi berühmt und in älterer Zeit eine 
Hut des wichtigen Passes nach Süden, durch welchen später die 
Appische Strafse nach Terracina und Gampanien führte, Lanuvium 
nicht weniger angesehen wegen seiner Juno Sospita. Von Lanuvium 
gelangt man in wenigen Stunden ans Meer und nach Ardea, der 
durch die Aeneassage so berühmt gewordenen Burg und Stadt der 
Rutuler, während weiter abwärts an der Küste das in der älteren 
römischen Geschichte so oft als Seestadt genannte Antium schon 
wieder den Volskern gehörte, welche sich von allen diesen verwandten 
Völkern am meisten auf der See versucht haben. Denn die Latiner 
selbst hatten das Meer nur an der kurzen und die Schiffahrt auch 
in alter Zeit wenig begünstigenden Strecke zwischen Ardea und der 
Tibermündung gewonnen, wo sich mit den letzten Resten des 
latinischen Bundes, Laurentum und Lavinium, auch die latinische 
Sage von den alten Königen Picus, Faunus und Latinus und der 
Cultus der Bundes -Penaten am längsten behauptet hat. Landein- 



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DIE ETRUSKER. 



11 



wärts von Alba Longa war die nächste Stadt von Bedeutung das 
alte und feste Tusculum, ehedem eine der mächtigsten Städte des 
Bundes, später oft von den Aequern bedrängt und deshalb den 
Römern gefügig. An diese Aequer, einen andern verwandten Stamm, 
grenzte auch das am meisten landeinwärts gelegene Präneste, eine 
eben so feste als rüstige Stadt, deren Götter und deren Bürger es 
am längsten mit den römischen aufgenommen haben, während seine 
Priester mehr als einen Rest alter unvermischter Sage bis auf die 
Zeiten des Cato bewahren konnten. Auf halbem Wege von dort 
nach Rom lag das später ganz verfallene Gabii, welches einst gleich- 
falls von Rom gefürchtet wurde und in alter Zeit ein Mittelpunkt 
priesterlicher Auguraldisciplin gewesen war. Endlich noch höher 
hinauf am Anio, wo dieser aus den Bergen der Sabiner hervortritt, 
das schöne Tibur, eine der ersten Eroberungen der latinischen 10 
Aboriginer, berühmt durch seine Wasserfalle und seine weissagende 
Nymphe Albunea, seinen Hain des Tiburnus und seinen alten Dienst 
des Hercules. Vielfach bedroht von den benachbarten Etruskern, 
Sabinern, Aequern und Volskern, vermochten sich diese Städte zu 
behaupten, so lange sie einig waren und keine unter ihnen zu 
mächtig wurde. Auf den Vorstand von Alba Longa folgte der von 
Rom, welches seit den Tarquiniern an der Spitze des Bundes stand 
und die schnelle Zunahme seiner Macht ohne Zweifel weit mehr 
als die römische Geschichte es gestehen mag diesem Bunde verdankt. 
Selbst in den späteren Zeiten rühmten sich viele der ausgezeichnet- 
sten und tüchtigsten Geschlechter in Rom ihres latinischen Ursprungs, 
daher das von solchen Familien geprägte Silbergeld der Republik 
nicht selten auf die Culte, die Sagen, die alten Zeiten von Latium 
zurückweist. 

5. Die Etrusker und die Griechen. 

Haben wir somit unsern Gesichtskreis über den ganzen Zu- 
sammenhang der mit Rom verwandten Völker erweitert, so können 
wir doch auch bei diesen nicht stehen bleiben, so wenig die Religion 
der Römer bei den ersten und angestammten Ueberlieferungen der 
Vorzeit stehen geblieben ist. Sobald nehmlich der römische Staat 
in den Kreis der Kulturstaaten eintrat, empfing er natürlich auch 
von diesen gewisse Elemente der Kultur, wie sie sich einstweilen 
im Verkehre mit den Völkern des Orients und den Griechen abge- 
schlossen hatte und zur Civilisation der Zeit nothwendig gehörte: 
worüber sich nicht allein sein geistiges Leben und der Zustand 



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12 EINLEITUNG. 

seiner Sitten, sondern auch sein religiöses Leben und sein Götter- 
glaube in vielen wesentlichen Punkten verändert hat. So wurden 
anstatt des bilderlosen Cultus, welcher bis dahin möglich geblieben 
war, jetzt Bilder und Tempel eingeführt, an die Seite der einheimischen 
Priester und Seher traten andre und ausländische, an die Seite der 
einheimischen Götter die lebensvollen und höheren Bedürfnissen der 
Bildung entsprechenden Gestalten des griechischen Apollo, der 
Castoren, des Handelsgottes Mercurius, der Ceres mit ihren beiden 
jüngeren Nebenfiguren ; ja selbst die einheimischen Götter wurden 
jetzt andre Götter, Götter von höherem politischen und weltlichem 
Anspruch , da sie früher bei den einfacheren Zuständen ihrer Nation 
auch selbst soviel einfacher, patriarchalischer und geistlicher gewesen 
waren. Eine überaus wichtige Veränderung , welche gleichfalls 
keineswegs blos Rom angeht, sondern bei vielen andern Mitgliedern 
11 der stammverwandten italischen Bevölkerung gleichfalls und wohl noch 
früher als in Rom eingetreten war, namentlich bei allen denjenigen, 
welche sich von den centralen Stammsitzen der alten nationalen 
Heimath und Gewöhnung entfernt und der westlichen und südlichen 
Küste genähert hatten, also den Latinem, den Volskern und vor- 
züglich den oskisch redenden Völkern, namentlich ihren südlichsten 
Gliedern. Die Culturstaaten aber, mit denen diese Stämme bei 
solcher Erweiterung in Berührung kamen, sind die der Etrusker und 
der in Italien und Sicilien ansässigen Griechen : blühende und mäch- 
tige Staaten, welche jenen Völkern an Bildung bei weitem überlegen 
waren und dabei einen lebhaften Verkehr mit den Mittelpunkten der 
damaligen Cultur in Griechenland, Kleinasien und dem Orient unter- 
hielten. Ueber die Etrusker sind wir freilich in gewissen Haupt- 
punkten, namentlich was ihr nationales Herkommen betrifft, noch 
immmer sehr im Unklaren; so lange nicht der Schlüssel zu ihrer 
Sprache gefunden ist, mufs diese Frage ungelöst bleiben 1 ). Aber 
gewifs ist, dafs sie vor den Römern bei weitem das mächtigste Volk 

l ) [Der Versuch Corssea's das Etruskische als italische Mundart nachzu- 
weisen (Sprache der Etrusker L. 1874 2 Bde.), ist gescheitert, aber auch die 
Hoffnung seiner Gegner, insbesondere Deecke's (Corssen und die Sprache d. E., 
eine Kritik, Stuttg. 1875, Etr. Forschungen I — IV 1875 — 80, 2. Ausgabe 
von Müllers Etruskern 1877, vgl. Pauli Etr. Studien I— III Gött. 1879. So) 
eine andere Erklärung zu finden hat sich nicht erfüllt. Sicher erweisen schon 
die Gütternamen die Stammesverschiedenheit der Etrusker von den Italikero und 
was diese von jenen entlehnt haben ist so geringfügig wie der Vorrath etrus- 
kischer Lehnwörter im Latein und so viel wir wissen überhaupt im Italischen]. 



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DIE ETRUSKKR. 



13 



in Italien waren, da sie von dem jetzigen Toskana und dem Kirchen- 
staate bis zum Tiber aus, wo sie die Umbrer in das Gebirge 
zurückgedrängt hatten, nicht allein über Bologna in die Lombardei 
eingedrungen waren und sich derselben bis zur Pomündung be- 
mächtigt hatten , sondern eine Zeitlang auch die Küste der Latiner 
und der Volsker beherrschten, ja mitten in Campanien zu Capua 
einen Mittelpunkt ihrer südlichen Macht gegründet hatten 1 ). Ueber- 
dies beherrschten sie beide Meere von Italien, das obere und das 
untere, welche nach ihnen das tyrrhenische und das adriatische ge- 
nannt wurden. Auch haben sie mit den centralen Gegenden des 
mittelländischen Meeres und mit Kleinasien in so lebhafter Verbindung 
gestanden, dafs bei ihnen selbst und bei den Griechen die Tradition 
entstehen konnte, ihre Abstammung sei in Lydien zu suchen, 
während ihre Gräber durch das was man in ihnen gefunden hat 
auf eben so lebhafte Handelsverbindungen mit den Phöniciern hin- 
weisen, welche sich hin und wieder sogar in eigenen Ansiedelungen n 
unter ihnen niedergelassen hatten 2 ). Dann aber sind auch sie und 
nicht weniger mächtig als die andre Bevölkerung Italiens von dem 
Zauber der griechischen Bildung und Mythologie ergriffen worden, 
welche von der Vorsehung dazu bestimmt war, eine allgemeine 
Ausgleichung der verschiedenen Göttersysteme und eine gewisse 
kosmopolitische Gemeinschaft der ästhetischen und poetischen An- 
schauung des Alterthums herbeizuführen. Ganze Reihen der grie- 
chischen Götter und der griechischen Heroen findet man in Etrurien 
wieder, vor allen Apollo, Herakles und die Helden des troischen 
Sagenkreises und der Tragödie; und zwar mufs diese griechische 
Bildung in Etrurien eine alte gewesen sein, da Caere so gut wie 
die lydischen Könige zu Delphi, dem Mittelpunkte des griechischen 
Apollodienstes, ein eignes Magazin für seine Weihgeschenke unterhielt 
und die Ueberlieferung von der Uebersiedelung des Demarat von 

>) S. aufs er der Hauptstelle bei Livius V, 33 besonders Servius V. A. 
XI, 567, wo Excerpte aus Cato zu Grunde liegen. [Vgl. Jordan Proleg. S. XL: 
doch hat man neuerdings diese Überlieferung als unglaubwürdig erkannt] 

a ) S. J. Olshausen über phönicische Ortsnamen aufserhalb des semitischen 
Sprachgebiets, Rh. Mns. f. Phil. N. F. VIII, S. 332 ff. [Ueber Funde von 
ägyptisirenden und assyrisirenden Werken der phöniciseben (karthagischen?) 
Kunst in Italien, insbes. in Präneste, s. Heibig u. Fabian Annali dell' inst. 
1878, 197 ff. 1879, 5 ff.; karthagische Skarabäen in Gräbern von Tarquinii 
(5. Jahrh. v. Chr.): Bull. delV inst. 1878, 83. US80, 43. Vgl. Meitzer Gesch. 
d. Karthager B. 1879, I, 425 f.]. 



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t 



14 EINLEITUNG. 

Korinth nach Tarquinii zur Zeit des Tyrannen Kypselos ohne eine 
gleichzeitige Verbindung nicht hätte entstehen können. Aach sind 
in den Gräbern von Vulci, von Caere, von Veji, von Cortona unter 
so vielen Tausenden von gemalten Vasen griechischer Fabrik viele 
des älteren und ältesten Stils gefunden worden. Obwohl mit die- 
sem Anfluge der griechischen Mythologie so wenig als bei den Rö- 
mern und bei den übrigen Italikern der ganze Inhalt ihrer Religion 
erschöpft ist; vielmehr hatten auch sie einen eignen und älteren 
Götterglauben, dessen nationale Herkunft leider wie die Sprache 
noch immer dunkel ist, welcher aber in vielen wesentlichen Punkten, 
wie wir oft zu zeigen Gelegenheit haben werden, dem der übrigen 
italischen Völker verwandt gewesen sein mufs. Auch findet sich 
bei den Etruskern derselbe einseitige Hang zur Gerimonie und zur 
priesterlichen Disciplin, welche bei ihrer frühen Bildung bei ihnen 
sogar weiter gediehen war als irgendwo sonst in Italien. Ihre wich- 
tigsten Städte waren längs der Grenze der Umbrer und am obern 
Tiber Arretium, Cortona und Perusia, unter denen sich namentlich 
Cortona, früher eine Stadt der Umbrer, durch das Alterthum seiner 
Erinnerungen auszeichnete. In der fruchtbaren Niederung am Tra- 
simenischen See herrschte das durch Porsenna und sein Grabmal 
berühmte Clusium, weiter südlich das glänzende Volsinii 1 ), in 
der Gegend des Berges Soracte Falerii, dessen Bevölkerung die 
13 Alten genau genommen nicht für Etrusker, sondern für einen eignen 
Stamm gehalten wissen wollten (Strabo V p. 226); und wirklich 
de«tel was wir von seinen CuHen und Sagen wissen mehr auf 
Umbrer oder Sabiner als auf die eigentlichen Etrusker*). In der 
nächsten Nachbarschaft von Rom gebot Veji, die hartnäckige Neben- 
buhlerin seiner früheren Jahre, welche während ihrer Blüthe nicht 
allein Roms Verkehr mit dem Norden und auf dem Tiberstrome be- 
herrschte, sondern selbst diesseits des Tiber, in der nächsten Nähe 
von Rom, an Fidenä eine immer zum Abfall vom latinischen Bunde 



>) [An der Stelle von Orvieto (s. Körte Anaali 1877, 175 f.), nicht wie 
auch P. noch im Text annahm, bei ßolsena.] 

*) [Das alte, hoch gelegene Falerii ist 513 (vgl. Jordan Hermes 4, 243 f.) 
zerstört worden and die £inwohoerschaft in die Ebene verpflanzt, wo sie eine 
neue Stadt, später colonia Junonia Falisca gründete. Die an beides Orten ge- 
fundenen Inschriften bestätigen das oben gesagte: s. bes. Garrucci Ann. dell' inst. 
1860, 211 Dies, archeol. S. 59 ff. Hnschke in Fleckeisens Jahrb. Suppl. 5 (1872) 
821 ff. Mommsen Mooatsber. der ßerl. Ak. 18^0, 211 ff. Ueber die Kulte s. 
u. Minerva, Juno curritis.] 



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DIE GRIECHEN. 15 

und zur Fehde mit Rom aufgelegte Bundesgenossin hatte. Nächst 
dem war Caere in der Gegend von Cervetri die nächste Nachbarin 
Roms und der Latiner, welche in den wenigen Sagen aus alter Zeit, 
die sich erhalten hatten, viel von einer schweren Tyrannei des 
Königs von Caere Mezentius erzählten und sammt den Volskern eine 
Zeitlang von Caere aus durch die Etrusker beherrscht gewesen sein 
mögen. Zugleich gehört diese Stadt schon zu der glänzenden Reihe 
der etruskischen See- und Handelsstädte, welche vom Tiber bis zum 
Arno in mäfsigen Entfernungen von einander unweit der Küste la- 
gen und von ihren Häfen aus weit und breit mit dem mittel- 
ländischen Meere verkehrten. So hatte Caere seinen eignen Hafen 
und sein Emporium zu Pyrgi, Tarquinii zu Graviscä, die alte in der 
Gegend von Corneto gelegene Metropole der etruskischen Divination 
und priesterlichen Wissenschaft, zugleich die Stadt wo die bei den 
Etruskern verbreitete Sage von einer Einwanderung lydischer He- 
rakliden eigentlich zu Hause war. Weiter hinauf bei Ponte della 
Badia lag Vulci, der Fundort der meisten Vasen ; dann folgte Vetu- 
lonia mit dem Hafen Telamon und noch weiter hinauf Kusellä, diese 
beiden schon mitten in der Maremma, welche damals das ganze Jahr 
hindurch bewohnt werden konnte. In den nördlicheren Gegenden 
und bis zum Arno herrschte Volaterrä mit den beiden Häfen Luna 
und Populonia, welches letztere zugleich die metallischen Reichthümer 
der Insel Elba ausbeutete. Endlich in der Marsch am untern Arno 
lag schon damals ein etruskisches, aber gleichfalls früh hellenisirtes 
Pisa, in derselben Gegend wo im Mittelalter die Stadt gleiches Na- 
mens ihre Schiffe so weit nach dem Osten aussendete. In allen 
diesen Städten hatte sich neben dem Handel und der Industrie eine 
nicht geringe Pracht des Adels und der Könige, eine vielfach durch 
Aberglauben entstellte Wissenschaft der Priester und ein eben so 
superstitiöser als glänzender Gottesdienst entwickelt, welcher sich 
in vielen Opfern, Tempeln und Tempelbüdern , feierlichen Prozes- u 
sionen und häufigen Spielen, circensischen und scenischen gefiel. 
Natürlich konnte es, als die Etrusker mit dem Gewichte einer sol- 
chen Bildung den übrigen Völkern Italiens bekannt wurden, nicht 
fehlen dafs diese in vielen Stücken zuerst von ihnen civihsirt 
wurden; obwohl die neuere Forschung überzeugend nachgewiesen 
hat, dafs wenigstens Rom und die Latiner die Elemente ihrer fei- 
neren Bildung weit mehr den Griechen Italiens und Siciliens als 
den Etruskern verdanken. Doch bleibt es eine wichtige Thatsache 



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16 EINLEITUNG. 

dafs auch Rom den äufserlichen Prunk sowohl seiner Könige als 
seiner Götter von den Etruskern empfing, wie denn namentlich die 
Architectur der römischen Tempel und die Technik der Tempel- 
bilder längere Zeit in den Händen etruskischer Künstler geblieben 
ist, welche von den griechischen erst allmählich verdrängt wurden. 
Auch haben die Römer eine gewisse religiöse Technik die Städte 
zu gründen, die Grenzen zu bestimmen, das Lager abzustecken u. 
s. w. immer von den Etruskern abgeleitet. Endlich ist die Divi- 
nation der Römer durch sie mit einem ganz neuen Zweige der 
Weissagekunst und der religiösen Sühne bereichert worden, nehmlich 
mit der sogenannten Haruspicin, welche gewöhnlich sogar von ein- 
geborenen Etruskern in Rom geübt wurde, höchstens ausnahmsweise 
von solchen Römern, die sich in den etruskischen Priesterschulen 
in dieser Kunst halten unterweisen lassen. Es ist dieses die Tech- 
nik der Eingeweideschau, der Blitzsühne, der Auslegung aller außer- 
ordentlichen, also einen besondern Rath und Willen der Götter vor- 
bedeutenden Naturwunder, vorzüglich der himmlischen Erscheinungen 
und des Blitzes und Donners: welche Wissenschaft bei den Etrus- 
kern schon deshalb besonders weit gediehen war, weil ihr Land 
und ihr Klima an Naturwundern und außerordentlichen Erschei- 
nungen des Himmels besonders reich war und den Göttern bei ihnen 
mehr Opferthiere geschlachtet wurden als irgendwo sonst. 

Viel wichtiger als der Einflufs dieses Volkes wurde indessen der 
der Griechen, vollends auf die Dauer, da sich zuletzt das römische 
Wesen mit dem griechischen dergestalt durchdrungen hatte, dafs die 
Römer sich mehr geschmeichelt fühlten, wenn man sie Abkömmlinge 
der Griechen nannte, als wenn man ihnen von den Sabinern des Titus 
Tatius und den zusammengelaufenen Bürgern des Romulus erzählte. 
Die Anfange dieses griechischen Einflusses fallen bekanntlich in die Zeit 
der Tarquinier, und zwar ist gleich damals, wie Cicero sich ausdrückt, 
16 der Zuflufs eine recht breite und volle Strömung gewesen 1 ). Auch 
konnte er von verschiedenen Seiten zugleich andringen, da auch die 
Etrusker damals der griechischen Bildung schon sehr ergeben waren 
und überdies Verbindungen sowohl mit den wichtigsten Handels- 
staaten im eigentlichen Griechenland als mit denen in Campanien, 
Grofsgriechenland und Sicilien bestanden. Gewifs ist, dafs man 
damals von dem mittleren Italien aus mit Korinth und den 

') Cic. de Rep. II, 19, 34 Inßuxit enim non tenuis quidam e Graecia ri- 
vulus in hanc urbem, sed abundantisrimus amnis iÜarum disciplinarum et artium. 



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DIE GRIECHEN. 



17 



korinthischen Colonieen am ionischen und adriatischen Meer, mit 
Delphi und mit Aegina verkehrte, welches letztere eine eigne Colonie 
in Umbrien angelegt haben soll; ja die Phokäer sollen auf ihrem 
Wege nach Massilia unter Tarquinius Priscus Rom berührt und 
damals jene Freundschaft begründet haben, welche später so lange 
vorhielt 1 ). Aber weit mehr als diese entfernteren Staaten wirkte 
ohne Zweifel die gröfsere Nähe der griechischen Bildung in Cam- 
panien, Sicilien und dem südlichen Italien. Vorzüglich mufs dabei 
der nächste griechische Staat in der Gegend von Neapel interessiren, 
noch dazu die älteste aller griechischen Colonieen in Italien, deren 
Geschichte nur leider auch sehr wenig bekannt ist. Es war dieses 
Cumae auf einer noch jetzt durch viele Ruinen über und unter 
der Erde sehr merkwürdigen Stätte 8 ), von welcher aus diese meist 
aus Euböa stammenden Griechen auch Dikäarchia, das spätere Puteoli, 
und Neapel gegründet hatten. Beide haben ihre Mutterstadt über- 
flügelt, weil ihre Lage immer eine sehr günstige geblieben ist, 
während die von Cumä nur so lange günstig genannt werden konnte, 
als der breite Gürtel von Sanddünen nicht existirte, welcher sich 
allmählich vor der ganzen westlichen Küste Italiens gelegt und die 
meisten alten Häfen verstopft hat. In alter Zeit aber war Cumä 
eine aufserordentlich blühende Stadt, vorzüglich zur Zeit der Tar- 
quinier und in den früheren Generationen der Republik, aus welcher 
Zeit auch wenigstens ein gröfseres Bruchstück seiner Geschichte 
vorliegt, bei Dion. Hai. VII, 3 — 11. Eben so gewifs ist es, dafs 
Cumä eine der wichtigsten Quellen des hellenisirenden Einflusses 
gewesen ist, der sich allmälich über die oskisch redenden Völker 
und über die Volsker und Latiner verbreitete, welchen letzteren die 
Cumaner unter ihrem Tyrannen Aristodemos sogar bei Aricia ihre W 
Freiheit in dem Kriege mit Porsenna gerettet haben. Was die 
Gottesdienste dieser Stadt betriflt, so fassen wir im voraus vor- 
züglich den Apollo von Cumä ins Auge, welcher als alter S ta in In- 
go tt von der griechischen Heimath her seinen Tempel auf der Burg 
über dem Meire hatte, unter welcher die Gänge und Schluchten 
sich wölbten und landeinwärts hinzogen, welche durch Virgils 

*) Strabo VIII p. 376, Justin XLIII, 3, 4 vgl. Böckh metrol. Unters. S. 208. 

») [Vgl. besonders A. de Jorio, Guide di Pozzuoü (ed. 3 JNap. 1830) S. 74 ff., 
mit der Aufnahme der Reste T. 8 und desselben Viaggio di Enea all' iuferno 
(ed. 2 Nap. 1825) S. 55 ff. Chalkidische Bronzen in Italien: Heibig Ann. 
deir inst. 1880, 223 ff. j 

Prell er, Rom. Mythol. I. 3. Aufl. 2 



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18 



EINLEITUNG. 



Schilderungen von der Weissagung der Cumanischen Sibylle und 
die Fabel von den Kimmeriem so berühmt geworden sind. Neben 
Apoll dürfen wir den Meeresgott Poseidon und den Handelsgott 
Hermes in der See- und Handelsstadt, die Acker- und Fruchtgott- 
heiten Demeter mit ihrem Mädchen und Diouysos in der mit einem 
fruchtbaren Gebiete gesegneten und durch seinen Todtendieust am 
Averner See berühmten Stadt mit Sicherheit voraussetzen, lauter 
Götter welche in Rom unter den ältesten griechischen Eingang fanden: 
unter den Heroen Herakles, von dem die ganze Umgegend von Gumä 
viel zu erzählen wufste, und Ulysses, dessen Abenteuer, namentlich 
die bei der Circe und Unterwelt, an dieser Küste gleichfalls seit 
alter Zeit erzählt wurden, so dafs wir auch die in Italien bis Latium 
und Horn so weit verbreitete und fest gewurzelte Sage von diesen 
beiden Helden am natürlichsten aus dieser Quelle ableiten werden. 
Ja es ist, wie wir weiterhin sehen werden, höchst wahrscheinlich, 
dafs selbst die älteste Sagengeschichte von Rom und Latium, die 
vom Evander und Cacus, von Hercules und seinen Rindern, von 
Ulysses und seinen Söhnen zuerst in Cumä oder doch unter dem 
Eintlufs einer cumanischen Chronik redigirt worden ist. Denn auch 
nachdem Cumä von den Campanern erobert worden war und somit 
ein griechischer Freistaat zu sein aufhörte 1 ), wird darum die 
griechische Bildung keineswegs aufgehört, vielmehr die oskisch reden- 
den Völker jetzt erst recht ergriffen haben, da selbst in den weit 
späteren Zeiten der römischen Kaiser, nachdem Cumä und Neapel 
längst zu römischen Colonieen, Puteoli zu dem wichtigsten Emporium 
in ganz Italien geworden war, die griechische Bildung in Neapel 
17 und der ganzen Gegend die vorherrschende war. Aufser diesen 
nächsten Nachbarn von Latium und Samnium aber werden wir 
auch auf die übrigen griechischen Städte in Grofsgriechenland und 
Sicilien wohl zu achten haben, in jenem vorzüglich auf Taren t, 
welches vermöge seiner Lage allerdings zunächst nur für die Helleni- 
sirung Apulicns verantwortlich gemacht werden kann, bei seiner 



l ) Nach Diodor XII, 76 im J. 326 d. St. (428 v. Chr.), nach Liv. IV, 
44, 12 im J. 335 (417 v. Chr.). Wenn bei Justin XX, 1, 13 die Falisci, Nolani 
und Abellani Colonisten der Chalcidenser genannt werden, so können unter 
diesen nur die in Cumä angesiedelten verstanden werden. Bei den Faliskern 
ist an eine Niederlassung in der Gegend des M. Massicus zu denken, vgl. 
Virg. Aen. VII, 724, wo Halaesus, der Stammvater der Palisci, in dieser Gegend 
zu Hause ist. [Vgl. Huschke a. a. 0. S. 823 f.]. 

I 



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EPOCHEN DER RÖMISCHEN RELIGION. 19 

lange anhaltenden Blüthe aber auch der griechischen Sitte und 17 
griechischen Bildung überhaupt, z. B. dem Theater und der pytha- 
goreischen Philosophie am längsten eine Stütze bot und in dieser 
Beziehung seit den Zeiten der Samniterkriege und des Königs Pyrrhus 
auch auf das mittlere Italien und auf Rom und die Römer manchen 
Einflufs gewonnen hatte. 

6. Die Epochen der romischen Religiomgeschichte. 

So hat sich unsre Aufgabe von selbst zu einer eben sowohl 
culturhistorischen als im engeren Sinne des Worts mythologischen 
gestaltet, und wir werden diese Auffassung ferner festhalten müssen, 
da wir es überall nur mit der Religion einer einzelnen Stadt zu 
thun haben, welche zwar in vielen Punkten als Miniaturbild des 
alten Italiens überhaupt gelten kann, aber doch noch weit mehr in 
politischer und culturgeschichtlicher als in religiöser Hinsicht von 
Bedeutung ist; wie sie sich denn auch im weiteren Verlaufe ihrer 
Geschichte bis auf die Entwickelung des Staates und Rechtes immer 
weit mehr receptiv für die verschiedenartigsten Einflüsse als pro- 
ductiv und in einer festen Richtung eigenthümlich gezeigt hat. So 
ist namentlich die Religion der Römer je länger desto mehr zu 
einem Aggregate der verschiedenartigsten Göttersysteme und Cultus- 
formen geworden, da seit dem zweiten punischen Kriege neben den 
gricluschen Göttern auch schon die Grofse Idäische Mutter aus 
Phrygien Eingang fand und weiterhin die hellenistischen, ägyptischen 
und syrischen Religionen nach Rom und von Rom aus weiter im 
Westen vorgedrungen sind: eine im Zusammenhange der Cultur- 
geschichte so wichtige Thatsache, dafs wir auch diese Bewegungen 
in unsre Darstellung aufnehmen zu müssen glaubten. Um so noth- 
wendiger ist es gleich im Voraus den ganzen Verlauf der römischen 
Religionsgeschichte ins Auge zu fassen und nach gewissen Epochen 
übersichtlich abzutheilen, zu welchem Behufe wir am besten folgende 
Zeitabschnitte unterscheiden werden. Die erste Periode ist die uf 
welche mit den Anfangen des römischen Staates ein für allemal 
den wesentlich italischen Grund gelegt hat. Und zwar lassen sich 
der bekannten Entstehung des römischen Staats gemäfs deutlich 
zwei verschiedene Elemente unterscheiden, ein latinisches und ein 
sabinisches. Das latinische ist durch den angeblich arkadischen 
Evander, welcher in Wahrheit der latinische Faunus ist, und durch 

2* 



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20 



EINLEITUNG. 



die sogenannte Gesetzgebung des Romulus vertreten, das sabiniscbe 
durcb die beiden Könige aus Cures, Titus Tatius und Numa Pom- 
pilius. Fafst man die Culte des Palalium, wo Evander sich nieder- 
läfst und Romulus seine Stadt gründet, näher ins Auge, so erkennt 
man darin noch recht deutlich jenen alterlhumlichen und elemen- 
taren Character des italischen Stammlebens: ein Leben der Hirten 
und Bauern, welche den Faunus Lupercus und die Fauna verehren, 
die Hirtengöttin Pales, die der Ceres entsprechende Dea Dia, den 
Saturnus des goldenen Zeitalters und neben ihm die gütige Erd- 
mutter: daher auch die Römer, wenn sie auf die Anfange ihrer 
Stadt zurückblickten, dieselbe immer für eine Gründung der Hirten 
hielten. Selbst der palatinische Mars wird noch vorzugsweise der 
altitalische Stammgott des Waldlebens und des Frühlings gewesen 
sein, und der Hercules der Ära Maxima, wo der ältere latinische 
Kern von dem griechischen Namen und der Geryonssage wohl zu 
unterscheiden ist, ein streitbarer Genius der Fülle und des Segens, 
welcher als triumphirender Besieger einer finstern Naturgewalt am 
Fufse des Palatin sich niederliefs und dort fortan mit seinen Römern 
am liebsten schmauste und zechte. Auch die Stiftungen der Culte 
des Jupiter Stator und des Jupiter Feretrius deuten wohl auf krie- 
gerische Erfolge, aber noch nicht auf politische Selbständigkeit. 
Vielmehr ist Rom erst durch die Sabiner zu einem eignen und 
selbständigen Staate geworden, zwar auch immer noch erst zu 
einem mehr patriarchalischen und theokra tischen als in eigentlichem 
Sinne des Worts politischen, aber doch zu einem solchen, welcher 
mit seinem festen Kerne strenger und heiliger Ordnungen die An- 
lage zu der bedeutendsten Zukunft in sich trug. Auch die Götter 
und die religiösen Stiftungen dieser Zeit waren ein mächtiger Fort- 
schritt auf der Bahn dieser Zukunft; zwar können sie nicht alle für 
wesentlich und ausschliefslich sabinisch gelten, aber die Geschichte, 
welche sie entweder dem Titus Tatius oder dem Numa zuschreibt, 
will doch sagen, dafs sie erst seit der Niederlassung der Sabiner in 
Rom verehrt wurden. Da ist jetzt Jupiter, der lichte, der reine, 
der heilige, dessen Priesterthum auch der Person des Numa die 
19 höchste Weihe gab 1 ), und seine geweihte Höhe auf der capitoli- 
nischen Burg, wo Titus Tatius wohnte und Numa zu seiner könig- 



') Liv. 1, 20 quamquam ipse plurima sacra obibat, ea mtutime quae nunc 
ad Dialem flaminem pertinenl. 



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EPOCHEN DER RÖMISCHEN RELIGION. 21 

liehen Würde die höchste Beglaubigung empfangt, die eben so hei- 
lige als geheimnifsvolle Burg (arx) der römischen Augurn, welche 
immer diesen lichten Vater der Höhe, der durch ganz Italien Jupiter 
genannt wurde, für ihren höchsten Urheber und unsichtbaren Ver- 
treter der Wahrheit ihrer Beobachtungen gehalten haben. Da 
ist neben ihm Juno als Göttin der Frauenwürde und aller matro- 
nalen Rechte des Familienlebens, welche in Rom immer vorzugsweise 
von den sabinischen Müttern d. h. den ersten Hausfrauen in Rom 
abgeleitet wurden, da ist ferner Minerva als Göttin aller Besinnung, 
und Janus der alte Sonnengott alles himmlischen Anfangs, und Dius 
Fidius, der Gott der Treue und aller ehrenfesten und gerechten 
Werke des Lichtes, auch Terminus und Fides und andre Stiftungen 
dieser Zeit, welche deutlich beweisen, dafs der Glaube der Sabiner 
sich auf dem alten Grunde der Naturreligion bereits zu einem ern- 
sten und würdevollen Bewufstsein über die Principien des Rechts 
und einer ethischen Ordnung der Dinge erhoben hatte. Dazu die 
neue Ordnung des Pontificats und des Vestadienstes, welcher von 
nun an einen heiligen Mittelpunkt für sämmtliche Familien der 
Bürgerschaft bildete, die Stiftung der Salier, in welcher die Römer 
und Sabiner sich zur Verehrung desselben Gottes unter den beiden 
örtlich verschiedenen Diensten des palatinischen Mars und des sa- 
binischen Quirinus bekannten, alle die heiligen Formeln und Gebete 
der Indigitamenta, nach welchen sich fortan das ganze Leben eines 
römischen Bürgers in allen Stadien seiner natürlichen, geistigen und 
sittlichen Entwicklung mit dem Glauben an die unsichtbare Gegen- 
wart und unerläfsliche Mitwirkung der Götter durchdringen sollte, 
alle jene Gesetze für die Geistlichkeit, für die Opfer, die Sühnungen: 
kurz die jungen Jahre Roms wurden damals in eine Zucht gethan, 
welche auf die Dauer freilich nicht befriedigen und noch weniger 
den plebejischen Neubürgern gefallen konnte, aber für den Anfang 
eine ganz vortreffliche Schule jener Gesinnung war, an welche wir 
bei Rom und den Römern immer zuerst denken. Es ist die Zucht 
der alten sabinischen Heimath von Amiternum, von Reate und von 
Cures, welche den Römern bis auf die Zeiten des Polybius jenen 
streng religiösen Character bewahrt hat, in welchem der nach seiner so 
Art gebildete Grieche nur noch die höchste Staatsklugheit zu er- 
kennen vermochte. Die zweite Periode und eine ganz andre 
Zeit beginnt mit den Tarquiniern. Es ist die Zeit wo Rom aufhörte 
ein sabinischer Patriarchalstaat zu sein und auf die grofse Bühne 



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22 



EINLEITUNG 



der allgemeineren Cultur und Politik liinübertretend von hochstre- 
benden Fürsten auf seinen weltgeschichtlichen Beruf vorbereitet 
wurde: für seine Religion die Zeit wo ein glänzender Cultus mit 
Tempeln und Bildern, viele neue Götterdienste und neue Arten 
der Divination eingeführt wurden: kurz eine Periode der allseitigen 
Neuerung, in welcher jene altitalischen Elemente mit denen der 
ausländischen Civilisation verschmolzen und daraus der uns aus der 
Geschichte am besten bekannte Staat Rom und die römische Staats- 
religion der Republik bis etwa zum zweiten punischen Kriege sich 
bildete. Höchst merkwürdig ist in dieser Beziehung die Stiftung 
des Capitolinischen Cultus der drei Götter, welche in dieser Grup- 
pirung zwar auch den Sabinern des Quirinais bekannt waren, aber 
mit diesem Anspruch auf Herrschaft und königliche Hoheit und mit 
dieser glänzenden Einrieb lung ihres Gottesdienstes sicher etwas Neues 
waren; desgleichen die Stiftung des Dienstes der Diana auf dem 
Aventin und die Gründung oder Wiederherstellung der latinischen 
Ferien, welche Stiftungen zugleich darauf hinweisen, wie wir dieses 
auch aus der Geschichte wissen, dafs die Macht und der Staat 
dieser Fürsten keineswegs eine blos römische war, sondern eben 
so sehr eine latinische. Noch folgenreicher als sie war aber speciell 
für Rom die Einführung der sibyllinischen Sprüche aus Cumä in 
den Slaatsgebrauch und die damit zusammenhängende Stiftung eines 
neuen Priesterthums, welches für die Auslegung dieser Sprüche und 
die Ausführung der jedesmal befohlenen gottesdienstlichen Uebun- 
gen bestimmt war und sich dabei in einem wesentlich griechischen 
und Appollinischen Kreise von Vorstellungen und Gebräuchen be- 
wegte. Also war die natürliche Folge jenes ersten Schrittes eine 
immer weiter um sich greifende Hellenisirung der römischen Reli- 
gion, welche sich sowohl in vielen neuen Formen des Gottesdienstes 
überhaupt als in einzelnen neu eingeführten Culten griechischer Götter 
zeigte und auch in der äufsern Ausstattung der Tempel und der An- 
ordnung der Feste über die älteren Vorbilder der Etrusker allmälich die 
Oberhand gewann. Dazu kam die Einführung andrer griechischer 
Götterdienste aus Gründen der Civilisation, z. B. der Castoren, der grie- 
chischen Demeter, des griechischen Handelsgottes, und zwar gleich in 
21 den ersten Jahren der Republik, welche sich also diese Consequenzen 
der Herrschaft der Tarquinier wohl gefallen liefs. Weiter wirkten 
die Kämpfe der Plebs mit dem Patriciat, ein Kampf zwischen zwei 
heterogenen Elementen der Bürgerschaft, wie diese durch Servius 



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EPOCHEN DER RÖMISCHEN RELIGION. 23 

Tullius constituirt worden war, welcher auch in der Geschichte der 
romischen Staatsreligion von der gröfsten Wichtigkeit ist. War 
dieselbe nehmlich bis zu den Tarquiniern ausschliefslich eine 
Sache der Patricier gewesen, welche damals die ganze Bürgerschaft 
ausmachten, deren Legitimität und Erziehung, Eintheilung und 
Berechtigung von allen Seiten auf die religiöse Gesetzgebung des 
Numa zurückwies, so trat ihnen jetzt in den Plebejern eine andre, 
meist nach weltlichen und politischen Grundsätzen organisirte Bürger- 
schaft entgegen, so dafs der Kampf zwischen beiden nothwendig zu- 
gleich ein politischer und ein religiöser werden mufste: ein Kampf 
zwischen den neuen Tendenzen der Civilisation und des politischen 
und commerciellen Weltverkehres auf der einen Seite und dem 
theokratischen und patriarchalischen Geiste der Verfassung Numas 
und der sabinischen Vorzeit auf der andern. Anfangs, gleich nach 
der Vertreibung der Tarquinier, scheint der alte Staat und die alte 
Staatsreligion mit dem alten patricischen Adel noch einmal recht 
zu Kräften gekommen zu sein; namentlich müssen sich die in geist- 
lichen und bürgerlichen Angelegenheiten höchst bedeutenden Vor- 
rechte des Pontificats vornehmlich in dieser Periode ausgebildet 
haben. Dann aber folgte bekanntlich eine Concession nach der 
andern, zunächst auf dem Gebiete der bürgerlichen, dann auf dem 
der geistlichen Würden; wobei es denn kein Wunder ist, dafs in 
demselben Grade wie der Staat selbst immer mehr ein weltlicher 
wurde, auch seine Religion und seine Geistlichkeit mehr und mehr 
verweltlichte. Eine Entwickelung, welche den Interessen des römi- 
schen Staates und seines civilen Rechtes, auch seiner politischen 
Macht und dem Weltverkehre allerdings in hohem Grade förderlich 
sein mochte, aber der innern Consistenz und Wahrheit seines reli- 
giösen Lebens unmöglich in gleichem Maafse zum Vortheil gereichen 
konnte. Mit und nach dem zweiten punischen Kriege beginnt die 
dritte Periode, welche man als die des Verfalls der römischen 
Staatsreligion ansehen und bis auf die Zeit des August ausdehnen 
kann 1 ). Hatte sich die alte Religiosität des italischen Stamm- aa 
characters in der vorigen Periode zu vielen Concessionen herbei- 
lassen müssen, so war doch wenigstens die alte ernste, strenge und 
nüchterne Gesinnung unter allen Umständen behauptet worden, so 



') L. Kraboer Grondlinieu zar Geschichte des Verfalls der römischen 
Staatsreligion bis auf die Zeit des August. Halle 1837. 



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24 



EINLEITUNG. 



dafs namentlich die vielen griechischen Gottesdienste, wo sie gegen 
diese Gesinnung verstiefsen, sich eine Beschränkung gefallen lassen 
müTsten. Auch waren die alten römischen und italischen Götter, 
die alten pontificalen und cerimonialen Gesetze und Gewöhnungen 
immer die vorherrschenden geblieben, und es liegt in der Natur 
einer wohlorganisirten Geistlichkeit, dafs die Plebejer, sobald sie zu 
den geistlichen Würden Zutritt erlangt hatten, es an Eifer auch 
ihrerseits nicht fehlen liefsen. Der zweite punische Krieg aber mit 
seinen mächtigen Erschütterungen des gesammten römischen Staats- 
wesens führte auch in den religiösen Kreisen viele wichtige Neue- 
rungen herbei. Gleich die Einführung des Cultus der Grofsen Mutter 
aus Phrygien beweist, dafs jetzt selbst die gewöhnlichen griechischen 
Sacra nicht mehr genügten, und die bald darauf nothwendig ge- 
wordene Verfolgung der bacchischen Mysterien in Rom und ganz Italien 
lehrt recht deutlich, dafs die römische Staatsgewalt als solche den Ent- 
artungen des religiösen Lebens der Zeit zu widerstehen zwar noch 
Kraft und Besonnenheit hatte, aber auch dafs der faule Geist der 
innern Auflösung, an welchem schon damals Hellas und die helle- 
nistische Welt bis zum Tode erkrankt war, bis in den Occident, ja 
selbst bis in das eigne Herz der römischen Stadtbevölkerung vor- 
gedrungen war. Iu dieselben Jahre fallt die Untersuchung wegen 
der untergeschobenen Bücher des Numa, auch diese das Symptom 
eines neuen Uebels, dafs nehmlich für die Gebildeten das alte Ceri- 
monialgesetz nicht mehr genügen wollte, daher sie zur allegorischen 
Interpretation nach den Grundsätzen der pythagoreischen Philosophie 
ihre Zuflucht nahmen. Bald darauf, gleich mit den ersten Anfangen 
der römischen Litteratur, fand diese Philosophie und die griechische 
Aufklärung überhaupt an dieser neuen Litteratur eine eifrige Bundes- 
genossin, daher sich die Ueberzeugung der Gebildeten von der her- 
kömmlichen Religionsübung immer entschiedener lossagte und die- 
selbe bald nur noch als eine Sache der Politik und des gemeinen 
äs Mannes gelten liefs 1 ). Die Folge war, dafe das Wesen der Religion 



») So urtbeilt «ach Polybias VI, 56, indem er zugleich die Religiosität 
des römischen Staates höchlichst rühmt: xal /uoi rfoxfi to naqa totg älXoig 
avd-Qtanotg övudi&fxivov , jovio ovvfyetv rä 'Püjfialwv ngay/xara^ liyu 
tt)v StiaidatjjLovlair inl xoaovtov yaq ixT€TQay(p<Jr}Tat xal 7tagt(gfjxrat tovio 
to fiigog naq aviotg tlg rt roitg xax Idtav ß(otg xal tu xowa rrjg nöktiog, 
wäre fit) xaxakntTv vntgßolriVt o xal öofruv av nolloTg öavuaotov. Ipoi 
ye fitjv doxovat tov nlij&ovg X*Q tv *ovzo ntnotiixtvai. tt fjikv 



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EPOCHEN DER RÖMISCHEN RELIGION. 



25 



immer äufserlicher gefafst und der Cultus immer rauschender und 
vergnügungssüchtiger wurde, in welcher Beziehung das gleichfalls 
seit dem Ausgange des Hannibalischen Krieges eingeführte griechische 
Theater vollends verderblich wirkte. Es war für die Römer die 
eigentliche Bildungsschule einer mythologischen Weltansicht und eines 
ästhetischen Götterglaubens, welcher seines tieferen religiösen Inhaltes 
längst entkleidet war und von der Philosophie verworfen, ja mit 
Spott und Schande verfolgt wurde: so dafs der Gegensatz zwischen 
der Religion der Gebildeten und der des grofsen Haufens nun vollends 
ein unversöhnlicher wurde. Daher schon Scipio Nasica, der beste 
Bürger seiner Zeit und Pontifex Maxiraus, zugleich vor der Zer- 
störung Karthagos und der Einrichtung einer stehenden Bühne 
warnte 1 ), damit aber so wenig durchdrang, dafs diese Spiele viel- 
mehr bald zur Hauptsache bei allen Festen der Götter wurden. Ja 
es lernte nun auch der bürgerliche Ehrgeiz und die politische 
Ostentation sich sehr bald dieser und der circensischen Spiele als 
eines neuen Mittels bedienen, um die Gunst des gemeinen Mannes 
zu erlangen und auf der Staffel der Ehren emporzuklimmen, so dafs 
eine glänzende und verschwenderische Aedilität selbst von den Besten 
gefordert wurde. Damit aber sind wir in einen Kreis getreten, in 
welchem der Rest von Liebe zu den alten Gebräuchen, der sich 
bei den höheren Ständen etwa noch erhalten hatte, vollends ver- 
loren ging, den Zauberkreis der politischen Agitation und der auf 
die Provinzen speculirenden Gewinnsucht, in welchen sich während 
der Gährung der späteren Republik selbst diejenigen hineinziehn 
liefsen, welche für den alten Glauben am meisten hätten sorgen 
müssen, ich meine die Priester und alle geistlichen Behörden. Nicht 
umsonst warnte Laelius der Weise, als man im Jahre nach der' 
Zerstörung Karthagos (145 v. Chr.) im Begriffe war, den alten 
Grundsatz der Cooptation der priesterlichen Behörden aufzugeben 24 



y«o aoipäv avÖQWv noltttvfta awayaytlv, fffwc ovdkv t\v avayxaiog 6 
Totowot TQonos. Grade so urtheilt Varro, und ohne Zweifel sprach Polybius 
in jenen Worten nicht bloa seine eigne Ansicht, sondern auch die der ihm 
bekannten Kreise in Rom ans. 

>) Augustin C. D. I, 30. Auch bei Cicero Tnsc. I, 16, 37 erscheint das 
Theater als die Schule des gewöhnlichen mythologischen Glanbens und Varro 
nennt, wenn er eine mythologische, eine bürgerliche und eine natürliche 
Religion unterscheidet, ansdrücklich das Theater als Quelle der ersten, b. 
Augustin VI, 5. 



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26 



EINLEITUNG. 



und auch hier das Princip der Volkswahl einzuführen, auf das nach- 
drücklichste vor den Folgen dieses Schritts, in einer oft bewunderten 
Rede, welche namentlich die Zeiten ergreifend schilderte, wo man 
sich noch an der ungeschminkten Einfalt und Würde der Gesetze 
Numas hatte genügen lassen. Das Gesetz wurde damals wirklich 
bei Seite gelegt und erst in der Marianischen Zeit mit einigen Ver- 
änderungen durchgesetzt, aber die drohende Gefahr einer Verwelt- 
lichung der geistlichen Behörden ist schon durch jenen Versuch 
angedeutet, und auf demselben Wege sehen wir nun auch bald den 
letzten Rest des alten Stammcapitais der romischen Religion ver- 
schleudert werden. Die priesterlichen Würden wurden nicht mehr 
nach den Ansprüchen des Alters und der geistlichen Erfahrung be- 
setzt, sondern den reichsten und ehrgeizigsten Bürgern als accesso- 
rische Ehrenämter ertheiit. Kein Wunder, dafs nun auch die 
Kenntnifs der alten Gebräuche verfiel, daher schon Cato über den 
Verlust vieler Augurien klagte 1 ) und vollends Varro den Römern 
viele vergessene Namen und Heiligthümer der Gölter ins Gedächlnifs 
zurückrufen mufste. Auch hatte Cicero ohne Zweifel seine guten 
Gründe, die berühmten Scävolas auf die innerliche Unvereinbarkeit 
ihres doppelten Berufs, den des geistlichen Hohenpriesters und den 
des civilen Rechtsgelehrten, aufmerksam zu machen*). Vollends die 
Augurn waren zu einer so ganz und gar welllichen Behörde geworden, 
dafs Cicero und die grofse Mehrzahl seiner Zeitgenossen, auch im 
Collegium der Augurn, es unbegreiflich fanden, wie Jemand noch 
überhaupt an eine höhere religiöse Weihe und Wahrheit dieses Be- 
rufes glauben konnte 8 ). Eben so hatten die sibyllinischen Sprüche 
und die etruskischen Haruspices alles Vertrauen verloren, schon zur 
Zeit des Cato, wie dessen bekanntes Witzwort lehrt 4 ). Das erste 
und heiligste aller Priesterthümer, das des Flamen Dialis, ist sogar, 
weil es zu viel Entsagung forderte, seit dem gewaltsamen Tode 
25 des L. Merula zur Zeit der Marianischen Unruhen über siebenzig 



*) Itaque multa aiiguria, multa auspicia, quod Cato iüe sapiens queritur y 
neglegentia collegii amissa plane et deserta sunt. Cic. de Divio. I, 15, 28. 

s ) Cic. de Leg. II, 21, 52. Itaque si vos (Scaevolae) tantummodo pontißces 
esset is, pontificalis maneret auctoritas: sed quod Odem iuris civilis estis 
perilissimi, hac scientia illam eluditis. 

8 ) Cic. de Leg. II, 12, 30; 13, 33, de Divin. I, 47, 105. 

4 ) Cic. de Divin. II, 24, 51. Ueber den Mißbrauch der sibyllinischea 
Siirüche ib. 54. 



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EPOCHEN DER RÖMISCHEN RELIGION. 



27 



Jahre unbesetzt gebbeben, so dafs Augustus es formlich wiederher- 
stellen mufste. Kurz es hatte auch auf diesem Gebiete eine so all- 
gemeine Verwirrung und Auflösung des gesetzlichen Zustandes Platz 
gegriffen, dafs der Eintritt der Monarchie auch in sofern ein voll- 
kommen berechtigter war. Die vierte und letzte Periode ist die 
der Kaiser 1 ), unter denen August auch in den religiösen Angelegen- 
heiten die Grundsätze der Staatskunst für seine Nachfolger festge- 
stellt hat. So war namentlich einer seiner leitenden Gesichtspunkte 
die Restauration des Gottesdienstes und aller geistlichen Behörden 
und Gewalten, indem er überall für die Herstellung der vielen ver- 
fallenen Tempel sorgte, neue baute, alte Gebräuche wiederherstellte, 
die sibyllinischen Bücher und den Kalender neu ordnete, endlich 
die Zahl, Würde und das Einkommen der Priester vermehrte, nament- 
lich seitdem er nach dem Tode des Lepidus Pontifex Maximus ge- 
worden war 2 ). Nur dafs diese Restaurationen sich auf das Aeufser- 
liche beschränken mufsten, da er die innern Motive so vieler Ge- 
bräuche und Glaubensformen, sofern sie mit dem höheren natio- 
nalen Alterthum und der Republik zusammen hingen, weder von 
neuem beleben konnte noch wollte, eben so wenig aber auch darauf 
ausging das geistliche Recht und die Unabhängigkeit der priester- 
lichen Behörden herzustellen, da alle diese Würden und Behörden 
vielmehr eben durch August ein für allemal von dem jedesmal re- 
gierenden Kaiser abhängig wurden, zu dessen wesentlichen Attributen 
von jetzt an das Ponlüicat d. h. die entscheidende Stimme in allen 
Fragen der Religion gehörte. Und so ist auch im Uebrigen seit 
August die Person des regierenden Kaisers und die religiöse Ver- 
herrlichung seines Hauses und seiner Familie immer mehr zur 
Hauptsache des öffentlichen und selbst des corporativen und privaten 
Gottesdienstes geworden, da auch bei seinen neuen Stiftungen des 



'j [Uber diese Periode vgl. L. Friedländer, Darstellungen aus der Sitten- 
geschichte Roms 3, 421 — 540. G. Boissier, La religion Romaine d'Auguste aux 
Antonins, Paris 1874. 2 Bde.]. 

») [Vgl. unten zu XII, 7. Hervorzuheben ist hier dafs die Zahl der neuen 
von Augustus (und den späteren Kaisern) gegründeten Tempel verhältnifsmäfsig 
sehr klein ist, dafs die Zahl der alten von Augustus wiederhergestellten (nach 
seinem Zeugnifs Im Ind. 4, 17:82) wahrscheinlich den bei weitem gröTsten 
Theil aller damals vorhandenen umfafste (worüber Genaueres anderwärts ge- 
geben werden soll); endlich dafs zu den von Augustus wiederhergestellten 
ältesten Kulten der der Dea Dia gehört (unten VI, 5).]. 



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28 



EINLEITUNG. 



Palatinischen Apollodienstes und des Cultus des Mars Ultor und der 
Venus Genetrix dieses persönliche und dynastische Interesse vor- 
herrschte und vollends die öffentlichen Gebete und Danksagungen 
26 für das Wohl des Kaisers, die Feier seines Geburtstags, seiner 
glücklichen Rückkehr, seiner Siege oder bürgerlichen Erfolge, die 
Einmischung seines Namens in die Opfer und Gebete aller Collegien, 
aller Sodalitäten, aller Götterculte bald in solchem Grade eine 
Forderung nicht allein der Convenienz, sondern auch der schuldigen 
Rücksicht auf die kaiserliche Majestät wurde, dafs die gesammte 
römische Religion fortan den Character einer specilisch kaiserlichen 
annahm. Auch die conventionelle Apotheose der verstorbenen Kaiser 
nach dem Muster des Orients hatte August so weit vorbereitet, dafs 
nach seinem Tode seine schlaue Wittwe und deren noch schlauerer 
Sohn nur den letzten Schritt zu thun brauchten. Die folgenden 
Kaiser bis Trajan sind diesen Grundsätzen des August ziemlich treu 
geblieben, die Julier weil sie in ihm den Stifter der Dynastie, die 
späteren weil sie den der kaiserlichen Gewalt in ihm verehrten: bis 
mit der Zeit des Hadrian uud der Antonine noch einmal eine neue 
Wendung beginnt, da Rom und die römische Sitte seit ihrer Zeit 
mehr und mehr aufhörte das geistige Bindemittel des Reiches zu 
sein, und dafür die griechische, hellenistische und orientalische 
Bildung von neuem das Uebergewicht erhielt, und zwar in solcher 
Weise, dafs auch die Religion und die Art über göttliche Dinge zu 
denken ganz wesentlich dadurch bestimmt wurde. Da begannen auch 
die älteren und neueren Gottesdienste Aegyptens, Syriens, Phrygiens 
und Persiens, die man bis jetzt wenigstens von Rom ausgeschlossen 
hatte, von neuem nach diesem Mittelpunkte des Reiches und der 
abendländischen Bildung und selbst bis an den» kaiserlichen Hof zu 
drängen, da sie sich bisher auf die Handelsplätze Italiens hatten be- 
schränken müssen und höchstens hin und wieder in den Vorstädten 
von Rom geduldet worden waren. So namentlich die ägyptischen 
Sacra der Isis und des Serapis seit Gommodus und Caracalla, der 
chaldäische Aberglaube und die syrischen Gottesdienste seit Seplimius 
Severus und seinen Descendenten , die Taurobolien, die Mithras- 
mysterien und andre neue und seltsame Gottesdienste der Art in 
denselben Zeiten : lauter Religionssysteme welche durch Verschmelzung 
allorientalischen Aberglaubens mit hellenistischer Bildung und Theo- 
krasie sowohl dem Volke als den Gebildeten willkommen waren, 
letzteren durch eine gewisse Tendenz zum Monotheismus und Pan- 



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QUELLEN. 



29 



theismus, welcher längst das Bekenntnifs der Gebildeten war, dem 
Volke durch einen Aberglauben, welcher zugleich den Reiz des Aus- 
ländischen und des Geheimnifsvollen hatte. Zuletzt wurde die Religion 
auf eine wahrhaft trostlose Weise zugleich verworren, geistlos und 
roh. Die Zahl der Götter und Gottesdienste hatte sich bei der Ver- 
schmelzung der verschiedensten Nationalsysteme des Heidenthums 
zuletzt auf eine wahrhaft beängstigende Weise vermehrt, so dafs 
man sich immer mehr zu einer Auswahl gewisser oberster Götter 
gedrängt fühlte, unter denen der alte Himmelsgott Jupiter und 
der Sonnengott noch immer ihren ersten Rang behaupteten, nur 
dafs sie jetzt unter den verschiedensten, meistens ausländischen 
Formen angebetet wurden. Neben ihnen wurden vorzugsweise 27 
solche Götter verehrt, welche in dieser Zeit der allgemeinen Noth 
und Angst Entsündigung und Heilung versprachen ; selbst den wider- 
wärtigsten Gebräuchen, den schwersten Bufsübungen unterzog man 
sich gern, wo solche Verheifsungen zum Gottesdienste einluden, wie 
dieses vorzüglich in den zahlreichen Mysterien und Geheimgottes- 
diensten der Fall war. Die öffentlichen Feste waren kaum noch 
Gottesdienst zu nennen, so waren sie mit Spektakel aller Art, der 
Mimen, der Gladiatoren, der pomphaften Aufzüge überladen. Die 
Gebildeten hielten sich meist zum Neupiatonismus, einer Philosophie 
von manchen erhabenen und tiefsinnigen Anschauungen, welche aber 
auch sehr mit Phantasterei und Aberglauben versetzt waren, bis sie 
bei dem allgemeinen Untergange des Heidenthums zuletzt ganz zu 
einer Scholastik desselben d. h. zur Theorie des Polytheismus, der 
Idololatrie und der Magie geworden war. Kurz es handelte sich 
jetzt nicht mehr um den Verfall der römischen Staatsreligion, son- 
dern um den des antiken Heiden th ums überhaupt, welches in Rom 
seine letzte Zuflucht gefunden hatte und sich dort auch bekanntlich 
am längsten behauptet hat. 

7. Die Quellen. 

Auch in dieser Beziehung sind wir übel genug daran, da das 
alte Italien bis auf einige örtliche Denkmäler verstummt ist und die 
römische Litteratur erst dann beginnt, nachdem sich die römische 
Bildung ganz mit der griechischen durchdrungen hatte. Daher die 
Erscheinung, dafs sie weder für ihr eignes Alterthum noch für das 
italische Volksthum den rechten Sinn hatte. Statt aus der gewifs 



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30 



EINLEITUNG 



in einigen Gegenden noch immer lebendigen Ueberlieferung die 
Sagen, Mäbrchen und Lieder zu sammeln, deren wohl noch manche 
zu finden gewesen wären, begnügten sich selbst Cato und Yarro in 
den meisten Fällen bei den Griechen und ihrer Mythographie anzu- 
fragen, welche damals noch dazu meist von dem falschen Geiste des 
Pragmatismus erfüllt war. Indessen wollen wir deshalb nicht zu 
ernstlich mit ihnen rechten, da ja selbst bei uns die Quellen der 
Yolkssage erst in den neueren Zeiten gesucht worden sind, so stark 
ist die Macht des Herkommens und einer überlegenen Bildung des 
Auslandes. Aber auch die Quelle der älteren römischen Litteratur, 
welche bekanntlich erst seit der Zeit des zweiten punischen Kriegs 
von einigem Belange war, fliefst für uns leider nur sehr dürftig, da 
28 namentlich die Dichter und Geschichtsschreiber dieser früheren Pe- 
riode nur in den Excerpten und Beferaten der späteren Autoren 
zu uns reden. Naevius und Ennius sind die beiden Dichter, 
welche den Bömem zuerst ein nationales Epos geschaffen haben, 
soweit dieses überhaupt möglich war. Beide begannen mit der 
Zerstörung Trojas und der Ankunft des Aeneas an der latinischen 
Küste, Naevius um von dort zu der Geschichte des ersten punischen 
Kriegs zu eilen, Ennius um die ganze römische Geschichte bis auf 
seine Zeit in der herkömmlichen Form der Annalen daran anzu- 
knüpfen: ein Mann von hellem Verstände, lebhaftem Geiste und 
tüchtiger Gesinnung, auch als Dichter so hochbegabt, dafs sein Ein- 
flufs auf die römische Sprache und Verskunst und auf die römische 
Stadtsage immer ein sehr bedeutender geblieben ist. Doch war 
grade er ganz griechisch gebildet, und zwar so vielseitig, dafs er 
nicht blofs die Blüthe des griechischen Heldengedichts und des grie- 
chischen Trauerspiels, sondern auch den Geist der pythagoreischen 
Philosophie und leider auch den des Euhemerismus in sich aufge- 
nommen hatte, welcher letztere bei den praktischen und nüchternen 
Bömern immer einen sehr lebhaften Anklang gefunden hat. Beide 
Dichter haben auch viele griechische Tragödien für die römische 
Bühne bearbeitet, gewöhnlich nach dem damals allgemein vorherr- 
schenden jüngeren Meister der attischen Bühne Euripides, welcher 
mit seinem mit der Wahrheit des mythologischen Alterthums zer- 
fallenen und von moderner Beflexion erfüllten Geiste also nun 
auch zu den Bömern sprach. Was die geschichtliche Forschung be- 
trifft, so haben die ersten Annalisten Q. FabiusPictor, L. Gincius 
Alimentus u. A. nicht allein in dem Sinne der gleichzeitigen grie- 



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QUELLE*. 



31 



einsehen Bildung, sondern auch in griechischer Sprache geschrieben, 
indem sie mit einer summarischen Uebersicht der ältesten Stadtge- 
schichte in conventioneller Manier begannen und darauf gewöhnlich 
die Geschichte der letzten Vergangenheit ausführlicher behandelten. 
Der erste welcher die Geschichte Korns und Italiens in lateinischer 
Sprache und mit nationaler Gesinnung beschrieb war der alte 
M. Porcius Cato, ein Römer von echtem Schrot und Korn, zu 
dessen Zeiten auch Itaheu noch nicht die Schlächtereien des Sulla 
erlebt hatte, so dafs die alten Stammesüberlieferungen noch recht 
lebendig sein mochten. In drei Büchern hatte er die Anfange 
(origines) von Rom und Italien beschrieben 1 und danach das ganze 
Werk betitelt, obgleich mit der Zeit auch für ihn die eigentliche 
Geschichte des römischen Volks zur Hauptsache geworden war. 
Doch wufste er in dem ersten Buche nur die gewöhnlichen Ge- 29 
schichten von den Aboriginern, den Laurentern und Aeneas, von 
Alba Longa und Romulus zu wiederholen, und nur in dem zweiten 
und dritten Buche hatten manche wichtige Nachrichten über die 
Etrusker und Volsker, die Latiner und Sabiner und andre italische 
Völker eine Stelle gefunden: obwohl auch hier neben einigen origi- 
ginalen Sagen die herkömmlichen Fabeln von Diomedes, Ulysses 
und andern griechischen Heroen als wahre Geschichte und wich- 
tigster Inhalt der italischen Vorzeit erzählt wurden. In späteren 
Jahren hatte zuerst der römische Ritter L. Aelius Stilo die Rich- 
tung auf sprachliche und sachliche Erklärung der älteren Denkmäler 
des Staates und der Religion eingeschlagen, in welcher von ihm und 
nach ihm viel Ausgezeichnetes geleistet worden ist 8 ). Namentlich 



*) [Ueber den vielbestritteucn dem ganzen aus 7 Büohern bestehenden 
Werke zukommenden Titel origines (dessen Beschränkung auf die B. II nnd III 
auf einem Mifsverstandnifs der Grammatiker der ciceronischen Zeit beruht) 
s. Jordan Proleg. S. XXI f. — Auch Bergk Gr. Litt. 1, 223 folgt der im Text 
festgehaltenen Auffassung. — Ueber die einheimischen Quellen vgl. Jordan Pro- 
legomena, Hermes 3, 416 ff.]. 

*) [Es fehlt noch an einer eingehenden Untersuchung über die philosophisch- 
grammatischen Studien (über die stoische Mythenbehandlung Zeller III, l 3 , 
309 ff.), welche seit der Graccbenzeit eine vergleichende^gricchisch - römische 
Mythologie geschaffen haben, deren Hauptsätze sicherlich die nachsullanische 
Epoche schon fertig vorfand. Auf Valerius Soranus bat Preller S. 33 hinge- 
wiesen, auf den Freigelassenen Sulla's Epicadus und L. Manitius und ihre Be- 
thciliguug an der Deutung der Argei Jordan Topogr. II, 252 ff.; über ein der- 
selben Richtung und Zeit angehöriges Kunststück, die Identificirung der 



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32 



EINLEITUNG. 



hatte Stilo die sehr alterthümlichen Lieder der Salier in einem oft 
erwähnten Commentare erörtert, in welchem er manches alte Wort 
allerdings nicht mehr erklären konnte, dafür aber auch vieles Wich- 
tige ans Licht zog, vor allen Dingen aber das Verdienst hatte, die 
höheren Kreise in Rom und namentlich einen M. Terentius 
Varro für dieselben Studien zu gewinnen. Dieser und sein Zeit- 
genosse P. Nigidius Figulus haben in der Litteratur des römi- 
schen Alterthums immer für die Gelehrten schlechthin gegolten, nur 
da Ts der letztere sich aufser seinen sprachlichen Untersuchungen 
vorzugsweise mit physikalischen, mathematischen und astrologischen 
Untersuchungen beschäftigt hatte und bei diesen durch seinen Hang 
zur Geheimweisheit oft auf falsche Bahnen gelenkt worden war. 
Dahingegen Varro ganz vorzugsweise den Realien des römischen 
Alterthums ergeben war und bei seinen Forschungen, wenn auch 
nicht immer von dem rechten Geiste, so doeh von einer so warmen 
Liebe zum Vaterlande und solchem Fleifse, solcher Gewissenhaftigkeit 
beseelt war, dafs seine Arbeiten jedenfalls bei weitem das Verdienst- 
lichste gewesen sind, was Rom auf diesem Gebiete zu Tage ge- 
fordert hat. Auch haben alle späteren römischen und griechischen 
Schriftsteller über das römische Alterthum vornehmlich aus ihm 
geschöpft, daher wir uns über seine wichtigsten Werke, so weit sie 
für unsern Zweck in Betracht kommen, nothwendig eine bestimmtere 
Vorstellung verschaffen müssen: bei welchem Bemühen wir aufser 
den erhaltenen Büchern de lingua latina auf die gröfseren und ge- 
ringeren Excerpte der späteren Schriftsteller, namentlich des Kirchen- 
vaters Augustin in seinem Werke de civitate dei angewiesen sind. 
Das Hauptwerk waren die Antiquitates Rerum Humanarum 
30 et Divinarum, aus welchem Augustin uns glücklicher Weise zahl- 
reiche Auszüge und (De Civ. Dei VI, 3) die Disposition und eine 
Skizze des Inhalts erhalten hat 1 ). Dieses Werk bestand demzufolge 



Semones mit den rjfxi&tot vgl. unten S. 78 f. und über Caranus Hercules 
S. 71. Unter den jüngeren scheint Cornificius (mit einer Schrift de etymis 
deorum) vielleicht auch Gavius Bassus (de diis) eine Rolle gespielt zu haben. 
Besonders wichtig Arnobius III, 38 f. — Vgl. Jordan Annali dell'inst. 1872, 40 f. 
Krit. Beiträge S. 205.]. 

*) L. Krahner de Varr. Antiquitäten libris, Hai. 1834. Vgl. die Frag- 
mente der libri rerum divinarum bei R. Merkel Ovid. Fast. p. CVI etc. Nach 
dem durch Hieronymus erhaltenen Cataloge der Schriften Varros (Ritschi. Rh. 
Mus. f. Philol Bd. VI und XII [= Op. 3, 418 ff.]) schrieb derselbe XLV libros 



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VARRO 



33 



aus 41 Büchern, von denen 25 auf die weltlichen Angelegenheiten 
(res humanas), die übrigen 16 auf die gottesdienstlichen kamen; 
und zwar hatte er den Inhalt dieser letzteren so vertheilt, dafs die 
ersten drei Bücher sich mit den Priesterthümern , die folgenden 
drei mit den Weihungen und dem öffentlichen und häuslichen 
Gottesdienste beschäftigten und endlich erst in den drei letzten von 
dem eigentlichen Gegenstande aller Religion und alles Gottesdienstes, 
von den Göttern gehandelt wurde. Das vorherrschende Interesse der 
aus den besten Quellen geschöpften Forschung war allerdings das anti- 
quarische und patriotische, dafs er seine Mitbürger wieder mit dem 
Glauben und den Göttern der glorreichen Vorzeit bekannt machen wollte: 
denn soweit war es gekommen, dafs die Römer in ihrem eignen Vater- 
lande und in der Stadt Rom, wie Cicero sich ausdrückt, wie Fremde 
umherirrten und in derselben erst wieder gleichsam von neuem ange- 
siedelt werden mufsten *). Indessen wollte Varro nicht blofs unterrich- 
ten, sondern auch belehren d. h. er wollte in diesem Werke nicht blo- 
fser Alterthumsforscher sein, sondern auch Theolog und Philosoph, da- 
her er zugleich den verwilderten Götterglauben der Zeit sowohl nach 
gewissen allgemeinen Grundsätzen als in einzelnen Beziehungen der 
posititiven Religion auf die Wege einer richtigeren, im Sinne der Zeit 
geläuterten Erkenntnifs zu lenken und dadurch von neuem zu em- 
pfehlen suchte: wodurch er auf Grundsätze und auf eine Methode 
der Interpretation geführt wurde, welche für ihn und seine Zeit 
characteristisch ist, aber der Sache schwerlich so viel genützt hat 
als die gedrängte Fülle von nationalen und alterthümlichen An- 

Autiquitatnm und intTo^v Antiquitatum ex libris XLT1 libros Villi. Die 
Zahl XL1I scheint die richtige zu sein, 41 Bücher der Antiquitates und ein 
eignes Buch allgemeiner Einleitung. 

*) Cic. Acad. poster. I, 3, 9 annos in nostra urbe peregrinantes errantesque 
tanquam hospües tut libri quasi domum deduxerunt, ut possemus aliquando qui 
et ubi essemus agnoscere etc. Vgl. Augustin C. D. III, 17 z. E. quod scribens 
de aedibus saeris tarn multa ignorata commemorat. Cic. N. D. I, 29, 82 etenim 
fana multa exspoliata et simulacra deorum de locis sanctissimis ablata videmvs 
anostris. Vgl. die Ausleger zu Horat. Od. III, 6. In demselben Sinne sapt 
Varro selbst bei Augustin 1. c. IV, 31 ad eum finem iüam (die Geschichte 
des alten Götterglaubeos) se scribere ac perscrutari, ut potius eos magis colere 
quam despicere vulgus tritt. Ib. VI, 2 se timere ne pereant dii non incursu 
Im stiU. sed civium negligentia: de qua illos velut ruina liberari a se dicä et in 
memoria bonorum per eius modi libros recondi atque servari, utiliore eura quam 
Metellus de incendio sacra Vestalia et Aeneas de Troiano excidio Penates 
liberasse praedicatur. 

Preller, Rom. Mytltol. I. 9. Aufl. g 



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34 



EINLEITUNG. 



schaumigen, welche wenigstens die Gebildeten aus diesem Werke 
gewinnen konnten. Der Schwerpunkt dieser allgemeinen Grundsätze 
lag darin, dafs er mit dem berühmten Pontifex und Rechtsgelehrten 
Q. Mucius Scaevola, demselben welcher bei einem Aufstände zur 
Zeit des Marius sein Leben vor dem Bilde der Vesta aushauchte, 
eine dreifache Religion unterschied, eine mythologische, 
welche speciell die Dichter und das Theater angehe und von den 
Göttern viele höchst unwürdige und widersinnige Vorstellungen ver- 
breite 1 ), eine natürliche, welche die der Philosophen sei und auf 
der wahren Erkenntnifs der Natur und Welt beruhe, und eine 
bürgerliche, welche für das bürgerliche Leben überhaupt und 
speciell für die Geistlichen und den Cultus bestimmt sei, also nach 
unsrer Art uns auszudrücken die positive Religion des römischen 
Staates war, soweit sie auf den alten Satzungen und Gewohnheiten 
der Vorzeit beruhte. Diese letztere nun schien ihm obwohl für da» 
politische Leben noth wendig, doch keineswegs die Wahrheit zu sein, 
vielmehr eine aus der Religion der Dichter und der Philosophen 
gemischte, von welchem nur die letztere zur Wahrheit führe: bei 
welchem Worte dem Varro ein Monotheismus im Sinne der sto- 
ischen Philosophie und ein Cultus ohne Bilder vorschwebte, wie Rom 
32 selbst ihn in den ersten 170 Jahren seiner Existenz beobachtet 
habe. Daher der Satz, dafs der Götterglaube und der Gottesdienst 
der positiven Religion nothwendig als Product des römischen Staates 
und seiner Geschichte aufgefafst werden müsse, aus welchem Grunde 
Varro davon nicht zu Anfang seines Werkes, sondern erst in der 
zweiten Hälfte desselben gehandelt hatte 8 ), und zweitens der starke 

») Leber Scaevola berichtet Auguslin C. D. IV, 27, wahrscheinlich nach 
Varro. Mach ihm gab es drei genera tradita deorum, unum a poetis, alterum 
a philosophis, terliitm a prineipibus civitatis. Das erste war für ihn ein genus 
nugatorium, quod multa de diis ßngantur indigna. Das zweite schien ihm 
nicht für das bürgerliche Leben zu passen, quod habeat aliqua tupervacua, 
aliqua etiam quae obtit populis nosse, z. ß. non esse deos fferculem, Aesctdapium, 
Castorem, PoUucem. Von der Religion der Dichter wird darauf mit einer 
eben so lebhaften moralischen Entrüstung gesprochen wie bei Plato, Zeno und 
Epicur. Heber Varro's Unterscheidung der drei Religionen s. Augustin VI, 5. 
Die mythologische Religion hiefs bei ihm das genus mythicon, quo maxime 
utuntur poetae. Auch hier dieselben Gründe der Verwerfung: in eo sunt multa 
contra dignitatem et naturam immortalium ficta. Die natürliche Religion ist 
das genus physicon, quo pkilosophi utuntur, die positive das genus civile, 
quo populi utuntur. 

*) Augustin C. D. VI, 4 Ipse Varro propterea se prius de rebus humanis, 



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QUELLEN. 



35 



und ganz unverhüllt ausgesprochene Satz, bei welchem Varro aber 
auch die grofse Mehrzahl der römischen Staatsmänner, ja, wie Scae- 
volas Beispiel lehrt, auch die höhere und höchste Geistlichkeit auf 
seiner Seite hatte , dafs Täuschung der Sache der positiven Reli- 
gion nicht allein nothwendig sondern auch nützlich sei 1 ). Daher 
lerner die Grundsätze seiner Interpretation der mythologischen That- 
sachen, welche wie bei Ennius aus Philosophie und Euhemerismus d. h. 
aus Allegorie und rationalistischem Pragmatismus gemischt waren, und 
dafs Varro, obwohl sonst Eklektiker, in seiner theologischen Anschau- 
ung meist dem stoischen Pantheismus folgte, welcher der innern Be- 
seelung des griechischen und römischen Götterglaubens wirklich am 
meisten entsprach und deshalb auch von den meisten wissenschaftlich 
gebildeten Theologen der späteren Zeit bei ihren Erklärungen zu Grunde 
gelegt wurde. So ist ihm also die Gottheit, namentlich Jupiter, 
Weltseele, und die übrigen Götter sind nur die einzelnen Kräfte und 
Erscheinungen dieses alle Welt beseelenden und durchdringenden 
Jupiter, den Varro für den höchsten und einzig wahren Gott er- 
klärt. Neben ihm lä ist er höchstens als zweite Hauptgottheit die 
Mutter Erde gelten, nehmlich in der Bedeutung der Materie und des 
schlechthin Weiblichen und Empfangenden 2 ), auch dieses nach den 

de dir Otis autein postea scriprisse testatur, quod prius exstiterint civitates, 
deinde ab eis haec instituta sint, und weiterhin sicut prior est, inquit, pictor 
quam tabula picta, prior faber quam aedißcium, üa priores sunt civitates quam 
ea quae a civitatibus instituta sunt. Bei einer Darstellung der natürlichen 
Religion würde er seine Sache anders angegriffen haben. Auch sprach er es 
wiederholt nachdrücklich ans, dafs der Glaube der positiven Religion nicht der 
seiner persönlichen Ueberzeugung sei und dafs er, wenu es sich nicht um die 
Geschichte des römischen Staats, sondern um die Gründang: eines neuen Staats 
handle, dann auch ein andres Bekenntnife aufstellen würde: ib. IV, 31. 

*) Aupustin C. D. III, 4 Farro — utile esse civitatibus dicit, ut se viri fortes, 
etiatnsi falsum sit, dis genitos esse credant. Ib. IV, 27 expedire igitur existimat 
(ScaevolaJ falli in religione civitates, quod dicere etiam in libris Herum Divi- 
narum Farro ipse non dubitat. 

*) Augustin VII, 5 Fatetur inlerim vir doctissimus, anirnam mttndi 
ac partes eius esse veros deos. Ib. 6 Dicit idem Farro de naturaU theologia 
praeloquens, Deum se arbitrari esse anirnam mundi — adiungit mundum dividi 
in duas partes, caelum et terram. Ib. 28 Dicturus de fetninis h. e. de deabus: 
quoniam, inquit, ut primo libro dixi de locis, duo sunt prineipia deorum ani- 
madversa de caelo et terra, a quo dü parlim'dicuntur caelesles partim terrestres, 
ut in superioribus initium feeimus a caelo, cum diximus de Jove, — sie de 
feminü initium scribendi feeimus de Tellure. Auch kam er in demselben Zu- 
sammenhange auf die samothrakischen Mysterien, in denen er eine Darstellung 

3* 



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36 



EINLEITUNG. 



Grundsätzen der stoischen Philosophie, welche den Dualismus eines 
schlechthin schöpferischen und eines schlechthin empfanglichen 
Princips an die Spitze ihrer Physik zu stellen pflegte. Obwohl 
Yarro in einem andern Zusammenhange und wieder im Ein- 
verständnisse mit einigen Lehrern der stoischen Schule seinen 
Jupiter selbst über diesen ersten Anfang aller Weltbildung und aller 
Gegensätze zu erheben suchte d. h. ihn für die ursprüngliche In- 
differenz jenes ersten Gegensatzes eines männlichen und weiblichen 
Princips erklärt hatte 1 ). Genug er deutete in diesem Sinne nicht 
allein den Jupiter, sondern auch die übrigen Gotter des griechischen 
und römischen Glaubens auf eine sehr freie und oft recht willkürliche 
Weise, wobei er sich zugleich der ganz verkehrten etymologischen 
Methode bediente, die wir aus seinen Büchern de lingua latina zur 
Genüge kennen. Dasselbe mufs aber auch von seinen Erklärungen 
der mythischen Vorgeschichte des römischen Volks gelten, die er 
in dem Werke de gente populi Romani d. h. von dem Herkommen 
des römischen Volks 2 ) behandelt und dergestalt mit der griechischen 
Mythengeschichte, wie sie seit Ephorus erzählt zu werden pflegte, 
verschmolzen hatte, dafs die Geschichte von Griechenland, Latium 
und Rom nun vollends in dem Liebte eines fortlaufenden Zusammen- 



der drei Priocipien der Dinge, des Himmels, der Erde, und der Ideen zu finden 
glaubte. Vgl. de ling. lat V, 57. 58. 

l ) Augustin VII, 9 In haue sententiam tdafs Jupiter die Weltaeele sei 
etiam quosdam versus Valerii Sorani exponü idem Varro in eo libro, quem 
seorsum ab istis de cultu deorum scripsit. qui versus hi sunt: 
Jupiter omnipotent, regum rex ipse deusque 
Progenitor genetrixque deum, deus unus et omnis. 
Exponuntur autem in eodem libro üa ut eum mar ein existimaret qui semen 
emitteret, feminam quae aedperet, Iovemque esse mundum et eum omnia sein i na 
ex se emütere et in se reeipere: wobei die stoische Lehre vom Xoyog antu- 
fittrixos zu Grunde liegt. Jener Valerius Soranus ist eine merkwürdige Er- 
scheinung der Zeit des jungem Scipio, s. Gerlach Lucil. Satir. reliq. p. XXXI. 
[Teuflei L. G. § 134, I], Der vollständige Titel der von Augnstin citirten 
Schrift des Varro war Curio de deorum cultu, ein Abschnitt der logistorici. 

*) Auszug» daraus bei Augostin C. D. XVIII. [Bruchstücke gesammelt 
und beurtheilt von Kettner, Varronische Studien, Halle 1865, S. 88 ff.] Den 
Pendant bildete das Buch de vita populi Romani. (Frgm. ed. Kettner, 
Halle 1863.) Jenes führte den Leser von den alten Königen Sikyons, mit 
denen die Chronologen zu beginnen pflegten, durch die übrigen Könige der 
griechischen Vorzeit zu denen der Laurenter, ex quibus evidentior dueitur origo 
Romana post Graecos; dann durch den trojauischen Krieg und Aeneas nach 
Rom. Augustin XVIII, 2. 



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QUELLEN. 



37 



hangs erschien. Denn auch in dieser Hinsicht war Varro ganz von 
den Vorurtheilen seiner Zeit abhängig l ). Die beiden ersten Bücher 
dieses Werks enthielten eine üebersicht der griechischen Vorzeit bis 
zum trojanischen Kriege, an welchen sich weiterhin die Vorzeit 
Italiens, Latiums und Roms d. h. die Flucht des Diomedes, des 
Aeneas u. s. w. anschlofs, untermischt mit moralisirenden Erörterungen 
und pragmatisirenden Erklärungen, welche nicht selten abgeschmackt 
waren. Ich habe es für nothwendig gehalten, auf diese Eigenthüm- 
lichkeiten der Schriften Varros ausführlicher einzugehn, weil die- 
selben bei den meisten Angaben der späteren Autoren über den 
Glauben und den Cultus der römischen Vorzeit zu Grunde liegen, 
mufs aber noch hinzufügen, dafs seine Ueberlieferung von jenen 
philosophischen und pragmatisirenden Grundsätzen selten oder nie 
afficirt wird, wie er denn auch in den wichtigen noch erhaltenen 
Büchern de lingua latina das Tatsächliche von seiner subjectiven 
Meinung und Erklärung immer genau sondert. Auch sind von 
diesen Büchern namentlich das fünfte und sechste schon durch 
ihren Inhalt für unser m Zweck sehr wichtig, da in ihnen viele Namen 
alter Heiligthümer, alter Feste und andre auf die Religion der Römer 
bezügliche Thatsachen zur Sprache kommen. Ueberhaupt fehlte es 
Varro trotz seiner philosophischen Neigungen keineswegs an Bück 
und Interesse für das Eigentümliche und Volksthümliche, in welcher 
Hinsicht die Ueberreste seiner nach dem Muster des griechischen 
Cynikers Menippos abgefafsten Satiren belehrend sind. Desgleichen 
waren seine Bücher de vita populi Romani ein wahrer Schatz 
von Naclirichten über die alten Sitten und Gebräuche, namentlich 
auch diejenigen, wo altes Herkommen sich mit altem Glauben 
berührte. 

Auch nach Varro blieben diese Studien über das Alterthum der 
römischen Sprache, der Sitten und Verfassung, der Religion beliebt; 
namentlich zeichnete sich unter Augustus aus Verrius Flaccus, 
ein Libertin, welcher die kaiserlichen Prinzen unterrichtete und über- 
haupt zu seiner Zeit eine sehr angesehene Autorität war. Unter 35 
seinen Schriften war besonders lehrreich: 1) ein Werk in mehreren 
Büchern über allerlei Merkwürdigkeiten der Vorzeit (rerum memoria 



>) Namentlich achcint Varro die unglückliche Pelasger- Hypothese zuerst 
auf die Vorzeit der latioiscbea Aboriginer angewendet zu haben, s. Macrob. 

I, 7, 28, vgl. Dionys. I, 19. 



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38 



EI.NLEIITNG 



dignarum), namentlich auch Religionsalterthümer , welches Plinius 
d. Ä. oft benutzt hat, 2) das Werk de verborum significatione, eine 
Art Reallexicon des römischen Alterthums, welches späterhin mit 
andern gleichartigen Werken von S. Pomp ejus Festus excerpirt 
und in dieser verkürzten Form überarbeitet wurde. Von diesen 
Excerpten sind verschiedene sehr wichtige Bruchstücke erhalten; 
den ganzen Festus aber reducirte zur Zeit Carls d. Gr. ein Geistlicher 
Namens Paulus auf einen abermals sehr verkürzten Auszug, welcher 
selbst in dieser dürftigen Gestalt eine wichtige Quelle ist 1 ). Unter 
den Dichtern des Augusteischen Zeitalters verdienen für unsern 
Zweck besonders studirt zu werden Virgil und Ovid. Jener hat 
in seiner Aeneide das römische und italische Alterthura in einer 
Weise verherrlicht, dafs die natürliche Armuth des StofTs für den 
Liebhaber des nationalen Epos zwar überall durchblickt, doch wird 
von seinen alten Auslegern neben den poetischen Vorzügen immer 
vorzugsweise die tiefe Kenntnifs hervorgehoben, welche sich der 
Dichter von den sacralen Ueberlieferungen der Vorzeit verschafft 
habe 2 ); daher diese Ausleger, namentlich der unter dem Collectiv- 



*) S. Pornpei Festi de verborum significatione quae supersunt cum Pauli 
Epüome em. et annot. a C. 0. Mwsllero, Lips. 1939. Vgl. praef. p. XII sqq. 
Zu brachten sind auch die Glossen des Placidus bei A. Mai Class. anct. e. Vat. 
codd. ed. t. III und N. Job. f. Philol. u. Paedag. Sappl. II p. 439—471, 
485 — 492, [ed. Deuerling L. 1879] und die ans verschiedenen Mss. zusammen- 
getragenen lateinisch griechischen und griechisch lateiuischen Glossen ed. 
H. Stephaoas P. 1572 und Car. Laboe P. 1679. [Vgl. Löwe Prodromus corporis 
glossariorum latinorum L. 1876]. 

») Macrob. S. I, 24, 16, wo zuerst Vettius seine Bewunderung über Virgil 
ausspricht, quia doctissime iut poniificium tamquam hoc professus in multa et 
varia operis sui parte servavit , er getraue sich den Beweis zu fuhren dafs 
Virgil recht gut Pontifex Maximus hätte sein können. Worauf Flavianus be- 
hauptet: apud poetam nostrum tan tum scientiam iuris auguralis invenio ui, si 
aliarum disciplinarum doctrina destitueretur , haec illum vel sola professio 
sublimaret. Aehnliche Aussprüche liest man wiederholt bei Servius. [Die 
Hauptstclle zu Aen. VIII, 550 (nach Daniel): Aeneam non tantum pontificii iuris 
sed omnium sacrorum et peritum et primum fuisse, VirgMum autem inventa 
occasione rüum romanarum cerimoniarum exponere; vgl. zu VIII, 470. II, 57. 
Nach diesem Grundsatz wird dann weiter gefolgert, dafs Virgil in Aeneas und 
Dido die Vorbilder des fiamen und der flaminica habe darstellen (zu IV, 29), 
und überhaupt vitam , in o rem priscorum in der Dichtung exemplificiren wollen 
(z. ß. zu A. VII, 206. 509). — Ob Macrobius und Servius von gemeinsamen 
Quellen, oder der eine vom andern abhängt, ist controvers: vgL (nach früheren 
entgegengesetzte Behauptungen von Becker Top. A. 994 Ribbeck, Proleg. Verg. 



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QUELLEN. 



39 



namen des Servius erhaltene Gommentar, auf solche Andeutungen 
immer geflissentlich eingehen und in Folge davon viele wichtige 
Nachrichten über gottesdienstliche Uebungen und das pontificale 
Recht erhalten haben. Ovid hat in seinen Metamorphosen die 
wenigen latinischen und römischen Fabeln, welche sich neben den 
griechischen auf die Dauer behauptet hatten, in anmuthiger Weise 
verwebt; eine Verkettung der griechischen und römischen Fabel, 
welche sich durch Theater- und Schulpraxis immer mehr befestigte se 
und in den bekannten Büchern Hygins und bei andern lateinischen 
Mythographen weiter verfolgt werden kann. Weit wichtiger aber 
sind Ovids Fasten, da in ihnen mehr das original Römische und 
Italische zur Sprache kommt, auch nicht selten jenes volksthümlich 
idyllische und märchenhafte Element der Sagenbildung, worin sich 
noch am meisten Cigenthümlichkeit ausdrückt und wofür Ovid als 
höchst talentvoller Dichter viel Sinn hat. Diese Fasten sind be- 
kanntlich eine poetische Bearbeitung des römischen Kalenders, wie 
er durch Cäsar und August festgestellt worden war. Der Dichter 
hat darin aus guten Gewährsmännern seines Zeitalters viele Er- 
klärungen und Thatsachen nach seiner Art überarbeitet, wobei nur 
zu bedauern, dafs er blos mit den ersten sechs Monaten fertig ge- 
worden ist 1 ). Unter den Geschichtsschreibern desselben Zeitalters 
sind Livius und der Grieche Dionysius von Halikarnass auch 
für unsern Zweck vom gröfsten Belang. Livius ist mehr gewandter 
Schriftsteller als Quellenforscher, doch hat er, weil die älteren 
römischen Geschichtsschreiber verloren sind, sehr viele wichtige 
Nachrichten allein erhalten; auch hat ihn sein religiöses und poetisches 
Gemüth an solchen Thatsachen, welche den Glauben der alten Zeit 
betrafen, ein besonderes Wohlgefallen finden lassen. Dionysius hat 
es an Mühe nicht fehlen lassen, doch ist er ganz und gar Grieche 
und der lateinischen Sprache nicht immer ganz mächtig. Auch 



S. 104 und E. Schulze Aich. Zeitung 1872 S. 10 A.) Thilo, Quaestiones Ser- 
vianae Halle 1867 und zwei Breslauer Diss. de footibus M. S. von G. Linke 
und W. Wissova, 1880. Der Verfasser der Origo geutis Romanae hat, wie 
es scheint um dieselbe Zeit, das gleiche Material für seine Fälschungen benutzt, 
wie Hermes 3, 389 ff. gezeigt worden. Das Buch ist deshalb abgesehen von 
den erdichteten Citateo, welche noch Rubino in Schutz nehmen wollte (s. a. 0.) , 
nicht ganz ohne Werth]. 

>) Die Aasgabe von R. Merkel Berl. 1841 ist besonders wegen ihrer 
Prolegomena de obscuris Ovidü Fastorum zu empfehlen. 



* 



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40 EINLEITUNG. 

hat er seiner Aufgabe dadurch sehr geschadet, dafs er für seine 
Landsleute selireibend diesen zu beweisen sucht, die Römer seien 
weder Barbaren noch ein zusammengelaufenes Volk, sondern ächte 
Griechen, Rom eine griechische Stadt, ihre Sprache, Sitte, Religion 
eigentlich griechischen Ursprungs; worüber der alte Irrthum und 
der pragmatische Schlendrian von der pelasgischen, arkadischen, ar- 
givischen Vorzeit Jtaliens und Roms bei diesem Schriftsteller nun 
vollends in der vollsten Blüthe steht 

Von den Schriftstellern der Kaiserzeit mag auf folgende ver- 
wiesen werden. Zunächst ist Valerius Maximus, der unter Ti- 
berius schrieb, zwar nur ein oberflächlicher Compilator, doch sind 
durch ihn manche sonst verlorne Nachrichten erhalten worden. 
Dann hat der vielseitig gelehrte und unermüdlich thätige Plinius 
87 d. A. unter Vespasian und Titus in seiner Naturgeschichte nicht 
allein sehr gute Quellen benutzt, sondern auch selbst viel beobachtet 
und neben vielen merkwürdigen Thatsachen der Natur auch viele 
zur Geschichte des römischen und italischen Glaubens und Aber- 
glaubens sehr interessante überliefert. Ferner hat Plutarch in 
seinen römischen Biographieen und in den Vorstudien zu denselben, 
den römischen Fragen, nach seiner Weise fleifsig geforscht und aus 
älteren Schriftstellern, auch aus Varro, viel zusammengetragen; nur 
ist auch seiner Kenntnifs der römischen Sitte und Sprache nicht 
immer zu trauen. Unter den Autoren der Kaisergeschichte sind 
Tacitus, Sueton, Dio Cassius, Herodian, die Schriftsteller der 
Historia Augusta, jeder in seiner Weise wichtig und brauchbar, 
unter den Grammatikern und Alterthumsforschern dieses Zeitalters 
hervorzuheben: A. Gellius, welcher unter den Antoninen schrieb und 
viel Werthvolles überliefert, Nonius Marcellus, welcher die älteren 
Dichter und Schriftsteller namentlich auch Varro fleifsig excerpirt 
hat, nur ist leider sein Text sehr verdorben, Censorin, welcher 
im J. 238 n. Chr. de die natali geschrieben hat und gleichfalls oft 
dem Varro folgt, endlich Macrobi us unter Theodosius d. J., dessen 
Saturnalien sehr reich an wichtigen, aus Varro, Verrius, den Com- 
mentatoren Virgils und andern Quellen zusammengetragenen Ueber- 
lieferungen sind. Jo. Lydus der byzantinische Schriftsteller hat 
in seinen Schriften de mensibus, de magistratibus, de ostentis 
manche gute Nachricht älterer Quellen durch Unwissenheit und Faselei 
entstellt. 

Aufserdem sind die Kirchenväter zu beachten, welche in 



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QUELLEN. 



41 



Rom oder in der abendländischen Kirche das Christenthum gegen 
das Heidenthum vertheidigten und demzufolge dieses auch ihrerseits 
nach besten Kräften angriffen, daher sie sich oft sehr eingehend 
mit seiner Geschichte, seinen Göttern, seinem Gultus beschäftigen, 
namentlich Tertullian, Arnobius, Lactanz und Augustin in seinem 
Werke de civitate dei. Sie gehn bei der Beurtheilung der heid- 
nischen Götter gewöhnlich von der Ansicht aus, dafs dieselben böse 
Dämonen sind welche die Menschen durch Trug und Zauberei zu 
gewinnen gewufst und gegen die wahre Offenbarung verhärteten: 
welche Voraussetzung sie glücklicherweise nicht abgehaten hat sich 
um die Sache gründlich zu bekümmern, wo dann Varro wieder die w 
Hauptquelle ist. Besonders ist Augustin reich an Auszügen aus 
diesem Schriftsteller 2 ) und seine Beurtheilung des heidnischen Gottes- 
dienstes obwohl leidenschaftlich und feindselig, doch immer geistreich 
und aus der Tiefe der christlichen Erkenntnifs geschöpft, welcher 
unter den früheren Kaisern manche gebildete Römer der stoischen 
Schule, wenigstens was die Forderung des Glaubens an einen Gott 
und die des Gottesdienstes im Geiste und in der Wahrheit betrifft, 
gar nicht so fern standen. Erst der Neuplatonismus stellte mit 
seiner Theorie der Emanation, seiner Geisterlehre und Magie dem 
Christenthum eine neue Theologie des Heidenthums entgegen, welche 
den theoretischen Kampf der beiden Religionssysteme noch einige 
Zeit hinhielt. 

Aufser der allgemeinen Alterthumsforschung sind bei diesen 
Studien vorzüglich die topographischen zu empfehlen, nicht allein 
weil die Lage der älteren Heiligthümer in diesem oder jenem Stadt- 
theile von Rom mit der Geschichte und dem Character des Gottes- 
dienstes gewöhnlich genau zusammenhängt 3 ), sondern auch weil die 
Quellen der Topographie und Stadtgeschichte auch über die ein- 
zelnen Culte manchen wichtigen Aufschlufs geben. Namentlich gilt 
dieses von den alten Aufzeichnungen über die Regionen der Stadt 



>) Z. B. Augustia C. D. VI, 4 Vd hominum sunt üta insHtuta vel dae- 
monum, non quales vocant tili daemonet bonos, sed ut loquar apertius immun- 
dorum spirituum. 

*) [Vgl. Lüttgert Theologumena Varrooiana a. S. Augustino in iudicinm 
vocata, P. 1 et 2. Sorauer Programm von 1858 und 1859.] 

*) J, A. Ambrosch, Studien und Andeutungen im Gebiet des altrömiscben 
Bodens und Cultus, Breslau 1839. [Rubino, Beitrage zor Vorgeschichte Italiens 
Leipz. 1868]. 



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42 



EINLEITUNG 



Rom, bei denen man sich nur hüten mufs den interpolirten Schrift- 
stellern Sextus Rufus und Aurelius Victor ferner irgend welchen 
Einfluß zu gönnen 1 )* Endlich sind von gröfster Wichtigkeit die 
Münzen und die Inschriften, beide als örtliche und authentische 
Denkmäler, welche über viele Dinge Aufschlufs geben wo die römische 
Litleratur nicht ausreicht , die Inschriften namentlich dann , wenn 
sie die örtlichen Gülte und Dialekte Italiens betreffen, oder vollends 
wenn sie unmittelbare Denkmäler einzelner religiöser oder geistlicher 
Institute sind, welche in Rom und Italien nicht allein zu jeder Zeit 
sehr zahlreich waren, sondern auch über alles sie Betreffende, die 
zu begehenden oder begangenen religiösen Gebräuche, die neuen 
Wahlen u. s. w. von Jahr zu Jahr sehr genau Protokoll hielten. 
Freilich die vielen Aufzeichnungen und alten Urkunden der rö- 
mischen Pontilices, der Augurn, der über die sibyllinischen Bücher 
89 gesetzten Fünfzehnmänner, die wichtigen Protokolle und Lieder der 
Salier und bei weitem die meisten andern Archivalien der Art sind 
bis auf die geringen Auszüge und Andeutungen der Litteratur 2 ) 
unrettbar für uns verloren gegangen. Doch haben sich wenigstens 
einige sehr wichtige Reste der Art wirklich erhalten, zunächst in 
den gröfseren und geringeren Bruchstücken der alten römischen 
Kalender, welche eine Uebersicht über das gesammte jährliche 
Festwesen in Rom und verschiedenen andern Städten gaben, aller- 
dings erst über den Kalender und das Festwesen seit den Pontifi- 
caten des Cäsar und August, doch sind sie auch so von gröfster 
Wichtigkeit. Ferner gehören dahin die sehr merkwürdigen Stein- 



*) L. Preller, die Regionen der Stadt Rom, Jena 1546. [Hauptwerk von 
Becker (Rom. Alterth. I), vgl. jetzt Jordan Topographie d. Stadt Rom II 1875 
I 1878 dess. Forma urbis Romae reg. XIIII 1875. Noch immer ist ein un- 
entbehrliches Hilfsmittel für die Geschichte der Tempelgründungen: C. Sachse, 
Geschichte und Beschreibung der alten Stadt Rom, Hannover 1824. 1828. 2 Bde.] 

') Vgl. über diese priesterliche Litteratur, die Annales Pontificum, die 
Libri und Commentarii Pontißcum, Augorum, Saliorum u. s. w. Becker Handb. 
d. röm. Alterth. 1, 4 ff. Seh wegler Rö. Gesch. 1, 7 ff. und 31 ff. [Preibisch, 
De libris pontif., Diss. Breslau 1874, Fragmenta librorum pontificiorum, Progr. 
Tilsit 1878 und Brause, Librorum de disc. angurali rel. I Diss. Breslau 1875. 
Das bedeutendste Stück der pontificischen B. sind die taera Argwrum (vgl. 
Jordan Top. 2, 237 ff.), der auguralen, der Spruch auf der Burg (Varro VII, 8 
Jordan Krit Beitr. 89 ff.). Doch würden zu einer vollständigen Sammlung 
jener auch die leges templorum, ararum (vgl. ders. Krit. ß. 250 ff.) und pre- 
cationes gehören: vgl. unten S. 119]. 



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QUELLEN. 43 

tafeln der Fratres Arvales, welche zu verschiedenen Zeiten in 
der Nähe des Orts, wo der Hain der von ihnen verehrten Dea Dia 
lag, gefunden sind und Bruchstücke der jährlichen Protokolle dieser 
Brüderschaft erhalten haben, also über die jährlichen Opfer und Ge- 
bete, mit denen die Göttin gefeiert wurde, die Opfermahlzeiten der 
Brüder und allerlei außerordentliche Vorfälle und Sühnungen in 
jenem Haine sehr merkwürdige Aufschlüsse geben *). Auch verdienen 
verschiedene andere Denkmäler verwandten Ursprungs beachtet 
zu werden, welche dem Inhalte nach minder wichtig, aber schon 
wegen ihrer Form und Authenticität merkwürdig sind, z. B. ein Bruch- 
stück ähnlicher Aufzeichnungen eines Collegiums des Jupiter Pro- 
pugnator auf dem Palatin, Bruchstücke von jährlichen Aufzeichnungen 
über die Feier der latinischen Ferien und verschiedene Reste rö- 
mischer Sacerdotalfasten 8 ). Endlich haben sich aus dem übrigen 40 
Italien zwei sehr wichtige Urkunden von unmittelbarem sacralem 
Interresse und in der authentischen Gestalt der alten Landesdialekte 
erhalten: die sogenannten Iguvinischen Tafeln, welche im 
J. 1444 zu Gubbio, dem alten Iguvium in Umbrien gefunden sind 
und im umbrischen Dialekte sehr merkwürdige und alterthümliche 
Anweisungen zu auguralen Beobachtungen, Opfern und Gebeten 
geben, die auf Veranlassung eines sühnenden Umzugs um die 
Stadt oder einen Theil der Stadt angestellt werden sollten 8 ), und 



l ) G. Marioi, Gli Atti e Mooameoti de' fratelli Arvali, Roma 1795, 2 Bdc- 
4. Vgl. Gius. Melchiorri Appendice agli Atti e Monum. Roma 1S55. 4. [Neue 
bedeutende Funde seit 1867; jetzt vereinigt bei Henzen Acta fratrum arvalium, 
Berlin 1874, C. 1. L. VI p. 459 ff.] Das alte carmen fratrum Arvalium allein 
ist behandelt von Klausen de carm. fr. Arval. Bonn 1836 und Corssen Orig. 
Poesis Ro., Berl. 1846 p. 86 sqq., in welchem Buche auch andre dahin gehörige 
Reste, namentlich die der Saliarischen Lieder gesammelt und erörtert sind. 
Vgl. Th. Bergk de Carm. Saliarum reliquiis, Ind. lect. Marb. Mb. 1847 — 48 
und über das Lied der Arval. Brüder Ztschr. f. A. W. 1856 n. 17—19. [Text 
bei Ritsehl P. L. M. t XXXVI A, C. I. L. I p. 9, Henzen Acta p. CC1V, 
vgl. Jordan Krit. Beitr. 189 ff. Hermes 14, 633 f. 1 

») Marini Atti p. 129, Or. n. 42. 2471. 2472, Henzen n. 6057. 6058, 
Mercklin die Cooptatioo der Römer S. 212 ff. [Die Reste der Sacerdotalfasten 
C. L L. VI p. 439 ff. vgl. Eph. epigr. 3, 74 ff. Ueber die Fasten des latiniseben 
Festes s. unten, Jupiter Latiaris]. 

*) Aufrecht und Kirchhoff die Umbrischen Sprachdenkmaler, 2 Bde., 
Berl. 1849, 51. [Huscbke, Die ig. Tafeln 1859, Breal Lea Übles Eugubines, 
mit Facs., Paris 1875, vgl. Bücheler's Interpretation Jahrb. f. Phil. 1875, 
127 ff. 313 ff. u. in den Bonner Univ. Progr. 3. Aug. 1876, 22. Mär« 1878 u. 1880]. 



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44 



EINLEITUNG. 



die sogenannte Weihinschrift von Agnone in oskischer Sprache, 
ein Verzeichnifs von Opfern und Weihungen an gewisse ländliche 
Gottheiten, welches im Jahr 1848 in der Gegend von Agnone im 
nördlichen Samnium entdeckt worden ist 1 ). Eine zweckmäfsige 
Auswahl aus der grofsen Masse der übrigen Inschriften, darunter 
auch der die Gottesdienste von Rom und den romanisirten Gegen- 
den betreffenden, ist die von Orelli angelegte und neuerdings von 
Henzen vervollständigte 8 ). 

Die bildende Kunst hat in Rom eben so wenig etwas Neues, 
wenigstens keine Götterideale geschaffen, als die Poesie eine Mythologie, 
deren Blüthe jene voraussetzt. Anfangs waren es etruskische, dann 
griechische Künstler, welche den Römern ihre Götterbilder lieferten, 
unter denen wie bei den Griechen die altertümlichen und roheren 
lange für die heiligeren galten, bis mit der Zeit auch auf diesem 
Gebiete die griechische Aesthetik und ihre ideale Götterwelt sich 
geltend machte. So waren die drei Gapitolinischen Götter, Jupiter, 
Juno, Minerva, wie sie in Sullas und Domitians Tempel zu sehen 
waren, ganz nach den besten griechischen Vorbildern geschaffen, und 
41 selbst solche Götter, von denen sich die ursprüngliche nationale 
Auffassung wenigstens im Cultus reiner erhalten hatte, z. B. Mars, 
Saturnus, Vejovis-Apollo u. a. folgten dem aügemeinen Impulse der 
griechischen Kunst; höchstens mit Ausnahme des wesentlich italischen 
und ungriechischen Janus, obgleich es auch hier die Frage bleibt, 
ob der Doppelkopf nicht den Griechen entlehnt ist (s. unten). Selbst 
die bildliche Darstellung der conventioneilen Mythengeschichte von 
Latium und Rom, die Abenteuer des Aeneas und die Geschichte des 
Romulus, wurden entweder von griechischen Künstlern oder doch 
in griechischer Manier ausgeführt. Auch war es erst die Zeit des 
Cäsar und August, in welcher diese Bildnerei einen gewissen Schwung 
bekam ; ihre Tempel der Venus Genetrix und des Mars Ultor, später 



l ) Th. Mnmmsen die Unterital. Dialekte S. 128—144. Vgl. Huschke 
die Oskischen aod Sabellischen Sprachdenkmäler , Elberfeld 1856 S. 2 — 32. 
[Zwetajeff Syll. inscr. Oscarnm, mit Kars., Petersb. 1878 vgl. noeh Fabretti's 
Corpus inscr. Italicarum m. Glossar. Ital. und Suppl. 1— III Turin 1867 — 1878; 
doch gehört ein vollständiges Verzeichnifs der Dialektlitteratur nicht hierher]. 

*) InscripHonum latinarum selectarum amplissima collect™ ed. I. C. Orelli, 
Turici 1828. 2 Voll. 8. Vol. tertium Cottectionü OreUümae Supplemente Emeti- 
dationetqtie exhibens ed. W. Henzen, Turici 1856. [Vgl. G. Wilmanns Exempla 
uucriptionem latinarum in usum praecipue academicum. Berlin 1873, 2 Bde.]. 



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DIE RÖM. MYTHOLOGIE SEIT N 



45 



der von Hadrian erbaute Tempel der Venus und Roma, waren reich 
an solchen Decorationen. Der letzte Kaiser, welcher an solchen 
Darstellungen Geschmack gefunden, ist Antoninus Pius, dessen Münzen 
eine Uebersicht von ihnen geben 1 ). Für die Mythologie haben solche 
Bilder kein andres Interesse als das untergeordnete einer alterthüm- 
lichen und im Sinne der Zeit gedachten Illustration 2 ), 

8. Die römische Mythologie seit Niebuhr. 

Erst seit einer solchen Behandlung, wie sie das römische Alter- 
thum durch Niebuhr erfahren hatte, ist eine eigen thümliche Be- 
handlung auch der römischen und italischen Religion d. h. ihrer 
nationalen Bestandtheile möglich geworden; hat Niebuhrs Ansicht 
von der lateinischen Sprache als sei sie eine Mischsprache, sein 
Glaube an ein nationales Epos der Römer auch wieder aufgegeben 
werden müssen, so wurde doch in seinem Werke über die römische 
Geschichte zuerst der Weg gewiesen, auf welchem die Späteren 
das Richtige finden konnten. 0. Müller hat das Verdienst in 
seinem Werke über die Etrusker (1828) den ersten bedeutenden 
Fortschritt gethan zu haben; es wurde hier zum erstenmal ein 
nach allen Richtungen ausgeführtes Bild von diesem merkwürdigen 
Volke gegeben und darin auch von seinen Glauben und seinen 
Göttern ausführlich gehandelt, dabei aber auch das übrige italische 



») Eckhel D. N. VII p. 28 sqq. 

•) [Aach auf diesem Gebiet haben die Entdeckungen der zwei letzten 
Jahrzebende einen Umschwung hervorgebracht. Namentlich sind die auf den 
römischen Hauscultus bezüglichen Wandbilder von Pompeji und zerstreuten 
plastischen Denkmaler von Wichtigkeit geworden (vgl. Vesta, Laren, Penaten, 
Iren ins, Epona , Silvaaus). Die neuerdings besonders von Brunn (Anaali 
dell' inst. 1866, 407 ff. vgl. Heibig das. 1855, 262 ff.) aufgestellte Annahme 
einer selbständigen 'altitalischen' Kunst ist eng verflochten mit der Frage nach 
der Stellung der Etrusker zu den Italikern (obeo). Die Geschichte der 
römi scheu Kunst ist, wie die der römischen Litteratur, die Geschichte der 
Aneignung der griechischen Vorbilder (Jordaa Annali 1872, 54 f.): Für die 
übrigen Stämme reichen einstweilen die dürftigen Denkmälerreste nicht aus 
um zu entscheiden, inwiefern sie selbständig erfunden haben. Näher kaoo hier 
darauf nicht eingegangen werden. — Vgl. Detleffsen De arte Romanorum auti- 
quissima, I — III Progr. Glückstadt 1868. 1880 Urlichs Die Malerei in Rom vor 
Cäsars Dictatur, VIII. Progr. z. Stiftungsfeier des Wagnerschen Kunstinstituts, 
Würzburg 1876 (vgl. unten zu 208)]. 



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46 



EINLEITUNG. 



Alterthum, seine Dialekte und seine Götter, eingehender als es bisher 
geschehen war berücksichtigt. Weiterhin erschien von J. A. Härtung 
die Religion der Römer, Erlangen 1836, 2 Bde., ein Buch in 
42 welchem die nationale Selbständigkeit und eigentümliche Wichtigkeit 
der römischen Religion zuerst erkannt und insofern auch die Aufgabe 
der Untersuchung richtig erfaßt wurde 1 ). Demselben Gesichtspunkte 
folgten bald darauf die Untersuchungen, von R. H. Klausen, nament- 
lich in seinem Hauptwerke: Aeneas und die Penaten, die italischen 
Volksreligionen unter dem Einflufs der griechischen, Hamburg und 
Gotha 1839, 2 Bde., nehmlich dafe die Eigentümlichkeit des 
italischen Götterglaubeus durch den Einflufs der griechischen Bildung 
. und Mythologie ganz entstellt sei und den gangbaren Ueberlieferungen 
der Römer durch mühsame Untersuchung wieder abgewonnen werden 
müsse; nur dafs die Ausführung und nähere Begründung dieses 
Satzes in dem engen und künstlichen Zusammenhange der Aeneas- 
sage und hinsichtlich der Methode viel zu wünschen übrig läfst. 
In einer andern Richtung bewegen sich die Untersuchungen von 
L. Krahner, welcher namentlich auf die Wichtigkeit der Schriften 
Varros und auf die verschiedenen Epochen der römischen Staats- 
religion hingewiesen hat, und die von J. A. Ambrosch, welcher 
in seinen Untersuchungen über den Zusammenhang der römischen 
Stadtgeschichte mit der Geschichte der älteren Gülte, so wie in 
denen über die römischen Priesterthümer und die Religionsbücher 
der Römer, gleichfalls vieles Wichtige zuerst anregte. Andre Forscher 
haben auf Veranlassung einzelner Schriftsteller gewisse Abschnitte 
der sacralen Alterthümer behandelt, wie namentlich R. Merkel in 
seiner Ausgabe von Ovids Fasten, Andre, namentlich A. Schwegler 
in seinem Werke über die Römische Geschichte im Zeitalter der 
Kniöge, Tüb. 1853. 8, mit dem römischen Alterthum auch die 
Sagengeschichte von Rom und Latium auf lehrreiche und anregende 
W T eise beleuchtet. Endlich ist neuerdings von Marquardt ein 
Buch über den gesammten Gottesdienst der Römer erschienen, 



*) „Von der gröfsten Wichtigkeit scheint Ein Resultat, welches aus dieser 
Untersuchung hervorgeht, dafs nehmlich die römische Religion des klassischen 
Zeitalters unter dem Einflüsse fremder Götterhimmel mit ihren Sagengeschicliten, 
besonders des griechischen, völlig verändert und sich selbst entfremdet worden 
war. Es ist ein alter Tempel von einem Ueberbau verhüllt worden, sodann 
sind beide eingestürmt, und wir haben nun die Trümmer des ersteren Gebäudes 
unter dem Schutte des zweiten hervor^ugraben." 



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DIE RÖM. MYTHOLOGIE SEIT NIEBUHR. 



47 



welches auch für unsre Zwecke ein reiches Material darbietet. Aufser 
den eigentlichen Studien des römischen Alterthums aber sind auch 
die neuerdings mit so vielem Erfolge betriebenen der vergleichen- « 
den Linguistik und die der vergleichenden Mythologie für unsre 
Aufgabe von grofser Wichtigkeit, zumal da die Quellen sonst so 
spärlich fliefsen und vieles Alte und Ursprüngliche, oft das Wichtigste, 
ohne die Hülfsmittel jener beiden vergleichenden Studien gar nicht 
erkannt werden kann. Das eine führt auf die alten Wortstämme 
der Götternamen eingehend zu dem Ursprünglichen der dabei zu 
Grunde liegenden Vorstellung, welche durch die falsche Etymologie 
und deutelnde Willkür der Alten oft ganz verloren gegangen war. 
Das andre lehrt durch Vergleichung verwandter Religionssysteme, 
namentlich der auch in der Sprache verwandten Völker, das in der 
Ueberlieferung des einen Volks Verdunkelte oft auf überraschende 
Weise aufklären 



*) [Versuche verschiedener Art io deo bezeichneten Riehtungen z. B. von 
Preuner Hestia - Vesta , Tüb. 1864, von Roscher Studien z. vgl. Mythologie d. 
Griechen nnd Römer I (Apollon u. Mars) II (Juno u. Hera) L. 1873. 1875. 
Ein Beispiel der Erklärung uralter 'italischer Mythen' mit Hilfe von noch 
lebendigen (besonders südslavischen) Volksgebrauchen giebt Usener Rhein. 
Mus. 30, 182 ff. — Etymologien : unten S. 48]. 



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ERSTER ABSCHNITT. 

Theologische Grundlage. 

«* Auch der römische Götterglaube ist wesentlich ein polythei- 
stischer; ja es ist oft von älteren und neueren Schriftstellern her- 
vorgehoben worden, dafs nach der Zahl ihrer Götter zu urtheilen 
die Religion der Römer noch weit mehr Polytheismus gewesen sei 
als die der Griechen. Und dennoch möchte man andrerseits be- 
haupten, dafs eine gewisse Hinneigung zum Monotheismus, die 
keinem polytheistischen Göttersysteme völlig abgeht, hier weit mehr 
bemerkbar ist als dort, wo die Mythologie und die bildende Kunst 
zuletzt die Individualität und Characteristik der Götter dergestalt 
verhärtet und verdichtet hatte, dafs vor lauter Mannichfaltigkeit der 
sinnlichen Erscheinung eine geistige Auffassung sehr schwierig werden 
mufste. In Rom dagegen d. h. in seinen religiösen Gebräuchen 
von altitalischem Ursprünge ist die allgemeine Vorstellung der Gott- 
heit immer weit flüssiger geblieben; die göttliche Natur erscheint in 
diesen Gebräuchen, indem sie bei einzelnen Namen und Beinamen 
angerufen und nach der jedesmaligen besondern Beziehung auf 
Menschenleben, Landbau u. s. w. so oder so benannt wird, weit 
mehr als ein geistiges Fluidum, welches durch alle Natur und alle 
Lebensformen ausgebreitet ist und die verschiedensten Gestalten an- 
nehmen kann, ohne darin noth wendig und ein für allemal zu ver- 
harren. Man würde deshalb den Götterglauben der Römer richtiger 
Pandämonismus nennen als Polytheismus, und unwillkürlich wird 
man, sobald man sich eingehender mit diesen alten Formeln und 
Gebeten ihres religiösen Grundgesetzes beschäftigt, an jene Pelasger 

46 von Dodona erinnert, welche nach Herodot vor Homer und Hesiod 
weder Eigennamen noch Beinamen im Sinne Homers und Hesiods 



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DIE GÖTTER. 



49 



d. h. keine nähere mythologische Umschreibung und Bestimmtheit 46 
ihrer Götter gekannt hätten. Auch sind in der That die meisten 
Namen der ältesten römischen Götter, wie wir gleich sehen werden, 
von so unbestimmter und schwankender Bedeutung, dafs sie für 
persönliche Eigennamen kaum gelten können. 

Im Allgemeinen ist zu unterscheiden zwischen den persönlich 
gedachten Göttern, für welche die römische Sprache den Namen dei, 
(Iii, divi hat, und den geisterhaft wirkenden Dämonen, welche 
Genien, Laren, Manen, Penaten u. s. w. genannt wurden und 
nicht sowohl an und für sich eine eigne Persönlichkeit haben als 
dadurch erst bekommen, dafs sie sich mit gewissen Menschen, Völ- 
kern, Städten und Stätten, oder auch mit gewissen Funktionen des 
menschlichen Lebens oder dessen Geschäften identificiren. Eine 
dritte Klasse bilden die Semonen und Indigeten, welche sich 
noch am ersten mit den griechischen Heroen vergleichen lassen und 
hin und wieder wirklich mit ihnen identificirt haben, eine vierte die 
untergeordneten Collectivgottheiten der freien Natur, die Faune und 
Silvane, Lymphen und Viren, welche meist als dienende Umgebung 
der höheren Gottheiten erscheinen 1 ). 



1. Die Götter. 

Dei sind, wie schon Varro 1. 1. V, 66 richtig erklärt 8 ), eigentlich 
die Lichten, die Himmlischen, denn der Himmel ist nach 
einer alle Naturreligionen durchdringenden Ueberzeugung der Sitz des 
Lichtes und die höchste Quelle alles Lebens, aller Macht und Herr- 
lichkeit in allen Dingen. Es ist derselbe Stamm, welcher bei dem 



*) [Diese Klassificiruog ist unhaltbar : dagegen spricht schon der technische 
Gebrauch dei manes, penates (welche zu vgl.); der Begriff 'dienende Gottheiten' 
ist ein relativer und willkürlich begrenzter. £ine — hier nicht durchführbare — 
Klassificirung müfste einerseits von der römischen Staatstheologie (dei certi, 
incerti, selecti), andrerseits von der vergleichenden Mythologie ausgehen. Vgl. 
unten Zwölfgötter, dei magni, minuti, und über divi die A. z. S. 50]. 

*) Der Himmel sei der Ursprung aller Dinge und die höchste Macht. Das 
beweise der altere Name des Iupiter Diovis und Diespiter d. i. Dies Pater 
[s. Diovis, Diespiter], a quo dei dkti qui inde (d. h. welche daher, coelitus 
stammen), et dies [so F.] et divum unde sub divo DiusFidius u. s. w. [Lachmann 
zu Lucr. IV, 21 schreibt et dius et divum, von welchen Nominativen sub dio, 
sub divo komme. Diese beiden Formen finden sich aufser in den von Lach- 
mann aa. St. St. z. B. in Acte arv. 7. Jau. 101. 108.]. 

Prell er, Rom. Mythoi I. 3. Aufl. 4 



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50 



ERSTER ABSCHNITT 



Namen des griechischen Zeig und des römischen Jupiter, d. i. 
eigentlich der himmlische Vater, zu Grunde liegt und auch bei den 
generellen Benennungen der indischen devas und der griechischen 
#foi den Wurzelbegriff bildet 1 ); ein Begriff, in welchem sich die 
46 sinnliche Vorstellung von dem strahlenden Glänze des Himmels und 
dem beseelenden Tageslichte mit der religiösen von göttlichen Wesen 
die über alle irdischen Dinge erhaben und vollkommner und seliger 
als alle irdischen Dinge sind, zu einem Ganzen verschmolzen hat. 
Wie wesentlich in den italischen Religionen diese Vorstellung zu 
der göttlichen Natur überhaupt gehörte, beweist der Umstand, dafs 
nicht allein die eigentlichen Götter und Mächte des Himmels Janus, 
Jupiter, Juno, Diana danach benannt sind, sondern auch Gottheiten 
der Erde und des Getreidesegens z. B. die Dea Dia der Arvalischen 
Brüder, welche von der Ceres, der schöpferischen Göttin des Ackers 
nicht wesentlich verschieden gewesen sein kann. 

Unterschieden werden die Götter nach den verschiedenen Ge- 
bieten des Naturlebens, welches sie vertreten, namentlich nach den 
beiden Hauptgebieten des Himmels und der Erde, auf welchen 
Unterschied auch Varro oft zurückkommt, nur dafs seine au diese 
Zweitheilung geknüpften Betrachtungen weit mehr der stoischen 
Theologie als dem wirklichen Sinne der alten Naturreligion ent- 
sprechen (S. 33). Die Götter der See, welche in der griechischen 



8 ) [Sieber ist die Abstammung von Subst. deus Adj. divus (alt deivosj 
devot) f substantivisch im Plur. divi, von iudog. W. div 'leuchten' (Corssen A. 
2», 339 Curt. Et. 6 236 Max Müller Vöries. 2, 386 ff.), streitig das Verhältuifs 
von deus zu Vtoe (Curt. a. 0. 513 ff. M. Müller Essays 4, 444 ff), nicht völlig 
aufgeklärt das Vcrhältnifs des dem griech. tfioc gleichen uralten adj. diu* {den 
dia, diu* fidius, fulgur dium), vgl. dialis, diana, zu divus, vgl. divinu* (auf der 
unten zu II, 1 a. archaischen luschrift deina, dinai = divind, divinae). Eben- 
falls von div Diovis, wahrscheinlich Ianus (unten). — Der Name Diovis, und das 
Adj. devus sind Umbrern, Oskern (bei ihnen auch ein davon abgeleitetes Verb. 
deiv-aum, frcia{siv), Volskern gemeinsam, während die Etrusker Juppite r Tinia , 
(nicht = Ianus), die Götter angeblich aesar nannteu. Hängen mit letzterem die 
übrigens durchaus nicht sicher erklärten italischen Wörter aisos (altmarsisch), 
esaristrom (volsk.), esune (umbr.) zusammen, so müsste etr. aesar als Lehnwort 
angesehn werden (vgl. Corssen A. 1 *, 375 Spr.d. Etr. 1, 634; Müller-Deecke Etr. 2, 
83. 500). — Auch der Gebrauch von divi, divus ist noch ungenügend behandelt: 
wie hei Homer 6ios scheint divus ursprünglich allein oder vorwiegend mit weib- 
lichen Götternamen verbundeu vorzukommen; daher wohl sei deo sei deivae C. 1. L. 
1, 632. Verschieden davou divus pater, diva mater mit folgendem Namen; ebenso 
Iovi Sat. deivos der archaischen Inschr. Annali 1880, 178.] 



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DIE GÖTTER 



51 



Mythologie von solcher Bedeutung sind, dafs auch ihnen ein eigen- 
thumliches, von vielen individualisirten Kräften und Erscheinungen 
belebtes Gebiet eingeräumt wurde, blieben für die ältere italische 
Volksauschauung so unbedeutend, dafs eine besondre Klasse für sie 
gewöhnlich nicht angenommen wurde. Vielmehr ist das ganze Ge- 
biet des Feuchten, Hiefsenden und Strömenden, das Reich der 
Flüsse, der Bäche, der Quellen, mit ihren singenden und reinigenden 
Lebensgeistern, ihren väterlich waltenden und befruchtenden Dämonen, 
in dem Gebiete des Erdelebens mit einbegriffen , zu welchem auch 
die Götter des Waldes und der Weide gehören, während andrerseits 
die Götter des feurigen Elements, der beseelende und bildende 
Vulcanus und der heimathliche Heerd der Vesta, zu dem Reiche der 
Himmlischen gerechnet werden mochten. Wohl aber wurde insge- 
mein für die verborgnen Mächte der Erd tiefe, bei denen die Saaten 
gedeihen und die Geister der Verstorbenen fortleben, eine eigne 
Klasse ausgesondert, grade so wie bei den Griechen, wo die Obern 
und die Untern auch den gewöhnlichen Gegensatz bilden. Dem 
entspricht im Lateinischen die geläufige Eintheilung der Götter in 
Superi und lnferi 1 ), welche auch im Gottesdienste bei vielen 
örtlichen und ritualen Einrichtungen, wodurch dem religiösen Ge- 
danken die Richtung nach der Höhe oder nach der Tiefe gegeben 47 
werden sollte, zu Grunde liegt. Dazwischen pflegen sich, wo eine 
mittlere Klasse unterschieden wird, die Gottheiten der Erde einzu- 
schieben, z. B. in der alten Formel der Fetialen bei Liv. I, 32 Audi 
lupiter et tu Iane Quirine 2 ) diique omnes caelestes vosque ter- 
restres vosque infern i audite. Eine alterthümliche Benennung 
für diese mittlere Klasse war die der dii medioxumi, wie es 
namentlich beiPlautusCistell.il, 1, 36 heilst: ita me di deaeque, 
superi atque inferi et medioxumi d. h. medii, in welchem 
Sinne auch Varro den Ausdruck gebrauchte 8 ). Erst spätere, vou 
den dämonologischen Theorien ihrer Zeit bestimmte Schriftsteller 



') Vgl. Drakeoborch zu Liv. I, 32, 9. 

*) So liest Perizonius mit Recht [?] für luno, Quiriae. 

8 ) Non Marc. p. 141. Vgl. Serv. V. A. III, 134 quidam aras superorum 
deorum volunt esse, medioximorum i. e. vutrinorum focos , inferorum vero 
mundos, wo die dii tnarini die &aldootoi der Griechen sind. (Dies bangt mit 
einer von Serv. zu Ecl. 5,66 schlecht referirten Lehre des Varro zusammen : 
dis superis altaria, terrestribus aras, inferos focos dicari, über welche vgl. 
Lübbert, Quaestiones pontificales, Berlin 1859, S. 87 ff.]. 

4* 



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52 



ERSTER ABSCHNITT. 



gebrauchen den Ausdruck medioxumi für die in der Mitte zwischen 
den Göttern und Menschen schwebenden Geister, vgl. Apulej. d. 
dogm. PI. I p. 204 Oud. [c. 11 p. 73 Goldbacher; aus ihm] Serv. 
V. A. VIII, 275, Martian. Cap. II, 154. 

Obwohl die italische Mythologie weder den seligen und ewig 
heitern Olymp noch den finstern Hades kannte, so ist doch ein ge- 
wisser qualitativer Unterschied zwischen diesen Götterklassen, wie 
er in dem Eindruck, den jene verschiedenen Naturgebiete auf das 
menschliche Gemüth machen, tief begründet ist, recht wohl zu be- 
merken. Die himmlischen Götter sind ganz vorzugsweise die wohl- 
wollenden und helfenden, die herrschenden und heiligen, auch die 
schöpferischen Götter alles Anfangs und aller Beseelung, daher 
Ennius sie gelegentlich die dii genitales nannte, d. h. die Ursprungs- 
götter, von denen Alles abstammt 1 ). Aach war das Bild, das man 
sich von ihrer Erscheinung machte, ein lichtes und freundliches, 
dahingegen die Götter der Tiefe und des Todes natürlich finster 
und unhold und von schrecklicher Gestalt sind, danach hin und 
wieder dii aquili d. h. fusci, atri benannt wurden und in ent- 
sprechender furchtbarer Erscheinung auch in alten Volkssagen vor- 
« kommen 3 ). Vollends aber war der Cultus dort ein eben so freund- 
licher und heiterer als hier ein schwermüthiger und grausamer, 
daher Einige zwischen diesen beiden Klassen wie zwischen guten 
und bösen Göttern unterschieden 3 ). Endlich ist die zwischen beiden 



») Eonius b. Serv. Aen. VI, 764 Romulus in cadn cum dis genitalibus 
aevum degü. Vgl. Anson. Perioch. Iliad. 4 Iuppiter interea cum dis genitalibus 
una Concilium cogit superum de rebus j4chivis. Zu vergleichen genitalia 
corpora , genitalia semina d. b. die Elemente der Dinge, die befruchtenden 
Stoffe. In einem andern Sinne wird dii genitales von den Göttern der Geburt 
und der Entbindung gesagt auf einer Münze der Crispina, Gemahlin des Com- 
modus, Eckhel, D. N. VII p. 139. [Vgl. Juno Lucina]. 

») Der Todesgott [vgl. OrcusJ erscheint nach der Legende der römischen 
Secularspiele b. Zosimus IT, 3 p. 65, 13 B. als Tic r*0«T<uo**jc ir\v oiptv, ^fttfun- 
pivoc MQfiaii fiiXavi. Auch können die finstern, die schwarzen, die unholden 
Götter, von denen einige Schriftsteller wissen, keine andern sein als die des 
Todes und der Unterwelt, vgl. Pliu. H. Y II, 17 atri coloris , Arnob. III, 14, 
Martian. Cap. II, 164 dii quos aquilos dicunt, Placidi glossae : Di aquili inferi. 
Aquilos antiqui ntgros dice.bant fp. 30 Deuerling, vgl. Löwe Prodromus gloss. 
lat. p. 296 ff.; aquilus gebrauchen Plautus und Lucilius]. Daher die Furinae 
(?] und furvae hostiae, die Furiae und Proserpina furva, Paul p. 84. 93, Valer. 
Max. II, 4, 5, Horat. Od. II, 13, 21. 

8 ) Aogustin C. D. II, 11 Labeo, quem huiuscemodi rerum peritissimvm 



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DIE GÖTTER. 



53 



in der Mitte stehende Klasse der Feld- und Waldgötter, der Erndte 
und Weinlese, der Quellen und Flüsse, wie sie die volksthümlichste 
war und in ihrer Natur sich am meisten der W r andel des Jahres 
und der irdischen Dinge offenbarte, so auch die mythologisch und 
durch Mährchendichtung noch am meisten bewegte. Auch liefe sich 
der Cultus und die Festfeier bei diesen Göttern so wenig in Italien 
als in Griechenland den derben Scherz und die ausgelassene Lust- 
barkeit nehmen, obgleich eine solche Schwermuth und ein solcher 
Fanatismus, wie er in Griechenland wesentlich zur Religion der 
Demeter und des Dionysos gehörte, dem ernsteren Gemüthe der 
alten Latiner und Römer immer widerstanden hat. 

Beschäftigen wir uns näher mit den Benennungen dieser Götter, 
ihrem Verhalten unter einander und zu der Natur- und Menschen- 
welt, ihren verschiedenen Ordnungen, so sind zunächst die Namen 1 ) 
bei den meisten merkwürdig unbestimmt und blos in allgemeinster 
Weise prädicativ. So Janus und Diana, Jupiter und Juno d. i. der 
Himmlische und die Himmlische, Faunus und Fauna d. i. der Gute 
und die Gute, Bona Dea, Dea Dia, Ceres d. i. die Schöpferische und 
viele andere; daher oft die grofse Schwierigkeit einer näheren Be- 
stimmung, das leichte Hinüberfliefsen des einen GötterbegrhTs in 
den andern, die grofse Geneigtheit vieler von diesen Göttern und 
göttlichen Wesen sich ins Griechische übersetzen zu lassen, wodurch 
die Vorstellung gleich so viel mehr Festigkeit und Dichtigkeit be- 
kam, z. B. Evander und Herkules, welche dem Faunus der Latiner 
und dem Semo Sancus der Sabiner entsprachen. Auch gehört da- 49 
hin die grofse Sprödigkeit dieser Götter gegen locale und land- 



praedicant (es ist der Jurist unter August) unterschied zwischen numina 
bona und numina mala. — Malos deos propüiari caedibus et tristibus sup- 
plicationibus, bonos autem obsequiü laetis atque iucundü, qualia sunt, ut ipse 
aüj ludi, convivia, lectisternia. 

l ) [Vgl. die einzelnen Gottheiten. Eine grofse Anzahl Namen kann, da 
die Wurzeln sonst im Latein nicht mehr vorbanden sind, nur mit Hilfe der 
vergleichenden Sprachwissenschaft erklärt werden. Aber auch diese Hilfe 
(umfassender Versuch von Grassmann Zs. f. v. S. 16, 101 ff. 161 ff.) versagt 
oft. Es fehlt eine zusammenhängende Untersuchung der adjectivisch gebildeten, 
unter denen ältere und jüngere Schichten nach den Snlfixeu zu unterscheiden 
sind, sowie die nothwendige Grundlage für eine solche, eine Sammlung uud 
Sichtung der zum Theil das Wesen der Götter bezeichnenden zum Theil vou 
lokalen Kulten herrührenden Beinamen, soweit dieselben nicht auf individueller 
poetischer Erfindung beruhen]. 



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54 



ERSTER ARSCHNITT. 



schaflliche Beziehungen, wenigstens soweit sich dieselben in ent- 
sprechenden Beinamen und Fabeln auszudrücken pflegen; da bei 
den Griechen grade dieses Localisiren der Götterbegriffe nach der 
besondern Art und Natur der Berge, Thäler, Landschaften, Städte 
eine der wichtigsten Ursachen der Mannichfaltigkeit und so mancher 
feineren Schattirung ihrer Mythen und Sagen geworden ist. Aller- 
dings ist zu bedenken, dafs wir von dem alten Italien und seinen 
örtlichen Gottesdiensten zu mangelhaft unterrichtet sind, um darüber 
mit Sicherheit urtheilen zu können. Doch scheint es wohl, soweit 
man nach römischen Beispielen urtheilen darf, dafs überall weit 
mehr Cultusbeziehungen und die Rücksicht auf das menschliche 
Leben die Quelle der Beinamen gewesen sind als landschaftliche 
Naturbeziehlingen und ähnliche Umstände, unter welchen die Götter 
andrer Religionssysteme auf die örtlichen Bedingungen der Natur 
oder Geschichte selbst eingehen und dadurch in ihrem persönlichen 
Verhalten bestimmt werden, also als Subjecte eines gewissen Wechsels 
von handelnden und leidenden Zustanden auftreten: bei welcher 
Auffassung sich der Mythus von selbst bildet und weiter entwickelt. 
So zeigt sich das Wesen der italischen Götter auch rücksicht- 
lich ihres Verhaltens unter einander und zu den Menschen durch- 
aus nicht geneigt zu mythologischer Bewegung; vielmehr verharren 
sie auch in dieser Beziehung in einer würdigen und feierlichen, aber 
abstracten Ruhe, wie sie wohl bei einem vielseitig ausgebildeten Gottes- 
dienste mit seinen Opfern, Anrufungen und Gebeten bestehen konnte, 
aber nicht mit der lebendigen Anschauung eines geistreichen phanta- 
sievollen Volkes vereinbar war, welches die Götter nicht allein an- 
betete, sondern dieselben auch bei seinem Nachdenken und seinen 
Ueberlieferungen über die Anlange der Dinge und der Geschichte 
überall mit einmischte. Von einer Kosmogonie und Theogonie sind 
nur sehr schwache Anfange bemerkbar [oben zu S. 3]; in den Er- 
zählungen vom Ursprünge der Nation treten von italischer Seite nur 
die Culturgötter auf, Saturnus, Faunus, Pales u. a., welche den 
Segen der Agricultur, der Viehzucht, der göttlichen Inspiration be- 
deuten, einige gute Genien, einige alte Könige: alles Uebrige, na- 
mentlich die Helden mit bestimmten Eigennamen, sind von den 
Griechen entlehnt. Unter sich sind die italischen Götter zwar durch 
das Geschlecht verschieden: eine Unterscheidung, welche gleich 
bei der ersten Begriirsbilduug der Naturreligion und den ersten 
so Schöpfungen der Sprache so nothwendig und von selbst mit ein- 



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DIE GÖTTER. 



55 



(liefst, dafs sie allen auf diesem Boden entsprungenen Göttersystemen so 
angeboren ist. Auch kamen diese Götter in den älteren römischen Ge- 
beten zwar als paarweise und ehelich verbundene vor, die Lua Saturni, 
Salacia Neptuni, Hora Quirini, Maia Yolcani und namentlich die 
Nerio Marlis 1 ), wie man bei diesem Gotle denn auch von seiner 
Liebe zu Minerva und seiner Buhlschaft mit der Mond- und Quellen- 
göttin Anna Perenna erzählte, ja selbst von der Liebe des ernsten 
Janus zur Juturna, Venilia, Carna und Camasene, von der des Vor- 
tumnus zur Pomona, des römischen Hercules zu Acca Larentia und 
andern Nymphen wufste und selbst Varro ähnliche Vorstellungen 
schon bei den alten Römern anerkennen mufste*). Doch sind diese 
Ehen in den meisten Fällen kinderlos, und volleuds fehlt es der 
italischen Mythologie gänzlich an dem Sinn für ein solches Princip, 
wie in der griechischen der allgemeine Liebesgott Eros wirkt, durch 
welches die Götter unter sich und zu den Menschen in eine lebendige 
Wechselbeziehung des Geschlechts gesetzt werden und dadurch die 
Quelle der genealogischen Dichtung eröffnet wird, welche in der 
griechischen Mythologie gleichfalls so aufserordentlich reichlich strömt. 
Vielmehr wurden die italischen Götter insgemein als Väter und 
Mütter gedacht, im Sinne einer patriarchalischen und einfach ge- 
müthlichen Vorstellungsweise, von welcher sich bei den Griechen 
und andern Völkern wohl einzelne Spuren 3 ), nirgends aber so viele 



*) Gellios N. A. XIII, 23 Comprecationes deutn immortalium, quae ritu 
Romano fiunt, expositac sunt in libris sacerdotum populi Romani et in plerisque 
antiqtäs orationibus. In his scriptum est: Luam Saturni, Salaciatn Neptuni, 
Horam Quirini, Viriles Quirini, Maiam Vokani, Ueriem Iunonis, Moles Martts 
Nerienemque Marlis. 

2 ) Augustin C D. III, 12 id. Varro dicit — in omnibus generibus deorum 
sicut in animalibus mores et Jeminas. Ib. IV, 32 Dicit etiam de generationibus 
deitrum magis ad poetas quam ad physicos (die Philosophen) fuisse populos 
inclinaios et ideo et sex um et generationes deorum maiores suos i. e. veteres 
credidisse Romanos et eorum constituisse coniugia. Der Eifer Andrer gegen 
die coniugia und matrimonia deorum, z. B. des Stoikers Baibus b. Cic. Ff. D. 
II, 28 und des Seneca b. Augnstin C. D. VI, 10 trifft nur die Griechen. 

•) Ztvi naxriQ und dr\ni)xr\a bei deo Griechen, dstn€avQoc, bei den epi- 
rotischen Tymphaern nach Hesych. s. v., d. i. wahrscheinlich der italische 
Jupiter, Vater bei den Deutschen für Gott, Allvater Odin u. dgl., s. J. 
Grimm D. M. 20, nach welchem die Letten beinahe jeder Göttin das Epithet 
mähte, rnflhmina d. i. Motter, Mütterchen anhängen. [Dafs der 'Vater Himmel' 
der Indogermanen auf einer andern Stufe steht als die im Text weiterhin be- 
sprochenen pater zu benannten Götter lehrt unten der Abschn. Jupiter]. 



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EHSTER ABSCHNITT. 



als in der Praxis des römischen Gottesdienstes erhalten hahen. 
m Wenigstens mufs in diesem der Zusatz von Pater und Mater zu 
dem Mamen des Gottes viel allgemeiner gewesen sein als man nach 
den gewöhnlich angeführten Beispielen Iupiler, Marspiter, Liber 
Paler glauben sollte, da aus den uns erhaltenen Quellen auch folgende 
Fälle feststehen : lanus Pater, Diespiter, Dis Pater, Summanus Pater, 
Vediovis Pater, Quirinus Pater, Saturnus Pater, Neptunus Pater 
[und eine Reihe von Flufs- oder Lokalgöttern] *), daneben freilich nur 
die einzige Terra Mater, doch leidet es keinen Zweifel, dafs auch 
dieser Zusatz bei den weiblichen Gottlieiten in alter Zeit gewöhnlich 
war 3 ). Ja wir wissen aus Varro, dafs auch in den Indigitamenten 
bei den Anrufungen jener vielen kleineren Hülfsgötter der einzelnen 
Acte und Thätigkeiten des menschlichen Lebens derselbe Zusatz her- 
kömmlich war, und zwar in der verwandten Formel Divus Pater 
und Diva Mater 3 ), aus welcher ersten im gemeinen Sprachgebrauche 



*) So führte Lucilius in seiner Götterversammlung eioeo Gott redend ein: 
llt nemo (nemo ut L. Müller) sit, nostrum quin aut pater optima' divum, Aut 
Neptunu? pater, Liber, Satumu' pater, Mars, Ianu' , Quirinu' pater siet ac 
dicatur ad unum, s. Lactant. lust. IV, 3, 12. Vgl. Gell. N. A. V, 12 nach 
alten Gebetsformeln: Sic et Neptunuspater coniuncte dictus est et Saturnuspater 
et Januspater et Marspater, hoc enim est Marspiter, itemque Iovis Diespiter 
appeilatus. [Ueber Tiberinus pater unten VIII, 2: Widmungen Turpeno patfri] 
(C. I. L. I, 1541 p. 562), Albsi patre (Eph. epigr. II, 198) — beide wohl 
Flursgötter — Pado patr[t] (Boll, dell' inst. 1876, 85), sämmtlich archaiseh; über 
Reatinus pater unten XI, 2. Auch der divus pater Falacer, von dem der 
Flamen Falacer benannt war (Varro V, 84), wird ein Flufsgott sein.] 

*) [Dafs der Beiname mater in ältester Zeit verbreiteter gewesen ist, 
das beweist die alte Iuno sispes mater regina, Lua mater (Liv. XLV, 33), 
mater Matuta, und die umbrische Cupra mater = bona mater der von Corssen 
Zs. f. vgl. Spr. 20, 81 ff. behandelten Inschrift (cubrar matrer u. s. w.). Ein 
Ersatz dieser Bezeichnung mag der stehende Beiname alma sein, welchen Ceres 
(Verg. G. I, 7 Vita Aureliani 48 Heoz. 5717), Maia (Hör. C. I, 2, 43), Pales 
(Ov. F. IV, 723), Venus (vicus Veneris almae in Rom, vgl. geiietrix) , Fides 
(Eonius bei Cic Off. 3, 29, 105; Gedicht aus dem 1. Jahrb. auf einem Brun- 
disiner Stein Bull. d. i. 1872, 30), fausta Felicitas (das ist alma Faustüas bei 
Hör. C. IV, 5, 17) fuhren. Dagegen stehen wohl die unten III, 3 besprochenen 
matres und matronae aus dem keltisch -germanischen Gebiet (S. 257) aufser 
historischem Zusammenhang mit der ältesten italischen Bezeichnung mater. 
Vgl. die ff. A. und Klausen Aen. S. 869 ff. — Auch kommt das Epitheton bei 
männlichen Göttern vor: vgl. Sol, Iupüer, Dies (Hör. C. II, 7, 7).] , 

*) August in C. D. VII, 3 [p. 277 Dom.] Vnde dicit etiam ipse Varro, quod 
Diis quibusdam Patribus et Deabus Matribus sicut hominibus ignobilüas 



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DIE GÖTTER. 



57 



nicht selten Iupiter geworden zu sein scheint, z. B. Iupiter Indiges 
für Divus Pater Indiges, Iupiter Clitumnus für Divus Pater Clituinnus, 
Iupiter Ruminus, neben welchem die Diva Rumina angerufen wurde, 
für Divus Pater Ruminus iL s. w. So erklärt es sich auch wohl 
am besten, wie Varro in seinen Satiren von dreihundert Jupitern 
sprechen konnte 1 ); vermuthlich dachte er dabei an eben jene sehr 
zahlreichen Divi Patres d. h. eben so viele dii minuti von unter- 
geordnetem Range, welche er mit grofser Mühe aus den bald näher 
zu besprechenden Indigitamenten zusammengesucht hatte. 

Sehr characteristisch ist der häufige Gebrauch des Wortes 
numen für Gott, da dieses Wort weit mehr unserm Begriffe der 
Gottheit im Sinne einer abstracten Macht als dem eines per- 
sönlichen Gottes entspricht. Numen ist nehmlich eigentlich nur sa 
die Machtäufserung eines Gottes oder eines geistigen Wesens in 
der Natur oder der von menschlicher Thätigkeit bewegten Welt, 
von nuere in der bekannten Bedeutung der zustimmenden Be- 
wegung des Hauptes, die durch die erhabenen Verse der Ilias I, 528 
vom Olympischen Zeus so berühmt geworden ist 8 ). So erklärt na- 
mentlich Varro 1. 1. VII, 85, indem er aus dem älteren römischen 
Tragödiendichter L. Attius diesen Vers anfuhrt: Multis nomen 
vestrum numenque ciendo und dabei erklärend hinzufügt: 
numen dicunt esse imperium, dictum a nutu [quod cuius nutu] 
omnia sunt, eius imperium maximum esse videatur. Itaque in 
luve hoc et Hontems et annalis et aliquotiens Livius 3 ) d. h. der 

accidissei , w obei nur die Götter der Indigitamenta gemeint sein können. Vgl. 
ib. VI, 10 [p. 269 Dom.], wo Augustin diese Götter, bei denen Varro keine 
männliche oder weibliche Hälfte hinzugefügt hatte, caeltbes und viduae iuruut. 

») Tertull. ad. Nat. I, 10 Sed et Diogenes nescio quid in Herculem lusit 
et Romani stili Diogenes Varro trecentos Ioves seu luppiteres dicen- 
dum est sine capitibus indueü. Vgl. Tertull. Apolog. 14 und Oehler Varr- 
Menipp. p. 48. 238 sq., Tertull. Vol. 1 p. 171. [Roeper im Philologus 18, 419. 
Riese zu Varr. Sat. S. 10. 31. 239. Die Identität von divus pater und Iuppiter 
bestreitet Reifferscheid Annali dell'inst. 1866, 216. Vgl. unten S. 175.] 

*) Vgl. auf einem andern Gebiete Liv. V, 22, von dem Transporte des 
Bildes der Juno Regina von Veji nach Rom: Dein cum quidam seu spiritu 
divino tactus seu iuvcnali ioco „visne Romam ire lunoV 1 ducisset, adnuisse 
eeteri deam conclamaverunt. 

s ) So ist diese Stelle verbessert worden von Lachmann z. Lucret. p. 111- 
Bei den Annales wäre zu denken an die des Ennius, aus denen Lachmann den 
bekannten Vers anführt: Iuppiter hic risit tempestatesque serenae Risertmt 
omnes risu Iovis omnipotent is. 



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58 



ERSTER ABSCHNITT. 



alte römische Dichter und Uebersetzer der Odyssee Livius Androni- 
cus. Wie in jener Stelle des Attius offenbar eine höchste mensch- 
liche Autorität vorausgesetzt werden mufs, so wird es auch bei 
Liv. VII, 30, 20 von dem römischen Senate gebraucht: Adnuite 
patres conscripli nutum numenque vestrum invictum Campanis, 
und Lucretius III, 144 sagt mentis numen von der Herrschaft 
des menschlichen Geistes, während unter den Kaisern oft vom 
numen Augusti die Rede ist, welchem auch Altare errichtet 
wurden. Gewöhnlicher aber ist der Gebrauch des Wortes von dem 
unsichtbaren Walten der Götter, entweder von der höchsten Gott- 
heit im Allgemeinen, oder von einzelnen Göttern, s. Cic. d. Fin. 
IV, 5. 11, wo er von dem Eindruck des gestirnten Himmels auf 
das menschliche Gemüth spricht, wie sehr dieses zugleich von De- 
muth und von Zuversicht durchdrungen werde, cum cognitum 
habeas quod sit summi rectoris ac domini numen, quod consilium, 
quae voluntas, und von der göttlichen Vorsehung im Allgemeinen 
pro Mil. 30, 83 nec vero quisquam aliter arbitrari potest nisi qui 
nullam vim esse ducit numenque divinum. Dagegen ein merk- 
würdiges Beispiel für den Gebrauch von der Willensäufserung eines 
einzelnen Gottes diese Inschrift aus Tereventum ist bei Mommsen 
I. N. n. 5162: P. Florius u. s. w. Dianae numine iussu posuit 1 ). 
bs Sehr oft, ja mit besonders prägnantem Ausdruck wird es ferner 
von den Offenbarungen der Götter in den verschiedensten Kreisen 
des Naturlebens gebraucht, z. B. bei Horaz, wenn er Od. III, 10, 7 
von Jupiter als dem Gotte des Himmels sagt : (Sentis) et positas 
ut glaciet nives puro numine Iuppiter, und bei Virgil Aen. V, 
766, wo es eben so schön vom Meere heifst : quibus aspera quon- 
dam visa maris facies et non tolerabile numen: namentlich auch 
von der unsichtbaren Gottheit eines heiligen Haines und von den 
Dämonen der Gebirge und Wälder, für welche die Alten immer ein 
sehr lebendiges Naturgefuhl gehabt haben, z. B. Ovid. Met. I, 320 
Corycidas nymphas et numina montis adorant, und Ders. Fast. III 



*) [Preller fährte hier noch an dafs auf dem Constantinsbogen in Rom 
an der Stelle der Worte instinetu divinüaUs ursprünglich natu low* o. m. 
gestanden habe. Diese von Borghesi anderen Gewährsmännern entlehnte Be- 
hauptung (von Benzen zu Or. 1075 referirt) ist durch De Rossis Untersuchung 
der Inschrift (Bull, di arch. crist. 1863, S. 57 ff.) als irrig nachgewiesen 
worden (vgl. Henzen, Bull. d. i. 1863, 183 ff. 1864, 156f.). Dagegen mögen 
theil weise die unten S. 75 a. Widmungen an numina hierher gehören.] 



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■ 

die Götter. 59 

295 Lucus Aventino suberat niger ilicis umbra, Quo posses viso 
dicere: Numen inest. Ders. Am. III, 1, 1 Stat vetus et densa 
praenubilus arbore lucus, Aspice, concedas numen inesse loco, 
endlich Plinius H. N. XII, 3 quin et SUvanos Faunosque et deorum 
genera silvis ac sua numina tanquam et caelo attributa crediraus, 
welcher Schriftsteller ein andermal sehr schön von der Alles bele- 
benden Naturmacht der Sonne sagt II, 13 hunc (Solem) mundi 
esse totius animum ac planius m entern, hunc principale naturae 
regimen ac numen credere decet 1 ). Und so scheint es denn 
auch in dem römischen Cultus vorzugsweise von den untergeord- 
neten Göttern gebraucht zu sein, in welchen sich die durch die 
ganze Natur und Welt verbreitete Gottheit wie in eben so vielen 
einzelnen Kräften offenbart ; wenigstens werden diese in den ponti- 
ficalen Indigitamenten zu ganzen liturgischen Reihen zusammen- 
gruppirten Götter von den Schriftstellern, welche darüber meist 
nach Varro berichten, häufig numina genannt, z. ß. von Censorin 
d. d. n. 3 omnes hi semel in unoquoque homine im min um s Ho- 
rum effectum repraesentant d. h. sie zeigen ihre göttliche Thätig- 
keit bei jedem Menschen in seinem Leben nur einmal, während 
der Genius durch das ganze Leben hindurch sein unsichtbarer Be- 64 
gleiter und Schutzgott ist. Vgl. Serv. Georg. 1,21, wo es von 
denselben göttlichen Kräften heifst: nomina numinibus ex ofliciis 
constat imposita, und Augustin C. D. VII, 2, wo den eigentlichen 
Haupt- und Cultusgöttern des römischen Staates, welche Varro dii 
selecti nannte, entgegengesetzt wird illa quasi plebeia numinum 
multitudo minutis opusculis deputata: daher auch bei Varro in 
einem bei Non. Marc. p. 167 erhaltenen Bruchstücke seines Catus 
vel de liberis educandis betitelten Buches gewifs zu schreiben ist: 
Hisce numinibus (für manibus) lacte fit, non vino % Cuninae 
propter cunas, [Ruminae propter rumam d. i. mammam. Und in 
der That werden wir sehen, dafs die römische Religion grade auf 
der Stufe ihrer Entwickelung, welcher die gewöhnlich dem Numa 
zugeschriebenen Indigitamenta entsprechen, noch weit mehr pan- 



*) Tacitus Aon. II, 17 gebraucht das Wort sogar von einer begeisternden 
Erscheinung von aebt Adlern vor eioer Schlacht der Römer mit den Deutschen: 
Interea puleherrimum augurium, octo aquilae petere Silvas et intrare visae im- 
peratorem ( Germonictnn J advertere. Exclamat, t'rewf, sequerentur Romanos aves, 
proprio legionutn numina, mit BeziehuDg auf die Legionäradler. 



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EHSTER ABSCHNITT. 



theistisch gestimmt war als polytheistisch d. h. dafs die Zahl der 
höheren Cultusgötter mit persönlichen Eigennamen, eignen Priestern 
D. s. w. damals noch eine sehr geringe war, die dieser göttlichen 
Kräfte dagegen, welche das menschliche Leben unsichtbar um- 
schweben und nur in einer besondern Beziehung auf dasselbe für 
das Gebet und den Cultus personificirt wurden, eine um so gröfsere, 
ja unbegrenzte. 

Auch in der Art und Weise, wie sich sonst die Götter offen- 
baren und mit den Menschen verkehren, zeigt sich überall dieses 
pantheistische Grundgefühl, welchem das griechische Volk durch sei- 
nen Polytheismus weit mehr entfremdet wurde. So ist namentlich 
der Schicksalsglaube in allen seinen Gestaltungen, sowohl der Fortuna 
als das Fatum, der Orakel und aller möglichen Mittel der Divination 
in Italien immer aufserordentlich lebendig gewesen und geblieben, 
namentlich auch der Glaube an göttliche Vorbedeutungen, War- 
nungen, Mahnungen, die in den verschiedensten Formen und Arten 
auftraten und in Rom bekanntlich einen so weit ins Einzelne 
ausgebildeten Wunder- und Aberglauben zur Folge hatten , wie 
er auf solcher Stufe der Civilisation sonst unerhört ist. Denn 
niemals oder doch nur ganz ausnahmsweise treten die römischen 
und italischen Götter persönlich unter das Volk, wie die grie- 
chische Demeter und Dionysos , wenn sie den Ackerbau und 
den Weinbau stiften, Minerva, wenn sie den Oelbaum pflanzt, 
Poseidon, wenn er das Rofs zähmt, oder Apollo und andere 
Götter in ihren Epiphanieen , sondern immer wirken sie nur 
mittelbar durch Zeichen und .Wunder, Misgeburten, Erdbeben, 
Sonnenfinsternisse, aufserordentliches Brausen der Luft u. s. w., 
abgesehen von den regelmäfsigen Beobachtungen des Vögelflugs und 
66 des Angangs der Thiere oder der Blitze und der Eingeweide: so dafs 
in dieser Hinsicht auch für den Römer die ganze Natur von Göttern 
und Geistern durchdrungen war, nur dafs ein Glaube ihn wohl zum 
Aberglauben und zum opus operatum anleiten konnte, aber nicht 
zu Kunst und Wissenschaft. So hört man auch sehr oft von re- 
denden Thieren und von geisterhaft erschallenden und schwer zu 
deutenden Stimmen der Götter, mit denen sie ihren Willen aus den 
Hainen und Wäldern oder von den Bergen herab und aus ihren 
Tempeln unter die Menschen rufen, wie solch ein Ruf nach der 
Zerstörung Alba Longas von der Höhe des heiligen Berges über der 
Stadt erscholl, der über die Vernachlässigung des alten Gottes- 



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I 



DIE GÖTTER. 61 

dienstes klagte , ein andrer aus dem Tempel der Juno Moneta, 
welcher bei einem Erdbeben eine trächtige Sau als Sühnopfer for- 
derte 1 '), ein andrer aus dem Haine der Vesta, der vor dem Ein- 
falle der Gallier warnte, daher man später an derselben Stelle einen 
Altar des Aius Locutius d. h. des Sagers und Sprechers er- 
richtete 8 ), endlich viele Stimmen der Faune und Silvane aus dem 
einsamen Dickicht des Waldes, welche bald die Herzen der Dorf- 
bewohner mit süfsem Zauber bald die der Feinde mit wildem 
Schrecken erfüllten. Und zwar sind es natürlich immer ganz be- 
sonders die eminenten Naturerscheinungen, Erdbeben, Sonnenfinster- 
nisse u. dgl., welche den Staat und seine Priester am meisten in 
Bewegung setzen, wo es denn wieder sehr characterisüsch ist, dal's 
bei solchen Gelegenheiten, namentlich bei Erdbeben, die Ursache 
nicht auf einem bestimmten Gott zurückgeführt wird, wie die 
Griechen in solchen Fällen zu ihrem Poseidon Asphalios zu beten 
pflegten, sondern es wurde in Rom der dann immer beschlossene 
Feiertag ohne nähere Bestimmung des zu versöhnenden Gottes an- 
gesagt, und, war ja bei diesem Feste ein Versehen vorgefallen, das 
dadurch nöthig gewordene Sühnopfer unter der Formel si deo 
si deae dargebracht: so wenig getraute man sich den Namen 
oder das Geschlecht des Gottes, welcher das Erdbeben veranlafst 
haben könnte, zu bestimmen 3 ). Eine Gewissenhaftigkeit übrigens, s« 



*) Cic. de Divio. I, 45, 101. Zu Satricum im Lande der Volsker rettet 
eine vox horrenda edita templo cum tristibus minis den Tempel der 
Mater Matuta bei der Zerstörung der Stadt durch die Latiner, Liv. VI, 33. 
Vgl. auch Virgil. Ge. I, 476 Vox quoque per lucos vulgo exaudita »i- 
lentes Ingens et simulacra modis pallentia miris Visa sub obscurum noctis etc. 

a ) [Die Geschichte bei Cic. de div. I, 45, 101 kürzer Liv. V, 32. 50. 52, 11 
u. a. (Becker Top. S. 244): Aius Locutius nennt den Gott nur Livius an der 
zweiten und dritten Stelle (wo der Veronensis auf alio loco und apatulocutio, 
die übrigen iamlocutio und alloculio haben: Mommsen, Livü cod. Veron. 
p. 203 f.), sonst heifst er Aius loqttens, Aius; griech. vetbc */>i}^ijf xttl KXnöovtq. 
Ueber die Bildung von Aius Corssen Ausspr. 1», 306, über die Lage des 
Heiligthums vgl. S. 56 a. 1]. 

8 ) Gellius N. A. II, 2S Propterea veieres Romani, cum in omnibus aliis 
vitae officiis tum in constüuendis religionibus atque in dis immortalibus ani- 
madvertendis castissimi caulissimique, tibi terram movüse senserant nuntiatmnve 
erat, ferias eius rei causa edicto imperabanl, sed dei nomen ita uti solet, cui 
servari ferias oporteret, statuere et edicere quiescebant, ne alium pro alio no- 
minando falsa religione populum alligarent. Eas ferias si quis polluisset pia- 
culoque ob hanc rem opus esset, hostiam Si deo si deae immolabant, idqtte 



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62 



ERSTER ABSCHNITT. 



st; welche auch sonst in dem öffentlichen Gottesdienste der Römer 
d. h. dem unter Oberaufsicht der Pontilices begangenen herkömm- 
lich war, da hei allen feierlichen Anrufungen eines Gottes oder bei 
Dedication eines Tempels an denselben zu dem gewöhnlichen Namen 
hinzugesetzt zu werden pflegte: Quisquis es und Sive quoalio 
nomine fas est appellare, so wenig glaubte man durch einen 
einzelnen Namen das ganze Wesen des Gottes umschreiben zu 
können. Oder man liefs in gewissen Fällen, namentlich in solchen 
wo zu verborgenen Göttern und Ortsgenien gebetet wurde, deren 
Individualität nicht genau zu bestimmen war, oder absichtlich nicht 
näher bestimmt werden sollte, das Geschlecht dahingestellt sein, 
entweder mit der schon bemerkten Formel Sive Deo Sive Deae oder 
mit den gleichartigen Sive mas sive femina, Si deus si dea 
u. dgl. 1 ), woraus man ja nicht die Folgerung ziehen darf, als ob 
die Römer auch doppelgeschlechtige Wesen, wie die orientalischen 



ita ex de crelo pontifictim observatum esse M. Varro dicit, quoniam et 
qua vi per quem deorum dearumve terra tremeret incertum esset. Obwohl bei 
Erdbeben gewöhnlich die Götter der Erde angerufen werden, 8. Tellus. 

') S. Serv. V. A. II, 351, wo diese Unbestimmtheit der Schutegötter und 
Ortsgenien auf die Sitte diese Götter bei Belagerung einer Stadt zu evociren 
zurückgeführt und dann hinzugesetzt wird: et in Capitolio fuit clipeus conse- 
cratus, cui, inscriptum erat : Genio urbis ftomae sive mas sive femina, 
et pontifices ita precabantur : luppiter Optime Maxime sive quo alio 
nomine te apellari volueris. [loschr. e. Bleitafel von Arrezzo (Hermes 

4, 282 = Wilm. Ex. 2749): uti vos Aquae ferventes si[ve] v[o]s ISimJas [si\ve 
quo alio nomine voltis ape[f\lari). Vgl. die Vorschrift bei Cato r. r. 139 für 
die Säuberung eines Hains, wobei man so beten solle: si deus si dea es 
quoium iliud sacrum est etc. und die Acta fratr. Arv. t. 32, wo in einem 
ähnlichen Falle sämmtlichen Göttern des Haines der Dea Dia geopfert wird 
und darauf sive deo sive deae, Virginibus divis, Famulis divis etc. und 
darauf noch einmal sive deo sive deae, in cuius tuUsla hic lucus locusve est 
Fonti, Florae etc., beidemal offenbar örtlichen Schutegöttern. Vgl. Marioi Atti 
p. 370 sq. [Henzen Acta S. 144. An der Westecke des Palatins steht eine Ära 
mit der Inschrift sei deo sei deivae sac{rum). \ C. Sextius C.f. Calvinus praetor) \ 
de senati sententia \ restituü (C. I. L. 1, 632 = 6, 110 Abbildung Reber Ruinen 

5. 372), welche INibby mit dem templum oder sacellum des Aius Locutius (oben) 
identificiren möchte. Allein auch die Lage jener Kapelle (supra aedem f'estae 
in novo via) widerspricht wie Visconti u. Lanciani (Guida del Palatino S. 76) 
richtig bemerken. Restituirt ist die Ära wie es scheint von dem Sohn des 
Consuls v. 630. Zwei andere römische Arae C. I. L. 6, III: sive deo sive deae 
und Henz. 5952: sei deus sei dea. — Ueber die zu Grunde liegende Rechtsan- 
schauung vgl. Jordan Krit. Beiträge S. 96 f.] 



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DIE GÖTTER. 



63 



Völker und die Griechen, verehrt hätten. Vielmehr liegt in allen 
diesen Fällen eine und dieselbe Religiosität zu Grunde, welche das 
persönliche Wesen eines Gottes lieber ungewifs läfst als zu eng 
umschreibt; wie man denn auch sonst bei Opfern, Gebeten und 
Sühnungen immer von dem Glauben ausging, dafs nicht blos der 
einzelne Gott, dem die religiöse Handlung zunächst galt, sondern 
die ganze Götterwelt solidarisch betrolFen sei, so wenig wagte man 
den einzelnen Fall auf diese oder jene besondere Gottheit allein zu- 67 
rückzuführen. Man pflegte deshalb nach jedem Gebete zu einem 
einzelnen der Götter immer nachträglich alle Götter insgemein an- 
zurufen, wofür der Ausdruck galt deos confuse oder generali - 
ter invocare 1 ). 

Besondre Geschlechter und Ordnungen der Götter, wie man sie 
in den mythologischen Systemen andrer Völker findet, werden wir 
in dem religiösem Grundgesetze des Numa und den pontificalen Ur- 
kunden kaum voraussetzen dürfen, sondern auch hier werden nur 
die Formeln des Gebetes eine gewisse herkömmliche Reihefolge und 
Gruppirung der Götter herbeigeführt haben. So wurde unter allen 
Umständen Ianus, der alte Sonnengott des Anfangs, zuerstgenannt 
und Vesta als die Göttin alles heiligen Heerd- und Altarfeuers, bei 
welchem gebetet und geopfert wurde, zuletzt, so dafs diese beiden 
Götter recht eigentlich das Alpha und Omega des römischen Gottes- 
dienstes genannt werden können 2 ). Zwischen ihnen wurden die 
übrigen Götter in gröfseren oder längeren Reihen eingeschoben, wie 
und zu welchem Zweck man opferte und betete. In den meisten 
Fällen folgte gleich auf den Janus der höchste Himmelsgott Iupiter, 
welchem, wie Varro sagt, in gleicher Weise alle Majestät gebührte 
wie dem Janus aller Dinge Anfang 8 ). In dem alten Göttersyteme 



*) Serv. V. Georg. I, 10 Hoc enim in sacris fieri solebat, ut post specialia 
od eam rem, de qua agebatur, invocata numina umnes DU velDeae con fuse invo- 
carentur. Ib. vs. 21 zu den Worten Dique Deaeque omnes: Posl specialem 
invocationem transit ad generalitatein , ne quod numen praetereat, more Pon- 
tifieum, per quos ritu veteri in omntbus sacris post speciales deos, quos ad 
ipsutn su rum quod fiebat necesse erat invocari, generaliter omnia nutnina 
invocabantur. Vgl. zu Aen. VW, 103 und Brisson. de formulis I, 88 und 89 
p. 49 sq. 

*) Wenn es bei Ovid. Fast. VI, 298 u. A. heilst, Vesta werde zu Anfang 
angerufen, so ist dieses vielmehr die griechische Sitte, s. Griech. Mvthol. 
1, 271. [347 der 3. Ausgabe.] 

•) Bei Augustin C. D. VII, 9 penes lanum sunt prima, penes lovem summa. 



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64 



KRSTER ABSCHNITT 



des Numa folgten darauf nur noch die beiden obersten Schutzgötter 
der vereinigten Römer und Quiriten Mars und Quirinus, daher 
Numa auch nur für diese drei Götter Jupiter, Mars und Quirinus 
eigne Opferpriester eingesetzt hatte, unter denen der Flamen Dialis 
bei weitem der vornehmste war, während die Opfer des Janus von 
dem Rex sacrorum dargebracht wurden, der Cultus der Vesta aber 
wie die Vestalinnen unter der speciellen Aufsicht des Pontifex 
maximus stand: daher dieser in Fallen geistlicher Etikette wie Vesta 
beim Opfer zuletzt zu kommen pflegte, der Rex sacrorum aber 
immer zuerst 1 ). Später änderte sich dieses System wesentlich da- 
durch, dafs Jupiter als Schutzgott des Capitols und des Staates die 
beiden Göttinnen Juno und Minerva zu seinen unzertrennlichen 
Gefahrtinnen bekam, wenn diese nicht, wie früher Juno allein, bei 
dem Jupiter des alten Systems fortan stillschweigend mit einbe- 
griffen wurden. Jedenfalls blieben diese drei Götter Jupiter, 
Juno, Minerva fortan die angesehensten des römischen Staates, 
welche bei jedem feierlichen Gebete gleich nach dem Janus in der- 
selben Folge genannt wurden ; [auch waren sie nach Varro die 
ältesten 8 ), da namentlich die Sabiner des Quirinais schon vor der 
Gründung des Capitols dieselbe Göttergruppe gekannt haben sollen. 
Es ist eine Art von höchstem Ausschufs der himmlischen Götter- 
welt in Form einer Trias, die höchste Macht, die höchste Weib- 



*) Ff st us p. 185 Ordo sacerdotum aestimatur deorum [ordine, ut deus] 
maximus quisque. Maximus videtur Rex, dein Dialis, post hunc Martialis, 
quarto loco Quirinalis, quinto Pontifex maximus. Itaque in [conviviis] solus 
Rex supra omnis accubat, sie et Dialis supra Martialem et Quirinalem, Mar- 
tialis supra proximum, omnes item supra Pontificem. Es ist die alte von 
Numa eingesetzte Folge der Götter: Janas, Jupiter, Mars, Quirinus, Vesta, 
die sich darin bestätigt, dafs die drei ßamines maiores immer in derselben 
Folge Flamen Dialis, Marlialis, Quirinalis genannt werden und Janas and 
Vesta immer den Anfang und das Ende bilden, vgl. auch Serv. V. A. VIII, 663 
Salti — sunt in tutela lovis, Mortis, Quirini and Polyb. III, 25, wo die Fetialen 
die Vertrage beschwören beim Iup. Lapis, Mar« und Quirinus. So lange es 
Könige gab, werden diese den Cult des Janas und der Vesta besorgt haben, 
letzteren freilich auch mit Hülfe der Vestalinnen. Hernach verglichen sieh 
der Rex sacrorum und der Poutif. max. in der Weise wie Festus es andeutet. 
Vgl. Gellius X, 15, 21, Serv. Aen. II, 2 and die verschiedeaen Erklärungen 
von Ambrosch, Mercklin und Marquardt bei Diesem Handb. d. R. A. 4, 187 
[Staatsverw. 3, 212]. 

>) Tertull. ad Nat. II, 12. Varro antiquissimos deos Iovem, lunonem et 
Minervam refert. Vgl. Varro L L V. 158. 



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DIE GÖTTER. 



65 



lichkeit, die höchste Weisheit, wie bei Homer gleichfalls Zeus, Apoll 
und Athene als die drei höchsten Götter angerufen werden und in 
der deutschen und nordischen Mythologie ebenfalls verschiedene 
Spuren von drei obersten Göttern nachgewiesen sind 1 ). Neben der 
Capitolinischen Trias blieb immer Mars der eigentliche National- 
gott der Römer, wahrend Quirinus später mit dem verklärten Ro- 
mulus ideulificirt und dadurch zu einem Halbgott herabgesetzt 
wurde. Aufserdem wurden je nach der besonderen Veranlassung s» 

>) J. Grimm D. M. 98. 102. Es verdient Beachtung und ist ein Bewei)( *"•/ 
von der hoben Achtung, dessen das weibliche Geschlecht im alten Italien ge- 
nofs, dafs von den drei Capitolinischen Gottheiten zwei weiblichen Geschlechts 
sind. [Die jetzt allgemeine Aonahme einer italischen Göttertrias ist un- 
haltbar. Weder die auch bei den Jtalikern nachweisbare Heiligkeit der 
Dreizahl (vgl. z. B. Heindorf zu Horat. Sat. S. 233) noch das quirinalische 
Capitol oder gar das aventinensische Dreigötterheiligthum (s. Minerva) noch 
endlich die Capitole andrer italischer und spätrömischer Städte begründen 
sie. Vielmehr erscheint die capitolioische Trias als eine reine Schöpfung 
der Tarquinier, als ihr Abglanz die Entstehung von Dreigötterheilig- 
thümern anderer Capitole (s. unten). Dafs in den ältesten römischen Staats- 
und Cultnsordnungen 'die gerade Zahl, besonders das Paar und die Zehn' 
herrscht, die ungerade Zahl zum Theil nachweislich später eingeführt ist, be- 
merkt Mommsen (Chronol. S. 15). Es ist also begreiflich dafs auch der ein- 
zige sonst bekannte Dreigöttertempel Roms, Ceres Libera Liber, eine grie- 
chische Gründung ist und es werden auch tres Fortunae (s. Fortuna), wenn 
anders sie in einem mehr als änsserlich lokalen Zusammenhaag stehen, auf 
die griechische Dreizahl der Chariten, Moiren, Hören, Nymphen zurückzu- 
führen sein (Jordan, Arch. Zeitung 1871, 79). Diese Dreizahl tritt wie 
bekannt (Preller, Gr. Mytb. 1,* 86 f.) in der homerischen Formel 'Zeus Athene 
Apollon' wie in den drei Schwurgöttern deutlich hervor, während die römi- 
schen Beamten per Iovem deosque penates schwuren (s. bantin. Gesetz- Z. 16, 
22. Cic. Acad. pri. 2, 20, 65, Mommsen, Stadtrechte von Mal. u. Salp. S. 460 f.) 
und auch in den sonst bekannten lateinischen Schwurformeln (Brisson de form. 
8, 8 ff.) sich nirgends die Dreizahl findet. Auch bei den übrigen italischen 
Stämmen sind Dreigöttervereine nicht nachweisbar, späte derartige Ver- 
bindungen in gemeinsamen Kulten und Tempeln beweisen nichts. — Das 
habeas propüeos deos luos (res auf der Wand des Atriums eines Hauses in 
Pompeji (C. I. L. 4, 1679) scheint (Jordan Annal. d. i. 1872, 31) auf den 
Genius und die zwei Laren zu gehen: vgl. Petron. S. 60. — Es mag hier noch 
daran erinnert werden, dafs im Cultus selbst die Verbindung zweier Gottheiten 
der Beschränkung unterliegt, dass nur eine von beiden die Herrin des Heilig- 
thums ist, dem sie den Namen giebt und dass, wo in Kunstdarstellungen 
römische Göttergruppen auftreten, ausser ihrer ideellen Verwandtschaft häufig 
nur die lokale Nachbarschaft ihrer Heiligthümer das Motiv giebt (Lübbert, 
Memorie doli' inst. 2, 143 ff.).] 

Preller, Rom. MythoL I. 3. Aufl. 5 



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66 ERSTER ABSCHNITT. 

und dem besonderen Culte die andern Götter in längeren oder 
kürzeren Reihen angerufen, wie davon die Urkunden der Arvali- 
schen Bruder und andre sacrale Urkunden allerlei Beispiele an die 
Hand geben. Auch die Redner und andre öffentliche Verhandlungen 
pflegten wohl mit einer feierlichen Anrufung der höchsten Götter 
des römischen Staates zu schliefsen *), daher noch Vellerns Pater- 
culus seine Geschichte mit einer ähnlichen Anrufung abschliefst. 
Selbst Varro in seinem Abschnitte über die dii selecti, obgleich er 
mit denselben sonst ziemlich willkürlich umgeht, nannte zuerst den 
Janus und Jupiter und zuletzt die Vesta. 

Die Spuren eines sabinischen Systems von zwölf Göttern 
hat man bei Varro 1. 1. V, 74 finden wollen, wo nach alten Jahr- 
büchern der Stadt von Altaren die Rede ist, die der König T. Ta- 
tius zu Rom geweiht und mit Inschriften in sabinischer Sprache 
versehen habe : avae Sabinum linguam olent quae Tati regis voto 
sunt Romae dedicatae nam, ut Annales dicunt, vovit Opi, Florae, 
Vediovi Saturnoque, Soli, Lunae, Volcano et Summano itemque 
Larundae, Termino, Quirino, Vortumno, Laribus, Dianae Lucinae- 
que 2 ). Indessen fehlen hier nicht allein die drei wichtigsten Götter 



*) [So Cicero am Schlufs der Verrioen, vgl. de domo 57 (nachgeahmt voo 
dem Rhetor or. pridie quam in exilium iret 10). Bis auf die Zeit der Grachen 
war ein Gebet zu Anfang der Rede regelmäfsig. Jordan Proleg. zu Cato 
S. XCVI.] 

") Vgl. 0. Müller Etrusker 2, 64 und Fest. p. XLIV. [Lachmann und 
Haupt (Hermes 1, 401) erkennen hierin Verse aus den Annalen des Ennius; 
Haupt liest: 

vovit Opi Florae Vedio Iovi Saturnoque 

Soli Lunae Volcano et Summano, itemque 

Larundae Quirino 

Vortumno Laribus Dianae Lucinaeque 
Nach Larundae habe Varro zusammengezogen, daher sei nicht auszumachen 
wie Terminus im Verse verwandt werde. Bedenken gegen Vedio Iovi (so F) 
s. unter Veiovis (es mufs Veiovis genannt sein). Von diesen mehr als 16 
Göttern nennt Dionys. 2, 50 Ops, Saturnus, Sol, Luna, Volcanus, Quirinus 
(? 'Evvdlios), Diana, dazu Vesta (nach Müller = Larunda?) (xai äXXois 
Unov t&tniiv'EkXadi yktorrn tit 6v6{iaia)-, Augustin C. D. 4,23 Ops, Saturnus, 
Luna, Volcanus, Lucina (? statt Lucem möchte man Lucinam schreiben, unwahr- 
scheinlich ist Luam): et quoscumque alios addidit , inter quos etiam deam 
Cluacinam Felieitate negleda. Es sind demnach weder 12 Götter, vielmehr, 
mindestens 16, noch läfst sich aus der Reihenfolge bei Ennius irgend etwas 
schliefsen (wie Schwegler 1, 249 Mommsen Dial. S. 351 Marquardt Handb. 
4, 24 gethan).] 



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DIE GÖTTER 



67 



des Capitolium vetus d. h. Jupiter, Juno, Minerva (Varro 1. L V, 
158), sondern auch noch andere Götter, die wir für altsabinisch 
halten dürfen; auch scheint die Folge, in welcher jene Götter auf- 
gezählt werden, keineswegs die des gottesdienstlichen Gebrauchs zu 
sein : so dafs man allenfalls zwölf Altäre an jener Stelle annehmen, 
aber doch etwas Näheres für das Göttersystem der Sabiner daraus 
nicht folgern kann. Wohl aber scheint mit so vielen andern Ele- 
menten der griechischen Bildung und des griechischen Glaubens 
auch das griechische Zwölfgöttersystem sich der italischen 
Bevölkerung ziemlich früh mitgetheilt zu haben, jenes System von 
sechs männlichen und sechs weiblichen Göttern, welches Air alle 
Griechen, sowohl die des Mutterlandes als die der Colonieen, eine 
nationale Geltung bekommen hatte und deshalb durch Altäre und 
Bilder besonders an solchen Stellen vergegenwärtigt wurde, wo viel 
nationaler Verkehr war, z. B. auf dem Markte von Athen, in dem 
Haine des Zeus zu Olympia, auf einem alten Vereins- und Verkehrs- 
punkte in Thessalien, und auf einem Berge über der Einfahrt in 
das schwarze Meer, wo jährlich so viele griechische Schiffer aus 
und einfuhren. Im mittleren Italien dürfen wir es zeitig bei den 
Etruskero voraussetzen, im südlichen bei den Sammlern und den 
von ihnen ausgegangenen Mamer tinern, welche nach Festus p. 158 so 
diesen Namen angenommen hatten, weil sie unter den Namen der 
zwölf Götter, von denen der griechische Apoll sie zur Auswande- 
rung aus Samnium bewog , den des Mars , der in ihrem Dialekte 
Mamers hiefs , durch das Loos gezogen hatten 1 ). In Rom hören 
wir von demselben Systeme zuerst zu Anfang des zweiten punischen 

') (Vgl. Mommsen, Dial. S. 141. 351, der auch in den 12 — vielmehr min- 
destens 16 — 'sabinischen' Göttern des Tatius das System erkennen will. Dafs 
den Jtalikeru ebensogut wie zahlreiche einzelne griechische Gottheiten so die 
Zwölfgötter sehr früh bekannt wurden, ist gewifs wahrscheinlich und der Um- 
stand dafs wir von der Pcrsou des Alfius, aus dem Festus a. 0. ausschreibt, nichts 
wissen, beweist nichts gegen die ofTcobar aus saranitischcr Stammsage geschöpfte 
Erzählung. Aber sichere Belege für einen verbreiteten Zwölfgötterkultus 
bei den Jtalikeru giebt es uicht. Es ist bemerkenswerth dafs sie auch auf der 
pränestinischeu Ciste, welche die Gründung eines Marskultus darzustellen 
scheint (Moo. delT inst. 9 T. LVIII f.) nicht erscheinen, sondern elf: Mars, 
rechts Diama (so), Fortuna, links Menerva, Victoria; Jpolo, Leiber; Mercuris, 
Hercle; lovos (so), Inno. Freilich würde die 12. Person eine kleine fliegende 
Victoria (ohne Beischrift) sein, welche eine Binde der Minerva (?) ums Haupt 
legen will, wenn diese mitzählen könnte. Vgl. Mars. — Ueber das Duo- 
decimalsystem der Etrusker Corssen Spr. d. Etr. 1, 423.] 

5* 



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68 



ERSTER ABSCHNITT. 



Krieges, wo bei der Annäherung des Hannibal unter andern reli- 
giösen Gebräuchen auch drei Tage lang ein Lectisternium von sechs 
Kissen veranstaltet wurde, bei welchem die Decemvirn der sibyllini- 
schen Bücher den Dienst hatten. Das erste Kissen galt dem Jupiter 
und der Juno, das zweite dem Neptun und der Minerva, das dritte 
dem Mars und der Venus, das vierte dem Apoll uud der Diana, 
das fünfte dem Vulcan und der Vesta, das sechste dem Mercur 
und der Ceres (Liv. XXII, 10): wo schon wegen jener Decemvirn 
nur an griechische Götter gedacht werden kann, wie denn auch die 
Auswahl und Paarung derselben entschieden die des griechischen 
System ist. Bald darauf gefiel sich Ennius in seinen Annalen darin, 
die Namens derselben zwölf Götter in zwei Hexameter zu bringen, 
wodurch die rechte Folge derselben freilich sehr gestört wurde J ), 
und aus Varro d. r. r. I. 1, 4 erfahren wir, dafs dieselben Zwölf 
als Consentes d. h. als hoher Rath der Götter am Forum in ver- 
goldeten Bildern aufgestellt waren, sechs männliche und sechs weib- 
liche, auch dieses also nach griechischer Sitte und höchst wahr- 
scheinlich nach dem Vorbilde einer bestimmten Stadt im südlichen 
Italien 2 ). Und zwar standen diese Bilder, wie der Fund eines 
Restaurationstitels vom J. 367 n. Chr. an derselben Stelle gelehrt 
hat, in einer eignen Halle beim Aufgange vom Forum auf das 
Capitol 8 ) , wo sie ursprünglich gleichfalls , wie auf dem Markte zu 



*) [Enning Ann. V. 64 f. Vahlen: Iuno, Vesta, Minerva, Ceres, Diana, 
Venus, Mars, Mercurius, Iovis, Neptuniis, Vulcanus, Apollo. Cs sind die auch 
von Plautus Epid. 5, 1, 4;"]2, 9 genannten duodecim dei, dargestellt auf dem 
Wandbilde in Pompeji, Heibig Wandg. n. 7 (nur dafs die Venus als Venus 
Pompeiana dargestellt und der Vesta das italische Attribut des Esels gegeben 
ist). Ihre Verbreitung in Italien mag mit der Einführung des eudoxischen 
Kalenders zusammenhängen, in welchem sie als Monatsgötter erscheinen 
(Mommsen, Rom. Chron. 'S. 305 ff.). Keine andern meint die Warnung auf 
einer Wand in den Titusthermen (Henzea-Or. 7302): duodecim dem et Deanam 
et Iovem v optumum maximum habeat iratos quüquis hic müterit aut cacarit. 
ladessen ist ihr Eindringen, namentlich in Sicilien, mit den Colonien sicher 
uralt (Bergk, Gr. Litt. G. 1, 762).] 

') Varro nennt sie ausdrücklich städtische Götter, deos urbanot, uod 
setzt ihnen deshalb zwölf ländliche Gottheiten entgegen, lauter alte italische 
und fortwährend auf dem Lande verehrte etc., auch diese nach Paaren ge- 
ordnet: Inpiter Tellus, Sol Luna, Ceres Liber, Robigus Flora, Minerva Venus, 
Lympha Bonus Eventus. 

») Henzen z. Or. n. 5083, Becker Handb. d. R. A. 1, 318 (C. I. L. 6, 102 
. . [deorum c)onsentium sacrosaneta simulacra . . .]. 



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DIE GÖTTER. 



60 



Athen und in andern griechischen Städten, als die höchsten, allem 
Geschäft der Menschen präsidirenden Götter gedacht sein mögen. 
Der Name Cousentes, welcher jedenfalls älteren Ursprungs ist und 
ursprünglich wohl nur die Zusammenseienden, also eine Götter- 
silzung bedeutete, wird von diesem höchsten Götterrathe auch 
sonst gebraucht, namentlich in verschiedenen Inschriften aus ver- 01 
scbiedenen Theilen des römischen Reichs 1 ). Das Wesen der 
Sache drückt Ovid Met. VI, 72 aus : Bis sex coelestes medio love 
sedibus altis Augusta gravitate sedent. Die ganze Vorstellung scheint 
den an einen starken Abstand des Senats von dem übrigen Volke 
gewöhnten Römern sehr gefallen zu haben, daher bei späteren 
Schriftstellern auch von diis maiorum gentium und im Gegensatze 
dazu von einer Plebs der Götter nicht selten die Rede ist 2 ). In 

») Orelli n. 2119 [«=C. L L. 3, 1, 942 Brucla, DacienJ: /. 0. M. ceter- 
is(que) dis Consentibus M. Opcllius etc. n. 2120 [= C. I. L. 5, 1, 1935, 
Salona]: Consen[ti]o (über das plebejische {Neutrum vgl. Hermes 7, 200] deorum 
Mariana Sozomene etc. o. 2121 [« C. 1. L. 5, 1, 1063] aus Alba Julia in Sieben- 
bürgen: /. O. M. et Consessui deorum dearumque pro salute imperii Romani 
et virtute leg. XIII cet. Vgl. Arnob. III, 40 und Augustin C. D. IV, 23 tatet 
deos Consentes, quos dicunt in consilium Iovis adhiberi. Die Griechen pflegteu 
einen solchen conscssus deorum eine ayoott üttov zu ncnnrn. [Consentes, Gen. 
Omsentum (Varro VIII, 75) kann wohl nur zu absens, praesens gestellt werden 
und hat mit eonsilium nichts zu thuo. Noch weniger gehört dahin der Mercu- 
rius consentiens (C. I. L. 3, 1, 898, Dacien). Demnach ist die Bildung sehr alt 
und echtlateinisch (vgl. Müller Etr. 3, 81; Moinmseu will davon Consentia ab- 
leiten, Dial. S. 141, wofür weiter Aesernia neben etr. aisar, Gott angefühlt 
werden kann). Die unzweifelhaft vorhandene direkte Anlehnung an einen 
griechicheo Ausdruck aber ist noch nicht nachgewiesen. Was in der Glosse 
bei Festus Ausz. S. 05 consentia saera quae ex muUorum con sensu sunt statuta 
steckt, ist unsicher. Ist die Aufstellung der Zwölfgötter unter dem Capitol 
dem bekannten atheuischen Monument nachgebildet und wann? Zu beachten 
ist die weitere Analogie des umbilicus und miliarium in nächster Nähe (Jordan 
Top. 2, 454 vgl. O. Müller, De foro Athenarum 2 § 5.] 

») Cic. Tusc. I, 13, [Acad. 2, 14,] Ovid Ibis 81, Aogustin C. D. VII, 
2 inter illam quasi plebeiam numinum muUitudinem minutis opusculü 
deputatam. Ib. 3 cum igitur in his minutis operibus — et tarn ipsos selectos 
videamus tan quam senatum cum plebe paritcr operari. Nutnina minora 
der Ovantes im Gegensatz des lupiter O. M. b. Serv. A. III, 189. Auch bei 
Piautas Gas. II, 5, 24 sind die dii minuti keine Zwerge, wofür J. Grimm 
D. M. 409 sie nimmt, sondern dii minores. [Vgl. den«. Cist. II, 1, 46: magni 
minuti et pateUarü über welche letzteren unten. Allen gegenüber steht der 
sitpremus oder summus Iovis (s. Jupiter). Nicht selten sind auf späteren 
Denkmälern die magni, maiores z. B. C. I. L. 3, 2 S. 1161. — Uebrigens scheint 
der Ausdruck di maiorum gentium nur bildlich zu sein (quasi maiorum gentium, 



70 



KRSTER ABSCHNITT. 



diesem Sinne gefiel sicli Augustus darin, mit seinen engeren Freun- 
den gelegentlich ein „Zwölf-Götter-Mahl" einzunehmen, bei welchem 
er seihst als Apollo auftrat 1 ). Auch die beiden wichtigsten Denk- 
mäler des Zwölfgöttersystems, die Ära Gabina und die Ära Borg- 
hese sind römischen Ursprungs 2 ). 

Ein noch weiter ausgebildetes System der Götter fand sich bei 
den Etruskern. Wir erfahren davon durch Seneca Natur. Quaest. 
II, 41 in einem Excerpte aus dem etruskischen Schriftsteller Aulus 
Caecina, einem Freunde Ciceros, welcher den Römern die Fulgural- 
disciplin seiner Heimath in einem lateinischen Werke zugänglich 
gemacht hatte, vgl. Fest. p. 129 v. Manubiae, wo dieselbe Quelle 
zu Grunde liegt. Es wurde darin zwischen solchen Blitzen unter- 
schieden, die Jupiter auf eigne Hand schleuderte, aber nur zur 
Mahnung und in friedlicher Absicht, 2) solchen welche schon viel 
gewaltsamer wirkten und von Jupiter in Lebereinstimmung mit dem 
Rathe der zwölf Götter geworfen wurden, endlich 3) solchen 
Blitzen, welche zünden und zerstören und nach etruskischem Glau- 
ben von Jupiter in Uebereinstimmung mit dem Bathe der soge- 
nannten dii super iores s. involuti geworfen wurden, also 
62 höherer und verhüllter Götter einer geheimen Weltordnung, welche 
der menschlichen Beobachtung nicht zugänglich ist. Man wufste 
weder die Zahl noch die Namen dieser Götter, wohl aber, dafs sie 
den allerintimsten Rath des Jupiter bildeten und in den innersten 
Räumen des Himmels wohnten, dahingegen man von den zwölf 
Göttern glaubte, dafs sie einer niederen Ordnung angehörten und 
der bestehenden Natur und dem menschlichen Geschlechte näher 
ständen: daher man diese auch für entstanden und für vergänglich 
hielt und deshalb Co nsen tes und Complices nannte; wenigstens 
scheint Gaecina mit diesen lateinischen Benennungen entsprechende 
etruskische übersetzt zu haben 8 ). Höchst wahrscheinlich waren 

qui maiorum g. habentur sagt Cicero, als plebs superum werden voo Ovid die 
J'auni satyrique laresque u. s. w. bezeichnet). Ueber die tnaiores und minores 
gentes selbst s. Mommsen, R. Forsch. 1, 258 f.]. 

*) Suetoo 70. Tiberius erbaute bei seinem Aufenthalte auf Capri zwölf 
Villen, welche vermutlich nach den zwölf Göttern benannt waren, s. Tacit. 
Ann. IV, 67, Sueton Tib. 65. 

*) (Müller, Handb. d. Arch. § 96,22 vgl. auch Braun, Ruinen u. Museen 
S. 151ff.l. 

3 ) Vgl. das confuse Excerpt aus Varro b. Arnob. III, 40 und 0. Müller, 
Etrusker 1, 81. 



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DIE GÖTTER. 71 

diese identisch mit den zwölf Göllern der Griechen; über densel- 
ben aber standen nach diesem Systeme also gewisse verborgene 
Mächte des Schicksals oder einer höheren Weltordnung, welche 
sich nur selten und dann immer in gewaltsamen Katastrophen 
offenbarte. Wie dieselben sonst zu denken und wie das Yerhält- 
nifs des Jupiter zu ihnen gedacht wurde, ist bei so mangelhaften 
Nachrichten nicht klar; gewifs aber ist es, dafs Jupiter auch bei 
den Etruskern für den höchsten Gott und den wahren König und 
Regierer der Welt gegolten hat. 

Endlich mag hier noch von solchen Eintheilungen der Götter 
die Rede seiu, wie wir sie hin und wieder bei den römischen 
Schriftstellern finden, namentlich bei denjenigen, welche aus Varros 
grofsem Werke über die Religions - Alterthümer geschöpft haben. 
Varro hatte erst in den drei letzten Büchern dieses Werks von den 
Göttern gehandelt und zwar in dieser Folge: 1) de diis certis, 
2) de diis incertis, 3) de diis selectis. Es ist nicht leicht 
zu sagen, wie namentlich die dii certi und incerti unterschieden 
gewesen 1 ), doch ist das Wahrscheinlichste dieses, vgl. namentlich 
Serv. V. A. II, 141; V, 45; VIII, 275; XII, 139. Die dii certi 
gelten ihm für ab initio certi et sempiterni, daher er sie auch dii 
perpetui und dii proprii nannte, also für eigentliche und ausge- 
machte Götter, die dazu nicht erst durch Consecration geworden, 
sondern von jeher Götter gewesen waren. Als Kriterion dienten 
ihm dabei ohne Zweifel die sacralen und priesterlichen Urkunden, 
namentlich die Indigitamenta und alten öffentlichen Gebetsformeln, es 
wohin Serv. Aen. II, 141 deutet : Pontiüces dicunt singulis actibus 
proprios deos praeesse: hos Varro certos deos appellat'). 
Und so war es auch dem Principe seines W r erkes gemäfs, eben nur 
oder doch hauptsächlich den positiven Götterglauben erläutern zu 
wollen, d. h. also über die Natur und Bedeutung der einzelnen 
Götter nicht nach seinem eigenen Meinen, sondern nach Mafsgabe 



*) Merkel Ovid Fast. p. CLXXXV sqq. scheint mir nicht immer das 
Richtige zu treffeu , am wenigsten in der Art wie er die einzelnen Götter 
über diese Bücher vertheilt. 

") [So die Faid. Hs., vgl.] Marini Atti Arv. p. 381 und Merkel Ovid 
Fast. p. CLXXXV. Vgl. Intp. Mai. Virg. Aen. X, 76 p. 103 Keil. Farro 
verum divinarum XIIII de diis certis, in welchem Buche namentlich die 
Gotter der Indigitamenta vorkamen. Vermuthlich hatte auch Gellius N. A. 
XIII, 23 und V, 12 diesen Abschnitt des Varro vor Augen. 



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I 



72 ERSTER ABSCHNITT. 

der bestehenden sacralen Ordnungen zu referiren. Dii incerti 
müssen also dem entsprechend solche Götter gewesen sein, welche 
nicht von Anfang an , sondern erst zu einer gewissen Zeit d. h. 
durch Gonsecration zu Göttern geworden wann, also im engeren 
Sinne des Worts nicht für Gölter gehalten werden konnten 1 ), vgl. 
Serv. Aen. VIII, 275 Varro dicit deos alios esse qui ab initio certi 
et sempiterni sunt, alios qui immortales ex homnibus facti sunt, 
also Castor und Pollux, Uber, Hercules u. A.*) Auch glaube ich 
dafs nicht allein solche Götter, die man nach der tief eingeflossenen 
euhemeristischen Anschauung der Zeit, welcher auch Varro ganz 
ergeben war, für consecrirte Menschen hielt, in diesem Abschnitte 
behandelt wurden, sondern auch die Personifikationen der Tugenden 
und Fehler, vgl. Cic. de Leg. II, 8, 19. Endlich die dii selecti 
waren solche, welche im öffentlichen Cultus der Tempel und Bilder 
64 am meisten hervortraten, vgl. das Excerpt aus dem Vorworte zu 
diesem letzten Buche bei Augustin C. D. VII, 17. In tertio porro 
isto de diis selectis posteaquam praelocutus est quod ex naturali 
theoiogia praeloquendum putavit, — De diis, inquit, Populi Romani 
publicis, quibus aedes dedicaverunt eosque pluribus signis ornatos 
notaverunt in hoc libro scribam, sed, ut Xenophanes Colophonius 
scribit, quid putem, non quid contendam ponam. Nehmlich in 
diesem Buche ganz vornehmlich hatte er sich auf allegorische Er- 
klärungen eingelassen. Es kamen also erst jetzt die eigentlichen 
Haupt- und Cultusgötter des römischen Staates zur Sprache, nicht 
blos die Consentes, sondern alle, welche im öffentlichen Gottes- 
dienste der Zeit am meisten galten, obschon sie unter andern Ge- 
sichtspunkten hin und wieder schon im ersten und im zweiten 



! ) Daber zur Einleitung die bei Augustin C. d. VII, 17 erhaltenen Worte. 
Varro, sagt Augustin, komme bei allen seinen ErkläruDgen nicht über Schwan- 
ken nod Zweifeln hioans. Nam trium extremorum primum cum de diis 
certis absolvissel librum, in altero de diis incertis dicere ingressus ait: 
„Cum in hoc libello dubias de diis opinione s posuero, reprehendi non debeo. 
Qui enim putabit iudicari oportere et posse, cum audierit faciel ipse. Ego 
citius perduci possum ut in primo libro quae dixi in dttbitationem revocem t 
quam in Aoc, quae perscribatn, orrin ia ut ad aliquam dirigarn sunrmatn. « Ita, 
setzt Augustin biozu, non soium de diis incertis, sed etiam illum de certis 
fecit incertum. Es scheinen aber in diesem Buche besonders viele Fabeln zur 
Sprache gekommen zu sein, die vom Liber Pater, vom Hercules, vom Aescu- 
lapius u. s. w. [Vgl. Marquardt Staatsverw. 3, 8.] 

») [Vgl. Hör. C. IV, 8, 30 ff. Ovid. Am. III, 8, 51; Jordan Hermes 14, 271.} 



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DIE GÖTTER. 



73 



Buche de diis cerüs und incertis besprochen worden waren 1 ). Es 
waren zwölf männliche und acht weibliche Gottheiten, die zwölf 
männlichen: Ianus, Iupiter, Saturnus, Genius, Mercurius, Apollo, 
Mars, Vulcanus, Neptunus, Sol, Orcus, Liber Pater, die acht weib- 
lichen: Tellus, Ceres, Iuno, Luna, Diana, Minerva, Venus, Vesta. 
Man dar! behaupten , dafs bei der ganzen Eintheilung in gewisser 
Weise die beliebte Unterscheidung einer dreifachen Theologie (S. 31) 
zu Grunde liegt. Die dii certi entsprechen dem genus civile, denn 
beide, sowohl die Sicherheit jener Götter als der bürgerliche Character 
dieser Ueberzeugung, beruhen auf derselben Autorität der sacralen 
Rechtsquellen. Die dii incerti entsprechen dem genus mythicon, 
da die Geschichte, wie diese Götter aus Menschen zu Göttern ge- 
worden waren, wesentlich Mythologie ist. Endlich die selecti dem 
genus physicon, wenigstens hatte Varro sich vornehmlich in diesem 
Buche auf ausführliche Erklärungen der einzelnen Götter einge- 
lassen, immer nach den allegorischen Principien der stoischen 
Philosophie und des damit verbundenen Pantheismus. 

Man hat, glaube ich, nicht bemerkt, dafs diese Eintheilung 
Varros, namentlich was die beiden ersten Glieder betrifTt, sich 
mit einigen Aenderungen bei Cicero de Leg. II, 8, 19 wiederholt. 
Es werden dort [neuralich unterschieden: 1) die Götter, qui cae- 
lestes semper habiti, diese entsprechen den diis certis bei Varro. 
2) Die Götter, quos endo caelo merita locaverunt, Herculem, Libe- 
rum, Aesculapium, Castorem, Pollucem, Quirinum, welche den diis es 
incertis des Varro entsprechen würden. 3) Die consecrirten Vir- 
tutes oder wie er sich ausdrückt iila propter quae datur homini 
adscensus in caelum, d. h. die Mens, Virtus, Pietas, Fides etc., 
welche Varro wahrscheinlich in seinem zweiten Abschnitte mitbe- 
handelt hatte. Und in der That ist zu vermuthen, dafs Cicero bei 
dieser Eintheilung dem Varro folgte, da er von dessen Verdiensten 
um die richtige Erkenntnifs und Beurtheilung des römischen Alter- 
thums, auch des alten Glaubens, im Eingange der Academica poste- 
riora mit so grofer Emphase spricht 8 ). Wie weit übrigens auch 



f ) Augustin C. D. VII, 2. Janus, Jupiter, Saturnus kamen auch in den 
Reihen der ludigitamenta vor, Liber Pater als mythologischer Gott verinuth- 
Uch auch im zweiten Buche u. s. w. 

*) [Mit der schon 702 begonnenen Schrift de legibus ist Cicero vielleicht 
noch im J. 708, also um dieselbe Zeit als Varro die antiquitates veröffent- 
lichte (Merkel zu Ov. F. S. CX, Ritschi. Op. 3, 471) beschäftigt gewesen, 



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74 



ERSTER ABSCHNITT 



Cicero im Euhemcrismus ging, beweist die gelegentliche Aeufserung, 
dai's selbst die oberen Götter doch eigentlich nur Menschen ge- 
wesen seien l ). 

Es würde zu weit führen, wenn ich hier auch auf die Ver- 
suche der späteren Schriftsteller eingehn wollte, in dem Wirrwarr 
altitalischer Cullusgebräuche und griechischer Fabeln, in welche der 
öffentliche Gottesdienst zuletzt verfiel, durch allegorische Deutung 
oder durch schroffen Widerspruch einen Ausweg in den reineren 
Monotheismus zu linden, den die ganze Zeit so dringend empfahl. 
Sowohl die griechische Philosophie drängte dahin als die Ueber- 
sättigung am Polytheismus, endlich auch der vom Judenthum und 
Christen th um in immer weitere Kreise ausgestreute Glaube au den 
einen Gott, der zugleich Schöpfer und Erhalter aller Dinge ist. 
Lange hat man sich in Italien mit dem Pythagoreismus beholfen, 
dessen Schule bei den südlichen Griechen, namentlich in Tarent 
niemals ganz ausgestorben war. Dann flüchteten sich die keckeren 
Geister zum Epicur, die skeptischen zur Akademie, die positiven zur 
Stoa 2 ), mit deren Lehrsätzen namentlich Varro den Göttern einen- 
neuen Schein von Leben und Wahrheit bei den Gebildeten zu ge- 
winnen suchte; obwohl es sehr bemerkenswert!] ist, dafs er sich 
bei seinen Mahnungen zu einem geistigeren Gottesdienste nicht 
66 blos auf die eigne Vorzeit Roms, sondern auch schon auf den 
Gott der Juden berief (Augustin C. D. IV, 31). Aus etwas späte- 
rer Zeit sind die Aeufserungen Senecas beachtenswert!], aus dessen 
Schrift contra superstitiones Augustin C. D. VI, 10 einen bedeu- 
tenden Auszug erhalten hat. Kein Kirchenvater hätte schonungs- 



dcinnach eine Benutzung dieses Buchs durch Cicero chronologisch kaum mög- 
lich, aber auch sachlich unwahrscheinlich. Vielmehr haben beide in verschie- 
dener Weise die Lehre der Pontificalbucher benutzt.] 

') Tuscul. I, 13 Si scrutari vetera et ex Ms ea quue scriptores Grae- 
ciae prodiderunt eruere coner, ipsi iÜi maiorum gentium dii qui habentur hinc 
a nobis profocti in caelum reperientur. Er meint Geschichten wie von der 
Geburt und dem Tode des Jupiter, der Flucht des Saturn nach Italien u. s. w., 
wie Ennius sie den Hörnern aus dem Euhemerus zusammengetragen. Vgl. auch 
die gelegentliche Mittheilung bei Cic. N. D. III, 19, 49 Nostri quidem publi- 
cum, cum essent agri in Boeotia deorum immortalium excepti lege ccnsoria, 
negabant immortales esse ullos qui aliquando homines fuissent. 
Es handelte sich um die Grundstücke des Tiophoniua bei Oropos. 

*) [Vgl. D. Zimmermann Quae ratio philosophine Stoicae sit cum religione 
Romana, Erlanger Programm 1858, oben S. 29.] 



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DIE GEMEN. 



75 



loser über den öffentlichen Gottesdienst urtheilen können als dieser 
im Leben eben so gefügige als in seinen Schriften ungestüme Mann. 
Endlich eifert Plinius d. Ä. als vollendeter Pantheist gleich heftig 
gegen alle Vielgötterei, sowohl die der griechischen Mythologie, als 
gegen den einheimischen Pandämonismus, wo jede Wirkung und 
Lebenserscheinung als die Thütigkeit eines eignen Geistes oder 
Gottes aufgefafst wurde. Auch er will nur von der einen Welt- 
seele wissen, die unsichtbar sichtbar und überall fühlend, hörend, 
beseelend gegenwärtig sei. Es sei nur Schwäche und Endlichkeit 
der Menschen, wenn sie diese eine Seele nach ihren verschiedenen 
Wirkungen und Erscheinungen in eben so viele Theile zerlege und 
als eben so viele einzelne Götter anbete, welche sich nach der 
Zahl der Länder, Völker, ja der einzelnen Menschen vollends ins 
Unendliche vervielfacht habe (H. N. Ii, 7). 

2. Die Genien^ Laven, Penaten, Manen. 

W'urden die Götter, obwohl der alte italische Glaube darin 
nichl soweit ging als der griechische, als selbständige und persön- 
liche Einzelwesen gedacht und durch ihre Namen, Beinamen und 
die an sie gerichteten sinnbildlichen Handlungen des Gottesdienstes 
aus der unendlichen Gottheit gewissermafsen ausgeschieden , so 
waren neben ihnen die Geister und Dämonen in dem Glauben der 
Kömer und ihrer Verwandten vollends ein nach Zahl und Wirkung 
unbegrenztes und unbestimmbares Geschlecht und namentlich im 
häuslichen , örtlichen und ländlichen Gottesdienste von solchem 
Belange wie nicht leicht in einer andern Religion der heidnischen 
Vorzeit. 

Das eigentliche Gebiet dieser Geisterwelt ist die Erde und die 
ganze irdische und creatürliche Erscheinung, wo sie Natur und 
Menschenwelt von allen Seiten umgeben und umschweben, in der 
Geburt wie im Tode, bei jeder einzelnen Lebensregung, an allen 
Ställen und bei allen Stiftungen, nationalen, socialen und bürger- 
lichen, wo sich nur irgend eine eigen thümliche und individuelle 
Thätigkeit offenbart : mit welcher Thätigkeit sich diese Schutz- 
und Lebensgeister dergeslall identiliciren , dafs sie dadurch und 67 
erst dadurch selbst eine eigenlhümliche und selbständige Existenz 
gewinnen, als Schutzgeister der einzelnen Menschen, Häuser, Fa- 
milien, Städte, Völker u. s. w. , die unter ihrer unsichtbaren Lei- 
tung und Beseelung entstehen , bestehen und vergehen. In der 



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76 



ERSTER ABSCHNITT. 



Natur entsprechen diesen schützenden Geistern die Silvaue und 
Faune, die Viren und die Lymphen, obwohl diese ländlichen Natur- 
und 1 lernen targeister in der Religion des alten Italiens, soweit wir 
sehen können, lange nicht das Gewicht hatten wie die allem mensch- 
lichen Treiben sich gesellenden Genien, Laren und Penaten : so 
sehr überwog auch hier das praktische Lebensinteresse über das 
poetische Naturgefühl, wie sich jenes denn nicht allein durch alle 
Einrichtungen des menschlichen Lebens verfolgen läfst, von dem 
einzelnen Hause und Gehöfte bis zur Völkerschaft und zum Staate, 
sondern auch im Durchschnitte des einzelnen Lebens von der Ge- 
burt bis zum Tode. Wohl aber hat der Grundgedanke des Genien- 
glaubens, dafs jeder geistigen Wirkung entsprechend ein individuel- 
ler Lebensgeist angenommen werden müsse, sein Ziel mit solcher 
Konsequenz verfolgt, dafs diese Kette der Geister von der Erde 
und den Menschen sich selbst bis zu den Göttern fortsetzte. 
Selbst jedem Gölte entsprechend wurde nehmlich in Italien ein 
eigner Genius angenommen, gleichsam seine individuelle Erschei- 
nung und örtliche Begrenzung , sein numen in persönlicher Ver- 
gegenwärtigung für den Cultus : wieder ein neuer und merkwürdi- 
ger Beweis von der Hinneigung des alten italischen Glaubens zur 
rein geistigen und jeder irdischen Berührung entrückten Auffassung 
des Wesens der Götter. 

Eine allgemeine Benennung dieser ganzen Klasse, wie im ge- 
wöhnlichen griechischen Sprachgebrauch das Wort daifiovsg 1 ), giebt 
es im Lateinischen nicht; doch hat das Wort genius einen sehr 
umfassenden Sinn. Offenbar hängt es zusammen mit gens, geno, 
gigno, so dafs also genius eigentlich ein schöpferisches und besee- 
lendes Wesen ist, welches wo sich immer ein eigenthümliches 
Leben regt unsichtbar thätig ist, sowohl im Ganzen und im Grofsen 
als im Einzelnen und im Kleinen. Dieses wollte namentlich Varro 



>) [Ueber den griechischen Däuioncnglauben Preller Gr. Myth. 1, 71, 88 
und C. Wachsmuth , Die Ansichten der Stoiker über Mantik und Dämonen, 
Berlin 1860 besonders S. 31 ff'. — Zu den im Folgenden behandelten lateini- 
schen und umbrischen Namen für Geister kommt möglicherweise noch der 
oskische und päligoische puebi, in der Widmung von Sulmo C. I. L. 1 S. 555 
(foviois pudois) und in der Verwünschungsformel von Capua Zwetajelf Syll. 
inscr. Ose. 50 (in verschiedenen Casusformen hinter valaima*, valaimais). 
Huschke (Jahrb. f. Philol. Suppl. 5, 863) denkt dabei an pungere, nvxjrje, 
Büeheler (Rhein. Mus. 1877, 15 ff.) an pu—er u. s. w. ; Bugge dagegen (Altital. 
Studien Christiania 1878 S. 8 ff.) übersetzt pungamentum (von /w-, reinigen).] 



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DIE GEMEN. 



77 



sagen, wenn er bei Augustin C. D. VII, 13 den Genius schlecht- 
hin, welchen er zu den diis selectis rechnete, als den Gott defi- 
nirte, qui praepositus est ac vim habet omniura rerum gignendarum, 
und an einer andern Stelle den Genius geradezu mit der vernünf- 
tigen Seele jedes einzelnen Menschen identificirte , daher es so 
viele Genien gebe als einzelne Menschen, der Universalgenius der 
Welt aber für identisch mit Gott oder der göttlichen Weltseele es 
gelten müsse *) : bei welchen Erklärungen sich Varro wieder von der 
stoischen Philosophie hat leiten lassen. Doch inufs den römischen 
Theologen diese Ableitung des individuellen Genius aus der allge- 
meinen Gottheit auch sonst geläufig gewesen sein, da es auch in 
der Definition eines gewissen Aufustius [ungewisser Zeit, auch von 
Priscian citirt] bei Paul. D. p. 94 heifst, der Genius sei deorum 
filius et parens hominum, ex quo homines gignuntur, also eine 
Art von mittlerer Kraft zwischen den Göttern und Menschen ent- 
stehen lassen und behüten , während es umgekehrt die Menschen 
beim Gottesdienste zunächst nur mit den Genien der Götter, nicht 
direct mit diesen zu thun haben würden. Indessen darf diese 
schöpferische Kraft nicht allein auf die Menschen beschränkt wer- 
den, da man nicht weniger innig von einer unsichtbaren Obhut der 
Genien über ganze Geschlechter, über Städte und Völker, endlich 
über alle durch ein bedeutendes Naturleben oder eine eigenthüm- 
liche moralische Wirkung ausgezeichnete Stätten überzeugt war: 
wie dieses alles bei Servius V. G. I, 302 in den Worten zusam- 
mengefafst wird : genium dicebant antiqui naturalem deuni unius- 
que loci vel rei vel hominis, vgl. Paul. p. 94 Alii genium esse 
putarunt uniuscuiusque loci deum: so dafs es also in der Natur 
des Genius lag sich eben so sehr nach örtlichen als nach persön- 
lichen Beziehungen zu individualisiren. Noch'Andere [hielten den 



J ) Ibid. Mio bco genium dicii esse uniuscuiusque animum rationalem et 
ideo esse singulos singulorum : talcm autem mundi animum deum esse, — ut 
tanquam universalis genius ipse mundi animus esse credatur. Vgl. ib. VII, 23, 
nach welcher Stelle Varro io diesem Abschnitte vom Genius drei verschiedene 
Stufen der Seele unterschied, die der vitalen Lebenskraft, welche sich in den 
organischen Theilen des Körpers offenbare, die der sinnlichen Empfindung d. h. 
die Thätigkeit der fdnf Sinne, und endlich drittens die Seele als Geist, als 
Intelligenz, wodurch die menschliche Seele den Vorrang vor allen thierischen 
habe und den Göttern verwandt sei. Diese Seele [nun heifse im VVeltganzen 
Gott, in uns Einzelnen Genius (hanc partem animae mundi dicit deum, in 
nobis autem genium vocarij. 



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t 



78 ERSTER ABSCHNITT. 

Genius mehr für das absolut Drastische und Energische, indem sie 
mit ihren Erklärungen auf die Wurzel gerere zurückgingen, s. 
Paul. p. 94 genium appellabant deum , qui vim obtineret rerum 
omnium gerendarum. Ib. p. 95 Geniales (dii) dicli a gerendo, 
quia plurimum posse putabantur, quos postea gerulos appellarunt*). 
Martian Gap. II, 152 specialis singulis mortaübus genius admovetur, 
quem etiam praestitem, quod praesit gerundis omnibus, vocaverunt. 
Eine etymologisch zwar falsche, aber in der Sache richtige Erklä- 
eo rung , da diese absolute und allgegenwärtige Activität eben ganz 
vorzugsweise zum Wesen des Genius gehörte. 

Indessen pflegte die ältere Zeit diese dämonischen Wirkungen 
doch immer ganz vorzugsweise als zeugerische und schöpferi- 
sche aufzufassen. Genius meus heifst es bei Paul. p. 94 in 
diesem Sinne ganz richtig, nominatur qui me genuit, daher der 
Genius in den Familien vorzugsweise in dieser Bedeutung verehrt 
wurde d. h. als genius natalis und am Geburtstage auch als 
genius generis, wie Laberius sagte, Non. Marc. p. 119, Genius 
generis nostri parens, also als das fortzeugende, die Familie von 
einer Generation zur andern erhaltende Princip. Ueberhaupt konnte 
eben deshalb von einem Genius nur bei Männern und Begriffen 
männlichen Geschlechts die Rede sein, bei Frauen nur von einer 
Juno, der idealen Personification alles Weiblichen und Empfängli- 
chen. Auch stimmt damit überein der äufserst inhaltreiche und 
vielseitige Gebrauch des Adjectivs genialis, welches in den ver- 
schiedensten Beziehungen des Lebens und der Natur das Zeugende, 
Ueppige, Fröhliche und Heitre bedeutet, weil der Begriff einer gött- 
lichen Zeugung nicht ohne den der Fülle und des überschwengli- 
chen Segens gedacht werden konnte. Daher sagte man genialis 
lectus vom Ehebette, wo der Genius der Familie segnend und be- 
fruchtend waltet, dafs es dem Hause nie an Kindern fehle, s. Paul, 
p. 94, Arnob. II, 67, Horat. Ep. I, 1, 87, Cic. Cluent. 5 extr. 
u. A. 1 ), sagte aber auch geniales homines von gastlich freigebigen, 
qui ad invitandum et largius apparandum cibum promtiores essent, 
nach Sanlra b. Non. Marc. p. 117. Daher die Redensart geniuin 
suum defrudare von einem kärglichen Lebensgenufs, und in ent- 
gegengesetzter Bedeutung genio indulgere, weil der natürliche Ge- 

*) Gloss. Labb. Geruli nQttXTrjQes, gerulus dvvtr\s, tfioixrjTixog. 
l ) Otid. A. Am. 1, 125 ducuntur raptae, genialis praeda, puellae. Stat. 
Silv. 1), 3, 108 genialia iura d. h. coniugalia. 



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DIE GEMEN. 



79 



müthszug des Genius die Fülle des Lebens und seiner Güter ist 1 ). 
Ferner genialis hieros von dem gastlich heiteren und gastlichen 70 
Leben im Winter, wo die Saturnalien gefeiert wurden, Virg. Ge. I, 
302, festum geniale Ovid. F. III, 523, genialia serta Met. XIII, 929, 
geniale rus Heroid. XVIII, XIX, 9, genialis Musa Amor. III, 15, 19, ge- 
nialis dies Juven. IV, 66 u. s. w. Endlich auch in dem Naturleben 
von allem productiven Segen und physischer Schöpfungskraft, s. Ovid. 
Met. IV, 14 genialis consitor uvae, X, 95 platanus genialis, Plin. H. 
N. XVII, 53 genialis copia pecudum, Stat. Theb. XII, 618 Bacchus 
et Ceres — geniales dei : daher dasselbe Wort bei gewissen Dich- 
tern oder Philosophen selbst von den vier Elementen und von den 
Gestirnen gebraucht worden war, weil auch von ihnen ein mäch- 
tiger Einflufs auf Leben und Geburt abgeleitet wurde, s. Paul, 
p. 95 geniales deos dixemnt aquam terram ignem aerem ; ea enim 
sunt semina rerum. — Duodecim quoque signa, lunam et solem 
inter hos deos computabant. 

Dazu stimmt aber auch das andere ältere und allgemein in 
Italien verbreitete Wort für den Begrifr des Genius, Cerus oder 
Kor us, welches mit creo und Ceres verwandt ist und auf die 
Sanskritwurzel kri — kar d. i. facere zurückweist, also eigentlich 
auch wieder einen schöpferischen Geist bedeutete 3 ). So wurde in 
dem alten Liede der Salier Cerus Man us in dem Sinne von Crea- 
tor bonus gesagt , Paul. p. 122 , und wirklich ist bei Varro 1. 1. 



*) Bei Plaut us ist dieser Gebrauch des Wortes sehr häufig. [Vgl. 
Jordan Annali 1872, 45; für genius steht auch gleichbedeutend anitnus}. 
Einer der Geld hat erklärt Persa II, 3, 11 nunc et amico meo prosperabo 
et genio meo multa bona faciam , [vgl. Stich. 622 geniutn meliorem tuum 
non facies, Cas. IV, 2, 5 animo volupe facere; auch lepide ingeniatus 
Mil. 731]. Ein anderer, dem Geld entwendet ist, klagt Aulular. IV, 9, 15 
egomet me dejraudavi , Amieum meum geniumque meum. Trucul. I, 2, SO 
heifst es: Sed isti qui cum geniis suis belligerant parci promi, [vgl. Trin. 305 IT. 
qui homo — cum animo depugnat — suo], und von einem Gutschmecker Pers. 
1, 3, 28 : Sapis muitum ad genium. Sehr häufig heifst auch der gute Freund 
genius meus. Vgl. Terent. Phorm. I, 1, 11 Quod Uli tmciatim, vix de demenso 
suo Saum defrudans genium comparsit miser. [Ueber das genio suo sacrificare 
Capt. 260 Cure. II, 3, 21 und das teneo dextera genium meum des Peniculus 
in den Men. 138, wie überhaupt über de» genius familiaris generis nostri parens* 
s. unten X, 2]. 

•) [S. Corssen, Ausepr. 1 J , 473; Pott etymol. Forschungen, 2. Aufl., 2, 
1, 842 f.; Curtius Et. »154 f.: vgl. Ceres. Bücheler (Bonner Progr. z. 3. Aug. 
1S76 p. 24) vermuthet das cerus = cur rus, dies das umbrische cerfe ist]. 



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80 



VII. 26 ein Bruchstück dieses Liedes erhalten, wo es vom Janus 
heifsl duonus cerus es d. h. bonus creator es 1 ). Dazu kommt 
die Inschrift einer in Vulci gefundenen, jetzt zu Rom im Gregoria- 
nischen Museum aufbewahrten Schale Kl IM POCOLOM d. i. Ceri 
poculum [C. I. L. 1, 40]. endlich der häufige Gehrauch der Namen 
Cerfus und Cerfia in Verbindung mit andern Gotternamen auf den 
umbrischen Tafeln aus Iguvium und der entsprechende Gebrauch 
des Substantivs kerris d. i. genius und des Adjectivs kerriios d. i. 
genialis in des oskischen Weibinschrift von Agnone, immer von 
erzeugenden und befruchtenden Gottheiten des ländUchen Gottes- 
dienstes, den Flüssen, den Lymphen, dem Hercules u. s. w.*). Auch 
das alte Wort ceremonia oder cerimonia, welches im Wesent- 
lichen dem Begriffe sanclimonia entspricht, wird am besten von 
n diesem Stamme abgeleitet werden *) , desgleichen der ältere Name 
des römischen Hercules Garanus, s. Verrius Flaccus b. Serv. V. 
A. VIII, 203, zumal da dieser Hercules, wie wir sehen werden, 
ganz wesentlich ein Genius der Fruchtbarkeit war 5 ). Ja ich möchte 
auch das alte Wort cerriti, welches wie lymnjiati und larvati von 
solchen gebraucht wurde, die einen Geist gesehen und darüber 
ihren Verstand verloren hatten, lieber von diesem Worte cerus als 
mit den gewöhnlichen Erklärern, z. B. Non. Marc. p. 44, 26j und 
Serv. A. VII, 377 [vgl. auch Fabretti Glossarium Italicum pg. 832] 
von der Ceres ableiten, zumal da man dieselbe Wirkung den 
Geistern aller ländlichen Haine zuschrieb, in welchen, wie Senilis 



') Th. Bergk Ind. lect Marb. hib. 1947—48 p. YIIl. 
') Aufrecht und Kirchhof umbr. Sprachdenkm. 2, 265. 
») Mommseu Unterital. Dial. S. 129. 133. 270. [Fabretti Glossarium Itali- 
cum p. 830 sq.] 

«) [Die Schreibung caerimonia haben abgesehen von der wahrscheinlich 
falschen Or. 2188 die Inschriften vom J. 78 C. I. L. 6, 934 (jedoch aar bs. 
erhalten) and 143 das. 1001; cerimonia d. I. v. J. 301 das. 2143 (nur hs. er- 
halten): jene ist also vorzuziehen, auch durch die alte Etymologie (von Caere 
VtL Max. I, 1, 10; andrerseits Carinae a caerimonia? Varro V, 47, vgl. 
Jordan Top. 1, 1, 196) empfohlen, aber nicht gefordert; die Herkunft des 
Worts noch unsicher]. 

») [ebenso M. Breal Hereule et Cacus, Paris 1861, p. 5911. und Reiffer- 
scheid, Ann. 1867, 353; Klausen De carm. fratr. arv. S. 70 dachte an gerere. 
Indessen hatte Schott längst richtig bemerkt (wie Jordan Hermes 3, 409 er- 
innert), dafs CaranuM kein anderer ist als der mythische Gründer der make- 
donischen Dynastie (worüber unten zu XI, 3).] 



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DIE LAREN UND PENATEN. 



81 



Ecl. V, 40, I, 441 sagt, die Geister der Seligen (heroum animae) 
wohnten 1 ). Selbst der Name Geres scheint in alter Zeit nicht 
Mus im weiblichen, sondern auch im männlichen Geschlechte ge- 
braucht zu sein, gerade so wie es eine weibliche und einen männ- 
lichen Pales gab*). 

Die Genien waren den Laren so nahe verwandt, dafs schon 
die Alten die Identität dieser Wesen ziemlich allgemein anerkannten 8 ), 
s. Censorin d. d. nat. 3 Eundem esse genium et larem multi veteres 
memoriae prodiderunt, in quis etiam Granius Flaccus in libro quem 
ad Caesarem de Indigitamentis scriptum reliquit, und in der That 
entspricht namentlich der lar familiaris genau dem genius generis. 
Die Laren aber können wieder nicht ohne die Penaten gedacht 
werden, mit denen sie gewöhnlich zusammen verehrt wurden und 
von denen sie sich nur durch die speciellere Beziehung auf den 
Haushalt und Hausstand unterschieden, während die Laren gewöhn- 
lich für die verklärten Geister der Verstorbenen aus der Familie 7a 
gehalten wurden. Beide, die Laren und die Penaten, walten aber 
auch auf dem Lande, auf den Strafsen, desgleichen in der Stadt 
als dämonische Behüter der Strafsenquarüere, endlich im Mittel- 
punkte des gesammten Gemeindelebens als Lares Praestites und 
Penates Publici, immer mit der vorherrschenden Beziehung auf 
menschliche Ansiedelung und menschlichen Verkehr, daher nament- 



l ) [W. Sonne in Kuhns Z. für vergl. Sprachforschung 10, 104 stellt cer- 
ritus «= cersitus zu xoqan und erklärt es: kopfsüchtig, wahnsinnig.] 

») Arnob. III, 40 Caesius (wohl Caecina s. S. 61 [doch s. Müller ßtr. 1 », 
36 — 86]) et ipse eas sequens (sc. disciplinas Etruscas ) Forlunam arbitratur 
( esse Penates J et Cererem Genium Io via lern ac Palcm, sed non illam 
feminam quam vulgaritas accipit, sed masculini nescio quem generis ministrum 
lovis ac vilicttm. Gewöhnlich interpuogirt man Cererem, Genium , lovialem, 
aber vgl. Servius A. II, 325 Tusci Penates Cererem, Palem et Fortun am 
dieunt. [Dagegen Bursian Liter. Centralblatt 1859, S. 608.] 

•) [Die Vermischung von Genien, Laren, Penaten, Manen, ja Lemuren 
u. a. , welche bereits zu Ciceros Zeit (vgl. Timae. 11) und bald nach ihm 
noch mehr (bei Nigidius Figulus, Granius Flaccus, Labeo u. a.) gangbar ge- 
wesen ist, geht wohl im wesentlichen auf die Anwendung der stoischen Dä- 
monenlehre auf die römische Religion zurück und hat bis auf den heutigen 
Tag nicht eine genügend durchgreifende Kritik erfahren: Jordan Ann. d. inst. 
1872, 40f. Niederschläge dieser Theorien, wenn auch mit späteren Zuthaten 
versetzt, sind die unten S. 74 citirten Phantastereien von Apulejus de deo 
Soor. p. 49 Elm. und Martianus Capeila 2, 149 ff. Das Nähere über die ein- 
zelnen Gottheiten s. Abschn. X.] 

Preller, Horn. Mythol. I. 3. Aud. 6 



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82 ERSTER ABSCHNITT. 

lieh die Penaten der Vesta so nahe standen. Und eben wegen 
dieser specitischen Beziehung auf das häusliche, gesellige, bürger- 
liche Leben treten sie durchweg als eine eigene Klasse aus dem 
allgemeineren Geschlechte der Genien heraus , obwohl diese als 
genii locorum und populorum und als die dämonischen Triebe und 
Schutzgötter so vieler Corporationen und Stiftungen, der Gewerke, 
der Heere von jenen oft sehr schwer zu unterscheiden sind. Pe- 
nates ist ohnehin nur ein Adjectiv , bei welchem man am natür- 
lichsten genii ergänzen wird 1 ). Das Wort lar dagegen entsprach 
wenigstens in dem benachbarten Etrurien dem griechischen ava%, 
freilich in anderer Declination, da man lars larlis Ton dem hohen 
Adel sagte, z.B. Lars Porsenna 8 ), während im Lateinischen die 
lares oder lases immer nur verklärte Geister sind, Schutzgeister 
der Flur, der Wege, der Häuser, die als Selige der Vorzeit gedacht 
wurden. Daher die altlatinische Todesgöttin Lara oder Larunda, 
welche auch die Mutter der Laren und Mania genannt wurde, des- 
gleichen Acca Larentia [unten VI, 5], eine Personification der 
römischen Stadtflur und ihres tellurischen Segens. Auch ist larva 
offenbar dasselbe Wort wie lar, nur dafs dieser immer männlich 
und als Schutzgeist gedacht wurde, larva dagegen weiblich und als 
anima, ifwxv d- h. als die umgehende Seele eines Verstorbnen, als 
Spukgeist , woran sich sehr natürlich die Vorstellung einer Strafe 
schlofs, so dafs die Laren auch für die verklärten Geister der Guten, 
die Larven und die gleichbedeutenden Lemuren für die rastlos um- 
schweifenden Geister böser Menschen genommen wurden. Dafs ein 
solcher Unterschied in dem gewöhnlichen Todtendienste nicht ge- 

l ) [Vielmehr dei, wie sich Abschn. X ergeben wird.] 

*) Liv. II, 9 [Tolumnius IV, 17]. Daher Larth, Larthia oft als Ehren- 
Dame auf etruskischen Grabschriften vorkommt. [Vielmehr sind es regelrechte 
männliche und weibliche Vornamen , Larth verschieden von dem gleichfalls 
männlichen Vorn. Lar. Corssen Spr. d. Etr. I, 301 u. ausführlich Deecke Etr. 
Forsch. 3, 174 ff.: mit den Laren haben sie Nichts zu thun]. Der Unterschied 
in der Declination wird von den lateinischen Grammatikern angemerkt, s. Charis. 
S. 136 Keil nnd den alten Zusatz zu Prisciaa V, 3, 13 S. 149 Hertz. Auf 
etruskischen Spiegeln ist Lasa wiederholt der Name einer weiblichen Flügel- 
figur, Gerhard I, 37, 181. [S. lasa Feeu, lasa Racuneta, lasa Sämica: Corssen 
Etr. I, 256 ff. Ihnen verwandt scheinen die Göttinnen Mpan, Mean (das. 256 ff.). 
Daneben kommt ein männlicher Laran, Lalan vor: das. S. 252. Der auch von 
Corssen Etr. 1 , 246 (vgl. Ausspr. 2 , 309) angenommene Zusammenhang des 
Etr. lata mit Loses, Lares besteht unzweifelhaft nicht (vgl. Deecke zu Müller 
2, 97), so wenig sicher auch die Ableitung dieses iNamens ist. Vgl. X.] 



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DIE LAREN UND PENATEN. 



83 



macht wurde, beweist der alte und allgemein verbreitete Gebrauch 
des Wortes M a n e s [unten VII, 1] von allen Verstorbenen, nament- 73 
lieh mit dem Zusätze Di vi Man es d. h. die durch den Tod und 
die Weihe der Bestattungsgebräuche geläuterten , erhöhten und 
gleichsam consecrirten Verstorbenen , welche fortan wie andere 
Götter und Geister verehrt wurden. Denn Manes sind eigentlich 
die Lichten, die Reinen, die Guten, daher mane und Mater Ma- 
tuta [unten III, 7] von dem aufsteigenden Lichte des jungen Ta- 
ges und seiner Göttin, manus in der Bedeutung von bonus, clarus, 
prosper, immanis in der Bedeutung unseres ungeheuer 1 ), dahin- 
gegen die Manen den Holden und Elben unsrer deutschen Mytho- 
logie entsprechen. Ein verklärtes Volk der Geister, welche unter 
der Obhut der Mania, der mater larum, Varro 1. 1. IX, 61, die 
stille Erdtiefe bewohnen und deshalb auch die Stummen, Silentes, 
und die Unteren, Inferi, genannt wurden, wie Lara oder Mania 
selbst schlechthin "die Stumme" hiefs, s. Ovid. Fast. II, 581 ff. In- 
dessen konnten auch sie recht gut zu dem allgemeinen Geschlechte 
der Genien gerechnet werden, wie denn sehr häufig der Genius 
als der verklärte Geist eines verstorbenen Mannes, [seltener Iuno 
als der einer verstorbenen Frau (vgl. S. 76)] gedacht und deshalb an 
Gräbern verehrt und angerufen wurden 8 ). Ja die Manen wurden 



*) Varro LI. VI, 4 [vgl. Fest. 0. manare p. 158] Diei prineipium mane, 
quod tum manat dies ab Oriente, nisi potius quod bonum antiqui dice- 
bant manum , ad quoiusmodi religionem Graeci quoque quom turnen adfertur 
solenl dicere fptos «ya&ov. Paul. p. 122 Matrem Matutam antiqui ob boni- 
tatem appellabant — et Inferi dii Manes, ut suppliciter appellati bono essen t. 
Ib. p. 125 Mane a diis Manibus dixerunt, nam mana bona dicitur. Non. 
Marc. p. 66. Manum dicitur darum. — In de volunt etiam deos Manes manes 
appeUari i. e. bonos ac prosperos. — Inde i mm an es non boni, ut saepe. Vgl. 
Serv. V. A. III, 63. Die Elben oder Elfea sind nach Grimm D. M. 413 
ursprünglich lichte, weifse, gute Geister, lieber die Holden, Holdichen, 
Holderchen, die sich zur Frau Holde verhalten, wie die Manen zur Mania, 
s. ib. 425 [Corssen A. 1 2 , 432]. 

•) S. die reiche Sammlung von Grabinschriften bei Fabretti Inscr. p. 
70 sqq. und Orelli n. 1723 ff. Ueber lunones von Verstor benen Fabr. p. 74. 
[Beispiele sind nicht allzu häufig. Die ganze Frage kann erst nach dem Er- 
scheinen der SepulcralU von Koni (vgl. Or. 696, 1 3 1 9 f . , 1723) befriedigend 
behandelt werden. Sonst vgl. z. B. Pompej. I. R. Y 2340 Lambäse Renier 
Alg. 1194 Oberitalien (besonders Mailand, Turin) Index C. I. L. 5 p. 1179. 
Die Verschiedenheit von genius und manes wird betont z. B. C. I. L. 5, 246 
dis manibus et genio. Dazu geboren endlich noch die dii parentes: unten.] 

G* 



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84 



ERSTER ABSCHNITT. 



von späteren Erklärern geradezu mit den Genien identificirt und 
der früher nur von Verstorbenen gebrauchte Name nun auch von 
den Schutzgeistern der Lebenden gebraucht 1 ). Selbst Varro, wel- 
cher sich nach seiner Art zugleich von den positiven Gründen der 
Alterthumsforschung und von der griechischen Philosophie bestim- 
74 men liefs, erklärte wo er jenen folgte die Laren, Manen und 
Larven d. h. die Geister der Verstorbenen in gewifser Hinsicht für 
Genien 

Also ein sehr weit verbreitetes Reich der Geister, welches sich 
die späteren Theologen nach der herkömmlich gewordenen Eiu- 
theilung der Welt in den höheren Lichtkreis des gestirnten Himmels 
und in die sublunarische Welt des irdischen Luft- und Nebelkreises 
an diese letztere gebunden dachten. So lehrt auch Varro bei 
Augustin C. D. VU, 6, die ganze Welt sei voll von Geistern (animae), 
aber nur die im Aether lebenden Geister der leuchtenden Sterne, 
die man mit leiblichen Augen sehen könne, seien unsterblich, nicht 
die Nebelgeister der Luft, des Wassers, der Erde, des sublunarischen 
Kreises überhaupt, welche man nicht sehen könne, dieselben Geister 
welche im gewöhnlichen Gottesdienste als Heroen, Laren und Genien 
verehrt würden. Aehnliche und noch weiter ausgeführte Unter- 
scheidungen findet man bei Apulejus [de deo Socr. p. 49 Elm. c. 15 
p. 17 f. Goldb.] und bei Martianus Gapella H, 155 — 162, wie sich 
denn die spätere Theologie und Philosophie, vollends seitdem sie 
von den Neuplatonikern beherrscht wurde, immer mit ganz besondrer 
Vorliebe auf die Dämonologie des älteren Volksglaubens eingelassen 
hat. Dieser selbst aber kannte solche Eintheilungen und Abgrenzungen 
natürlich nicht, der der Griechen und der italischen Bevölkerung 
um so weniger, da eine ähnliche Verehrung der Gestirne, wie sie 
im Oriente gewöhnlich war und sich später von dort auch über 
den Occident verbreitet hat, beiden fremd war. Wohl aber kannte 
der italische Genienglaube nicht blofs Genien der Menschen, der 

') Serv. V. A. III, 63 Sunt etiam qui putenl Maries eosdem esse, quos ve- 
tustas Genios appellavit, duosque Manes (ein guter uod ein böser Dämon) cor- 
poribus ab ipsa statim conceptione assignatos fuisse, qui ne mortua qui dem 
corpora deserant consurnptisque etutrn corporibus sepulcra inhabüent. Ks sind 
die Neuplatoniker, s. Augustin C. D. IX, 11. 

*) Arnob. III, 41 Varro similüer haesitans nunc esse Mos (sc. Lares) Manes 
et ideo Maniam matrem esse cognominatain Lamm , nunc aerios rursus deos 
et heroas pronuntiat appellari, nunc antiquorum sententias sequens larvas dicit 
Lares, quasi quosdam genios et defunctor um animas. 



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GENIEN DER GÖTTER. 



85 



irdischen Verhältnisse, der Verstorbenen, sondern auch Genien der 
Götter, ein sehr eigenthümlicher Glaube, welcher eben deshalb nicht 
leicht zu erklären ist So heifst es in einer merkwürdigen Inschrift 
aus Furfo im Lande der Vestiner bei Mommsen I. N. n. 6011, Orelli 
n. 2488, [C. I. L. 1, 603] der Stiflungsurkunde eines Tempels 
des luptter Liber v. i. 58 v. Chr.: Sei quei ad hoc templum rem 
deivinam fecerit lovi Libero aut lovis Genio, pelleis coria fanei 
sunto, und in den Urkunden der Arvalischen Brüder t. 32 und 43 
[s. Bensen Acta S. 144] wird auf dieselbe Weise neben der Haupt- 
göttin des Haines, der Dea Dia, eine luno Deae Diae genannt, wie 
bei Or. n. 1882 eine luno der Isis Viclrix. Eben dahin gehört der 7* 
Genius Iunonis Sospitae bei Martian. Cap. I, 53, ein Genius Priapi 
bei Petron. 21, ein Genius Famae bei Martial VII, 12, 10 ein Genius 
Forinarum, welche Göttinnen zu Rom verehrt wurden, bei Or. n. 
49 = 1712 [=C. I. L. 6, 422], ein Genius Somni bei Or. n. 1681: 
neben welchen Stellen und Inschriften des eigentlich römischen 
Sprachgebrauchs viele Ahnliche aus verschiedenen Gegenden des 
Reiches beigebracht werden können: Or. n. 1731 [= C. I. L. 5, 
5216] Genio Asclepii aus der Gegend von Lecco am Corner See, 
lb. n. 1351. 1352 Genio Marlis aus Rheinbaiern, Henzen n. 5866 
Genio Mercurii Alauni aus Mannheim, Creuzer D. Sehr. II, 2, 361 ff. 
Genio Apollinis aus dem badischen Unterrheinkreise, Seidl Dolichenus- 
cult S. 69 n. 43 Genium 1. 0. M. D. d. h. lovis 0. M. Dolicheni 
aus Niederöstreich, [ein Genius Virtutum bei Ren. Alger. 1515, ein 
Genius Lib(eri) Aug(usti) C. I. L. 5, 326, unter vielen anderen Gott- 
heiten in Tarraco ein G. lovis, G. Marlis, G. Victoriae und endlich 
G. Meus 2, 2407 u. a. m.]. Also eine eben so weit verbreitete 
und ausdauernde als in ihrer Wurzel gewiß italische und alt- 
römische Vorstellung, deren Grund und Absicht auf verschiedene 
Weise erklärt worden ist. Einige, wie Creuzer a. a. 0. haben sich 
diese Genien der Götter als deren Ausflüsse und Epiphanien gedacht, 
oder mythologisch aufgefafst als zeugungsfähige Söhne, Boten und 
Diener der Götter, deren Namen sie führen, Andre, wie Schömann 
und Ukert 1 ), als untergeordnete und dienende Gehülfen, wie die 
dalfiovtg ttqotioXoi im Cultus der Griechen: gegen welche Er- 



l ) Ukert über Dämonen , Heroen und Genien in den Abb. d. Piniol. Hiator. 
Cl. der K. Säebs. Geaellacb. d. W. 1, 137—219, Schümann de Dia Manibna, 
Laribna et Geoiia, Opusc. acad. 1, p. 350— SSO. 



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86 



ERSTER ABSCHNITT. 



Erklärungen vorzüglich dieses spricht, dafs hei jedem Gottesdienste 
immer nur ein Genius genannt wird, nicht mehrere, selbst dann 
nicht, wenn die angebetete Gottheit selbst im Plural benannt ist 
z. B. Genius Forinarum, [Virtutum]. Es scheint mir deshalb richtiger 
diese Genien den geniis locorum unterzuordnen, so dafs sie für die 
Repräsentanten der in einem bestimmten örtlichen Cultus verehrten 
Gottheit zu halten wären 1 ), welche gleichsam für und anstatt dieser 
Gottheit die Opfer, Gebete, Gelübde der Frommen in Empfang 
nehmen: also für das localisirte numen dieser Gottheit, wie 
sich denn in der That in der Praxis des römischen Gottesdienstes 
die Begriffe numen und genius sehr nahe standen, vgl. Or. n. 1770 
[= C. L L. 6, 1770] aus Rom : Numini Fortis Fortune, Ib. n. 2192 
Sacerdos Publ. Numinis Cap(uani), Henzen n. 5758* [=Ren. Alg. 93] 
die Inschrift eines Quellenhauses : Numini Aquae Alexandrianae ; 
hanc aram Nymphis extruxi u. s. w., bei Fabr. p. 77, 87 [C. I. L. 
6, 151] sogar ein Genius Numinis Fontis. [Ferner, C. I. L. 3, 
985: numini Aesculapio et Hygiae, 6, 6: Aesculapio . — gratias 
agentes numini tuo 3, 1562: dis et numinibus Aqua nun, Bull. dell. 
inst 1870, 19: numini evidentissimo (das gr. ijTKpa^ijg) Mi- 
nervae Aug.; C. I. L, 6, 3681: Fortunae Primigeniae aram ex voto 
posuerunt, numin(i?) eius inb. eius (so verdorben) privato. Doch 
gehören diese Vorstellungen z. Th. zu den oben S. 52 behandelten.] 
Womit übrigens nicht in Abrede gestellt werden soll dafs hin und 
76 wieder diese Genien wirklich in eine genealogische Verbindung mit 
den Göttern, welche sie zu vertreten hatten, gebracht oder auch 
mythologisch für deren Diener und Gehülfen angesehen worden 
sind, vgl. den schon einmal angeführten Ausspruch des Aufustius 
bei Paul. p. 94 Genius est deorum filius et parens hominum. 
Namentlich scheint die Theologie der Etrusker in dieser Hinsicht 
sehr weit gegangen zu sein , da z. B. das wunderbare Kind Tages, 
ein Kind an Jahren, grau vor Weisheit, welches bei Tarquinii im 

*) [Diese Auffassung trifft gewiss allein das richtige: der genius dei, die 
iuno deae sind die Persönlichkeiten dieser im Kultus individualisirten Per- 
sönlichkeiten, welche wie die einzelnen Menschen ihr Haus (aedis), in welchem 
sie allein herrschen und nur Schutzbefohlene Mitbewohner aufnehmen, ihren 
Geburtstag (natalis), ihr Vermögen (sacra res, supellex) haben: vgl. Jordan 
Eph. epigr. 1872, 232 ff., Top. 2, 276. Wenn von genü weiblicher Gottheiten 
die Rede ist [Furinarum, Virtutum), so ist das ungenau oder es mischt sich 
hinein der freilich verwandte Begriff der Tutela und des Genius huius loci, 
über welchen mehr Abschn. X.] 



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DIE GEMEN. 



87 



frischgepflügten Felde auftauchte und den Lucumonen Etruriens die 
Grundzüge der Haruspicin offenbarte, Genii fllius und nepos lovis 
genannt wird, s. Fest. p. 359, Cic. de Divin. II, 23, 50 u. A. [Müller 
Etr. 2 8 , 24 ff.] Eben dahin gehört wohl auch die etruskische Lehre 
von den Penaten, über welche Arnobius III, 40 aus verschiedenen 
Schriftstellern allerlei Unklares zusammengetragen hat. Es werden 
nehmlich hier zuerst nach Nigidius vier Klassen der Penaten unter- 
schieden, Penaten des Jupiter oder des Himmel«, Penaten des Nep- 
tun oder der Gewässer, Penaten der Unterwelt und viertens die 
gewöhnlichen Penaten unter den Menscheu auf der Erde, und da- 
rauf aus einem andern Schriftsteller als Penaten des Himmels, wie 
es scheint, namhaft gemacht : Fortuna , Ceres oder der Genius Io- 
vialis und der männliche Pales, ein Diener und gleichsam der länd- 
liche Statthalter des Jupiter, wie von ihm hinzugesetzt wird : wenn 
ich anders diese nachlässig excerpirten Bruchstücke einer dunklen 
Lehre richtig verstanden habe 1 ). 

Das Walten und Wirken der Genien wurde natürlich noch 
geisterhafter gedacht als das der Götter, daher sich die Vorstellung 
hier auch weit länger gegen die Bilder in menschlicher Gestalt ge- 
sträubt hat. Immer ist das Bild der Schlange im Volke das ge- 
wöhnliche für die Genien geblieben, selbst in Rom und nachdem 
die ofticielle Darstellung z. B. des Genius Populi Romani die mensch- 
liche geworden war [unten X, 2]. Was das Geschlecht betrifft, so 
ist der Begriff des Genius zwar männlich, doch liefs man es in ge- 
wissen Fällen dennoch dahingestellt sein (S. 56, 1), während sonst 
die Frauen anstatt der Genien ihre Iunones hatten*) und in 
solchen Häusern, wo Mann und Frau in blühender Ehe lebten, 77 
zwei Genien angenommen wurden, die sich hin und wieder durch 
die Erscheinung von zwei Schlangen , einer männlichen und einer 
weiblichen, am Ehebette offenbarten. Und so pflegte auch den 
Ortsgenien entsprechend eine weibliche Fortuna oder Tutela loci 

l ) Nigidius — discipUnas Etruscas sequens gener a esse Penatium quattuor 
(prodidit) et esse lovis ex his alios, alios Neptuni, Inferorum tertios, morta- 
Uum hominum quartos, inexpUcabile nescio quid dicens. Caesius et ipse eas 
sequens Fortunam arbitratur et Cererem Genium Iovialern ac Patern, etc. 
Vgl. oben S. 71 and 0. Möller Etrusker 2, 88 ff. [Möglich dafs zu diesen 
dienendes Gottheiten der E. die Maris gehören: Corssen Etr. 1, 263 ff.] 

») Plin. EL N. II, 16 maior caelüum populus etiam quam hominum — , 
cum singuli quoque ex semet ipsis totidem deos faciant, Iunones Geniosque ad- 
aptando sibi. [Vgl. unten S. 242, 566.] 



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88 



ERSTER ABSCHNITT. 



verehrt zu werden , obwohl der Genius schlechthin auch hier das 
Gewöhnlichere war. Endlich liefs man auch hier gewisse ethische 
Unterschiede gelten, indem man lichte und dunkle, freundliche und 
feindliche, gute und böse Genien annahm, wobei es freilich schwer 
ist den griechischen Glauben der späteren Zeit von dem älteren 
italischen und griechischen zu unterscheiden. Da indessen nach 
italischem Volksglauben selbst unter den Göttern auf ähnliche Weise 
unterschieden wurde (S. 47), so mag es bei den Genien noch viel 
mehr der Fall gewesen sein, vollends bei den Etruskern, deren 
Dämonologie überhaupt sehr weit ausgebildet war und deren Ge- 
müth ohnehin zum Schrecklichen und zur Selbstpeinigung neigte; 
wenigstens sind die Bilder und Gemälde ihrer Gräber sehr reich 
an allerlei Schreckgestalten der Geisterwelt Doch darf man für 
gewifs halten, dafs der gewöhnliche Glaube an den genius natalis 
für jeden Menschen nur einen solchen zu lief s, welcher indessen je 
nach der individuellen Begabung, dem sittlichen Verhalten und dem 
Geschick oder Ungeschick des seiner Hut befohlenen Menschen 
selbst mächtiger oder ohnmächtiger, reiner oder weniger rein, ge- 
schickt oder ungeschickt galt, wie dieses später weiter ausgeführt 
werden wird. Hier sei nur auf den Excurs über die Genienlehre 
bei Ammian. Marc. XXI, 14 verwiesen, wo die eigne sittliche An- 
strengung des Invividuums ausdrücklich vorbehalten und dem Tüch- 
tigen die unsichtbare Hülfe seines Genius versprochen wird, wie 
Scipio d. Ä. , Marius und Octavian nur im Vertrauen auf ihren 
Genius und von demselben unterstützt so Aufserordentliches hätten 
leisten können. Dagegen soll der Glaube an zwei Genien für jeden 
Menschen unter den griechischen Philosophen zuerst von dem Me- 
gariker Euklides ausgesprochen und nach diesem von dem römi- 
schen Dichter Lucilius weiter ausgeführt sein, Gensorin d. d. n. 3, 
eine dualistische Lebensansicht, welche hin und wieder zwar nach- 
gesprochen wird J ) , aber auf den herrschenden Glauben niemals 
Einflufs gewonnen hat. 

3. Die Semonen und Indigeten. 

Heroen in dem Sinne der griechischen Heldendichtung hat 
Italien allerdings nie gehabt; es fehlte eben die wesentliche Be- 

») S«rv. V. A. VI, 743 cum natcimur duos Genios tortimur. Unus est 
qui hortalur ad bona, alter qui depravat ad mala: quiius astistentibu* post 
mortem asser itnur in meliorem vitam aut condemnamur in deteriorem. 



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DIE SEMONEN. 89 

dingung einer solchen, das nationale Epos. Wenn die griechischen 
Schriftsteller das römische Wort lar durch ygoag übersetzen 1 ), so 
ist dieses Wort dabei nur in seinem späteren Sinne zu verstehen, 
wo es jeden verklärten Geist eines Verstorbenen bezeichnete und 
beinahe gleichbedeutend mit daipcov war. Wohl aber ist eine ge- 
wisse Anlage zum Heroenglauben im Sinne der älteren griechischen 
Sage auch in Italien nicht zu verkennen, ich meine den Glauben 
an personificirte Schutzgeister, welche für die Urheber der ältesten 
nationalen Stiftungen , Verbündungen und Staaten , die ältesten 
Könige, die ältesten Anfuhrer im Kriege galten und bei den Grie- 
chen gewöhnlich als ygcosg i/ccovvfiot, intxcoQioi,, xilatai d. h. 
als die idealen Urheber der ältesten Benennungen eines Volkes, der 
Blüthe seiner Landschaft und der Gründung seiner Städte verehrt 
wurden. Nur dafs auch dieser Glaube in den meisten Fällen so 
sehr bei den ersten Anfangen stehen geblieben ist und so wenig 
die Kraft einer originalen Sagenbüdung bewiesen hat, sei es dafs 
dieselbe überhaupt nicht vorhanden war oder dafs ihre Entwicklung 
so früh gestört wurde, dafs gewöhnlich auch hier die griechische 
Mythologie hat aushelfen müssen, z. B. beim Hercules und beim 
Aeneas, wo der Kern ein latinischer ist, aber der Name und aller- 
lei mit demselben übertragener Putz der griechische. In andern 
Fällen, wie in gewissen Sagen aus Praeneste, aus dem sabini- 
schen Cures, selbst in der Sage von Romulus und Remus, sind die 
Bilder schon concreter und die Gestalten so fest geworden, dafs der 
originale Kern sich auf die Dauer behaupten konnte. Aber merk- 
würdiger Weise und ganz im Sinne der politischen Vorbestimmung 
Italiens werden auch diese Heroen mit besonderer Vorliebe als Ur- 
heber der ältesten Staaten und als Gesetzgeber geschildert, deren 
Verdienst, damit es um so glänzender hervortrete, gewöhnlich auf 
dem Hintergrunde eines durch sie überwundenen Lebens von armen 

') So übersetzt Dionys. Hai. die lares compüales durch rjototq nQovtömoi 
und Derselbe IV, 2 und Plutarch d. fort Ro. 10 in der Geschichte des Servins 
Tullius den Ausdruck lar fa miliaris durch 6 xect olxlttv rjnwg oder r/o mg 
oIxovqos. Vgl. die Gloss. Labb. ^wf c lares, lares yowts xaroixtötoi und 
Cicero Fragm. Timaei 11 Reliquorum autein, quos Graeci taipovas appellant, 
nostri ut opinor lares, si modo hoc rede cottversum videri potest. [Die Er- 
finder der Gleichstellung des lares und ygutes gehören in die Reihe der S. 81 
A. 3 characterisirten philosophirenden Grammatiker. Fustel de Coulaoge, 
La cite antique, 2. A. S. 20, u. a., halten diese Theorie für geschichtliche 
Ueberlieferung.] 



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90 



ERSTER ABSCHNITT. 



79 Hirten und bösen Räubern erscheint, weit weniger als Helden natio- 
naler Kriege und Schlachten, mit denen sich die italische Sage nie- 
mals eingehender beschäftigt zu haben scheint. 

Es handelt sich hier von den schwierigen Begriffen der Se- 
monen und der Indigetes, die schon den Alten mit der Zeit 
sehr unklar geworden waren, aber beide mit einiger Sicherheit als 
nationale Laren oder Genien deOnirt werden können. Als 
solche d. h. als Schutzgötter und ideale Vorstände einer ganzen 
Landschaft oder Nation hatten sie von derselben sicher auch ge- 
wisse Grundzüge einer bestimmteren Gharacteristik durch Eigen- 
schaften und örtliche Verehrung angenommen und dieses mag die 
Ursache sein, weshalb man sie von der allgemeinen Klasse der 
Genien und Laren ausschied und besonders benannte. Offenbar 
sind sie es welche mit den griechischen Heroen des älteren Glau- 
bens noch am meisten Verwandtschaft haben. 

Die Semones werden als den Laren gleichartige Wesen schon 
durch das Lied der Arvalbrüder characterisirt, dessen erste Hälfte 
mit dem Verse beginnt: E nos Lases iuvate, während die corre- 
spondirende zweite so anfangt: Semunis alternei advocapit conctos 
d. h. Semones alterni advocabite cunctos ! ). Den Plural Semones 
kennt auch Martian. Cap. n, 156, obwohl er bei seiner Erklärung 
des Wortes irrthümlich an Semis denkt und deshalb die Semonen 
für Halbgötter (Semidei, rjfjtl&sot) d. h. im Sinne der Griechen für 
Heroen hält 8 ). Endlich kennen wir namentlich den sabinischen 



J ) So die gewöhnliche Erklärung, welche für unrichtig zu halten mich die 
Bedenken von ßergk Ztschr. f. A. W. 1856 n. 18 nicht bestimmen können. 
[Doch vgl. Jordan Krit. Beitr. 210.] 

*) [Sed supetior portio eos sie ut conspieis claudit quos rjuiOtoi; dicunt 
quosque Latine Semones aut semideos convenit memorart. Nichts anderes als 
die Notiz, die Semonen seien Halbgötter, hatte, wie schon Härtung und Lersch 
bemerkt haben, der Falscher Fulgentius vor Augen, dessen Zeugnifa P. im 
Text gelten litis de abstr. serm. S. 561 (vgl. Lersch S. 40) : Semones dici 
voluerunt deos, qttos nec caelo dignos ascriberent ob meriti paupertatem, sicttt 
Priapus Epona Vertumnus, nec terrenos eos deptäare vellent pro gratiae vene- 
ratione sicut Farro {Varro fehlt in Lerschens Brüsseler Hsch.) in Mystagogo- 
rum (ysagogarum eine Brüss. Hs.) libro ait : Semoneque inferius derelicto detim 
pinnato orationis edtollam eloquio (semonesque i derelicios die eine Brüss. Hs.; 
pinnato Für depennato Preller). Fiogirt ist das Citat und rein willkürlich die 
Anführung der drei Götter. Verunglückt ist Hartungs Conjektor (Rel. 1, 42): 
in universo* semunis (homines die Hs.) seien die Salierlieder verfasst. Vgl. 
Jordan Krit. Beitr. S. 204.J Einige unterschieden zwischen Halbgöttern und 



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DIE INDIGETEN. 



91 



Semo Sailens, welcher identisch war mit dem Schwurgotte DiusFidius 
und dem römischen Hercules so nahe stand, dafs er mit ihm ver- 
wechselt werden konnte, s. Varro 1. L V, 66 Auch dieser römische 
Hercules aber war, wie ich unten [XI, 1J weiter ausführen werde, 
kein Gott im strengeren Sinne des Worts, sondern ein Genius, der so . 
schaffende und schützende Genius der römischen Stadtflur, welcher 
später mit dem frühzeitig auch in Italien für gleichartige Gestalten 
sehr behebt gewordenen Namen des griechischen Heroen benannt 
wurde. Die rechte Wurzel des Wortes Semo ist schwer zu finden, 
doch scheint es nicht blos dem sabinischen, sondern auch dem la- 
tinischen Dialecte angehört zu haben, da es sich sonst kaum in 
jenem alten Liede der Arvalbrüder finden würde. Am natürlichsten 
wird man es mit Härtung u. A. von dem Stamme sero, semen, 
semino ableiten, von welchem auch die Göttin Semonia ihren Na- 
men hatte. Das seltnere und altertümliche Wort Semo würde 
dann genau dem gewöhnlicheren Genius entsprechen, da es in einem 
ähnlichen Verhältnifs zu serere stände wie dieses zu genere. Wie 
alt und tiefgewurzelt auch in Italien die Uebertragung der Vorstel- 
lung des Säens auf Zeugung, der Saatgottheiten auf die Gottheiten 
des Anfangs, der Erzeugung, der Bildung und ersten Cultur über- 
haupt war, das beweist sehr deutlich die Verehrung des Janus Con- 
sivius, des Saturnus, der Ops Consivia u. dgl. m. *). 

Nicht weniger schwierig ist die etymologische Erklärung des 
Begriffs der Indigetes oder Indigites, wo die Alten mit ihrer 
mangelhaften Etymologie wieder fehlgreifen, aber durch ihre Etymo- 
logieen doch wenigstens die herrschende Vorstellung ausdrücken, 
s. Servius zu Virg. Ge. I, 498 u. Aen. XII, 794. Nigidius Figulus, 
ein ebenso schlechter Etymolog als Varro, leitete das Wort ab von 
egere, Indigetes seien überhaupt alle göttliche Wesen, quasi nullius gi 



Heroen, z. B. Labeo b. Augustin C. D. II, 14, welcher Plato zu den Halb- 
göttern rechnete, wie Hercules und Romulus. Semideos atdem heroibus ante- 
ponit, sed utrosque inter numina collocat. [Endlich ist anzuführen, dafs nach 
dem Zeugnifs des Baebius Macer, eines Zeitgenossen des Trajan, bei Serv. A. 
IX, 47 dem Caesar bei Lebzeiten eine Statue mit der Inschrift Caesari hemitheo 
gesetzt wurde. Ueber diese Anknüpfung des Kultus der divi an die Heroen- 
verehrung, vgl. Jordan Hermes 9, 345. 355.] 

') [Vgl. fiugge, Altital. Studien (Chris tiania 1878) S. 71 f. Jordan Krit. 
Beitr. S. 206 : Semunis st. Semones kommt auf Rechnung der späten und 
fehlerhaften Steincopie des Arvalenliedes]. 



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92 



ERSTER ABSCHNITT. 



rei egentes 1 ), welche Erklärung schon dadurch widerlegt ward dafs 
das Wort im gewöhnlichen Sprachgebrauch eine so allgemeine Be- 
deutung nie gehabt hat. Andre erklärten Indigetes proprie sunt 
dii ex homnibus facti, quasi in diis agentes, also consecrirte Sterb- 
liche von besonderm Verdienste, wie die Helden der Vorzeit und 
die Divi unter den Kaisern, und diese Erklärung, so wenig sie ety- 
mologisch haltbar ist, scheint nicht allein am meisten Anklang ge- 
funden zu haben 2 ), sondern auch das Wesen der Sache am meisten 
zu treffen, nur dafs diese Divi nicht wirkliche Menschen gewesen 
waren, sondern schützende Genien des Landes und der Nation, 
welche in den Sagen der Vorzeit als Menschen erschienen. Noch 
Andre erklärten ab invocatione Indigetes diclos, quod indigeto est 
precor et invoco , wodurch diese schwierige Untersuchung mit der 
gleichfalls schwierigen über die Bedeutung der priesterlichen Indi- 
gitamehta in Verbindung gebracht und dadurch vollends erschwert 
worden ist 3 ). Mir scheint, um hier gleich meine Ansicht über 
beide Benennungen auszusprechen, das Wort Indigitamenta mit 
index und indicare zusammenzuhängen, wie denn auch der seit August 
als Sol Indiges verehrte Sonnengott nicht wohl etwas Anderes ge- 
wesen sein kann als der Späher, der Anzeiger, der index, in dem- 
selben Sinne wie in Athen ein Hercules Mijvvrjig verehrt wurde, 
s. Cic. d. Divin. I, 25, 54 [s. Griech. M. 2, 259 A. 1]. Der Name der 
Indigetes dagegen scheint mir abgeleitet werden zu müssen von 
i n d u und g e n o , zumal da auch die Form Indigentes im Ge- 
brauche war 4 ). Also eingeborene Genien oder Heroen, örtliche 
82 Schutzgeister die an einem bestimmten Orte und im engsten Natur- 

») Vgl. M. Hertz de P. Nigidii Fig. stud. p. 20. 36. Cato d. Ä. hatte 
eioe Rede de Indigitibus gehalten, s. Fest. p. 339 Sequester [Jordan S. 70], 
so dafs also die Vorstellung bis dahin ziemlich feststehen mufste. 

*) Arnob. 1, 64 tyrannos ac reges vestrot — appellatü Indigetes atque Divos. 
Vgl. Sil. Ital. X, 437 Indigetesque Dei, sponie inter numina nosira. Claudian 
de hello Gildon. 131 Macrent Indigetes et si quos Roma recepü aui dedit 
ipsa deos. 

») Klausen Aeneas und die Penaten S. 907 ff. 

«) Vgl. die verstümmelte Inschrift vom Forum in Pompeii, die zu einem 
Bilde des Aeneas gehörte, bei Mommsen I. N. >. 2188 [C. I. L. 1 , p. 283] 
Aeneas Feneris et Anchisae filius — ( cum nimbo exorijo non con ( paruisset 
dictus J est Indigens (et in deorumj nurnero relaitts. Placidus Gloss. p. 474 
ed. Mai [p. 56 Deucrl.J Indiges dicitur interdum hemitheus — ab indigendo 
divinitate, qui cum homines fuerint, dicuntur tarnen divini. Dicunt etiam qui- 
dam Indigetes deos naturales et caelestes a contrario, quod nulüs indigeant. 



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und geschichtlichen Zusammenhange mit diesem Orte verehrt wur- 
den, die ^Qatsg iyyouuoi oder imxt*Q*oi der Griechen. Gewifser- 
mafsen die ansä£sig gewordenen Aboriginer, denn auch diese Vor- 
stellung ist weit mehr eine mythische als eine historische. 

Zu dieser Erklärung führt auch die Analyse verschiedener alter 
Eides- und Gebetsformeln sammt andern Stellen, in denen die In- 
digeten bald neben den Laren bald neben den Penaten bald neben 
andern Genien und Schutzgöttern des römischen Staates genannt 
werden. So spricht der Pontifex bei der Devotion des Decius nach 
Liv. VIII, 9 demselben diese Formel vor : lane, Iupiter, Mars Pater, 
Quirinus, Bellona, Lares, Divi Novensiles. Divi Indigetes, 
Divi quorum est potestas nostrum hosüumque, Diique Manes, vos 
precor etc. Desgleichen in der wichtigen, leider nur in griechischer 
Uebersetzung erhaltenen Verschwörungsiormel des Drusus bei Dio- 
dor Exc. Vat. XXXVII, 4, wo es mit einigen notwendigen Aende- 
rungen so heifst: öfiwp* tov Jla töv KantxüUov xai %yv 
l E(ftlav tijg l Ptofir]g xai tov natq^ov avtyg v Aqt\v xai töv ysv- 
aQ%fiv 'Evväliov*) xai evtqyinv ty&v xs xai (pvttav rijt>, 
it i di vovg xxiötag y eyevtj fisvovg Tyg'Pwfjbtjg tjpi&sovg 
xai tovg (fvvav^tjaavtag trjv fiytfiovlav avttjg yQutag, 
auf Lateinisch etwa: per Iovem 0. M., Vestam, Martern Patrem, Qui- 
lonum genitorem , Terram matrem , Deos Indigetes , wo jene Dii 
Patrii entweder die Lares publici oder die Penaten von Rom sind, 
die Indigetes aber (ich wüJste nicht welche Götter sonst verstanden 
werden könnten) deutlich neben ihnen als Schutzgeister des Staates 
bezeichoet werden. Dazu kommen die Stellen der Dichter bei der 
Anwendung ähnlicher Formeln, voran Virgil. Georg. I, 498 Dii 
patrii indigetes 8 ) et Romule Vestaque Mater, ferner Ovid. Met. XV, 
861 Di, precor, Aeneae comites, quibus ensis et ignis cesserunt 
(die troischen Penaten), Diaue Indigetes genitorque Quirine Urbis 
(d. i. Romulus) et invicti genitor Gradive Quirini (d. i. Mars), 

[Anders Corssen De Volscorum lingua pg. 18, nach welchem ladiges und 
indigitameota voa einem verschollenen Vernum indigere i. e. invocare 
abzuleiten sind. Indiges, aus indigetus wie mansoes aus mansuetua, be- 

*) So ist zu lesen für das gewöhnliche iov ytvnQXW "HUw n. t. tv~ 

■) Es war seit alter Zeit streitig ob zu interpungiren sei Dii patrii, in- 
digetes oder nicht. 



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94 



ERSTER ARSCHNITT. 



Vestaque Caesareos inter sacrala Penates. Endlich Lucan PharsaJ. 
ss 1 , 556 Indigetes flevisse deos nobisque laborem Testatos sudore 
Lares, und Silius Ital. Pun. IX, 294 Indigetesque Dei Faunusque 
satorque Quirinus, und dazu die Erklärung bei Paul. p. 106 Indi- 
getes dii. quorum nomina vulgari non licet 1 ), wodurch sie gleich- 
falls für schutzende Genien der Stadt und des Staates erklart wer- 
den, denn nur bei diesen wurde der Name so sorgfaltig geheimgehalten. 
Uebrigens gab es solche Indigeten nicht blos in Rom, sondern auch 
in Präneste, s. Serv. V. A. VIII, 698 ibi erant pontifices et dii In- 
digetes, sicut etiain Romae. Der einzige etwas näher bekannte 
Cullus der Art aber ist der mit Beziehung auf das alte fiundes- 
heiliglhum der Penaten von Lavinium am Numicius verehrte Pater 
Indiges oder Deus Indiges oder Iupiter Indiges d. h. Divus 
Pater Indiges, welcher später allgemein für identisch mit dem troi- 
schen Aeneas gehalten und deshalb auch als Aeneas Indiges an- 
gerufen wurde. Die gewöhnliche Erzählung lautete, dafs Aeneas in 
der Schlacht mit Turnus oder Mezentius plötzlich und zwar in dem 
Flufse Numicius verschwunden sei, worauf ihm sein Sohn oder 
die Latiner dieses Heiligthum errichtet hätten, wie Dionys. Hai. I, 64 
auf griechisch erzählt: xai avtta xara<fxfvä£ov(fu> ol Aailvoi 
rjQtooy tniyot((f i; i oiüds '*oOfiov(A£VOV flatQog &eov /'/orior 
6g noxapov Nopixlov Qevpa didnti d.h. auf lateinisch 
etwa: Divi Patris Indigetis, qui Numicii amnis undas temperat. 
Es ist, wie ich später weiter ausfuhren werde, nicht unwahrschein- 
lich, dafs dieser Indiges, der Urheber der latinischen Penaten und 
der P natenstadt Lavinium, ursprünglich kein Andrer gewesen als 
der Flusgott des Numicius , als alter König dieses Thaies gedacht, 
wie Pater Tiberinus gleichfalls für einen alten König galt und zu 
Rom und anderswo in demselben Sinne einer schöpferischen und 
culüvirenden Macht der Vorzeit verehrt wurde. Erst später wurde 
der Name des troischen Aeneas auf jenen Pater Indiges übertragen 
und dadurch die ganze Aeneassage als ein neues und ausländisches 

») Vgl. das Glossar, b. Barth. Advers. XXVHI, 19 Indigetes dii, quo- 
rum nomina non audebant profe rre [aus Festos]. Auch die Erklärungen 
der Gloss. Labb. Indigetes rjfiid tot . KovQrjrfs öttfftovfs und Indigetes 
KovQrjits ol ntol tov Tlatava chnracterisiren die Indigetes als schützende 
Dämonen und altijtxttxot , zumal da auch die Laren nicht selten mit den Ku- 
reteu verglichen werden, s. Lobeck Agl. p. 1177. Bei Macrob. Somn. 
Scip. I, 9, 7 werden die Hesiodischen Dämonen, Op. 124, durch Indigetes Divi 
übersetzt. 



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95 



Reis auf den alten Latinerstamm der Sage und des Cultus von 
Lavinium gepfropft. 

Eine Eigenthürolichkeit dieser Indigeten und der latinischen m 
und römischen Könige und Helden der Vorzeit überhaupt ist 
es, dafs sie zwar menschlich leben, aber dann auf eine geisterhafte 
Weise verschwinden, nicht wie die Homerischen Helden sterben, 
sondern wie die der deutschen und andrer Volkssagen ] ) entrückt, 
aber dadurch zugleich verklärt und erhöht werden. Der gewöhn- 
liche Ausdruck dafür ist non comparuit oder nusquam appa- 
ruit, was unserm -ward nicht mehr gesehn' entspricht und sich 
bei den Römern in so verschiedenen Wendungen und bei so vielen 
Veranlassungen wiederholt, dafs die zu Grunde hegende Anschauung 
eine sehr volkstümliche gewesen sein mufs *). So ist dieses na- 
mentlich immer der Ausgang der Erzählungen vom Aeneas, s. Serv. 
V, A. IV, 620 nach Cato [Catonis reliquiae ed. Jordan p. 6], qui 
Urnen Aeneas in ipso praelio non comparuit, und Augusün C. D. 
XVLI1, 19 nach Varro : Sed Aeneam quoniam — non comparuit, 
deum sibi fecerunt Latini, vgl. Paul. p. 106 Indiges. — Hoc nomine 
Aeneas ab Ascanio appellatus est, cum pugnans cum Mezentio 
nusquam apparuisset, und Schol. Veron. Aen. 1, 259 Aeneas 
uxore et regno potitus Laüno mortuo Etruscos certamine premens 
in conflictu bellico (petitus nusquam ap)paruit et Numici flu- 
minis gurgite haustus putatur 5 ). Daher Arnobius I, 36 parodirend 
sagt : Indigetes Uli qui flumen repunt [irrepunt emendirt Klussmann 
im Rudolstädter Gymnasialprogramm 1863, S. 17] et in alveis Nu- 
mici cum ranis et piscicuüs degunt, so ganz und gar wurde dieser 
Aeneas Indiges als numen des Flufses Numicus oder Numicius, 
also als Flufsgott gedacht, gerade so wie Rea Silvia, die Mutter 
der römischen Zwillinge, nach deren Geburt in den Anio oder den 
Tiber stürzt und hier vom Pater Tiberinus zu seiner Gemahlin d. h. 
zur Flufsgöttin erhöht wird. Aber auch der König Latinus, ver- 
mutlich auch ein Indiges und dem Aeneas nahe verwandt, nur 

l ) J. Grimm D. M. 903 ff. 

') (Die hier gegebene Sammlung ergänzt C. F. W. Müller Plautinische 
Prosodie S. 514 f.] 

>) Vgl. noch die Inschrift tos Pompeii oben S. 81 und Dionys. I, 64 i6 
<N Alvtiov aupa yavtaov ovöapij yevoptvov ol plv tlf 9tove pna- 
vaarrjvat dxaCov ol d' Iv Jtf noTa/uifi — ötaq&ttQijvat. Zonar. Ann. VII, 1 
«tf«vi)s 6 Alvituq ytvofxtvos, ovt€ yaq £av wpdrj ht ovrt ftijv 



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96 



ERSTEH ABSCHNITT. 



dafs sein Heiligthum auf der Burg zu Lavinium, das des Aeneas 
an jenem Flusse gezeigt wurde, verschwindet auf gleiche Weise, 
Fest. p. 194 Latinus rex, qui proelio quod ei fuit adversus Mezen- 
tium, Caeritum regem, nusquam apparuerit iudicatusque sitlupiter 
factus Latiaris, welches nach Analogie jener Erzählungen vom 
Aeneas höchst wahrscheinlich zu erklären ist durch Divus Pater 
Latiaris d. i. der verklärte König, Held und Vater seiner Nation, 
zumal da auch der sabinische Hercules d. i. Semo Sancus auf ähn- 
liche Weise als erster König und verklärter Gott seines Volkes ge- 
dacht und zu Reate als Pater Reatinus verehrt wurde 1 ), vgl. 
noch Schol. Bobiens. Cic. pr. Plane. 9, 23 post obitum Latini re- 
gis et Aeneae, quod ii nusquam c omparuerunt. Ferner ver- 
schwindet auch Romulus auf dieselbe Weise, woraus später seine 
Himmelfahrt gedichtet wurde, s. Probus V. Georg. III, 27 Proculus 
Iulius persuasit populo, cum Romulus non compareret, und Ael. 
Lamprid. Commod. 2 Indutus autem toga est Nonarum luliarnm 
die, quo in terris Romulus non apparuit'), auch der albanische 
König Aventius, derselbe nach welchem der Berg in Rom seinen 
Namen bekam, s. Augustin G. D. XVIU, 21 Alii noluerunt eum in 
proelie scribere occisum, sed non comparuisse dixerunt, auch Acca 
Laren tia, die römische Flurgöttin, welche bald als die Frau des 
Hirten Faustulus und Pflegemutter des Romulus , bald als liebe 
Buhle des römischen Hercules gedacht wird und an einem angeb- 
lichen Grabe von ihr im Velabrum verehrt wurde 3 ) , desgleichen 
Saturnus, welcher gleichfalls gewöhnlich als alter König gedacht 
wurde, s. Macrob. Sat. I, 7, 24 cum inter haec subito Saturnus 



l ) Aognstin C. D. XVIII, 19 Sabini etiam regem suum primum Sancum 
— retulerunt in deos. Vgl. Or. d. 1858. 

*) Liv. I, 16 subito coorta tempestas cum magno fragore tonitribusque tarn 
denso regem operuü nimbo, ui contpectum eius contioni abstulerit nee dein de 
in terris Romulus fuit. Eben so heilst es in der Chronik, des Hierony- 
mus [p. 83 Seh.]: Romulus apud paludem Caprae nusquam comparuit et 
suadente lulio Proculo Quirini nomine apud suos eonsecraius est, und bei dem 
Chronographen vom J. 354 subito nusquam comparuit, s. Mommsen in 
den Philol. hist. Abb. der K. Sachs. G. d. W. 1 S. 645 nnd 691. 

•) Plutarch Ro. 5 Uyerai Sh airrrjv frtfofov ovaav rjSt] xal d-toytlij ro- 
{uCoufrijv aajavfj ytvta&ai ntql iovxov tov xonov iv ©5 xul ttjv 
nqoriottv Ixtivnv Attoevitav xetafhxi. Von dem Hirten Fanstnlas, welcher 
gleichfalls ein örtlicher Dämon ist, zeigte man ein Grab anf dem Comitium, 
Fest. p. 177 Niger lapis. 



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DIE GENEALOGISCHE FAMILIENDICHTUNG. 



97 



non comparuisset . excogitavit Ianus bonorum eius augmenta. Ja 
derselbe Glaube und derselbe Ausdruck wiederholt sich auch von 
einem Flufsgott in Campanien *) und in verschiedenen andern Wen- es 
düngen s ) , so dafs wir ihm jedenfalls eine weite Ausdehnung und 
allgemeine volkstümliche Geltung in Italien zuschreiben können: 
was dann wieder wohl auf einen lebhaften Zug zum Mährchen hin- 
deutet, dem wir noch oft begegnen werden, aber keineswegs auf 
eine Anlage zur Heldensage und zur epischen Dichtung. 

So ist auch die genealogische Familiendichtung, welche sich 
bei einer mythologischen Grundanschauung in den älteren Ueber- 
lieferungen der Völker und Staaten sonst so lebhaft geltend macht 
und in Griechenland bis auf die Zeit des Plato und Alcibiades fort- 
wucherte , ja das alte lacedämonische Königthum bis zu seinen 
letzten Sprossen begleitet hat., in Rom und Italien niemals über 
die ersten Anlange hinausgekommen. Romulus ist zwar der Sohn 
eines Gottes, aber selbst ohne Kinder; Numa empfängt seine 
Weihe durch die Auspicien, seine Offenbarungen von der Egeria; 
Servius Tullius ist der Sohn eines Hauslaren und Liebling der 
Fortuna. Die Fabier leiteten ihr Geschlecht zwar vom Hercules ab 
und so mögen auch andere Geschlechter auf die einheimischen Ge- 
nien und Dämonen zurückgegangen sein, aber eine weitere Ausbil- 
dung und Ausbeutung solcher Sagenkeime durch Tradition und Dich- 
tung ist auch hier schwerlich anzunehmen, da nachmals die grie- 
chischen Genealogieen so gänzlich vorherrschen. Ist später von 
Romulus und Remus gesagt und gesungen worden, dem Wunder 
ihrer Geburt, ihrer Schönheit und ihrer ausserordentlichen Bega- 
bung, wie der alte Annalist Fabius Pictor sich nach einer Andeu- 
tung des Dionys v. Halicarnafs auf solche Lieder wirklich berufen 



») Saeton d. dar. rhet. 4 Hic Epidius ortum se ab Epidio Nurtino prae- 
dicabat, quem ferunt olim praecipitaturn in fontein flutntnü Sami paulo pott 
cum cornibus exstitisse ac s tu tun non comparuisse in numeroque deorum Ita- 
bitum. Vgl. Serv. Aea. III, 108 vom Scamander: Victor in Xantho flumine lap- 
sus non comparuit. 

*) Auch die Sibylle vou Cumä verschwindet so, Gell. JN. A. I, 19 postea 
nusquam loci visäm constitit, desgleichen die Dioskuren in der Schlacht bei 
Sagra, Justin. XX, 3, 8 nec ultra apparuerunt quam pugnatum est. Vgl. auch 
Cicero de Divin. I, 28, 58 von einem Traume seines Bruders, wo dieser ihn 
zu Pferde in einem Fluss verschwinden {nusquam apparuiue) und dann wieder 
auftauchen sah. 

Prell er, Bom. Mythol. I. 3. Aufl. 7 



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98 



ERSTER ABSCHNITT. 



hatte 1 ), so dürfen wir dabei kaum etwas Anderes voraussetzen als 
die Lieder der Salier, welche nach Allem was wir von ihnen und 
87 von anderen derartigen Gesängen wissen im höchsten Grade einfach 
und weit mehr im Sinne einer Liturgie als in dem eines Epos ab- 
gefafst waren. Und so werden auch jene oft besprochenen Lieder, 
weiche von den Römern in alter Zeit beim Mahle zum Lobe ihrer 
Vorfahren gesungen wurden'), weit mehr ethischen als epischen 
Inhalts gewesen sein d. h. mehr die bürgerlichen und kriegerischen 
Tugenden der einzelnen Glieder eines alten Geschlechts als die 
Wunder seiner Abstammung und den Glanz seiner Helden in einer 
mythischen Vorzeit hervorgehoben haben, welche letztere in Er- 
mangelung einer lebhaften Einbildungskraft überall gar nicht oder 
doch nur in sehr dürftigen Zügen vorhanden war. Weiterhin tritt 
der alte volkstümliche Glaube an die übernatürliche Abkunft aufser- 
ordentlicher Männer und die zeugende Kraft des Genius noch ein- 
mal auf überraschende Weise in den Erzählungen von der Herkunft 
des altern Scipio zu Tage. Dann aber kommt die Zeit wo die 
griechische Bildung, unterstützt von dem adligen Hochmut Ii und 
der politischen Berechnung der vornehmen Geschlechter, sich ganz 
und gar auch dieses Zweiges der römischeh Ueberlieferung bemäch- 
tigt hatte. Auch die gangbaren Erzählungen vom Stamm der Ju- 
lier , der sich von Venus und Aeneas bis zu den albanischen Kö- 



') Dionys H. 1, 79 otovs av Tic «|/w<rei€ Toif ix ßaaile(ov re (fuvras 
yivovc xai änb öaifiovtav anoqag ytvio&tti vofitfapivovc., tos iv toTs na- 
TQlotg vfxvoig vno 'Ptopaitov £n xai vvv tföetat. Plut. Nun. 5 xai 
'Ptopvkov fih ovrot nccida &tdiv vfivovai (pqfiaig xai TQotprjv nva öatfxo- 
viov avrov xai atot rjoiav amOTov ht vtjniov liyovatv. (Wobei zu bedenken 
ist, \lass (ah ii' und vfivttv bei den überschwenglichen Griechen {auch von dem 
Lobe in gebundner Rede gesagt wird. [Ebenso Dionys. 8, 62 wie Coriolan, 
<f$eT«t xai vfirtirut nobs anavitov, als gerecht.] 3 

*) Cicero Tusc. IV, 2 gravissimus auctor in Originibus dütä Cato, morein 
apud maiores hutic epularum fuüse, ut deinceps qui accubarent canerent ad 
tibiam clarorum virorum laude* atque vir tut ei. Vgl. Cic. Brut. 18, 19 [der 
das apud maiores des Cato hier bestimmter mit multis ante suam aetatem sae- 
culis umschreibt] und Non. Marc. p. 77 Varro de vita pop. R. lib. II: in con- 
viviis pueri modesti ut cantarent carmina antiqua, in quibut landet erant maio- 
rum, et asta voce et cum tibieitie. [Das 2. Buch des Varro behandelte wahr- 
scheinlich die Zeit vom Ausgang der Königsherrscbaft bis auf die punischea 
Kriege; er kann hier sehr wohl von Cato abhängig sein, jedesfalls bezeichnet 
auch er die Sitte als längst erloschen, was Mtzsch, Annalistik S. 245 ff. über- 
sieht.] 



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DIE GENEALOGISCHE FAMILIENDICHTUNG. 



99 



nigen und darauf wieder von Mars und Romulus bis zum Cäsar 
und Augustus in einer mühsam verschlungenen Kette ausländischer 
und einheimischer Ueberlieferungen zusammengefügt hatte ] ) , sind 
ganz in diesem Geiste erdacht, vollends die Sagen der übrigen so- 
genannten trojanischen Geschlechter, über welche Varro ein eignes 
Buch geschrieben hatte. Die vielen Griechen , die als Hausfreunde, 
Hauslehrer, Haussklaven, oder als Rhetoren und Grammatiker in 
Rom lebten, hatten bald die Genugthuung der vornehmen Römer- 
welt ihre Huldigung nun auch in dieser Form darbringen zu kön- 
nen ; dahingegen diese vornehmen Römer selbst, ob sie gleich den 
mythologischen Pomp und Staat einer solchen Verherrlichung nicht 
ungerne sahen, doch wohl eigentlich in der Sache sich immer sehr 
kühl und ironisch verhielten. So neckte Octavian den Antonius, 8S 
der sich sehr mit seiner Abkunft vom Hercules brüstete, Cäsar 
würde ihn gewifs adoptirt haben, wenn er es als Aeneade hätte 
wagen dürfen einen Herakliden in sein Geschlecht aufzunehmen ■). 
Und als die Julier nicht mehr regierten, sondern die Flavier, be- 
dachte man sich nicht länger selbst die vielverherrlichten Geschich- 
ten von Troja und dem troischen Aeneas zu den Fabeln zu 
werfen *). 

4. Dienende Gottheiten. 

Neben den Hauptgöttern werden noch gewisse dienende Götter 
genannt, welche mit jenen gewöhnlich ein Gruppe ausmachen und 
insofern einen gottesdienstlichen Collectivbegriff bilden. Nach Paulus 
p. 19 hiefsen sie anculi und anculae, ein Wort welches mit 
ancilla, anculare und ancus zusammenhängt, welches leztere in der 
Zusammensetzung cupencus bei den Sabinern einen Priester des 
Hercules bedeutete, s. Serv. V. A. XII, 534. Nach Andern hiefsen 
sie famuli, wie z. B. bei Virgil Aen. V, 95 Aeneas, nachdem er am 
Grabe seines Vaters geopfert hat und darauf eine Schlange erscheint 



l ) S. Casars Leichenrede zur Ehre seiner Tante bei Sueton 6 and Virgil. 
Aen. VI, 756 ff. 

>) Appian de bell. civ. III, 16. Derselbe hebt es II, 151 in einer Paral- 
lele Alexanders d. Gr. und Casars hervor, dass beide grossen Männer vom 
Summe des Zeus waren, 6 AtaxÜrje re xal 'HQaxlctdns, 6 öl änl 
'4y/i<tov tc xal AtpQodiTns. 

•) Tacit. Ann. XII, 58 Romanum Troia dentis tum et luUae stirpis auc- 
torem Aeneatn aliaque haud procul fabulii vetera. 

7* 



a 

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100 



ERSTER ARSCHMTT 



um dies Opfer zu verzehren, unsicher ist geniumve loci famulumve 
parenlis esse putet, zu welcher Stelle Servius (vgl. zu Aen. VII, 
84. 761) bemerkt, in gleichem Sinne könne Virbius für einen Die- 
ner der Diana, Adonis für den der Venus, Erichthonius für den 
der Minerva gelten. Auch gebraucht Horaz A. P. 239 das Wort 
famulus vom Silen in seinem Verhältnisse zum Bacchus, Ovid. Met. 
VIII, 272 von dem kanonischen Eber als einem heiligen Thiere 
der Diana; endlich kennen auch die Urkunden der Arvalischen 
Brüder denselben Cultusbegriff und zwar in einer interessanten Zu- 
sammenstellung mit entsprechenden weiblichen Gottheiten, indem 
sie neben den höheren Cultusgöttern des Hains der Dea Dia wieder- 
holt Virgines Divae und Famuli Divi nennen [üenzen Acta 
fr. arv. S. 145]. Jene „göttlichen Jungfrauen 44 waren höchst 
wahrscheinlich Nymphen, entweder Baum- oder Quellnymphen, denn 
von beiden wird das Wasser auch sonst gebraucht, wie es denn 
nach der zu Grunde liegenden Vorstellung offenbar den griechischen 
89 Nymphen entspricht. So heilst es bei Fest. p. 261 Querquetu- 
lanae Virae putantur significari nymphae praesidentes querqueto 
virescenti, quod genus silvae indicant fuisse intra portam quae ab 
eo dicta sit Querquetularia. Sed feminas antiqui, quas scias dici- 
mus, viras appellabant, unde adhuc permanent virgines et vira- 
gines, wobei zu bemerken ist dafs der Ausdruck mulieres sciae auch 
sonst in der Bedeutung von weisen Frauen, sagae (a sagiendo) vor- 
kommt 1 ). Diese also hiefsen in alter Sprache Virae oder Vires, 
denn auch diese Form kommt vor; und zwar wurden sie vorzug- 
lich als Baumnymphen gedacht, wie denn auch das Wort virere 
und viridis offenbar damit zusammenhängt. Zugleich aber wurde 
auch das Wort virgines und viragines in seiner ursprünglichen 
Bedeutung solcher herbjungfräulicher Elementar- und Baumgeister 
davon abgeleitet, wie andererseits die Namen Sagae, Sciae, auch 
Fatuae und Fata das übernatürliche Wissen und Weissagen 
dieser Frauen und Jungfrauen ausdrücken, welche in den 
Mythologieen aller Völker so ziemlich dieselben sind. Wassernym- 
phen werden dagegen bei Paul. p. 63 Camelis Virginibus supplicare 

*) Petroo. 63 Rogo vos, oportet credatis, sunt mulieres plus sciae, sunt 
nocturnae et quod sursum est deorsurn faciunt. Vgl. die intpp. und Muncker 
zu Hygin f. 92 p. 149. Vir« ist eigentlich Männin. Vgl. die slavischcn 
Wilen. Ueber die Form Vires s. unten bei der Diana und Virbius, 
dessen INamc vermutblich auch mit diesem Worte zusammenhängt 



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DIENENDE GOTTHEITEN. 



101 



nupturae solitae erant vorauszusetzen sein, obgleich dieselben sonst 
mit dem eigentlich italischen Worte Lymphae genannt werden. 
Was die neben ihnen verehrten „göttlichen Diener" oder „göttlichen 
Gesellen" betrifft — denn das oskische famel und das lateinische fa- 
mulus , wovon familia , drückte ursprünglich mehr das Verhältnifs 
der Geselligung als das der Bedienung aus — so wäre nach jenen 
Andeutungen zunächst an Cultusgenien zu denken, in dem Sinne 
der genii deorum, namentlich wenn nur von einem famulus, nicht 
von mehreren die Rede ist. Ist aber dieses der Fall, wie in den 
Arvalinschriften , da ist höchst wahrscheinlich, schon der ent- 
sprechenden Jungfrauen wegen, an Faune oder Silvane zu denken, 
welche als männliche Wald- und Naturgeister jenen Viren und 
Viragines zunächst standen. Üeberhaupt aber scheint diese Collec- 
tivverehrung der Götter, so dafs in einer bestimmten Cultusgruppe 
den örtlichen oder natürlichen Beziehungen derselben gemäfs dem 
Hauptgotte andre Gottheiten in verwandter aber untergeordneter 
Bedeutung hinzugefügt wurden, wie in Griechenland *), so auch in 90 
dem alten Italien etwas Gewöhnliches gewesen zu sein, namentlich 
im ländlichen und Naturculte. So kommen neben der marsischen 
Angitia in Inschriften der Gegend mehrere Angitiae im Plural vor 
und neben der römischen Furina gleichfalls mehrere Furinae. Fer- 
ner gab es eine Carmenta und mehrere Carmentes und jenseits 
des Tiber einen Cult der Divae Corniscae, welche für Schutzgöttin- 
nen der Krähen , die unter der Obhut der Juno standen, erklärt 
wurden. Auch gehört dahin die Verehrung der Egeria in der gleich- 
artigen Umgebung der Camenen und die des umbrischen Flufs- 
gottes Clitumnus als eines Divus Pater der Gegend in der Umge- 
bung von kleineren Quellgöttern , welche neben seinem Tempel in 
kleineren Capellen verehrt wurden, s. Plin. Ep. VIII, 8. Auch 
scheinen mir auf gleiche Weise die sabinischen Novensiles oder 
Novensides erklärt werden zu müssen, obgleich schon die Alten 
über diesen Namen sehr im Unklaren waren, s. Arnob. III, 38. 
Nach Livius VIII, 9 (S. 82) wurden sie in alten Formeln neben 
den Laren und Indigeten angerufen, daher man sie in der Voraus- 
setzung dafs diese letzteren einheimische, eingeborne Götter oder 
Dämonen seien in späterer Zeit für ausländische und neu eingeführte 
Götter erklärte*). Indessen erklärt Varro sie sehr bestimmt für 

l ) Vgl. über die daffioves 7Tq67ToIoi Lobeck Aglaoph. p. 1234 sq. 

*) So namentlich Cincins b. Arnob. 1. c. nam solere Romanot religiones 



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102 ERSTER ABSCHNITT. 

sabinische Götter *), ja wir wissen aus einer Inschrift vom Fuciner- 
see, dafs sie auch in dieser Gegend, also im Gebiete der Marser, 
und aus einer andern aus Pisaurum, daJfe sie auch in Umbrien ver- 
ehrt wurden*). Die Sabiner, von denen Varro spricht, sind also 
die des T. Tatius, welche diesen Gottesdienst wie viele andre mit 
nach Rom gebracht hatten, daher sie fortan wie der sabinische 
Quirinus neben dem römischen Mars , so diese Gottheiten neben 
91 den römischen Indigeten angerufen wurden. Als das Gebiet aber 
im Lande der Sabiner, woher sie stammten, wird Trebia genannt, 
welches höchst warscheinlich mit Trebula Mutuesca identisch ist, 
einem alten Gentraiorte sabinischer Gottesdienste, wo auch der sa- 
binische Mars und die sabinische Feronia seit alter Zeit verehrt 
wurden 8 ). Unter den verschiedenen Erklärungen des Namens wird 
aber die von novem die beste sein, an welche auch Varro, Piso und 



urbiutn superatarum partim privatim per familias spargere partim publice 
consecrare ac ne aliquis deorum multüudine aut ignorantia praeteriretur, 
brevitatis et compendii causa uno pariter nomine cunctos Novensiles in- 
vocan* 

>) Varro L L V, 74 Feronia, Minerva, Novensides a Sabinis. Die Ver- 
tauschuDg von d und 1 ist in den italischen Dialekten etwas sehr Gewöhn- 
liches, [s. flg. A.] 

») Mommsen Unterital. Dial. S. 339 [Ritsehl P. L. M. T. XCVIU* F = Fa- 
bretti Inscr. It. 2742 bis: Esos | Novetede | pesco pacre] und 342 [C. I. L. f, 
no. 178 deiv(ai?) [Nov]e . sede \ T. Popaio /»...], Huschke Osk. und Sabell. 
Sprachdenkm. S. 254. [Corssen in Kuhns Zeitachr. 9, 160 ff.]. In beiden In- 
schriften erscheint die Form Novensides (NOVESEDE) als die ursprüngliche. 
[Novensides sind dem Sinne nach mit Corssen als Neunsassen zu nehmen, vgl. 
prae-sides, de-sides, re-sides. Die Form novensides hat ausserdem nur 
Varro, novensiles ist überliefert bei Livius, Arnobius (überall), Capeila, beide 
Formen nennt als gleichberechtigt ausdrücklich Marius Victorinus Gramm, lat. 
6, 26; die Form novensides erkannte als die richtige schon Mommsen Dial. 
S. 342, novensiles gehört in den Kreis der wenigen Beispiele der Vertauschung 
von d und /, die das volkstümliche Latein bietet: vgl. Jordan, Krit. Beiträge 
S. 45. Uebrigens ist die Lesung und Deutung der Inschrift von Pesaro zweifel- 
zweifelhaft: vgl. Jordan, Hermes 15, 11.] 

a ) Arnob. 1. c. Novensiles Piso deos esse credit novem in Sabinis apud 
Trebiam constitutos. Hos Granius Musas putat, consensum aecommodans Aelio; 
novenarium numerum tradit Varro etc. Vgl. Arnob. III, 44 Novensiles musae 
sunt, Trebiani quinimmo dii sunt, und Plin. H. N. III, 109 Anw in monte Tre- 
banorum ortus, wo das jetzige Trevi gemeint ist. Eine Stadt Trebia b. Sueton 
Tib. 31, Trebiates in Umbrien b. Plio. III, 114. Der Name ist identisch mit 
Trebia und Trebula, unter welchem Namen zwei sabinische und eine campa- 
nische Stadt bekannt sind, s. Aufrecht u. Kirchhoff Umbr. Sprachdenkm. 2 S. 120. 



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DIENENDE GOTTHEITEN 



103 



Aelius Stilo dachten, welcher das Wort vermuthlich auch in dem 
Saliarischen Liede gefunden hatte. Einige erklärten sie für neun 
männliche Gottheiten, Andre für Musen, also für Quellnymphen, 
welche den römischen Camenen gleichen mochten. Jedenfalls war 
auch dieser Cultus ursprünglich ein bei der alten italischen Be- 
völkerung verbreiteter ColleclivbegrhT d. h. der Ausdruck einer 
Göttergruppe, welche namentlich den Sabinern theuer war und 
durch sie auch in das römische Göttersystem eingebürgert wurde. 
Die spatere Zeit hielt sich nach ihrer oberflächlichen Weise an den 
Klang und die Alterthümlichkeit des Namens , den sie bald hier 
bald dort verwendete 1 ). 

M So nannte Manilius die neun Götter, welchen Jupiter nach etruskisrher 
Theorie den Blitz überliefs, Noveosiles, während Andre alle dii novicii d. h. 
die divi ex hominibos facti so genannt wissen wollten, s. Arnob. III, 38. 39. 
Martian. Cap. I, 46 dagegen verbindet Fans, Lymphae, Dii Novensiles. 



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ZWEITER ABSCHHITT, 

Zur Geschichte des römischen C'oltus, 



9a Je wichtiger im Zusammenhange des ganzen römischen Gottes- 
dienstes der Gultus war, desto mehr mufs uns daran gelegen sein, 
auch über seine Eigentümlichkeiten uns im voraus eine Uebersicht 
zu verschaffen. Dieses ist aber nicht anders möglich als in histo- 
rischer Entwicklung, so sehr haben sich auch hier im Laufe der 
römischen Geschichte die verschiedenartigsten Formen neben ein- 
ander festgesetzt, ohne immer zu einem Ganzen zu verschmelzen. 
Schon für die älteste, die nationale Periode werden nicht ohne tie- 
feren Grund zwei verschiedene religiöse Gesetzgeber genannt, Faunus 
und Numa 1 ). Jener ist ein Ausdruck für die älteste Naturreligion 
und Naturbegeisterung, wie sie sich überall auf der ersten und ele- 
mentaren Stufe der Naturreligion vorfindet, dieser der Repräsentant 
des sabinischen Priesterthums und des pontificalen Cerimonial- 
gesetzes mit seiner heiligen Würde und seiner theokratischen Hal- 
tung. Eine dritte Periode beginnt mit den Neuerungen der Tar- 
quinier und des Servius Tullius, welche den etruskischen und 



») Lactant. I, 22, 9 Sed ut Pompilius apud Romanos üutitvior ineptarum 
religionum fuit, sie ante Pompilium Faunus in Lotio, qui et Saturno am ne- 
faria sacra constituü et Picwn patrem inter deos honoravä. Er citirt weiter- 
bin § 13 diese Verse des Lucillas: Terriculas Lamias, Fauni quas Pompi- 
liique instäuere Numae. Probas Virg. Georg. I, 10 Existimatur autetn fuisse 
Faunus rex Aboriginum, qui cives suos mitiorem vitam docuerit ritu ferarum 
viventes et primus loca certis numinibus et aedißeia quaedam lucosque sacra- 
verit. Das Opfer bei den lateinischen Ferien nach Einigen inihtm ex impe- 
rato Fauni, Schol. Bob. in Cic. pr. Plancio p. 256. 



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DIE PERIODE DES FAUNU3. 



105 



hellenischen Gottesdienst herbeizogen , von denen der letztere mit 9s 
der Zeit immer mehr Einfluss bekam. 

1. Die Periode des Faunus. 

Varro legte nach Augustin C. P. IV, 31 ein besonderes Gewicht 
darauf, dafs die Römer ihre Götter über 170 Jahre ohne Götterbild 
(sine simulacro) verehrt hätten. Wenn sie dabei geblieben wären, 
meint er, würde auch der Gottesdienst ihrer Nachkommen ein rei- 
nerer geblieben sein 1 ). Er berief sich dabei u. a. auf die Juden 
und schlofs mit der Erklärung, dafs die, welche den Bilderdienst 
eingeführt hätten, ihren Mitbürgern die Furcht Gottes genommen 
und dafür einen Irrthum gegeben hätten 8 ). Auch Tacitus schildert 
deshalb den einfachen und bilderlosen Gultus der Germanen mit 
so grofser Vorliebe. Es ist die Sehnsucht der des Polytheismus 
und eines eben so wüsten als eitlen Gepränges der Tempel, der 
Processi onen , der Spiele überdrüssigen Herzen nach einer reineren 
Religion, die sie auf den frühesten Stufen der Gultur zu finden 
glaubten, da es doch in Wahrheit eines ganz neuen Anfangs be- 
durfte. Denn die Naturreligion auf dieser Stufe ist eben auch schon 
Polytheismus und Symbolik, nur sind ihre Götter noch Geister und 
ihre Tempel und Bilder noch die unmittelbaren Räume und Gegen- 
stände der Natur: bis später mit der höheren Bildung und den 
complicirteren Forderungen der (Zivilisation auch die Idololatrie und 
eine künstlichere Symbolik des Gultus sich geltend machen. 

Suchen wir uns die Eigenthümlichkeiten dieser ältesten Periode 
näher zu vergegenwärtigen, so könnte es verwegen erscheinen bis 
auf eine Zeit zurückgehen zu wollen, welche älter als der König 



*) Quod si ad tute manrisset, castixu dii observarentur. [Varro rechnete 
die 170 J. von der Gründung der Stadt, meinte also bis zur Anfertigung des 
Iuppiter fictüis unter dem 1. Tarquinier, wie Kettner Varronische Studien 
S. 57 f. zeigt. Das Capitolium war die erste aedes auf römischem Boden, 
frühere gelten schon den Alten für apokryph oder für fana: s. Jordan Top. 
1, 1, 160 f. Daher auch das Tempelbild des Capitols das erste Götterbild. 
Übrigens vgl. über die ältesten Götterbilder DetleBWs oben S. 41 a. Schrift 
de arte Romanoram antiquissima. Unter den später noch erhaltenen galten 
als uralt die hölzernen t-oava (vgl. Detleffsen 1, 14), aber es gab deren auch 
jüngere, wie das des Vejovis aus Cy pressenholz: unten S. 136]. 

*) Qui primi simulacro deorttm populis posuerunt , eos civitatibu* sttis et 



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106 



ZWEITER ABSCHNITT 



Numa ist. Doch darf man nicht vergessen dafs diese Grundzüge 
aller Naturreligion nicht Mos die Anfange derselben sind, sondern 
sich auch fast überall neben den künstlicheren Formen des Gottes- 
dienstes erhalten, namentlich auf dem Lande und unter einfacheren 
Culturbedingungen , während in den Städten die Tempel und die 
94 Bilder vorherrschen 8 ). So war es in Griechenland, wo z. B. Arka- 
dien sehr lange der einfacheren Verehrung seiner Götter auf hohen 
Bergen, in schattigen Hainen, an den Quellen, in den Höhlen zu- 
gethan blieb, während in den Städten, auf welche es von seinen 
Bergen herabsah, schon lange der Dienst einer glänzenden Archi- 
tectur und Plastik begonnen hatte. So war es auch in Italien, wo 
der Apennin wie jetzt so im Alterthum immer die einfachere Sitte 
und das ältere Yolksthum bewahrt hat, und auf dem Lande, selbst 
in den Umgebungen Roms die alten Haine der Götter, die heiligen 
Quellen und alle Naturmale eines göttlichen Wirkens immer Gegen- 
stände einer lebhaften religiösen Verehrung geblieben sind. Es kam 
hinzu die natürliche Beständigkeit aller religiösen Gewöhnung, die 
Sitte der älteren Römer mehr auf dem Lande als in der Stadt zu 
leben, endlich in älterer Zeit auch die strenge Zucht des pontificalen 
Grundgesetzes, dessen Geist allem plastisch Bildlichen der Kunst 
und Mythologie entschieden mehr abgeneigt als zugeneigt war und 
sich deshalb eher mit jenen elementaren Formen als mit den künst- 
licheren des Hellenismus vertragen mochte. 

Von der Verehrung der Götter auf hohen Bergen ist der Dienst 
des Jupiter Latiaris auf dem majestätischen Berge über Alba Longa 
ein gutes Beispiel, ein andres die Verehrung des Apollo Soranus, 
eines altitalischen Sonnengottes mit griechischem Namen, auf dem 
durch Gestalt und Anmuth in den Umgebungen Roms gleichfalls 
ausgezeichneten Soracte, ein drittes die Verehrung der Diana auf 
dem Berge Tifata über Gapua. Nach Dionys I, 34 wurde selbst 
Saturnus als Stifter des Ackerbaues und Urheber aller Segnungen 
desselben durch ganz Italien auf den Höhen und Bergen verehrt, 



3 ) Cicero de Leg. II, 8, 19 delubra [in urbibus) habento, lucos in 
agris habento et larum sedes [über die hs. Lesung vgl. Jordan Krit. 
Beiträge S. 230]. Vgl. 10, 26 die Erklärung: Tempel müsse es in den Städten 
geben, nec sequor magos Persarum , quünu auctoribus Xerxes infiammasse 
termol/i firaeeiatt dinhir mind nariatihuM inoltiderent dem Ib 11 Melius Graeci 
atque nostri, qui ul aagerent pietatem in deos, eatdem ilto» urbes qua* nos in- 
colere voluerunt 



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DIE PERIODE DES FAUNUS. 



107 



und nach den Gromat. vet. p. 239 heiligte noch August die Gipfel 
aller Berge dadurch dafs er sie unter den Schutz der Rhea stellte. 
Wären die örtlichen Nachrichten über die Culte des alten Italiens 
zahlreicher vorhanden oder die von den Stiftungen der ältesten 
Klöster und Kirchen auf hohen Bergen fleifsiger durchforscht, so 
würden sich gewiss noch viel mehr Spuren eines derartigen Gottes- 
dienstes nachweisen lassen. So wird überliefert dass der h. Benedict 
bei der Gründung des Klosters auf Monte Cassino ein sehr altes 
Heiligthum des Apollo d. h. des Sonnengottes und andrer heid- 95 
nischer Götter vorgefunden habe, welchen die ländliche Bevölkerung 
der Umgegend auch damals noch in den rings um den Tempel ge- 
legenen Hainen fleifsig geopfert habe 1 ). 

Sehr verbreitet war durch ganz Italien die religiöse Verehrung 
der Flüsse und Quellen, namentlich der capita fontium, wo die 
reinigende, nährende, beseelende und begeisternde Elementarkraft 
unmittelbar aus der schöpferischen Hand der Natur zu Tage tritt; 
worauf ich in einem eigenen Abschnitt zurückkommen werde. Nicht 
weniger tief und innig durchdrungen war es von der Heiligkeit des 
Feuers, wie davon die in Rom und Latium sehr alten und bedeu- 
tungsvollen Dienste des Vulcan und der Vesta Zeugnifs ablegen. 
Ganz vorzüglich aber war auch in Italien die Bevölkerung dem 
Gultus der Bäume und der Verehrung der Götter in Hainen ergeben: 
auch dieses eine allgemeine Eigenthümlichkeit des früheren und 
ländlichen Heidenthums, daher sich auch im Orient, in Griechen- 
land und bei den Deutschen und überhaupt den nördlichen Völkern 
viele gleichartige Gebräuche nachweisen lassen 2 ). Ueberhaupt hatten 
die Alten zwar nicht den landschaftlichen Natursinn, der bei uns 
durch Kunst und Poesie so weit ausgebildet ist 8 ); wohl aber hatten 
sie weit mehr Sinn für das Dämonische in der Natur, wie es sich 
in der Stille des Waldes, zwischen ragenden Bergen, an murmeln- 
den Quellen offenbart und auf jedes empfangliche Gemüth mächtig 
wirkt. Da hörten sie vernehmbarer als sonst die Stimme der Gott- 
heit und selten blieb eine Stätte der Art ohne religiöse Weihe. 
Auch die römischen Dichter äufsern sich nicht selten recht lebendig 



«) Greporii M. Dialogi II, 8. 

») J. Grimm D. Mythol. 59 ff. und 614, C. Bötticher der Baumcultus der 
Hellenen, Berl. 1856. 

■) [Vgl. L. Friedländer Über die Entstehuog und Eotwickelung des Ge- 
fühls für das Romantische in der Natur L. 1873]. 



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108 ZWEITER ABSCHNITT. 

über derartige Eindrücke 1 ), desgleichen Seneca in seinen Briefen 8 ) 
96 und Plinius H. N. XII, 3 f., weicher die Bäume geradezu die ältesten 
Tempel der Götter nennt, die das Landvolk seinen Göttern noch 
jetzt heilige. Da bete man inniger als vor Bildern, die von Gold 
und Elfenbein strahlen ; daher sei die Heiligung der einzelnen Baum- 
arten für den Dienst gewisser Götter abzuleiten, der Eiche für den 
des Jupiter, des Lorbeers für den des Apoll, des Oelbaums für 
Minerva, der Myrte für die Venus, der Pappel für den Dienst des 
Hercules; daher der Glaube, dafs der Wald das eigne dämonische 
Gebiet der Waldgeister sei, der Silvane, der Faune, der Baum- 
nymphen. Noch bestimmter spricht Apulejus im Eingange seiner 
Florida von den verschiedenen Arten dieses eben so alten als all- 
gemein verbreiteten Naturcultus, wie jeder Wandrer über Land sie 
an seinem Wege finde, von dem Haine, wo er ein Gebet zu sprechen, 
eine Gabe darzubringen, in stiller Andacht zu weilen pflege, dem 
mit frischen Blumen bekränzten Altare, der Grotte mit hängenden 
Laubgewinden, einer Eiche die mit den Hörnern, einer Buche die 
mit den Fellen der Opferthiere geschmückt ist, einem für die An- 
dacht eingehegten Hügel, einem alten Stamm mit künstlich * aus- 
geschnitzten Bilde, einem mit frischer Spende getränkten Rasen, 
einem mit Salböl benetzten Steine aus alter Zeit. 

Unter den Bäumen war auch in Italien die Eiche vor allen 
übrigen heilig, namentlich die alte mit weitreichenden Zweigen und 
unvordenklichen Erinnerungen. Solch eine alte Eiche war auch auf 



*) Virg. Ge. III, 332 Sicubi magna Iovis antiquo robore quercus Ingentes 
tendat ramos, aut sicubi nigrum IUcibus crebris sacra nemus accubet umbra. 
Tibull. I, 1, 11 Nam veneror seit stipes habet desertus in agris Seu vetus in 
trivio florea serta lapis. Ov. Am. III, 1, 1 Stat vetus et muUos incaedua silva 
per annos, Credibile est Uli numen inesse loco, Font sacer in medio spelunca- 
que pumice pendens Et kttere ex omni dulce queruntur aves. Vgl Virg. Aen. I, 
165 ff. und die Beschreibung des uralten Haines in Gallien b. Lncan III, 399 ff. 

*) Ep. 41, 3 Si tibi occurrü vetustis arboribm et solitam aüüudinem 
egressis frequens lucus et conspectum caeli densitate ramorum aliorum alios 
protegentium submovens, illa procerüas silvae et secretum loci et admiratio 
umbrae in aperto tarn densae atque contimiae fidem tibi numinis facit. Et 
»i quis specus saxis penitus exesis montem suspenderit non manu f actus, sed 
naturalibus causis in tantam laxitatem excavatus, an im um tuum quadam reli- 
gio nis suspicione percutiet. Magnorum ßuminum capita veneramur, subita ex 
abdito vasti am nis eruptio aras habet, coluntur aquarwn calentium fontes et 
stagna quaedam vel opadtas vel immensa altiiudo sacravä. [Vgl. Heibig Unters, 
ü. d. camp. Wandm. p. 297 ff] 



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DIE PERIODE DES FAUNUS. 



109 



dem römischen Capitol das älteste Heiligtbum des Jupiter gewesen ; 
noch Romulus legte nach Liv. I, 10 seine Spolien zu ihren Füfsen 
nieder. Weiter sah man auf dem Yatican eine alte Steineiche mit 
einer Dedication in etruskischer Schrift, welche also auch nicht viel 
jünger als die Stadt sein konnte, und bei Tibur eine alte Gruppe 
von drei Steineichen, die man für älter als Tibur hielt, da der 
Gründer der Stadt Tiburnus der Sage nach unter ihnen die Weihe 
erhalten hatte, Plin. H. N. XVI, 237. Einen eigenen Fall, welcher 
recht deutlich beweist wie tief der Glaube an die Heiligkeit solcher 
alten Bäume wurzelte, erzählt rLivius III, 25. Die Aequer lagern 
auf dem Algidus gleich hinter Tusculum, die Römer kommen hin- 
aus um im Namen des Senats Genugtuung zu fordern. Der Füh- 97 
rer der Aequer heifst sie ihren Auftrag an eine mächtige Eiche 
ausrichten, die sich über seinem Zelte erhob, er habe etwas Andres 
zu thun. Da wendet sich einer der Gesandten zu dieser Eiche und 
beschwört sie und die Götter des Ortes, den Bruch des Bundes zu 
rächen. So erzählt auch Sueton Vespas. 5 von einer alten dem 
Mars geheiligten Eiche in dem Sabinischen Geburtsorte der Flavier 
und Lucan I, 136 ff. schildert eine uralte Eiche, wie sie einsam 
auf dem Acker dastehe, Weihgeschenke der früheren Geschlechter 
an ihren Zweigen hängend l ), kaum vermag sie sich noch auf ihren 
Wurzeln zu behaupten, ringsum prangt der Wald in kräftiger Jugend, 
doch betet das Volk nur zu ihr. Aufser der Eiche ist nicht selten 
von heiligen Feigenbäumen die Rede, da auch dieser Baum im 
Süden eine mächtige Krone hat und zu hohen Jahren kommt. So 
der bekannte Ruminalische Feigenbaum, in der Nähe des Lupercal, 

*) Exuvias populi veteris tacrataque gestans dona dumm. Exnviae ist 
Alles was aus- oder abgezogen wird, auch Spolien der Feinde, Attribute der 
Götter. Docb sind hier wahrscheinlich Thierfelle gemeint. Vgl. J. Grimm 
D. M. 616. Von der Eiche wurde auch in Rom oft das Laub zur Bekräozuug 
des Jupiter z. ß. des Victor oder der höchsten Verdienste z. B. bei der civica 
Corona des August genommen s. Plin. H. N. XVI, 11 Civica iligna primo 
fuit, postea magis placuit ex aesculo lovi sacra. variatumque et cum 
quercu est etc. luglans hiefs eine besondre Art von Nufsbaum, dessen 
Müsse den Eicheln glichen und von außerordentlich angenehmem Geschmack 
wareu, daher man sie luglandes nannte, angeblich nach Jupiter, s. Varro 1. 1. 
V, 102 quod cum haec nux antequam purgatur similis glandis, haec glaris 
optuma et maxuma ab Iove et glande iuglans est appellata, [wiederholt 
von Gavius Bassus bei] Macrob. S. III, 18, 3, Serv. V. Ecl. I, 17. Doch fragt 
sich ob die Silbe iu in dieser Zuzammensetzung nicht einfach grofse Annehm- 
lichkeit bedeutet. [Über iuglans, Wallnuss s. Hehn Kulturpflanzen 8 342 ff.]. 



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110 



ZWEITER ABSCHNITT. 



wo die Zwillinge gefunden wurden, und ein andrer Feigenbaum 
auf dem Comitium, den man später sogar für identisch mit jenem 
Ruminalischen hielt. Der berühmte Augur Attus Navius habe ihn 
vom Lupercal dahin gezaubert; daher ihn die Geistlichkeit aufs 
ängstlichste beobachtete und unter allen Umständen zu erhalten 
suchte 1 ). Ein dritter hatte bis zum J. 260 d. St. vor dem Tem- 
pel des Saturn gestanden, wo ihn die Vestalischen Jungfrauen, da er 
ein Bild des Silvanus umzustürzen drohte, unter sühnenden Ge- 
98 brauchen entfernten, doch hielt man einen jüngern, welcher um 
dieselbe Zeit beim lacus Gurtius aufsprofste, für seinen unmittel- 
baren Nachkommen, s. Plin. H. Y XV, 77. So wird auch der 
Mars Ficanus einer Inschrift aus Ostia bei Henzen z. Or. n. 7194, 
wie der alte Ort Ficana unweit der Tibermündung, in welchem er 
verehrt wurde, wahrscheinlich von einem ähnlichen alten Feigenbaum 
benannt worden sein. Endlich erzählt Virgil Aen. XII, 766 von 
einem alten dem Faunus geweihten Oleaster an der latinischen 
Küste, an welchem die Schiffer nach glücklicher Rückkehr fromme 
Gaben und ihre Kleider aufzuhängen pflegten, Plutarch Rom. 20 
von einem heiligen Gornelkirschbaum auf dem Palatin, dessen Ur- 
sprung man von einer Lanze ableitete, welche Romulus vom Aven- 
tin dahin geschleudert hatte, und welcher unter Caligula auf Ver- 
anlassung eines Baues in dortiger Gegend einging, Plin. II. N. XVI, 
235. 236 von verschiedenen sehr alten Lotosbäumen in Rom, un- 
ter denen namentlich einer gleichfalls für so alt als Romulus und 
für seine Pflanzung galt s ). 

Weit gewöhnlicher war indessen die Verehrung der Götter 
in Hainen, auch ist diese in culturgeschichtlicher Hinsicht von nicht 

*) Er hiefs daher gewöhnlich ficut Navia, auch war ein Bild des Augurs 
neben ihm aufgestellt, s. Fest. p. 169, Dionys H. III, 71 und Tacit. Ann. XIII, 
58 Ködern anno Ruminaltm arborem in Comüio, quae octingentos et quadra- 
ginta ante annos Remi Romulique infantiam iexerat, mortui* ramaUbus et 
arescente trunco dem inu tarn prodigii loco habitum est, donee in novo* fetus 
revire teeret. [Sie stand nach Conon Narr. 48: inl 7t,g dyooas [noo] rov ßov- 
ItvrrjQiov xtyxllai %alxate ntQtttQyaOfnivn (vgl. auch Plin. H. N. XV, 77 
colitur ficus arbor in foro ipso ac comüio nata) und ist dargestellt auf 
den 1872 auf dem Forum gefundenen dieses selbst darstellenden Reliefs aus 
der Zeit des Trajan. S. Jordan im Jahresb. über Top. bei Bursian Fortschr. 
1875, 754 f.] 

a ) [Eine stand beim Tempel des Juno Lucina, eine auf dem Volcaoal. 
Dahin gehören wohl auch die Myrten beim Quirinustempel. Plin. N. H. XV, 
20, vgl. Jordan Eph. epigr. 1, 240.] 



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DIE PERIODE DES FAUNUS. 



111 



geringem Interesse. Man nannte solche Haine in Italien nemora 
und lucus welche Wörter beide sehr vernehmlich, wie so vieles 
Andre in den italischen Religionsalterthümern , an das alte Wald- 
und Weideleben erinnern. Nemus ist das griechische vtfiog, also 
eigentlich ein Weideplatz, lucus eine im Walde ausgehauene Lichtung, 
ein ausgerodeter Platz, auf dem man sich ansiedelte und dann 
immer zugleich für die Göttter sorgte, zumal für den Silvan, wel- 
cher zugleich der Gott des Waldlebens und der Ansiedelung im 
Walde, des Hinterwäldlers ist. Hatten doch die Lucaner im süd- 
lichen Italien von diesem alten Waldleben und den Lichtungen, in 
denen sie sich ansiedelten, ihren Namen bekommen und zwischen 
dem römischen Gebiete und dem innern Etrurien erstreckte sich 
noch im vierten Jahrhunderte Roms ein so ausgedehnter und un- 
wegsamer Wald, daß Livius IX, 36 ihn mit den Wäldern Deutsch- 
lands vergleicht. Vollends der Apennin mufs in ältester Zeit ganz 
mit Urwald bedeckt gewesen sein. In diesen Wäldern also siedelte 
sich jene alte Bevölkerung Italiens an wie unsre Vorfahren in 
Deutschland, wobei sie zwischen den neugewonnenen Aeckem und 
Weiden immer einige Baumgruppen stehen liefs und ihren Göttern 
weihte, und so entstand die religiöse Bedeutung der Wörter ne- 
mora und lucus in dem Sinne der ältesten Heiligthümer überhaupt 3 ). 99 



*) [Neben lucus findet sich jetzt in der unten a. Urk. von Luceria, die 
Form lucar (in hoce loucarid u. s. w.), welche nach Paul. p. 119 sonst aes quod 
ex Iuris captatur bedeutete (und so scheint es C. L L. 5, 5128 vorzukommen, 
vgl. unten S. 387). Übrigens behandelt die Begriffe nemus und lucus schärfer 
Rudorff in den Schriften der röm. Feldmesser 2, 260 ff., vgl. Marquardt Staats- 
verw. 3, 148. Besonders lehrreich ist die Stiftungsurkunde des lucus Dianius 
in nemore Aricino bei Cato Orig. fr. 2, 2 t Jord. , über dessen Einrichtung in 
späterer Zeit die Ausgrabungen am Nemisee belehren: s. Henzen Hermes 6, 8. 
Aus einem lucus bei Pisaurum stammen die Götteraltäre C. I. L. 1, 167 — 180. 
Neuerdings sind zwei archaische Verordnungen zum Schutz von lud in Luceria 
und Spoletium zum Vorschein gekommen: jene ist zuerst Eph. epigr. 2, 205, 
diese in den 'Miscellanea Capitolina', Gratulationsschrift der Iuvenes Capito- 
lini zum 50j. Jubil. des Arch.-Iost R. 1879 (= Bull, dell' inst. 1879, 67 f.) 
publicirt. Auch kommen municipale Hainpriester vor: der flennen lucularis 
der Laurentes Lavinates Henz. 6747 «= Wilm. 1599 und der sacerdos III luco- 
rum [Et)ruriae Or. 97 (mit Henzens Note).] 

») Paul p. 119 Lucani, lustin. XXIII, 1, 8. Vgl. Calpurn. Eel. VII, 16. 
[Doch ist diese Etymologie sehr zweifelhaft.] 

*) Tacitus Germ. 9 ceterum nec cohibere parietibus deos neque in ullam 
humani oris speciem adsimulare ex magnüudine caelestium arbürantur. Lucos 



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112 



ZWEITER ABSCUMTT. 



In den Hainen weilte die Gottheit, weilten die Seelen der Ver- 
storbnen und die Laren, denen auf dem Lande überall eigne Haine 
geweiht wurden ; in dem Haine feierte man opfernd und schmau- 
send die Gottheit, der man sich aber nur bei solchen festlichen 
Gelegenheiten und wenn die Religion es erlaubte nähern durfte : 
wehe dem welcher ungeweiht den Hain betrat, wehe vollends dem 
der gegen seine Bäume, seine HeUigthümer zu freveln wagte! 1 ) Nur 
in aufserordentlichen Fällen erlaubten die Götter eines solchen Hains 
wohl eine Zuflucht selbst unmittelbar aus der Schlacht , wie z. B. 
gleich nach der Niederlage an der Allia die flüchtigen Römer 
schaarenweise in einen ausgedehnten Hain in der Nähe des Tiber 
drängten und dort Schutz fanden, welcher aufserordentlichen Ret- 
tung zum Andenken jährlich in Rom am 19. und 21. Juli das 
Fest der Lu curia begangen wurde Sonst wurde der Heiligkeit 
des Ortes unter allen Umstanden mit der ängstlichsten Gewissen- 
haftigkeit wahrgenommen, so dafs selbst vor Alter umgefallene oder 
vom Blitz getroffene Bäume eines Hains unter Beobachtung gewisser 
Sühnungsgebräuche weggeschafft und ein Eisen nie ohne ähnliche 
Beobachtungen in den Hain gebracht werden durfte, wie davon in 
den Urkunden der Arvalischen Brüder verschiedene Beispiele zu 
linden sind 8 ). Durch ganz Italien waren diese durch ein hohes 



ac nemora consecrant deorumque nominibus appellant secretum 
illud quod sola reverentia videtit. 

l ) Paul. p. 187 Oblucuviasse dicebant antiqui mente errasse, quasi in luco 
deorum alicui occwrisse. Serv. V. A. I, 441 dicuntur enim heroum animae 
Utcos teuere. Ecl. V, 40 quia heroum animae habita/U vel in fonlibus vel in 
nemoribus. V. A. XI, 740 in altos lueos. IUic enim epulabantur sacris 
diebus. Auf die Verletzung mancher Haine standen wenigstens in älterer Zeit 
Capitalstrafen, s. Paul. D. p. 66 capitalis lucus. [Doch s. A. 3.] 

*) Paul. p. 119 Lucaria festa in luco colebant Romani , qui permag nu* 
inier viam Salariam et Tiberim fuit, pro eo quod vidi a GaUis fugientes e 
proelio ibi se occultaverint. Vgl. Macrob. Sat I, 4, 15 und Kai. Maff. und Aini- 
tern. z. XIV. und XII. Kai. Aug. [C. I. L. 1 p. 397.] 

s ) [Die piacula, welche die Verletzung der arbores in dem lucus Deae diae 
sühnen, s. bei Henzen Acta arv S. 136 ff. und über das htcum (nicht luco 
coinquere Jordan Krit. Beiträge 'ß. 277. Die oben aa. Verordnungen von 
Luceria und Spoletium setzen für Verletzungen verschiedener Art Geldstrafen 
fest, mit deren Eintreibung die zuständigen bürgerlichen Behörden betraut 
sind, die zweite aufserdem ein piaculum in Gestalt eines Rindopfers an den 
Herrn des Hains Juppiter. Dahin gehört wohl auch die Glosse bei Paulus p. 66 
capitalis lucus, ubi siquid violatum est, caput violatoris acpiatur. — Ähnlich 



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DIE PERIODE DES FAUINUS 113 



Alterthum und den Glauben der Vorfahren geweihten Haine, die 
man überall am Wege und auf dem Felde traf, etwas Hochheiliges 
und Würdiges, so dafs Quintilian X, 1, 88 den Dichter Ennius 
nicht schöner auszeichnen konnte, als da er von ihm schrieb: 
Ennium sicut sacros vetustate lucos adoremus. Unter den Göttern 
waren es vorzüglich Jupiter und Diana, die wie überhaupt auf dem 
Lande und im Freien, so auch am meisten in Hainen verehrt wur- 100 
den 1 ), wie z. B. vor allen übrigen Hainen der der Diana am See 
von Nemi berühmt war [oben S. 111 A. 1.] und Plinius XVI, 242 
von einem andern in der Nähe von Tusculum erzählt, unter dessen 
Buchen eine so schön war, dafs ein vornehmer Römer der Zeit 
sich alles Einstes in sie verliebte. Selbst in Rom hatte sich das 
Andenken an viele Gehölze und Haine aus alter Zeit erhalten, da 
auch hier namentlich der breite Rücken des Viminal und Esquilin 
dereinst von Eichen und Buchen bestanden war, von denen die rö- 
mischen Bürger bis zur Zeit des Königs Pyrrhus die Schindeln für 
ihre Häuser nahmen"). Dort gab es z. ß. ein Fagutal, ein Heilig- 
thum des Jupiter, welches an einen alten Buchenhain erinnerte, doch 
wird auch der alte Hain der Juno Lucina in der Gegend von S. Maria 
Maggiore oft erwähnt. Auch riefen die Namen der Esquilien, des 
Viminalis und der porta Querquetulana den Alterthumskundigen von 
selbst entsprechende Pflanzungen und Heüigthümer ins Gedächtnifs 8 ). 



die römische Verordnung zum Schutz des pagus montanus Bull, munic. 3 
T. XIX S. 194 Jordan Jabresb. ü. Top. bei fiursian Fortscbr. 1876, 185.] 

*) Virgil Aen. HI, 679 quälet cum vertice celto aeriae quercus aut 
coniferae cyparissi constüerunt, silva alia lovis htcusve Dianas. Vgl. Serr. 
V. Ge. III, 332 nam — et omni* querem Iovi est contecrata et omni* lucus 
Dianae. 

*) [Ueber die Verwendung von Schindeln Nepos bei Plin. XVI, 37, vgl. 
Schöne in Missens Pomp. Stud. 23.] 

•) Paul. p. 87 Fagutal saceüum lovis, in quo fuit fagus arbor, quae Iovi 
sacra habebatur. Plin. XVI, 37 silvarum certe distinguebatur insignibus (uehm- 
lich Rom), Fagutali Iovi etiam nunc ubi lucus fageus fuü, porta Quer- 
quetulana, coUe in quem vimina peiebantur, iotque lucis y quibusdam et 
geminis (er meint wohl die beiden des Vejovis auf dem Capitol). Q. Horten- 
sius dictator t cum plebs secessisset in Ianiculum, legem in aesculeto iulit etc. 
[über diese lex Mommseo R. Forsch. 1, 191: übrigens Becker Top. 536, Jordan 
Top. 2, 253 f.]. Von solchen aesculetis leitet Varro L L V. 49 mit Andern 
den Namen der Esquilien ab, weil damit auch andre Ortsnamen der Umgegend 
übereinstimmten, quod ibi lucus dicitur Fagutalis et Larum Querqne- 
tulanum sacellum (vgl. oben S. 89) et lucus Mefitis et Iunonis Lu- 
Preller, Rom. Mythol. I. 8. Aufl. 8 



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114 



ZWEITER ARSCHMTT. 



Vollends aber werden in der nächsten Umgegend von Rom fortge- 
setzt viele Haine erwähnt, z. B. der lucus Deae Diae, der lucus Ännae 
Perennae, der lucus Rohiginis, Camenarum, Furrinarum, Cornisca- 
rum, Albionarum und andrer weiblicher und männlicher Gottheiten, 
deren Haine zum Theil, wie der der Camenen gleich vor der porta 
Capena und der der Furrinen jenseits der alten Holzbrücke, später 
mitten in volkreichen Vorstädten lagen 1 ). Aus andern Gegenden 
Italiens aber sei hier nur noch der Haine der sabinischen Stamm- 
101 göltin Vacuna am Veliner See und des Hains der Angitia, der Göttin 
der Marser, am Fuciner See gedacht, weil eine Erinnerung an beide 
sich bis jetzt in den Ortsnamen derselben Gegenden erhalten hat, 
so wie der Name Nemi und der See von Nemi noch jetzt an den 
Ruhm des nemus Dianae von Aricia erinnert. Es geschah nehmlich 
nicht selten dafs sich neben solchen alten und vielbesuchten Heilig- 
thümern allmählich andre Ansiedelungen bildeten, so dafs daraus 
zuletzt ein kleiner Ort entstand, auf den der Name des Heiligthums 
überging. 

Eine andre Eigentümlichkeit dieses ältesten Gottesdienstes ist 
die Vergegenwärtigung der Götter zwar nicht durch Bilder, aber 
wohl durch Symbole und Attribute, entweder Bäume, Pflanzen und 
Thiere, deren Natur dem Wesen der zu vergegenwärtigenden Gott- 
heit in gewisser Weise entspricht, z. B. der Adler dem Jupiter, der 
Woll dem Mars, oder es sind leblose Gegenstände und Artefacta, 
welche zu solchem Zwecke geheiligt werden, Steine, Stäbe, Lanzen, 
Schilde u. dgl. Auch in dieser Hinsicht lassen sich viele Beispiele 
aus dem römischen und italischen Alterthum nachweisen, unter 
denen die heiligen Thiere im Vergleich mit andern Gegenden, 
namentlich den nördlichen a ) , eine besondere Berücksichtigung ver- 



ein ae. Quorum angusti fines; non mir um: iam diu mim lote avariUa minc 
est [un esse corr. sus une est F, viell. Avaritiae numen est, Jordan Top. 2, 
601 Z. 20]. Ib. 51 Viminalis a Iove Vimino, quoius [quodY] ibi arae. 
[ara? Top. 2, 261 f.] Vgl. Fest p. 376 [ubi ara Iovis yiminei; diese selbst ist 
dargestellt mit der Beischrift vim(ineo?) t auf einer Grafitzeichnung einer am 
viminalischen Thore gefundenen Marmorplatte Fiorelli Notizie 1877, 82, Brozza 
in Cumment. philol. in honorem Mommseni 557 ff., vgl. Jordan Jahresb. ü. 
Top. bei Bnrsian Fortschr. 1879, 419 Top. 1, 1, 223|. Auch der Caelius soll 
einmal Möns Querquetulanus geheifsen haben, Tacit. A. IV, 65. 

') Paul. p. 4 Albiona ager trans Tiberim diciiur a luco Albionarum , 
quo loco bos alba sacrißcabatur. [Verzeichniss der luci Jordan Top. 1, 1, 146.] 

a ) Es verdient Beachtung, dals der Specht, der Wolf, das Pferd, welche 



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DIE PERIODE DES FAUNUS. 



115 



dienen. ' Namentlich war es der Cult des Mars, des volkstümlich- 
sten von allen italischen Gottern, in dem sich manches Alterthüm- 
liche der Art erhalten hatte. Wie er selbst, so erinnern auch seine 
Thiere vorzüglich an Wald und Krieg. So zunächst der Wolf, 
welcher in dieser seiner italischen Bedeutung ganz dem deutschen 
Isengrimm entspricht, dem grausamen Thiere des Waldes, welches 
einem Volke von alterthümlicher und roher Sitte zum Bilde seines 
Kriegsgottes vorzüglich geeignet erscheinen mochte. Auch waren 
Italiens Wälder wie die im höheren Norden voll von Wölfen, welche 
vom Apennin im Winter bekanntlich noch später selbst bis in die 
Nähe von Rom streiften. Ebenso der Specht, welcher in den 
Sagen und Mährchen vieler Völker l ) als der Waldvogel und Wald- 
gräber schlechthin geschildert wird, der einsam wohnt und gräbt 
und hackt und aus den Felsen und Bäumen allerlei geheime 
Kunde herausholt, aber auch mit seinem mächtigen Schnabel und 
seinem bissigen Wesen die Vorstellung eines martialischen Thieres 102 
erweckte: daher er in den italischen Sagen und Culten zugleich 
der Prophet des Mars und ein streitbarer Held, aber als Picumnus 
auch ein um Düngung und Ackerbau verdienter König der Vorzeit 
ist. Zu demselben Kreise gehört ferner das Pferd , das dem Mars 
ganz vorzugsweise geweihte Thier und sein heiliges Opfer, ein Her- 
kommen welches wieder sehr an das deutsche und nordische Alter- 
thum erinnert, namentlich auch das Annageln des Hauptes *). Von 
den übrigen Thieren hatte z. B. der Pflugstier (bos arator) die Be- 
deutung der Ansiedelung überhaupt 8 ) , der Bock und die Ziege in 



im Cultus des Mars als heilige Thiere besonders hervortreten, auch bei den 
nördlichen Völkern, den Slaven, Germanen und Celten für heilig galten. Ueber 
den Specht s. Grimm D. M. 639 und 925. [Ueber den Wolf s. W. Hertz der 
Werwolf, Stuttgart 1862, S. 14 ff. Doch fehlt es über das ganze Kapitel 
noch an einer ausreichenden monographischen Behandlung]. 

*) S. Cassel, Schamir, ein archäol. Beitrag zur Natur- und Sagenkunde, 
Denkschr. d. K. Akad. d. gemeinnütz. W. in Erfurt, 1854 S. 48—112. 

*) Fest. p. 181% welcher die Pferdeopfer der Lacedämonier vergleicht, 
qui in monte Taygeio equum ventis immolant ibidemque adolent, ut eorum 
flalu cinis eins per ßnes quam latissime differatur, und die der Sallentiner 
in Apulien, weiche ihrem Iupiter Mensana ein Pferd ins Feuer stürzten, und 
die Rhodier, welche dem Sol jährlich ein Viergespann ins Meer stürzten, quod 
is tah curriculo fertur circumvehi mundum. Aber weit besser passen zum 
Vergleich die Beispiele bei Grimm D. M. 42 und 621 ff. 

8 ) [Ueber den Stier als Symbol der italischen Ansiedlnng Einiges bei 
Nissen Templum 131 f.] 

8* 



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I 



116 ZWEITER ABSCHNITT. 

dem Culte des Faunus, der Juno u. a. die der Befruchtung, der 
Hund wegen seiner feinen Witterung eine besondre Beziehung zu 
Geistern und Faunen , dahingegen der Fuchs wegen seiner rothen 
Farbe zugleich für ein Bild der feindlichen Rutuler und der schäd- 
lichen robigo gelten mufste. Allgemein war ferner die Schlange, 
das bei allen Völkern in unzählichen Mährchen und Sagen bedeut- 
same Thier 1 ), wegen ihres Schlüpfens und Schleifens in der Erde 
und der jährlichen Erneuerung ihrer Haut ein Symbol der Genien 
und Hausgeister, daher die Schlange in Rom sogar zu den gewöhn- 
lichen Haustbieren gehörte. — Lauter Elemente einer Thiersymbo- 
lik, welcher man in andern Naturreligionen auch begegnet, welche 
sich aber in Italien, so viel wir wissen, weder für die Sagen- noch 
für die Fabel- und Mährchendichtung so fruchtbar erwiesen haben 
wie in Griechenland, Deutschland und bei andern Völkern. Um so 
wichtiger war das gesammte Thierleben, und auch dieses entspricht 
wieder ganz dem mehrfach geschilderten Charakter des italischen 
Volksthums, für den religiösen und priesterlichen Bedarf der Deutung 
und Weissagung, wie sie sich bei diesen Völkern frühzeitig in dem 
eignen Stande und Berufe der Augurn entwickelt hatte. Von den 
Umbrern, Sabinern, Marsern, Latinern wissen wir es gewifs , dafs 
die Auguraldisciplin bei ihnen blühte, von den übrigen, namentlich 
den oskisch redenden Völkern darf man es gleichfalls annehmen. 
Das wesentliche Gebiet der auguralen Beobachtungen war aber be- 
103 kanntlich die Thierwelt, sowohl der Angang der vierfüfsigen und 
der kriechenden Thiere, des Fuchses, Wolfes, Pferdes, der Schlange 
u.s.w. 8 ), als die Bewegungen und das Geschrei der Vögel und 
zwar ganz besonders dieser letzteren, was wieder, wie mir scheint, 
auf eine alte Heimath zwischen Bergen und Wäldern deutet, zumal 
da der Waldvogel schlechthin, der Specht, der bedeutungsvollste 
Vogel war wie die Erscheinung des W r olfes die bedeutungsvollste 
unter den Quadrupeden 8 ). Uebrigens wurde bekann tich sowohl der 

') [Vgl. Mähly Die Schlange im Mythus der klassischen Völker L. 1867.] 
*) Den ganzen Kreis der auguralen Beobachtungen nennt Paul. p. 260 

Quinque gener a signorum observant augures y ex caelo, ex avibus, ex tripudiü, 
ex quadrupedibus, ex diris. Dem Angaog (Grimm D. M. 1072) entsprechen die 
pedestria auspicia. s. Paul. p. 244 Pedestria auspicia nominabantur quae 
dabantur a vulpe, lupo, serpente, equo ceteritque animalibus quadrupedibus. 

8 ) Fest p. 197 Oscines, Non. Marc. p. 518 Picumnus, Plin. H. IV. VIII, 83 
vom Wolf: inter auguria ad dexteram commeanüwn praeciso itinere, si pleno 
id ore fecerit, null um animal praestantius. Nach Cicero d. Divin. I, 41, 92 



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DIE PERIODE DES FAÜNUS. 



117 



Flug als die Stimme der Vögel beobachtet und demgemäfs für die 
Auspicien alites und oscines unterschieden, obwohl einige Vögel, 
namentlich der Specht und die Elster, zu beiden Klassen gehörten. 
Ferner hatte jeder Vogel seinen Gott , dem er entsprach , so dafs 
alle Vögel heilig waren 1 ), obgleich einige, die den Todes- und Un- 
glücksgöttern entsprachen, nur Unheil bedeuteten. Weiter galt es 
die Richtung und die Art des Fluges und so manches Andre zu 
beobachten. Das bekannte Augurium aus dem Fressen der Hühner, 
welches vorzüglich im Lager beobachtet wurde, ist für diesen Zweck 
offenbar deshalb so allgemein geworden , weil es unter allen Um- 
ständen das einfachste war. 

Auf eine sehr alterthümliche Tradition deutet ferner der Ju- 
piter Lapis im Heiligthum des Feretrius, desgleichen die Bedeutung 
der Lanze im Culte des Mars und Quirinus, sowie in dem der sa- 
binischen Juno, der sogenannten Ancilien im Culte der Salier: 
lauter Symbole des italischen Alterthums, zu welchen erst später 
durch griechischen Verkehr die Palladien, die Kerykeien, der Lor- 
beer des Apollo u. A. hinzukamen. Und so scheint auch der fast 
in allen Naturreligionen nachweisbare bildliche Gebrauch des mann- iQ4 
liehen Zeugungsgliedes in der Bedeutung einer zeugenden und 
schöpferischen Kraft schon im alten Italien verbreitet gewesen zu 
sein, da dieses Symbol wenigstens bei den ländlichen Liberalien der 
Latiner eine nicht weniger bedeutsame Rolle spielte als bei den 
ländlichen Dionysien in Atüka. Auch die bei mehr als einer Ge- 
legenheit beliebten fescennini versus deuten darauf, sammt der 
durch ganz Italien verbreiteten Anwendung des fascinum als Amu- 
let und Gegenzauber bei vielen einzelnen Gelegenheiten, bei denen 
doch wohl eigentlich der Glaube an einen Schutz der ewig schöpfe- 
rischen Gotteskraft ausgedrückt werden sollte. 



war die Beobachtung der Vögel am weitestes gediehen in Phrygien, Pisidien, 
Cilicien, Arabien und in Italien in Umbrien, gröfstentheils Gebirgsgegenden. 
Vgl. ib. 42, 94 Grabes autem et Phrypes et Cilices, qtiod pastu peeudum 
maxime vtuntur, campos et montes Menne et aestate peragrantes , propterea 
facti ins cantus avium et volattts notaverunt , eademque et Pisidiae causa fuit 
et huic nostrae Umbriae. [Daher in den igavinischen Tafeln die Beobachtung 
der Vögel der römischen ahnlich: s. Aufrecht u. Kirchhotf. U. S. D. 2, 
25 f. 41 f.] 

*) Serv. V. A. V, 517 Nuüa enim avis caret consecratione , qtna sitipulae 
aves numinibus sunt consecratae. Vgl. Marquardt Handb. d. R. Alterth. IV 
S. 358 [— Staatsverw. 3, 387, besonders ab'er Mommsen Staatsrecht 1», 73 ff.]. 



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118 



ZWEITER ABSCHNITT. 



Damit wir uns aber diese Stufe der Religion nicht gar zu 
harmlos vorstellen, ist zu bedenken, dafs grade diese älteste Zeit 
wie anderswo , so auch in Italien ganz vorzugsweise die Zeit der 
Menschenopfer gewesen sein mufs, obwohl dieselben später bis 
auf seltene Ausnahmen abgeschafft und durch stellvertretende Ge- 
bräuche ersetzt wurden. Deutliche Spuren solcher Opfer hatten 
sich z. B. bei den latinischen Ferien erhalten , bei denen noch 
unter den Kaisern ein verurtheilter Verbrecher den Altar des Ju- 
piter zu Rom mit seinem Blute benetzen mufste ; weniger deutliche 
bei der Feier der Saturnalien und der Compitalien, in dem ge- 
wöhnlichen Ritus der Blitzsühne, dem sogenannten Asyl des Vejovis 
und anderen allerthümlichen Sagen und Gebräuchen. Und so ist 
auch der in der alten Geschichte Italiens oft erwähnte Gebrauch 
einen heiligen Frühling, ver sacrum, zu weihen 1 ) deutlich der Aus- 
druck einer religiösen Stimmung, welche den Göttern und ihren 
Priestern auch das Liebste darzubriugen nicht anstand. Es war 
der Gebrauch in schweren Kriegsläuften, Sterbezeiten und andern 
Calamitäten den Göttern, vorzüglich dem Mars im voraus die säramt- 
lichen Erzeugnisse des nächsten Frühjahrs d. h. der Monate März 
und April zu weihen, Menschen, Vieh und die Frucht der Felder, 
worauf man im nächsten Jahre das Vieh und die Feldfrüchte wirk- 
lich opferte, die junge Mannschaft aber sobald sie herangewachsen 
war als Geweihete d. h. den Göttern Verfallene zum Lande hinaus- 
trieb und ihrem Schicksale überliefs : eine gewöhnliche Veranlassung 
für diese sich unter dem Schutze des Mars und der Anführung 
seiner heiligen Thiere eine neue Heimalh zu erkämpfen. Endlich 
106 lassen sich auch die bei verschiedenen volkstümlichen Gelegen- 
heiten in Italien und Griechenland erwähnten oscilla am besten 
durch sinnbildliche Menschenopfer und den Baumcultus erklären. 
Es sind kleine schwebende Figuren und Masken, welche nament- 
lich bei der Feier der latinischen Ferien an den Bäumen aufge- 

») Vgl. Marquardt Handb. IV, 232 [Staatsverw. 3, 370] and Schweiler 
H. Gesch. I, 240 Ii'., welcher letztere aber die Gebräuche der Devotion mit 
denen des Ver Sacrum verwechselt. [Vgl. Rüper Lucubr. pontif. p. 38. Doch 
ist die Annahme italischer Menschenopfer zweifelhaft: nichts hat damit zu thun 
das Lebendigbegraben des Graecus et Graeca, Gallus et Galla auf dem forum 
boarium (im J. 536 d. St. und noch zu Plinius Zeit nach Vorschrift der sibylli- 
nischen Bücher Liv. XXII, 57, 6 Plin. N. H. XXVIII, 12), bei welcher Gele- 
genheit Livius sagt a. 0.: hostiis humanis, minime Romano sacro. Ueber 
ver sacrum Nissen Tempi um 154 vgl. Hasenmüller Rh. Mus. 19, 402]. 



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DER GOTTESDIENST DES >'UMA. 



119 



hängt und von den Alten, nachdem der rechte Sinn verloren ge- 
gangen war , auf sehr verschiedene Weise erklärt wurden. Da in 
alter Vorzeit die Köpfe und Glieder der geopferten Thiere oder 
Menschen an die Bäume des Hains aufgehängt wurden , so hatten 
diese Puppen und Masken wahrscheinlich den Sinn einer hildlichen 
Stellvertretung, wie sie uns in dem römischen Gottesdienste öfters 
begegnen wird *). 

2. Der Gottesdienst des Numa, 

Immer hat Numa für den eigentlichen Begründer des römi- 
schen Gottesdienstes und insofern für den ersten Gesetzgeber Borns 
gegolten, da dessen Verfassung vor den Tarquiniern wesentlich auf 
religiösen und theokraüschen Principien beruhte. 

Da die alte Ueberlieferung ihn einen angesehenen Sabiner aus 
dem benachbarten Cures, der zweiten Metropole Borns nennt, so 
werden wir den nationalen Kern seiner Gesetzgebung bei diesem 
altitalischen Volke suchen müssen, zumal da die Sabiner auch sonst 
als ein sehr ernstes, gottesfürchtiges und sittenstrenges Volk ge- 
schildert werden und ihre Gottesdienste in Born gleichfalls den 
Eindruck einer sowohl in religiöser als in sittlicher Hinsicht 
weit gediehenen Entwicklung machen. Indessen ist auf der 
andern Seite nicht zu verkennen , dafs auch das alte Herkommen 
und die sacralen Satzungen der Latiner auf Numas Verordnungen 
einen bedeutenden Einflufs ausüben mufsten , da es ohnehin sein 
Hauptzweck war aus den bisher getrennt gebliebenen Bömern und 
Quiriten d. h. den palatinischen Latinern und quirinalischen Spin- 
nern ein durch gemeinsame Beligion gebundenes Ganzes zu bilden. 
Auch wissen wir dafs viele von Numa in sein Werk aufgenommene 
Institute, z. B. das der palatinischen Salier und ihr Dienst des 
Mars , die Luperci und ihr Dienst des Faunus , die Arvalischen 
Brüder und ihr Dienst der Dea Dia latinischen Ursprungs waren, 
während viele andre z. B. die Gülte des Saturnus und der Ops, 
des Jupiter und des Veiovis, der Diana und Lucina, der Laren und 
der Mutter der Laren, des Vulcanus und der Vesta sowohl latinisch 100 
als sabinisch waren : endlich dafs auch der geistliche Stand und das 
Priesterthum bei den Latinern weit gediehen war. So gab es 
Flamines , Vestalische Jungfrauen , Pontifices und Augurn , auch 

») Vgl. J. Grimm D. M. 67 und Bötticher ßaumcultus 80 ff. 



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120 



ZWEITER ABSCHNITT. 



Fetialen so gut bei den Latineru als in Rom oder bei den Sabi- 
i ic in. Ja es scheint in Gabii, einer Cotonie von Alba Longa, 
eine eigene Priesterschule gegeben zu haben , zunächst für das 
Auguralwesen, worauf auch die Sage führt dafs Romulus und Re- 
mus, die ersten Augurn in Rom, ihre Bildung zu Gabii empfangen 
hatten, Dionys EL I, 84, Plutarch Rom. 6. Wenigstens wissen 
wir aus Varro 1. 1. V, 33 dafs die Auspicien auf römischem und 
auf gabinischem Stadtgebiete in gleicher Weise angestellt wurden. 
Auch war der sogenannte cinctus Gabinus, eine eigene Art die 
Toga aufzuschürzen, welche die freiere körperliche Bewegung be- 
günstigte und deshalb bei den Römern vorzüglich im Lager her- 
kömmlich blieb, nach sicherer Ueberlieferung ursprünglich vielmehr 
bei verschiedenen gottesdienstlichen Verrichtungen üblich gewesen, 
namentlich wie es scheint bei solchen , welche mit Umzügen ver- 
bunden, also schreitend auszuführen waren a ). 

Die Verschmelzung der getrennten Römer und Quinten er- 
reichte Numa theils durch die Curienverfassung , theils durch ge- 
wisse centrale Institute des neuen Staatscullus und der religiösen 
Oberaufsicht des Königs, namentlich die Regia und den Gemeinde- 
heerd der Vesta in der Nähe derselben, endlich durch eine solche 
Einrichtung der Priesterthümer und des öffentlichen Gultus d. h. 
seiner Gebräuche, Opfer und Gebete, dafs dieselben fortan für die 
gesammte Bürgerschaft der Römer und Quiriten, nachmals auch 
füs den dritten Stamm der Luceres verbindlich waren. Vermöge 
der Curienverfassung wurden sämmtliche Familien des Patriciats 
d. h. der ältesten Bürgerschaft in dreifsig Curien eingetheilt, welche 
zugleich eine politische und eine religiöse Bedeutung hatten und 
insofern mit den Kirchspielen mancher deutscher Städteverfassungen 
verglichen werden können. Jede Curie hatte ihr besonderes Local 
zu ihren corporativen und gottesdienstlichen Versammlungen und 
zu demselben Behuf ihren eignen Curio und Flamen, alle zusammen 
aber standen unter der geistlichen Oberaufsicht eines sogenannten 
Curio Maximus, welcher zu dem Gottesdienste der Curien und zu 

») S. die Stellen bei Müller Etrusker I, 265 [1*, 251 vgl. 2», 125]. Auch 
die Laren wurden wohl deshalb cinctu Gabino bekleidet gedacht, weil sie für 
alle Zeit expedite und hülfreiche, rastlos allgegenwärtige Genien gehalten 
wurden. [Vielmehr tragen die tanzenden Laren griechische, bakchische Klei- 
dung: Jordan Annali dell' inst 1862, 336 f. Der cinctus Gabinus ist nichts 
weiter als die eigentümlich hochgeschürzte und über den Kopf gezogene 
toga.] 



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121 



ihren Vorstehern und Priestern ein ähnliches Verhältnifs gehabt zu 107 
haben scheint wie der König, später der Pontifex Maximus zu dem 
römischen Gottesdienste und zu den Geistlichen überhaupt. Die 
Regia war ursprünglich, wie dieses schon der Name sagt, der cen- 
trale Sitz des Königs, sofern dieser zugleich das Haupt und der 
oberste Priester und geistliche Repräsentant des Staates war und 
als solcher zugleich eine Oberaufsicht über alle gottesdienstliche 
Hebungen desselben ausübte, sowohl die des öffentlichen als die 
des Familienlebens. In der Regia, welche am Fufee des palatini- 
schen Hügels an der sogenannten Via Sacra lag, wo diese in das 
Forum mündete, wurde solange es einen König gab von diesem 
und der Königin, später von den dazu verordneten Priestern und 
Priesterinnen den höchsten Göttern des Staats, namentlich dem 
Janus, Jupiter, der Juno, dem Mars, der Ops im Namen der ganzen 
Rürgerschaft geopfert. In der Nähe dieser Regia aber lag auch 
das Heiligthum der Vesta mit dem Gemeindeheerde , auf welchem 
gleichfalls unter der unmittelbaren Aufsicht des Königs, später des 
Pontifex Maximus, von den reinen Händen der Vestalischen Jung- 
frauen die heilige Flamme unterhalten wurde, in welcher sich die 
unsichtbare Lebensflamme des Staates und der Gemeinschaft seiner 
Bürger bildlich darstellte , grade so wie jede der dreifsig Curien 
und jede einzelne Familie auf ihrem Heerde ein ähnliches Feuer 
unterhielt und dabei der schützenden und erhaltenden Götter und 
Genien gedachte von denen sie ihre besondere Existenz und ihr 
eignes Gedeihen ableitete 1 ). 

In der Verfassung der Geistlickeit lassen sich drei verschiedene 
Systeme unterscheiden, deren erstes die Priester und den regel- 
mäfsigen Dienst der höchsten Staatsgötter, des Janus, Jupiter und 
der Juno, des Mars, Quirinus und der Vesta umfafst. Hatte hier 
früher der König an der Spitze gestanden, so scheinen dessen 
Rechte, namentlich die Aufsicht über den gesammten Cultus nach 
Anleitung der Gesetze des Numa , schon unter den Königen zum 
Theil auf den Pontifex Maximus übergegangen zu sein *), und vol- 



*) Ambrosch Stadien und Andeutungen S. 1 — 40. 

*) Wenigstens müssen wir dieses nach Liv. I, 20 und 32 vermuthen, da- 
hingegen spater unter den Kaisera die Sache gerne so dargestellt wurde, als 
ob die Könige wie diese die Würde des Pontifex Max. niemals von der ihrigen 
getrennt hätten, s. Serv. V. A. in, 80, Plutarch Numa 9, Zosim. IV, 36. [Vgl. 
Marquardt Staatsverw. 3, 231.] 



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122 



ZWEITER ABSCHNITT. 



lends veränderte sich die alte Ordnung der Dinge, als das König- 
thum abgeschafft und nur noch ein Schatten seines Namens ge- 
108 duldet wurde. Seitdem gab es nur noch einen Opferkönig, Rex Sacrorum 
oder Sacriliculus genannt, der Erbe der priesterlichen Functionen, welche 
dem Könige bis zuletzt geblieben waren, namentlich der Opfer an 
den Janus (S. 64). Auf ihn folgten dem geistlichen Range nach 
die drei sogenannten Flaraines Maiores, welchen Beinamen sie den 
zwölf Flamines Minores niederer Ordnung verdankten, die durch 
die Einfuhrung anderer Gülte mit der Zeit nöthig wurden und auch 
den Plebejern zugänglich waren *). Unter den Flamines der höhern 
Ordnung büeb der Flamen Dialis immer der angesehenste, als Re- 
präsentant des höchsten Gottes im lichten Himmel, dessen Heilig- 
keit sich in vielen und schwierigen Beobachtungen ausdrückte, die 
ihm für sein persönliches Verhalten vorgeschrieben waren. An 
seiner Seite war seine Gemahlin, die Flaminica schlechthin, dem 
Dienste der Juno gewidmet, wie sich denn bei den meisten dieser 
höheren römischen Priesterthümer die Erscheinung wiederholt, dafe 
ihre Inhaber in erster und einziger Ehe verheirathet sein mufsten 
und dafs ihre Frauen den Dienst bei der weiblichen Gottheit zu 
versehen hatten, welche der männlichen ihres Gemahls am nächsten 
stand. Die beiden andern Flamines, der Martialis und Quirinalis, 
entsprachen, wie bereits früher bemerkt wurde, den beiden alten 
Stammgöttern der palatinischen Römer und der quirinalischen Sa- 
biner*). Endlich folgte dem Range nach als der letzte der Ponti- 
fex Maximus, obwohl er vermöge seiner geistlichen Macht wenig- 
stens im Laufe der Republik bei weitem der erste war und für 
den persönlichen «Mittelpunkt des gesammten römischen Staatsgottes- 
dienstes gelten konnte. Von ihm ging die Besetzung aller bisher 
genannten priesterlichen Würden aus, des Rex Sacrorum, der 
Flamines Maiores und der Vestalischen Jungfrauen, ja er übte auch 
eine Disciplinargewalt über diese Priester und Priesterinnen, welche 

') Paul. p. 151 Maiores flamines, Fest. p. 154 Maximae dignationis, vgl. 
Gai. 1, 112. Ennius scheint dem Nunia auch die Einsetzung dieser geringeren 
Flamines zugeschrieben zu baben, Varro 1. 1. VII, 45, und jedenfalls waren die 
meisten von ihnen alt, wie die Gottesdienste denen sie entsprachen. Nur 
ueon sind bekannt, der fl. Polcanalü, Voltumalis, Palatualis, Furrinalis, 
Floralis, Carmentalis , Portunalis, Falacer, Pomonaiis [Marquardt Staatsverw. 
3, 314 f.]. 

*) Weil Quirinus später allgemein mit dem Divus Romulus identificirt 
wurde, lafst Dionys II, 63 schon Numa den Cultus des Romulus stiften. 



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DER GOTTESDIENST DES NÜMA. 123 

insofern alle seiner Oberaulsicht untergeben waren Ferner war 
er in allen laufenden Fragen des Gottesdienstes und des geistlichen io» 
Rechtes, sowohl in öffentlichen Angelegenheiten als im Familien- 
leben, die letzte Instanz, so dafs er auch in das Staats- und Beam- 
tenwesen und in das civile Recht, z. B. wo es über die Legitimi- 
tät einer Ehe und über die von der Religion vorgeschriebenen 
Pflichten gegen die Verstorbenen zu entscheiden galt, oft hinüber- 
griff und dadurch Veranlassung bekam sich nicht allein um die 
geistlichen, sondern auch um die weltlichen Angelegenheiten zu be- 
kümmern, welche bei diesem Amte sogar je länger desto mehr zur 
Hauptsache wurden. Aufserdem hatte er die Aufsicht über die von 
Numa überlieferten, im Laufe der Zeit vielfach erweiterten und 
überarbeiteten Urkunden des geistlichen Rechts und des öffentlichen 
Gottesdienstes, also auch über den Kalender und die von demsel- 
ben abhängigen Bestimmungen der Fest- und Geschäftstage, sowie 
über die jährlichen Aufzeichnungen aufserordentlicher Ereignisse 
von religiöser Bedeutung, aus welcher die sogenannten Annales 
Maximi hervorgingen. Lauter Geschäfte die ein zahlreiches Beam- 
tenpersonal und ein bedeutendes Archiv von selbst mit sich brach- 
ten und unter seiner Leitung von einem eignen Collegium der 
Pontifices besorgt wurden, welches zuerst aus 4, seit der 1. Ogulnia 
v. J. 454 d. St. 300 v. Chr., durch welche die Plebejer den Zu- 
gang zu diesem wichtigen Amte erlangten, aus 8, seit Sulla aus 
15 und noch mehr Mitgliedern bestand und sich durch Cooptation 
ergänzte, während der Pontifex Maximus durch Volkswahl unter den 
Mitgliedern des Collegiums bestimmt wurde 2 ). Auch der Opferkönig 
und die drei höheren Flamines gehörten zu diesem Collegium, welches 
in allen Religionssachen, bis auf die Zulassung neuer Gottesdienste, 
in Rom und durch ganz Italien die höchste consultative Behörde bildete. 

Ein zweites System dieser Geistlichkeit vom ältesten Datum 
bildete das Collegium der Augurn, deren es bis zur 1. Ogulnia 
gleichfalls 4, seitdem 9, seit Sulla 15 und mehr gab. Ihre geist- 
liche Aufgabe war die . Beobachtung des Willens der Götter aus den 
conventionellen Zeichen (S. 116 f.) und die Anwendung dieser Beob- 



*) Daher der Pontifex auch für den Fl. Dia 1 is fungirte, sobald dieser 
durch Krankheit oder sonst verhindert war. Aach wahrend der 75 Jahre, 
wo die Stelle des Fl. Dialis gar nicht besetzt wurde, sorgte der Pontifex für 
den Dienst, s. Tacit A. III, 58. 

*) Mercklin, die Cooptation der Römer S. 91 ff., 131 ff. 



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124 ZWEITER ABSCHNITT. 

achtungen auf alle wichtigeren Vorgänge des öffentlichen Lebens, 
wobei sie indessen niemals unmittelbar und persönlich einschritten, 
sondern immer nur den vollziehenden Behörden zurathend oder 
110 abmahnend zur Seite standen. Die Beobachtungen selbst wurden 
nach einer altherkömmlichen Technik und sorgfältig fortgepflanzten 
Lehre (disciplina) angestellt, wobei es sich besonders darum handelte 
auf der Erde den rechten Standpunkt zu nehmen, den Himmel in 
gewisse Felder einzutheilen, und demgemäfs über die gute oder 
schlimme, ein Unternehmen, die Wahl eines Beamten u. s. w. billi- 
gende oder mifsbilligende Bedeutung der göttlichen Zeichen zu ent- 
scheiden. Ferner waren die Augurn bei allen Weihungen betheiligt, 
sowohl den vielen persönlichen der Priester, welche erst nach vor- 
genommener Einweihung (inauguratio) ihr Amt antreten und nicht 
ohne eine förmliche Aufhebung dieser Weihe (exauguratio) von 
demselben wieder entfernt werden durften, als bei den örtlichen 
Einweihungen der Stadt und des Stadtgebiets, der Tempel und 
Heiiigthümer, auch der Aecker, Weinberge und Obstgärten, welche 
dann durch gewisse Umzüge, Opfer und Gebete zu besimmten 
Zeiten oder auf außerordentliche Veranlassung zugleich von aller 
Befleckung gesühnt und zu neuer Weihe eingesegnet wurden , bei 
weichen Gelegenheiten die Augurn gewöhnlich mit den Pontifices 
und andern Priestern zusammenwirkten. Endlich hatten sie bei 
außerordentlichen Gelegenheiten, namentlich bei drohenden Erschei- 
nungen des Himmels den Zorn der Götter zu sühnen, Blitze zu 
beschwören, und wieder unter andern Umständen gewisse Verflu- 
chungen auszusprechen, welche für alle Bürger der Stadt galten. 
Die Grenze ihrer Beobachtungen in der Stadt war das sogenannte 
Pomerium, das Local derselben und das ihrer amtlichen Versamm- 
lungen und Verhandlungen das sogenannte auguraculum auf der 
Capitolinischen Burg (in arce) , wo sie zu gewisser Zeit ein sehr 
heiliges und heimliches Opfer darbrachten 1 ). Auch gehörte es zu 
ihren amtlichen Bechten und Verpflichtungen darauf zu achten, daß* 
sie von dort aus den ganzen Horizont der Stadt ungehindert über- 
sehen konnten. Seinen ersten Ursprung leitete dieses Collegium 
nach alter Ueberlieferung von Bomulus ab, dessen lituus, mit dem 
er das bekannte Glückszeichen der Gründung gewonnen hatte, als 
eine heilige Beliquie bewahrt wurde. Aber erst seit dem sabini- 



") Paul. p. 16 Arcaoi, p. 18 Auguraculum. 



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DER GOTTESDIENST DES NUMA 



125 



sehen T. Tatius war die Stätte der Beoabachtung auf der Burg auf- 
geschlagen worden, und erst Numa galt mit gutem Grunde für den 
Stifter des Collegiums. Uebrigens gab es auch aufser diesem Col- 
legium viele Augurn in Rom, wie sie zu Privatzwecken oder sonst 
befragt wurden , vollends in älterer Zeit, wo z. B. der berühmte in 
Sabiner Attus Navius nicht eigentlich zum Collegium der öffentlichen 
Augurn gehörte. Es ist derselbe welcher Tarquinius dem Aelteren 
mit seinen Zeichen und Wundern so imponirend entgegentrat, da Ts 
der mächtige König von seinen Neuerungen ablassen mufste, ein 
Vorgang auf welchen die Tradition der Augurn ein solches Gewicht 
legte, dafs das Collegium seinen ausserordentlichen Einflufs auf den 
Gang aller öffentlichen Angelegenheiten erst von da an datirte 
Ihre religiöse Bedeutung besteht ganz wesentlich darin dafs sie im 
Sinne der Vorzeit für die Dollmetscher des unsichtbaren Willens 
der Götter, vor allen des Jupiter galten 1 ). Sobald man nicht 
mehr an die Theilnahme dieser Götter an allen irdischen und welt- 
lichen Angelegenheiten und an die Bedeutung der Zeichen glaubte, 
sank das ganze Institut natürlich zur politischen Farce herab. 

Eine dritte Gruppe ist die der Sodalitäten und Brüderschaften, 
namentlich die der Luperci, der Salii , der Sodales Titii und der 
Fratres Arvales : ältere Verbrüderungen zu gewissen Cultuszwecken, 
welche Numa in seine Verfassung aufnahm oder durch dieselbe neu 
organisirte und dadurch zu öffentlichen Instituten machte. Ihr 
Unterschied von den gewöhnlichen priesterlichen Collegien besteht 
theils in ihrem Ursprünge und der Enge ihrer Verbrüderung theils 
in der Art ihres öffentlichen Hervortretens. Dem Ursprünge nach 
deuten sie entweder auf gentilicische Vereine oder sonst die ele- 
mentaren Zustände des Gemeindeverbands, wie dieses auch von 
den Alten ausdrücklich anerkannt wird und z. B. in dem Namen 
der Luperci Fabiani und Quinctiliani sich deutlich darstellt. Ihre 
Verbrüderung aber war besonders deswegen so enge, weil sich mit 
ihrer Gesellung das religiöse Element aufs innigste verband, indem 
sie sich eben zunächst zur gemeinschaftlichen Feier eines Opfers 



') Liv. I, 36 ut nihil belli domique pottea nisi atupicato gereretur, cort- 
cilia populi, earercUus vocati, summa rerum, ubi avet ntrn admititsent, diri- 

•) Cic. de Leg. 11, 8, 21 inierpretes autem Iovis Opt. Max. pubUci augures 
signie et auspieiis pottea [so die Hss.: pottera verb. Manutios richtig] vidento. 
Vgl. Hubin«» UDtersucbungeu über röm. Verf. und Gesch. I, 37 ff. 



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126 ZWEITER ABSCHNITT. 

und Opfermahles verbunden hatten, dadurch aber überhaupt zur 
innigsten Betreundung in Noth und Tod angehalten wurden, wie 
dieses ja auch der Name Sodales und Fratres und Germani aus- 
drückt *). Der Zahl nach scheinen diese Vereine gewöhnlich aus 
112 zwölf Mitglieder bestanden zu haben, die sich durch Gooptation er- 
gänzten. Ihr religiöser Dienst unterscheidet sich von dem des ge- 
wöhnlichen Priesters dadurch, daüs sie immer nur bei gewissen 
festlichen Veranlassungen hervortreten , im Uebrigen aber nur als 
religiöse Corpora tionen von öffentlicher Geltung existirten. So 
traten die Luperci öffentlich nur im Februar hervor, wo sie im 
Dienste des palatinischen Faunus, eines sehr alten Cultus, gewisse 
sinnbildliche Gebräuche der Sühnung und Befruchtung verrichteten, 
die Salier im März, wo sie zu Ehren des alten palatinischen Stamm- 
gottes Mars, seit Tullus Hostilius auch zu Ehren des sabinischen 
Quirinus mit eigenthümlichen Liedern und Tänzen durch die Stadt 
zogen, die Titier bei einer nicht näher bekannten Veranlassung zur 
Erinnerung an den Sabinerkönig T. Tatius, endlich die fratres 
Arvales im Mai, wo sie zu Ehren der Dea Dia in ihrem vor der 
Stadt gelegenen Haine die vorgeschriebenen Gebräuche verrichteten 
und gemeinschaftliche Opfermahlzeiten hielten. 

Der Cultus des Numa wird im Allgemeinen dadurch 
characterisirt dafs zugleich seine grofse Einfachheit und seine 
aufserordentliche Mühsamkeit d. h. die grofse Zahl seiner Ge- 
bräuche und Beobachtungen, welche namentlich den Dienst der 
Priester sehr schwierig machten, hervorgehoben wird. In die- 



l ) Cic. pr. Cael. 11, 26 Fera quaedam sodaläas et pastoricia atque agrestü 
germanorum Lupercorum, quorum coüio illa süvestris ante est insti- 
tuta quam humanitas atque leges, si quidem non modo nomina inter se de- 
ferunt sodales, sed etiam commemorant sodalitatem in accus an do . ut ne si 
quis forte nesciat timere videantur. Bei Macrob. I, 16, 32 gelten die sacri- 
ßcia, sodalitates und nundinae für Stiftungen des Romulus uod T. Tatius. 
Paul. p. 296 erklärt Sodales dicH quod una sederent et essent, vel quod 
ex suo datis vesci soliti sint, vel quod inier se invicem suader ent quod utile 
esset. [Doch s. Corssen Ausspr. I 9 , 314. 2, 64.] Bei den Griechen waren die 
'OQyeoZveg und Gtao<5rat etwas Aehnliches. [Irrig ist die Deotung der St. des 
Cicero: germani Luperci heilst 'leibhaftige Wölfe', was sehr gut zu der allein 
zulässigen Ableitung des Worts lup-er-cus, Wölfling, vgl. nov-er-ca, passt: 
Jordan Krit. Beitr. S. 164. 207. Die Bezeichnung 'Brüder' führten so weit 
wir wissen von italischen tSodalitäten nur die römischen fratres arvales und 
die iguvinischen frater Mijediur {fratres Miedü) der iguvinischen Tafeln. S. 
Henzen Acta arv. S. 1, Breai Tab. Eugub. 218.J 



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DER GOTTESDIENST DES MJMA 



127 



Siune äufsert sich Cicero *) und unter den Kirchenvätern 
, Tertullian , welcher letztere wiederholt auf diesen Punkt zurück- 
kommt und wegen der vielen Gebräuche, Gelübde und Obser- 
vanzen das Gesetz des Numa sogar mit dem des Moses vergleicht 2 ), 
dabei aber gleichfalls die grofse Einfalt und Nüchternheit der Aus- 
stattung des Dienstes rühmt. Gewifs ist dafs dieser Gharacter in ns 
den engeren Kreisen des alten römischen Staatsgottesdienstes sich 
trotz der später hinzugekommenen Tempel und Bilder, der präch- 
tigen Processionen , der rauschenden Spiele immer als fester Kern 
alter Sitte und Frömmigkeit erhalten hat, daher auch die Patrioten 
immer wieder darauf zurückwiesen und namentlich auch dieses vor 
Augen haben, wenn sie auf die vielgerühmte Religiosität der Vor- 
fahren zu sprechen kommen, welche einer der wirksamsten Hebel 
des römischen Staates und der römischen Macht gewesen sei 3 ). 
Denn ein religiöser Mensch ist im Sinne des römischen Sprach- 
gebrauchs nur der gesetzlich fromme und gewissenhafte, welcher 
sich streng an die vom Staate vorgeschriebenen Normen des Götter- 
glaubens und des Gottesdienstes hält und darin weder zu viel noch 
zu wenig thut) 4 , wobei also freilich nur von einer Gesetzlichkeit 



*) Cic. de Rep. II, 14, 27 Sacrorum ipsorum diligentiam dif fidlem, ap- 
paratum perfacilem esse voluit. Nam quae perdiscenda quaeque observanda 
essent mitlta constituit, sed ea sine impensa. 

') Tertullian Apolog. 21 Pompilius Numa, qui Romanos operosissimis 
superstitionibus oneravit. De Praescript. Haeret. 40 Si Numae PompiUi super- 
stitiones revolvamus, si sacerdotalia officia et insignia et privilegia, si sacri- 
ficalia minist er ia et instrumenta et vasa ipsorum sacrificiorvm ac piacu- 
orum et votorum curiositates consideremus, nonne manifeste diabolus moro- 
sitatem illam Iudaicae legis imitatus est? Vgl. Apolog. 25. 

•) Cic. N. D. II, 3, 8 Si conferre volumus nostra cum externis, ceteris 
rebus aut pares aut etiam injeriores reperiemur, religione i. e. cultu deorum 
multo superiores. Sallust Catil. 12 noslri maiores religiosüsimi mortales. 
Vgl. unter den Griechen Polybins oben S. 24 und Posidonius bei Athen. VI, 
107 p. 274, unter den Kirchenvätern Tertull. Apolog. 25 illa praesumptio di- 
centium Romanos pro merito religiositatis diligentissimae in tantum sublimi- 
tatis elatos ut orbem occuparint, et adeo deos esse ut praeter ceteros floreant 
qui Ulis officium praeter ceteros faciant. 

*) Fest. p. 289 Religiosi dieuntur qui faciendarum praetermittendarumque 
rerum divinarum secundum morem civitatis delectum habent nec se superstitio- 
nibus (d. h. vom Staate nicht recipirten Sacris) implicant. In demselben Sinne 
sagt Cotta bei Cic. N. D. III, 2 Sed cum de religione agitur Tu Corun- 
canium, P. Scipionem, P. Scaevolam pontißces maximos, non Zenonem aut 
Cleanthem aut Chrysippum sequor. Diese Religion verstand auch Varro unter 



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128 



ZWEITER ABSCHNITT. 



im pharisäischen Sinne des Wortes die Rede sein konnte, nicht von 
der Religion und dem Glauben im Sinne des Neuen Testaments. 
Obwohl sich auf der andern Seite nicht läugnen läfst dafs diese 
peinliche Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit der gottesdienstlichen 
Uebungen und der hohenpriesterlichen Oberaufsicht das ganze römi- 
sche Staats- und Rechtswesen der guten alten Zeit wie im Keime 
in sich enthielt und dafs Numa als Urheber des pontificalen Grund- 
gesetzes mit gutem Fuge für den Urheber des alten römischen 
Staates gelten konnte, welcher trotz aller politischen Neubildungen 
der spätem Könige und der Republik doch im Stillen noch immer 
sehr mächtig nachwirkte. 
114 Versuchen wir uns diese Eigenthümlichkeit des römischen 
Cultus, seine Simplicität auf der einen Seite und die Ueberladung 
mit religiösen Observanzen auf der andern näher zu vergegenwär- 
tigen, so bestand jene zunächst in der noch immer dauernden Ent- 
haltung von aller äufsern Vergegenwärtigung der Götter durch 
Tempel und Bilder 1 ). Denn Tempel im architectonischen Sinne 
des Wortes gab es auch unter Numa nicht, sondern nur geweihte 
Räume zu gemeinschaftlichen Opfern und Gebeten, sogenannte Gurien 
und Atrien (z. B. das atrium Regium, das atrium Vestae), wodurch 
gewisse alte und einfache Symbole und Unterpfander des göttlichen 
Schutzes und der göttlichen Gegenwart nicht ausgeschlossen sind, 
z. B. die Lanzen und die Ancilien des Mars, der Bogen des Janus, 
das Feuer der Vesta und andre mehr, welche entweder aus dem 
höheren Alterthum beibehalten oder von Numa neu geschaffen 
wurden. Auch fragt es sich ob es nicht auch damals schon so- 

seinem genas civile (S. 34), obwohl er das Wort religiosus in dem Siooe eines 
Uebermaafses von Frömmigkeit erklärte, wie soperstitiosus, s. Gelüus >'. A. 
IV, 9. Etwas Andres ist religiosum im objectiven Sinne des Wortes, von 
Tagen, Stätten u. s. w., wo es von sacrnm und sanctnm unterschieden wurde, 
s. Fest. p. 289, Macrob. S. III, 3, Serv. V. A. II, 686, Gellius 1. c. [Vgl. Lübbert 
Quaestiones pontificales B. 1859 S. 1 ff. Ueber die Ableitung von religio ist 
noch immer Streit (Corssen Ausspr. 1*, 444 f. Curtius Grund/. S. 364): das 
von Gell. a. 0. ans einem Dichter a. religens vgl. diligens ist wobl jedesfalls 
eine etymologische Erfindung.] 

l ) Tertullian Apolog. 25 Nam etsi a Numa concepta est curioritas super- 
stitiosa, nondum tarnen aut simulacris out templis res divina apud Romanos 
constabat. Frugi religio et pauperes ritus et radln Capitolia certantia ad cae- 
lum, sed temeraria de caespite altaria et vasa adkuc Samia et nidor ex illis et 
deus ipse nusquam. Nondum enim tuno ingenia Graecorum atque Tuscorttm 
fingendis simulacris urbem inundaverant. Vgl. Plut. Numa 8. 



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DER GOTTESDIENST DES NUMA. 129 

genannte pulvinaria gegeben habe, eine eigen thümliche Weise die 
Gottheit für das Gebet, namentlich die supplicatio zu vergegenwär- 
tigen, auf welche ich gelegentlich zurückkommen werde. In jenen 
Bet- und Opfersalen standen Opfertische von einfachem Holz, auf 
welchen die frommen Gaben in Körben oder auf thönernen Platten 
dargebracht wurden; die Altäre, welche im Freien standen, waren 
meist von natürlichem Rasen, wie auch später in den altertüm- 
lichen Gülten solche viel zu finden waren. Ferner war die alter- 
tümliche Einfachheit aller nach dem Gesetze Numas zum Gottes- 
dienste erforderlichen Geräthe und Gefafse mit der Zeit zum Sprich- 
worte geworden namentlich die der Form und ihrer Bestimmung 
nach mannichfaltigen , aber dem Stoffe nach gleichfalls sehr kunst- 
losen Gufsgefafse, Schalen, Töpfe Numas, in denen die Spenden 
dargebracht oder die Opferstücke gekocht oder die Erstlinge des 115 
Kornfeldes, der Weinberge und andre Naturgaben geweiht wurden, 
wie davon wieder die Urkunden der Arvalischen Brüder manche 
Andeutung geben. Die Opfer selbst waren theils blutige d. h. Thier- 
opfer, welche von dem Gesetze Numas keineswegs ausgeschlossen, 
aber gleichfalls durch sehr ins Einzelne eingehende Vorschriften 
geregelt waren, gröfstentheils aber unblutige 2 ), darunter besonders 

*) Persius II, 59 sfurttm vasa Nümae Saturniaque impulü aera t Vestaiet- 
que urnas. Cic. N. D. III, 17, 43 docebo meliova me didicisse de colendis diit 
immortalibus iure pontißcio et maiorum more capedunculü iis, qua* Numa 
nobis reliquä, de quibus in Uta aureola oratiuncula dicü LaeUu* (S. 25), quam 
ratwtiibus stoicorum. Dionys H. II, 23 iyta yovv {»faadfiijv iv hgaig olxtaig 
dtlnva ngoxtifieva dfois inl rganiCatg Sulivatg o^«ix«tf, iv xavrjoi xal 
7tivaxtoxote xegapioig dl(p£t<ov pafas xal nonava xal Cias xal xagnüv itvorv 
dnaQxag xal alla -totavTa Ina xal iiöanava xal ndarjg änetgoxaUae anrjl- 
layutva' xal anovSag tldov iyxexgapivag ovx iv agyvqoTg xal j^wrotf ay- 
yeotv, all* iv bargaxivatg xvxigt xal ngoxoig, xal ndvv rfydo&ijv rtov av- 
Jqüv ort dtaß(vovaiV iv roTf nargioig t&eoiv, ovöhv ij-alldnovres rdav 
ÜQXalun hiuüv tlg rr\v dlaCova nolvrtlitav. [Gemeint sind besonders die 
im Arvalenkult und sonst noch später gebrauchlichen ollae, simpuvia, worüber 
Henzen Acta arv. p. 30. lieber das olla* precari der Arvalen vgl. Aufrecht 
und Kirchhoff U. S. D. 2, 229. — Man meint, solche ollae seien erhalten. 
Vgl. jetzt die Nachweisungen bei Hei big, die Italiker in der Porben e, 
L. 1879. 86 f.]. 

») Von Thieropfern ist ausdrücklich die Rede bei Liv. I, 20, auch wissen 
wir dafs in der Regia und bei andern Gelegenheiten Widder und Lämmer 
geschlachtet worden. Ueberdies enthielt das [pontificische] Ritualgesetz auch 
über solche Opfer genaue Vorschriften, s. Varro 1. 1. V, 98, Serv. A. XII, 
170 u. a. Also geht Plutarch Numa 8 zu weit, wenn er im Vergleiche Numas 

PrelUr, Röm. MythoL L 8. Aufl. 9 



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130 



ZWEITER ABSCHNITT. 



die bei jedem Opfer unvermeidliche mola salsa, welche gewöhnlich 
auch von Numa abgeleitet wurde, aber gewifs älter ist als er. 
Ferner gab es sehr viele Spenden, meist ohne Wein 1 ), endlich sehr 
viele Opferkuchen, liba, die in sehr verschiedenen Formen gebacken 
wurden, zu welchem Behüte es unter dem dienenden Personal der 
verschiedenen Priesterthümer eigne geistliche Kuchenbäcker, soge- 
nannte Octores gab 2 ). Das allgemeine Material dieser Spenden und 
Opfer war, soweit Mehl dazu erforderlich war, 
Getreide far oder ador d. i. Dinkel, Spelt, welcher daher auch sonst 
auf Veranlassung vieler alterthümlicher Gebräuche genannt wird 
und namentlich den ältesten religiösen Gebräuchen der ehelichen 
Verbindung oder Trennung den Namen confarreatio und diffarreatio 
gegeben hat 3 ). Mit welcher peinlichen Sorgfalt übrigens z. B. die 
iie mola salsa für den öffentlichen Cultus zubereitet wurde, davon 
geben die darauf bezüglichen Gebräuche der Vestalischen Jungfrauen 
eine deutliche Vorstellung. Die Menschenopfer scheinen, soweit sie 
überhaupt noch bestanden, durch Numa gänzlich entfernt und durch 
sinnbildliche Gebräuche ersetzt zu sein, worauf namentlich die Le- 
gende von Numa und dem Jupiter Elicius deutet. Ja die Aengst- 
lichkeit vor allem Blutigen und was daran erinnern konnte war in 
dem römischen Gottesdienste so grofs, dafs der Gebrauch des Eisens 
von allen heiligen Handlungen streng ausgeschlossen war und auch 



und der Pythagoreer keine blotigen Opfer anerkennen will: dvtti/LiaxTot yctQ 
fiaav af Tf nokkal d7 dhf iiou xal anovöffs xal täiv tvxtktatdroiv nenoiTj- 
fiivai. 

») Plin. H. N. XV11I, 7 Numa instituä deos /rüge colere ei mola salsa 
supplicare. Nach Dems. XIV, 8S worden die von Romains eingesetzten 
Opfer ohne Wein dargebracht, die vou Numa nur von dem Wein beschnittener 
Reben. [Vgl. Uenzen Acta arv. 14. Bei den Anhängern voo Heho's Theorie, 
dafs vinu in Lehnwort sei ond die Weinkultur in Italien nicht ursprünglich, 
spielen auch diese Bestimmungen eine Rolle. S. zuletzt noch Heibig a. 0. 71.] 

l ) Ennius b. Varro 1.1. VU, 43 von Numa: mensas constüuü idemque 
ancilia . . . libaque, fictores, Argeos et tutulatos. Ib. 44 fictores dich 
a fingendis libü. Vgl. die Nachweisungen b. Marquardt IV, 198 [= Staats- 
verw. 3, 240]. 

3) Dionys II, 25, Plin. H. N. XVIII, 82. Vgl. ib. 62 Poputum Romanum 
farre tanlum e frumento CCC annis usum Ferrius tradit, und 14 gloriam 
denique ipsam a farris honore adoream appellabant. Non. Marc. p. 52 ador 
frumenti genus quod epulis et immolationibus sacris pium putatur. Ib. p. 114 
Vari'o de vita populi Ro. lib. I. In eorum sacris liba cum sunt facta, inicere 
solent farris semina et dieere se ea februare i. e. pura facere. 



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OER GOTTESDIENST DES KüMA. 131 

der Leib der Priester nicht von einem Eisen berührt werden durfte, 
eine Rücksicht welche sich übrigens auch in andern alten Religionen 
findet und in Italien auch von den Etruskern und Sabinern beob- 
achtet sein soll 1 ). Endlich wird auch der Gebrauch der später bei 
Opfern und andern heiligen Handlungen allgemein herkömmlichen 
Flötenmusik immer so bestimmt von den Etruskern abgeleitet, dafs 
eine solche oder überhaupt irgend eine Musik beim Gottesdienste 
des Numa nicht wohl denkbar ist. 

Drückt sich in diesen Thatsachen eine strenge Nüchternheit 
und eine ebenso grofse Gewissenhaftigkeit des religiösen Gedankens 
aus, so ist die Seele einer andern Reihe von Gebräuchen die casti- 
tas d. h. der Sinn für Reinheit, welche sowohl von allen Betenden 
und Opfernden 2 ) als von dem Opfer selbst, vor allem aber von 
dem ganzen priesterlichen Personal gefordert wurde und wieder 
eine Menge von einzelnen ritualen Vorschriften und Bestimmungen 
zur Folge hatte. Daher die vielen Waschungen, Besprengungen 
und Räucherungen, wie sie bei allen religiösen Handlungen erfor- 
derlich waren; daher die äußerste Reinlichkeit und Sauberkeit 
namentlich beim Culte der Vesta, deren Heerd als Gemeindeheesd m 
zugleich ein Symbol des öffentlichen Gottesdienstes überhaupt war: 
daher ferner die vielen und häufig wiederholten Lustrationen der 
Stadt, des Stadtgebietes, der Bürgerschaft, des Heeres, ja selbst de* 
Viehstandes, wie sie in den verschiedensten Culten, namentlich aber 
in dem der alten Nationalgötter Mars und Faunus vorkommen, alle 
mit der zu Grunde liegenden Vorstellung, dafs nur das den Göttern 
lieb und angenehm sein könne, was von dem Makel und der Be- 
fleckung der irdischen Natur und des irdischen Gebrauchs immer 



*) Macrob. V, 19, 13 Prius üaque et Tuscos aeneo vomere uti, cum con- 
derentur urbes, solitos in Tageiici» eorum sacris invenio, et in Sabinis ex aere 
cultras quibus sacerdotes tonderentur. Serv. V. A. I, 449 flamm Dialis aereis 
eidtris tondebatur. Auch bei dem Bau der alten Holzbrücke durfte kein Eisen 
gebraucht und in die Haine und Heiiigthümer der Götter ohne vorgangige 
Sühntingen kein Eisen gebracht werden. [Schiff des Aeneaa in den Navalia 
nach Prokop Goth. 4, 22 S. 573 ohne Eisen gebaut] Vgl. Lobeck Aglaoph. 
p» 686. 896 und Lasaulx Studien des class. Alterthums S. 117. [Uenzen 
Acta arv. 132, Jordan Topogr. 1, 1, 396 f., Heibig, Mal. in d. Poebeoe 80 f. J 

>) Die allgemeine Vorschrift bei Cicero de Leg. U, 8, 19 Ad divos adeunto 
caste, pietatem adkibento, opes amovento : qui secus faxü, deus ipse vindew erit. 
[Daher wohl castus = ieiunium : castus Cereris, Isidix , unten S. 438. 736 d. 
2. A.; auch Diovis castud in der unten zu S. 242a. Inschrift der Inno Lucina?] 

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132 



ZWEITER ABSCHNITT. 



von neuem gereinigt werde. Daher ferner die strenge Feierlichkeit 
in der Anwendung der einmal hergebrachten und consecrirten 
Formel des Gebets oder frommen Gebrauchs, weil durch die bei 
jeder Weihe vorgenommenen Auspicien die Gottheit selbst diese 
Formel genehmigt, also ein für allemal geheiligt hatte, so dafs die 
kleinste Abweichung ein Verstofe gegen ihren Willen war : eine 
neue Quelle vieler Verschuldungen und dadurch veranlafsten Süh- 
nungen. Das ist das Gebiet der sogenannten piacula, von denen 
in den sacralen Vorschriften der Pontifices gleichfalls sehr aus- 
führlich die Rede war. Piaculum commissum oder piacularis 
commissio hiefs nehmlich eine jede Versündigung der Art, welche 
durch einen eignen Act der Sühnung, expiatio, wieder gut gemacht 
werden mufste ; piaculum dann aber auch das Sübnopfer, welches 
als Mittel der Sühne dargebracht werden mufste; aufser welchen 
bestimmt vorliegenden Fällen aber auch für eine eventuelle Ver- 
sündigung z. B. beim Dienste der Todten vor der Erndte die porca 
praecidanea geschlachtet, oder in solchen Fällen, wo aus bestimm- 
ten Zeichen der Götter auf eine nicht näher nachweisbare Versün- 
digung geschlossen wurde, sogenannte postiliones oder postulationes 
als von den Göttern geforderte Sühnopfer dargebracht wurden 
Und zwar war bei den Opfern, den Gebeten, den Processionen der 
Iis geringste Verstofs schon wichtig genug, um solche Sühnungen oder 
auch eine Wiederholung der ganzen heiligen Handlung oder wenig- 



*) Araob. IV, 31 Si th cerimoniis vestris rebusque divinis postilionibus 
[so die Hs.] locus est et piacularis dicitur contracta esse commissio , si 
per imprudeutiae lapsum eut in verbo quispiam aut simpuvio deerrarit, aut si 
rursus in soUemnibus ludis curriculisque divinis commissum omnes statim 
in religiones clamatis sacras, si ludius constitit aut tibicen repente Contimit, 
aut si patrimus ille qui vocüatur puer omiserit per ignorantiam lorum aut 
tensam teuere non potuit. Vgl. Cic. de Harusp. resp. 10, 20 [postiliones (postu- 
lationes die Hss.) esse Iovi Saturno Neptuno Telluri dis caelestibus, wie Orelli 
richtig schreibt, da ebenda 14, 31 Telluri postüio (oder postülo) deberi dicitur 
und bei Varro de I. 1. 5, 148 deum + manio postilionem postulare überliefert ist] 
und Plut Coriolan 25. In demselben Sinne sagt Virg. Aen. VI, 569 commissa 
piacula und Cic. de Leg. D, 9, 21 sacrum commissum, quod neque expiari 
poterit, impie commissum esto; quod expiari poterit, publici sacerdotes 
expianto [vgl. Jordan Proleg. in Cat. S. LXXIX f.]. Doch sind piacula auch die 
victimae, quibus facinus expiabatur admissum, Pseudoacron z. Horat. Od. I, 28, 
34. [Der technische Sprachgebrauch, der namentlich in den Arvalacten vorliegt, 
kennt piaculum als Opferthier nicht. Aeltestes Beispiel in der oben S. III, 1 
a. ürk. von Spoletium Iove bovid piaclum daiod.) 



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DER GOTTESDIENST DES N'UMA. 



133 



stens des besondern Acts, in welchem das Versehn vorgefallen war, 
nothwendig zu machen: irgend ein Versehn oder eine Auslassung 
beim Vortrage des Gebets, eine falsche Bewegung der Hand beim 
Gufsopfer, eine plötzliche Stockung der Tanzbewegung oder der be- 
gleitenden Flöte oder Procession, indem etwa eins der Pferde, 
welche die Processionswagen der Götter zogen, scheu wurde oder 
der Knabe, welcher den Wagen führte, die Zügel mit der linken 
Hand ergriff oder fallen liefs. Es soll vorgekommen sein dafs um 
solcher Versehen willen ein und dasselbe Opfer wohl dreifsig mal 
wiederholt worden war. Ferner mag der hier in Rom und ganz 
Italien zu allen Zeiten aufserordentlich zahlreichen Gelübde (vota) 
erwähnt werden, eine Art von Religiosität die man in so häufiger 
Anwendung auch nicht leicht in einer andern Religion des Alter- 
thums wird nachweisen können. Gleich in den ältesten Zeiten der 
Nation kündigt sich dieser Trieb in den häuGgen Gelübden des 
heiligen Frühlings an (S. 118), und bis zu den letzten Zeiten der 
Kaiser beurkundet er sich in zahllosen Dedicationstiteln und in den 
häufigen Gelübden für das Wohl des Kaisers und des kaiserlichen, 
Hauses, wie sie namentlich am dritten Januar, welcher Tag danach 
der der Vota hiefs, von Staatswegen concipirt wurden. Zu Grunde 
liegt, von dem Mifsbrauche abgesehen, gewifs auch hier ein tiefes 
Gefühl der Verpflichtung für alles Gute und alles Heil, welches man 
von den Göttern durch fromme Stiftungen zu erlangen hofft; die 
häufige Uebung hatte frühzeitig die Form eines formlichen Con- 
tractes angenommen, vermöge dessen der Gelobende für den ge- 
setzten Fall einer Erhörung seines Gebetes reus wird d. h. verpflich- 
tet zu der angelobten Gabe, Stiftung oder Heiligung seiner eignen 
Person, wie er nach erfolgter Erhörung als damnatus, also als 
gleichsam Verurtheilter sein Gelübde erfüllen mufs 1 ). Endlich die 
vielen Ahndungen, Träume, omina, ostenta, portenta, lauter Andeu- 
tungen, Prüfungen und Merkmale des göttlichen Willens, ein Auf- 
merken auf jedes Zeichen der göttlichen Vorsehung, wo es sich ir- 
gend zeigen mochte und konnte, am Himmel oder auf Erden, im u» 
Bauche des Opferthiers oder durch allerlei Abnormitäten des natür- 
lichen Verlaufs der Dinge : die merkwürdige Superstition des Lebens 

l ) Macrob. S. III, 2, 6 Haec vox proprio, sacrorum est, ut reut vocetur 
qui suscepto voto se numinibus obligat, damnatus autem qui promissa vota 
iam solvit. In diesem Sinne konnte auch eine Vestalia rea heilsen, und ich 
glaube dafs dieses der Grund der Benennung der Rea Silvia ist. 



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134 



ZWEITER ABSCHNITT. 



und der Naturempfindung, welche die Römer den Griechen gegen- 
über allerdings weit abergläubischer und schwerfalliger zu jeder 
Wissenschaft erscheinen läfst, aber doch auch eins von den vielen 
Merkmalen ihrer tiefinnerlichen Furcht der Götter ist. 

Eine besondere Beachtung verdienen schliefslich die vielen 
öffentlichen Gebete und Gebetsformeln (precationes, carmina), welche 
für uns um so wichtiger sind, weil grade in dieser Hinsicht die 
pontiiicale Gesetzgebung des Numa offenbar einen sehr bedeutenden 
I nflufs auf das Göttersystem und den Götterglauben d. h. auf die 
Namen und Anrufungen der Götter gehabt hat Namentlich sind 
hier die Indigita menta wichtig, ein eigner Abschnitt der heiligen 
Urkunden, welcher in seiner ersten Abfassung auch auf Numa zu- 
rückgeführt wird, aber mit der Zeit gleichfalls erweitert und viel- 
fach überarbeitet sein mag. Die Kirchenväter und andre Schrift- 
steller, welche sie aber nur aus dem grofsen Werke Varros kannten, 
pflegen sie wie ein Repertorium alter Götternamen zu benutzen 
und besonders bei ihren Klagen über den ausgearteten Polytheismus 
der Römer darauf zurückzugehn, obwohl Cicero seinerseits von einer 
übergrofsen Menge der Götter in den pontificalen Urkunden nichts 
wissen will 1 ). So hat man auch neuerdings in diesen Indigitamen- 
ten meist Verzeichnisse, eine Art von officieller Protokolle der 
ältesten Götternamen gesehen 1 ), ich glaube mit Unrecht, da man 
sie vielmehr für eine Sammlung der alten Gebetsformeln des öffent- 
lichen, von den Pontifices überwachten Gottesdienstes hätte hal- 
ten sollen, in denen die Reihen und Namen der Götter nach eigen- 
thümlichen liturgischen Principien zusammengestellt waren. Der 
Titel indigita men tum wird wohl am besten als Frequentativ von 
120 index zu verstehen sein 8 ); so dafs diese Bücher insofern allerdings 



*) Arnob. II, 73 Non doctorum in litterü continetur, Jpoliinis nomen 
Pompiiiana indigitamenta nescire? wo aber wohl nur der älteste Theil 
der Sammlung zu verstehen ist, denn die Vestalinnen nannten in ihren Ge- 
beten auch den Apoll. Serv. V. Ge. 1, 21 in indigiiamentis i. e. in libris pon- 
tißcalibus, qui et nomina deorum et rationes ipsorum nominum continent. Auch 
Cic. N. D. I, 30, 84 meinte gewifs diese Bücher: Deinde nominum non magnus 
numerus, ne in pontificiis quidem nostris, deorum autem (d. h. der wirklich 
oxistirenden und in aller Welt verehrten) innumevabilis. 

*) J. A. Ambrosch über die Religionsbücher der Römer, Bonn 1843, 8. 
[Vgl. auch oben S. 39.] 

•) Wenn der Name nicht vielleicht gleichbedeutend mit axamenta ist, 
s. weiter unten S. 141 [und Anm. 4 zu S. 92]. 



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DER GOTTESDIENST DES NUMA. 



135 



Verzeichnisse waren, aber nicht von blofsen Götternamen , sondern 
von solchen Gebeten, in denen nach alterthümlicher Weise bei den 
verschiedensten Veranlassungen des Lebens, Geburten, Hochzeiten, 
Todesfallen, für die Aecker, für das Vieh u. s. w. zu den Göttern 
gebetet wurde Daher das Wort indigitare auch in derselben Be- 
deutung wie Beten und Anrufen gebraucht wird, namentlich von 
dem priesterlichen, mit religiöser Weihe und bei einer feierlichen 
Gelegenheit vorgetragenen Gebete der Pontifices, der Vestalischen 
Jungfrauen und der Flamines 8 ); ja auch wohl, weil man dem 
Gebete überhaupt und vollends dem Gebete der höchsen geistlichen 
Würdenträger eine magische Kraft zuschrieb, in dem Sinne einer 
magischen Beschwörung durch Gebet und Anrufung 8 ). Ja es ist 
gelegentlich ausdrücklich von einer in den Händen der Pontifices 
befindlichen Sammlung der öffentlichen Gebete des römischen 
Staatscultus die Rede 4 ), so dafs man eben die Indigitamenta dafür 
wird halten dürfen d. h. für einen authentischen Originalcodex 
säramtlicher in der Praxis des römischen Staatsgottesdienstes bei 
dieser oder jener Gelegenheit vorgetragenen Gebete, nach welchem 
die Pontifices als Oberaufseher des öffentlichen Cultus auch diese 
Praxis überwachten. Der Form nach wird man sich diese Gebete 
nach Art der alten Liturgieen oder Hymnen zu denken haben, etwa 
der Orphischen Hymnen und der ältesten Gesänge und Liturgien 
der christlichen Kirche, wo auch häufig der Text nur aus einer 
i 

') Censorin d. d. n. 3, 4 alii sunt praeterea dei complures hominum 
vitam pro sua quisque portione adminiculantes , quos volentem cognos- 
cere Indigitamentorum libri satis edocebunt. 

•) Varro b. Noo. Marc. p. 352 Numeriae, quam deam solent indigitare 
etiam pontifices. Serv. V. A. VIII, 330 Tiberinut — a pontißcibus indigitari 
solet. Macrob. I, 12, 21 von der Main : Auetor est Cornelius Labeo, — hanc 
eandam Bonam Faunamque et Opern et Fatuatn pontificum Ubris indigitari. 
Ib. 17, 5 firgines Vestales ita indigitant: Apollo Medice, Apollo Paean. 
Daher Serv. V. A. XII, 794 indigeto durch precor et invoco erklärt. Vgl. 
Paul. p. 114 indigitanto imprecanto. Gloss. Labb. Indigitamenta 
teottTtxd. 

8 ) Paul. p. 114 Indigitamenta incantamenta vel indicicu Tertull. de 
leiunio 1(5 Cum stupet caelum et aret annus, nudipedalia denuntiantur, ma- 
gistratus purpuras ponunt, fasces retro avertunt, preces indigitant, kostiam 
instaurant 

4 ) Gell. IS. A. XI», 23 (22), 1 Comprecationes deutn immortaUum, quae 
riiu Romano fiunt, expositae sunt in Ubris sacerdotum populi Romani. 
Darunter sind die Pontifices zu verstehen. [Vgl. Jordan Top. 2, 272 f.] 



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136 



ZWEITER ABSCHNITT. 



Zusammenstellung vieler einzelnen Namen und Beinamen besteht 
Ohne Zweifel waren auch diese Texte, noch viel mehr als die 
Fasten und der Kalender, ursprunglich geheim d. h. nur für die 
geweihten Kreise der Priester bestimmt und der Oeffentlichkeit 
sorgfTdtig entzogen; bis später bei der allgemeinen Verweltlichung 
des Priesterthums und der priesterlichen Bildung auch sie zugäng- 
lich und ein Gegenstand der gelehrten Forschung wurden, in wel- 
chem Sinne z. B. ein gewisser Granius Flaccus ein eignes Buch de 
Indigitaraentis an den Cäsar gerichtet hatte, wahrscheinlich als dieser 
Pontifex Maximus geworden war, s. Censoriu d. d. n. 3'). Vorzüglich 
aber war Varro auch in diesen wichtigen Urkunden sehr zu Hause ; 
namentlich scheint er sie in dem Abschnitte seines Werkes de düs 
certis (S. 71) durchgängig excerpirt und auf eigenthümliche Weise 
überarbeitet zu haben, aus welcher Quelle dann wieder die späteren 
Schriftsteller schöpften. Auf die in mehr als einer Hinsicht 
höchst interessanten Götternamen der Indigitamenta , so weit wir 
deren Reihen aus diesen späteren Schriftstellern wiederherstellen 
können, werde ich in dem zehnten Abschnitt zurückkommen. Hier 
sei nur soviel bemerkt, dafs ich die grofse Mehrzahl dieser Götter 
keineswegs für Cultusgötter im eigentlichen Sinne des Worts 
halten kann, wie sie denn auch Varro nicht als solche behandelt 
hatte. Vielmehr können sie neben den wenigen Cultusgöttern, 
welche schon zur Zeit Numas galten (S. 63), nur für numina und 
eine eigenthümliche Art von männlichen und weiblichen Genien 
gelten, welche ich zum Unterschiede von den Orts- und Personal- 
genien (S. 68) Gelegenheitsgenien nennen möchte, d. h. für geistige 
Kräfte und Wirkungen der allwaltenden Gottheit, welche nach 
Art des ältesten Göttercultus eben nur fürs Gebet und durchs Ge- 
bet um Schutz und Hülfe nach Mafsgabe der einzelnen Gelegen- 
heiten, für welche man sie anrief, personificirt wurden. Auch wer- 
den diese Götter bei den Kirchenvätern sowohl von den mytholo- 
gischen als von den Cultusgöttern ausdrücklich unterschieden 8 ) und 



*) Lobeck Aglaoph. p. 400 sq. 

a ) [Ueber die jetzt ziemlich allgemein aufgegebene Anaahme dafs Granius 
Flaccus und Granius Licinianus identisch seien (s. die Bonner Ausgabe des 
letztern S. XIX ff.) vgl. die Litteratur bei Teuffei L. G. § 355, 5.] 

8 ) Tertull. ad Nat. II, 11 Nec contenti eos deos asseverare, qui visi retro, 
auditi contrectatique sunt, quorum efßgies descriptae, negotia digesta, me- 
moria propagata, umbras nescio quas incorporales inanimales et 



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DER GOTTESDIENST DES NUMA. 



137 



von Tertuilian gelegentlich sogar recht passend mit den bibli- 
schen Engeln verglichen *), obwohl sie sich an andern Stellen wieder in 
geflissentlich über diesen unberufenen und ganz überflüssigen Götter- 
pöbel, wie sie sich ausdrücken, argern und lustig machen 8 ); wozu ein 
gegründeter Anlafs zu ihrer Zeit um so weniger vorhanden war, 
da die grofse Mehrzahl dieser Namen schon zur Zeit Varros so gut 
wie verschollen war. Hatten sie ja hin und wieder einen eignen 
Cultus im Volke gehabt und einzeln sich sogar auf die Dauer in 
demselben behauptet, so darf man daraus keineswegs auf den ein- 
fachen und bilderlosen Gottesdienst des Numa zurückschliefsen. 
Es liegt in der Natur solcher Personificationen von geistigen Kräf- 
ten, auch die der Tugenden bei Griechen und Römern können als 
Beispiel dienen, dafs sie mit der Zeit an Consistenz gewinnen und 
darüber selbst zuletzt zu Cultusgöttern werden, vollends wenn der 
Trieb nach Bildern und andrer sinnlicher Vergegenwärtigung ein- 
mal erwacht ist. 

Wie viel in Rom gebetet wurde und wie ängstlich und ge- 
wissenhaft man auch in dieser Hinsicht war, erfährt man aus einer 
wichtigen Stelle bei Plinius H. N. XXVIII, 10, wo er über die 
magische Wirkung von Gebets- und Beschwörungsformeln spricht 
und bei dieser Gelegenheit verschiedener noch zu seiner Zeit ge- 
brauchter Formeln der Art gedenkt. Der Glaube an die Kraft des 
Gebets sei so allgemein, dafs kein Blut eines Opferthiers, keine 
Beobachtung des göttlichen Willens ohne Gebet für wirksam gelte. 
Gewisse Formeln werden gesprochen wenn man göttliche Zeichen 
zu haben wünscht, andre wenn ein Uebel abgewendet werden soll, 
wieder andre wenn den Göttern ein Wunsch vorgetragen wird. 
Auch sind die Götter von den höchsten Magistratspersonen immer 
mit bestimmten herkömmlichen Worten beschworen worden, und 
damit ja kein Wort des Textes ausgelassen oder nicht in der rech- 

nomina de rebus efflagitant deosque saneiunt. Augustin C. D. IV, 8 
Quando autetn postint uno loco libri huius commemorari omnia nomina deo- 
rum. aut dearum, qttae ilti grandibus voluminibus vix comprehendere potue- 
runt, singulis rebus proprio dispertientes officia numinumt Vgl. 
IV, 24 und Serv. Georg. I, 21 Nam, ut supra dücimus, nomina numinibus ex 
officiis constat imposita. 

l ) De anima 37 nos officia divina angelis credimus. 

«) Augustin C. D. IV, 9 turba minutorum deorum. IV, 11 turba quasi ple- 
beiorum deorum. Vgl. oben S. 59 und VII, 4, wo er diese Götter tanquam 
minuscularios vectigalium conductores nennt. 



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138 



ZWEITER ARSCHMTT. 



ten Folge gesprochen werde, liest eine dazu angestellte Person die 
Formel nach dem geschriehenen Texte vor, während eine andre zur 
Controle dabei steht, eine dritte vor beiden steht um jedes störende 
Wort zu verbieten und endlich der Flötenbläser dazu bläst, damit 
ja nichts Störendes gehört werde: da berühmte Beispiele vorliegen 
dai's entweder ein Fluch geschadet hat oder das Gebet durch eine 
falsche Wendung seines Ziels verfehlte, in welchen Fällen z. B. die 
Merkmale der Eingeweide oder das Herz des dastehenden Opfer- 
m thieres entweder ganz verschwinden oder sich verdoppeln. Noch ist 
die alte Formel vorhanden, fahrt er fort, mit welcher sich die bei- 
den Decier, Vater und Sohn, devovirt haben, auch die Reinigungs- 
formel der Vestalin Tuccia, als sie der Unkeuschheit angeklagt 
das Wasser im Siebe trug. Noch in unsrer Zeit hat man gesehen, 
wie auf dem Forum Boarium ein Grieche und eine Griechin oder ein 
Paar aus einer andern Nation, mit welcher wir eben zu thun hatten, 
lebendig begraben wurde , wozu von dem Vorsteher des Collegiums 
der Fünfzehn eine Formel gesprochen wird, so grausig und mächtig, 
dafs man schon beim blofsen Lesen ihre Gewalt zu empfinden 
glaubt : lauter Thatsachen welche die Erfahrung von 830 Jahren 
für sich haben. Ja wir glauben noch heute dafs unsre Vestalischen 
Jungfrauen flüchtige Sklaven, wenn sie die Stadt noch nicht ver- 
lassen haben, durch ihr Gebet festzuhalten vermögen, da man ohne- 
hin, wenn einmal im Princip zugegeben wird dafs die Götter das 
Gebet erhören und durch Worte bestimmt werden , diesen ganzen 
Glauben auch zugeben mufs. Unsre Altvordern wenigstens haben 
immer daran geglaubt, selbst an das Seltsamste, dafs Blitze durch 
Worte vom Himmel herunter beschworen werden können. Ja man 
hielt, setzen wir hinzu, eine Beschwörung bei dem Namen der Göt- 
ter unter allen Umständen für so unwiderstehlich, dafs Verbrecher, 
sobald sie in öffentlicher Volksversammlung eine solche Beschwörung 
ausgesprochen hatten, dielbe feierlich zurücknehmen (resecrare) 
mufsten , s. Paul. p. 280 *). Von einzelnen herkömmlichen Fällen 
aber, in denen sonst von derartigen Gebets- und Beschwörungs- 
formeln ein öffentlicher Gebrauch gemacht wurde, setzen wir noch 
folgende hinzu; die meisten sind solche, wo die Pontifices überhaupt, 
namentlich der Pontifex Maximus als Priester oder als Oberauf- 
seher des Gottesdienstes die Formel vorsprach. Zunächst viele 



») [Vgl. E. Lübbcrt Coramcntatiooes pontificales B. 1859 p. 139 f.] 



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DER GOTTESDIENST DES NUMA. 139 

feierliche Opferhandlungen, welche im Namen des römischen Volkes 
vollzogen wurden und zwar so dafs sehr oft auch die Pontifioes 
dabei als Priester fungirten l ). Ferner die feierlichen Beschwö- 
rungen der Götter (obsecrationes) in besondern Unglück verheifsen- 
den Fällen, wo entweder die Sibyllinischen Funfzehner oder der 
Pontifex Maximus die Formel vorsprach, verba praeibat'), vgl. Sue- 
ton Claud. 22; desgleichen die vielen Einweihungen (consecrationes), 
wo der Pontifex in derselben Weise thätig war 8 ). Derselbe mufste m 
ferner bei den vielen im Namen des Staates ausgesprochenen Ge- 
lübden den Behörden die Formel vorsagen 4 ), auch bei den in älte- 
rer Zeit nicht seltenen Devotionen, vollends wo ein höherer Magi- 
strat oder gar der Feldherr seine Seele für das Wohl des ganzen 
Volks den Unterirdischen verschwor, z. B. nach der Niederlage an 
der Allia, wo die in den Würden der letzten Generationen er- 
grauten Senatoren sich für das Vaterland und ihre Mitbürger als 
Sühnopler dargeboten haben sollen, und bei den bekannten Devo- 
tionen derDecier s ). Ferner waren sie in gleicherweise thätig bei 
den Evocationen der Götter einer belagerten Stadt (Plin. II. N. XXVIII, 
14), auch bei dem Sühnopfer der Argeer, wo die Pontifices und die 
Vestalischen Jungfrauen wie in andern Fällen zusammenwirkten 
(Dionys. I, 38, Varro 1. 1. VII, 44), endlich bei den Opfern und 
Gebeten des sogenannten Amburbium d. h. eines sühnenden Um- 
zugs um die Grenzen des Stadtgebiets (Strabo V p. 230), vermuth- 
lich auch bei den ehelichen Trauungen nach dem alten Ritus der 
Confarreatio, wo der Pontifex Maximus und der Flamen Dialis zu- 
gegen waren und nicht Mos symbolische Gebräuche verrichtet, son- 
dern auch bestimmte Formeln gesprochen wurden 6 ). Ja es wurde 

') S. die Nachweisuogen b. Marquardt Haodb. IV, 197 ff. [Staatsverw. 
3, 239 ff.) 

*) [S. Marquardt Staatsverw. 3, 172.] 

3 ) Liv. IX, 46, Pliu. H. N. XI, 174. Immer wurde bei solchen Gelegen- 
heiten die einzuweihende Stätte zuerst von den Augurn von dem profanen 
Gebrauche losgesprochen und darauf von einem weltlichen Magistrate unter 
dem Beistande der Pontifices die Consecration vorgenommen. Und zwar wurden 
mit dem Tempel auch alle darin befindlichen oder zu ihm gehörigen Geräthe, 
der Opfertisch, der Altar u. s. w. geweiht [d. h. die supellex sacra, s. Jordan 
Top. 2, 276 f.], s. Serv. V. A. I, 446; VIII, 279. Mehr bei Marquardt Handb. IV 
S. 223 ff. [Staatsverw. 3, 259 IT.] 

*) Liv. IV, 27; XXXVI, 2 u. a. 

») Liv. V,41; VIII, 9; X, 28. 

•) Serv. V. Ge. I, 31 Xuptim ßebant — farre, ti per Pontificem max. 



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selbst vor den öffentlichen Verhandlungen und Reden auf dem 
Markte in älterer Zeit, sogar bis zu der des Cato und der Gracchen 
ein religiöser Act vorgenommen, namentlich ein feierliches Gebet zu 
den alten Göttern des Staats gesprochen, bei welchem vermuthlich 
wieder der Pontifex Maxiinus die dirigirende Person war d. h. dem 
Consul oder der sonst prasidirenden Magistratsperson das sollemne 
126 carmen precationis vorsagte l ). Nur in den einzelnen Gottesdiensten 
z. B. der Vesta, des Jupiter, der Ackergöttinen Tellus und Ceres 
und in ähnlichen Fällen sprachen die Priester und Priesterinnen 
dieser Götter selbst das Gebet 8 ), auch dann natürlich in der her- 
gebrachten und consecrirten Formel, welche wie vorhin bemerkt 
wurde ohne Zweifel gleichfalls in den Urkunden der Pontifices, 
vermuthlich den Indigitamenten verzeichnet war. 

So hatten auch die Augurn bei ihren Beobachtungen, ihren 
Umzögen und Weihungen ihre bestimmten Formeln der Anrufung 
und des Gebets, von denen leider nur wenige Bruchstücke erhalten 
sind 3 ), endlich die verschiedenen Brüderschaften und Sodalitäten 

et Diätem flaminem per Jruges et molam salsam coniungebantur , unde con- 
farreatio appellabatur. Vgl. die Inschrift b. Or. n. 264S, Plutarch Qu. Ro. 
50 und Gai. I, 112, nach welchem die Handlung vorgenommen wurde ctmi 
eertis et sollemnibus verbis, praesentibus decem iestibus. [Das Opfer wurde 
nach der durch Studemund berichtigten Lesart bei Gajus Iovi farreo darge- 
bracht: vgl. Marquardt Staatsverw. 3, 292 Privatalt. I 1 , 46.] 

») Gellius N. A. XIII, 23 (22), vgl. V, 12, wo zu schreiben ist in antiquis 
precationibus [statt des überlieferten speclationibus]. Von den Exordien der 
alten Redner Serv. V. A. XI, 301 nam maiores nuUam orationern nisi in- 
vocatis numinibus inchoabant, sicut sunt omnes orationes Catonis et Gracchi, 
vgl. Syminach. Ep. III, 44 Iovem deosque ceteros Catonis lege pracfabinutr [und 
mehr bei Jordan Catonis q. ext., Proleg. p. XCV1 f.]. Dafs bei feierlichen Ge- 
legenheiten der Pontifex die solennen Worte des Gebetes vorsprach, darf man 
nach Liv. XXXIX, 15 voraussetzen: contione advocata cum sollemne carmen 
precationis, quod praefari priusquam poptdum adloquantur magistratus 
solent, peregisset consul, ita coepü. Gleich der Eingang seiner Rede beweist 
dafs es eine Aufzählung und Anrufung der Götter gewesen, quos colere, vene- 
rari precarique maiores instüuerunt. 

a ) Serv. V. Ge. I, 21, Macrob. S. I, 17, 15. 

') Cic. N. D. III, 20, 52 in Augurum precatione Tiberinum, Spinonem, 
Almonem, Nodinum, elia propinquorum fluminum nomina videmus, vgl. Serv. 
V. A. VIII, 95. Fest. p. 351 Berne sponsis beneque volueris in precatione augu- 
rali. Serv. V. A. XII, 176 per speciem augurii, quae precatio maxima 
appellatur, — cum plures deos quam in ceteris partibus auguriorum precatur 
Ib. VI, 167 proprie effata sunt Augurum preces. [Das einzige gröfsere 
Stück aus den Auguralbüchern hat Varro 1. 1. VII, 8, vgl. S. 42, 3.] 



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DER GOTTESDIENST DES NUMA 



141 



gleichfalls ihre alten Gesänge und Formeln, welche in alten Urkun- 
den bei ihnen bewahrt und nach diesen eingeübt wurden l ). Und 
zwar waren alle diese Formeln und Gesänge consecrirt, so dafs 
nichts daran verändert werden durfte 8 ), und wenn sie vorgetragen 
wurden, so wurden sie de scripto vorgetragen, wie wir dieses aus 
den Urkunden der Arvalen sehen, welche uns ein altes Lied dieser 
Brüderschaft erhalten haben und zugleich über die Art des Vor- 
trags belehren. Die berühmtesten unter diesen Liedern waren be- 
kanntlich die der Saher, welche axamenta genannt wurden und 
als eine Reihe von Versen beschrieben werden, von denen jeder 
einzelne einem bestimmten Gotte galt, daher sie nach ihnen Ianui, 
Iovii, Iunonii, Minervii u. s. f. genannt wurden 3 ). Der Name axa- ue 
menta ist entweder ab axibus abzuleiten, weil die älteste Urkunde 
auf ähnlichen Holzpyramiden wie die Solonischen Gesetze geschrie- 
ben waren, oder von axare, einem alten Frequentativ von agere in 
dem Sinne von opfern, weil sie zu den Opfern der Salier vorge- 
tragen wurden 4 ). Der Ursprung des Concepts wurde bei diesen 
Liedern ausdrücklich auf Numa zurückgeführt, daher sie allgemein 
für das älteste Denkmal der römischen Poesie und der römischen 



*) lul. Capitolin M. Antonio. Philos. 4, dieser Kaiser sei io der Sodalität 
der Salier sowohl praesul als vaies und maxister gewesen, et multos inau- 
guravit atque exauguravü nemine praeeunte, quod ipse carmina cuncta 
didicisset. 

a ) Qaintil. I, 6,40 saliorum carmina vix sacerdotibus suis satis intel- 
lecta: sed illa tnutari vetat religio et consecratis utendum est. 

8 ) Paul. p. 3 A xamenta dicebantur carmina saliaria, quae a saliis sacer- 
dotibus canebantur in vniversos daemonas composita. Nam in deos singulos 
versus facti a nominibus eorum appetlabantur, ut Ianui, Iovii, Iunonii, Minervii. 
Für daemonas giebt der gewöhnliche Text komines, wofür Müller deos 
wollte, Härtung Rel. d. St. 1, 42 Semones. [Ueberliefert ist angeblich com- 
ponebantur in universos homines composita: canebantur, cantabantur wird 
vermuthet. Ist etwa in universos homines composita Glosse, deren Verf. die 
in dem liederlichen Excerpt ausgelassene, in der ursprünglichen Glosse wahr- 
scheinlich ausführlicher lautende Bezeichnung des Gegenstandes der Gesänge auf 
gut Glück ergänzte?] Für Ianui, Iovii giebt derselbe Text Ianuli. [Vgl. 
Preller Ausgewählte Aufsätze S. 282 f., wo er lanii, Iovii liest.] 

«) Vgl. Scaliger zu Paul. p. 301 ed. Lindem. , Marini Atti p. 595 und 
Corssen Orig. Po. Ro. p. 45 sq. vgl. Paul p. 8 axare nominare, Gloss. Labb. 
anaxant ovofiaCovaiv, axamenta Oxlxoilnl &vo*i(5v 'Hqaxltovc (eine Ver- 
wechslung mit Mars). [Vielmehr von agere, sagen, wovon ad-ag-ium, nego, 
indigito, nach Corssen de Volscorum lingua p. 17.] 



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142 



ZWEITER ABSCHNITT. 



Sprache galten, s. Varro 1. 1. VII, 3, Cic. de Orat. III, 51, Horat. Ep. 
I, 2, 85. 

Also überall eine Neigung zum opus operatuin und zum Formel- 
wesen und Buchstabendienste, welche in der That sehr an Mosais- 
tun > und Pharisäismus erinnert. Es ist nicht zu verkennen, dafs 
ein solches Wesen, von den ältesten Zeiten her in den Schulen 
der Priester und in den einzelnen Collegien überliefert, dem römi- 
schen Rechte und dem strengen Formelwesen der Römer mit ihrem 
starren Festhalten am Herkömmlichen sehr zum Frommen gereichen 
mochte. Aber eben so einleuchtend ist es, dafs eine freiere Auf- 
fassung der Reügion und des göttlichen Wesens dabei nicht auf- 
kommen konnte, am wenigsten eine Mythologie und ein Cultus wie 
der griechische. Um so merkwürdiger ist die Revolution, welche 
von den hellenisch gebildeten Tarquiniern und dem zu ihnen ge- 
hörigen Servius Tullius wie überhaupt in der Geschichte des rö- 
mischen Staats und der römischen Sitte, so ganz vorzüglich auf 
diesem Gebiete herbeigeführt wurde. 

3. Die Neuerungen der Tarquinier und ihre Folgen. 

Mögen diese Tarquinier nun wirklich von dem Griechen Dema- 
ratos, jenem Auswanderer aus Korinth, abgestammt haben oder ein 
127 eingebornes etruskisches Geschlecht gewesen sein 5 ), gewifs ist dafs 
die Bildung der Etrusker damals schon mit hellenischen und andern 
ausländischen Civilisationselementen ganz durchdrungen war und 
dafs durch sie der Strom dieser neuen Bildung zuerst in das bis- 
her im ältern latinischen und sabinischen Herkommen noch gleich- 
sam embryonisch verschlossene Rom geführt wurde : eine Thatsache 
welche um so merkwürdiger ist, weil das Zeitalter der Tarquinier 
der Zeit nach mit dem der griechischen Tyrannen vom ältern Da- 
tum , zu denen auch sie gewissem» afsen gezählt werden können, 
zusammenfallt. Wie diese im Kampfe mit der Aristokratie begriffenen 
Tyrannen überall zugleich die untern Stände gehoben und. eine 
glänzende Architectur, einen glänzenden Gottesdienst gefordert haben, 



*) [Seitdem ist ein etruskisches Familiengrab der Tarchna» in Caere ge- 
funden worden. Corssen Sprache der Etr. 1, 238. 415: über den angeblich 
mit einem der Tarquinier identischen Tarchunies auf dem vnlcentischen Ge- 
mälde vgl. dens. 331. 416. 1005 o. Jordan Top. 1, 1, 295.] 



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DIE NEUERUNGEN DER TARQUIMER. 



143 



so geschah es auch in Rom; ja es ist geschichtlich überliefert 
dafs der letzte Tarquinier in persönlicher Verbindung nicht allein 
mit den gleichartigen Dynasten in Latium, sondern auch mit dem 
Tyrannen Aristodemos von Cumä stand. Die durch die Tarquinier 
herbeigeführten Neuerungen mufsten aber in Rom schon deshalb 
weit folgenreicher sein als bei den Griechen, weil diese auf den 
Polytheismus der Kunst durch ihre Mythologie und den Eiuflufs 
des Orients lange vorbereitet waren; dahingegen in Rom, wie ich 
mir durch die Entwickelung des von Numa eingerichteten Gottes- 
dienstes deutlich nachgewiesen zu haben schmeichle, die alte Zeit 
mit der nun eindringenden neuen im entschiedensten Widerspruche 
gestanden haben muls 

Vermuthlich dachte Varro, wenn er den bilderlosen Cultus der 
Vorzeit auf 170 Jahre berechnete, an das alte Schnitzbild der Diana 
auf dem Aventin, welches nach der herkömmlichen Chronologie der 
Stadt zwischen dem J. 176 und 219 d. St. von dem Könige Servius 
Tullius dedicirt und dem Vorbilde des Cultus der Artemis zu Massa- 
lia, mittelbar zu Ephesus entlehnt sein soll 2 ). Indessen genau ge- 



l ) [Die Geschichte des jedenfalls in weit auseinander liegenden Absätzen 
und von verschiedenen Seiten her erfolgten Einflusses der griechischeu Kulte 
bedarf erneuerter Untersuchung. Soviel darf auch jetzt schon angenommen 
werden, dafs die Kulte des Apollo, Herakles und Asklepios den mittelitalischeu 
Völkern sehr früh bekannt waren (vgl. zu den betr. Abschnitten), wie schon 
die italischen Formen sowohl dieser Namen (vgl. im Allgemeinen Jordan 
Krit. Beitrage S. 78 f.), als auch einiger mit dem Kult zusammenhängender 
Appellativ a beweisen (so pompa, triumpus, caduceus, viell. auch Ihensa, thus, 
s. ders. Top. 1, 1, 275 u. Hermes 15, 541 (f.). Dafs man auch in dem Auftreten 
und der Ausstattung der ältesten Priester, wie in dem Oelzweig auf dem Hut 
des Flamen dialis, Spuren entlehnter griechischer Sitte zu sehen habe (so Hehn 
Kulturpflanzen 8 99), ist einstweilen eine mit unsrer sonstigen Kenntnifs dieser 
Dinge anvereinbare Hypothese. Denn wohl zu beachten ist, dafs wie auf dem 
Gebiet des römischen Staatswesens, so auf dem des römischen und italischen 
Rejigiouswesens der Kreis der alten griechischen Lehnwörter ein äufserst 
kleiner ist. Ebenso beachtenswerth ist, dafs die aus Etrurien eingewanderten 
Tarquinier wohl griechische Lehnwörter, aber keine etruskischen mitgebracht 
haben, vielleicht mit Ausnahme des mit dem Bauwesea zusammenhängenden 
favita (Jordan Top. a. 0.). Schon die Alten liefsen sich täuschen und hielten 
für nationales Eigenthum der Etrusker, was diese den Italikern entlehnt 
hatten, wie z. B. idtu, was so gut lateinisch ist wie kalendae, die Neueren 
noch mehr.] 

») Strabo IV p. 180, vgl. Mommsen Rom. Gesch. 2te Ausg. 1,220. [Doch s. 
oben zu S. 105]. 



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144 



ZWEITER ABSCHNITT. 



nommen nicht dieser Cultus, sondern der von dem ersten Tarqui- 
nier begründete, von dem letzten vollständig ausgestattete der Ca- 
pitolinischen Trias der erste in seiner neuen und bildlichen Art; 
jedenfalls war er es, durch welchen zugleich ein neuer Geist aus- 
gesprochen und das Vorbild eines neuen Gottesdienstes aufgestellt 
wurde, welches für den gesammten römischen Staatscultus außer- 
ordentlich folgenreich werden sollte. Diese Götter treten zuerst 
mit einem Anspruch auf weltliche Macht und Herrlichkeit auf, wie 
128er gleichzeitig von ihren Schützlingen, den Königen, später von 
den Prätoren, Consuln und Dictatoren im Namen des römischen 
Volkes erhoben wurde. Ihnen zuerst wurde von etruskischen Bau- 
meistern der prächtige Tempel auf dem Gapitol erbaut, welcher 
immer eine der schönsten Zierden der Stadt geblieben ist, ihnen 
zuerst von etruskischen Künstlern jene Bilder in ganz ausgeführter 
menschlicher Gestalt errichtet, welchen ganz im Stile des etruski- 
schen und hellenischen Götzendienstes der Zeit von vielen dienenden 
Personen aufgewartet wurde 1 ). Dazu kam die Einführung der 
ludi Romani, der ersten Spiele in dem speciflsch rumischen Sinne, 
wie sie sich bald in den verschiedensten Kreisen des Götterdienstes 
geltend machten und zuletzt für das Volk und die vornehme Welt 
bei weitem zur Hauptsache des Gottesdienstes überhaupt wurden. 
Zwar sollen auch Kumulus und Numa einzelne Spiele gefeiert und 
gestiftet haben, doch können dieses nur elementare Anfange ge- 
wesen sein, da jene von den Tarquiniern nach etruskischen Mustern 
gesiftete, für welche Tarquinius Priscus den grofsen Gircus zwi- 
schen dem Palatin und Aventin einrichtete, von allen Kundigigen 

*) Seneca b. Augustin C. D. VI, 10 Alius numina deo subiicü, alius horas 
Jovi nuntiat, alius lictor [lüor Linker J est, alius unctor, qui vano motu 
bracchiorum imitatur ungeniem. Sunt quae Iunoni ac Minervae capillos dis- 
ponant; longo a templo, non tantutn a simulacro stantes digilos movent 
ornaniium modo. Sunt quae speculum teneant, sunt quae ad vadimonia sua 
deos advocent, sunt qui UbeUos offerant et illos causam suam doceant. Doetus 
archimimus, senex iam decrepitus, cotidie in Capitolio mimum agebat, quasi 
dii Ubenter spectarent quem homines desierant: — Sedent quaedam in Ca- 
pitolio quae se a Iove amari putant etc. Offenbar ist hier manches Spätere 
auszuscheiden, doch gehören die Wurzeln dieses Aberglaubens der Idololatrie 
der älteren Zeit an, vgl. die Toilette und Garderobe der griechischen Tempel- 
bilder bei Müller Handb. d. Archäol. § 69. Neuerdings erzählt Granius Liri- 
nianus Annal. fragm. p. 32 ed. K. A. F. Pertz [p. 21 Bonn.] von einer matrona, 
quae quasi mente commota sedü in consilio Iovis, worauf das Capitolium 
lustrirt wird. 



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NEUERUNGEN DER TARQUINIER. 



145 



für die ersten in ihrer Art gehalten werden und mit dem ganzen 
Character des neuen Gapitulinischen Gottesdienstes genau zusammen- 
hängen. Zerlegen wir sie in ihre einzelnen Bestandteile, so wird 
das Aufserordentliche auch dieser Neuerung noch einleuchtender 
werden. Da gab es zuerst reichliche Opfer und einen feierlichen 
Opferschmaus, das epulum Iovis, wie solche Opferschmäuse fortan 
gleichfalls wesentlich zu den heiligen gehörten l ) und namentlich 
bei den Spieleu Jupiters immer den alten Mittelpunkt der Feier 
bildeten. Ja diese Opfer und Opferschmäuse wurden mit der Zeit 129 
so zahlreich, dafs die Stiftung einer eignen priesterlichen Behörde 
für diesen Theil des Cultus nöthig wurde. Bald nach dem zweiten 
punischen Kriege, im J. 196 v. Chr., wurde nehmlich ein eignes 
Collegium anfangs triumviri, später septemviri epulones zu diesem 
Behufe eingesetzt, zunächst zur Erleichterung der Oberaufsicht der 
Pontifices, da sie propter sacrilicorum multitudinem d. h. bei der 
von Jahr zu Jahr zunehmenden Menge von Opfern und Opfer- 
schmäusen so vielen Pflichten nicht mehr genügen konnten *). 
Ein zweiter Act war die feierliche Procession, pompa, welche die 
Attribute der Capitolinischen Götter auf sogenannten Tensen d. h. 
den Processions wagen vom Gapitole herab zum Circus geleitete, 
damit sie bei den dort zu ihrer Ehre gefeierten Spielen sinnbildlich 
gegenwärtig wären, ein buntes Gewimmel von Wagen und Reitern, 
von Tänzern und Spielern, welche im etruskischen Geschmack 
costümirt waren, von Göttern und Heiligthümern , welches gleich- 
falls zuerst bei den Römischen Spielen aufkam und immer vorzugs- 
weise bei ihnen beibehalten wurde. Endlich und drittens folgten 
dann die Circensischen Spiele selbst, für welche schon Tarquinius 
Priscus den Circus Maximus angelegt hatte, auch diese ein neuer 
Cultusact der Capitolinischen Götter, daher die Quadriga ein wesent- 
liches Attribut des Capitolinischen Jupiter und der Capitolinische 
Tempel selbst so gerichtet wurde, dafs die Götter auf den Circus 

>) Dio Cass. LI, 1 ayuva — Uqov, ovtio y«p rovs rtjv oftrjfftv fyovrat 
6vof*d£ovoi t xarida&v. 

*) Liv. XXX11I, 42, Cic. de Or. III, 19, 73, Marquardt Handb. IV, 291 ff. 
[Staatsverw 3, 333 ff. Vgl. nuten S. 195]. Wenn nach Cicero die Pontifices 
illud ludorum epulare sacrificiorum schon nach der Stiftuug IN'unias besorgten, 
so ist das nur eine von seinen vielen Ungenauigkeiten. Nach Paul p. 79 
hiefsen die Epulones in älterer Sprache Epoloni. Er setzt hinxu: Datum 
est autem hü nomen, quod epulas indicendi Ioii ceterisque diis potestatem 
habent. 

Preller, Rom. Mythol. I. S. Ao8. 10 



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« 



L46 ZWEITER ABSCHNITT. 

Maximus, den Schauplatz ihrer heiligen Spiele, hinabblickten. Auch 
dabei lagen aber etruskische Vorbilder zu Grunde 1 ), ja man fin- 
det die lebendigen Bilder zu jenen Processionen , jenen Spielen in 
Rom in den Wandgemälden der alten Graber der etruskischen 
Stadt Tarquinü. Wurden doch selbst die ersten scenischen Spiele, 
wie sie in Rom zuerst im J. 390 d. St., 364 v. Chr. beliebt worden 
waren, nach etruskischen Mustern und durch etruskische Künstler 
besorgt, bis spater die griechische Bildung auch hier die etruski- 
sche verdrängt hat, s. Liv. VII, 2. Ja damit der Capitolinische 
Göttercultus in jeder Hinsicht seinen umbildenden, die alte Sitte 
130 und den alten Cultus ganz erschütternden Einflufs bewähre, wurde 
damals auf Veranlassung des neuen Tempelbaus auch die etruski- 
sche Haruspicin zuerst in Rom geübt und somit auch eine neue 
Art von Divination gestiftet, welche sich neben der älteren und ein- 
heimischen Technik der Augurn zwar niemals völlig einbürgern 
konnte^, aber doch seitdem gleichfalls sowohl für den römischen 
Staat als für das Familienleben unentbehrlich geblieben ist. 

Die Tarquinier haben aber nicht allein den etruskischen Gottes- 
dienst nach Rom verpflanzt, welcher die herben Eigentümlichkeiten 
seiner Heimath in späteren Generationen wieder abgestreift hat. 
Sie haben durch die Einführung der Sibyllinischen Sprüche aus 
dem griechischen Cumä auch ein fruchtbares Reis der griechischen 
Bildung und des griechischen Gottesdienstes in den römischen 
Boden eingesenkt, welches mit der Zeit einen Sprofs nach dem 
andern getrieben, ja auf die Dauer ganz vornehmlich zur Hellenisi- 
rung des gesammten römischen Gottesdienstes beigetragen hat 2 ). 
Tarquinius Superbus war es, der diese Sprüche erwarb, in dem 
neu erbauten Tempel des Capitolinischen Jupiter niederlegte und 
für den Staatsgebrauch heiligte. Der Gebrauch, den der Staat von 
diesen Sprüchen machte, bestand darin, dafs man bei aufserordent- 
lichen Calamitäten und Prodigicn Sühnmittel in ihnen suchte, 
welche gewöhnlich in der Stiftung von neuen Gülten und Cultus- 
handlungen bestanden. Ihr umbildender Einflufs beruhte wesentlich 
darauf, dafs sie griechischen Ursprungs waren und speciell zum 
Kreise der Apollinischen Religion gehörten, also auch im Sinne 

*) Liv. I, 35, 9 Ludicrum fuit equi pug ilesque ex Etruria maxime 
acciti. Sollt- in nes deinde anmii mausere ludi, Romani Magnüjue varie 
appellati. 

J ) Marquardt a. a. 0. S. 294 ff. [336 ff.]. 



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EINFLUSS DER APOLLINISCHEN RELIGION. 



147 



dieser Religion d. h. zur Verbreitung Apollinischer und verwandter 
griechischer Sacra in Rom wirkten. 

Die Apollin ische Religion hatte sich mit den griechischen 
Colonieen nach Italien verbreitet und auch hier, wie überall, ihren 
seelenvollen und bildenden Character in den hervorragendsten 
Städten von Grofsgriechenland bewiesen, vorzüglich dadurch dafs 
sie mit den Künsten der griechischen Musik, Mantik und Kalhartik 
überall Hand in Hand ging und in dieser Hinsicht für die Pflege 
des Geistes sowohl als des Körpers wie kein andrer Gottesdienst 
sorgte. Von dem Apoll von Cumä, der nächsten Nachbarin der 
Latiner (S. 17), dürfen wir schon wegen der Sibyllinischen Weis- 
sagung annehmen, dafs er vorzugsweise als Päan d. h. als Heiler 
und Sühner bei leiblichen und geistigen Schäden angesehen wurde. 
So erscheint Apollo aber auch in Metapont und Kroton, wo die m 
Pythagoreische Schule sich vornehmlich an diesen Dienst anlehnte 
und wo die Münzen eine sehr enge Verbindung mit Delphi nach- 
weisen, auch in Kaulonia, dessen alterthümliche Münzen das Bild 
des sühnenden Apollo mit seinem Lorbeerzweige zeigen, auch in 
Rhegium," wo die Sage von der Zuflucht des Orestes zu Hause war. 
So endlich auch in Rom, wo wir alle diese Institute der Sühnung, 
der Weissagung, der Musik, wie sie organisch zusammengehören, 
nach und neben einander auftreten sehen werden. Dafs aber der 
Apollinische Cultus und seine Priesterin und Prophetin, die Cuma- 
nische Sibylle, schon so früh in Rom Anklang fand, dieses beweist 
wohl nicht so sehr ein vorherrschendes Vertrauen zu solcher Pro- 
phetie, denn an wahrsagenden Nymphen und andern dämonischen 
Wahrsagern , die sich der griechischen Sibylle wohl vergleichen 
mochten, fehlte es weder in Latium noch in Etrurien. Wohl aber 
beweist gleich die Aufnahme jener Sprüche eine sehr bestimmte 
Hinneigung zum Apollinischen Cultus, welcher sich von Cumä und 
den südlichen Griechen frühzeitig unter den Campanern und Sam- 
nitern verbreitet hatte (S. 67) und in der benachbarten Etrusker- 
stadt Caere eine feste Verbindung mit Delphi unterhielt. Ja es 
wird überliefert dafs Rom selbst kurz vor dem Ausgang der Königs- 
herrschaft und später bei der Belagerung von Veji seine Theoren 
nach Delphi so gut wie eine griechische Stadt sendete. Dennoch 
bleibt es eine aufserordentlich wichtige, für Rom und das ganze 
Gebiet der romanischen Bildung äufserst folgenreiche Thatsache, 
dafs die in der griechischen Welt allgemein verbreitete Religion 

10* 



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148 



ZWEITER ABSCHNITT. 



nun auch in der für die Zukunft der Welt bestimmten Stadt einen 
neuen und fruchtbaren Boden gewann. Kein Gott ist nächst den 
alten latinischen und sabinischen, dem Janus, dem Jupiter, dem 
Mars so populär geworden als der griechische Apollo, ja dieser aus- 
ländische Gott hatte die Kraft sich in einer Zeit, da jene alten 
Culte schon im Absterben begriffen waren, unter Augustus, noch 
einmal zu verjüngen und neben dem Capitolinischen Jupiter als der 
mächtigste und am meisten angebetete Gott bis zum Ausgange des 
Heidenlhums zu behaupten. 

Die nächste Folge jener Aufnahme der Sibyllinischen Bücher 
war die Gründung einer eignen priesterlichen Behörde für die 
Beaufsichtigung und Anwendung derselben, einer bald durch ihren 
Einllufs auf Religion und Politik so wichtigen, dafs- sie mit den 
älteru Collegien der Pontifices und Augurn an Rang und Würde 
is2 wetteiferte und die Plebejer einen ihrer frühsten Triumphe dadurch 
erlangten, dafs sie den Zutritt zu diesem Collegiuin gewannen. 
Wie sehr dasselbe auf griechischen Gottesdienst und auf griechische 
Bildung angewiesen war, sieht man daraus dafs ihm zum richtigen 
Verständnifs der Sprüche von Staatswegen zwei geborne Griechen 
als Dollmetscher beigegeben wurden und dafs sie bei bestimmten 
gollesdienstlichen Veranlassungen opfernd auftraten, dieses immer 
graeco ritu thaten, also mit solchen fiigenthümlichkeilen des reli- 
giösen Herkommens, welche dem griechischen Gottesdienste un- 
mittelbar entlehnt waren. Uebrigens waren ihrer anfangs nur zwei 
Patricier, welche duumviri sacris faciundis genannt wurden d. h. 
eingesetzt zur Begehung solcher, meist griechischer Sacra, wie 
sie von den Sibyllinischen Sprüchen befohlen wurden. Seit dem 
J. 387 d. St., 367 v. Chr., wo Patricier und Plebejer in gleicher 
Anzahl zugelassen wurden, bestand das Collegium aus zehn Männern, 
endlich seit Sulla aus fünfzehn, daher sie seitdem X viri und XV 
viri sacris faciundis genannt werden. Die speeifische Beziehung 
zum Dienste des Apollo tritt bei verschiedenen Gelegenheiten her- 
vor, ja Livius nennt sie gradezu Priester des Apollinischen Gottes- 
dienstes 1 ). Sie wurden dieses vollends seitdem August die Sibylli- 
nischen Sprüche vom Capitol in das von ihm neu gestiftete Heilig- 

*) Liv. X, 8 decemviros sacris faciundis , carnunum Sibyüae ac fatorum 
populi kuius interpretes , antistites eosdem Apollinaris sacri ceritnoniarumque 
aliarum. Vgl. Jul. Obseq. 47 (107) apud aedern Apoll in is decemviris immu- 
lantibus. 



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GRIECHISCHE GOTTESDIENSTE. 



149 



thum des Palatinischen Apollo verlegte, so dafs sie nun auch ört- 
lich und amtlich immer mit diesem Dienste zu thun hatten. 

Eine weitere Folge derselben Stiftung war die Einführung einer 
ganzen Reihe von griechischen Gottesdiensten, welche unter solcher 
Autorität sehr bald in Rom feste Wurzeln schlugen, ja dem 
römischen Volke, namentlich allen Bestandtheilen desselben welche 
nicht zum Patriciate und zur alten Ordnung der Dinge gehörten, 
ganz vorzugsweise gefallen zu haben scheinen. Abgesehen von 
dem nächst verwandten Apollodienste sind folgende Religionen und 
Religionsgebräuche auf solche Weise nach Rom gekommen: 1) Im 
J. 258 d. St., 496 v. Chr. der Dienst der Ceres, des Liber und 
der Libera d. h. der griechischen Götter Demeter, Dionysos und 
Persephone, welchen bald darauf in der Nähe des Circus Maximus 
der Tempel erbaut wurde, welcher immer der Mittelpunkt dieses 
Cultus geblieben ist Eine um so wichtigere Stiftung, da bei dieser im 
Gelegenheit zuerst griechische Künstler in Rom thätig waren ; denn 
vor diesem Tempelbau war, wie Varro berichtet hatte, alle Einrich- 
tung der Tempel von den Etruskern besorgt worden 1 ). 2) Zuerst 
im J. 355 d. St., 399 v. Chr., dann später oft wird durch die Si- 
byllinischen Bücher ein sogenanntes Lectisternium veranlafst, eine 
eigenthümliche Art von religiöser Feier, welche mit der Zeit im- 
mer allgemeiner in Aufnahme kam. Die Feierlichkeit bestand da- 
rin, dafs man den Göttern wie zu einem heiligen Mahle Pfühle 
(pulvinaria, lectos) bereitete, auf diese ihre Attribute oder ein Ge- 
flecht von Zweigen oder auch ihre Büsten (capita deorum), wahr- 
scheinlich als drapirte Wachsmasken legte und darauf ihnen Speise 
vom Opfer oder von den Mahlzeiten mittheilte, welche gleichzeitig 
durch die ganze Stadt begangen wurden. Gewöhnlich sind damit all- 
gemeine Supplicationen verbunden, bei welchen durch die ganze Stadt 
von allem Volke bei denselben Pulvinarien gebetet und dazu mit 
Wein und Weihrauch geopfert wurde. Ich möchte beide Gebräuche 
keineswegs für ausschliefslich griechischen Ursprungs halten, da die 
elementaren Bestand theile derselben, das Iure et vino supplicare, 



*) Plin. H. N. XXXV, 154 Plastae laudatissimi fuere Damophüus (ver- 
muthlich aas Himera in Sicilieo gebürtig, s. Bröcker Unters. S. 35 [vgl. Bronn 
Künstler 1, 530 f.]) et Gorgasus, iidem pictores, qui Cereris aedem Romae ad 
Circum Maximum tdroque genere artis sitae exeoluerant , versibus inseriptis 
graeee, qiabus signißcarent ab dextra Damophili esse, ab laeva Gorgasi. Mute 
haue aedem Tuscanica omnia in aedibus fuisse auetor est Varro. 



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150 



ZWEITER ABSCHNITT 



die Vergegenwärti^i in- der Götter durch pulvinaria mit ihren Attri- 
buten und selbst die Sitte die Götter zu speisen sicher altitalisch 
waren 1 ). Indessen leidet es keinen Zweifel dafs bei den durch die 
Siiiyllinischen Bücher veranlagten Leclislernien der griechische, spe- 
ciell der Apollinische Gottesdienst mit im Spiele ist; erscheinen 
doch gleich bei der ersten Feierlichkeit Apollo mit seiner Mutter 
und Schwester, die gewöhnliche Apollinische Trias, neben andern 
184 griechischen Göttern als die wichtigsten, s. Liv. Y, 13, Dionys XII, 9. 
Auch kennen wir unter den Apollinischen Cultusacten ein Fest, 
welches wohl als Vorbild dienen konnte, ich meine die Theoxenien, 
wie sie namentlich zu Delphi als eine Art von Erndle- und Freuden- 
fest im Sommer mit einer allgemeinen Speisung der Götter ge- 
feiert wurden, zumal da die grofsen Lectisternien gewöhnlich durch 
ganz Rom mit Mahlzeiten und mit grofser Festlichkeit und Geist- 
lichkeit begangen wurden. So erinnern auch die allgemeinen Suppli- 
cationen sehr an den Päan, dieses acht griechische und Apolli- 
nische Bilt- und Freudenfest, auch dadurch dafs sie in den meisten 
Fällen zur Sühne von Prodigien und andern Calamitäten, ferner 
bei schweren Seuchen mit dem Gebet um Heilung, auch bei krie- 
gerischen Unternehmungen um Segen für dieselben zu erflehn, end- 
lich als Dank- und Freudenfest nach gewonnenen Siegen befohlen 
wurden. Auch wurden sie gewöhnlich, zumal wenn es Prodigien 
uud böse Seuchen zu beschwören galt, von den Decemvirn der Si- 
byllinischen Bücher dirigirt, bei feierlichen Gelegenheiten so, dafs 
das ganze Volk, Männer, Frauen uud Kinder, Städter und Land- 
leute, durch die Stadt wogte um in allen Tempeln bei den Pulvi- 
narien anzubeten, während von Staatswegen gleichzeitig grofse Opfer 
dargebracht wurden. Ja es ist hin und wieder auch der Apollini- 



') Ich stimme also Dicht mit Marquardt Handb. IV, 52 ff. [vgl. Staats- 
verw 3, 45 ff.] überein, der diese Gebrauche für griechische hält, doch bedarf 
es einer ausführlicheren Nachweisung. Hier nur einige Stellen zum Beweise, 
dafs die lecti und pulvinaria deorum, auch das Speisen der Götter und das 
supplicare etwas Altes und Volkstümliches war: Plin. H. N. XXXII, 20 in 
eiuer Verordnung des Numa: ut convivia publica et privala cenaeque ad 
pulvinaria faciliw compararentur. SerV. V. A. X, 76 f arro Päumnum et 
Picumnum infanlium deos ait eisque pro puerpera lectum in atrio sterni, 
dum exploretur an Vitalis sii qui natus est. VfL die Sitte der Juno bei Ge- 
burten eiuen Tisch zu bereiten b. Tertull. de An. 39, Serv. V. Ecl. IV, 62. 
Im Liede der Salier: divum deo supplicante, Varro 1. 1. VII, 27. Suppli- 
care ist eigentlich kniefällig beten. 



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GRIECHISCHE GOTTESDIENSTE. 



151 



sehe Lorbeer mil im Spiele, das Laub der Sühne, des Heiles und 
des Glücks, welches sich in dieser symbolischen Bedeutung in Rom 
ohnehin eine allgemeine Anerkennung erworben hatte 1 ). 3) Im 
J. 463 d. St., 291 v. Chr. wird in Folge einer heftigen Pest auf 
Belehl der Sibyllinischen Bücher die Schlange des Aesculap von 
Epidauros geholt, das erstemal dafs Rom von dem griechischen Ita- 
lien nach Griechenland selbst hinübergreift, übrigens auch nur eine 
weitere Folge des schon bestehenden Apollodienstes, da Aesculap 
ganz wesentlich zum Kreise des Heilgottes Apollo gehörte, 4) Im 
J, 514 d. St., 240 v. Chr. die Stiftung der Floralien auf Veran- 
lassung eines Miswachses. Obgleich Flora sonst wie Venus eine 
italische Göttin ist, so lag doch bei so ausgelassenen Gebräuchen, 
wie sie bei diesen Floralien zur Regel gehörten, höchst wahrschein- 
lich ein Fest der griechischen Aphrodite der Gärten zu Grunde. 

5) Im J. 518 d. St., 236 v. Chr. die erste Feier von Secularspielen 
(nach der späteren Zählung die dritte), ein Fest welches ursprüng- 
lich nur die Götter der Unterwelt anging und erst später durch isö 
August mit einer Feier des Apollo und der himmlischen Götter 
verbunden wurde, damals aber von den Decemvirn höchst wahr- 
scheinlich nach dem Muster des chthonischen Gölterdiensles der 
Griechen begangen wurde, s. Liv. XXXVH, 3, Iul. Obseq. 1 (55). 

6) Im J. 537 d. St., 217 v. Chr., nach der Schlacht am Trasime- 
nischen See wird auf Veranlassung der Decemvirn u. a. der Tempel 
der Erycinischen Venus gelobt , einer schon ganz orientalischen 
Gottheit, deren Cult zugleich wesentlich beigetragen hat die Aeneas- 
sage in Rom zu befestigen. 7) Im J. 549 d. St., 205 v. Chr. die 
Einholung der Grofsen Idäischen Mutter aus Pessinus, auf welche 
nach einigen Jahren die Stiftung der Megalesien folgte, ein gleich- 
falls wesentlich asiatischer Cultus, welcher trotz aller Beschrän- 
kungen, die er sich anfangs gefallen lassen mufste, zur Verbreitung 
des Fanatismus und der geistlosen Superstition in Rom sehr viel 
beigetragen hat. — Also eine ganze Reihe von griechischen Gottes- 
diensten, denn die beiden zuletzt genannten waren, obgleich un- 
griechischen Ursprungs, doch in der Form lange hellenisirt, und 
ein Einflufs welcher je länger desto mehr an Kräften gewinnen 
mufste, da ohne Zweifel alle diese Elemente der griechischen Bil- 



*) Liv. XL, 37 Maiores duodeeim annis omnes coronati et lauream in 
manu tenentes supplieaverunt. Vgl. XXVII, 11. 37; XXXIV, 55; XXXVI, 37. 



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152 



ZWEITER ARSCHMTT. 



dung gemeinschaftliche Sache und gegen die alte italische und rö- 
mische Weise Partei machten. Kein Wunder wenn nun bald die 
Römer sich selbst griechischen Ursprungs zu sein schienen und die 
Griechen in Rom, die ihnen dieses vordemonstrirten und ihre Stadt- 
geschichte danach zurechtmachten, gläubig anhörten. 

Auch die Ausstattung der Tempel und Bilder blieb nicht zu- 
rück; hatten darin ehemals die Etrusker geherrscht, so wurde nun 
auch hier Alles griechisch. Und zwar findet man in Rom wie in 
Griechenland selbst zugleich den Geschmack an alten Holz- und 
Cultusbildern und an der ästhetisch vollendeten Bildung der Götter 
und Verzierung der Tempel. Eins der ältesten Holzbilder griechi- 
schen Ursprungs in Rom war jedenfalls jenes angeblich von Servius 
Tullius im Tempel der Diana auf dem Aventin aufgestellte, von 
welchem die Rede gewesen. Ferner galt für sehr alt das troische 
Palladion im Tempel der Vesta, welches vermutlich von den 
Griechen im südlichen Italien herstammte und jedenfalls vor dem 
ersten punischen Kriege schon vorhanden war. So werden auch 
die Heiligthümer der Penaten von Lavinium, von denen Timaeos zu 
136 erzählen wufste 1 ), in der ältesten Zeit des griechischen Einflusses 
dahingekommen sein. Aufserdem wird ein altes Bild des Vejovis 
von Cypressenholz erwähnt 2 ), endlich zwei Bilder von demselben 
Holze, welche der Juno Regina auf dem Aventin, im J. 547 d. St., 
207 v. Chr., von einer Procession unter Anführung der Sibyllini- 
schen Decemvirn ganz nach griechischer Weise überbracht wurden» 
Dazu hatte der Grieche Livius Andronicus in lateinischer Sprache 
einen Hymnus gedichtet, der nach griechischer Weise von einem 
Mädchenchore aufgeführt wurde, wieder etwas ganz Neues und eine 
für die Poesie in Rom sehr folgenreiche Anregung, da solch ein 
Hymnus nach griechischer Art und die alten Gesänge der Salier, 
der An alen u. s. w. (S. 140 f.) etwas wesentlich Verschiedenes waren. 
Beide Feierlichkeiten, die Procession mit den Bildern und Opfern 
und der Chorgesang des Hymnus, wurden nach römischer Weise 
mehrfach wiederholt. Der Dichter Livius Andronicus aber erlangte 



') Bei Dionys H. 1, 67 xrjovxuc OtdriQa xal x a ^*<* xal xiqapor Tqqhxov 
tlyat rä iv xorp aivroig xoif Iv siaovtvttp xttmva Und. 

«) Plio. H. N. XVI, 216 Nonne simulacrum Veiovis in arce e cupresso 
dural a condiia urbe DCLXI anno dicatum? Leider ist die Zahl verdorbeo. 
[Wahrscheinlich ist DLXI zu lesen: vgl. Jordan in Comment. in honorem 
Momnseni S. 361 und oben S. 105 A. 1]. 



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ITALISCHE GOTTESDIENSTE. 



153 



durch sein Lied, so kümmerlich es übrigens ausgefallen sein mochte, 
sogar die Ehre und Goncession eine Art von Schule und Zunft 
der wenigen Litteralen und Schauspieler jener Zeit im Tempel 
der Minerva auf dem Aventin zu stiften: eine Einrichtung deren 
stillen Einflufs wir in jenen Zeiten immerhin recht hoch anschlagen 
dürfen. 

Man würde aber irren, wenn man sich den alten römischen 
Cultus so bald von der griechischen Weise überflügelt denken wollte. 
Noch immer waren die Pontifices und die Augurn mit ihren alten 
Gebrauchen und Satzungen die angesehensten Pries terthümer; immer 
von neuem erinnerten die Umzüge der Salier im März, die naiven 
Gebräuche der Luperci im Februar an die ältesten italischen Zeiten 
und Gewohnheiten. Immer blieben Janus und Vesta der Anfang 
und das Ende jeder öffentlichen Gultushandlung und in der langen 
Reihe der Götternamen, welche sich im öffentlichen Gebete zwischen 
diesen beiden einschoben, war Iupiter Optimus Maximus ein für 
allemal der alte römische Gott über alle Götter, römische und fremde, 
auch der Gott, welcher im Cultus bei weitem am meisten hervor- 
trat, denn die Römischen Spiele, die Plebejischen Spiele, die oft 
wiederholten Grofsen Spiele dienten alle zu seiner als des höchsten 
Staatsoberhauptes Verherrlichung. Auch ist nicht zu verkennen dafs 
in der älteren Zeit, da Roms Eroberungen und Erweiterungen sich ist 
noch auf Italien beschränkten, aus den verschiedenen Gegenden 
desselben viele andre italische Culte und Götter nach Rom versetzt 
wurden, die nolhwendig zur Verstärkung des nationalen Elementes 
der Religion dienen mufsten. Rald geschah es durch Einbürgerung 
und Einwanderung einzelner Personen und Geschlechter, oder in 
älteren Zeiten auch wohl ganzer Gemeinden; in welchen Fällen die 
Anzügler gewöhnlich ihre heimathlichen Götter mitbrachten, welche 
dann wohl als dii adventicii von den diis publicis d. h. den Göttern 
des römischen Staatscultus unterschieden J ), mit der Zeit doch aber 



») Tertalliau ad Nat. II, 9. Aufser den von Varro unterschiedenen diis 
certis, iueertis und selectis sei noch zu unterscheiden zwischen den diis 
publicis und adventieiis. Hoc enitn arae docent adventiciorum ad fanwn 
Carnae, publicorum in Pa(latio). Das Heiligthum der Carna lag auf dem 
Caelius. wo allerdings besonders viele Metökengötter zu finden gewesen sein 
mögen. Vgl. übrigens Fest. p. 157 Municipalia sacra vocantur quae ab 
initio habuerunt ante civitatem Romanam aeeeptant, quae observare eos volue- 
runt pontifices et eo more facere quo adsuessent antiquitus, was auch für die 



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154 



ZWEITER ABSCHNITT. 



auch sehr oft unter diese aufgenommen wurden. Auf solche Weise 
mag namentlich auch die grofsenlheils aus übersiedelten latinischen 
Gemeinden entstandene Plebs ihre Götter anfangs für sich verehrt 
haben, bis dieselben zuletzt unter dieselben aufgenommen wurden, 
worauf u. a. die grofse Zahl der s. g. Hammes minores deutet 
(S. 122). In andern Fällen waren solche Erweiterungen die Folge 
der Verbündung, namentlich des vieljährigen und sehr engen Bundes 
mit den Lalinern, welchem Rom verschiedene wichtige Gottesdienste 
verdankt, zuerst die Diana auf dem Aventin und den Jupiter Latiaris, 
der auch in Rom verehrt wurde, später die Juno Sospila von La- 
nuvium, welche seit dem J. 416 d. St., 338 v. Chr. zu den an- 
gesehensten Gülten in Rom gehörte '). Dazu kommen ferner die in 
älterer Zeit gleichfalls nicht seltenen evocationes der Götter bei 
Belagerungen und Eroberungen feindlicher Städte, deren Schulz- 
götter dann feierlich zur Uebersiedelung nach Rom eingeladen 
werden und dort einen neuen Cultus erhalten, z. B. die Juno Regina 
von Veji. Dafs die Zahl solcher Götter in Rom ziemlich grofs war, 
beweisen die oft auf diesen Gebrauch zurückweisenden Erklärungen 
der Alterthumsforscher 2 ). Endlich die vielen neuen Stiftungen von 
188 Tempeln, Bildern und Spielen ex voto, ein ganz besonders oft er- 
wähnter Anlafs zur Gründung neuer Gottesdienste, nachdem ent- 
weder der Senat durch die Consuln oder der Feldherr in heifser 
Schlacht diesem oder jenem Gotte einen Tempel in Rom gelobt 
hatte 3 ), worauf diesem Gelübde später durch Erbauung des Tempels, 
seine Einweihung und Einrichtung des Cultus von Staalswegen 
Folge gegeben wird. Die letzte Entscheidung hatte sich in allen 



nach Horn eingewanderten Bürger aus solchen Städten galt, s. Marquardt 
llandb. IV, 37 If. [Staatsvtrw. 3, 35 ff.J 

>) Liv. \ 111, 14. Vgl. Ambrosch Studien S. 183 if. 

*) Cincius erklarte den Namen der Novensides durch diese Sitte, s. 
oben S. 1 Ol A. 2. Vgl. S. 139 und Fest p. 237 Peregrina sacra appeltantur 
quae aut evocalis dis in oppugnandis urbibus Romam sunt coacta [conata die 
Hs.] aut quae ob quasdam reli&iones per pacem sunt petita, ut ex Pkrygia 
Matris Magnae, ex Graecia Cereris, Epidauro Aesculapii: quae coluntur 
eorum more, a quibus sunt aeeepta. Die dii evocati waren natürlich 
meist italischen, die auf Veranlassung der Sibyllinischen Bücher geholten 
Götter ausländischen Ursprungs. 

s ) Liv. X, 12 in ipso discritnine, quo templa diis immortalibus voveri mos 
erat. Beispiele von ludis votivis giebt Friedländer bei Marquardt IV, 474 
[Staatsverw. 3, 476]. 



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1>EDICATI0>EN 



155 



diesen Fällen, wo es auf die Anerkennung und Stiftung eines neuen 
Gottesdienstes iu Rom ankam, der Senat vorbehalten, ulme welchen 
also kein Gott zu der £hre gelangen konnte, vom römischen Staate 
anerkannt zu werden Im Uebrigen hatten die Pontitices die 
Einrichtung des neuen Cultus und die Dedication und Consecration 
des Tempels zu überwachen, vor welcher der ganze Gottesdienst, 
wie er in dem neuen Tempel gehalten werden sollte, und die Rechte 
desselben durch eine eigne lex consecrationis aufs genaueste for- 
mulirt wurde a ). Der Tag der Einweihung wurde immer zugleich 
der jährliche Fest- und Kalendertag des Gottes, sein Geburtstag, 
natalis, wie er in den späteren Kalendern genannt zu werden 
pflegte 3 ). Die Dedication selbst wurde nach alter Sitte durch einen 
Consul oder Imperator, wo möglich den welcher den Tempel gelobt 
hatte, später oft durch dazu ernannte Duumvirn vollzogen, immer isa 
unter dem Beistande des Collegiums der Pontifices, namentlich des 
die Dedicationsformel vorsprechenden Pontifex Maximus (S. 138 f.). 
Immer war diese Handlung eine der feierlichsten und die Ehre der 
Dedication sehr begehrt, da der Name des Dedicirenden durch die 
Inschrift des Tempels zugleich aufs höchste geehrt und auf die 
Nachwelt gebracht wurde. Mithin fehlte es weder an einer stren- 

l ) Liv. IX, 46 ne quis templum aramve iniussu senatus dedicaret. Tertull. 
Apolog. 5 vetus erat decretum ne qui deus ab imperatore consecraretur nisi a 
senatu prubatus. Seit M. Aemilius de deo suo Alburno. Ad Nat. I, 10 ne qui 
itnperator f'anum, quod in beüo vovisset, prius dedicasset quam senatus pro- 
basset, ut contigit M. Aemilio, qui voverat Alburno Deo — , ut deus non sit 
nisi cui esse permiserit senatus etc. Die Quelle ist auch iu diesen Stellen 
Varro. Die Geschichte des Gottes Alburnus scheint in ihrer Art berühmt 
gewesen zu sein. [Vgl. Mominsen Staatsr. 2*, 602]. 

a ) Merkwürdige Beispiele solcher leges consecrationis sind die des t. 
Jovis Liberi zu Furfo im Lande der Vestiner b. Or. n. 2488, Mommsen I. N. 
n. 2488 [C. 1. L. 1, 603], und die des t. Marlis liltoris bei Dio LV, 10. 
[Dazu Bestimmung über das Asylrerht aus der lex aedis divi lulii, Dio XLVII, 
19 vgl. Jordan Hermes 9, 348; die leges der ara Augusti zu INarbo, welche 
sich auf die der ara Dianae in Aventino beruft, Or. 2489 u. Wilin. Ex. 104» 
der des Juppiter von Salonae v. J. 137, C. I. L. 3, 1933, vgl. Jordan Kritische 
Beitrage 251 ff., Marquardt Staatsverw. 3, 201]. 

") Virg. Aen. VIII, 600 SÜvano fama est veteres sacrasse Pelasgos, Ar- 
vorum pecorumque deo lucumque diemque, wozu Servius: Hoc a Romanis 
traxtt, apud quos nihil fuü tarn sollemne quam dies consecrationis. Vgl. 
die Nachweisuugen bei Marquardt a. O. [Es ist die Frage ob der natalis der 
Tag der Dedication des fertigen Baus oder der oft lange voraus liegende der 
JJestiramnng der Regionen des Tempels ist: Jordan Eph. epigr. 1, 233 ff ] 



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156 ZWEITER ABSCHNITT. 

gen und erfahrnen Aufsicht noch an Gelegenheit für die natürliche 
Eifersucht des Priesterthums, sich geltend zu machen. So lange 
diese Behörden ihre Schuldigkeit thaten, konnte ein anderer Verfall 
als derjenige, welchen die innere Seelengeschicbte des römischen 
Staates und seiner Bürger von selbst mit sich brachte, nicht wohl 
eintreten. 

Anhang. Der Kalender 1 ). 

Auch der römische Kalender trägt ganz das Gepräge der römi- 
schen Staatsreligion, wie sie sich im Laufe der Jahre aus einfachen 
Anfangen zu einem immer künstlicheren Systeme entwickelt hatte. 
Man erkennt wohl die alte Grundlage der Naturreligion, aber die 
praktischen und zufalligen Beziehungen des bürgerlichen und häus- 
lichen Lebens haben sich doch weit mehr geltend gemacht, und 
der nüchterne Sinn der Römer, weicher die Töchter des Hauses 
nicht benannte, sondern numerirte, zeigt sich auch in der Benen- 
nung der meisten Monate, welche bis auf die ersten und letzten 
einfach gezählt wurden. 

Innerhalb der einzelnen Monate sind Jupiter und Juno als 
herrschende Mächte des lichten Himmels die bestimmenden Gott- 
heiten. Dem Jupiter waren alle Idus heilig d. h. die Tage des 
Vollmonds, welche immer in die Mitte des Monats fielen, also den- 
selben theilten, und zwar deshalb weil dann der Gott des Lichtes 
und der Helle, Iupiter Lucetius und Diespiter, sich den Tag und 
die Nacht hindurch in einer beständigen Folge lichter Klarheit offen- 
barte, daher diese Tage für ein Unterpfand seiner Weltregierung 
140 galten und sehr heilig gehalten wurden 3 ), der Juno Lucina alle 



*) [Die Arbeiten von Mommsen, Die römische Chronologie bis auf Cäsar 
2 A. 1859 und besonders seine Commcutarii diurni im C. I. L. 1, und von 
Huschke, Das alte römische Jahr Breslau 1869, haben der Forschung neue 
Wege eröffnet. Vgl. anch Marquardt Staatsverw. 3, 270 ff. Eine Berichtigung 
des Texts war hier am Wenigsten thunlich.] 

*) Macrob. S. I, 15, 14 Iduum porro nomen a Tuscis, apud quos is dies 
Iiis vocatur, sumpttim est Item autem Uli interpretantur Iovis fiduciam. 
Nam cum Jovem aeeipiamus lucis auetorem, unde et Lutetium Salii in ear- 
minibus canunt et Cretenses dta r^v riftigav vocant, ipsi quoque Romani 
Diespürem appeüant ut diei patrem, iure hic dies Joris fiducia vocatur, 
cuius lux non finitur cum solis occasu, sed splendorem diei et noctem continuat 
illustrante luna: quod Semper in plenüunio i. e. medio mense ßerisolet. Iovis 



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DER KALENDER. 



157 



Kaienden, d. h. alle Tage an denen nach der Verborgenheit des 
Neumonds die Mondessichel zuerst wieder am Himmel erschien 1 ). 
Einer der Subalternen des Collegiums der Pontifices hatte die Ob- 
liegenheit diese Erscheinung zu beobachten und, sobald er sie wahr- 
genommen, nachdem der Rex und die Regina Sacrorum zuvor der 
Juno geopfert hatteu, das Volk auf das Capitolium zu berufen (ca- 
lare) und ihm anzuzeigen, wie viel Tage es von den Kaienden bis 
zu den Nonen zu zählen habe, ob fünf oder sieben: daher der 
Name Kalendae. An den Nonen versammelte sich das Volk von 
neuem auf der Burg, um von dem Opferkönige zu erfahren, welche 
Feste in jedem Monate zu feiern und welche Geschäfte in demselben 
vorzunehmen seien. Auch an den Nonen und an den Idus wurden 
regelmässige Opfer dargebracht, an den Idus immer dem Jupiter. 
Man erkennt aus dieser ganzen Ordnung sehr deutlich sowohl das 
alte Mondjahr als die religiöse Begründung derselben in dem Culte 
der Lichtgötter. Erst seit dem J. 450 d. St., 302 v. Chr., in wel- 
chem Cn. Flavius die Fasti bekannt machte, mögen jene alten Ge- 
bräuche eine wesentliche Aenderung erlitten haben. 

Aufser jenen beiden Göttern, dem Jupiter und der Juno, ist 
der Dienst des Mars und des Janus für den römischen Kalender 
von besondrer Bedeutung. Mars ist der alte Nationalgott der 
schadenden Naturkrafl, auch des Frühlings: daher der Monat dieses 
Gottes, der mensis Martius, bei den Römern und den verwandten 
Völkern den natürlichen Jahresanfang bildete und namentlich am 
ersten Tage dieses Monats zugleich die Juno als Göttin aller Kaienden 
und der wiederkehrende Gott Mars mit unverkennbarer Beziehung 

fiducia ist die Bürgschaft, das Unterpfand, s. Cic. de Off. III, 17, pr. Caecina 
3, pr. Flacco 21 u. a. Doch ist, wie ich unten zeigen werde, so wenig diese 
Idee blos etruskisch als das Wort idus, welches vielmehr Theihing bedeutet 
und der griechischen cfi/o/o jvia entspricht, s. Macrob. I. c. 16 Idus — dies 
qui dividit ntensem. Iduare enim Etrusca Unqua dividere est, und« vidua [so 
auch Huschkc Jahr S. 29]. \arro 1. 1. VI, 28 Idus ab eo quod Ttisci llus, vel 
potius quod Sabini Idus dicunt. Das Wort ist allgemein italisch und Itus 
nur die etruskische Form von Idus. [Vgl. Fabretti glossarium italicnm p. 342. 
0. Keller Jahrb. für Philologie 87, 767 stellt es zu fidof, also die 
Hauptmonderscheinong, der Vollmond, gewiss irrig; Fick Wörterb. 2 *, 
32, vielleicht richtig zu W. i&, entzünden, erhellen, vgl. t&ccQog.] Ueber den 
Kalender der Etrusker s. 0. Müller Etr. 2, 323 ff. [Seitdem sind sieben an- 
geblich etr. Monatsnamen aus Glossaren hervorgezogen, aber nicht sicher ge- 
deutet: Mommsen Chron. 219 f., Corssen Spr. d. Etr. 1, 849]. 
*) Macrob. S. I, 15, 18, Ovid Fast. I, 55. 



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158 ZWEITER ABSCHNITT. 

zur Natur gefeiert wurden. Neben diesem natürlichen und die 
längste Zeit der Republik hindurch beibehaltenen Anfange des alten 
Mondjahres aber giebt es noch einen zweiten Anfang, den des Janus 
141 und des ihm geheiligten Monats Januar, wobei ohne Zweifel andre 
und jüngere Principien der Jahresordnung zu Grunde liegen, ohne 
dafs wir leider etw T as Bestimmteres zu sagen wissen, als dafs die 
Einführung des Januscultus und der Monate Januar und Februar 
dem Numa zugeschrieben wurde. Höchst wahrscheinlich aber war 
Janus ursprünglich ein Sonnengott, der als solcher zum Gott des 
Anfangs schlechthin geworden ist, weil man den Sonnengott auch 
kosmogonisch für den Gott des Ursprungs der Dinge, für den Er- 
öflner aller Natur und aller Geschichte hielt. Heiligte man diesem 
Gotte grade den Monat, in welchem nach dem kürzesten Tage die 
Sonne und das Licht wieder zunimmt, also nach dem gewöhnlichen 
Begriffe das Jahr beginnt 1 ), so darf auch darin eine Beziehung auf 
den Sonnencultus erkannt werden; nur ist es seltsam dafs der alte 
Jahresanfang mit dem März dennoch beibehalten und nur die An- 
fange aller Monate, also die Kaienden, von nun an nicht blos der 
Juno, sondern auch dem Janus geheiligt wurden. So entstand die 
eigenthümliche Ordnung des römischen Kalenders, dafs die Monate 
nach wie vor von dem März an gezählt wurden, also auf den April 
und Mai zunächst der Quintiiis folgte, dann der Sextiiis u. s. w. bis 
zum December. Darauf folgte nach dem kürzesten Tage der Januar 
als Monat des Janus, der erst in späterer Zeit und sehr allmäiig 
auch als Gott des Jahresanfangs sich geltend machen konnte, und 
der Februarius als der allgemeine Reinigungs-, Sühnungs- und Aller- 
seelenmonat, in dem gewissermafsen alle Ansprüche und alle Be- 
fleckung des alten Jahres, des Winters, des Todes beseitigt wurden, 
damit im März das neue Jahr in aller Reinheit und Freudigkeit 
begangen werden könne. Weil auf diese Weise nur bis zum zehnten 
Monate, dem December, gezählt wurde und die beiden letzten Monate, 
der Januar und Februar, wie spätre Anhängsel erschienen, ist bei 
den Alten oft behauptet worden, dafs das römische Jahr ursprüng- 
lich nur zehn Monate und 304 Tage gehabt und erst durch Numas 
Zusatz jener beiden Monate zwölf Monate und 355 Tage bekommen 

l ) Varro 1. 1. VI, 28 nt novus annus h'alendae Ianuariae ab novo sole 
appellalae. Ovid Fast. I, 163 ßruma novi prima est ceterisque novissima 
solis, Principium eapiunl Phoebus et annus idem. Vgl. Plutarch 
Qu. Ro. 19. 



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DER KALENDER. 159 

habe: eine Ordnung welche, wenn sie überhaupt jemals bestanden 
hat, unmöglich jemals eine praktische Bedeutung für das Leben ge- 
habt haben kann 1 ). 

Eine weitere Beziehung des Cultus zu dem natürlichen Ver- ua 
laufe des Jahres und seinen wichtigsten Abschnitten hat gewifs 
vielfach stattgefunden, doch tritt sie bei weitem nicht so klar und 
entschieden als in den Kalendern und Monatsnamen der Griechen 
hervor. Aufser dem Martius ist auch der gleichfalls allgemein la- 
tinische und oskische Maius nach einer Gottheit benannt, der alten 
Frühlingsgöttin Maia; ob auch bei dem Aprilis eine ähnliche Be- 
ziehung anzunehmen, mufs bei der Unklarheit des Namens dahin- 
gestellt bleiben 2 ). Auch der Junius wurde häufig auf die Juno 
bezogen, obgleich hier wie bei den andern Monatsnamen schon von 
den römischen Gelehrten die verschiedensten Erklärungen versucht 
wurden. Gewifs ist dafs die schaffenden, empfangenden und be- 
geisternden Gottheiten Faunus, Mars, Pales, Venus, Bona Dea vor- 
zugsweise in den drei Frühlingsmonaten d. h. vom Februar bis zum 
Mai gefeiert wurden, Vulcan als heifser Gott des Feuers recht in 
der Mitte des heifsen Sommers, Jupiter vorzüglich in den Herbst- 
monaten vom September bis November, wo die Witterung in Italien 
am beständigsten und der Himmel meist heiter und freundlich ist, 
endlich die Götter der Erde und der Unterwelt, Consus, Saturnus, 
Ops u. s. w. in den Wintermonaten, namentlich im December, wo 
die Felder wieder bestellt sind und die Hoffnung des Säemanns im 
verborgenen Schoofse der Erde ruht. — Sehr auffallend ist es aber, 
dafs nicht etwa blos die verschiedenen Völker und Staaten in Ita- 
lien verschiedene Kalender hatten , sondern selbst unter den Lati- 
nern die einzelnen Städte, z. B. Tusculum, Aricia, Präneste, Tibur, 
daher auch die Bedeutung der Monatsnamen und die Festordnung 
in diesen Kalendern eine verschiedene war. So war z. B. der 
Martius, welcher gewifs in keinem italischen Kalender fehlte, in 



l ) [Vgl. über das zehnmonatliche Jahr Mommsen Chronologie S. 47 ff.] 
*) Der Maius und die Maia werden allgemein latinisch genannt bei Fest, 
p. 134. Bei den Oskern hiels er Maesius, ib. p. 136. Im Monate Aprilis 
wurde seit alter Zeit die Venus gefeiert, s. dort. J. Grimm D. M. 749 ver- 
gleicht mit den Monaten März, April, Mai die drei deutschen Frühlings- 
monate. Ueber die Namen der römischen Monate vgl. Macrob. S. I, 12 und 
Merkel Ovid F. p. LXXIX sq. [Mommsen Chronol. S. 9 u. 222, Hoschke Jahr 
S. 8 ff.]. 



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160 



ZWEITER ABSCHNITT. 



Alba, Aricia und Tusculum wie in Rom seit dem neueren Jahres- 
anfänge der dritte Monat , hei den Laurentern und Faliskern der 
fünfte, hei den Hernikem d.h. zu Anagnia der sechste, bei den 
Aequern der zehnte, in Cures der erste von drei Monaten, bei den 
Sabinern und Paelignern der vierte, nach Ovid F. HI, 87 ff. 1 ). 
148 Schon aus dem oben Bemerkten geht hervor, dafs der Kalender 
ursprünglich eine Sache des Gottesdienstes, also auch der Ober- 
aufsicht der Pontifices unterworfen war. Sie kündigten nicht allein 
die neuen Monate und die innere Disposition jedes Monats sammt 
seinen Festtagen an, sondern sie hatten auch über alle Geschäfts- 
lage im öffentlichen und privaten Leben zu verfügen, welche Tage 
für Volksversammlungen und Gerichtsverhandlungen geeignet d. h. 
dies fasti, comitiales sein sollten, welche zu allen Geschäftslagen 
ungeeignet d. h. dies atri 2 ), welche Tage religiosi d. h. wegen ge- 
wisser religiöser Bedenken zu öffentlichen Geschäften, zum Reisen, 
zum Heirathen nicht geeignet. Aufserdem hatten die Priester, hier 
die Flamines, auch dadurch einen bedeutenden Einflufe auf das 
Geschäftsleben, namentlich das ländliche, dafs die meisten Geschäfte 
des Ackerbaus, des Weinbaus, also die Erndte, die Saat u. s. w. von 
ihnen initiirt d. h. durch gewisse religiöse Gebräuche eröffnet wurden 3 ). 
Endlich war auch das eben so schwierige als wichtige Intercalations- 
wesen in den Händen der Pontifices, worüber die römische Jahres- 
rechnung zuletzt in eine gräuliche Verwirrung gerieth. 

Eine politische Reaction gegen diese Herrschaft des Priester- 
thums erfolgte in Rom sobald die Plebs d. h. das neue, auf poli- 
tischen Principien beruhende Bürgerthum mit dem Patriciate d. b. 
der alten, von sacralen Elementen durchdrungenen Bürgerschaft zu 



1 ) [Mommsen Chron. 218 ff.} 

2 ) Dies atri waren z. B. alle Tage Dach den Kaienden, Nonen and Idas, 
weil die römischen Waffen an solchen Tagen wiederholt schweres Unglück 
erlitten hatten, s. Macrob. S. I, 16, 21, Gellius N. A. V, 17. [Vgl. Moramsen 
im C. 1. L. 1 p. 373 f.] 

*) Cic. de Leg. II, 8, 19 f. [Er spricht von den feriae: eaeque uti cadent 
{itaque ut ita cadat oder cadel die guten Hss.) in annuü an fructibus descrip- 
tum esto (vgl. die descriptio fer[iarum] der Inschr. C. I. L. 6, 3744 v. J. 
362 p. C, wofür untechnisch feriale Henz. Or. 6112) certasque fruges certas- 
que baccas sacerdotes publice libanto certis sacrificiü ac diebus itemque alios 
ad dies uberlatem lactis feturaeque servanto idque ne commüti possit, ad certam 
rationem {ad eam rem rationem die Hss.) cursus annuos sacerdotes finiunto. 
Verbessert von Jordan Krit. Beitr. 230 f.] 



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DER KALENDER. 



161 



kämpfen begann und bald einen Erfolg nach dem andern erlangte 1 ). 
Dennoch wurde erst im J. 450 d. St., 304 v. Chr. durch den Aedi- 
len Flavius jene wichtige Veröffentlichung der Fasti vorgenommen, 
seit welcher der Kalender jedem Bürger zugänglich war 8 ). Höchst 
wahrscheinlich wurden schon damals die Monate, die Wochen, die 
einzelnen Tage so benannt, abgetheilt, gezählt und notirt, wie es 
seitdem herkömmlich geblieben ist 8 ). Die einzelnen Tage waren i** 
entweder festi d. h. Feiertage oder profesti d. h. Geschäftstage oder 
intercisi d. h. halbe Feiertage *). Zum Wesen eines Feiertags gehört 
für die Freien Ruhe von allem Geschäfts- und Gerichtsverkehr, für 
die Unfreien Ruhe von der Arbeit, wie dieses in den Urkunden der ~ 
Pontilices wieder sehr genau vorgesehen war und von gewissen 
Ausrufern der höheren Priester, die an solchen Tagen keine Arbeit 
auch nur sehen durften, den Handwerkern in der Stadt noch be- 
sonders eingeschärft wurde 5 ). In sacraler Hinsicht machen einen 
Festtag aus Opfer, Opferschmäuse und feriae d. h. Gottesdienst und 
Ruhe von der Arbeit. Diese waren theils stativae theüs conceptivae 
theils imperaüvae d. h. gebundene, bewegliche und aufserordentliche 
Festtage. Feriae conceptivae d. h. ein bewegliches Fest, welches 
nicht immer an denselben Tagen gefeiert, also immer vorher 
concipirt d. h. angesagt wurde, waren z. B. die latinischen Ferien, 
das Fest der Dea Dia in Rom, die Erndtefeierlichkeiten u. a. e ). 
Natürlich konnten nur die feriae stativae in den Kalendern ange- 
merkt werden. 

Bekanntlich gerieth dieser ältere römische Kalender durch die 

*) Liv. IV, 3 Obsecro WS, si non ad fastos, non ad commentarios ponti- 
ficum admittimur etc. 

') [Vgl. Mommsen Chronologie S. 210 f.] 

•) Vgl. über die dabei üblichen Zeichen Merkel Proleg. Ovid Fast, 
p. XXXI sqq. [Mommsen Chrouol. S. 233 f. u. C. I. L. 1 p. 367.] 

*) Varro 1. 1. VI, 31 Intercisi dies sunt per quos mane et vesperi est 
nefas, media tempore inter hostiam caesam et exta porrecta Jas. 

8 ) Sie hiefsen praeciae oder praeciamitatores und gehörten zu 
der Klasse der calatores, s. Paul. p. 224, Fest. p. 249, Macrob. 1, 16, 9 
and 19, Serv. V. Ge. I, 268. Ueber die Festtage und ihre Heiligung s. Cic. 
de Leg. II, 12, 29, Serv. ib. 272, Marquardt S. 233, 398 [Staatsverw. 3, 
220. 317]. 

•) Macrob. I, 16, 6 conceptivae sunt quae quotannis a magistratibus vet 
sacerdotibus concipiuntur in dies vel certos vel etiam incertos f ut sunt Latinast 
Sementivae Paganatia, Compüalia. Vergl. Marini Att. Arv. p. 128 [Marquardt 
a. 0. 284]. 

Preller, Rom. Mjthol. I. 3. Aufl. H 



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162 



ZWEITER ABSCHNITT. 



Fahrlässigkeit und Willkür der Priester zuletzt in eine so heillose 
Unordnung, dafs Casar eine gewaltsame Reform vornehmen mufste, 
und ohne Zweifel ist es als eine Folge von dieser anzusehn, dafs 
ein älterer römischer Kalender d. h. einer aus der Zeit vor Cäsar 
und August bis jetzt nicht zum Vorschein gekommen ist. Vielmehr 
sind die meisten aus der Zeit unter August und Tiberius, unter 
welchen also solche Kalender in Rom und durch ganz Italien auf 
den Märkten oder in öffentlichen Gebäuden von Obrigkeits wegen 
. oder auf Veranlassung von Privatpersonen aufgestellt wurden und 
auch in dem Gebrauche der Privaten viel vorhanden gewesen sein 
mögen. Eine Eigenthümlichkeit aller dieser Kalender ist einmal die 
lange Dauer aller gröfseren Feste, namentlich der Spiele, welche, 
wie schon bemerkt worden (S. 25), erst in den späteren Zeiten der 
Republik in solcher Weise ausgedehnt wurden, zweitens die grofse 
Anzahl der August und der kaiserlichen Familie geltenden Bet- und 
Festtage. Neben den gröfseren Festen, welche sich als solche im 
Laufe der Zeit entwickelt hatten, erscheinen viele andre, zum Theii 
gleichfalls sehr alte Feste und Götterdienste nur als Dedicationstage 
der Tempel, welche jährlich durch gewisse Opfer, ausnahmsweise 
auch wohl durch Spiele zu begehen waren. Der älteste von diesen 
Kalendern und zugleich der einzige vollständige ist das Kalendarium 
MafTeianum, dessen Original sich ehemals im Palazzo Maflei zu 
Rom befand. Er giebt den Kalender, wie er unter August geordnet 
wurde, und ist auch deshalb wichtig, weil Ovid in seinen Fasten 
in den meisten Fällen mit ihm übereinstimmt 1 )* Nächst dem ist 
besonders wichtig der des Grammatikers Verrius Flaccus (S. 37), 
welcher die von ihm selbst geordneten Fasten auf dem Markte von 
Präneste hatte aufstellen lassen. Davon wurden im J. 1770 ver- 
schiedene Bruchstücke gefunden, welche aufser dem eigentlichen 
Festkalender der vier ersten Monate und des December allerlei er- 
läuternde Anmerkungen enthalten 2 ). Aufserdem giebt es Bruch- 
stücke eines Kalendarium Amiterninum, Venusinum, Capranicorum 
(sonst, im Pal. Capranica), Farnesianum, Allifanum, Antiatinuin, 



i) S. den Abdruck der Copie des Pigbius bei Merkel Ovid. Fast. P . XII sq. 
[Neue Ausgabe im C. I L. 1 p. 303 ff. Das älteste der Kaiendarien ist übri- 
gens wahrscheinlich das Pincianum (zwischen 723 u. 725), das jüngste das 
Antiatinuin (v. J. 51 p. C.)]. 

») Herausgegeben von Foggini, Rom 1781 fol. [C. L L. 1 p. 311 ff.] 



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DER KALENDER. 163 

Esquilinum , Pincianum und Vaticanum 1 ). Als Probe eines Fest- 
kalenders, wie sie im Culte des Augustus gebrauchlich waren, haben 
sich in Cumae verschiedene Bruchstücke des sogenannten Kai. 
Cumanum gefunden*), als Probe eines ländlichen Kalenders, in ue 
* welchem die Feldarbeiten der einzelnen Monate, die wichtigsten 

Feste der ländüchen Gottheiten, der Eintritt der Zeichen des Thier- 
kreises u. A. bemerkt wird, dient das Kai. rusticum Farnesianum 8 ). 
Endlich haben sich doch auch aus den letzten Zeiten des sinkenden 
Heidenthums zwei wichtige Urkunden der Art erhalten. Das eine 
ist ein erst neuerdings in den Ruinen des Amphitheaters zu Capua 
ausgegrabenes feriale d. h. ein Verzeichnifs blofs der Feste, kein 
vollständiges Kalendarium, und zwar der Feste wie sie in Capua 
und in der Provinz Campanien gefeiert wurden, übrigens erst im 
J. 387 nach Chr. Geb. concipirt und zur Characterisük des reli- 
giösen Verhaltens der Zeit recht merkwürdig 4 ). Das andre ist ein 
unter Constantius II. (337—361) verfafster römischer Staatskalender, 
welcher wegen seines späten Ursprungs gleichfalls in vielen wesent- 
lichen Punkten von jenen älteren Kalendern abweicht, also über 
die Entwicklung des öffentlichen Gottesdienstes unter den Kaisern 
wichtige Aufschlüsse giebt 6 ). Noch werden hier die alten Feste 
des Mars, der Vesta, die römischen Spiele und andre Festtage des 
ältesten römischen Kalenders gefeiert, aber neben diesen altrömischen 



M [Wir besitzen jetzt Bruchstücke von 22 Kaiendarien. Zu den im 
C I. L. 1 p. 293 ff. mit Commentar publicirten 19 Nummern (von dem AJli- 
fanum, p. 299, neue Bruchstücke Eph. epigr. 3, 85. 4, 1; die stadtrömischen 
auch C. L L. 6 p. 625 ff.) kommen noch der Kalender der Arvalen Eph. epigr. 
1, 33, Henzen Acta arv. CCXXXI ff. (= C. I. L. 6 p. 622), ein zweiter 
römischer Eph. epigr. 3, 10 und der von Caere das. S. 5 ff.] 

') Kellermann bei 0. Jahn Spec. Epigr. p. 1 — 22, Mommsen I. IN. n. 2557 
[C. I. L. p. 310]. 

») [C. I. L. p. 358.] 

*) Zuerst publicirt von Avellino Opuscoli T. III p. 215 — 307 mit einem 
ausführlichen Commentar. Neuerdings berichtigt und besprochen von Mommsen 
in den Berichten der K. Sachs. Ges. d. W. zu Leipzig 1850 S. 63 ff. Der Text 
auch bei Henzen Suppl. Or. n. 6112. 

5 ) Calendarium Romaoum sub Imp. Constaotio, Imp. Constaotini Magni 
filio, circa a. Cbr. 354 compositum et Valentino cuidam dedicatum, nach der 
Ausgabe von Lambecius wiederholt in Graevii thes. Antiq. Ro. T. VIII p. 97 sqq. 
Vgl. Mommsen über den Chronographen vom J. 354, Abb. d. Philolog. histor; 
Classe der K. Sachs. Ges. d. W. Bd. I S. 569 ff. [jetzt mit dem Kalender des 
Polemius Silvius aus dem J. 448/49 im C. I. L. p. 332 ff.]. 

11* 



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164 



ZWEITER ABSCHNITT 



Culten nehmen nun auch die ausländischen Gottheiten, die Gotter- 
mutter aus Phrygien und die ägyptischen Sacra der Isis und des 
Serapis, schon eine sehr bedeutende Stelle im Kalender ein, des- 
gleichen der Cultus der Divi d. h. der consecrirten Kaiser und die 
Spiele zum Andenken der von Constantin oder früheren Kaisern 
über die Perser, die Gothen, die Marcomannen, Alamannen, Franken 
und Sarmaten gewonnenen Siege. 



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DRITTER ABSCHNITT. 

Die himmlischen und die herrschenden tiötter. 



Allen diesen Göttern ist die Naturbeziehung auf den Himmel 147 
und seine Erscheinungen eigen, wie sie zumal beim Jupiter, der 
Juno, dem Janus, der Diana, der Mater Matula sehr vernehmlich 
hervortritt und beim Jupiter zugleich der reale Grund seiner höch- 
sten Obmacht, Güte und Heiligkeit ist, dieses wegen der übertragenen 
Bedeutung des himmlischen Lichtes, welches in der moralischen 
Welt das Element des Rechtes und der Wahrheit, der Treue und 
der Heiligkeit aller Verträge ist. Deutlich erkennbar ist auch eine 
alte Verehrung der beiden himmlischen Lichtkörper, der Sonne und 
des Mondes, welche alle alten Religionen so viel beschäftigt und 
hier in den eigenlhümlichen Gestalten des Janus, Vejovis, Jupiter 
Anxur und Apollo Soranus auftritt, während die Verehrung des 
Mondes im Culte der Juno und der Diana durchschimmert. Juno 
ist zugleich die ideale Weiblichkeit und die himmlische Königin, 
Minerva die Göttin der Besinnung und Erfindung, und zwar dieses 
so ganz vorherrschend , dafs sich die alte Naturbeziehung beinahe 
ganz verschliffen hat. Unter diese italischen Götter ist der grie- 
chische Apollo so früh eingetreten, dafs er fast für heimisch gelten 
darf, vorzüglich als Repräsentant der Ideen des Heils und der Süh- 
nung, welche in dieser Auffassung dem italischen Alterthum ver- 
um t Iii ich fremd war. Aber auch in den andern Culten hat sich 
mit den älteren italischen Elementen die jüngere griechische Bildung 
vielfach verbunden und verschmolzen, besonders in dem der Minerva 
und der Diana, wo man den Einflufs des griechischen Athena- und 
Artemisdienstes sehr bald merkt. Die eigenthümlichste Figur ist 



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166 



DRITTER ABSCHNITT. 



148 Janus geblieben, mit dem wir einem alten Gesetze des römischen 
Cultus folgend (S. 63) den Anfang machen. 

I. Janus. 

Es fehlte nehmlich den italischen Völkern zwar an einer kos- 
mogonischen und theogonischen Dichtung, da ihr Gottesbegrifl 
und ihr Gottesdienst sie zu einer solchen nicht kommen liefs. 
Doch hatten sie dafür den Gottesdienst des Janus, welcher sich 
weder bei den Griechen noch sonst in einer andern Mythologie 
in einem entsprechenden Bilde nachweisen läfst, in dem alten 
Italien dagegen sehr verbreitet gewesen zu sein scheint 1 ). In Rom 
war sein Dienst nach zuverlässiger Ueberlieferung durch Numa 
eingeführt worden, seit welcher Zeit er immer unter den höch- 
sten und heiligsten Göttern verehrt wurde. Hatte früher der 
König selbst dem Janus das zu bestimmten Zeiten vorgeschriebene 
Opfer in der Regia dargebracht, so that dieses später der an seiner 
Stelle eingetretene Rex Sacrorum, welcher eben deshalb seinem 
geistlichen Range nach für den obersten Priester galt (S. 64, 1). 
Ueberhaupt wurde er als Gott des Anfangs und des Ursprungs der 
Dinge bei allen Opfern zuerst bedacht, bei allen Gebeten und in 
allen Gebetsformeln zuerst und noch vor Jupiter genannt 8 ). Schon 



*) Cic. N. D. II, 27 Cumque in omnibus rebus vim haberent maximam 
prima, principem in sacrißcando Ianum esse voluerunt. Vgl. die Devotions- 
formel b. Liv. VIII, 9, die Formeln b. Cato d. r. r. 134 und 141 und die 
Götterreihen der Arvalischen Tafeln [in denen die Reihe der Götter, denen 
piacula dargebracht werden mit Janus beginnt und mit Vesta schliefst: Ilenz n 
Acta S. 144 ff.] Varro bei Augustio C. D. VII, 9 penes Ianum sunt prima, penes 
lovem summa. 

■) [Die im Text entwickelten Ansichten theilt Corssen, Beitr. zur italischen 
Sprachkunde 350 ff. , bekämpfen z. Th. Böthke Ueber das Wesen des Janus, 
Progr. d. Gymn. z. Thorn 1863, Deecke Etr. Forschungen 2, 125 ff. ; nament- 
lich will letzterer Janus dem Namen und Wesen nach für national-etruskisch 
ausgeben: er sei der Gott des Bogens (= Himmels), welchen die Etrnsker er- 
funden und zu ISumas Zeit (!) in Rom eingeführt haben sollen. Der Versuch 
IVrvanoglu's, bei den Thrakern ähnliche Vorstellungen nachzuweisen (Das 
Familienmahl auf altgriech. Grabsteinen L. 1872, 71 ff.) stützt sich auf eio 
gefälschtes Denkmal (Conze, Sitzungsber. d. Wiener Ak. 1872, 324). Es bleibt 
bei Mommsens Satz (Münzw. 185) dals Janus (und zwar nicht blos sein 
zweiköpfiges Bild) , sicher italisch und soweit wir sehen können, eben 
römisch' ist.] 



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IANUS. 



167 



die alten Lieder der Salier hüben mit ihm an zu singen und nannten 
ihn den Gott der Götter (Divura Deum), oder mit dem herkömmlich 
gebliebenen Gultusnamen der patriarchalischen Zeiten den Vater 
•I mus, welcher sich in diesem Gultus besonders lange erhalten hat 1 ). 
Die vielen alten Gultusnamen, welche Macrob. S. I, 9, 15 aufzählt: 
In sacris quoque invocamus Ianum Geminum, Ianum Patrem, Ianum 
Iunonium, Ianum Gonsivium, Ianum Quirinum, Ianum Patulcium et 
Glusivium und andre werden einzeln erläutert werden. 

Bei der Erklärung seines Namens und Wesens ist häufig fehl- 
gegriffen worden, obschon das Rechte ziemlich nahe liegt. So haben "9 
Gicero N. D. II, 27 und nach seinem Vorgange Andre den Namen 
Ianus ab eundo erklären wollen, als ob dieses etymologisch zulässig 
und ein Gott der Thüren und des Ein- und Ausgehens, welcher 
nichts als dieses bedeutet hätte, im Sinne des höheren Alterthums 
überhaupt deukbar wäre. Andre sahen, indem sie dieselbe Ety- 
mologie beibehielten, im Janus ein Bild der ewigen Bewegung des 
Himmels, Macrob. S. I, 9, 11, noch Andre erklärten ihn für das 
uranfängliche Ghaos, Ianus wie Hianus, Paul. p. 52. Das Richtige 
ist ohne Zweifel was unter den Alten schon Nigidius Figulus bei 
Macrob. I, 9, 8 gesehen und unter den Neueren besonders Buttmann 
Mythologus 2, 72 geltend gemacht hat, dafs Ianus oder was das- 
selbe ist Dianus die Masculinform ist zu dem weiblichen Iana oder 
Diana d. i. der Mond, eigentlich der Lichte und die Lichte, 

von dius und dium in der Bedeutung des lichten Himmels 2 ). Also 

————— * 

i) Varro 1. 1. VII, 27 fahrt aus dem Liede der Salier den Vers au: 
Divum empta cante, Divum Deo supplicante. Deorum Deus b. Macrob. 
I, 9, 14. Iano Patri s. die Acta fr. Arval. t. XXXII, 1, 25 [Heozen a. 0.] 
und die Inschriften b. Or. n. 1583. 5739 [C. I. L. 3, 2881. 3030], vgl. die 
Münze des Gallien b. Eckhel D. N. VII p. 396 und Plin. H. N. XXXVI, 28. 

a ) Varro r. r. I, 37, 3 Nunquamne rure audisti octavo Ianam et eres- 
centem et contra senescentem et quae crescente fieri oportet, tarnen quae- 
dam melius fieri post octavo Ianam [beidemal ist lanam überliefert und tunam 
in alten AA. verbessert]. Nach Tertullian Apolog. 10 fand sich im Liede der 
Salier der Ablativ Iane [doch s. Corssen a. 0. 352]. Ein Dativ Ianui Quirino 
findet sich bei Fest. p. 189, 17, ein Ablativ Iauu in einer Inschrift aus Cales 
bei Mommsen I. N. n. 3953. [Der Name des Ianus ist identisch mit dem 
Appellativum ianus (vgl. Jordan Top. 1, 1, 29 und die Inschr. Bull. arch. mun. 
1875, 274 = Bull, dell' inst. 1875, 204 Her per ianum maior{em) hortor{um) 
sive fundi Meropiani), neben ianua (vgl. portus, porta), daher sicher latinisch- 
römisch, die Etymologie nicht sicher ermittelt: denn die besonders von 
Corssen a. 0. vertheidigte Annahme, Ianus = Dianus (vgl. Iovis = Diovis, 



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168 



DRITTER ABSCHNITT. 



ein altitalischer Licht- und Sonnengott, welcher zu einem Gott de» 
Anfangs und des Ursprungs schlechthin geworden ist, in einer eigen- 
tümlichen Abstufung von Bildern und Vorstellungen, deren orga- 
nischer Zusammenhang mit dem ersten Grundgedanken sich indessen 
noch gut nachweisen läfst. 

Der Sonnengott ist der Pfortner des Himmels und des himm- 
lischen Lichtes, dessen Thore er Morgens öffnet, Abends schliefst, 
ausgehend und eingehend: dieses einfache Bild und seine bedeu- 
tungsvolle Anwendung ist den Griechen wohl nur deshalb entgangen, 
weil ihnen in ihrem Lande Okeanos der Ursprungsgott zu sein und 
Helios aus demselben auf- und in ihn unterzutauchen schien. Doch 
kennen auch sie eine Schwelle des Himmels, über welche Nacht 
und Tag sich flüchtig begrüfsend aus- und eingehn, und die hei- 
lige Schrill spricht von der Sonne wie von einem Bräutigam, welcher 
Morgens mit strahlendem Antlitz aus seiner Kammer tritt. Bei den 
alten Umbrern, Sabinern, Latinern war aber grade diese Vorstellung 
des Aus- und Eingangs, des Oeflnens und Schliefsens die vorherr- 
schende geworden; daher der einfache Bogen, ianus, eigentlich ein 
offener Durchgang (transitio pervia, Cic. N. D. II, 27) ! ) das Symbol 
des himmlischen Gewölbes und seines Pförtners Janus, des himm- 
lischen Lichtgottes wurde. Eben daher in der späteren Zeit, sobald 
eine bildliche Darstellung beliebt wurde, der bekannte Doppelkopf 
des Janus (daher Ianus geminus, bifrons), weil er, wie schon die 
Alten bemerken, sowohl der Pförtner des Aufganges als des Unter- 
ganges, sowohl der Oeffner ist als der Schliefser *), wie Horaz Carm. 
Saec. 9 sehr schön vom Sonnengotte sagt: Alme Sol, curru nitido 

futurna — Diuturna) sei das Masculinum zu Diana, ist sprachlich nicht un- 
bedenklich und wird nicht durch die Inschrift von Aquileja C. I. L. 5, 763 
Iovi Diana erwiesen, da hier Diano wohl Epitheton und sein Zusammen- 
hang mit Janus sehr unwahrscheinlich ist. Da indessen ianus, ianua un- 
zweifelhaft die Oelfnung bedeutet und diese Bedeutung der natürlichen Vor- 
stellung entspricht, die sowohl im lateinischen lumim (Fenster, leere Zwischen- 
räume, vgl. Schöne u. Nissen Pomp. St. p. 2JS IT.), wie in unserem , lichte 
Weite' technisch fixirt ist, so mufs man sich hüten vorschnell den Zusammen- 
bang dieser Wörter mit der indogermanischen Wurzel, welche Licht (Himmel) 
bedeutet, zu leugnen: vielmehr bleibt derselbe trotz der Schwierigkeit die 
Wortform zu erklären im höchsten Grade wahrscheinlich.] 
>) [S. die vorige Anmerkung ] 

») Macrob. I, 9, 9 Ianum quidatn Sötern demonstrari volunt et ideo gemi- 
num, quasi utriusque imune oaelestis potentem, qui exoriens aperiat dient f 
occidens claudat. 



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IANUS. 



1G9 



diem qui promis et celas. Deshalb war der älteste Ianus Geminus 
in Rom, der von Numa gestiftete an der Grenze des Forums (s. unten), 
so gerichtet dafs der eine Kopf gegen Aufgang der andre gegen 
Untergang schauete 1 ). 

So ward also aus diesem Pförtner des Himmels zunächst der 
himmlische OefTner und Schüefser (Palulcius, Clusius)*) schlecht hin. 
der sowohl im Himmel als auf Erden über allen Aus- und Eingang 
gebietet, am Himmel ein Herr über alle an ihm aufsteigenden und 
verschwindenden Erscheinungen, welches Ovid F. I, 117 sogar in 
so weitem Umfange von ihm aussagt, dafs er nicht allein den 
Himmel mit seinen Wolken, sondern selbst das Meer Und die Erde 
unter seine Aufsicht stellt: auf der Erde als Herr über alle Thüren, 
Thorr und Strafsen und über alles sich in denselben hin und her 
bewegende Geschäft und Treiben der Menschen; ja er ist, weil durch 
ihn der Weg zu den Göttern des Lichts führte, auch der allgemeine 
Vermittler zwischen Himmel und Erde 3 ), daher seiner wie gesagt 
bei jenem Opfer und Gebet zuerst gedacht wurde. Auch die Wege 
und UefTnungen des Krieges und des Friedens, die des Handels und 
der Schifffahrt, ja die alles Lebens und aller Lebenslhätigkeit waren 
in seine Hand gelegt, wie sich gleich deutlicher zeigen wird. 

Nur darf man sich dieses Amt des Oeffnens und Schliefsens m 
nicht so ganz mechanisch denken, dafs nicht auch die dynamische 
Wirkung seiner lichten Sonnenkraft mit im Spiele wäre, wie dieses 
in folgenden Fällen deutlich zu sehen ist. So wurde er zunächst 
mit jedem neuen Morgen als Matutinus Pater angerufen, Horat. 



*) Ovid Fast. 1, 139 Sic ego protpicio caelestis ianitor aulae Eoas partes 
Hesperiasque simul. Procop. d. bcllo Goth. 1, 25 xal tou ngoatonov »artoov 
ftlv nobc ävioxovra, jo di heoov xqos Mona tjhov rtroanttu, 9vqoi ti 
Xtthtttl Itp' ixaityq) nQOCtontp ttalr. 

») [Clusius Ov. F. I, 130, Clusivius wiederholt Macr. S. I, 9, 16.] 
s ) Ovid F. I, 171 Mox ego: Cur, quamvis ab'orum numitta placcm, 

Jane, tibi primum ihura merumque Jero? 
i't possis aditum per me, qui limina servo, 
Ad quoscunque voles, inquü, habere deos 
Daher galt er auch für den Stifter alles Gottesdienstes in Italien, Macrob. 1, 
9, 3 vgl. ib. 9, wo auch die Sitte ihn bei jedem Opfer zuerst anzurufen durch 
die Absicht erklärt wird ut per eum pateat ad illum cui immolatur accessut, 
quasi preces supplicum per portas suas ad deos ipse transmittat. Arnob. III, 29 
quem in cundis anteponitis precibus et viam vobis pandere deorum ad audien- 



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170 



DRITTER ABSCHNITT. 



Sat. II, 6, 20, d. h. als der Gott des anbrechenden Tages, mit lein, 
wie Horaz hinzusetzt, die Menschen täglich alle ihre Lebensarbeit 
beginnen. Auch waren ihm deshalb die Anfange aller Monate heilig 
d. h. die Kaienden , wo sich das Licht des zunehmenden Mondes 
zuerst wieder am Himmel zeigte, daher er auch als Ianus Iunonius 
angerufen und an allen Kaienden mit der Juno verehrt wurde 1 ). 
Unter den Monaten aber war ihm der Ianuarius gewifs deswegen 
heilig, weil dieser Monat gleich nach dem kürzesten Tage begann, 
also den natürlichen Anfang eines neuen Jahres bildete, obwohl 
Numa aus Rücksicht auf den Cult der Salier und des palatinischen 
Mars den alten Frühlingsanfang des Jahres mit dem Monate des 
Mars auch ferner gelten liefs. 

Ein andres Merkmal, dafs wir es beim Janus mit einem Sonnen- 
gotte zu thun haben, ist der Ursprung der Quellen, Flüsse und 
Ströme vom Janus ; daher er in örtlichen Legenden für den Gemahl 
der Quellengöttin Iuturna und für den Vater des am Ianiculum ver- 
ehrten Fontus, in andern selbst für den des Flufsgottes Tiberinus 
galt, in noch andern die Feinde Roms dadurch abwehrt, dafs er 
bei einem ihm heiligen Thore plötzlich einen heifsen Sprudel aus 
der Erde entspringen läfst, Ovid Fast. I, 269 Oraque, qua pollens 
ope sum fontana reclusi, Sumque repentinas eiaculatus aquas. Ein 
Glaube dessen näheres Verständnifs erschlossen wird durch eine 
Erzählung bei Dionys H. I, 55, welcher sich auf örtliche Ueber- 
lieferung beruft. Als Aeneas mit seinen Trojanern an dem öden 
Strande der Laurenter landet, leiden sie an brennendem Durst. 
Da sprudeln plötzlich zwei reiche Quellen aus dem Boden hervor, 
durch welche die Trojaner gesättigt und die ganze Gegend be- 
fruchtet wird, obgleich Dionysius sie zu seiner Zeit nur spärlich 
fließen sah. Dieses Wasser aber war dem Sonnengotte geweiht 
und man sah zwei Altäre desselben an der Quelle, den einen nach 
Morgen den andern nach Abend, angeblich eine Stiftung des Aenas 
Vielmehr war es höchst wahrscheinlich eine alte latinische Ueber- 
152 lieferung von jenem Pater Indiges am Numicius, welcher gewöhnlich 
für den Aeneas galt; wenigstens wüfste ich einen ähnlichen Glauben 
von der Sonne in Griechenland nicht nachzuweisen 1 ). 

l ) Macrob. I, 9, 16 Iunonium quasi — menriutn omnium ingressus tenen- 
tem; in dicione autem Iunonis sunt omnes Kahndae. 

l ) Wohl aber Raden sich Sparen desselben Glaubens in der deutschen 
und scandioaviscben Mythologie, wo Phol und Haider zugleich Sonnen- und 



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IANUS. 171 

• 

Ja dieser Gott galt auch für den Urheber des organischen 
Lebens, namentlich für den Erreger und Befruchter des Keims der 
( menschlichen Erzeugung, in welcher Bedeutung er in den Indigi- 
tamenten als Consivius angerufen und auch hier vor allen Göttern 
zuerst genannt wurde, Macrob. I, 9, 16 Consivium a conserendo 
i. e. a. propagine generis humani, quae Iano auctore conseritur 1 ). 
Daher Janus in einigen Geschlechtern patricischer Abkunft gradezu 
als Urheber des Geschlechts wie sonst der Genius verehrt wurde. 
So gab es in Rom ein altes Denkmal des Zweikampfs der Horatier 
und Curiatier, das sogenannte Sororium Tigillum, eine Art von Joch 
in einer der lebhaftesten Straften, unter welchem der Sage nach 
der letzte Horatier zur Sühne des Schwestermords hatte hindurch- 
gehn müssen. jDaneben sah man zwei Altäre, £ welche der Iuno 
Sororia und dem Ianus Curiatius geweiht waren, jener wegen der 
getödteten Schwester, diesem wegen des Todes der Curiatier, Fest, 
p. 297, Dionys. III, 22, Labeo bei Io. Lydus d. Mens. IV, 1, nach 
welchem Schriftsteller es sogar einen eignen Ianus Patricius in 
Rom gab, welcher von den ältesten und eingebomen Geschlechtern 
vermuthlich in ähnlicher Weise verehrt wurde wie Apollon nccTQwog 
von den Ioniem in Athen. 

Nimmt man dazu dafs Ianus von den Saliern gefeiert wurde 
als duonus cerus d. h. als creator bonus (S. 80), dafs er bei ihnen 
der Gott der Götter hiefs und von Andern der Aelteste von allen 
Göttern genannt wird und der Gott des Anfangs schlechthin, aller 
Dinge, aller Zeiten, aller Götter 2 ), so ist es auffallend genug dafs 
sich aus solchen Vorstellungen nicht eine bestimmtere kosmogonische 168 
Anschauung, etwa die eines kosmischen Demiurgen entwickelt hat. 



Quelleogötter sind. Grimm. D. M. 207. [Vgl. Rabiao Beiträge z. Vorgesch. 
Italieos 137 ff., welcher jeoe Altäre für Greatsteioe der laurolavioischea Feld- 
mark, halt] 

l ) Tertull. ad Nat. II, 1 1 qui consationibus concubitalibus praesit. Auguslio 
C. D. VII, 2 ipse primum Ianus cum Puerperium concipitur — aditum aperit 
recipiendo semini. Ib. VI, 9 [p. 266 Dom.] Varro enumerare deos coepit a con- 
ceptione humana, quorum numerum exorsus est a Iano. 

*) Iuveoal S. VI, 393 die antiquissime Divum — Iane Pater. Herodiaa I, 
161 &eoc äQxuiÖTciTos r% 'ItaMas tnixcootos. Martial X, 28, 1 annorum 
mundique sator. Septim. Sereo. Aothol. I, 191 0 cate rerum sator, o priri- 
eipium deorum, — cui res er ata mugiunt aurea daustra mundi. Paul. p. 52 
(o. Chaos) cui primo supplicabant veluti parenti et a quo rerum omnium fac- 
tum putabant initium. 



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172 



DRITTER ABSCHNITT. 



Und wirklich hatte der Begriff dieses Gottes sich bei einigen Den- 
kern und Gelehrten bis dahin erweitert. Namentlich verweist Ma- 
crobius auf eine Schrift des M. Valerius Messalla, eines Zeitgenossen 
des Cicero [Consul 701], worin derselbe vom Janus gesagt hatte: 
„Der Alles bildet, Alles regiert, alle Elemente, die nach unten drän- 
gende Natur des Wassers und der Erde und die nach oben ent- 
schwebende des Feuers und der Luft in der Wölbung des Himmels 
verbunden und dadurch für immer an einander gekettet hat"; vgl. 
lo. Lydus d. Mens. IV, 1, nach welchem derselbe Messalla den 
Janus für identisch mit dem Aeon d. h. im Sinne der damaligen 
Theologie für den Demiurgen erklärte. Aehnliche Vorstellungen 
hatte Varro ausgesprochen und durch eine sehr gezwungene Aus- 
legung des gewöhnlichen Doppelkopfes unterstützt, Augustin C. D. 
VII, 7. 8, daher sie sich bei Ovid Fast. I, 103 ff. wiederholen und 
Martial X, 28 den Ianus den Schöpfer aller Jahre d. h. der Zeit 
und dieser ganzen schönen Weltordnung nennt. Möglich dafs solche 
Gedanken durch die Etrusker angeregt wurden, deren Litteratur 
grade damals in Rom zugänglicher geworden war. Wenigstens 
sollen auch sie den Janus als einen Gott des Himmels und als den 
göttlichen Aufseher über alles Geschäft verehrt haben 1 ). Dafs aber 
bei diesem merkwürdigen Volke auch kosmogonische Bilder und 
Vorstellungen seit alter Zeit in der Litteratur ihrer Priester gepflegt 
wurden, beweist das vielsagende Bruchstück bei den Gromat vet. 
p. 350: Scias mare ex aethera remotum. Cum autem Iuppiter 
terram Etruriae sibi vindicavit etc., nach welchem also der Aether 
d. h. der reine leuchtende Himmel als das Erste gesetzt wurde und 
das Meer und die Erde erst durch Absonderung und Niederschlag 
aus demselben entstanden sind, doch wohl unter Betheiligung einer 
demiurgischen Gotteskraft. 

In Rom erinnerten zunächst alle Thüren und Thore an Janus, 
denn sie hiefsen ja nach ihm ianuae und iani, bei welchem letzteren 
Worte immer speciell der Durchgang zu verstehen ist, entweder 
durch einen über die Strafse geschlagenen Bogen oder durch ein 



*) Varro sagte nach Io. Lydus d. Mens. IV, 2 im 14. B. Herum Divinaruin 
vom Janas (tvrdv nag« Govoxois ovgavov X(yt(t&m xnl ftpogov naariq 
7iQa$i(os. [Diesem Zeugniss glaubt auch Merkel Prol. Ov. F. p. CD. Doch 
fuhrt Lydus aus ,Cato und Varro' Dinge an die sicher bei ihnen nicht ge- 
standen haben: s. Jordan Proleg. Cat. p. XXXD]. 



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IANUS. 173 

verschliefsbares Thon, auch die Stadtthore l ). Also alle Thore und 154 
alle Bogen erinnerten an ihn, viele aber waren ihm auch ausdrück- 
lieh geheiligt, namentlich solche die auf Märkten und besonders 
lebhaften Strafsen oder Kreuzwegen lagen, in welchem Falle sein 
Bild darin aufgestellt und aus dem Doppelbogen auch wohl ein ver- 
schliefsbarer Tempel mit zwei Thüren, aus dem doppelten Doppel- 
bogen mit einem Ianus quadrifons ein entsprechender Tempel mit 
vier Eingängen wurde. Unter diesen Tempeln war keiner so alt, 
so bedeutsam und ehrwürdig als der Ianus Geminus am Forum, 
als dessen Stifter immer Numa genannt wird. Wegen seiner krie- 
gerischen Bestimmung führte dieser alte Janus und nur dieser den 
Beinamen Quirinus d. i. nach Macrob. I, 9, 16 quasi bellorum 
potens, ab hasta quam Sabini curin vocant, vgl. Lucan. Phars. I, 
62 belügen limina Iani. Wirklich gab es in den Urkunden der 
Pontifices eine Vorschrift des Numa über die auf Veranlassung von 
sogenannten spoliis opimis darzubringenden Opfer, dafs in gewissen 
Fällen der Art dem Ianus Quirinus ein Schaafbock geopfert werden 
solle, Fest. p. 189, 16, vgl. Plut. Marcell. 8, und der Historiker 
Piso erzählte von dem Gesetze Numas dafs dieser Bogen oder dieses 
Thor immer offen stehen solle, nisi quom bellum sit nusquam, 
Varro 1. 1. V, 165. Das ist der bekannte Gebrauch von welchem 
bei den Dichtern und Historikern so oft die Rede ist und um des- 
willen Livius I, 19 sagt, Numa habe diesen Janus gemacht zu einem 
index pacis bellique, apertus ut in armis esse civitatem, clausus 
pacatos circa omnes populos signiticaret. Ueber die Lage dieses 
Janus sind wir genau unterrichtet; er stand nehmlich an der sehr 
lebhaften Strafse, welche von dem alten Forum zu dem des Cäsar 
führte, daher er in Folge der grofsen Bauten Domitians grade vor 
dem Senatsgebäude dieses Kaisers zu stehen kam, welches in jener 
die beiden Foren verbindenden Strafse lag 8 ). Sehr unklar ist da- 



!) Z. B. bei der p. Carmentalis, s. Becker Haodb. d. röm. Alterth. 1, 137. 
Besonders häufig genannt wurden die drei Iani auf dem Forum, in welcher 
Gegend die Wechsler ihre Buden hatten, Horat. Ep. I, 1, 54 c. intpp. Nach- 
mals baute Domitian durch die ganze Stadt viele iani und arcus, von denen 
die letzteren als Triumphbögen mit Quadrigen, Spolien, Bildern der Feldzüge 
und des Siegs geschmückt waren, Sueton Do mit. 13. 

') Ovid Fast. I, 257. 263, Procop. de bello Goth. I, 25, Becker flandb. 1, 
255 ff., 348 ff. Becker scheint mir auch S. 119 die Hypothese Niebuhrs, dafs 
dieser Janus ursprünglich auf den Verkehr der Römer auf dem Palatin und 



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174 



DRITTER ABSCHNITT. 



gegen die Ursache jenes alten Gebrauchs, diesen Janus offen zu 
halten so lange es einen Krieg gab und nur dann zu schliefsen 
wenn überall Friede war, zumal da die Alten sehr verschiedene 
Gründe angeben. Einige erzählen eine Stadtlegende, wie sich der- 
155 gleichen schon im alten Rom im Munde des Volkes nach gegebenen 
örtlichen Merkwürdigkeiten bildeten und im Laufe der Zeit immer 
ungenirter fortwucherten. Als die Römer und Sabiner unter Ro- 
mulus und T. Tatius um das Forum kämpften, habe der römer- 
freundliche Janus die durch das ofTene Thor andringenden Sabiner 
vermittelst eines plötzlich entsprungenen heifsen Schwefelquells zurück- 
gejagt, seit welcher Zeit das Thor ihm heilig geworden und nur 
in Friedenszeiten verschlossen sei, s. Ovid. Fast. I, 259 ff. [Metam. 
XIV, 728 IT.] Indessen wurde diese Legende nicht allein von diesem 
Thore, sondern auch von einem andern in einer andern Gegend 
der Stadt erzählt, wo auch ein solcher Sprudel und ein offenes 
Thor zu finden sein mochte, Macrob. I, 9, 17 1 ). Andre erklärten 
sich die Pforten dieses Janus als Pforten des Kriegs, als ob dieser 
Dämon in Friedenszeiten unter der Hut des Janus darin ver- 
schlossen sitze, im Kriege aber gegen die Feinde losgelassen werde, 
Virgil Aen. I, 293, VII, 607, Andre umgekehrt als Stätte des 
Friedens, als ob dieser bei verschlossenen Thoren vom Janus fest- 
gehalten werde, Ovid Fast. I, 281 pace fores obdo, ne qua dis- 
cedere possit, Horat. Ep. II, 1, 255 claustraque custodem pacis 
cohibentia Ianum. Am weitesten kommt man wohl wenn man sich 
den Janus auch hier als einen Gott alles Ein- und Ausgangs und 
alles geweiheten Anfangs denkt, mit dem der alte Glaube bei jedem 
wichtigen Unternehmen anhub, also gewifs auch bei jedem krie- 
gerischen Unternehmen, zu welchem die Schaaren der bürgerlichen 
Jugend auf Leben und Tod ausrückten. Wie Janus seine Gläubigen 
auf allen Wegen behütete, so ganz vorzugsweise auf diesem, daher 
die Pforten seines Heiligthums offen standen so lange die Landes- 
jugend im Felde war; denn die Oeffnung eines Tempels stellt sym- 
bolisch die begleitende Mitwirkung eines Gottes dar, daher der 
Tempel der Hora Quirini, einer alten sabinischen Segensgötlin, 
immer offen gehalten wurde, weil man sie sich immer segnend und 
thätig dachte, Plutarch Qu. Ro. 46. Ist aber der Krieg glücklich 

der Sabiner auf dem Quirioal berechnet gewesen sei, treffend widerlegt zu 
haben. [Revision der ganzen Frage bei Jordan Hermes 4, 229 ff.] 
») [S. Jordan a. 0. S. 252. 253.] 



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IAMJS. 



175 



beendet, das Heer zurückgekehrt, so wird der Tempel geschlossen, 
denn der Staat bedarf der Mitwirkung dieses Janus, des Janus 
Quirinus, des ausdrücklich für den glücklichen Anfang und Auszug 
zum Kriege geweiheten nun nicht mehr: eine Erklärung welche 
schon bei den Alten angedeutet wird Gewifs ist dafs bei diesem 
Tempel seit alter Zeit beim Ausbruch eines Krieges Opfer gebracht iae 
und gewisse sinnbildliche Gebräuche vorgenommen wurden, daher 
dieser Janus allein ein consecrirter war, Ovid F. I, 257 cum tot 
sint iani, cur stas sacratus in uno? Virgil Aen. VII, 607 sunt 
geminae belli portae — religione sacrae et saevi formidine Martis. 
Virgil, der diese Gebräuche für ein altes latinisches Herkommen 
hielt, erzählt dafs, sobald ein Krieg vom Staate beschlossen war, 
der Consul mit einer Quirinalischen Trabea angethan und nach 
gabinischer Weise gegürtet, die Thore des Tempels geöffnet und zur 
Schlacht gerufen habe, welchen Ruf die Jugend und schmetternde 
Kriegstrompeten wiederholten. Höchst wahrscheinlich wurden auch 
beim Abschluss des Friedens und dem Wiedereinrücken der Bürger 
entsprechende Gebräuche verrichtet, zumal da Numa immer als der 
Friedensfürst geschildert wird und Janus seiner Natur nach mehr 
den Frieden als den Krieg lieben mufste. Indessen wurde ein 
Friede mit allen Nachbarn in Rom immer seltener; daher das 
aufserordenlliche Gewicht, welches auf die Schliessung dieses Janus 
gelegt wurde. Nach Livius I, 19 war er seit der Zeit des Numa 
nur zweimal geschlossen worden, einmal im J. 235 v. Chr., sechs 
Jahre nach dem Frieden des ersten pi mischen Kriegs, wo er aber 
noch in demselben Jahre wieder geöffnet wurde, Varro 1. 1. V, 165, 
zum zweitenmal im J. 29 v. Ghr., als August nach der Schlacht 
bei Actium und einem Aufenthalte in Griechenland, Asien und 
Aegypten den Frieden auf die Dauer gesichert zu haben glaubte. 
Indessen ist der Tempel auch damals nicht lange verschlossen ge- 
blieben, da August selbst sich rühmt 2 ) dafs der Janus dreimal von 
ihm geschlossen sei, nehmlich zum zweitenmal im J. 25 v. Chr. 



») Serv. V. A. I, 294 Ideo autem Ianus belli tempore palebat, ut eiusdem 
eonspectus per bellum pateret, in cuius potestate esset exitus redi- 
tusque. 

*) Mon. Ancyr. [Gr. 7, 5 = Lat. 2, 42 vgl. Momrosen p. 3]. Der grie- 
chische Text hat nvXijv ivvaXiov, der lateinische hatte vielleicht [lanum] 
Qmri[ni] Jordan a. 0. S. 235.] Bei Horat. Od. IV, 15, 9 heifst es ungenau [?] 
lanum. Vgl. Sueton Octav. 22. 



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176 



DRITTER ABSCHNITT 



und zum drittenmal im Jahre der Geburt Christi. Nach ihm rühmte 
sich Nero noch einmal der Welt den Frieden gegeben und den 
Janus geschlossen zu haben, daher auf seinen Münzen dieser Tempel 
ott zu sehen ist, ein kleines und niedriges Gebäude mit verschlos- 
sener Thür und von aufseu angebrachten Gewinden *). 

Aufser diesem Heiligthum des Janus scheint es ein gleichfalls 
sehr altes und angesehenes auf oder bei dem Janiculum gegeben 
iä7 zu haben, welches Castell bekanntlich von dem Könige Ancus Mar- 
cius zum Schutze des Uebergangs über den Tiber und des Verkehrs 
auf diesem Strom angelegt wurde, zumal da Janus nach herkömm- 
licher Ueberlieferung auf dem Janiculum gewohnt hatte 3 ). Auch 
befanden sich dort alte Altäre seines Sohnes Fons oder Fontus 
und in dessen Nähe das Grab des Numa *). Weiter ist auszuzeichnen 
der Ianus Quadrifons mit einem entsprechenden Gebäude im Vela- 
brum, der erste in seiner Art, da das darin befindliche Bild mit 
vier Gesichtern von Falerii gebracht worden war, vermuthlich im 
J. 461 d. St., 293 v. Chr., xMacrob. I, 9, 13, Serv. V. A. VII, 607. 
Bekanntlich hat sich dieses Gebäude, welches auf einem lebhaften 
Kreuzwege lag, in später Restauration bis auf diesen Tag erhalten 4 ). 



») VfL Ovid F. I, 275 Am mihi posüa est parvo eonmncta sacello, 
Uaec adolet flammis cum strue farra suis. [Besonders die Kupfermünzen des 
Nero (Cobeo N. 153 ff., Abbild. Bd. 1, T. XI Nero 177), verbunden mit der Be- 
schreibung bei Prokop lassen deutlich erkennen dals das Gebäude wesentlich 
aus 2 durch halbhohe plutea verbundene portae mit flachem Dach bestand. 
Der Grundriss scheint quadratisch gewesen zu sein, die Seite mag etwa 20 
bis 24, die Höhe 15 — 20 F. gemessen haben. S. Jordan a. 0. S. 236. 23S. 
Eine aedes also im eigentlichen Sinn war es nicht. Ueber das Bild unten 
S. 164.] 

») Virgil .-Yen. VIII, 358, Ovid F. I, 245, Macrob. I, 7, 19 u. A. Jeden- 
falls war hier ein alter und wichtiger Durchgang, s. Paul. p. 104 laniculum 
dictum quod /wr eum (montem) Romanus populus primüus transierit in 
agrum Etruscum. 

») Cic. de Leg. II, 22, 56, wo mit den besten Handschriften zu lesen 
ist ad Fontis aras. [Vielmehr fuhrt die hs. Ueberl. auf quod [haud] procul a 
Fonti ara est.] Vielleicht sind zwei Altare anzunehmen, wie bei der Quelle 
in der Nähe von Laurentum, s. S. 170. Vgl. Arnob. III. 29, Beeker Haodb. 
1, 656. 

«) [Wo der Ianus quadrifrons aus Falerii — der übrigens durch Camillus 
513/341 nach Rom kam — in Rom verehrt wurde, ist unbekannt; der erbal- 
tene sog. Janus quadrifrons auf dem Velabrum ist, wie mit Andern Preller 
aelbst Reg. 60. 195 richtig annahm, der arcus Constantini der Not. reg. XI 
Vgl. Jordan Top. 2, 9, a. a. 0. 240 ff.] 



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IANUS. 



177 



Ferner gab es einen Tempel des Ianus Geminus beim Theater des 
Marcellus, gleich vor dem Carmentaiischen Thore und wieder in einer 
sehr lebhaften Gegend, da der ganze Verkehr zwischen dem Ochsen- 
markte und dem Circus Flaminius hier durchrauschte; C. Duilius 
hatte ihn im ersten punischen Kriege gestiftet und Augustus und 
Tiberius restaurirten ihn, daher die Kalender ihrer Zeit an be- 
stimmten Tagen Opfer bei diesem Janus vorschreiben 1 ). Endlich 
wurden alle diese Gebäude an Pracht und Gröfse bei weitem über- 
troffen durch den Ianus Quadrifons auf dem Durchgangsforum (f. 
transitorium) des Nerva, wo Domitian dieses bis in das Mittelalter 
erhaltene Gebäude errichtet hatte, Martial. X, 28. Also lauter 
lebhafte Passagen, daher es kein Wunder ist wenn die Römer sich 
ihren Janus nicht blos als den allgemeinen Schliefser, sondern auch 
als rüstigen Wanderer dachten und deshalb seine Bilder, wenn er 
in ganzer Figur dargestellt wurde, aufser dem Schlüssel mit einem 
Wanderstabe ausrüsteten, Ovid F. 1, 99 ille tenens baculum dextra 
clavemque sinistra, Macrob. I, 9, 7 cum clavi et virga figuratur, 
quasi omnium et portarum custos et rector viarum. 

Wie Janus aber als Gott des glücklichen Ein- und Ausgangs 
in allen Häusern, allen Strafsen, allen Städten gedacht wurde, so 
scheint er auch ein Gott der Häfen gewesen, also als Portunus iäs 
verehrt worden zu sein, obwohl dieser Name später gewöhnlich 
auf den griechischen Melikertes übertragen wurde. Portus war in 
der älteren Sprache ein Gebäude zum Ein- und Ausgehn 2 ), also 
auch das Haus, daher Portunus ganz richtig für einen Gott sowohl 
der Thore als der Häfen genommen ward und so gut wie Janus 
den Schlüssel in der Hand führte,, also in der That eigentlich 
Janus war, nur dafs die gemeine Praxis des Hafen- und Seelebens 
aus der besondern Eigenschaft des allgemeinen Geleitgottes einen 
besondern Hafengott gemacht hatte. Als solcher hatte er einen 
Tempel am Tiberhafen in der Nähe des pons Aemilius, wo am 

') Kai. Capranic. XVI Kai. Sept. Iatio ad theatrum Marcelli. Kai. 
Ainitern. XV Kai. Nov. Inno ad theatr. Marcelli. Vgl. Tacit. A. II, 49 
und Becker S. 138. 259. [Jordan a. 0. S. 229 f.] 

3 ) In den Zwölftafelgcsetzen stand portus noch für douius, s. Fest. p. 233. 
Die Wurzel ist nÖQog [vgl. Curtius Etyra. 5 272 und über portus, portoriuoi 
Jordan Top. 1, 1, 430]. üeber Portunus vgl. Paul. p. 56 claudere et elavis 
ex Graeco descendit, cuius rei tutelam penes Portunum esse putabant, qui 
elavim manu teuere fingebatur et deus putabatur esse portarum. Die 
Inschrift b. Or. n. 15S5 lauo Portuuo ist verdächtig. 

Preller, Rom. Mvthol. L 3. Aufl. ' 12 



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178 DRITTER ABSCHNITT. 

17. August eigne Portunalia gefeiert wurden, unter dem Aventin, 
wo noch jetzt die Tiberschitfe anzulanden und auszuladen pflegen 
Dafs dieser Cultus alt und volksthümlich war beweist der plebejische 
Flamen Portunalis b. Fest. p. 217. Es kommt hinzu, dafs Janus 
für den Gemahl der See- und Quellengöttin Venilia galt, endlich 
dafs Janus auch für den Erfinder des Schiffbaues gehalten wurde; 
wenigstens erklärte man sich so das gewöhnliche Gepräge des 
römischen As, Januskopf und Schiff, obwohl Andre dabei an das 
Schiff dachten, welches den Saturnus über See zum Janus brachte 8 ). 
Ist jene Erklärung richtig, und sie wird dadurch dafs Janus der 
eigentliche italische Gott des Geschäftsverkehres zu Wasser und zu 
Lande war, sehr empfohlen, so würde sich dadurch auch das 
gleichartige Gepräge der etruskischen Seestadt Telamon erklären. 

Regelmäfsige Festtage des Janus waren alle ersten Monats- 
tage, wo dem Ianus Iunonius neben der Juno geopfert wurde, 
daher ihm, leider ist nicht gesagt wo und von wem, zwölf Altäre 
159 für eben so viele Monate geweiht waren, und zwar bestand das ge- 
wöhnliche Opfer an diesen Tagen in einem Opferkuchen, den man 
lau ual nannte 1 ). Ohne Zweifel war unter diesen Festtagen der 
erste Januar in dem nach ihm benannten Monate von jeher be- 
sonders feierlich. Aufserdem wurde in diesem Monate der neunte 
Tag durch eine Opferhandlung in der Regia ausgezeichnet, welche 
mit einem aiterthümlichen, der Opferpraxis entlehnten Worte Agonia 
oder Agonalia genannt ward und in den römischen Kalendern zu 
wiederholten malen vorkommt, aber dem Janus so viel wir wissen 
nur an diesem Tage des Januar galt 2 ). Das Characteristische be- 

») Varro L l VI, 19 Portunalia dicta a Portuno, cui eo die aedes in 
portu Tiberino facta et feriae institutae. Iotp. Veroa. Aen. V, 241 Portunus, 
ut Varro aü, deus port[uum porta]rumque praeses. Quare huius dies festus 
Portunalia , qua aput veteres claves in focum add . . . mare institutum. Ich 
lese: quo apud veteres aedes in portu et feriae institutae. Vgl. 
die alten Kaieoder XVI Kai. Sept. [und dazu Mommsens Bemerkung p. 399. 
Die Lage des portus und des Portunium ist controvers: Jordan Top. 2, 199 

1, 1, 432]. 

») Athen. XV p. 692 E, vgl. Ovid F. I, 233 ff., Plutarch Qu. Ro. 41, 
Macrob. S. I, 7, 22. [Doch s. Mommsen Münzwesen 184 A. 50]. 

») Varro b. Macrob. I, 9, 16, Paul. p. 104. Vgl. Io. Lyd. d. Mens. IV, 

2, wo u. a. 6 6k Buoquv — xai nonttviova (aviov Uyeo9tu) Siä 16 h rats 
xttlavöais avttif-toco&ai nonava. 

*) Varro spricht von mehreren Tagen, 1. 1. VI, 12 Agonales (dies) per 
quos reo: in regia aridem immolat, dicti ab agone, eo quod interrogatur a 



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IAKUS 



179 



stand an demselben darin dafs ein Widder, und zwar als Führer 
seiner Heerde (princeps gregis) geopfert wurde und dafs der opfernde 
Priester der Rex Sacrorum, ursprüngUch ohne Zweifel das wirkliche 
Haupt des Staates (princeps civitatis) war, indem übrigens die bei 
allen Agonien herkömmliche Förmlichkeit beobachtet wurde. Der 
Opfernde that nehm I ich die solenne Frage agone? d. h. soll ich 
das Opfer herbeiführen? und erst nachdem es ihm ausdrücklich 
geheifsen war, brachte er das Opfer dar. Unverkennbar entsprechen 
sich bei jenem alten Gebrauche der princeps civitatis d. i. der Rex 
und der princeps gregis d. i. der Widder als Opfer, höchst wahr- 
scheinlich sollte aber auch hier der Gott Janus als der Erste, der 
Anlängliche, als princeps deorum gefeiert werden, und verinuthlich 
geschah dieses ursprünglich mit Reziehung auf die Jahreszeit, da 
die Tage eben wieder anfingen länger zu werden, das uraufängliche 
Licht der Sonne zur Erde zurückzukehren. Eine bedeutendere und 
allgemeine Neujahrsfeier zu Ehren des Janus war freilich erst dann 
möglich als die Kaienden nach dem kürzesten Tage von Staats wegen 
Neujahrsanfang geworden waren, d. h. seit dem J. 601 d. St., 
153 v. Chr., seit welcher Zeit die Consuln ihr Amt Kalendis Ianuariis 
antraten, was zu der allgemeinen Lust des Tages den eben so ieo 
feierlichen als stattlichen Act des Zuges der neuen Consuln auf 
das Capitol hinzufügte. Durch die ganze Stadt, ja durch ganz 
Italien und alle von römischer Sitte bestimmte Provinzen war der 
erste Januar nun der Tag des neuen, des glücklichen Anfangs, wo 
man sich auf jede Weise des Guten und Glücklichen zu versichern 
suchte, so dafs der alte Gott des neuen Anfangs nun erst recht zu 
Ehren kam. Alles bat ihn gleich mit dem ersten Tagesanbruch 
um gunstige Zeichen , Alles vermied auf das ängstlichste jede 
Störung, jeden Streit, jede Mühe, da nach römischem Glauben bei 
jedem W r erke unendlich viel auf einen guten Anfang ankam: Alles 
wünschte sich unter einander Glück und beschenkte sich mit ge- 

principe civitatis et princeps gregis immolatur. Vgl. Paul. p. 10 Ago- 
n i u in und Ovid F. 1, 317 ff*. [Natürlich ist Varros Etymologie falsch; die 
Frage hätte ja auch nur agamne lauten können.] In den Kalendern sind noch 
drei andre Tage mit AGON, AGO oder AG bezeichnet, der 17. Mars, der 
21. Mai und der 11. December, doch ist dabei nur an den alterthümlichen 
Ritus, nicht an ein und dasselbe Fest zu denken. [Vgl. Mommsen im C. I. L. 
1 p. 383. 388. 394.] Ovid F. V, 721 ad Ianum redeat qui quaerü Agonia 
quid sint verweist seine Leser auf das was er über diesen Ausdruck im 
Mt. Januar gesagt habe. 

12* 



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180 



DRITTER ARSCHMTT. 



ringen, aber Glück und Annehmlichkeit und einen gesegneten An- 
fang bedeutenden Geschenken, s. Ovid F. I, 71 ff., Plin. H. N. 
XXVIII, 22. Vorzüglich beliebt waren zu diesem Behuf die soge- 
nannten strenae 1 ), von denen sich eine letzte Spur bekanntlich in 
den französischen etrennes erhalten hat. Das war ein sehr alter 
Brauch, dessen Name mit dem Culte der sabinischen Segensgöttin 
Strenia, einer Art von Salus, zusammenhängt, aus deren Hain schon 
zur Zeit des T. Tatius d. h. seit der ersten Begründung des 
sabinischen Auguralwesens auf der Arx (S. 124) beim Jahresanfang 
Glück verheifsende Zweige auf die Arx getragen sein sollen. Aus 
diesem alten Gottesdienste war der populäre Gebrauch entstanden, 
sich in Erinnerung der alten Heilsgöttin allerlei Glück und Heil 
verheifsendes Laub, jetzt namentlich die Apollinischen Lorbeer- und 
Palmzweige mit entsprechenden Glückwünschen und mit allerlei 
Geschenken zuzuschicken, welche vorzugsweise in allerlei süfsen 
Dingen bestanden, Feigen, Datteln und Honigkuchen, zum guten 
Omen dafs das neue Jahr nur Süfses und Angenehmes bringen 
möge, s, Ovid F. I, 185 ff., Martial VIII, 33, 11; XIH, 27. Dazu 
fügte man auch efsbare Eicheln, welche an die älteste Vorzeit des 
Waldes, und einige Stücke der altherkömmlichen Asses mit dem 
Januskopfe und dem Schiff, welche an die gesegnete Vorzeit des 
Janus und Saturnus und den neuen guten Anfang in allen Dingen 
erinnern sollten, sammt andern Münzen mit andern zu der Weihe 
des Tages passenden Symbolen; daher auf jenen Asses die häufige 
Bekränzung des Janus mit Lorbeer, wie man denn nun dem alten 
Gölte auch die Erfindung des Kranzes zuschrieb 2 ). Endlich fügte 
man einen guten Wunsch hinzu und bediente sich zu diesem 
i6i Zwecke, um alle diese Dinge in einem Miniaturbilde zu verei- 
nigen, gerne jener eben so unscheinbaren als zierlichen Lampen 
von Thon oder Bronze mit dem Bilde einer Victoria, die einen 
Schild mit der Inschrift Annum novum faustum felicem in der 
Hand trägt und von den kleinen Bildern eines Lorbeerblatts, eines 
Zweiges mit Datteln, eines Haufens geprefster Feigen, einer Eichel, 
einem As mit dem Januskopfe und andern Münzen umgeben ist, 
wie sich davon verschiedene erhalten haben 3 ). Namentlich wurden 

*) (Vgl. auch Marquardt Privatleben 1', 245.] 
2 ) Athen. XV p. 092 E, Klausen Aeneas u. d. P. 714. 
8 ) Z. Ii. die irdene bei Passeri lue. flctil. 1,6 und die bronzene aus 
Pompeji in der Sammlung vou Roux VI t. 4S, vgl. Büttiger kl. Sehr. 3, 307 ff., 



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IANUS. 



181 



die vornehmen Gönner von ihren Clienten mit solchen Gaben be- 
grüfst, ja selbst die Kaiser verschmähten es nicht sich von ihren 
getreuen Unterthanen an diesem Tage mit vollen Händen beschenken 
zu lassen und wieder zu schenken; der finstre Tiberius mufste dem 
Andrang der Gaben und Glückwünsche, welche sich nicht immer 
am ersten Tage des neuen Jahres anbringen liefsen, durch ein eignes 
Edict steuern 1 ). Auch pflegte ein Jeder sein tägliches Geschäft an 
diesem Tage durch einen kurzen und glücklichen Anfang, aber nur 
durch diesen für das ganze Jahr zu weihen, sowohl auf dem Lande 
als in der Stadt, so sehr war man davon überzeugt dafs was an 
diesem ,Tage gut von statten gehe auch für die Folge glücken 
müsse 2 ). Die gröfste Feierlichkeit aber für die ganze Stadt war 
jenes erste Hervortreten der neu gewählten Magistrate, namentlich 
der Consuln an demselben ersten Januar, indem auch sie nun an 
diesem Tage ihr Amt unter feierlichen Opfern und Gebeten an- 
traten. Vor Tagesanbruch erhoben sie sich, um unter freiem 
Himmel nach günstigen Zeichen zu suchen, legten darauf in ihrem 
Hause die amtliche Kleidung an, empfingen die Glückwünsche von 
ihrem Anhange und den Senatoren und zogen darauf, während alle 
Altäre dampften, in der Begleitung des Senats, der Ritterschaft und 
einer zahlreichen Menge hinauf zum Capitol, um dort dem Jupiter 
0. M. als höchstem Schutzherrn des römischen Staates das gewöhn- ie« 
liehe Opfer auserlesener weifser Farren darzubringen und gleich 
darauf die erste Senatssitzung zu halten 8 ). Der zweite Tag galt in 
jedem Monate für einen unglücklichen (S. 160), daher auch in 
diesem erst der dritte zu einer neuen Feier bestimmt war, nehm- 



Fabretti Inscr. p. 500 n. 36. 37, Mommsen L N. 6308, 2 — 4. Für Hadrian 
uad Antoainus Pias bestimmte Münzen mit der Inschrift S. P. Q. R. A. N. F. F. 
d. h. Senatus populusque Romanas annam novam faustam felicem bei Eckhel 
D. N. VI p. 508; VII p. 11. [Vgl. Prellers Aasgewählte Aufsätze S. 310 f., 
Marquardt Privatleben 1 *, 245.] 

') Sneton Octav. 57, Dio Cass. LIV, 35, Soeton Tiber 34, Calig. 42, Nero 
46. Die Sitte dauerte bis auf Arcadius und [Honorius. [Vgl. Friedläoder 
Sitteng. 1*, 148.] 

») Ovid F. I, 167 Quisque suas artes ob idem deUbat agendo Nec plus 
quam solitum testißcatur opus. Vgl. Seneca Ep. 83, 5, Columella d. r. r. 

XI, 2, 98. 

>) Ovid ex Ponto IV, 9, 7, Fast I, 75 ff., Becker Handb. II, 2, 122 ff. 
[Mommsen Staatsrecht 1 *, 594 f.] Die Beschreibung bei Io. Lyd. IV, 3 kann 
höchstens für die Zeit der späteren Kaiser gelten. 



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1S2 



DRITTER ABSCHNITT 



lieh zu der der Gelübde für das Wohl des Kaisers, weshalb dieser 
Tag gewöhnlich zum Unterschiede von den Opfern der Kalendae 
Ianuariae schlechthin der Tag der Vota genannt wurde. Es waren 
dieses die üblichen Vota pro salute prineipis d. h. Opfer und Gebete, 
welche von den höchsten Magistraten unter Mitwirkung der Ponti- 
lices und andrer Geistlichen für das Wohl des Kaisers und des 
kaiserlichen Hauses, wie sie im vorigen Jahre gelobt worden waren, 
den Göttern dargebracht und von neuem versprochen und in dieser 
Form von Jahr zu Jahr immer zugleich geleistet und von neuem 
coneipirt wurden 1 ). Beide Feierlichkeiten, sowohl die Sacra des 
ersten Januars als die Vota des dritten, haben sich bis in sehr spate 
Zeit erhalten. 

Neben diesen Festlichkeiten bildete und erhielt sich allerlei 
volkslhümliche Ueberlieferung vom Janus, in welcher er bald als 
der erste und anfängliche Landeskönig erscheint, bald als Gatte 
und Liebhaber von verschiedenen Nymphen und Göttinnen, wie sie 
eben zu seiner Natur pafsten. Es war eine heilige und selige Zeit, 
erzählte man sich, als Janus regierte, eine Zeit wo Götter und 
Menschen noch in ununterbrochenem Verkehre standen 2 ). Alles 
war voll Unschuld und Sicherheit und immer dampften die Altäre 
von lodernden Opfern, daher dem Janus alle Eingange und Aus- 
gänge der Häuser geheiligt blieben und, weil er die Menschen opfern 
und beten gelehrt, bei jedem Opfer immer zuerst seiner gedacht 
wurde. Seine Residenz sei das Janiculum gewesen, behauptete man 
in Rom, doch habe er anfangs gemeinschaftlich mit einem andern 
168 eingebornen Könige Cameses regiert, nach welchem das Land Cama- 
senc genannt worden sei, dann aber allein und mit solcher Umsicht 
und Weisheit, dafs man ihm deshalb später das doppelte Gesicht 
zugeschrieben habe 3 ). Hernach sei Saturnus über See zu ihm ge- 

*) Marini Atti Arv. p. 56, Avellino Opusc. III p. 241 sqq., Marquardt 
Handb. d. R. A. IV, 219, wo ich aber den Beweis vermisse, dafs am ersten 
Januar von den neuen Consuln vota pro salute reipublicae coneipirt wurden. 
Dio Cass. fr. 102, 12 spricht von öffentlichen Gebeten der Priester im All- 
gemeinen. Tacitus An. IV, 70 unterscheidet ausdrücklich die Sacra des 
ersten und die Vota des dritten Januars. [Doch ist das votum pro incolumi- 
täte prineipis erst später abgesondert und auf den 3. Jan. fixirt worden: s. 
jetzt Mommsen a. 0., Marquardt Staatsverw. 3, 256.] 

a ) Ovid F. I, 247 Tunc ego regnabam patiens cum terra deorum 
esset et humanis numitia mixta locis. 

8 ) [Macr. S. I, 7, 19]. Ein beliebter Witz, s. Seneca de morte Claudii 9 



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IANUS. 183 

kommen und dem Janus ein Lehrer im Ackerbau und vielen nütz- 
lichen Erfindungen geworden, namentlich im Münzprägen und im 
Schiffbau. Andre Schriftsteller nennen Camesene oder Camasene 
die Schwester oder die Frau des Janus, mit welcher er den Flufs- 
gott Tiberinus erzeugt habe 1 ); wobei entweder eine den römischen 
Carmentes und Casmenen verwandte Quellengöttin oder eine Erin- 
nerung an den alten umbrischen Stamm namen der Camertes zu 
Grunde liegt, welcher sich in der Umgegend von Clusium lange 
behauptet hatte. Andre Ueberlieferungen nannten die Flufs- und 
Seegöttin Venilia seine Gattin und Canens, die schöne und gesang- 
reiche Nymphe, die zärtliche Gattin des laurentischen Picus, seine 
Tochter, Ovid Met. XIV, 335 IT., wieder andre nannten ihn Gemahl 
der durch ganz Latium verehrten Heil- und Segensgöttin Juturna 
und Vater des Fontus, Amob. III, 9, lauter Erzählungen in denen 
seine alte Natur des Ursprungs- und Quellengottes deutlich durch- 
blickt. Dahingegen das naiv drollige Volksmährchen von seiner Liebe 
zur Carna bei Ovid F. VI, 101 ff. speciell den Gott alles Aus- und 
Eingangs vor Augen hatte, wie diese Göttin alle Liebe und Lieb- 
haber Höh, bis kein Versteck sie vor dem Doppelgesicht des Janus 
zu schützen vermag und der mächtige Gott dann ihre Hingebung 
mit dem Ehrenamte über alle Thüren und Schwellen und mit der 
Gabe des Weifsdorns belohnt, einem wirksamen Gegenzauber gegen 
jede Anfechtung der Strigen*). 

Schliefslich mag von dem bekannten Doppelkopfe des Janus 
und von andern bildlichen Darstellungen des auch in dieser Hinsicht 
eigenthümlichen Gottes die Rede sein. Obwohl es die Frage ist 
ob der Doppelkopf eine eigenthümliche Erfindung des alten Italiens 
ist oder ob auch dieses Symbol den Etruskern und Hörnern von iej 
den Griechen zukam, da es sich bei diesen in sehr verschiedner 
Anwendung findet, namentlich auch in dem alten ßilde des gestirnten 
Himmels Argos, den Hermes tödtet. Genug man findet diesen 
Doppelkopf nicht blos auf römischen Münzen, sondern auch auf den 

qui semper videt apa nQoooot xttl onlaaut. Pers. I, 58 0 fane, a 
tergo quem nulla ciconia pirisit. 

l ) Serv. V. A. VIII, 330, Athen. XV p. 692 E., Plutarch Qu. Ro. 22, welche 
Schriftsteller mit thessalischen und epirotiscben Vö'lkernamen bei diesem 
Paare anknüpfen. Camese könnte stehen für Camere, vgl. Tutere. [Eine ge- 
nügende Erklärung der Namen Camcses, Camesene ist noch nicht gefunden.] 

») Bei Martian. Cap. I, 4 Ianusque Argionam utraque miratur efßgie 
ist wohl zu lesen Carnam. 



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184 



DRITTER ABSCHMITT 



etrurischen von Volaterrä und Telamon und den campanischen von 
Capua ; ja nach Athen. XV p. 692 E hätten auch sonst viele Städte 
in Griechenland, Italien und Sicilien mit dem Januskopfe und einem 
dem römischen As entsprechenden Reverse gemünzt. Was Rom 
betrifft so ist es kaum wahrscheinlich dafs dieses Gepräge dort er- 
funden wurde, daher man aus dem Schiffe auf der Kehrseite nicht 
zu viel folgern sollte. Immer sind beide Gesichter des Doppel- 
kopfs von derselben Bildung, in Rom bärtig, in Volaterrä und Capua 
beide unbärtig, wobei vielleicht die Verehrung des Quellengottes 
Fontus, des jüngeren Janus zu Grunde liegt, dessen Doppelkopf auf 
den Münzen der römischen Familie Fonteia gleichfalls unbärtig er- 
scheint. Wie nahe die bärtige griechische Doppelherme dem römi- 
schen Januskopfe stand, sieht man daraus dafs Augustus ein Bild 
für diesen, man wufste nicht ob es ein Werk des Scopas oder des 
Praxiteles war, aus Aegypten (doch wohl aus Alexandrien) mit- 
brachte, Plin. H. N. XXXVI, 28. Eine Bildung, wo der eine Kopt 
bärtig, der andre unbärtig wäre, dürfte aus älterer Zeit nicht nach- 
zuweisen sein, doch sieht man einen Janus in ganzer Figur mit 
solchem Doppelkopfe auf Münzen des Kaisers Gallien. Ueberhaupt 
scheinen die Bilder in ganzer Figur auch beim Janus mit der Zeit 
gewöhnlich geworden zu sein. Bereits erwähnt ist die mit den 
Attributen des Schlüssels und des Stabes; bei andern hatte man die 
Finger der rechten Hand so gestellt, dafs sie die Zahl CCC, die der 
linken dafs sie die Zahl LXV, also beide zusammen die Zahl der 
365 Tage des Jahres darstellten 1 ). 

2. JupUer. 

Dieser Name ist ein Compositum wie Marspiter, die Wurzel 
der ersten Silbe aber ist Iov oder Iü, wie sie deutlicher in dem der 
im älteren Sprache noch sehr geläufigen Namen Diovis oder Jovis her- 

') Plin. XXXIV, 33 [über die Lesung Moinmsen Chron. * S. 34: er galt 
dem Plinius als Ianus Geminus a Numa rege dicatus, war also das Tempelbild 
des Ianus Geminus, vgl. Jordan Herrn. 4, 239], Macrob. S. 1, 9, 10, Suid. v. 
'Iavovä()io( , lo. Lyd. IV, 1. £in Janusbild mit dem Stabe hat Panofka auf 
einer Gemme nachgewiesen. Auf der M. Galliens erscheint Janus stans to- 
galtu d. pateram s. sceplrum. Eckhel D. N. VII p. 396. [lieber die Münz- 
bilder Mommsen Münzw. 185 A. 53. — Doch war oben S. 166 A. 1 au den doppel- 
köpßgen Boreas (Annali 1860 tav. d'agg. L M vgl. S. 328 f.), den Doppelkopf auf 
Münzen von Regium und den doppelküpägen Argos (Gr. Myth. 1, 318) zu 
erinnern (Heibig).] 



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• 



IUPITER. 185 

vortritt. Jene Wurzel, ein Erbgut aller indogermanischen Stamm- 
sprachen und mythologischen Systeme [vgl. zu S. 50], bedeutet in 
ihnen den lichten Himmel, die Tageshelle, den ätherischen Glanz 
des Lichtes der vom Himmel ausgeht; und sie hat allen jenen 
Völkern zur Bezeichnung des höchsten Gottes, ja der Götter über- 
haupt gedient, weil die natürliche Erscheinung des Himmels mit 
dem leuchtenden Gewölbe, dem Alles durchdringenden und beleben- 
den Lichte, der furchtbaren Gewalt des Blitzes, dem befruchtenden 
und sättigenden Regen ihrer Vorstellung von der Natur der Götter 
am nächsten kam 1 ). So heifst der Himmel im Indischen djaus und 
die Perser nannten ihn und ihren höchsten Gott mit demselben 
Namen in wenig veränderter Form, Hesych. v. Jiav, Herod. I, 131. 
Bei den Griechen ist der gewöhnliche Name Ztvg nur eine schein- 
bare Abweichung, da Z aus dj entstanden ist ( Ct^oV = jugum), in 
den Declinationsformen Jiöq u. s. w. der alte Wurzelklang alsbald 
wieder hervorbricht, und bei den Kretern die Form Jyv für Zyv 
im gewöhnlichen Gebrauche sich erhalten hatte. In Rom ist die 
Verwandtschaft von Diovis oder Jovis mit Divus, Dius. Deus [doch 
s. oben a. 0], Dii von Varro, Verrius und andern Forschern aner- 
kannt worden 8 ), obgleich sie nicht die richtige Folgerung für die 
Wurzelbedeutung ihres Jupiter daraus zu ziehn wufsten. Auch der 
etruskische Name des Tinia oder Tina, welcher dem griechischen 
Zeus entsprach, hängt gewifs mit demselben Stamme zusammen, 
mag man ihn nun für eine Nebenform des griechischen Jig oder 
Jt]V halten oder die Wurzel in nördlichen Göttersystemen suchen 3 ), 



') Lucret. V, 1188 in caeloque deum sedes et templa locarunt, 

per caelum volvi quia lux et luna videtur, 
luna, dies et nox et noctis signa serena, 
noctivagaeque face* caeli ßammaeque volantes, 
nubila, sol, imbres, nix, venti, fulmina, grando 
et rapidi fremitus et murmura magna minarum. 
*) Varro L 1. V, 66 obeo S. 50, Paul p. 71 Dium antiqui ex graeco 
appellabant ui a deo ortum et diurnum sub caelo hinten, ano xov dt 6$. 
Lnde adhuc sub diu fieri dicimus quod non fit sub tecto et interdiu cui 
cnntrarium est noctu. Ib. 87 Dialis autem appeüatur (flamen) a dio, a quo 
vita dari putabatur hominibus, weil vom Himmel Licht und Lebeo kommt. 
Fest. p. 185 Dialis — universi mundi sacerdos, qui appellabatur dium, wo 
mundus i. q. caelum ist, vgl. Lucret. V, 1434 at vigiles mundi magnurn ver- 
satüV templum Sol et luna suo lustrantes lumine circum u. s. w. 

8 ) [Corssen Sprache d. Etr. 1, 308 ff. will Tinia mit lamis ideotificireo, 



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186 



DRITTER ABSCHNITT 



endlich der altdeutsche Zio, welchem ein gothisches Tius entsprach. 
In Italien war es die alte Gewohnheit der patriarchalischen Cultus- 
166 anrufung (S. 56 A. 1), welche neben der sonst herkömmlichen Form 
Diuvis, Diovis, Iovis 1 ) die Zusammensetzung Jupiter oder Juppiter 
gebildet hat, die aus Iov oder lu-pater zu einem Worte verschmolzen 
ist und als solches die andre Namenform aus dem gemeinen Sprach- 
gebrauche zuletzt verdrängt hat s ). Daneben hat sich, wie es scheint 
vorzüglich in der ritualen Praxis der Fetialen , als eine andre Zu- 
sammensetzung Diespiter erhalten d. i. speciell der Gott des lichten 
Tages, des Lichtes überhaupt in seiner physischen und moralischen 
Bedeutung 3 ). 

Also einen Guten Vater im Himmel meinten die alten 
Völker Italiens, wenn sie zu ihrem Jupiter beteten, einen Vater des 
Lichts, der im Himmel wohne und von dort seine Zeichen sende 
und alle himmlische und irdische Natur als höchster Gott regiere, 
keineswegs einen abstracten Gott der Hülfe, wie man seit Ennius 
den Namen Iupiter a iuvando zu erklären pflegte 4 ); vielmehr ist 

gewiss mit Unrecht; doch auch der Zusammenhang mit Zeus ist mehr als 
zweifelhaft.] 

*) Jiovfti FegooQH Tavoofi, Oskische Inschrift b. Mommsen Untental. 
Dial. S. 191 [n. 146 Zwetaj., Diuvei auf d. Bronze v. Agnone; umbrisch durch- 
gehend Iov-). Anonym b. A. Mai Auel. Class. V p. 151 Legimus in Capro 
hic Iovis. Etiam Naevius, Jttius, Pacuvius, omnes Uli utuntur exemplo. 
Diove statt Iove auf einem Erztäfelchen aus republikanischer Zeit, Archäol. 
Ztg. 1846 n. 257. [C. I. L. 1, 57. 188. 638. 1435 = C. I. L. 5, 2799, dazu das 
zweite Ex. Addend. p. 1073 zu 2975, beide (Aquileja) .noch* aus republ. Zeit; da- 
gegen auf der uralten römischen Gefafsinschrift Annali 1880, 158, der Spoletiner 
Haininschrift (oben S. 111, 1) und der Spiegelinschrift C. I. L. 1, 56 Iove, Iovei.) 

») Varro L L VIII, 74 nunc in consuetudine aliter rficere, pro Iovü Iup- 
piter, pro bovis bos. Sowohl Jupiter als Juppiter findet sich auf Münzen und 
Steinen guter Zeit, doch ist eigentlich kein Grund zu der Verdoppelung des 
p, da Iupiter aus Iu-pater gebildet ist wie ju-cundus aus jov-cundus, 
nuper aus nov-per, vgl. naufragium, auspex, augur, nicht aus lovispater, 
wie man in Rom gewöhnlich erklärte, s. Gell. V, 12. Die iguvinischen Tafeln 
haben gewöhnlich Iuvepater, daneben aber anch Iupater. (Die correcte 
Orthographie seit Augustus kennt nur Iuppiter (z. B. die der Arvalakten ohne 
Ausnahme), etymologisch entstanden aus Iövi-püer = Iou-püer; also ist p 
nur gedoppelt zur Bezeichnung der verschärften Aussprache hinter «: Jordan 
Hermes 16, 51.] Interessant ist ^tmttxvQoq bei einem epirotischen Volke, 8. 
oben S. 55, 3. [Vgl. Curtius Quaest. etym. Kiel 1856, Etymol. 6 617, Bugge 
in Bezzeobergers Beiträgen 3, 101 f.] 

») [Ueber Diespiter vgl. Corssen Aussprache 2», 233 fif.] 

«) Ennius Epicharm. p. 169 Haece propter Iuppüer sunt ista (die Luft, der 



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IUPITER. 



187 



auch der Sinn dieses Wortes iuvare für alles Förderliche, Hülfreiche, 
Heilsame, Wohllhuende aus jener älteren Naturempfindung der 
Wurzel Iov zu erklären, die auch sonst noch in vielen bedeutsamen 
Worten und Zusammensetzungen ihre reiche Kraft bewährt. Die 
Sprache und die Gewohnheit war in dieser Hinsicht correcter als 
die gelehrte Etymologie, denn so lange man sub divo und interdiu 
sagte und in vielen Wendungen Jupiter anstatt des Himmels und 
seiner Erscheinungen nannte 1 ), konnte die richtige Vorstellung nicht 167 
ganz verloren gehn. Auch sorgte der Cultus und manche alte Ge- 
betsformel in Rom dafür, dafs man bei diesem Namen immer zuerst 
seine Gedanken dahin richtete, wo der Mensch zu allen Zeiten die 
Quelle des Guten und alles gottlichen Segens gesucht hat und wo 
vollends die Völker, welche mit ihren Gedanken auf der Stufe der 
Naturreligion verweilten, im Hinblick auf alle die Wunder der himm- 
lischen Erscheinungen und das tägliche Wunder des Lichtes, auf 
die Quelle des Regens, des niederfahrenden Blitzes und rollenden 
Donners 8 ) noth wendig alles Höchste und Erhabenste suchen mufsten, 
was sie auf dieser Stufe der religiösen Erkenntnifs überhaupt zu 
erfassen vermochten 8 ). 

Man darf für gewifs annehmen dafs Jupiter nicht allein durch 
ganz Italien , sondern auch dafs er überall im Wesentlichen als 

Wind, der Regen) quae dicto tibi, quoniam morlalis alque urbes beluasque 
omnes iuvat. Vgl. Cic. IN. D. II, 25, 64, Gell. IN. A. V, 12 Iovem Latini 
veteres a iuvando appellavere eundemque alio vocabulo iuncto patrem dixerunt. 

*) Cic. N. D. II, 25, 65 Hunc igitur Ennius — nuncupat ita dicens: 
Aspice hoc sublime candens, quem invocant omnes Iovem. — Hunc 
etiam Augures nostri, quum dicunt Iove fulgente, tonante. Horat. Od. I, 
1, 25 sub Iove frigido. III, 10, 7 audis ut glaciet nives puro numine Iupiter. 
Virg. Ecl. VII, 60 Iupiter et laeto descendet plurimus imbri. 

*) Ennius Ann. 561 divutn domus altisonum cael. Non. p. 180 Varro 
Bimarco: Tunc repente caelitum allum tonitribus templum tonescit. Lucret ius 
H, 1030 percipito caeli darum purumque colorem Quaeque in se cohibet pa- 
" lantia sidera passim, Lunamque et solis praeclara luce nitorem. 1039 caeli 
lucida templa. 

8 ) [Das Beiwort iovius führen verschiedene Gottheiten: Venerus Ioviae 
muru[m) C. I. L. 1, 565; Hercio Iovio alte palign. Widmung Fabr. C. I. It. 
2971 bis, stadtrömische der Kaiserzeit Herculi Iovio Bull. arch. communale 
4380, 286; loviois puclois C. 1. L. 1 S. 555 (oben S. 76); in den iguvinischen 
Gebeten findet sich ioviu neben cerfiu als Beiwort mehrer Gottheiten (vgl. 
Huschke Iguv. Tafeln 352 ff.). — Reifferscheid Annali 1866, 216 bringt diese 
Erscheinung mit Namen wie Iuppüer - Uber in Verbindung. S. unten 
S. 173 f.] 



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188 



DRITTER ARSCHNITT. 



derselbe Gott verehrt wurde, als Gott der Höhen und des Himmels, 
als höchste Quelle aller Offenbarung durch seine himmlische Zeichen, 
auch als die aller Ordnung auf Erden, alles Sieges, aller letzten 
Hülfe und alles Heils; nur dafs allerdings je nach der Natur der 
einzelnen Landschaften und dem Gemüth der Stämme auch die 
Auffassung dieses Gottes sich veränderte. So scheinen die Sabiner 
vorzugsweise von der Idee der lichten Reinheit und Heiligkeit des 
himmlischen Vaters, seiner höchsten Treue und der von ihm aus- 
gehenden Stiftung alles Rechtes und aller Ordnung durchdrungen 
gewesen zu sein; wenigstens deuten darauf die vielen Reinigungen 
und Heiligungen, dem sich der von Numa eingesetzte Flamen Diaiis 
unterwerfen mufste, der Dienst des Dius Fidius, der Fides, des 
Terminus, welche von den Sabinern abgeleitet wurden. Dahingegen 
bei den Etruskern Jupiter vorzugsweise für den Herrn der Blitze 
und aller Verhängnisse im Himmel und auf Erden galt, die er durch 
seine Blitze allein oder mit Hinzuziehung des Götterrathes lenkt 
(S. 70). da sich in diesem an Wundern und Erscheinungen beson- 
ders reichen Lande die Beobachtung und Verehrung des Volks und 
168 seiner Priester am meisten auf diesen Punkt fixirt hatte. Indessen 
verehrten auch sie und die Latiner, so sehr mufs man sich vor 
einer Trennung der einzelnen Religionen Italiens hüten, den Jupiter 
zugleich als die höchste Quelle des Lichts und aller Ordnung, da 
Jupiter Lucetius und die Bedeutung der Idus, ferner die Verehrung 
des Jupiter Terminus, des Jupiter Rex und Imperator auch bei 
ihnen verbreitet war. Selbst die gemeinschaftliche Verehrung der 
drei höchsten Götter auf dem Gapitol, des Jupiter, der Juno und 
der Minerva, scheint in Italien allgemein herkömmlich gewesen zu 
sein, da auch die Sabiner des römischen Quirinais (S. 64) und die 
Etrusker (Serv. V. A. I, 422, s. unten) sich zu ihr bekannten. 

Fassen wir zuerst die Bedeutung des Jupiter im Naturleben 
bestimmter ins Auge, so tritt in Italien noch mehr als in den 
stammverwandten Religionen, namentlich auch in Griechenland, die 
Bedeutung des Lichtgottes in den Vordergrund, wie dieses schon 
der alte Gultusname Diespiter lehrt, ferner der gleichfalls sehr alte 
und verbreitete Name Lucetius, unter welchem er namentlich in 
den Saliarischen Liedern angerufen und auch bei den oskisch reden- 
den Völkern verehrt wurde 1 ). Und zwar ist Jupiter als Lichtgott 

1 ) Paul p. 114 Luceti um Iovem appellabant quod eum Iuris esse cau- 
sam credebant. Macrob. I, 15, 14 oben S. 156, Gell. V, 12, 6 itemque lovU 



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IUP1TER 



189 



nicht etwa blos der Urheber der täglichen Helle des Tages (dies), 
welchen die Sonne bringt, sondern auch der Gott der lichten Er- 
scheinungen des Himmels überhaupt, auch des leuchtenden Wetter- 
strahls 1 ), auch des nächtlichen Vollmonds, welcher die dem Jupiter 
heiligen Idustage bringt, an denen die Tageshelle und die nächtliche 
Helle sich zu einer ununterbrochenen Lichtoffenbarung des himm- 
lischen Vaters zusammenschlofs, daher jeder Vollmondstag mit einem 
den Etruskern entlehnten Ausdruck Iovis fiducia genannt wurde, 
d. h. eine Bürgschaft des Jupiter, ein immer wiederkehrendes Unter- 
pfand seiner himmlischen Gegenwart und seines göttlichen Segens. 
Es ist schon oben S. 156 f. bemerkt worden, dafs sowohl dieser ie9 
schöne und tiefe Gedanke als das System der Idus etwas nicht blos 
Etruskisches zu sein scheine, sondern sich auch bei den Sabinem 
und Latinern wiederfindet, da überall dem Jupiter die Idus heilig 
waren und namentlich in Rom deshalb dem Jupiter an jedem Voll- 
mondstage die Idulia Sacra gebracht wurden. Ueberdies scheint mir 
aber auch die Legende von dem Ursprünge der zwölf Ancilien, die 
sich unverkennbar auf die zwölf Monde des Jahres beziehen, aus 
demselben Ideenzusammenhange erklärt werden zu müssen, da Ju- 
piter dem Numa das erste Ancile, das himmlische Urbild der übrigen, 
auf sein Gebet unmittelbar vom Himmel und zwar gleichfalls als 
Unterpfand (pignus) seines göttlichen Segens sendet. Endlich decken 
sich, worauf ich unten ausführlicher zurückkommen w r erde, in einer 
ganzen Reihe alter religiöser Begriffe, namentlich in dem Culte des 
Diespiter, der Fides und des Dius Fidius die Vorstellungen von Licht, 



Diespiter appellatus i. e. diei et lucis paler. (Vielmehr gehört das s in 
Dies zum Stamm. [Vgl. S. 166, 3.]) Idcircoque simili nomine Iovis Diiovis 
dictus est et Lucetius, quod nos die atque luce quasi viia ipsa afficeret et 
iuvaret. Lucetium autern Iovem Cn. Naevius in libro belli Poenici appellat. 
Serv. V. A. IV, 570 lingua Osca Lucetius est Iupiter dictus a luce, quam 
praestare dicitur hominibus. Vgl. Mommsen Unterital. Dial. S. 274. [Dafür 
loucetius natürlich die altere Schreibung, bezeugt durch Victorinus Gramm, 
latini 6, 12. Ob damit das nur auf rheinischen Inschriften als Epitheton des 
Mars vorkommende loucetius, leueeiius zusammenhängt, ist noch nicht ent- 
schieden: Jordan Krit. Beiträge 33.] 

l ) Das Gebet der Salier nach der Herstellung Bergks [De carm. Sal. S. XII] : 
Cume tonas, Leucesie, prae tet tremonii. [Doch ist überliefert bei Scaurus 
Gramm, lat. 7, 28 cuinc ponas leucesiae prae texere monti u. s. w., bei Fest. 
205 pretet tremonti, die Herstellung unsicher, selbst leucesie wegen des eu 
und des s nicht unbedenklich: Jordan Krit. Beiträge 211 ff.] 



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DK1TTER ABSCHNITT. 



Recht, Wahrheit und Treue, so dafs dafür, wie mir scheint, ein 
alter italischer, namentlich sabinischer und latiniscber Wurzelbegritf 
nothwendig angenommen werden mufs. 

Ein andres Gebiet des Jupiter wie das aller ihm verwandten 
Götter der Griechen, der Deutschen u. s. w. ist das Wetter und 
Gewitter, von der segnenden Wolke bis zum zerstörenden Strahl 
der Wetterwolke; nur dafs sich auch hier in Italien aus der gege- 
benen Vorstellung keine Bilder und Mythen, sondern nur Gebete 
und abergläubische Gebräuche entwickelt hatten. Eigentlich ist 
Jupiter heiter, serenus; wenn Jupiter lacht, so lacht der ganze 
Himmel, wie Ennius sich ausdrückte 1 ). Doch ist er auch befruch- 
tender Regengott, imbricitor, pluvius, pluvialis und als solcher be- 
fruchtend und nährend, sowohl für die Weide als für den Acker und 
170 Weinberg, daher man ihn als almus und frugifer anrief. Ueber- 
haupt sind alle Veränderungen der Luft sein Gebiet und seine 
Herrschaft, namentlich auch die Winde und Stürme, welche auch 
auf Italiens Bergen und Meeren tapfer zu hausen pflegen, daher 
Jupiter und die Tempestates d. h. die Gewitterstürme nicht selten 
zusammen genannt wurden s ). Vor allen übrigen Lufterscheinungeu 
aber war es Blitz und Donner, in welchem man die Gewalt des 
höchsten Gottes im Himmel erkannte; daher die vielen darauf be- 
züglichen Beinamen, unter denen er verehrt wurde: Iup. Fulgur 
[in Rom verehrt am 7. October] 3 ) oder Fulgurator von dem leuch- 



>) Bei Serv. V. A. 1, 254 [Ab. 445 f.], vgl. Virg. Aen. I, 245 Olli suhri- 

Apul. de Mundo p. 37Mc. 37 Goldbacherf Dicüur et FuTgurator et Toni- 
trualis et Fulminator, etiam Imbricitor et item Serenator, et plures 
eum Frugiferum vocant. Ennius b. Varro 1. 1. V, 65 Islic est is IuppUer 
quem dico, quem Graeei vocant Aerem: qui ventus est et nubes, imber postea 
Atque ex imbre Jrigus, ventus post ßt . aer dermo. Als Regengott heil st 
lupiter pluvius bei Tibull. I, 7, 26, pluvialis in einer lnscbr. aus Pom- 
peji b. Mommseu n. 2254. Imbricitor sagt Ennius auch vom Winde: spiri-. 
tus Austri imbricitor, b. Macrob. VI, 2, 28. Iup. Serenas oder Sereoator 
ist vorzüglich der Aufheiternde nach dem Sturm, daher er neben der Fortuua 
Redux und in ähnlichen Verbindungen genannt wird, s. Or. n. 1262 [= C. I. L. 
6, 433] 4310 [and C. I. L. 6, 43 t]. 

') Inschriften aas Lambaese in Numidien bei Marini Atti p. 774, Or. n. 127], 
Renier, Inscr. Ro. de l'Algerie, n. 6 Iovi 0. M. Tempestalium divinarum 
potenti leg. III etc. n. 7 Ventis bonorum Tempestatium poten- 
tibus leg. III etc. 

>) [Iovi Fulguri Kai. Arv. Ost. Non. Oct. vgl. Mommsen Eph. epigr. 1, 39]. 



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IDPITER. 



191 



tenden Strahle, auch lup. Fulgur Fulmen oder Km 1 miliaris und Ful- 
minator, wo der niederfahre n de Donnerkeil des Blitzes (fulmen) zu 
dem aufleuchtenden fulgur hinzutritt, endlich auch als Tonans oder 
Tonitrualis, ein seit August in Rom beliebter Cultus, wo der er- 
schütternde Donner zur Hauptsache geworden ist 3 ). In ganz Italien 
sind die Gewitter häufig, vor allem im Frühlinge und im Herbste, 
wie Plinius auseinandersetzt 4 ), und zwar pflegen solche Erschei- 
nungen im Süden weit heftiger und plötzlicher aufzutreten als bei 
uns. Wie oft Rom von stürmischen Gewittern heimgesucht wurde, 
lehren die Verzeichnisse der Prodigien bei Livius und Julius Obse- 
quens: und die Verehrung eines eignen Gottes der nächtlichen Blitze, 
des Summanus [s. unten], ferner die des lup. Elicius, der seit alter 
Zeit einen eignen Altar auf dem Aventin hatte, beweist, dafs man 
nicht blos in Etrurien mit einer sorgfältigen und superstitiösen 
Beobachtung, Beschwörung und Sühne der Blitze beschäftigt war. 
Namentlich soll auch IS'uma sich auf die Beschwörung der Blitze 
gut verstanden haben, nach der Legende bei Ovid u. A., weil Picus 
und Faunus, die mächtigen Waldgeister ihn den Zauber gelehrt 
hatten, den der fromme König nur zum Besten seiner Römer an- 
wendete 4 ). So heftige und häufige Blitze schreckten Stadt und 
Land, dafs er den Jupiter im Blitze vom Himmel beschwor, um 
von ihm selbst ein sichres Mittel der Blitzsühne zu erfahren. 
Jupiter erschien und forderte das Haupt und die Seele eines in 
Menschen, worauf Numa statt des Hauptes (caput) eine Zwiebel 
(cepa) darbrachte, statt des Menschenhauptes (caput hominis) dessen 
Haare (capillos), statt der lebendigen Seele (anima) den Fisch 
(maena), und Jupiter sich lächelnd auch damit zufrieden erklärte. 
Doch sollte die höchste Auszeichnung in solchen Künsten und Ge- 



*) lup. Fulgur b. Fest. p. 229, 2, lovi Fulguri Fulmini b. Henzen z. Or. 
d. 5629 [I. 0. M. Ful(guri) C. I. L. 3, 1680], lovi Fulminari ib. n. 5630 
(— C. I. L. 5, 2474], lovi Fulgeratori Or. d. 1238 [= 6, 377], I. 0. M. Fulm. 
Fol. ib. ii. 1239 [= 3, 3953], lovi Fulmin. Folg. Tonanti ib. 1241 [I. 0. M. 
Tonitratori C. I. L. 3, 2766«. Verschieden ist der kl. -in asiatische Bqovtüv, 
über welchen S. 211. Auch in dem oskischen luvet Flagiui der Inschrift von 
Capua (Zwetaj. I. Ose. 34) bat man einen Iupüer fulgerator sehen wollen. 
Die Deotung ist unsicher]. 

*) Plin. H. N. II, 135, vgl. Io. Lydns de Ostentis 43, auch Lucret. VI, 
357 ff. und die schone Schilderung bei Virgil Ge. I, 311 ff. 

*) Ovid Fast. III. 261 ff., Plnt. Numa 15, Valer. Antias b. Arnob. V, 1, 
vgl. Varro 1. 1. VI, 94, Liv. 1, 20. 



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192 



DRITTER ARSCHMTT. 



brauchen den abergläubischen Etruskern vorbehalten bleiben, die 
mit ihrer Kunst dann in Horn und sonst in Italien aushalfen. 
Hatte doch einst Yolsinii, als ein schreckliches Ungeheuer sein 
Gebiet verheerte und die Stadt bedrohte, durch Blitzbeschwörung 
Kettung gefunden, und von dem Könige Porsenna wufste man 
gewifs dafs er sich so gut als Numa auf diese Kunst verstanden 
halte 1 ). Aus den langjährigen Gewitterbeobachtungen und Blitz- 
sühnen der etruskischen Priester aber hatte sich eine Doctrin ge- 
bildet, welche practisch in Rom durch die Haruspices (S. 16) sehr 
oft geübt wurde und theoretisch später auch zugänglich wurde, 
namentlich durch Aulus Caecina aus Yolaterrä, welcher die Römer 
in seinem Werke über die etruskische Disciplin sowohl mit dem 
wesentlichen Inhalte der alten libri fulgurales und tonitruales als 
sonst mit den Grundzügen der Theologie und Divination seiner 
Heimath bekannt machte 2 ). Der oberste Grundsatz auch dieses 
Systems war, dafs die Blitze eine OfFenbarung des Willens der 
Götter seien, und zwar hielt man sie in Etrurien für die sichersten 
und zuverlässigsten unter allen himmlischen Zeichen. In der weitern 
Ausführung wurden verschiedene Arten von Blitzen unterschieden, 
die Götter von welchen sie geschleudert wurden, ihre Bedeutung 
und Veranlassung, nach denen sie verschiedentlich benannt wurden. 



*) Plio. H. N. II, 140 Exstat annalium memoria sacris quibusdam et 
precationibus vel cogi fulmina vel impetrari. Fetus ffama Etruriae est impe- 
tratum Folsinios urbem depopuUdis agris subeunte monstro quod vocavere Fol- 
tam, evocatum et a Porsenna suo rege. Et ante eum a Numa saepius hoc 
factitatum in primo annalium suorum tradidit L. Piso gravis audor, quod 
imitatum parum rite Tullum I/ostilium ictum fulmine. Noch zur Zeit des 
Alarich beschwören die etruskischen Priester ein Donnerwetter gegen die 
Barbaren, Zosim. V, 41. 

*) Auf die alten Beobachtungen der Etrusker deutet Lucret. VI, 379 ff. 
Von Caecina s. Cic. de Div. I, 33. Wichtige Auszüge aus seinem Werke bei 
Seoeca Qu. Nat. II, 32—49. Auch Varro, Nigidius Figulus u. A. hatten über 
die Lehre von den Blitzen nach römischem und etruskischem Gebrauch ge- 
schrieben, vgl. Plin. H. JN. II, 138 f., Serv. V. A. 1, 42, lo. Lydus d. ostent. 
21 — 52, 0. Müller Etrusker 2, 31 ff. [Für ein Stück aus den 'etruskischen 
Fulguralbüchern' hielt Müller Etr. 2», 133 das Stück bei Mart. Capella I 44 
welches die 16 caeli regiones und die Sitze der einzelneu Götter in denselben 
aufzählt; Nissen Tempi. S. 182 ff. hielt dasselbe für durch und durch römisch- 
italisch und alt, Scbmeilser (s. üeceke zu M. S. 135 A. 26a) für eine 'späte Er- 
findung '. Dieselbe Eintheilung findet sich angeblich auf einem kürzlich in Piaeenza 
gefundenen räthselhaften kupfernen Gerath: Dcecke Etr. Forschungen 4 (1880).] 



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IUPITER. 



193 



In Rom galten solche Blitze immer für die bedenklichsten, welche 
geheiligte oder für das öffentliche Leben wichtige Stätten trafen, 172 
die alten Haine der Götter oder ihre Tempel, die geweihten Denk- 
mäler des bürgerlichen Lebens der Stadt, oder wohl gar das hehre 
Capitol und den eignen Tempel des Jupiter 1 ). Auch gab es eine 
eigne ars fulguritorum, welche für eine Eingebung der etruskischen 
Nymphe Begoe gehalten und seit August mit andern Schriften der 
Art im Tempel des Palatinischen Apollo aufbewahrt wurde 8 ), d. h. 
eine technische Anweisung zur Weihe der vom Blitz getroffenen 
Stätten und Gegenstände (fulgurita), welche für heilig galten, weil 
Jupiter selbst davon Besitz genominen zu haben schien. War der 
Blitz in die Erde gefahren, so wurde die von dem himmlischen 
Feuer berührte Erde zuerst sorgfaltig gesammelt und eingescharrt 
(fulgur condere), dann die Stätte durch das Opfer eines zarten 
Lamms (daher bidental) geweiht und endlich in Form einer Brunnen- 
mündung (puteal) bedeckt und ummauert; daher das puteal Libonis 
oder Scribonianum auf dem römischen Forum, von welchem die 
Denare der Familie Scribonia eine Ansicht geben, und andre der- 
artige Blitzgräber, welche in Rom und Italien etwas sehr Gewöhn- 
liches gewesen sein müssen 8 ). Waren die Bäume eines Hains ge- 
troffen, so wurden sie nach sorgfaltigen Sühnungen entfernt und 
mit gleicher Sorgfalt neue gepflanzt 4 ). Auch der vom Blitz er- 
schlagene Mensch galt nach einem Gesetze Numas ftir geweiht, 
nach welchem man die Leiche nicht wegtragen und bestatten 
durfte, sondern an Ort und Stelle liegen und einscharren mufste. 
Wurden aber Personen hohen Standes von dem Blitz nur berührt, 

*) [Vgl. die fulguritae arbores Plaut Trio. 539.] Bei Seneca Qu. N. II, 
4'' werden u. a. genannt regalia f ulmin a d. h. solche quorum vi tangitur 
vel comüium vel principaUa urbis liberae loca y quorum signißcatus regrium 
civitaii minatur. Ein Blitz in das Prätorium des Lagers bedeutet Eroberung 
. desselben uod Tod des Feldherrn, Dionys IX, 6, ein Blitz in den T. der Juno 
Gefahr der Frauen, Liv. XXVII, 37, 8. 

») Serv. V. A. VI, 72, Paul. p. 92 fulgur itum id quod est fulmine 
tctum, qui locus statim fieri pulabatur religiosus, quod eum deus sibi vindi- 
casse videretur. 

») Becker Handb. d. R. A. 1, 280, t. 5, 6, Marquardt IV, 250. [Staats- 
verw. 3, 252 f., C. 1. L. 2, 2421, G, 205 f., 5, 6778. Der steinerne Rio*, 
auf welchem das puteal Libonis stand, ist wahrscheinlich an der Ostseite des 
Castortempels noch erhalten. Vgl. Jordan Hermes 7, 2S5.] 

<) Acta fr. Arv. I, 43 [Henzen Acta S. 142], Paul. p. 295 strufertarios 
(Vgl. piaculum slruibus fertis Heozen Acta S. 135.] 

Preller, Röm. Mrtbol. I. S. Aufl. 13 



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194 



DRITTER ABSCHNITT. 



ohne getödtet zu werden, so durften sie dieses für ein sicheres 
Zeichen der höchsten Ehre für ihre Nachkommen halten 1 ). — 
Endlich gab es eine der Blitzbeschwörung entsprechende Kunst der 
Wolken- und Regenbeschwörung, welche man aquilicium nannte 
und gleichfalls vorzüglich den Etruskern verdankte. Sie wurde bei 
grofser Dürre angewendet, wo das römische Volk, Männer und 
Frauen, auch wohl mit bloßen Füfsen auf das Capitol zu eilen und 
die Beschwörung durch brünstige Gebete zum Jupiter zu unter- 
stützen pflegte 2 ). 

Als Regengott war Jupiter zugleich der Befruchtende, der 
Nährende, in welcher Eigenschaft er besonders auf dem Laude viel 
verehrt wurde. So pflegte ihm der Landmann vor der Aussaat im 
Herbste oder im Frühjahre ein Mahl (daps) zu bereiten und dazu 
Wein zu spenden und zu dem Jupiter dapilis um Regen für seine 
Felder und sein Ackervieh zu beten 8 ) und auch vor der Erndte 
wurde zu ihm und der Juno gebetet, ehe der Ceres die her- 
kömmliche porca praecidanea geschlachtet wurde (Cato d. r. r. 134.) 
Eben deshalb nannte man ihn almus und frugifer und Ruminus 
d. i. der Alles wie an seiner Brust (ruma) Nährende, auch Pecunia, 
welches Wort sich gewifs auf den Segen des Viehstandes bezog 4 ). 
Dahingegen der Beiname Pistor, auf welchem Jupiter auf dem 
Capitol« verehrt wurde, doch wohl besser durch „Zerschmetterer, 
Blitzschleuderer" übersetzt wird, obwohl man später aus Misverstand 
des Wortes pistor an Gebäck und die gallische Noth zu denken 
pflegte; Jupiter habe damals den Belagerten die List in die Hand 
gegeben, dem Feinde wie im Ueberflusse Brod ins Lager zu werfen 5 ). 



>) Fest. p. 178, PJin. H. N. II, 145. Vgl. Serv. V. A. II, 649 und den 
F«U bei Ammian. Marc. XXIII, 5, 13. Ein Q. Fabius Eburnens, welchen ein 
Blitz am After getroffen hatte, bekam darüber den Spitznamen Pallos Iovis, 
Fest. p. 245. 

*) Tertullian Apolog. 40, vgl. Petron Sat. 44 und die ähnlichen Gebräuche 
bei Grimm D. M. 159. Etwas Anderes ist der Tuscus aquilex bei Varro Non. 
Marc. p. 69, s. 0. Müller Etr. 2, 340 [2», 318]. 

8 ) Cato r. r. 50. 131. 132, Paul. p. 68 daps apud antiquos dicebatur 
res divina qttae fiebat aut hibema sementi aut verna. Vgl. Grimm D. M« 
1165 ff. 

4 ) Almus und Ruminus heifst er bei Augustin C. D. VII, 11 quod aleret 
omnia, quod ruma i. e. mamma aleret omnia. Ib. VII, 12 et Pecunia voca- 
tur, quod eius sint omnia. 

*) Ovid F. VI, 343 ff., Laclant. I, 20, 33. [Dafs die ara Iovis pistoris auf 



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IIJPITER. 



195 



Wohl aber gehört hierher der in Italien weit und breit verehrte 
Iupiter Liber, ein um so mehr bemerkens werther Cultus, da er 
wesentlich und eigenthümlich italisch ist, denn die Griechen haben 
für diese Thätigkeit einen eignen Gott, den Sohn ihres Zeus, 
Dionysos angenommen. Wir kennen diesen Jupiter Liber durch 174 
Inschriften aus Capua (Mommsen I. N. n. 3568) und aus dem 
Gebiete von Furfo im Lande der Vestiner (Or. n. 2488, Mommsen 
I. N. n. 6011 [cbb C. I. L. 1, 603]), ferner durch ein Gewicht 
in der Form eines alterthümlichen Jupiterkopfes mit oskischer 
Inschrift (Mommsen Unterital. Dial. S. 170 t. VII [= Zvvetaj. I. 
ose. n. 3]), endlich eine Inschrift aus Amiternum, der alten Haupt- 
stadt der Sabiner, welche in ihrem Stammvater Sabus oder Sabinus 
den ersten Winzer verehrten (Mommsen I. N. n. 5760). Dazu 
kommt ein durch verschiedene Inschriften bekannter Iupiter Libertas, 
welcher namentlich in Latium und Rom verehrt wurde, s. Or. n. 
1249 und die Inschrift aus Tusculum n. 1282 [= C. I. L. 1, 
1124], ferner gab es in Rom auf dem Aventin drei Tempel der 
Minerva, der Juno Regina und des Jovis Libertas, ein Neubau des 
Augustus nach dem Monumentum Ancyranum, dessen griechischer 
Text ungenau Zevq * EXevO-iqioq übersetzt 1 ). Diese Namen Liber 
und Libertas können nichts wesentlich Anderes bedeuten als bei 



dem Capitol gestanden, ist nicht bezeugt und folgt nicht nothwendig aus Ovid.] 
Man gefiel sich sehr die Noth der damaligen Belagerung auszumalen und bezog 
darauf auch einen Altar des Iup. Soter auf dem Capitol, s. Serv. V. A. VIII, 
651. Doch gab es bis zu dem Kriege mit Perseus keine pistores in Rom, 
auch bedeutet pinsere überhaupt tundere, molerc, frangere, s. Plin. H. N. XVIII, 
107, Varro b. Non. Marc. p. 152. 

») [Mon. Anc. 4, 55. vgl. Jordan Eph. epigr. 1, 236 f.: Iuppiter liber ist die 
altere Bezeichnung, die Beziehung dieses Kults auf den Weinbau nicht sicher. 
Reifferscheid Annali dell' inst. 1866, 216 vergleicht Iuppiter Iuventus (unten 
S. 233, nicht stadtrömisch), Clitumnus, Terminus (beide sebr zweifelhaft: 
S. 519, 228), ruminus (oben S. 173, der vielmehr zu den S. 197, 2 (3. A.) 
erwähnten dapalis u. s. w. zu stellen ist), und glaubt einen Iuppiter Silvanus 
aus den Typen der Bildwerke erschliefsen zu können. — Zu /. Iuventus dürften 
eher /. Fulgur, I. Lapis zu stellen sein: immer bleiben diese Umformungen 
sporadische Erscheinungen, die neben den Diflereaziruugeo des grofsen Gottes 
durch Beiwörter eine untergeordnete Rolle spielen. Ob Kunstdarstellungen, 
wie der Juppitcr mit den vereinigten Attributen des Juppiter und Neptun 
(höchster Beherrscher von Land und Meer?) noch hierhergehören ist zweifel- 
haft: so auf einer tegula manunata von Urbisaglia mit der Inschr. Iove iutor 
Bull, dell' inst. 1879, 44, vgl. 1861, 86.] 

13* 



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DRITTER ARSCHMTT. 



der Benennung des Liber Pater und der Libera, also Fülle und 
üppigen Segen und die damit verbundene Stimmung ausgelassener 
Lust, wie sie ein reicher Erndtesegen vollends der Weinberge von 
selbst mit sich bringt. Auch wissen wir dafs in Latium der 
Weinbau und die Weinlese vorzugsweise unter den Schutz des 
Jupiter und der Venus gestellt war, welche letztere der Libera ent- 
spricht. So waren die ländlichen Vinalien, welche schon am 
19. August gefeiert wurden und unter der Betheiligung der Priester 
das Signal zur Weinlese im September und October gaben, diesen 
beiden Göttern geweiht, s. Varro L 1. VI, 20, Paul, und Fest, 
p. 264, 265 Rustica Vinalia. Namentlich wurde dann vom Flamen 
Dialis, also dem Jupiterpriester, die Weihe der Weinlese in der 
Weise vorgenommen, dafs er zuerst einige Trauben abschnitt und 
dabei zur Weinlese feierlich aufrief, darauf dem Jupiter ein Lamm 
zum Opfer schlachtete und, während man mit der Zubereitung 
desselben beschäftigt war, abermals mit seiner auspicirenden Wein- 
lese fortfuhr Darum war in den Weinpflanzungen der Tusculaner 
das ausdrückliche Verbot angeschlagen, man solle keinen neuen 
Wein in die Stadt fahren, ehe die Vinalien ausgerufen wären 8 ), wie 



') Varro 1. 1. VI, 16 Vinalia a vino. Hic dies Iovis, non Veneria. 
Huius rei cura non levis in Lotio, nam aliquot locis vindemiae primum ab 
sacerdotibus publice fiebant, ut Romae etiam nunc. Nam flamen Dialis auspi- 
catur vindemiam (dieses auspicari ist immer zugleich ein inchoare der eiozu- 
weihenden Handlung, s. oben S. 180) et ut iussit vinum legere (dieses ist das 
kalare des Anschlags in hortis Tusculauis) agna lovi fadt y inter quoius exta 
caesa et porrecla flamen prorsus (codd. porus, primus Müller) vinum legit. 
Müller hat diese Stelle nicht richtig verstanden. [Vgl. Mommsen im C. I. L. 
1, 392. 399.] 

a ) Ib. In Tusculanis ortis est scriptum: Vinum novurn ne vehatur 
in urbem ante quam Vinalia kalentur, Paul p. 264 Rustica Vinalia 
XIV Kai. Sept. celebrabant, quo die primum vitta in nrbem deferebant. Für 
ortis haben die Ausgaben sacris, doch hat der cod. Flor, sortis und es 
ist kein Grund zu ändern, vgl. Varro 1. 1. VI, 20 Vinalia Rustica dicuntur 
a. d. XIV Rai. Sept. quod tum Veneri dedicata aedes et orti ei deae dicantur. 
Hortus ist in der älteren und ländlichen Sprache jeder eingehegte Platz, so- 
wohl eine Pflanzung als der ganze bäuerliche Hof, also auch eine Weinpflan- 
zung. Vgl. Mommsen Unterital. Dial. S. 131. [Auch Mommsen C. I. L. 1 p. 392 
schreibt hortis: aber scriptum est in hortis kann nicht gebraucht sein wie 
z. R. in muris; aufserdem ist unzweifelhaft von heiligen Vorschriften die Rede, 
wie es sacra Argeorum, sacra Tiburtia sind (Varro 6, 50. 52. Servius Fuld. 
Arn. 1, 17): also von Büchern. Daher sacris für sortis richtig verbessert ist. 
Vgl. Jordan Top. 2, 240, Hermes 8, 220.] 



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IUPITER. 



197 



denn auch eben dieses Hineinschaffen des ersten heurigen Weins 
in die Stadt mit besondern Feierlichkeiten verbunden gewesen zu 
sein scheint. Auch die Meditrinalia am 11. Octbr. waren nach dem 
Kalender von Araiternum mit einer religiösen Feier des Jupiter 
verbunden. Wie bei der Feier der Dea Dia im Mai, welche hin- 
sichtlich der Feldfrüchte dem Feste der ländlichen Vinalien und 
jenen Cerimonien des Flamen Dialis entsprach, die Arvalbrüder 
zugleich von den frischen Früchten des neuen Jahres und von denen 
des vergangenen Jahres genossen, so kostete man an diesem Feste 
zugleich den heurigen und den alten Wein und sprach dazu die 
Worte, indem man sich der heilenden Kraft des Weins erfreute 
(Meditrinalia a medendo): Neuen Wein, alten Wein trinke ich, mit 
neuem Weine, altem Weine heil' ich mich 1 ). Auch im nächsten 
Frühjahre, wo man am 23. April wieder Vinalia feierte, auch diese 
dem Jupiter und der Venus, gedachte man, ehe der junge Wein 
angezapft wurde, zuerst des Jupiters mit einer Spende, welche man 
nach dem dabei gebrauchten Gefafse calpar nannte, s. Paul p. 46 
und 65, Ovid Fast. IV, 863 IT., Kai. Maff. Praen. 

Unter den Eigenschaften, welche den Jupiter mit den Menschen 
und dem Nationalleben verbanden 9 ), sei zuerst seiner kriegerischen 
gedacht, welche in der älteren Zeit sogar am meisten hervortraten, 
so dafs Jupiter in ganz Italien neben Mars als der eigentliche Ent- 
scheider der Schlachten und der Gott des Sieges verehrt wurde. 
Diese Eigenschaften, die des Stator und Feretrius, werden auch in 
der römischen Geschichte zuerst genannt und Augustin C. D. VII, 
1 1 hat, vermuthlich aus Varro und alten Gebeten, eine ganze Reihe 
alter Cultusnamen erhalten, welche Jupiter als den Gott der m 
Schlachten nach Art der Indigi tarnen ta in verschiedenen Acten des 
Kampfes schildern: Dixerunt eum Victorem, Invictum, Opitulum, 
Impulsorem, Statorem, Centumpedam, Supinalem, wo Centumpeda 

») Novum vetus vinutn bibo, novo veteri vino morbo medeor. Varro 1. 1. 
VI, 21. [Wo aber nothwendig im zweiten Gliede vino zu streichen ist. S. Jor- 
dan Krit. Beitr. 182.] 

2 ) [Die zahlreichen Beinamen des Juppiter, über welche schon die Alten 
scherzten (trecenti Ioves Varro, oben S. 51, vgl. die Fictionen bei Flaut us Pcrsa 
251 f. Iovi o pulen to, incluto, Ope gnato, supremo, viripotenti, Amph. 740 pro- 
digiab's, Pseud. 335 lenonius) bezeugen seine Theilnahme an den einzelnen 
Acten des menschlichen Lebens, z. B. dapalis, farreus, epulo, ruminus. Doch 
bedarf dieser Gegenstand noch einer umfassenden und von andern Gesichts- 
punkten ausgehenden Untersuchung.] 



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198 



DRITTES ABSCHNITT. 



der wie auf hundert Föfsen Stehende ist, eine so feste Stütze bot 
er den Seinigen, Supinalis der die Feinde rückwärts Hinstreckende 1 ). 
Als Stator ist Jupiter zugleich Versor der Feinde {tQOTtaXoc), unter 
welchem Beinamen ihm in einer oskischen Inschrift bei Mommsen 
Unterial. Dial. S. 191 ein Stier geweiht wird. Endlich ist er auch 
Praedator, als welchen er einen eignen Cultus in Horn hatte, in 
welchem Stücke der Beute geweiht wurden, Serv. V. A. III, 222. 
Die wichtigsten Culte dieses kriegerischen Jupiter sind aber doch 
die des Stator, des Feretrius und des Victor. Als Stator hatte 
ihm Homulus den Tempel am Aufgange der Via Sacra auf den 
Palatin gewidmet, wo die Römer sich von neuem zum Kampfe 
mit den Sabinern gesammelt hatten. Später gelobte der Consul 
M. Atilius Regulus in einer heifsen Schlacht mit den Samnitern 
im J. 460 d. St., 294 v. Chr. einen zweiten Tempel, welcher 
wahrscheinlich in der Gegend des Circus Flaminius erbaut wurde. 
Auch war derselbe Cultus sonst in Italien und in den romanisirten 
Gegenden verbreitet 2 ). Jupiter Victor, der höchste Gott des Siegs, 
scheint seinen ersten Tempel in Rom durch den berühmten Sieger 
der Samniterkriege Q. Fabius Maximus Rullianus auf Veranlassung 
einer Schlacht vom J. 457 d. St., 297 v. Chr. erhalten zu haben 3 ). 
Später gab es mehr als einen Tempel desselben, einen dessen De- 
dications- und Festtag auf die Iden des April fiel (Ovid F. IV, 621) 
und einen andern welcher an den Iden des Juni dem lupiter Invictus 
gestiftet war (Ovid F. VI, 644, Kai. Venus, [vgl. dazu Mommsens 



') Quod haberet impellendi , statuendi, resupinandi potestatem, setzt 
Augustin hinzu. Mit Furcht erfüllte Jupiter auch die Plebs auf dem Möns 
sacer, daher sie sich zur Rückkehr Dach Rom eotschlofs und jenen Hügel unter 
einem entsprechenden Beinamen dem Jupiter weihte, s. Paul. p. 319, Dionys. 
VI, 90. 

*) Liv. X, 36. [Der Unterbau möglicherweise noch erhalten, vgl. z. B. 
Lanciani-Visconti Guida del Palatino S. 24.] — Varro b. Macrob. Dl, 4, 2 [in 
circo Fi, Fast. Urb. d. inc. ad circum Fi, CLL.1 p. 330. 410], Becker 
Handb. 1, 60S. Ein signum lovis Statoris bei Arretium erwähnt Cic. de Divin. 
I, 35, 77. Iup. Stator in Alba Fucentia b. Mommsen I. N. n. 5628—5633; iu 
Rom: Or. n. 1263 [—CLL. 6, 435]; sonst: Or. He. 1264. 5644 [= C. I. L. 
3, 1087 u. 5937; dazu 1089], eine Inschrift aus Thagaste: Iovi Opt. Max. 
Statori et Iun. Aug. Reg. b. Renier Inscr. de l'Algerie 1 n. 2898. [Auch Stator 
item Conservator C. I. L. 6, 434 oder üem depulsor 3, 895.] 

8 ) Liv. X, 29. Wenige Jahre darauf, nach dem glorreichen Siege des 
L. Papirius Cursor bei Aquilonia im J. 461 (293) ist wieder von diesem Jup. 
Victor die Rede, Liv. X, 42. 



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UNTER. 



109 



Bemerkung C. I. L. 1 p. 395.] Einer von diesen Tempeln lag nt 
auf oder an dem Palatin, vermuthlich in der Nähe des Iup. Stator 1 ), 
ein andrer auf dem Capitol, wo dieser Jupiter des Siegs wenigstens 
in späterer Zeit einen eigenen Tempel hatte, in welchem er in der 
Umgehung von Viclorien thronte , einen Eichenkranz auf dem Haupte, 
eine Victoria auf der Rechten 3 ) Endlich das Heiligthum des Ju- 
piter Ferch' ins war bekanntlich das älteste Capitolinische und 
eins der ältesten auf römischem Grund und Boden überhaupt. Der 
Sage nach wurde es von Romulus gestiftet, als er gleich nach dem 
Raube der Sabinerinnen im Kampfe mit den Latinern oder Sabinem 
von Caenina deren König Acron, einen Sohn des Hercules, erschlagen 
und die nahe bei Rom gelegene Stadt erobert hatte. Bei der Rück- 
kehr mit dem siegreichen Heere habe er selbst die Spolien des 
feindlichen Königs auf dem dazu bereiteten Gestell (feretrum) ge- 
tragen, sei mit denselben triumphirend aufs Capitol gestiegen und 
habe sie dort unter einer heiligen Eiche niedergelegt (S. 109). Bei 
dieser Eiche soll Romulus jenes Heiligthum des Iup. Feretrius ge- 
gründet haben, welcher nach seinem Vorgange speciell der Sieges- 
gott der Spolia opima war d. h. solcher Spolien, welche wie 
damals von einem Anführer des römischen Heeres einem feindlichen 
Könige oder Heerführer im Zweikampfe abgenommen wurden (Liv. 
I, 10). Der Name Feretrius ist von feretrum abzuleiten, das ist 



*) Cic. de Leg. II, 11, 28 cognomina Statores et Invieti Iovis. Vergl. 
Becker Handb. 1, 422. [Doch berechtigt weder Cic. a. 0. noch die Not. Reg. 
X die Nachbarschaft beider Tempel anzunehmen. Aach die Ideotificirung mit 
eioer dem Circas zugewandten Ruine ist unsicher. Lanciani Guida del Pala- 
tino 130.] 

') Er wird bald nach dem Tode Casars und seitdem wiederholt erwähnt. 
Dio Cass. XLV, 17, wo der Blitz einschlägt Ic rov vttbv rov roT /Iii' rcf 
Kanirtokitp h r<p Nixalqi ovra. XLVII, 40 ig rov rov Nixalov Aibg ß(ouov. 
LX, 35 »/ avTOfjatog rov vaov rov Jibg rov Nixaiov avotg'tg. Also ein eigner 
T. des lup. Victor, einer von den vielen, die den größeren Tempel des Capi- 
tolinischen Jupiter umgaben. Das Bild vergegenwärtigt eine Inschrift aus 
Cirta bei L. Renier Inscr. de l'AIg. 1 n. 1890 in einem Verzeichnis von Tempel- 
schätzen: Iovis Victor argenteus in Kapitolio habens in capite coronmn ergen- 
team querqueam folior. XXP, in qua glandes n. Xy, ferens in manu dextra 
orbem argenteum et Victor iam palmam ferentem . . . XX et coronam folior. 

XXXX , sinistra hastam arg. tenens. Ohne Zweifel nach einem Vorbilde 

des römischen Capitols. [Vgl. die Widmung [Di]ovei Victore vom Quirinal 
C. I. L. 1, 638 und die von Quintil. I, 4, 17 erwähnte Diove Victore, unten 
S. 235.] 



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200 



DRITTER ABSCHNITT. 



jenes aus Baumstämmen gezimmerte Gestell, auf welchem die 
Spolien d. h. die dem Feinde abgenommenen Stücke der Rüstung 
getragen und aufgestellt zu werden pflegten *). Numas Gesetz be- 
stätigte die Stiftung (Fest. p. 189) und Ancus Marcius soll den 
178 Tempel erweitert haben (Liv. I, 33), welcher in der Nähe des 
grofsen Capitolinischen Tempels gelegen zu haben scheint. Nur 
zwei Romer waren so glücklich zu jenen Spolien des Romulus neue 
hinzuzufügen: A. Cornelius Cossus, welcher als Führer der römi- 
schen Reiterei im J. 317 d. St., 437 v. Chr. dem Vejenterkönige 
Tolumnius, dem Führer der feindlichen Reiterei, in einer Schlacht 
vor den Mauern Fidenäs die Rüstung abgewann, welche er neben 
jener des Acron von Caenina mit dem üblichen Dedicationstitel auf- 
stellte (Liv. IV, 20), und M. Marcellus, nachdem er als Consul im 
J. 532 d. St., 222 v. Chr. den celtischen König und Führer der 
insubrischen Gallier Viridomar während einer Schlacht am Po in 
ritterlichem Zweikampfe bezwungen hatte (Liv. Epit. XX, Plut. 
Marc. 7 u. A.). Andre, wie T. Manlius Torquatus, Valerius Corvinus, 
Scipio Aemilianus, hatten zwar auch mit gleicher Tapferkeit feind- 
liche Heerführer im Zweikampfe getödtet, aber sie mufsten auf die 
gleiche Ehre verzichten, weil sie nicht unter eigner, sondern unter 
eines Andern Anführung diese That gethan hatten 2 ). Der alte, ge- 
wöhnlich verschlossene Tempel war mit der Zeit so verfallen, dafs 
Augustus ihn wiederherstellen mufte. Eine Vorstellung von seiner 
Gestalt giebt der kleine Rundtempel des Mars Ultor, welchen der- 
selbe Augustus bald darauf für die von den Parthern ausgelieferten 
Adler des Crassus als Gegenstück erbauen liefs, wie uns die Münzen 
der Zeit denselben vergegenwärtigen 3 ). 

Nächst dem wurde die sittliche Idee des Rechtes und der 
Treue früh und mächtig angeregt durch den mit dem Institute 
der Fetialen innig verwachsenen Cult des Diespiter und den der 
Fides, des Dius Fidius, des Terminus und andre alterthümliche 
Traditionen, auf die ich zurückkommen werde. In Rom scheint 
die Regia und die Capitolinische Arx durch T. Tatius und Numa 



*) Virg. Aen. XI, 83 Indutosque iubet truncos hostüibus armis fptos ferre 
duces inimicaque nomina figi, 

*) Valer. Max. III, 2, 6, vgl. Hertzberg io Schneidewins Philol. I p. 331 
—339. [Marquardt Staatsverw. 2, 560.] 

') Dio Cass. LIV, 8, vgl. Piuder in den Abh. der philol. Iiistor. Kl. d. 
Berl. Akad. 1855 S. 612 and t. IV, 3. [Vgl. Jordan Hermes 7, 206.] 



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Il'PITER. 



201 



ganz vorzugsweise dem Culte dieses alten Vaters des himmlischen 
Lichtes und der himmlischen Erscheinungen geweiht worden zu 
sein, worauf die an beiden Punkten an den Kaienden, Nonen und 
Idus gebrachten Opfer deuten, namentlich die letzteren, welche 
dem Jupiter der Idus galten. Leider erfahren wir nur wenig von 
diesen Sacra Idulia, doch wissen wir dafs sie aus dem Opfer eines 
ausgewachsenen weifsen Lammes bestanden, welches der Flamen iro 
Dialis dem Jupiter darbrachte, und zwar so dafs zugleich gewisse 
sühnende und weihende Umzüge auf der daher Sacra Via genannten 
Strafse von der Regia bis zur Arx stattfanden 1 ). Ein andres Merk- 
mal aber des Begriffs von höchster Reinheit und Heiligkeit, 
welchen Numa mit dem Namen des Jupiter, dem er selbst als 
Priester diente (S. 20, 1), verbunden hat, sind die in dieser Hin- 
sicht fiochst merkwürdigen Vorschriften für das persönliche Ver- 
halten des Flamen Dialis und seiner Gemahlin, der Flaminica, welche 
vermöge derselben gewissermafsen wie lebende Bilder jener Götter 
des Lichtes, denen sie dienten, vor dem Volke wandeln sollten. 
Der Wiederherstellung jener priesterlichen Würde durch August 
(S. 27) verdanken wir wohl die ausführlichen Nachrichten 2 ), wobei 
allerdings zu bedenken bleibt, dafs die alten Bestimmungen des 
Numa in manchen Punkten durch spätere Zusätze erweitert oder 
verändert wurden. Dem Range nach war er unter allen Flamines 
der höchste und angesehendsle; so war auch seine Kleidung, seine 
Gewöhnung, sein Auftreten im Publicum ein sehr würdiges und 
feierliches. Nur durfte er allein unter allen Priestern, obgleich der 
Senat für ihn immer offen stand, kein weltliches Amt bekleiden 
noch sich um ein solches bewerben, eine Bestimmung, welche 



*) Paul p. 104 Idulis ovis dicebatur quae omnibus Idibus Iovi macta- 
batur. Fest. p. 290 Sacram Viam, — quod eo itinere uiantur sacerdotes 
idulium sacrorum conficiendorum causa. Itaque ne eatenus quidem, 
ut vulgus opinatur, sacra appellanda est, a Regia ad domum Regis Saerißculi, 
sed etiam a Regis domo ad sacellum Streniae et rursus a Regia usque in 
Arcem. Varro J. 1. V, 47 qua sacra quotquot mensibus ferentur in 
Arcem. Vgl. Macrob. I, 15, 16, Ovid F. I, 55 uud 587. 

2 ) Besonders bei Gellins N. A. X, 15, welcher seine Mittheilungen mit 
den Worten beginnt: Cerimoniae impositae flamini Diali multae, item castus 
multiplicesy quos in tibris qui de sacerdotibus publicis composüi sunt, item in 
Fabii Pictoris librorum primo scriptos legimus. Anderes ist durch Festus 
uud Paulus, Servius zum Virgil und Plutarch erhalten. Vgl. Marquardt Handb. 
d. R. A. IV, 271. [Staatsverw. 3, 315 f.] 



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202 



MUTTER ABSCHNITT 



ursprünglich gleichfalls seine speciüsch geistliche Dignität ausdrücken 
sollte, bei den nachmals vorherrschend weltlichen Interessen aber 
freilich von den Patriciern, die zu deu Stellen der drei Hammes 
raaiores allein wählbar blieben, sehr schwer empfunden wurde. 
Ferner durfte der Flamen Dialis allein nie ein Pferd besteigen, 
keine bewaffnete Mannschaft aufserhalb des geweihten Pomeriums 
180 sehen, wie die Vestalinnen nie einen Eid schwören 1 ), keinen ge- 
schlossenen Ring an seiner Hand, keinen Knoten an seinem Apex 
oder seiner Gürtung oder sonst an seinem Leibe 2 ), sondern nur 
Spangen an seiner Kleidung haben. Sein Haar und Bart durfte 
nur von einem freien Manne und mit einem ehernen Messer ge- 
schoren werden; die Abschnitte seiner Nägel und seiner Haare 
mufsten unter einem fruchttragenden Baume eingescharrt werden. 
Eine Ziege, einen Hund und rohes Fleisch, den umstrickenden 
Epheu und die den Todten geweihte Bohne durfte er nicht an- 
rühren, ja nicht einmal nennen, auch einen in der Gährung be- 
griffenen Teig nicht berühren und unter geile und verstrickte Schöfs- 
linge eines Weinstocks oder eine von solchen Schöfslingen gebildete 
Laube nicht treten. Die Füfse seines Bettes mufsten mit einem 
leichten Anstrich von Lehm versehen sein, auch durfte er nicht 
drei Nächte hinter einander aufserhalb dieses Bettes zubringen, 
noch durfte ein Andrer in demselben schlafen 8 ); am Fufsende des 



M Gellius 1. c. lurare Dialem fas nunquam est. Daher weiterhin die 
Worte aus dem Edict. Perpet. des Praetor«: Sacerdotem Festalem et Fla- 
min ein Dialem in omni sua iurisdictione iurare non cogam. Der Grand ist 
auch hier die besondre Heiligung und Reinheit der Person. Ein blofses Ja 
sollte genügen. 

a ) Gellius 1. c. Annulo uti nisi pernio cassoque fas non est. — Nodttm in 
apice neque in cinctu neque alia in parte ullam habet. Es sollte nichts Bin- 
dendes, nichts Fesselndes an diesem geweihten Leibe sein. Denn auch der 
geschlossene Ring ist eine Art von Fessel, wie in der Mythe vom Prometheus. 
Der apex ist eigentlich das Reis vom Oelbaumc auf dem galerus, dann der 
geweihte Hut. Es wurde gewöhnlich mit geweihten wollenen Fäden befestigt, 
auf dem Hute des Dialis also ohne Knoten. [Vgl. Hehn Kulturpflanzen 6 99, 
Heibig Sitzungsber. d. k. Bair. Ak. d. Wiss. Phil. Hist. Cl. 1880, 487 ff.] Der 
galerus selbst war ein albogalerus d.h. genommen von einer hostia alba 
Iovi caesa, Paul. p. 10. Auch darin ist die Symbolik des Lichtes durchgeführt. 

s ) Er durfte nach der altern Bestimmung keine Nacht aufserhalb der Stadt 
zubringen, auch nach Augusts Bestimmung nicht mehr als zwei Nächte und nur 
zweimal in demselben Jahre und mit Erlaubnis des Pont. Max. abwesend sein, 
s. Liv. V, 52, 13, Tacit. Ann. III, 71. 



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IUPITER. 



203 



Bettes aber mufste immer eine Lade mit den gewöhnlichen Opfer- 
gaben (Capsula cum strue atque ferto) zur Hand sein. Niemals 
durfte er unter freiem Himmel ohne seinen Apex sein; dafs er ihn 
zu Hause abnehmen durfte, war erst später durch einen eignen 
Beschlufs der Ponlifices erlaubt worden , welcher auch sonst Manches 
milderte; noch L. Com. Merula hatte, als er in dem blutigen Jahre 
des Marius und Cinna (87 v. Chr.) seiner Ermordung durch Selbst- 
mord zuvorkam, eine eigne Urkunde darüber hinterlassen, dafs er 
seinen Apex bevor er sich die Adern geöffnet abgenommen habe. 
Ferner durfte der Dialis sich nie unter freiem Himmel entkleiden, 
damit Jupiter nicht den ihm geweihten Priester entblöfst sähe i»i 
Jeder Tag war für ihn ein Feiertag. Niemals durfte Feuer aus 
seinem Hause genommen werden, es sei denn dafs es zu einer 
heiligen Handlung dienen sollte. Er und sein Haus waren eine Zu- 
flucht der Gefesselten und zur Hinrichtung Geführten. Gelang es 
einem solchen dem Dialis zu Füfsen zu fallen, so durfte die Hin- 
richtung an dem Tage nicht vorgenommen werden und Gefesselte 
wurden, wenn sie in sein Haus traten, alsbald gelöst, ihre Fesseln 
aber durch den innern Hof des Hauses auf das Dach und von dort 
auf die Strafse geschafft. Heirathen durfte er nur einmal und 
unter den alten religiösen Formen der confarreatio. Eine Schei- 
dung der Ehe war für ihn nur durch den Tod möglich; aber starb 
die Frau vor ihm, so mufste er sein priesterliches Amt aufgeben. 
Einen Ort, wo sich ein Grab befand, durfte er nicht betreten, einen 
Todten nicht anrühren, einem Leichenbegängnisse zwar beiwohnen, 
aber die klagenden Weisen der dabei gebräuchlichen Flöten nicht 
hören. Dazu kamen noch höchst rigorose Vorschriften hinsichtlich 
seiner priesterlichen Functionen 2 ), bei denen er entweder durch 
seine eignen Söhne oder durch Opferknaben von edler Geburt, 
denen Vater und Mutter noch lebten unterstützt wurde 3 ). Seine 
Frau, die Flaminica Dialis, war zugleich eine priesterliche Dienerin 

l ) Gellius 1. c. tun kam intimam nisi in locis tectis non exuit, ne sub caelo 
tanquam sub oculis Iovis nudus sit. Vgl. Plut. Qu. Ro. 40. 

') VtL Max. I, 1, 4 Consimili ratione P. Cloelius Siculus, M. Cornelius 
CetkeguSy C. Claudius propter exla parurn curiose admota deorum immorta- 
lium aris variis temporibus bellisque diversis ßaminio abire iussi sunt coactique 
etiam. At Sulp k in inier sacrißcandum e eapite apex prolapsus eidem sacer- 
dotium abstulü. Vgl. Liv. XXVI, 23, Plut. Marc. 5. 

') Paul. p. 93 Flamioias camillus. Eine ähnliche Camilla ging der Flami- 
nica zur Hand, s. ib. v. Flaminica. 



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204 



DRITTER ABSCHNITT 



der Juno und das Modell einer römischen Matrone nach den Ge- 
bräuchen und Sitten der alten Zeit. So durfte der Dialis nur eine 
solche Toga tragen, welche seine Frau gewebt hatte l ), während sie 
selbst das Haar nach alter Sitte in dem pyramidalen tutulus, aber 
mit einem purpurnen wollenen Bande durchflochten trug. Aufser- 
dem gehörte zu ihrer unterscheidenden Kleidung die sogenannte 
rica, ein grofses Kopftuch von dunkelrother oder blauer Farbe, 
welches von edlen und unverwaisten Jungfrauen aus frisch vom 
Lamm genommener Wolle gewebt und gefärbt wurde. Bei jeder 
182 heiligen Handlung trug sie auf dem Haupte ein sogenanntes arculum 
oder inarculum d. h. den Zweig eines Granatbaums, welcher zu- 
sammengebogen (arcuare) und an den Enden mit einem Faden von 
weifser Wolle zusammengebunden war 8 ). Dabei durfte sie weder 
Schuhe noch Sohlen von dem Leder eines gefallenen Vieh tragen 
noch sich über die Knie aufgurten noch eine sogenannte griechische 
Treppe höher als die ersten drei Stufen steigen. Andre Vorschriften 
galten für gewisse heilige Gebräuche und Zeiten des Jahres, z. B. 
dafs sie im März, solange die Ancilia umgingen, im Juni, solange 
das Heiligthum der Vesta gereinigt wurde, weder ihr Haar machen 
noch ihre Nägel schneiden noch ihren Mann berühren durfte , endlich 
dafs sie auch beim Argeeropfer mit ungekämmtem Haar und ohne 
gewöhnlichen Kopfputz erscheinen mufstc. 

Als den Gott der innern Monatsabtheilung bewährt Jupiter sich 
auch dadurch, dafs ihm an allen Nundinen von der Flaminica in 
in der Regia ein Schaafbock geschlachtet wurde, worauf diejenigen 
sich beriefen, welche diese Tage für alte Festtage gehalten wissen 
wollten, während andre Alterthumsforscher und mit ihnen Varro 
behaupteten, dafs eine religiöse Feier der Nundinen erst nach Ver- 
treibung der Könige und zwar zuerst zum Andenken an den guten 



l ) Es war eine toga praetexta aas schwerer Wolle, daher laena genannt. 
Aach die Flaminica und überhaupt die Priester trugen Wolle. 

*) Serv. V. A. IV, 137, Faul. p. 113 Inarculum [virgvla ex malo Ptuu'co 
incurvata; Gell. a. 0. § 28: sureulum de arbori felici. Ueber das Alter der 
Einführung des Granatbaums in Italien vgl. Hehn Kulturpflanzen 208 f.]. Offen- 
bar ist der Zweig der Granate ein Sinnbild der Fruchtbarkeit, welche eben 
so sehr zum Wesen der Juno als zu dem einer gaten Hausfrau gehörte. 
Der geweihte Oelzweig auf dem Apex des Dialis und der andern Priester 
ist analog aufzufassen, also etwa als Symbol des Segens und der Fracht- 
barkeit. 



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IUPITER. 



203 



König Servius Tullius aufgekommen sei 1 ). Gewifs ist dafs die neun- 
tägige Woche in Rom und in Italien etwas Altes war, auch bei den 
Etruskern, welche nono quoque die ihren König zu begrüfsen und 
sich gemeinschaftlich zu berathen pflegten 8 ): ja diese Woche ist in 
Italien und in der romanischen Welt bis zum Schlüsse des zweiten 
Jahrhunderts die officielle geblieben, in den älteren römischen 
Zeiten, wo die Bürger, namentlich die vermögenden Plebejer meist 
auf dem Lande lebten, hatte diese Eintheilung zugleich die Bedeu- 
tung, dafs man sieben Tage lang seines Geschäftes auf dem Lande 
pflegte, am achten aber jedesmal einen Feiertag machte, um zur 
Stadt und auf den Markt zu gehen und bei dieser Gelegenheit auch m 
alle städtischen Geschäfte abzumachen ; daher bis zum J. 287 v. Chr. 
keine Comitien an solchen Tagen gehalten werden durften 8 ). 

Auf die Zeiten des Numa folgten die der Tarquinier und damit 
ein neuer Aufschwung des Jupiterdienstes, sowohl des latinischen 
als des römischen, freilich mehr ein politischer und in cultur- 
geschichtlicher Hinsicht merkwürdiger, als religiöser, wie ich die neue 
Enlwickelung dieser Zeit schon oben S. 142 ff. angedeutet habe. 
So entstand der Cultus des Iupiter Optimus Maxim us auf dem 
Capitol d. i. des idealen Staatsoberhauptes, welches im Sinne der 
Zeit Rex genannt wurde, wie höchst wahrscheinlich auch der prä- 
nestinische Iupiter Imperator, dessen Bild man später auf dem 
rumischen Capitole sah, die Bedeutung eines solchen höchsten Staats- 
oberhauptes hatte, in dessen Namen das wirkliche Staatsoberhaupt 
oder die höchsten Magistrate handelten 4 ). In Rom ist die ganze An- 

») Macrob. S. I, 16, 28 ff. Vgl. Niebuhr R. G. 2, 242 ff., Becker Handb. 
II, 3, 61. [Mommsen rb'm. Chrono! 2. Aufl. 240 f.] 

*) Macrob. I, 15, 13 vgl. Varro r. r. II praef., Dionys. II, 28, Orelli Inscr. 
II p. 406 sq., Merkel Ovid Fast p. XXXI sq. [Mommsen Chron. 283 ff., Huschke 
Jahr 288 ff.]. Von der Verbreitung und Einführung der siebentägigen Woche 
im Occident s. Grimm D. M. 111. 

*) [Ueber das vom Senat resp. den Kaisern in den von ihnen verwalteten 
Provinzen verliehene ius nundinarum belehrt jetzt die Verleihungsurkunde an 
eine Gemeinde der Provinz Africa v. J. 138 p. C. (G. Wilmanns Eph. epigr. 
2, 271 ff.). Daher ein Iupiter 0. M. JNundinarius auf einer Inschrift aus 
Siscia in Pannonien v. J. 238 C. I. L. 3, 3936]. 

*) Cic. de Rep. III, 13, 23 Sunt enim omnes qui in populum vitae necis- 
que polestatem habent tyranni, sed se Iovis Optimi nomine malunt reges 
vocari. Vgl. Casars Worte b. Dio Cass. XLIV, 11, als Antonius ihn zom 
Könige machen will, ort Ztvs <uoVo? tuv 'Ptofiaitov ßadifavs ffij, worauf er 
das Diadem auf dem Capitole niederlegen Hilst. Jupiter wird nur ausnahms- 



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206 



DRITTER ABSCHNITT. 



läge und Ausfuhrung des Capitolinischen Jupiterdienstes ein redender 
Beweis, dafs man bei diesem Jupiter vorzugsweise weltliche Macht 
und Ehre, Triumph und Majestät vor Augen hatte, nicht mehr jene 
superstitiöse, aber stille und andächtige und von einem tiefen reli- 
giösen Gefühl durchdrungene Heiligkeit und Reinheit des alten Licht- 
gottes. Und in diesem Sinne sind auch jene beiden Beinamen 
Optimus und Maximus zu erklären, welche durch den Capitolinischen 
Jupiter zu einem so wesentlichen Merkmal der höchsten Majestät 
des römischen Namens wurden, dafs sie sich allmälich, je mehr 
die Macht des römischen Staates sich ausbreitete, über das ganze 
Reich ausgedehnt und wie ein römischer Grundton in die verschie- 
densten ^Göttersysteme eingescldichen haben. [Zwar pflegte man 
184 später gerne das Optimus von der [höchsten moralischen Güte zu 
verstehen*, wie [Cicero J sagt, Jupiter werde zuerst Optimus, dann 
Maximus genannt, weil Güte göttlicher sei als Macht 1 ). Aber ur- 
sprünglich sollte Optimus gewifs nichts Anderes bedeuten als der an 
Macht und Ehre Vorzüglichste, der Höchste unter allen Göttern 2 ), 



weise Rex genannt, weil das Wort der Republik überhaupt fatal war, desto 
häufiger Juno neben ihm Regina. Der Iup. Imperator von Praeneste (Liv. 
VI, 29) ist zu verstehen wie Ennius Ann. 86 omnibus cura viris uter esset 
induperator, nehmlich ob Romulus oder Remus. Auch der Iupiter Mains 
der Tusculaner wurde erklärt a magnitudine et maiestate, Macrob. I, 12, 17. 
Doch halte ich es für richtiger ihn mit der Maia zu verbinden. [Daher denn 
volksthümlich der optimus maximus supremus (Plaut. Amph. 1128. Capt. 426. 
768. 976), summus (As. 414, Cist. II, 1, 40, Most. 243, Pseud. 265. 327), 
tnagnus (Aul. IV, 10, 46, Poen. V, 3, 44), supremus et maier familias Juno 
(Amph. 832, vgl. Cas. III, 3, 14, Bacch. 218, Merc. 956).] 

l ) Cic. N'. I). II, 25, 64 Iupiter i. e. iuvans pater (s. oben S. 186, 4) — a 
maioribus nostris dicitur Optimus Maximus, et quidem ante optimus i. e. bette- 
ficentissimus quam maximus, quia maius est cerieque gratius prodesse omni- 
bus quam opes magnas habere. Die Pontifices beteten weislich: Iupiter Op- 
time Maxime sive quo alio nomine te appellari volueris. Serv. V. A. II, 351 
[oben S. 62, 1]. 

9 ) Das Wort hängt zusammen mit optare und ist wie optimas von dem 
angesehensten Bürger zu verstehn , vgl. Mercklin die Cooptation d. R. S. 6. 
Als höchster von allen Göttern wurde dieser Iupiter 0. M. oft einfach neben 
den übrigen genannt, vgl. die alte Formel der Votivinschrift des Cincinnatus 
b. Liv. VI, 29 luppiter atque divi omnes hoc dederunt und die Formeln loci 
Optimo Maximo (oder Iovi 0. M. Iunoni Minervae) ceterisque diis deabusque 
immortalibus [omnibus, oder ceterisque dis consentibus, et consessui deorutn 
dearumque (oben S. 69), wofür jetzt das C. I. L. zahlreiche Beispiele bietet, 
s. besonders 3 p. 1162, 5 p. 1179]. Vgl. Horat. Od. I, 12, 17 Lnde nil maius 



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1UPITEH. 



207 



dahingegen Maximus speciell Majestät im politischen Sinne des 
Wortes bedeutet, d. h. die Fülle von Macht und Hoheit, wie sie 
sich unsichtbar in dem Capitoiinischen Jupiter als höchstem Ober- 
haupte des römischen Staates darstellte, sichtbar in den Königen, 
später im Römischen Volke und seinen höchsten Behörden 8 ), noch 
später in den Kaisern. Daher die Dichtung bei Ovid Fast. V, dafs 
zu Anfang der Dinge noch keine feste Ordnung gewesen sei, bis 
Honor und Reverentia sich der Gewalt bemächtigt hätten. Von 
diesen stamme die Maiestas, welche, umgeben von Pudor und Metus, 
über alle Welt, alle Götter und Geister herrsche und neben dem 
Jupiter thronend seine treueste Dienerin sei und es ihm möglich 
mache ohne Gewalt zu regieren. Selbst die spätere Uebertragung 
des Titels Optimus Maximus auf die Person des Kaisers 4 ) ist nur 
insofern ein Frevel, als er dem höchsten Gotte entlehnt war. Seiner 
ältesten und eigentlichen Bedeutung nach pafste er eben so gut auf 
den Kaiser als auf den Jupiter. 

Ehe ich diese neue Richtung der Tarquinier und ihre Folgen 
für den römischen Jupitercultus weiter verfolge, genüge es das Bild 
dieses Gottes, wie es sich mit der Zeit den Römern gestaltete, auch 
von andern Seiten her abzurunden. So war Jupiter, wie er auf 
dem Lande für Fruchtbarkeit und Wachsthum sorgte, auch in der 
Stadt der Mehrer der Jugend, daher er selbst als Iuvenis, Iuventus iw 
und Adultus und in seinem Tempel die Göttin Iuventas als eigne 
Person ification verehrt wurde. Ferner wurde er auch in den Häusern 
viel verehrt als deus penetralis, d. h. als höchster Glücks- und 
Segensgott der Familie, wie der griechische Zsvg sqxsioSj und als 
hospitalis d. h. als livioq, als Gott der Gastfreundschaft und ihrer 
Rechte *). Endlich war er der allgemeine Gott der Hülfe, des Segens, 
der gütige und gnädige Gott schlechthin, daher die später allgemeine 
Erklärung des Jupiter durch Iuvans Pater. Auch in diesem Sinne 
heifst er Opitulus und Opitulator d. i. opis lator (Paul. p. 184, oben 
S. 197), auch Praestes d.h. der Gott der sichern Erfüllung 3 ), und 

generativ ipso, Xec viget quidquam sitnile aut secundum: Proximos 0a 
tarnen occupavit Pallas honores. 

8 ) Vgl. Becker Haodb. II, 2 S. 09. 

«) Zuerst beim Caligula, Mariui Atti p. 359. 

>) Cic. de Fin. III, 20, 00, Paul. p. 101 Ilerceus Iuppiter intra comaeptttm 
dorn as cuiusque colebatur, quem etiam deittn penetralem appellabant. Vgl. 
deu lup. O. M. Douiesticus bei Or. n. 1230. 

») Ein sacelluin lovis Praestitis bei lul. Capitol. Max. et Balbio 5. Vgl. 



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208 



DRITTER ABSCHNITT. 



Obsequens d. h. der Gott aller gnädigen Erhörung und Hülfe 1 ). 
Hatte ihm doch Hercules, selbst ein Glücksgenius, nachdem er seine 
Rinder wiedergefunden, unter dem Aventin einen eignen Altar als 
Patri Inventori gestiftet (Dionys I, 39). Andre Beinamen der Art 
entsprechen schon meist dem griechischen Zevg ZoiiijQ und ^Xe- 
lixctxos, dessen Cultus zu Rom in den späteren Zeiten grofsen 
Anklang fand. So wurde Jupiter nun in öffentlichen und privaten 
Angelegenheiten als Conservator 2 ) und als Custos verehrt, unter 
welchem Namen üim Domitian einen prächtigen Tempel auf dem 
Capitol stiftete, auch als Tutor und Tutator, oder auch als Vindex 
und Ultor, wenn es Verbrechen zu bestrafen galt. Doch ist er 
gewöhnlich Salutaris, ein Gott des Heils und der Erlösung von leib- 
lichen und geistigen Uebeln, wie er namentlich in schweren und 
186 bedrängten Zeiten angerufen wurde 8 ). Auch als Iup. Valens wurde 



die Inschrift aus Tibur: Iovi Praettiti Hercules l'ictor, Or. o. 1253, Bullet. 
Archeol. 1846 p. 91. [Die Soldateninscbrift C. I. L. 3, 4037 prestito Iovi 
s{acrum) u. s. w. scheint den J. etwa nach dem Muster der Lares praestites 
zu benennen.] 

l ) Or. n. 1249, Henzen n. 5638. 5639. [Ganz unsicher das angebliche 
tem(plum) Iovi* d(omesticit) Wilm. Ex. 2730. Uebrigens erscheint luppiter 
unter den 'Penaten' des Hauses auch in Pompeji (Heibig Wandg. n. 60 ff., 
vgl. Jordan Annali 1872, 32 ff.) und fuhrt daher ganz mit Recht diesen Namen 
wie auch andere Götter, inschriftlicb z. B. Mercurius, Silvanus, Silumius: Henzen 
5695. 5746. 2046. Beispiele eines Hanscultus des J. geben die Inschriften, 
viele, z. B. Iovi o. m. et di* penatibus Scaurianus (C. I. L. 3, 1081, auch der 
Beamteneid per Iovem et deos penatet hängt damit zusammen) und 6, 424 
Iovi optimo maximo Purpurioni, der, wie bekannt, nach einer der 3 Oedican- 
tinnen, Licinia Purpuris benannt ist.] 

a ) In Privatangelegenheiten als Bewahrer des Hauses und Hofes z. B. bei 
Henzen z. Or. n. 5619 [= C. I. L. 5, 42, 41] Iovi 0. M. conservatori posses- 
sionum Hotciorvm. [J. als conservator, d. h. Schutzherr einzelner Personen, 
daneben oder verbunden mit depulsor (häutig custos), s. C. I. L. 2, 3, 5: 
die Bedeutung des auch andern Göttern zukommenden Beiworts tritt deutlich 
hervor in der I. Terrae matri — deae piae et conservatrici meae Bull, munic. 
1, 24. — Ebenso Schutzherr des Staats: conservatori imperii C. I. L. 6,423. 
Vgl. auch C. I. L. 6, 376 Iovi custodi et genio thesaurorum.] Iup. Tutator 
wird auf Münzen und Inschriften wiederholt genannt [Or. 1273 = I. R. N. L. 
1376, Eckhel D. N. VH1 p. 9]. Iup. Tutor in einer Inschrift aus Ostia bei 
Henzen n. 5650. Iup. Vindex bei Tacit. Ann. XV, 74. Ultor bei Iul. Ca- 
pitol. Pertin. 11. 

8 ) Cic. de Fin. HI, 20, 66 Atque etiam Iovem cum Optimum et Maxi- 
mum dicimus cumque eundem Salutarem, Hospitälern, Statorem , Aoc inteüigi 
volumus, saht (ein hominum in eius esse tutela. Vgl. Or. n. 1260 Iovi Salutari 



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IÜPITER. 



209 



dieser Gott neben andern Heilsgöttern gefeiert 1 ), desgleichen als 
Liberator, unter welchem Namen er auf dem Aventin verehrt wurde 2 ). 
Endlich gehört dahin der gleichfalls vorzugsweise in den sinkenden 
Zeiten genannte lup. Depulsor, welcher bei drohenden Zeichen und 
Prodigien angerufen wird, oder auch in Fällen von Noth und Krank- 
heit für die bedrohte Person, namentlich des Kaisers 3 ), hin und 
wieder aber auch als Schutzgeist einer bestimmten Stätte z. B. eines 
Bades 4 ). Auch der lup. Propugnator in Palatio, welcher wiederholt 
in Bruchstücken der Fasten eines priesterlichen Collegiums der 
späteren Zeit erwähnt wird, hatte wohl nur die beschränktere 
Bedeutung eines Schutzgeistes des kaiserlichen Palastes und 
Hauses 5 ). 

Unter den Stiftungen der Tarquinier mag zuerst von der 
erneuerten Stiftung der latinischen Ferien, dann von der Grün- 
dung des Capitolinischen Dienstes mit seinen weitern Folgen die 
Rede sein. 



Vlpianus gravi inßrmitate Uberatus, [C. I. L. 3, 6456 /. 0. M. Salutari et 
Gertio dorn us eius L. Serenas Bassus — gravissima infirmilati (so) Uberatus v. 
s. I. m.}. Treb. Poll. Gallien 5, nachdem das Keich von schwerem Unglück 
heimgesucht worden: Pax igitur deum quaesita inspectis Sibyllae libris fac- 
tum qua lovi Salutari ut praeceptum fuerat saerificium. 

l ) fuschrift aus Lambaesc in Numidicn bei L. Renier Inscr. de l'Alg. 1 
n. 2S lovi Volenti, Aesculapio et Saluti. 

') Tacit. Ann. XV, 64; XVI, 35. In den sinkenden Zeiten wurde er im 
Monate October durch Spiele gefeiert. Vgl. m. Kegionen d. St. Rom S. 192. 
[C. I. L. 1 p. 404. Bei Tac. aa. 00. ist libare lovi l. vor dem Tode, wie Lipsius 
erkannte, eine Anspielung auf das Speiden des letzten Bechers beim Mahl an 
Zivs öbJTijo (vgl. Preller Gr. Myth. I, 121); möglich dafs dabei an luppiter 
über, Libertas (s. oben) gedacht wurde; über den liberator des Philocalus ist 
nichts bekannt. Gehört hierher der mehrmals (wohl nur in Spanien C. I. L. 2, 
vgl. Eph. epigr. 3, 33 n. 4) vorkommende luppiter solutorius ?] 

») Plant. Amphitr. II, 2, 107 (740) nennt ihn lup. Prodigialis, vgl. 
Phlegon Trall. Mirab. 6, wo der Kaiser Claudius auf Veranlassung der Geburt 
eines Hermaphroditen dem Z. l4Xt!jixaxog auf dem Capitole einen Altar stiftet, 
und Or. n. 1230 [= C. I. L. 3, 3269] lovi Depulsori pro salutc Dom. V. hup. 
M. Aur. Antonini. [u. Private pro salute sua, z. B. C. I. L. 3, 4034. 4111. 
5494.] 

4 ) Henzen n. 5621 lovi Depulsori., Genio Loci. Or. n. 1231 [= C. I. L. 3, 
4796] lovi Depulsori et Nymphis. A. de Boissieu Inscr. de Lyon p. 3 n. 1 
/. 0. M. Depulsori et diis dmbusque omnibus et Genio loci etc., in einem Bade 
gefunden. 

•) (Die Akten im C. I. L. 6, 2004—2009.] 

Prell er, Rom. Mjthol. L 3. Aufl. 14 



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210 



DRITTER ABSCHNITT. 



lupiter Latiaris 1 ) ist das höchste Oberhaupt des latinischen 
Bundes in demselben Sinne wie der Capitolinische Jupiter das 
höchste Oberhaupt des römischen Staates und Staatscultus sein 
sollte. Mithin gehört seine volle Bedeutung dem höheren römischen 
Allerlhum an, wo Rom noch als Glied und Hauptstadl des latini- 
schen Bundes mit den übrigen Städten und Gemeinden desselben 
zu demselben Jupiter betete, bis diese Städte von ihrem Haupte am 
Tiberstrom immer abhängiger wurden und zuletzt, nach dem Kriege 
187 vom J. 414 d. St., 340 v. Chr. sich zu gänzlicher Abhängigkeit be- 
quemen mufsten. Ohne Zweifel war die Verehrung des Jupiter auf 
dem schönen Berge über Alba Longa, dem sogenannten Möns 
Albanus, eine sehr alte, und schon jener ältere Vorort mochte hier 
die mit ihm verbündeten oder von ihm abhängigen Städte zur ge- 
meinschaftlichen Festfeier versammelt haben"). Indessen verfiel diese 
mit der Zerstörung von Alba Longa, bis die Tarquinier, deren Macht 
sich vornehmlich auf dem Beistande der Dynasten von Latium stützte, 
den Bund und das Biuidesfest wieder herstellten und zu ihren 
Zwecken ausbeuteten, natürlich in der Form dafs Rom nun als das 
Haupt des Bundes und der römische König als dessen oberster Vor- 
stand anerkannt wurde. Den Tarquinius Superbus nennt Dionys 
IV, 49 als Urheber dieser Erneuerung, aber derselbe Schriftsteller 
berichtet VI, 95, dafs der erste und älteste Festtag nach einem Siege 
über die Etrusker gestiftet worden sei, welcher kein andrer sein 
kann als der von ihm selbst III, 57 ff. und Florus I, 5 erwähnte 



») Cic. pr. Mil. 31, 85 latiaris sancte lupiter. Lucan Phars. I, 198 ** 
resident celsa Latialis Jupiter Alba. Die Schreibart schwankt, weil die 
Aassprache zwischen 1 and r schwankte, wie Palilia and Parilia a. dgl. Doch 
gilt Latiaris für die bessere, s. die Aasleger zu Saeton Caiig. 22 and za 
Liv. XXI, 63, 8. [Latiaris (griech. uimtagtos, z. B. Dionys. IV, 49) hat die 
gute hs. Ueberlieferang einstimmig, besonders der alte cod. Bob. des Lact. 
Epit. 23, za hdioris verschrieben auch der Florentiner Varro L 1. 5, 52; inschr. 
Zeugnisse aufser dem verstümmelten fovi Lotio[ri?] C. I. L. 6, 2022 scheinen 
za fehlen.] Bei Henzea n. 7415 p. 499 (Pisaaram) findet sich lap. Lttius. 
[Vgl. jetzt Mommsen R. Forsch. 2, 97 ff., Marquardt Staatsverw. 3, 284 ff., 
Robino Beitr. z. Vorg. IUliens 170 ff.]. 

*) Daher die Ueberlieferang dafs das Fest ex imperato Fanni (S. 104) oder 
nach dem Verschwinden des Königs Latinas gestiftet wordeo, h. Fest. p. 194 
Oscillantes and Schal. Bobiens. Cic. pr. Plaocio IX, 23 p. 255 Or., obwohl der 
lopiter Latiaris in der Geschichte des Latinas anders za erklären sein möchte, 
s. oben S. 96. Auch die Prodigieo auf dem Möns Albanas b. Liv. I, 31 deuten 
auf sehr alten Gottesdienst. 



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IUPITER. 



211 



cSieg des Tarquinius Priscus, welcher vermuthlich mit Hülfe der 
Laliner gewonnen wurde. Ein zweiter Festtag soll nach der Ver- 
treibung der Könige aus Rom hinzugefügt worden sein, welche in- 
* .sofern die Latiner und die Römer gemeinschaftlich betraf, weil die 
Tarquinier sich in den meisten Rundesstädten mit den edelsten 
Familien verschwägert hatten (Liv. I, 49), so dafs die Reaction der 
Aristokratie gegen die Dynastie der Tarquinier und ihren Anhang 
sich in vielen Städten wiederholt haben mag. Im J. 260 d. St. 
erfolgte die Auswanderung der römischen Plebs auf den heiligen 
Rerg und die Herstellung der Eintracht nach Einsetzung des Volks- 
tribunats, im J. 261 die Erneuerung des Ründnisses mit den Lati- 
nern durch den Consul Sp. Cassius: bei welcher Gelegenheit zu den 
latinischen Ferien ein dritter Festtag zur Erinnerung an die Aus- 
söhnung Roms mit seiner Plebs hinzugefügt wurde, mit Dankopfern 
und Spielen, welche die mit den Volkstribunen zugleich eingesetzten 
Volksädilen zu besorgen hatten (Dionys VI, 95): so nahe schien 
diese Aussöhnung das gesammte Latium anzugehn, welchem die 
römische Plebs nach ihrer Abstammung bekanntlich zum gröfsten 
Theile angehörte. Ja es soll noch im J. 387 d. St. (367 v. Chi*.), 188 
als wieder einmal die Eintracht zwischen den Patriciern und Ple- 
bejern hergestellt worden war, ein vierter Festtag zu den latinischen 
Ferien hinzugefügt worden sein 1 ). Auch war der vorherrschende 
Character des ganzen Festes der des Friedens und der allgemeinen 
Refreund ung der sonst oft getrennten Latiner, daher während des 
Festes die bestehenden Verträge von Jahr zu Jahr erneuert und 
durch ein gemeinschaftliches Opfer und Opfermahl und Gebete der 
verschiedenen Theilnehmer für einander aufs feierlichste bekräftigt 
wurden 8 ). Selbst nach der Unterwerfung der Latiner im J. 340 
v. Chr. wurde wenigstens das fortbestehende Ründnifs mit den 
Laurentern jährlich gleich nach den latinischen Ferien erneuert 
(Liv. VIII, 11), und immer galt es in Rom für sehr bedenküch in 
dieser einst durch ganz Latium den Gefühlen des Friedens und der 
Stammgenossenschafl geweihten Zeit einen Krieg zu beginnen oder 



*) So berichten Dionys, a. a. 0. und Plutarcfa Camill. 42, doch liegt hier 
wahrscheinlich eine Verwechslung mit den Römischen Spielen zu Grunde, s. 
Mommsen Rö. Gesch. 1, 2. Aufl. 429 [doch s. deos. R. Forsch. 2, 107, Mar- 
quardt a. 0. 285.] 

*) Dionys. IV, 49, vgl. Macrob. I, 16, 17 Latinarutn tempore, quo publice 
.quondam indutiae inter populum Romanum Latinotque firmatae sunt. 

14* 



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212 



KRITTER ABSCHMTT. 



eine Schlacht zu wagen (Macrob. I, 16, 16). Eine feste Zeit hatte 
das Fest nicht, sondern es wurde in jedem Jahre von neuem con- 
cipirt d. h. von den römischen Consuln gleich nachdem sie ihr Amt 
angetreten hatten, auf einen bestimmten Tag angesetzt und durch • 
ganz Latium angesagt. Dieses nannte man concipere Latiar oder 
ferias Latinas, von welchen Ausdrücken jener wahrscheinlich speciell 
das dem Iupiter Latiaris dargebrachte Opfer bezeichnete, dieser die 
ganze Dauer des Festes und die beiden folgenden Tage, welche auch 
für religiosi galten 1 ). Die Zeit scheint ehedem der Beginn des Früh- 
lings gewesen zu sein, im April oder Anfang Mai 2 ), dahingegen es 
in der späteren Zeit, aus welcher verschiedene auf dem Albaner 
Berge gefundene Bruchstücke der auch hier geführten Fasten vor- 
handen sind, vom Juni bis zum August begangen wurde. Eigentlich 
189 sollten immer die Consuln das Opfer bringen und nicht eher als 
nachdem sie diese religiöse Pflicht erfüllt in ihre Provinzen gehn, 
duch linden sich Ausnahmen und namentlich wurde bisweilen eigens 
zu dieser Handlung ein Dictator ernannt (dictator feriarum Latinarum 
causa), während die Consuln, so lange sie wegen dieses Festes aufser- 
halb der Stadt blieben, in derselben von einem dazu ernannten 
Praefectus Urbis feriarum Latinarum vertreten wurden 3 ). Aufser 
den Consuln waren auch die andern Magistrate zugegen, selbst die 
Tribunen und die Aedilen der Plebs, welche im Namen der letzteren 
die sie betreifenden Dankopfer brachten und dabei in königlichem 
Schmucke auftraten (Dionys VI, 95; VUI, 87), endlich die Magistrate 
und Stellvertreter sämmtlicher übrigen Städte und Staaten, welche 



*) Cic ad Qu. Fr. II, 4. Latiar ist wie Palatuar zu verstehen, s. Fest, 
p. 148 cui sacrifieiutn quod fit Palatuar dicitur. Vgl. Lupercal, Ianual [Apol- 
Iinar] u. dergl. 

») Vgl. die Data bei Marquardt IV, 443 [jetzt Staatsverw. a. O.J. Im 
März hätten die Römer wegen der Feier der Salier nicht gekonnt und auf deu 
April lauten die meisten Angaben. Bei Cic. de Div. 1, 11, 17 ist von Schnee 
die Rede, der sich dort oben sehr lauge hält. Die Reste der Fasten s. bei 
Marini Atti p. 129, Or. n. 2471. 2472, Moiumsen I. Ff. 6750. [Vermehrt durch 
die neuesten Ausgrabungen C. I. L. 6 p. 455 ff. und dazu Mommsen Forsch, 
a. 0. Die Zeit richtete sich nach dem ursprünglich wandelbaren Antritt der 
Beamten und scheint seit der Fi.xirung des Anfangs des Amtsjahrs auf deu 
15. Miirz im 6. Jahrh. ziemlich regelmäßig nicht vor Anfang April (auch nach 
der Annahme des 1. Jan. als Anfang des Amtsjahrs) indicirt worden zu seinj. 

3 ) Vgl. Marquardt S. 441 und über den Praef. Urbi Latinarum causa Gel- 
lius XIV, 8, Becker Handb. II, 2, 149 (Mommsen Staatsrecht 1 *, 643J. 



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IUPITER. 



theilnahmen. Dieser waren bei der Erneuerung des Festes durch 
Tarquinius Priscus oder Superbus, wo neben den Römern und 
Latinern auch die Herniker und Volsker sich betheiligten, 47 ge- 
wesen 1 ), eine Anzahl, weiche sich mit der Zeit natürlich sehr ver- 
ringerte, obgleich die einmal eingeschriebenen Mitglieder auch in der 
Zeit des Verfalls bis zum letzten Athemzuge ihrer Existenz an diesen 
alten und erinnerungsreichen Festlichkeiten festhielten. Denn es ist 
zu vermuthen dafs nicht allein die Römer, sondern auch die übrigen 
Latiner, namentlich in der älteren Zeit, das Andenken an Epoche 
machende Vorfalle ihrer Geschichte durch entsprechende Acte an 
diesem Stammfeste gepflegt hatten. 

Der religiöse Mittelpunkt des Festes war wie gewöhnlich das 
Opfer mit dem Gebete und das darauf folgende Opfermahl, zu 
welchem Behuf das Opferthier in gewissen herkömmlichen Stücken 
unter den Theilnehmern des Bundes und des Bundesfestes vertheilt 
wurde 2 ). Das Opfer war, wie bei den gröfseren Jupiterfesten ge- 190 
wohnlich, namentlich auch bei den Römischen Spielen, ein junger, 
eben von der Mutter" genommener, von keiner Arbeit berührter 
Stier (iuvencus) von weifser Farbe, zu welchem Zweck es eigne 
Gezüchte von Jupitersstieren gab, namentlich auf den schönen Wiesen 



>) Dionys. IV, 49. Plinius H. N. III, 68 f. giebt ein alphabetisches Ver- 
zeichnirs verschollener Städte, welche einst am Opfer und an dem Fleische 
des Opferstiers theilgenommen haben sollen, cum bis carnem in monte Alhano 
soliti accipere populi: Albenses (dieses sind die Einwohner von Alba Fucentia, 
die auch bei Strabo V p. 240 zu Latium gerechnet werden, vgl. Klausen 
Aeneas S. 794), Albani, Aesulani, Accienses, Abolani, Bubetani u. s. w., indem 

(Ueber dies Verzeichnis ist neuerdings viel gehandelt worden, vgl. Schwegler 
2, 298, zuletzt Beloeh Der italische Bund L. 1880.] 

*) Von dem Opfermahl spricht ausdrücklich Dionys, a. a. 0. tva ouvto- 
j(6fi€Voi xa&' exaarov Ivwvrbv tig tov anoöeixd-irra ronov naynyvQfljitHfi 
xal Ovv€Ott<ovTat xal xonnöy ieoiov tmui.außävioair. Auch liegt es in 
dem Ausdrucke vi see ratio von der Vertheilung des Fleisches bei Serv. V. 
A. I, 211. Von den Theilnehmenden heilst es gewöhnlich carnem petere, 
weil Jeder ein Recht auf sein Stück hatte, s. Cic. pr. Plancio IX, 23 niri 
forte te Labien na aut Gabina mit Bovillana vicinitas adiuvabat, quibus e muni- 
eipiis vix iam qui carnem Latinis petant reperiuntur. Varro 1. 1. VI, 25 
Laiinae feriae — a Latinis populit, quibus ex Alban 0 monte ex sacris carnem 
petere fuit ius cum Romanis. Dionys, a. a. 0. ivos o*i ravoov xotvüg vnb 
naoüv dvofiivov fiigof Uaain ro TtTaypivov lavßdvti. &vovoi & vnto 
ndvreav xal tt)v i\yifiovtav räv Upäv &ot*« 'Ptopaioi. 



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214 



MUTTER ABSCHNITT 



in der Gegend von Falerii und in der von Mevania am Clitumnus 1 ). 
Das Opfer wurde in Gegenwart aller übrigen Behörden der Städte 
von dem Consul dargebracht und dazu von den Anwesenden Gebete 
gesprochen, in welchen Rom für die Latiner und alle Latiner für 
Rom um Heil und Segen zum Jupiter flehten 9 ). Der Bundesstier 
wurde von allen Theilnehmern gemeinsam gestellt, während andre 
Lieferungen an Lämmern, Käse, Milch, Opferkuchen u. s. w. den 
einzelnen Mitgliedern oblagen. Das gemeinschaftliche Opfermahl 
hatte ursprünglich gewifs, wie das epulum Iovis bei den Römischen 
Spielen und andre Festlichkeiten der Art, den Character eines 
Liebes- und Verbrüderungsmahls. Aufserdem werden gewisse volks- 
tümliche Feierlichkeiten erwähnt, namentlich die sogenannten 



») Ovid F. I, 83, Virg. Ge. II, 146. Vgl. Arnob. II, 68 in Albano anti- 
quitus monte nullot alios Ucebat quam nivei tauros immolare candoris. Es 
sind iuveoci, Farren, mannliche Kälber, welche frisch von der Weide and 
der Motter kommen, s. die schönen Verse bei Lucret. II, 352 ff. und Virgil 
Aen. IX, 625 ff. Die Hörner waren bei solcheu Opferstieren immer vergoldet; 
sie selbst mit Binden behangen,' daher Virg. Aen. V, 366 velatum auro vittis- 
que iuvencum, IX, 624 aurata fronte iuvencum candentem. Einige Altcrthümler 
behaupteten, dem Jupiter dürften keine tauri geopfert werden, s. Macrob. 
S. DI, 10, 3 und Serv. V. A. III, 21, doch sind junge Stiere auch Stiere, daher 
sich auch Virgil Aen. III, 20 nicht genirt zu sagen superoque nitentem Caeli- 
colum regi mactabam in litore taurum, vgl. die oscische Inschrift bei Mouicn- 
sen Unterit. Dial. S. 191 t. XII Diovei Versorei taurom [wo Mommsen an 
ein Bild denkt, ohne dadurch den Widerspruch zu beben]. Ja Numa selbst 
hatte das Opfer eines bos für die Spolia Opima erster Ordnung an den Iup. 
Feretrius vorgeschrieben, Fest p. 189. [Vgl. Lübbert Quaest. pontificoles 
B. 1859 S. 111. Doch bedarf das ganze Kapitel von den Opferthieren (so- 
wohl des J. wie der übrigeo Götter), für welches die Arvalacten und die igu- 
vinischen Tafeln ein reiches, aber nicht das einzige urkundliche Material 
bieten (vgl. z. B. die merkwürdige afr. I. bei De Villeffosse, Rapport snr une 
mission arch. en Algerie P. 1875 S. 61 ff. und C. I. L. 2, 3820), erneuter Be- 
handlung. Bove (nicht tauro, der z. B. dem Genius geopfert wird), wird dein 
Joppitcr Capit. von den Arvalen geopfert, lovi bove piaclum in Spoletium, oben 
S. 132, 1. Uebrigens wurden nivei boves auch dem Capit. Juppiter von den neu- 
antretenden Beamten dargebracht Ov. Ex Ponto IV, 3, 25 (iuvenci F. I, 83), 
cretatumque bovem Juv. 10, 66; dagegen vacca et taurus Serv. Aen. IX, 6, 28.] 

*) Liv. XLI, 16, wo von mehreren Opferthieren die Rede ist, bei denen 
indessen der eine weifse Bundesstier recht wohl bestehen kann, vergl. Dionys 
a. a. 0. *cu tptQovatv etg ravras €tt jm^owr«* tiov Uq<ov n 61 eis al per 
ägvaf al dl jvqovs al dt ydlaxTO( n pirQov etc. Von einer Spende mit 
Milch zur Einweihung des Festes, die der Consul brachte, spricht Cic. de 
Div. I, 11, 17, von einer lactata potio Schol. Bob. Cic. pr. Plancio IX, 23. 



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IUPITER. 



215 



Oscilla (S. 118), welche später für eine Gedächtnisfeier des mythi- i»i 
sehen Königs Latinus und des Aeneas galten. Da bei dem ganzen 
Feste, sowohl beim Concipiren als bei dem Opfer, dem Gebete und 
der Vertheilung des Fleisches viele Rücksichten auf so viele Be- 
theiligte zu nehmen waren, so kommt bei diesen latinischen Ferien 
besonders oft eine sogenannte Instaura tion vor d. h. eine Wieder- 
holung einzelner Acte oder auch des ganzen Festes in Folge der 
vorgefallenen Versehen Während dieses Opfer auf dem ganz 
Latium überragenden Berge im Namen Aller dargebracht wurde, 
scheinen auch die einzelnen Städte daheim den Jupiter Latiaris 
durch entsprechende Gebräuche gefeiert zu haben. Wenigstens 
wissen wir von solchen in Rom. Es flofs hier nehmlich nach dem 
einstimmigen Zeugnisse vieler Schriftsteller 9 ) in denselben Tagen 
dem Jupiter Latiaris zu Ehren das Blut eines zum Tode verurtheilten 
Verbrechers (bestiarius) , und auf dem Gapitole wurde ein Wett- 
rennen mit Quadrigen gehalten, bei welchem der Sieger Absinth 
zu trinken bekam, zur Andeutung der Gesundheit und körperlichen 
Rüstigkeit, die seine Anstrengungen lohnen werde 3 ). Auf dem 
Albaner Berge aber wurde Jupiter wenigstens später wie auf dem 
Capitole als Optimus Maximus und neben der Juno und Minerva 
verehrt, neben welchen auch die Vesta Albana erwähnt wird 4 ). 
Noch jetzt befinden sich auf dem Gipfel des Berges in den Mauern 
des dort liegenden Passionistenklosters Reste eines Tempels, auf 
einer schönen Höhe mit weiter Aussicht über das Gebirge, die Cam- 



f ) S. Liv. V, 17 und Plut Camill. 4, wo etwas bei der Conceptiou ver- 
sehen ist, Liv. XXXII, 1, wo Ardea sein Stück Fleisch nicht bekommen hat, 
XXXVII, 3, wo die Laurenter nicht das rechte Stück Fleisch bekommen 
haben, XL1, 16, wo der Magistrat von LanuTium das Gebet in una hostia 
nicht richtig gesprochen hat. Vgl. oben S. 133 und Ritsehl Parerga Plautioa 
S. 309 ff., Friedländer bei Marquardt Handb. d. R. A. IV, 476 [Staatsverw. 
3, 465]. 

») Tertull. Apolog. 9, Scorp. 7, Lactant. 1, 21, 3, Minuc. Fei. 22, 6; 30, 4 
Prudent adv. Symmach. I, 379, Porphyr, de Abstin. II, 56 u. a. Auch gab es in 
Rom seit alter Zeit einen collis Latiaris, Varro 1. 1. V, 52. [Jordan Top. 2, 263 f.] 

3 ) Plio. H. N. XXVII, 45, vgl. Quintil. III, 1, 5 partim hie liber melUs, 
absinthii multum, saUtbrior quam dulcior. 

4 ) Vom Bilde des Jupiter ist wiederholt bei Dio die Rede, s. XXXIX, 
15, XLVII, 40, vom T. der Juno ib. XXXIX, 20. Vgl. Or. n. 1288 Iunoni 
Albanae und n. 1393 Iovi Optima Miurimo, Minervae, Iunoni, Vestm Alban. 
Sacrar. Ein eignes Haus zum Aufenthalte für die Cousuln erwähnt Dio 
LIV, 29. 



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216 



DRITTER ABSCHNITT 



pagne und das Meer. Auch hat sich am Abhänge des Berges ein 
ansehnlicher Rest der heiligen Strafse erhalten, auf welcher einst 
die Bürger und die Processionen von Rom und ganz Latium zu 
dieser ehrwürdigen Stätte hinaufzogen 1 ). 

Auch der Triumph auf dem Albaner Berge beruhte wahr- 
scheinlich auf Vorgängen der Zeit, wo Rom und Latium zu gleichen 
Rechten verbündet ihre kriegerischen Erfolge nicht blos ein jeder 
daheim in seinen Mauern, sondern auch auf dieser Allen gemein- 
samen und heiligen Höhe des Iupiter Latiaris feierten. Später 
wurde er bekanntlich von solchen römischen Feldherrn gehalten, 
denen der Triumph in Rom nicht bewilligt wurde, also ohne Be- 
vollmächtigung von Seiten des Staates und nur als militärisches 
Schauspiel. C. Papirius Maso, Gonsul des J. 523 d. St., 231 v. 
Chr., war der erste welcher nach einem siegreichen Feldzuge in 
Corsica auf die Weise triumphirte, und seinem Beispiel folgten viele 
Andre. Der Ehrenkranz bei diesem Triumphe war nicht der Lorbeer, 
sondern die Myrte, wie bei der Ovation, einer geringem Art des 
Triumphes, welche gleichfalls auf dem Albaner Berge begann, von 
wo der Sieger nicht auf einem Wagen, sondern zu Pferde, in alter 
Zeit sogar zu Fufse, und auch sonst mit geringerer Auszeichnung 
in Rom ein und auf das Capitol zog: so dafs sie vielleicht ursprünglich 
nur der letzte Act eines Triumphes auf dem Albaner Berge war, 
wie er ehemals im Namen des verbündeten Latiums gefeiert sein 
mag. Jedenfalls deutet die Myrte auf den Dienst der Venus, einer 
Göttin die wir unten näher als eine alte latinische Bundesgöttin 
kennen lernen werden"). 

Endlich der Iupiter Optimus Maximus*auf dem Capitol. Die 
ersten Anfange auch dieses Cultus fallen in die Zeit des Tarquinius 
Priscus. Er gelobte den Tempel in einem Kriege mit den Sabinern 
und legte den Grund dazu, indem er den bis dahin für eine solche 



>) [Vgl. Firm. Mat. 26, 2 Latiaris templi cruore. Die neuesten Unter- 
suchungen der Brüder De Rossi Annali dell' Inst. 1873, 163 ff., 1876, 315 ff. 
haben wenigstens Lage und Umfang der Area des Juppitertempels mit Hilfe 
alterer Pläne genau bestimmt. Ueber die Zerstörung der alten Reste im J. 
1783 durch den Hardinalerzbischof von Frascati, Herzog von York, und die 
Reste der Pflasterstrafse vgl. Nibby, Dintorni di Roma 1, 117 ff.] 

») [Ueber den Triumph in monte Albano Marquardt, Staatsverw. 2, 570 f. 
und Michaelis Annali dell' inst. 1876, 105 ff. (Monum. 10 T. \ WIM . . der, 
wohl mit Recht (vgl. Jordan lü it. Beitr. S. 14), denselben auf einer pranesti- 
nischen Ciste dargestellt glaubt] 



I 

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1UP1TER. 217 

Anlage ungünstig beschaffenen Hügel durch aufserordentliche An- 
strengungen zu einer breiten Fläche uuischuf 1 ). Auf derselben 
wurde dann der Tempel von Tarquinius Superbus erbaut, mit Hülfe 
der Beute von Pometia und vieler Künstler aus Etrurien, während 
das römische Volk in harter Arbeit karren und Ziegel streichen 
mufste. Die Einweihung erfolgte im ersten Jahre der Republik, 
man wufste nicht bestimmt durch welchen Consul. Bei den Vor- 
bereitungen zum Bau ereigneten sich die bekannten Wunder, dafs 
von den sabinischen Heiligthümern, welche seit T. Tatius auf dieser 
Höhe angesiedelt waren, das des Terminus und der Juventas nicht 
weichen wollte, ein sichres Zeichen dafs die neue Anlage ewig 193 
währen und ewige Jugend haben werde. Und als man den Grund 
legte, fand sich in der Tiefe des Felsens ein menschliches Haupt 
mit unzerstörten Gesichtszügen (integra facie), welches die etruski- 
schen Seher alsbald dahin deuteten, dafs diese Stalte in Zukunft 
das Haupt des Reiches und der Welt sein werde. Daher der Name 
Capitolium, welcher vielmehr eigentlich Burg bedeutete 8 ), indem die 
mit der Zeit noch weiter ausgesponnene Legende erst aus dem ge- 
gebenen Namen enstanden ist, wie jene Legende vom Terminus 
und der Juventas daraus dafs beide im Tempel des Jupiter, also 
als zu ihm gehörige Personificationen verehrt wurden. Der in dieser 
ummauerten und verschliessbaren Burg gelegene und nach ihr gleich- 
falls Capitolium benannte Tempel war nach der sogenannten toska- 
nischen Ordnung erbaut und hatte für die drei Götter drei Cellen, 
in deren mittler Jupiter thronte, während die zu seiner Rechten 

') Liv. I, 38, Dionvs. III, 69, vgl. meinen Aufsatz 'Zur Gesch. und Topogr. 
des röm. Capitols' im Vhilologus 1 S. 72 [= Abgewählte Aufsätze S. 471 ff. 
und jetzt Jordan Topographie Bd. 1, Abth. 2]. 

*) Vgl. Das Capitolum Hernicum b. Plin. H. N. III, 63, Strabo V p. 23S 
und Scaliger und J. G. Vossius b. Schwegler Rö. Gesch. 1 , 793. [Heber die 
Bildung von Capit-oli-um vgl. capü-äl-is, prim-öri-s , primär-üts s. Corssen 
Ausspr. 2*, 84, Jordan Top. 1, 1, 180. Das Capitulum hat unmittelbar damit 
nichts zu thua. Wort und Sache sind römisch, erst von Rom aus verbrei- 
tet Vgl. unten S. 215. 235.] Die gewöhnliche Legende b. Liv. I, 55. Bei 
Plin. ist sie schon erweitert. Noch später wird der Kopf der eines berühmten 
etroskischen Sehers Olus oder Aulus, noch spater ein caput humanuni litteris 
tuscis scriptum Caput Oli Regis, s. Arnob. VI, 7, Serv. V. A. VIII, 345, 
Catal. Imper. p. 645, Mommsen Isidor XV, 2. Natürlich spricht dann auch 
die Sibylle ein Wort mit, s. Dio Cass. fr. 25, 9 ort 2tßuHt}i /nijauög Hfaoxt 
To Kantrtoliov xttfdlatov (Oeo&ai rrjs oixovfiiyrjs ftfyQ' T °v *<x*fiov 
xaralvcftos. 



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218 



DRITTER ABSCHNITT. 



für Minerva, die zur Linken für Juno bestimmt war 1 ). Es konnte 
den Tarquiniern dabei sowohl das Beispiel der Sabiner als der 
Etrusker vorschweben (S. 188), doch deutet der weltliche und fürst- 
liche Charakter der ganzen Anlage, wie ihre architectonische und 
übrige Ausstattung entschieden nach Etrurien. Denn auch das 
Tempelbild war die Arbeit eines etruskischcn Künstlers aus Veji, 
welcher den Römern auch ihr ältestes Bild des Hercules geschaffen 
haben soll. Es war von Thon und mit dem Attribute des Blitzes 
iw in der Rechten ausgerüstet'), übrigens nach Art der älteren grie- 
chischen Tempelbilder ein Gegenstand zahlreicher Bedienung und 
Aufwartung (S. 144); namentlich pflegte es an Festtagen auch mit- 
zufeiern und zu dem Ende das Gesicht an solchen Tagen mit 
Mennich roth angestrichen zu werden. Das Tempelgebäude war 
von einem geräumigen Tempelplatze (area) umgeben, welcher sich 
mit der Zeit mit allen höchsten und heiligsten Erinnerungen und 
Andenken an Tapferkeit, Sieg und Ehre der römischen Geschichte 
anfüllte. Was die Lage des Tempels betrifft, so wird ihm sowohl 
durch deutliche Aussagen der alten Schriftsteller als durch eine ört- 
liche Tradition, welche sich bis in das Mittelalter verfolgen läfst, 
der dem Palatin und Aventin zunächst gelegene Hügel, auf welchem 
jetzt der Palast Caffarelli liegt, angewiesen. Wenn dessenungeachtet 
die römischen Topographen und Architekten behaupten, dafs der 

i) Vgl. Eckhel D. N. VI p. 327, 0. Jahn Archäol. Beitr. S. 80. Gewöhn- 
lich sind alle drei Götter thronend abgebildet, bisweilen die beiden Göttinnen 
stehend. Auf den Platz der Minerva zur Rechten beziehn sich die oben 
S. 206, 2 citirten Worte des Horaz. Die gewöhnliche Formel der Anrufung 
war dagegen Iovi Iunoni Mioervae, s. Marini Atti p. 104. [Ueber die 
Darstellung der drei capit Gottheiten das Nähere bei Jordan Top. 1, Abth. 2.] 

s ) Plin. H. N. XXXV, 157 Praeterea elaboratam harte artem {plasticen) 
Italiae et maxime Etruriae, et Vulcam Veiis [uulgam (von 2 H. uulcani) tili* 
die Bamb. Hs.] accüum, cui locaret Tarquinius Priscus Iovis effigiem in Capi- 
tolio dieandatn; ßctüein eiirn fuisse et ideo miniari sollt um. — Ab hoc eodem 
factum Herculem qiti hodieque materiae notnen in Urbe retinet. XXXIII, 111 
Enumerat auctoris Perrius, quibus credere necesse sit, Iovis ipsius simidacri 
fadem diebus festis minio inlini sotitam triumphantiumque corpora ; sie Ca- 
millum triumphasse. ffac religione etiamnum (minittm) addi in unguenta 
cenae triumphaUs et a censoribus in primis Iovem miniandum locari. Roth 
ist nehmlich die Farbe der festlichen Freude und des Glucks, der felicitns, 
auch eine Symbolik der Etrusker, s. Macrob. S. III, 7, 2. Uebrigens vgl. 
Arnob. VI, 25 riciniatus Iupiter atque barbatus, dextra fomitem sustinens 
perdolatum in fulminis morem. Ovid Fast. I, 202 inque Iovis dextra fictile 
f (ihnen erat. 



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IUPITER 



219 



Tempel auf der Höhe von Araceli gelegen haben müsse, so liegt 
dabei eigentlich nur das Postulat zu Grunde, dafs man die Facade 
vom römischen Forum habe sehen müssen. Ja dieses Postulat ist 
im Sinne der alten Zeit nicht einmal zulässig, da zur Zeit des 
Tempelbaus das römische Forum seine spätere Bedeutung noch nicht 
hatte, während die Gegend wohin der nach Mittag gerichtete Tempel 
(Dionys IV, 61) und die Götter in ihm blickten, das Palatium mit 
seinen alten Heiligthümern und Erinnerungen, die Ära Maxima des 
Hercules, endlich der gleichzeitig erbaute Circus Maximus, entweder 
für den Glauben und die Geschichte der Römer im höchsten Grade 
bedeutsam waren oder, wie namentlich der Circus Maximus, mit 
dem Culte und der Festfeier der Gapitolinischen Götter unmittelbar 
zusammenhingen 1 ). 

Wie dieser Cultus von allen römischen der angesehenste war 
und in allen öffentlichen Angelegenheiten am meisten gefeiert wurde, 
so waren auch seine Opfer, Opfermahlzeiten und Feste die statt- 
lichsten und für das römische Staatsleben, seine Erinnerungen und 
* seine Auszeichnungen , bedeutungsvollsten. Es gehören dahin die 
ludi Romani, Magni, Plebeii und Capitolini, von welchen im Fol- 
genden zunächst die Rede sein wird. Bei allen wird festzuhalten iw 
sein dafs sie sowohl aus dem religiösen Acte eines Opfers und Opfer- 
mahles, des epulum Iovis, als aus dem festlichen der Procession 
und der Spiele bestanden, welche letztere anfangs blos circensische 
waren, bis später auch die scenischen hinzutraten. Ferner dafs der 
Hauptfeiertag, also namentlich das Opfer mit dem dazu gehörigen 
Gebete und dem epulum, immer auf den Tag der Idus, den alten 
Festtag des Jupiter (S. 156) gefallen sein wird, bei den Römischen 
Spielen, so viel ich sehe, auf die Idus des September, bei den Ple- 
bejischen auf die des November, bei den Capitolinischen auf die des 
October. 

Dafs die Römischen Spiele (ludi Romani) in den September 
fielen, von Tarquinius Priscus gestiftet wurden und in ihrer Art 



l ) [Die bedeutenden Trümmer von Quadermauern im Bereich der Pal. 
Caffarelli hatten schon Fabretti, Bunsen u. a. (besonders Abeken, Mittelit. 
221 ff.) richtig für Reste des capito). Tempels erklärt. Neuere Entdeckungen 
(1865. 1875. 1876) haben diese Ansicht eodgiltig bestätigt. S. jetzt Lanciani 
Bull, munic. 1875, 165 ff., 1876, 30 ff. Jordan, Annali 1876, 145 ff. (mit Schup- 
manns Plan Monum. 10 T. XXX a) und dess. Capitol, Forum und Sacra via in 
Rom B. 1881 (mit Plan).] 



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220 



DRITTER ABSCUMTT. 



d. Ii. als circensische Spiele, die mit größtem Aufwände, zunächst 
nach dem Vorbilde etruskischer Ritterschaft und Sitte gefeiert wurden, 
die ältesten waren, ist sonst bekannt 1 ); dafs der wichtigste Tag des 
Festes auf die Idus des September fiel, folgt schon daraus dafs an 
diesem Tage der Tempel eingeweiht wurde, im ersten Jahre der 
Republik, im J. 245 d. St., 509 v. Chr. (Plul. Popl. 14). Es kommen 
aber auch noch andre Umstände hinzu, um diesen Tag als sehr 
wichtig und bedeutsam für den älteren römischen Staatscultus er- 
scheinen zu lassen, namentlich dafs nach einem alten Gesetze der 
Republik der höchste Magistrat (qui praetor maximus sit) an den 
Iden des September den Nagel in die rechte Wand des Jupiter- 
tempels einschlagen sollte (Liv. VII, 3), ferner dafs die Consuln in 
den ersten Jahren der Republik an diesem Tage ihr Amt antraten 3 ). 
Dazu kommt dafs die Plebejischen Spiele, welche nach dem Vor- 
bilde der Römischen im November gefeiert wurden, ihr epulum 
Iovis gleichfalls an den Idus dieses Monates feierten. Endlich bemerkt 
wenigstens das Kai. Antiatinum auch an den Iden des September 
iw$ein epulum Jovis 3 ). Der Opferschmaus setzt aber noth wendig ein • 
Opfer voraus, welches auch bei dieser Gelegenheit, wie bei den 
latinischen Ferien und dem gewöhnlichen Amtsantritt der Consuln 
ein junger Stier von weifser Farbe und mit vergoldeten Hörnern 
war, zu welchem für Juno gewöhnlich eine Kuh hinzugefügt wurde 4 ). 
Das Opfermabl [technisch als Mahl des Iupiter bezeichnet, der 
daher auch als Iupiter Epulo verehrt wurde] war zugleich eine 
Speisung für die drei Capitolinischen Götter, denn auch Juno und 



') Liv. I, 35. Cic. io Verr. V, 14. 36 JSunc tum detignatu* aedilis: — 
mihi ludot antiquistimos , qui primi Romam sunt nominati, maxima cum 
dignilate ac religione lovi Iunoni Minervaeque esse faciendot. Vgl. de Rep. 
II, 20, 36. [Das Nähere in Marquardts Staatsverw. 3, 477 ff.] 

•) Dionys V, 1 [vgl. Mommsen Chronol. 86 ff., 197 ff.]. So wurde auch 
die Mola Salsa voo den Vestalinneo an den Luperealien, den Veatalien uod 
den Idus des September bereitet, Serv. V. Ecl. VIII, 82, endlieh die corona 
graminea oder obsidionalis, die höchste aller militärischen Auszeichnungen 
vom Senate dem August an den Idus des September überreicht. Plin. H. IN. 
XXII, 13. 

•) Kai. Aotiat. Id. Sept. [EPVLI IN (dietio). Hierüber sowie über die 
übrigen Kalendernoten s. C. I. L. 1, 401 u. zum Arvalk. Eph. ep. 1, 38]. Unter 
Tiberius wurde die Vereitelung der Verschwörung des Libo an den Iden des 
Sept. gefeiert, s. Tacit. Ann. II, 32, Kai. Amitera [Mommsen S. 402]. 

«) Serv. V. A. IX, 628, Marini Atti p. 47 [oben S. 214, 1]. 



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IUPITER. 



221 



Minerva nehmen an dieser Ehre Theil 1 ), und ein Liebes- und Ver- 
brüderungsmahl für sämmtliche höhere Beamten des römischen Staats 
und den Senat, welche dann auf dem Capitol vor dem Angesichte 
des höchsten Gottes gespeist wurden 2 ), umgeben von den grofs- 
artigsten Erinnerungen der Vorzeit und auf die mächtige Stadt zu 
ihren Füfsen hinabschauend. Auch ist dieses epulum Jovis auf dem 
Capitol immer einer der festlichsten Tage im römischen Kalender 
geblieben 3 ). 

Nicht minder wesentlich als das epulum Iovis gehörten die 
Procession in den Circus und die dortigen Spiele zum Capitolinischen 
Culte der Tarquinier; in welcher Beziehung das Symbol der Qua- 
driga interessant ist, welches vielleicht ursprünglich nur ein Attribut 
des Donnergottes Jupiter war, bei den Etruskern aber und in Born 
ganz wesentlich königliche Ehren und Sieg und Triumph bedeutete 4 ). 
Ja eine alte Quadriga von Thon und etruskischer Abkunft, welche 
auf dem Giebel des Capitolinischen Tempels stand , hatte sogar die 197 
Bedeutung des Sieges über alle Siege, daher sie für eine der vielen 
Bürgschaften einer ewigen Wohlfahrt galt, deren sich Rom zu rühmen 
wufste. Vor der Einweihung des Tempels, so erzählte die Legende, 
und kurz vor seiner Vertreibung hatte Tarquinius jene Quadriga in 



*) Vater. Max. II, 1, 2 Iovis epulo ipse in lectulum, luno et Minerva in 
sellas ad cenam invitabantur , quod genus severitatis aetas nostra diligentius 
in Capitolio quam in suis domibus conservat. Vgl. Pliu. XXV, 105 hac Iovis 
mensa verritur. [Epulum Iovis, wie aedes Iovis, ara Iovis, als des Hausherrn. 
Widmung der [magistri] quinq(ennales) [collegi] teib(icinutn) Rom{anorum) qui 
\s{acris) piublicis) p(raesto) s(unt)\ Iov(i) Ep(uloni) sac{rum) auf dem Forum gel'. 
C. 1. L. 6, 3696. Die Personificatiou ist aufzufassen wie in dem Opfer lovi 
Farreo, bei der confarreatio: zu S. 140.] 

2 ) Vgl. die Geschichte von P. Africanus d. Ä. und T. Gracchus den Vater 
b. Gell. V A. XII, 8, Liv. XXXVIII, 57 und die Anecdote vom Luculi. b. 
Plin. H. N. XXVIII, 56. Es ging bei dieser Mahlzeit, wie bei den pontiticalen 
und saliarischen , sehr hoch zu, s. Martial. XII, 48, 11 Non Albana mihi sU 
commissatiß tanti nec Capitolinae pontificvmque dapes. Daher Lucilius b. Non. 
p. 204 Idem epulo cibus atque epulalio (I. epulae mit Lipsius) Iovis omnipoientis. 
Auch die Epulones waren speciell Epulones Iovis 0. M., s. Cic. de Harusp. 
resp. 10, 21, oben S. 145, 2. 

«) Vgl. Dio XXXIX, 30, Sueton Domit. 13, Ael. Lamprid. Alex. Sev. 37. 

4 ) Dionys. II, 34 von dem Triumphe des Romulus: l'va 16 ßaaihtov 
al-idfia ffwfij is&Q(7ino> 7iaQ(fAß(ßrjx(6(. Vgl. ib. 54 und Plut. Rom. 24 von 
der ehernen Quadriga, welche Romulus als Siegeszeichen auf dem Yu Kanal 
aufstellt. 



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222 



DRITTER ABSCHNITT 



Veji bestellt. Sie gebt im Ofen nicbt zusammen wie gewöhnlich, 
sondern sie schwillt und schwillt, dafs man Decken und Wände 
einreifsen mufs, um sie nur aus dem Ofen nehmen zu können. Die 
Seher weissagen dafs diese Quadriga ihren Besitzern die höchste 
Macht sichere, daher sich die Vejenter der Auslieferung weigern. 
Aber als bald darauf Spiele in Veji gefeiert werden, rennt die Qua- 
driga des Siegers in wilder Hast davon und nach Rom, wo der 
Sieger bei der porta Ratumena gleich unter dem Capitole vom 
Wagen stürzt und seinen Geist aufgiebt, worauf die Vejenter er- 
schreckt die Quadriga ausliefern 1 ). Genug das Viergespann gehört 
eben so wesentlich zum Capitolinischen Jupiter als der Dreifufs zum 
Pythischen Apollo, daher es wiederholt unter den Weihgeschenken 
des Jupiter genannt wird (Liv. X, 23; XXXV, 41). Ferner gehörten 
zu jener Procession und den Spielen im Circus Maximus, welcher 
immer als notwendiger Anhang des Capitolinischen Cultus zu denken 
ist, nicht minder wesentlich die sogenannten tensae d. h. die Pro- 
cessionswagen der drei Capitolinischen Götter mit ihren exuviis d. h. 
ihren Attributen, welche man an solchen Tagen den Göttern ab- 
nahm und anstatt der Götter selbst vom Capitol hinab in den Circus 
führte, wo sie auf dem sogenannten Pul vinar niedergelegt wurden*), 
so dafs die Spiele gleichsam unter der persönlichen Betheiligung der 
Götter gehalten wurden. Und zwar sind die exuviae Iovis Opt. Max., 
welche bei dieser Gelegenheit erschienen und auf der ihm geweihten 
198 tensa 3 ) in den Circus gefahren wurden, wieder die Attribute seiner 



') Nach einer andern Version der Legende erobern die Römer die Qua- 
driga, worauf jenes Viergespann aus Veji gelaufen kommt, der Sieger bei der 
p. Ratumena stirbt und die Pferde sich erst beim Anblicke der Qaadriga auf 
dem Gipfel des Tempels beruhigen, s. Fest. p. 274 Ha turne na porta, Plut. 
Poplic. 13, Serv. V. A. VII, 188 [Jordan Top. 1, 1, 210]. 

') Fest. p. 364 Tensam (von tendere) ait vocari Sinnius Captin vekiculum, 
quo exuviae deorum ludicris Circensibus in Circum ad pulvinar vehuntur. 
Fuit et ex ebore et ex argenlo. Vgl. Serv. V. A. I, 17, Pseudascon. in Verr. 
p. 200. [Die bessere Orthographie thensa ('s. fg. Anm.), vielleicht griechisches 
Fremdwort wie pompa, triumpus: Jordan Hermes 15, 542. Vgl. auch Corssen 
in Kuhns Zeitschrift 9, 142.] 

*) Nach Sueton Vespas. 5 erhielt Nero vor seinem Sturze im Traume die 
Mahouog, ut tensam Iovis 0. M. e sacrario in domum Vespasiani et inde in 
Circum deduceret, vgl. Dio LXVI, 1. Das sacrarium ist der besondre Raum 
für die Tensen auf dem Capitol, auf den ein Militärdiplom deutet [v. J. 60, 
C. 1. L. 3 p. 845]: in Capitol in ad latus sinistr(um) aedis thensar{um) extri- 
secus. Die tensa Iovis zerbricht bei Dio L, 8, die dar Minerva b. Dio XLVII, 



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IUPITER 



223 



königlichen Weltherrschaft und des Sieges und Triumphs, der Blitz 
und das Adlerscepter und der goldne Kranz, endlich die tunica 
palmata und toga picta, von denen das Adlerscepter und die zuletzt 
genannten Kleider sammt dem Stuhle von Elfenbein in Etrurien und 
seit Tarquinius Priscus in Rom den königlichen Ornat bildeten, 
während spater nur noch von den Führern der grofsen Procession 
und den Triumphirenden ein solcher Schmuck von dem höchsten 
Gotte entlehnt werden durfte 1 ). 

Diese Procession (pompa), welche die Spiele im Circus eröffnete, 
zog vom Capitol herunter über das Forum durch den Vicus Tuscus 
zum Velabrum und in den Circus, den sie gleichfalls in seiner 
ganzen Länge durchzog; alle diese Plätze, diese Strafsen und die 
langen Gallerieen des Circus waren dann festlich geschmückt und 
von einer gedrängten Volksmenge besetzt: es gab in den besten 
Zeiten Roms keine bedeutungsvollere, keine volkstümlichere Feier 
als diese*). Den Mittelpunkt des Zuges bildeten jene Tensen der 
Götter, vor allen die der drei Capitolinischen, deren jede von einem 
edlen und unverwaisten Knaben mit der gröfsten Sorgfalt geführt 
wurde, denn hier war jedes, auch das geringste Versehen bedenklich *). 
Allen Tensen voran aber fuhr der Magistrat, dem die Ehre geworden 
war den Zug zu leiten und bei den Spielen den Vorsitz zu führen, 
aufs festlichste geschmückt, denn seine Tracht war keine geringere 



40. Alle drei Capitolinische Götter und ihre Tensen sind zu sehen auf den 
Denaren der Robria, die des Jupiter mit dem Blitz, worüber eine Victoria 
schwebt, die der Judo mit dem Pfau, die der Minerva mit der Enle. Merk- 
würdig ist die Goldmünze mit dem Kopfe Octaviaas bei Riccio 59, 27, 
wo eine Quadriga als Symbol des Jupiter in einer Tense zum Circus ge- 
fahren wird. 

») Dionys. III, 61, Liv. X, 7, Soeton Octav. 94, Müller Etrusk. 1, 373 ff 
Der Stuhl des Jupiter mit seinen Attributen, dem Blitz, dem Adler, dem 
Scepter u. s. w. bei Braun Vorschule der Kunstmythologie t. 6. [Vgl. Mommsen 
Staatsrecht 1 », 376 ff., 394 fl.] 

») S. die Stellen b. Becker Handb. 1, 491 , Friedlander b. Marquardt IV, 
49Sff. (Staatsverw. 3, 487]. 

•) S. oben S. 133. Es machte viel Sensation als C. Terentius Varro, 
derselbe welcher als Coosul die Schlacht bei Cannä verlor, als Aedil einen 
grmietheten Koaben von grofser Schönheit auf der tensa Iovis die Exuvien 
dieses Gottes tragen liefs, worüber Juno, wie man glaubte, eifersüchtig ge- 
worden jene Niederlage herbeigeführt habe. Val. Max. I, 1, 16, Lactant. II, 
16, 16. 



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224 



DRITTER ABSCHMTT. 



w als die der Triumphirenden 1 ), während ein Staatssklave einen nach 
etruskischer Weise aus Gold und Edelsteinen verfertigten Eichen- 
kranz über seinem Haupte hielt und die Begleitung seiner Kinder, 
vieler dienten und andres Gepränge das Glück, welches ihm ge- 
worden, noch mehr hervorhob (Juvenal X, 36 IT.). Vor diesen Heilig- 
thümern und hinter denselben aber sah man viele andre Gruppen 
und Haufen von Knaben, Jünglingen und Männern zu Pferde und zu 
Fufs, viele Spielleute mit Blas- und Saiteninstrumenten, viele Tänzer 
und Springer, die sich im Waffen tanze oder in dem Costüme der 
etruskischen Ludionen oder in andrer Tracht und Vermummung 
sehen liefsen, viele Priester und Bilder der Götter, seit Caesar und 
August auch der Kaiser, viele üpferthiere und prachtvolles Geräth, 
sammt andern Prachtstücken der Vorzeit oder eines auserwählten 
Ruhms 2 ). Kurz es war ein buntes Gedränge aller Klassen und 
aller Arten des Volks, aller Stände, aller Collegien, aller Lebens- 
alter. 

Da nach den Kalendern am 14. September, dem Tage nach 
den Idus eine Prüfung der zum Rennen eingemeldelen Pferde vor- 
genommen wurde 3 ), worauf am 15. die Spiele selbst begannen, so 
wird man auch die Procession auf diesen Tag setzen dürfen, welcher 
die Spiele sich unmittelbar anschlössen. Nach denselben Kalendern 
dauerten diese Spiele im Circus damals fünf Tage lang, vom 15. 
bis 19. Sept., welche Ausdehnung sie erst allmälich bekommen 
hatten, da wie bei den latinischen Ferien und andern Festen auf 
besondre Veranlassung ein Tag nach dem andern hinzugefügt wurde *). 
Mit der Zeit traten die scenischen Spiele hinzu, seit 390 d. St. 
(364 v. Chr.) im etruskischen Geschmack, seit etwa 514 (240 v. Chr.) 
im griechischen, da in diesem Jahre, gleich nach dem ersten puni- 
schen Kriege, Livius Andronicus zuerst Dramen auf die Bühne 
brachte, ein Jahr vor der Geburt des Ennius. Auch das geschah 
zuerst bei den Römischen Spielen, welche darauf mit den übrigen 



») Liv. V, 41 quae augustUrima vestis est tensas ducentibtu triumphan- 
tibusve. 

a ) Vgl. Dionys. VII, 72, welcher nach Fabius Pictor berichtet, aber viel 
Fremdartiges einmischt, oud Tertull. de Spectac. 7, wo das Gewühl der Pro- 
cession recht lebendig beschrieben wird. 

*) Probatio equorum, vgl. Dio LV, 10. 

«) Liv. VI, 42; XXXIX, 7. Der fünfte Tag wurde nach dem Tode Casars 
hinzugefügt. 



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IUPITER. 



225 



Festen auch in dieser Hinsicht immer mehr beladen wurden. Und 
zwar waren zu diesen scenischen Spielen bestimmt die Tage vor 
den Idus, nach den Kalendern vom 4. Sept. bis zum 12., also neun soo 
Tage hintereinander: eine Erweiterung welche namentlich seit der 
Zeit des zweiten punischen Kriegs erfolgt sein mag. Wenigstens 
wissen wir aus Liv. XXIV, 43, dafs schon im J. 540 (214 v. Chr.), 
zwei Jahre nach der Schlacht bei Cannä, die Bühnenspiele vier Tage 
lang dauerten. Gegeben wurden sie bekanntlich von den curilischen 
Aedilen, denen auch bei der grofsen Procession und den circensischen 
Spielen die Einrichtung im Ganzen und die polizeiliche Oberaufsicht 
oblag, während das Geleite der Tensen bei der Procession und der 
Vorsitz im Circus, ursprünglich eine Sache des Königs, später den 
Consuln oder in ihrer Abwesenheit dem städtischen Prätor zustand, 
nach dem Fall der Republik aber natürlich den Kaisern und den 
von ihnen ernannten Stellvertretern zufiel 1 ). 

Neben den Römischen Spielen werden die Grofsen Spiele 
(ludi Magni oder Maximi) gewöhnlich in solcher Weise genannt 2 ), 
dafs beide lange für identisch gegolten haben. Eine genauere Be- 
obachtung aber hat gelehrt, dafs sie sich von jenen dadurch wesentlich 
unterschieden, dafs sie nicht regelmäfsig, sondern nur in Folge 
aufserordentlicher Veranlassungen und als votivi gefeiert wurden, 
indem ein solches Gelübde beim Beginn schwerer Kriege oder sonst 
in gefahrlichen Lagen des Staates feierlich ausgesprochen und die 
Spiele selbst nach glücklicher Beendigung des Kriegs oder Abwen- 
dung der Gefahr zu Ehren des höchsten Gottes, der seine Römer 
wieder einmal zum Siege geführt, gefeiert wurden. Das erste Bei- 
spiel fallt in die Zeit des Kriegs gegen die Tarquinier und die mit 
ihnen verbündeten Latiner, welcher durch den Sieg am See Regülus 
im J. 258 (496 v. Chr.) entschieden wurde; welche Spiele zugleich 
sehr oft als Beispiel der strengen Gewissenhaftigkeit angeführt werden, 

*) Becker Handb. II, 2, 324 ff. Statt der curulischen Aedilen bekamen 
unter den Kaisern die Prätoren die Aufsicht Uber die Spiele, ib. II, 3, 264. 

*) Cic. d. Rep. Ii, 20, 35 eundem primum ludos Maximos, qui Romani 
dicti sunt, J'ecisse accepimus. Liv. I. 35 sollemnes deinde annui mantere ludi, 
Romani MagnUjue varie appellati. Paul. p. 122 Magno* ludos Romanos ludos 
appellabant quos in honorem Iovis, quem principem deorum putabant, faciebanl. 
Vgl. Ritsehl Parerga p. XIII sqq. und 290, Marquardt Handb. IV, 474 [jetzt 
477 f. M i mimsen Die ludi magni und romani, im Rheinischen Museum 
14, 79 ff. = Forsch. 2, 42 ff. und besonders die hier eingefügten Zusätze 
S. 51 f.] 

Preller, Röm. Mythol. I. 3. Aufl. 15 



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226 



DRITTER ABSCHNITT. 



mit welcher solche Gelübde in den alten Zeiten beobachtet wurden 1 ). 
201 Das erstemal, so erzählt die Legende, hatte ein plötzlicher Ueberfall 
des Feindes die Feier unterbrochen. Das zweitemal, als es zur wirk- 
lichen Ausführung kam und der Circus schon voll von Menschen 
war, wurde ein strafbarer Sklave vor Aller Augen mit der Gabel 
auf dem Rücken durch den Circus geführt und gefuchtelt: was den 
frommen Sinn eines Plebejers vom Lande so empörte, dafe er auch 
zu Hause keine Ruhe fand. Jupiter erschien ihm im Traume, 
höchlich verletzt durch solch einen Vortanzer bei seinen Spielen; 
er solle gehn und bei den Consuln auf Wiederholung der Spiele 
dringen. Der Landmann zögerte, da starb sein Sohn und er selbst 
wurde gelähmt an allen Gliedern, bis er sich endlich in den Senat 
tragen liefe und, sobald er den Auftrag ausgerichtet, gesund wieder 
heimkehrte. Der Senat aber befchlofs alsbald die Instauration und 
zwar mit einer Ausstattung, die viermal so kostbar war als die erste. 
Die ältere Republik mochte solche Spiele um so lieber sehen und 
um so mehr auf sie verwenden, weil bei ihnen allein beide Stände, 
die Patricier und Plebejer, vereinigt waren, welches auch wohl der 
Grund ist, weshalb man sie vorzugsweise die Grofsen nannte ; doch 
wurden sie auch im weitern Verlaufe der Republik sehr oft gelobt 
und immer mit grofser Gewissenhaftigkeit und kostbarer Ausrüstung 
gehalten, gewöhnlich zehn Tage lang 8 ). Wie die Römischen mögen 
sie aus einem Opfer und Opferschmause, der Procession und den 
circensischen Spielen bestanden haben, dahingegen von scenischen 
Spielen bei ihnen nicht die Rede ist. Wohl aber wurden nicht 
selten anstatt der Spiele grofee Opfer dem Jupiter geweiht, meistens 
Stieropfer, seit dem Hannibalischen Kriege auch wohl nach grie- 
chischer Sitte ganze Hekatomben 8 ), einmal sogar und zwar auf Ver- 



») Cic. de Div. I, 26, Liv. II, 36, Dionys. VII, 68, Macrob. S. I, 11, 3, 
Augustin C. D. IV, 26 u. A. 

") Vgl. Sigonius in Liv. XXXIX, 22, 1. Das Gelübde wurde von dem 
Consul oder dem Dictator praeeunte Pontifice Maximo gesprochen, Liv. IV, 37. 
Als Beispiel diene das vom J. 191 v. Chr., beim Ausbruch des Kriegs gegen 
Antiochos, s. Liv. XXXVI, 2. Die ludi votivi des Poinpejus, welche er im 
Kriege gegen Sertorius gelobt, dauerten 15 Tage, Cic. in Verr. Act. 1, 10, 
vgl. Suetoo Octav. 23 Vovit et Magnot ludos Iovi Opt. Max., si respublica 
in meliorem statum vertisset (nach der Varusschlacht), quod factum Cimbrico 
Marsicoque bello erat. Ib. iNer. 11 ludis, quos pro aeternüate imperü susceptos 
appellari Maximos voluit. 

*) Scipio opfert nach seiner Rückkehr aus Spaoien eine Hekatombe von 



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IÜPITER. 



227 



anlassung der Sibyllinischen Bücher ein Ver Sacrum, welches in 20a 
älteren Zeiten nur in dem Culte des Mars herkömmlich gewesen zu 
sein scheint. 

Aufser den Römischen Spielen im September und diesen Grofsen 
gab es eigne Plebejische Spiele im November, welche ursprünglich 
speciell für die Plebs bestimmt waren und von ihren Obrigkeiten, 
den plebejischen Tribunen und Aedilen besorgt wurden, man weifs 
nicht genau seit welcher Zeit und auf welche Veranlassung 1 ); ohne 
Zweifel lag aber noch die alte Scheidung der Patricier und der Ple- 
bejer dabei zu Grunde. Später verlor sich diese Scheidung, aber 
die beiden Spiele bestanden dennoch neben einander fort, übrigens 
bei gleichartiger Einrichtung, denn auch bei den plebejischen Spielen 
wurde an den Idus ein epulum Iovis gehalten 8 ), worauf gleichfalls 
circensische Spiele folgten, welche aber nicht im Circus Maximus, 
sondern in dem des Flaminius gehalten wurden, vor dessen Einrich- 
tung vermuthlich im freien Marsfelde. Endlich gingen auch hier 
dem epulum scenische Spiele voran, welche die plebejischen Aedilen 
zu veranstalten hatten 3 ). Nach den Kalendern der Augusteischen 
Zeit dauerte das ganze Fest vom 4'. bis zum 17. Novb., von welchen 
Tagen die ersten acht auf die scenischen kommen würden, die Idus 
auf das Opfer und das Opfermahl, an welchem ursprünglich gewifs 
nur die plebejischen Magistrate theilnahmen, endlich die Zeit vom 
14. bis zum 17. auf die scenischen Spiele und den vorbereitenden 
Act der probatio equorum. Von einer Procession zur Eröffnung der 
Spiele ist nie die Rede. 

Endlich gab es auch Capitolinische Spiele des Jupiter, 

Stieren auf dem Capitol, Liv. XXVIII, 38. Nach der Schlacht am 1. Trasi- 
menus wurde sogar bubus trecentis geopfert und das Ver Sacram gelobt d. h. 
ein Opfer von allem qnod ver attolerit ex suillo, ovillo, caprino, bovillo grege, 
welches später wirklich gebracht wird, s. Liv. XXII, 9. 10; XXXIII, 44; 
XXXIV, 44. 

*) Ascon. in Verr. p. 143 Phbeii ludi quos exactis regibus pro Ubertate 
plebis fecerunt aut pro reconciliatione plebis post secessionem in Aventinum. 
Am wahrscheinlichsten ist die Einsetzung dieser Spiele nach der Rückkehr 
vom b. Berge, wo auch zu den latinischen Ferien ein neuer Tag hinzugefügt 
wurde. [Friedländer a. a. 0. 478 f.] 

») Vgl. die Kalender und Liv. XXV, 2, XXVII, 36, XXIX, 38, XXX, 39, 
XXXI, 4, XXXII, 7, XXXIII, 42. Immer heirst es et epulum Iovis fuit 
ludorum causa, so sehr wurden die Spiele überall zur Hauptsache. Die 
Kalender bemerken zu den Idus Nov. Epul. indict. oder Epulum indicitur. 

8 ) S. die Didaskalie b. Ritschl Parerga p. 261. 

15* 



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228 



DRITTER ABSCHNITT 



über welche wir aber nur mangelhaft unterrichtet sind. Nach Ennius 
hatte Romulus bei der Einweihung des Tempels des Jup. Feretrius 
Spiele veranstaltet, welche noch ganz den Stempel ländlicher Einfalt 
trugen; es wurden nehmlich geölte Felle auf den Boden gebreitet, 
803 auf welchen sich dann seine Römer im Faustkampf und im VVett- 
lauf sehen liefsen. So erzählen auch Andre von einer ähnlichen 
Stiftung, welche Romulus Tarpejische oder Gapitolinische Spiele ge- 
nannt habe 1 ). Wieder Andre wissen von einem Triumphe des 
Romulus über Veji, welcher an den Iden des October gefeiert worden 
wäre und wo unter andern Gefangenen auch der König von Veji, 
ein kindischer alter Mann, aufgeführt worden sei; daher man am 
Tage der Capitolinischen Spiele d. h. bei der Feier dieses Triumphs 
immer einen alten Mann in königlichem Aufputz und mit der Bulle, 
wie sie die Kinder zu tragen pflegten, über das Forum aufs Capitol 
führe und dazu von einem Herolde durch öffentlichen Ausruf „zum 
Kauf der Sarder" einlade, weil von den Sardern mit den übrigen 
Etruskern auch die von Veji abstammten 2 ). Endlich berichtet Liv. 
V, 50, dafs nach dem Abzüge der Gallier Capitolinische Spiele zur 
Erinnerung an die Rettung des Capitols unter dem Schutze des 
Jupiter gestiftet und zu diesem Behuf von Camillus ein eignes Colle- 
gium gebildet worden sei, aus denen welche auf dem Capitol und 
der Burg d. h. auf den beiden Hügeln des Capitolinischen Berges 
wohnten. Aus dem Allen darf man wohl folgern, dafs auch an den 
Iden des October ein altes Triumph- und Siegesfest zu Ehren des 
Capitolinischen Jupiters gefeiert wurde, ein so altes, dafs man es für 
eine Stiftung des Romulus hielt; und wirklich mag es älter sein als 
die Plebejischen Spiele, da diese sonst kaum in den November ver- 
legt worden wären. Doch scheint dieses Fest nur eine beschränkte 
örtliche Bedeutung gehabt d. h. speciell die Einwohner der beiden 
Capitolinischen Hügel betroffen zu haben 3 ), welche später nicht mehr 
geduldet wurden. 

») Serv. V. Ge. II, 384 (angeblich aus Ennius; vgl. Vahlen p. 16], Tertull. 
de Spectac. 5. Iup. Tarpeius bei Ovid F. VI, 34 und ülpian tit XXII §6. 
[Vgl. Marquardt Staatsverw. 3, 132. 465.] 

a ) Plut. Rom. 25, wo die Worte &vovrec tmvixta nicht auf den Triumph 
überhaupt, sondern auf den des Romulus vom 15. Oct. zu beziehen sind, vgl. 
Qu. Ro. 53 und Fest. p. 322 Sardi venales. Aodre leiteten dieses Sprich- 
wort richtiger von einem entscheidenden Siege über die Sarder ab. Vgl. deu 
Gebrauch bona Porsetmae regis vendendi b. Liv. II, 14. 

•) Eben dieses scheint der Sinn der Worte bei Festus 1. c. zu sein : quod 



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IÜPITER. 229 

Wie nun Siegesfeier und Triumph bei allen diesen Festen des 
Jupiter 0. M. der leitende Gedanke war, so war auch der Triumph 
im engeren Sinne, nehmlich der der heimkehrenden Feldherrn, kein 
blos militärisches, sondern zugleich wesentlich ein religiöses Schau- 
spiel, eine Verherrlichung desselben höchsten Gottes auf der Capi- 
tolinischen Burg, dessen Stellvertreter die Inhaber der höchsten 
Staatsgewalt waren. Daher das Opfer an den Jupiter beim Amts- 
antritte der Consuln (S. 181, 3), daher feierliche Gelübde bei jedem 
Auszuge derselben zum Kriege, wo sie vorher jene Gelübde auf dem 
Capitole concipirten und darauf von ihren Freunden mit grofser 
Feierlichkeit und allen guten Wünschen aus der Stadt hinausgeleitet 
wurden 1 ). Diesem Vorgange entspricht der Triumph, von Seiten 
des Feldherrn als Erfüllung jener Gelübde, von Seiten des Staates 
als höchste Anerkennung die dem Bürger zu Theil werden konnte. 
Gewöhnlich betrat der Feldherr, nachdem er das siegreiche Heer und 
den Triumphzug vor der Stadt geordnet hatte, das Gebiet derselben 
bei der porta triumphalis an der Grenze des Marsfeldes, bis wohin 
ihm die Behörden, der Senat und ein grofser Theil der Bürger ent- 
gegenkamen. Darauf bewegte sich der Zug durch den Circus Fla- 
minius in die Stadt und über das Forum Boarium, wo der Hercules 
der Ära Maxima in seiner Weise theilnahm, in den Circus Maximus; 
endlich von dort um die Palatinische Altstadt herum und auf der 
Via Sacra über das Forum und hinauf zum Capitol, dem Zielpunkte 
der ganzen Feier. Voran gingen der Senat und die Behörden, dann 
folgte Musik, darauf die lange Reihe der erbeuteten oder eroberten 
Gegenstände, deren glänzende Darlegung immer mehr zur Hauptsache 



ludis [Capitolinis qui] fiunt a vicinis [praetextatis au]ctio Feientium [fieri 
solel], wo gewöhnlich mit Scaliger a vicanis gelesen wird. Nach der Hin- 
richtung des Manlius Capitolinus wurde verboten ne quis patricius in Arce 
aul Capitolio habitaret, Liv. VI, 20. IS. Jordan Top. 1, 1, 278 ff. Es waren 
Spiele des pagus Capitolinus.] 

l ) Liv. XLII, 49 Per hos forte dies P. Licinius consul t'otis in Capitolio 
nuncupatis paludattts ab Urbe profeetus est. Semper quidem ea res cum magna 
digniiate ac maiestate geritur etc. XLV, 39 Diis quoque, non solum homimbus 
debetur (triumphus). — Consul proßciscens praetorve paludatis lictoribus in 
provinciam et ad bellum vota in Capitolio nuncupat. Victor perpetrato eodem 
in Capitolio triumphans ad eosdem deos, quibus vota nuncupavit, merita dona 
populi Romani traducit. Vgl. Becker Handb. II, 2, 64 und von den Bedin- 
gungen des Triumphs ib. 79 [Mommsen Staatstr. 1 2 , 96. 414. — 124], von 
der Feier selbst Marquardt III, 2, 446 ff. [Staatsverw. 2, 564]. 



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230 



DRITTER ABSCH.MTT. 



wurde, darauf die weifsen Opferstiere *), dann die vornehmeren Ge- 
fangnen, endlich der Triumphator selbst, wieder ein lebendes Bild 
des Capitolinischen Jupiter, von dem er Macht und Sieg empfangen 
hatte und in dessen Schoofs er jetzt den errungenen Lorbeer nieder- 
805 zulegen im Begriff stand , während er die übrigen Insignien dieses 
höchsten Ehrentages mit in sein Haus nehmen und seinen Nach- 
kommen zum ewigen Angedenken hinterlassen durfte. Wie der hohe 
und vergoldete, seit Camill gewöhnlich von vier weüsen Rossen ge- 
zogene Triumphwagen ein Bild der quadriga Iovis war 2 ), so die mit 
Palmenzweigen und Victorien gestickte Tunica, die mit Gold auf 
purpurnem Grunde gestickte Toga des Triumphators, das elfen- 
beinerne Adlerscepter in seiner Hand, der über seinem Haupte 
schwebend gehaltene Triumphalkranz von Gold und Edelstein, sein 
eignes nach dem Vorbilde Jupiters mit Mennich hochroth gefärbtes 
Antlitz recht eigentlich der ornatus Iovis Optimi Maximi 3 ): daher 
einer solchen Erhebung der sterblichen Menschen als heimliches 
Amulet gegen den Neid und bösen Blick ein Fascinus unter dem 
Wagen dienen mufste und deshalb auch den folgenden Soldaten jeder 
beliebige Spott erlaubt gewesen sein soll 4 ): so sehr fürchtete der 



*) Virg. Ge. II, 148, Plutarch Aeinil. Paul. 33, Comment. Cruq. Horat. 
Ep. 9, 22 [a triumphatoribus Oos alba et indotnäa in Capitolio immolari sole- 
bat, was freilich io den übrigen Scholien fehlt, aber eben deswegen auch 
wenig Autorität hat]. Nach Serv. V. A. IX, 627 wurden von den Triumphi- 
renden auch Suovetaorilien dargebracht, aber nicht dem Jupiter, sondern dea 
andern Göttern des Kriegs. 

*) Liv. V, 23 Iovis Solisque equis aequiparatum dictalorem in religionem 
trahebant. Mithin war auch die teusa Iovis gewifs so bespannt. 

8 ) Liv. X, 7, vgl. Serv. V. Ecl. X, 27, Sueton Octav. 94. Es scheint 
sogar dal's die tunica palmata und die toga picta den Triuaiphirenden e Capi- 
tolio verabfolgt wurden, s. Lamprid. Alex. Sev. 40, lul. Capitol. Gordian 4, 
Vopisc. Prob. 7. Von dem Kranze s. Piin. II. IV. XXX III, 11 und oben 
S. 109, 1 und 224, von der Färbung des Gesichts S. 218, 2 und Serv. V. Ecl. VI, 
22, X, 27. 

4 ) So ist Plin. H. N. XXVIII, 39 zu versteh n: fascinus imperatorum 
quoque, non sola in Infant htm custos, qui deus inter sacra Romana Vestalibus 
colitur et currus triumphantium sub his pendens defendit medicus invidiae, 
iubetque eosdem resipiscere (so schreibt Sillig mit Hecht f. respicere) similis 
medicina Imgitae (n elimlich die Spottlieder der Soldaten), ut sit exorata a 
tergo Fortuna gloriae carnifex. [Ueberlielert ist reciperex vgl. Prellers Aus- 
gewählte Aufsätze S. 304 f.] Vgl. Dio Cass. L1X, 17, wo Caligula vor seinem 
Triumphe bei Puteoli dem Neptun opfert xal cillois xial &£oTs 4*9ovtfi xt, 
fiirj xal ßaoxavia ns «vto~ ws ttfaaxe ytvnxoa. 



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IUP1TER. 



231 



{Jiaube der Alten bei jedem aufserord entlichen Gedeihen die dämo- 
nische Gewalt des Neides. Umgeben von den Genossen seines 
Ruhms verliefs er endlich oben auf dem Gapitole angekommen den 
Wagen, stieg die Stufen zum Tempel hinan nabele sich anbetend 
dem Bilde Jupiters und legte den Lorbeer, gewöhnlich den der vor 
ihm getragenen Pasees, der Sinnbilder seiner Gewalt, oder auch eine 
Palme in den Schoofs des Gottes 2 ). Dann folgte das Opfer und 
ein festliches Opfermahl im Tempel, an welchem der ganze Senat 206 
und alle Behörden theilnahmen und der Triumphirende natürlich die 
Hauptperson war, bis er zuletzt von diesem Mahle feierlich heim- 
geieitet wurde 3 ) und somit wieder in die gewöhnliche Lebens- 
ordnung zurückkehrte. Die freudige Aufregung, das Gedränge der 
ganzen Stadt bei solchen Gelegenheiten, zumal wenn der Triumphi- 
rende beliebt war, kann man sich nicht lebhaft genug vorstellen 4 ). 
Auch wurde in späterer Zeit das Volk gewöhnlich von dem Trium- 
phator im Saale des Hercules der Ära Maxima oder sonst in der 
Stadt gespeist und mit scenischen Spielen und andern Ergötzlich- 
keiten unterhalten 5 ). 

Haben wir so die verschiedenen Feste und festlichen Ver- 
anlassungen übersehen, bei denen der Gapitolinische Jupiter als der 
höchste Gott aller römischen Staatsgewalt und aller ihrer Erfolge 
verehrt wurde, so mag schliefslich, um das Bild örtlich und histo- 
risch abzurunden, auch von der Ausstattung und Umgebung seines 
Tempels und der späteren Geschichte des Capitols die Rede sein, 

*) Der grofse Cäsar machte dieseu letzten Gaog auf seinen Kaieeo, was 
Claudius nachahmte, s. Dio Cass. M.III, 21, LX, 23. So kletterte auch Carl 
<1. Gr. die Stufen von S. Peter knieend empor, indem er jede Stufe küfste. 

*) Von dem Lorbeer der Fasces s. Dio Cass. LIV, 25 und Lipsius Exc. 
D. Taeit. Ann. II, 26 [Mommsen Staatsrecht 1 s , 358]. Auf zwei alten Ge- 
mälden, welche die Kaiser Hadrian und Antonius Pius auf Triumphwagen 
darstellen, Mon. dell' Inst. 3 t. X. XI, haben die Kaiser den zu weihenden 
Lorbeer in der Hand. Auch das palmam dedit der Triuuiphalfasten ist auf 
diesen Act zu beziehe, vgl. Macrob. II, 7, 8. 

») Vgl. Liv. XLV, 39, Varro b. Non. Marc. p. 94 cenatus und Cato Orig. 
b. Gell. N. X, 24, wo mit Beziehung auf dieses Festmahl der Befehlshaber der 
puoischen Reiterei zum Hannibal sagt: Milte tnecum Romam equitatum; die 
quinti in Capitolio tibi cena cocta erit. 

<) Vgl. Liv. III, 29; IV, 20 u. A. 

6 ) Vgl. Plut. Luculi. 37, Dio LV, 2, wo Tiber das Volk auf dem Capitoi 
und durch die ganze Stadt speist, Livia und Julia aber im Palatium die Damen. 
Aehnlich ib. 8. 



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232 



DRITTER ABSCHNITT 



da auch in diesen der Grundgedanke dieser Anlage, das terrestre 
domicilium Iovis darzustellen (Cic. Verr. IV, 58, 129), deutlich 
hervortritt 1 ). 

Zahllos waren zunächst die kostbaren Geschenke und Stilllungen 
sowohl des frommen Glaubens der Einheimischen und des Staates 
als der verzagten Ehrfurcht auswärtiger Völker und Könige, welche 
ihre huldigende Anerkennung der Obmacht Roms durch Geschenke 
an seine höchste Götter -Trias auszudrücken pflegten. Gewöhnlich 
bestanden solche Tribute in goldnen und silbernen Schaalen und 
anderm Cultusgeräth , goldnen Kränzen und andern Kostbarkeiten, 
wie sie die mehrfach erhaltenen Verzeichnisse andrer Tempelschätze 
aufzählen, nicht selten aber auch in solchen Gegenständen, welche 
zu den Attributen und Symbolen der Götter gehörten, z. B. in 
M7 Blitzen von Gold oder Silber, Quadrigen u. dgl. Die grofse Masse 
solcher Weihgeschenke wurde von Zeit zu Zeit eingeschmolzen, die 
übrigen in den sogenannten Favissen niedergelegt, kellerartigen An- 
lagen unter dem Tempelhofe, in welchen auch das abgängig gewor- 
dene Tempelgeräth und veraltete Cultusbilder verwahrt wurden. 
Ueberdies gab es noch einen besondern Schatz des Capitolinischen 
Jupiter, welcher unter seinem Sitze in dem Throne niedergelegt war. 
Camill hatte ihn angelegt, als die Gallier endlich abziehn mufsten, 
und treulich verwahrte und mehrte ihn die Republik, bis mit der 
Zeit des Marius und Sulla zugleich der Brand des Capitols und die 
Plünderung bedürftiger Feldherrn auch diese Schätze störten. Was 
Sulla wiederhergestellt hatte, ging von neuem durch Crassus und 
Caesar verloren, bis Augustus wieder auf einmal 16000 Pf. Goldes 
und eine entsprechende Menge von Edelsteinen und Perlen in der 
Cella des Jupiter niederlegte 8 )• 

Nicht weniger zahlreich und für die Geschichte des römischen 
Staates und des römischen Ruhms im höchsten Grade lehrreich 
waren die vielen von Privaten oder von Staatswegen dahin gestifteten 
Andenken, Inschriften, Ehrenschilde, Tropäen, Victorien u. dgl. m., 
so zahlreich dafs der Tempel und seine Säulen von Zeit zu Zeit von 
dem UeberOufs gesäubert werden mufsten (Liv. XL, 51). Schon die 
vielen historisch merkwürdigen Inschriften, welche es dort zu lesen 
gab, waren für den Patrioten ein wahrer Schatz, wie z. B. die Feld- 

') [Ergänzungen des folgenden Abschnitts giebt Jordan Top. 1 AML. 2.) 
*) Liv. V, 50, Plio. H. N. \ Will. 14, Sueton Caes. 54, Octav. 30, Di© 
XLI, 39. [Vgl. Schwegler R. G. 3, 266, Jordan Annali dell' inst. 1876, 169.) 



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IUPITER 



233 



herrn, ehe sie triumphirten, ein Verzeichnifs ihrer Thaten in Satur- 
nischen Versen auf dem Capitole anzuschlagen pflegten, wovon einige 
Beispiele durch die Schriftsteller erhalten sind, darunter die alte und 
ehrwürdige Inschrift, in welcher T. Quinctius Cincinnatus mit ein- 
fachen Worten von seinen durch die Gnade Jupiters und aller Götter 
im J. 374 (380 v. Chr.) erfochtenen Siegen über Präneste berich- 
tete 1 ). Die stille Würde dieser älteren Zeit mochte merklich ab- 20s 
stechen gegen die goldne und silberne Pracht der späteren, wo Rom 
von seinen Feinden lernte, auch seiner eignen Siege und Götter mit 
grofsem Aufwand und mit einer anspruchsvollen Kunst der Dar- 
stellung zu gedenken. So lernte man von den Puniern die goldnen 
und silbernen Ehrenschilde mit eingegrabenen Bildern kennen, wo 
es sich denn gelegentlich zutrug, dafs derartige auf dem Capitol 
befindliche Schilde von Silber von den Censoren lange für eherne 
gehalten wurden (Plin. H. N. XXXV, 14). Auch wurde es um die- 
selbe Zeit beliebt, in ausgeführten Bildern der Schlachten zum Volke 
zu sprechen 8 ), wie man auch im Mittelalter in Florenz und Rom 
durch historische und allegorische Bilder sich an das Volk wendete. 
Später mehrten sich die nach griechischer Weise aufgestellten Vic- 
torien, namentlich seitdem der goldnen Victoria, welche Hieron dem 
Senate in schwerer Bedrängnifs übersendet hatte, so grolse Ehre 
erwiesen worden war 8 ). Auch die gröfseren Tropäen, wie man deren 



*) Atll, Fortunat, p. 2680 P. [Gramm. Lat. 6, 265] apud nostros in ia- 
bidis emtiquis, quas triumphaturi duces in Capitolio figebant victoriaeque suae 
tüulum Saturniis versibut prosequebantur, talia repperi exempla etc. Vgl. 
Marini Atti p. 37, Ritsehl inscriptio quae fertur columaae rostratae Duellianae 
Bonu 1852 [Op. 4, 200 f.]. Die erhaltenen Beispiele sind: 1) das vom Cin- 
cinnatus b. Liv. VI, 29, vgl. Fest. p. 363. 2) die an den Seesieg des L. 
Aemilius Regillus über die Flotte des Antiochus erinnernde Inschrift b. Liv. 
XL, 52. 3) die des Ti. Sempronius Gracchus, welche von einer bildlichen 
Darstellung der Insel Sardinien und seiner auf ihr gefochtenen Schlachten be- 
gleitet war, Liv. XLI, 28. 

») Plin. XXXV, 19, vgl. Papencordt Cola di Rieuzo S. 73. [Vgl. Urlicbs, 
in dem oben S. 45, 2 a. Progr. ,Die Malerei in Rom vor Casars Dictatur' 
Würzburg 1876. Reste eines Schlachtgemäldes haben sich auf einem Grabe 
in Rom erhalten: Jordan in Comment. phil. in hon. Mommseni p. 358 f. Vgl. 
dens. De Vortumni et Consi aedibus Aventinensibus (in der Gratulationsschr. 
d. Königsberger Universität z. 50jähr. Jubiläum des Arch. Instituts in Rom) 
Königsberg 1879.] 

') Liv. XXII, 37. Vgl. die von dem numidischen Könige Bocchus dem 
Sulla zu Ehren aufs Capitol geweihten Nixcu jqonutotfOQOt b. Plutarch Mar. 



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234 



DRITTER ABSCHNITT 



noch jetzt auf dem Capitole sieht, wurden immer häufiger, und die 
Kette der Triumphbögen, welche auf dem Forum, vor den Thoren 
und in den belebtesten Strafsen die gewöhnliche Richtung der 
Triumphzüge bezeichneten, begann unter August und Tiber den Fufs 
des Capitols zu erreichen, unter Nero dasselbe zu ersteigen 1 ). 

Dazu kamen die vielen Tempel und Bilder andrer Götter, welche 
sich allmählich um den grofsen Capitolinischen Haupttempel wie um 
ihren Mittelpunkt ansammelten, die Menge von Bildern und Statuen 
berühmter Männer, die vielen alten Gesetze und öffentlichen An- 
schläge, da auch aufserhalb des Tabulariums viele Gesetze auf 
besondern Säulen von Erz oder an die Mauern und Flächen der 
Tempel und der Monumente angeheftet wurden 3 ), endlich eine grofse 
Menge von kostbaren Bildern und Gemälden griechischer Kunst, 
welche die Sieger nach Rom brachten. Unter den Götterbildern mag 
vorzüglich der historisch wichtigen des Jupiter gedacht werden: 
ao9 namentlich des von Sp. Carvilius Maximus, dem Sieger über die 
Samniter vom J. 461 (293 v. Chr.), aus den Rüstungen der heiligen 
Schaar geweihten Colosses, der von solcher Höhe war, dafs man ihn 
vom Gipfel des Albaner Berges deutlich unterschied 8 ), und des auf 
einer Säule aufgestellten Bildes, dessen unter den Prodigien des 
J. 65 v. Chr. gedacht wird, wo ein Gewitter so außerordentliche 
Verwüstungen auf dem Capitole anrichtete, dafs man das Schlimmste 
befürchten mufste*). Andre Bilder kamen aus Griechenland, z. B. 
eine Statue des Zeus Urios d. h. des Senders guter Winde* aus 
Macedonien, welchen Flamiuius auf das römische Capitol versetzte, 



32, Sulla 6. Victoria quadrigam in sublime rapiens, ein Gemälde des Nico- 
mächtig auf dem Capitol, Plin. XXXV, 108. 

*) Propert. III, 11, 45 von den Tropäen des Marius. Tropaea Germanici 
in tribunali quae sunt ad aedem Fidei Populi Romani auf Militärdiplomen 
v. J. 86 [C. 1. L. 3 p. 856 f.]. Vgl. Tacit. Ann. XV, 18 uod Henzen in den 
Jbb. d. V. v. Alterthumsfr. im Rheinl. XUI S. 26 uod 59. 

8 ) Vgl. Cicero Cat. III, 8, Dio XXXVII, 9, XLI, 14, Sueton Vespas. 8. 

») Plin. H. N. XXXIV, 43. Zu den Füfsen des Colosses stand ein 
kleines Bild des Carvilius, welches aus den Abfällen der Feile gegossen war. 
Kleinere Votivtempel des Jupiter, wahrscheinlich Betkapellen mit einem 
Altare und Bilde, werden erwähnt bei Liv. XXXV, 41. [Doch vgl. Jordan in 
Comm. phil. in hon. Mommseui p. 358 f.J. Eine columna — secuudum Iovem 
Africum auf Militärdiplomen [C. I. L. a. O.j. 

«) Cic. Catil. III, 8. de Divio. I, 12, Dio XXXVII, 9, vgl. Becker Handb. 
1, 394. 



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IUP1TER. 



wo man den griechischen Namen durch Iup. Imperator übersetzte, 
ein dreifsig Ellen hoher Apoll aus Apollonia am schwarzen Meere, 
den Lucullus mitgebracht hatte, verschiedene ßilder des Mars, des 
Hercules u. s. w. 1 ) Weit zahlreicher müssen aber die Statuen der 
verdienten Bürger gewesen sein, da es während der Republik für 
eine der höchsten Auszeichnungen galt, in der Nähe des Jupiter 
0. M. ein Bild von sich aufstellen zu dürfen a ). Sah man doch selbst 
die Bilder der sieben Könige auf dem Capitole und neben ihnen das 
des Brutus, neben welchem man später das des Cäsar stellte, was 
den damaligen Brutus, den Mörder Casars, ganz besonders zur Theil- 
nahme an der Verschwörung gereizt haben soll 8 ). Daran schlössen 
sich so viele andre Statuen berühmter Männer mit entsprechenden 
Inschriften, z. B. die des L. Caecilius Metellus, des Siegers von 
Panormus, der als Pontifex das Bild der Vesta rettete, des M. Aemilius 
Lepidus, wie er sich schon als Knabe in der Schlacht ausgezeichnet 
hatte, des Scipio Africanus und seines Bruders Lucius, welcher sich 
in griechischer Tracht hatte abbilden lassen, des Q. Marcius Rex 
und vieler Andrer 4 ), dafs August, weil der Platz zu eng wurde, 210 
eine grofse Anzahl dieser Statuen vom Capitol nach dem Marsfelde 
versetzte. Der höchsten Ehre unter Allen war aber doch Scipio 
Africanus d. Ä. gewürdigt worden, da nicht allein der Tempelhof 
seine Statue zeigte, sondern ein Bild von ihm selbst in dem eignen 
Tempel des Jupiter hatte aufgestellt werden dürfen, eine Wachs- 
maske welche, so oft das Geschlecht der Cornelier ein feierliches 
Leichenbegängnifs zu begehen hatte, von dort zu dem Zuge der 
Ahnenbilder abgeholt wurde 5 ). Auch mochten wenige Römer die 
Herrlichkeit des Capitolinischen Jupiter und seinen unsichtbaren 
Schutz der römischen Gröfse mit so innigem Gemüthe erfafst haben 
als dieser Scipio, welcher mit seiner an griechischen Enthusiasmus 
erinnernden Begeisterung in dem nüchternen Rom ohnehin eine 
auffallende Erscheinung ist und wegen seiner religiösen Hingebung 

») Cic. Verr. IV, 57, 12Sff., ad Att. VI, 1, 17 [vgl. Jordan Eph. epigr. 
3, 64], Plio. IV, 92, XXXIV, 39, Dio XL1, 14, XLII, 26. 
a ) 1 M om rasen Staatsrecht 1 *, 434.] 

*) In der Mähe derselben alten Königsbilder fiel Ti. Gracchas, s. Püb. 
XXXIH, 9, XXXIV, 22, Appian b. civ. I, 16, Dio XLIII, 45, Ascon. Cic. 
Scaur. p. 30 Or. [p. 25 Sch. u. K.] 

*) Cic. ad Att. VI, 1, 17, Dionys. II, 66, Valer. Max. III, 1, 1; 6, 2, Sueton 
Cal. 34. 

») Liv. XXXVIII, 56, Val. Max. VIII, 15, 1, Appian Hisp. 23. 



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236 



DRITTER ABSCHNITT. 



an den höchsten Gott und seiner aufserordentlichen Erfolge beim 
Volke sogar den Glauben an eine übernatürliche Abkunft erweckt 
hatte. Schon als junger Mann war er jeden Morgen, sobald der 
Tag graute, von seiner gleich unter dem Capitol gelegnen Wohnung 
hinauf in die Burg und in den Tempel gegangen, wo die Hunde ihn 
nicht mehr anbellten und die Wächter stillschweigend aufschlössen, 
In stiller Sammlung weilte er dann eine Zeitlang vor dem Bilde 
Jupiters, um sein tägliches Geschäft und das Wohl des Staates mit 
sich und mit ihm zu berathen, bis diese Morgenandacht ihm zur 
unentbehrlichen Gewohnheit geworden war, so dafs seine spätem 
Erfolge und Triumphe, der vom J. 201 v. Chr. und der über seine 
Ankläger im J. 187, nur als die letzte Erfüllung von dem erschienen, 
was sich in seiner Seele früher still gebildet hatte 1 ). Auch war ja 
grade dieses die Zeit, wo Jupiter die alte Verheifsung, dafs seine 
Burg in Rom das Haupt über alle Welt und ihre Grenze niemals 
verrückt werden solle, durch unerhörte Siege und Eroberungen der 
Börner jährlich mehr zu einer aller Welt einleuchtenden Wahrheit 
machte. 

Der alte Tempel hatte über 400 Jahre gestanden und schien 
wie den Anfang, so auch das Ende der Republik erleben zu wollen, 
als er am 5. Juli des J. $3 v. Chr. durch eine bei Nacht ausgebro- 
chene Feuersbrunst zerstört wurde, mitten im Kriege zwischen Marius 
und Sulla, welcher letztere gleich zur Wiederherstellung schritt; doch 
an war diesesmal nicht er der Glückliche, sondern Q. Lutatius Catulus, 
der Consul des Jahres der Einweihung, 78 v. Chr., dessen Name seit- 
dem unter dem Giebel neben dem des Jupiter 0. M. prangte. Der 
alte Bauplan wurde beibehalten, aber prächtiger ausgeführt; auch 
war jetzt das Bild des Jupiter ein ganz und gar griechisches, eine 
Copie des Jupiters in Olympia, in welchem schon L. Aemilius Paulus, 
der Sieger des Perseus, das wahre Urbild des Capitolinischen Jupiters 
erkannt hatte 8 ), und von einem griechischen Künstler Apollonios 
aus Gold und Elfenbein und mit prächtiger Gewandung ausgeführt. 



i) Liv. XXVI, 19, Gell. VI. 1, Dio Cass. fr. 57, 40 p. 65 Bekk. 

>) Li. XL1V, 28 Iovern velut praesentem intuens motus animo est. Itaque 
haud situs quam si in Capüolio immolaturut esset, sacri/icium amplius solito 
apparari iussit. Vgl. Chalcid. in Plat. Tim. p. 440 ed. Meurs. [p. 361 ed. 
Wrobel L. 1876] und Bronn Gesch. d. griech. Künstler 1, 543. Daher schrieb 
Varro de vita populi Ro. über I b. Non. Marc. p. 162 Quid inter hos loves 
intersit et eos qui ex marmorn ebore auro nunc fiunt etc. 



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237 



Hernach war Augustus, der grofse Restaurator des römischen Gottes- 
dienstes, auch für die Verschönerung und Wiederherstellung des 
Capitols auf mehr als eine Weise bedacht, namentlich auch dadurch, 
dafs er einen ganz neuen Tempel des Iupiter Tonans baute, wozu 
ihn ein Abenteuer seines spanischen Feldzugs vom J. 26 v. Chr. 
bestimmte. Als er nehmlich einst bei Nacht unterwegs war, fuhr 
ein Blitz mit furchtbarem Donnerschlage so dicht bei der Sänfte 
nieder, dafs er selbst geblendet, der vorleuchtende Sklave erschlagen 
wurde; daher Jupiter nun auch in dieser dem griechischen Zsvc 
Bqovvwv [oder Bgovrijaiog] 1 ) entsprechenden Form einen Cultus 
auf dem Capitole bekam. Der Tempel ward an den Kaienden des 
September im J. 22 eingeweiht und wurde seitdem' von so vielen 
Andächtigen besucht, dafs der alte Jupiter sich darüber bei dem 
Stifter im Traume beklagte; worauf dieser den Giebel des neuen 
Tempels mit kleinen Glöckchen versehen liefe, als ob dieser neue 
Jupiter Tonans nur die Bedeutung eines Pförtners an der Schwelle 
des alten Jupiter 0. M. habe. Schon deshalb kann dieser Tempel 
nicht unten am Aufgange zum Capitol gelegen haben, wo die gewöhn- 
liche Tradition der römischen Topographie ihn sucht. 

Der neue Tempel verbrannte wieder bei dem von Tacitus so ais 
\ anschaulich beschriebenen Sturme der Vitellianer, wo sich die Vespa- 
sianer auf dem Capitole festgesetzt und hinter dessen Thoren mit 
den Statuen der Vorzeit eine mächtige Barrikade errichtet hatten. 
Vespasian hatte den Tempel kaum wiederhergestellt und dabei auf 
die Mahnung der Uaruspices wieder den alten Bauplan befolgt, als 
er durch die grofse Feuersbrunst unter Titus im J. 80 von neuem 

») So übersetzt Üio LIV, 4 den lup. Tonans. Z. Bqovthv ist eine sehr 
geläufige Form des Zeuscultus der späteren Zeit, namentlich in Kleinasien. 
[Vgl. Welcker Götterl. 2, 104, Kiepert u. Franz Fünf Inschriften und fünf 
Städte in Kleinasien, Berlin 1840 S. 5 ] Der auf römischen Münzen zuweilen 
genannte lup. Cantaber scheint identisch mit dem lup. Tonans zu sein, 
lieber die Glöckchen am Giebel s. Sueton 91, welcher hinzusetzt dafs solche 
Glöckchen meist an den Thüren zu hängen pflegten. Anders Dionys. LIV, 4, 
wo August dem Jupiter Tonans selbst ein Glöckchen anhängt, ol yoQ rag 
auvoix(ag vuxtwq (fvlttaoovTts xajötuvotföQovotv, onw a^tth'iiv atffair 
onoiav ßovlr\^wai Svvmiat. [Von einem Griechen rührt, wie die Naraen- 
gebung zeigt, die Widmung Iovi sancto Brontonti Aur, Poplius (unter einem 
Relief, Apollo und zwei Frauen darstellend, Rom Villa Pamfili) her: C. I. L. 
6, 432, ein sacer{dos) dei Brontontis das. 2241. Uebrigens läfst sich bei den 
späteren Widmungen an den »Donnerer' (oben S. 191) nicht immer entscheiden, 
ob es sich um römische oder griechische Vorstellungen handelt.] 



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238 



DRITTER ABSCHNITT. 



zerstört wurde. Domitian vollendete den Tempel im J. 82, wie die 
unter ihm geprägten Münzen lehren 1 ). Derselbe Kaiser hatte noch 
eine besondre Veranlassung dem Capitolinischen Jupiter zu huldigen , 
da er bei jenem Sturme der Vitellianer auf dem Capitoie gewesen 
und kaum gerettet worden war; daher er noch unter der Regierung 
seines Vaters auf dem Platze der Küsterwohnung, wo er sich ver- 
steckt hatte, eine Capelle des Iup. Conservator mit einem Altare 
stiftete, dessen Reliefs die Geschichte seiner Rettung bildlich klar- 
stellten, später aber als Kaiser dem Iup. Gustos einen grofsen und 
mächtigen Tempel erbaute und sich selbst in demselben als Schützling 
des Gottes darstellte 2 ). Ueberdies stiftete Domitian neue Capito- 
1 in i sehe Spiele, deren bei den Schriftstellern und Dichtern der 
«13 Zeit nicht selten gedacht wird 8 ). Sie bestanden nach griechischer 



*) Kok hei D. N. VI p. 377 and Pinder in den Abb. d. Berl. Akad. 1855 
S. 625 t. Vi, 7. Zwischen den Säulen thront in der Mitte Jupiter, während 
Juno und Minerva zur L. und zur B. stehen. Oben auf dem Gipfel siebt man 
die Quadriga. Ueber verschiedne Reliefs, welche Ansichten von dem Giebel- 
felde dieses Tempels geben, s. Brunn Sul frootone del tempio di Giove Capi- 
tolino, Annal. dell' Inst. 1851 p. 289 sq. Vgl. Cavedoni Bullet. Arch. 1852 
p. 157, 0. Jahn Archäol. ßeitr. S. 81. [Kühne Revue oum. Beige 5. Ser. 2 
(1870), 51. Wieseler Gött. G. A. 8. Mai 1872 1, 723 ff. Nachrichten d. k. G. 
d. VV. zn Gottingen 29. Mai 1872, 265 fl. E. Schulze Arch. Zeitung 1872 (30), 
1 ff. und mehr bei Jordan Top. 1 Abth. 2.] 

*) Tacit. Hist. III, 74, wo mir [das hs. überlieferte] aramque posuit 
casus suos in marmore expressam die richtige Lesart zu sein scheint. 
Weiterhin deuten die Worte seque in sinu Dei sacravit auf ein Tempel- 
bild. Der Iup. Conservator ist auf den M. Domitians dargestellt stans d. ful- 
men s. bastam [vgl. Eckhel VI p. 379. 393 und Cohen 1 p. 430. 432], der Iup. 
Cnstos sedens d. fulmen vel Victoriolam. Beide entsprechen dem Z. 2mtt]q 
der Griechen, s. Or. n. 1225 — 1228, Henzen n. 5619 a., besonders Or. 1228 aus 
Tuder, wo im Namen dieser Colonie und ihrer Obrigkeiten Iovi Opt. Max. 
Custodi Conservator i gedankt wird, weil er einen bösen Zauber, den ein 
servus publicus gegen die hohe Obrigkeit gerichtet hatte, vereitelt hatte. 
[Ueber den nicht seltenen Privatcultus des Juppiter conservator - custos vgl. 
oben zu S. 208.] Von dem T. des Iup. Custos auf dem Capitol glaubt mau 
gleich hinter dem Palaste der Conservatoren Trümmer gefunden zn haben. 
[Diese Annahme Canina's Indic. p. 309 ist abhängig von seiner falschen Ansicht 
über die Lage des grofsen Juppitertempels.] 

*) Das gewöhnliche Thema waren die laudes Capitolini lovis und natür- 
lich die des Domitian, s. Quintil. III, 7, 4, Sueton Domit. 4 und die Inschrift 
b. Or. n. 2603 und Mommsen L Ff, n. 5252. Auch Herodian I, 9 spricht von 
diesen Spielen. Vgl. Ritscbl Rh. Mus. N. F. I, 309 [Op. 3, 735] und Studer 
ib. II, 210 [besonders Friedländer Sitteng. 2», 464 ff. 616 ff.] 



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njprrra 



239 



Weise aus musischen, ritterlichen und gymnastischen Wettkämpfen, 
und zwar durfte bei den musischen sowohl in Poesie als in Prosa 
und sowohl in griechischer als in lateinischer Sprache concurrirt 
werden. 

So hatte sich der alte Cultus zwar noch einmal verjüngt und 
immer blieb daher Jupiter der höchste Repräsentant der Majestät 
des römischen Namens und Staates. Aber wie der Kaiser jetzt in 
diesem Staate zur Hauptsache geworden war, so war er es nun auch 
auf dem Capitol: worüber das Geistliche und das Weltliche, Adulation 
und Andacht, wie in dieser ganzen letzten Periode der römischen 
Staatsreligion, oft auf eine recht widerwärtige Weise vermengt wurde. 
Für den Kaiser wurde zu Anfang jedes neuen Jahres (S. 181) und 
an seinem Geburtstage und dem Tage seines Regierungsantritts, aber 
auch bei vielen aufserordentlichen Veranlassungen auf dem Capitole 
gebetet und geopfert 1 ), seltner freiwillig und von Herzen als unter 
dem strengen Gebote der Tyrannei und mit verstohlenen Flüchen, 
welche eben deshalb nach dem Tode des verhafsten Gewalthabers 
um so leidenschaftlicher hervorbrachen. Mit den Statuen der Kaiser 
füllte sich jetzt der Vorhof des Tempels, meist mit silbernen und 
goldnen, wie namentlich Domitian nur solche duldete, dagegen 
Trajan nur eherne 8 ). Die Kaiser verliefsen wie weiland die Con- 
suln nie ohne einen Gang aufs Capitol und feierliche Gelübde an 
Jupiter die Stadt und so war auch bei ihrer Rückkehr gewöhnlich 



*) Bei Sueton Octav. 59 verfügen einige alte Herrn sogar testamentarisch, 
dafs ihre Erben nach ihrem Tode auf dem Capitol opfern sollten, quod super- 
stitem slugustum reliquissent. Vgl. Sueton Calig. 5 von der allgemeinen Ver- 
zweiflung bei den bösen Nachrichten über die Krankheit des Germanicus: Lapi- 
data sunt templa, subversae deum arae, lares a quibutdam familiäres in 
publicum abiecli, partus coniugum expositi. Als es dann heifst, es gehe besser, 
lauft Alles aufs Capitol, passim cum luminibus et victimis in CapitoHum con- 
cursum est ac paene reversae templi fores, ne quid gestientes vota reddere 
movarentur. Vgl. Soetou Tib. 53 und von den unablässigen Opfern unter 
Domitian, quum saevissimi domini atrocissima efßgies tanto victtmarum cruore 
coleretur, quantum ipse humani sanguinis profundebat, Plin. Panegyr. 52, aus 
späterer Zeit Flav. Vop. Prob. 12. 

2 ) Sueton Domit. 13, Plin. 1. c. 52. Die silbernen Statuen waren den 
Körnern zuerst durch den Triumph des Pompejus bekaunt und unter Augustus 
schon zu einem gewöhnlichen Mittel der Adulation 'geworden, Plin. H. IN. XXXIII, 
151. Dem Kaiser Claudius, dem Besieger der Gothen, wurde sogar eine goldne 
statua equestris, 10 F. hoch, vor dem grofsen Tempel errichtet, Oros. Hist. 
VII, 23, Trebell. Poll. Claud. 3. 



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DRITTER ABSCHMTT. 



tu ihr erster Gang dabin gerichtet und erst der zweite in die kaiser- 
liche Pfalz auf dem Palatin 1 ). So war natürlich auch der Triumph 
jetzt ein kaiserliches Monopol, von welchem August vor lauter Ehren 
zuletzt gar nicht einmal Gebrauch machte 3 ), bis später Trajan und 
andre Kaiser auch diese alte Verherrlichung des Capitolinischen 
Reichsgottes wieder zu Ehren brachten und seinen Tempel hei 
solchen Gelegenheiten mit kostbaren Geschenken überhäuften. Bei 
Trajan, welcher nicht den Schwur bei seinem Genius, sondern nur 
den beim numen Iovis 0. M. duldete, wollten seine Verehrer auch 
darin eine besondre Fügung erkennen, dafs Nerva seine Adoption 
zuerst auf dem Capitol. im Angesichte des höchsten Gottes, feierlich 
ausgerufen, dann dem Senate und ihm selbst angezeigt hatte*). In 
demselben Sinne einer Anerkennung des Capitolinischen Jupiters als 
des höchsten Reichsgottes handelten auch Aurelian und Diocletian, 
welcher letztere durch geflissentliche Verehrung dieses Jupiter, dessen 
Stellvertreter auf Erden der Kaiser war, die schon in der Auflösung 
begriffene römische Staatsreligion sogar noch einmal zu stützen ver- 
suchte 4 ), wie Jupiter denn auch sonst in diesen letzten Zeiten vor- 
zugsweise als Praeses Orbis, Pacator Orbis, Propugnator, Tutator, 
Sponsor Saeculi Augusti verehrt wurde, immer mit specieller Be- 
ziehung auf den Kaiser. Dazwischen wird er in dem Gewirr so 
vieler verschiedner Götter und Götterculte nun auch wohl als der 
summus excellentissimus und summus exsuperantissimus, wie sich 
die schwülstige Sprache der Zeit ausdrückte 5 ), gefeiert. Sonst treten, 



*) Vgl. Herodian II, 14, 2, III, 8, 4, Lamprid. Alex. Sev. 57, Treb. Pollio 
Gallien. 8, wo der Zog auf» Capitol besonders feierlich ist. Die Stände 
voran, das ganze Volk, die Frauen mit Lichtern und Fackeln, unendlich 
viele und reich geschmückte Opfer, 100 weifse Ochaen mit vergoldeten Hör- 
nern u. s. w. 

') Mon. Ancyr. 1, 22 [cumque plu]ris triumphos mihi sen[atus decrevisset, 
iis su)persedi [et tantum laurjus deposui in Capüo[Uo votis quae q]uoque hello 
rmncu[param reddt]tis, s. Zumpt p. 45 [Mommsen p. 10]. Eben so Domitian 
Sueton 6, vgl. Nero 13. Die Feldherrn muteten sich mit den Insignien des 
Triumphs begnügen, welche sogar bald zur gewöhnlichen Decoration wurden. 

«) Plin. Panegyr. 1. 8, Dio LXVIll, 3. 

<) A. Vogel der Kaiser Diocletian, Gotha 1857 S. 23 ff. Daher nannte 
Diocletian sich Iovius, auch sind seine Münzen voll von Beziehungen auf diesen 
Cultus, In Eckhel D. Y VIII p. 49. In Rom stiftete er einen Campus Iovis und 
ein Nympheum Iovis, s. m. Regionen S. 136. 169. lieber Aurelian vgl. Flav. 
Vopisc. 29. 33. 

») Or. n. 1267-1269, Mommsen I. IV. n. 1068. 3581 [C. I. L. 6, 426 = 



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I UPI TER. 



241 



wie bemerkt, in diesen sinkenden Zeiten am meisten die Culte des 215 
Iup. Depulsor und Salutaris hervor, und die Culte der Vermengung 
der römischen Begriffe mit den orientalischen, z. B. im Dienste des 
E. 0. M. Heliopolitanus, Damascenus, Dolichenus u. s. w., oder auch 
denen der celtischen und germanischen Völker des Nordens, deren 
verwandte Götterdienste nun gleichfalls auf diese Weise übersetzt 
wurden. So namentlich die auf den hohen Bergen der nördlichen 
Grenze verehrten Götter, welche zugleich als schützende Mächte 
der Wandrer, die diese Strafsen zogen, angerufen wurden, z. B. 
I. 0. M. Poeninus, dessen Silz der grofse S. Bernhard war, und 
ein I. 0. M. Culminalis in der Steiermark, neben welchem sogar 
die Wege und die Stege göttlich verehrt wurden [vielleicht auch ein 
italischer Cacunus] 1 ). 

Zu dieser Verschmelzung hat der Umstand nicht wenig bei- 
getragen, dafs nicht blos die ausländischen Culte in Rom zugelassen, 
sondern auch das römische Capitol mit seinen Göttern vielfach in 
Italien und in den Provinzen nachgeahmt wurde, vermuthlich zuerst 
in Italien, wo man sich in den städtischen Einrichtungen und Be- 
nennungen immer gerne nach der Hauptstadt richtete 2 ). Anderswo 

Or. 1268]. Bei Or. n. 1269 [= C. I. L. 3, 1090] heißt es: Iovi 0. M. summo 
exsuperantissimo, divinarum humanarumque reruvi rectori fa - 
torumque arbitro, vgl. die Iuschr. b. Hcn/.en n. 5609 [= 5, 4296] uud die 
Gebetsforineln b. Vogel a. a. 0. S. 90. 

») Or. n. 228 Jf., Uenzen 5642 [C. I. L. 5, 6866 ff.], vgl. J. Grimm D. M. 
154 and die Jbb. d. V. der A. F. im Rhein l XI S. 1 7 II*. Daneben gab es aber 
auch einen 1. 0. M. Apenninus, s. Or. n. 1220, Henzen 5613, vielleicht der- 
selbe welchem Aurelian in seinem Tempel des Sounengottes Apenniuis sor- 
tibus additis unter dem Namen C 0 u s u 1 oder Consuleus ein Bild stiftete, 
Flav. Vopisc. Firm. 3. Votivsteine des Iup. 0. M. Culminalis [C. I. L. 3, 
4032. 51S6, Eph. ep. 2 p. 441, 967 oder Culminaris C. I L. 3, 3328, Eph. a. 0. 
p. 361. 595] und I. 0. M. et viis semitibusque b. Mommsen in den Monats- 
ber. d. Ak. d. W. zu Berlin 1857 S. 454 [a. 0. 5524. Vgl. auch Jbb. d. V. der 
A. F. im Rheinl. XXIX S. 264. [C. I. L. 6, 371: Iovi* (Nom.?) Cacunus (auf 
einer ßronzeplatte). Or. 1209: [I\ovi Cacuno (,in inoute Morctta in Sabinis 
extat'); vgl. ca-cü-menl] 

2 ) Namentlich scheint es in Benevent ziemlich früh ein Capitolium mit 
dem Culte der drei Götter gegeben zu haben, s. Sueton d. illustr. Gramm. 9, 
vgl. die Inschr. bei Mommsen I. N. n. 1377 — 13S3, wo aufser dem Iup. 0. IL 
auch ein Iup. Tutator und Iup. Tonans erwähnt wird, auch Iuno Regina. Ein 
Capitolium in Maruvium s. b. Mommsen I. N. n. 3301, zu Histonum ib. 5242 
Capitolium Fabius Maximus instauravit. Das zu Capua weihte Tiberius ein, 
Sueton Tiber. 40, Calig. 57. Andre Capitolc sind bekannt aus Florenz, Ra- 
P reiler, Röm. Mythol. L 3. Aufl. 16 



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kam die Huldigung gegen Rom hinzu, z. B. in Antiochien, wo 
Antiochus Epiphanes, nachdem er lange als Geifsel in Rom gelebt 
hatte, einen prächtigen Cultus des Capitoiinischen Jupiter einrieb - 
tu tete 1 ). Vollends unter den Kaisern verbreiteten sich diese Filial- 
culte des römischen Capitols über das ganze Reich und slmmtliebe 
Hauptstädte, daher der Name des Capitols immer mehr zu einem 
Symbol der römischen Staatsreligion wurde und in diesem Sinne 
namentlich in den Legenden der christlichen Märtyrer oft erwähnt 
wird. Beispiele lassen sich sowohl in den westlichen Provinzen nach- 
weisen, in Afrika, wo auch das neu erstandne Karthago sein Capitol 
hatte, Spanien, Gallien und Germanien, als in Kleinasien, am kim- 

der Stelle des Salomonischen Tempels einen T. des Capitoiinischen 
Jupiter erbauen liefs, nachdem sich die Juden schon früher, seit 
Vespasian und Titus, zu einer jährlichen Abgabe an den römischen 
Jupiter hatten verstehen müssen*); endlich in Constantinopel, wo 
nachmals eine Art von Akademie auf dem Capitole bestand. Da diese 
Tempel gewöblich auf den höchsten Punkten der Stadt errichtet 
wurden, wo sich die übrigen Schutzgötter des lindes oder des 
Reiches anschlössen, so ist es kein Wunder, dafe der Capitolinische 
Jupiter zuletzt zum Repräsentanten des Heidenthums überhaupt wurde. 
War doch auch das römische Capitolium immer mehr zu einem 
Pandämonium aller mächtigeren Götter des heidnischen Glaubens 
geworden *). 

venna , hin und wieder in Spanien, in Toulouse, Narbonne, N ismes, Besancon, 
Rheims, Köln, Augsburg d. a. Vgl. Braun, die Capitole, Bonn 1849. [S. jetzt 
besonders Castan, Le Capitole de Vesontio et les Capitols provinciaux du 
munde Romain (Mem. Ins a la Sorbonne P. 1869 S. 47 ff.); vgl. Saglio Art. 
Capitolium im Dict. des antiquites (1879). — In der col. Julia Genetiva Ur- 
sooensis finden ludi Jovi Iunoni Minervae statt (Lex col. G. 70. 71). — Daher 
die zahlreichen privaten und öffentlichen Widmungen Jovi o. m. Capitolino in 
allen Tbeilen des römischen Reichs, die leicht aus dem C. I. L. zusammen- 
gestellt werden können. — Der Gegenstand bedarf erneuerter monographischer 
Behandlung.] 

i) Liv. XLI, 20, vgl. 0. Müller Quaest. Antiochen. 1 p. 55 u. C. Grani 
Liciniani fr. ed. Pertz p. 40 [p. 9 ed. Bonn.], nach welchem Epiphanes zwei 
eherne Colosse von 12 Ellen Höhe errichtete, unum Olympio alterum Capi- 
tolino Jovi. 

») Dio LXVI, 7. LX1X, 12. 

•) Tertull. d. Spectac. 12 Capitolium omnium daemonum templum. Serv. 
V. A. H, 319 in CapitoUo omnium deorum simulacra colebantur. Vgl. Vitra v. 
I, 7, Arnob. 1, 34, IV, 16, V, 9, Lactant. I, 11, 39. 



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SIMMANUS. 



243 



Selbst nach dem Siege des Ghristenthums scheint das römische 
Capitol, wenigstens der grofse Tempel in der Wiederherstellung des 
Domitian sich noch ziemlich lange erhalten zu haben. Stilicho be- 
raubte ihn der goldnen Platten seiner Thüren, Genserich der einen 
Hälfte seiner vergoldeten Bronzeziegel, der Papst Honorius der andern. 
Noch bis ins 9. Jahrh. ist von dem templum Iovis die Rede, aber 
schon verräth die geschäftige Legende, welche sich der Trümmer 
des alten Roms bemächtigte und in den sogenannten Mirabilien der 
Stadt zu einer festen Gestalt gediehen ist, eine eben so grofse Zer- 
störung als plötzliche Unwissenheit, bis in den Stürmen des Mittel- 
alters, nachdem die römischen Barone die alten Gebäude zu Burgen 
umgeschaffen hatten, auch die letzten Reste der örtlichen Tradition 
und vieler Ruinen verloren gingen. 

Anhang. 817 

Ich stelle hier eine Anzahl von Nebenfiguren und eigen thüm- 
lichen Formen des römischen Jupiterdienstes zusammen, welche 
gröfstentheils das Interesse eines hohen italischen Alterthums für 
sich haben und gewisse, dem römischen Jupiter mit der Zeit ver- 
loren gegangene Eigenthümlichkeiten in einer abgesonderten Ent- 
wicklung zeigen. So gehört dahin zunächst 

a. Summanus 

ein Gott des nächtlichen Himmels, den Varro L L V, 74 unter den 
sabinischen Göttern des T. Tatius nennt. Auch auf dem Capitole 
wurde er verehrt, sowohl in einer eignen Capelle als in einem Bilde 
von Thon, welches auf dem Giebel des grofsen Tempels stand und 
gelegentlich so hart von einem Wetterstrahle getrofTen ward, dafs 
man den Kopf im Bette des Tiber wiederfand 1 ). Das geschah zur 
Zeit des Pyrrhus (278 v. Chr.) und es scheint dafs ihm damals zur 
Sühne ein eigner Tempel beim Circus Maximus gestiftet wurde, wo 
man ihm jährlich am 20. Juni ein Opfer brachte*). Auch wurden 



») Cic. de Div. I, 10, Liv. Kpit. XIV, Plin. XXIX, 57. [Doch irrt P. wohl: 
die von IM i ii ins erwähnte aedes ist der Tempel am Circus. Ueber den Sum- 
manus in fasligio Iovis o. m. der Stelle des Cicero (Iovis Signum irrig Liv. 
Ep.) s. Wieseler G. G. Anz. 8. Mai 1872, 1, 723 ff. and Jordan Top. 1 Abth. 2]. 

») Ovid F. VI, 725, Kai Amitern. Esquil. Venus. Vgl. Liv. XXXII, 29 
unter den Prodigien des J. 197 v. Chr. quod aedes Fulcani Summanique de 
caelo taäa erant. 

16* 



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244 



DRITTER ABSCHMTT. 



eigne Opferkuchen für ihn in der Form eines Hades gebacken, 
welches Symbol sich wahrscheinlich auf den Wagen des Donner- 
gottes beziehen sollte Die gewöhnliche Veranlassung seines Cultus 
waren nehmlich nächtliche Gewitter, welche wegen der gröfseren 
Kälte der Nacht seltner sind als die am Tage und deshalb um so 
sorgfältiger beobachtet wurden. Man unterschied deshalb zwischen 
dem fulgur dium oder diurnum und dem fulgur noclurnum, indem 
man jene dem gewöhnlichen Jupiter, diese dem Summanus zuschrieb, 
in streitigen Fällen aber, wenn man nicht gewifs wufste ob es noch 
Nacht oder schon Tag gewesen sei (noctu an interdiu sit factum), 
beiden Göttern opferte 2 ) Ein Beispiel geben die Acta fr. Arv. t. XLIII 
[Uenzen Acta arv. p. 146], wo das Gewitter, durch welches der Hain 
der Dea Dia beschädigt wurde, in diese Zeit der Dämmerung gefallen 
sein mufs, denn es wird bei der Sühnung sowohl dem Jupiter als 
ai8 dem Summanus Pater geopfert, diesem mit zwei schwarzen, jenem 
mit zwei weiften Widdern 8 ). Ein Beispiel von einem nächtlichen 
Blitze dagegen, welche wie die des Tages begraben wurden (S. 193), 
giebt die von Marini p. 687 angeführte Inschrift: Fulgur Sum(manum) 
conditum. Der Name bedeutet eigentlich einen Gott der Nacht vor 
dem Tage, wobei zu bedenken ist daft die Römer den Tag von 
Mitternacht an rechneten, denn Summanus ist Submanus und 
dieses ist in der Bedeutung zu nehmen wie in den Wörtern mane, 
Manius, Matuta, in welchem Sinne auch einige alte Glossen er- 
klären 4 ). Doch blieb der vorherrschende Begriff der eines Gottes 
der dunkeln Nacht, daher Plautus, der den Summanus auch Bacchid. 
IV, 8, 54 [895] nennt, diesen Gott parodirend einen Gott der Diebe 
nennt und von seinem Namen das Zeitwort summanare in der 



») Fest. p. 348 Sumraaualia. Vgl. Hesych. v. Uaolßnovr« — Intl doxtT 
(>Xnp« *ow dtbg q ßQonri th>ai. Grimm D. M. 151. 

») Fest p. 229 provorsum fulgur, Paul. p. 75 dium fulgur, Piin. H. N. 
II, 138. 

») Vgl. die loscbr. b. Or. n. 1216 [— C. I. L. 5, 5660] V. S. L. M. /ort 
Alto Su m mann d. i. AUitonanti et Summano [vgl. Iovi Summan(o) das. 3256]. 

*) [Vgl. die kürzlich gefundene I. (Rom: Fiorelli. Notizie 1880, 465) Sum- 
manium (so) fulgur conditum. Beispiele für fulgur dium häufiger: Marquardt 
Staatsverw. 3, 252.] Gloss. Labb. p. 105 xeottwoßoliov npiQivov, ftügurium 
1. fulgur dium, xtouwoßoliov ano notol vuxrtotvov, fulgur submanum. Wenn 
dieselben Glossen p. 179 den Summanus durch rTooptj&ive erklärten, so dachten 
sie ihn als nachtlichen Lichtgott. 



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DIESPITER. 



245 



Bedeutung von stehlen bildet, Curcul. III, 43 [413 ff. 543], wie die 
Göttin Laverna, wahrscheinlich eine Nebenform der Lara und Mater 
Lamm, also eine Göttin der dunklen Unterwelt, als solche zugleich 
für eine Schutzgöttin der Diebe galt. Ganz verfehlt ist die Erklärung 
der späteren Zeit, welche den Zusammenhang des Cultus nicht mehr 
kannte und deshalb den Summanus für einen Summus Manium nahm, 
also mit dem Pluto oder Dis Pater identificirte 1 ). 

b. Diespiier und das Institut der Fetialen. 

In wie hohem Grade die Idee des Rechtes und der Gewissen- 
haftigkeit zum Wesen des alten italischen Jupiter, des himmlischen 
Lichtgottes gehörte, erkennt man am besten aus den Gebräuchen 
und Gebeten der Fetialen, welche vorzugsweise die Diener dieses 
Gottes waren und ihn in den noch vorhandnen Gebetsformeln ge- 
wöhnlich als Diespiter anrufen d. h. als den Gott der lichten Tages- 
klarheit, als Lucetius (S. 188 f.). Bedenken wir, dafs dieses Institut 
ein allgemein italisches war (denn es findet sich auch bei den Aequern, 
den Ardeaten, den Latinern, den Samniten) und dafs es in Rom 
nach der gewöhnlichen Tradition durch Numa oder Ancus Marcius, 
die Könige sabinischer Abkunft, eingeführt wurde, so werden wir 
auch diese Ueberlieferungen zur Vervollständigung des Begriffs von ai9 
göttlicher Reinheit und Heiligkeit benutzen dürfen, den wir in den 
älteren römischen Ueberlieferungen des Jupitercultus schon früher 
nachgewiesen haben. 

So sind gleich die Symbole der Fetialen jenem ältesten Jupiter- 
cultus und einer Zeit entlehnt, wo dieser Gott noch nicht in dem 
grofsen Tempel der Tarquinier und im menschlich gestalteten Bilde, 
sondern als geistig allgegenwärtiges Wesen und nur unter andeu- 
tenden Symbolen verehrt wurde. Zunächst gehören dahin die s. g. 
sagmina oder verbenae, ein Büschel geweihten Grases, welches die 
Fetialen bei ihren Sendungen von dem Könige oder dem Consul mit- 
bekamen und wodurch sie selbst und ihre amtlichen Handlungen 
geweiht wurden. Dieses Gras wurde ex Arce genommen, worunter 
im genaueren Sprachgebrauche immer der Gipfel des Capitolinischen 
Hügels zu verstehen ist, wo die Augurn seit T. Tatius und Numa 
ihren geweihten Sitz hatten (S. 124); und zwar wurde das Gras auf 
dieser Stelle mit der Wurzel und der daran hängenden Erde aus- 

») Arnob. V, 37, Martian Cap. II, 161, vgl. Aagnstio C. D. IV, 23. 

\ 



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246 



DRITTER ABSCHNITT 



gehoben 1 ): ein Gebrauch, welcher sich bei verschiednen Völkern in 
analogen Gebräuchen des höheren Alterthums wiederfindet, immer 
in dem Sinne dafs die mit dem Grase ausgehobene Scholle stell- 
vertretend den ganzen Grund und Boden, aus welchem sie aus- 
gehoben worden, bedeuten soll. Mithin wird auch hier jenes geweihte 
Büschel, welches die Fetialen durch einen eignen Verbenarius wie 
eine heilige Bürgschaft des Friedens vor sich hertragen liefsen und 
durch dessen Berührung vor jeder amtlichen Handlung der dazu 
bevollmächtigte paler patratus geweiht wurde, für eine Stellvertretung 
eben jener Gapitolinischen Arx anzusehen sein, in welcher sowohl 
die Beobachtungen und Umzüge der Augurn als andre Gebräuche 
eine alte Stätte des sabinischen Jupiterdienstes und der Einweihung 
aller amtlichen Handlungen erkennen lassen. Ferner gehörte zu 
diesen Symbolen der Fetialen ein heiliger Kiesel, den man Iupiter 
Lapis nannte, und ein altes sceplrum lovis, welche Heiliglhümer 
220 gewöhnlich in dem T. des Iupiter Feretrius aufoewahrt und, wenn 
die Fetialen zu einer ihrer völkerrechtlichen Functionen, namentlich 
zur Abschliefsung eines Bündnisses über Land zogen, ihnen aus dem- 
selben verabfolgt wurden 5 ). Von dem Scepter, welches als hasta 
pura zu denken ist, weifs auch Servius V. A. XII, 206, nach welchem 
es die Schwörenden in die Hand nahmen, wie auch bei den alten 
Griechen die Könige und ihre Stellvertreter die Herolde nie ohne 
einen solchen amtlichen Stab auftraten und die Atriden ihr Skeptron 
d. h. das Symbol ihrer königlichen und ritterlichen Amtsgewalt gleich- 
falls unmittelbar vom Zeus ableiteten. Dahingegen jener Kiesel schon 
wegen der Benennung Iupiter Lapis für mehr als ein gewöhnliches 
Symbol genommen werden mufs. Höchst wahrscheinlich war es ein 



! ) PI in. H. N. XXII, 5 utroque nomine (sagmina und verbenae) idem 
significatur h. e. gramen ex Arce cum sua terra e vuls um, ac Semper 
e legatis, cum ad hostet clarigatumque mitterentur i. e. res raptas clare repe- 
titum, unus utique verbenarius vocabatur. Fest. p. 321. Sagmina vocantur 
verbenae i. e. herbae purae, quia ex loco sanclo Arcis dantur {arce- 
bantur die Hs., carpebantur Mcrcklio) a consule praetoreve legatis proficis- 
ceniibus ad foedus faciendum bellumque indicendum, vel a sanciendo i. e. con- 
ßrmando. Mebr Stelleo bei Marquardt IV, 385. 390 [Staatsverw. 3, 403]. 

s ) Paul. p. 92 Feretrius Iupiter — , ex cuius templo sumebant sceptrum f 
per quod iurarent, et lapidem silicem, quo foedus ferirent. Da Anrus Marcius 
den T. des Jup. Feretrius erweitert (S. 199) und das ins fetiale in Rom ein- 
geführt haben soll (Liv. I, 32 [Marquardt a. 0. S. 407 ff.]), so mögen jene Heilig- 
thümer durch ihn dort niedergelegt worden sein. 

I 



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247 



s. g. Donnerstein, welcher als FL ins (silex) des Donar, als Miölnir 
des Thor auch in der deutschen und nordischen Mythologie so oft 
genannt wird 1 ) und hier wie in den Gebräuchen der Fetialen als 
Symbol des niederfahrenden Donnerkeils speciell die rächende Straf- 
gewalt des himmlischen Gottes ausdrückt. 

Die einzelnen amtlichen Handlungen der Fetialen, welche hier 
noch zur Sprache kommen mögen, sind ihre Eidesleistungen, der 
Ritus mit welchem sie ihre Bündnisse abschlössen, und endlich ihre 
Genuglhuungsforderungen und die Ankündigung des s. g. bellum 
pium. Bei allen wird sich zeigen, dafs Jupiter oder in ihrer Sprache 
Miespiter die unsichtbare göttliche Macht ist, in deren Dienst und 
Auftrag sie wie Priester handelten, Jupiter als Gott des höchsten 
Rechtes und eben deshalb auch des Krieges und des Sieges, wenn 
das Recht nicht anders als durch die Gewalt der Waffen zu erlangen 
ist. Bei einigen dieser Handlungen wurde neben ihm wie sonst in 
dem ältesten Gottesdienste auch Mars und Quirinus angerufen (S. 64). 
Aber immer ist Diespiter der höchste Schutzpatron der Fetialen und 
ihrer amtlichen Handlungen. 

Vorzüglich erscheint Jupiter dabei als Schwurgott, wie er m 
denn bei den Römern überhaupt der älteste und heiligste Schwur- 
gott war, wieder als Lucetius, in welchem, wie wir oben sahen 
(S. 188 f.), sich die Eigenschaft des allgegenwärtigen Lichtgottes, der 
in dem Schwur beim Dius Fidius deutlich zu erkennen ist, mit der 
des strafenden Blitzschleuderers, den wir beim Jupiter Lapis vor- 
aussetzen mufsten, auch sonst verbindet Der letzlere ist es welcher 
als höchster Gott aller Treue zugleich alle Untreue mit seinem Blitze 
rächt, daher er bei Eidschwüren gewöhnlich dann geroeint ist, wenn 
mit der eidlichen Versicherung der laulern Treue beim Namen des 
höchsten Gottes (der precatio) die Selbstverfluchung für den Fall 
einer Untreue (die exsecratio) verbunden wurde*). Daher auch die 



») J. Grimm D. M. 163. 1171. [A. Kuhn die Herabkanft des Feuers S.226.] 
Ist in späterer Zeit von mehreren Kiesein der Art die Rede, die für ver- 
schiedne gleichzeitige Sendungen der Fetialen bereit liegen (Liv. XXX, 43), 
so kann das eben nur eine Aushülfe der späteren Praxis gewesen sein [Mar- 
quardt a. 0. 407 f.]. 

») Virg. Aen. XII, 200 audiat haec genitor, qui foedtra /ulmine 
sanxit. Vgl die Erzählung bei Pausan. V, 24, 9 von dem Z. oqx,o S im 
Rathsbause zu Olympia, bei dem die Kämpfer über den Stücken eines geopfer- 
ten Schweins schwuren, dafs sie die Gesetze des Olympischen Kampfspiels in 
keiner Weise verletzen wollten: 6 dl tv t$ ßovUvri\^ ntrttov dnoott 



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248 DRITTER ABSCHNITT. 

Fetialen gewifs diesen Jupiter meinten, wenn sie bei ihren Eiden, 
die sie im Namen des römischen Staates zu schwören hatten, den 
Jupiter Lapis in die Hand nahmen und zu dem Eide selbst zuletzt 
die leider nicht in ihrer ursprünglichen Fassung überlieferten Worte 
hinzusetzten: „So ich die Wahrheit sage, möge mir Gott helfen. So 
ich aber nicht mit lautrer Treue geschworen habe, so soll mich 
Diespiter ohne allen Machtheil für Stadt und Burg, wie ich hier 
diesen Stein von mir schleudre, aus meiner Heimath und allem Hab 
und Gut nach menschlichem und nach göttlichem Rechte heraus- 
schleudern", nach welchen Worten er den heiligen Kiesel von sich 
schleuderte 1 ), der dabei gewifs nicht die passive Bedeutung jedes 
beliebigen Kiesels, sondern die active eines vom göttlichen Geiste 
beseelten Donnerkeils hatte. Es war dieses der älteste und heiligste 
Eid, von dem die Römer wufsten; auch wurde er in späterer Zeit, 
wie es scheint, selbst im privaten Rechts verkehre angewendet, 
natürlich ohne den begleitenden Ritus, zu welchem der heilige 
Kiesel aus dem T. des Jup. Feretrius erforderlich war'). Ja der 
222 Eid überhaupt galt in so eminentem Sinne für eine Sache des Jupiter, 
dafs Ennius selbst das Wort ius- oder iousiurandum durch Iovis 
itirandum erklärte. 

Auch bei Abschlielsung von Bündnissen und dem dabei gebräuch- 
lichen Opfer eines männlichen Schweins (porcus), wie uns die Münzen 
der italischen Bundesgenossen ein solches Opfer oft vergegenwär- 

ayal/suta Jiog fidliaia |f exnlijbv aSixtov uvS^wv ntnoCriiaf l7t(xlt]ats 
f/iv ttyxioc forty ttvrtp, <W tv ixartQ« xtQuvrbv X il Q l - 

l ) Paul. p. 115 Lapidem silicem, wo ja nicht mit Müller bei Dispiter 
oder Diespiter an den Jap. infernus zn denken ist. Ausführlicher giebt 
IV. Mi. III, 26 die Formel, aber auch er nicht vollständig. Vgl. Daax der 
sacrale Schatz im röm. Rechtsverkehr, Jena 1 S5T S. 13 ff. 

») Gell. N. A. I, 21 fovem lapidem, quod sanetissimum iusiurandum est 
habitum, paratus ego iurare sunt. Vgl. Cic. ad. Famil. VII, 12, Apulei. de 
Deo Sacr. p. 131 Oodend. [c. 5 p. 10 Goldb.j. Auch die Art wie Horat. Od. 
1IT, 2, 29 den Namen Diespiter gebraucht: Suppe Diespiter neg leclus in- 
cesto addidit integrum ist wohl aus dieser alten Kechtspraxis der Fetialen zu 
erklären. [Doch mag hier wie bei Plaut. Capt. 909 die Gestalt des Diespiter 
mit Juppiter zusammenfließen. Auf der von Garrucci richtig gedeuteten Zeich- 
nung der pränestinischen Ciste Moo. delP inst 6 T. LIV (vgl. C. I. L. 1, 1500 
Jordan Krit. Beitrage 60 ff.) ist Diesptr vollends nur Vertreter des Zeus. — 
Inschriften fehlen, uoecht doch wohl die ungedruekte (Vatic., Gal. lapid., ab- 
gesehr. von Jordan 1880), d. m. \ Prastinae Frontonis \ scribae aedil. (so) 
Diespitris (ohne Diespitris — Grut. 326, 11). — Ueber die Symbolik des Steins 
Marquardt a. 0. 408, 1 u. Overbeck Berichte d. sächs. G. d. W. 1864, 142 ff.) 



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tigen, gebrauchten die Fetialen den Jupiter Lapis in gleicher Bedeu - 
tung. Es wurde bei solchen Gelegenheiten, wie das Beispiel des 
Bündnisses zwischen Rom und Alba Longa bei Liv. I, 24 lehrt, zuerst 
die Bumlesformel vorgelesen und darauf von dem bevollmächtigten 
Fetial, dem s. g. pater patratus diese feierlichen Worte (precatio, 
carmen) gesprochen: „Höre Jupiter, höre Du Bevollmächtigter der 
Gemeinde von Alba, höre Du Gemeinde von Alba. Wie jene Punkte 
deutlich von Anfang zu Ende von der Tafel abgelesen sind ohne böse 
List und wie sie heute hier im rechten Sinne verstanden worden 
sind, von denen wird das Römische Volk gewifs nicht abfallen. 
Sollte es zuerst von ihnen abfallen nach gemeinem Beschlüsse und 
mit böser List, dann treffe Du Diespiter das Römische Volk, so wie 
ich hier heute dieses Schwein treffen werde, und triff es um so viel 
stärker wie Du selbst viel stärker bist und mächtiger". Nach welchen 
Worten er das Schwein mit eben jenem Kiesel traf, welcher den 
Jupiter Lapis vorstellte, also auch hier speciell seine strafende 
Gerechtigkeit bedeutete 1 ). 

Und so ist auch bei der clarigatio d. h. ubi res repetuntur 
Jupiter der höchste Schirmherr des römischen Staates und der 
Fetialen, die in seinem Namen handeln. Der Fetial betrat, wie 
Liv. I, 32 berichtet, die Grenze des Staates, von dem Genugthuung 
gefordert wurde, mit den Worten : „Höre Jupiter, hört es ihr Grenz- 
götter [*)], höre es Du heiliger Götterspruch des Rechts (fas). Ich 
bin der Bote des römischen Volks, komme in gerechter und guter 
Sache und meine Worte verdienen allen Glauben". Darauf wurde 
die Forderung ausgesprochen und dazu wieder Jupiter als Zeuge 223 
angerufen: „Wenn ich gegen Recht und Gewissen fordre dafs diese 
Personen und diese Gegenstande mir dem Boten des römischen 
Volkes ausgeliefert werden sollen, so lasse mich niemals wieder in 
mein Vaterland zurückkehren" 3 ). Dieselbe Formel und dieselbe Be- 
schwörung wiederholte er mit geringen Abänderungen wenn er über 
die Grenze ging, wenn er zuerst einem Bürger der feindlichen Ge- 
meinde begegnete, wenn er in das Thor der Stadt eintrat und wenn 

") Vgl. Liv. IX, 5. Einige wollten sogar den Beinamen des lup. Fere- 
trius, bei dem jenes Symbol der Strafgewalt aufbewahrt wurde, a feriendis 
hostibus erklären, Prop. IV, 10, 46. 

[«) Audi fupiter, audite fines. Vgl. Rudorff Schriften d. rbm. Feldm. 
2, 241 f.] 

•) Vgl. Dionys. H. II, 72, nach welchem der Fetial für den Fall der Un- 
treue sowohl sich als seinen Staat mit den stärksten Flüchen verfluchte. 



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250 



DRITTER ABSCHNITT. 



er auf ihrem Markte angekommen war. Waren die geforderten 
Gegenstande oder Personen in 33 Tagen, dieses war die gewöhnliche 
Frist, nicht ausgeliefert worden, so kündigte er den Krieg mit diesen 
Worten an: „Höre Jupiter und Du Janus Quirinus (S. 54) und alle 
ihr Götter des Himmels und der Erde und der Unterwelt ich rufe 
euch an zu Zeugen, dafs dieses Volk ungerecht ist und nicht am 
Rechte hält. Wie wir aber zu unserm Rechte gelangen sollen, dar- 
über wollen wir daheim die Aeltesten der Stadt berathen lassen". 
Darauf kehrte der Felial nach Rom zurück, wo nun der König oder 
der Consul die Sache dem Senate vortrug, und nachdem hier be- 
schlossen war: „dafs man nun sein Recht in einem reinen und 
gerechten Kriege geltend machen müsse", ging der Fetial wieder an 
die feindliche Grenze, kündigte dort in der Gegenwart von wenigstens 
drei erwachsenen Männern förmlich und feierlich den beschlossenen 
Krieg an und schleuderte zugleich eine mit Eisen beschlagene oder 
blutige und an der Spitze versengte Lanze über die Grenze hinüber 1 ), 
worauf der Krieg selbst seinen Lauf nahm. Später wurde bekanntlich, 
als im Kriege mit Pyrrhus die feindliche Grenze nicht mehr zu er- 
reichen war, vor dem Thore der Stadt beim Tempel der Bellona ein 
kleiner Platz, den ein gefangener Soldat des Pyrrhus zu diesem 
Zwecke kaufen mufste, für ausländisches Gebiet erklärt und auf dem- 
selben ein symbolischer und so zu sagen collectiver Grenzpfeiler 
errichtet, den man die columna bellica nannte. Ueber diesen warf 
damals und überhaupt fortan bei ausländischen Kriegen der Fetial 
seine Lanze 8 ). 

224 c. Fides. 

Auch dieser Cultus ist ein Beweis von der grofsen Innigkeit 
und Feierlichkeit, mit welcher im alten Italien die Rechtsbegriffe 
erfafst wurden, in Rom seit der Ansiedelung der Sabiner und der 
Gesetzgebung Numas, denn auf diese wird sowohl die Stiftung des 
Dienstes der Fides (Varro L L V, 74) als des Terminus zurück- 

*) Bei andern Völkern wurde vor dem Kriege eine Fackel in das feind- 
liche Land geworfen, von einem eignen 7tvq({6qos , welcher gleichfalls eine 
geheiligte Person war, s. Schol. Enr. Phoeoiss. 1377 und Welcker über die 
Dariusvase in d. Arch. Ztg. 1857 S. 52. Ueber den ganzen Ritus der clari- 
gatio und Kriegsaokündigung, wodurch der Krieg erst zum bellum pium 
oder iustum wurde, s. Cic. de Off. I, 11, 36 und Varro b. Nou. Marc. p. 529 
Fetiales. 

») Serv. A. IX, 53, Ovid F. VI, 205 u. A. b. Becker Handb. 1, 607. 



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FIDES. 251 



geführt, dieser beiden Säulen alles privaten und öffen Hieben Rechts- 
verfahrens in Sachen des Eigenthums und des gegenseitigen Verkehrs. 
Was insbesondre den Begriff fides betrifft, so ist sie eigentlich das 
auf Treu und Glauben, gewöhnlich durch einen Handschlag unter- 
stützte Wort des Mannes, welches in dem älteren Rom so heilig 
gehalten wurde, dafs es so gut wie ein Eid war und in streitigen 
Fällen, wo Zeugen fehlten, nach der Versicherung auf Treu und 
Glauben entschieden zu werden pflegte 1 ); daher fides auch sehr oft 
die anerkannte Gewissenhaftigkeit eines Bürgers oder eines Staates 
selbst ist, wie in den Redensarten conferre se in fidem et clientelam 
oder in amicitiam et fidem oder in fidem et tutelam alieuius. Dafs 
dieser Begriff einen tieferen religiösen Grund hatte, beweist schon 
die Stiftung des Numa; der bestimmtere Grund ist aber auch hier 
durch den alten italischen Gult des Diespiter und des Iup. Lucetius 
gegeben: weil nehmlich Jupiter als der Gott des lichten Himmels 
zugleich selbst die höchste Treue und das höchste Gesetz aller himm- 
lischen und irdischen Verhältnisse ist 3 ), in welchem Sinne sowohl 
der terminus auf Erden als der regelmässig wiederkehrende Tag und 
Vollmond am Himmel für sein Werk gehalten und letzterer sogar 
lovis fiducia, seine Bürgschaft (S. 156, 2) genannt wurde. Scheint 
doch selbst der Name der Fetialen, dieser geheiligten Diener des 
internationalen Rechtsverkehrs, mit fides und fidus zusammenzu- 
hängen, welchem jedenfalls das Wort und der Begriff foedus aufs 225 
engste verwandt ist 8 ). In Rom gab es ein altes Heiliglhum der 
Fides publica oder der Fides Populi Romani, weiches sogar älter 

*) Dionys II, 75, Plut. Numa 16. Vgl. Cic. de Off. I, 7, 23 fundamentum 
iuttitiae fides i. e. dictorum conventorumque constantia et veritas. Partit. 22 
extr. iustitia in rebus creditis fides nominatur. Terent. Andr. J, 5, 55 te oro 
per tuam fidem. Ad. III, 4, 87 civium antiqua virtute et fide. Cic. de Fin. 
II, 20 Regulas sua voluntate, nulla vi coactus propter fidem quam dederat hosti 
ex patria Karthaginem revertU. [Ennins Abd. 342 ille vir haud magna cum 
re sed plenu' fidei. Grabschr. Eph. epigr. 4, 297 0. 861 pudentis hominis, frugi, 
cum magna fide u. a. m.] 

*) Vgl. den Spruch des Freidank: Viernau doch gevelschin mac Gotis wort 
unde Hehlen tac, der im alten Rathhause zu Erfurt in einer Reihe von Bildern 
und Sprüchen aus dem Freidank von einem edlen Frauenbilde, einer Art von Fides 
gesprochen ward. P. Cassel das alte Erf. Rathhaus u. s. Bilder, Rrf. 1857 S. 43. 

•) Varro 1. 1. V, 86 Fetiales quod fidei publica e inter popubs praeerant, 
nam per hos fiebat ut iustum coneiperetur bellum et inde desilum ut f oeder e 
fides pacis constüueretur. — Per hos etiam nunc fit foedus, quod fidus 
Ennius scribit dictum. [Vielleicht mitfateri eines Stamms. Marquardt Verw. 3, 400.] 



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252 



DRITTER ABSCHNITT. 



war als der grofse Capitolinische Tempel, denn es war von Numa 
gegründet worden 1 ). Der später wiederholt erneuerte Tempel lag 
in der Nähe dieses grofsen Tempels, auf welchen für das Wesen 
heider Gottheiten bedeutungsvollen Umstand der alte Cato gelegentlich 
in einer Erinnerung au die römische Vorzeit hingewiesen hatte 8 ). 
In der Thal war diese Fides publica auf dem Capitole nichts weiter 
als eine Personification des guten Gewissens des römischen Staates, 
wie dasselbe sich in der treuen Aufrechterhaltung und gewissen- 
haften Beobachtung aller von ihm eingegangenen Rechtsverhältnisse 
und Bündnisse bewähren sollte und in der allen guten Zeit auch zu 
bewähren pflegte; daher der Senat sich oft in diesem Tempel ver- 
sammelte und die verbündeten Völker und Städte auch wohl in 
öffentlichen Monumenten z. B. auf ihren Münzen dieser Fides populi 
Romani die Ehre geben 3 ). Von dem Cultus dieser Capitolinischen 
Fides publica hat Liv. I, 21 die merkwürdige Nachricht bewahrt, 
dafs nach der Satzung des Numa die drei von ihm eingesetzten 
Flamines des Jupiter, Mars und Qnirinus zu diesem Gottesdienste 
in einem Wagen hinauffahren sollten, welcher mit einem gewölbten 
Schirmdache versehen war, und dafs sie beim Opfer ihre rechte 
Hand bis zu den Fingern in eine weifse Binde wickeln sollten 4 ). 
226 Jenes hatte die sinnbildliche Bedeutung, dafs die Fides nicht sorg- 



J ) Becker Uandb. 1, 403, wo aus den oben S. 234, 1 citirteo [und andern] 
Militärdiplomen die Erwähnungen der aedes Fidei Populi Romani hinzu- 
zusetzen sind. Vgl. Valer. Max. HI, 2, 17 in aedem Fidei Publica e con- 
tocati Patres. VI, G, 1 de Fide publica. [Vgl. Mommsen C. I. L. 3 p. 916 
Annali dell' Inst. 1858, S. 198 IT.] 

») Cic. de Off. III, 29 qui iusiurandum violat, is Fidem violat, quam in 
Capüolio Vietnam Iovis 0. Jf., ut in Catonis oratione est, maiores nostri esse 
voluerunt. 

s ) Roma von der ffiaitg bekränzt auf einer Münze von Locri in Italien 
[Klügmann L'effigie di Roma (Strenna festiva u. s. w. Horn 1879) S. 7 ff.]. Val. Max. 
VI, 5, 5 illam curiam mortalium quis concilium an non Fidei tempktm dixerü* 
Der alte T. der Fides in Palatio, von welchem der Grieche Agathokles bei Fest, 
p. 269 spricht, scheint ein blolses Compliment an Rom zu sein. 

*) Ad id sacrarium flamines bigis curru arcuato vehi iussit manuque ad 
digitos usque involuta rem divinam facere, significantes fidem ttitandam sedetn- 
que eius etiam in dextris sacratam esse. Vgl. Serv. V. A. I, 292. Das Wort 
tutari gilt dem Schirmdache des Wagens, s. Liv. III, 22 Volsci tuiabantur se 
vallo. Cic. N. D. II, 57 genae ab inferiore parte tutantes (oculos) subiectae. 
Tacit. A. I, 30 Hiems imbribus adeo saevis ut non egredi tentoria, via; tutari 
signa possent. 



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1 



FIDES. 253 

fällig genug behütet und beschirmt werden könne, dieses dafs ihr 
Sitz, die rechte Hand, rein und heilig gehalten werden müsse. Denn 
immer wurde die Hand und der Handschlag, namentlich der mit 
der Hechten, als das Symbol eines Versprechens und einer Verbind- 
lichkeit auf Treu und Glauben angesehn *), und die Umwicklung eines 
Gliedes mit geweihten Binden ist dem Alterlhum auch sonst als Sinn- 
bild der Heiligung dieses Gliedes bekannt a ). Auch das Bild der Fides 
war mit vorgestreckter Rechten dargestellt und mit einem weifsen 
Schleier versehn, denn weifs ist die Farbe des Lichts und der lautern 
Treue 3 ), der Schleier aber bedeutet dasselbe was bei der Fahrt der 
Flamines zum Tempel das schirmende Dach des Wagens. — Die 
römischen Dichter sprechen von der alten Treue wie die griechischen 
von der Zeit da Aidtag und Ntpeöig, die hehren Göttinnen, noch 
auf der Erde weilten. In diesem Sinne nannte Ennius sie beschwingt 
(apta pinnis), weil sie sich zum Himmel aufgeschwungen, Virgil 
altersgrau (cana), weil sie dem vergangnen Geschlechte der Vorzeit 
angehört, und endlich führt Silius es weiter aus, wie sie die Erde 
verlassen habe seitdem Mord, Ungerechtigkeit und Geiz auf derselben 
heimisch geworden, und wie sie nun im Himmel weile, älter als 
Jupiter, eine Zierde unter Göttern und Menschen, ohne welche weder 
die Erde noch das Meer den Segen des Friedens kennen würde, eine 
Gesellin der Gerechtigkeit und eine stille Gewalt in der Brust jedes 
guten Menschen 4 ). 



*) Plin. H. N. XI, 250 inest et aliis partibus quaedam religio, sicut 
dextera osculis aversa appetitur, in fide porrigitur. Vgl. die Redensarten 
devtram fideiuque dare u. dgl. bei Danz der sacrale Schatz im Rechtsverkehr 
S. 133. 139. 

*) Uebcr die heiligen Binden und ihre Anwendung zur Weihe s. Bötticher 
Bauincultus S. 43. 418. Nach Phot. p. 180, 7 uad Lex. rhet. p. 273, 25 banden 
sich die Mysten, wahrscheinlich bei den Elcusinien, einen Fadeu am die 
rechte Hand und den rechten Fufs, vermuthlich über dem Knöchel. Auch 
dieses scheint der symbolische Ausdruck einer Heiligung oder eines Gelübdes 
zu sein. 

») Horat. Od. I, 35, 21 fl/6o Fides velata panno. Val. M«x. VI, 6, 1 euius 
imagine ante oculos posita venerabile Fidei numen dexteram suam, certissimtnn 
salutis humanae pignus ostentat. Vgl. Hesiod. T. W. 197 Xtvxoicriv if-KQiioat 
xaki^pttfiivw /{>"('. xalov — Aldtos xttl Nifitan. [H. Gräfe de Concordiae 
et Fidei imaginibus. Petropoli 1858.] 

*) Sil. lud. Puo. II, 484 ff. Vgl. Virgil Aen. I, 292 und Ennius b. Cic. 
de Off. III, 29, 104 0 Fides alma apta pinnis et iusiurandnm lovis [alma heifst 
sie auch in dem Gedicht des Brundis. Steins Bull, dell' instit. 1872, 30], im 



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254 



DRITTER ABSCHNITT. 



d. Terminus. 

Auch die Grenze und der sie darstellende Grenzstein oder 
Grenzpfahl (termen, terminus) 1 ) galten im höheren Alterthum , wo 
die bildliche Darstellung einer Idee noch mehr vermochte als ihr 
abstracter Ausdruck, für etwas Heiliges und von den Göltern Ein- 
gesetztes, unter welchen Göttern in Griechenland und Italien der 
höchste Gott des Himmels, Zeus und Jupiter, als Princip aller Ord- 
nung auch der eigentliche Schulzherr und Urheber der Grenzsteine 
ist. Man wufste es wohl dafs die Abtheilung und Abmarkung des 
Grundeigenthums nach Gemeinden, Corporationen oder Privatgrund- 
stücken der Anfang aller Befriedigung und Berechtigung der sonst 
einander wild widerstrebenden Ansprüche Aller auf Alles ist. In Rom 
sind es wieder die beiden fürstlichen Sabiner, auf welche auch in 
diesem Kreise die elementaren Ordnungen zurückgeführt wurden. 
T. Tatius soll den bekannten Terminus auf dem Capitole geheiligt 
haben (Liv. I, 55, vgl. Varro 1. 1. V, 74), Numa galt für den Stifter der 
Terminalia, wie sie zu Ende jedes Jahrs d. h. am letzten Februar 
in Horn und auf dem Lande begangen wurden (Dionys II, 74, Plut 
Numa 16, Qu. Ro. 15). Weil solch ein Fest ohne Grenzen und Ab- 
markung des ländlichen Grundeigentums nicht denkbar ist, machte 
man den Numa auch zum Urheber der Begrenzung überhaupt und 
der auf ihr beruhenden Eintheilung des ländlichen Gebiets nach s. g. 
pagis d. h. Landgemeinden, welche aus verschieden Dörfern und 
zerstreut liegenden Höfen bestehend durch gemeinsame Verwaltung 
und gemeinsamen Gottesdienst verbunden waren'). Und weil diese 

Thyest, wo Dar die Rede von verletzter Treue seia kann, vgl. die folgenden 
Verse bei Ribbeck v. 361 nuüa sancla tocielat itec fides regni est. Sonst 
heifsea Cupido, die Musen, Fama bei den römischen Dichtern pinnatae, was 
immer dem griechischen nrt 9 totai entspricht. 

>) [lUlisch, griechisch: Curtius Et.» 222. Zu dem ganzen Abschnitt sind 
besonders Rudortf, Grom. Institutionen (Schriften d. röm. Feldmesser H) und 
Nissen Templum S. 9 ff. zu vergleichen.] 

*) Cic. Rep. II, 14, 26 primum agros, quos btUo Romulus ceperat, divisü 
virüim eiribus. Vgl. Dionys. II, 76. Der magister pagi war zugleich der 
Grenzaufseher in jedem pagus, dessen Mitglieder pagani bielsen, wie die Glieder 
jedes vicus vicani. Das Wort pagus hängt zusammen mit pago und pax und 
bedeutet eigentlich Dorffriedeo, den ländlichen Gemeindeverband sämmtlicher 
zu demselben pagus gehörenden Bauernschaften. [S. besonders Rudorff a. 0. 
S. 250 ff. Detlefseu Bull, dell' inst. 1*>61, 45; vgl. auch Marquardt Verwaltung 
1, 13 ff. 3, 192 ff.) 



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TERMINUS. 255 

Grenzen und Grenzsteine nach altera Herkommen durch religiöse 
Gebräuche geheiligt und durch sehr strenge Gesetze geschützt wurden, 
galt Numa auch für den Begründer dieser Gebräuche und dieser 
Gesetze, namentlich des eben so strengen als alterthümlichen und 
häufig wiederkehrenden, dafs derjenige welcher einen Grenzstein aus- 
pflüge verflucht sein solle, er und das mitschuldige Joch Ochsen 1 ). 22s 
Jeder durfte den Schuldigen ungestraft und ohne sich zu verunrei- 
nigen wie den Frevler gegen ein Heiligthum todtschlagen; wofür 
freilich mit der Zeit mildere Strafen eintraten, d. h. Geldstrafen 
anstatt der Capitalstrafen. Nach deutschen Weisthümern sollte einem 
solchen Verbrecher mit vier wilden Pferden das Haupt abgepflügt 
und er selbst auf der Stätte des ausgeackerten Grenzsteins vergraben 
werden. 

Auch die bekannte Legende von dem Gapitolinischen Terminus, 
dafs er dem Jupiter nicht habe weichen wollen und deshalb in 
dessen Tempel mit aufgenommen werden mufste, ist nur eine Um- 
schreibung seiner Un verrückbar keit und seines idealen Zusammen- 
hanges mit Jupiter. In dem Tempel hatte man über diesem alten 
Symbole eine Oeffnung im Dache angebracht; so wesentlich schien 
Terminus und sein Cultus unter den lichten Himmel zu gehören 8 ). 
Später giebt es dann auch einen eignen Iupiter Terminus oder Ter- 
minalis, der dem Z. ÖQiog der Griechen nachgebildet ist und auf 
römischen Familienmünzen als Herme mit starkem gelocktem Haupt- 
haar und gleichem Bart 8 ), auf einer aus der Gegend von Ravenna 



1 ) Paul. p. 36S Termino und Dionys. II, 74. Natürlich galten diese Ge- 
setze eben so sehr für die Gebietsnachbarn und die Grenzsteine des Gebiets 
als für die Besitzungen auf römischem Grund und Boden. Lieber verwandte 
Gesetze und Gebräuche s. Rudorff a. 0. p. 236 sqq und J. Grimm Deutsche 
Grenzalterthümer, Abb. der Berl. Akad. v. J. 1S43. 

a ) Paul. p. 368 Terminus, Serv. V. A. IX, 44S unde in Capitolio prona 
pars tecti palet, quae lapidem ipsum Termini spectat , nam Tennino nonnisi 
.sub divo sacrificabatur. 

*) Auf Münzen des M. Terentius Varro, des berühmten Gelehrten, der 
sie als Proquästor im Gefolge des Pompejus schlag [Cohen Cons. T. XXXIX 
Ter. 5. 6 vgl. Mommsen Münzwesen S. 654 A. 553]. lieber die Herme aus der 
Gegend von Ravenna mit der Inschr. IOV. TER. M. VAL. ANT. AN. TI CO. V. L. S. 
s. Gerhard Annali delf Inst. 1847 p. 327 PI. S. T. und Henzen z. Or. n. 5618, 
der nur eine Dedication dieser Herme au den Iup. Terminalis, nicht eine Dar- 
stellung desselben gelten lassen will. Jedenfalls ist es eine griechische Form 
der Darstellung, vgl. Griech. Myth. 1, 252, und nichts daraus für das italische 
Altertbum zu schliefsen. Scheint man doch später jenen alten symbolische» 



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256 



DRITTER ABSCHNITT. 



erhaltnen Henne sogar mit den Merkmalen beider Geschlechter, also 
nach Art der griechischen Hermaphroditen dargestellt wird. Dagegen 
sich der alte italische Volksglaube, etwas modificirt durch die Lehre 
etruskischer Priester, erhalten hat in dem merkwürdigen Fragmente 
wo eines Orakels oder einer Offenbarung, welches in dem Sammelwerke 
der römischen Feldmesser steht 1 ) und so lautet: „Wisse dafs das 
Meer aus dem Aether abgeschieden ist (S. 172). Als aber Jupiter 
das Land Etrurien für sich in Beschlag nahm, beschlofs er und 
befahl, dafs man die Felder messen und die Aecker abgrenzen solle. 
Denn er kannte die Habsucht der Menschen und ihre irdische Be- 
gierde, daher er Alles durch Grenzsteine abgemarkt haben wollte. 
Diese werden die Menschen im achten Seculum, wo es bald zu Ende 
geht, antasten und verrücken. Aber wehe dem der sie antastet und 
verrückt um seinen Besitz zu mehren, den des Nächsten zu mindern: 
er ist wegen dieses Verbrechens verdammt von den Göttern. Wenn 
Sklaven es thun, so sollen sie von ihrer Herrschaft harte Strafen 
leiden. Wenn es mit Wissen der Herrschaft geschieht, so wird deren 
Haus schnell ausgerottet werden und all ihr Geschlecht untergehn 2 ). 
Die aber, deren Hände den Stein verrückt haben, werden mit 
schlimmen Krankheiten und Wunden geschlagen und ihre Glieder 
werden schwach werden. Dann wird auch die Erde unter Gewitter- 
stürmen und Wirbelwinden erbeben und einstürzen, die Feldfrucht 
von Sturm und Hagel zerschlagen, von den Hundstageu verbrannt, 
vom Mehlthau gefressen werden, und im Volke wird viel Kampf 



Grenzsteiu im T. des Capilolinischen Jupiter für den Stein ausgegeben zu 
haben, den Saturnus anstatt des Jupiter verschluckt haben soll, s. Loctant. I, 
20, 3S. [Vgl. auch Archaol. Anz. 1864, S. 251 u. 260.] 

*) Giomat. vet. p. 350. Die Ueberschrift ist: Ex libris Vegoiae Arrunti 
Veltymno. Also ein aus den Büchern des Vcgoia entlehntes Orakel, welches 
an den Arruns Veltymuus gerichtet war. Aach den ersten Worten Scias — 
remotum ist etwas ausgefallen, da nothwendig von der Entstehung der Erde 
und ihrer Vertheiluog unter den verschiedenen Völkern die Rede sein mufste. 
Auch weiterhin nach den Worten quos quandoque quis scheint etwas ausge- 
fallen zu sein. Der ganzeu Sprache merkt man die Lebersetzung an. [Vgl. 
Mommseo röm. Chronol. 2. Aufl. S. 189.) 

*) Vgl. die Inschr. eines terminus bei Or. u. 4332 quüiquis hoc sustulerit 
aut Idt-srrit , alt im its suorutn moriatur [aus Gudius; echt? Unter der ohne 
Zweifel von einem Grabmal stammenden Protome einer Frau in der Gal. lapid. 
des Vatican steht: quisquis \ hoc sustuler{it) \ vel üisterü (so) | ultimus suo \ rum 
moriatur (abgeschr. von Jordan 1863)]. 



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TERMINUS. 



257 



und Streit sein 1 ). Das wird geschehen wenn solche Verbrechen 
begangen werden. Deshalb merke es Dir und hüte Dich vor Betrug 
und Falschheit und bewahre diese meine Lehre in einem feinen 
Herzen". 

Die durch die Heiligkeit der Grenze veranlafsten religiösen 
Gebräuche betreffen theils die Setzung der Grenzsteine theils das 
stadtische und ländliche Fest der Terminalien am 23. Febr. d. h. 
am alten Ausgange des Jahrs, welches durch dieses Fest selbst be- 
grenzt und abgeschlossen wurde 2 ). Beim Setzen der Grenzsteine 230 
wurden diese Gebräuche beobachtet. Zuerst wurden die Steine in 
der Nähe der Gruben, in welche sie eingelassen werden sollten, auf- 
gerichtet, gesalbt und mit Binden und Kränzen geschmückt. Dann 
wurde in den Gruben ein Opfer dargebracht und verbrannt, der 
Boden der Grube mit dem Blute des Opferthiers getränkt und dazu 
Weihrauch und Feldfrüchte, Honig und Wein hineingeschüttet. Wenn 
das Opferthier ganz verbrannt war, wurden die Steine auf die noch 
heifsen Kohlen und die Knochenreste des Opferthieres aufgesetzt, 
weil diese in der Erde nicht verwittern, also dem künftigen Friedens- 
richter als sichres Merkmal dienen konnten. Endlich wurden die 
Steine selbst mit der gröfsten Sorgfalt in die Erde eingerammelt. 
Und zwar betheiligten sich bei diesen Feierlichkeiten entweder beide 
Nachbarn oder, wo drei Grundstücke an einander stiefsen, alle drei 8 ). 
Die ländlichen Terminalien, welche Ovid F. II, 641 ff. beschreibt, 
waren ein gemüthliches Fest der Familien und der guten Nachbar- 
schaft. Denn auch hier vereinigten sich die Nachbarn, indem der 
eine die eine, der andre die andre Seite des Grenzsteins bekränzte 
und an derselben opferte, gewöhnlich mit einem Opferkuchen und 
unblutigen Opfern, wobei sich immer die ganze Familie betheiligte, 
Mann und Frau, die Kinder und das Gesinde, jeder etwas zum Opfer 
herbeitragend, alle festlich und andächtig. Von Andern wurde auch 
wohl ein Lamm oder ein Ferkel geopfert und der Grenzstein mit dem 

*) Vgl. Cic. de harusp. resp. 19 und 25. Nach deutschem Glauben sind 
die unseligen Geister und Irrwische solche die bei ihren Lebzeiten am Acker- 
feld frevelten oder die Heiligkeit der Grenze nicht achteten, s. Mosers Patriot 
Phantas. 3, 309, Grimm D. M. 870. 

*) Varro 1. 1. VI, 13 Terminalia quod is dies anni extremus constitutus ; 
duodecimus enim mensis Juit Februarius et quom intercalalur inferiores qttin- 
que dies duodeeimo demuntur mense Vgl. Ovid F. II, 49, Mncrob. S. I, 13, 
15, Censorin 20, 6, Liv. XLIII, 11, XLV, 44. 

8 ) Siculi Flacci de condicionibus agrorum, Gromat. vet. p. 141. 
Preller, Röm. 3fvthol. I. 3. Aufl. 17 



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258 



DRITTER AUSCHMTT. 



Blute besprengt *). Endlich vereinigte sich die ganze Nachbarschaft 
zum gemeinschaftlichen Mahle und sang Lieder auf den Terminus, 
den Urheber aller Grenzen zwischen Gemeinden, Städten und mäch- 
tigen Reichen, ohne den überall Streit und Hader sein würde 8 ). 
Gewifs wurden an diesem Tage auch auf dem Capitole und an der 
alten Grenze der römischen Stadtflur entsprechende Gebräuche ver- 
richtet; auf die letztere bezieht sich der Hain des Terminus an der 
Via Laurentina, sechs Meilen von Korn, wo an den Terminalien mit 
einem Lamme geopfert wurde. Vermuthlich war dieses die alte 
Grenze zwischen dem Gebiete der Stadt Rom und dem der Laurenter, 
wo ein alter Grenzstein und ein nachbarlicher Cultus desselben sich 
am längsten erhalten konnte, weil Laurentum und Lavinium von den 
Kömern fort und fort als zu gleichen Rechten verbündete Gemeinden 
angesehen wurden. 

e. Der Nagel in der eella Iovis. 8 ) 

Da dieser Nagel nach einer alten ritualen Vorschrift, die ehe- 
dem an der rechten Wand der cella Iovis, da wo die cella Minervae 
an dieselbe stiefs, zu lesen war, jährlich an den Iden des September, 
dem Einweihungstage des Capitolinischen Tempels und dem heiligsten 
Festtage der Römischen Spiele (S. 219), von der höchsten obrig- 
keitlichen Person des Römischen Staats (qui praetor maximus sit, 
Liv. VII, 3) eingeschlagen werden sollte, so kann er unmöglich blos 
die praktische Bedeutung gehabt haben, die Jahre in Ermangelung 
einer bessern Einrichtung zu zählen, sondern er mufs auch eine 
religiöse Bedeutung gehabt haben. Das Vorbild linden wir auch hier, 
wie bei den meisten andern Einrichtungen des Capitolinischen Cultus, 
bei den Etruskern, wie namentlich in Vulsinü die ähnliche Sitte 
bestand, mit jedem Jahre in dem Tempel der Schicksalsgöttin Nortia 
einen Nagel einzuschlagen und diese Nägel als eine Art von Jahres- 



«) Ovid. Fast. II, 653, Horat. Epod. 2, 59 vel agna festi* caesa Tcrmi- 
naUbus. 

*) Vgl. Gromat. vet. p. 366 uud Varro ib. p. 393, wo uicht allein die 
Begrenzung der Aecker und der Friede, sondern auch alle Mefskunst in Zeit 
und Kaum vom Terminus abgeleitet wird. Vgl. Plut. JNuma 16, Qu. Ro. 15, 
JNuma habe den terminus geheiligt c6c intoxonov xoi ifilaxcc (/*lias xai 
■tyfaff) weshalb auch früher keine blutigen Opfer erlaubt gewesen wären. 
Dasselbe versichert Dionys. II, 74. [Missen a. 0.] 

8 ) [Vgl zu diesem Abschnitt Mommseu Rom. Chronologie 2. Aull. S. 176 ff.] 



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DEIl NAGEL IN DER CELLA IOVIS 



259 



register zu benutzen. Auch fehlt es nicht an sichrer Kunde der 
symbolischen Bedeutung eines solchen Balkennagels, dafs nehmlieh 
dadurch der feste und unwiderrufliche Beschlufs des Schicksals aus- 
gedrückt werden sollte, daher Balkennägel, Klammern und flüssiges 
Blei, lauter Mittel um die Glieder eines Gebäudes unerschütterlich 
fest zusammenzufügen, bei Horaz Od. I, 35, 18 die Attribute der 
ehernen Nothwendigkeit sind, und in einer andern Stelle bei Horaz 
Od. III, 24, 5 so wie auf einem etruskischen Spiegel die unabwend- 
bare Stunde des Todes durch einen von der Parce über dem Haupte 
des der Zeit Verfallenen eingeschlagenen Nagel sinnbildlich aus- 
gedrückt wird 1 ). Dazu kommt der sprichwörtliche Gebrauch der 
Nägel und des Nageleinschlagens für alles unwiderruflich Abgemachte m 
und unerschütterlich Ergriffene 8 ), endlich dafs Jupiter selbst unter 
andern Beinamen als Tigillus angerufen wurde d. h. als fester 
Stütz- und Tragebalken des Himmels und der himmlischen Erschei- 
nungen 3 ). Mithin wird auch jener an den Iden des September ein- 
geschlagene Nagel etwas Aehnliches bedeutet haben, entweder das 
Unerschütterliche seiner himmlischen Beschlüsse überhaupt, oder 
speciell die lichte Jahresordnung der Idus (S. 156), unter denen die 
des September für den Capitolinischen Göttercultus so besonders 
bedeutsam waren und deshalb auch zu einer regelmässigen Zählung 
des Jahre gut dienen konnten. Uebrigens wurde dieser Nagel seit 
dem Einweihungsjahre des Tempels eine Zeitlang regelmässig von den 
Consuln eingeschlagen. Dann wurde, seit der Einführung der Dic- 
tatur im J. 253 d. St. dem Dictalor als höchster Obrigkeit nach 
dem Wortlaute jenes Gesetzes die Vollziehung jener Ceremonie über- 
tragen und dadurch ihr regelmässiger Verlauf von selbst unterbrochen. 
Bald wurde sie nach römischer Weise zum blofsen opus operatum 



*) Auf dem Spiegel ist Atropos (Atbrpa) d. h. das unabwendbare Schicksal 
eben im Begriff den Nagel über dem Haupte des Meleager einzuschlagen, s. bei 
Gerhard 1, 176 [Corssen Spr. d. Etr. 1, 830, Müller Etr. 2», 308]. 

2 ) Cic. Verr. V, 21, 53 ut hoc beneficium, quemadmodum dicitur, clavo 
Irabali figeret. Petrou. 71 nosti, quod semel destinavi, clavo tabulari (irabali 
Scheffer) fixum est. Plaut. Asiuar. I, 3, 4 fijcus Ate apud nos est animus luus 
clavo Cupidinis. Vgl. Aeschyl. Suppl. 907 TtüW i>frj).(axai ro^tog yoptfog 
t)iau;iiti a>s utyttv dgaoowos. 

•) Augustin C. D. Vif, 11, wo mundus der Himmel ist, das dium, s. oben 
S. 1S5, 2. Vgl. den Ausdruck columen reipublicae, faiuiliae, rerutu uud Horaz 
in dem Gedichte auf die Fortuna Autias Od. 1, 35, 13 iniurioso ne pede pro- 
ruas stantem columnam d. h. die bestehende Ordnung der Dinge. 

17* 

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260 



DRITTER ARSCH.MTT 



mit wunderbarem Erfolge, wie man z. B. im J. 260 d. St., dem 
Jahre der Secession, dem vom Dictator eingeschlagenen Nagel einen 
sonderbaren Einflufs der Sühnung und Beruhigung zuschrieb und 
bei einer andern Gelegenheit das Aufhören einer Pestilenz mit dem- 
selben Acte in Verbindung brachte (Liv. VII, 3; VIII, 18). Später 
ward der Gebrauch nur ausnahmsweise angewendet, so dafs jedesmal 
ein eigner dictator clavi figendi causa gewählt wurde, namentlich im 
J. 391 d. St. auf Veranlassung einer Pestilenz, bei welcher man sich 
jenes früheren Falls erinnerte, und im J. 423, da viele Personen an 
Gift starben und endlich eine Magd verrieth dafs römische Matronen, 
darunter zwei patricischer Abkunft, dieses Gift gebraut hatten: eine 
so unerhörte Unthat, dafs man an eine geistige Störung und Ge- 
müthskrankheit dachte und dabei sich des Nagels im Jahre der 
Secession erinnerte. August bestimmte dafs die abgehenden Censoren 
233 in den T. des Mars Ultor einen Nagel einschlagen sollten (Dio LV, 10). 
Das Privatleben kannte denselben Gebrauch als abergläubisches 
Heil- und Sühnungsmittel, durch welches man Krankheiten und 
dämonische Einflüsse abzuwenden und anderswo zu fixiren (defigere) 
glaubte 1 ). 

/. Juventus. 

Auch Juventas wollte nicht weichen, als man das Capitol baute, 
daher man ihr in der Nähe Jupiters, in der Vorhalle «Ter Minerva 
eine eigne Capelle eingeräumt hatte, zum günstigen Zeichen der 
ewigen Jugend des römischen Staats. So die bekannte Legende 2 ), 
doch ist in Wahrheit auch diese Göttin nur die abgesonderte Perso- 
nification einer Eigenschaft, welche zum Wesen des Jupiter gehörte, 
da derselbe als Gott des Segens und natürlichen Wachsthums auch 
das göttliche Urbild und der Hort aller männlichen Jugend ist. Daher 
lupiterluventus in den beiden [jedoch nicht stadtrömischen] 
Inschriften bei Henzen n. 5634. 5635 und der altherkömmliche, 



*) Plin. H. N. XXXIII, 63 cUtvum ferreum defigere in quo loeo primwn 
caput fixerit corruens morbo comitiali absolutorium eiut mali dicüur. Vgl. 
die Zaubernägel bei 0. Jabn über den Aberglauben des bösen Blicks bei den 
Alten, in den Berichten über d. V. d. K. Sachs. G. d. W. Leiprig 1855 S. 107. 
[Die von P. hier noch erwähnte Erzählung des Fälschers Pseudoplut. Parall. 
35, welche in Falerii spielt, ist werthlos. Ueber die Art der Erfindung vgl. 
z. B. Hercher Praef. zu Plut. de fluv. S. 28 ] 

») Dionys. III, 69, Plin. H. N. XXXV, 108; Dio LIV, 19. 




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IUVEKTAS. 



261 



angeblich von Servius Tullius eingeführte Gebrauch, dafs für jeden 
Knaben, der zum Jüngling wurde, ein Stück Geld in den Kasten 
der Juventas gelegt werden mufste, wie für jedes Kind in den der 
Iuno Lucina, für jeden Verstorbenen in den der Venus Libitina 
(Dionys IV, 15). Denn immer ist Juventas die Göttin der männ- 
lichen Jugend und ihrer besten Blüthe, wo der Bart zu wachsen, 
der Geist und Charakter sich zu bilden beginnt und der Knabe zum 
Bürger wird, welcher zunächst als iunior dem Staate durch seine 
Wehrkraft, später als maior demselben auch durch seinen Rath 
nützen wird. Der Gebrauch war dafs der junge Bürger wenn er 
auf dem Forum die toga praetexta der Knabenjahre mit der toga 
virilis vertauscht und die Bulle mit dem Anratet abgelegt hatte, da 
er sich nun selbst zu schützen Mannes genug war, dafs er dann 
alsbald aufs Gapitol hinaufging, um dort der Juventas seinen Tribut 
zu zahlen und vor ihr und dem Jupiter anzubeten 1 ) : ein Familien- 234 
fest welches bei angeseheneren Familien von selbst einen öffentlichen 
Charakter annahm und unter den Kaisern vollends ein Gegenstand 
der Ostentation und Adulation wurde 2 ). Ueberdies wurden der 
Iuventas regelmäfsige Opfer zu Anfang des Jahres und zwar gleich- 
falls pro iuvenibus gebracht 8 ). Seit dem J. 193 v. Chr. gab es 
einen zweiten Tempel von ihr beim Circus Maximus, seit August 



l ) Serv. V. Ecl. IV, 50 Iovem merito puerorum dicunt incrementa curare, 
quia, cum pueri iogam virilem sumpserint, ad Capitolium eunt. Augustin C. 
D. IV, 11 ipse (Jupiter sit) Dea Juventas, quae post practextam excipiat iuve- 
nilis exordia etc. Vgl. Valer. Max. V, 4, 4, Sueton Claud. 2, Petron. 88. 
[Vgl. Marquardt Privatalt. 1 >, 123 f. Hierher gehören wohl die Widmungen 
. . ex[voto?) Juventuti l. d. d., Iuventuti Jrtanorum posuit coüegium und Iu- 
ventuti C. M. S. (Name?) M. Q(uintius) Glycerus d. d. (Orig. verloren) C. 1. L. 
2, 45. 5, 4083. 4244.] 

*) Im Kai. Cumanum heifst es zum 18. Octhr.: Eo die Caesar togam 
virilem sumpsit. Supplicatio Spei et Juve(ntatt). Vgl. das Kai. Antiat. zu 
dems. Tage [C. I. L. 1 p. 404]. Es geschah in seinem 14. Lebensjahr. Auch 
die erste Schur des Bartes gab zu ähnlichen Festlichkeiten Anlafs, indem man 
die Erstlinge der Fortuna ßarbata oder dem Apoll darbrachte, oder sie auch, 
wie Nero, auf dem Capitole niederlegte, s. Dio XLVIII, 34, luvenal. III, 186, 
Martial. I, 31, Petron. 29 und über Nero, der bei dieser Gelegenheit s. g. 
luvenalia d. h. Spiele der vornehmen Jugend veranstaltete, Sueton Nero 12 
Dio LXI, 19, Lips. z. Tacit. Ann. XIV, 15. Eine ähnliche Beziehung hat 
vermothlicb die Iuventas und Iup. Iuvenis auf Münzen des M. Aurel und 
des Commodus. 

») Cic. ad Att. I, 18, 3, Paul. p. 104, Liv. XXXVI, 36. 



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262 



MUTTER ABSCHNITT. 



einen eignen T. der Juventas in Palatio 1 ), wahrscheinlich für die 
Opfer und Gebete im nächsten Kreise der kaiserlichen Familie. 
Auch wurde es seit August Sitte dafs der kaiserliche Prinz und 
bestimmte Thronfolger, sobald er iuvenis geworden war, an die 
Spitze der Ritterschaft trat und als solcher princeps iuventutis ge- 
nannt wurde, was neue Festlichkeiten und Auszeichnungen zur Folge 
hatte 8 ). Die Göttin Juventas wurde in den Zeiten der griechischen 
Bildung gewöhnlich mit der Hebe identificirt 8 ). 

g. Düovis und f'eiovis. 

Diese beiden Götter werden zusammengenannt bei Quintil. 
I, 4, 17 und Gellius V, 12, welcher sich auf alte Gebetsformeln 
235 beruft 4 ), in denen diese Namen neben einander vorkamen. Düovis 
wurde, wie es scheint, von dem gewöhnlichen Diovis oder Iupiter 
als Compositum von Di und Iovis unterschieden, obgleich der Name 
nichts Anderes als Diovis bedeutet haben kann, nehmlich einen wohl- 
thätigen Gott des Himmels und des himmlischen Lichtes ß ). Vediiovis 
ist dasselbe Wort mit dem Praefix ve, welche Silbe in solchen Zu- 
sammensetzungen immer eine nachtheilige, sich in sich selbst auf- 
hebende Wirkung und Eigenschaft des Begriffs ausdruckt, der in dem 



1 1 Mon. Ancyr. [4, 8]. Auch in den Provinzen wurde die luventas oder 
luventus auf ähnliche Weise verehrt, s. den Hamen Iuventutis bei Or. 
n. 2213. 

*) [Daher auch eine Widmung Iuventuti s/ug(ustae) C. I. L. 2, 1935.] 
») Liv. XXI, 62, Cic. N. D. I, 40, 112. 

4 ) Für in antiquis spectationibus ist zu lesen precatiouibus. Vgl. 
meine Abhdlg. in den Leipz. Berichten der K. Sachs. G. d. W. 1855 S. 203 IT. 
[= Prellers Ausgewählte Aufsätze S. 268. S. jedoch die flg. An in., wonach 
der Abschnitt ganz umzugestalten gewesen wäre: ein Gott Düovis = Di-lovis 
existirt uicbt] 

*) [Aehnlich Mommsen C. I. L. 1 S. 36. 382, aber irrig. Quintilian a. O. 
bringt für den Satz, da Ts für t früher e geschrieben wurde (und nur für diesen) 
das Beispiel einer Dedication an den bekannten Juppiter Victor (oben S. 198) 
bei: Diove {deioue Ambr.) victori, non Diovi (so Ambr.) victori (die Varianten 
diiovi, dii iovi anderer Hss. sind also Schreibfehler); Gellius will a. 0. luppiter 
a iuvando und Diovis, dessen sprachliches Verhältnifs zu Iovis ihm unklar ist, 
von dies herleiten: ob ihn selbst diese Unkunde bcwog Düovis (und Vediiovis) 
zu schreiben oder auch hier nur die Abschreiber irrten, ist gleichgiltig. Bei 
Liv. XXXI, 21 endlich ist Düovis eine verunglückte Conjectur von Valesius. 
Sonst aber kommt Düovis nicht vor, könnte auch schwerlich erklärt werden. 
S. Jordan Comment. phil. in hon. Mommseni p. 366 ff.J 



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veiovis. 263 

Stammworte ausgesprochen ist, z. B. vehemens oder vemens, vecors, 
vesanus, vegrandia farra, d. h. im Sprachgebrauch der Landleute 
solche die nicht recht wachsen wollten, vescus d. i. ein solcher der 
entweder nicht essen mag oder mit Heifshunger und ohne Erfolg 
für seine Ernährung ifst. Daher kann weder die Erklärung solcher 
Grammatiker die richtige sein, welche den Veiovis für einen kleinen, 
nicht ausgewachsenen Jupiter hielten (Paul. p. 379, Ovid. F. III, 
445 IT.), noch die andrer, welche in der Voraussetzung dafs Jupiter 
a iuvando abzuleiten sei, den Veiovis für das Gegentheil von einem 
hülfreichen Gott, also für einen schädlichen und bösen Jupiter er- 
klärten. Jedenfalls gehörte dieser Gott zu den altitalischen, da er 
sich namentlich bei den Sabinern 1 ) und Latinern nachweisen läfst 
und nach Rom aus Alba Longa gekommen zu sein scheint. Aus 
der kleinen Stadt Bovillae am Fufse des Albaner Gebirgs, einer 
alten Golonie von Alba Longa, hat sich nehmlich ein alterthümlicher 
Altar erhalten 8 ), welcher auf der einen Seite die Inschrift trägt: 
Vediovei Patrei genteiles Iuliei, auf der andern diese: leege 



! ) Varro 1. 1. V, 74, wo zu lesen ist Vediiovi Saturnoque. Die durch 
Möller beliebt gewordne Form Vedius findet sich nar bei Marti au. Cap. II, 
142. 166. Bei Aminian Marc. XVII, 10, 1, aas welcher Stelle man einen 
blitzschleudernden Veiovis der Etrusker gefolgert hat: ut in Taget i vis [tage- 
tinicis die Uss.] libris legitur Veiovis f ulmine mox tangendos, haben die Mss. 
uegonicis, so dafs eher Vegoiicis zu schreiben sein möchte [et Vegonieis 
schreibt Gardth.], vgl. Plin. H. N. II, 143 f. [Lachmann hat erkannt (s. oben 
S. 66), dafs die von Varro a. O. citirten annale* die des Ennius sind und 
Haupt danach den Vers so gemessen: vovü Opi Florae Vedio Iovi Saturnoque. 
Aber wie auch der Vers gelautet haben mag (die Restitution ist schon des- 
wegen unsicher, weil der folgende Vers unvollständig ist), Müller zu Festus 
S. XLIV hat richtig Vediovi für das hs. vedio iovi hergestellt. Ob der etrus- 
kische (?) Vedius des Capeila mit ihm etwas gemein hat (quem etiam Düem 
Veiovemque dixerunt § 166) und ob etwa Vediovis durch vedius Iovis um- 
schrieben werden konnte, ist ganz unsicher, irrig auch die Vergleichung von 
Fedi-us, Vedi-ovis mit umbr. Fis-us , Fis-ovius (vgl. Grab-ovius) bei Aufr. u. 
Kirchh. 2, 195. — Dafs Diovis — Iovis und Ve-diovU — Ve-iovi* (ve- 'getrennt 
von 1 ) sich ausschliefsende Gegensätze sind, erkennt auch Ribbeck (Beitr. z. 
Lehre von den lat. Partikeln L. 1869 S. 10). Sicher aber ist er nicht Todten- 
gott: gerade deswegen nicht, weil er mitDispater und den Manes angerufen 
wird (Macr. S. III, 9, 10). S. Jordan a. O.] 

*) S. Klausen Aeneas u. d. Penaten S. 1083 T. IV, 3, Ritsehl Mon. Epigr. 
p. 29, Canina Via Appia p. 209 t. XLVHJ, 2. [C. I. L. 1, 807 jetzt in Rom 
im Garten Colonna.j Die Einwohner von Bovillae nennen sich auf Inschriften 
gewöhnlich Longaui Bovilleuses. 



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264 



DRITTER AÜSCHMTT 



Albana dicata, woraus also abzunehmen ist dafs dieser Altar nach 
einer aus Alba Longa traditionell überkommenen oder mit den dor- 
«36 Ugen Gottesdiensten bewahrten ritualen Vorschrift geweiht worden 
war. Die Gentiles Iulii sind die Sippen der Gens Iuiia, welches 
Geschlecht notorisch zu den ältesten albanischen gehörte und in 
Bovillae wie zu Rom seit alter Zeit angesiedelt war. In Rom hatte 
Veiovis ein berühmtes Heiligthum zwischen dem Capitolium und der 
Arx d. h. zwischen den beiden Gipfeln des Capitolinischen Hügels, 
wo das sogenannte Asyl des Veiovis und in späterer Zeit sein 
Tempel zwischen zwei Hainen lag, daher der gewöhnliche Zusatz 
inter duos lucos 1 ). In dem Tempel sah man sein Bild mit einem 
Bündel Pfeile in der Hand, daher man ihn später gewöhnlich für 
den griechischen Apollo erklärte. So ist er auch auf verschiedenen 
Familienmünzen als Apollo gedacht und abgebildet, der Kopf immer 
jugendlich und unbärlig, das Haar mit Lorbeer bekränzt, gewöhnlich 
so, dafs er mit der Rechten mehrere in einen Bündel zusammen- 
gefafste Pfeile zückt, die man nach einer herkömmlichen und weit 
verbreiteten Allegorie des Alterthums am besten für ein Bild der 
schielsenden Sonnenstrahlen erklären wird. Auch bei der Ver- 
gleichung dieses Gottes mit dem griechischen sivxwQijg oder Avxm- 
Qsvg, auf die der römische Alterthumsforscher Piso geführt worden 
war 8 )', liegt Apollo zu Grunde, denn Lykores ist kein andrer als 
Apoll von Delphi in der speciellen Bedeutung eines Gottes der Sühne. 
Eine andre Eigenthümlichkeit dieses Cultus war das Symbol der 
Ziege, welche in dem Tempel neben dem Bilde des Veiovis stand 
und auf jenen Münzen gleichfalls abgebildet wird, gezügelt von einem 
auf ihr sitzenden geflügelten Knaben, den man mit Recht für den 
Genius des Veiovis (S. 85) erklärt hat 8 ). Die wahre Bedeutung des 



*) Becker Handb. 1, 377. 400. [Mit dem Ausdruck inter duos lucos iden- 
tisch ist inter arcem et Capitolium (Gell. V, 12) und das poetische lucos ante 
duos Ov. F. III 429.f., aber nicht in arce, worüber unten.j 

») Serv. V. A. II, 761, 0. Jahn in den Leipz. Ber. 1847 S. 421 ff. [^i*w- 
Qtvs lautete den Römern lucoreus, also an den deus lucaris sehr anklingend. 
Bei Serv. a. 0. hat die Fuld. Hs. quem locum (das Asyl) deus lucoris, sicut 
Piso aä, curare dicitur, wo demnach Lucoreus oder Lucores zu schreiben ist. 
Vgl. Preller Aufs. S. 272 ] 

») Dieselbe Ziege erscheint wieder auf den Münzen des Antoninus Pius und 
des Gallien, auf jenen mit dem Attribute eines Adlers, auf diesen mit der In- 
schrift Iovi Cresceoti, Eckhel D. N. VII p. 33. 39$, so dafs also die Erklärung 
des Veiovis durch den kleinen Jupiter haften blieb. Auch haben einige Familien- 



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VEIOVIS. 



265 



Gottes scheint die eines jugendlich gedachten Jupiter zu sein, der 
zugleich Sonnengott war und als solcher namentlich im Frühlinge, 
wo durch die heifse Sonne leicht Epidemieen erzeugt werden, ge- 
fürchtet wurde; wenigstens führt darauf sowohl der Vergleich mit 
verwandten Erscheinungen als das was wir sonst von diesem Gottes- 
dienste wissen. Die Nonen des März waren der herkömmliche Fest- 
tag, s. Fast. Praenest. und Ovid F. III, 429 ff. Die Ziege war das «37 
gewöhnliche Opfer, und zwar wurde sie, wie Gellius a. a. 0. sich 
ausdrückt, ritu humano dargebracht, das will vermuthlich sagen: 
als stellvertretendes Sühnopfer 1 ). Deshalb verglich Piso den Veiovis 
mit dem Apollo Lykoreus von Delphi, ja selbst die Sage vom Asyle 
des Kumulus erklärt sich unter dieser Voraussetzung am natürlichsten. 
Immer heilst es dafs Romulus zwischen jenen beiden Hainen des 
Veiovis eine Zutluchtsstätle für flüchtige Verbrecher gegründet und 



münzen deutlich einen Doppelblitz und keine Pfeile obwohl Ovid nur von letz- 
teren wissen will. [Ovid a. 0. 445 sagt, dafs der Gott in dem Heiligthum inter 
duos lucos als iuvenis dargestellt ist, ftümina nulla tenet und dafs stat quoque 
capra simul. Von dem Bilde desselben Heiligthums (demselben Bilde?) sagt Gell. 
V, 12 sagütas tenet, quae sunt videlicet partae (so Hss. , paratae Ausg.: wohl aptae) 
ad nocendum: quapropter eum deum plerumque //poUüurrn esse dixerunt. Man 
hat den jugendlichen Juppiter, der Blitze (angeblich auch ein Bündel Pfeile) 
schleudert auf Denaren, für diesen Vejovis gehalten und das Monogramm X 
Apollo aufgelöst. Aber die Pfeile sind keine solche (mau schleudert auch 
nicht Bündel Pfeile) sondern Blitze, das Monogramm heifst wahrscheinlich 
Roma, der ganze Typus ist der des unbärtigen Juppiter, wie er auf den älteren 
republ. Münzen überhaupt üblich ist. Jordan a. 0. S. 365 und ausführlich 
Klügmann Arch.-Zeitung 36 (1878), 105 »".] 

*) [Die Note der prän. Fasten . . . 011' artis Vediavis inter duo \ lucos ist 
stark verdorben: [I\ovi[s M]artis Foggini, / Xltjovi, a[ed]is Mommsen C. I. L. 
1 p. 388, atra] ovi[in]aris Huschke Jahr p. 248. Jordan's Vorschlag a. 0. S. 365 
ist unhaltbar.] Paul p. 105 Humanum sacrifieium dicebant quod 
mortui causa fiebat. Dieses mortuus ist entweder von einem Getödteten 
im Sinne der ßlutsühne zu verstehn oder in dem eines houio sacer d. h. eines 
für todeswürdig erklärten und deshalb ausgestorbenen Verbrechers, der eigent- 
lich getödtet werden sollte, aber nach einem stellvertretenden Sühnopfer wieder 
zu Gnaden angenommen wird, vgl. Virgil Aen. V, 482, wo Eotellus, nachdem 
er den Stier anstatt des Dares erschlagen, hinzufügt: Hanc tibi, Eryx, melio- 
rem animam pro morte Daretis persolvo. Eben deshalb unterschied 
man hostiae animales d. h. solche wo die anima, das der Gottheit dar- 
gebrachte Leben die Hauptsache war, und consultatoriae, wo es auf die Unter- 
suchung der Eingeweide abgesehen war, s. Macrob. III, 5, 1, Serv. V. A. IV, 
56. [Vgl. dagegen Lübbert Commentationes pontificales, Berolini 1859, S. 170 
u. Mercklin in den N. Jhrbb. f. Philol. Bnd. 81, S. 278.] 



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266 



DRITTER ABSCHNITT. 



auf diese Weise viele Börger für seinen jungen Staat gewonnen habe, 
dem dieser zweideutige Ursprung später oft genug vorgeworfen ist. 
Die Griechen haben diese Einrichtung nach ihrer Art ein Asyl ge- 
nannt und wirklich wurde sie auch in Rom später dafür gehalten 
(Dio XLVH, 19). Der wahre Zusammenhang ist aber vermuthlich 
der, dafs Veiovis als Gott der Sühne zugleich ein Gott der Zuflucht 
verurtheilter und ausgestofsener Verbrecher war, welche, wenn sie ihr 
Vaterland meiden mufsten, in der Stadt wo sie Sühnting fanden auch 
einen neuen Heerd fiuden mochten; wie sich denn verwandte Ge- 
bräuche der Ausstofsung (exsecratio) und Wiederherstellung nach 
einem Todschlage oder andern todeswürdigen Verbrechen aus dem 
griechischen und römischen Allerthum nachweisen lassen. Gewifs 
ist dafs die Ziege und der Bock in Rom auch sonst als Sühnopfer 
herkömmlich waren, z. B. im Culte der Juno und des Lupercus 1 ). — 
Aufser dem alten Heiligthum zwischen den beiden Hainen [und einem 
zweiten capitolinischen auf der Arx] 2 ) gab es noch einen Cult des 
Veiovis auf der Tiberinsel, nur dafs sein Name hier seltsam mit dem 
des Jupiter oder Diiovis abwechselt, daher es wahrscheinlich ist dass 
vorzüglich in diesem Culte beide Götter neben einander verehrt 
238 wurden 3 ). Geopfert wurde in diesem Culte am 1. Januar und neben 



*) [Die griechische Asylie ist jedesfalls dem römischen Alterthum fremd. 
Vgl. htmy xtti äovlov | sacrum C. I. L. 6, 824: noch nicht befriedigend er- 
klärt Cic. de lege agr. II, 16, 36: sunt enim loca publica urbis, sunt sacella, 
quae post restüutam tribuniciam potestatem nemo altigit, quae maiores in urbe 
partim periculi perfugia esse {voluerunt). Zum Wesen des Heiligthums inter 
duos lucos gehört die Imfriedigung und Unnahbarkeit, vielleicht das Symbol 
der Unschädlichmachung dieses schlimmen Gottes, der aber nicht Todteu- 
gott ist. Em. Hoffmann Mythen aus der VVanderzeit 1 (L. 1876) S. 97 f.] 

1 [Erwähnt von Plinius N. H. XVI, 216: simulacrum f^eiovis in arce e 
cupresso durat a condita u. DLL Sieber ist dafs dies nicht das Bild inter 
arcem et Capitolium sein kann, fraglich bleibt ob mit 1 Hs. DLXI zu schreiben 
und an die verdorbene oder falsch wiedergegebene Notiz bei Liv. XXXV, 41, 
8 (562) aedesque duae Iovi in Capitolio dedicatae sunt zu denken ist (Jordan 
a. O. 361. 364 f.)] 

») Die Pasti Praenest. [zum 1. Jan.] nennen Veiovis, Ovid F. I, 289 ff., 
Liv. XXXI, 21 und XXXIV, 53 Jupiter oder Diiovis, welcher Name bei Liv. 
XXXI, 21 mit H. Valesius zu restituiren ist. [Vielmehr ist wohl hier aus 
dem bs. aedemque deo iovi vovit mit Merkel zu Ov. F. CXXIV aedemque 
Vediovi v. herzustellen. Ovids luppiter in parte est ^a. 0.) entscheidet nichts, 
da er auch III, 447 den Veiovis für den »groTsen Juppiter' erklärt Die 
Entscheidung hängt von der schwierigen Bestimmung der Tempel auf der 



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IlTITER ANXUR 



267 



dem Aesculap, so dafs er hier vollends als ein Gott der Heilung 
erscheint. Möglich dafs auch der neuerdings auf derselben Stätte 
bekannt gewordne Iupiter Iurarius mit diesem Doppelculte zusammen- 
hängt 1 ), zumal da Diiovis dem auch auf der Tiberinsel verehrten 
Schwurgotte Dius Fidius oder Semo Sancus sehr nahe gestanden 
haben mufs. Später, nachdem das Verständnifs der älteren italischen 
Götter verloren gegangen war, pflegte man auch den Vejovis mit 
dem Dis Pater, dem Gott des Todes und der Unterwelt zu identi- 
ficiren 2 ), vermuthlich nur deswegen weil man ihn für einen bösen 
und finstern Jupiter hielt. 

h. Iupiter Anxur. 

Iup. Anxur war der Gott der alten Volskerstadt Anxur, welche 
ihren andern Namen Tarracina vermuthlich den einst auch in dieser 
Gegend herrschenden Etruskern verdankte, dahingegen jener gewifs 
italischen Ursprungs ist, vgl. die Stadt Anxanum mit dem Gentile 
Anxas im Gebiete der Marser, eine andre Stadt Anxa in dem der 
Sallentiner, ferner die bei den Marsern verehrte Göttin Ancitia oder 
Angilia. Iupiter Anxur oder Anxurus und die Frühlings-, Quellen- 
und Haingöttin Feronia waren nach Virgil Aen. VII, 799 die herr- 
schenden Götter der Gegend von Tarracina. Jener wurde nach Ser- 
vius in der Gestalt eines unbärtigen Jünglings dargestellt, also wie 
der albanische und römische Vejovis, diese als Iuno Virgo, also als 
seine Gattin und von gleicher Jugend uud Schönheit. Auf den 
Münzen der Gens Vibia sieht man das Cultusbild des Iovis Axur, 

Insel ab: Diiovis kommt, wie oben bemerkt, nicht in Betracht. Vgl. Jordan 
a. 0. 362 ff.] 

Eine auf der Stelle, wo der T. des Aesculap gestanden [?], gefundene In- 
schrift: C. Volcad C. f. har(uspex) de stipe Iovi I-VRARIO .... onimentom. 
Vgl. Canina Bullet, d. Inst. Arch. 1854 p. XXXVII, Henzen Suppl. Or. n. 5633 a. 
Vielleicht ist dieser Iup. Iurarius aber auch nur eine Uebersetzung des Z. oqxios 
[d. h. der auf der Insel verehrte Semo Sancus Deus Fidius? Mommsens Vor- 
schlag zu C. I. L. 1, 1105 Iovi aram c[um m]onimento m(erito) zu andern ist 
weder sachlich noch sprachlich überzeugend. — Der Kultus des Vejovis ist 
bis jetzt nur in Rom (Bovillae), hier nur auf dem Capitol und der Tiberinsel 
nachgewiesen und wohl an diese Orte gebunden : daher das Wesen des Gottes 
(wie für den capitolin. Kult schon Klausen Aen. p. 1089 vermuthet hat) mit 
der Natur dieser Orte, welche Unterpfänder der Sicherheit der Stadt sind, in 
enger Beziehung stehen mufs (vgl. Jordan Topogr. 1, 1,402, Commcnt. in hon. 
Mommseni 366)]. 

») Macrob. S. III, 9, 10, Martian. Cap. I, 58; II, 142. 166. 



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268 



DRITTER ABSCHNITT 



wie er hier genannt wird, ein thronendes jugendliches Götterbild 
mit Scepter und Schale, das Haupt mit einer grofsen Strahlen- 
krone r ) geschmückt, so dafs also auch er zugleich dem Jupiter und 
dem Apollo verwandt gewesen sein mufs. 

239 f. Apollo Soranus. 

So hiefs später der auf dem Gipfel des malerischen Berges 
Soracte in der Nähe des alten Falerii verehrte Gott, über welchen 
wir leider gleichfalls nur mangelhaft unterrichtet sind. Mit dem 
griechischen Namen Apollo benennt ihn namentlich Virgil Aen. XI, 785 
summe deum, sancti custos Soractis Apollo, vgl. Sil. Ital. Pun. V, 175, 
VII, 662, VIII, 494, ohne Zweifel um ihn als Sonnengott zu cha- 
racterisiren. Der Name Soranus scheint nicht nach dem des Berges 
gebildet zu sein, sondern dieser seinen Namen erst durch den Cult 
des Sonnengottes bekommen zu haben, denn das Wort Soracte oder 
Sauracte hängt höchst wahrscheinlich zusammen mit dem lateinischen 
Sol oder Saul, dem golhischen Savil, litth. Säule, da die tenues 1 
und r in den italischen Dialecten sehr oft in einander Übergehn und 
alle diese Wörter ihre gemeinsame Wurzel haben in dem Sanskrit- 
stamm svar d. i. glänzen 9 ). Merkwürdig ist es dafs auch hier 
Feronia neben dem Sonnengotte verehrt wird, daher sich dieser 
Apollo Soranus von selbst zu jenem Iupiter Anxur stellt. Was wir 
sonst noch von seiner Verehrung erfahren, hängt zum Theil mit der 
Natur des Berges Soracte zusammen. Derselbe ist aus der Mitte 
einer fruchtbaren Landschaft von vulkanischen Kräften in die Höhe 
getrieben; noch jetzt befindet sich an seiner östlichen Seite, in der 
Nähe der Kirche S. Romana, eine Höhle mit tiefen Spalten (le Vora- 
gini), aus welchen böse Dünste aufsteigen, von denen auch die Alten 
erzählen 8 ). Das jetzige Dorf Sant Oreste ist wahrscheinlich der alte 

») (Cohen Com. T. XLI Vib. 13 m. d. Beischr. Iovü Axur vgl. Fabretti 
Gloss. It. 123: vielmehr mit einem Blätterkranz, s. L. Stephani Nimbus u. 
Strahlt-» kränz S. 18 f.] 

*) G. Curtius in der Zeitschr. f. vergl. Spracht 1, 29 ff. [Etym. 8 551 f., 
Corssen Ausspr. 1 9 , 463, 2, 64: von Wurzel svar leuchten, also mit lat. söl 
verwandt. Das horazische vides ut alta stet nive candidum Soracte hat damit 
natürlich nichts zu schaffen : selten bedeckt sich eben der Soracte mit Schnee.] 
Vgl. Cato bei Varro r. r. II, 3, 3 (Frg. S. 11 Jord.) in Sauracti FisceUo (Sau- 
racti et F. Cluverus) caprae ferae sunt etc., wo von einem andern Berge die 
Rede ist. Die Endung acte ist zu vergleichen mit Teate Reate [wohl eher 
mit humectiiSf saiietum: doch ist die Bildung unsicher]. 

*) Plin. H. IN. II, 207. Varro wufste auch von einer heifsen Quelle am 



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APOLLO SORANUS 



269 



lucus Feroniae, aus welchem mit der Zeit eine kleine Stadt geworden 
war, die sehr alte Kirche San Silvestro oben auf dem Soracte liegt 
vermuthlich auf der Stelle des allen Apollotempels. Der Apennin 
ist so nahe, dafs die Wölfe im Winter zahlreich in dieser Gegend 
streifen, während sie sich in der besseren Jahreszeit wieder ins 
Gebirge zurückziehn. Daher die Legende b. Servius zu Aen. XI, 785, uo 
dafs einst, als man grade dem Dis Pater auf diesem Berge, der ihm 
und den Todten geweiht sei, geopfert habe, plötzlich Wölfe erschienen 
seien und die Opferstücke von dem brennenden Altare geraubt hätten. 
Als die Hirten sie verfolgten, seien sie an eine Höhle gekommen, aus 
welcher ein mefitischer Dunst mit solcher Stärke hervorgedrungen 
sei, dafs die Hirten alsbald todt niederfielen. Ja es habe sich darüber, 
dafs die Hirten die Wölfe verfolgten, eine Pest über das ganze 
Land verbreitet, von welcher ein Orakel Erlösung versprochen habe, 
sobald die Einwohner wie die Wölfe vom Raube leben würden. So 
sei das Geschlecht der Hirpi Sorani d. h. der dem Gotte des Soracte, 
den man also später auch für einen Dis Pater nahm, geweiheten 
Wölfe entstanden *), ein Geschlecht von welchem sich einige Familien 
bis in die Zeit der römischen Kaiser erhalten hatten. Es scheinen 
Geweihte des Gottes vom Soracte gewesen zu sein, welche beiläufig 
auch die in Italien seit alter Zeit sehr verbreitete Kunst der Vogel- 
schau trieben. Besonders berühmt aber waren sie durch die Künste, 
mit denen sie bei dem jährlichen Feste des Apollo und der Feronia, 
welches bei Feronia, dem jetzigen Sant Oreste, gefeiert wurde, her- 
vortraten. Sie gingen nehmlich dann mit blofsen Füfsen durch 
brennende Haufen Holzes ohne sich zu verbrennen und waren dafür 
vom römischen Senate ein für allemal vom Kriegsdienste und andern 



Soracte, die am Sonnenaufgang besonders stark fliefse und deren Wasser den 
Vögeln tödtlich sei, ib. XXXI, 27. Ueber die Oertlichkeiten s. Dennis, die 
Städte und Begräbnifsplätze Etruriens, Lpz. 1852 S. 119 ff. [Vgl. Nibby Din- 
torni di Roma 3, 103 ff., Gell. Top. of Rome and its vicinity 8 404 ff.] 

l ) Hirpus oder irpus ist das sabinisebe Wort für lupus und nur dialektisch 
davon verschieden. Der Wolf heilst nehmlich sanskr. vrka, slav. ulk, volk, 
vlukü, griech. kvxog, lat. lupua, sab. irpus (p für k), goth. wulfs (f für das 
lat. p), immer dasselbe Wort. Aach die samnitischeo Hirpiner hatten ihren 
Namen daher. Ueber die Hirpi Soraui s. Varro b. Serv. A. XI, 787, Plin. 
H. N. VII, 19 [aus ihm Solio. 2, 26], Strabo V p. 226. [Ueber die sprachliche 
Streitfrage und die Legende bei Varro vgl. Jordan Krit. Beiträge 163 ff : 
die Verwandtschaft der Wolfsgilde der hirpi mit der der römischen lup-erci 
scheint aufser Frage.] Augur Soranus, Cic. de Div. I, 47, 105. 



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270 



DHITTER ABSCHNITT. 



gemeinen Verpflichtungen freigesprochen. Eigentlich sollte es die 
Begeisterung des Gottesdienstes sein, welche dieses Wunder verrich- 
tete, doch wufste Varro von einer Salbe, mit welcher diese s. g. 
Wölfe ihre Fufssohlen bestrichen. Der Gebrauch als solcher erinnert 
sehr an die Oster- und Johannisfeuer in Deutschland und andern 
Gegenden, welche gleichfalls der Sonne galten und nach dem Glauben 
früherer Zeiten eine reinigende Kraft hatten, so dafs die hindurch- 
gehenden oder springenden Menschen oder das hindurchgetrieberie 
Vieh, wie dieses auch bei den römischen Palilien geschah, dadurch 
gesühnt und gereinigt wurde; ja wir wissen von einem schottischen 
Feste, welches dem alten celtischen Sonnengotte Beal oder Belenus 
241 galt, wo eine durch das Loos bestimmte Person dreimal durch ein 
angezündetes Feuer springen mufste und dabei sein Leben riskirte, 
doch glaubte man sich auf diese Weise der Gunst des Gottes zu 
versichern und das Jahr fruchtbar zu machen 1 ). So mögen auch 
jene geweiheten Wölfe ihren gefährlichen Gang durchs Feuer ur- 
sprünglich stellvertretend für das Land oder die Gemeinde der Falisker 
gethan haben, um dasselbe zu sühnen und ihm die Gunst des auf 
dem Gipfel des Soracte thronenden Gottes für das bevorstehende Jahr 
zu gewinnen, denn die Wölfe und die Pestilenz erinnern sehr au 
den Winter. — Noch ist zu bemerken, dafs auch die Tuskulaner 
einen Jupiter des Frühlings kannten, den sie Deus Maius oder 
lupiter Maius nannten und neben der Maia verehrten 2 ), welche 
mit der Bona Dea identisch ist und dem Maimonate seinen Namen 
gegeben hatte: ein Paar, welches von selbst an den volskischen 
lupiter und die Juno Virgo und an den Gott vom Soracte und die 
Feronia erinnert. Dafs das Bild eines jugendlichen Jupiter, der zu- 
gleich als Sonnengott verehrt wurde, überhaupt in Italien verbreitet 
war, beweist auch eine im Gebiete des alten Picenum gefundene 
Bronzefigur in der Gestalt eines anmuthigen, halb bekleideten Jüng- 
lings, dessen Haupt wie beim Jupiter Anxur mit Strahlen umgeben 
ist, mit einer sonst nicht verständlichen Inschrift, in welcher man 
aber das Wort Juve für Jovi leicht erkennt 8 ). 

») J. Grimm D. M. S. 579 ff. 

s ) Macrob. S. I, 12, 17, vgl. Heuzen Suppl. Or. n. 5637 [mit einer Zeile 
mehr bei Garrucci Sylt, ad n. 564: verdächtig, wie H. Dessau erinnert). 

») S. Mommsen üuterital. Dial. t. XVI S. 359 ff. [= Fabr. C. I. It. 26S0], 
Aufrecht und Kirchhoff Uinbr. Sprachdenkm. II, 400, Th. ßergk Zeitscbr. 
f. A. W. 1S56 u. 18. Die Inschrift ist Cais Paiz Kartens (der Name) Iine 
zalsesure. 



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1UIS0. 



271 



3. Juno. 

Juno 1 ) ist Jovino, das Femininum von Jovis, also eine weib- 
liche Macht des Himmels und des himmlischen Lichtes, näher des 
neu erscheinenden Mondes; daher zugleich Geburtsgöttin und die 
weibliche Göttin schlechthin, als himmlische Matrone und Königin, 
in welcher Bedeutung sie neben dem Iupiter Rex als Regina verehrt 
wurde. Die Geburt des Lichtes aus dem Dunkel ward den Alten 
immer zur Allegorie der Geburt und der Entbindung überhaupt, daher 
in Italien auch die Mater Matuta zugleich die Göttin des frühen 
Tageslichts und eine Geburtsgöttin ist und sowohl in Italien als in 
Griechenland Diana oder Artemis zugleich Mond- und Geburtsgöttin, w 
Juno aber repräseutirte in Italien so ganz wesentlich die weibliche 
Natur überhaupt, als gebärende Göttin, Mutter und Matrone dafs sie 
in dieser Hinsicht ganz dem Genius der Männer entsprach, d. h. 
wie dieser zeugerisch ist und als solcher in jedem Manne von neuem 
invidualisirt, so ist Juno als das weibliche Wesen schlechthin auch 
in jedem einzelneu weiblichen Wesen individualisirt. Daher bekanntlich 
jede Frau und jedes Mädchen so gut ihre Juno hatte wie jeder Mann 
seinen Genius, ihrer Juno am Geburtstage opferte, hei ihrer Juno 
schwur u. s. w. 2 ). 

Unter den einzelnen Gülten ist zunächst der der luno Lucina 
wohl der älteste und durch ganz Italien am allgemeinsten verbrei- 
tete 3 ). Sie entspricht als solche dem lup. Lucetius und ist wie 



') [Vgl. Koscher Studien z. vergl. Muh. 2 (Junu u. Hera) L. 1875]. 

8 ) S. oben S. 87 und Seueca Ep. 110 tnemtnerit maiores nostros sloicos 
fuisse: singulU enim et Genium et Iunonem dederunt. Tibull. DI, 6, 47 etsi 
penjue suos J'aUax iuravil ocelios Iunonemque suam perque suarn F euerem. 
IV, 6, 1 Satali* luno sanetos cape turis acervos. Vgl. Petron. 25 und die In- 
schriften b. Fabretti Iuscr. Antiq. p. 73 sq., Or. n. 1319 ff. [1320 (Rom), 1321 
(Luna), 1328 (Pompeji = I. H. IN. 2340): das. auch manches Verdächtige oder 
Falsche (wie 1310. 1325) und nicht Hergehörige, wie die Widmungen an die 
Iunones = Matrox (unten S. 257, oben zu S. 87]. Charisius p. 117 ed. 
Lindem. [198 K.] keunt den Schwur Ejuno, wie Ecastor, Kdepol. [Juno auf 
Bildwerken mit Hercules verbunden, welcher hier als Genius aufgefalst werde: 
Reifferscheid Annali 1867, 352 ff. Vgl. Hercules.] 

*) luno Lucina unter den Göttern des T. Tating, Varro 1. 1. V, 74, in 
Campanien s. die lnschr. aus Cales bei Mommseu 1. IN. 3953. Eine sehr alter- 
thümliche bei demselben n. 6762 [C. I. L. 1, 189 = 6, 3694] Iunonei Low 
cina [stadtrömisch; desgl. die jetzt in Bologna befindliche das. 812. 813, 
vollständiger 6, 357, [Iunon]e Loucinai \ [Diovu c]astud facitud. Das in [] 



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272 



DKITTER ABSCHNITT. 



dieser zunächst Lichtgott, d. h. wie Jupiter der Gott aller Idus, der 
Vollmondstage war, so Juno die Göttin aller Kaienden, wo die Mond- 
sichel nach dem Neumonde zuerst wieder erschien, also wie von 
neuem geboren wurde (S. 156 f.); daher Juno bei den Laurentern den 
Beinamen Kalendaris führte und in Rom an jedem ersten Monats- 
tage ihr regelmäfsiges Opfer bekam. Sobald der Pontifex Minor die 
Mondsichel wieder am Himmel sah, meldete er es dem Rex Sacro- 
rum, der darauf mit ihm das Gapitol bestieg und in der Guria 
Calabra der Juno opferte, während ihr gleichzeitig in der Regia von 
seiner Gemahlin, der Regina Sacrorum, ein Lamm oder ein Schwein 
dargebracht wurde. Dann rief eben jener Subalterne des Collegiums 
der Pontifices bei derselben Gurie, welche deshalb Calabra hieß, vor 
dem versammelten Volke aus, wie viele Tage in jedem Monate bis 
zu den Nonen sein würden, ob fünf oder sieben, wie Varro berichtet 
mit diesen Worten: Dies te quinque calo Iuno Covella, oder Septem 
dies te calo Iuno Covella, welcher Beiname mit cavus, xollog und 
coelum zusammenhängt, 4 also den ausgehöhlten, nehmlich den zu- 
nehmenden Mond bedeutet (Macrob. I, 15, 10, Varro L 1* VI, 27 J ). 
Zweitens galt dann aber eben diese Mond- und Lichtgöttin Juno in 
Italien zugleich für die erste und mächtigste aller Geburtsgöttinnen 
[neben Ops Opifera, S. 419], daher sie als solche von allen Frauen 
in den heifsesten Stunden ihres Lebens angerufen*) und auch sonst 

geschlossene Stück jetzt verloren, von Garracci Sylloge inscr. 547 T. I, 1 nach 
der Zeichnung; Secchi's publicirt: vgl. Ritsehl Op. 4, 519. 533. 556. 727, welcher 
erklärt: castu facto, allenfalls castu facito, castu — ieiunio (vgl. unten S. 438. 
736). Mommsen versteht jetzt (C. I. L. 6 a. 0., vgl. 1 p. 561) Iunoni Lucinae Iovis 
(uxori) castu facito, was zwar nicht mit ihm durch die Bezeichnung der Frauen, 
Caecilia Meteüi u. s. w., aber allenfalls durch die der Göttinneu Lua Saturni u. a. 
(Gell. XIII, 23), umbr. Vemne Puemunes (unten zu S. 399), gestützt werden kann. 
Aber die eine wie die andere Deutung begegnet schweren Bedenken. Nach dem 
von Ritsehl Op. S. 557 mitgetheilten Brief Garrucci's und der Zeichnung in dessen 
Sylloge (nicht erwähnt im C. I. L. 6) ist doch wohl die Möglichkeit, dafs ein 
gelehrter Ergänzungsversuch vorliegt, ausgeschlossen. — Capua: Iuno Louciria 
Tuscolana C. I. L. 1, 1200, Hain von Pisa ur um Iuno Loucina C. I. L. 1, 171. 
Vgl. S. 244]. Nach Apulei. Met. VI, 4 p. 389 nannte der ganze Orient die lunoZvyia 
[Vgl. Gr. Myth. 1, 137], der ganze Occident Lucina. Nach Martian. Cap. II, 149 
gab es auch eine Iuno Lucetia. Die Griechen übersetzten "Hqa (ftootfÖQos. 

l ) [Vgl. Mommsen röm. Chronol. 2. Aufl. S. 16 u. Düntzer im Philol. XVII, 
316 ff., Huschke Das röm. Jahr p. 12 f.] 

*) Plaut. Aulul IV, 7, 11 [Truc. II, 5, 23], Terent. And. III, 1, 14, Propert. 
IV, 1, 99, vgl. Ovid F. II, 447 ff., Plut. Qu. Ro. 77, Tertull. d. An. 39, Arnob. 
III, 21. 23 u. A. 



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OHIO. 



273 



in vielen eigenthümlichen und alterlhüm liehen Gebräuchen verehrt 
wurde. Varro erzählt dafs die Frauen der Iuno Lucina ihre Augen- 
brauen zu heiligen pflegten, weil die Augen das Licht des Leibes 
und die Augenbrauen ein Schutz der Augen sind 1 ), Tertullian dafs 
•die schwangern Frauen ihren Leib mit Binden, die im T. der Lucina 
geweiht waren, umwickelten und nach ihrer Entbindung derselben 
■eine ganze Woche lang einen Tisch deckten, Andre daß solche Frauen, 
wenn sie zum Gottesdienste der Lucina gingen, alle Knoten an ihrem 
Leibe, auch die des Haares auflösten, weil jeder Knoten, selbst die 
Verschränkung der Hände, als Hindernifs einer leichten Geburt an- 
gesehen wurde 8 ). In Rom lag ihr Heiligthum, eins der ältesten und 
angesehensten der Stadt, an den Esquilien, nicht weit von der Subura 
und den Carinen, umgeben von einem Haine, dessen Ovid F. II. 
427 ff. in einer für diesen Gottesdienst characteristischen Legende 
gedenkt. Die neuvermählten Sabinerinnen, die Stammmütter des 
römischen Patriciats, sind unfruchtbar. Männer und Frauen pilgern 
zum Haine der Lucina 3 ) und beten; da ertönt aus den Wipfeln der 
Bäume plötzlich eine Stimme, der heilige Bock solle den Rucken der 
Mütter besteigen (Italidas matres sacer hircus inito), eine Mahnung 
an den Gott der Befruchtung, den Faunus, Lupercus oder Inuus, 
den römischen Frauen Fruchtbarkeit zu verleihn. Ein Seher schlachtet 
nun einen Bock, schneidet Riemen aus dem Fell und schlägt mit 
diesen den Rücken der Frauen , worauf sie mit Lucinas Hülfe su 
schwanger werden: ganz nach dem gewöhnlichen Ritus der Luper- 
ealien im Februar, bei welchen auch Juno betheiligt war. Nach einer 
angeblichen Bestimmung des Servius Tullius mufste für jede männ- 
liche Geburt in den Kasten der Lucina ein Stück Geld gethan werden 
(S. 261). Das dauernde Ansehn des Cultus zeigt sich auch in ver- 
schiedenen Inschriften und Münzen, von denen die letzteren zugleich 
das Bild der alten Nationalgöttin vergegenwärtigen, wie es verschleiert 
sitzt oder steht und in der rechten Hand eine Blüthe, das Symbol 



») Vgl. Paul. p. 304 Supercilia. 

*) Serv. V. A. IV, 518 , Ovid F. III, 257 ff. Mao schenkte deshalb den 
Frauen Schlüssel, ob significandam partus facilitateui, Paul. p. 56 clavim. [Der 
von Preller hier noch angeführte Artikel des Fälschers Fulgcntius ambegnae 
eves p. 389 (vgl. Lersch S. 36 f.) ist unbrauchbar.] 

•) Dieser Hain galt für älter als die Stadt, man leitete sogar den Namen 
Lucina davon ab, s. Plin. XVI, 235. Vgl. ib. 132 von einem Haine der Juno 
in Nuceria. 

Prellcr, Röna. Mrthol. I. 3. Autt. IS 



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274 



DRITTER ABSCHNITT 



der Hoffnung, in der linken ein Wickelkind hält 1 ). Das angesehenste 
Fest dieser Göttin fiel auf die Kaienden des März, weil diese Kaienden 
als die ersten des neuen Jahrs nach alter Rechnung auch die Göttin 
des neuen Lichtes und der Gehurt vor allen übrigen in Erinnerung 
brachten. Es war ganz ein Fest der Matronen d. h. der Mütter 
von altrömischer Abkunft'), daher es auch den Namen der Matro- 
nalia führte: wohl das angesehenste und populärste von den ver- 
schiedenen Frauenfesten, welche in Rom gefeiert wurden. Nur Jung- 
frauen oder unbescholtene Ehefrauen durften theilnehmen, dem Kebs- 
weibe (paelex) war es durch ein Gesetz des Numa ausdrücklich unter- 
sagt worden, den Altar der Juno zu berühren; hatte sie ihn ja 
berührt, so mufste sie mit gelöstem Haar der Göttin ein Lamm 
opfern (Gell. N. A. IV, 3). Uebrigens ein heitres und gemüthliches 
Fest, welches im Schoofse der Familien begangen wurde, daher die 
Unverheiratheten übel daran waren (Horat. Od. III, 8, 1). Ueberall 
wurde für das Glück der Ehe geopfert und gebetet, die Männer be- 
schenkten die Frauen, die Frauen aber bewirtheten an diesem Tage 
2« die Sklaven, wie die Männer an den Saturnalien ; daher der beliebte 
Atellanendichter L. Pomponius ein Stück unter dem Titel Martiae 
Kalendae gedichtet hatte. Zugleich eilte an diesen ersten Tagen des 

>) Vgl. namentlich die auf Veranlassung einer glücklichen Entbindung der 
Lucilla geschlagenen Münzen mit der Inschrift lunoniLucinae b. Eckhcl 
D. N. VII p. 99. Auch wiederholt sich derselbe Typus auf M. der Mammäa 
und Salonina. Die von H. Brunn Ann. d. Inst. 184$ p. 430 sq. besprochene 
Darstellung der tav. N. , wo die Göttin eine Fackel in der R. hält und mit 
der linken Brust ein Kind stillt, während hinter ihr ein Baum mit einer Jagd- 
tasche zu sehen ist, scheint die Iunu Lucina im Sinne der späteren Zeit zu 
sein, wo sie oft mit der Diana idcntificirt wurde, vgl. Catull. 34, 13 und die 
auf eine Entbindung der Kaiserin Salonina geschlagene M. mit der Inschr. 
lunoni Cons(ervatrici) Aug. und dem Bilde eines Hirsches. Verschiedne In- 
schriften, welche in der Gegend des alten Heiligthums gefunden sind und 
sich auf Gelübde und Geschenke glücklich entbundner Frauen, Gebete für das 
Wohl der kaiserl. Familie u. a. beziehn, b. Or. n. 874. 1297 [= C. I. L. 0, 
360. 359; dazu 361. 3695]. 1298, Stephani Bullet. Archeol. 1845 p. 65 sq. 
(Der Fundort der Inschriften ist theils unsicher, theils nicht der Ort des 
Heiligthums (aus den Kaiserpalästen stammt 3695): dagegen ist die auf den 
Bau des murus Iunonis Lticinae bezügliche I. v. J. 713 C. I. L. 6, 358 nicht 
weit von demselben gefunden, vielleicht auch die Widmung C. I. L. 6, 359: 
Jordan Top. 2, 252 f. — Auffallend ist das Fehlen des Kults in den Provinzen 
C. I. L. 2, 3, 5, 7.] 

*) Mater, materfamilias und matrona ist so ziemlich dasselbe, s. Paul p. 125,. 
Serv. V. A. IX, 217; XI, 474. 531, Gellius N. A. XVIII, 6. 



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1UN0. 



275 



Marz, wo auch der Stiflungstag des bald nach der Zerstörung Roms 
durch die Gallier erbauten Tempels der Lucina gefeiert wurde, Alles 
zu diesem alten Heiligthum, Mädchen und Frauen, um fromme Gaben 
und Gebete darzubringen und Mars und Juno zu feiern, den männ- 
lichsten aller Götter und die grofse Schutzgöttin aller weiblichen 
Natur, welche den starken Mars, das Urbild aller Manneskraft, an 
diesem Tage geboren und damit das neue Jahr eröffnet hatte 1 ). Auch 
gedachte man der Geburt des Romulus und des Raubes der Sabi- 
nerinnen, der ersten Ehefrauen und der ersten ehelichen Vermählung 
der römischen Geschichte: vor allen übrigen Sabinerinnen der He r- 
silia, der bräutlichen Gemahlin des Romulus-Quirinus, hinter welcher 
sich vermuthlich eine ältere Liebes- und Ehegöttin verbirgt 2 ). Auch 
die bei Gellius XIII, 23 (22) erwähnte Herie Iunonis scheint in 
diesen Zusammenhang zu gehören, da beide Namen mit dem um- 
brischen und oscischen Stamm her zusammenhängen, welcher ein 
Verlangen ausdruckt und uns in andern Benennungen der älteren 
latinischen Mythologie wieder begegnen wird 3 ). 

Auch verschiedne andre alterthümliche Beinamen der Juno be- 
ziehn sich auf Schwangerschaft und Geburt und es ist zu vermuthen, 
dafs vorzugsweise Lucina in öffentlichen Gebeten mit solchen Cultus- 
namcn angerufen wurde. So wird eine Iuno Fluonia oder Flu- 
viona genannt als Göttin der Menstruation, welche diese während 
der Schwangerschaft hemme und auf die Weise, wie man glaubte, 
die Leibesfrucht nähre 4 ), eine andre welche man Ossipago nannte, 
weil man ihr die Verdichtung und Befestigung der Knochen des 
Kindes im Mutterleibe zuschrieb, endlich eine Iuno Opigena, welche 
im Augenblick der Geburt als Hülfe angerufen wurde 5 ). 



') Ovid Fast. III, 170 fT., Tibull. III, 1, Plut. Romul. 21, Paul. p. 147 
Martias Kalendas nod die Stellen bei Marquardt Handb. IV, 446 [Staatsverw. 
3, 548]. 

2 ) [Vgl. Sonne in Kuhns Zeitschrift 10, 103.] 
*) [Corssen Ausspr. 1 a , 466 f.] 

*) Paul. p. 92 Fluoniam Iunonem midieres colebant, quod eam sanguinis 
ßuorem in conceptu retinere putabant. Vgl. Tertull. ad Nat. II, 1 uod Plin. 
VII, 66 haec est generando homini materia. Augustin C. D. VII, 2 kennt eine 
eigne Dea Mena, quae menstruis ßuoribus praeest, lovis ßlia. 

8 ) Arnob. III, 30 Si aer Uta est, — nulla soror et coniunx omnipotentis 
reperietur lovis, nulla Fluvionia, nulla Pomana, nulla Ossipagina, nuün 
Februtis, Populonia, Cinxia, Caprotina. Ib. IV, 7 A'am quac dural 
et solidat infantibus parvis ossa, 0 ssilag o ipsa memoratur. An jener Stelle 

18* 



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I 

276 



DIUTTElt AÜSCHMTT. 



i Ein andrer sehr alterthümlicher und durch ganz Latium sehr 
angesehener Cultus war der der luno Lanuvina oder Sospita 
und Sispita (auch Sospes und Sispes), deren alter Hain und 
Tempel in Lanuvium auch für Rom sehr heilig war 1 ). Auch gab 
es einen eignen Tempel dieser Göttin in Rom am forum Holitorium 
und einen zweiten auf dem Palatin 8 ); obwohl das angesehenste Heilig- 
thuin immer jenes alte zu Lanuvium blieb, dessen Tempel und Hain, 
von Priesterwohnungen umgeben und reich durch seinen Schatz, auf 
Veranlassung von Prodigien und andrer Umstände oft erwähnt wird 3 ). 
Die römischen Consuln mufsten hier jährlich zu einer bestimmten 
Zeit ein Opfer darbringen (Cic. pro Murena 41, 90), und noch 
Antoninus Pius, welcher auf einer Villa in der Nähe von Lanuvium 
das Licht der Welt erblickt hatte, erbaute einen neuen Tempel dieser 
Göttin, welche ohne Zweifel auch Geburtsgöttin war 4 ). Ihr voll- 
ständiger Name ist in Dedicationsinschriflen luno Sospita Mater 
Regina 5 ). In dem Haine befand sich eine Höhle, in welcher eine 

ist zu lesen: nulla Lucina, nulla Opigena, nulla Februlis [?], vgl. Mar- 
tian Cap. II, 149, an dieser [mit CanterJ Ossipago. 

l ) Liv. VIII, 14, Fest. p. 343 Sispitem Iunonem, quam vulgo Sospüetn 
appellabant, antiqui usurpabant. Iunone Seispitei Uenzen n. 5659a [C. I. L. 
1, 1110, Ritschi Op. 4, 335 ff*.; über die Form seispes Corssen Ausspr. 1 *, 
425, 2, 365]. Auf M. des Antoninus Pius und b. Or. n. 1309 [sie ist ligoria- 
nischj heilst sie Sispita, bei Or. 1292. 1293 Lanumvina. 

») Liv. XXX11, 30, XXXIV, 53, wo für I. Matutae mit Sigooius zu 
schreiben ist Sospitae [?]. Vgl. Ovid F. II, 55. 

*) Liv. XXII, 1, Iul. Obseq. 5. 46 n. A. Besonders machte das Gesicht 
der Caecilia im J. 90 v. Chr. Sensation, nach welchem der Senat sich des 
vernachlässigten Cultus eifrig annahm, s. Cic. de Divin. I, 2. 44, Iul. Obseq. 
55. Inschriften erwähnen eine Priesterin der Juno und einen Sacerdos et Pon- 
tifex Lanuvinorum immunis, s. Mommsen I. N. n. 5786 — 89. Im Tempel be- 
fanden sich u. a. zwei Bilder der Helena uud der Atalante d. h. der hingeben- 
den und der spröden Weiblichkeit, Plin. XXXV, 17. Ueber die Lage des 
Tempels s. Abeken Mittelitalien S. 215 [Vgl. Marquardt Staatsverw. 3, 456]. 

*) S. Iul. Capitolin. 8. Daher die Münzen dieses Kaisers und des Com- 
modus, welcher gleichfalls dort geboren war, mit dem Namen und dem Bilde 
der Göttin, s. Eckhel D. N. V p. 293. [Im Verein mit Pius und Personen 
seiner Familie und mit Mars, Venus Genetrix, Victoria, erscheint Juno Lanu- 
vina auf der wahrscheinlich aus der Villa des Kaisers bei Lorium stammenden 
Basis PamGli, herausg. von ü. Köhler Annali deli' inst. 1863, 195 ff., Mon. 
Bd. 6, 7 T. LXXVI.] 

*) Or. n. 1308, Henzen n. 5659a, Mommsen I. N. 6763, vgl. Or. 4014 
[Wilmanns 1772 f.], abgekürzt I. S. M. R., auch auf den Denaren des Thorius 
Baibus mit dem Stier [Cohen Cons. T. XXXIX, Mommsen Münzw. N. 193]. 



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IL'NO 



277 



Schlange hauste, vermuthlich als Symbol der Iuno Iunonis (S. 85), 
welcher alljährlich im Frühjahre von einer Jungfrau ein Opferkuchen 
dargebracht wurde, wobei sie mit verbundenen Augen in die Höhle 
geführt wurde. Genbfs die Schlange von diesem Opfer, so galt dieses 
für einen Beweis der Reinheit des Mädchens und der Fruchtbarkeit «47 
des Jahres, verschmähte sie es, so war das Mädchen nicht rein ge- 
wesen (Propert. V, 8", 3 Jf., Aelian H. A. XI, 16). Sehr eigentümlich 
war das Bild der Göttin, welches wir theils durch Beschreibungen 
der Alten theils durch das Gepräge verschiedner Münzen römischer 
Familien kennen 1 ), welche aus Lanuvium stammten oder sich aus 
andern Gründen zu diesem Culte bekannten; auf welchen Münzen 
man hin und wieder auch jenes Wunder der Schlange und des Mäd- 
chens abgebildet findet. Angethan mit einem matronalen Gewände 
ist diese Juno darüber bekleidet mit einem Ziegenfell, welches zu- 
gleich als Helm und als Panzer dient, gebogenen Schnabelschuhen 
aller Sitte und einem ausgeschnittenen Schilde, wozu sie den Jagd- 
spiefs schwingt. Also war sie als Sospita zugleich eine wehrhafte 
Göttin, wie Juno denn auch zu Tibur und bei den Sabinern als 
solche gedacht wurde, auch in Griechenland und in Rom, wo sie 
Gewitter erregt und Blitze schleudert so gut wie Jupiter*). Doch 
war sie auch Mater d. h. eine Muttergöttin der weiblichen Natur, 
der Ehe, Entbindung und Kinderzucht, wie Lucina; auch wird dahin 
jenes Ziegenfell zu deuten sein, welches gewifs dasselbe bedeutete 
wie das Bocksfell im Culte der Luperealien, nehmlich Reinigung und 
Befruchtung, daher das Bocksfell der Luperci auch amiculum Iunonis 
d. h. eine Gürtung der Juno genannt und diese Göttin selbst als 
Februlis oder Februata an der Feier der Luperealien betheiligt 
wurde 8 ). Es ist eben deshalb zu vermuthen dafs auch das Hauptfest 

l ) Cic. N. D. I, 29, 83 iUam vestram Sospitam, quam tu nunquam ne in som- 
it iis quidem vides nisi cum pelle caprina, cum hasta, cum scutulo, cum calceolis 
repandU. [Ueber die Schuhe 0. Müller Etr. 1 *, 257.] Vgl. die Grabinschrift einer 
Priesterin dieser Juno Or. 1308, quae in aede Iunonis Sospitae Matris Reginae 
scutulum et clypeum et hastam et cateeos rite novavit voto, die Darstellung [tb. 
Kopf, th. ganze Figur, auch zu Wagen] auf den Denaren der Cornuficii, Mettii, 
Papii, Procilii, Roscii, Thorii und die nach den Münzbildern restaurirte Statue im 
M. Pio Cl. b. Visconti II t. 21. [Conze Heroen und Götter T. V S. 9. Vgl. die 
Basis Pamfili.] Wichtiger Kopf b. Panofka Terrae, des K. Mus. z. Berlin T. X. 

*) Virg. Aen. I, 42 u. dazu Serv., welcher Stellen aus Attius und Varro 
citirt, vgl. Liv. XXII, 1 Iovi donurn fulmen aureum pondo L factum y lunoni 
Minervaeque ex argento. 

*) Paul. p. 85 Februarius mensis quod tum — populus februaretur i. e. 



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278 



DRITTER ABSCHMTT 



der Juno zu Lanuvium im Februar war und zwar an den Kaienden 
dieses Monats, zumal da nach Ovid F. II, 55 in Rom derselbe Tag 
der Sospita heilig war. 
248 Auch bei den Sabinern wurde Juno unter eigenthumlichen 
Formen verehrt, namentlich als Curitis oder Quiritis, welcher 
Cultus durch die Sabiner nach Rom kam und dort mit der Einrich- 
tung der Curien in engem Zusammenhange stand; doch fand sich 
derselbe Cultus auch zu Tibur und zu Falerii 1 ), welche letztere Stadt 
wie Rom und andre Städte dieser Gegend in früher Zeit ein starkes 
Element sabinischer oder umbrischer Bevölkerung in sich aufgenom- 
men zu haben scheint. Der Name ist wie der des sabinischen Qui- 
rinus und der Quirites abzuleiten von dem Worte quiris oder curis, 
welches Lanze bedeutete, das Symbol des wehrhaften Mannes, hier 
speciell in seinem ehelichen Verhältnifs zur Frau, der Mutter seiner 
Kinder, welche sich auf Leben und Tod in seine Gewalt gegeben 
hat, aber dafür auch von ihm vertreten werden inufs, rechtlich oder 
mit Gewalt, daher diese Juno als Schutzgöttin der Matronen die 
Lanze in der Hand führt 2 ). Als Göttin der Ehe und des auf der 
Ehe beruhenden Familienlebens in seinen engeren und weiteren 
Kreisen wurde sie vorzüglich in den Curien verehrt 8 ), die sogar 

lustraretur, vd a Iunone februata, quam alii februalem, Rotnani 
februlim vocant, quod ipsi eo mense sacra fiebant eiusque feriae erant 
Lupercalia, quo die midieres februabantur a Luper eis amiculo Iunonis i.e. 
pelle caprina, quam ob causam is quoque dies februatus appeüabalur. 

l ) Tertull. Apolog. 24 Faliscorum in honorem Patris Curis [patriae Curilis 
Garrucci] et aeeepit cognomen Iuno. Vgl. die Inschriften b. Or. n. 1304 und 
Henzen n. 5659 und die aus Tibur b. Or. 1303. Die aus ßenevent b. Mommsen 
I. N. n. 1381 hält Henzen Sappl. Or. in p. 135 für unächt. 

') [Vgl. Garrucci Annali dell' inst. 1860, 222 f., dessen Ergebnisse jedoch 
zu berichtigen sind. Die Ueberlieferung nennt die Göttin theils Currilis (so 
Arvalkal. 7. Okt., Serv. Fuld. Aen. 1,17) oder Curitis (Or. 1303, Mart. Cap. II, 
149; zweifelhaft Henz. 5659 Iun. Cu . . .), theils Quiritis (Benevent I. R. N. 
1381, etwa augusteisch, Kai. v. Ostia 7. Okt Iunoni Qiuiräi), I. von Falerii 
Or. 1304); die erste Form bringt schon das Tiburtiner Gebet (s. die fg. S. A. 3) 
mit currus zusammen. Indessen bat in diesen Schreibungen die Deutelei der 
Gelehrten ihre Hand im Spiel wie in Exquiliae und currulis (Jordan Hermes 
15, 1. 543). Die Deutung ist noch unsicher: sprachlich ist der Zusammenhang 
mit Quirites (wie schon die Alten, die curis verglichen, annahmen, Fest. 254 
Auszug 49) möglich, dann aber der Zusammenbang mit curia (ebenfalls alte 
Etymologie) Fiction. Jordan Hermes 8, 217 ff., vgl. unten zu S. 326 ] 

3 ) Dionys. II, 50 von T. Tatius: iv ccnaoaig raig xovntaig "HQ(f rp«7r4«ff 
t&tro KvQirftt (KvQiriti Schömann) Xtyoptvri, iä xttl eis red« XQ° V0V 



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1UN0. 



279 



nach ihr benannt zu sein scheinen, wie die einzelnen Curien in Rom 
ihre Namen von den ersten sabinischen Müttern bekommen haben 
sollen; ja es scheint wohl dafs auch der alte römische Hochzeits- 
gebrauch, das Haar einer Braut mit einer s. g. hasta caelibaris d. h. 
einer Jungfernlanze zu scheiteln 1 ), mit dem Culte dieser Juno zu- 
sammenhängt, indem dadurch vermulhlich symbolisch ausgedrückt 
werden sollte, dafs die Braut als eheliche Frau sich zwar in der 
Gewalt des Mannes, aber auch unter dem Schutze der Juno befinden 
werde. In Tibur 8 ) scheint diese Juno zugleich wie die Lauuvinische 
als kriegerische und als befruchtende Schutzgöttin der Stadt verehrt 
worden zu sein; daher man zu ihr betete 3 ): „0 Juno hoch zu Wagen, 549 
erhalte mit deinem Wagen und mit deinem Schilde den jungen Nach- 
wuchs meiner Curie bei guter Gesundheit." Also eine Göttin die 
für die Fruchtbarkeit der Mütter und somit zugleich für den Nach- 
wuchs der Bevölkerung sorgt, daher sich hier auch die in verschie- 
denen Gegenden Italiens verehrte IunoPopulona oder Populonia 
anschliefsen mag, eine Göttin welche ohne Jupiter, also als Güttin 
sowohl der männüchen als der weiblichen Bevölkerung verehrt wurde 4 ). 



Paul. p. 64 Curiales mensac, in quibus immolabatur Iutioni, quae Curis apel- 
laia est Da die Curie ein weiblicher Begriff ist, konnte ihre Schutzgöttin nur 
-eine Juno sein. 

») Faul. p. 62 caelibari hasta, vgl. Plut. Qu. Ho. 87, Ovid F. II, 559, Arnob. 
IT, 67. Man nahm dazu gerne eine Lanze, die in dem Körper eines dadurch 
getö'dteten Gladiators gesteckt hatte. Vgl. den verwandten Aberglauben b. 
Plin. H. N. XXVIII, 34 [vgl. Marquardt Privatleben 1 », 44]. 

*) [Irrthümlich hatte P. hier die Inseln-. Or. 3740 für die Existenz von 
Curien in Tibur angeführt: die L gehört nach Lanuvium.] 

8 ) Serv. Fuld. V. A. I, 17 in sacris Tiburtibus — sie precantur: Iunn 
Curritis [so die Hs., wofür P. mit andern falsch curulis las] tuo currtt clypeo- 
que tuere meos curiae vernulas sane (I. sanos), wo vernulae in demselben 
Sinne zu verstehen sind wie in dem Gebote Aumas für das vereinigte Volk 
der Römer und Quiriten b. Fest. p. 372 vernae. [Dafs Curritis zu lesen sei 
und sane nicht zu dem Gebete gehöre hatte Jordan a. 0. 220 gezeigt: die 
Herausgeber des Servius jetzt ebenso. Der clipeus scheint die äan\g "Hqus 
oder i§ "ifQctg der argivischen Heräen (Welcker A. D. 512) zu sein, mithin 
das Tibur Argeo positum colono des Horaz an die Ausstattung des tibur- 
tinischen Kultus mit argivischem Ceremoniell zu erinnern.] 

4 ) Arnob. III, 30, Macrob. III, 11, 5, Seneca b. Aug. C. D. VI, 10, der 
diese Göttin unter den viduae, d. h. ohne einen Gemahl verehrten nennt, 
Martiao. Cap. II, 149 und die Inschriften aus Aesernia und Teanum Sidicinum 
b. Or. n. 1306, Moramsen I. N. n. 3983 — 3987, vgl. dessen Unterital. Dial. 
S. 143. [Vgl. Nissen, Pompejaoische Studien S. 343. — Populona ist die spraeh- 



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280 



DRITTER ABSCHNITT. 



Auch die übrigen Beiwörter, mit welchen Juno bei öffentlichen Ge- 
legenheiten als Eliegöttin angerufen wurde, mögen hier wenigstens- 
angeführt werden, da ich auf Veranlassung der Indigitamenta nocb 
einmal auf sie zurückkommen mufs, die Iterduca und Domiduca r 
welche den Hochzeitszug vom Hause der Braut in das des Bräuti- 
gams geleitet, die Unxia, welche die Pfosten ihres neuen Hauses 
zum guten Zeichen salbt, die Cinxia, welche den bräutlichen Gürtel 
schürzt und löst, endlich die Iuno Pronuba (Virg. A. IV, 166) 1 ) und 
Iuga, von welcher letzteren der vicus Iugarius in Rom seinen 
Namen fuhren sollte, in welchem sich ein Altar dieser Göttin be- 
fand (Paul. p. 104). Wurde doch auch Juno selbst wie die grie- 
chische Hera an der Seite ihres Gemahls als Nupta verehrt 2 ), d. h, 
als seine bräutliche Gattin, wie Jupiter selbst das Vorbild aller 
männlichen Jugendblüthe war und eben deshalb wohl auch der 
Flamen Dialis bei den Hochzeiten nach altem religiösen Brauch zu- 
gegen sein mufste. 

An der Küste von Picenum [und in Umbrien] gab es eine Göttin 
Namens Cupra, welche für eine Juno und etruskischen Ursprungs 
gehalten wurde; noch Hadrian, der sein Geschlecht vom picentini- 
schen Hatria herleitete, hat den Tempel erneuert 8 ). Doch ist der 
Name wahrscheinlich durch das sabinische Wort cyprus d. i. gut zu 
250 erklären, daher der vicus Cyprius in Rom und ein Mars Cyprius 
in Umbrien 4 ), so dafs diese Göttin also eher eine Bona Dea oder 
eine Feronia gewesen zu sein scheint, welche auch mit der Juna 
verglichen wurden. Desto bestimmter wird immer die Göttin 
von Falerii in der Gegend von Civita Castellana und des Soracte 
für eine Juno erklärt; ja dieser Cult der Juno war einer der be- 



lich vorzuziehende, von den Inschriften bezeugte Form: von den a. Schrift- 
stellern hat so nur Mart, Populonia die übrigen.] 

1 ) [Bildwerke die Pronuba darstellend: Marquardt Privatleben 1, 48.] 

») Plaut. Cas. II, 3, 14 Heia, mea Iuno, non decet te esse tarn tristem tu* 
IovL Vgl. Varro b. Serv. V. Ecl. VIII, 30. 

») Strabo V p. 241, Sil. Ital. VIII, 434, Grut. p. 1016, 2 «= Or. 1852, vgl. 
Varro 1. 1. V, 159, Mommseu Unterital. Dial. S. 350. [Ueber die uinbrische- 
Cubra mater s. u. Bona Dea, unten S. 351. — Demnach ist, wie schon 
Mommsen vermuthete, der italische (nicht etruskische) Ursprung des Wort» 
sicher, wenn auch nicht die Erklärung der Wurzel kup- (vgl. cupiot Fick 
Wörterb. 1 8 , 536, vgl. cupeneus, saholl . kiperul Corssen Ausspr. 1 430)4 

«) [Die Inschrift [Majrti Cyprio Or. 4950 = Henz. 5669.] 



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ICSO. 



nih in testen, daher Falerii später den Namen der Colonia Iunonia 
erhielt und ihre Einwohner bei Ovid F. VI, 49 Iunonicoiae Falisci 
heifsen. Dafs auch diese Göttin eine Iuno Curitis oder Quiritis, also 
vermuthlich sabinischen oder umbrischen Ursprungs war, ist bereits 
nachgewiesen ; wenn die Griechen sie dessenungeachtet für die argi- 
vische Juno und Falerii deshalb für eine Golonie der Argiver und 
der Pelasger erklärten, so lagen dabei nur äufserliche Aehnlichkeiten 
des Gultus zu Grunde, die sich theils von selbst erklären theils durch 
spätere Einwirkung der griechischen Gultur entstanden sein mögen, 
s. Dionys I, 21. Das Fest in Falerii beschreibt Ovid Am. III, 13, 
dessen Frau aus Falerii gebürtig war, leider ohne die Jahreszeit an- 
zugeben. Die ganze Umgegend strömte dann zusammen und der 
feierlichste Act war die Procession aus dem alterthümlichen und ehr- 
würdigen Haine der Göttin zur Stadt, wo Opfer und Spiele gefolgt 
sein mögen. In jenem Haine wurde zuerst gebetet und geopfert, 
dann gaben Flöten das Zeichen zur Procession, die Ovid sehr lebendig 
schildert. Zuerst kam der Zug der Opferthiere, schneeweifse Fersen 
(iuvencae), welche auf den Wiesen von Falerii gezogen wurden, 
Kälber und Ferkel, ihnen voranschreitend ein auserlesener Stier mit 
gewundnen Hörnern. Nur die Ziege war der Göttin verhafst, man 
erzählte sich dafs Juno durch dieses Thier auf einer Flucht ins Ge- 
birge verrathen sei, daher die Knaben bei diesem Feste auf die Ziegen 
förmlich Jagd machten; obwohl sich hinter solchen Gebräuchen und 
Legenden gewöhnlich eine speciellere Cultusbeziehung verbirgt, welche 
der zu Lanuvium entsprochen haben mag. Wo der Zug mit dem 
Bilde der Göttin durchkam, breiteten Knaben und Mädchen (Camillen) 
Teppiche über die Strafsen, die Mädchen im höchsten Schmuck, Gold 
und Geschmeide in den Haaren, in langen Kleidern und goldgestickten 
Schuhen. Andre Mädchen trugen nach Art der griechischen Kane- 
phoren in weifser Kleidung und verschleiert die Heiligthümer auf 
dem Kopfe. Darauf folgte der Zug der Priesterinnen und die Göttin 
selbst, ganz wie sie in Argos zu erscheinen pflegte. Nach der Er- 
mordung des Agamemnon, so hiefs es, war sein Abkömmling, der 
fromme Halesus aus Argos entflohn und über Land und Meer bis 23t 
in diese Gegend verschlagen worden, wo er Falerii gegründet und 
das Volk in dem Gottesdienste seiner Heimath unterwiesen halte. 
Dagegen einheimische Lieder den Halesus oder Falesus, den Stamm- 
vater der Falisci und Gründer der Stadt Falerii, als einen Sohn des 
Neptun und Stammvater eines Geschlechtes priesen, dessen Spröfsling 



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282 



DRITTER ABSCH.MTT. 



Morrius, ein König von Veji, die Salier gestiftet habe, welche jene 
Lieder sangen 1 ). Wie dieser Name Morrius wahrscheinlich mit 
Mavors zusammenhängt, so kann jener Pater Curis der Falisker, 
nach welchem ihre Iuno Curitis hiefs, nicht wohl ein Andrer ge- 
wesen sein als der Stammvater Halesus oder Faliscus, dessen Name 
gleichfalls auf ein altes italisches Stammwort hinweist. Wahrscheinlich 
liegt die Wurzel hal oder fal zu Grunde, welche eine befestigte Höhe 
(altum) bedeutete 2 ), wie denn das alle Falerii in der That eine sehr 
feste Stadt war; obwohl es auch in Rom einen Divus Pater 
Falacer mit einem eignen flamen Falacer gab (Varrol.LV, S4, 
VII, 45), welcher mit der Zeit gleichfalls unverständlich geworden 
war. Genug es galt in der gewöhnlichen Ueberlieferung und schon 
zur Zeit Calos für ausgemacht, dafs Halesus wie Evander, Diomedes, 
welcher nachmals in Lanuvium für den Gründer des dortigen Heilig- 
thums der Juno gehalten wurde 3 ), Odysseus und andre Heroen aus 
Griechenland nach Italien gekommen sei. Virgil Aen. VII, 723 ff. 
252 läfst ihn mit seinen Schaaren aus Campanien heranziehen, wo man 
also gleichfalls von ihm zu erzählen wufste, vgl. oben S. 18, 1. 

Aufser den Frühlingsfesten der Juno scheint es ziemlich all- 



l ) Serv. V. A. VIII, 2S5 quidam dicunt Salios a Morrio reffe Feientano- 
rum instüutos, ut Alesus Neptuni filius eorum carmine laudaretur, qui 
ciusdein regit familiae audor ultimus fuit. Veji und Falerii erscheinen in 
der römischen Geschichte meist eng verbündet; möglich auch dafs Veji ein- 
mal seinen König von Falerii bekommen hatte. Dafs Halesus ein Sohn des 
INeptun heifst, hängt wahrscheinlich mit ritterlichen Hebungen zusammen, 
s. Virg. Aen. VII, 723 Hinc Agamemnonius, Troiani notninis hostis, curru 
iungit equos. 

•) Paul. p. 91 Faleri oppidum a fale dictum. Ib. p. 85 falarica 
genus teti nrissile , quo utuntur ex falis i. e. ex locis exstructis dimicantes, 
und falae dictae ab altüudine, a falando, quod apud Etruseos signißcat 
caelum. Ein kleiner sabinischer Ort in der Nähe von Reale, der Geburtsort 
Vespasians, hiefs Falacrine oder Falacrinum, Sueton Vespas. 2, Anton. Itinerar. 
307, 3 W. Auch Alsium, der Hafen von Caere, hatte nach Sil. Ital. VIII, 476 
seinen INaineu von Halacsus bekommen, [lieber Falerii vgl. Corssen Beiträge 
zur lat. Formenl. 473, über Falacer 344.] 

•) Appian d. ball. civ. II, 20, weil auch Diomedes Argiver und als solcher 
ein Diener der Juno war. Falisca Argis orta, ut auctor est Cato, Plin. H. N. 
III, 51. [Das Wort ist italisch (nicht etruskisch, wie noch 0. Müller Etr. 2 2 , 
2S5 annahm), die Reste der faliskischen Sprache bestätigen den italischen Ur- 
sprung der Stadt und der Kulte. Oben S. 14] Auch die Picentiner in der 
Gegend von Salernum verehrten eine Juno, die sie für die argivische und zwar 
für eine Gründung des lason hielten, Plin. ib. 70. 



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IUSO. 



283 



gemein auch Sommerfeste gegeben zu haben; wenigstens waren in 
Horn nicht allein die Kaienden des März, sondern auch die des Juni 
der Juno vorzugsweise heilig, und ein nach der Juno benannter, 
dem römischen Junius entsprechender Monat fand sich in den Fasten 
der Laurenter und in denen von Lanuvium, Aricia, Tibur und Prä- 
neste l ). Namentlich galten in Rom die Kaienden dieses Monats für 
den Stiftungstag der luno Moneta in Arce, welcher Tempel im 
J. 410 d. St., 344 v. Chr. auf Veranlassung eines Gelübdes des Camill 
auf derselben Stelle erbaut worden war, wo früher das Haus des 
Manlius Capitolinus gestanden hatte»). Weil die Münze der Republik 
in der Nähe lag, ist der Name Moneta auf diese übergegangen, ob- 
wohl der Name der Göttin a monendo abzuleiten ist, nehmlich von 
einer Mahnung welche von dieser Juno ergangen war, nach der zu- 
verlässigsten Ueberlieferung bei einem Erdbeben, wo sie das Opfer 
einer trächtigen Sau forderte 8 ). Als Höhen- und Burggöttin, wie 
Juno auch bei den Griechen, den Etruskern und sonst in Italien ver- 
ehrt wurde, wird sie auch dadurch characterisirt dafs die Krähen ihr 
heilig galten, daher sie jenseits des Tiber in der Umgebung von so- 
genannten Krähen -Göttinnen, Divae Corniscae, verehrt wurde 4 ). 



*) Ovitl F. VI, 57 IT., Macrob. I, 12, 30, vgl. Paul. p. 103 lunium mensem 
dictum jmtant a hmone. Iidem ipsum dicebant lunonium et Iunonaletn. 
Varro b. Ceosorin 22, 12. 

») Becker Handb. 1, 392. Es ist die Höhe der Kirche und des Klosters 
von 8. Maria in Araceli. 

•) S. oben S. 61. Auch auf dem Albaner Berge gab es einen T. der 
Moneta, Liv. XLV, 15 [? aedem Moneta« in monte Albano Drakenb.: adein 
möetalbano die Hs.]. In Benevent, wo man wie in Rom ein Capitol hatte, 
eine Regio Exquilina, eine Regio Viae Novae etc., auch den lup. 0. M. und 
die luno Regina verehrte, gab es eine luno Veridica s. Momrasen I. N. 
n. 1384, welche vermuthlich der Moneta entsprach. Den Kopf der römischen 
I. Moneta sieht man auf den Münzen der gens Carisia [Cohen Cons. T. X Car. 7]. 
Von ihrem Culte am 1. Juni s. Ovid F. VI, 183, Macrob. 1. c., Io. Lyd. IV, 57, 
Kai. Venus. Spätere Erklärungen des Namens b. Suidas v. Movtjra und Schol. 
Lucan. I, 379. [Mommsen Münzw. S. 301.] Der alte Dichter Livius hatte in 
seiner Odyssee [Priscian. VI, 5, 6) die griechische MvnfAoavvn durch Moneta 
übersetzt, die dadurch zur Mutter der Camcnen wurde. 

4 ) Paul. p. 64 Corniscarum divarum locus erat trans Tiberim corni- 
eibus dicatus, quod in Iunonü tutela esse putabantur. Vgl. die trans Tiberim 
gefundne Inschr. b. Or. n. 1850 [C. I. L. 1, 814] DEVAS CORNISCAS 
SACRVM, wahrscheinlich für den Dativ DevaYs CorniscaYs, s. Ritsehl de 
fictil. litter. p. 26 [= Op. 4, 289, vgl. Corssen Ausspr. 1', 764 f.]. Auch zu 



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284 



DRITTER ABSCHNITT 



Denn die Krähen lieben die Höhen und dienen deshalb auch sonst 
als Umgebung der Burggöttinnen z. B. der Pallas in Athen. Zu- 
gleich sind sie Wettervögel und verkündigen durch ihr Geschrei 
Regen 1 ), welches sie gleichfalls zu weissagenden Vögeln speciell der 
Juno machen konnte. 

Endlich ist Iuno Regina d. h. die himmlische Königin, die 
Gemahlin des Iupiter Rex, daher sie neben diesem oder auch allein 
auf den herrschenden Burgen und als Schulzgöttin der Städte, 
namentlich aller Matronen verehrt wurde: ein Cultus welcher vor- 
nehmlich bei den Etruskern geblüht zu haben scheint*), obwohl er 
sich auch sonst in Italien nachweisen läfst, z. B. in Ardea, in Lanu- 
vium, zu Pisaurum in Umbrien und an andern Orten 3 ). In Rom 
hatte diese Bedeutung zunächst die Capitolinische Juno, welche Ovid 
deshalb die Matrona Tonantis mit dem goldnen Scepter nennt; auch 
heifst sie in Inschriften und ofticiellen Urkunden gewöhnlich Regina 4 ). 
Ihr gewöhnliches Opfer waren Kühe, in dem Tempel selbst aber 
wurden bekanntlich Gänse unterhalten, welche als Thiere von feiner 



Lanuvium waren die Krähen der Juno heilig, s. die M. der g. Cornificia bei 
O. Müller Denkra. a. K. I, 45, 341. [Cohen Cons. T. XV, vgl. S. 113.] 

») Lucret. V, 1082, Virg. Ge. 1, 388, Horat. Od. III, 17, 12, Ovid Am. II, 

6, 34. 

*) Scrv. V. A. I, 422, Appian bell. civ. V, 49 von Perusia, diese Stadt 
sei eine der 12 Hauptstädte Etruriens gewesen, cf<6 xal "Hqttv iatßov oia 
TvQQTjvoi. Vgl. Dio XLV1II, 14 und die Juno Regina in Veji. [Vgl. Müller 
Etr. 2», 44, der mit einem »vielleicht' sogar Nebencellen des Juppiter (!) 
und der Minerva, also Capitole annimmt. Vgl. oben S. 241. Ueber Uni, an- 
geblich Hera, Corssen Sprache d. Etr. 1, 380.] 

•) Die Iuno v. Ardea s. Virg. Aen. VII, 419 und die Inschrift des Künst- 
lers, der den Tempel der Güttin, Kegiuac Ianonis supremi coniugis 
tcmplam, mit Gemälden verziert hatte, b. Plin. H. N. XXXV, 115 [Müller 
Etr. 2 a , 269, Lachm. Lucr. 216, Brunn Künstler 2, 303, Hertz Ind. lect. 
Vratislav. aest. 1867 p. 11 f.]. Die Inschrift aas Pisaurum [C. I. L. 1, 173, 
vgl. Riuchl Op. 4, 408] 1VJNOINE REg MATRONA PISAVRESE DONO 
DEDROT d. b. Iunoni Reginae matronae Pisatirenses dono dedertint, eine aus 
Tereventum b. Mominsen I. N. n. 5164. Auch die Inno Moneta führte den Titel 
Regina Or. n. 1299 [= C. I. L. 6, 362]. 

«) Vgl. die Acta fr. Arv. und Marini p. 160 [häufig neben Iuppüer o. m., 
Minerva, Salus p. p. Ä., daher cetfa Iunonis reginae, vgl. Henzen S. 82], 
Ovid F. VI, 34 und 37. [Vgl. C. I. L. 6, 364; auch neben Iuppüer o. m. 
Dolichenus auf dem Aventin das. 365. 366. — In den Provinzen häufig, allein 
oder in Verbindung namentlich mit Juppiter und Minerva: C. I. L. 2, 3, 5]. 



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1UN0. 



2S5 



Witterung *) in jener verhängnifsvollen Nacht die Gallier noch früher 
als die Hunde merkten, daher sie seitdem von der Republik mit 
Ehre überhäuft wurden. Die Censoren pflegten die Fütterung der 
Capitolinischen Gänse unter den ersten Pachtartikeln zu nennen, und 
auf dem Capitole wurde jährlich zur Erinnerung an jenen Tag eine 
Gans mit grofser Pracht auf einer Sänfte um den Tempel getragen, 254 
wahrend ein Hund sich in dessen Nähe lebendig ans Kreuz schlagen 
lassen mufste. Der Juno aber waren die Gänse aus demselben 
Grunde heilig, weshalb sie auch bei römischen und griechischen 
Hausfrauen, selbst der Penelope beliebt waren, weil dieses Thier 
nehm lieh zugleich ein häusliches und ein leicht befruchtetes ist 2 ). 
Ein zweiter Gultus dieser Göttin war der auf dem Aventin, wohin 
er mit dem alten Gultusbilde aus Veji nach der Zerstörung dieser 
Stadt verpflanzt worden war (Liv. V, 22) 8 ). Wie viel Gewicht die 
römischen Matronen auf die Gunst auch dieser Göttin legten, sieht 
man aus verschied n i n Vorfallen während des Hannibalischen Krieges. 
Gleich im zweiten Jahre desselben (217 v. Chr.) wurde bei der 
Annäherung Hannibals den drei Capitolinischen Göttern, der Juno 
Regina auf dem Aventin und der Juno Sospita zu Lanuvium ein 
gröfseres Opfer gebracht, und zugleich sammelten die Matronen Geld, 
um der Juno auf dem Aventin ein Weihgeschenk zu bringen und 
ein Lectisternium zu bereiten, wie es die Libertinen gleichzeitig ihrer 
Schutzgöttin Feronia bereiteten. Zehn Jahre später beschlofs das 
Collegium der Pontifices auf Veranlassung einer monströsen Geburt, 
dafs drei Chöre von neun Mädchen nach griechischer Weise durch 
die Stadt ziehen und ein Lied zu Ehren der Juno Regina singen 
sollten, welches Livius Andronicus gedichtet hatte und mit den Mäd- 
chen im T. des Jup. Stator einübte. Da schlug gar der Blitz in den 
T. auf dem Aventin, worauf die Matronen der Stadt und der Vor- 
städte innerhalb des zehnten Meilensteins neue Gaben und neue 
Opfer darbrachten und nun auch die Decemvira der Sibyllinischen 

\i Lucret. IV, 680 humanuni longo praesentÜ odorem R&mulidarum arcü 
gervator, Candidus anser. Vgl. Liv. V, 47, Plin. H. N. X, 51, XXIX, 57, 
Plut. de fort. Ro. 2. Silberne Gaus in Capitolio, zum Andenken, Serv. V. A. 
VIII, 655. 

*) Petron. Sat. 137 occidisti Priapi delicia*, anserein omnibus matronis 
acceptissimum. Daber Jupiter bei der Leda nicht selten die Gestalt einer 
Gans annimmt. 

*) [Den Stiftungstag 1. Sept. giebt der Arvalkalender allein: vgl. Jordan 
Eph. epigr. 1, 237.] 



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286 



DRITTER ARSCHMTT. 



Sprüche einschritten. Auf ihren Betrieb wurde eine feierliche Pro- 
cessen angestellt, die sich beim Tempel des Apoll vor der p. Car- 
mentalis in Bewegung setzte. Voran schritten zwei weifse Kühe, 
dann folgten zwei Bilder der Iuno Regina von Cypressenholz, darauf 
die 27 Mädchen in langen Kleidern, ihr Lied auf die Juno singend, 
endlich die Decemvirn, bekränzt mit Lorbeern und in priesterlichen 
Gewändern. Vom Thore zogen sie durch den Vicus lugarius auf 
das Forum, wo die Mädchen ihr Lied im Reigen umschreitend vor- 
trugen; dann ging der Zug weiter durch den Vicus Tuscus, das 
Velabrum und das Forum Boarium nach dem Clivus Publicius, der 
255 sie hinauf zum Aventin und zu dem T. der Juno führte 1 ). Ein dritter 
Tempel der Iuno Regina wurde im J. 575 (179 v. Chr.) von dem 
Censor M. Aemilius Lepidus in der Vorstadt des Circus Flaminius 
gestiftet, vermuthlich für die zahlreich bevölkerten Vorstädte im 
Norden der Stadt 8 ). 

Noch ein alterthümlicher Dienst der Iuno war der der Iuno 
Caprotina, doch ist über ihre Bedeutrng nicht mehr aufs Klare 
zu kommen. Am 5. Juli, zwei Tage vor den Nonen, wurden zur 
Erinnerung an eine alte Gefahr die Poplifugia gefeiert, an den Nonen 
selbst das Fest der iuno Caprotina, daher der Tag Nonae Caprotinae 
hiefs. Nach der gallischen Noth, so heifst es, als Rom sehr ge- 
schwächt war, benutzten die eifersüchtigen Nachbarn am obern und 
untern Tiber den günstigen Augenblick zu einem allgemeinen An- 
griff, wobei Postumius Livius, der Dictator von Fidenae, das feind- 
liche Heer führte. Er fordert vom Senat die Auslieferung aller 
römischen Frauen und Jungfrauen. Eine Magd Namens Tutela oder 
Tu tula oder Philotis (ein römischer und ein griechischer Name) er- 
bietet sich mit den übrigen Mägden anstatt der Römerinnen ins 
feindliche Lager zu gehen. Sie kleiden sich danach, begeben sich 
ins Lager, wissen die Feinde zu einem lustigen Gelage zu bereden 
und geben, als jene im tiefen Schlafe liegen, den Römern ein Zeichen 
von einem wilden Feigenbaume (caprificus) aus, welcher dicht bei 
dem Lager stand. Der Ueberlall der Römer gelingt und der Senat 
beschliefst die Freilassung aller Mägde, ihre Ausstattung auf Staats- 

J ) Liv. XXVII, 37. Die zwei Kühe und zwei Bilder sollten vermuthlich 
für die Matronen intra et extra urbem gelten. Dieselbe Feierlichkeit wurde 
nach römischer Weise später bei ahnlichen Veranlassungen unverändert wieder- 
holt, s. tri, Obseq. 46. 48. 

') [Liv. XL, 52, vgl. XXXIX, 3, 8, Cal. Urbin. C. I. L. 1 p. 330.] 



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iuno. 287 

kosten und dafs sie die Tracht der Matronen, in welcher sie in das 
feindliche Lager gegangen waren, für immer beibehalten sollten. Der 
Tag der Poplifugia wurde zur Erinnerung der ersten Bedrängnifs, in 
welche die Römer durch jenen Angriff gerathen waren, jährlich durch 
eine sinnbildliche Flucht gefeiert, von welcher sich auch später einige 
Spuren beim Gottesdienste dieses Tages erhalten hatten 1 ). Am Tage 
der Nonen folgte der Auszug der Mägde und am Tage darauf die 
Siegesfeier mit einer sogenannten vitulatio. An den Nonen zog das 
Volk haufenweise vors Thor und rief sich unter einander mit allerlei 
Vornamen, Caius, Marcellus, Lucius u. s. w. Dann erschienen die 256 
Mägde im Putz und trieben allerlei Muthwillen mit ihnen. Endlich 
folgte ein Opfer und ein festliches Mahl bei jenem Feigenbaum, dessen 
Milch beim Opfer gebraucht wurde und dessen Laub an dem heifsen 
Sommertage einen willkommnen Schatten bot. Andre glaubten dafs 
sich diese Gebräuche auf den Tod des Romulus bezögen, welcher an 
den Nonen des Julius beim Ziegensumpf (ad caprae paludem) unter 
plötzlich hereinbrechendem Gewittersturm, vor dem das Volk aus- 
einander floh, verschwunden war. Es scheint wohl dafs bei diesen 
Ueberlieferungen zwei verschiedne Feste combinirt und darüber mis- 
verstanden wurden, die Poplifugia mit ähnlichen sinnbildlichen Ge- 
bräuchen eines Handgemenges und einer Flucht, wie sie auch sonst, 
bei gewissen Sühnopfern vorkommen 2 ), und ein altes Frauenfest der 
Iuno Caprotina, welches auch sonst in Latium gefeiert wurde 3 ). 
Auch scheint der Name und die Natur des caprificus auf weibliche 
Befruchtung zu deuten, da sowohl der Bock (caper) als die Feige 
(Heus) in dieser sinnbildlichen Bedeutung herkömmlich waren und 
die sogenannte caprificatio d. h. die künstliche Zeitigung der Feige 
mit Hülfe der Frucht eines wilden Feigenbaums um dieselbe Jahres- 
zeit vorgenommen zu werden pflegte 4 ). 



») Varro 1. 1. VI, 18, Kall. MafT. Amitern., Macrob. I, 11, 36, m, 2, 14, 
Pltit. Rom. 29, Camill. 33, Auson. Ecl. de fer. Rom. 9. Aach Augustin C. D. 
II, 6 scheint sich auf dieses Fest zu beziehn: tibi Fitgatia celebrarenlur 
effusa omni licentia turpitudinum et vere Fug-alia, sed pudoris et honestatis. 
[Vgl. Mommsen im C. I. L. 1, p. 396, Huschke Rom. Jahr 422. — Eine Dar- 
stellung der Göttin glaubt Mommsen Münzwesen S. 519 anf dem Denar des 
C. Renius N. 95 (Cohen Cons. T. XXXVI) zu erkennen.] 

») Lobeck Aglaoph. p. 680, Marquardt Handb. d. R. A. IV, 267. 

8 ) Varro 1. 1. VI, 18 Nonae Caprotinae quod eo die in Latio Iunoni Capro- 
tinae mulier es sacrificantur et sub caprifico faciunt, e caprifico adhibent virgmn . 

*) Plin. H. N. XV, 68 f., Colum. XI, 2, 59, Pallad. IV, 10, 28; VII, 5, 2. 



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2S8 



DRITTER ABSCHNITT 



Schon zum griechischen Gebiete von Italien gehört der Cultus 
der Iuno Lacinia in der Nähe von Kroton, doch war er so an- 
gesehn, dafs die Verehrung dieser Göttin auf alle benachbarten Völker 
und somit später auf die Römer uberging. Sechs Millien von der 
Stadt lag der Tempel mit einem Haine, mitten in einem dichten 
Tannengehölz. In dem Haine befanden sich schöne Weiden für die 
heiligen Heerden der Göttin, die einen so reichen Ertrag lieferten, 
dafs eine Säule von solidem Golde davon geheiligt werden konnte. 
Daßs die Kunst der Griechen sehr zur Verschönerung des Ortes bei- 
getragen hatte, beweisen die Münzen von Kroton und Pandosia mit 
dem prächtig geschmückten Kopfe dieser Juno. Pyrrhus und Han- 
nibal ehrten diese Göttin, der letztere, welcher in ihr die Schutz- 
göttin seiner Vaterstadt wieder erkennen mochte, stellte in dem 
2&7 Haine einen Altar auf, auf welchem er in punischer und griechischer 
Sprache ein Verzeichnifs seiner Thaten eingegraben hatte 1 ). Als der 
römische Censor Q. Fulvius Flaccus im J. 174 v. Chr. den Tempel 
der Hälfte seiner Marmorziegel beraubte und diese Ziegel bei einem 
Bau in Rom verwenden wollte, wurde er deswegen vom Senate scharf 
getadelt und mufste die Ziegel wieder an Ort und Stelle schaffen, 
wo man sie aber leider nicht mehr einzufügen verstand 8 ). Zur Zeil 
der Seeräuber wurde der Tempel geplündert und zerstört, doch hat 
der Cultus unter den Kaisern fortbestanden 8 ). Von der Iuno Cae- 
lestis, der alten Schutzgöttin Karthagos, wird unten die Rede sein. 
Schon im zweiten punischen Kriege wurde sie als solche von den 
Römern feierlich beschworen, im dritten förmlich evocirt (Serv. V. A. 
XII, 841), daher sie auch bei den Dichtern, zuerst bei Naevius, 
später bei Virgil eine bedeutende Rolle spielte. Andre Iunones sind 
die in den Iuschriften der nördlichen Gegenden erwähnten Iunones 
Montanae, häufiger Matres und Matronae genannt, segnende 
Göttinnen der Flur und des Waldgebirges, welche von der celtischen 
Bevölkerung des nördlichen Italiens und des südlichen Deutschlands 
bis zur Donau, auch Galliens, Spaniens, so wie am Niederrhein und 



Vgl. Martial. IV, 52 Gextari innctis nUi desinis Hedyle capris, Qui modo ficus 
erat, tum caprificus erit. 

») Liv. XXIV, 3, XXV1U, 46, XXX, 20, Cic. d. Divin. I, 24, 48. 

») Liv. XL1I, 3, vgl. Lactant. II, 7, 16. 

») Plut. Pomp. 24, Strabo VI p. 261, vgl. die Inschr. aus Kroton b. 
Mommsen I. N. n. 72 Herne Laciniae sacrum pro salufe Marcianae sorori 
Aug. Oecitis Hb. proe. 



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289 



in Britannien viel verehrt wurden und auf den zahlreich vorhandnen 
Votivsteinen in der Gestalt von drei neben einander sitzenden Frauen 
vergegenwärtigt werden, welche gewöhnlich Blumen und Früchte in 
ihrem Schoofs haben 1 ). 

Wie Jupiter zuletzt vorzugsweise für einen Schutzgott der Kaiser 
galt, so Juno der Kaiserinnen, daher sie bei ihren Entbindungen als 
Lucina, sonst als Augusta und Conservatrix oft angerufen wurde 8 ). 
Eine eigenthümliche Gestalt dieses späteren römischen Junodienstes 
ist die Juno Martialis mit dem Attribut der Scheere und einer Lanze, 25s 
wahrscheinlich auch eine Entbinduncsgöttin a ). 

4 Minerva 

Auch diese Göttin ist dem Namen nach italisch, doch scheinen 
etruskische und griechische Einflüsse in ihrem Culte wenigstens in 
Rom bald die Oberhand gewonnen zu haben. Der Name Minerva 
oder Menerva, auf etruskischen Denkmälern Menerfa und Menrfa ist 
auf den Stamm men zurückzuführen, zu welchem auch die Wörter 
mens, memini, das griechische pivoq, im Sanskrit manas gehören, 
so dafs die Grundbedeutung auf eine göttliche Macht des Verstandes, 
des sinnigen Denkens und Erfindens hinweist 4 ). Sie wurde auch 

») Boissieu loser, antiqaes de Lyoa p. 55 sqq., De Wal de Moedergodinnen, 
Leyden 1846. Sehr oft ist von ihnen io deo Jbb. des Vereins d. A. F. io 
d. Rhein lau de Ii die Rede, da solche Denkmäler besonders häufig am Nieder- 
rhein gefunden werden. [Vgl. über sie auch L. Stephani Nimbus u. Strahlen- 
kranz S. 76 u. Frz. Fiedler die Gripswalder Matronen- u. Mercuriussteiae, 
Bonn 1863. Iunones matronae in Como C. I. L 5, 5240, /. montanae INemausus 
Or. 1324; Iunones häufig im C. I. L. 5 (s. p. 1179); 2, 2764. 2776; 3, 4766. 
Matres (oben S. 56) und Matronae häufig Brambach C. 1. Rhen., auch mit 
keltischen (oder deutschen?) Beinamen (wie Eiraienae, Gesahenae). S. neuer- 
dings besonders die vorzügliche Abbildung des Matronensteins von Rödingen 
erläutert von Haug und Hübner Archäol. Zeitung 34, 61 ff.] 

3 ) Vgl. Or. n. 849. 1290. 1301 und oben S. 273 f. Wie in Rom in 
solchen Fällen der Iuno Lucina , so wurde in Aegypten bei ähnlichen Ver- 
anlassungen der Isis Aoxiat geopfert, s. Letronne Ree. des Inscr. Gr. et Lat. 
de l'Egypte 1 p. 379. 

») Eckhel D. N. VII p. 358, Welcker kl. Sehr. 3, 199. 

*) Quiotil. I, 4, 17 Qttid? non E quoque I loco juit? Menerva et leber et 
magester et Düove VidLore , non Dünn Victori? Vgl. die Inschr. b. Or. n. 
1421 [C. I. L. 1, 191 — 6, 523, Rom?] PL Specios Menervai donom port (das 
t nicht ganz sicher); [dieselbe Form haben die Betschrift der pränestinischen 
Ciste Mon. dell' inst. 9 T. LVIII. LIX, die republ. Ioschr. von Aquileja 1457 
= 5, 799 und der Gegend von Triest 1462 = 5,703, endlich die etruskischen, 
Praller, Rom. Mjthol. L S. Aufl. 19 



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291) 



DRITTER ABSCHNITT 



bei den Sabinern als Burggöttin verehrt, in welcher Bedeutung sie 
u. a. in der Gegend von Reate einen sehr alten Tempel hatte 1 ). 
Vorzüglich aber scheint ihr Cultus doch bei den Etruskern gepflegt 
zu sein, als der einer blitzschleudernden Göttin der Höhen und aller 
sinnreichen Erfindungen, namentlich auch der gottesdienstlichen 
Flötenmusik, welche diese etruskische, in mancher Hinsicht an Lydien 
erinnernde Minerva wahrscheinlich mit sich nach Rom gebracht hat. 
Noch später trat der griechische Einflufs hinzu, der sich namentlich 
im Gebiete der Poesie und der Schauspielkunst geltend machte, 
welche wie wir sehen werden in Rom gleichfalls unter den Schutz 
der Minerva gestellt wurden. Ueberhaupt kannte Rom zwar auch 
die blitzschleudernde und die kriegerische Minerva*), die griechische 



ü. Möller Etr. 2, 48 Corssen, Sprache d. Etr. 1, 246, und die faliskische, 
Garucci Ann. 1860, 266 — Diss. arch. S. 61] und die Form promenervat für 
monet aus dem carmen Saliare b. Fest. p. 205. Das V wird oft nach R eio- 
geschoben, wie in dem Liede der Arvalen luerve d. i. luervem für luerem 
steht und arvum von arare gebildet ist, vgl. auch caterva, nervus, servns, 
cervus u. a. Bei Paul. p. 123 heifst es Minerva dicta quod bene moneat. 
Sonst pflegen die Alten speciell die Thätigkeit des Gedächtnisses, der memoria, 
von der Minerva abzuleiten, s. Augustin C. D. VII, 3, Arnob. III, 118. [Ueber 
den Namen Corssen Krit. ßeitr. 409 Curtius Grundz. »312. Entscheidend 
kommt jetzt das latinisirte menurbid (für marsisches menurfid) der Inschrift 
vom Fucinersee, im Sinne von decreto, scito, hinzu: lat. ital. men-er-va (da- 
von men-er-va-re, inen-er-bi-d) ist mit cat-er-va, nov-er-ca, lup-er-cus zu ver- 
gleichen (Jordan Krit. Beitr. 207 f. Hermes 15, 9). — Das Wesen der ital. 
Minerva ist durch die griechische Pallas und die etrusk. Verwendung als 
Blitzgöttin, in welcher Gestalt sie nach Rom zurückkam, verdunkelt, die Spar 
einer Beziehung zum alten Jahresgott Mars sehr unsicher, worüber A. 2. 
Sicher erscheint sie früh und national als Schutzpatronin der Werkthätigkeit, 
des kunstfertigen Handwerks, daher weiterhin als Schutzpatronin der Künstler. 
Etruskische Einflüsse aufserhalb des bezeichneten engen Kreises sind nicht 
nachweisbar.] 

>) Dionys. I, 14, vgL Varro L L V, 74 und das Capitoüum vetus ib. 158 
[s. unten]. Auch bei den Aurunkern und in Campanien und Samnium wurde 
Minerva verehrt, s. Mommsen I. N. n. 4093. 5356, Klausen Aeneas S. 692. 
[Alter und Art dieses Kultus ist zweifelhaft]. 

») Liv. XLV, 33 und Virgil. Aen. I, 42, XI, 259 mit den Noten des 
Servius. [Die von P. noch a. Stelle Liv. XXXII, 1 enthält nichts Bezügliches. 
Aber auch die übrigen beweisen Nichts: bei Liv. erscheint M. neben Mars 
und Lua, quibus spolia hostivm dicare ius fasque, bei Virg. schleudert die 
griechische Pallas und die Schol. bringen dies mit Varros 4 blitzschleuderndeo 
Gottheiten, unter denen Minerva war, dies wieder mit der eapitoliniseben M. 
in Verbindung (zu I) und nennen manubiae minervales eine besondere Art der 



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MINERVA. 29t 

Pallas, doch herrschten ihre friedlichen Beschäftigungen vor, bis 
Minerva eben in Rom zuletzt ganz einseitig die Göttin aller Erfin- 259 
düngen und aller Kunst und Wissenschaft geworden ist. 

Die ältesten und wichtigsten Heiligthümer der Minerva lagen 
alle auf den Höhen der Stadt, auf dem Capitol, dem Aventin und 
dem Caelius. Auf dem Capitol befand sich ihre Cella zur Rechten 
des Jupiter (S. 217 f.), welcher Platz nicht immer nothwendig der 
Ehrenplatz war, wie denn Juno als Gattin des Jupiter und als Regina 
jedenfalls mehr zu bedeuten hatte als Minerva. Dafs diese auch auf 
dem Capitol vorzugsweise das geistige Princip, Intelligenz und Er- 
findsamkeit vertrat, sieht man aus dem Gebrauch, den Jahresnagel 
in der Wand zwischen ihrer und Jupiters Cella einzuschlagen, weil 
die Zahl eine Erfindung der Minerva sei 1 ). Uebrigens hatte sie so- 
wohl an den Römischen Spielen als bei andern Gelegenheiten den 
gleichen Antheil wie Juno 8 ). Dafs auch der Tempel auf dem Aventin 
alt und angesehn war 8 ), folgt aus seinem engen Zusammenhange mit 
dem Feste der Quinquatrus, sowohl der gröfseren als der kleineren, 
bei denen wahrscheinlich diese Minerva als Schutzpatronin der 
Pfeiferzunft vorauszusetzen ist. Eben dieses mag der Grund gewesen 
sein, warum später auch die scribae und histriones d. h. die Dichter 
und Schauspieler von Dramen in griechischer Manier unter den 



Blitze (zu XI). Dafs hier etruskische and griechische Vorstellungen durch- 
einandergerührt sind , bat schon 0. Müller Etr. 2, * 48 erkannt Ueber die 
Deutung der Nerio als Minerva unten zu S. 303.] 

*) Liv. VIT, 3. Varro erklärte Jupiter für den Himmel, Juno für die 
Erde, Minerva Pur die Ideen, dieses im Sinne der Platonischen Philosophie, 
caelvm a quo fiat aliquid, terram de qua /tat, exetnplum secundum quod fiat, 
August. C. D. VII, 28. 

a ) [Die von P. hier angezogene Stelle des Fälschers Fulgentius p. 560 
lehrt nichts.] 

*) Ueber die Lage s. Becker Handb. 1, 454, wo Orosius Bist. V, 12 über- 
sehen ist, nach welcher Stelle dieser Tempel nicht weit von dem der Diana 
lag. [Preller, Ausgew. Aufs. S. 513; vgl. Nissen Rh. Mus. 28, 548. 29, 422. 
Gegen die Annahme, dafs die Tempel des Jupiter Libertas, der Juno regina, 
der Minerva auf dem Aventin eine capitoliniscbe Trias gebildet haben s. 
Jordan Eph. ep. 1, 238 f.] Nach Verr. Flaccus in den Pränestio. Fasten u. 
Fest. p. 257 wurde der Tag der grosseren Quinquatrus d. h. der 19. Marz 
zugleich als Geburtstag der Minerva und als Stiftungstag dieses Tempels ge- 
feiert, nach Ovid F. VI, 722 und dem Kai. Amitern. und Esquil. der 19. Juni, 
bald nach den kleineren Quinquatrus. [Ueber die Stiftungstage der Minerva 
auf dem Aventin und der Minerva Capta auf dem Coelius f. Jordan a. 0.] 

19* 



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292 DRITTER ABSCHNITT. 

Schutz derselben Minerva auf dem Aventin gestellt wurden und dort 
ein amtliches Local für die Versammlungen und Uebungen ihrer 
Zunft angewiesen bekamen. Es geschah zur Zeit und zur £hre des 
Livius Andronicus, weil dessen Gedicht auf die Juno Regina (S. 285) 
einen vorzüglichen Erfolg gehabt hatte, daher die Zunft der Dichter 
und der Schauspieler den Livius später in diesem Tempel als ihren 
260 Stifter verehrte 1 ) und Verrius Flaccus zum 19. März diesen Tag, 
den Einweihungstag des Tempels, einen Tag der Künstler (dies 
artißcum) nennt. Endlich auf dem Caelius wurde eine Minerva 
Capta oder Capita verehrt, deren Tempel nach Ovid am Tage der 
Quinquatrus eingeweiht worden war, so dafs also auch sie bei diesem 
Feste betheiligt gewesen sein muß. Der Name wird sehr verschieden 
erklärt, am wahrscheinlichsten dadurch dafs der Kopf für den Sitz 
des Verstandes und Minerva in Rom vorzugsweise für die Göttin der 
Intelligenz galt 9 ). 

') Fest. p. 333 Scribas proprio nomine anliqui et librarios et poelas vocabant. 
— Itaque cum Livius Andronicus bello Punico secundo scripsisset Carmen, 
(juod a virginibus est cantatitm, quia prosperius resp. populi R. geri coepta 
est, publice adtributa est ei (vulg. et) w Aventino aedis Minervae, in qua 
liceret scribis hUtrionibusque consistere ac dona ponere in honorem Livi, quin 
is et scribebat fabulas et agebat. Vgl. Valer. Max. III, 7, 11 und 0. Jahn 
in den Leipz. Berichten 1856, 293 ff. 

J ) Ovid F. III, 835 ff. Capitale vocamus ingenium sollers: ingeniosa Dea 
est. Vgl. Io. Lyd. de Mens. IV, 39 xapakahtv 6k Id&tfväv ttjv tpQovnoiv av 
us elnoi, und Cic. ad Q. Fr. H, 13 (11), 4 von dem Historiker Philistus: 
Siculus üle capitalis, creber, acutus etc. Trebell. P. XXX tyr. 10, 3 ca- 
pita Ii et uim ioco regna promeruit. Die bei Ovid zuletzt erwähnte Beziehung 
des Namens auf Capitalstrafen wird durch Paul. p. 66 capitalis lucus unter- 
stützt, vgl. Brunn Annal. dclP Inst. 1849 p. 376. [Doch ist diese Deutung 
sprachlich unmöglich, obwohl schon von Ovid zweifelnd vorgeschlagen. Der- 
selbe denkt außerdem noch an das Haupt des Zeus und fragt dann: An quia 
perdomitis ad nos captiva Falücis venit et hoc ipsum littera prisca docet? 
An quod habet legem capitis quae p ender e pomas ex illo iubeat furta reperta 
loco? D. b. also: stand in alten Annalen dafs sie capta hiefs weil sie aus 
Falerii (wie Juno Curritis, s. oben) stammte? oder weil das Tempel Statut 
statt einer Mult eine Ca pi talstrafe verhängte sei qui heic sacrum surupuerit 
(wie das Statut von Furfo sagt)'? Wundersame Auslegungen dieser einfache» 
etymologischen Hypothesen giebt Huschke R. Jahr 355 Jahrb. f. Phil. Sappl. 5, 
827f. Der Name kann wohl nur die .Gefangene' bedeuten: sie kann aus 
Falerii stammen. In dem neuen Falerii hatte sie einen Kalt; aber die In- 
schrift Fabr. 2441 Menerva \ A. Cotena La f. p[r . .] | senatuo sente[ntia?) | 
dedet cuando | cuncaptum lehrt auch eben nur dies und cuncaptum, was es 
auch bedeuten möge (doch wohl = captum, Huschkes Ergänzung ist wili- 



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MINERVA. 



293 



Wie der Juno so scheint auch der Minerva seit alter Zeit der 
März und der Juni geweiht gewesen zu sein, und zwar in beiden 
Monaten der fünfte Tag nach den Idus, welcher nach einem im 
älteren Italien ziemlich allgemeinen Sprachgebrauche Qu inquatrus 
genannt wurde 1 ): also der 19. März und der 19. Juni, welche Tage 
zugleich als Einweihungstage der Tempel auf dem Aventin und dem 
Caelius gefeiert wurden. Auch galt die Fünfzahl überhaupt für die 
der Minerva und der 19. März für ihren Geburtstag. Indessen hatte 
man später das richtige Verslandnifs des Wortes Quinquatrus ver- 
loren, daher man dieses Fest nun fünf Tage lang vom 19. bis zum 
23. März feierte, von welcher Feier Ovid. F. III, 809-834 eine 
Uebersicht giebt. Der erste Tag, also der ursprünglich einzige, sei 
friedlicher Art, weil Minerva an ihm geboren sei, die folgenden vier 
würden der kriegerischen Minerva zu Ehren mit Gladiatorenspielen 
begangen. Indessen scheint dieses erst seit August der Fall gewesen 
zu sein»), da die Gladiatoren erst seit 264 v. Chr. und lange nur m 
bei Leichenspielen, erst gegen das Ende der Republik auch bei 
gottesdienstlichen Spielen zugelassen wurden. Vom 19. März wissen 
wir überdies dafs dann eine Feier der Salier auf dem Comitium statt- 
fand, doch scheint diese mehr der sabinischen Nerio, welche später 
mit Minerva verwechselt wurde, als dieser gegolten zu haben, wie 
die Tubilustrien am 23. März d. h. die Weihe der zum Gottesdienste 
erforderlichen Trompeten 8 ). Sonst überwog bei den Quinquatrus 



kürlich) hat mit der römischen Capta Nichts zu tbun. Aach an Minerva als 
tteutegöttin (oben S. 290, 2) zu denken verwehrt das Wort entschieden. — 
Das Heiligthum stand zwischen Colosseum und SS. Quattro coronati, io seiner 
Nähe, wie öfters bei Miaervenheiligthümern (vgl. unten zu S. 264), später 
ein Isisheiligthum: Jordan Top. 2, 255.] 

*) Man zählte aehmlich von den Idus an Triatrus, Quinquatrus, Sexatrus. 
Septimatrus, Decimatrus, s. Varro 1. 1. VI, 14, Fest p. 254. Vgl. Charis I 
p. 62 [S. 8t K.J und Serv. V. Georg. I, 277. [S. Mommsen im C. L L. I, 389] 

») VgL Dio L1V, 28. Auch Domitian feierte sie auf seinem Albanum mit 
Gladiatoren, Dio LXVI1 , 1. Von Rom und Italien verbreiteten sich diese 
blutigen Spiele auch nach Griechenland, z.B. nach Koriath und Athen, wo 
unter den Kaisern sowohl bei den Panathenäen als bei den Dionysien Gla- 
diatoreo auftraten, Pbilostr. v. Appollon. IV, 22. 

») [Der Zusammenhang des Festes mit den Quinquatrus den Mommsen 
C. 1. L. 1 S. 389 hervorhebt wird nach dems. jetzt noch deutlicher durch die 
Inschr. aus Rantum ia superior v. J. 229 Epb. epigr. 4, 146 n. 503 Minervae 
4ug{tutae) sac{rum): scola tubicinum ex voto patuä. Doch kann auch anders 
erklärt werden: s. zu S. 262.] 



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294 DRITTER ABSCHNITT. 



ganz der friedliche Character von Kunst und Wissenschaft, beides 
im weitesten Umfange genommen, von dem Lesen und Lernen der 
lieben Schuljugend und der weiblichen Handarbeit an bis zu dem 
Pinsel des Malers und dem Meisfel des Bildhauers. So waren die 
Quinquatrus zunächst im kreise der Schulen ein sehr populäres 
Fest, sowohl für die lernenden Kinder als für die Lehrer, von denen 
jene Ferien bekamen und nach dem Feste einen neuen Gursus be- 
gannen, diese in der Form eines freiwilligen Geschenks, des soge- 
nannten Minerval, ihr Honorar erhielten, s. Horat. Ep. II, 2, 197, 
luvenal. X, 114 — 117 u. A. l ) Ferner verehrten Mädchen und Frauen 
die Minerva vorzüglich an diesem Feste als die Urheberin der künst- 
lichen Wollarbeit im Spinnen und Weben, welche nach alter Sitte, 
da die Hausfrau noch selbst für die Bekleidung des Mannes und der 
Kinder sorgte, in Rom immer sehr hoch geschätzt wurde. Daher 
kommt es wohl auch dafs die solchen Beschäftigungen nahe ver- 
wandte Zunft der Walker (fullones), welche die Kleider durch 
Stampfen, Waschen, Pressen u. s. w. zum neuen Gebrauche her- 
stellten, an diesem Feste merklich hervortritt: ein zahlreiches Ge- 
werbe, welches zu Rom im volksthümlichen Leben eine gewisse Rolle 
spielte und deshalb auch auf der volksthümlichen Bühne oft bedacht 
wurde. Wie sie die Minerva überhaupt als ihre Schutzpatronin ver- 
ehrten und dieselbe deshalb in ihren Werkstätten durch ihre Bilder 
und Attribute vergegenwärtigten, so wurden namentlich von ihnen 
die Quinquatrus in heitrer Lust begangen 2 ). Aber auch andre Hand- 
werker, die Schuster, die Tischler, feierten das Fest in ihrem Sinne 
262 mit 3 ), ferner die Aerzte, welche allmälich mit der griechischen Wissen- 

») [S. jetzt Marquardt Staateverw. 3, 417 Privatleben 1», 92f.] 
*) Plin. H. N. XXXV, 143 Simus (pinxil) iuvenem requiescentem , offi- 
cinam fullonis Quinquatrus celebrantem. Vgl. 0. Jahn Archaol. Ztg. 
1S54 S. 191 und das Fragm. des Novius bei Non. Marc. p. 508, 20 fullonem 
compressi Quinquatrubus. [Fullones weihen in Spoleto der Minerva (C. 1. L. 
1, 1406), lotores in Aquileja, wo ebenfalls schon io republikanischer Zeit ein 
Minervenkult war (oben S. 289, 4), der Minerva Augusta. S. Mommsen, Zs. 
für gesch. Rechtswissenschaft 15, 330.) 

») [S. Ovid a. 0. 621 ff. Die nahe Verbindung der Schasterzunft mit Mi- 
nerva scheint daraus hervorzugehen, dafs das Tubiiustrium in atrio sutorio 
vorgenommen wird, welches Mommsen sogar mit dem atrium Minervae am 
Forum identificiren wollte (Controverse: Mommsen C. I. L. 1 S. 389, 23. März 
vgl. Urlichs Memorie dell' inst. 2, 85 Jordan Hermes 4, 232). — In Pisaurum 
(256 p. C.) in schola deae Minerve Jug(ustae) col{leg ittm) fab{rum) collegae 
unicersi convenerunt (Fiorelli Wotirie 1880, 261).] 



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MINERVA. 



295 



schaft nach Rom kamen und dort in der Minerva Medica ihre Schutz- 
patronin verehrten 1 ), endlich die Maler, die Bildbauer, die Redner 
und Dichter, sammt andern Professionisten der geistigen Arbeit 2 ), 
deren Verhältnifs zur Minerva durch die bekannten Redensarten pingui, 
crassa, invita Minerva und das dem Griechischen nachgebildete Sprich- 
wort sus Minervam (Fest. p. 310) angedeutet wird. Also eine fest- 
liche und volkstümliche Bewegung durch alle Hauser und die ver- 
schiedenartigsten Berufskreise, daher dieses Fest auch unter den 
Kaisern immer mit grofser Heiterkeit begangen wurde, seit Nero 
vermuthlich auch mit öffentlichen Spenden 8 ). 

Die kleinen Quinquatrus an den Iden des Juni entsprachen im 
Wesentlichen den grofsen, nur dafs sie specieli ein Fest der Pfeifer- 
zunft waren, deren Angehörige dann in der Stadt umherschwärmten, 
in ihren langen Kleidern und maskirt, häufig auch betrunken, denn 
die Musik hat von jeher den Wein geliebt, wie Livius bei dieser 
Gelegenheit hinzusetzt. Auch sie versammelten sich dann beim 
Tempel der Minerva, ihrer Schutzpatronin 4 ), hatten aber auch das 
Recht auf einen festlichen Zunftschmaus im Tempel des Capitolini- 



l ) S. ni. Regionen S. 133. [Joppiter, Minerva, Valetndo vereint Wil- 
ma uns Ex. 2753.] Es scheint dafs Varros Satire Quinquatrus eine Gesell- 
schaft von Acrzten, welche dieses Fest feierten, darstellte. Auch die Minerva 
Memor verschiedner Inschriften aus der Gegend von Placentia, Velleja und 
Mediolanum b. Or. n. 1427 — 1429 kann von der M. Medica nicht wesentlich 
verschieden gewesen sein. [Sie heifst auch Cabardiacensis, wahrscheinlich 
von dem Ort wo sie verehrt wurde, und Medica: Bortolotti Bull, dell' ist. 
1867, 21 9 ff. 237 f. vgl. Friedländer Darstell, a. d. Sitteng. 3, 478.] 

*) [Gehören dazu auch die Militärmusiker wie alle Musiker? Auf dem 
Cälius in Rom: Miner[vae] donum [dat] conkgi[um cor]nieinutn C. I. L. 
6, 524; am Rhein: Minervae aeneatores eoh. I Seq. et Raur. v. s. I i m. 
VVilmauns Ex. 1531. Bei der verhältnissmässig geringen Anzahl von Steinen 
des Mioervenkulta fallt dies Zusammentreffen ins Gewicht. Vereinzelt arti- 
ficibus Miner(vae) Babullia Sex. f. Maxi[m\a v. $., Oalmatien C. I. L. 3, 3136.] 

8 ) Sueton Octav. 71 Quinquatrus satis iucunde egimus. Vgl. Tacit. Ann. 
XIV, 4 und 12 und die Münzen von Nero, Titus, Nerva u. A. b. Eckhel 
1). N. VI p. 270. 276 u. a. , wo bei der Inschrift CONG. DAT. POP. S. C. 
der Kaiser auf einer Tribüne sitzend die Geschenke vertheilt, das Bild der 
Minerva und ihre Attribute neben ihm aber wahrscheinlich auf die Quin- 
quatrus deutet. 

4 ) Varro 1. 1. VI, 17 Quinquatrus Minusculae dictae luniae idus ab simili- 
tudine Maiorum, quod tibicines tum feriati vagantur per urbem et conveniunt 
ad aedem Minervae. Vgl. Fest p. 149, Ovid F. VI, 649 ff, Liv. IX, 30, 
Valer Max. II, 5, 4, Censoriu d. d. n. 12, 2. 



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296 



DRITTER ABSCHNITT. 



sehen Jupiter an diesem Tage, und dieses gab gelegentlich zu einer 
nicht geringen Störung Aula ('s, die glücklicher Weise mit allgemeiner 
Heiterkeit endigte. Diese Zunft der Pfeifer war nehmlich seit alter 
Zeit eine sehr zahlreiche und wichtige, da bei den meisten Opfern, 
Spielen, auch bei den Leichenbegängnissen die Musik und Begleitung 
der Flöte nicht zu entbehren war; daher sie nicht allein sehr gut 
bezahlt, sondern auch sonst ausgezeichnet und verzogen wurden. 
Als ihnen daher während der berühmten Censur des Ap. Claudius 
263 Caecus und G. Plautius im J. 312 v. Chr. jenes alte Recht des 
Zunftschmauses im T. des Jupiter genommen wurde, waren sie sehr 
empört und beschlossen die Römer durch eine förmliche Secession 
von ihrer Unentbehrlichkeit zu überzeugen. Sie rottirten sich also 
zusammen und zogen nach Tibur, worüber man in Rom wirklich 
in Verlegenheit kam. Also schickte der Senat nach Tibur, man 
möge eine Ausgleichung in Güte herbeiführen. Die Tiburtiner 
suchten ihre Gäste zu überreden; als sie nicht hören wollten, gelang 
eine wohlberechnete List. An einem Festtage ladet man sie ein, 
trinkt ihnen weidlich zu, bis sie berauscht und eingeschlummert 
sind; darauf packt man sie in grofse Wagen und zurück geht es 
nach Rom. Auch sollen sie nicht eher zum Bewufstsein gekommen 
sein, als nachdem sie auf dem Forum richtig angelangt waren und 
der junge Tag den Katzenjammer beleuchtete. Da lief alles Volk 
zusammen und sie liefsen sich bereden zu bleiben und feierten 
seitdem jährlich diesen Tag mit lustigen Aufzügen durch die Stadt, 
auch wurde denen, die zu Opfern aufspielten, das Recht des Mahles 
auf dem Capitol wieder hergesteilt 1 ). Ovid erzählt dieselbe Ge- 
schichte mit einigen Abweichungen, denen man den Humor des 
Tages anmerkt. 

Je länger Minerva in Rom verehrt wurde, desto mehr trat 
natürlich die griechische Auffassung in den Vordergund. So wenn 
Pompeius ihr nach seinen Feldzügen im Orient von der Beute ein 
Heiligthum gründete und in demselben ein Verzeichnifs seiner Thaten 
aufstellte, PI in. H. N. MI, 97, wobei ihm die Athena Nike der 
Griechen vorschwebte; und wenn Cicero das Bild der Minerva, in 
welchem er die Göttin in seinem Hause verehrte, bei seiner Ver- 
bannung aufs Capitol weihte, als Custos Urbis, wie die Inschrift 



*) (Daher die \\ idmuog [magistri] quinq(ennales) | [coüegi] Unb(icinum) 
qui | s(acru) p(ublicu) p{raesto) s(unt) hv(i) Epul{oni) s{acrurn) C. I. L. 6, 3696.] 



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MI5ERVA. 297 

4 

sagte, d. h. als eine solche welche Volk und Senat mit ihrem Geiste 
erfüllen und behüten sollte, s. Plut Cic. 31, Cic. de Leg. II, 17. 
Es ist die von den (kriechen allgemein verehrte Athena ßovXaia 
und äyogata, welcher in Rom das erste Heiligthum von August 

k gestiftet wurde, in Verbindung mit seinem Neubau der Curie am 

Forum, welche er die Mische nannte und mit einem der Minerva 
geweiheten Chalcidicum d. h. einer Eingangshalle versah, s. Dio 
LI, 22 1 ). Als diese Curie in späteren Feuersbrünsten unterging, 
bauete Domiüan, der Hersteller des Forums, an ihrer Stelle einen 
eignen T. der Minerva, welcher neben dem der Castoren und dem 
des Augustus auf Militärdiplomen bis in die Zeit der Gordiane er- 
wähnt wird. Das neue Senatsgebäude dagegen wurde von ihm in 
der Gegend des alten Janustempels (S. 173) erbaut und mit dem- 
selben auch hier ein eignes atrium Minen ae verbunden 8 ). Minerva, se» 
die personilicirte Intelligenz, gehörte seitdem so wesentlich zum 
Senate, dafs auch in Constantinopel, dem neuen Rom, ihr Bild vor 
der Curie stand 8 ). Bei Domitian kam noch die persönliche Vorliebe 
für den Dienst der Minerva hinzu, wie er denn für einen besondern 
Schützling, ja sogar für den Sohn der jungfräulichen Göttin gelten 

v wollte*). Wie er daher die Stadt und ihre öffentlichen Gebäude, 

auch seine Münzen zum Ueberdrufs mit den Bildern und Attributen 
der Minerva erfüllte, so pflegte er auch die Quinquatrien in seiner 
burgartig befestigten Villa am Albaner Berge (in der Gegend von 
Castel Gandolfo) mit besonderm Eifer zu feiern; ja es war von ihm 
zu diesem Zweck ein eignes Collegium gestiftet worden, welches für 
die Feier und für Jagden, scenische Spiele und die damit verbun- 
denen rhetorischen und poetischen Wettkämpfe, deren die Dichter 



*) [Dio nach cod. Veo.: ro 94 'A^vatov ro Xabttduöv uvopaaugvov; 
August™ selbst: chalcidicum s. Mommsen Res g. d. Aug. p. 52]. 

*) [Vielmehr ist das atrium Mimrvae neben dem senalus ( Domitiani) der 
ISotit. R. VIII das restaurirte Chalcidicum des Augustus: unsicher ist die 
Erklärung der seit d. J. 93 p. C. auf den Militärdiplomen vorkommenden 
Ortsbestimmung post templum divi /4ug{uuti) ad Minervam; Curios. R. VIII 
templum Cattorum et Minervae; vgl. den Katalog der Bauten Domitians 
Jordan Top. 2, 32.] 

«) Zosim. V. 24. Sonst pflegt auch die Sapieotia und Providentia Prin- 
ripis durch die Attribut« der Minerva ausgedrückt zu werden, a. Eckhel D. 
N. VIII p. 65. 

«) Sueton. Domit. 15, Quintil. X, 1, 91, Phüostr. V. Apollon. VII, 24. 



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298 



DRITTER ABSCHNITT 



der Zeit wiederholt gedenke», zu sorgen hatte 1 ). Auch in Rom ent- 
standen durch diesen Kaiser noch zwei Tempel der Minerva, der 
der Minerva Chalcidica in der Gegend der Kirche und des Klosters 
von S. Maria sopra Minerva, wo die schöne Statue der Pallas Giu- 
sliniani gefunden sein soll, und der Tempel auf dem von Domitian 
erbaueten, aber erst unter Nerva vollendeten Durchgangsforum 
(f. transitorium) in der lebhaften Passage zwischen dem f. Iulium 
und dem f. Pacis. Die Ruine dieses Tempels hatte sich bis in das 
16. Jahrhundert erhalten, ein Theil der Ringmauer aber steht noch, 
geschmückt mit Bildwerken, welche die Sorge der Minerva für weib- 
liche Handarbeit und die Bestrafung der überm üthigen Arachne ver- 
gegenwärtigen 2 ). Durch Hadrian wurde in Rom auch ein eignes 
Athenaeum d. h. eine unter diesem griechischen Namen dem Schutze 
der Minerva empfohlene BUdungsanstalt in griechischer und latei- 
nischer Rede und Poesie gestiftet 8 ). Ja noch Gordian wurde der 
Stifter eines neuen Spieles der Minerva, indem er die von Nero 
2w den cyciischen Spielen der Griechen nachgebildeten Neronia, das 
erste Beispiel der Art in Rom, wiederherstellte und der Minerva 
weihte *). 

Auch das Bild der römischen Minerva war ganz das griechi- 
sche 5 ), ja es fand sich neben den kunstgerechten Bildern der Göttin 
auch hier ein sogenanntes Palladion, welches wie gewöhnlich für 
das troische galt und für eins der wirksamsten Unterpfander des 
göttlichen Segens gehalten wurde. Die Familie der Nautii, angeblich 



») Sueton. 4, Dio LXVII, 1, SUt Silv. III, 5, 28, IV, 2, 64ff.; 5, 21. 
Auch V, 3, 228 und oft bei Martial wird auf diese Wettkämpfe, bei denen 
goldne Kränze vertheilt wurden, angespielt. [Vgl. Friedlander Darst. a. d. 
Sitteng. 3, 328.] 

*) [Nah der Minerva Chalcidica stand das Isenm, vgl. oben S. 292, 2 a. E. 
Ueber den Fondort der jetzt im Braccio noovo des Vatican befindlichen Pallas 
vgl. Nibby zu Nardioi 3, 131. — Ueber den Tempel auf dem Forum transitorium, 
der die Inschrift . . . Mi]neroae fecä trog, Jordan Forma urbis S. 27. Die 
Bildwerke jetzt genau Mon. «teil* inst. 10 T. XL— XLIa mit Blumners Text 
Ann. 1877, 5 ff.] 

*) Die spateren Kaiser unterhielten diese Stiftung, s. Aurel. Vict. Caes. 
14, Lamprid. Alex. Sev. 34, lul. Capitol. Pertinax 11, Gord. 3, Dio LXX1II, 
17. [Becker Handb. 2, 3, 327 Friedlander a. 0. 3, 322.] 

4 ) Aurel. Vict. 27, Catal. Imp. p. 647 ed. Mommsen. Ueber die Nerouia 
s. Tacit. Ann. XIV, 20, Dial. de Orat. 11, Suet. Nero 12. 

6 ) [So schon die imago clipeata mit der alten Widmung der bewies C. 
I. L. 1, 817 Ritsehl P. L. M. T. I Dd.] 



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APOLLO. 



299 



trojanischen Ursprungs, machte auf die Ehre Anspruch, dieses Bild 
über Lavinium nach Rom gebracht zu haben. Ihr Stammvater 
Nautes, hiefs es in der gewöhnlichen Ueberlieferung, habe es von 
Diomedes für den Aeneas in Empfang genommen, Diomedes aber 
sei von göttlichen Mahnungen getrieben worden, das heilige Bild den 
trojanischen Helden freiwillig auszuliefern 1 ). Es wurde unter den 
heiligsten Heiligthümern im Tempel der Vesta bewahrt und gegen 
den Ausgang des ersten punischen Kriegs bei einer Feuersbrunst 
durch den Pontifex Maximus L. Metellus (S. 235) gerettet, worüber 
er seine Augen verlor, aber die bis dahin unerhörte Ehre gewann, 
in den Senat fahren zu dürfen 2 ). Unter Gommodus mufste das 
Bild nochmals bei einem Brande des Vestatempels gerettet werden, 
bei welcher Gelegenheit es von verschiednen Personen, damals zuerst 
von profanen Augen gesehen wurde 3 ). 

5. Apollo. 

Der erste rein griechische Gottesdienst, welcher uns begegnet. 
Von seiner Verbreitung in Italien, seiner hohen Bedeutung für die 266 
römische Religionsgeschichte, seiner engen Verbindung mit den durch 
Tarquinius Superbus nach Rom verpflanzten Sibyllinischen Sprüchen 
und den wichtigen Folgen des Gebrauchs dieser Sprüche bei so vielen 
Veranlassungen ist S. 147 ff. die Rede gewesen 4 ), so dafs hier nur 

l ) So berichtete Varro. Nach einer andern Erzählung, welcher Virgil 
und Dionys VI, 69 folgen, war Nantes schou in Troja ein Liebling und 
Priester der Pallas. Vgl. Virgil. Aen. V, 704 und Serv. zu d. St. und zu 
Aen. II, 166, III, 407, Cassius Heraina bei Solin. 2, 14, Sil. Pun. XIII, 65 lt., 
Procop. bell. goth. I, 15. Ueber das troische Palladion im südlichen Italien 
und in Rom s. Strabo VI p. 264, XIII p. 601, Lycophr. Alex. 1261. Neben 
so vielen andern Städten rühmte man sich später anch in Neu-Ilion es zu 
besitzen, s. lul. Obseq. 56, Serv. V. A. II, 166. 

') Cic. pr. Scauro 2, 4S, der das Palladium ein piguus nostrae salutis 
atque imperii nennt, vgl. Phil. XI, 10, 24, Dionys I, 69, II, 66, Ovid F. VI, 
425ff., Val. Max. I, 4, 5, Plin. H. N. VII, 14t, Lucan I, 592, IV. 991 n. A. 
[S. Scbwegler R. G. 1 , 332 ff. Ein praepositus Palladii Palati ni wird auf 
einer Inschrift des 4. Jahrb. n. Chr. erwähnt, ßullettino dell' Instituto 1863, 
p. 208 vgl. Jordan Top. 2, 509.] 

*) Herodiao I, 14, 4 vgl. V, 6, 3 Lamprid. Heliog. 6. Bei der Neronischen 
Feuersbrunst wird seiner nicht gedacht, s. Tacit. A. XV, 41. 

*) [Die unten zu S. 268 aa. Inschriften lehren die Ausbreitung des Kults 
des A. im 5. Jahrh. d. St.: besonders wichtig ist dafs er in dem alten Hain 
von Pisaurum als einziger fremder neben lauter italischen Göttern vorkommt. 



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300 DRITTER ABSCHNITT. 

das Nötbige zur Geschichte und Characteristik des Apollodienstes in 
Rom und der mit ihm immer eng verbundenen Sibyllinischen Spruch- 
bücher hinzuzusetzen ist 

Die Sibyllen *) sind von Apollo begeisterte Prophetinnen, welche 
in sehr verschiednen Gegenden genannt werden, am frühesten in den * 
Umgebungen des troischen Ida, wo auch Kassandra zu ihnen gehört, 
dann in dem ionischen Erythrae, dessen Sibylle mit der Zeit vor 
allen übrigen berühmt wurde, ferner auf Samos, in Delphi und in 
dem italischen Cumae. Immer werden sie als Jungfrauen geschil- 
dert, die in einsamen Höhlen oder Schluchten wohnen, von dem 
Geiste Apollos ergriffen in wilder Entzückung wahrsagen und dabei 
im Volke das höchste Ansehn genossen; bald nennt die Sage sie 
Apollos Priesterinnen, bald seine Geliebten, Schwestern, Töchter oder 
Gattinnen. Da sie dem Geiste nach verwandt waren, lag es nahe 
genug sie auch äufserlich mit einander in Verbindung zu setzen; so 
galt namentlich die Cumanische gewöhnlich für identisch mit der 
Erythräischen, welche, so erzählt man, von Apollo so viele Lebens- 
tage als der Sand am Strande ihrer Heimath Körner zählte erlangt 
habe, doch unter der Bedingung dafs sie ihre Heimath verlassen 
solle und deren Erde nie wiedersehn dürfe. Also habe sie sich nach < 
Cumae begeben und dort ein unendlich langes Leben gelebt, bis sie 
zuletzt aufs sehnlichste nach dem Tode verlangte und denselben 
endlich durch einen mit der Erde ihrer Heimath versiegelten Brief 
fand 8 ). Oder sie soll zuletzt nur noch als Stimme gelebt haben, 
welche als flüsternder Laut durch die unterirdischen Räume und 
Gänge rauschte, die sich unter dem Apollotempel zu Cumae und in 
den Felsen, auf denen die Stadt lag, in vielen unter einander ver- 
zweigten Höhlen weit hinein ins Land, man sagt bis zum Avernersee 
erstrecken und die Sage von der Sibylle bis jetzt bewährt haben. 
Auch bei Virgil sind diese Felsen und diese Höhlen der Schauplatz 
ihrer Weissagung. Dort sitzt sie und schreibt ihre Geschichte „in 
Zeichen und Namen" auf Palmblätter, welche sie dann zusammen- 



Dazu die Spar eines alten Kults bei den Sainuitern oben S. 67. Vgl. Aes- 
culap.] 

>) [Man vgl. über die Sibyllen und die sibyllinischen Bücher die Notizen 
bei Marquardt Staatsverw. 3, 336 ff., nach denen Manches Einzelne zu be- 
richtigen ist.] 

•) Serv. V. A. VI, 321, vgl. Aristot Mirab. 97, Pausan. X, 12, 8, Pe- 
tron. Sat. 48, lustin M. Cohoi t. 37. 



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APOLLO. 



301 



legt und in der Höhle verbirgt, bis der Wind sie verweht und unter 
die Menschen bringt. Oder er schildert sie wie die Priesterin des 207 
Apollo und der unterirdischen Diana, deren Weissagung aus den 
Katakomben der Tiefe in den darüber liegenden Tempel Apollos 
hinaufquillt und die denselben Aeneas später zu den Opfern am 
Avernus anleitet und seine Führerin in der Unterwelt ist 1 ). Lange 
vor Virgil hatte Naevius in seinem Gedichte vom Punischen Kriege 
dieselbe Sibylle die kimmerische genannt 2 ), weil der Sage nach 
einst das mythische Volk der Kimmerier in denselben unterirdischen 
Gängen bei Cumae gehaust hatte. In Rom erscheint diese Sibylle, 
von deren Sprüchen sich in alter Zeit jedenfalls eine Sammlung zu 
Cumae befand, bekanntlich unter Tarquinius Superbus in der Gestalt 
einer Greisin, welche dem Könige zuerst 9, dann 6, endlich 3 Bände 
immer für denselben Preis anbietet 3 ). Auch war es dieser König, 
welcher die Commission zur Aufbewahrung und Befragung dieser 
Sprüche (S. 148) begründet und eine hochverrätherische Verletzung 
ihres Geheimnisses mit der Strafe der Vatermörder und Tempel- 
* Schänder zuerst bestraft hatte. Nie durften diese Sprüche anders 
als auf Befehl des Senats befragt werden. 

Von einer Verehrung des Apollo in Rom erfahren wir aus 
sicherer Nachricht erst zur Zeit der Decemvirn, doch darf man 
wegen des engen Zusammenhanges seines Dienstes mit der Sibylli- 
nischen Weissagung ein höheres Alterthum ohne Bedenken annehmen. 
Und zwar ist es auch hier neben der Weissagung der andre Grund- 
gedanke dieser Religion, die Heilung von leiblichen und geistigen 
Schäden, mit denen uns Apollo zuerst entgegentritt, bis in späteren 
Zeiten auch die Apollinische Musik in Rom Eingang fand. Das Zu- 
trauen zur Apollinischen Inspiration wurde auch durch die in Italien 
früh verbreitete Verehrung des Orakels zu Delphi 4 ) befördert, wohin 
— — 1 

») Virgil Am. m, 443 ff, VI, 9 ff., vgl. Ovid Met. XIV, 101 ff. 

') Varro bei Lactant. I, 6, 9, vgl. Strabo VI p. 243 sq. 

•) Dionys H. IV, 62, Gellius N. A. I, 19, Tzetz. Lycophr. 1278—80. Varro, 
welcher zehn Sibyllen unterschied nnd die Erscheinung der Cumanischen aus 
chronologischen Gründen, die aber hier nicht gelten können, unter Tarquinius 
Priscus setzte, scheint gleich die erste Sammlung für eine gemischte gehalten 
zu haben, wie es die spatere wirklich war, s. bei Lactant. I, 6, 7, vgl. Serv. 
V. A. VI, 36, Plin. H. N. XIII, 88. 

4 ) Schatzhäoser von Caere und Spina zu Delphi, s. Strabo V p. 214. 220, 
vgl. Herod. I, 167. Eine spätere Sendung der Römer nach Delphi ist die nach 
der Schlacht bei Cannä, wo der Annalist Q. Fabius Pietor theilnahm, s. Liv. 



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302 



DRITTER ABSCHNITT. 



bekanntlich auch Rom seine Sendungen schon zur Zeit der Vertrei- 
2«8 bung der Tyrannen, dann während der Belagerung von Veji gerichtet 
haben soll. Den sühnenden und heilenden Apollo aber verehrten 
die Römer so allgemein und vorzugsweise 1 ), daß auch die Vestali- 
schen Jungfrauen beteten: Apollo Medice, Apollo Paean!, offenbar 
weil die Sibyllinischen Sprüche und der Cultus der für sie bestimmten 
Decemvirn den griechischen Gottesdienst am meisten von dieser 
Seite empfahlen. Auch der häufige Gebrauch des Apollinischen Lor- 
beers 2 ) in Rom und andre Spuren deuten darauf, dafs Apollo in 
Rom vorzüglich in dieser Eigenschaft des äXs&xaxog Eingang fand. 
Selbst die älteren Namen des römischen Apollo hängen mit dieser 
Auffassung und Herkunft seiner Religion zusammen. Die Etrusker 
nannten den griechischen Gott, den auch sie als Licht- und Heilgott 
allgemein verehrten, Aplu, eine Form des Namens, welche sich in 
Griechenland bei den Tbessalern im Gebrauch erhalten hatte. Die 
Römer aber gebrauchten die in älterer Zeit bei den Griechen des 
südlichen Italiens herkömmliche Form Apello, die sie im Sinne ihrer 
Sprache vom Abwenden der Krankheiten und andrer Uebel ver- 
standen 3 ). Oder sie machten sich den fremden Namen dadurch 
verständlicher, dafs sie ihn im Sinne des offenbarenden Orakelgottes 
umbildeten, so dafs aus Apello Aperta wurde, wie aus Persephone 
Proserpina 4 ). Von der später recipirten Form Apollo bildete man 

XXII, 57, XXIII, 45, XXVIII, 45, Appian Hannib. 27. Vgl. auchLiv. XXXVIII,. 
48, XLV, 27. 

!) Macrob. S. I, 17, 15. In den Indigitamenten des Numa fehlte Apollos 
Name, s. oben S. 134, 1. Auf die Verehrung des sühnenden Apollo deutet 
auch die Uebei tragung der Reliquien des Orest von Rhegiuui nach Aricia und 
von dort nach Rom, s. Hygin. f. 261, Serv. V. A. II, 116, VI, 136. [Spuren 
des Heilsgottes Apollo im Kult der Provinzen des römischen Reichs: vier 
Danksagungen zu Aquae caldae in Hisp. Tarrac. C. 1. L. 3, 4487 ff.; ein Veteran 
ex iussu dei ApolUnis fontem Aeterni restituü (gef. im ,Römerbrunnen', Karls- 
burg) 3, 990?] 

*) [Der Lorbeer — das Wort in ums noch unerklärt — ist nach Hehn 's 
Hypothese (Hausthiere und Kulturpflanzen * 197. 525) mit dem Kult des Apollo 
nach Italien gekommen. Danach müssten Laurentum und die alten, später 
abgeholzten laureta (maius, minus) in Rom jünger sein.] 

■) Paul. p. 22, Macrob. I, 17, 14. 

4 ) Paul. p. 22 Aperta idem Apollo vocabatur, quin patente coriina responsa 
ab eo dentur. Vgl. Ritsehl im Rh. Mus. f. Philol. XII 1857 S. 106 f. nnd 476 f. 
[Op. 2, 492. 514]. In einem vermuthlich Ennianischen Verse bei Cic. de Divin. 
I, 21, 42 heifst es noch: ut se edoceret öbsecrans Apollonem. Vgl. die Form 



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APOLLO. 



303 



zunächst den Genitiv Apollonis, bis später Apollenis und Apollinis 
das Gewöhnliche wurde. 

Die erste Spur eines Apollinischen Heiligthums, etwa eines 
Lorbeerhains, findet sich wie gesagt in der Zeit der Decemvirn, 
und zwar in derselben Gegend, wo später der Flaminische Circus 
und das Theater des Marcellus erbaut wurden, eine Gegend die 
eigentlich Vorstadt war, aber sich aufserordentlich schneU bevölkerte 1 ). 269 
Zwanzig Jahre später, in den Zeiten des Militärtribunats, wurde bei 
einer Pestilenz auf Geheifs der Sibyllinischen Sprüche auf derselben 
Stelle der Tempel des Heilgottes Apollo gelobt und vier Jahre darauf 
(429 v. Chr.) eingeweiht*): ein geräumiger Tempel, welcher oft zu 
Senatssitzungen benutzt wurde und aufeer dem Bilde des Apollo 
gewifs auch die seiner Mutter und seiner Schwester enthielt, übri- 



APOLONES bei Or. n. 1433 [= C. I. L. 1, 187J, APOLENEl auf einem Stein 
im Hai. von Pisaurum [das. 167], APOLINKI Henzen 5700 [Rom, das. 562], 
APOLONei, Präneste, das. 73, Ritsehl Op. 4, 512 f., vgl. Mommsen Bull. 1862, 
39, APOLONE, Cales, Ritsehl Op. 4, 520, APOLO prän. Ciste Moa. dell' ist. 9 
T. 58. 59. Dazu kommeu die etruskischen Formen Apulu, Aplu (Corsseu Sprache 
d. Etr. 1, 817). Die archaischen lateinischen Denkmäler, ohne Ausnahme, kennen 
also nur die wahrscheinlich altgriechische Grundform 'AnolXwv (z. B. sparta- 
nisch; vgl. jetzt noch die archaische Inschrift von Metapont, Notizie 1880, 190 
T. VI, 4), nicht die wahrscheinlich lokale Nebenform % An4ll*>v: auf letztere 
das ganz vereinzelte Aperta der Glosse des Festus zurückzuführen ist sprach- 
lich unmöglich (Jordan Krit. Beiträge S. 17 ff.); eher könnte es, wie VVelcker 
(Götterl. 1, 460) schon bemerkt, griech. äntfyxins sein. Doch fehlt für dies 
Wort ein Beleg aus alter Sprache]. Der pythische Apoll hiefs lateinisch Putins, 
Placidi gl. p. 492 [p. 74 D. and so die Inschr. C. I. L. 1, 562 (Delphi); später 
Pythius Wilm. Ex. 139. 874). 

») Liv. III, 63 vi prata FUnninia, tibi nunc aedes Apollinis est, iam tum 
Apoll inarein appellabant, avoeavere senatum. Es ist wohl hinzuzudenken 
lue um. [apollinare der Veroneser Palimpsest, apollinarem, apollinarum die 
übrigen; jenes ist richtig und langst durch Vermuthung hergestellt. Ein 
zweites Apollinar bat man durch tionjectur in die Sacra argeorum hinein- 
gebracht. Varro 5, 52: adversum est Apolinar eis (pilonarois F.) aedem 
Salutis; wohl mit Recht: Jordan Top. 2, 265 f.] 

•) Liv. IV, 25 Aedis Apoltini pro valetudine populi vota est etc. Der 
bei Liv. VII, 20 erwähnte Tempel ist wahrscheinlich derselbe, auch der T. 
Apollinis Medici bei Liv. XL, 51, wo wobl zu lesen ist: et post Spei ad 
Tiberim {et ad) aedem Ap. M. [S. Becker Handb. 1, 59, 2, 1, 400. Sieber ist 
dafs es zur Zelt des Cicero, also vor Gründung des palatinischen Heiligthums, 
nur eine aedes Apollinis gab (Ascon. in Cic. in Top. cand. p. 81 S. u. K. , 
also den Tempel ad theatrum Marcelli, dessen Gründungstag, 23. Sept., der 
Arvalkalender allein erhalten hat.] 



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DRITTER ABSCHNITT. 



gens bis August der einzige dieses Gottesdienstes geblieben ist. Bald 
darauf, seit dem Jahre 399 v. Chr. beginnen die L < tisternien in 
Rom, auf deren oft wiederholte Feier der Apollinische Cultus gleich- 
falls einen bestimmenden Einflufs ausübte; namentlich ist die all- 
gemeine Heiterkeit, Versöhnlichkeit und Gastlichkeit, mit welcher 
diese Lectisternien in älterer Zeit von Haus zu Haus begangen 
wurden, ein Grundzug der Apollinischen Sommer- und Erndtefeste 
Endlich, aber erst 200 Jahre später (212 v. Chr.) wurden auch 
Apollinarisen« Spiele in Rom eingeführt, wie sie bei den Griechen 
als Pythien so weit verbreitet waren. Die Veranlassung gaben der 
schwere Krieg mit Hannibal und die Sprüche eines berühmten Sehers 
der italischen Vorzeit, des Marcius [unten zu S. 339], welche kurz 
vorher sehr vernehmlich auf die Niederlage bei Cannä gedeutet 
hatten. Jetzt empfahlen sie Spiele des Apollo als ein sichres Heil- 
mittel gegen den Feind, „dieses garstige Geschwür im Leibe Italiens", 
und zwar sollten diese Spiele in aller Lust und Heiterkeit (comiter) 
gefeiert und die Kosten durch eine Collecte von Haus zu Haus ge- 
deckt werden, der städtische Prätor ihnen vorstehen, die Sibylli- 
nischen Decemvim aber das Opfer nach griechischem Ritus ver- 
richten 2 ). Es war grade die Zeit wo Hannibal Tarent eroberte und 
270 wieder bis Campanien vorrückte, während Hasdrubal von Spanien 
her mit dem Einfall in das obere Italien drohte. Apollo, der Arzt, 
der Abwender, sollte auch in dieser Noth helfen, und er half wirk- 
lich, nachdem man das Opfer in der vorgeschriebenen Weise dar- 
gebracht und. die Spiele im Circus Maximus aufgeführt hatte, wobei 
das Volk mit Lorbeer bekränzt zuschauete und die Matronen für 
Alle beteten: wieder ein sehr festlicher und heiterer Tag, der wie 
jene Lectisternien mit Familienschmäusen und offenen Thüren durch 
die ganze Stadt gefeiert wurde. In den folgenden Jahren wurden 
dieselben Spiele von dem Prator von neuem gelobt und gehalten, 
bis sie endlich im J. 208 v. Chr. auf Veranlassung einer Pest ein 

») Vgl. oben S. 150 und Liv. V, 13 tota lirbe patentibtu ianuis promis- 
cuoque usu rerum omnium in propatulo positU noios ignotosque passim advenas 
in hospitiurn duetos Jerunt et cum inimicis quoque benigne ac comiter sermones 
habitos , iurgii* ac litibwt temper at um , vinctU quoque dempta in eos dies vin- 
cula; religione deinde fuisse, quibus eam opem dei tulissent, vinciri. So mögen 
von den Griechen die Theoxeoien, die Metageitnien und ähnliche Feste des 
Apollo begangen sein. 

») Liv. XXV, 12, Macrob. I, 17, 27 ff. (bei beiden ist nach ApoUini zu 
ergänzen et Dianae), vgl. Liv. XXVI, 23, XX VII, 11. 23, Paul. p. 23. 



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APOLLO. 305 

für allemal gelobt und auf den 13. Juli 1 ) verlegt wurden, immer 
unter der Oberaufsicht des städtischen Prätors. Man stritt sich 
später ob diese Spiele das erstemal des Sieges oder des Wohlseins 
wegen (victoriae an valetudinis ergo) gelobt worden waren, da eigent- 

9 lieh beide Meinungen Recht hatten, denn Apollo der Gott des Heils 

ist als solcher auch der Gott des Siegs, wie dieses ja auch in jenem 
Spruch des Marcius sehr bestimmt angedeutet wurde 8 ). Doch ist 
es interessant bei dieser Gelegenheit eine Legende kennen zu 
lernen, welche den Glauben an die schnelle Hülfe des Heilgottes 
und liiitzi.il i\|iolIo T den die Joni€i ( 1 ^_ .s 1 1 ii 1 1 ^ til^ ^$ (j ) d ' 'j j.i i o Ui v^j 
ehrten, gleichfalls gut ausdrückt. Das Volk habe eben bei diesen 
Spielen gegessen und dem gesticulirenden Gesänge eines alten Mimen 
zugehört, als es plötzlich durch alle Reihen hiefs: der Feind ist vor 
der Stadt. Alles eilt nun schnell hinaus und dem Feinde entgegen, 
siehe! da stürzt eine ganze Wolke von Pfeilen herab auf die Feinde, 
so dafs diese eilig umkehren und die Römer eben so eilig zu den 
Spielen des Helfers in der Noth (dei sospitalis) zurückkehren konnten 8 ). 
Ja jener alte Mime hatte die ganze Zeit über unverdrossen fort- «ti 
getanzt und fortgesungen, so dafs die Spiele nicht einmal instaurirt 

> zu werden brauchten. Eine Erzählung die auch insofern zu beachten 

ist als daraus erhellt, daL? diese Apollinarischen Spiele gleich von 
Anfang an sowohl scenische als circensische waren. Auch sind sie 
jedenfalls bald nach den römischen Spielen und den Megalesien mit 
dramatischen Aufführungen verbunden worden, da schon im J. 179 
v. Chr. von der Erbauung eines Thealers und eines Prosceniums 
beim Tempel des Apollo die Rede ist und zehn Jahre später, kurz 
vor dem Tode des Ennius, dessen Thyest bei den Spielen des Apollo 
zur Aufführung kam 4 ). Der gewöhnliche Schauplatz der circensischen 



*) Friedländer bei Marquardt IV, 493 [3, 480]. 

") Höstes Ii Oman i si ex agro ex pell er e vultis , Vomiea qua« gentium 

*) Macrob. I, 17, 25, Fest. p. 326 Salm res est dum caniat senex, ein aas 
diesem Vorfall entstandenes Sprichwort. Die welche auch bei diesen Spielen 
aa den Heilgott Apollo dachten, beriefen sich auf die Zeit mitten im heifsen 
Sommer. Die bei Festns 1. c. erwähnten parasiti Apollinis sind die für seine 
Spiele eingesetzten Schauspieler, Mimen u. s. w., deren Zunft zu seinem Tempel 
in einem ähnlichen Verhältnisse gesunden zu haben scheint wie die der Pfeifer 
und der Dichter zu dem der Minerva auf dem Avenlin, s. Friedländer bei 
Marquardt IV, 533 [Staatsverw. 3, 517]. 

Ui 4 ) Cic. Brut. 20, 78, vergl. Liv. XL, 51 und Ritsehl Parerga S. 217. 291. 
Prell er, Rom. MythoL I. 3. Aufl. 20 



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306 



DRITTER ABSCHNITT. 



Spiele des Apollo war nachmals der Circus Flaminius, welchen C, Fla- 
minus zwei Jahre vor der Schlacht am Trasimenischen See angelegt 
hatte. Wie alle Spiele in Rom, so haben auch diese sich mit der 
Zeit immer weiter ausgedehnt, bis sie nach den vorhandnen Kalen- 
dern vom 6. Juli bis zum 13. gefeiert wurden, nur dieser letzte Tag 
im Circus. 

Also wurde Apollo seit dem zweiten punischen Kriege in dem 
ganzen Umfange seines Wesens zu Rom verehrt, als Sühn- und 
Heilgott, in welcher Hinsicht der einheimische Vejovis je länger desto 
mehr hinter dem gleichartigen griechischen Gottesdienste zurücktrat, 
als Orakelgott und als festlicher Gott der Musik und der heiteren 
Lebensfreude, obgleich auch der römische Apollo, wenn er gereizt 
wurde, ein strenger und eifriger Gott sein konnte '). Manche Neue- 
rungen brachte die Zeit des Sulla, unter dessen Vorfahren der erste 
welcher den Namen Sulla führte als einer der Sibyllinischen Decem- 
virn die Stiftung der Apollinarischen Spiele vorzüglich betrieben und 
darüber eben jenen Namen bekommen hatte 2 ). So war auch der 
Dictator Sulla ein abergläubischer Verehrer des Apollo aXe^ixaxoq y 
von dem er ein kleines goldnes Bild, welches aus Delphi stammte, 
in den Stunden der Schlacht bei sich zu tragen pflegte; was ihn 
übrigens nicht abhielt das Orakel zu Delphi, dessen Ansehn freilich 
272 damals sehr gesunken war, schonungslos zu plündern 3 ). Eine sehr 
verhängnifsvolle Katastrophe war dann auch für die Sibyllinischen 
Sprüche und den Apollodienst jene Feuersbrunst, welche im J. 83 
v. Chr. den Capitolinischen Tempel und mit ihm die ältere Samm- 
lung der Sprüche verzehrte. Alsbald wurden Boten in alle Welt 
ausgesendet, um in Italien, Sicilien, Afrika, Samos, Uium, vorzüglich 
aber in Erythrae Alles was von Sibyllinischen Sprüchen in Apolli- 
nischen Tempeln oder bei Privaten aufzutreiben war zu sammeln 

*) Vgl. Valer. Max. I, 1, IS, Appiao. Puo. 127. Weniger Umstände machte 
mao mit einem alten Bilde des Apoll, welches nach dem plötzlichen Tode des 
jüngeren Scipio drei Tage lang weinte. Dio Cass. fr. 84. 

*) Macrob. I, 17, 27, vgl. Charis. I, 18, 20 [p. 110 K.J and Serv. V. A. VI, 
70, welcher diese Ueberlieferuug falsch verstanden hat. Daher auf einem As 
des P. SVLA an der prora navis der Kopf der Sibylla angebracht ist [Borghesi 
Oeuvres 1, 161, Mommsen Münzw. S. 510J. Auf dem römischen Forum befandeo 
sich in der INähe der Rostra drei eherne Bilder der Sibylla, die man für sehr 
alt hielt, Plin. H. N. XXXIV, 22. 

>) Plut. Sulla 12. 29, Valer. Max. I, 2, 3. Vgl. Cic. de Divioat. I, 19, 
II, 57. 



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APOLLO. 



307 



und zu sichten, woraus eine neue Sammlung sehr gemischten In- 
halts in mehreren Büchern entstand l ), unter welchen nur die Sprüche 
der erythräischen Sibylle bestimmter nachweisbar waren, da dieselbe 
sich in dem Vorworte ihrer Weissagungen ausdrücklich nannte und 
sich dabei zugleich ihrer Abkunft aus Babylon rühmte. Schon dieses 
weist nach dem Orient ; auch ist nicht zu verkennen, dafs mit dieser 
neuen Sammlung auch sonst manche Elemente orientalischer Weis- 
sagung und Anschauung nach Rom kamen, selbst monotheistische 
Ueberzeugungen und messianische Hoffnungen, welche bald deutlich 
verlauteten. So war nun auch von Apollo in einem ganz andern 
Sinne die Rede ; er wurde mit dem orientalischen Sonnengotte identi- 
iicirt und in dem bevorstehenden zehnten und letzten Weltalter eine 
Herrschaft des Apollo in diesem Sinne geweissagt, welche später 
Augustus gerne auf sich anwenden hörte*). Auch die Vermehrung 
des Gollegiums der Sibyllinischen Zehnmänner um fünf Stellen scheint 
aus dieser Zeit zu stammen, desgleichen die völlige Verschmelzung 
dieses Priesterthums mit dem Apollinischen Gottesdienste, daher sie 
von diesem nun auch die Insignien des Lorbeers, des Dreifufses, 
des Delphins und des Raben annahmen 3 ). 

Einen neuen Aufschwung nahm der Dienst des Apollo in Rom 273 
unter August. Dieser Fürst verband mit einer griechischen Bildung 
eine persönliche Vorliebe für diesen Gottesdienst, welche zum Theil 
auf älteren Traditionen seiner Familie beruhen mochte 4 ), bei ihm 

*) Vgl. Dionys. H. IV, 62, welcher sich auf Varros Untersuchungen be- 
zieht, und Tacit. Ann. VI, 12. Sprüche von stark monotheistischer Färbung 
führen Justin. M. Coh. 16 u. Lact. I, 6 an, vgl. Aug. C. D. XVIII, 23 und die 
Audeutuug einer der römischen Staatsreligion gefahrlichen Tendenz bei Cic. 
de Divin. II, 54, 110. Auch jüdische Weissagungen hatten sich in diese spätere 
Sammlung eingedrängt, sowohl aus Palästina als aus Alexandrien, s. Pausan. 
X, 12, 5. 

2 Vgl. Virgil in der bekannten, wahrscheinlich gegen Ausgang des J. 4" 
v. Chr. gedichteten Ecl. IV, 4 und dazu Servius. Die Vertheilung der ver- 
schiednen Weltalter an verschiedne Götter stammt aus der ägyptischen Theo- 
logie, s. Nigidius Figulus bei Servius zu vs. 10. Auch Horaz in dem Carmen 
Seculare identiiieirt Apollo mit Sol, Diana mit Luna. 

>) Arnob. IV, 35, Serv. V. A. III, 332. Vgl. die M. des L. Torqoatus in 
vir mit dem K. der Sibylle und dem Dreifufs und Eckhel D. N. VI p. 816 
[Borghesi Oeuvres 1 , 345 ff.]. 

4 ) Vgl. den Gentilcult des Vejovis — Apollo bei den Juliern, oben S. 264. 
Einige erklärten den Namen der Cäsaren und die traditionelle Verehrung 
des Apollo von einer Geburt durch den Kaiserschnitt, s. Serv. V. A. VII, 
761, X, 316. 

20* 



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308 



DRITTER ABSCHMTT. 



und seinen Verehrern aber um so mehr Anklang fand, als die 
Erfahrungen seines Lebens und seine persönliche Erscheinung in 
mancher Hinsicht einen besondern Schutz des hebten Gottes zu 
bestätigen schienen. Schön und jung trat er in das durch Casars 
Ermordung von neuem aufgeregte Römerreich als Ordner und 
Friedensstifter, und als nun vollends der unter den Augen des 
Aktischen Apollo gewonnene Seesieg über Antonius und Kleopatra 
seine Alleinherrschaft entschieden hatte 1 ), nahmen sowohl die my- 
thologischen Huldigungen der Dichter als Augusts wohlberechnete 
Stiftungen zu Ehren seines Schutzgottes einen immer kühneren An- 
lauf. Die Dichter combimrten die alte Weissagung von der Herr- 
schaft der Aeneaden mit dem Bilde des troischen Apollo, wie ihn 
die Ilias und die troische Sage schilderte, als den mächtigen Schutz- 
gott des alten Troja, der Aeneas gerettet, Achill getödtet und seinen 
Schutz nun auf Rom, das neu erstandene Troja, und auf seineu 
Liebling Augustus übertragen habe 3 ). Die Schmeichler gingen einen 
Schritt weiter und behaupteten geradezu, dafs Apollo der wahre 
Vater des August sei, welcher seinerseits gerne auf solche Fictionen 
einging, indem er sich bald in Apollinischer Haltung und mit Apol- 
linischen Attributen darstellen lieft, bald wohl gar selbst als Apollo 
auftrat 3 ). Dazu kam die Verherrlichung des Apoll durch die Stif- 

») Vgl. Virgil Acd. VIII, 704 in der poetischen Beschreibung der Schlacht 
bei Actiam: Actiut haec cernens arcum int endebat Apollo desuper etc. uod 
Propert. V, 6, 29 cum Phoebus — astitü Augusti pupp im super et novo 
jlamrna luxü in obliquam ter sinuata facem. 

s ) Horst. Od. IV, 6 ad Apollinem, ein prooemiom des rannen seculare. 
wo dieses geflissentlich hervorgehoben wird. Achill würde Troja zerstört 
haben , ni tuis vietus Fenerisque gratae voeibus Divom pater annuisset rebus 
Aeneae potiore duetos alüe muros, ganz im Sinne der griechischen Sage, s. m. 
Griech. Mythol. 2, 308 [438 der 2. Ausg.]. Bei Virgil Aen. Vi, 69 ff. erscheint 
sogar die Erbauung des T. des Palatinischen Apoll wie die Lösung eines 
Gelübdes des Aeneas, vgl. Serv. zu. v. 69. [Apoll und Diana, schon zur 
Zeit der actischen Spiele (unten), dann bei den Säcularspielen gefeiert, auf 
dem Panzer der Statue von Prima Porta dargestellt (neben Ca c Jus und Tellus): 
Köhler Annali doli' inst. 1863, 448. Vgl. Horaz C. I, 12 mit den Auslegungen 
von 0. Jahn Hermes 3, 182 und Reifferscheid Ind. lect Vratial. 1870/71 
p. 6 f.] 

•) Sueton Octav. 70, vgl. Serv. V. Ecl. IV, 10 tangü Augustum, cui 
simulacrum factum est cum Apollinis cunetis insignibus. Co nun. Cruq. Hör. 
Ep. I, 3, 17 Palatinus Apollo dictus est a monte Palatino, ubi Caesar in bibli- 
otheca sibi statuam posuerat habitu ac statu Apollinis. [Eine Wiederholung 



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APOLLO. 309 

tung neuer Tempel, Tempelbilder und Spiele, sowohl zu Ehren des 274 
Aktischen Apollo, welchem gleich nach jenem am 2. Septbr. des 
J. 31 v. Chr. gewonnenen Siege die Aktien, ein nach griechischer 
Weise mit musischen und gymnische« Spielen und mit Wettrennen 
alle vier Jahre zu begehendes Kampfspiel gestiftet und der Tempel 
erweitert und mit den Spolien der Schlacht umgeben wurde, als zu 
Ehren seines speciellen Schutzgottes d. h. des Palatinischen 
Apollo, welcher seit August zu den angesehensten Göttern in Rom 
gehörte. Schon vor der Schlacht bei Actium hatte August, als er 
sich auf dem Palatium ein Haus baute und der Blitz in dasselbe 
einschlug, den Platz zu einem Tempel des Apollo bestimmt, welcher 
nun vollends nach dieser Schlacht, unter dem Eindrucke so aufser- 
ordentlicher Ereignisse mit der gröfsten Pracht und allen Hülfsmit- 
teln der damaligen Kunst ausgeführt wurde 1 ). In den Umgebungen 
des Tempels sah man die Bilder der Danaiden und der Aegyptiaden, 
welche vermuthlich gleichfalls an die Niederlage Aegyptens erinnern 
sollten, in dem Tempel die Statue des Apollo zwischen Latona und 
Diana, welche letztere den Namen Victrix führte, da Augustus ihr 
einen ähnlichen Antheil an dem Siege über S. Pompejus zuschrieb*) 



der Note des sog. Acron, die ebenso wie die des Servius auf Mifsverständoifs 
der Dichterstelleo beruht. Sueton spricht aar von einem Stadtklatsch: es 
hiefs er habe ein Zwölfgöttermahl gehalten et ipsum (discubuüse) pro ApolUne 
ornotum. Sicher hat er sich nicht bei Lebzeiten wie die spätem Kaiser als 
Gott darstellen lassen.] 

«) Vellei. Pat. II, 81, Sueton Octav. 29, Dio XLIX, 15, vgl. Becker 
Handb. I, 425. Im J. 28 wurde er eingeweiht, wie es scheint am Jahrestage 
der Schlacht bei Actium, da gleichzeitig die Feier der Actischen Spiele 
in Rom eingesetzt wurde, s. Dio LIII, 1, daher auch Propert. V, 6 in dem 
Gedichte vom Palatinischen Apoll zugleich von der Schlacht bei Actium singt. 
Die vierte Feier dieser römischen Aktien erwähnt Dio LIV, 19, eine spätere 
LIX, 20, Stat. Silv. II, 2, 8, Or. n. 2633 u. A. [Ueber die ur tischen Spiele 
{dctiaca?) , auf die sich wahrscheinlich Horaz C. I, 21 bezieht, Mommsen zu 
Res g. d. Aug. S. 25, Friedlander Darstell, a. d. Sitteng. 2 3 , 461. 615.] 

*) Eckhel D. N. VI p. 93 sq. Ueber die Ausstattung des Tempels [dessen 
Ueberreste in der jetzt französischen Nonnen gehörigen Villa Mills (Spada) 
zu suchen sind] s. 0. Müller Handb. d. Arch. § 125, 4, 361, 4, 0. Jahn Archäol. 
Aufs. S. 22 ff. Da der Tempel nach dem Neronischen Brande von Domitian 
neu erbaut oder restaurirt wurde (Tacit. Ann. XV, 39, Martini XII, 3, 7) und 
unter Commodus ein neuer Brand den kaiserlichen Palast verheerte (Dio LXXII, 
24), wird auch die Tempelstatue später nicht mehr dieselbe gewesen sein; 
und wirklich ist auf den Münzen des Commodus das Bild des Palatinischen 
Apoll ein andres als auf den früheren. Um so schwieriger ist es den Bei- 



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310 



DRITTER ABSCHNITT. 



wie dem Apoll an dem über Antonius und Kleopatra: lauter Werke 
berühmter griechischer Meister, denen sich ähnliche Kunstschätze 
in der benachbarten Bibliothek anschlössen. Ferner wurden seit 
dem J. 12 v. Chr., nachdem auch das Pontificat an Augustus über- 
gegangen war, die Sibyllinischen Spräche nicht mehr auf dem 
Capitol, sondern in diesem Tempel des Palatinischen Apollo auf- 
276 bewahrt, nachdem August nochmals eine strenge Sichtung derselben 
vorgenommen und eine grofse Menge verdächtiger Sprüche, die sich 
immer von neuem einschlichen, hatte verbrennen lassen 1 ). Die 
natürliche Folge dieser Einrichtung war, dafs auch die Quindecimvirn 
von nun an speciell die Diener des Palatinischen Apollo wurden, 
wie dieses besonders in einem Gedichte des Tibull (II, 5) aus- 
gesprochen ist, mit welchem er den ältesten Sohn seines Gönners 
Messala bei seiner Aufnahme in das Collegium der Quindecimvirn 
begrüfste. Mithin war dieser Apollo zugleich der Gott des Heiles 
und des Sieges, wie der alte römische und der Aküsche Apollo, und 
der der Weissagung und der musischen Künste, in welchem Sinne 
der Tempel und die Tempelstatue ausgestattet waren; vorzugsweise 
aber doch auch er wieder der alte Heilsgott, worin zugleich der 
wahre Grund des hervorragenden Antheils zu suchen ist, den 
Augustus dem Palatinischen Apollo an den von ihm im J. 17 v. Chr. 
neu eingerichteten Secularspielen einräumte. Hatten diese Spiele 
nehmlich früher nur den Göttern der Unterwelt gegolten, so ver- 
schmolz zuerst Augustus mit diesem Culte den der himmlischen 
Götter, namentlich des allen (kapitolinischen Jupiter und des neuen 
Palatinischen Apollo, offenbar weil diese beiden Götter unter den 
himmlischen die vornehmsten Heilsgötter waren und die Ideen jenes 
Festes damals und früher vornehmlich die der Heilung und Sühnung 
aller alter Schäden gegenüber einer neuen Zukunft waren. Auch 
werden solche Vorstellungen deutlich in dem bekannten Secular- 
Gedichte des Horaz ausgesprochen, welches durch dieselben Secular- 



namen Ap. Hhamnusius zu erklären, der nur aas den Regionen bekannt ist, 
s. m. Reg. S. 182. [Dieser Apollo hiefs Rhamuasius , weil seine Statue, ein 
Werk des Skopas, deren Replik nach £. Q. Visconti der vaticanische Apollo 
Citharödus ist aus Rhamnus herstammte, s. L. Ulrichs Skopas Leben und 
Werke, Greifswald 1863, S. 67 f. Beschreibungen bei Tibull II, 5 Properz II, 31.] 
*) Sueton Octav. 31, vgl. Dio L1V, 17 und die Anspielungen bei Virgil 
Aen. VI, 69 ff. mit Servius zu vs. 72, so wie die epikritischen Maafsregeln 
Tibers bei Tacit. Ann. VI, 12 und Dio LVII, 18. 



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APOLLO. 311 

spiele des August veranlaßt und zum Vortrage im Tempel des Pala- 
tinischen Apollo am dritten Tage des ganzen Festes bestimmt war *). 

Neben dieser neuen Stiftung blieb aber auch jener alte Dienst 
des Apollo vor der porta Carmentalis immer sehr angesehn; ja es 
scheint dafs dieser alte Tempel zur Zeit des August von C. Sosius, 
welcher unter Antonius Befehlshaber in Syrien und Cilicien war, 279 
kunstvoller ausgebaut und bei der Gelegenheit mit einem neuen, von 
Seleucia nach Rom geführten Bilde des Apoll von Gedernholz und 
jener berühmten Gruppe der Niobiden ausgestattet wurde, um derent- 
willen Sosius und sein Tempel seitdem so oft genannt ist 2 ). Audi 
die Apollinarischen Spiele wurden fortgesetzt gefeiert, sowohl die 
circensischen als die scenischen 3 ). Daneben beweisen manche hin 
und wieder erwähnte Bilder und Heiligthümer des Apoll 4 ), dafs 

«) Horat. carm. sec. 37 ff. und 61 ff., Od. I, 21, 13 Mb bellum lacrünosum, 
hic miseram Jameln pestemque a populo et principe Caetare in Persas atque 
lir Hannos vestra motu* aget prece. Vgl. Zosimus II, 1 owttltt öl nqos 
loifxvüv xal f&oQUJV xal voocuv äxious und 4, wo es von August heilst, er 
habe das Fest aus denselben Gründen erneuert. Anders erklärt den Zusam- 
menhang K. F. Hermann de loeo Apollinis in carminc Horatii seculari, 
Gott. 1843. 

») Plin. H. N. XIII, 53 XXXVI, 34, wenn dieser Tempel wirklich mit 
jenem alten identisch ist. Es konnte auch ein kleinerer Tempel in der Nähe 
des gröfseren gewesen sein , vorzüglich zur Aufnahme jener seltnen Kunst- 
werke bestimmt. [Doch widerspricht dieser Annahme Asconius in der oben 
a. Stelle: Jordan Hermes 9, 342. 14, 578.] 

») Von einer Feier des Agrippa, als er Prätor war, s. Dio XLVIJI, 2i>, 
von einer Feier der circenses Apollinares unter Antoninus Pius, bei welcher 
der Circus einstürzte, Catal. Imper. p. 647, lul. Capitol. Antonin. P. 9. Auf 
scenische Apollinares scheint sich die Terracotta bei D'Agincourt Ree. de 
fragm. de sculpt. en terre cuite, P. 1814 Titelv. zu beziehn, vgl. 0. Jahn 
Archäol. Beitr. S. 209. 

«) Der Ap. Sandaliarius und Tortor d. i. der Schinder des Marsyns 
gehörten zu den von August und Agrippa an deu Kreuzwegen und Wasser- 
bassins aufgestellteg Kunstwerken, s. Sueton Octav. 57 und 70 [Jordan Hermes 
4, 231]. Andre Bilder befanden sich bin und wieder in den Tempeln und 
Hallen, darunter Apollo und die neun Musen in einem eignen T. bei der 
Halle der Octavia oder jenem alten Tempel, s. Plin. XXXVI, 34, Iuvenal. VII, 
37, Martial. XII, 3, 9. Ein Apollo Monetae wird genannt auf Münzeu 
des Commodus, eine area Apollinis bei den Regionariern [Notit R. I. vgl. 
Jordan Forma urbis zu T. I, 1]. Der Heilgott Apollo, Salutaris, Con- 
servator etc. wird auf den Münzen des Caracalla und der späteren Kaiser 
oft genanut und scheint mit dem älteren Palatinus identisch zu sein, daher 
bisweilen neben ihm die Diana Victrix erscheint, s. Eckhel D. N. VII p. 212. 
357. 372. 383. 395. 



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312 



DRITTER ABSCHNITT. 



dieser Gott vollends seit August zu den beliebtesten in Rom gehörte 
und sowohl den Sinn für Kunst und Bildung vielfach anregte als 
in schlimmen Zeiten die beängstigten Gewissen zu trösten wufste. 
Erst das zunehmende Gewicht des orientalischen Sonnendienstes und 
die mit der Zeit immer rücksichtsloser durchgeführte Tendenz, die 
individuellen Bilder und Gestalten der Götter in die Abstraction all- 
gemeiner Weltmächte aufzulösen, scheint den griechischen Apollo 
allmählich in den Hintergrund gedrängt zu haben. Am längsten 
dauerte das Ansehn des Palatinischen Apoll und der Sibyllinischen 
Sprüche, welche noch zur Zeit des Aurelian mit eifrigem Glauben 
befragt und unter Julian bei einem Brande des Tempels mit grofser 
Mühe gerettet wurden, bis sie endlich in der Zeit, da Rom von den 
Gothen und andern Barbaren bedrängt war, in solchem Grade eine 
Quelle des Aberglaubens und schädlicher Aufregung wurden, da ('s 
Stilicho sie verbrennen liefs 1 ). Noch ist zu bemerken dafs in den 
sinkenden Zeiten manche Götter der nördlichen Völker, vorzüglich 
der Celten, mit dem Namen Apollo genannt werden, welche auf eine 
weite Ausbreitung des Sonnendienstes auch in diesen Gegenden 
schliefsen lassen, namentlich Apollo Grannus und Belenus'). 

6. Diana. 

Diana, später gewöhnlich nach Art der griechischen Artemis 
an der Seite Apollos verehrt, ist in Italien ursprünglich eine von 
diesem unabhängige, alteinheimische Göttin, wie darauf schon der 
Name deutet, welche in der weiblichen Form dem männlichen Ianus 



l ) Vopisc. Aurel. 18. 19, Ammion. Marc. XXIH, 3, 3 Claudian bell. Gel. 
228, Rutil. Namat II, 52 p. 215 ed. Zumpt. 

*) Beli s heilst er bei Herodia » VIII, 3, 8, als ein Hauptgott der Gegend 
vod Aquileja, sonst Belenus oder Belinus, s. Tertull. Apolog. 24, ad Nat. 
II, 28, nach welchem er überhaupt in INoricis verehrt wurde, vgl. J. Grimm 
D. M. 579 und oben S. 240. [Zahlreiche Weihinachr. Jpoüini Bdeno oder 
JUeleno (Belino) zu Aquileja C. I. L. 3, 733 ff. und sonst in den Alpen s. Ind. 
p. 1178.] Ap. Grannus, oft erwähnt in rheinischen und elsassiscben In« 
Schriften , ist Grannaur d. h. der Schöngelockte , s. Martin rel. des Gaulois 
chap. 21 sqq. und Crenzer Deutsche Sehr. z. Archäol. 2, 120. 456. [Nach 
Andern zu erklären ans dem irischen grian, Sonne, vgl. A. Maury Croyances 
et legendes de l'antiquite, Paris 1863, pg. 242 ff., H. Müller in den Jahrb. des 
Vereins v. A. F. im Rheinlande 33. 34, 56 ff; daselbst S. 68 ff. auch über 
Belenus. Gr anno, Cainenis auf einer Inschrift im Rhein. Museum, 29, 53.J 



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DIANA. 313 

entspricht ')• Mithin ist sie eigentlich eine himmlische Macht und 
Mondgöttin, obwohl diese erste Naturbedeutung in den uns bekannten 
Gottesdiensten zurücktritt. Wohl aber bestätigt sich der allgemeine 
Character der Mondgöttinnen auch bei ihr in der Uebertragung auf 
das Naturleben in Feld und Busch und im feuchten Grunde, ferner 
auf die durch den Mond bestimmten Wandlungen des menschlichen 
Gemüths und des weiblichen Geschlechtslebens, endlich auf Jagd und 
Krieg und körperliche Rüstigkeit des Mannes. Dafs Diana so gut 
wie Janus bei den Sabinern verehrt wurde, lernt man aus Varro 
1. L V, 74. Genauer ist die Diana der Aequer, Herniker und Latiner 
bekannt, von denen jene diese Göttin seit alter Zeit auf dem rauhen, 
stark mit Eichen bewaldeten Gebirge von Algidum hinter Tusculum 
verehrten, welches sehr oft in den Kämpfen der Aequer und Römer 
genannt wird und ehemals ein Mittelpunkt der Zusammenkünfte jener 
Nation, später durch seine den römischen Pontifices gehörigen Vieh- 27s 
weiden bekannt war 8 ). Ferner gab es einen berühmten Hain der 
Diana in der Nähe von Anagnia, der Hauptstadt der Herniker 
(Liv. XXVH, 4) und einen andern, dem ganzen Latium seit alter 
Zeit heiligen und wegen seiner schönen Buchen berühmten, welcher 
Corne hiels, in der Nähe von Tusculum (S. 113). Vor allen übrigen 
aber war in der ganzen Nachbarschaft berühmt und gefeiert der 
Hain und das Heiligthum der Diana von Aricia am See von 



*) [Doch s. oben za S. 167 A. 2. Neben dem archaischen Diana erscheint 
in der Kaiserzeit, aber doch verhältnifsinäfsig selten und auf Denkmälern der 
Volkssprache, die Form Deana (so in Rom C. L L. 6, 118. 122. 132. Or. 
Henz. 5704. 7302; Mailand C. 1. L. 5, 5763, bei Chieti Notizie 1880, 254, 
Köln Or. Henz. 6598; unsicher Deanae Ephesiae auf der monumentalen Inschr. 
3, 424), Iana nur in der unsichern Stelle Varro de r. r. I, 37, 3 (denn die 
Fiction des Nigidius Macr. S. I, 9, 2 bezeugt INichts), während andrerseits 
Dianas für lanut nicht sicher zu belegen ist (oben). Dazukommt endlich, wenn 
auch vereinzelt (seit Ennius), die Messung Diana. Hiernach ist ein un- 
mittelbarer Zusammenhang von Diana und Ianus kaum anzunehmen, dea 
diana wahrscheinlich (von di-tu) wie dea dia, bona dea u. a. eine der 'Licht- 
göttinnen', umgestaltet durch Artemis wie Minerva durch Pallas. — Es fehlt 
an monographischer Behandlung auch hier. Beiworte wie lucifera, lucifera 
Luna (C. I. L. 5, 3224. 7355) später Zeit haben natürlich für das Wesen 
der ursprünglichen Diana kein Gewicht] 

») Horat. Od. 1, 21, 6, III, 23, 9, IV, 4, 58, Carm. See. 69, vgl. Abekeo 
Mittelitalien S. 215. Algidum ist die Staut, von algor und algere, Algidus 
der Berg. Vgl. Virgil Aen. VU, 746 horrida praecipue cui gens assuetaque 
mulio venatu nemorum duris s/equicula glebit. 



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314 



DRITTER ABSCHNITT. 



Nemi, welcher eben von diesem Haine (nemus) seinen Namen 
bekommen hat, nach welchem auch Diana gewöhnlich schlechthin 
Nemorensis genannt wurde. Er lag unterhalb des heutigen Städt- 
chens Nemi, das den Namen des alten Nemus erhalten hat, in 
einer quellenreichen und einsam ländlichen Gegend, welche mit der 
Aussicht auf den schönen und heimlichen See, den man den Spiegel 
der Diana nannte (Serv. V. A. VII, 515), und seine wohlbestellten 
Rebengehänge eine der lieblichsten des Albaner Gebirges ist 1 ). Neben 
der Diana wurde in diesem Haine ein männlicher Daemon Virbius 
verehrt, dessen Name wahrscheinlich mit dem der Viren d. h. der 
Wald- und Baumnymphen zusammenhängt 8 ). Man verglich ihn mit 
dem griechischen Hippolytus, den Aesculap, nachdem er durch die 
wilden Rosse des Poseidon den Tod gefunden, wieder erweckt und 
Diana in diesen entlegenen Hain entrückt habe, der deshalb von 
Pferden nicht betreten werden durfte*). Seine Gestalt entsprach 
einem in der Nähe von Aricia aufgefundenen Bilde nach zu urtheilen 
279 ganz der der jagenden Waldgöttin Diana *), so dafs er also ein dieser 



') [Die Inschrift eines Grenzsteins aus der Gegend von Labicam, af spe- 
culu(m) Diane usque u. s. w. lehrt, wie De Rossi Ball. arch. niunic. 1, 270 IT. 
zeigt, dafs auch der See von Labicam speculum Dianae hiefs: data auch dort 
ein Dianenheiligthum war, folgt nicht oothwendig. Uebrigens ist zu vergl. 
die Bezeichnung clibanus almae Veneris (wie Jordan Top. 2, 425 vgl. 1, 1, 392 
bei dem sogen. Aethicus hinter Gronovs Mela für libantu schreibt) für die 
Tiberinsel. Leber die Lage des Heiligthuins, welche auch P. noch im Text 
irrig mit der der Stadt Nemi identiBcirte, ». S. 316, 3 der 3. Ausg.] 

*) S. oben S. 100. Vgl. Grut. 1011, ] Dianas et Viribus »actum, 
ib. 89, 9 [C. 1. L. 6, 797] Viribus sacrum, mit einem auf Jagd bezüg- 
lichen Relief, Or. n. 2324 Nymphis et Viribus Augustis L. Granius etc. 
— fontem et omne opus. (C. I. L. 5, 5648 Lymfis Viribus (vgl. unten VIII, 2): 
diese Vires, auch die der J. C. I. L. 6, 797, haben also mit dem vires excipere 
des Tanrobolienkalta nichts gemein.] Vgl. Cassiodor Orthogr. 6 [Gramm. 
Lat. 7, 181] alii de um qui Viribus praesit interpretantur , was 
Battmann Mythol. 2, 152 nicht richtig verstanden hat [In Bezog auf die 
Etymologie von Virbius vgl. auch Pott in Kuhns Z. 8, 110. Der Zusam- 
menhang mit Vires ist sprachlich kaum zulassig; eher ist verb-ena zu ver- 
gleichen. — Die ältere Litteratur verzeichnet Jahn zu Per*. 6, 55.] 

*) Virg. Aen. VII, 761 ff. and Servias za vs. 761, vgl. Ovid F. III, 265 lf., 
VI, 731, Metam. XV, 545 u. A. Ein flamen Virbialis wird mehrfach erwähnt, 
s. Or. n. 2212 [doch s. Henz ] 4022, Mommsen I. N. n. 2456. 

«) S. Uhden in den Abb. der Berl. Akad. 1818 S. 189 ff. Das bei der- 
selben Ausgrabung vom J. 1791 gefundene alterthiimliche Relief, welches im 
Almauach aus Rom von Sickler and Reinhart 1810 S. 85 abgebildet ist, be- 



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DIANA. 



315 



Göttin gleichartiger Genius oder Indiges des Waldes und der Jagd 
gewesen sein mufs, der zugleich für den ältesten König und Priester 
der Diana galt, den ersten Rex Nemorensis, der als solcher den 
seltsamen Brauch gestiftet haben soll, welcher sich auch spater er- 
halten hatte. Das Priesterthum dieses sogenannten Rex Nemorensis 
d. h. des Oberpriesters und Oberaufsehers bei diesem Dienste war 
nehmlich nur durch blutigen Kampf zu erlangen, indem es dem- 
jenigen als Preis zufiel, welcher, nachdem er von einem bestimmten 
Baume im Haine der Diana einen Zweig abgebrochen hatte, den der- 
zeitigen Inhaber der Stelle im Zweikampfe erschlug: eine Aufgabe 
welche später flüchtigen Sklaven überlassen blieb 1 ). Dieser blutige 
Gebrauch vermochte die Griechen, die Diana von Nemi mit ihrer 
scythischen Tauropolos zu vergleichen, daher mit der Zeit sogar be- 
hauptet wurde, dafe Orestes das Büd dieser Göttin über Rhegium 
nach Aricia und in dieses Heiliglhum gebracht habe. Doch möchten 
sonst wenig Berührungspunkte da gewesen sein, da die latinische 
Diana im Uebrigen ganz die gute und gnädige Göttin der Natur und 
des weiblichen Geschlechts, namentlich der Entbindung war; daher 
auch die Nymphe Egeria in ihrer Umgebung verehrt wurde, an- 
geblich dieselbe welche Rom als die beseelende Göttin und Gattin 
des Numa unter den Camenen verehrte, eine Quellen-, Geburts- und 
Heilgöttin, welche in diesem Haine der Diana für die Pflegerin des 
Virbius galt 8 ). Für den ersten Begründer des Gultus galt nach 

zieht sich aber nicht auf den Auftritt eines neuen Rex Nemorensis, sondern 
es stellt nach der wahrscheinlichsten Erklärung den Mord des Aegisth dur. 
Nach Ovid. Met. XV, 538 ist vorauszusetzen, dafa Virbius gewöhnlich nicht 
als Jüngling, sondern als Mann gedacht wurde. Nach Serv. V. A. VII, 776 
durfte sein Bild nicbt berührt werden. Der clivus Virbii bei Pcrs. S. VI, 5b 
Scbol., wo die Bettler Posto zu fassen pflegten, ist vermuthlich identisch mit 
dem in Urkunden des 9. und tO. Jahrb. erwähnten clivus Aricinus in der Gegend 
von Genzano, in welcher Gegend auch das von Uhden besprochene Bild des 
Virbius samint andern Aiterthümern zum Vorschein gekommen ist. 

*) Strabo V p. 239, wo wohl zu lesen ist: vnioxaxat <T avxijs (über 
Aricia), to pkv Aavoviov — iv dt£>« xrjc Idnnias ödW, — to <F Xoxeutoiov, 
S xalovat Atyioc, ix xov iy aQtOttoit fjiiqovs f% 6Jov rot* i$ 'Aoixüts «va- 
ßaivovaiv. r^c <T lAQtxivrfi xo Uqov liyovoiv atpfÖQV/biä xi xrjs Tavqonokov 
u. s. w. Vgl. Sueton Cal. 35, Pausan. II, 27, 4, Serv. V. Aen. VI, 136, Ovid. 
Met. XV, 497, A. amat. I, 259, Lucan. III, 84 ff., VI, 73, Sil. Ital. IV, 366. 
Die Geschichte des Orest, welche schon bei Cato [Jordan Orig. p. 15 Proleg. 
p. XLVj und Varro erzählt wurde, s. bei Solin 8, Prob. Virg. Ecl. prooem., 
Serv. V. A. II, 116, Hygin. f. 261. 

') Ovid Fast. III, 273 ff., Met. XV, 485 ff., Martial. VI, 47. 



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316 



DRITTER ABSCHNITT. 



280 aricinischer Ueberlieferung Manius Egerius, der Ahnherr eines be- 
rühmten Geschlechts 1 ), dessen Name sich deutlich auf den frühen 
Morgen und auf leichte Geburt bezieht. Nach der Zerstörung von 
Alba Longa war der Hain eine Zeitlang das gemeinschaftliche Heilig- 
thum von Tusculum, Aricia, Lanuvium, den Laurentern, Cora, Tibur 
und den Rutulern von Ardea gewesen, und der Tusculaner Egerius 
Laebius hatte den Hain der Diana gelegentlich im Namen dieser 
Gemeinden als latinischer Dictator eingeweiht 2 ). Später kam die 
Oberaufsicht an Rom, welches die Reliquien des Orest bei einer 
uns nicht bekannten Veranlassung auf sein Forum und zwar in die 
Nähe des Saturnustempels versetzte. Sonst blieb der alte Cultus in 
seinem vollen Ansehn und Reichthum, so dafs noch Octavian hier 
und bei der Fortuna von Antium, der Juno von Lanuvium, dem 
Hercules von Tibur ein Anlehn erheben konnte 8 ). Das jährliche 
Fest fiel in die heifseste Jahreszeit und auf einen Tag der Idus, 
also des Vollmonds, vermuthlich in die Iden des August, welches 
auch der Festtag der Diana auf dem Aventin in Rom war. Es ist 
dabei von einem nächtlichen Fackelzuge die Rede 4 ), wie diese Diana 

l ) Fest. p. 145 Manius Egeri{us lucitm) Xemorensem Dianae consecravü, 
a quo muUi et elari viri orti sunt et per muUos annos fuerunt, unde et pro- 
cerbium: MuUi Moni Ariciae. Vgl. Pers. S. VI, 55 c. Schol. 

») Cato bei Priscian IV p. 129 VII p. 337 H. Lucum Dianium in nemore 
Aricino Egerius Laevius Tusculanus dedicavä dictator Latums, hi populi 
communiter : Tusculanus, A ricinus, Lanuvinus, Laurens, Coranus, Tärurtis, 
Pometinus, Ardeatis Rutulus. Vielleicht folgten noch mehr Namen. Tusculum 
und Aricia erscheinen auch sonst als Verbündete, s. Dionys. V, 36. [Vgl. 
Jordan Cat. p. XLI. 12. Beloch Ital. Bund p. 179.] 

•) Appian de bello civ. V, 24 mit dem Zusätze iv als ftaliaia noleat 
xal vvv eiai \h\oavyol xQr\uax<ov JaxptXtig. Des Tempels gedenkt Vitruv. IV, 
7, 4. Das Topographische s. bei Bonnann altl.it in. Chorograph. 134 ff. [Rosa 
Mon. Ann. Bull, dell' iost. 1856, 5 hat die Reste der Area des Tempels da, 
wo sie Strahn in der oben a. St. vermuthen liefs, in dem unterhalb Nemi 
terrassenförmig über dem See ansteigenden 'Giardino' gefunden; spätere von 
Henzen Bull. 1871, 53 ff. (vgl. Hermes 6, 6 ff.) beschriebene Untersuchungen 
lehren, dafs auf dieser Area zur Zeit des mithridatischen Krieges von klein- 
asiatischen Völkern Weihgeschenke aufgestellt und wenig später Jana der Isis 
und des Bubastis errichtet wurden. Auch von einem wahrscheinlich zur Zeit 
des Augustus errichteten, von Hadrian restituirten Sacellum findet sich eine 
Spur. Vgl. S. 111. Nemus wurde (unter Fortlassung von Aricinum) früh 
Eigenname (so Strabo und Vitruv; daher Diana IS'emorensis, unten) und findet 
sich als Name einer oberhalb des Heiligthums an der Stelle des heutigen 
Nemi belegenen massa schon im 9. Jahrhundert: Nibby Dintorni 2, 392.] 

4 ) Stat. Silv. III, 1, 52 ff., dessen Beschreibung auf die Zeit der Hunds- 



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317 



auch selbst mit der Fackel in der Hand abgebildet, also als die 
Göttin des nächtlichen Lichts gedacht wurde. Uebrigens war sie 
vorzugsweise eine Göttin der Frauen, die dort um glückliche Geburt 
und für ihr eheliches Leben zu beten und Gelübde zu thun pflegten 
und zum Dank für Gewährung heilige Binden und Votivtafeln an 
den Wänden des Tempels aufhingen und brennende Fackeln oder 
Lichter als fromme Gabe darbrachten 1 ), Auch haben frühere Aus- m 
grabungen in der Gegend von Nemi verschiedne Yotivgeschenke von 
Frauen zu Tage gefordert, namentlich bekränzte Frauenköpfe und 
ein Relief, welches eine Entbindung darstellt. Doch war die Diana 
von Aricia auch Sospita im weiteren Sinne, da auch von Männern 
zu ihr um Familienglück gebetet wurde, desgleichen Jagd- und Wald- 
götlin, als welche sie sowohl in diesem Haine als sonst in Latium 
gewöhnlich dargestellt wurde 2 ). 

Aufserdem war durch ganz Italien berühmt der Hain und 
Tempel der Diana Tifatina am Abhänge des Berges Tifata 8 ), etwa 
drei Million vom alten Capua, wo jetzt die Kirche S. Angeio in 
Formis mit einem kleinen Benedictinerkloster aus seinen Trümmern 
erbaut ist Auch sie scheint zugleich Wald- und Jagdgöttin und 
eine Göttin der weibüchen Natur und des ehelichen Glücks gewesen 
zu sein 4 ). Seit alter Zeit angesehn kam sie zu besondem Ruhme 

tage und auf die Iden des August führt, welche mitten in die Zeit der Hands- 
tage fallen. Vgl. Martial Epigr. XII, 67. 

») Propert. II, 32, 9, Ovid F. HI, 267 ff., Gratias Fal. vs. 483 nad die 
Inschriften bei Or. 1453. 1455 [= Wilm. Ex. 1767, Deanae, Dianas Xemorensi, 
ans JNemi] 1456 [Dianai opifer(ae) Nemorensi, aus Tibur; vgl. Ops opifera: 
echt? and C. I. L. 3, 1773 Diavae Nemore*(i) Narona.) Virg. Aen. VII, 764 
nennt den Altar dieser Diana wegen der vielen Gaben und ihrer freundlichen 
Hülfe pinguis et placabilis. 

*) Vgl. den Bericht über eine altere Ausgrabung zu Nenii und die Abbil- 
dungen bei Tomasin us de donariis c. 2, Graev. thes. T. XII p. 754. Auch 
die Inschrift bei Or. 1455 wurde bei dieser Gelegenheit gefunden, so wie 
eiuc Statue der Diana , welche durch Ludwig XIII. nach Frankreich kam und 
vielleicht die berühmte der Diana von Versailles ist. [Doch fehlt es dafür 
durchaus an Beweisen.] Auch die Diana aus Gvbii, jetzt in der Glyptothek 
zu München, ist als Pflegerin des Wildes dargestellt, ein Reh haltend und 
mit einer Krone aus Rehböckeheu geschmückt. [Römische Copie eines griechi- 
schen Originals, als die nächtliche Himmels- und Lichtgb'ttin aufgefalst von 
Brunn, Beschr. der Glyptothek S. 114 f. d. 3. A.]. 

«) Der Name hängt zusammen mit tifa und tiba, d. i. Hügel, Berg, s. Varro 
r. r. III, 1, 6, Paul. p. 366, Mommsen Unterital. Dial. S. 300. 

«) Vgl. Mommsen I. N. n. 3576. 3634. 3636. 3789, und Minervini im 



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318 



DRITTER ABSCHNITT 



durch Sulla, welcher in dieser Gegend nach einem Glück verheifsen- 
den Gesicht ein günstiges Treffen geliefert hatte und darum nicht 
allein das Gebiet des Tempels sehr erweiterte, sondern auch be- 
nachbarte Heilbäder zu diesem Gebiete schlug 1 ), in welchem Besitze 
das Heiligthum der Diana noch durch Vespasian geschützt wurde. 
Neben den Heiligthümern war auch hier mit der Zeit ein bewohnter 
Ort entstanden. 

282 In Rom gab es sporadisch auf und zwischen den Hügeln viele 
alte Heiligthümer und Haine der Diana, z. B. im Vicus Patricius 
zwischen dem Viminal und Esquilin, wo keinem Manne Eiutritt ver- 
gönnt wurde (Plut. Qu. Ro. 3), ohne Zweifel weil die Göttin auch hier 
als Lucina, also nur von Frauen verehrt wurde. Ein andres lag 
auf der Höhe des Vicus Cyprius, wo Servius Tullius seinen Tod 
gefunden hatte (Liv. I, 48), ein drittes auf der Caeliolus genannten 
Anhöhe, welche an den Caelius stiefs (Cic. Harusp. resp. 15) a ); ja 
man rühmte sich in Rom auch eines Aktäon, in einer jener wunder- 
lichen Stadtmärchen, die an die mittelalterlichen Mirabilia erinnern 
und wie diese meist aus misverstandnen Bildern der Vorzeit ent- 
standen waren. Eins der später veralteten Thore der Befestigungen 
des Servius war mit Erz beschlagen und hiefs deshalb p. Rauduscu- 
lana. Auf dem Thorflügel sah man den gehörnten Kopf eines 
Mannes, den man Genucius Cipus nannte und mit dem griechischen 
Aktaon verglich, nur dafs er nicht wie dieser ein Jäger war und 

Bullet. Arch. Napol. 1856 n. 104 p. 41 sq. [Vgl. Novi, Iscrizioni monumenti 
e vico scoperti, con uuove notizie sul tempio di Diana Tifatina etc. Napoli 
1661. [Fiorelli JXotizie 1877, 116. 273, 1880, 450 ff. und Minervini in Comment. 
philo!, in honorem Mommseni p. 660 ff. beschreiben ein zum pagus montis 
Dianae Tifatinae gehöriges Gebäude, in welchem eine Kapelle der Göttin mit 
deren Bild im Kostüm der Jägeriu, aber mit der Fackel in der Linken, an 
der linken Seitenwand eine Hirschkuh, wie M. erinnert, das von Silius Puu. 
Xin, 113 f. erwähnte heilige Thier der Göttin. - Ein auch von Nissen (Hermes 
1, 156 f.) behandeltes ioschr. erhaltenes Gedicht aus der Zeit Constantins d. Gr. 
feiert die Göttin ebenfalls als Jägerin.] 

») Vellei. Paterc. II, 25, vgl. Plut. Sulla 6 und Mommsen I. W. n. 3575 
lmp. Caesar k'espasianus Aug. cos. yill ßnes agroruin dicatorutn Dianae 
Tifat. a Cornelia Sulla ex forma Divi Aug. restituit. Auch der Revers der 
Münze mit der Inschrift L. Buca und dem K. der Venus bei Riccio 2, 15 be- 
zieht sich wahrscheinlich auf dieses Ereignis. [Doch vgl. Mommsen Münzw. 
S. 647 f.] 

») [Alles saceüa, die beiden letztgenannten zu Cicero's nnd Livius' Zeiten 
abgebrochen.] 



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DIANA. 



319 



von der Diana bestraft wurde, sondern da er als Prätor eben an der 
Spitze des Heeres zu diesem Thore hinauszog, wuchsen ihm plötzlich 
Hörner aus dem Kopfe hervor: ein Prodigium welches nach dem 
Ausspruche der Seher für ihn die königliche Würde, also für die 
Stadt den Umsturz der Republik bedeutete, daher Cipus als guter 
Patriot in seine Vaterstadt nimmer zurückgekehrt sei 1 ). Berühmter 
und wichtiger als alle übrigen Dianen tempel aber war der auf dem 
Av entin, eine Stillung des Servius Tullius, welche für die ältere 
Geschichte Roms und Latiums von grofsem Interesse ist. Es war 
nehmlich kein Heiligthum der Stadt Rom insbesondre, sondern ein 
Bundesheiligthum der Latiner insgemein, in welchem Umstände ver- 
muthlich der Grund zu suchen ist, dafs der Aventin lange nicht zum 
römischen Stadtgebiete gerechnet wurde und gelegentlich sogar das 
Ziel einer Auswanderung der Plebs war. Auch mufs der bei der 
Gründung Roms verschmähte Hügel in der Zeit der Gründung dieses 
Bundesheiligthums noch ein ganz ländliches Ansehn gehabt haben, 
reich an Quellen und an schattigen Baumpflanzungen, wie er es 
auch später noch war, so dafs die städtische Sage die Höhle des 
Cacus dahin verlegen und Picus und Faunus an seinen Abhängen 
ihre Wesen treiben lassen mochte: bis er später nach Aufhebung 
der alten latinischen Bundes Verhältnisse zuerst als ager publicus zum 
römischen Gebiete geschlagen, dann vermöge einer lex Icilia parcelirt 
und unter die Plebejer vertheilt wurde. Der alte Hain und Tempel 283 
der Diana mufs gleich beim Aufgange des Clivus Publicius gelegen 
haben, da Fulvius Flaccus bei dem durch G. Gracchus erregten 
Aufstande sich in dem Tempel wie in einer Burg festsetzte und 
längere Zeit gegen die auf jenem Clivus andringenden Feinde ver- 
theidigte 8 ). Noch Dionysius von Halikamass sah in dem Tempel die 
alte Bundesurkunde der Dedication, nach welcher derselbe von den 
Latinern und Römern auf gemeinschaftliche Kosten und mit einem 
Asyl gestiftet worden war und jährlich einmal bei allgemeiner Fest- 
versammlung der in dem Bunde vereinigten Stadtgemeinden gemein- 



») Plin. H. N. XI, 123 Mtoeonem emm et Cipum etimn in Lotio hütoria 
fabulosos reor. Vgl. Val. Max. V, 6, 3, Ovid Met XV, 565 ff. [Vgl. Jordan 
Top. 1, 1, 251.] 

') Oros. II ist, V, 12 p. 316 Haverk., eine Stelle die von Becker S. 540 ff. 
und andern Topographen übersehen ist. Das Iauium ist das Dianium. [Vgl. 
Preller Ausgewählte Aufsätze S. 513, dagegen wieder Nissen Rhein. Mus. 28, 
546: die Frage ist noch unentschieden.] 



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320 DRITTER ABSCHMTT. 

schaftliche und eigne Opfer dargebracht werden sollten; auch sollten, 
wenn Streitigkeiten zwischen einzelnen Bundesgliedern ausgebrochen 
wären, dieselben bei diesem Gottesdienste durch ein aus den übrigen 
Gemeinden gebildetes Schiedsgericht ausgetragen werden *). % Das an- 
geblich von Servius Tullius in diesem Tempel dedicirte Bild der 
Diana folgte dem Typus der ephesischen Diana, woraus mit der Zeit 
die verkehrte Meinung entstand dafs Servius die ganze Idee eines 
Bundesheiligthums der Diana von den Griechen entlehnt habe. In 
der Vorhalle des Tempels sah man viele Generationen hindurch ein 
Paar mächtige Hörner angenagelt. Einst hatte sie, so erzählten die 
Priester der Diana, eine Kuh getragen, welche auf dem Hofe eines 
begüterten Sabiners das Licht der Welt erblickte, ein Thier von so 
wunderbarer Gröfse und Schönheit, dafs die Seher dem Staate das 
Reich versprachen, dessen Bürger diese Kuh der Diana opfern würden. 
Also geht der Sabiner mit seinem Wunderthier nach Rom und auf 
den Aventin, wo der römische Priester, nachdem er den Spruch der 
Seher erfahren, ihn an den Flufs schickt, damit er sich vor dem 
Opfer wasche, in seiner Abwesenheit aber schnell das Thier opfert 3 ). 
Als Dedicationstag des Tempels wurden die Iden des August gefeiert, 
vorzüglich von den Sklaven und Sklavinnen, welche in dem Könige 
Servius eine Art von Schutzpatron verehrten, daher der Tag auch 
284 schlechtweg Servorum Dies genannt wurde 8 ). Ueberhaupt scheinen 
die flüchtigen Sklaven durch ganz Italien eine besondre Beziehung 
zur Diana gehabt zu haben, da sie Hirsche genannt wurden, vielleicht 

*) Dionys. H. IV, 26. [Auch die alt« lex arae Dianae in Aventino war 
zur Zeit des Augustus noch erhalten und wird im Allgemeinen in den Inschr. 
der Arae des August v. J. 11 zu Narbo und des Juppiter zu Salonae v. J. 137 
(Or. 2489 — Wilm. Ex. 104 u. C. I. L. 3, 1933, Jordan Krit. ßeitr. 253) und 
für das Wort nesi von Festus 165 b, 25 citirt.] Als ßundesheiligthum und 
Zufluchtsort erscheint dieser T. der Diana auch bei Varro 1. 1. V, 43, wo der 
Name Aventinus u. a. erklärt wird ab adventu hominum, quod commune Lati- 
norum ibi Dianae templum sit constitutum. 

*) Liv. 1, 45, vgl. Val. Max. VU, 3, 1, Plut. Qu. Ho. 4 und die Münze der 
g. Postumia bei Riccio t. 40, 1 [gedeutet von Borghesi Fasti 2, 43, vgl. Mommsen 
Münzw. S. 617 A. 442.] 

3 ) Fest p. 343 Servorum dies festus vulgo existimatur Idus Aug., quod 
eo die Ser. Tullius, natus servus, aedem Dianae dedicaveril in Aventino, cuius 
tu telae siut cervi, a quo celerüate fugitivos vocent cervos. Vgl. Paul. p. 345, 
Kai. Capran. Amitern. Antiat. [Vgl. C. I. L. 1 , p. 399.] Martial. XII, 67. 
Auch die Brettii d. h. servi fugitivi sind eigentlich cervi, 8. Bergk, Zeitschr. 
f. A. W. 1851 n. 3. 



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1UPITER. 321 

weil sie als Flüchtlinge wie diese im Walde hausten, und somit auch 
der Waldgöttin wie jener rex Nemorensis der Diana von Nemi am 
besten empfohlen waren. Doch hatten sich auch Spuren einer 
allgemeineren Bedeutung des Festes darin erhalten, dafs die Frauen 
an demselben Tage den Kopf zu waschen und das Haar zu säu- 
bern püegten (Plut Qu. Ro. 100), was an jene in dem Haine 
von Aricia gefundenen Weihgeschenke bekränzter Frauenköpfe 
erinnert 

Mit diesen Elementen des altern italischen Dienstes der Diana 
verband sich also der griechische der Artemis und zwar ziemlich 
früh, da Artemis überall die treue Gefahrtin ihres Bruders ist. Bei 
dem Lectisternium vom J. 399 v. Chr. wird sie ausdrücklich erwähnt 
und in dem Tempel des Apollo vor der p. Carmentaiis sowie bei 
den Apollinarischen Spielen ist sie gleichfalls vorauszusetzen. Eben 
deshalb ist zu vermuthen dafs der im J. 187 v. Chr. vom Consul 
M. Aemilius in einer Schlacht mit den Ligurern gelobte und im 
J. 179 beim Circus Flaminius geweihte T. der Diana gleichfalls der 
griechischen galt 1 ). Dazu kam die Stiftung des Palatinischen Apollo- 
dienstes, wo Diana als Victrix an der Seite ihres Bruders verehrt 
wurde, daher auch ihre Betheiligung an den Secularspielen, zu 
welchen auch die Diana in Aventino herbeigezogen wurde. Wie 
Apollo bei diesem Feste vorzugsweise als Sonnen- und als sühnender 
Lichtgott angerufen wurde, so sie als Mond- und Geburtsgöttin, als 
Lucina, welche dadurch dafs sie die Geburten fordert auch ihrerseits 
zur Erneuerung und Erhaltung des menschlichen Geschlechts bei- 
tragt 8 ). Catull in einem schönen Gedichte auf Diana und Horaz 
feiern sie auch in der allgemeineren Bedeutung der mächtigen Natur- m 
göttin in Bergen und Wäldern, wo sie das Wild behütet, als Göttin 
der Ströme, der Seen, des Meeres, in denen sie badet und über 
deren Fluthen sie gebietet, endlich als die grofse Königin der Nacht 
und aller nächtlichen Erscheinungen der Geisterwelt, als welche sie 



») Liv. XL, 52. Auch den Bau des L. Cornißcius, von dem Saeton Octav. 
29 erzählt, wird man am besten in diese Gegend verlegen. Bei Plin. H. N. 
XXXV, 94 Luis dem (Apeliis) arbitrantur manu esse et in Annae [so Bamb.] 
templo Her cu lern aversum ist gewifs zu lesen: in Dianae templo. [Doch 
s. unten zu S. 306.] 

») Horat. Carra. See. 13 Rite maturos aperire partus lenis, Ilithyia, tuere 
tnatres, sive tu Lucina probas vocari seu Genitalis. Vgl. Od. I, 21; III, 
22; IV, 6, 37; C. seculare, Catull carm. ad Dianam 34; Virgil Ecl. IV, 10. 
Preller, Rom. Mythol. I. 3. Aufl. 21 



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322 DRITTER ABSCUMTT. 

mit der Hekate identißcirt [und deshalb Tri via genannt] wurde 1 ), 
und als die reifende Jahresgöttin der Monde und Monate,* welche die 
Scheuern des Landnianns mit den Früchten des Feldes fülle; wobei 
sie nach griechischer Weise immer als blühende Jungfrau und 
Lieblingskind des Jupiter gedacht wird, welche sich aller blühenden 
Jugend der Mädchen und Knaben erfreut und darum ganz vorzugs- 
weise von diesen verehrt werden müsse. Natürlich werden nun 
auch ihre Lieblingssitze in Griechenland und Kleinasien, jene be- 
rühmten Stätten in Arkadien, im Thale Tempe, auf Euböa, auf Delos, 
in Ephesus, in Lycien nicht minder eifrig gefeiert als die alten 
italischen*). 

7. Maier Matuta. 

Das Wort Matuta hängt zusammen mit mane, manus und ma- 
tutinus und bedeutet eine Göttin des Frühlichts, der Morgenröthe, 
welche Mater Matuta in demselben Sinne genannt wird wie Ianus 
Pater Matutinus angerufen wurde 3 ). Es war eine gute und segens- 
reiche Göttin, welche, wie sie das Licht aus der Finsternils an den 
Tag führte, also auch eine Göttin der Geburt war und darum vor- 
züglich von den Frauen angerufen wurde, daher ihr Fest schlechthin 



*) [So nach dem griech. rgiofttts seit Eonius bei Varro VII, 16 (der 
erklärt: Diana est dicta ab eo quod in trivio fere ponitur in oppidis Graecis) 
die röm. Dichter allgemein, z. B. Lucr. I, 84, Catnll 34, 15, Prop. III, 28, 10, 
Virg. A. VII, 516; Delta virgo triformu sagt der Vf. der Verse C. I. L. 2, 
2660; daher Dianae Tifatinae triviae sacrum Henz. 5707 and triplicis Diane 
(Verwechslung mit Cybele triodeia) C. I. L. 6, 511. Aber unrichtig wird hier- 
her wohl Trivis C. I. L. 3, 3159 als Dat. von Triviae und Dom(nü) 7>(ww?) 
5, 8246 gezogen : ersteres scheint eine Personifikation der irivia zu sein (vgl. 
unten S. 493), letzteres ist ganz unsicher.] 

*) [In den im ganzen Umfang des röm. Reichs zahlreichen Weih- 
inschriften tritt die Jägerin Artemis -Diana vielfach hervor: vgl. als be- 
sonders charakteristisch die schöne poetische Widmung eines Legionärs aus 
der Zeit Trajans C. I. L. 2, 2660; Signum Dianae et venationem et salientes 
das. 5, 3222. Daher die Verbindung mit Silvan (s. unten), auf welche Reiffer- 
scheid (Annali 1866, 220) Gewicht legt.] 

») Paul. p. 122, Non. Marc. p. 66, Priscian II, 10, 53 p. 76 H. vgl. oben 
S. 83, 1 und Lucret. V, 654 roseam Matuta per oras aetheris auroram dijf'ert 
et In an na pandit. [Vgl. Corssen Kritische Beiträge S. 518: matri metid(ae) 
auf der nicht alten Pränestiner Inschr. Bull, lall' inst. 1867 181 kann 
wohl kaum als ein Beleg für älteres ma-e-tutus (vgl. sa-e-turnus) angesehen 
werden. Den Beinamen matuta führt übrigens auch Pales: Schol. Veron. 
Virg. Ge. III, 1. Vgl. unten IV, 11.] 



I 



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MATER MATUTA. 



323 



Matralia hiefs d. h. das Fest der Mütter, welches zu Rom am 11. Juni 
begangen wurde, s. Ovid F. VI, 473, die Kalender und Paul. p. 125. 
Aufserdem wurde sie aber auch als See- und Hafengöttin verehrt, 
wie die griechische Leukothea, mit welcher sie spater gewöhnlich 
idenlificirt wurde, wie der an ihrer Seite verehrte Hafengott Portu- 
nus mit Palämon oder Melikertes, dem Sohne der Leukothea. Der 
Cultus der Mater Matuta scheint bei der alten Bevölkerung Italiens 
sehr verbreitet gewesen zu sein. Sehr berühmt war ihr Tempel zu 
Satricum im Lande der Volsker, welchen ein dämonischer Ruf mit 
furchtbaren Drohungen im J. 377 vor der Zerstörung durch die 
Latiner bewahrte und auch die Römer später verschonten, s. Liv. VI, sse 
33, VII, 27, XXVIII, 11. Auch wurde sie in derselben Gegend zu 
Cora verehrt, Or. n. 1501, wie in Campanien zu Gales, Mommsen 
I. N. n. 3952. 3953, ferner im Hain zu Pisaurum in Umbrien, Or. 
1500 [= C. I. L. 1, 177], dessen Inschriften meist auf den Cult 
der Matronen deuten, [und zu Präneste, Bull, dell' ist. 1867, 181]. 
Aber auch die Göttin von Pyrgi, der Hafenstadt von Caere, mit dem 
reichen, von Dionysius, dem bekannten Tyrannen von Sicilien, ge- 
plünderten Tempelschatze, welche Göttin die Griechen bald in ihre 
Eileithyia bald in die Leukothea übersetzten, ist wahrscheinlich die 
italische Mater Matuta *). In Rom wurde ihr zuerst von dem Könige 
Servius Tullius ein Tempel gestiftet, den Camill um die Zeit der 
Eroberung von Veji wiederherstellte. Er lag an dem Forum Boa- 
rium 2 ). Eigenthümliche Gebräuche und Vorschriften dieses Cultus 
waren, dafs alle Sklavinnen ausgeschlossen blieben bis auf eine, 
welche mit einem Backenstreiche aus dem Tempel wieder hinaus- 
getrieben wurde, und dafs nur eine in erster Ehe lebende Frau das 
Bild der Göttin bekränzen durfte, ferner dafs die Frauen zuerst für 
das Wohl ihrer Geschwisterkinder, erst dann für das ihrer eignen 
Kinder beteten, endlich dafs die Opferkuchen nach alterthümlicher 
Weise gekocht, nicht gebacken wurden 3 ): lauter Bestimmungen welche 
später so gut es ging durch die Geschichte der Leukothea motivirt 
wurden. Da auch diese Göttin zugleich eine Göttin des Frühlichts, 



») Strabo V p. 226, Müller Etr. 2, 55. 

») Liv. V, 19. 23, XXV, 7, XXXIII, 27, XL1, 2S, Ovid F. VI, 4731f. 
Becker Handb. 1, 481 IT. 

8 ) Varro 1. 1. V, 106, Tertull. de Monogam. 17, Plut. Camill. 5, Qu. Itu. 
16. 17, vgl. Cic. N. I). III, 19, Tusc. I, 12, Ovid F. 1. c., Prob. V. Ge. I, 
437, Lactant. I, 21, 23. 

21* 



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324 



DRITTER ABSCHNITT. 



der beruhigten See und Amme des Dionysoskindes war und an allen 
Küsten des Mittelmeers, namentlich auch in Elea und Massüia ver- 
ehrt wurde, so war ihre Verschmelzung mit der Mater Matuta natür- 
lich. Desto weniger pafste Portunus, wahrscheinlich eine Nebenform 
des Janus (S. 177) zum Melikertes, indessen wurden auch sie gleich- 
gesetzt und der alte italische Hafengott Pater Portunus (Virg. Aen. 
V. 241) dadurch zu einem Kinde. So entstand die Geschichte dafs 
die thebanische Prinzessin, die Tochter des Cadmus, nach ihrem 
Sprunge ins Meer von den Nereiden an die Mündung des Tiber ge- 
führt worden sei, wo sie ihre Schwester Semele wiedergefunden 
habe; diese wurde nehmlich seit der Verbreitung der Bacchanalien 
in Ostia unter dem Namen Stimula verehrt. Die von der Juno ge- 
as7 hetzten Mänaden wollen ihr das Kind rauben; da flüchtet sie nach 
Rom, wo Hercules ihr beisteht und Carmentis (die Heiligthümer von 
beiden lagen nicht weit von dem der M. Matuta) sie gasüich bei 
sich aufnimmt. Carmentis räth ihr auch in Rom zu bleiben und 
sich und ihr Kind mit einheimischen Namen zu benennen. 

8. Sol. 

Sicheren Spuren einer alten und weit verbreiteten Verehrung 
des Sonnengottes sind wir schon im Culle des Janus, auch in dem 
des Vejovis, des Jupiter Anxur und des Apollo Soranus begegnet, 
und zwar scheinen namentlich die Sabiner dieser Religion des Lichtes 
vor Alters zugethan gewesen zu sein. So war ihnen auch der Name 
Sol für die Sonne eigen, den Varro 1. 1. V, 68 sogar aus ihrer Sprache 
abzuleiten geneigt ist, wie Sol denn auch unter den Göttern des 
T. Tatius genannt wird, ib. V, 74. Dionys H. H. 50. Auch das 
zweite Wort, welches in Italien die Sonne und ihren leuchtenden 
Glanz bezeichnete, war bei den Sabinern einheimisch. Es ist dieses 
ein auf die Wurzel aus, sanskr. ush, lat. uro, welche zugleich brennen 
und leuchten bedeutet, zurückweisendes Wort, das bei den Sabinern 
ausel lautete, daher der Geschlechtsname der Auseli d. h. Aurelii, 
bei den Etruskern der Lichtgott Usil, und in den alten Saliarischen 
Liedern zu Rom die Anrufung o Zeul adosiose d. i. Sol venerande. 
Auch das lateinische Wort Aurora stammt von derselben Wurzel, 
so wie das griechische ästag d. i. rjtag und äsiXiog d. i. qiXiog 1 ). 

*) Paul. p. 23 Inn-Uli in Jamiliam ex Sab uns oriundam a Sole dictum 
putant, quod ei publice a populo Ro. dolus sit locus in quo sacra faceret Soli, 



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SOL. 



« 

325 



Die alte sabinische Cultusstätte des Sol in Rom befand sich dicht 
bei dem Tempel des Quirinus 1 ), vor welchem wohl eben deshalb im 
J. 293 v. Chr. durch L. Papirius Cursor die erste Sonnenuhr aufge- 
stellt wurde. Nach den Kalendern des Augusteischen Zeitalters [s. 
C. I. L. t p. 398] feierte man diesen Sol am 8. August, und zwar 
mit dem Beinamen Indiges, der schwerlich so alt ist wie man ge- 
wöhnlich annimmt. Höchst wahrscheinlich bedeutet er in dieser An- 
wendung dasselbe wie Index, denn man glaubte in Rom wie in m 
Griechenland, dafs der Sonnengott alles Verborgene wisse, also auch 
verborgene List und Verrätherei anzuzeigen vermöge. So habe er 
auch um die Verschwörung gegen Cäsar gewufst und deshalb an dem 
Tage vor seiner Ermordung von der sechsten Stunde bis zur Nacht 
sein Haupt verborgen'); daher zu vermuthen ist, dafs er erst seit 
dieser Zeit als Indiges verehrt wurd. Auch die Bildung des Sonnen- 
gottes m der Gestalt eines umstrahlten Hauptes und seines Tempels 
auf den Münzen des Antonius und des Octavian wird man am besten 
durch diesen Glauben erklären. Aufserdem wurde Sol im Circus 
verehrt, wo sein [alter] Tempel in der Mitte der Rennbahn stand 3 ) 



qni ex hoc tu sei i dicebantur, ut Falesii, Papisii pro eo quod est Valerii, 
Papirii. [Ders. p. 9 aurum a Sabinis translatttm. Wahrscheinlich kommt 
noch palignisches uns hinzu: etr. i'sil (Corssen Spr. d. Etr. 1, 280) wird ura- 
brisches Lehnwort sein. Vgl. Jordan Krit. Beitr. S. 134 und über die indo- 
germ. Wurzel Curtius Et. 6 399. Ueber den von Bergk de carm. sal. p. IV 
mit Wahrscheinlichkeit bei Varro VII, 27 erkannten Anfang des Saliarverses 
vgl. Jordan a. 0. 131. 224.] 

l ) Quintil. I, 7, 12 in pulvinari Solis, qui colitur iuxla aedem Quirini, 
Varro 1. 1. V, 52, wo man am besten liest: advorsum Solis pulvinar eis aedem 
Salutis, vgl. K. F. Hermann de loco Apoll, in carm. Horat. sec. p. 9. [Doch 
s. oben zu S. 269.] 

a ) Virg. Georg. I, 463 ff. und Serv. zu vs. 466 constat autem occiso Cae- 
sar e in Semd ii pridie iduum Martiarum Solis ftn'sse defectum ab hora sexta 
iisque ad twetem , vgl. Ovid Met XV, 785. Bei Diod. Exe. Mai. XXXVII, 
4 in dem Eide des Drusus ist für rbv y(vno/t]V "Hktov zu lesen 'Ewuliov, 
s. oben S. 92. 

•) Tertull. de Spectac. 8: circus Soli principaliter conservatur cuitts aedis 
medio spatio et effigics de Jastigio aedis emicat u. s. w. [Tac. Ann. XV, 74 : 
Soli ctii est vetus aedes apud circum.] Vermuthlich am Abhänge des Aventin 
über dem Circus, da die Regionen ihn zwar in der 11. Region, aber neben 
dem T. der Luna nennen, s. meine Reg. d. St. Rom S. 192. [Auf den bild- 
lichen Darstellungen des Circus findet sich keine Andeutung des Tempels. 
Vgl. die von Jordan Forma urbis S. 17 a. Litteratur. Vgl. was unten über 
die aedes Lunae bemerkt ist.] 



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326 



DRITTER ABSCHNITT 



und sein Bild auf dem Giebel des Tempels; ja er war als der gött- 
liche und unermüdliche Wagenlenker am himmlischen Plane der vor- 
nehmste Schutzgott dieses alten für die Circensischen Spiele und die 
Kunst der Wagenlenkung bestimmten Raumes. Auch der Obelisk 
im Circus war ihm heilig, wie die ägyptische Theologie es verlangte x ) r 
und häufig erscheint sein Bild auf den Familienmünzen als Wagen- 
lenker, immer jugendlich und mit der Strahlenkrone. Sonst galt 
auch hier der Glaube an seine allsehende Kraft und Vorsicht, daher 
sich dieselbe Verherrlichung des Sonnengottes auf Veranlassung einer 
diesmal vereitelten Verschwörung bei diesem Cultus in der Geschichte 
des Nero wiederholte, s. Tacit. Ann. XV, 74. Auch werden dem Sol 
wegen dieser allwissenden Fürsorge nicht selten öffentliche Denk- 
mäler z. B. die Gräber empfohlen 3 ), während ihn andre Inschriften 
wegen seiner gütigen Hülfe als Sol iuvans anrufen, oder als Sol 
aeternus d. h. als Bild der Ewigkeit, oder als Sanctissimus d. h. als 
strahlendes Bild des Lichtes und der Reinheit 8 ), obwohl bei solchen 
289 Prädicaten schon der spätere, gegen den Ausgang des Heidenthums 
sehr weit verbreitete Sonnencultus [XII, 5] mit im Spiele ist. Da- 
neben erhielt sich das Bild des Sonnengottes auf Münzen und andern 
öffentlichen Monumenten als Allegorie des Aufgangs in der geogra- 
phischen Bedeutung des Ostens, des Sol oriens. So erscheint das 
Bild oder das Haupt des Sol namentlich au! den Münzen des Ves- 
pasian und Trajan, der Sieger über den Orient, und es scheint dafs 
Vespasian in demselben Sinne den Colofs des Nero in den des Sonnen- 
gottes umschalten liefs, als welcher er sich in den folgenden Zeiten 

l ) [Sowohl der im Circus als der auf dem Marsfeld von Augustus auf- 
gestellte Obelisk (jener jetzt auf Piazza del Popolo, dieser auf Monte Citorio) 
tragt die Ioschrift Aegupto in potestatem populi Romani redacta Soli donum 
dedit (C. I. L. 6, 701 f.). Aufser der ägyptischen Theologie mag auch die 
nationale, von Augustus wie es scheint wieder belebte Verehraog des Sol da- 
bei mitgespielt haben. Vgl. Hör. C. saec. 9 alme Sol n. s. w. (über almus 
oben S. 56 A. 2); auf dem Panzer der Statue von Prima Porta ist er als 
Wagenlenker dargestellt, vorausfliegend Aurora. Vgl. Köhler Aonali 1863, 
446 Garrucci Diss. Areh. S. 5 f.] 

') Or. n. 4791 Sol tibi co mm endo qui manus inlulit ei. n. 4792 Quisquis 
ei laesit mit nocuit Severae immerenti, Domine Sol tibi commendo , tu ittdiees 
eius mortem. Ich glaube dafs auch das so oft als Amulet angebrachte und 
abgebildete Auge ursprünglich als Symbol den Schutz des Sonnengottes aus- 
drücken sollte. 

") Or. n. 910. 1928. 4934. [Monatsberichte der Berliner Akad. 1861, 
S. 736 f. 800.] 



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LUNA UND DIE GESTIRNE. 



327 



erhielt 1 ). Auf andern Münzen wird dasselbe durch das Bild der 
Aurora ausgedrückt, welche in älteren römischen Gedichten auch 
wohl die Tochter des Sonnengottes genannt wurde *) und auf einem 
Denar der gens Plautia nach griechischer Weise als Führerin der 
Sonnenrosse auftritt. 

9. Luna und die Gestirne. 

Auch Luna, welche sich zur Diana verhält wie Sol zum Janus, 
wurde von der italischen Bevölkerung, wenigstens den Sabinern und 
Etruskern göttlich verehrt. Denn auch sie wird unter den von T. 
Tatius verehrten Gottheiten genannt, und auf einem etruskischen 
• Spiegel erscheint Losna d. i. Louna, welches wieder auf lux und 
lumen zurückweist, mit dem Attribute des Halbmondes neben Pollux, 
auf einem andern Denkmale als Lala d. i. Lara, Jianowa, neben 
dem Sonnengotte Aplu 3 ). In Rom gab es einen Tempel der Luna 
Noctiluca, welcher in der Nacht erleuchtet wurde, auf dem Palatin 4 ), 
und ein altes, oft erwähntes Heiligthum der Luna, wahrscheinlich 
das von Servius Tullius gestiftete, auf dem Aventin über dem 
Circus 5 ). Als Monatsgöttin wurde sie am letzten Tage des ersten 
Monates März gefeiert, s. Ovid F. III, 883, Fast. Praen. 6 ) VerGn- 



») Eckhel D. Ff. VI p. 335. 489. Vgl. Virg. Aen. V, 739 et me saevus 
cquis Orlens qfßavü anhelis, für Sol oriens. Ueber den Colofs des Nero s. 
Becker S. 220 A. 441. 

') Fest. p. 197 Obstinet dicebant anliqui quod nunc est ostendit, ut in 
veteribus carminibus: Sed iam se caelo cedens Aurora obstinet suum patrem. 
Vgl. Riecio t. 37, 12; 62, 6 und Eckhel D. N. VI p. 442. 

») Gerhard etrusk. Spiegel t. 171, Gotth. d. Etrask. S. 39 t. II. [C. I. L. 
1, 54]. Losna f. Louna wie casnar für canus. Cic. N. D. II, 27 Luna a lu- 
cendo nominata: eadem est enim Lucina. [Das Wort ist echt lateinisch, nur 
nicht an den lat. Stamm lue- mit auslautendem k anzuknüpfen, sondern an 
einen mit * auslautenden, auf den Analogien anderer Sprachen wie Zend. 
raokhs-na, Glanz, (vgl. Curtius Et. 6 161), altpreuss. laux-nos (Plur.), Gestirne, 
führen: also ist tos-na = lous-na, lu-na regelmäßig gebildet und es erledigen 
sich auch diese von Jordan Krit. Beitr. S. 34 f. betonten Zweifel. Fraglich 
bleibt nur immer noeb, wie es mit dem angeblich im hentigen Romagnolischen 
gebrauchten losna, lusna Glanz (Fabretti Gloss. 1067) steht.] 

*) [Varro V, 68 ff. Luna . . dicta Noctiluca in Palatio: nam ibi noctu lucet 
templum.] 

») Tacit. Ann. XV, 41, vgl. Liv. XL, 2, Appian bell. civ. I, 78, u. a. 
Becker Handb. 1 , 456. [Jordan Eph. epigr. 3, 70. Es ist streitig ob dieser 
Tempel in der Notitia R. XI Solis et Luna» genannt wird. Vgl. S. 290.] 

•) [Außerdem: Lunae in Graecost{asi) Kai. Pinc. 24 Aug., was durch 



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328 DRITTER ABSCHNITT. 

290 sterungen des Mondes pflegte man nach einem weit verbreiteten 
Aberglauben mit lärmendem Getöse von ehernen Becken und Blas- 
instrumenten zu vertreiben, Liv. XXVI, 5, Tacit. Ann. I, 28. üebri- 
gens war auch Luna eine circensische Gottheit, weil auch sie wie 
Sol auf einem Wagen fahrend gedacht wurde, nur dafs dem Sonnen- 
gotte die prächtige und stolze Quadriga vorbehalten blieb und Luna 
sich mit der bescheidneren Biga und einem Gespann von Mauleseln 
begnügen mufste 1 ). Sol und Luna zusammen aber sind gewöhnliche 
Bilder der Ewigkeit, er aufsteigend, sie niedersteigend, beide mit dem 
Epitheton aeternus und aeterna, in welcher Weise sie oft nebenein- 
ander abgebildet, verehrt und pro salute imperii oder pro salute eines 
Kaisers angerufen wurden*). 

Unter den Gestirnen wurde auch in Italien vorzüglich der 
Morgen- und Abendstern ausgezeichnet. Man nannte ihn Iubar 
wegen seines strahlenden Glanzes oder weil die Strahlen dieses 
Glanzes sich mähnenartig ausbreiten*), auch Vesper oder Vesperugo, 
welches Wort aus vesperu, einer älteren Form für vesperi, entstanden 
ist, und Nocturnus d. i. den Stern der Nacht, endlich Lucifer, wenn 
dieser Name nicht erst durch Uebersetzung des griechischen 0cd<f(p6Qoc 



Mommsen's Combinationen C. I. L. I S. 400 Münzwesen S. 585 A. 363 nicht 
genügend erklärt wird.] 

») Tertnll. de Spectac. 9, vgl. Paul. p. 148 mnlns und Anthol. ed. H. 
Weyer n. 891, 17 Lunae biga datur Semper, Soiique qttadriga, Castoribus 
simpli rite dicantur equi. 

*) Or. n. 1926—29, [Monatsber. der Berliner Akademie 1861, S. 736f.j 
0. Jahn Archäol. Beitr. S. 89. [Sol und Luna waren auf dem Giebelfelde 
des capitolinischen Juppitertcmpels dargestellt. Zweifelhaft bleibt die Bedeu- 
tung des Festes d. 28 August (Kai. Pbiloe.) Solis et Lunae, nach Mommsen 
Stiftungstag des angeblichen Tempels auf dem Aventin (S. 289), und des viel- 
leicht zum pränestinischen Kai. gehörigen Fragments C. I. L. 1 p. 412 Z. 2 
[So]lU et Lun[ae] . .] 

») Varro L L VI, 6, VII, 76, Paul, p 104, Placid. p. 474 [p. 57, 1 D.] 
Iubar hiefs überhaupt Alles was einen strahlenden Glanz verbreitete, daher 
man auch iubar solis, lunae, argenti und gemmarum sagte, daher der Stern 
Iubar bei Serv. V. A. IV, 130 wohl richtig durch luvar und Stella lovis er- 
klärt wird. Also wäre auch dieses Wort und vermuthlich anch lugula d. i. 
Orion, Paul. p. 104, auf den Stamm Iov zurückzuführen, s. oben S. 184 f. 
[Gewöhnlich iubar Neutr. ; als Masc. (wie Caelus) Jubär mit rein metrischer 
Längung des a bei Ennius An. 326; daher nicht mit Corssen (Krit Beitr. 
157 ff.) iub-ar von iub-a wie calc-är von calc-s herzuleiten. Eine sichere 
Erklärung fehlt: Jordan Krit. Beitr. 62] 



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WINDE UND STÜRME. 



329 



entstanden ist 1 ). Gewöhnlich galt er für einen Stern der Venus 
Urania, namentlich als nächtlicher Abendstem, der die Braut zum 
Bräutigam führt 2 ), hin und wieder und wohl als Morgenstern auch 
für einen Stern des Jupiter oder der Juno Lucina. Aufserdem ver- 
anlafsten wie überall vorzüglich der grofse Bär, die Plejaden und 
Hyaden und der Orion zur volkstümlichen Beobachtung und Be- 
nennung. Der grofse Bär hiefs bei den italischen Bauern bald plau- aai 
strum und dessen Deichsel temo, bald wegen der nächtlichen Um- 
drehung septem triones, das sind eigentlich sieben Dreschochsen, die 
auf der Tenne umgehend das Korn dreschen, triones von terere 3 ). 
Die Pleiaden hiefsen Vergiliae, nach der gewöhnlichen Erklärung, 
weil ihr Aufgang mit dem Frühling (ver) zusammenfallt, auch Suculae 
d. i. ein Rudel kleiner Ferkel und das Gestirn der Palilien (sidus 
parilicium), weil sie um die Zeit dieses * ländlichen Festes er- 
schienen 4 ). Endlich der Orion hiefs lugula, welcher Name ver- 
schieden erklärt wurde. 

10. Winde und Stürme. 

Auch die Winde und Stürme wurden in Italien und den west- 
lichen Provinzen häuGg verehrt, zu Lande und zur See, als wohl- 
lliätige oder gefährliche Dämonen. Unter den wohlthätigen war vor 
allen beliebt und geehrt der befruchtende Favonius, der dem grie- 
chischen Zephyr entspricht und seinen Namen wie der gute Berg- 
geist Faunus von favere hat, denn er wirkte befruchtend wie dieser 
und brachte, wenn er um die Mitte des Februar zu wehen anfing, 
die Schwalbe und den Frühling 5 ). Gefürchtet dagegen waren beson- 

*) Qyiotil. I, 7, 12 interim g quoque (adiecta), ut est in pulvinari Solis. 
qui cotüur iuxta aedem Quirini VESPERI G, quod vesperuginem accipimus. 
Vgl. Plautr. Amphitr. I, 1, 116 credo ego hoc noctu Nocturmtm otjdormuissa 
rbrium und die Inschriften bei Henzcn z. Or. n. 5857. 58. [C. I. L. 5, 4287. 
'.\, 1946. — Qnintilian und init ihm P. irren: Vesperug. war Abkürzung und 
Fesper-ü-go ist gebildet wie aer-ü-go lan-u-go; ferner: inter Vesperuginem 
i-t Iubar dicta nox intempesta (Varro VI, 7); der Stern der Venus bald 
Vesperugo bald Lucifer genannt (Vitr. IX, 4, 7.] 

*) Catull. 62, vgl. Serv. V. A. IV, 130 und Augustin C. D. VII, 15. 
Nach Varro führte der Venusstern den Aeneas nach Latium, Serv. V. A. 
II, 801. 

») Varro 1. 1. VII, 73—75, Serv. V. A. I, 744, vgl. J. Grimm D. M. 688. 
•) Plio. H. N. XVIII, 246, Fest. p. 372 Vergiliae, Serv. V. A. I, 744. 
Vgl. das Kai. Venus. Mai. Non [C. I. L. 1 p. 301]. 

6 ) Varro d. r. r. I, 28. 29. Cic. Verr. II, 5, 10, Horat. Od. I, 4, 1 Sol- 



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330 



DRITTER ARSCHMTT 



tlers die Nordwinde, welche mit markdurchbohrender Kälte aus den 
nördlichen Gebirgen daherfuhren und die junge Vegetation tödteten, 
der Septembrio und der Aquilo d. h. der mit Adlersfittigen daher- 
stürmende, ein gewöhnliches Bild für alle stürmende Kraft auch in 
Griechenland und im Norden 1 ). Doch waren auch die Südwinde 
gefahrlich, welche dicke Wolken und erschlaffende Hitze mit sich 
führten, der Auster, welcher im Herbst die meisten Gewitter brachte 
und deshalb wie Jupiter, Juno und andre Götter mit dem Blitze be- 
wehrt gedacht wurde 8 ), und der von Afrika herüber wehende Africus, 
vollends wenn sie mit den Winden der entgegengesetzten Richtung, 
dem Aquilo oder den Ostwinden zusammengeriethen 3 ). Die wohl- 
thätigen, befruchtenden und beruhigenden Winde wurden mit weifsen, 
die bösartigen Aequinoctial- und Winterstürme mit dunkeln Opfer- 
thieren bedacht, gewöhnlich mit Böcken oder Lammern 4 ), und manche 
Capelle mit manchem Altare mag sich den Stürmen und Winden 
(tempestatibus ventisque) an den Küsten oder am Fufse hoher Gebirge 
erhoben haben z. B. an dem des apulischen Voltur, welcher für Italien 
ein so auserwahlter Sitz der Winde war, dafs er dem Volturius den 
Namen gegeben. Man glaubte in Italien wie anderswo, dafs Stürme 

vitur acris hiems grata vice veris et Favoni. Locret. I, 11 genitabilis aura 
Favoni, V, 735 it ver et Venus et veris praenuntius ante pennatus gradüur 
Zephyrus. Vgl. Plin. H. N. II, 122 und XVIII, 337. 

*) Die stürmende Kraft der Nordwinde beschreibt Varro b. Non. Marc, 
p. 46 v. syrus, Varro Marcipore: Ventique frigido se ab axe eruperant 
freneticiy Septemtrionum filii, secum ferentes tegulas, ramos, synis. Vgl. 
Virg. Ge. III, 196 ff. [Vgl. H. Genthe die Windgottheiten bei den indoger- 
manischen Völkern, Memel 1861.] 

a ) Lucret. V, 742 Inde aliae tempeslates ventique secunfur, altitonans 
V olturnus et Auster Julmine pollens. Vgl. Serv. V. A. VIII, 429 
Xonnulli vero manubias fulminis his nurninibus i. e. Iovi, Iunoni, Marti et 
Austro vento adserunt attributas. Der Name Auster hängt mit av<o und 
austerus zusammen. [Curtius Etym. 6 398.] Vgl. Horat. Od. II, 14, 15; III, 23. 
5, Sat. II, 6, 18, Virg. Georg. III, 278 nigerrimus Auster, IV, 261, Macrob. 
Somn. Scip. II, 5, 20. 

») Ennius b. Macrob. S. VI, 2, 28, Horat. Od. I, 3, 12, Epod. X, Virg. 
Aen. II, 416 ff. 

«) Horat. Ep. X, 23, Virg. Aeo. III, 120, V, 172 Or. 1330 — 1340 [drei 
runde Arae aus Aotium (jetzt im capitolinischen Museum, Zimmer des Fauns) 
mit den Inschriften ara Tranquillitatis (segelndes Schiff), ara Ventorum (Wind- 
gott), ara Neptuni (Neptun): vgl. zu S. 293] vgl. die beiden Windesgötter in 
den Mouum. Archeol. 1855 T. VIII u. IX und p. 50. Mommsen I. N. 5012 
Tempest. sacr. aus Aesernia in Samoium. 



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WINDE UND STÜRME. 



331 



und Schlössen durch Zaubergesang sowohl erregt als beschworen 
werden könnten; in den Weinbergen suchte man sich dadurch zu 
schützen, dafs man im Herbste das geweihte Bild einer gemalten 
Traube zwischen die Weinstöcke stellte 1 ). An der gallischen Küste, 
vermulhlich zu Narbo, hatte Augustus dem Gircius, der mit scharfen 
Schwingen von dieser Küste übers Meer bis Ostia fuhr und dort 
wohl selbst die Häuser abdeckte, weil er die Luft reinigte und des- 
wegen der Gesundheit zuträglich war, sogar einen Tempel gestiftet, 
s. Plin. H. N. II, 121, Seneca Qu. N. V, 17. Werden diese Windes- 
götter den andern himmlischen Göttern als Trabanten untergeordnet, 
so ist gewöhnlich Jupiter ihr Herr 2 ). Doch war ihre Verehrung zur 
See oder mit Beziehung auf die Schiffahrt, also neben dem Neptun, 
nicht weniger gewöhnlich, auch bei den Römern, deren Feldherrn 293 
deshalb, wenn sie in See stechen wollten, neben den andern Göttern 
gewöhnlich auch zu den Winden und Stürmen beteten und Spenden 
oder auch blutige Opfer für sie in die Fluthen versenkten 3 ). Selbst 
in Rom hatten diese Seesturme ein eignes Heiligthum mit bestimmten 
Opfern bei der porta Capena, wo L. Cornelius Scipio, derselbe dessen 
Grabinschrift erhalten ist, es gestiftet hatte, wahrscheinlich in Folge 
eines Gelübdes auf einer Expedition gegen die Sarden und Corsen 
im J. 259 v. Chr., bei welcher seine Flotte durch die Wuth der 
Stürme beinahe zu Grunde gerichtet wäre 4 ). 

») Plin. H. N, XVIII, 294. Vgl. XVII, 267 cum averti carmine grandines 
credant plerique, cuius verba inserere nou equidem serio aus im. Seneca Qu. 
N. IV, 7 rudis adhuc antiqtätas credebat et atirahi imbres cantibus et repeÜi. 

-) S. oben S. 192, 1. Uenzen z. Or. 0. 5615 /. 0. M. autori bonorum 
Tempestatum, aus dem südlichen Frankreich. Auch in dem Fragmente des 
Etruskers Vegoja (S. 256, 1) sendet Jupiter Stürme und Wirbelwinde. 

») Cic. N. D. III, 20, Lucret. V, 1224 ff., vgl. Virgil. Aen. III, 120 und 
527, V, 772 ff., Liv. XXIX, 27, Appian d. b. civ. V, 99, wo Octavian vor 
dem Aufbruch der Flotte gegen S. Pompejus im Hafen von Puteoli opfert 
avtuut; tvöfotq y.c.i ao<f«Xn'(>i ffoantUört xai dxvftovt &aXäaon d. h. Ventis 
Bonis, Neptwto et TranquiUitati. Vgl. die Münze des Commodus b. Eckhel 
D. N. VII p. 129, wo vor dem Aufbruch der Afrikanischen Flotte Stiere ins 
Meer versenkt werden. 

«) Ovid. Fast. VI, 193, vgl. meine Regionen d. St Rom S. 118. [Vgl. 
Mommsen im C. I. L. 1 p. 18.] 



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VIERTER ABSCHRITT 



>Iars und sein Kreis. 



Diese Göttergruppe ist in gewisser Hinsicht die interessanteste, 
weil sie uns nehmlich den tiefsten Blick in das alte nationale Leben 
der Bevölkerung von Italien thun läfst und von fremden Zuthaten 
am wenigsten berührt ist. Es ist das centrale Land der Berge und 
Wälder, auf die wir durch sie zurückgewiesen werden, das Land der 
Viehzucht und des nomadisirenden Hirtenlebens, die Zeit der ersten 
Ansiedelung und der kriegerischen Ausbreitung und Eroberung. 
Zugleich zeigt sich in allen Gottesdiensten dieser Gruppe eine eigen- 
thümliche Verschmelzung von Naturbegeisterung und den Stimmungen 
des ältesten Volksthums, wie sie das früheste Stadium der Religionen 
des vorchristlichen Alterthums überhaupt characterisirt. Mars ist 
der Mittelpunkt und das Haupt des ganzen Kreises, der Gott eines 
mächtigen und männlichen Naturtriebes, wie er sich vorzüglich im 
Frühlinge offenbart, und der Gott der kriegerischen Begeisterung 
schlechthin, der sowohl die alten Umbrer und Sabiner sammt ihren 
jüngern Stammgenossen als die Latiner und Römer zum Siege führte. 
Neben ihm stellt sich im Picus, im Faunus, im Silvanus zugleich 
die Dämonologie des Waldlebens und das Element der natürlichen 
Inspiration und der ersten Ansiedelung dar, in einer Reihe von weib- 
lichen Gottheiten, welche neben diesen männlichen Göttern verehrt 
wurden oder dem Wesen nach zu ihnen gehören, derselbe Liebes- 
und Befruchtungstrieb auf der einen und dieselbe weissagerische und 
kriegerische Naturbegeisterung auf der andern Seite. Endlich im 
Pales, dem männlichen und der weiblichen, kommen noch einmal 
die Stimmungen und Traditionen jenes allitalischen Hirtenlebens, 
des zu allen Zeiten in dieser Halbinsel weit verbreiteten, zu Tage. 



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MARS. 333 

Noch eine Eigenthümlichkeit aller dieser Götter und Gottesdienste ist 
die, dafs sich in ihnen eine gewisse Praxis der religiösen Sühne und 
Weihe ausgebildet hatte, welche bei sehr verschiedenen Gelegenheiten 
zur Uebung kam und wohl in dem Umstände seine Erklärung findet, 
daXs alle Götter dieses Kreises als Frühlingsgötter und Götter der 
Befruchtung zugleich solche sind welche den Winter, den Tod und 
andre im Gedanken sich von selbst anschliessende Schrecknisse aus- 
treiben und sowohl die Natur als das menschliche Gemüth davon 
zu befreien die Macht haben. Ein Ideenzusammenhang welcher auch 
in andern Naturreligionen gewöhnlich ist und in diesem Kreise, 
namentlich in der Religion des Mars, des Faunus Lupercus, der 
Pales, in verschiedenen ebenso alterthümlichen als eigenthümlichen 
Gebräuchen sich ausdrückt. 

1. Mars. 

Mars war neben Jupiter der eigentliche Haupt- und Stamm gott 
der italischen Bevölkerung. Sowohl bei den Umbrern wurde er ver- 
ehrt, wie dieses die Urkunden von Iguvium und andre Denkmäler 
bezeugen 1 ), als bei den Sabinern, Paelignern, Aequern, Hernikern, 
Faliskern und Latinern, bei welchen Völkern ihm nach Ovid F. III, 
87 ff. ein eigner Monat geheiligt war. Ihm pflegte die alte Gebirgs- 
bevölkerung jene heiligen Frühlinge ihrer Felder, ihrer Weiden und 
der Landesjugend zu weihen, welche für die älteste Geschichte Italiens 
so wichtig sind. Von Mars und seinen heiligen Thieren geführt 
suchte und fand diese geweihte Jugend, sobald sie herangewachsen 
war, aufserhalb der Landesgrenzen eine neue Heimath, die Samniter 
unter der Führung eines Ackerstiers, die Picenter unter der des 
Spechtes, die Hirpiner unter der des Wolfes, bis endlich die Mamer- 
tiner, der letzte und südlichste Sprofs dieses lange anhaltenden Aus- 
wanderungstriebes, den Namen und die Verehrung des alten Stamm- 
gottes bis hinüber nach Sicilien trugen. Auch die Latiner und voll- 
ends die Römer bekannten sich seit alter Zeit vorzüglich zu diesem 
Gotte. Wie in dem Stammlande der latinischen Aboriginer in einem 296 
Orte ein sehr alter Tempel des Mars, in einem andern, Tiora Matiene, 
ein eben so altes Orakel des Mars genannt wird, wo der Specht auf 



l ) Vgl. die in der Nähe von Iguvium mit einem Bilde des Mars gefun- 
dene Inschrift [Marti cyprio n. s. w. b. Or. n. 4950. 51 — Henzen n. 5669, 
oben S. 280 and Sil. IUI. Pan. IV, 222 Gradivicolam ceUo de eoile Tudertem. 



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334 



VIERTER ABSCH.MTT. 



einer hölzernen Säule sitzend weissagte (Dionys I, 14), so finden sich 
entsprechende Anlagen am latinischen Strande zu Laurentum, dem 
mythischen Königssitze des Picus, dessen Sohn Faunus, der Vater 
des Latinus, ein Abkömmling des Mars, in der Landessage für den 
Begründer der Landescultur galt. Rom aber hatte seinen Dienst des 
Mars sogar aus einer doppelten Quelle bekommen, den Palatinischen 
Mars mit seiner Umgebung des Picus und Faunus und der Sage von 
Romulus und Remus von den albanischen Latinern, und den Qui- 
rinus d. h. den sabinischen Mars des Quirinais, der später mit dem 
vergöttlichten Romulus identificirt wurde, von den Sabinern von Cures, 
welche mit diesem örtlichen Gottesdienste auch den Namen der Qui- 
nten nach Rom gebracht hatten. 

Der alte Wortstamm des Namens scheint mar oder mas zu sein 
und die männliche Kraft eines zeugenden und aufregenden Gottes 
zu bedeuten, welcher in der älteren Zeit auch Naturgott war, aber 
den späteren Generationen bei einseitiger Auffassung immer mehr 
zum Kriegsgotte schlechthin geworden ist 1 ). Aus mar entsteht durch 
Reduplication Marmar und Marmor, unter welchem Namen der Gott 
im Liede der Arvalischen Brüder um Schutz und Segen der Felder 
angerufen wird. In der Declination ist aus demselben Stamme Mar-s 
Mar-t-is geworden, dahingegen in der Zusammensetzung mit dem 



*) Vgl. Corssen Ztschr. f. vgl. Sprachforschung 2, 1 — 35 [Ausspr. 1 *, 
404 ff.]. Andre etymologische Erklärungen s. b. Mommsen uutcrit. Dial. S. 276, 
welcher die Formen Mavors und Maurs für die ursprünglichen und die Be- 
deutung des Abwendcns und Abwehrens, das avortere, für die primitive halt, 
und b. Bergk Zeitschr. f. A. W. 1856 n. 17 S. 143, welcher Mars für einen 
Sonnengott erklärt. Vgl. auch A. Kuhn in Haupts Zeitschr. f. D. Alterth. 5, 
491 und L. Meyer z. ältesten Gesch. d. griech. Mythol. S. 47 [Grassmann Zs. 
f. vergl. Sprachf. 16, 162], welche den italischen Mars wie den griechischen 
Ares für einen Gott des Sturms halten und auf die Sanskr. Wurzel inarüt 
Sturm zurückgehu. [Die Herleitung von tnarül hat bereits Corssen (Ausspr. 
a. 0.) gebührend gewürdigt. Allein seine eigene, von mar ,glänzen', daher 
Sonnengott', stützt sich sachlich wesentlich auf die Identität des Beiworts des 
späten römisch-keltischen Ufers loucetius: allein wenn auch das Wort mit dem 
alten Beiwort loucetius der Juppiter (oben S. 189) verwandt sein mag, so ist 
doch der geschichtliche und sachliche Zusammenhang beider zu leugnen (vgl. 
Jordan Krit. Beitr. 33 f.). Corssen's Aulfassung führt aus Roscher, Studien 
zur vergl. Mytb. 1 (Apollon und Mars) L. 1873, dem Mars ,Sonncngott' ist, 
im Wesentlichen theilt sie auch Usener Rh. Mus. 30, 206 ff, dem er ,Jahres- 
gott' ist. Die 12 Ancilien (12 Monate), die Austreibung des (alten) Jahres 
(Mamurius Veturius, Anna Perenna) sollen dies beweisen.]/ JtiuWLßdju t it W. 
ti t+oU 5i*».jrw. ^**fcc*. Krx-yKYj . If}4. 



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MARS. 



335 



patriarchalischen Ehrenprädicate pater die Form Maspiter 1 ) auf den 
Stamm mas zurückweist, Marspiter aber die gewöhnliche Zusammen- 
setzung mit der schon zur Declination vervollständigten Form Mars 
ist. Aus derselben Form Mars ist ferner durch Einschiebung eines V 
geworden Maurs, welche sich in einer alterthümlichen Inschrift aus 
Tusculum erhalten hat, daraus das gewöhnlichere Mavors 2 ). Noch 297 
andre Bildungen desselben Stamms sind die Eigennamen Marius und 
Marcius, desgleichen Mamurius, der Name des Schmiedes der An- 
cilien, die Adjectivbildung einer Nebenform Marmor; endlich im sabi- 
nischen und oscischen Dialect der Name des Mamercus, eines Sohns 
des Numa, von welchem die Mamerci Aemilii ihren Namen ableiteten, 
und der Volksname der Mamertini, beide von der Nebenform Mamers 3 ). 
Der Wurzelbegriff aller dieser Formen ist wie gesagt die mannliche 
und zeugerische Kraft eines Gottes, welcher sich sowohl in der Natur 
als unter den Menschen durch kräftigen Trieb und belebende Erre- 
gung offenbarte, durch den Frühling in Wäldern und Feldern, durch 
Befruchtung der Heerden und des ehelichen Bundes, begeisternde 
Gemülhswirkung, mannhafte Thaten, starkes lleldenthum und sieg- 
reiche Kriegsführung 4 ). 



') Vurro 1. 1. VIII, 49, IX, 75, X, 65. Der Genitiv war oach Priscian 
Maspiteris oder Maspitris. Vgl. Fest. p. 161 Marspedis sive sine r littera 
Maspedü in t precaticie sesita uallium [so die Hs. nach Keil Rh. M. 6, 621, 
precatione solitaurilium Seal.] quid singnificet ne Messaüa quidem augur in 
Explanatione auguriorum reperire se potuisse ait. 

*) Henzen z. Or. n. 5674 [= C. I. L. 1, 63] M . FOVRIO . C . F . TRIBVNOS. 
MI LIT AHL . DE . PRAIDAD . MAVRTE . DEDET. 

8 ) Paul. p. 131 Mamercus und Mamers, Fest. p. 158 Mamertini, Plut. 
Numa 8. 

4 ) [Vielmehr ist die Vielheit der Namensformen wohl so zu beurtheilen: 
neben urlat. Mär-(t)-s (Vocativ im Arvalenl., Nom. Pränest. Bronze Eph. ep. 
1 n. 21, Marte Dat. C. I. L. 1, 62, Tibur) und umbr. Mar-(t)-s {Marte Dat. 
Iguv. T.), dessen a naturlang (daher das wurzelgleiche Mar-cus auch Maarcus 
geschrieben), gab es noch älteres lat. Mä-vor-(t)-s (gerettet durch die feier- 
liche und dichterische Literatursprache, vgl. Liv. XXII, 1, 11 und die Ety- 
mologie qui magna votieret b. Cic. de n. d. II, 26, 67; Mauortei C. I. L. 1, 
808, Rom; doch vgl. Garrucci Syll. 1414), mundartlich (C. I. L. 1, 63, Tus- 
culum) Maürte (mit Ausstofsung des v; nicht Maurte oder Mavrte\ vgl. Ritsehl 
Op. 4, 489 f.); dies Ma-vors ist wohl als Urform des schon früh daneben 
cootrahirten Märs anzusehen und, wie A. Bezzenbcrger wahrscheinlich 
macht, auf mac-vors (verw. mit //«/-»?; der Stürmer, Kämpfer, was für 
alle Hauptäusscrungen des Begriffs pafst) zurückzuführen. — Wenn daneben in 
demselben Arv. L., das Mars hat, Mannar (daneben marmor, marma Fehler 



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336 



VIERTER ABSCHNITT. 



Das hohe Alterthum dieser Religion bestätigt sich durch die 
Merkmale eines dem Mars geweiheten Baumcultus und einer mit 
diesem Dienste eng verbundenen Thier- und andrer Symbolik. Auch 
dem Mars wurden hin und wieder die ältesten Bäume der Vorzeit 
geheiligt, Eichen, Feigenbäume und andere Bäume 1 ). Seine beiden 
heiligen Thiere sind der Wolf und der Specht, jener ein Bild 
alles grimmigen und gefräfsigen Wesens, wie es dem alten Wald- 
und Kriegsgotte am meisten zu entsprechen schien, dieser ein Symbol 
aller Heimlichkeit des Waldes, wie sie sich in den Orakeln des Mars 
und des Faunus in dunkeln Stimmen und Sprüchen offenbarte. Der 
Wolf hiefs bei den Hörnern deswegen Schleen weg lupus Martius oder 
lupa Marüa, sein Bild stand in den Tempeln des Gottes, seine Er- 
scheinung im freien Felde bedeutete die Hülfe des Mars 8 ); allbekannt 
298 ist die Theilnahme der Wölfin an der Rettung und Ernährung der 
römischen Zwillinge 3 ). Was die Bedeutung dieses Symbols betrifft, 
so wird von den Alten natürlich immer am meisten das Grimmige 
Blutige, Tückische, den Heerden und aller menschlichen Ansiedelung 



des Exemplars: Jordan Krit. ßeitr. 192 f.) als Vocativ vorkommt, so scheint 
dies Mär-Mär, eine aar für die Anrufung bestimmte Doppelung des Vocativs 
zu sein, wie das ebenfalls singulare ItiQis-'Aots (Becker Horn. 81. 1, 194. 2, 
213). Dann bleibt nur die Uberhaupt nicht aus Originaldenkmälern bekannte, 
möglicherweise von den Glossatoren nur aus Mainertini, Mamertus erschlossene 
Form Mamers (denn C. I. L. 1, 850 ist Mamerti Personenname; vgl. Moniniaen 
Dial. a. 0.; die Zugehörigkeit von Mamurius ist mindestens fraglich): dies 
könnte unmittelbar aus Ma-vors, Ma-vert durch Assimilation des v an das 
erste m entstanden sein, wie ebenfalls A. ßezzenberger meint. Oder ist es 
durch Doppelung entstanden? Ma{r)spüer ist so zu erklären wie Iüpiter.] 

J ) Quercus autiqua Marti sacra, Sueton Vespas. 5, Mars Ficanus b. Henzen 
n. 7194, vgl. oben S. 110 ff. Auch der angeblich aus einer Lanze des Kumulus 
entsprungene Coroelkirschbaum auf dem Palalin, Plut. Rom. 20, Serv. V. A. 
III, 46, Araob. IV, 3, war veruiuthlich ein altes Heiligthum des Mars. [Doch 
s. Schwegler ß. G. 1, 395.] 

») Liv. X, 27, XXII, 1, vgl. Cic. d. Divio. I, 12, 20, Horat. Od. I, 17, 9, 
Virg. Aen. IX, 563, Prop. V, 1, 55, Justin XL1II, 2, 7, Serv. V. A. f, 273, 
n, 355 u. A. Allerlei Aberglaube bei Plin. H. IM. XXVIII, 157. 263, und 
Serv. V. A. IV, 458. Auch glaubte man so gut in Italien wie in Arkadien 
und Deutschland au Wehrwölfe, s. Varro b. Augustin. C. D. XVIII, 17, Virg. 
Ecl. VHI, 97, Plio. VIII, 80, Petron. Sat. 62. [Vgl. W. Hertz Der Werwolf. 
Stuttgart 1862.] 

8 ) [Er ist der Archeget der Hirpüii — denn hirpus ist sein sabiuischer 
d. h. samnitiseber Name (Strabo V, 4, 12, Festus 106 u. Irpini vgl. Jordan 
Krit ßeitr. 163) — wie picus der Archeget der Picentes (s. unten).] 



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* 



MARS 



337 



Feindliche des Wolfes hervorgehoben. Doch scheint dieses Thier 
wie in den Religionen und Mythologieen anderer Völker, so auch in 
Italien neben dieser nächsten Bedeutung des blutigen Mörders die 
allgemeinere des Wösten und Unheimlichen überhaupt gehabt zu 
haben, namentlich die des Winters und seiner allegorischen Neben- 
gedanken: wie andrerseits die Götter, deren Symbol der Wolf ist, 
nicht blos als seine gleichartigen Herrn und Meister, sondern auch 
als seine Feinde und Ueberwinder, also als Repräsentanten einer Se- 
lchenden Naturmacht gedacht werden, namentlich als Frühlingsgötter, 
wie der griechische Apollo Xvxoxtovos und der römische, zum Kreise 
des Mars gehörige Faunus Lupercus [unten 4]. Einfacher ist das 
Bild des Spechtes, des picus Martius, wie er gewöhnlich in Italien 
hiers, und des in den Sagen und Bildern Italiens wie andrer Völker 
oft mit ihm verwechselten Wiedehopfes. Immer erscheint er als 
Waldvogel und Waldgräber schlechthin, der einsam wohnt und gräbt 
und hackt und um allerlei verborgene Kunde und Schätze weifs, dabei 
aber auch mit seinem mächtigen Schnabel und dem Büschel auf 
seinem Haupte den Eindruck eines martialischen Thieres machte 1 ). 
Sein italischer Name picus (umbrisch peiqu) sollte wahrscheinlich 
den Schall seiner einsamen Schnabelarbeit im Walde ausdrücken, 
wenn er als Baumhacker (ÖQVoxokdnTijg) im W T alde pickt. In dem 
latinischen Marsdienste und in den entsprechenden Sagen erscheint 
er zugleich als Seher und als Krieger, in andern italischen Tradi- 
tionen vorherrschend als der Prophet des Mars. Die am adriatischen 
Meere ansässigen Picenter mit der Hauptstadt Asculum, ein Zweig 
der Sabiner, leiteten bekanntlich ihren Namen davon ab dafs ihren 299 
Vätern beim Auszuge aus der Heimath der heilige Vogel des Mars 
als Führer vorangezogen sei*). 

Aufser diesen Thieren des Waldes waren aber auch die der 



! ) Plut. Qu. Ro. 21 xal yag tv9«Qaiis xal yttvQot iari xal ?6 §vyx°s 
ovtwq l/€i xQajaiov, mme Joüs avta^ntiv orav xomtarv ngog tt> Iweqtto- 
vrp l$(xrpai. Bei den Griechen heilst der Specht wegen seines Schnabels 
neltxäs, 71 aim to Tjf.Xfxüy tu Ijula, wie der Schnabel des Wiedehopfs n€ltxv( 
hieb, a. Plin. X, 38, Aelian H. A. I, 45, III, 26. Als Schatzgräber erseheint 
er bei Plaut. Aulul. IV, 8, 1 Pici divitiis, qui aureot montei colunt, vgl. Won. 
* Marc. p. 152. Keltisch bedeutete beeco den Schnabel des Hahns, s. Suetou 

Vitell. 18, vgl. in den romanischen Sprachen becco, bec, bicco. (Diez Rom. 
W. B. ] », 60. Doch ist picus mit dem keltisch-romaniachen Wort vermuthlich 
nicht verwandt Corssen Aasspr. 1 *, 379.] 

>) Paul. p. 212 Picena regio, Strabo V p. 240. 

Preller, Röm. Mytbol. L 3. Aufl. 22 



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338 



VIERTER ABSCHNITT. 



Cultur vorzugsweise dem Mars geheiligt, der Ackerstier und das 
Streitrofs, auch die Heerden der Lämmer und der Schweine; wenig- 
stens wurden ihm von allen diesen Thieren Opfer dargebracht und 
als eine Auswahl des Heerdenreichthums überhaupt vorzüglich ihm 
die Suovetaurilien, so dafs er also jedenfalls eben so sehr Culturgott 
gewesen ist, namentlich in den Kreisen der Viehzucht, als blutdür- 
stiger Kriegsgott. Der Ackerstier (bos arator), ein Bild alles 
Ackerbaus und aller darauf beruhenden Cultur, die Mars als arvalis 
behütet, schritt den Samnitern als ein von Mars gesendeter Führer 
voran, als sie gen Süden zogen und die Stadt Bovianum gründeten 1 ); 
das kriegerische Streitrofs (equus bellator) wurde dem Mars zu Rom 
nach altem Brauche bei den Feierlichkeiten des 15. Octb. im Mars- 
telde geopfert. Auch scheint die Pferdezucht, welche im innem 
Italien bei den vielen Berg weiden .sehr gut gedieh, gleichfalls unter 
dem Schutze des Mars gestanden zu haben, da ihm die sehr beliebten 
Wettrennen (Equiria) gefeiert wurden. Immer ist dabei vorzugsweise 
an das edle, das ritterliche Streitrofs zu denken, welches in der 
Schlacht, wenn die Trompete ruft, so begeistert und wie zusammen- 
gewachsen mit seinem Reiter dahinstürmt 8 ), eine Zierde des Mannes 
und das Abzeichen des ritterlichen Standes, wie er durch ganz 
Italien blühte und sowohl den höheren Wohlstand als die feinere 
Bildung in sich vereinigte. Nur dafs als Schutzpatrone dieses ritter- 
lichen Standes auch in Rom sehr früh nach griechischer Sitte die 
Dioskuren verehrt wurden, dahingegen Mars als kriegerisches Ideal- 
bild entweder Gradivus ist d. h. schwerbewaffneter Kämpfer zu Fufs 
oder nach Art der griechischen Heroendichtung auf dem Kriegswagen 
kämpft. 

Den Kriegsgott Mars bezeichnete weiter das alte Symbol der 
Lanze (hasta, curis), sowohl bei den Latinern als bei den Sabinern, 
in frühester Zeit vermutlich die einzige bildliche Vergegenwärtigung 



») [Vgl. Nissen Templum S. 57. 132 f., wo zugleich über den SÜer mit 
Menschenantlitz auf den Münzen süditalischer Städte gehandelt wird.] 

*) Virg. Ge. III, 83, vgl. Lueret. II, 662, Umigerae pecudes et equorum 
duellica prole* und den Ausdruck equus bellator b. Virg. Aen. X, 891, XI, 39, 
Prop. IV, 4, 14, Ovid F. I, 698, II, 12, Met. XV, 368 u. A. Wenn die Dichter 
von den Rossen des Mars sprechen, so ist immer an seinen Kriegswagen zu 
denken, s. Virg. Aen. XII, 332, Georg. III, 91, Horat. Od. III, 3, 16, Ovid F. 
II, 358 u. A. (Rofskopf und Marskopf auf den alten campanischen Münzen 
Cohen Cons. T. XLIV: vgl. Heibig Annali 1865, 271.] 



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MARS. 339 

lies streitbaren Gottes 1 ). Daher die heilige Lanze des Mars in der 300 
Regia zu Rom, welche man schlechthin Mars nannte (Plutarch Rom. 29) 
und der sabinische Quirinus, dessen Cultus in dem Institute der 
Salier zu Rom mit dem des Palatinischen Mars früh verschmolzen 
wurde; weshalb auch die hastae Martiae der Regia, und dieser Plural 
ist häufiger als der Singular, höchst wahrscheinlich von zwei Lanzeu, 
einer des Mars und einer des Quirinus, wie diese Götter in dem 
alten Göttersystem des Numa neben einander erscheinen (S. 64), zu 
verstehen sind. Es gehörte zu den schwersten und bedeutungsvollsten 
Prodigien, wenn diese Lanzen sich von selbst bewegten. Der Ponti- 
fex Maximus, welcher in der Regia wohnte, mufste darüber alsbald 
an den Senat berichten, welcher denn die Consuln mit der feier- 
lichen Sühnung zu beauftragen pflegte 2 ). Und zwar war dieses nicht 
allein in Rom der Fall, sondern auch in andern latinischen Städten, 
wie die gleichartige Meldung eines solchen Prodigiums aus Präneste 
bei Liv. XXIV, 10 beweist. In Rom wurden neben jenen heiligen 
Lanzen der Regia auch die Ancilia der Salier bewahrt und in gleichem 
Sinne beobachtet, daher auch von ihnen bei solchen Prodigien wieder- 
holt die Rede ist 3 ). 

Als Gott der fiefruchtung war Mars zunächst Fr ühlingsgott' 
wie dieses sowohl aus der römischen Märzfeier als daraus erhellt, 
dafs ihm das ver sacrum d. h. der ganze Ertrag des jungen Jahres, 
namentlich der Monate März und April geweiht zu werden pflegte. 
Zwar haben die Römer nach ihrer Weise auch den Reginn des neuen 
Jahres mit dem Märzmouate durch die kriegerischen Eigenschaften 
des Gottes erklären wollen, s. Fest. p. 150 Martius mensis, Ovid 
F. I, 39, III, 79 lf., doch ist der heilige Monat des Mars so deutlich 
Frülilingsmonat, dafs auch dieses nicht verkannt werden konnte 4 ), 
und sowohl die Art der Feier als die allgemeine Verbreitung dieses 
Monats bei den Latinern 5 ), entflieh die allgemeine Analogie der 

*) [Achnliche Anuahnien bei Bötticber Baumkultus 226. 232, Overbeck 
Ber. d. säebs. Ges. d. Wiss. 1864, 154.] 

») Gell. N. A. IV, 6, vgl. lul. Obseq. 60. 96. 1U4. 107. 110, Liv. XL, 19. 

3) Liv. E,iit. LXVIII, vgl. IuL Obseq. 104, Dio XLIV, 17, lo. Lvd. IV, 42. 

*) Vgl. Ovid F. III, 235 ff. uud Isidor Orig. V, 33, 5 Martius — propter 
Martern Ro. gentis auetorem vel quod eodem tempore cuneta animantia agantur 
ad mores et ad coneumbendi voluptatem. 

6 ) Verrius Fl. Fast. Praeo..: Martius ab Latinorum [Marte. Appet\landi 
ilaqutt apud Albanos et plerosque [po]pulos Lat[ii m\os idetn J'uit ante conditam 
Homam. Vgl. Ovid F. III, 87 lf. 

22* 



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340 VIERTER ABSCHNITT. 

Monatsbenennung beweist, dafs die Beziehung auf die Natur und die 
Erneuerung des Jahres die ursprunglichere war. Auch wurde Mars 
soi bei vielen andern Gelegenheiten als Gott der natürlichen Production 
gefeiert, selbst im October, da ihm das Pferd ob frugum eventuro 
dargebracht wurde. So baten auch die Arvalischen Brüder bei der 
Feier der Dea Dia im Mai den Mars und die Laren der Stadtflur 
um Schutz und Segen der Aecker und Cato in seiner Schrift über 
den Landbau nennt den Vater Mars wiederholt unter den mächtig- 
sten Göttern der Viehzucht und des Ackerbaus 1 ). Der Viehzüchter 
soll zum Mars Silvanus im Waide beten und für jedes Stück 
Rindvieh eine eigne Spende darbringen (83), zum Mars Sflvanus 
aus demselben Grunde, aus welchem in Italien alle Waldgötter zu- 
gleich Götter der Viehzucht sind, Faunus, Silvanus und Pales, weil 
nehmlich die Viehweiden meist im Walde oder zwischen den Wäldern 
lagen d, h. sogenannte saltus waren 8 ). Der Ackersmann aber soll 
bei der ländlichen Ceremonie der Ambarvalien d. h. der Flurweihe 
also beten (141): „Vater Mars, ich flehe zu Dir und bitte Dich, 
dafs Du mir, meinem Hause, meinem ganzen Hausstande günstig 
und gnädig sein wollest: zu welchem Behufe ich die Suovetaurilien 
um meinen Acker, mein Land, mein Grundstück habe herumfuhren 
lassen. Dafs Du alle Krankheiten, sichtbare Und tinsichtbare, alle 
Seuche und Verheerung, Schaden und böse Witterung abhalten, ab- 
wehren und abwenden mögest. Dafs Du allen Feldfrüchten, allem 
Korn und dem Weinberge und Baumgarten gutes Gewächs und gutes 
Gedeihen gewähren, Hirten und Vieh behüten, und mir, meinem 
Hause und Hausstande gute Gesundheit und alles Heil verleihen 
mögest". Allerdings erscheint Mars bei solchen Gebräuchen zugleich 
als Verleiher des natürlichen Segens und als averruncus 8 ) d. h. 



») [Mars ist der Hauptgott im Hain der Dea Dia. Jordan Rrit Beitr. 

202. 206.] 

■) Vgl. Varro 1. 1. V, 36 quos agros non colebant propter Silvas 
aut id genus, übt pecus possit pasci, et possidebant ab usu salvo saltus 
nominarunt; haec etiam Graeci vturj, ttostri nemora. Vgl. L. Speogel üb. d. 
Kritik d. Varron. B. d. ling. lat. Münch. 1854 S. 42, Fest. p. 320 Saltnm 
Gallus Aelius l. II significationum quae ad ius pertinent ita definä: Saltus 
est ubi silvae et pasiiones sunt , quar um causa casae quoque. Si qua 
particula in eo saltu pastorum aut custodum causa aralur, ea res non peremit 
nomen saltuis. Auch die Hirtengöttin Pales ist silvicola, Ovid Fast. IV, 746. 

>) Auch der Dens Averruncus bei Varro 1. 1. VII, 102, Gellius N. A. V, 
12, 14 ist höchst wahrscheinlich Mars. 



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MARS. 



341 



als Abwender alles Schadens den Krankheit, böse Witterung oder 
auch der Krieg und andre Calamität den Feldern zufügt. Doch 
würde ihm und andern Göttern diese Macht der Abwendung nach- 
theiliger Einflüsse nicht zugeschrieben sein, wenn sie nicht ihrem 
Wesen nach als gute und segnende Götter gedacht worden wären, S02 
wie er denn auch am 25. April bei der Feier der Robigalien neben 
der Robigo als Schutz gegen den Kornbrand angerufen wurde 1 ). 
Selbst der Umstand, dafs der dem Mars geweihte Monat in den 
verschiedenen Kalendern in verschiedene Jahreszeiten fiel (S. 159), 
beweist dals bei den verschiedensten Gelegenheiten zu ihm um den 
Segen des Jahres gebetet wurde. 

Noch deutlicher wird diese Beziehung des Mars zur Natur der 
Dinge und zur Erneuerung des Jahrs hervortreten, wenn wir die 
verschiednen Göttinnen ins Auge fassen, mit welchen ihn der Cultus 
und die in seinem Kreise gleichfalls besonders lebendige Mythologie 
der Römer in eine nähere Verbindung setzte. Zunächst gehört dahin 
die Juno, sowohl als Geburtsgöttin (Lucina) als als Göttin der Ehe, 
daher Mars sowohl an den Kaienden des März als an denen des 
Juni von den Matronen neben der Juno gefeiert wurde. Die mytho- 
logische Begründung ist unklar 8 ), doch scheint es wohl dafs man 
sich später die Juno nach griechischer Weise als Mutter des Mars 
und den ersten März als seinen Geburtstag dachte; wozu das Mähr- 
chen erzählt wurde, dafs Juno durch die Berührung einer wunder- 
baren Frühlingsblume, also ohne Mitwirkung des Jupiter die Mutter 
des Mars geworden sei 3 ). Der wirkliche Grund mag darin gelegen 
haben, dafs Mars in älterer Zeit und namentlich bei den Sabinern 
auch als Schutzgott der Ehe und des ehelichen Lebens verehrt 
wurde, in welcher Hinsicht sein Verhältnifs zu Nerio besonders 
merkwürdig ist. Dieses war eine sabinische Göttin (Nerio Nerienis, 
wie Anio Anienis), welche bald für die Minerva bald für die Venus 

*) Tertull. d. Spectac. 5 Post hunc (Romulum) Numa Pompilius Marti et 
Robipim fecit. Vgl. Ovid F. IV, 907 IT., Plin. H. N. XVIII, 285. 

*) Ovid F. III, 169 Cum sis officiis Gradive virüibus aptus, Die mihi rna- 
tronae cur tua festa colant. Vgl. VI, 191 und Verr. Fl. Fast. Praen. 2. Marz. 
Ovid giebt F. III, 231 ff. verschiedene Erklärungen. 

») Ovid F. V, 253. Die Einkleidung der Fabel ist ganz griechisch. 
Doch wurde Iuno Lucina mit einer Blume in der Hand abgebildet (S. 273) 
und die Frauen trugen in jenen Tagen Frühlingsblumen in ihren Tempel. 
Einige erklärten sogar den Namen Gradivus, quia gramine sit ortus. 
Paul. p. 97. 



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342 VIERTER ABSCHNITT. 

» 

erklärt wird, also sowohl die Eigenschaften einer kriegerischen als 
einer befruchtenden Liebesgöttin gehabt haben mufs. Dem Namen 
nach entsprach sie meist der römischen Virtus, denn Nero bedeutete 
in der sabinischen Sprache i. q. fortis und strenuus, beide Wörter 
aber, Nero und Nerio, auch das umbrische nerf der iguvinischen 
Tafeln, sind zurückzuführen auf den Sanskritstamm nar (nr), mit 
dem auch das griechische apyg zusammenhängt 1 ). Als die Gattin 
des Mars und als sabinische Schutzgöttin der Ehe erscheint sie in 
einem merkwürdigen Bruchstücke älterer römischen Annalen, wo 
Hersilia bei der bekannten Intercession der Sabinerinnen während 
des Kampfes der Römer und Sabiner also betet: Neria Martis te 
obsecro, pacem da, te uti liceat nuptiis propriis et prosperis uti T 
quod de tui coniugis consilio contigit uti nos itidem integras rnpe- 
rent, unde liberos tibi et suis, posteros patriae pararent 8 ): wobei 
wieder zu bedenken ist dafs der Raub nur eine alte Form der Braut- 
werbung war, daher Mars als Anstifter dieses Raubes und Gemahl 
der Nerio gleichfalls ein Schutzgott und Anstifter der Ehe gewesen 
sein mufs; wie denn auch die matronale Feier des Mars und der 
Juno am 1. März nach Ovid desselben Raubes der Sabinerinnen 
dachte (S. 275). Ja es scheint wohl dafs die Ehe des Mars und der 
Nerio selbst in dieser Hinsicht vorbildlich d. h. eine durch Raub 
geschlossene war; wenigstens wissen verschiedene Schriftsteller von 
einer heftigen, aber abgewiesenen Liebe des Mars zur Nerio oder 
Minerva 8 ), während eine Familienmünze der Gellier nach der wahr- 

») Gell. N. A. XIII, 23 (22), Soeton Tib. 1, Io. Lyd. d. Mens. IV, 42, 
vgl. Pott etymol. Forsch. 1, 106, Aufrecht und Kirchhof! Umbr. Sprachdenkm. 
2, 157, Ebel in der Zeitschr. f. vgl. Spracht 1, 307 u. A. Auch die Namen 
Nerius, Neria, Neratius gehören dahin. {Auf der oskischen Seite der Bant. 
Tafel Z. 29 steht nerum (Gen. PI.), auf der J. von Capua Zwetaj. 34 hinter 
Eigennamen ner., beides pflegt ohne ausreichende Gründe patricius , nobilis 
übersetzt zu werden. Vielleicht ist es der Name einer Magistratur oder von 
Senatsmitgliedern : Jordan in ßezzenberger's Beitr. z. Kunde d. indog. Spr. 
4, 204 ff.) 

*) Gellius a. a. 0. Vgl. Roepcr im Philologus 1852 S. 591 [Jordan Krit. 
Beitr. 181.] 

•) Porphyrion z. Horat. Ep. II, 2, 209 Maio mense religio est nubere et 
Hern Martio, in quo de nuptiis habito certamine [deputetis habito, ohne cert., 
die Münch. Hs.] a Minerva Mars victus est et obtenta virginitate Minerva 
Xeriene est appeüata. Vgl. Martiao. Cap. I, 3, 1 certumque esse Gradivum 
Xerienis coniugis amore tarreri. [S. Rhein. Mus. N. F. 17, 638.] Io. Lyd. 
d. Mens. IV, 42, am 23. werde das Tubilustrium gefeiert, xal Ttfinl"AQ(og 



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« 



MARS. 343 

scheinlichsten Erklärung sogar den Raub der Nerio durch Mars dar- 
stellt, dessen Gattin sie auch bei Plautus und andern älteren Dichtern 
genannt wird 1 ). Noch mehr, auch die gelegentlich erwähnte Here 
Martea, welche neben dem Mars verehrt wurde*), kann von der 
Nerio nicht wesentlich verschieden gewesen sein, nur dafs sie mehr 304 
jener andern Seite dieser Göttin entsprach, weswegen dieselbe mit 
der Venus verglichen wurde. Denn der Name Here wird auf den- 
selben Stamm zurückzuführen sein, zu welchem auch die Herie 
Iunonis und Hersilia, ferner Herentas d. i. Venus, wahrscheinlich 
auch die lateinische Quellengöttin Ferentina gehört, denselben der 
in dem oscischen Worte herest d. i. volet hervortritt, so dafs also 
jene Here Martea eine dem Mars gesellte Göttin der Liebe und des 
Verlangens gewesen sein mufs, wie Hersilia in ähnlicher Bedeutung 
neben dem Quirinus verehrt wurde [s. V, 3]. 

Endlich ist hier des anmuthigen Mährchens vom Mars und der 
Anna Perenna zu gedenken, zumal da es gleichfalls die Festlich- 
keiten des Märzmonats betrifft und indirect auf das Bündnifs des 

xal N€g£yrjs } öeas ovrto ry Zaßtvaiv yltoaan ItffOfUyogtVO/iiPtfi , rj&ovv 
(tvat rrjv^i&nväv q xal '4(f go^trrjv. Vgl. die M. de Gellia b. Riccio t. 21, 
1. 2. [Cohea Cons. T. XIX Gell. 1 vgl. Mommsen Münzw. 543, 144. — Da- 
her die oben S. 258 berührte Deutung der Minerva als Nerio. Auf der von 
Michaelis Moo. dell' ist. 9 T. LVIII . LIX Annali 1873, 221 ff. publ. prä- 
nestinischen Ciste scheint Menerva dem kleinen auf einem Gefäfs knieenden 
Mars durch Handauflegen 'den Mund zu üffoen', d. h. bei seiner Geburt thätig 
zu sein. Indessen bleibt es zweifelhaft, ob nicht auch hier ein griechischer 
Mythus zu Grunde liegt, tjeber die Zwölfzahl der hier dargestellten Götter 
oben S. 67, 1. Ebenso, unsicher Corssen's Combinationen Spr. d. Etr. 1,246. 
— Spätere Widmungen Marti Minervae, z. ß. C. I. L. 5, 5114, haben schwer- 
lich hiermit etwas zu thun.J 

l ) Plaut. Trucul. II, 6, 34 Mars peregre adveniens salutat Nerienem uxorem 
suam. Vgl. das Fragm. eines älteren Komödiendichters Gellius Imbrex b. 
Gell. a. a. 0. Nolo ego Neaeram te vocent, set Nerienem, cum quidem Mavorti 
es in conubium data. Aus Ennius im ersten Buche der Annalen wird von 
dems. angerührt: Nerieniem Mavortis et Herem, aus Varros Satiren der Vocativ 
Nerienes. [Nerienis schreibt Bücheler V. 507; aus dem Gebet der Voc. Neria. 
Bei Mart Cap. hat Eyss. Nerines hinter Nerienis mit Recht gestrichen, lieber 
den Kampf des Mars und der Nerio vgl. Reifferscheid Annali dell' ist. 
1867, 359.] 

*) Paul. p. 100 Herem Marteam antiqui accepta heredUate colebant, qvae 
a nomine appellabatur keredum et esse una ex Mortis comitibus putabatur. 
[Ennius in d. A. 1 a. Verse.] Zu vergleichen ist f erfus Martins und ähnliche 
Namen in den iguvinischen Urkunden, s. Aufrecht und Kirchhof! Umbr. Sprach- 
«lenkm. 2, 265. [S. auch Moinmsen C. I. L. 1 p. 34 zu 182.] 



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344 



VIERTER ABSCHNITT. 



Mars mit der Nerio zurückweist. Ovid F. III, 523 ff. hat uns eine 
lebendige Schilderung von der Feier der Anna Perenna hinterlassen, 
welche an den Iden des März, also um die Zeit des ersten Voll- 
monds im neuen Frühlinge, in dem Haine der Göttin am Tiber 
begangen wurde; derselbe befand sich von der p. Carmentalis an 
gerechnet beim ersten Meilensteine der via Flaminia, also wahr- 
scheinlich nicht weit von der p. del Popolo 1 ). Das Volk zog an 
jenem Tage hinaus in diesen Hain, warf sich gruppenweise ins grüne 
Gras, zechte und war guter Dinge, Einige unter freiem Himmel, 
Andre in Zelten und Lauben. So oft sie tranken, so viele Jahre 
wünschten sie einander, wobei 'natürlich Viele über den Durst tranken. 
Dazu sangen sie die neuesten Weisen, gesüculirten mit beiden Armen, 
führten taumelnd allerlei Tänze auf, derbe Bursche und geputzte 
Mädchen, wie man sie bei ähnlichen Volksfesten noch jetzt in Rom 
beobachten kann. Wenn sie endlich heimzogen, lachten die Begeg- 
nenden und freueten sich der lärmenden Neujahrsfeier, welche 
Laberius in seinen Mimen durch ein eignes nach der Anna Perenna 
benanntes Stück verherrlicht hatte. Die Erklärung, was dieser Name 
zu bedeuten habe, fiel in der gelehrten Zeit des Ovid natürlich sehr 
verschieden aus. Die Gebildeten dachten gewöhnlich an Anna, die 
sofi Schwester der Dido, von welcher man erzählte dafs sie nach dem 
Tode ihrer Schwester aus Karthago vertrieben und übers Meer an 
die latinische Küste verschlagen sei. Hier habe Aeneas sie freundlich 
aufgenommen, Lavinia aber durch ihre Eifersucht so erschreckt, dafs 
sie in der Nacht aus dem Fenster springt, hinab ins Thal rennt und 
sich in den Numicius stürzt, neben welchem sie sofort als Nymphe 
verehrt wurde*). Andere erklärten sie für den Mond (v. 657 sunt 
quibus haec luna est, quia mensibus impleat annum), Andre für die 



') Kai. Vatic. z. 15. März: Feriae Annae Perennae Via Flam. ad la- 
pidein prim. [Mommsen C. I. L. 1 p. 322. 388]. Von demselben Haine spricht 
Martial. IV, 64, 16 ff-, wo das illic nicht auf den Hain der Anna Perenna 
zu beziehn ist, sondern auf den Punkt der Aussicht aus dem beschriebenen 
Garten auf dem Janiculus. [Da sie auch in Bovillae eine Kultusstätte gehabt 
zu haben scheint (unten), so ist nicht abzusehen weshalb sie nicht auch in 
Rom selbst eine solche gehabt haben sollte. Daher bei Plinius XXXV, 94 
das überlieferte in Annae templo wohl nicht nothwendig mit P. (oben S. 284) 
in Dianae zu ändern ist. Auch ein templum Mamuri scheint ja existirt zu 
haben.] 

*) Aus dem Flusse ertönt t als sie gesucht wird, eine Stimme: placidi 
mm nympha Numici, Amne perenne latens Anna Perenna vocor. 



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MAUS. 



345 



Themis als Mutter der Hören, noch Andre für die Io, wieder Andre 
für eine Atlantide und für die Nährerin des Jupiter, bei welcher 
Erklärung die griechische Vorstellung von den fruchtbaren Plejaden 
und Hyaden im Spiele ist. Andre wollten wissen, die Feier gelle 
dem Andenken eines guten Mütterchens aus Bovillae, welche beim 
Auszüge der Plebs auf den heiligen Berg für die darbende Menge 
mit geschickter Hand Brod gebacken und das frische und noch 
dampfende früh Morgens unter den Lagernden ausgetheilt habe: ver- 
mutlich eine Erzählung aus Bovillae, wo man die gute Mutter Anna 
als eine fruchtspendende Göttin verehren mochte 1 ). Ganz seltsam 
aber sei der Inhalt der Lieder, welche die Mädchen bei jenem Feste 
unter derben Scherzen zu singen pflegten. Mars habe der Anna 
seine Liebe zur Minerva d. h. zur Nerio gestanden, Anna ihre Hülfe 
versprochen. Da habe sich das Mütterchen anstatt ihm zu helfen 
in der Gestalt jener Göttin und in bräutlicher Verkleidung in seine 
Kammer geschlichen und den brünstigen Gott hintergangen, der 
darüber sehr böse geworden sei; aber Anna habe ihn weidlich aus- 
gelacht und Venus sei über das seltsame Paar ganz entzückt gewesen. 
Also jedenfalls eine nährende und befruchtende Göttin des Frühlings 
und des jungen Jahrs, bald als alterndes Mütterchen gedacht bald 
als ein schönes und reizendes Mädchen; auch erscheint ihr Kopf 
auf den Münzen der Annia et Tarquilia als ein jugendlicher, mit 
einem Diadem und reichem Haar- und Ohrenschmuck 8 ). Die Er- 
klärung kann schwanken zwischen der von amnis perennis d. h. der 
aus bestandiger Quelle fliefsenden Strömung, da sie in Rom am 
Tiber und bei Lavinium am Numicius verehrt wurde und zwar um 
die Mitte des März, wenn die Quellen von neuem fliefsen und alle 
Flüsse sich von neuem füllen 8 ). Oder aber, und dieses scheint mir 
das Richtigere, Anna ist die wechselnde Mondgöttin des laufenden 
Jahres, die in jedem Monate alt ist und wieder jung, vollends in so« 
dem Frühlingsmonate März, wo sie nicht ohne Grund grade zur Zeit 
der Iden d. h. des Vollmonds als Freudenspenderin und als Buhle 
des Mars mit ausgelassener Lustbarkeit gefeiert wurde. Der Name 
entspricht genau dem griechischen evi} xal via d. i. Alt- und Neu- 
Mond, daher evog d. i. annus und ivictviög, ditvoq tqlsvoq d. i. 

x ) [Ovid a. 0. 667 ff., wo pace domi facta Signum postiere perenne (oder 
PerennaeJ) wohl auf ein Kultusbild m Bovillä geht.] 

») [Cohen Cons. T. II. XXXVIII. Mommsen Münzw. 600, 228.] 
») So erklärt Mouimsen unterit. Dial. S. 249. [S. unten ttg. A.] 



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346 



j 

VIERTER ABSCHNITT. 



biennis triennis, vgl. svat ägxccl die Obrigkeiten vom vorigen Jahre 
im Gegensatze zu den neugewählten 1 ). So ist auch Anna Perenna 
oder Peranna die Alte und die Junge, immer mit specieller Beziehung 
auf Jahres- und Mondeswechsel, daher man ihr öffentlich und pri- 
vatim mit dem Gebete ut annare perennareque commode liceret 
opferte') und bei jener lustigen Feier in ihrem Haine in so vielen 
Zügen einander zutrank als man sich Jahre zu leben wünschte. 
Auch wird sich weiterhin in dem Mamurius Veturius der Mamuralien- 
feier an dem Vortage der Iden des März eine Gestalt von entspre- 
chender Bedeutung nachweisen lassen. Selbst die Verehrung dieser 
Göttin an Flüssen und Bächen und ihr Verschwinden im Numicius 
tritt erst so in das rechte Licht, da die Mondgöttinnen immer das 
Wasser lieben und das Ahnehmen und Verschwinden des Mondes 
wiederholt auf dieselbe Weise motivirt wird, z. B. wenn die kretische 
Diktynna vor der Liebe des Minos ins Meer springt. 

Der kriegerische Charakter des Mars braucht neben diesen Be- 
ziehungen zum Naturleben kaum besonders hervorgehoben zu werden, 
so sehr ist derselbe mit der Zeit im Bewufstsein der Alten zur 
Hauptsache geworden. Doch mögen auch hier die wichtigsten That- 
sachen des älteren und des nationalen Gottesdienstes zusammen- 
gestellt werden. 

Von den Symbolen und Attributen dieses Mars ist schon die 
Hede gewesen, dem grimmigen Wolf, dem zugleich kriegerischen und 
weissagerischen Specht, dem Streilrofs und dem Speere. Aufserdem 
gehört dahin das Institut der Salier mit der hüpfenden Bewe- 
gung (a saliendo) des kriegerischen Waffentanzes, der über die ganze 

!) [Keiiie der bisherigen übrigens sehr zweifelhaften Deutungen von annus 
's. die üebersirht in Corssen's Beitr. znr ital. Sprachk. S. 36 ff.) gestattet es 
aus der Wurzel von %vos, h'n, lat. sen-is o. s. w. (Curtius Et. 8 31 1) N abzu- 
leiten. Dafs Anna- Per anna mit annus zusammenhängt und das 'laufende Jahr 
mit seinem Segen' (daher auch nach ihm Annona) 'und das abgelaufene' bedeute 
fuhrt auch üsener aus Rh. M. 30, 206 ff. Ist dies richtig so hat jedenfalls 
omni» peremnis nichts damit zu thun. Ausführlich aber verworren handelt 
über die Quellgöttin Anna Perenna Klausen Aen. 717 ff.] 

*) Macrob. S. I, 12, 6 vom März: eodem quoque mense et publice et pri- 
vatim ad Annam Perennam sacrificatum üur, ut annare perennareque commodr 
liceat. Vgl. Varro in einer seiner Satiren bei Gell. N. A. XIII, 22 Te Anna 
ac Peranna, Panda telato [so der cod. Petav., te die Vossiani] Pakt, Nerienes 
[et] Minerva, Fortuna te ac Ceres. [Aus telato hat Mommsen, U. Dialekte 
S. 136, mit Wahrscheinlichkeit Cela, te gemacht; s. unten S. 592. Vgl. dens 
im C. I. L. 1 p. 388.) 



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MARS. 



347 



alte Welt verbreiteten Pyrrhiche *), wie dieselbe aucb sonst bei den 
Latinern und überbaupt in Italien seit alter Zeit einheimisch war 
und im Dienste des Mars, des Hercules und andrer kriegerischer 
Götter geübt wurde. Denn auch in Tibur und in Tusculum gab es 
seit sehr alter Zeit Salier, zu Tibur im Dienste des Hercules; so7 
namentlich wufste man von einem grofsen Siege der Tiburtiner über 
die Volsker, bei dessen Feier die Salier mit ihren altherkömmlichen 
Waflentänzen hervorgetreten waren. Ferner wurde ein König der 
Vejenter Morrrius als Stifter einer Feier des Salier zu Ehren seines 
Ahnherrn Alesus, des Eponymen der Falisker genannt, dessen Lob in 
den Liedern dieser Salier gesungen wurde*). Solche Lieder pflegen 
immer einen mythischen oder historischen Inhalt zu haben, und so 
mögen denn auch, wie die Salier von Tibur jenes Sieges über die 
Volsker gedachten, die von Rom des Romulus und T. Tatius, so 
die von Veji das Andenken jenes alten Königs iMorrius erhalten 
haben, dessen Name dem des Mars (Mamor, Mamurius) verwandt zu 
sein scheint und dessen Abstammung von Falerii vermuthen läfot, 
dafs von diesem Orte aus einmal eine ähnliche Eroberung und Er- 
neuerung von Veji erfolgt war, wie sie in Rom von dem sabinischen 
Cures aus erfolgte. Genug in allen diesen Städten und wohl noch 
in vielen andern gab es seil unvordenklicher Zeit Sodalitäten der 
Salier, welche bei hesondern Veranlassungen mit Opfern und Gebeten 
für das Wohl ihrer Stadt hervortraten und dazu den alten nationalen 
Waflentanz [unten S. 315] aufrührten und Lieder sangen, in denen 
sich die Erinnerung an die Sagen und Thaten der Vorzeit fort- 
pflanzten, vornehmlich immer im Culte des Mars, welcher Gott ohne 

>) [Vgl. auch Möllenhoff, Ueber den Schwerttanz, in Festgaben für G. Ho- 
meyer Berlin 1871, Hilf.] 

') Serv. V. A. VIII, 285. Dals Mars einer der wichtigsten Götter von 
Falerii war, folgt ans Ovid F. III, 89. Salier in Alba s. Or. n. 2247. 2248, 
in Lavininm, Momtnsen I. N. 2211. [Vielleicht aach in Anagnia (anten zu S. 316) 
nnd in den Municipalstädten der späteren Zeit: Marquardt Staatsverw. 3, 410]. 
Dionys. II, 71 vergleicht mit dem Tanze der Salier ganz richtig den xovgt)- 
napos der lodiones bei der Prozession der Römischen Spiele nnd im Theater: 
ImxtoQiov tW 'Pojuaioig xnl navv rfutov 6 xovQTjtitSfios, tos tx nolltuv pjiv 
xnl ttkXtov fyat ovußalXopittt, ur.i.tnru <T ix ?£? 7Mq\ t«c nofittas t«c re iv 
% InnodQoptp xnl t«c (v roif StaTQOie yivofjtvnf iv ännoais yoQ avrais 

7TQoar]ßot xoqoi x* tto * taxov S ivöttvxores ixnQtnus, xgavri re xal xal 
nnpftas txwits aroixytäv noQevovrtti , xal etaiv ovroi rije nopnrjc rjyt- 
fiovts, xalovptvoi rrpoc ttirtüv — ItWatvfe, tlxovfs «c iftol dWf röjv 
Znlitov. 

I 

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348 VIERTER ABSCHNITT. 

Zweifel selbst als Salier gedacht wurde. Ja er wird in dem alten 
Liede der Arvalischen Brüder als solcher geschildert: Satur furere 
lim«' n sali, sta herber d. h. Satt vom Rasen spring über die 
Schwelle und stelle die Geißel: eine Aufforderung das kriegerische 
Toben der Schlacht vom Kriegswagen herab zu lassen und im Waffen- 
tanze triumphirend heimzukehren in die friedliche Stadt und in 
seinen Tempel, wo er die Geiisel einstweilen aus der Hand legen 
sog möge 1 ). Auch entspricht diesem Mars der Salier der oft genannte 
MarsGradivus, ein altes von dem Sturmschritt der Schlacht her- 
genommenes Epithel des Kriegsgottes 8 ). So erschien der Gott den 
Römern in einer heifsen Schlacht gegen die vereinigten Bruttier und 
Lucaner im J. 472 d. St. (282 v. Chr.), als der Consul nicht anzu- 
greifen wagte. Da schritt ein Jüngling mit der Sturmleiter voran 
mitten durch die Feinde bis zu ihrem Lager, dessen Wall er rasch 
erstieg, um von der Höhe herab seine Römer zum muthigen Sturme 
herbeizurufen, bei welchem er selbst dann so fürchterlich wüthete. 
dafs die Zahl der getödteten und gefangenen Feinde alles Maafs über- 
stieg. Als man am andern Tage nach dem Krieger mit doppeltem 
Helmbusch, den Alle gesehen hatten, fragte, war er verschwunden 
und es blieb nichts übrig als den Gott mit Dankgebeten zu feiern »). 
Auch der Mars vor der p. Capena in Rom war der Gradivus, 
s. Liv. XXH, t, Serv. V. A. I, 292. Die Dichter beschreiben ihn nicht 
selten, wie er bald zu Fufs bald zu Wagen in der Schlacht erscheint, 
umgeben von der Bellona und seinen Gesellen, dem Pavor und Pallor, 
welche seit Tullus Hostilius in Rom verehrt wurden, obwohl bei 

») Vgl. Ovid F. HI z. A. Bellice depositis cUpeo paulisper et hasta Mars 
ades et nitida* casside solve comas. [Leber die sehr zweifelhafte Deutung der 
Worte des Arvalenliedes vgl. Jordan Krit. ßeitr. S. 208 f.] 

*) Paul. p. 97 Gradivus Mars appellatus est a gradiendo in belb ultro 
citroque. Serv. V. A. III, 35 Gradivum, dovqtov "Aq^cc i. e. exsilientetn in 
proelia. [Andere bei dems. von XQttdalvto. — Gradivus Virgil u. A., auch Ovid 
Faat. II, 859, Gradivus dera. Met. VI, 426, daher die Ableitung von gräd- 
bedenklich (auch kaum durch die Analogien von son-ivus, vac-ivus, noc-ivus 
zu schützen; die übrigen alten Bildungen auf -ivus scheinen vom Part. Perf. 
Pass. auszugehen: s. Jordan Hermes 15, 15 f. wo condit-ivus hinzuzufügen ist). 
Ganz unzulässig ist die Zerlegung in grä-divus (was mit grä-men zusammen- 
hängen soll: Schwegler t, 229). Auch die Zusammenstellung von gräd-ivus 
mit umbr. krap-uvi-o (jünger grab-ovi-o), in den iguv. Tafeln Beiwort des 
Juppiter, Mars und Vofionus (Aufrecht u. Kirchhoff 2, 13ü) hat bis jetzt zu 
keinem sicheren Ergebnifs geführt (vgl. Breal Tab. Eug. 64 ff.)] 

») Val. Max. 1, 8, 6, Ammian. Marc. XXIV, 4, 24, Liv. Epit. XI. 



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MARS. 



349 



solchen Beschreibungen sonst die Vorbilder des griechischen Epos 
einzuwirken pflegen 1 ). Auf den römischen Familienmünzen, bei 
denen wenigstens einheimische Vorbilder vorauszusetzen sind, obwohl 
auch diese meist von griechischen Kunstlern gearbeitet gewesen sein 
mögen, erscheint Mars immer jugendlich und behelmt, der Helm 
oft sehr schön verziert und mit einem stolzen Federbusch versehen, 
welcher auch in Italien der gewöhnliche Schmuck des Helmes war*). 
Oder sie zeigen ihn auf sturmschnell dahin eilenden Zwei- oder Vier- 
gespann, die Lanze schwingend oder mit dem Siegeszeichen der 
Spolien. 

Dieser kriegerische Mars war es auch, der in der gewöhnlichen, 
beinahe von Jahr zu Jahr wiederholten und durch so viele rühm- 309 
volle Erinnerungen geheiligten Kriegspraxis der Römer vor jedem 
Auszuge der Bürger und vor und nach jeder Schlacht durch Gebet 
und Opfer, Gelübde und Gaben des Dankes und in seinem Namen 
ertheilte Auszeichnungen verdienter Krieger gefeiert wurde, daher er 
zuletzt sowohl in dem öffentlichen als in dem Familienleben der 
Römer neben dem Gapitolinischen Jupiter der eigentliche Staats- und 
Nationalgott geworden und mit allen Momenten der römischen Ge- 
schichte von ihrem Ursprünge an aufs innigste verwachsen war. 
Beim Ausbruch jedes Krieges wurde er feierlich zur Theilnahme 



') Virg. Aen. VIII, 700 ff., XII, 331 ff., vgl. Sil. lul. IV, 430 ff. u. A. Ob 
die Molae oder Moles Martis, deren Gellins XIII, 23 (22) nach alten 
römischen Gebetsnrknnden gedenkt, sich auf den Krieg bezogen, mufs dahin- 
gestellt bleiben. Vgl. den Iupiter Pistor oben S. 194. [Steine selten und wie 
es scheint jung: Henz. 5670 (Monte Porzio), C. 1. L. 5, 6236 (Aquileja), 3, 
6279, Renier Alg. 36.) 

') Vgl. Liv. IX, 40 in der Schilderung der auserlesenen Samniter: galeae 
cristatae, quae speciem magnüudini corporum adderent und den Helm des 
Romnlus bei Virg. Aen. VI, 779 viden' ut geminae statd vertice cristae? [Genau 
entsprechen die Helme der Krieger auf den Wandbildern von Pästum Mon. 
deir inst. 8 T. XXI, vgl. Heibig Ann. 1865, 285. — Kopf des Mars auf den 
alten campanischen Münzen Cohen Cons. T. XLIV, 11 — 14, auf dem Denar das. 
XXI. Jul. 27. Ganze Figur z. B. T. XII, Clodia 9, 12. — Eine zusammen- 
fassende Untersuchung über die Darstellungen des Mars fehlt: über den spätem 
Typus, den man auf den polykletischen Doryphoros zurückzuführen pflegt (ein 
ostieosisches Exemplar durch die Unterschrift Marti gesichert), vgl. die Notizen 
bei Benndorf und Schöne, A. Bildw. d. Lateran N. 127. — Ob der sogenannte 
Mars von Todi, die bekannte Bronzestatue des Mus. Gregor, mit umbriscber 
Inschrift (zuletzt wieder publicirt von Rayet, De l'art antique, 2. Lief.) über- 
haupt ein Mars ist, bleibt unsicher, vgl. S. 314.] 



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350 



VIERTER ABSCHNITT. 



aufgefordert, indem der Feldherr der Legionen in das alte Heilig- 
thum der Regia ging und dort zuerst an die Ancilia, dann an den 
Speer des Mars schlug und dazu den feierlichen Ruf 1 ) ertönen liefs: 
Mars vigila! Auch während des Feldzuges und vor der Schlacht 
wurde ihm viel geopfert (Sueton Ocfav. 1), und in seinem Namen 
vorzüglich wurden auch die kriegerischen Ehren nach erfochtenem 
Siege ertheilt, namentlich die höchste aller militärischen Auszeich- 
nungen, die corona graminea oder obsidionalis, welche immer nur 
von dem ganzen Heere und zwar nach der Errettung aus einer ver- 
zweifelten Gefahr dem Retter in der Noth ertheilt wurde. Das Gras 
zu diesem Kranze wurde von dem Boden des Platzes genommen, 
wo das errettete Heer sich in so verzweifelter Lage befunden hatte: 
eigentlich ein sinnbildlicher Ausdruck der völligen Uebergebung dieses 
Platzes an den Erretter 8 ), denn das Gras oder sonst ein Theil des 
Bodens pflegt bei derartigen symbolischen Handlungen den Boden 
selbst zu bedeuten; daher die Angabe, dafs das Gras dem Mars heilig 
gewesen sei 8 ), ihren Grund nur entweder in dieser herkömmlichen 
Symbolik der feierlichen Uebergabe eroberter Gebiete oder in jenem 
Ehrenzeichen der Corona graminea haben kann. Auch scheint es bei 
dieser seit dem Vorgange des gröfsten Helden der römischen Kriegs- 
geschichte, des L. Siccius Dentatus, herkömmlich geworden zu sein 
dafs der mit dieser höchsten Ehre Ausgezeichnete dem Mars ein 
310 feierliches Dankopfer darbrachte*). Auch von der Beute pflegten 



») Serv. V. A. VIII, 3, vgl. VII, 6U3 und Virg. Aen. X, 228 Vigilasne 
deum gens Aeneal Vigila et veU* immitte rudentes. 

*) Plia. H. N. XXII, 8 Namqm suminum apud antiquos signum vidoriae 
erat herbain porrigere vicios A. e. terra et altrice ipsa humo et humatione 
etiam cedere, quem moretn eliam nunc durare apud Germanos scio. Vgl. die 
Formel herbam do iu der Oedeutaog victum me fateor, cedo vidoriam, Serv. 
V. A. VIII, 128, Paul. p. 99, Placid. p. 470 [p. 52D.J und Michelseu über die 
festuca ootata S. 12. 20. 23. Auch bei deu Verbenea der Fetialen scheint ein 
ähnlicher Zusammenhang zu Grunde zu liegen, s. oben S. 245. 

») Serv. V. A. XII, 119, Paul. p. 97. 

<) [So allein der auch hier von P. benutzte Fälscher Fulgentius (p. 56U 
angeblich nach Varro) am Schlufs des Katalogs der Thaten und Ehren des 
Deutatus: et istum primum sacrum fecisse Marti. Dafs P. Decius Mus 
bovem eximium Marti immolavü erzählt Livius VII, 37 und (mit der Variaute 
bovem album) Plinius XXII, 9. Dafs bei Plinius die Geschichte des Dentatus 
voraufgeht und darauf wahrscheinlich die Fälschung des F. fufst, hat schon 
Lersch (Fulg. S. 36) bemerkt.] 



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MARS. 



351 



immer gewisse Stücke dem Mars dargebracht zu werden, daher der 
Ausdruck aere Martio von der Beute in einer alterthümlichen In- 
schrift aus Cora 1 ). So pflegte man ihm auch Spolien und die in 
der Schlacht getragenen Waffen zu weihen 8 ). Ueberhaupt wurde 
dieser Mars je länger desto mehr zum Schutzpatron des gesammten 
Waffenhandwerks und von allem was damit zusammenhing, also der 
Soldaten, der Gladiatoren und was sich sonst dazu bekannte; 
daher die von den Inschriften hin und wieder erwähnte Verehrung 
eines Mars Campester und Militaris der römischen Lager und Le- 
gionen, denn campus ist nach römischem Sprachgebrauche speciell 
campus Martius, das militärische Uebungsfeld 8 ). Andre Inschriften, 
auch die Münzen, nennen Mars mit Hinsicht auf die verschiedenen 



>) Zeitschr. f. A. W. 1845 S. 787. [C. I. L. 1, 1148: Q. Pomponius Q. f. 
L, Tulius Ser. f. praitores aire martio emeru{nt).] 

») Propert V, 3, 71 armaque qiiae tulero portae votiva Capenae. Sehr 
oft wird Mars auf deo römischen Münzen als tropaeophorus abgebildet [Doch 
bedarf seit Momuisen's Behandlung der Begriffe pratsda und manubiae (s. Forsch. 
2, 443, C. I. L. 1 p. 149 f., vgl. Staatsr. 1», 232) die Frage, welchen Antheil 
die Götter an diesen wie an den spolia (vgl. Marquardt Verwaltung 2, 560) 
hatten erneuter Erwägung. Die Beute (praedä) und deren Erlös (manubiae), 
von der die vom Feinde getragenen Waffen (spolia) ein Theil sind, hat der 
imperator das Recht ganz oder theilweis (daher deeimam, vieesimam, von der 
praeda C. I. L. p. 149) den Göttern oder den Officieren und Maunschaften des 
römischen Heeres oder den Bundesgenossen (daher wohl der Kauf der Prätoren 
von Cora) zu schenken (daher weiht eiu Kriegstribun de praidad Maurie und 
'Fortune zwei Geschenke C. I. L. 1, 63. 64, vgl. Marti et Fortunae 6, 481, 
Widmung eines Legionars) oder als den Göttern consecrirt zu vernichten (so 
die spolia Liv. XLV, 33). Die Auswahl der Götter ist Sache des Feld- 
herrn (daher er auch seine Waffen Vukano sive cui alio divo vovere volet 
weiht, Liv. VIII, 9, 13), der sich aber mit den Pontifices und dem Seuat darüber 
benimmt , wenn es sich um den Bau von Tempeln de manibiis handelt. Doch 
giebt es Götter qvibus spolia hostium dicare ius fasque, Mars, Minerva, Lua 
,und die übrigen' (Liv. a. 0.) und solche denen alle spolia opima zu- 
kommen, Juppiter, Mars, Janus Quirinus (oben im Text). Auch für die Wei- 
hung der vicesima und deeima mögen Vorschriften bestanden haben : wir kennen 
als Empfänger derselben Apoll und Hercules Victor (s. Mommsen imC. I. L. 
p. 149). — Da Ts der Triumph dem Mars »geführt wird', steht iu einer inter- 
polirten Stelle des Censorin (unten zu 316). Der Gott um den es sich dabei 
bandelt ist Juppiter.] 

•) Or. n. 1355. 1356. 3496, Henzen n. 5672. [Jahrb. des Vereins der A. F 
in den Rheinl. 29, 95 ff.] Das Amphitheater war dem Mars und der Diana ge- 
weiht, weil dort aofser den Kämpfen der Gladiatoren auch die Hetzjagden der 
wilden Thiere gegeben wurden, s. Tertull. de Spectac. 12. 



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:S52 



VIERTER ABSCHNITT. 



Wechselfalle der Schlacht und des Krieges Custos, Conservator, In- 
victus, Victor, Pacifer d. h. den durch Krieg zum Frieden führenden, 
als welcher sein Bild zugleich bewehrt und mit dem Oelzweige geziert 
war 1 ), Amicus et Consentiens u. s. w. s ). Nur Jupiter war auch in 
solchen Fällen über ihm, theils als höchster Entscheider der Schlacht 
und des Sieges (S. 198) theils als höchster Schwurgott sowohl bei 
allen kriegerischen als bei allen friedlichen Veranlassungen. So wurden 
nach einem Gesetze Numas die höchsten Spolia opima dem Jupiter 
Feretrius, die zweiten dem Mars, die dritten dem Janus Quirinus mit 
gewissen vorgeschriebenen Opfern geweiht (Fest. p. 189) und selbst in 
solchen Fällen, wo die heiligen Speere in der Regia sich bewegt hatten 
(Gell. N. A. IV, 6) und sonst bei kriegerischen Veranlassungen wurde 
zuerst dem Jupiter, dann dem Mars geopfert, ganz in der seit Numa 
herkömmlich gewordenen Folge der Götter. Und so mag in ähn- 
lichen Fällen auch bei beiden geschworen sein, nur dafs auch dann 
3u immer Jupiter der höchste Gott blieb. Selbst bei dem merkwürdigen 
und alten, durch ganz Italien verbreiteten Kriegsgebrauche, in beson- 
dern Fällen heilige Schaaren zu bilden, deren Mitglieder sich unter 
den furchtbarsten Eiden zum absoluten Gehorsam gegen den Feld- 
herrn und zum Kampfe auf Leben und Tod verpflichteten, wurde 



») Vgl. Archäol. Z. 1857, Sp. 30. 

') [Die meist spaten Belege für diese meist aus dem Soldateolebeo und 
innerhalb dieses Kreises oft aas individuellen Auffassungen und augenblick- 
lichen Veranlassungen hervorgegangenen Epitheta bedürfen noch besonderer' 
Bearbeitung. Deutlich knüpfen an Hercules Victor und invictus die Warnen 
Mars victor (z. B. C. 1. L. 7, 706) und invictus (dieser schon im venus. Kalender 
14. Mai, C. I. L. 2, 2990. 3, 2803) an, ja in Rom begegnet noch im 3. Jahrh. 
ein soldatisches c[oI)l. Mortis et Herculis (6, 2819), zum deutlichen Beweis, 
dafs das Bewußtsein für die altitalische Verwandtschaft beider (in Tibur dienen 
die Salier beiden: Serv. Georg. VIII, 285, vgl. Macr. S. III, 12, 7) nicht er- 
loschen war. An das Lagerlebeu erinnert der M. campester (2, 4083) neben 
besondern (dei) campestres (7, 1080. 1114), vereinzelt bleiben der müüaris 
(7, 390 f.) oder militiae potens (Wilmanns Ex. 1471) oder pacifer (7, 219); 
conservator (3, 1099. 1600. 5, 66, 53. 6, 485. Or. 1344) und custos (3, 3232, 
Hcnz. 5490) heifst er wie andere Götter als persönlicher Schutzpatron. — 
Dazu kommt dann die Verschmelzung mit epichorischen Gottheiten besonders 
in den Garnisonen der keltisch -germanischen Provinzen (dahin gehören der 
Mars Loucetius und viele andere, einstweilen s. C. I. L. 7) und der vermuth- 
lich jenem Mars-Hercules untergeordnete Kult epichorischer Gottheiten bei 
den fremden Truppen der kaiserlichen Garnison, z. B. der thrakischen (Mommsen 
C. I. L. 6 p. 720.] 



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MARS. 



Jupiter vor allen übrigen Göttern der alten Schwur- und Verwün- 
sch ungsformel genannt 1 ). 

Was endlich die einzelnen Acte, Veranlassungen und Heilig- 
thümer des römischen Mars betrifft, so waren von den letzteren 
die beiden ältesten das in der Regia und das im Marsfelde; wenig- 
stens scheinen beide aus der Zeit des Numa herzurühren. Das in 
der Regia, wo sich die heiligen Speere und die Ancilien befanden, 
wird wiederholt sacrarium, einmal sacrarium Regiae genannt, so dafs 
es als innerstes Heiligthum dieses alten priesterlichen Königssitzes 
zu denken sein wird, in welchem unter der Oberaufsicht des Pontifex 
Maximus jene alten Symbole der Vorzeit aufbewahrt wurden, später 
aber auch ein Pulvinar des Mars und sogar ein vollständiges Bild 
des Gottes mit einer Lanze in der Hand aufgestellt zu sein scheint 2 ). 
Im Marsfelde bildete ein alter, schon in einem Gesetze des Numa 
erwähnter und ziemlich in der Mitte des Feldes gelegner Altar 8 ) den 
religiösen Mittelpunkt der dortigen Octoberfeier und der bei jedem 
Lustrum vorgenommenen Reinigung der bewaffneten Bürgerschaft, 
welche mit einem Opfer des Mars beschlossen wurde. Das Marsfeld 
selbst war bekanntlich die alte, dem Mars geweihte Uebungsstätte 
für die körperlichen, kriegerischen und ritterlichen Uebungen der 
römischen Jugend. Ein schönes, seit der Vertreibung der Tarquinier 
vom Quirinal bis zum Flusse sich hinstreckendes Feld, welches mit 
der Zeit, namentlich seit August und unter den Kaisern bei fort- 
gesetztem Anbau freilich sehr beengt und eingeschränkt wurde; doch 
haben jene Heiligthümer der Mitte, der alte Altar, neben welchem 
später auch verschiedene Tempel des Mars erwähnt werden 4 ), eine 
Rennbahn für die Rennen, ein gröfserer Platz, welcher zu gym- 312 
nastischen und militärischen Hebungen diente und nicht bebaut 



») Liv. IV, 26, IX, 39, X, 38. (Die Strafandrohung der lex sacrata er- 
wähnt Livius nnr an der zuletzt a. Stelle und zwar ut qui ütniorum non con- 
vemsset — captä lovi sacratum esset.) Vgl. den gleichartigen Fall bei Liv. 

H, 45 Centurio erat M. Flavoleius, inter primores pugnae flagitator. Victor, 
inquit, Jf. Fabi revertar ex acte. Si fallat, Iovem Patrein Gradivttmque Martern 
aliosque iratos invocat deos. 

») Gell. N. A. IV, 6, lul. Obseq. 78, Serv. V. A. VIII, 3, vgl. Becker Handb. 

I, 228 ff. [Vgl. Jordan Top. 2, 272 ff ] Auch bei lul. Capitolin. Antonin. Pb, 4 
ist vermuthlich von diesem sacrarium Kegiae die Rede. 

s ) Vgl. Fest. p. 189a 16 uud meine Regionen der St. Rom S. 171 ff. 
*) Dio LVI, 24, Ovid F. II, 858, vgl. Becker a. a. 0. S. 630. 

Preller, Rom. Mythol. 3. Aufl. L 23 



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354 



VIERT KU ABSCHNITT. 



werden durfte, sich bis in die letzten Zeiten des alten Roms erhalten. 
Endlich ein drittes, wahrscheinlich auch sehr altes Heiligthum des 
Mars befand sich beim ersten Meilensteine vor der p. Capena an der 
südlichen Hauptstrafse, der via Appia, in einer Gegend wo sich bald 
eine lebhafte Vorstadt bildete 1 ). Es ist dasselbe Heiligthum des 
Gradivus, dessen ich bereits erwähnt habe; der Tempel, worin das 
Bild des Gottes zwischen zwei Wölfen stand, scheint gleich nach 
dem Abzüge der Gallier geweiht worden zu sein (Liv. VI, 5), was 
die ältere Existenz eines Haines oder eines Altares nicht ausschliefst. 
Seine überwiegend kriegerische Bestimmung zeigt sich auch darin 
dafs WafTen und Stücke der Beute vorzüglich darin geweiht wurden, 
so wie bei andern Gelegenheiten a ). Der Umstand dafs diese beiden 
dem Publicum am besten bekannten Heilig thüiner, das im Marsfelde 
und das der Via Appia, sich aufserhalb der Stadt befanden, das eine 
in der südlichen das andre in der nördlichen Vorstadt, hatte sogar 
mit der Zeit die unbegründete Meinung zur Folge, dafs Mars als 
Kriegsgott vor August in der Stadt gar nicht verehrt worden sei 3 ). 
Und doch scheint selbst jener Mars vor der p. Capena kein blofser 
Kriegsgolt gewesen zu sein, sondern in älterer Zeit auch für einen 
befruchtenden Gott gegolten zu haben, da bei seinem Tempel der 
sogenannte lapis inanalis aufbewahrt wurde, ein Cylindcr welchen 
die Priester in Zeiten grofser Dürre durch die Stadt schleiften, 
3is worauf wie man glaubte alsbald Regen erfolgte. Also ein aquilicium 
so gut wie jene im Culte des Jupiter erwähnten Beschwörungen 
(S. 194) 4 ). Möglich dafs jenes Schleifen und Walzen der Steine 



l ) Der Tempel lag gleich vor der spätem p. Appia, jetzt p. S. Sebastiane. 
Die ganze Vorstadt hiefs ad Maitis. Vgl. Becker S. 511, meine Regionen 
S. 116, Caoina im Ballet. Arch. Ro. 1850 p. 85. [Jordan Top. 2, 110 ff.] 

*) Vgl. Propert. V, 3, 71 und die altertümliche, in jener Gegend gefundne 
Inschrift b. Grut. p. 5ö, 7, Mommsen I. N. n. 0766 [C. I. L. 1, 531 = 6, 474] 
MARTEI | m. CLAVD1VS M. f. | cOINSOL DEDet. Dort versammelt sich die 
junge Mannschaft bei Liv. VII, 23, dort beginnt der Zug der Ritter b. Dionys. 
VI, 13. Später wurde dort ein arcus Traiani und andre Triumphbogen er- 
richtet. Es war eben der Haupteingang von der Südseite. 

8 ) Serv. V. A. I, 292, vgl. Vitruv. 1, 7, 1 Marti extra urbern, sed ad 
vampum. [Wir kennen innerhalb der servianischen Mauer keine Kultusstätten 
des Mars: denn die curia der salii Palatini und das sacrarium in der Regia 
sind keine solche, Quirinus, dessen aetdes auf dem Quirinal stand, ist nicht 
Mars.] 

4 ) Paul. p. 129 Manalem vocabant lapidem etiam petram quandam quae 



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MARS. 



355 



ursprünglich nur eine sinnbildliche Darstellung des über die Felder 
und Raine dahin strömenden Wassers gewesen war 1 ); wenigstens 
ist es bei solchen Gebräuchen in den meisten Fällen weniger auf 
einen Zauber abgesehn als auf einen bildlichen Ausdruck dessen was 
man durch die begleitenden Gebete und Gelübde zu erlangen hoffte, 
z. B. wenn man Wasser über ein junges, mit Gras, Blumen und 
Kräutern bekleidetes, also die Erde darstellendes Mädchen ausgofs, 
oder über die Brunnensteine u. dgl. m. 

Ehe wir eins der wichtigsten und heiligsten Feste des römischen 
Kalenders, die Feier des Mars in dem ihm heiligen Monate, dem 
ersten des Jahres, näher ins Auge fassen, mufs von dem römischen 
Institute der Salier, wie dasselbe seit Numa bestand, ausführlicher 
die Rede sein 2 ). Als der fromme Numa eines Morgens früh vor der 
Regia stand und seine Hände betend zum Himmel emporhob, fiel 
aus demselben ein Schild in seine Hände, welches er wegen seiner 
zu beiden Seiten ausgeschnittenen Gestalt ancile nannte 8 ). Zugleich 



erat extra p. Capenam iuxla aedem Marlis, quam cum propter nimiam 
siceüatem in Vrbem pertraherent, insequebatur pluvia statim, eumque quod 
aquas manarent manalem lapidem dixerunt. Vgl. ib. p. 2 aquae liciuin, Serv. 
V. A. ITC, 175 lapis manalis, quem trahebant pontifices quoties siccitas erat, 
und Varro bei Non. Marc. p. 547 trulleum, nach welchem man lapis manalis 
uud maoale sacram in derselben Bedeutung sagte wie urccolus aqnae manaiis, 
ein Krug aus dem das Wasser strömt, vgl. Paul. p. 128 manalem fontem dici 
quod aqua ex eo Semper manet. (Die von P. hier angezogene Angabe des 
Fälschers Fulgentius (angeblich nach Labeo) p. 559 manales . . . petras, i. e. 
quas solebant antiqui in cylindrorum modum per limites trahere pro pluviae 
commutanda inopia ist, wie Lersch (Fulg. S. 32) bemerkt, von Paulus ab- 
hängig und beweist nichts dafiir data dies , überhaupt in Italien', wie er im 
Text bemerkte, Sitte gewesen sei, noch weniger freilich fiir die »walzenför- 
mige' Gestalt des Steins, was Marquardt (der die Worte dem Nonius giebt, 
Verwaltung 3, 252) aus der plumpen Paraphrase herausliest. Dafs aus dem 
Aufbewahrungsort des Steins ,beim' Marstempel nichts fiir die regenspendeude 
Gottheit folgt, liegt auf der Hand.] 

*) Vgl. den alterthümlichen Ausdruck „Wie Kugel walzt und Wasser 
rinnt" zur Bezeichnung einer Markscheide nach der Schneeschmelze bei J. 
Grimm Deutsche Grenzalterthümer, Abh. der Berl. Ak. 1S43 S. 124, und die 
verwandten Gebräuche andrer Völker bei J. Grimm D. M. 5ü0ff., Bötticher 
ßaumcultus S. 409. 

a ) Vgl. Plut. Numa 13, Dionys. II, 70, Paul. p. 131 Mamuri Veturi, Ovid 
Fast. III, 357 ff. [Vgl. S. 346 und den Abschnitt bei Marquardt Verwaltung 
3, 410.] 

*) Varro 1. 1. VII, 43 Ancilia dicla ab ambecisu , quod ea arma ab 

23* 



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356 VIERTER ABSCHNITT. 

erscholl eine Stimme, der von ihm neugeschaffene Staat werde so 
lange blühn und alle übrigen an Macht übertreffen, als er diesen 
Schild, ein gewisses Unterpfand des himmlischen Segens 3 ), bewahren 
werde. Daher Numa, um jeder Entwendung zuvorzukommen, zu 
jenem Wunderschilde elf andre hinzu verfertigen läfst: welche Auf- 
gabe einem wunderbar begabten Künstler, dem Mamurius Veturius 
so gut gelingt, dafs Numa selbst das himmlische Schild nicht mehr 
von den irdischen zu unterscheiden vermag. Diese zwölf Ancilien 
wurden seitdem in der Regia neben den heiligen Speeren bewahrt; 
zur Obhut aber über diese Schilde und zu dem feierlichen Umzüge 
mit ihnen durch die Stadt im Laufe des Märzmonates stiftete Numa 
die zwölf Palatinischen Salier, welche ihre Curie auf dem Palatin 
hatten 3 ). Tullus Hostilius fügte dem sabinischen Quirinus auf dem 



utraque parte ut Thracum incisa. Paul. p. 131 ancile i. e. scutum breve, 
quod ideo sie est appeüatum, quia ex utroque lotete erat recisum, ut sum- 
mum infimumque eius latius media pateret. Also von an oder am in der 
Bedeutung von autpis, utrimque, vgl. anfractas und ancaesa i. e. vasa caelata, 
quo-^ circumeaedendo talia fiunt, Paul. p. 20. In dem zweiten Worte cilia ist 
1 wie oft für d eingetreten, vgl. caelare und incilia i. e. fossae, Paul. p. 107 
Man sieht die Ancilien der Salier abgebildet auf Denaren des P. Licinius Stolo 
und auf Erzmüuzen des Antoninus Pius, s. Eckhel D. N. VII p. 13, Riccio 
t. 27, 19, 20, endlich auf einer Gemme des Mus. Florent. II, 23. Auch der 
Schild der Iuno Lanuvina ist im Wesentlichen von derselben Bildung. [Doch 
s. jetzt Marquardt S. 413 f. Die Frage nach dem Kostüm der Salier bedarf 
erneuter Prüfung. Die Erklärung der daselbst herangezogenen Reliefs ist 
nicht zweifellos. Da nicht einmal feststeht dafs die ancilia ,von zwei Seiten 
eingeschnitten' waren, so mufs auch für die Etymologie einstweilen die end- 
giltige Entscheidung ausstehen. Dafs der Uebergang von d in l keineswegs 
eine regelrechte Lautverschiebung ist, ist bekanut. Vgl. Corssen Ausspr. 1», 
322 f., Jordan Krit. Beitr. 45. — Der Helm der angeblichen Salier auf dem 
Relief von Anagni hat mit dem Helm des angeblichen Mars von Todi (oben 
S. 349, 2) Aehnlichkeit.] 

') Paul. L c. unaque edita vox omni um potentissimam fore civitatem 
quamdiu id in ea mansisset. Ovid F. III, 346 itnperii pignora ceria dabo. 
Florus I, 2 ille ancilia atque palladium, secreta quaedam imperii pignora {dedä). 
Vgl. Serv. V. A. VII, 188. Nach den späteren Dichtern, namentlich Lucan 
IX, 475, Stat. Silv. V, 2, 132 fielen alle Ancilia vom Himmel, nicht blos das 
eine Prototyp. 

») Curia Saliorum Palatinorum, s. Cic. de Div. I, 17, Dionys, fr. XIV, 
2, 5, Val. Max. I, 8, 11, welche ihrer sämmtlich auf Veranlassung des Wun- 
ders gedenken, dafs der dort aufbewahrte lituus Romuli nach einer Feuers- 
brunst, die das Gebäude verzehrt hatte, unbeschädigt wiedergefunden wurde. 



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MARS. 



357 



Quirinale zu Ehren ein entsprechendes Gollegium von zwölf Agona- 
lischen oder Collinischen Saliern hinzu, welche auf dem Agonalischen 
oder Collinischen Hügel d. h. dem Quirinal ihren Sitz hatten und 
wie die Palatinischen dem Jupiter und den beiden alten Stamm- 
göttern, Mars und Quirinus, geweiht waren 1 ). Beide Collegien waren 
wie die übrigen priesterlichen Sodalitäten organisirt d. h. sie ergänzten 
sich durch Cooptation aus den besten und edelsten Familien der 
Stadt und zerfielen unter sich in jüngere und ältere Mitglieder, von 
denen jene in ihren religiösen Obliegenheiten, den Gesängen, For- su 
mein u. s. w. von diesen unterrichtet wurden. An der Spitze stand 
wie gewöhnlich ein Magister, neben welchem noch die Würde eines 
Praesul d. h. des Vortänzers und eines Vates d. i. vermuthlich des 
Vorsängers erwähnt wird 2 ). Noch zur Zeit des Polybius gehörten 
sie zu den angesehensten priesterlichen Collegien 8 ); werden die Salier 
später auch nicht mehr unter diesen genannt, so rechneten es sich 
doch immer noch selbst die Kaiser zur Ehre zu ihnen zu gehören. 
Ihre priesterlichen Functionen bestanden zunächst in gewissen Opfern: 
namentlich ist von einem Opfer in der Regia die Rede, welches der 
Pontifex Max. mit Hülfe sogenannter Salischer Jungfrauen, die dazu 
gemiethet und nach Art der Salier costümirt wurden, darbrachte 4 ); 
leider ist nicht gesagt an welchem Tage, doch ist zu vermuthen 



») Serv. V. A. VIII, 663 SaKi sunt in tuteta lovü, Mortis, Quirim, vgl. 
oben S. 64 uud Liv. V, 52 quid (loquor) de ancilibus vestris, Mars Gradice 
tuque Quirine Pater! Ueber die Stiftung des Tullus Hostilius s. Liv. I, 27, 
Dionys. II, 70, III, 30, Serv. V. A. VIII, 285 duo sunt genera Saliorum, sicut 
in Saliaribus carminibus i?ivenitur, Dio Cass. fr. 7, 5. Wie sie ihre eigne 
Carie hatten, nehmlich auf dem Quirinal, so hatten sie auch ihr eignes Archiv, 
Varro 1. 1. VI, 14 in libris Saliorum quorum cognomen Agonensium. 

*) Iol. Capitolin. M. Antonin. Philo«. 4, vgl. Valer. Max. I, 1, 9, Stat. 
Silv. V, 3, 180, Fest. p. 270 redantruare. [Vgl. Marquardt a. 0. 411, 9.] 

») Polyb. XXI, 13, 10 Ttov totüv ¥v avatrjfiu, dY <ov avußaivei las 
tmifavtarttTus &vo(ns iv tjj 'Ptofin OwiiUlo&ai tolg &toTq. Hier sind die 
Pontifices, die Decemviri sacris faciundis und die Salii gemeint. Später 
galten für die IV summa oder amplissima collegia die Pontifices, Augures, XV 
viri s. f. und die VII viri Epulones, wozu als fünftes unter Tiberius die 
Sodales Augustales hinzutraten. 

*) Fest. p. 329 SaUas virgines Cincius ait esse conducticias , quae ad 
Salios adhibeantur cum apicibus paludatas: quas Aelius Stilo scripsit sa- 
crificium facere in Regia cum Pontifice paludatas cum apicibus in modum 
*N all oph i ft ■ 



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358 VIERTER ABSCHNITT. 

dafs es im Zusammenhange mit der Märzfeier stand und dafs auch 
die Salier seihst dabei zugegen waren. Um so häufiger wird ihrer 
Umzüge durch die Stadt gedacht, bei denen sie in einem eigenthüm- 
lichen, halb kriegerischen halb priesterlichen Costüme auftraten und 
gewisse altherkömmliche Tänze und Gesänge aufführten 1 ). Jenes 
Costüm bestand in einer bunten Tunica, über welche ein breiter 
eherner Gurt geschnallt wurde, einer Trabea mit purpurnem Vorstofs 
und dem sogenannten Apex, der gewöhnlichen priesterlichen Kopf- 
bedeckung mit dem auf der Spitze befestigten heiligen Zweige, bei 
sie den Saliern in der Form eines Helms. Ferner trug jeder an seiner 
Seite ein Schwerdt und am linken Arme das heilige Schild , in der 
rechten Hand aber eine kleine Lanze oder einen Stab, um damit 
auf dasselbe zu schlagen 2 ). Der Tanz bestand aus Umgängen um 
die Altäre der Götter und aus allerlei verschlungnen Figuren, bei 
denen bald alle zusammen bald verschiedne Abtheilungen abwechselnd 
auftraten; der Rhythmus war der des herkömmlichen dreimaligen 
Auftretens (tripudium), zu welchem eine Flöte den Takt angab 8 ). 



') Liv. I, 20 Salios item duodecim Marti Gradivo legit tunicaeque pictae 
iusigne dedit et super tu nimm aeneum pectori tegumen caelestiaque arma, 
quae ancilia appellantur , J'erre ac per Vrbem ire canentes carmina cum tri- 
pudiis sotemnique saltatu. Vgl. Dionys. II, 70 und Plut. Numa 13. Die 
bunten Tuniken, /iTtü>«? noixttot erinnern an die tunicae versicolores der 
auserlesenen samnitischen Krieger bei Liv. IX, 40. Ueber die trabea, welche 
aus der Zeit der Könige stammte und später nur von den Priestern im Dienste 
der Götter und den Augurn getragen wurde, s. Se.rv. V. A. VII, 187, Isid. 
Orig. XIX, 24, 8. [Vgl. Mommsen Staatsrecht P, 414.] 

>) Aufser den solennen Acten des Tanzes und Opfers d. h. bei den Um- 
zügen durch die Stadt trugen sie die Ancilien auf dem Rücken, oder sie 
wurden ihnen von Bedienten nachgetragen, s. Dioays. II, 71, Lucan I. 603, 
Stat. Silv. V, 2, 129. 

') Dionys. 1. c. xivovvrai yäo nyog avlov Iv <)v,'Hio> ras {vorcliovg 
xiVTjaetc, tork filv buov roxk ö*k naQaXXa$, xa\ naroiovs uvas vfivovs 
itöovatv ä/*a rote x°9 t(tt ^' plut « L c - xwomiai yäg InireorHos ihypovs 
xal fieittßoXas h $v&fnji id/os f%ovii xal nvxvoznia pera (fcJjUijf xal xov- 
tf OTTjios anoJuiövTts. V. A. VIII, 285 [tum salü ad cantus i ncensa altaria 
circum populeis adsunt evineti tempora ramis, wozu Servius] Salü sunt qui 
tripudiantes arae circumibant — ritu veter i armati. Horat. Od. I, 36, 12 
neu morem in Salium sit requies pedum. [Porph.: — hodieque tripudiare 
in sacrifieiis Mortis dicuntur, der sogen. Acron citirt den Vers ans d. Aen.] 
Od. IV, 1, 28 pede candido in morem Salium ter quatient humum. Seneca 
Ep. 15, 4 saltus — Saliaris aut ut contumeliosius dicam fullonius. Diomed. 
p. 473 [476 K.] Numam Pompüium — hunc pedem pontificium appeüasse me- 



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MARS. 359 

Zu dem Tanze sangen sie die oft erwähnten Lieder, von denen oben 
S. 140 f. die Rede gewesen ist, ein durch den Ursprung von Numa 
und religiöse Weihe geheiligtes Ganze von verschiedenen Strophen 
und Anrufungen zunächst der alten römischen Staatsgötter, des Janus, 
des Jupiter mit der Juno und Minerva, des Mars und Quirinus u. s. w., 
darauf der berühmtesten Namen und Helden der Vorzeit, namentlich 
des Romulus und Remus (S. 98, 1), zu denen seit August auch die 
Namen der Kaiser und einzelner Mitglieder der kaiserlichen Familie, 
endlich die der Divi hinzugefügt wurden 1 ). Den Schlufs des ganzen 
Liedes bildete eine Anrufung jenes Schmiedes der Ancilien, des 
Mamurius Veturius 2 ). Die Zwölfzahl der Schilde entspricht offenbar 
der Zwölfzahl der Salier, welche sich als Normalzahl solcher Sodali- 
taten bei den Arvalischen Brüdern und vermuthlich auch bei den 317 
Luperci, wiederfindet. Doch mögen die Recht haben, welche bei der 
Zwölfzahl der Ancilien zugleich eine sinnbildliche Beziehung auf das 
System der zwölf Monate annahmen, wie dasselbe von Numa geordnet 
wurde 3 ); namentlich scheint die Benennung des Mamurius Vetu- 
rius und eine eigen thümhche Ceremonie, welche am Vortage der 
Idus des März d. h. des Frühlings- Vollmondes vorgenommen wurde, 
darauf hinzuweisen. Es wurde nehmlich an diesem Tage ein mit 
Fellen bekleideter Mensch durch die Stadt geführt und mit langen 
weifsen Stäben aus der Sladt hinausgeprügelt, indem man ihn Ma- 
murius Veturius nannte und für eben jenen Schmied der Ancilien 



morant, cum Salios iuniores aequis gressibus circulantes induceret spondeo 
inelo patrios placare ludiget es. Bei Censorin d. d. n. 12 non cum [cum fehlt 
im Vat.] tibicine aut triumphus ageretur Marti [die Darmst. Hs. hat marti 
übergeschrieben] ist wohl zu lesen avitus triumphus, mit Beziehung auf 
die Salierfeier. [Jahn: non cum tibicine aut [cum tubicine) t. ageretur Marti, 
Hultsch: non cum tibicine Marli t. ageretur; doch ist Marti sicher Glosse, 
die ganze Stelle gehört nicht hierher.] 

*) Mon. Ancyr. II, 21 [nomen meum inclu]sum est in Saliare Carmen. 
Dio LI, 20 tq tovs vpvovc avibv II; laov toic d-eoic iyyodtfta&tti. Vgl. 
Tacit Ann. II, 83, IV, 9 Capitolin. Antonin. Pb. 21. 

») Bei Ovid F. III, 389 bittet sich Mamurius aus: Merces mihi gloria 
detur nominaque extremo carmine nostra sonent, d. h. in dem Anrufe: Ma- 
muri Veturi. 

•) lo. Lyd. de Mens. IV, 2 JuoxaAfexa novravus ngös tov Novfta rovs 
xttlov(x(vovc 2aklovq boio&rjvcti f/aotv, vpxvovvtecc top 'lavov xara tov tcö> 
'JiaXixfüV aot&jiöv. Vgl. Corssen in der oben S. 334, 1 angeführten Ab- 
handlung. 



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360 VIERTER ABSCHNITT. 

erklärte, der darüber sogar zum Sprichworte geworden war 1 ): ein 
Gebrauch welcher so entschieden an das in Deutschland, bei den 
Slaven und sonst gebräuchliche Austreiben des Winters im Monat 
März erinnert 8 ), dafs man eine ähnliche Bedeutung, wenu sie sich 
durch andere Gründe unterstützen läfst, nicht abweisen wird. Nun 
ist Mamurius offenbar eine Adjectivbildung von Mamor d. i. Mars und 
Veturius hängt eben so offenbar mit vetus zusammen, dessen ur- 
sprüngliche Bedeutung die eines abgelaufenen Jahres, einer vergan- 
genen Zeit gewesen sein mufs, denn vetus ist = Fstog d. i. annus 3 ). 
Mamurius Veturius repräsentirt also eigentlich den Mars vom alten 
Jahre, weil Mars im Sinne des älteren römischen Kalenders der 
Monatsgott schlechthin war, der Anführer der zwölf Monate welche 
zusammen das römische Jahr ausmachten, wie später Janus der 
als Jahresgott schlechthin wurde; wobei zu beachten ist dafs die Feier 
der Mamuralien am Vorabende des ersten Vollmonds im neuen Jahre 
stattfand, an welchem Tage von den Mädchen im Volke in der Anna 
Perenna, die mit dem jungen Mars des neuen Jahres buhlt, eine 
entsprechende Gestalt gefeiert wurde. Ward dieser Mamurius Vetu- 
rius zugleich für den Urheber der elf nachgemachten Schilde gehalten, 
während das einzige ächte, das wahre Unterpfand des Heils, für ein 



l ) Io. Lyd. 1. c. III, 29, IV, 36. vgl. das KaL Constantioi prid. Id. Mart., 
Serv. V. A. VII, 188 cui et diem vonsevrarunt , quo pellem virgis caedunt ad 
arti* similitudinem (weil auch der Schmied hämmert, nur freilich nicht mit 
Ruthen), Minne. Fei. Octav. c. 24, 3 Nudi crtida hierne discurrunt (die Luperci), 
alii incedunt pileati, scuta vetera circiimferuiit , pellen caedunt (die Salii). 
Auch das Kai. rust. Farnes, bemerkt im März das sacrum Mamurio. [Ma- 
muralia Philocalus, der alte Kaieoder Equirria, Feriae Marti. C. I. L. 1 
p. 388.] Die Regionen nennen eine statua Mamnri in der sechsten Region, 
zwischen den Thermen des Constantin und dem T. des Quirious. Aach hat 
sich das Andenken eines clivus und eines vicus Mamuri in den Umgebungen 
des Quirinais erhalten. [Vgl. Jordan Top. 2, 125 ff.] 

») J. Grimm D. M, 724 ff. (Usener in der oben a. Abh. S. 209 ff] 
*) Pott etyinol. Forschungen 1, 108. 230. [Corssen Orig. p. Ro. S. 21 
und sonst.] Die Alten erklärten den Kamen durch vetus memoria, Varro 1. 1. 
VI, 45 memoria amanendo — ut manirnoria — itaque Salii quod cantant 
Mamuri Veturi signißcant veterem memoriam. [Die Deutung der Stelle 
des Salierliedes ist für uns unmöglich, die Erklärung des Mamurius, Mämurrius 
(neben Mamurius, vgl. Lachmann zu Laer. I, 360. Jordan Krit. Beitr. 121 f.) 
als Mämers und des vetür-ius als vetus, veter bleibt nach wie vor eine Hypo- 
these, der nun vollends die Eigennamen Mamurra, Morrius, FeUirius nicht zu 
Hilfe kommen.] 



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MARS. 



361 



vom Himmel gefallenes, also für eine Gabe des Jupiter galt, so hatte 
dieses wohl keine andre Bedeutung als dafs die ewige Regel alles 
Wechsels der Monde, die sich an jedem Idustage mit jedem Voll- 
monde von neuem ankündigte, von Jupiter als dem Urheber alles 
Lichtes und dem höchsten Gotte im Himmel abgeleitet werden 
sollte, das Vergängliche aber und Ablaufende in dieser Erscheinung, 
indem aus zwölf Monaten ein Jahr wurde und darauf dem alten 
Jahre ein neues folgte, von dem endlichen und irdischen Künstler. 

Verfolgen wir die ganze Feier des Märzmonats, welche 
während der längsten Dauer der Republik eine der heiligsten und 
populärsten in Rom war, durch ihre einzelnen Acte und nach ihrem 
vollständigen Zusammenhange, so ist damit zurückzugehn bis auf die 
Luperealien des 15. Februar, welche als Reinigungs- und Befruch- 
tungsfest des dem Palatinischen Mars nahe verwandten Faunus 
Lupercus in älterer Zeit gewifs auch in directer Beziehung zur 
Frühlings- und Neujahrsfeier im Monate März standen. Zwei Tage 
darauf wurden die Quirinalien gefeiert und in derselben Zeit bis 
zum 21. Februar die Feralien als Todtenfest des alten Jahres, 
endlich am 23. die Terminalien zum Beschlufs der ganzen ab- 
gemessenen Frist der letzten Vergangenheit (S. 257). Bald darauf, 
am 27. Februar 1 ), begann mit den Equirien im Marsfelde der 
erste Act der Feier des Mars, in älterer Zeit vielleicht ein Wett- 
rennen, wie es noch jetzt beim Carneval zu Rom im Corso gehalteu 
wird, später aber ein Wettfahren, wie die gewöhnlichen circensischen 
Uebungen *). Gewöhnlich wurde es im Marsfelde, in der Nähe jener 
alten ara Martis gehalten, ausnahmsweise, wenn die in dieser Jahres- 
zeit nicht seltenen Ueberschwemmungen des Tiber das Rennen an 
jener Stelle unthunlich machten, in der Gegend des Caelius, ver- 319 
muthlich beim Lateran 8 ). Darauf begann an den Kaienden des 
März die eigentliche Frühlings- und Neujahrsfeier, mit der mehr- 
fach erwähnten Feier der Matronen zu Ehren des Mars und der 

l ) Es ist dieses die Zeit wo die ersten Schwalben nach Koni kamen, ge- 
wöhnlich am 21. Febr. « Fast überall gilt der Marz für den eigentlichen 
Fruhlingsmonat. Auch die alten Slaven begannen ihr Jahr mit ihm, s. Grimm 
D. M. 734. 741. 

*) Ovid F. II, 857 ff. spricht bestimmt von Wagen. Unbestimmter drückt 
sich Varro 1. 1. VI, 13 aut: Equiria ab equorum cursu; eo die enim ludis 
currunt in MarUo campo, vgl. Paul. p. 81 Equiria. 

8 ) Paul. p. 131 Martialis campus. Unter Augustus wurden sie einmal 
auf dem forum Augusti gehalten, Dio LVI, 27. 



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362 



VIERTER ABSCHNITT 



Juno (S. 274) und vielen antlern Neujahrsgebräuchen, welche später 
zum Theil auf die Kaienden des Januar verlegt wurden, grofsentheils 
aber doch immer an denen des März haften blieben. So wurde an 
diesem Tage noch später das Feuer der Vesta neu entzündet, die 
Thüren der Regia und des Vestatempels, auch die der Curien und 
der Häuser der Flamines mit frischem Lorbeer bekränzt, den Lehrern 
das Jahresgeld bezahlt, von Senat und Bürgerschaft eine kurze 
Sitzung zum guten Anfang gehalten und vom Senate an diesem Tage 
auch die Verpachtung der sogenannten Vectigalia d. h. der Nutzungen 
und indirecten Steuern vorgenommen 1 ). Auch die Salier scheinen 
gleich an diesem Tage ihre Opfer und feierlichen Umzüge mit den 
Ancilien begonnen zu haben; wenigstens wissen wir dafs sie während 
der ganzen Dauer des März durch ihre religiösen Verpflichtungen in 
Anspruch genommen wurden 3 ), und einige Kalender nennen den 
ersten März ausdrücklich als den Geburts- d. h. Stiftungstag des 
Mars und den Tag, wo das Ancile vom Himmel gefallen sei 3 ), was 
also auf die Stiftung des sacrarium Marlis in der Regia deutet. Am 
7. März fand wieder eine Feier des Mars statt, diesmal in Verbindung 
mit Jupiter und Vejovis 4 ), doch bleibt der nähere Zusammenhang 
unklar. Einen neuen Aufschwung nahm die Feier mit den Idus, 
>o dem alten Festtage des Jupiter, zu dessen Verherrlichung die Salier 
nicht weniger als zu der des Mars und Quirinus bestimmt waren. 



>) Oviil F. III, ] 35 ff., Macrob. S. 1, 12, 6. 7. [Vgl. besonders Mommseo, 
Die Rechtsfrage zwischen Caesar und dem Senat, S. 13 f.] 

*) Die Salier durften sich im Laufe des Monats März 30 Tage lang, 
»ata tov xtttQOV jrjg &vo(ac, nicht mit profanen Dingen beschäftigen noch 
von dem Orte entfernen, wo sie sieh eben befanden, eigentlich wohl nicht aus 
Rom, s. Polyb. XXI, 13, 12, Liv. XXXVII, 33; daher es sich von selbst ver- 
stand, dal's Consuln und Prätoren, so lange sie diese Aemter bekleideten, von 
den Verpflichtungen des Saliats frei gesprochen wurden. Auch Dionys. II, 70 
nennt die Feier der Salier eine iogTrj — Sr l f.to7(Xr)S tnl noXXag r]fx^Q(tg uyofiivt]. 

*) Das Kai. Constantini nennt den ersten Mär/ den Vitalis Martis, 
vgl. oben S. 155 und die Kalender der Mss. des Qvid bei Merkel Ovid F. 
p. LV, wo einer zu demselben Tage bemerkt Casus ancMs, ein andrer: 
Festum Marlis, ancilia feruntur. [C. L. L 1 p. 387.] 

«) Kai. Praen. iOVIs mARTIS VEDIOV1S UNTER DVOS LVCOS. [Mommsen 
C. !. L. 1 p. 388 ergänzt vediOVI und vermuthet, dafs ARTIS vielleicht aus 
AEDIS verderbt und dedicata ausgefallen sei. Anders Huschke Jahr 248. 
S. oben S. 265, 1.] Das Kai. Coustant. bemerkt zwei Tage darauf, zum 9. März: 
Arma ancilia movent. 



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MARS. 



363 



Schon am Tage vor den Idus gab es nicht blos die Feier der 
Mamuralien, sondern auch ein neues Wettrennen im Marsfelde 1 ). 
An den Idus folgte jene volksthümliche Feier der Anna Perenna 
(S. 343) und ein feierliches Opfer des Jupiter auf dem Capitole 
unter der Oberaufsicht des Pontifex Maximus und der Virgo Maxima, 
bei welchem für das Heil des Staates geopfert und um allen guten 
Segen für das neue Jahr gebetet wurde, jedenfalls unter Betheiligung 
der Salier, da unter den verschiedenen Gegenden der Stadt, die sie 
mit ihren Umzügen berührten und an denen sie ihre heiligen Tanze 
aufrührten, ausdrücklich das Comitium [der Pons sublicius] und das 
Capitol genannt wird 2 ). Auch der Umstand dafs die Consuln in 
den besten Zeiten der Republik, vom Jahre 531 bis 601 d. St., an 
den Iden des März ihr Amt antraten, ist ein Beweis der hohen 
Bedeutung dieses Tags, an welchem also damals auch jene später 
auf die Kaienden des Januar verlegten Opfer und Gebete der zuerst 
amtlich auftretenden Consuln (S. 181) stattgefunden haben werden. 
Am 17. März folgte eine Frühlingsfeier des Liber Pater, bei welcher 
die Salier gleichfalls mitwirkten; wenigstens wurden an diesem Tage 
neben den Liberalia auch Agonia gefeiert, welche speciell den Mars 
und die Salier angingen, namentlich die Agonalischen Salier des 
Quirinais 3 ). Zwei Tage darauf, am Tage der Quinquatrus (S. 293) 



*) Ovid. F. III, 5 1 9 ff . , vgl. Kai. MuH*, and Vatic. [An die Equiria des 
14. Marz erinnerte P. selbst in den Bericht, der I. Ausgabe. S. oben 

S. 360, 1.] 

*) Dionys, a. a. 0. Vgl. Io. Lydus de Mens. IV, 36 ifdofc Magrlaif 
ioQTr] Jibq tfi« ttjv fieoouTjviav xul tvyai öijpioaiai vntg io£ Lytttvbv yevto- 
&ai tov Ivutviov. ItQuxwov äk xccl juvqov i&Trj untQ itöv tv roig bptaiv 
aygiov (d. i. pro saltibus, für die Viehweiden) qyovfitvov iov «p/«p^of *«/ 
twv x«vr)if 6i)(ov rijg fitjTQÖyov, d. i. die Virgo Maxima. [Vgl. Mommsen 
a.a.O. zu Mart. Id.] Nach Augustin C. D. IV, 23 wollten beim Bau des 
Capitols nicht weichen Mars, Terminus und Iuventas, so dafs immerhin auch 
ein altes Heiligthura des Mars der Salier auf dem Capitole angenommen 
werden darf. [Die drei genannten Stätten des Saliertanzes gehören begriff- 
lich zusammen: Capitol und Brücke (über diese vgl. unten zu S. 322) als zwei 
für die militärische und sacrale Existenz der Stadt entscheidende Punkte, das 
Comitium als der Ort der Watfeuweihe.] 

•) Varro 1. I. VI, 14 in libris Saliorum, quorum cognomen Jgonensium, 
forsüan hie dies ideo appelletur put ms sfgonia, vgl. Kai. Vatic. und Macrob. 
S. I, 4, 15 Masurius etiarn secundo Fastorum Liberalium dies, inquit, a puu- 
tifieibus agonium Martiale appellatur. Auch der Name Möns Agonus 
f. Quirinalis, p. Agonalis f. Collina, endlich der Salii Agonales oder 



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364 VIERTER ARSCHMTT. 

finden wir die Salier mit den Pontifices und dem Tribunus Celerum 
auf dem Gomitium beschäftigt, sie tanzend, während die Pontifices 
sai vermuthlich opferten 1 ), vielleicht zur Erinnerung an den Bund des 
Romulus und T. Tatius, welcher der Sage nach auf dem Comitium 
abgeschlossen worden war und sowohl von der Sage als in dem 
Rituale des von Numa begründeten Cultus mit dem Raube der Sabi- 
nerinnen und der Frühlingsfeier des Mars in unmittelbare Verbin- 
dung gebracht wurde 2 ). Weiter folgte am 23. März, dem Tage des 
Tubilustrium, ein neuer Umzug der Salier und eine gemeinschaft- 
liche Feier des Mars und der Nerio (S. 342, 3), während das Tubi- 
lustrium selbst ein Reinigungsfest der beim Gottesdienste gebrauchten 
Tuben und anderes heiliges Geräthes war, welches in dem soge- 
nannten Schusterhofe (Atrium Sutorium) auf dem Palatin Degangen 
wurde 8 ). Endlich waren die Salier auch bei einer zweiten Feier 



Agouensis scheint mit diesem Opfer zusammenzuhängen. Vgl. aber die 
Agonit oben S. 176, 2. 

») Kai. Vat. z. 19. Marz: QVINQ. FERIAE MARTI, Verr. Fl. Fast. 

Praeu fACIVNT IN COMITIO SA LTV cum ponTIFICIBVS ET TRIB 

CELERum. [So Mommsen.] Vgl. Varro 1. 1. V, 85 Salii a salitando, quod 
facere in comitio in sacris quotannis et solent et debent. Auch Dionys. 1. c. 
sagt: ioQTtj cT aitüv iart neQl tu nava^vata, das sind die Quinquatrus, so 
da Ts um diese Zeit wohl die bedeutungsvollsten Acte der Feier stattfanden, 
vermuthlich speciell die Feier des Mars und der Minerva-IN'erio. 

*) Fest. p. 372 Vernas qui in villi* vere nati, quod tempus duce natura 
feturae est et tunc rem divinam instituerit Marti Numa Pompilius pacis Con- 
cor diaeve obtinendae gratia inter Sabinos Romanosque ut vernae viverent 
neu vincereni: d. h. dafs sie wie Söhne eines Frühlings, also wie Brüder 
zusammenleben sollten. Vgl. das Gebet der Tibortiner b. Serv. V. A. I, 7 
Iuno currüis — tuere meos curiae vernulas [oben S. 279, 3], und Martial. X, 76 
de plebe Remi Numaeque verna. Ueber das comitium und die mythische Be- 
deutung des Raubes der Sabineriunen s. Plut. Rom. 19 und oben S. 275. 342. 

8 ) Varro 1. 1. VI, 14 und Verr. Fl. Fast. Praen. zum 23. März. Es waren 
die Tubi, quibus in sacrit utuntur, welche dann lustrirt wurden, und zwar 
geschah es mit dem Opfer eines Lamms, s. Fest. p. 352, Paul. p. 353, und 
durch die s. g. tubicines sacrorum, eine eigne zum priesterlichen Stande ge- 
hörige Zunft, welche bei Fest 1. c. , Gell. N. A. I, 12 und in verschiedenen 
Inschriften erwähnt wird, s. Marquardt Handb. d. R. A. IV, 376 [Verwaltung 
3. 219]. Auch der lituus Romuli und die litui überhaupt wurden wegen ihrer 
Gestalt zur Gattung der tubi gerechnet, ein Wort welches ursprünglich eine 
weitere Bedeutung gehabt haben mufs als tuba, vgl. Gellius V, 8, 8, Cic. de 
Divin. I, 17, 30. Also wurden auch die litui an diesem Tage lustrirt, ver- 
muthlich auch die Ancüia, s. Charis. 1 p. 62 [p. 81 K ] Quinquatrus a quin- 
quando i. e. lustrando, quod eo die (er versteht die Quinquatrus in der späteren 



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MARS. 



365 



auf dem Comilium, einem Sühnopfer welches am 24. März unter 
der Leitung des Rex Sacrorum vollzogen wurde, betheiligt 1 ). Also 
eine ganze Reihe von gottesdiensllichen Acten, wo je nach der Be- ssa 
deutung des Tags neben Mars andre Götter gefeiert wurden, an den 
Kaienden Janus und Juno, an den Nonen Vejovis, an den Iden 
Jupiter, an den Quinquatrus Minerva oder Nerio, und dabei wahr- 
scheinlich immer Umzüge mit den Ancilien und Tänze der Salier 
bald bei diesen bald bei jenen örtlichen Heiligthümern der Stadt 
aufgeführt wurden 2 ). Diese ganze Zeit hindurch war das alte Heilig- 
thum des Mars in der Regia geöffnet und die Ancilia in Bewegung 
(movebautur), bis sie endlich wieder zur Ruhe gebracht (condeban- 
tur) d. h. in jenem Heiligthume wieder aufgehängt und das Heilig- 
thum selbst wieder geschlossen wurde 3 ): eine Zeit der kriegerischen 
Bewegung und Aufregung der ganzen Stadt, in welcher sich die 
ältere Zeit eben deshalb aller wichtigeren Unternehmungen enthielt. 
Auch galten alle in dieser Zeit abgeschlossenen Ehen für bedenklich, 
da sie eine stürmische Zukunft befürchten liefsen, und die Gemahlin 
des Flamen Dialis mufste während der ganzen Dauer dieser Umzüge 
ihr Haar ungekämmt lassen. Während der Umzüge aber wurden 
die Ancilia an verschiedenen Stellen aufbewahrt, wie sie sich z. B. 
am Vorabende der Idus des März, an welchen Cäsar ermordet wurde, 
bei diesem als Pontifex Max. befanden 4 ), zu andern Zeiten in eigens 



Bedeutung als fünftägiges Fest) arma ancilia lustrari sint solita. [Vgl. Mommsen 
C I. L. 1 p. 369.] 

*) Fest. p. 27S Regifngium, vgl. Müller p. 403 und Marquardt a. a. 0. 

S. 265. 

s ) Dionys a. a. 0. iv aig (fi« ifjg nolsug uyovoi tovg j^opor? tlg Tf Tfjv 
(iyoottv xal to KuTMidhov xai nolXovg iciJLovg lälovg r« xul Srntoafovg io- 
riovg. Auch die Lieder der Salier gedachten verschiedener Opfer, von denen 
in dieser Zeit auch eins auf dem pons Sublicius stattgefunden zu haben scheint, 
s. Varro I. 1. V, 110, Fest. p. 141 uiolucrum, Serv. V. A. II, 165, Catull. 17, 5. 
[Vgl. Jordan Top. 1, 1, 398.] 

3 ) Serv. V. A. IV, 301 Moveri sacra dicebantur cum solemnibus diebus 
nperiebantur templa instaurandi sacrificii causa, cuius rei Plautus in Pseudolo 
(I, 1, 107) meminit. — Hoc vulgo apertiones appeUant. Vgl. Sueton Otho 
8, Tacit. Bist. I, 89. 

4 ) Dio Cass. XLIV, 17 tk t€ yito onXa t« ',-tonu nao' avr(o tot« a>g 
xal naoü nqyttQii xaxa u naxoiov xtlutvu xpötfov irjg vvxrog inoiTjOf, wo 
das Wort toti beweist, dafs die Ancilia nicht immer dort waren, sondern 
eben nur in dieser Nacht, da am folgenden Tage der Zug aufs Capitol und 
das dortige Opfer unter der Leitung des Pontif. M. erfolgte. Nun wohnte der 



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366 



VIERTER ABSCHNITT. 



zu diesem Zwecke gestifteten Mansiones Saliorum d. h. Einkehrs- 
häusern der Salier und der Ancilien für die Nacht und die Zeit 
der Mahlzeiten, welche immer so prächtig und üppig ausfielen, dafs 
sie wie die der Pontifices in ihrer Art sprichwörtlich geworden 
waren *). 

323 Im weitern Verlaufe des Jahrs hrachte, soviel wir wissen, der 
römische Kalender nur im Juni und im Octoher neue Feste des 
Mars, an den Kaienden des Juni jene gemeinschaftliche Feier der 
Juno und des Mars, bei welcher diesem namentlich in dem Tempel 
an der Appischen Strafse gehuldigt wurde (Ovid F. VI, 191), an 
den Iden des October neue Rennen im Marsfelde und dabei das 
merkwürdige Opfer des Octoberpferdes 2 ). Der ganze Zusammen- 
hang dieses alten Gebrauchs scheint dieser gewesen zu sein. Zu- 
erst fand wie gewöhnlich das Rennen zu Ehren des kriegerischen 
und ritterlichen Gottes statt, dann wurde das Handpferd des Ge- 
spanns, welches bei diesem Rennen gesiegt hatte, an jenem alten 
Altare des Mars geopfert, und zwar ob frugum eventum d. h. 
zum guten Gedeihn der neuen Aussaat; daher das Haupt des zu 
opfernden Pferdes mit einem Kranze von Broden behangen wurde, 
wie beim Feste der Vesta die Esel als Gehülfen der Müller 3 ). Dem 
Haupte und dem Schwänze des geopferten Pferdes wurde eine be- 
sondere Kraft der Sühnung zugeschrieben, daher sich um das Haupt 
ein hitziger Kampf zwischen zwei der ältesten Stadtquartiere erhob, 
dem der Subura und dem der Sacra Via. Die Bewohner von jenem 
nagelten es, wenn sie es erlangten, an den Mamilischen Thurm, die 

Pontif. M. zwar in der Regia, aber das Sacrarium Martis, wo die heiligen 
Speere und die Ancilia gewöhnlich aufbewahrt wurden, war jedenfalls ein 
andrer Raum als seine Wohnung. Dieses gegen Becker Handb. 1, 230. 

*) Or. n. 2244 [= C. I. L. 6, 2158] Mansiones saliorum Palatinorum a 
veteribus ob armorum magnalium fd. h. mirabilium] custodiam constitutas longa 
nimis aetate negledas pecun. sua reparaverunl pontifices Pestae etc. Fest. p. 329 
Salios, — qtn'bus per omnis dies ubicumque manent quia amplae ponuntur 
cenae, si quae aliae magnae sunt, saliares appellantur. Vgl. Cic. ad Att 
V, 9, Horat. Od. I, 37, 2, Sueton. Claud. 4. 33 u. A. 

3 ) Fest. p. 17S October equus, Paul p. 220 Panibus, Plut. Qu. Ro. 97. Im 
Kai. Constant. Id. Octob. Equus ad INixas fit ist dasselbe Opfer gemeint, 
s. meine Regionen d. St. R. S. 173. 

3 ) Lactant. I, 21, 26. Am 21. Decb. wurde nach Macrob. S. III, 11, 10 
dem Hercules und der Ceres geopfert sue praegnante, panibus, mulso. Vgl. 
die panes laureati der fratres Arvales bei Marini p. 526. [Vgl. Henzen Acta 
S. 14.] 



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MARS. 



367 



der Sacra Via an die Mauer der Regia 1 ), vermuthlich weil man 
glaubte data das dort angenagelte Haupt seinen Segen über das ganze 
Quartier verbreiten werde. Der Schwanz wurde so schnell als mög- 
lich in die Regia getragen, wo man das Rlut auf den Altar der 
Vesta träufeln liefs, worauf die Vestalinnen aus diesem geronnenen 
Blute und andern Ingredienzien das Räucherwerk bereiteten, dessen 
man zu den Sühnungen der Palilien bedurfte 2 ). Es war eine ssi 
schreckliche Parodie dieses alterthümlichen Gebrauchs, als nach den 
Triumphen Casars im J. 46 v. Chr., wie es scheint zur Sühne einer 
Meuterei unter den Soldaten, auf dem Marsfelde zwei Menschen von 
den Pontiüces und dem Damen Martialis geopfert und ihre Köpfe 
gleichfalls an der Regia, wo Cäsar als Pontifex Max. wohnte, ange- 
genagelt wurden (Dio XLI1I, 24). — Endlich scheint auch das am 
19. Oct. gefeierte Armilustrium vorzugsweise dem Mars gegolten zu 
haben, eine im Armilustrium am Aventin begangene Cerimonie, 
welche aus einem Opfer unter dem Schall der heiligen Trompeten 
und einem Umzüge mit den zu lustrirenden Waffen bestand, für 
welche Varro 1. L VI, 22 die Ancilien nennt 3 ). 

Inzwischen fand mit der Zeit auch in diesen Kreisen immer 
mehr die griechische Kunst und die griechische Fabel Eingang, so 
dafs die älteren Culte des Palatin und Quirinal zuletzt vergessen 
und verkannt und dafür mit neuen Ideen und nach neuen Mustern 
auch dem Mars neue Tempel und neue Culte gestiftet wurden. 
Schon der T. des Mars, den D. lunius Brutus Callaicus, der Consul 
des J. 138 v. Chr. auf Veranlassung eines kriegerischen Erfolges 
gelobt und der griechische Architekt Hermodor aus Salamis in der 
Nähe des Circus Flaminius erbaut hatte, scheint speciell zur Auf- 
nahme von griechischen Kunstwerkeu, namentlich eines sitzenden 
Colosses des Mars von der Meisterhand des Scopas gedient zu haben 4 ). 
Ganz im Sinne der neuen Zeit und im Familieninteresse des Ju- 
lischen Geschlechtes, welches zugleich die Venus und den Mars 



*) Fest. 1. c. Vgl. das Abschneiden und Annageln des Pferdchaupts in 
Deutschland, Grimm D, M. 41 und 624 fl. Auch sonst wurden bei den Alten 
Weibgeschenke, Theile von Opferthieren u. dgl. an Heiligthümer angenagelt, 
s. Bötticher Baumcultus S. G9. 

■) Prop. V, 1, 19, Ovid F. IV, 731. 

8 ) Vgl. Paul. p. 19, Kai. Maff. Amitero. 

*) Corn. Nepos b. Priscian VIII, 4 p. 370 [1 p. 3S3 H.J, vgl. Plin. H. N. 
XXXVI, 26. [Becker Top. 619.] 



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368 



VIERTER ABSCHNITT. 



verehrte, erfolgte dann die Stiftung eines neuen Dienstes des Mars 
Ultor durch Augustus. Schon Cäsar hatte, da er die Venus Ge- 
nitrix auf seinem Forum verherrlichte, auch einen T. des Mars von 
solcher Pracht und Gröfse, wie man ihn sonst nirgends fände, er- 
bauen wollen *). August nahm diesen Gedanken seines Adoptiv- 
vaters wieder auf, indem er zugleich dessen persönliches Andenken 
und das an die göttliche Strafe, welche seine Mörder getroffen hatte, 
damit vereinigte. Er gelobte nehmlich in dem Kriege gegen Brutus 
und Cassius 42 v. Chr. dem Mars einen T. pro ullione paterna, 
daher der Name Mars Ultor, dessen glänzender Tempel zugleich mit 
326 dem forum Augusti in Angriff genommen wurde, aber erst im J. 2 
v. Chr. eingeweiht werden konnte. Inzwischen erfolgte im J. 20 
die Rückgabe der von Crassus an die Parther verlornen Feldzeichen, 
zu deren Aufnahme August einen kleineren Tempel des Mars Ultor 
auf dem Capitole erbauen liefs, ein Gegenstück zu dem wiederher- 
gestellten T. des Jupiter Feretrius, in welchem sich, wie man aus 
häufigen Abbildungen auf römischen und asiatischen Münzen der 
Zeit sieht, aufser den wiedergewonnenen Feldzeichen auch ein 
Standbild des Mars befand, der in der R. einen Legionsadler, in der 
L. ein anderes Feldzeichen trug. Die Einweihung dieses Tempels 
erfolgte schon im J. 19 oder 18 v. Chr., also geraume Zeit vor 
der des gröfseren *). Dieser letztere , welcher auf dem gewöhnlich 
forum Augusti, ausnahmsweise auf f. Marlis genannten Platze lag 
und in einigen Trümmern noch vorhanden ist, war einer der 
prächtigsten in der ganzen Stadt, von innen und von aufsen geziert 
mit vielen kriegerischen Ehrenzeichen, kostbaren Kunstwerken und 
mit Erinnerungen an Aeneas und die Ahnen des Julischen Ge- 
schlechts bis hinab zum Divus Julius, während die beiden göttlichen 
Ahnen dieses Geschlechts, Mars und Venus, in seinem Innern durch 
eine entsprechende Gruppe vergegenwärtigt waren 8 ). Das Ein- 
weihungsfest dieses Tempels wurde am 12. Mai unter persönlicher 



») Im Marsfelde, vermuthlich in der Gegend des Pal. Farnese, s. Sueton 
Caes. 39, 44, Dio XLIII, 23, meine Regionen S. 160. 218. 

a ) Dio UV, 8, vgl. Becker Handb. 1, 371 und Pinder in der S. 200, 3 an- 
geführten Abhandlung. 

•) Ovid Trist. II, 296 stat Venus Ultori iuncta, Hr (d. i. Vulcao) ante 
fores, nach der Enieodation von Haupt b. Lachmann z. Lucret. p. 199. Vgl. 
Ovid F. V, 550 ff. Auch das Schwerdt des Divus Iulius wurde in diesem T. 
aufbewahrt, s. Suetou. Viteil. 8. 



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QdRÜNUS. 



369 



Betheiligung des August mit aufserordenüich kostbaren und glän- 
zenden Spielen begangen 1 ); die bei Dio LV, 10 in einem Auszuge 
erhaltene Gonsecrationsurkunde 8 ) bestimmte unter andern Aus- 
zeichnungen, dafs die jungen Cäsaren nach Anlegung der toga virilis 
in diesem Tempel opfern, der Senat in ihm über Krieg und Frieden 
und über zu ertheilende Triumphe berathen, die zur Verwaltung 
der Provinzen bestimmten Magistrate von hier in dieselben abgehen, 
die zurückkehrenden Sieger hier die Attribute ihres Triumphs 
niederlegen sollten; auch sollten in seiner Nähe alle Triumphatoren 
älterer und neuerer Zeit in ehernen Bildsäulen verewigt, in ihm alle 
etwa verlornen und wiedereroberten Feldzeichen aufgestellt werden 8 ). 
So wesentlich war es hier, wie sonst bei den Stiftungen des August, 326 
auf eine Verschmelzung des Ruhms der Julier und der Ansprüche 
ihrer Dynastie mit dem des römischen Namens überhaupt abgesehn. 



2. QUirinus. 

Quirinus ist der sabinische Mars als Stammgott von Cures 
und seiner Bürger, der Quiriten, wie der albanische Mars der 
Stammgott der palatinischen Römer war. Deshalb galt jener für 
den Vater des Gründers von Cures Modius Fabidius, wie der al- 
banische Mars für den der römischen Zwillinge. Die Wurzel des 
Namens ist quiris oder curis d. i. auf sabinisch die Lanze, welche 
so gut das Symbol des sabinischen als des latinischen Mars war 4 ). 



") Vgl. Vellei. Pat. II, 100, Kai. Maff. zum 12. Mai [vgl. Mommsens An- 
merkaug dazu], Ovid F. V, 597. Nach dem Kai. Venus, war der 14. Mai dem 
Mars Invictus heilig. 

») Vgl. Sueton Octav. 29. 

») [S. Mommsen C. I. L. 1 p. 281.] 

4 ) [Dafs Quirinus auf dem Quirinal ursprünglich unter dem Namen Mars 
verehrt worden sei schliefst Mommsen zu C. I. L. 1, 41 daraus, dafs daselbst 
.in hortis Qoirinalibus pontifieiis' die sehr alte Widmung P. Corn[etü>s) L. f. 
coto{t\ prob[avit] Mar[te sacrotn?\ (41 = 6, 475) zusammen mit der jüugcren 
Quirino L. AimiUus L. f. praitor (1, 630 «= 6, 565) gefunden worden ist — 
Der Zusammenhang von quir-lnus (vielleicht Epitheton des Mars) mit quir-ltes 
ist sicher, der mit Cures unwahrscheinlich, ob das angebliche sabinische Wort 
curis Lanze überhaupt mehr ist als ein etymologischer Rückschlufs aus den 
a. Wörtern sehr fraglich: oder sollte es nicht auffallen, dafs die quirites die 
hasta und das püum schwingen, die vermeintliche curis aber aufser den Ety- 
mologen Niemand kennt? Die bisherigen Erörterungen (Corssen Ausspr. 2«, 
Preller, Röm. Myüiol. I. 3. Aufl. 24 



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370 



VIERTER ABSCHNITT. 



Ueberhaupt haben wir gesehen dafs Mars durch ganz Italien, sowohl 
hei den Sabinern als bei den Latinern, der nationale Frühlings-, 
Feld- und Kriegsgott war, daher es nicht auffallen kann dafs dieser 
Gottesdienst neben seiner allgemeinen Geltung und dem gewöhn- 
lichen Namen hin und wieder eigentümliche und locale Formen 
und Namen angenommen hatte. In Rom entstand dadurch der 
alten Verdoppelung der beiden Stämme, der Latiner auf dem Palatin 
und der Sabiner auf dem Quirinal, entsprechend eine locale Ver- 
doppelung des Marsdienstes, welche die römischen Alterthumsforscher 
wohl bemerkt haben, aber sich nicht zu erklären wufsten *), wäh- 
rend die Griechen den Mars gewöhnlich in ihren Ares, den Quirinus 
in ihren Enyalios übersetzen, welche beiden Götter der griechischen 
Mythologie bekanntlich gleichfalls nur verschiedene Formen eines 
und desselben nationalen Kriegsgottes waren. Der historische Grund 
des Unterschieds war darin angedeutet, dafs Quirinus für den Gott 
der mit T. Tatius von Cures nach Rom übergesiedelten und auf 
dem Quirinale angesiedelten Sabiner galt 2 ). An dem Abhänge dieses 
327 Hügels, in der Gegend von S. Andrea, lag auch das alte Heiligthum 
des Quirinus und in seiner Nähe das des gleichfalls nationalen 
Gottes oder Halbgottes Dius Fidius, des sabinischen Hercules. Die 
grofse Wichtigkeit dieses Gottesdienstes für die ältere Zeit ist daran 
zu erkennen, dafs Numa den Quirinus neben dem Mars unter die 
Götter seines Systems aufnahm und dem entsprechend auch dem 
flamen Quirinalis seine eigene Stelle unter den drei sogenannten 



357 und so fort bis auf Soltau Volksvers. 456 f.) haben die etymologische 
Frage nicht um einen Schritt vorwärts gebracht. Vgl. S. 278, 2.] 

») Dionys H. II, 48 nach Varro: rov <T % Evvahov ol Zaßivot xttl nao' 
Ixtivtov ol 'Ptoftttiot fxa&ovreg KvqTvov ovofjaCovatv , oix f/orrtc flntiv to 
nxoißh (Ire v AQr\q iatlv tfr( '(regos Tic 6uo(«g "4oft riuhg /pv ol fikv yttQ 
i<p' Ivoc oTovrtti &tov nolffiixdiv ayatvtov ^yifiofoc ixuTfoov tüv ovopaTtav 
xartjyoQUO'&ttt , ol 6*k xttra SvoTv tamaSat öaifiovatv noktuiotoiv ra ovo- 
fxain. Vgl. Plut. Rom 29. 

») Varro I. I. V, 51 Collis Quirinalis ob Quirin i fanum. Sunt qui a Qui- 
ritibus, qui cum Tatio Curibus venertwt Romam , quod ibi habuerint castra. 
Vgl. Fest. p. 254 Quirinalis. Nach Varro ib. 74 und Dionys II, 50 brachte T. 
Tatius die Verehrung des Quirinus nach Rom. Ueber die Lage des Tempels 
a. Liv. VIII, 20, Urlichs in der Beschr d. St. Rom III, 2, 366, Becker Handb. 
I, 569. [Lanciani Bull. arch. municipale 1, 226.] Auch die p. Collina hicfs 
mit einem anderen iNamen p. Quirinalis und auch in ihrer Nähe befand sich 
ein sacellnm Quirini, Paul. p. 255. 



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QUIRINUS. 



371 



Flamines majores anwies 1 ), ferner daran dafs noch Tullus Hosti- 
lius dem Quirinus zu Ehren ein zweites Collegium der Salier stiftete 
(S. 356 f)- Auch ist der flamen Quirinalis , der sich zur Zeit der 
gallischen Noth um die Rettung der Heiligthümer der Vesta so ver- 
dient machte, immer ein sehr angesehener Geistlicher gehlieben, 
und die Beibehaltung des Schwurs beim Mars und Quirinus in alten 
Schwurformelu 8 ) sammt andern Merkmalen alter Tradition beweist, 
dafs der Cultus auch hier conservativer war als die populäre Mei- 
nung, für welche Quirinus bekanntlich später für identisch mit dem 
vergöttlichten Homulus galt. Durch diese Identification von zwei 
ursprünglich ganz verschiedenen Wesen ist denn freilich die Bedeu- 
tung des alten nationalen Stainmgottes von Cures Quirinus eben so 
sehr verkürzt, als die des römischen Stadt- und Nationalheroen 
Romulus erhöht worden. 

Gewisse Merkmale der alten Bedeutung und Geltung des Qui- 
rinus lassen sich indessen noch jetzt nachweisen. So ist wohl zu 
beachten dafs der flamen Quirinalis aufser dem Dienste des Quirinus 
am 25. Dec. mit den Pontifices ein jährliches Opfer am Grabe der saa 
Acca Larentia, ferner am 25. April das jährliche Opfer des Robigus, 
damit der Kornbrand nicht schade, zu bringen, endlich mit den 
Pontifices und den Vestalinnen zusammen am 7. Juli und 21. Aug. 
die Feier der Consualien zu besorgen hatte 3 ) : lauter alte Gottheiten 
der Flur und des Erdbodens, so dafs also auch Quirinus nothwendig 
in ähnlicher Weise ein Gott der Flur und des Ackerbaus gewesen 
sein mufs als Mars. Dazu kommt die Verehrung der Hora Qui- 



*) Vgl. oben S. 64 und Fest. p. 185 Quirinalis (flamen) socio itnperii Bo- 
mani Citribus adscito Quirino Vgl. Liv. V, 39. 40 und Plut. Camill. 20, aus 
welchen Stellen zugleich hervorgeht, dafs der fl. Quirinalis in der Nähe des t. 
Quirini wohnte. Selbst die Wohnung des Numa wurde von Einigen an den 
Quirinal verlegt, s. Plut. Num. 14, Solin. 1, 21. [Vgl. Jordan Top. 1, 1, 156 f.] 
Galt Numa für den Stifter des Cultus des Quirinus, so ist das eben nur von 
der Einreihung dieses Gottes in sein Göttersystem zu verstehn, s. Dionys II, 
63, wo der sabinische Gott wie später allgemein mit Homulus Quirinus ver- 
wechselt wird. Auch Mamurius, der Schmied der Ancilien, war am Quirinal 
zu Hause, s. oben S. 360, 1. 

») Vgl. oben S. 65 f., Liv. V, 52, VIII, 9 und den Schwur des Drusus 
S. 93. Zu bemerken ist auch der alte Schwur Equirine d. i. beim Quirinus, 
wie Eiuno, Eccere, Ecastor, Paul. p. 81 und die altherkömmliche Cultus- 
formel Quirinus pater b. Ennius [Ann. 121 V.j und Lucilius [S. I, 11 M.]. 

») Gellius VII, 7, 7, Ovid F. IV, 910, Tertull. de Spectac. 5. 

24* 



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372 



VIERTER ABSCHNITT 



rini und sogenannter Virites Quirini nach den Auszügen aus 
priesterliclien Gebetsurkunden bei Gellius (S. 55, 1), welche Namen 
gleichfalls auf einen Gott der Befruchtung, sowohl des Feldes als 
der Ehe deuten. Die Virites Quirini hängen nehmlich höchst wahr- 
scheinlich mit virere und virescere zusammen, wie die S. 100 nach- 1 
gewiesenen Virae Querquetulanae und die Vires der Diana (S. 314, 2) 
und ihr Schützling Virbius und Visidianus, der Schutzgott von 
Narnia 1 ). Die Hora Quirini aber, welche auch in den Annalen des 
Ennius vorkam*), war den Andeutungen (Kids Met. XIV, 832 ff. 
zufolge identisch mit derHersilia d. h. der zur Göttin gewordenen 
Gemahlin des Komulus Quirinus, welche auf den Romulus aber erst 
nach seiner Identilicirung mit dem sabinischen Quirinus übertragen 
sein kann. Juno sagt dort zur Hersilia, wenn sie ihren Gemahl 
wiedersehn wolle, so soll sie mit ihr gehn zu dem Haine, welcher 
dem Quirinus auf seinem Hügel grüne *). Als sie hingegangen sind, 
fallt ein Stern vom Himmel und auf den Scheitel der Hersilia, wo- 
rauf sie verschwindet (vgl. oben S. 95) und von Romulus unter 
dem Namen der Hora Quirini in seinen Tempel aufgenommen wird *). 
Also eine Göttin gleich der sabinischen Nerio, der Gemahlin des 
Mars, welche auch zugleich als weiblich hingebend und als krie- | 
329 gerisch und neben dem Mars als Schutzgöttin der Ehe gedacht 
wurde (S. 342). Neben diesen Beziehungen zur Natur und Frucht- 
barkeit aber wurde Quirinus wie Mars doch vorzugsweise als ein 
Gott der Waffen und des Kriegs gedacht und verehrt *). Sein Bild 



>) Tertull. Apolog. 24, Ad Nat. II, 8 [nach Varro]. Zu bemerken ist 
dafs in jener Stelle des Gellias weder die Lesart Virites Qoirioi ganz 
sieber steht noch die Deutung als Plural, was auch von den Moles Martis 
S. 349, 1 gilt. 

*) Bei Non. Marc. p. 120 Quirine Pater veneror Horamque Quirini. Bei 
Plut. Qu. Ro. 46 heifst sie Horta, welcher Name nach Antistins Labeo abzu- 
leiten wäre ab hortaodo, die tu guten und löblichen Thaten ermahnende. 
Doch ist die Form Hora (b. Eonius Höra, b. Ovid Hora) am besten beglaubigt. 
Nach Platarch 1. c. stand ihr Tempel immer offen, vgl. oben S. 174. Ueber 
den Namen der Hersilia s. S. 275. 

•) Colle Quirino qui vir et et templum Romani regit obumbrat. Vielleicht 
waren die Virites Quirini die Göttinnen dieses Hains, der wie gewöhnlich das 
älteste Heiligthnm des Gottes war. 

«) Prücum pariter cum corpore nomen mutat Horamque vocat, quae nunc 
Dea iuneta Quirino est. 

•) Stat. Silv. V, 2, 129 kumeris quatere arma Quirinus (monstrabit). 
Vgl. Fest. p. 217 persilllum: so hiefs im priesterlichen Sprachgebrauche ein 



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QUIRINUS. 



373 



scheint das eines bärtigen, in einem halb kriegerischen halb priester- 
lichen Schmucke dasitzenden Mannes gewesen zu sein *). 

Plinius erzählt H. N. XV, 120, dafs vor dem alten Tempel 
des Quirinus lange zwei Myrten gestanden hätten, von denen die 
eine die patricische, die andere die plebejische hiefs. Viele Jahre 
habe die patricische Myrte ein fröhlicheres Wachsthum gehabt, 
während die plebejische verkümmerte, so lange eben der Senat oben 
auf und der gemeine Mann zurückgesetzt gewesen sei. Dann aber, 
während des marsischen Kriegs, als die Demokratie die Aristokratie 
überllügelte, sei die plebejische Myrte auf einmal mächtig aufge- 
schossen, die patricische aber verwelkt und eingegangen. Diese 
beiden Bäume erinnern sehr an die beiden Lorbeeren im Heilig- 
thume des Mars in der Regia (lul. Obseq. 78), und man darf wohl 
vermuthen, dafs beide Pllanzungcn, die Myrten vor dem T. des 
Quirinus und die Lorbeern im Heiligthume des Mars, sinnbildüch 
dasselbe bedeuten sollten, das fröhliche Gedeihen des vereinigten 
populus Romanus Quiritium unter dem Schutze der beiden alten 
Stammgötter: bis eine spätere Zeit bei jenen Myrten nicht mehr 
an die beiden Stämme der Vorzeit, sondern an die feindlichen Stände 
der Patricier und Plebejer dachte. Der Apollinische Lorbeer be- 
deutete Reinheit und Erneuerung, die Myrte aber, das Laub der 
Venus, Befruchtung und Einigung; daher die Sage ging, dafs die 
Römer und die Sabiner, als sie nach blutigem Streit zur Verbün- 
dung geschritten, sich beim Heiligthume der Venus Gluacina mit 
Myrtenzweigen gereinigt hätten. Wird doch selbst die Stiftung des 
Dienstes des Quirinus gewöhnlich auf jenen ältesten Bund und 
Verlrag zwischen den Römern und Sabinern und eben so der Name 
Quirites auf denselben ältesten Grundvertrag des römischen Bürger- 
rechtes und Stadtfriedens bezogen 8 ). Vielleicht hängt es damit zu- 



cigeuthüniliches Gefäls, rudusculum picatum, ex quo unguiiie flamen PorlunaUs 
arma Quirini unguet. 

l ) Auf Münzen der Memmia der K. des Quirinus, würdig, langbärtig in 
gelockten Reihen, mit einem Myrten- oder Lorbeerkranz. [Cohen Cons. T. 
XXVII Meiumia 5, vgl. Mommsen Münz*. S. 642 A. 527.] Auf M. der Fabia 
(Pictor) behelmter Mann, sitzend, in der R. die ,Priestermütze', die L. , die 
einen Speer hält, gestützt auf einen Schild mit der Inschrift Q VIRIN [d. h. 
flamen Quirinalis, Cohen a. 0. XVII Fabia 6, vgl. Mommsen a. 0. S. 542 
N. 141.] 

») Fest. p. 254 Quirites autem dicti post foedus a Rotnulo et Tatio 



374 



VIERTER ABSCHNITT. 



3«o sammen dafs man später den Quirinus als einen ruhigen und fried- 
lichen Gott dem Mars Gradivus geradezu entgegensetzte (Serv. V. 
A. I, 292). 

Leider läfst sich die Zeit, wo der erhöhete Romulus und Qui- 
rinus zu einer Person verschmolzen, nicht näher bestimmen; jeden- 
falls kann es nicht eher geschehen sein als nachdem das Bewufstsein 
von jener ältesten Thatsache der römischen Geschichte, der Ver- 
doppelung der Bürgerschaft durch Verbündung der Römer und 
Sabiner, verloren gegangen war. Seitdem ist Romulus Quirinus 
als alleiniger Stammheros an die Stelle der beiden alten Stamm- 
götter eingerückt, wie die Formel Populus Romanus Quirites oder 
Quiritium ursprünglich eine Verdoppelung ausgedrückt hatte, aber 
später nur das eine Volk der römischen Bürger bezeichnete. Gewifs 
ist dafs zur Zeit des Cicero und der Dichter des Augusteischen 
Zeitalters Romulus und Quirinus allgemein für dieselbe Person 
galten 1 ). 

Das jährliche Fest des Quirinus, die Quirinalia, fiel auf den 
17. Februar, also in die Annäherung des Frühlings. Leider hören 
wir von demselben nur auf Veranlassung der Fornacalien, bei welchen 
denen, welche sich zu keiner bestimmten Curie hielten, eine eigne 
Feier auf den Tag der Quirinalien angesagt wurde, welchen man 
deshalb auch den Festtag der Narren, Stultorum ferias nannte 1 ) 
Der alte Tempel des Quirinus wurde im J. 461 (293 v. Chr.) von 
L. Papirius Cursor nach einem Gelübde seines Vaters von neuem 
erbaut und mit den Spolien der Samniter und einer Sonnenuhr, 
der ersten in Rom, geschmückt 8 ). In diesem Tempel wurde, als 
Quirinus schon allgemein für den göttlichen Romulus galt, dem 



percussum comtnunionem et societatem populi faetam indicant. Vgl. Plut. 
Rum. 29. 

') Orelli Onoinast. Tull. v. Quirinus Wenn Cic. de Off. III, 10 sagt: 
Rwmultis frütre lutcret/ipto sins controversia peccavit , pace vel Quirini vel 
Romuli düterim, so ist das nur der gewöhnliche Unterschied zwischen dem 
sterblichen uud unsterblichen Romulus. Vgl. Ge. HI, 27 victorisque artna 
Quirini. Aen. I, 292 Remo cum fratre Quirinus. Ovid F. II, 476, III, 41, 
VI, 375 lituo pulcher trabeaque Quirinus. luveual. XI, 105 geminos Qui- 
rinos von Romulus und Remus. Vgl. Plin. H. IV. XV, 120, Plut. Rom. 
29 u. A. 

») Varro I. l. VI, 13, Fest. p. 254 Quirinalia, Ovid F. II, 475 ff., vgl. Kai. 
AI äff. und Farnes. 17 Febr. 

») Liv. X, 46, Plin. H. PI. VII, 213. 



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QÜIRIMJS. 



375 



Cäsar als seinem Abkömmlung eine Statue mit der Inschrift „dem 
unbesiegten Gotte" errichtet 1 ). Augustus, welcher sich gleichfalls ssi 
für einen Abkömmling des Romulus hielt und sich gerne einen 
zweiten Romulus nennen hörte, stellte den durch Alter und Brand 
beschädigten Tempel des Quirinus noch einmal her, seit welcher 
Zeit (er wurde im J. 16 v. Chr. eingeweiht) das Gebäude ein sehr 
prächtiges und von einer doppelten Säulenhalle umgeben war 8 ). 

3. Picus und Picumnus und Pilutnnus. 

Es ist wieder ein recht deutlicher Beweis von dem mährchen- 
haften Zuge der älteren italischen und latinischen Volkssage, dafs 
aus dem picus Martius, dem heiligen Waldvogel des Mars, im Laufe 
der Zeit ein Walddämon und ländlicher Schutzgeist, ja in den Sagen 
der Laurenter sogar ein König und streitbarer Held werden konnte. 
Als silenenartiger Dämon des Waldes, der die Quellen liebt und 
weissagerischen Geistes ist, tritt Picus neben dem gleichartigen 
Faun us auf in dem Mährchen bei Ovid F. III. 291 ff., wo Numa 
beide Dämonen 3 ) an einer Quelle am Aventin auf dieselbe Weise 
längt wie Midas den Silen. In andern Sagen erscheint er als ein 
Dämon des Ackerbaus, namentlich des Düngens, daher man ihn 
einen Sohn des Stercutus d. h. des Saturnus und den Stifter eines 
Altares des Stercutus in Rom nannte, offenbar wegen der sterqui- 
linischen Neigungen des Wiedehopfes, an dem solche l"i Sauberkeit 
auch sonst in allerlei unpoetischen Beinamen hervorgehoben wird. 
Wieder andre Sagen oder Culte nannten ihn Picumnus und neben 
ihm als seinen Bruder und Doppelgänger den Pilumnus, von 
denen jener die Düngung der Felder erfunden habe und deshalb 
Sterculinus genannt worden sei, dieser das Stampfen des Getreides 
(pinsendi frumenti usum), daher er von den Bäckern (a pistoribus) 
verehrt werde, deren Mörserkeule (pilum) nach ihm benannt sei 4 ): 



] ) Dio XL] II, 45. Daher Cicero ad Att. XIII, 28 den Casar einen con- 
tuberualis Quirini nennt. 

a ) Dio L1V, 19, Vitruv. III, 1, 7, Beeker Handb. 1, 569. [Ueber die De- 
dicatioostage der von Augustus als Peripteros wiederhergestellten papirischeu 
aedes und des davon verschiedenen älteren fanum Quirini». Jordan Eph. epigr. 
I, 231 ff.] 

■) Sie sagen vou sich v. 315 di minus agrestes et qui dotninemur in altis 
montibu*. 

4 ) Serv. V. A. IX, 4, X, 75, Martian. Cap. II, 158 cornminuendae fru#is 



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376 



VIERTER ABSCHNITT. 



eine volkstümliche Unterscheidung der zwei nahe verwandten, sonst 
8sa oft verwechselten Vögel, des Stänkers Wiedehopf (upupa, snoxp) und 
des Stampfers Specht (picus, ÖQVOxo^nitjg), welcher also hier zu 
einem Schutzpatron der pistores geworden war. Gewifs ist dafs 
Picumnus auch sonst beim Volke für einen ländlichen Dämon galt 1 ), 
daher eine Sage ihn zum Gemahl der Pomona machte, während 
Pilumnus in der Sage von Ardea für den Ahnherrn des Königs 
Turnus galt. Ja Picumnus und Pilumnus hatten selbst in den 
Gebetsurkunden des römischen Volks eine Statte gefunden, als Schutz- 
götter der Kindbetterinnen und kleinen Kinder, daher ihnen, wenn 
auf dem Lande ein Kind geboren war und dessen Lebenskräftigkeit 
nach altem Brauche dadurch dafs man es auf die Erde stellte ge- 
prüft wurde, als Göttern des ehelichen Kindersegens im Atrium ein 
Speiselager bereitet wurde 2 ), doch wohl vermöge der gewöhnlichen 
üebertragung der Aussaat und des Gewächses der Feldfrucht auf die 
Frucht des Mutterleibes. Von einem andern ländlichen Gebrauche 
erzählt Varro bei Augustin C. D. VI. 9, nehmlich dafs drei Götter 
um Schutz für eine Kindbetterin angerufen wurden, damit Silvanus 
nicht zur Nacht in das Haus schleiche und der Mutter Gewalt an- 
thue, und dafs um diesen Schutz sinnbildlich auszudrücken drei 
Männer in der Nacht um das Haus gingen und beide Schwellen 
(der Vorder- und der Hinterthüre) zuerst mit einem Beile, dann, 
mit einer Mörserkeule (pilum) schlugen, endlich drittens mit einem 
Besen abfegten: drei Sinnbilder der menschlichen Cultur (weil die 
Bäume mit dem Beile behauen, das Getreide mit der Keule gestampft, 
die Feldfrucht mit dem Besen zusammengefegt werde), welche Sil- 
vanus so wenig vertragen konnte als in den deutschen Sagen die 

farrisque fragmcnta Pilumno assignat Italia. Sonst ist pilum der Wurf- 
spieß, daher pilumnoe poploe d. i. Romani im Liede der Salier, Fest. 

p. 205. 

x ) Aemilius Macer (ein Dichter der Augusteischen Zeit, Freund Virgils 
und Ovids) in theogoniae (lies Ornithogoniae) lib. I b. Non. Marc. p. 518 et 
nunc agrestis isüer Picumnus habetur. 

*) Non. Marc. p. 518. 528. Varro de vita P. R. lib. II. Natus si erat 
vüali* ac sublatus ab obstetrice, statuebatur in terra ut auspicaretur rectus 
esse, diis coniugalibus Pilumno et Picumno in aedibus lectus sternebatur. 
Serv. V. A. X, 76 Varro Päumnum et Picumnum infantium deos esse ait 
eisque pro puerpera lectum in atrio sterni, dum exphretur an Vitalis sit 
qui natus est. Eine andre Sitte war die der Vornehmem, s. Serv. Ecl. IV, 62 
proinde nobüibus pueris editis in atrio domus Iunoni lectus, Herculi mensa 



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PICÜS. 



377 



Riesen des Gebirgs den Pflüger im Thale. Nach jenen drei Hand- 
lungen wurden diese Schutzgottheiten der Wöchnerin genannt Inter- 
cidona von dem Einschnitte des Beils (a securis incisione), Pilumnus 
von der Mörserkeule und Deverra von dem Fegen des Besens. Das 
Fegen der Schwelle erinnert an den Ausfeger (everriator) im Todten- sss 
hause und ähnliche Gebräuche 1 ). Wenn nehmlich ein Todter in 
einem Hause war, so wurde dasselbe mit einer eignen Art von Besen 
ausgefegt, doch wohl auch zum Schutze vor bösen und gewaltthätigen 
Dämonen. Endlich als König und als streitbarer Held erscheint 
Picus in der Sage der Laurenter, die ihn einen Sohn des Saturnus 
und den Vater des Faunus nannte. Virgil Aen. VII, 170 ff. schilderte 
seinen Palast mit sehr poetischen Farben, wo aber doch eine alter- 
thümliche Ueberlieferung durchschimmert, Waldeinsamkeit und alt- 
herkömmlicher Glaube der Väter, so dafs diese angebliche regia Pici 
zu Laurentum wohl eigentlich ein altes nationales Waldheiligthum 
des Mars und seines heiligen Vogels gewesen sein möchte, wie das 
der Aboriginerstadt Tiora Matiene. Dort pflegten die Könige des 
Landes ihre Wörde zu empfangen und einzuweihen, dort sich mit 
ihren Aeltesten zu berathen, dort die Opfermahlzeiten und alle fest- 
lichen Schmause zu halten. In der Vorhalle sah man die Bilder der 
Ahnen, des Itaius und des Sabinus, des Janus und des Saturnus 
und andrer alter Könige und Helden, an den Säulen aufgehängt die 
erbeuteten Waffen, Kriegswagen und Beile, die Riegel gesprengter 
Thore und Schiffsschnäbel. Picus selbst aber thronte mit aufgegür- 
teter Trabea, mit dem lituus und am linken Arm ein ancile tragend, 
der reisige Picus, den seine Gattin Circe in einen Specht verwan- 
delte: so dafs er also wie alle alten Könige zugleich als Augur und 
als Krieger gedacht wurde'). Das Mährchen von seiner Verwandlung 
wird ausführlich erzählt von Ovid Metam. XIV, 313 — 434, welcher 
dabei eines jugendlichen und reichlich bekränzten Bildes des Picus 
mit einem Specht auf dem Haupte gedenkt. Immer ist es die Eifer- 

>) Paul. p. 77. Als Keinigungsgebrauch wird dieses Ausfegen auch unter 
den vorbereitenden Reinigungen der Palilien erwähnt, Ovid F. IV, 736 unda 
priut spargat virgaque verrat humum. 

') Doch wird am Picus immer, sowohl an dem Vogel als an dem Abo- 
riginerkönige, vorzugsweise die augurale Thätigkeit und Bedeutung hervor- 
gehoben, s. Fest. p. 197 Oscines, p. 209 Picum aveni, JNon. Marc. p. 518 Pi- 
cumnus, Plin. H. N. X, 40. 41, Serv. V. A. VII, 190 Aoc ideo fingüur quia 
augur fuit et domi habuü picum, per quem futura noscebat, quod pontificales 
indicant Ubrü 



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378 



VIERTER ABSCHNITT. 



sucht und der Zauber der Circe, welche den jungen Ritter in einen 
Vogel verwandelt, doch nannten Einige Circe als seine Galtin, Andre 
die Fruchtgötttin Pomona, noch Andre, mit ihnen Ovid, die schöne 
und gesangreiche Quellnymphe Canens 1 ). Picus war eben so schön 
als tapfer, in den besten Jahren der Jugend, ein grofser Jäger, der 
334 Liebling aller Wald- und Quelluymphen von Latium. Er aber lieble 
nur die eine Canens, die Venilia auf dem Palalium dem Janus ge- 
boren hatte (S. 183). Sie war schön, aber noch schöner war ihr 
Gesang, nach welchem man sie Canens nannte; wie Orpheus ver- 
mochte sie Wälder und Steine zu bewegen, wilde Thiere zu zähmen, 
den Lauf der Ströme und den Flug der Vögel zu hemmen. Einst, 
während sie sang, ging Picus auf die Jagd auf muthigem Rofs, mit 
zwei Jagdspeeren bewaffnet und mit einem purpurrothen Kragen 
bekleidet, den vorne eine goldne Spange zusammenhielt. Da sieht 
ihn Circe, die eben im Walde Kräuter liest, und lockt ihn in Liebe 
entbrennend in den tiefen Wald. Er aber will von keiner andern 
Liebe wissen; da verwandelt ihn Circe in den gleichnamigen Vogel, 
der sich deshalb so scheu in die Wälder zurückzieht und in seiner 
Wuth mit seinem Schnabel in die harten Stamme und die langen 
Aeste der Bäume hackt. Von dem Purpur des Kragens und dem 
Golde der Spange sieht man die Spur an seinem Gefieder. Die 
treue Canens suchte ihn sechs Tage und sechs Nächte, ohne Speise 
und ohne Schlaf, durch Thäler und Wälder, bis sie zuletzt am Tiber 
ermattet hingesunken unter Thränen und Sülsen Gesangen hinstarb, 
nur noch ein Hauch, der in der Luft zerOiefst. Aber alle Lieder 
nennen den Ort nach ihrem Namen „zur süssen Stimme". Es 
braucht kaum hinzugesetzt zu werden dafs diese Canens, die Tochter 
des Ursprungs und der Welle, die Gehebte des einsamen Waldvogels, 
nichts weiter ist als eine Personificalion des Gesanges in seiner 
ältesten Wirkung und Bedeutung, wie er aus den Stimmen der 
Natur, aus Wäldern, Flüssen und Quellen in süfsen und lockenden 
Klängen hervortönt als Gesang der Musen und Nymphen, als Orakel 
oder als Zauber. Im weiteren Verlaufe dieser Untersuchungen 
werden sich noch manche andre Spuren finden, dafs das alte Italien 
für solche Naturlaute und Naturwirkungen nicht minder empfanglich 
war als das alte Griechenland und alle Volkssagen und Volks- 
m ährchen. 



») Vgl. Plut. Qu. Ro. 21 und Serv. V. A. VII, l»ü. 



FAUNÜS UND FAUNA. 379 

4. Faunus und Fauna. 

Dennoch ist Picus, da er wesentlich nur Symbol des Mars war, 
niemals eigentlicher und seihständiger Cultusgott gewesen, wie sein 
naher Verwandter Faunus l ) : einer der ältesten und volksthüm liebsten 
Götter Italiens, dessen Eigenthümlicbkeit und grofse Wichtigkeit für 
den Volksglauben man sich oft deswegen hat entgehen lassen, weil 
er in Rom sehr bald mit dem griechischen Pan identificirt und wie ss& 
sein historischer Doppelgänger Evander aus Arkadien hergeleitet 
wurde. Und doch ist schon der Name ganz italisch, denn Faunus 
ist der Gute, der Holde, von faveo, wie Faustus und Faustulus und 
der befruchtende Frühlingswind Favonius (S. 329). In umhrischen 
Sprachdenkmälern lindet sich das Wort fous in der verwandten Be- 
deutung von gnädig und hülfreich *), und wirklich hiefsen die oft im 
Plural gedachten Faune in der Volkssprache auch Fönes. Auch zeugt 
eben jene alte griechische Uebersetzung des italischen Namens durch 
Evander für die Richtigkeit der Erklärung, die den Alteu nicht ent- 
gehen konnte 3 ). Also ein guter Geist der Berge, der Trifteu, der 
Fluren, orakelnd und den Acker, das Vieh und die Menschen be- 
fruchtend, ein Stifter milder und frommer Sitte, alter König und 
Urheber vieler alter Geschlechter: das sind etwa die Grundzüge 
eines Glaubens, der durch ganz Italien galt und den auch Varro bei 
Serv. V. A. VIII, 275 als einen alten italischen und römischen be- 
zeichnet. Im Volke war der Glaube an diese guten Geister der Flur 
und des Waldes so lebendig und eingewurzelt, dafs die Bauern in 
der Umgegend von Rom fort und fort behaupteten, man sähe sie 
oft auf den Feldern 4 ). 

Den gewöhnlichen Volksglauben schildert am besten Horaz 



*) iVgl. Motty, De Fauoo et Fauna sive Bona dea eiusque mysteriis, Berlin 
(Diss.) 1&40, uod Einiges bei Reifferscheid Auiiali 18t)6, 218 f., der auch ein 
Bild des Faunus (Tav. d'agg. Y) nachweisen zu können glaubt] 

*) Aufrecht und Kirchhoff 2, 139, vgl. Bugge iu der Zeit sehr. f. vgl. 
Sprachf. 3, 41. Breul Tables Eug. 73 f.] Mart. Cap. II, 167, Glossa Isidor! : 
Fönes, dei silvestres. [Die Alten erklären faunus a J'ando: unten zu S. 339. | 

a ) Serv. Georg. I, 10 quidam Faunos putant dictos ab eo quod frugibus 
Javeant. A. VIII, 314 quidam Faunurn appeUatum volunt eum quem not pro- 
pitium dieimus. 

*j Prob. z. Yirg. Ge. 1, 10 plures auiem existimanlur esse et praesentes. 
Idcirco rusticis persuasurn est incolentibus eatn partein Italiae, quae suburbana 
est, saepe eos in agris conspici. 



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380 



VIERTER ABSCHMTT. 



Od. HI, 18, zu welchem Gedichte die ländlichen Faunalien, wie sie 
an den Nonen des December gefeiert wurden, Veranlassung ge- 
geben haben 1 ). „Faunus, sagt der Dichter, wenn du die flüchtigen 
Nymphen haschest, gehe mir gnädig über meine Grenzen und son- 
nigen Fluren 9 ) und lasse mir die junge Zucht der Trift ungeschoren. 
Schlachte ich dir doch jährlich, wenn deine Zeit kommt, ein zartes 
Böcklein, fülle dir die Becher reichlich mit Wein, dem Gesellen der 
säe Liebesgöttin, auch duftet der Väter Altar von reichlichem Weihrauch. 
Alles Vieh hüpft auf der Weide, wenn deine Nonen wiederkehren, 
das ganze Dorf, mit ihm der Pflugstier feiert dich auf den Wiesen, 
kein Lamm fürchtet sich vor dem Wolfe. Der Wald streut dir seine 
Blätter und der Bauer trampelt mit lustigem Tanzschritt auf der 
Erde, die sonst seine Plage ist". Verliebt ist Faunus wie alle Be- 
fruchtungsgötter; die junge Heerde soll er verschonen, weil er wie 
alle Dämonen, wenn man sie vernachlässigt, tückisch wird. Dafs er 
sonst die Heerde mehrt und vor dem Wolfe schützt, deutet das 
Gedicht selbst an, und Faunus wurde deshalb bei den Hirten 
allgemein als Inuus verehrt und als Lupercus. Inuus ist der 
Bespringer, ab ineundo 3 ), zunächst im Sinne der thierischen 
Begattung, Lupercus der Wolfsab wehrer, in der nächsten Bedeutung 
als Beschützer der Heerde 4 ), in der entfernteren als Austreiber des 
Winters durch die Erneuerung des Jahres im Frühlinge. Wir 
werden beide Eigenschaften bei den römischen Luperealien wieder 
zusammenfinden. Einstweilen mag das Castrum Inui an der Küste 

') Porphyrion bemerkt za diesem Gedichte: Nonis Decembribus Fau- 
nalia sunt h. e. dies festus Fauni, in cuius honorem peeudes laseiviunt. Vgl. 
Acroo. ib. (In den Staatskalendcr bat dieses als Fan nalia nur hier erwähnte 
Fest keine Aufnahme gefunden: in Italia quidam annuum sacrum quidam 
mmstruum celebrant sagt Probus in der unten zu S. 341 benutzten Stelle zu 
Georg. I, 10. Jcdesfalls handelt es sich bei Horaz um ein lokales Fest.] 

») Ovid F. IV, 761 nec Dryadas nec nos videamus labra Dianae, nec Fau- 
num medio cum premit arva die. 

s ) Paul. p. 1 10 init ponitur interdum pro coneubüu. 

4 ) Paul. p. 15 arcere prohibere est. Simäiter abarcet prohibet. Porce 
quoque dictum ab antiquis quasi porro arcet. Ib. p. 25 abercet prohibet. [Die 
alte Etymologie ist falsch: lup-er-cus, vgl. nov-er-ca ist (s. oben S. 126 A. 1) 
zwiefach erweitertes lup~us, etwa ,Wolfliog'=. Wolf. G.F.Uoger, Die Luperealien 
Rb. Mus. 1SS0, 62 IT. erklärt lu-percus, qui luem parcit (parcere soll abwehren 
heifsen!): es sei ein Epitheton des Inuus, dieser ein etruskischer Sonnengott, 
kenntlich, wie die Himmelskönigin von Lanuviuiu, an dem zottigen Fell (in 
das die Priester sich kleiden), das Fell heilse februum (S. 34 ff.).] 



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1 



FAUNUS 17*D FAUNA. 381 

von Ardea, wahrscheinlich eine alte laünische Hirtenstation (Virg. 
Aen. VI, 755), die populäre Geltung dieses Namens beweisen. 

In andern Ueberlieferungen des Volksglaubens erscheint Faunus 
oder als GollectivbegrifT das Geschlecht der Faune mehr nach Art 
des nahe verwandten Silvanus als Waldgeist, der im tiefen Walde 
haust, in verborgenen Höhlen oder an rauschenden Quellen, wo er 
weissagt oder die Vögel fangt und die Nymphen jagt. Den Menschen 
tritt er in solchen Erzählungen meist nur geisterhaft, mahnend und 
schreckend entgegen, mit gewaltiger Stimme aus dem Walde rufend, 
so dafs alle Herzen erbeben, oder mit allerlei dämonischer Plage des 
Schlafes und Traumes, wie die alten Gallier sie von ihren Dusiern, 
die Deutschen von ihren Schraten erzählten 1 ). Namentlich ist bei 
den Römern oft von den Stimmen und Rufen des Faunus die Rede, 
welcher dadurch mehr als eine Schlacht entschieden haben soll, indem 
er die Brust der Feinde mit panischem Schrecken erfüllte 2 ). Oder 
man dachte sich dieselben Wesen wie Geister umherschleichend, 337 

1 

daher die Hunde in Italien dem Faunus und der Mutter aller guten 
Geister gesellt wurden wie in Griechenland der Hekate, weil die 
Hunde Geister sehen, namentlich glaubte man die jungen Hündinnen 
vom ersten Wurfe der Mutter. Daher auch der Glaube an allerlei 
Neckereien der Faune im Schlaf, so dafs sie bisweilen ganz als 
Plagegeister erscheinen wie bei uns der Alp; gegen welche Anfech- 
tungen man sich mit allerlei Wurzeln und Quacksalbereien zu schützen 
suchte, besonders mit der Wurzel der Waldpäonie, welche man aber 
nur bei Nacht ausgraben durfte, weil der Marsspecht, wenn er es 
bemerkte, dem Gräber die Augen aushackte 8 ). Vorzüglich hatten 
sich die Frauen vor den Faunen und Silvanen in Acht zu nehmen, 
da diese lüsternen Waldgeister sie leicht im Bette beschlichen; daher 
der volkstümliche Name Incubus für solche nächtliche Geister und 
Kobolde 4 ). Dahingegen die Dichter meist nur von dem nächtlichen 

») Grimm D. M. 448. 

*) Cic. d. Divin. I, 45, 101 saepe etiam in proeliis Fauni auditi. Vgl. M. D. 
II, 2, 6, III, 6, 15 und die Erzählungen von der Schlacht mit den Etruskern 
in der Nähe der silva Arsia, wo Einige den Silvanus, Andre den Faunus 
nannten, Liv. II, 7, Dionys V, 16, Val. Max. I, 8, 5. 

8 ) Plin. VIII, 151, XXV, 29, XXX, 84. lieber das Geistersehen der 
Hunde s. Grimm D. M. 632. 

«) Augnstin C. D. XV, 23, Isidor Orig. VIII, 113 f., Serv. V. A. VI, 776, 
Macrob. S. Scip. I, 3, 7 u. A. Der Incubus oder Iocubo, ab iucumbendo dictus, 
entspricht dem griechischen tniiiXir^. Wegen ihrer geilen Productiooskraft 



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382 



VIERTER ANSCHNITT. 



Spiele und Tanze der Faune und Nymphen in den Schluchten des 
Waldes erzählen, wo das Echo wiederhallt und die lärmenden Laute 
oder süfse Musik weithin durch die stille Nacht zu den Ohren des 
Landmannns trägt. Oder sie dichten von dem Jagen und Vogel- 
steilen des Faunus, der darum auch mit der Diana nahe hefreundet 
ist '). Immer gehören die Faune und die Nymphen des Waldes zur 
Lust und ländlichen Staffage des Gebirges, wie es die Arbeit und 
das Leben der Menschen im Thale mit ahndungsvollem Hintergrunde 
umgiebt und in dasselbe wie Rübezahl mit allerlei dämonischem 
Spuk, aber doch eigentlich wohlwollenden und gutmüthigen Geistes 
hinübergreift. 

Der eine Faunus dagegen erscheint in latinischen und römischen 
Ueberlieferungen zunächst und vorzüglich als ein Gott der Weis- 
sag sagung und Offenbarung, sowohl der unmittelbaren aller erregten 
und bewegten Natur als der durch Traum oder Verzückung. 8 ) Faunus 
hiefs in dieser Eigenschaft Fatuus oder Fatuelus 3 ) von fari 



nannte man sie auch Fauni ficarii, Hieron. in Isai. V, 13, 21 vel Ineubones 
vel Satyros vel silvestres quosdatn homines, quos nonnulli Faunos ßcarios vocant, 
vgl. Isidor. Orig. a. 0. Nach einer gotbiseben Sage wor das Volk der Hunnen 
aus der Vermischung solcher Fauni fiearii mit Alraunen d. h. zaubernden 
Nymphen, Hexen entsprungen, Ioruandes d. reb. Get. 24. 

>) Lucret. IV, 570 ff., Virg. Georg. I, 10, Aen. VIII, 314, Prop. V, 2, 33, 
Grat. Fal. Cyneg. 16 ff. u. A. 

') [Doch mufs, was hier über die Weissagung gesagt wird, viel schärfer 
gefafst werden. Das alte Italien kennt keine in Versen redende Orakel: ab- 
hängig von den griechischen sind die versifleirten Weissagungen des Marcius 
(nnten) und die hexametrischen der sortes. Das nationalitalische Orakel 
ist das Zeichen- und Staborakel, wie es uns namentlich durch die präaesti- 
nische Fortuna bekannt ist (X, 1). Außerdem wissen wir nur vom Deuten 
von Stimmen der Vögel (Mars- oder Spechtorakel, oben) und von Naturlauten, 
wie sie sonst in Wäldern vernommen werden. Möglich dafs von solchen 
Orakeln Varro in der Satire Mysteria (S. 173 Riese) sagt: prisca horrida 
silent oracla, crepera in nemoribus. Das Wort oraculum bedeutet ursprünglich 
den Ort ubi oratur (daher oraclum patet im Prän. Kai. 9. 10. April), orare 
wie fari (vgl. unten Fatua) ist der allgemeinste Ausdruck des ,Aussagens* der 
Gottheit, wie dies auch immer bewerkstelligt werde. — Auch hier verdankt 
Vieles, was P. Für altitalisch hielt, der gracisirenden Auffassung der römischen 
Kunstdichter seinen Ursprung.] 

«) Serv. V. A. VI, 776, VII, 47, VIII, 314, Fest. p. 325 versus quibus Fau- 
nus fata cecinisse hominibus vidMur. Auch der Deus Vaticanus, von 
welchem der Vaticanische Hügel seinen Namen bekommen hatte, wird am 
besten abgeleitet a vaticiniis , quae vi atque instinetu eius dei in eo agro fieri 



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FAUNUS UND FAUNA. 



383 



und fatuari, also der Sprecher in dem Sinne wie unser Wahrsager 
und der griechische nt>o<f>ijTt]$. Nimmt doch selbst Numa, der 
Liebling der Egeria, in solchen Fällen wo es die Geheimnisse der 
Götterwelt zu erfahren gilt, zum Picus und Faunus seine Zuflucht, 
welche nach dieser Sage von dem Könige und seinen zwölf Be- 
gleitern erst berauscht und dann gebunden und zur Offenbarung 
des furchtbaren Zaubers gezwungen werden 1 ). In einer andern 
Erzählung, bei Ovid F. IV, 644 ff., wird ein Traumorakel des Faunus 
mit sehr alterthümlichen Zügen beschrieben. Wieder wird Numa 
vom Faunus belehrt, diesmal wie in einem unfruchtbaren Jahre die 
Erde durch ein Opfer von zwei Kühen versöhnt werden müsse. In 
einem alten dem Taunus geheiligten Walde, wo der gute Geist sich 
in der Nacht den Träumenden zu offenbaren pflegte, schlachtet 
Numa zwei Schaafe, eins dem Faunus, das andre dem Schlafe. Beide 
Felle werden auf der blofsen Erde ausgebreitet, der König besprengt 
sein Haupt zweimal mit dem Wasser der Quelle, flicht zwei Kränze 
von Buchenlaub um sein Haupt und legt sich, durch keusche Ent- 
haltung, Fastenspeise und Entfernung des Ringes von seinem Finger 
vorbereitet, nachdem er gebetet, auf die Felle zum Schlafe nieder. 
Nun kommt die Nacht und mit ihr Faunus, der die Felle betritt 
und dem Könige das Gebot jenes Opfers ins Ohr flüstert. Eine 
dritte Erzählung von den Offenbarungen des Faunus ist die bei 
Virgil Aen. VII, 79 — 95, und zwar wird auch hier ein bestimmtes 
Faunus-Orakel der Latiner beschrieben, in der Hauptsache wie bei 
Ovid. Seine Stätte war der Hain der Albunea, wahrscheinlich der 
bei den Wasserfallen von Tibur 2 ). Der König Latinus, von bösen 339 
Zeichen erschreckt, begiebt sich in jenen durch alten Glauben der 
Latiner und aller umwohnenden Völker geheiligten Hain. Dahin, 
sagt der der Vorzeit kundige Dichter, ging der Priester um fromme 
Gaben darzubringen, Schaafe zu schlachten und sich auf ihre Felle 

soläa essent, Gell. V. A. XVI, 17. Also wohl auch ein alter Dienst des Faunus. 
[Doch s. Jordan Top. 1, 1, 196 f.] 

») Ovid F. III, 291 ff , Arnob. V, 1, Plnt. Numa 15, oben S. 191. 

2 ) Nach Servius der bei Tibnr, nach Prohns z. V. Georg. I, 10 in Lan- 
rentinorum silva, daher Bormann altlatin. Chorogr. S. 49 ff. das von Virgil 
beschriebene Orakel an die Solfatara d'Altieri in der Gegend von Ardea ver- 
legt; doch weist der Ausdruck sub alta Albnnea und der grofse Ruhm des 
Ortes mehr nach Tibur. Vermuthlich waren beide Stätten dem Faunns und 
der Fanna heilig. Auch Vitruv. VIII, 3, 2 nennt beide Solfataren als gleich- 
artige Erscheinuogen zusammen. [Vgl. unten VIII, 2.] 



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384 



VIERTER ABSCHNITT. 



zum Schlafe zu legen, worauf er viele wunderbare Gesichte sah und 
viele seltsame Stimmen im Gespräche mit den Göttern hörte. Da- 
hin also ging damals auch Latinus, that wie Alle zu thun pflegten 
und hörte eine Stimme aus dem Gipfel der Bäume, welche ihm 
seine Tochter nicht dem Turnus zu geben, sondern für den Fremd- 
ling aus weiter Ferne aufzubewahren befahl. Ein andrer Dichter, 
Calpurnius Ecl. I, 8 ff., weifs von einem Buchenhain des Faunus 
mit einer Höhle, in welche nur Enthaltsame gehn durften und in 
deren Nähe die Hirten die Orakel des Faunus in die Stämme der 
Buchen eingeschnitten fanden, während Fronto de eloq. p. 85 [Nieb. 
146 Nab.] die Faune im Allgemeinen vaticinantium incitatores nennt. 
Daher die bekannte Ableitung alles ältesten Gesanges, welcher immer 
religiösen und oraculösen Inhaltes oder Zaubergesang ist und in 
Italien dieses sehr lange blieb, von Faunus oder den Faunen; aus 
welchem Grunde auch das Versmaafs solcher Gesänge und über- 
haupt der alten und nationalen Dichtung das Faunische hiefs 
oder das Saturnische 1 ), denn Saturnus gehörte in Italien eben 
so wesentlich zu dem Bilde der mythischen Vorzeit als Faunus. 
Wie eben dieser Faunus als Geist der Inspiration in verschiedenen 
Ueberlieferungen als ältester Religionsstifter von Latium erscheint 
und als solcher sogar neben Numa genannt wurde, haben wir oben 
S. 105 gesehen. 

Nächst dieser weissagenden Natur wird auch in den römischen 
Gebräuchen und Legenden am meisten hervorgehoben die Kraft der 
Befruchtung, so namentlich in der Mythe vom Faunus und der 
Fauna d. h. der Guten, der Holden, der deutschen Frau Hulda, 
der römischen Bona Dea, welche bald die Tochter bald die Frau des 
Faunus heifst und von ihm in Gestalt einer Schlange befruchtet wird, 



») Ennius Ado. v. 221 scripsere aUi rem vertibus quos olim Fauni vatesque 
canebant etc., wozu Varro 1. 1. VII, 36 bemerkt: hos (Faunos) vertibus quo* 
vocant Saturnio* in silvestribus locis tradiium est solitos fori futura^ a quo 
Jando Faunos dictos, eine beliebte, aber falsche Etymologie. Vgl. Fest. p. 325 
Sa türm», Mar. Victorin A. Gramm. Dl, 18 [Gramm. Latin i 6, 139], Placid. Gl. 
p. 463 [44 D.j. Alte Propheten, welche Apollinis operta d. h. donkle Sprüche 
der Weissaguog, in solchen Versen gesungen hatten, waren Marcius und 
Poblicius, s. Cic. de Divin. I, 50, 115, II, 55, 113. [Ueber Cn. Marcius vates 
vgl. oben S. 5 und 304: er verdient nach den ungenügenden Behandlungen 
von Goicherit (Leiden 1846) und Havel (De Saturnio 270 ff. 415 ff.) eine kri- 
tische Untersuchung.] 



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FAUOJUS UM) FAUNA. 



385 



aber auch F a t u a genannt wurde 2 ) weil sie wie Faunus zugleich für wo 
weissagerisch galt, für eine sibyllenartige Göttin der ekstatischen 
Begeisterung und Wahrsagung, auch des Gesanges und Zaubers. Wir 
werden auf den Cult dieser alten, in Italien unter verschiedenen 
Formen und Namen verbreiteten Göttin zurückkommen, indem wir 
hier nur noch auf die alterthümliche, der griechischen Natursymbolik 
nahe verwandte Bildersprache hinweisen, in welcher die oft erzählte 
Legende vom Faunus und der Fauna oder Bona Dea (s. dort) sich 
ausdrückt. Nehmlich die Myrtenzweige, mit welchen Faunus die 
Fauna streicht, waren sicher ursprünglich nur ein Bild der Befruch- 
tung, welche im Frühlinge von dem schöpferischen und zaubernden 
Geiste der Berge und Wälder ausgeht und in der jungfräulichen 
Erde einen neuen Trieb zu allem Wachsthum erweckt. Eben so der 
Genufs des Weins, mit welchem er sie trunken macht, denn nun 
beginnen die Quellen wieder zu strömen und die Blätter zu rauschen 
und die ganze Natur wird von jenem trunknen Taumel der Liebe 
ergriffen, welcher auch der ekstatischen Gemüthsverzückung, die man 
beiden, sowohl dem Faunus als der Fauna zuschrieb, ganz nahe ver- 
wandt ist. Endlich die Schlange, in deren Gestalt Faunus der Fauna 
beiwohnt, wie in den griechischen und phrygischen Mythen Zeus der 
Proserpina oder der Bhea, kann nach der Analogie der gewöhnlichen 
italischen Symbolik (S. 87) nichts Anderes sein als ein Bild des 
schaffenden Genius und der ewigen Verjüngung und Erneuerung des 
Jahres, wie das Gefühl für dieselbe denn grade in den römischen 
Culten der Luperealien und des Opfers der Bona Dea mit fast auf- 
fallender Lebendigkeit sich ausdrückt. 

Ei nl lieh wurden Faunus oder die Fauna auch sehr häufig in 
den mythischen Ueberlieferungen von der ältesten Vorzeit genannt 
und zwar in zwiefacher Weise, entweder so dafs Faunus als König 
der ältesten Landesbevölkerung und als Stammvater seiner Könige 
und Edlen selbst Bildung und Ordnung stiftet, oder dafs die Faune 
und Nymphen nur die Staffage einer mythischen Vorzeit sind, welche 
im Allgemeinen der griechischen Tradition von eichelessenden Pelas- 
gern entspricht. Doch finden sich in solchen Erzählungen zugleich 
gewisse Vorstellungen von dem Ursprünge des menschlichen Ge- 



*) lastin. XLII1, 1 Fauno fuit uxor nomine Fatua, quae assidue dhino 
spirüu impleia velut per furorein futura pruemonebat; unde adhuc qni inspi- 
rari solent fatuari dicuntur. Vgl. Serv. V. A. VII, 47 u. A. 

Preller, Rom. Mythol. I. 8. Anfl. 25 



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386 



VIERTER ABSCHNITT. 



schlechts aus dem Walde und aus Bäumen angedeutet 1 ), welche wie 
84i in andern Ländern, so auch in Italien wirklich volksthümlich gewesen 
sein müssen. Auch werden sie durch alterthümliche Geschlechts- 
sagen z. B. die der albanischen Silvier bestätigt, während andre 
Genealogieen und Stammsagen direct auf Faunus zurückgehn, der 
in den alten italischen Ueberlieferungen überhaupt sehr oft die Rolle 
eines ersten Erzeugers gespielt zu haben scheint 9 ). Noch andre 
Ueberlieferungen nannten die Faune und die Aboriginer d. h. die 
italischen Autochthonen als so nahe Verwandte, dafs beide darüber 
zu einem herkömmlichen Bilde für die rohe und naturwüchsige Urzeit 
geworden sind 8 ). Dahingegen sich in Latium solche Sagen zu der 
Tradition von jenem Aboriginerkönige Faunus, dem Sohne des Picus, 
verdichtet hatten, welcher für einen sehr weisen und verdienten 
König galt, der nach seinem Tode zum Schutzgott des Landes nach 
Art der Indigeten geworden war und als solcher durch Opfer und 
Gesänge verherrlicht wurde 4 ). Wenn man ihn in Lavinium den 
Gemahl der für identisch mit der Circe gehaltnen Nymphe Marica 
nannte, so waren diese Nymphen und Göttinnen wohl nur verschie- 
dene Localformen der einen Fauna oder Bona Dea. 

Auch der Cultus des Faunus war meist ein sehr alterthümlicher 
gebheben, da er mit seltenen Ausnahmen im freien Felde verehrt 
wurde, entweder in Höhlen oder in Hainen und durch heilige Bäume, 
z. B. den wilden Oelbaum an der laurentischen Küste, an welchem 
nach Virgil Aen. XII, 766 die SchifTer nach glücklicher Rückkehr 
ihre Kleider dem guten Schutzgeiste der Heimath zu weihen pflegten. 
Auf dem Lande scheint man ihm monatlich ein Opfer dargebracht 
zu haben, obwohl ihm speciell die Nonen des December heilig waren, 
ein ländliches Fest beim Eintritt des Winters, worüber bereits nach 



') Virg. Aeo. VIII, 314 Haec nemora indigenae Fauni Nymphaeque tene- 
bant gensque virum truncis et duro robore nata etc. luvenal Sat. VI, 11 
Quippe aliter tutic orbe novo caeloque recenti vivebant homines, qui rupto robore 
nati compositive luio nullos habuere parentes. Vgl. Griech. Myth. 1, 57 [= 63, 
3. Aufl.]. 

») Vgl. Virg. Aen. X, 550, Sueton Viteil. 1 und die Sage vom umbrischen 
oder etruscischen Ocnus b. Silius lt. V, 7, vgl. Virg. A. X, 197 und Müller 
Etr. I, 132, II, 274. 

») Gell. N. A. V, 21, XIII, 9. 

4 ) Dionys I, 31, vgl. Prob. z. Virg. Ge. I, 10, lustin XLIH, 1, Aurel. 
Vict. 4 u. A. 



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FAUNUS UND FAUNA. 



3S7 



Horaz berichtet ist 1 ). In Rom dagegen war das alte und alterthüm- 
liche Fest der Lupercalia am 15. Februar, also bei der Annäherung 342 
des Frühlings, der Verherrlichung des söhnenden und befruchtenden 
Lupercus gewidmet, dessen Heiligthum in der bekannten Höhle am 
Palatinischen Hügel, das sogenannte Lupercal, für das älteste aller 
Heiligthümer auf städtischem Grund und Boden gehalten wurde 2 ). 
Es war eine Höhle nach Art der griechischen Panshöhlen, dieselbe 
in welcher der Sage nach die Wölfin des Mars die Zwillinge stillte. 
Einst hatte sie, von mehr als einer Quelle tropfend, in einem dichten 
Gebüsch alter und heiliger Bäume gelegen, später war sie in einem 
der belebtesten und glänzendsten Quartiere der grofsen Stadt nur 
noch das alterthümliche Merkmal und Wahrzeichen einer Zeit, wo 
Hirten und Räuber, wilde Thiere und die Fluthen des Tiber sich 
um die Wiege der künftigen Weltstadt stritten 3 ). Die gewöhnliche 
Ueberlieferung war dafs unter jenem Aboriginerkönige Faunus der 
arkadische Evander an die latinische Küste verschlagen wurde und 
vom Faunus freundlich aufgenommen auf dem Palatinischen Hügel 
das sogenannte Palatium gestiftet, an seinem Abhänge jene Höhle 
dem lykäischen Pan seiner Heimath geheiligt habe, demselben welchen 
die Römer später Lupercus und Inuus nannten 4 ). Indessen ist schon 
von Andern bemerkt worden dafs dieser Evander nur eine griechische 

: ) Probus 1. c. Eundetn Pana, eundem Inuum, eundem Faun um quidam 
interpretantur , quud ei in Italia quidam annuum surr um celebrant, quidam 
mensfruum 'Auch im Frühliug wurde dem Faunus allgemein auf dem Lande 
geopfert, s. Horat. Od. I, 4, 1 1 und Calporn. Ecl. V, 26'. [P. in den Berichtig, 
und Zus. d. 1 A. Doch s. oben S. 380, 1.] 

») [Ausführlich G. F. üoger, Die Luperealien, Rhein. Mus. 1880, 50 ff., 
welcher aufser anderem besonders die Götter des Festes Betreffendem (oben 
S. 380, 4) nachzuweisen versucht, dafs das Fest in der von Livius in der 
2. Dekade behandelten Epoche aus einem palatinischen Bezirksfest zu einem 
Stadtfest geworden sei.] 

») Dionys I, 32. 79 vgl. meine Regionen der St. R. S. 187 ff. [und die 
Nachweisungen bei Jordan Top. 1, 1, 451 A. 77. 454 f.] Bei Virg. Aen. VIII, 
630 fecerat et viridi fetam Mavortis in antro proeubuisse lupam, geminos huic 
ubera circum ludere pendeniis pueros etc. ist zu verbinden Mavortis lupam. 
Faunus ist in der Geschichte der Zwillinge Faustulus, die Wölfin Acca La- 
rentia, welche auch Lupa genannt wird, oder Fauna d. i. in diesem Culte 
Luperca, s. Arnob. IV, 3 quod abiectis infantibus pepercit lupa non mitis, 
Luperca dea est auetore appellata Varrone. Lactant. I, 20, 1 Romuli nutrix 
Lupa honoribus est affecta divinis. 

*) Liv. I, 5, vgl. Ovid F. V, 99, Serv. Georg. I, 10, Schwegler R. G. 
1, 351 ff. 

25* 



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3S8 



VIERTER ABSCHNITT. 



Maske des allen latinischen Nationalgottes Faunus ist, der hier seine 
Heiligthümer selbst stiftet so gut wie der römische Hercules selbst 
den Dienst seiner ganz in der Nähe gelegenen Ära Maxima und in 
andern Cultusül>erlieferungen andre Götter. Dem Lupercal entspricht 
die Feier der Lupercalia *) , dessen alterlhümliche, in Rom immer 
mit grofser Lust und Liebe gepflegte Gebräuche auf Befruchtung 
und Sühnung des Landes, der Stadt, ihrer Einwohner und ihrer 
343 Heerden deuten. Als Tag der Sühnung hiefs dieser Festtag dies 
februatus von februare in der Bedeutung reinigen und sühnen, 
daher der ganze Monat Februarius seiuen Namen bekommen hatte 2 ). 
Für die Festfeier d. h. für die Tradition und Verrichtung der her- 
kömmlichen Gebräuche bestanden seit unvordenklicher Zeit zwei 
Collegien oder Sodalitäten sogenannter Luperci, der Fabiani und 
Quintiliani, welche diese Namen nach ihren mythischen Stiftern und 
Anführern angenommen hatten und meist junge Leute waren: ver- 
um thlich bestand jedes Collegium aus 12 Mitgliedern 8 ). Die Feier 
begann mit einem Bocksopfer im Lupercal, bei welchem der Flamen 
Dialis zugegen war 4 ) und auf welches wie gewöhnlich ein Opfermahl 
folgte. Bei dem Opfer beobachtete man den bedeutungsvollen Ge- 



») Dionys I, 32, Ovid F. II, 267 ff., Plut. Rom. 21, Kai. Maff. und Farnes, 
z. 15. Febr. [C. I. L. 1 p. 386.] 

*) Varro I. 1. VI, 13. (vgl. 34) Reo; (Sacrorum) quom Jerias menstruas 
Koni* Februariis edicit (S. 157), hunc diem februatum appellat. Februum 
Sabini purgamentum , et id in sacris nostris vcrbum, nam et Lupercalia fe- 
bruatio, ut in Antiquüatum libri* demon*travi. Vgl. Ovid F. II, 19 ff. 

8 ) Ich folgere dieses aus Arnob. V, 1, wo die zwölf casti iuvenes, die 
den Picus und Fauous an der Quelle greifen, höchst wahrscheinlich die Luperci 
sind. Ueber die Fabiani und Quintiliani s. Paul. p. 87, Orelli n. 2253 ff. und 
Marquardt Handb. IV, 400 ff. Die Fabiani entsprechen der gens Fabia, die 
Quintiliani der albanischen gens Quinlilia. Auf gewisse Vorzüge der Fabii 
oder Fabiani beim Opfer deutet Ovid F. II, 371 ff. , vermuthlich waren die 
Quintiliani von späterer Stiftung. In der populären Tradition galten Romulus 
und Remus für die Stifter der beiden Haufen. [Doch bedarf der Gegenstand 
auch nach Henzen's Berichtigungen Annali 1863, 279 f. (dem Marquardt Ver- 
waltung 3, 422 f. folgt) erneuter Untersuchung. Unger Rh. Mus. 1880, 55f. 
meint die Fabii und Quintilii seien wegen ihren omiuösen an februare und 
quinquare erinnernden Namen zur Vorstandscbaft der Gilden gelangt.] 

4 ) Varro 1. 1. V, 85, VI, 13 Luperci quod Lupercalibut in Lupercali sacra 
faäunt. Ovid F. II, 280 und Serv. V. A. VW, 343 sub monte Palatino est 
quaedam spelunca, in qua de capro luebatur i. e sawificabatur, Wide et Lu- 
percal dictum nunnulli putant: eine falsche Etymologie, deren auch Quintil. I, 
5, 66 gedenkt. 



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FAUMJS UND FAUNA. 



3S9 



brauch, dafs zwei Jünglinge vornehmer Abkunft herbeigeführt und 
von den Opferern mit blutigem Messer an der Stirne berührt wurden, 
worauf Andre das Blut mit in Milch getränkter Wolle gleich wieder 
abwischten, die Jünglinge selbst aber lachen mufsten: entweder ein 
sinnbildlicher Act der Sühnung durch das Blut des Opfers oder eine 
Erinnerung an ältere Menschenopfer. Nach dem Mahle umgürteten 
sich die Luperci mit den Fellen der geopferten Böcke, zerschnitten 
andre in Riemen und liefen so zunächst um die Palatinische Altstadt, 
namentlich auf der heiligen Strafse auf und ab, dann über das Forum 
und überhaupt durch die Stadt, bis auf jene Umgürlung völlig nackend, 
in welcher Weise auch das Bild des im Lupercal verehrten Faunus 
costümirt war 1 ). Das römische Volk nannte die Luperci wegen 
dieser Bekleidung creppi d. i. Böcke, mit einer noch jetzt in Rom 344 
und Neapel gewöhnlichen Lautverschiebung für capri*). Das Herum- 
laufen der Luperci und ihr Gostüm erklärte man sich auf verschiedne 
Weise; der wahre Grund liegt auch hier in den Ideen der Reinigung 
und Befruchtung, welche durch den Umlauf der mit den Fellen der 
geopferten Böcke Bekleideten und die Berührung der Begegnenden 
mit den daraus geschnittenen Riemen durch die ganze Stadt getragen 
werden sollte 8 ): wobei sowohl die verwandte Bekleidung und die 
ähnlichen Gebräuche der Iuno Sospita von Lanuvium (S. 277. 380, 4) 
als die Gebräuche der Griechen bei der Sühnungsfeier des Zeus mit 
dem sogenannten Zeus-Vliefse {Jioq xoidiov), endlich jene Anwen- 
dung der Felle beim Traumorakel des Faunus verglichen werden 
können. Auch wird in einer leider nicht in allen Punkten verständ- 
lichen Stelle bei Varro 1. 1. VI, 34 ausdrücklich gesagt, dafs an dem 
dies februatus das Volk durch einen sühnenden Umlauf der luperci 
um die Palatinische Altstadt gereinigt sei 4 ), so dafs also nach dem 



') lastin XL111, l Ipsum dei simulaerum nudum caprina pelle amictum 
est, quo habüu nunc fiomae Lupercalibus decurrilur. 

*) Paul. p. 57. So sagten die Bauern fibra für herba, Nigid. Fig. p. 22 
Hertz, und nach Placid. gl. sagte man dracumis für lacrimis, frestram 
für feoestram. 

*) Ovid P. II, 31 Mensis ab his dictus, secia quin pelle luperci Omne 
solum lustrant idque piainen habent. Vgl. ib. v. 281 IT., Plut. Rom. 21, 
Varro b. Augnsti» C. D. XVIII, 12 und 17, welcher in dem Auf- und Ablaufen 
der luperci anf der Sacra Via eine Beziehung auf die Deucalionischc Fluth zu 
finden glaubte. 

4 ) Quod tum februaiur poptdus i. e. lupercis nudis lustratur antiquom 
oppidum Palatinum gregibus humanis cinctum y wo die greges homani wohl 



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VIERTER ABSCHNITT. 



Opfer im Lupercal zunächst der Umlauf um diesen Theil der Stadt 
und darauf erst der discursus durch die übrigen Theile erfolgte: bei 
welcher Gelegenheit von den Frauen der bekannte Gebrauch beob- 
achtet wurde, sich den lupercis in den Weg zu stellen und sich 
von ihnen mit den Riemen der dem Faunus geopferten Böcke in 
die Hache Hand schlagen zu lassen 1 ). Immer galt der Bock und 
Widder ganz vorzugsweise für das Thier des befruchtenden Triebes, 
345 bei den Griechen im Gülte des Hermes und der Aphrodite, bei den 
Körnern in dem des Faunus und der Iuno Lucina (S. 273); daher 
die Luperealien bisweilen ausschliefslich auf die Verehrung des Inuus 
und auf Befruchtung bezogen wurden. Aufser den Böcken wurden 
auch Hunde geopfert 3 ), welches Thier wie bemerkt wegen seiner 
feinen Witterung dem dämonischen Wesen des Faunus zu entsprechen 
schien. Endlich war mit diesen alten sinnbildlichen Gebräuchen allerlei 
volkstümliche Lust und Kurzweil verbunden, wie sie sich bei einem 
solchen Aufzuge der meist jungen Männer, wenn sie halb nackend 
und halb thierisch, von Salben triefend und aufgeregt von Wein 
und ausgelassener Festlust durch die Stadt liefen und die Frauen 
ungestraft necken durften, natürlich von selbst einstellte 3 ). Im J. 45 
nach der Rückkehr Casars aus Spanien wurde ihm zu Ehren eiu 



nach Analogie des sacrificium humanuni Panl. p. 103 von Sühnopfern und das 
cingere wie cireuire, also der ganze Ausdruck von lustrirenden Umzügen zu 
verstehen ist. Vgl. Dionys I, 80 r\vixa ixw* *oi>s neol to Ilalavnov 
oixovvrac rwv vtüiv Ix toi Avxatov je^vxotas ntoiek&eTv doopat inv 
xüfirjv yvpvove, vnt&oOfitvovs rrjv ctlStü itag öoquis twv veo&VTtov. xovro 
ö*k xadaofiov iiva JtSv x(o[xi)T(ov naxoiov ttiuvaro, wc xal vvv ht öqüjch. 
Mommsen CLL. 1 p. 364 vermutbete a regibus Romanis moenibus einet um: 
alleiu von dem Bau durch mehrere reget weifs die Ueberlieferuog nichts, wie 
Jordan Top. 1, 1, 162 bemerkte, und Varro konnte also auch nicht die Frage, 
♦welcher einzelne König das einzelne Mauerstück gebaut habe', wie jetzt 
Mommsen Forsch. 2, 39 zum Schutz seiner Conjectur annimmt, als eine au 
dieser Stelle nicht zu erörternde bezeichnen: sie existirte nicht. 'Scurril' 
(wie derselbe wiederholt sagt) ist die Bezeichnung 'Menschenheerden' garnicht. 
Menschen, die durch Einhüllung in Thierfelle die betreffenden Thiere nach- 
ahmen, wollen eben den Thieren gleichen: die luperci sind während der 
Ceremonie 'Wölfe', wie die Mädchen an den Brauronien 'Bären', aoxrot.) 

») Iuvenal Sat. II, 142 nec prodest agili palmas praebere luperco. Vgl. 
Plut. Rom. 21, Cacs. 61, Serv. V. A. VIII, 343, Paul. p. 85 Februarius. 

') Plut. Rom. 21, Qu. Ro. 68. 

8 ) Liv. I, 5 ut nudi iuvenes — per ludum et laseiviam eurrerent. Vgl. 
Cic. Philipp. XIII, 15, Plut. Anton. 12. 



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FAUNUS UND FAUNA. 



391 



drittes Collegium der Luperci Iuüi gestiftet, und diese waren es 
welche ihm bei der Luperealienfeier des nächsten Frühlings durch 
ihren Vorstand Antonius, der damals Consul war, auf offnem Markte 
das Diadem anboten *) : eine verhängnifsvolle Auszeichnung, denn vier 
Wochen darauf fiel Cäsar unter den Dolchen seiner Mörder. Um den 
Ausartungen der letzten Vergangenheit zu steuern, stellte August das 
sacrum Lupereale und das alte Heiligthum wieder her, indem un- 
bärtigen Jünglingen für die Zukunft die Theilnahmc an dem Um- 
laufe verboten wurde 2 ). Das volkstümliche Fest und die Collegien 
der Luperci haben sich bis in die letzten Zeiten des römischen 
Heidenthums behauptet 3 ). 

Aufser dem Heiligthume des Faunus im Lupercal gab es wahr- 
scheinlich noch ein andres sehr altes in jener Gegend am Aventin, 
wo Numa mit seinen Jünglingen den Picus und Faunus beschlichen 
hatte. Endlich hatte man im J. 558 d. St. (196 v. Chr.) von Straf- 
geldern dem Faunus auf der Tiberinsel einen Tempel erbaut, welcher 
zwei Jahre darauf eingeweiht wurde 4 ). Derselbe lag auf der obern 
Spitze der Insel, von wo der alte Wald- und Weidegott denn wenig- 
stens den frischen Duft der raschen Strömung des Flusses einathmen 
und sich nach seinem Ursprünge in den blauen Bergen der Ferne 34« 
aus der geräuschvollen Stadt hinaus sehnen konnte. Die Bildung 
des Faunus wurde gewöhnlich wie die des griechischen Pan, die des 
Geschlechts der Faune wie die der Panisken gedacht, oder auch wohl 
wie die des Silenos und Marsyas. Wenigstens ist zu vermuthen, 
dafs die Maske oder das Bild des Silenos auf den Münzen ver- 
schiedner Städte Italiens, namentlich auf denen von Hatria, die auf 
dem Reverse den schlafenden Hund zeigen, den einheimischen Faunus 



») Dio Cass. XLIV, 6, Sueton Caes. 76. 79, Plut. Caes. 61, Anton. 12. 

9 ) Sueton. 31, Mon. Ancyr. IV, 2. [Vgl. das Efarendecret für den jüngern 
Drusus C. 1. L. 6, 912a 9 (vgl. Addenda), wo wahrscheinlich [statuat] in 
iupercali p[oueretur) zu schreiben ist S. Jordan Jahresb. über Top. bei 
Bursian Fortschr. 1875 S. 778.] 

') Noch unter Papst Gelasius (492—496) wurden die Luperealien gefeiert, 
vgl. Büdinger in den N. Jahrbüchern f. Philol. 75, 201 [Marquardt Verwaltung 
3, 117.] 

4 ) Liv. XXXIII, 42, XXXIV, 53. Das Opfer wurde an den Idus des 
Februar gebracht, zwei Tage vor den Luperealien, Ovid F. II, 193. Vitruv. 
III, 2, 3 spricht von einer aedes lovis et Fauni. [Vgl. Jordan in Comment. 
philol. in hon. Mommseni p. 359 IT.] 



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392 VIERTER ABSCHNITT. 

bedeutet 1 ). Auch die Erzählungen von dem phrygischen Könige 
Marsyas am Fuciner See, von welchem die Marser ihren Namen und 
die Kunst der Weissagung ableiteten 9 ), sind wohl nur ein spaterer 
Ausdruck für den einheimischen Faunusdienst. 

5. Silvanus. 

Silvanus entspricht in allen wesentlichen Punkten dem Faunus, 
nur dafs seine Thätigkeit mehr auf das eigentliche Waldleben be- 
schränkt bleibt 8 ), dafür aber auch das älteste Ansiedler- und Dorf- 
leben im Walde und die durch den Wald gezogenen Grenzen mit 
umfafst und behütet; was diesem Gottesdienste in culturgeschicht- 
licher Hinsicht ein besondres Interesse verleiht. Wie Faunus ist er 
ein guter Geist, gelegentlich aber auch ein Spukgeist des Waldes, der 
in diesem haust, gelegentlich aus demselben wie Faunus einen mark- 
erschütternden Ruf ertönen läfst, bei nächtlicher Weile die Kind- 
betterin im benachbarten Gehöfte beschleicht u. s. w. Auch ist er 
wie Faunus ein Gott der Fluren und des Viehstandes 4 ), obwohl er 
nicht wie dieser als mächtiger Naturgott auch auf die befruchtenden 
Kräfte überhaupt und auf die Gemüthserregung wirkt, sondern immer 



*) [Ueber ein angebliches Bild des Faunus — mit Strahlenkrone, r. Füll- 
horn, 1. Keule, ein Thierfell über die 1. Schalter geworfen — s. Reifferscheid 
in der oben S. 379, 1 a. Abhandlung.] 

») PHn. H. N. III, 108 — Solin. 2,6, Sil. Pan. VIII, 503, Serv. V. A. 
III, 359. 

») [Ueber Silvanus mit Bezug auf die Bildwerke vgl. Reifferscheid Annali 
1866, 210, welcher in dem Typus des Silvanus den Typus des Juppiter wieder- 
zuerkennen glaubt (worüber oben S. 195, 1). Unter den seither hinzugekommenen 
ist das Bull. arch. munic. 2 T. XIX veröffentlichte (vgl. das Berliner Relief 
Annali 1866 T. d'agg. 1, 1, beide durch die Inschrift gesichert) wegen der 
Deutlichkeit der Attribute besonders merkwürdig. Vgl. das. P. E. Visconti 
S. 183 ff. Die von P. für die Identität von Faunus und Silvanus a. Stelle 
der sogenannten Origo gentis Rom. 4 bat keine Beweiskraft. Vgl. Jordan 
Hermes 3, 408 ff. — Das kaum übersehhare neue inschriftliche Material lehrt 
wenig iNeues.] 

4 ) Virg. Aen. VIII, 600 arvorum pecorisqne deo. [P. fügte noch hinzu 
'und Wolfsabwehrer', jedoeh mit Bezug auf die verdorbene Stelle des Lucilius 
bei Non. p. 110 luporum exauctorem malvanum et fulgirtatem arborum, 
deren Anfang Lachmann V. 555 lucorum exactorem Jlbanum, L. Müller 
XXXVI, 74 lutrarum exactorem schreibt. Lipsius hatte Süwnum hinein- 
gebracht (vgl. Dousa zu XXVI, 57): die Stelle ist noch nicht sicher her- 
gestellt.] 



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SILVANUS. 



393 



nur um das eigentliche Wald- und Baumleben und um das mensch- 
liche Treiben nur soweit es davon berührt wird sich bekümmert. 
So war auch sein gewöhnliches Bild das eines struppigen Alten, der 
im Dickicht wohnt, wo er mit den Faunen die Fichten und Stein- 
eichen behütet und von Bauern und Hirten an einem ländlich ein- 
fachen Altare mit dem Opfer eines Schaafbocks oder eines Schweines 317 
verehrt wird 1 ), oder das eines rüstigen Alten, welcher mit einem 
derben Knittel in der Hand erscheint, gleich dem wilden Mann mit 
dem entwurzelten Tannenbaum auf dem Wappen mehrerer Fürsten 
Niederdeutschlands, das Haupt mit Waldblumen bekränzt 2 ): ein 
Freund der Heerden und der Hirten und selbst hin und wieder als 
weidender Hirte gedacht 3 ), auch ein Freund der Jäger, deren einer 
ihm in England ein bleibendes Andenken gestiftet hat 4 ). Oder man 
dachte sich ihn als sorglichen Pflanzer und Forstmann, welcher einen 
zarten Setzling an der Wurzel tragend durch den Wald geht und 
auf alle jungen Stamme Acht hat 6 ), ein Gott der Bäume, der Haine, 
auch der menschlichen Anpflanzungen und Gärten, daher sein Bild 
auch in den Hainen der Götter und in den Gärten der Menschen 
gewöhnlich zu finden war, meist in der allereinfachsten und primi- 
tiven Form wie sie sich aus dem Baumcultus unmittelbar entwickelt 



») Horat. Od. III, 29, 22 horridi dumeta Silvani. Martial. X, 92, 5 semi- 
docta villici manu structas tonantis aras horridique Silvani, wo tonans sein 
schallendes KulYn im Walde ausdrückt, s. Liv. II, 7. Vgl. luven. VI, 447. 

*) Virg. Ecl. X, 24, vgl. Georg. II, 494, Grat. Falisc. Cyneg. 20. [Mit 
einem Kranz von Pinienzweigen im Haar, einem Pinienzweige in der Linken, 
die zugleich einem um den Hals gehängten mit Früchten gefüllten Thierfell 
als Stütze dient, in der R. ein Gartenmesser (vgl. Benndorf und Scböoe La- 
teran N. 297), zur Seite den Hund, erscheint er auf dem neuerdings ge- 
fundenen Relief (S. 392, 3) und ähnlich auch sonst. Einen Pinienkranz trägt 
auch der lateranensische Kopf bei Benndorf und Schöne IN. 141, vgl. das 
Mosaik von Ostia daselbst 551, wo den Kranz 'ein bläulicher ins grünliche 
spielender Nimbus' ersetzt. Vgl. auch die Beschreibung der Bildwerke 
C. I. L. 6, 583. 640. 658. 666 (wo zur Seite als Opferthier ein Schwein, 
wie bei Hercnles, erscheint). 672. Irrig wird öfters statt des Hundes der 
Wolf angegeben.] 

') Vgl. die Inschrift aus der Gegend von Capistrano in den Abruzzen b. 
Henzen n. 5751 Magne Deus Silvane potens, sanetissime pastor. 

4 ) S. die Inschrift aus Stanhope [Widmung eines Reiterofßciers] bei Or. 
n. 1603 [= C. I. L. 7, 451] Silvano Invicto sacrum — ob aprum eximae formae 
eaptum, quem muüi antecessores praedari non potuerunt. 

8 ) Virg. Ge. I, 20 und dazu Servios. 



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394 



VIERTER ABSCHNITT. 



hatte 1 ). Alle derartige Pflanzungen auf dein Felde oder die Lich- 
tungen im Walde, wo ein kühles Laubdach, eine schattige Grotte, 
eine murmelnde Quelle in der Mittagshitze den Hirten lockte 2 ) oder 
am Abend die Dorfjugend versammelte oder bei ländlichen Festen 
die Umzüge zur Ruhe einlud, wurden von selbst zu geweiheten 
Statten des Silvanas, der eben dadurch, als stiller Theilnehmer so 
vieler menschlicher und ländlicher Leiden und Freuden, allen Land- 

• 

und Dorfbewohnern nicht weniger nahe stand als die Laren, Ceres, 
Liber Pater, Pales und andre Götter. Daher Silvanus überall zu 
848 den Göttern des ländlichen Gottesdienstes gehörte und namentlich 
bei den Erndtefeierlichkeiten immer mit bedacht wurde, sowohl von 
dem Ackersmann als von dem Winzer und dem Baumzüchter 8 ). 
Elien dieses gemüthliche Verhältnifs des Silvanus zur menschlichen 
Ansiedlung und die grofse Ausdehnung der Wälder im alten Italien 
machten ihn zugleich zu einem Gotte der Grenzen und des Grund- 
eigenthums, sowohl in öffentlichen als in privaten Besitzungen, was 
diesem Gölte vollends eine grofse Popularität verliehen hat, so dafs 
namentlich die Inschriaen und örtlichen Denkmäler seiner aufser- 
ordentlich oft gedenken. Die Waldgrenzen sind überall die ältesten 4 ), 
daher die Waldgötter nothwendig zu den Grenzgöttern gehören, vor 
allen Silvanus, dem man also im alten Italien auf der Grenze eine 
Lichtung (lucum) zu weihen und damit die Grenze selbst unter seinen 
Schutz zu stellen pflegte; vgl. die schöne Schilderung Virgils Aen. 
VIII, 596 fT. von einem solchen Heiligthurae des Silvanus bei Caere, 
welches die ersten Ansiedler dieser auf der Grenze von Latium und 
Etrurien gelegenen Gegend geweiht hatten, am kühlen Strome einen 

V) Die In sehr. b. Or. n. 1613 Silvane sacra semicluse fr cur in o El huitis alti 
summe custos hortuli. Vgl. das simulacrum Silvaiii unter dem alten Feipenbaum 
vor dem T. des Saturous in Rom, Plin. XV, 77. [Haine des S. in Rom? unten 
S. 396, 2. Characteristisch die Bildwerke eines Silvanaltars C. I. L. 5, 7704: 
auf den Seitenflächen ,animal in rupe iacens' — ,arbores', unter der lnschr. 
Silvan in gewohnter Gestalt. — Widmung der sectores matcriarum an Sil- 
vanus zu Aquileja (das. 815), wo auch zahlreiche Widmungen an Silvanus 
Augustus vorkommen.] 

2 ) Prop. V, 4, 3 ff. 

8 ) Vgl. Virg. Ge. I, 20, Horat. Epod. 2, 17 ff,, Ep. II, 1, 139 ff., Or. n. 1612, 
wo Liber, Silvanus und Hercules, auch ein Gott des ländlichen Segens, zu- 
sammen genannt werden. 

«) Vgl. über die Waldgrenzen im deutschen Alterthum J. Grimm in den 
Abh. d. Berl. Akad. 1843 S. 111 und 116 ff. Ein Waldgeist haut die Grenze 
zwischen Schweden und Rußland, Ders. D. Myth. S. 455**). 



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SILVANUS. 



395 



weiten, durch alten Glauben geheiligten Hain, der von ausgeschweiften 
Hügeln und einem dichten Tannengehölz umkränzt war. Im Walde 
d. h. auf ausgerodeten Plätzen siedelten sich aber auch die einzelnen 
Gehöfte zuerst an, denn auch in Italien hat die Axt des Hinter- 
wäldlers lange der Cultur der Dörfer und Städte vorarbeiten müssen; 
ja das Andenken und die Ueberlieferungen aus diesen entlegenen 
Zeiten scheinen sich grade im alten Italien, wo die Kernvölker im 
Gebirge so lange als möglich in Dörfern und selbst die Römer am 
liebsten auf dem Lande lebten, besonders lebhaft erhalten zu haben. 
Daher der Cultus des Silvanus auf jedem italischen Bauernhofe, 
worüber eine merkwürdige Stelle in den Schriften der römischen 
Feldmesser (Grom. vet. p. 302) näheren Aufschluß giebt. Seine all- 
gemeine Bedeutung war auch hier die des Grenzgottes, welcher 
gleichsam von seinem Gebiete, dem Walde, zuerst das Stück zur 
Rodung hergegeben und auf derselben den ersten Grenzstein des 
neugewonnenen Grundstücks aufgerichtet hatte. Doch pflegten auf 
jedem Grundstücke (possessio) drei verschiedene Silvane unter ver- 
schiedenen Benennungen verehrt zu werden: 1) der domesticus, 349 
welcher für Haus und Hof Sorge trug, 2) der agrestis, welchem die 
Heelden und die Hirten anempfohlen wurden, und 3) der orientalis 
d. i. der Silvanus der Grenze im engeren Sinne, der tutor finium, 
wie Horaz Epod. 2, 22 ihn nennt, dem auf der Grenze verschiedner 
Grundslücke, deren Marken von dort ausgingen (oriebantur), ein 
eigner Hain geweiht zu werden pflegte 1 ). So vielseitig hatte sich 
also das Wesen dieses einfachen und alterthümlichen Waldgeistes mit 
der Zeit gestaltet; daher ihm auch die Inschriften sehr verschiedne 
Beinamen geben, meistens um ihn im Interesse des ländlichen Eigen- 
thums um seinen Segen und um seinen Schutz zu bitten. So 
nennen auch sie ihn domesticus, aber auch casanicus oder 
vilicus, oder auch als den Schutzgott eines bestimmten Grundstückes 
mit dem Namen desselben oder seines Eigenthümers. Oder sie 
nennen ihn conservator und custos d. h. Bewahrer und Mehrer des 
Gutes; ja noch mehr, er ist auch Behüter aller zum Hofe gehöriger 
Leute, vor allen des Herrn, daher salutaris und ein guter Schutz 
auf der Reise, indem er für eine fröhliche Heimkehr zum heimischen 



*) Orientalis, cui est in conßnio lueus positus, wobei zur Erklärung hin- 
zugesetzt wird : a quo inter duos pluresve (zwischen 2 oder 3 Nachbarn) fines 
oriuntur. Ideoque inter duo pluresve est et locus finis. 



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396 VIERTER ABSCHNITT. 

Heerde sorgt und insofern selbst den Laren und Penaten nahe ver- 
wandt ist, ja selbst als lar agrestis verehrt wurde 1 ). Vorzüglich 
legen zwei gröfsere Gedichte ein beredtes Zeugnifs ab von der Fröm- 
migkeit der Alten und ihrem Sinne für Heimath und stille Ländlich- 
keit, das eine von einem kaiserlichen Verwalter, welcher auf einer 
Reise über die Alpen in einem Haine des Silvanus Schutz gefunden 
hatte und dort um glückliche Rückkehr in seine schöne Heimath 
bittet, wo er unter des Waldgotts Obhut sein Feld dankbar bauen 
und ihm tausend hohe und schöne Räume weihen wolle (Or. n. 1613), 
das andre aus einem Thale der Abruzzen und das Denkmal der 
bescheidenen Fürbitte eines Verwalters für das Wohl der guten 
Antonine und seiner eignen Angehörigen (Henzen n. 5751). Sehr 
gewöhnlich ist in solchen Inschriften auch das Reiwort Sanctus, ohne 
Zweifel auch wegen seiner Fürsorge für Eigenthum und Begrenzung. 
Selbst in der grofsen Hauptstadt Rom scheint Silvanus in den zahl- 
reichen Parks und Gärten der Kaiserzeit oft nach ländlicher Weise 
360 verehrt worden zu sein 2 ), hin und wieder als Schutzgeist (Sanctus 



») So wird genannt ein Silvanas Staianus Or. 1605 [= I. R. IN. 1393], 
Naevianus 1607 [= C. I. L. 6, 645], Caeserianensis Or. He. 5740. [Tetens 5754, 
Vetnriaous Garrucci Diss. Arch. 1, 51 u. a., wozu dann der Silvanus Augustus 
als S. Flaviornm, Aurelianus u. s. w. kommt]. Vgl. Moinnaseo Dial. S. 132. 
[P. E. Visconti Bull. I, 166 f. — Silvan mit Laren und Penaten: Or. 1587; 
C. I. L. 6, 562. 630. 692; als lar agrestis das. 646; mit Hercules 6, 597. 607. 
629. 645. 3, 349; mit Hercules und Terra Mater 3, 1152; mit Hercules und 
Liber oben S. 394, 3; mit Diana 6, 658 n. ö., mit dem Genius loci 3, 4426. Aber 
auch mit mehreren Göttern, z. B. Apoll, Minerva, Ceres, Bull, dell' inst. 1873, 
15 f., mit Juppiter, Vulcan, Asclepius, Diana C. I. L. 6, 656. — Als deits 
domesticus (besonders häufig C. I. L. 3 mit Addenda Epb. ep. 3; charakte- 
ristisch die Widmung eines domus iüius alumnus C. I. L. 3, 1149) heilst er 
dann wie andere Hausgötter (vgl. oben S. 208) custos (das. 6, 640) oder con- 
servator (He. 5742), wird auch im Kostüm des vilicus dargestellt (in Tuoica, 
mit Bauernschuhen: Mosaik v. Ostia Benndorf u. Schöne Lateran 551 u. sonst) 
uud besonders von vilici verehrt (z. B. C. 1. L. 6, 615. 619. 623. 666).] 

*) Vgl. die aedes Silvani in colle Viminali einer Inschrift vom J. 111 n. Chr. 
b. Or. n. 4956. [Diese stadtrömische Inschrift (= C. I. L. 6, 691) besagt nur Silvano 
— porticum — fecit, der Fundort ist unbekannt. Sehr merkwürdig wäre das. 
610 luco Silvani \ scyphum marmorn \ incluso impensa sua \ C. Iulius Abas- 
cantus | donum dedit et | maceriem corrupta impensa | stta restituit (nur aus 
Pighius bekannt), wenn sie echt wäre, und nicht blos corrupt, und das. 576 
extra hoc limen aliquid de sacro Silvani efferre Jas non est (die wohl jeden- 
falls von einem eingehegten Hain zu verstehen ist), wenn ihr stadtrömischer 
Ursprung feststände.] 



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SILVANUS. 397 

Saiutaris), als welcher er namentlich auf einer Besitzung des Kaisers 
Trajan auf dem Aventin durch Tempel und Bilder verherrlicht 
wurde 1 )- Die wiederholt erwähnten collegia Silvani waren ver- 
mulhlich Leichencommune, da Silvanus mit der Fichte oder Cypresse 
in der Hand abgebildet zu werden pflegte und beide Bäume eine 
specielle Beziehung auf Tod und Leichenbegängnifs hatten 3 ). Auf 
den erhaltenen Votivbildern ist seine Darstellung seltner die des 
struppigen Waldgottes als die des Pflanzers und Gärtners, wie er in 
den zahlreichen Gärten in und um Rom von den Aufsehern vielfach 
verehrl sein mag. Die Griechen identificirten auch ihn und sein 
Geschlecht mit Pan und den Panisken; daher das Mährchen vom 
Krathis bei Probus z. Virg. Ge. 1, 20, wo dieser Flufsgott mit einer 
Ziege den Silvanus erzeugt, der hier als gutmüthiger, aber halb- 
thierischer Panisk geschildert wird. Der Eigenthümer der Heerde 
erzieht ihn und Silvanus lohnt die Pflege durch Vermehrung seines 
Vermögens. Als er aber herangewachsen ist, offenbart sich die 
ächte WaJdteufelnatur, daher der Herr ihn in den Wald trägt und 
dort laufen läfst. Auch der Fichtenkranz, die Pansflöte und das 
Mährchen von der Echo 3 ) wurde von dem griechischen Gotte auf 
diesen italischen übertragen. 

Das Geschlecht der Waldfrauen wird von den römischen Dich- 
tern gewöhnlich mit den griechischen Namen der Nymphen und 
Dryaden benannt, während das höhere italische Alterthum und die 
volkstümliche Tradition dafür den Namen der Virae, Vires, Virgines 
und Viragines gebrauchte, s. oben S. 100. Die hin und wieder aut wi 



») Or. n. 1596 = 2518 (C. I. L. 6, 543]. Trajan wohnte auf dem Aveotin, 
ehe er Kaiser wurde, und machte auch spater dort verschiedene Anlagen, s. 
meine Regionen S. 200 ff. [Doch weiht hier jemand die beschriebene Kapelle (?) 

in tetnph saneti Süvani saiutaris, quod est in hor[tis?t e]t praedio suo.] 

Sehr gewöhnlich ist der Silvanus Augustus als Schutzgeist des Kaisers und 
des kaiserlichen Hauses; daher die Abkürzuug S. A. S. d. i. Silvano Augusto 
Sacruni, Marini Atti p. 542. 

*) Daher Silvanus Dendrophorus Or. n. 1602 [= C. I. L. 6, 641. Vgl. 642] 
und die oft erwähnten Collegia Dendrophororum. Vgl. Virg. Ge. 1, 20 und 
die Script, rer. mythic. lat 1, 6 und 178. 

») Auch in den Versen des Attius b. Cic. N. D. II, 35 Silvani melo 
consimilem ad aures cantum et auditum refert liegt eine Uebertragung aus 
dem Griechischen zu Grunde. Vgl. Bötticher Baumcultus fig. 6. 16 — 18 
und 32. 



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308 



i 

VIERTER WISCH MTT. 



« 



alten Denkmälern erwähnten Silvane, Or. 2103 [== C. L L. 3, 4441, 
dazu 3393], oder Suleviae, Or. 2099 ff. [2099. 2101 = C. I. L. 6, 
767. 768, vgl. noch 3, 725. 7, 37], welche auf Feldern und in den 
Wäldern, namentlich auf Kreuzwegen zu Hause sind, gehören mehr 
dem deutschen, celtischen und slavischen Volksglauben an als dem 
italischen. 

6. Maia und Bona Dea. 

Der Fauna, von welcher beim Faunus die Rede gewesen, mag 
sich Bona Dea anreihen 1 ), dieselbe Göttin und fast derselbe Name, 
denn Fauna ist die Gute, die Holde, wie die Hulda unsrer Väter, 
welche auch Frigga d. i. die Freie, die Schöne und Bertha d. i. die 
Leuchtende, die Helle hiefs. Auch Maia war ein andrer Name der- 
selben, denn beide, Bona Dea und Maia, wurden am 1. Mai gefeiert, 
und die Identität von beiden mit der Fauna wird ausdrücklich in 
der Stelle eines alten Schriftstellers bezeugt, welcher alle diese Namen 
für verschiedene priesterliche Anrufungen einer und derselben Erd- 
göttin erklärt 2 ). Der Beiname Maia, welcher sich im tusculanischen 
Dienste des Jupiter in männlicher Form wiederholt (S. 270), ist 
desselben Stammes wie magis, maior, auch mactus u. s. w., so dafs 
er also eigentlich eine Gröfse, Vermehrung, Wachsthum verleihende 
Göttin bedentet: daher der Monat Maius, wo alle Vegetation im besten 
Wachsthum begriffen ist. Maia selbst wurde in den alten römischen 
Gebeten speciell als Maia Volcani angerufen und dessen Frau ge- 

*) [Vgl Motty in der S. 379, 1 a. Diss. De Fauno u. s. w. f Dom. Goidobaldi, 
Damit o Bona dea, ad occasiooe d'una iscrizione osca opistografa, Napoli, 
stamp. della r. univ., 1865, 8 (über diesen S. 355), Marucchi in der zur flg. S. 
a. Abhandlung. Die umbrische Inschrift Fabr. Primo Suppl. p. 14, 105 (vgl. 
Corssen Kuhn's Zs. 20, 88 ff., Bugge Altit. Sind. 44 f.) auf einem an einem 
Thongcfrifs angebrachten Kupferplättchcn Cubrar matrer u. s. w. (Widmung 
irgend welcher Beamter, su maronatu, vgl. die Widmung eines GefaTses durch 
den praifectot pro trebibos Kpb. epigr. 2, 208) lehrt unzweifelhaft eine ver- 
wandte bona mater kennen (da cuprum ■= bonum , Sabin isch' d. h. Italisch): 
aber diese ,gute Mutter* könnte die von den Etruskern den Italikero ent- 
lehnte Juno sein (oben S. 249). Nicht hierher gehörig ist die späte bona dea 
Inno: s. a. E. Ob sie oskisch Damia hiefs ist ungewifs: s. unten.] 

*) Macrob. I, 12, 21 /tuetor est Cornelius Labeo kuic Maiae i. e. Terrae 
andern kalendis Maiis dedicatam sub nomine Bonae Deae, et eandem esse 
Bonant Deam et Tcrram ex ipso ritu occultiore sacrorum doceri posse con- 
firmat. Hanc eandem Bonarn Faanamque et Opern et Fat natu pontificum libris 
indigitari etc. 



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BONA DEA. 



399 



nannt 1 ), als eine fördernde und segnende Göttin der Flur, mit 
welcher sich im Monate Mai die belebende und beseelende Kraft des 
Feuers verbindet, um alle Blüthe und Frucht des Sommers zu er- 
zeugen. Von der Bona Dea aber werden bei verschiedenen 
Autoren allerlei Mährchen und Legenden erzählt, welche der bild- 
lichen Darstellung dieser Göttin und den Gebräuchen der nächtlichen 
Feier im December, wo diese Göttin von den Frauen im Hause des 
obersten Staatsbeamten um Heil und Segen für das römische Volk 
beschworen wurde, genau entsprechen a ). Ihr Bild hielt in der linken S52 
Hand ein Scepter, daher man ihr eine * königliche Gewalt gleich der 
Juno zuschrieb, mit welcher sie auch die Eigenschaft theilte, dafs 
sie wesentlich eine Göttin der Frauen und der weiblichen Empfangnifs 
war 8 ), wie die Erdgöttinnen aller Naturreligionen. Andre verglichen 
sie mit der Proserpina, weil ihr wie der Ceres und Proserpina bei 
den Griechen zur Saatzeit Schweine geopfert wurden, andre mit der 
chthonischen Hekate und mit der Semele, der Mutter des Dionysos. 
Auch nannte man sie eine Tochter des Faunus, welche den brün- 
stigen Trieben des Vaters widerstrebend von ihm mit einer Myrten- 
ruthe gezüchtigt worden sei; sie aber habe selbst nachdem der Vater 
sie mit Wein berauscht hatte, seinem Gelüste nicht nachgegeben. 
Da habe Faunus sich in eine Schlange verwandelt und in dieser 
Gestalt der eignen Tochter beigewohnt: eine Erzählung welche nicht 
wohl anders als von der Befruchtung der Erde durch den männ- 
lichen Naturgeist des Waldes und aller Vegetation verstanden werden 
kann (S. 385), welcher im Winter gewaltsam auftritt, im Frühlinge 
aber Erde und Wald mit dem süfsen Taumel der Lust erfüllt; daher 



») Gellius N. A. XIII, 23, Macrob. I, 12, 18. 

*) Aufser Macrob. I, 12, 23 ff., vgl. Plut. Caes. 9, Qu. Ro. 20, Tertull. 
ad Nat. II, 9, Arnob. I, 36, V, 18, Lactant. I, 22, 9. [Dromaoo 2, 203 f.] 

•) Die Griechen nannten sie deshalb r} &tbs ywaixela, s. Macrob. I, 12, 
27, Plut. Caes. 9. Daher Prop. V, 9, 25 Jemine ae loca clausa ßeae. [Als 
Matrone erscheint Bona Dea sitzend, 1. ein Füllhorn haltend (die R. hielt wohl 
die Patera) in der Marmorstatuette von Albano (Kopf alt, aber nicht zugehörig) 
mit der Inschrift auf der Plinthe: ex visu, iussu Bonae deae sacrum: Callistus 
(so die Umschrift, die Abbildung Caüystus) Rufinae n{ostrae) act(or)\ publ. 
von Maruccbi Bull. arch. com. 1879, 227 ff. T. XXIII. — Das Scepter führt 
auch Terra Mater Bull. arch. munic. 1872 T. III und vielleicht führt auf 
die Verwandtschaft mit der Erdgöttin auch die Form der ,ara rotunda' 
der Bona dea C. I. L. 6, 54, vgl. Jordan Top. 1, 1, 34. Vgl. Feronia, 
Tellos.] 



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400 



VIERTER ABSCHNITT 



auch Faunus vorzüglich zu Anfang des Winters und des Frühlings 
gefeiert wurde. In Rom berief man sich bei diesen Erzählungen 
darauf dafs in dem Tempel der Bona Dea kein Myrtenzweig geduldet 
wurde, wohl aber eine Weinlaube über ihrem Haupte sich wölbte 
und ein Krug mit Wein bei ihr zu sehen war, nur dafs man den 
den römischen Frauen in ältester Zeit aufs strengste verbotenen Wein 
euphemistisch Milch und jenen verdeckt hingestellten Weinkrug einen 
Honigkrug (mellarium) nannte. Auch sah man eine heilige Schlange 
bei dem Bilde der Göttin, während andre zahme Schlangen von der 
Art wie sie in Rom sehr häufig waren in ihrem Tempel gehalten 
wurden und die Frauen ihre Feier unter geflochtenen Weinlauben 
zu begehen pflegten. Wieder Andre verglichen diese Göttin mit 
der griechischen Medea, weil in ihrem Tempel allerlei Heilkräuter 
aufbewahrt wurden, von denen die Priesterinnen den Leidenden 
verabfolgten, und endlich Varro erzählte, diese Tochter des Faunus 
sei von solcher Zucht und Keuschheit gewesen, dafs sie nie das 
Frauengemach verlassen und keinen Mann je gesehen habe noch 
von einem Manne gesehen worden sei, ja man habe niemals ihren 
Namen öffentlich nennen hören; weshalb auch niemals ein Mann in 
353 ihren Tempel gelassen werde. Dagegen galt sie in andern Erzäh- 
lungen nicht für die Tochter, sondern für die Frau des Faunus und 
für eine Waldnymphe, in welchem Zusammenhange auch die Ge- 
schichte von ihrer Trunkenheit und dem Schlage mit der Myrten- 
ruthe anders lautete : nehmlich weil sie heimlich einen ganzen Krug 
süfsen Weins geschlürft und darüber trunken geworden sei, habe 
der Gemahl sie mit jener Ruthe gestrichen (Plut. Caes. 9, Qu. Ro. 20). 
Also eine weibliche Göttin des Erdbodens und der Vegetation wie 
Fauna, fruchtbar und empfanglich und eine Göttin alles Segens, 
welchen die Erde spendet, aber zugleich ekstatisch bewegt und ver- 
zückt wie Faunus und des Zaubers und der Heilung und allerlei 
verborgner Wissenschaft kundig wie Girce und Medea und Hekate, 
daher man auch sie Fatua nannte, wofür man später auch Fan tu a 
sagte 1 ). Dafs sie in Rom für eine streng jungfräuliche Göttin ge- 



') Martiao. Cap. II, 167 und dazu Kopp. Vgl. oben S. 3S2 und Lactant. 

1. c. quam Genius Bassus [oben S. 32 A.) Fatuam nominatam tradit, quod ntu- 
lieribus fata canere consuevisset ut Faunurn wrw. Bei Serv. V. A. VIII, 315 
hic Faunus habuüse filiam dieüur oma castita [so Daniel] et disciplinis Om- 
nibus emditam , quam quidam quod nomine dici prohibitum fuerai Bonam 
Deam appellatam volunt, ist iu schreiben omnütm castUsimam. [Vielmehr 



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BONA DEA 



401 



halten wurde, hängt zunächst damit zusammen, dafs sie wie Juno 
zugleich ein Bild der matronalen Fruchtbarkeit und der matronalen 
Würde war, mit welcher es in guten Zeiten überhaupt und namentlich 
bei religiösen Gelegenheiten d. h. im Dienste weiblicher Göttinnen 
immer sehr strenge genommen wurde; daher auch bei diesem Gottes- 
dienste eigentlich nur ganz unbescholtene Frauen zugelassen werden 
sollten und vollends bei dem nächtlichen Opfer alles Männliche mit 
solcher Aengstlichkeit entfernt wurde, dafs selbst solche Bilder, auf 
denen Männer oder Thiere mannlichen Geschlechts zu sehen waren, 
verhängt wurden 1 ). Der tiefere Grund aber ist gewifs auch hier in 
der Natur der Erde und andrer Erdgöttinnen zu suchen, wie z. B. 
auch die arkadische Demeter und Demeter Thesmophoros zugleich 
als jungfräulich widerstrebend und als züchtige Hausfrau und das 
göttliche Vorbild jeder zugleich fruchtbaren und streng sittlichen Ehe 
gedacht wurde. Das alte Heiligthum der Bona Dea befand sich in 
Rom am Abhänge des Aventin gegen die Piscina Publica, unter dem 
Felsen (saxum), auf welchem Remus die Vögel lieobachtet hatte, 
daher die Göttin in diesem Culte den Beinamen Subsaxana führte 3 ). 354 
Auch dieses war ursprünglich ein schattiger Hain mit einer reichlich 
fliefsenden Quelle gewesen, daher die Sage ging, dafs Hercules, dessen 
Heiligthümer an der andern Seite des Aventin lagen, bei seinem 
Aufenthalte in Rom dürstend nach einem Labelrunk aus der Quelle 
verlangt habe, aber von den feiernden Frauen und der Priesteriii 
als Mann mit Abscheu zurückgewiesen sei 3 ), weshalb nun auch 
seinerseits Hercules befahl, dafs keine Frauen bei seinem Gottes- 
dienste zugelassen werden sollten. Der Tempel lag über dem Haine 
am Abhänge des Hügels und war von einer Vestalin Claudia am 
1. Mai, dem altherkömmlichen Feiertage der Guttin, eingeweiht 
worden 4 ). So hören wir auch im J. 123 v. Chr. von einer frommen 

wohl summa castitate et; Rursian Liter« 1. Centralbl. 1859, 609 Romain, catti- 
tate et vgl. Serv. V. A. 1, 273 und 277.] 

! ) [Weibliche sacerdotes Bonae Deae, ein coüegium mit einer magistra an 
der Spitze, in Rom C. I. L. 6, 2236—2240. Ebenso weiblicher Dienst außer- 
halb Rom: so in Florenz (?) Or. 686 (mulieres) und in Aquileja (mogistrae 
und ministrae) C. L L. 5, 757. 759. 762.] 

s ) Ovid F. V, 148 er., meine Regionen d. St. R. S. 196. 

3 ) Propert. V, 9, 23 ff., Macrob. I, 12, 28. Es scheint wohl dafs dieser 
Hain und diese Quelle dieselben sind, wo Picus und Faunus von INuiua ge- 
fangen werden, s. S 191. 383. 

*) Ovid F. V, 155, Macrob. I, 12, 21, vgl. Cic. pr. domo 53, 136 (cum- 
Preller, Rom. Mythol. I. 8. Anfl. 26 



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402 VIERTER ABSCHNITT. 

Stiftung der Vestalin Licinia in diesem Heiligt.hu ine, welches zuletzt 
durch Livia, die Gemahlin des August, wiederhergestellt worden war, 
daher die Göttin seitdem ofliciell Bona Dea Restituta genannt wurde 1 ). 
Jenes nächtliche Opfer der Frauen galt für eins der ältesten und 
heiligsten in Rom: Cicero de leg. II, 9, 21 nimmt bei seinem Ver- 
bote ähnlicher Sacra dieses Opfer ausdrücklich aus. Der Zeit nach 
fiel es in den Anfang des December 8 ): seine Bedeutung war die 
eines Opfers und Gebetes für das römische Volk (pro populo Ro- 
mano), daher es in dem Hause des höchsten Staatsbeamten (in ea 
domo quae est in imperio), entweder des Consuis oder des Praetors, 
von dessen Frau und zwar unter Mitwirkung der Vestalischen Jung- 
frauen dargebracht wurde. Ein Weiteres erfahren wir auf Veran- 
lassung des bekannten Frevels des P. Clodius 3 ). Dieser vornehme, 
reiche, verwegene und ausschweifende junge Mann, einer der mäch- 
tigsten Führer der geheimen Verbindungen, die damals den Staat 
355 und das Recht beherrschten, liebte Pompeja, die Gemahlin Casars, 
und war ihrer Gunst sicher ; doch wurde sie von Aurelia, der Mutter 
Casars, einer Dame von alter Zucht und Sitte, strenge bewacht. Da 
nahm Clodius seine Zuflucht zur List, indem er sich in der Nacht, 
wo im Hause Casars das Opfer der Bona Dea dargebracht wurde 
und alle Mannspersonen aus demselben entfernt wurden, in der Ver- 
kleidung einer Harfenistin einschlich. Die Feier ist wahrscheinlich 
so zu denken, dafs zuerst jenes Opfer, ein Sühnopfer zarter Schweine, 
welches mit einem griechischen Worte Damium hiefs, dargebracht 
wurde 4 ), ohne Zweifel mit einem feierlichen Gebete für das offen t- 



aram et aediculam et pulvinar sub saxo — dedicasset). Es ist bedenklich 
jene Yestalin Claudia für identisch mit der Matrone Claudia Quinta (S. 447) 
zu halteu. 

*) Ovid F. V, 157, vgl. Marini Atti p. 543. Hadrian versetzte den T. an 
eine andre Stelle, s. Spartian Hadr. 19 aedem ßonae Deae transtulü, doch 
wohl innerhalb der alten Grenzen des Heiligthums. 

*) Im J. 63 v. Chr. wo es im Hause des Cicero begangen wurde, in der 
Nacht vom 3. zum 4. Dec, s. Plut. Cic. 19, Dio XXXVII, 35. Auf dieselbe 
Zeit, aber einen beweglichen Tag führen die Briefe Ciceros ad Att. I, 12 und 
XV, 25. Vgl. Drumann Gesch. Roms 2, 204. 5, 502. 

8 ) Cic. ad Att. I, 13, 3, de Harusp. resp. 17, 37, Seneca Ep. 97, 2, Plut. 
Caes. 9, Dio Cass. XXXVn, 45. 

4 ) luvenal S. II, 86 atque Bonam tenerae placant abdomine porcae et magno 
cratere Deam. Der grofse Krug ist jener Weinkrug. Die Üpferthiere also 
waren jene porcae oder porciliae piaculares, wie sie in den Urkunden der 



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BONA DEA. 



liebe Wohl, den Segen der Aecker, Fruchtbarkeit der Frauen u. s w. 
Darauf begann eine ziemlich ausgelassene Festlichkeit der Frauen, bei 
welcher sie dem Character der Göttin gemäss, wie er sich in der 
Legende spiegelt, unter heiterem Scherz und aufregender Musik 
allerlei sinnbildliche Gebräuche verrichteten, die die Griechen an die 
Orphischen Mysterien erinnerten l ). Bei dieser Feier schlich Clodius 
sich ein, im Einverständnisse mit einer Magd, welche vorauslief um 
der Pompeja einen Wink zu geben. Da verirrt er sich in den Gängen 
des Hauses und wird von einer Magd der Aurelia erkannt, worauf 
der Scandal stadtkundig und selbst im Senate und im Collegium der 
Pontiüces besprochen wurde. Pompeja ward von ihrem Gemahle 
verstofsen, Clodius aber kam mit dem bösen Leumunde davon, so 
verdorben und bestechlich waren damals die Gerichte 2 ). Es war 
dieses eben nur ein Symptom der allgemeinen Sittenverwilderung, 
welche sich trotz aller Scheinheiligkeit der Regierung des Augustus 
und der Livia in den vornehmen Famiüen und der Damenwelt be- 
hauptete, bis sie in den Zeiten des Claudius und Nero ihr Aeufserstes 
erreichte. In diesem Sinne berichtet Juvenal in seinen Sittenschil- 
derungen des Zeitalters der Agrippinen und Messalinen auch von 366 
dem Feste der Bona Dea mit so bitterm Spotte und so grimmigem 
Ernste, den ausgelassenen Tänzen, den wollüstigen Spielen, dafs die 
damalige Feier der römischen Frauen in Wahrheit hinter dem wil- 
desten und sinnlichsten Orgiasmus der griechischen Mänaden und 

Arvalischen Brüder wiederholt erwähnt werden und als Sühuopfer an die 
Götter der Erde und der Fruchtbarkeit herkömmlich wareu. Leber das Wort 
Damium s. Placid. gl. p. 351 (30, 11 D.] und Paul. p. 68, welcher hinzusetzt: 
Dea quoque ipsa Damia et tacerdos eius damiatrix appellabatur. Ans dem 
Lateinischen wird sich dieses Wort nicht erklären lassen. Vielmehr ist es 
das griechische tiufjiiov und mit so manchen andern Gebräuchen und Benen- 
nungen aus dem griechischen Ritual, etwa dem des in den ersten Jahren der 
Republik eingeführten Demeterdienstes herübergenommen. [Hervorzuheben ist 
dafs das Fest der Japta (vgl. Hermann Gottesd. A. § 52, 17) sich auch in 
Tareut findet (vgl. Welcker Götterl. 3, 136). Ganz dunkel ist noch immer 
die Deutung von osk. damit, damuse auf deii Inschriften von Capua Zwetaj. 
36 a. b und damia auf der Bleitafel Zwetaj. 50 Z. 3 (vgl. Bücheler Rh. Mus. 
1377, 71, Bugge Altit. Stud. S. 12 f.). Lnter Hinzuziehung der ersteren ver- 
breitet sich Guidobaldi a. 0. über den Gegenstand, doch, wie schon seine 
etymologische Gleichung Damia — dea Maia = Demeter zeigt, ohne Methode 
und demgeinaTs ohne Resultat.] 

») Plut. Caes. 9. Auch Cicero ad Att. XV, 25 nennt das Fest mysteria. 

a ) Cic. ad Att. I, 16, 5, Seneca Ep. 97. 

26* 



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404 



VIERTER ABSCHNITT. 



der phrygischen Mysterien nicht zurückgeblieben zu sein scheint 
(Sat. II, 83 fl'., VI,314tr.). Indessen darf man sich durch solche 
Ausartungen der grofsen Stadt und der höheren Stände nicht gegen 
den Dienst der Bona Dea überhaupt einnehmen lassen, welcher in 
den Umgebungen Roms und sonst in Italien wie der des Faunus 
und Fauna in ländlicher Einfall fortbestand. Wenigstens lässt 
sich der Cultus der Bona Dea mit Hülfe der Inschriften sowohl im 
südlichen Italien als im mittleren und obern, aber auch im innern 
Italien nachweisen, z. B. zu Corfinium, der Hauptstadt der Paeligner, 
wo sie als die Göttin eines ganzen Pagus erscheint 1 ). In einer 
andern Inschrift heifst sie ausdrücklich agrestis und wird als Heils- 
göttin verehrt, welcher ein Leidender die Heilung seiner Augen ver- 
dankte (Or. n. 1 518) 2 ). Auch in der Nähe von Bovillae gab es ein 
ländliches Heiligthum der Bona Dea, das bekannte bei welchem 
Clodius sein Leben verlor; man glaubte dafs sich die Göttin durch 
den Mord des Frevlers gerächt habe 3 ). Ihre grofse Heiligkeit be- 
weisen auch Beinamen wie Sancta und Sanctissima, während andre, 
wie Caelestis [Or. 1523], «1er späteren Vermengung gleichartiger 
Culte zuzuschreiben sind. Denn die Cultusnamen Bonus Deus und 



1 ) Mommseo I. N. n. 5351. Dedicationen a» die Bona Dea aus Canusium 
in Apulien, aus der Umgegend von Neapel, aus Minturnae, aus Aquinum ib. 
038. 2588. 4053. 4310. Andre Inschriften aus Rom, Florenz, Verona [Pisau- 
rum, Aquileja] uud andern Gegenden giebt Orelli u. 080 und 1512 ff. Gewöhn- 
lich sind es die Frauen, welche diese Göttin verehren. [Wichtig ist das Vor- 
kommen eines vermuthlich nicht jungen Cultus der Bona Dea im Gebiet des 
alten pagus Ianicolensis in Rom (Henzen Bull, dell' inst 1861, 178 f., C. 1. L. 
0, 65—67) und des ebenfalls sicher alten einer pagana oder cereria in Aqui- 
leja (5, 761. 762, vgl. Silvanus). Dazu kommen die Beinamen agrestis und 
nutrix (C. I. L. 6, 68. 74) und ibre Verehrung iu den Horrea Galbiana zu 
Rom als Bona dea Galbilla (Eph. epigr. 4, 260 n. 723a). — Vereinzelt und 
zweifelhaft ist die direkte Beziehung zum Todtencultus in der 1. von Velletri 
Or. 1527; auf wahrscheinlich unrichtiger Interpretation beruht dieselbe Be- 
ziehung der umbrischen Cupra mater, oben S. 398, 1 {oseto = ossuarium, s. z. ß. 
Bugge Altit. Stud. 44 f.). — Der in Rom (s. C. I. L. 6, 53 — 76) und Italien 
bis in spate Zeiten verbreitete Kult fehlt fast ganz in den Provinzen.] 

») [C. I. L. 6, 68 (gef. 3 Millien vor Porta S. Paolo) : — ob luminibus restitutis 
derelictus a medicis post menses decern beneficio dominae medicinis sanatus • 
ebenso heilt die Göttin kranke Augen in Trastevere als Bona Dea Oclata (das. 74, 
vgl. Preller Ausg. Aufs. 309) und heifst Hygia (das. 72), als kräuterkundige ßauern- 
göttin. Gehört dahin etwa das räthselhafte Auribus Bonae Deae C. I. L. 5, 579?] 

») Cic. p. HU. 31, 86 und dazu Ascon. p. 32 Or. Vgl. die Inschrift aus 
Bovillae bei Orelli n. 1515. 



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CARMENTA 



405 



Bona Dea hatten mit der Zeit eine sehr allgemeine Bedeutung 
bekommen, daher auch andre weibliche Göttinnen, namentlich 
die Magna Mater und die Juno Caelestis als Bonae Deae verehrt 
wurden *). 

7. Carmenta oder Cartnentis. 

Auch diese Gottin war vermuthlich nur eine Nebenform der 
Fauna oder Bona Dea. Born kannte sie in einer doppelten Gestalt, 357 
als hülfreiche Mutter und weissagende Begleiterin des Evander, d. h. 
des historischen Faunus und seiner Ansiedlung auf dem Palatin, und 
als eine vorzugsweise von den Müttern verehrte Geburtsgöttin. Jene 
palatinische Carmenta galt gewöhnlich für eine arkadische Nymphe 
und Seherin Namens Nikostrate*), was auf kriegerische Begeisterung 
deutet: ein wesentlicher Zug der ältesten Weissagung und des dem 
Mars verwandten Faunusdienstes, wie denn auch Evander in präne- 
stinischen Sagen als streitbarer Held auftritt, der mit einem Riesen 
kämpft, und in Rom ein sehr alter Dienst der Victoria auf dem 
Palatin für seine Slitlung galt. Die Geburtsgöttin Carmenta wurde 
in der Nähe der porta Carmen taiis, welches Thor von ihr seinen 
Namen hatte, so eifrig verehrt, dafs es einen eignen Flamen Car- 
mentalis und zwei Kalendertage für sie gab; nehmlich am 11. und 
am 15. Januar wurden sogenannte Carmentalia begangen, welche in 
der älteren Zeit zu den angesehensten Festen der römischen Matronen 
gehörten 3 ). Der 11. Januar galt der Heil- und Quelleugöttin Juturna 
und der Carmenta gemeinschaftlich, wie die Quellnymphen den Göt- 
tinnen der Entbindung immer nahe stehen*). Der zweite Festtag 

») Mommseo I. N. n. 4608, Or. n. 1523. Vgl. Or. 11. 1522 bonae deae 
feneri Cnidiae, n. 1272 bono deo Brontonti, n. 1934 If. bono deo puero Phos- 
phoro. [Wichtiger Fortunat conservatrici et bonae deae Iunoni Eph. epigr. 3, 372 
n. 649, aber doch wohl ohne Zusammenhang mit der Iuno-Cupra oben S. 280.] 

») Virg. Aen. VIII, 335 ff., Dionys. 1, 31, Strabo V p. 230, Serv. V. A. VIII, 
51. 130. 336. 

9 ) Varro I. 1. VI, 12, Macrob. I, 16, 6, vgl. Cic. Brat. 14, 56 and über 
die Lage der uralten ara Carmentis und ihres fanum Becker Handb. 1, 137. 
Der Dienst war bei diesem and einigen andern Heiligthiimern mit solcher Ge- 
wissenhaftigkeit ein unblutiger, dafs kein Leder, weder von einem geschlach- 
teten noch von einem gefallenen Vieh in den heiligen Raum kommen durfte, 
Ovid F. I, 629, Varro 1. 1. VII, 84, Serv. V. A. IV, 518. [Vgl. Mommsen im 
C. I. L. 1 p. 384. Flamen: vgl. Eph. epigr. 4, 269 n. 759 ] 

*) Ovid F. I, 461 ff., der diesen Tag ein sacrum poutificale nennt Vgl. 
Kai. Maff. Praeu. 



406 



VIERTER ABSCHNITT. 



soll nach der Eroberung Fidenäs im J. 328 d. St. (426 v. Chr.) 
durch den Dictator Mamercus Aemilius gestiftet sein 1 ). Die gewöhn- 
liche Legende ist wieder einmal ein merkwürdiges Beispiel der 
Willkür und Confusion solcher Ueberlieferungen, doch ist die speci- 
(ische Beziehung dieses Gottesdienstes auf Schwangerschaft und Geburt 
auch darin zu erkennen. Es sei den Frauen vom Senate das Fahren 
verboten worden. Da hätten sie sich unter einander verschworen, 
sich nicht eher zu den Pflichten der Ehe zu verstehen, als nachdem 
ihnen die Wagen (carpenta) erlaubt sein würden. Der Senat mufs 
also nachgeben, und nun habe Carmenta einen so reichen Kinder- 
368 segen geschenkt, dafs die Frauen ihr jenes Heiligthum am Carmen- 
talischen Thore und den zweiten Feiertag stifteten*). Beim Gebete 
hörte man die Namen der Porrima und Postverta, zwei Geburts- 
göttinnen, welche n$ben der Carmentis als Carmentes verehrt wurden 
und eigentlich von der Kopf- und Steifsgeburt galten; doch dachte 
man auch bei ihnen gewöhnlich an die Weissagungen der Mutter 
des Evander 3 ). Der Name Carmenta ist natürlich abzuleiten von 
Carmen, welches in der älteren Sprache den weissagenden Gesang 
nach Art des Fatuus und der Fatua d. h. des Faunus und der Fauna 
ausdrückte 4 ). Indessen wird man auch hier speciell den Begriff der 
weissagerischen Geburtsgöttin festzuhalten haben, wie die griechische 
Eileithyia und die Mören und die Parcen zugleich der Frucht ans 
Licht helfen und derselben ihr Geschick im Verlaufe des Lebens an- 
weisen 6 ). Auch betrafen die nahe verwandten Camenen, eigentlich 



*) Verr. Fl. Fast. Praenest. [Vgl. dazu Mommsens Bemerkung.] 
a ) Ovid F. I, 616 ff., Plut. Qu. Ro. 56. Es liegt dabei theils ein ety- 
mologisches Spiel mit den Wörtern Carmenta and carpenta, theils eine 
dunkle Erinnerung daran zu Grunde, dafs die Matronen das Recht der 
Wagen einer besondern Erlaubnis nach der Eroberung von Veji verdankten, 
Liv. V, 25. 

«) Varro bei Gellius XVI, 16, 4 [- arae stalutae sunt duabus Carrnen- 
tibus, quarum altera Postverta cognominata est, Prosa altera, a directi per- 
versique partus et potestate et nomine. Or. F. I, 633 Porrima placatur Post- 
vertaque. Mit Ilmdeutung Anteverta und Postverta bei Macr. S. I, 7, 20. Prosa 
Tür Prorsa (vgl. Ritsehl Op. 2, 544), gleichbedeutend mit Porrima (gebildet von 
porro wie intimus von intus u. «.)]. 

*) Virg. Aen. VBI, 339 ff. , wo Servias Ideo Carmentis appellata, quod 
divinatione fata caneret, nam antique vates carmentes dicebantur, unde etiam 
librarios qui eorum dieta perscriberent carmentarios nuneupatos. 

6 ) Plat. Rom. 21 ir\v 6k Kaofiivinv otortai rtvts Moioav «*?a» xvolav 
av&Qtun cor ytvfoitos, «fio xal riuwotv avjrjv at nnxiqt$. 



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VITULA. 



407 



Casraenen d. i. Carmenen [vgl. VIII, 2], und unter ihnen Egeria 
speciell das weibliche Leben und Entbindung. Ohne Zweifel ist 
Carmenta aus demselben Grunde in der römischen Stadtsage zur 
Mutter schlechthin d. h. zur Mutter des Evander, des ersten 
Ansiedlers von Rom, geworden, welchem sie bei Virgil gleich 
bei dem ersten Ursprünge der Stadt deren ganze Zukunft singt; 
obwohl sie Einige nicht die Mutter, sondern die Frau des Evander 
nannten (Plut Rom. 21), also ganz wie die Fauna zum Faunus 
stellten. 

8. Vitula oder Vüellia. 

Auch diese Göttin scheint eine Nebenform der Fauna zu sein, 
eine Göttin des Siegs und des Jubels über den gewonnenen Sieg, 
wie wir bereits der von Evander auf dem Palatin gestifteten Victoria 
gedacht haben und in der sabinischen Vacuna gleich eine ähnliche 
Göttin kennen lernen werden. Das alte Wort vitulari und vitulatio, 
welches Siegesjubel bedeutete und bei den älteren römischen Dich- &S9 
tern Ennius, Naevius und Plautus noch im Gebrauche war, wurde 
von ihrem Namen abgeleitet 1 ) und hängt jedenfalls mit ihm zu- 
sammen 2 ). In den Geschlechtsüberlieferungen der Vitellier, welche 

») Macrob. S. III, 2, 11, Varro I. 1. VII, 107, Enoius bei Paul. p. 369 
/* habet coronam vüulans victoria, Naevius bei Non. Marc. p. 14, Plaut. Pers. 
n, 3, 2. 

*) Macrob. 13 Hytlus [Hyginus ? Momniseu C. 1. L. 1 p. 26] libro quem 
de dis eontposuü aü Vüulam vocari deam quae laetitiae praeest. Piso aü 
f itulani Vicloriam nominari etc. So ist aucb bei Varro 1. c. zu schreiben: 
vüulantes a Vitula [statt vitulu . Einige leiten das Wort ab a bonae vüae 
contmodo (Non. Marc.), Andre von vitulus, Paul. p. 369 vüulans laetans g audio 
ut pastu vitulus. Die 1. Silbe wird gewöhnlich laug gebraucht. [Auf dein 
pränestinischen Spiegel C. I. L. 1, 58 steht Cudido (so), Venös, Vitoria (so), 
Hit (?), aber auf den pra'n. Cistea das. 1500 und Eph. epigr. 1 n. 21 Victoria. 
Entweder ist Vüoria wie Cudido (wohl auch Belohn f. Belonai auf dem be- 
kannten Thongefäfs) blofses Versehen (vgl. Jordan Krit. Beitr. S. 7 f.) oder es 
ist Einwirkung der präoestinisehen, d. h. sabinisch-oskischen, nicht (wie Corssen 
Beitr. z. ital. Sprachenk. 32 f. will) etruskischen Mundart (Vit- aus Viht- = 
Vict- entstanden) anzunehmen, da im Lateinischen c vor t nicht schwindet. 
Daher wohl die Annahme des etymologischen Zusammenhangs mit Vie-toria, 
Vic-a, vinc-o nicht haltbar ist. Aber andererseits wird die verlockende Ana- 
logie von ov-are (vgl. ancb popul-ari) nicht ausreichen um vitulari von vitulus 
abzuleiten. Sicher bleibt dafs ein Göttername Vitula sich zu vitulari verhält 
wie Panda, Ceta, Stata zu den entsprechenden Verben und dafs daher zuerst 
das Appellativ vitulari zu erklären ist. — Dafs für die Göttin eine Namens- 



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40S 



VIERTER ABSCHNITT. 



r 



sabinischer Abstammung waren, hiefs dieselbe Göttin Vitellia und 
die Frau des Aboriginerkünigs Faunus. Es wird dabei ausdrücklich 
hinzugesetzt, dafs diese Güttin in verschiednen Gegenden Italiens 
verehrt worden sei 8 ). 

9. Vacuna 

war eine bei den Sabinern viel verehrte Güttin, deren angesehenstes 
Heiligthum ein Hain in der fruchtbaren Ebne von Reate in der Nähe 
der Einmündung des Flusses Avens (jetzt Velino) in den Veliner See 
war 4 ). Ein andres lag auf einem Hügel über dem Thale der Digentia 
(jetzt Licenza) nicht weit von dem sabinischen Landgute des Horaz, 
welcher deshalb Ep. I, 10, 49 schreibt: Haec tibi dictabam post fanum 
putre Vacunae. Die alten Ausleger zu dieser Stelle theilen aus dem 
Werke Varros einiges Nähere über diese Göttin mit. Man verglich 
sie mit der Bellona, der Diana, der Ceres, der Venus, der Victoria, 
der Minerva, so wenig wollte sich diese Gestalt auf einen der geläu- 
figen mythologischen BegrifTe zurückführen lassen. Doch sieht man 
aus diesen Umschreibungen, dafs sie zugleich den friedlichen Cha- 
36o racter einer mütterlichen Göttin der Flur hatte, welche wie Venus 
aus dem Feuchten schuf und wie Ceres den Acker mit Korn seg- 
nete, und den einer Göttin des Waldes, der Jagd, der kriegerischen 
Begeisterung und des Sieges. Namentlich mufs der Character einer 
Siegesgöttin zu ihrem Wesen gehört haben, da der aus der Gegend 
von Reate gebürtige Kaiser Vespasian das von Horaz erwähnte Heilig- 
thum unter dem Namen eines Tempels der Victoria von neuem erbaut 



form Vitellia (vielmehr Vitelia) vorhanden gewesen ist, wird wenigstens durch 
die Familienchronik der Vitellier nicht bewiesen. — Endlich ist auch die 
Verwandtschaft des seltenen und wohl nicht latinischen Geschlechtsnumea 
Vitorius (=Veü-, t <-t-':\, mit vitulari (noch neuerdings von Mummsen Hermes 
13, 429 behauptet) ganz ungewifs.] 

s ) Suetoo Vitell. 1. Exstat Qu. Eulogii ad Q. Vüeüium Divi Augusti 
quaestorem libeüus, quo continetur Vitellios Fauno Aboriginum rege et Vitellia, 
quae multis locis pro numine coleretur, ortos toto Lotio imperasse. Horum 
residuam stirpein ex Sabinis transisse Romarn etc. 

4 ) Plia. H. N. III, 109, welche Stelle so zu leseu ist: Sabin i — Velinos 
accolunt Ulcus roscidis collibus. Aar amnis exhaurii illos, sulp hur eis aquis 
Tiberim ex hü petens, replet e monte FisoeÜo Avens [aves die Ilss.] iuxta 
Vacunae nernora et Beate in eosdem condüus. Der Hain lag vermuthiich bei 
Pie di Luco über dem See. S. meinen Aufsatz in den Leipz. Berichten 1855 
S. 191 ff. [= Prcllers ausgewählte Aufsatze S. 256ff.J 



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VACUNA. 409 

hat, s. den Dedicationstitel bei Or. n. 1868 l ). Als Mittelpunkt alter 
satanischer Gemeindeversammlungen und nationaler Opfer und Opfer- 
schmäuse erscheint sie bei Ovid F. VI, 307 f., welche Stelle man 
am besten auf das Heiligthum bei Reate beziehen wird. Varro ver- 
glich sie mit der Minerva, indem er den Namen von vacare ableitete, 
als ob sie zugleich eine Göttin der kriegerischen Erregung und des 
stillen Fleifses gewesen sei 2 ), welche Erklärung sich doch mit dem 
Leben und den Sitten der alten Sabiner schwerlich verträgt. Eher 
möchte mau im Hinblick auf die Natur der Landschaft von tteate 
den Namen von vacuo in dem Sinne von ausleeren ableiten, denn 
jene Landschaft leidet an Ueberfülle des Wassers, welche früher durch 
einen natürlichen, später durch einen künstlichen Abzug in den Nar 
und durch diesen in den Tiber abgeleitet wurde 3 ): in welchem Falle 
sie als mütterliche Culturgöttin jenes Thals für die Urheberin jenes 
natürlichen Emissärs gehalten worden wäre, welcher das Thal wie 
die Katabothren des kopaischen Sees das Thal von Orchomenos und 
Hyle ausleerte und dadurch erst seine Cultur möglich machte; es 
sei denn dafs in den italischen Dialecten ein passenderes Etymon 
gefunden würde. Dieselbe Göttin läfst sich übrigens als sabinische 
Victoria noch einmal in derselben Gegend nachweisen, auf einer Insel 
im See von Cutilia, welcher für den Nabel d. h. für den Mittelpunkt 

') [Vespasian aedem Victoriae vetustate dilapsam sua impensa restituit. 
Trümmer dieses Tempels meint man auf dem linken Ufer der Digentia ge- 
funden zu haben (Bull, delf inst. Ib57, 151 ff). Allein ob dort das fanum 
Vacunae gestanden hat, ist noch immer nicht sicher (vgl. das. 30 II. 105 ff.)] 

*) [Preller stützte sich hier auf Acron. Doch liegt die Sache anders: 
Porf. zu Hör. a. 0.: Vacuna in Sabinis dea, quae sub incerta specie est for- 
mata. hanc quidam Beüonam alii Minervam alii Dianam. , Acron': quidam 
Miner vam alii Dianam putaverunt nonnulli et Cererem (etiam t euerem y) esse 
dixerunt. sed Varro in primo rerum divinarum Victoriam ait; et (quod yb) ea 
maxime hi gaudent qui sapientia vincunt (sapie/itiae vacent oder vaent yb). 
Wenn die auch hier von , Acron' abhängigen Schol. Cruq. in den Worten des 
Varro Minervam dicit — sapientiae vacant schreiben, so ist das willkürliche, 
lediglich zu verwerfende Ioterpolatiou. Die Worte et ea — vincunt (d. h. die 
bessere Redactiou) gehören offenbar nicht zu dein Excerpt aus Varro, von 
dem wir also nur die Gleichung Vaeuna = Victoria kennen. — Die analogen 
Bildungen auf -una, -unus bei Corssen Ausspr. 1 s , 435: die Wurzel ist ebenso 
wenig ermittelt wie für Ves~una (V, 5).] 

8 ) Vgl. Varro b. Serv. A. VII, 712, Cic. ad Att. IV, 15, 5, pro Scauro 
II, 27 nuper cum Beatini — me tuam publicam causam de Velini ßurninibus 
et cuniculis apud hos consules agere voluissent, wo die flumina Velini die Zu- 
flüsse zum Velinua sind, cuniculi die Abzüge, Tacit. Ann. I, 79. 



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410 VIERTER ABSCHNITT. 

Italiens galt und als Sitz der latinischen Aboriginer sowie wegen 
seiner schwimmenden Insel, später auch wegen seiner kalten Bäder 
sei berühmt war 1 ). Einen gröfseren Auszug aus den Mittheilungen Varros 
über diesen merkwürdigen See und seinen Gottesdienst verdanken 
wir dem Dionysius v. Hai. I, 15. Derselbe habe einen Umfang von 
vier Jugera, reichliche Quellen und eine unergründliche Tiefe. Der 
ganze See sei der Victoria geweiht und deshalb in seinem ganzen 
Umfange mit heiligen Binden und Gewinden umzogen 9 ), so dafs 
Niemand an das Wasser herantreten könne. Nur bei gewissen feier- 
lichen Gelegenheiten wurde einmal im Jahre der Bann gehoben, die 
Insel betreten und dort der Göttin geopfert. Diese mit Sumpfpflanzen 
und niedrigem Gestrüpp bewachsene, wenig über dem Spiegel des 
Sees erhabene Insel hatte etwa fünfzig Fufs im Durchmesser und 
keinen festen Grund, daher sie ihre Stelle beständig wechselte, wie 
der Wind sie hin und her trieb. Wie am Velinus neben der 
Vacuna eine Lympha Velinia, neben der Diana von Nemi Egeria 
als Quellgöttin ihres Hains verehrt wurde, so werden am See von 
Cutilia neben der Victoria sogenannte Lymphae Gommotiae genannt, 
eben wegen jener beständigen Bewegung der Insel im See, Varro 
L L V, 71. 

10. Angitia, Circo, Marica. 

Auch die Göttin Angitia wird sich hier passend anschliefsen, 
da sie von den Nachbarn und Verwandten der Sabiner, den Marsern 
am L Fucinus unter ähnlichen Bedingungen verehrt wurde wie die 
Vacuna am 1. Velinus, und zugleich als Heilsgöttin, welche sich 
namentlich auf heilende Kräuter verstand, von selbst zur Bona Dea 
der Römer zurückführt. Auch ihre Verehrung war die altertümliche 
und ländliche des Hains, wie davon noch jetzt der kleine Ort Luco 
mit einigen Trümmern alter Anlagen ein Andenken bewahrt hat 3 ), 



») Plin. H. N. n, 209, W, 109, XXXI, 10, Seoeca Qu. Nat. HI, 25, 8, 
Macrob. S. I, 7, 29. 

») Vgl. Prop. V, 9, 24 ff., von dem Haine der Bona Dea in Rom: Devin 
puniceae velabant Omina vitiae. 

*) Scbon bei den Alten werden die Lncenses als ein besondrer Pagus der 
Marser erwähnt, Plin. III, 106. Ueber den 1. Fucinus und die anliegenden 
Oertlichkeiten a. G. Kramer der Fuciner See, Berl. 1856, über den Hain der 
Angitia Klausen Aeneas S. 1041 Taf. IV, 2. [Nahe bei Luco (am Südrande 
des Sees) ist die Inschrift Or. 115«=Henz. 5826 = 1. R. JN. 5592 gefunden, 

■ 



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ASGITIA, CIRCE, MARICA. 



411 



und auch sie mufs das Ansehn einer Stammgöttin gehabt haben, da 
die Marser ihren Namen und ihre ältesten Könige in verschiedenen 
Erklärungen und Genealogieen von dieser Göttin ableiteten. Da 
manche Texte ihren Namen Anguitia schreiben, so haben neuere 
Mythologen sie für eine „Schlangengöttin" erklären wollen; allein 302 
der wahre Name ist in den bessern Handschriften und verschiednen 
Inschriften entweder Angitia oder Ancitia, welches Wort am natür- 
lichsten auf den weitverbreiteten Stamm ancus zurückgeführt wird 
(S. 267) 1 ). Jene Inschriften sind auch deshalb interessant, weil sie 
den Dienst dieser Göttin in weiterer Ausbreitung kennen lehren, und 
zwar in der Form einer Gruppe von mehreren zusammengehörigen 
Göttinnen, wie die Carmentes, die Corniscae, die Furrinae u. A. Eine 
ist aus Sulmo im Gebiet der Paeligner, eine andre aus Antinum in 
dem der Marser, eine dritte aus Peltuinum in dem der Vestiner'), 
so dafs sie also in dieser ganzen Gegend verehrt wurde und zwar 
als wohlthätige Heilgöttin, zu welcher man pro salute sua oder der 
Seinigen betete und opferte. Der alte Centraisitz blieb indessen das 
Gestade des Fuciner Sees 8 ), wo der Reichthum der benachbarten 
Berge einerseits an giftigen Schlangen, andrerseits an oflkinellen 
Krautern, den auch neuere Reisende hervorgehoben haben, den eigen- 
thümlichen Character ihrer Verehrung bestimmt hatte. Namentlich 
rühmten sich die Marser allerlei wirksame Kräuter und Sprüche 
(carmina) um die Schlangen zu beschwören und ihren Bifs un- 



in welcher zwei Paccii quinq{ennales) murum vet[u*tate] contumpturn a solo 
rett[ituerunt) tx p(ecunia) p(ublica) Angitiae, also wie in Rom der Quästor 
murum lunoni Lucinae C. I. L. 6, 358.] 

') [Die vereinzelten Schreibungen Anguetia (so der Medic. Aen. VIII, 759) 
und Ancitiae (s. die ioscbr. in den flg. A.) haben keinen Werth und die Ver- 
wandtschaft mit anguü (ebenso mit An-ger-ona) ist entschieden abzuweisen. 
Aber auch die naheliegende Zusammenstellung mit ang-o, ang-ut-tus u. s. w. 
(Curtius 6 190) hilft nicht, solange nicht der begriff liehe Zusammenhang klar 
wird. Der Bildung nach gleich ist Aec-etia mm Aequ-Üia (vgl. Ritsehl Op. 
4, 283 ff.).] 

») Or. 1846 [— I. R. N. 7255] Angitiis, Mommsen I. N. n. 5433 Angitiis, 
n. 6012 Dis Ancitibus. 

3 ) Virg. Aen. VII, 750 ff. and dazü Servius. Vgl. v. Salis Reisen in ver- 
schiedenen Provinzen des K. R. Neapel 1, 259 ff., 268, 274. [Der Name einer 
am Fucinersee verehrten Gottheit scheint in den noch nicht enträtbselten 
Worten der dort gefundenen archaischen marsisch -lateinischen Inschrift (No- 
tizie 1877, 328 T. XIII, vgl. Jordan Hermes 15, 5 ff.) zu stecken Cato Can- 
tonios — socieque doivovt Atoierp (oder d) attia pro l[egio]m'bus Martses.] 



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412 



VIERTER ABSCHNITT. 



schädlich zu machen von ihr geerbt zu haben 1 ). Man identificirte 
sie deshalb bald mit der Circe von Circeji, deren Sohn nun für den 
Stammvater der Marser galt, bald mit der griechischen Medea, welche 
nach ihrer Flucht von Kolchis bis nach Italien und an den Fuciner 
See verschlagen sei: oder man nannte sie eine Schwester von beiden. 
Jene Circe von Circeji'), wo sie noch in späteren Zeiten eifrig ver- 
ehrt wurde, kann aber ursprünglich auch nichts Anderes gewesen 
sein als solch eine der Bona Dea und der Fauna verwandte Heil- 
und Zaubergöttin der feuchten Gründe und der Vegetation, in welcher 
die cumanischen Griechen ihre Circe wiedererkannten, was sowohl 
für die Auffassung und Erklärung der Odyssee und andrer Sagen als 
für die Sagengeschichte von Latium und Italien so viele wichtige 
3S3 Folgen haben sollte. Eine Spur der einheimischen Bedeutung hat 
sich darin erhalten, dafs man sie für identisch mit der Marica von 
Minturnae hielt 9 ), welche schon als Gemahlin des Faunus, von dem 
sie den Latinus gebiert, gar sehr an Fauna und Bona Dea, so wie 
an jene Stammgöttinnen der Sabiner und Marser erinnert, zumal da 
auch die Verehrung der Bona Dea in Minturnae bekannt ist 4 ). Der 
alte Hain und Tempel der Marica lag an der Mündung des Liris, 
welcher Flufs nicht weit von den Marsern und Vestinern entsprang 
und sich bei Minturnae ins Meer ergofs, wo jene in der ganzen 
Gegend hochverehrte Göttin ihr Heiligthum gleich unter der Stadt 
hatte 5 ). Ihre wahre Bedeutung ist auch daran zu erkennen, dafs 
die griechische Aphrodite, die Göttin des üppigen Vegetationstriebes, 
neben ihr verehrt wurde. Minturnae war einst eine lebhafte und 

») Plin. H. N. VII, 15 (— Solio. 2, 27), XXV, 11, Gell. N. A. XVI, 11. 
Ueberhaupt waren die Marser und Sabeller d. b. jene kleineren Seitenzweige 
sabinischer Abkunft in Ron» als Zauberer, Wahrsager und Quacksalber be- 
kannt, s. Horat. Sat. I, 9, 29, Epod. 17, 28, luven. S. III, 169. 

») Vir*. Aen. VII, 10 ff., vgl. Cic. FL D. III, 19, 48. 

>) Lactant. 1, 21, 23, vgl. Virg. Aen. VII, 45 ff. und Servius zu d. St 
nnd zu Aen. XII, 164 Latinus secundum Hesiodum in damSonoua Ulixis et 
Circae filius fuit, quam rnulti etiam Maricam dicurä. [Sie kommt auch unter 
deu im Hain von Pisaurum von den Frauen verehrten Gottheiten vor C. I. L. 
1, 175 dei(va) Marica (Dativ), ist also weder eine Lokalgöttia von Minturnae 
noch gar (wie Corssen Auaspr. 1 », 405 will) die Göttin des Sees (nicht der 
See) daselbst. Wieder ist die Bildung (vgl. form-lca, ves-ica u. s. w., dera. 2, < 
590) klar, die Wurzel nicht] 

4 ) Mommsen I. N. n. 4053. 

») Strabo V p. 233. 237, Horat Od. III, 17, 7, Lucio. II, 424, Vib. Seq. 
v. Liris und Marica u. A. 



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PALES. 



413 



bedeutende Stadt und die Hauptstadt der umliegenden Ortschaften 
gewesen. Später war sie ein offener Ort, aber noch immer der 
Mittelpunkt eines lebhaften Marktverkehrs und auch wegen jener 
alten Heiligthümer viel besucht. Bekanntlich nahm Marius auf der 
Flucht vor den Sullanern seine Zuflucht zu dem Haine der Marica, 
indem er sich dort, an der Mündung des Liris, im Binsendickicht 
zu verbergen suchte, aber von Sullas Reitern doch entdeckt und 
hervorgezogen wurde 1 ). 

II. Palet. 

Italien ist von jeher vorzugsweise das Land der Viehzucht, der 
Viehweiden, der wandernden Hirten gewesen. Der innere Gebirgs- 
stock mit seinen Schluchten und Wiesen liefert im Sommer die 
beste Weide, der Abhang und die Landschaft bis zur Küste an beiden 
Seiten in der kühlen und nassen Jahreszeit, und wie im Süden der 
Halbinsel und auf Sicilien Theokrit, im Norden Virgil zu ihrer Zeit 
die anmuthigsten Genrebilder dieses Hirtenlebens gedichtet haben, so 
kann der Reisende in Rom und der römischen Campagne noch jetzt 
entsprechende Erscheinungen beobachten 2 ). Ein geordneter Landbau 364 
und eine so zahlreiche Ansiedlung, wie sie in Latium und überhaupt 
in Italien während der besten Blüthe seiner Bevölkerung Platz ge- 
griffen hatte, mochte sich mit diesem wandernden Hirtenleben aller- 
dings nicht wohl vertragen. Aber wie es bei dem zunehmenden 
Verfall der kleineren Städte und Völker von neuem um sich grhT, 
so dafs die Viehzucht selbst von Cato als die lohnendste Art der 
Landwirtschaft empfohlen wurde 3 ), so werden wir es uns in der 
ältesten Vorzeit, wo jenes politische Leben noch in der Wiege lag, 
gleichfalls als ein sehr reges zu denken haben. Und wirklich scheint 
grade auf der Stätte, wo später die Weltstadt Rom sich aufbauete, 
eben dieses alte latinische Hirtenleben eine der beliebtesten Nieder- 
lassungen für den Winter und den nassen Frühling gefunden zu 
haben, eine Art von Castrum Inui, wie jener Ort an der Küste von 
Ardea noph später hiefs. Wenigstens stimmt darin die oft wieder- 
holte Sage der Römer von ihrer ältesten Vorzeit 4 ) merkwürdig überein 

*) Vellei. Pat. II, 19, Plut. Mar. 37. 38. 

*) Vgl. die eingehenden Schilderungen bei Dionys. I, 37 und Plin. III, 40 f. 
und Timäus und Varro bei Gell. XI, 1. 
») Cic. de Off. II, 25, 89. 

4 ) Varro d. r. r. II, 1, 9 Romanoruin vero populär* a pastoribüs esse ortum 



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414 



VIERTER ARSCHMTT. 



mit den örtlichen Culten des Palatinischen Hügels, auf welchen alle 
ältesten Erinnerungen der Stadt zurückwiesen, und selbst der Name 
dieses Hügels und seiner ältesten Ansiedlung, das sogenannte Palatium, 
der wieder aufs engste mit dem Culte der Hirtengöttin Pales zu- 
sammenhängt, will nichts Anderes sagen. Pales war den Alten so- 
wohl in der Bedeutung einer männlichen als einer weiblichen Göttin 
bekannt 1 ), obwohl nur die letztere bei der volksthüuilichen Palilien- 
feier am 21. April berücksichtigt wurde. Aufserdem gab es in den 
römischen Religionsalterthümern eine Diva Palatua, die Schutzgöttin 
des Palatium, mit einem eignen Hamen PalatuahV), desgleichen ein 
beim Septimontium in dem Palatium dargebrachtes Opfer, welches 
365 Palatuar hiefs 3 ), welche Wörter alle zu demselben Stamme gehören, 
auch die gräcisirenden Namen Pallas, welcher bald der Gro&vater 
des Evander, bald sein Sohn genannt wird, und Pallantia seine 
Tochter, und Palanto die Frau des Latinus 4 ). Dafs aber vorzüglich 
die beiden Namen Palatium und Pales keine blofs örtlich römische, 
sondern eine allgemeinere Bedeutung haben, welche auf gewisse 
Zustände und die Vorzeit Italiens überhaupt zurückweist, lehrt ihr 
Vorkommen in verschiedenen Gegenden Italiens. Pales wurde als 
Hirtengöttin nicht allein in Rom und Latium, sondern weit und 
breit auf dem Lande gefeiert, u. a. bei den Sallentinern in der 
Gegend von Brundisium, wo auch viel Viehzucht getrieben wurde 
und wo die pastoricia Pales dem römischen Consul M. Atilius Regulus 
im J. 487 d. St. (267 v. Chr.) unter der Bedingung den Sieg ge- 
währte, dafs ihr ein Tempel gestiftet werde 5 ). So gab es auch 

quis non dicit? quis Faustulum nescit pastorem J'uisse nutricium, qui Romulum 
et Remum educarit? non ipsos quoque J'uisse pastores obtinebit, quod Parüibus 
potissimum condidere Urbem? etc. Vgl. Tibull. II, 5, 25, Propert. IV, 1 und 4 
und die Stellea b. Schwegler R. G. 1, 457. 

') Serv. V, Ge. III, 1 Pales — dea est pabuli. Hanc — a/ü, inter quos 
Varro^ masculino genere vocant , ut hic Pales. Vgl. Arnob. III, 40 oben 
S. 81, 2, Martin. Cap. I, 50, V, 425. 

») Varro 1. L VII, 45, Fest. p. 245. [Ueber Palatua vgl. Pott in der Zeit- 
schrift f. vgl. Sprachf. 8, 186.] 

s ) Fest. p. 348 Septimontio. 

«) Varro 1. 1. V, 53, Serv. V. A. VIII, 51, Paul p. 220 Palatium, vgl. Dionys. 
I, 32. 33 und Schwegler R. G. 1, 443. Bekanntlich haben die Griechen den 
römischen Evander d. i. Faunus als erster Ansiedler und Inhaber des Palatium 
zu einem aus der kleinen Bergstadt I'allanteum in Arkadien gebürtigen Griechen 
gemacht. 

6 ) Flor. Epit. 1, 15 (20), Schol. Veron. V. Ge. III, 1 p. 78 ed. Keil, wo 



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PALES. 



415 



mehr als ein Palaüum, namentlich eins in der Gegend von Reate, 
von wo die latinischen Aboriginer nach Latium und in das römische 
Palaüum übergesiedelt zu sein behaupteten (Varro 1. 1. V, 53), ferner 
einen Ort im Lande der Sabiner oder Umbrer, von welchem sich 
Münzen mit der Inschrift Palacinu erhalten haben, mit dem Gepräge 
des Vulcanuskopfes auf der einen und der geflügelten Silenusmaske 
auf der andern Seite, des letzteren wahrscheinlich mit Beziehung 
auf einheimischen Faunusdienst (S. 391). Die vergleichende Sprach- 
forschung aber lehrt dafs alle diese Wörter, Pälas, Pales, Pälatua 
(vgl. statua, aedituus), Pälatium (vgl. Latium) von einer Wurzel pä, 
Tidofiaij pa-sco abzuleiten sind, welche die Bedeutung des Nährens, 
Erhaltens und Weidens hat und sowohl im Sanskrit als im Grie- 
chischen und in den italischen und andern verwandten Stamm- 
sprachen viele Wörter, im Griechischen namentlich auch den Namen 
des Gottes IJdv, dem der männliche Pales entspricht, erzeugt hat 1 ). 
W T as namentlich das Wort Palaüum betrifft, so scheint es nicht so- sm 
wohl einen Weideplatz als eine befestigte Hürde, eine zeitweilige 
Hirtenansiedlung zu bedeuten, aus welcher mit der Zeit eine blei- 
bende Ansiedlung geworden ist, mögen die Hirten und Heerden dieser 
Niederlassung nun die der albanischen Könige gewesen sein, wie die 
gangbare Ueberlieferung erzählt, oder mögen sie, wohin die Sage von 

Pales Matuta wohl i. q. mana, bona ist. Mouimsen Unterital. Dial. 275 ver- 
steht darunter „die Güttin der mit dem ersten Morgenstrahl austreibenden 
Hirten". [Doch hat P. die Zeugnisse mißverstanden : Regulus gelobte (nach 
gewöhnlicher Sitte) der Pales eiuea Tempel, wenn sie ihm den Sieg verliehe, 
und baute iha dauu in Rom: Jordan Eph. epigr. 1, 231.] Ovid nennt die Pales 
rustica und silvicola F. IV, 714. 746. Vgl. Schol. Pers. I, 72 Varro sie ait: 
Palüia tarn privata quam publica sunt, et est gemts hilarüatis et lusus apud 
rusticos etc. 

M Die Sauskritwurzel pü bedeutet tueri, susteutare. Das griechische 
naofittt hat sich nur im Aor. Inüaä/u >,v und im Perf. ninüfiat erhalten. Daher 
niipa, noifit]V (lit. peinu) und der Gott Tläv, im Lat. pa-sco, pa-bu-lum. Ia 
andern Formen tritt das 1 hinzu, wie in Paies und pälea d. i. ursprünglich 
Viehfutter, Plin. H. N. XVIII, 72, vgl. Sauskr. palajami, ein denominatives Verbum 
vom Substantiv pala-s rex, domiuus, vgl. das slav. pä-n Herr und das lydische 
nakpvq re*. Grimm D. M. 592 vergleicht mit dem mänulichen Pales den 
slavischen Hirtengott, rusa. Volos, böhm. Weles. Den Begriff des Nahrhaften 
hebt hervor das Adjectiv alma Pales Ovid F. IV, 722. 723. [Die von P. vor- 
getragenen Etymologien gelten zwar, abgesehen von Einzelnheiten (palea), 
ziemlich allgemein als sicher (Corssen Ausspr. 1 *, 425 ff. , Curtius Et. 5 270), 
sind es aber keinesweges (vgl. Jordan Top. 1, 1, 182). Auch alma hat schwer- 
lich den hier behaupteten prägnanten Sinn: oben S. 56, 2.J 



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416 



VIERTER ABSCHNITT. 



den palatinisch'en Aboriginern deutet, in jenen ältesten Zeiten wie es 
die Jahreszeit erforderte zwischen diesen Hügeln und den Weiden 
von Reale hin- und hergezogen sein. Dieselbe Ansiedelung wird 
zugleich die gemeinschaftliche Cultusstätte der in diesen Gegenden 
weilenden Hirten gewesen sein, die also hier ihren Mars, ihren 
Faunus und Fauna, ihre Pales und andre auf Viehzucht bezügliche 
Götter feierten, die letztere als Schutz- und Stiftungsgöttin des Pala- 
tium, daher ihr Fest, die Palilien am 21. April, in den Ueberlie- 
ferungen der Stadt fort und fort für deren Stiftungstag galt. Nennen 
doch noch die Dichter des Augusteischen Zeitalters und spätere, 
wenn sie der Pales gedenken, diese mit Beziehung auf jenen Ur- 
sprung Roms die ehrwürdige, die urgrofsväterliche, die altersgraue 1 ). 
Ueber die Gebräuche dieses Festes der Palilien oder wie man das 
Wort in Rom gewöhnlich aussprach der Parilien 2 ) giebt Ovid 
F. IV, 721 ff. nähere Auskunft. Ein blutiges Opfer durfte an diesem 
Tage nicht gebracht werden, wohl aber räucherte man mit einer 
eigentümlichen, von den Vestalischen Jungfrauen bereiteten Mischung 
vom geronnenen Blute des Octoberpferdes (S. 366), der Asche eines 
kurz vorher, am Tage der Fordicidien verbrannten, noch ungebornen 
367 Kalbes und Bohnenstroh, welcher Mischung man eine reinigende 
Wirkung zuschrieb, daher Ovid sie februa casta nennt. Auch mufsten 
die Schaafe bei der ersten Dämmerung des Morgens lustrirt werden, 
zu welchem Zwecke der Schaafstall mit Wasser besprengt und mit 
frischen Besen ausgekehrt, darauf inwendig mit frischem Laube, an 
der Thür mit Kränzen und Gewinden ausgeschmückt, endlich die 
Schaafe selbst mit Schwefeldämpfen gereinigt wurden. Dann wurde 



») Virg. Ge. III, 1 magna Pales, 294 veneranda Pales, Stat. Theb. VI, 111 
cana Pales, INeme.sius Ecl. I, 68 grandaeva Pales. 

*) Es ist die volkstbüinliche Aussprache, wie mau Remures sagte für 
Lemures u. dgl. Dals es die gewöhnliche war, sieht man aus dem Sprach- 
gebrauch der meisten Schriftsteller, Römer und Griecheu, s. Ovid F. IV, 721, 
VI, 257, Plin. H. N. XVIII, 247 sidus Parilicium, Colum. VII, 3, 11, Solin. 1. 
Dionys I, 68, Plut. Ro. 12, Athen. VIII p. 361 F., Dio Cass. XLIII, 42, Schol. 
Pers. I, 72. Daher die falsche Erklärung der Parilia a partu pecoris oder a 
partu lliae, Paul. p. 222, Dionys, Solin. 1. c. [Vielmehr ist nach dem Zeug- 
nifs des augusteischen Kalenders (21. April, Par{ilia) der Mall, und jetzt auch 
der Cäret. Eph. ep. 3, 7) Parilia nicht allein die gewöhnliche, sondern auch 
die allein correcte und wohl sehr alte Schreibung des Namens. Doch ist die 
Herleitung Parilia von Pales und die Annahme der Entstehung jenes r nur 
durch Dissimilation (Corssen 1, 223) wohl allein zulässig.] 



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PALE8. 417 

auf dem Heerde von Rosmarin-, Fichten-, Oliven-' und Lorbeer- 
zweigen ein Feuer angemacht, wobei es für ein gutes Zeichen galt, 
wenn die letzteren im Feuer recht stark knisterten. Dazu brachte 
man ein einfaches Opfer, aus Hirse gebackene Kuchen und ein 
Körbchen mit Hirse, wie es die ländliche Göttin liebte, endlich ein 
Speiseopfer mit Milch, und betete dabei um Segen für das Vieh, den 
Stall und die Herrschati, um Verzeihung für allerlei kleine Sünden 
z. B. wenn der Hirt seine Heerde auf einen geweihten Platz ge- 
lrieben oder wenn er von einem Haine für sie Laub abgeschnitten 
oder sich unter einem heiligen Baume niedergelassen hatte u. dgl., 
um Schutz gegen allerlei Seuche und Krankheit und um gute 
Weide, gutes Wasser, gefüllte Euter, geile Böcke, fruchtbare Schaaf- 
mütter u. s. w. Ein solches Gebet solle der Hirt nach Morgen 
gewendet viermal sprechen, darauf ein Gemisch von Milch und 
frischem Most trinken und alsbald den Sprung durch die Haufen 
brennenden Strohs thun, von welchem bei diesem Feste immer am 
meisten die Hede ist. Aus andern Beschreibungen sieht man, dafs 
es dabei recht lustig zuging, indem vor und nach dem Sprunge von 
den versammelten Hirten viel getrunken und gesungen wurde 1 ), aus 
Ovid selbst im weiteren Verlaufe seiner Erörterung, dafs das Feuer 
dazu künstlich angeschlagen wurde und dafs nicht allein die Hirten, 
sondern auch die Heerden durch das brennende Stroh sprangen. 
Die religiöse Bedeutung des Gebrauchs ist deutlich genug die einer 
Reinigung durch das Feuer, wie sich denn derselbe reinigende Sprung 
oder Gang durch das Feuer in sehr verschiedenen Gegenden als eine 
alte und allgemeine Sitte des Heidenthums nachweisen läfst 2 ). Die 
gewöhnliche Jahreszeit dieser Reinigung ist bekanntlich die Mitte des 
Sommers und der Sonnenwende, wo noch jetzt in vielen Gegenden 
von Deutschland Feuer auf den Bergen angezündet wird und ehe- »68 
mals auch das Springen durch das Feuer selbst in den Städten auf 
öffentlichen Plätzen herkömmlich war, in welchem Sinne, das lehrt 
am besten derselbe Gebrauch in Griechenland, wo die Weiber mit 
dem Rufe „Ich lasse meine Sünden" durch das Feuer springen. 



') S. Dionys. I, 88, wo Romaiiis als Gründer der Stadt den Gebrauch ein- 
setzt, Tibull. II, 5, 87 ff., Prop. IV, 4, 75 ff., Pers. I, 71 mit den Scholien, 
Probus z. Virg. Ge. III, 1. Vgl. Ovid F. IV, 795 und 805. [Auch außerhalb 
Rom wird der Tag festlich bcgangeo: fer{iae) coronatü om(nibus) der S. 416, 2 
a. Kalender von Gäre.] 

l ) Grimm D. M. 581 ff. 
Prell er, Rom. Mjthol. I. 3. Aufl. 27 



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418 VIERTER ABSCHNITT. 

Doch gab es in Deutschland neben dem Johannisfeuer auch ein 
Osterfeuer, welches vorzüglich im nördlichen Deutschland verbreitet 
war und in alter Zeit wahrscheinlich der heidnischen Licht- und 
Fröhlingsgöttin Ostara galt, jedenfalls aber dem Eintritt des Früh- 
lings entspricht und in dieser Hinsicht dem Feuer der römischen 
Palilien nahe verwandt ist. Denn offenbar sind auch diese zugleich 
Frühlings- und Reinigungsfest, wie die Lupercalien im Februar, die 
Feier des Mars im März und auch wohl die Feier des Vejovis an 
den Nonen desselben Monats und die des Apollo Soranus mit der 
entsprechenden Sitte eines reinigenden Ganges durch das Feuer 
(S. 269), indem man an allen diesen Festen zugleich den Winter 
und allen Schmutz des vergangenen Jahres abthat und sich zu dem 
neuen Jahre wie zu einer neuen Zukunft reinigte. Auch in dieser 
Hinsicht ist dieses Fest als Stiftungsfest von Rom von religiöser 
Bedeutung. Die stadtische Feier wird sich übrigens von der länd- 
lichen nicht allein durch bestimmte Hinweisung auf Romulus und 
die Gründungsgeschichte, sondern auch durch andre Ausstattung 
unterschieden haben, wie man sie z. B. zur Zeit Casars mit Pferde- 
rennen feierte 1 ). Noch später, zur Zeit Hadrians, wurde das Fest 
mit dem der Dea Roma verschmolzen und als Geburtstag derselben 
mit lärmender Musik und entsprechenden Gesängen, so wie mit 
circensischen Spielen begangen. 

12. Huminus und Rumina. 

Gleichfalls am Palatinischen Hügel und zwar in nächster Nähe 
der Faunushöhle des Lupercal, da wo der durch die römischen 
Zwillinge so berühmt gewordene Feigenbaum stand, wurde noch ein 
andres Paar von Hirtengöttern verehrt, Jupiter Ruminus und die 
869 Diva Rumina 2 ), von welchen jener Feigenbaum den Namen des 
Ruminalischen bekommen hatte; ja es verdanken ihnen vielleicht 
selbst Romulus und Rom und die Römer ihre Namen. lupiter 



») Dio XLIII, 42, vgl. Athen. VIII p. 361 F. Aas dieser Identification der 
Pales mit der Dea Roma oder der Tyche der Stadt im griechischen Geschmack 
erklärt es sich, dals nach Serv. V. Ge. III, 1 Einige die Pales für die Vesta, 
Andre fdr die Mater Deum erklärten. 

*) Aagnstin C. D. VII, 11 s. oben S. 194, 4. Andre wissen nur von der 
Rumina, welche von Seneca b. Augustin VI, 10 sogar zu den vidois d. b. zu 
den unvermählten Göttinnen gerechnet wird. 



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RUMINUS UNO RUMINA. 



419 



Ruminus ist in dieser Zusammenstellung höchst wahrscheinlich als 
Divus Pater Ruminus zu erklären, neben welchem also Rumina als 
Diva Mater angerufen wurde [vgl. oben S. 50. 56 f. 195]; beide aber 
hiefsen nach den übereinstimmenden Zeugnissen vieler Schriftsteller 
a ruma, welches Wort in der Bedeutung der säugenden Brust bei 
den Hirten und Bauern im Gebrauche blieb. Die Hirten opferten 
dieser Göttin; wie Varro sagt 1 ) mit Milch für das junge noch säu- 
gende Vieh; dahingegen Andre ebenso natürlich an das Bild der 
säugenden Wölfin mit den Zwillingen dachten, welche unter dem 
lluminalischen Feigenbaum stand und höchst wahrscheinlich ein altes 
Sinnbild derselben nährenden Muttergöttin Rumina war, die von der 
Fauna Luperca (S. 387, 3) nur durch ihren Namen verschieden 
gewesen sein kann. Auch der Feigenbaum mit seinen vielen, süfsen, 
saamenreichen und nährenden Früchten war ein natürliches Bild 
dieser gütigen Göttin, daher derselbe Baum in Griechenland der 
Demeter und dem Dionysos heilig war. 

Anhang. 

Die Sühnungen und Weihungen im Dienste des Mars and der 

verwandten Götter. 

Noch mögen hier verschiedne Arten von Sühnopfern und 
Weihungen der Flur, der Stadt, der Bürgerschaft zur Sprache 
kommen, wie sie im Culte des Mars, des Faunus Lupercus, der 
Bona Dea, der Pales herkömmlich waren, die sich auch dadurch s:o 
als zusammengehörige Gruppe zu erkennen geben, neben ihnen aber 
auch in dem der Ceres, des Liber Pater und andrer Götter des 

') Varro d. r. r. II, II, 5 Non negarim ideo apud Divae Rttnrinae saceüum 
a pastoribus saiam ficum. Ibi enim tolent sacrißcari lacfe pro vino et pro 
tactentibus. Mammae enim rumes sive rumae, ut ante dierbant, a rumi, et 
inde dicuntur sitbrumi agni. Vgl. Varro b. Non. Marc. p. 167 oben S. 59 and 
Paul. p. 271 Ruminalis dicta est ficus, qttod sub ea arbore lupa mammam de- 
derat Remo et Romulo. Mamma autem rvmit dicütir, unde et rustiei appet- 
lant hoedot subrumos, qui adhuc sub mainmix habentvr. Pltn. H. N. XV, 77 
(oben S. 110, 1]. Andre leiteten den Namen flrus Ruminalis ab von rumen 
d. i. der wiederkäuende Schlund und ruminari d. i. Wiederkäuen, s. Pest. p. 270, 
Plut. Rom. 4, welcher von der Dha Humina hinzusetzt: xttl dtov nvn rrje 
fxTQcyijs rwv vqnftov inifAiltia&ai öoxoCoav dvopdCoiat 'PovfuiMav xttl 
&vovoiv avry vntfälia xal yala roTf UooTf in ion(v&ov<Jiv. [Vgl. über Ru- 
mina Corssen Beitrage zur lat. Formenlehre 429; über den Heus ruminalis 
Kuba Herabkunft des Feuers ISO.] 

27* 



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420 



VIERTER ABSCHNITT. 



ländlichen Segens. Der allgemeine Ausdruck für diese Gebräuche 
war lustrare 1 ), welches sich von den sinnverwandten Wörtern 
februare, purgare, expiare dadurch unterscheidet, dafs es den Begriff 
eines sühnenden Umgangs mit den Opferthieren oder sonst einein 
Sülmimgsmittel um den zu reinigenden Gegenstand, ein Grundstück, 
eine Stadt, eine Person oder eine gröfsere Anzahl von Personen in 
sich schliefst: wie die Luperci nach jenem Opfer im Lupercal zuerst 
um die Palatinische Altstadt und dann durch die übrige Stadt liefen. 
Daher die Benennung der Ambarvalia und des Amburhium, 
das sind weihende Umgänge mit Opferthieren, welche nachher unter 
Gebet und Weihung geschlachtet wurden, um die Felder und um 
die Stadt 2 ), die dadurch der magischen Kraft des Opfers und der 
Weihe des Gebetes theilhaftig gemacht wurden. Die Opferlhiere 
waren bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich die sogenannten Suove- 
taurilien oder, wie man vor Alters gewöhnlich sagte, Solilaurilieii, 
das speciell im Culte des Mars herkömmliche Opfer 3 ), wie sich 
denn alle diese Sühnungen und Reinigungen vorzüglich im Culte 
des Mars entwickelt zu haben scheinen. Suovetaurilien hiefs dieses 
Opfer, weil es hergebrachlerinafseii aus einem männlichen Schwein, 
einem Schaafhock und einem Stier bestand, die dabei die drei wich- 
tigsten Arten der durch ganz Italien unter den Schutz des Mars 



l ) [Ueber die Bildung von lu-s-tr-um (wovon lustr-are) von lu-o vgl. Curtius 
Et. s 368 f. Vgl. auch haustrum Jordan Krit. Bcitr. 71.] 

*) Virg. Ecl. V, 75 cum lustrabimus agros. Dazu Servius: lustrare 
hic circuire t dicitur enim am barvale sacrificium. Daher ambarvalis 
hostia, quae rei divinae causa circum arva ducitur ab his qui pro frugibus 
faciunt, nach Pomp. Festus bei Macrob. III, 5,7, daher bei Paul. p. 5 zu 
schreiben ist: Ambarval&s hostiae dicebantur quae pro arvis alque frugibus 
(für a duobus fratribus) sacrißcantur. Die Forin ist zu erklären wie amter- 
mini qui circa terminos provinciales manent, amiciri u. dgl. Paul. p. 17. Der 
Sache nach vgl. das feierliche (Jmtragen und Umführen der Götterbilder bei 
Grimm D. M. 1202. [Vielmehr ist mit Mommsen Chroo. 1 TU bei Paulus zu 
schreiben pro arvis a XII fratribus und die Identität der Ambarvalien — als 
eines von den Arvalbrüdero im Mai ursprünglich um das Stadtgebiet aus- 
geführten Opferumgangs, von welchem später aus leicht begreiflichen Gründen 
nur das Opfer im Hain der Dea Dia übrig blieb — mit dem Amburbiura (unten 
S. 372) festzuhalten, wie es schon Murin i gethan hatte. S. Jordan Top. 2, 
236. 1, 1, 269 f. und besonders Krit. Beitr. 200 ff.] 

8 ) Cato d. r. r. 141, Liv. VIII, 10, Fest. p. 180 Opima Spolia. Namentlich 
durften dem Jupiter eigentlich keine Suovetaurilien geopfert werden, a. Macrob. 
S. III, 10, 3, Serv. V. A. IX, 627. 



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SUOVETAURILIA. AMBARVALIA. 



421 



gestellten Viehzucht vertraten, Solilaurilien, weil diese drei Slücke 
und Repräsentanten des Heerdenreichthums völlig ausgewachsen und 
durchaus uuheschädigt sein muteten 1 ). Für weihliche Gottheiten s.i 
nahm man Thiere weihlichen Geschlechts, hei andern Gelegenheiten 
Thier« zarten Alters, sogenannte Suovetaurilia minora oder laclentia 2 ). 
Dem Blute des Schweines und des Lammes wurde eine sühnende 
Kratl heigemessen; der Stier scheint mehr als honorarius d. Ii. als 
das edelste Stück und der Führer seiner Heerde hinzugefügt worden 
zu sein 3 ). Immer wurden diese Thiere oder statt ihrer im Kind- 
lichen Privatgottesdienste das einzelne üpferlhier dreimal um den 
Acker, die Stadt u. s. w. herumgeführt 4 ) und darauf hei dem Opfer 
seihst ein feierliches Gehet in alter und herkömmlicher Formel ge- 
sprochen 6 ), welcher man wie immer eine hesondre Kraft zuschrieb. 



') Quintil. 1, 5, 67 mit der Note von Spalding uud Fest. p. 293 Solitau- 
i Uta — quia tollum Osce int am et solid um significat [solois = omnibut (?) 
auf eioer päligniscbcn Inschrift Notizie 1879, 224, Bücheler Rh. Mos. 1880, 73] 
so dafs also a potiori blos der Stier genannt worden wäre. Vgl. Charts. 1 
p. 84 P. [109 K. Die Alten hielten solitaurilia (so die Urk. b. Festus 1S9 u. a.) 
und suovetaurilia (so die Arvalacten, auch maiora uud minora, Henzcn Acta 
143) für dasselbe, ein Schwein-Schaf-Stier-Opfer bezeichnende Wort. Dies ist 
uomöglich. Aber der Versach Corsaeos solüaurilia als Opfer von unverschnit- 
tenen Thieren (tauri Hoden!) zu erklären (Krit. Beitr. 317) ist schwerlich 
berechtigt; andererseits fragt es sich ob die Bildung des angeblichen su-oue- 
taur-ilia nicht gegen das lateinische Compositionsgesetz verstöfst: s. Jordan 
Krit. Beitr. 104. Der ganze neuerdings vernachlässigte Gegenstaad bedarf 
noch der Aufklärung, im Zusammenhang mit den oben S. 214, 1 berührten 
Fragen. — Lieber das Opfer von Schwein, Schaf, Stier und einige der vielen 
dasselbe darstellenden Kunstwerke s. Henzen Bull, dell' inst. 1872, 277]. 
») Serv. V. A. XII, 170, Mai ini Atti Arv. p. 364 [Henzen a. 0.] 
») Marini Atti p. 216. 310. Namentlich war das Schwein bei Griechen 
und Römern das allgemeine Sühnungsopfer, bei den Römern auch für die Laren, 
s. Horat. Sat. II, 3, 164, Prop. V, 1 , 23 intpp., Cato d. r. r. 139. Waren 
junge Schweine nöthig, so mofsten sie wenigstens zwei Monate alt sein, weil 
sie erst dann zu säugen aufhören und ad sacrificium pari sind, Varro r. r. II, 

1, 20. Als solche hiefsen sie sacres, s. Plaut. Rod. IV, 6, 4, Menaechm. II, 

2, 15, Fest. p. 318. Dasselbe bedeuten die porcae oder porciliae piaculares 
der Arvalischen Urkunden, s. Marini p. 307. 597. 

4 ) Virg. Ge. I, 345 terque novas eircum feUx eat hostia frugum. Vgl« 
Dionys. IV, 22 von den Snovetaurilien beim Lustrum und Servius V. A. VI, 
229. Dasselbe ward bei dem süboenden Umzüge um Iguvium beobachtet, s. 
Aufrecht und Kircbhoff Umbr. Sprachdenkm. 2 S. 272. 

•) Fest. p. 161 Marspedis oben S. 335, 1 und p. 210 (Sched. Laeti) 
Pesestas inter alia quae f si inter precationem dicuntur cum fundus lustra- 



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422 



VIERTER ABSCHNITT. 



Am häufigsten erwähnt werden die ländlichen Ainbarvalien, wie sie 
bei verschiedenen Gelegenheiten dargebracht wurden, besonders in 
der Zeit wenn die Felder in der Blüthe standen und der Erndle 
allmählich entgegenreiften, in welcher Zeit die Gefahren der Witterung 
und andrer Schaden am meisten zu befürchten sind l ). Eine genaue 
372 Anweisung wie bei einer solchen Weihe zu verfahren ist giebt Cato 
r. r. 141, wo Mars noch der eigentliche Schutzgott des Ackers und 
alles ländlichen Besitzes und Segens ist, s. oben S. 340 3 ). Später 
wurden statt seiner gewöhnlich Ceres und Bacchus angerufen, wäh- 
rend die Sitte des Umgangs dieselbe blieb, s. die Schilderungen 
solcher ländlicher Festlichkeiten bei Virgil Georg. I, 345 und Tibull 
II, 1. Alles pflegte an solchen Tagen von der Arbeit zu ruhn und 
sich rein und heilig zu halten, Menschen und Vieh, der Herr und 
die Knechte und Mägde. Während das Opferthier um die Felder 
geführt wurde, folgte die Schaar der Arbeiter in festlicher Kleidung 
und mit Oelzweigen in der Hand, zu den Schutzgöttern des Gutes 
betend für die Saat, den Viehstand, den Landmann und den jungen 
Nachwuchs der Sklaven, wie um Abwehr alles Schadens. Nicht weniger 
verbreitet scheint aber auch der verwandte Gebrauch des Amburbium 
d. h. der Stadtweihe gewesen zu sein, wo entweder regelmäfsig oder 
auf ausserordentliche Veranlassung die sühnenden Opferthiere um 
die Grenzen der Stadt oder eines Theiles derselben oder um die 
Stadtflur geführt und dazu gleichfalls um Schutz und Segen gebetet 



tur sig/iißcare videtur pestileidiam , ut inküigi ex ceteris polest {possunl die 
Abschr.] quom dicitur: Averlas morbum, mortem, labern, nebulam, 
impetigenem. 

») Virg. Ge. 1, 338 ff. lnprimis venerare deos atque annua magnae sacra 
refer Cereri laetis operatus in herbis (wenn die Saat blüht) extremae sub 
casum hiemis, iam vere sereno. Vgl. das Kai. Farnes, rust. im Mai: Segetes 
lustraotur und Marini Atti p. 137 sq. Auch das feriale von Capua (S. 163) 
schreibt Tür den 1. Mai eine lustratio ad flumeu d. h. am Volturnus und zwar 
bei Casilinum vor, offenbar eine lustratio segetum. Die zweite, in demselben 
feriale für den 25. Juli und zwar ad iter Dianae (d. h. Tifatinae) vorgeschrie- 
bene lustratio ad Humen scheint der porca praecidanea beim Beginn der Erndtc 
zu entsprechen. 

*J [Die von Jordan Hermes 7, 193 ff. erläuterte Inschrift von Doblino am 
Gardasee C. 1. L. 5, 5005, wo ein Gutsverwalter Fatt's Fata[bus) — tegurium 
— fecit el in tutela eins HS. n. CC conlustrio Jundi Vettiani dedit bat w ohl 
mit dem alten jährlichen lustrare f und um nichts zu thun, wenn auch con- 
lustrium fundi sprachlich, wie dort nachgewiesen ist, nur lustratio fundi 
heifsen kann.] 



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AMBURBIUM. LUSTRL'M. 



423 



wurde 1 ). Ein solches Opfer war dasjenige, auf welches sich die 
S. 43 erwähnten Urkunden von Iguvium bezielm; wenigstens wird 
in denselben, soweit die Deutung bis jetzt gelungen ist, ein Umgang 
um die Burg (ocris) oder Altstadt beschrieben, bei welchem die 
Opferthiere um die Grenzen derselben geführt werden, um sodann 
an drei verschiedenen Punkten den Göttern, unter welchen Jupiter 
und Mars besonders hervortreten, geopfert zu werden, mit Gebeten 
welche auch hier um Abwendung aller Landplagen und um Heil 
und Segen für Stadt und Volk flehen. In Rom ward die Palatinische 
Altstadt bei den Luperealien insbesondre lustrirt; dahingegen sich 
eine Stelle bei Strabo V p. 230, wo von Opfern der Pontifices die 
Rede ist, welche au einem bestimmten Tage an verschiedenen 
Punkten der alten Stadtgrenze dargebracht wurden, entweder auf 
ein Amburbium der Stadtflur oder auf Ambarvaüa publica bezieht 8 ). 
Aufserdem werden solche Sühnungen der Stadt wiederholt bei aufser- 373 
ordentlichen Gelegenheiten erwähnt, wo es den Zorn der Götter zu 
beschwören galt 5 ), u. a. bei Lucan 1, 592 fF., wo beim Ausbruch 
des Kriegs zwischen Pompejus nnd Cäsar ein Amburbium um die 
Grenzen der Stadt beschlossen wird, an welchem sämmtliche Priester- 
schaflen des öffentlichen Gottesdienstes theilnehmen, die Pontifices 
unter der Anführung des Pontifex Maximus und in ihrem Gefolge 
die PontiGces minores, die Togen cinetu Gabino aufgegürtet, die 
VestaUschen Jungfrauen unter der der Virgo maxima, die XV viri 
sacris faciundis und die phrygischen Galli, die Augurn, die VII viri 



*) Paul. p. 5 Jmburbiales hostiae appellaba/itur quae circum terminos urbis 
Romae ducebantur. Serv. V. Ecl. III, 77 dicitur autem hoc sacrißeium ambar- 
vale, quod arva ambiat victima, sicut amburbiak vd amburbium dicitur sacri- 
ßeium quod urbem cireuit et ambit victima. 

*) Es ist von einein Orte Festi zwischen dem 5. und 6. Meilenstein die 
Rede, wo ehemals die Grenze gewesen sei, oX ttqofivriuovH dvot'av int- 
rtlovaiv ttrav&a re xul iv iilloig lonoig itXrfoOiV tos 6o(oig av97j l utQov (an 
einem und demselben Tage), j}r xctkovoiv !AnßaQov(«v, wofür entweder 
ßovgßiov zn schreiben ist oder IffißitQovalia. [Der Ort ist identisch mit dem 
am 6. Meilenstein gelegenen Hain der Dea Dia, sei es nun dai's , Festi' ein 
sonst verschollener Pogus-Naiue ist, sei es dafs doch (s. Jordan Top. 2, 236) 
ein Mirsverständnifs des lateinischen festus seitens Strabos vorliegt.] 

3 ) Liv. XXI, 62, XXXV, 9, XLII, 20, lul. Obseq. 13. 36. 44. 63. Bei 
Lucan I, 592 f. heifst es: Mox iubet (ein etruskischer Aruspex) et tot am pavidis 
a civibus Urbem ambiri et festo purgantes moenia lustro longa per exlremos 
pomeria cingere fines. 



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424 



VIERTER ABSCHNITT. 



Epulones, die Sodales Titii und die Salier, endlich die Flamines. 
Noch zur Zeit des Aurelian ist hei drohender Gefahr von ähnlichen 
Sühnungen der Stadt und der Stadlflur die Rede 1 ). Endlich gehört 
auch die sühnende Weihe der gesammten Bürgerschaft hieher, wie 
sie nach dem Staatsgrundgesetze des Servius Tullius alle vier Jahre 
zuerst von den Königen, dann von den Consuln, seit dem J. 311 
d. St. von den Censoren zum Beschlüsse des gesammten Werkes der 
Schätzung in dem Marsfelde, wahrscheinlich bei jenem alten Altare 
des Mars (S. 353), mit religiösen Feierlichkeiten vorgenommen wurde. 
Auch hier wurden zuerst die gewöhnlichen Solitaurilien des Mars 
dreimal um die im Schmuck der Waffen versammelte und als 
Bürgerwehr (exercitus) in Rotten aufgestellte Bürgerschaft herum- 
geführt, daher die ganze Feier auch ambilustrum genannt wurde 8 ). 
Darauf erfolgte an jenem Altare das feierliche Opfer, wobei der prä- 
sidirende Magistrat, von den beiden Censoren immer derjenige den 
das Loos dazu bestimmt hatte, in einer herkömmlichen, von einem 
Staatssecretär aus der Urkunde vorgelesenen Gebetsformel die Götter 
374 um Erstarkung und Mehrung der Macht des römischen Volkes an- 
flehte, eine Formel welche seit Scipio d. J. dahin verändert sein soll, 
dafs man nicht mehr um die Mehrung, sondern nur noch um die 
Erhaltung dieser Macht betete. Auch Colonieen und Heere wurden 
auf gleiche Weise lustrirt, desgleichen der Capitolinische Tempelplatz 
beim Neubau des Vespasian; und zwar sah man wie bei allen reli- 
giösen Handlungen immer darauf dafs Alles unter den glücklichsten 
Zeichen vor sich gehe 3 ). Selbst bei den Reinigungen von Kranken, 
namentlich Geisteskranken, denen von Heerden Viehs, endlich der 
bei einem Leichenbegängnisse Versammelten und andern Anlassen 



*) Flav. Vopisc. Aurel. 20 last rata Urbs, cantata carmina, amburbium 
celebratum, ambarvalia promissa. Vgl. Hieronym. ad Vital, ep. 132 Invenietnus 
lustralibus hostiis — portentuosas soboles tarn in hominibus quam in armeniis 
ac pecudibus expiatas. 

>) Liv. I, 44, Varro r. r. D, 1, 10, Valer. Max. IV, 1, 10, wo Kerapf mit 
Recht hergestellt hat in solüaurili sacrificio, Pseudo-Ascon. Cic. Divin. III, 8 
p. 103 Or. [wo nach Kielsling und Schöll Asc. p. 87 die Hss., wie die Prin- 
ceps, solitaurelia haben], Dionys. IV, 22, vgl. Becker Handb. II, 2, 243. 
[Mommseo Staatsr. 2 406 A. 3. Doch ist das Wort ambilustrum der Sache 
nach, noch mehr der Bildung nach, sehr bedenklich und durch Serv. V. Aen. 
!, 283 schlecht verbürgt; Spengels Conjectur bei Varro V, 153 unsicher.] 
Auch der Pontifex war bei dem Opfer beschäftigt, s. Serv. V. A. VIII, 183. 

») Cic. de Divin. I, 45, vgl. Cato r. r. 141 und Tacit. Hist. IV, 53. 



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AMBUIIBIUM. LUSTRUM. 



425 



der Art wiederholen sich im Wesentlichen dieselben Gebräuche, nur 
dafs das Mittel der Reinigung ein verschiedenes war und eben des- 
halb auch die Ceremonie sich änderte 1 ). 



>) Virgil Aen. VI, 229 ff. voo der Reinigung am Schlosse eines Leichen- 
begängnisses, Plaut. Amphitr. II, 2, 144 und Serv. V. A. VI, 229 von der vou 
Geisteskranken mit einer Fackel oder mit Schwefel, einer Art von Exorcismus, 
vgl. Tibull. I, 2, 61. 5, 11, Ovid Met. VII, 261. [Plin. H. N. VIII, 161 nenut 
es eio auguriutn . . . excutso auriga, ut st staret, equos cucurrisse in Capito- 
littm et aedern ter lustrasie.) 



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FÜKFTER ABSCHNITT. 



Venus und verwandte Götter. 



376 Sehr verbreitet war der Dienst einer Göttin der Blumen, des 
Frülüings, der Lust und des irdischen Reizes mit Inbegriff seiner 
Vergänglichkeit, welche an Quellen, in Hainen und Gärten und in 
den Monaten April und Mai gefeiert wurde, auch als Göttin des weib- 
lichen Reizes und der Liebe, endlich der bürgerlichen Verbündung 
und Eintracht, wodurch sie zugleich einen ethischen und politischen 
Characler annimmt. Da sie der griechischen Aphrodite, zum Theil 
auch der Persephone nahe verwandt war, so war es sehr natürlich 
dafs sich ihr Bild mit jenen vermischte. Doch darf das ursprüng- 
liche Wesen dieser Gottheit für italisch genommen werden, so gut 
die ihr in manchen Stücken verwandte Freyja eine germanische und 
scandinavische Göttin ist. Unter den verschiedenen Formen, in 
welchen sie vorkommt, nennen wir zuerst 

I. Ferotria, 

welche Göttin vorzüglich bei den Sabinern, Umbrern und Etruskern, 
aber auch bei den Latinern und Volskern verehrt wurde 1 ). Eine 
sabinische Göttin nennt sie Varro 1. 1. V, 74 und so erscheint sie 
namentlich in der Tradition von dem Kriege des Tullus Hostilius 



») [Vgl. besonders Borghesi Dec. 13, 5 — Oeuvres 2, 106 ff. und Lanciani 
Bull, dell' inst. 1870, 26 ff., der jedoch Momrasen's von diesem selbst langst 
zurückgenommene Identificirung der Namen Feronia mit Vetuna wiederholt 
(über diese unten u. 5). Fer-ön-ia, wie die Eigennamen Petr-ön-ius u. a., 
Weiterbildung von fer-ön-us f vgl. patr-onus, matr-ona. Die Wurzel nicht 
sicher ermittelt: von dhrisssdhar, die ,Erhalterin' Aufrecht u. Kirchhoff U* 
S. D. 1, 102.] 



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FERONIA. 



427 



mit den Sabinern bei Liv. I, 30 und Dionys. III, 32, wo römische 
Bürger, die zur Messe der sabinischen Feronia gereist waren, fest- 
gehalten werden, worüber es zwischen den Römern und Sabinern 
zum Kriege kommt. Dionys setzt hinzu, dieses Heiligthum der 376 
Feronia habe sowohl bei den Latinern als bei den Sabinern in 
grofsem Ansehn gestanden, auch dafs die Griechen den Namen dieser 
Göttin bald durch die Blumengöttin oder Kranzliebende C^y&fjif OQO?, 
ftiXoaziyavoc) bald durch den der Persephone zu übersetzen pflegten, 
welche Göttin bekanntlich zugleich Frühlings- und Todesgöttin war, 
so dafs schon dadurch ihre nahe Verwandtschaft mit der Flora, der 
Libera, der Venus deutlich angegeben ist. Bei dem jährlichen Feste 
sei dort eine Menge Volks zusammengekommen, entweder um zu 
beten und zu opfern oder in Marktgeschäften, Kaufleute, Handwerker 
und Bauern, wie diese Messe denn zu den besuchtesten und leb- 
haftesten in ganz Italien gehörte. Fabretti hat durch die vortreff- 
liche Untersuchung Iuscr. Antiq. p. 451 sq. nachgewiesen dafs dieses 
alte und berühmte Heiligthum bei Trebula Mutuesca, einem auch 
durch seinen T. des Mars 1 ) und andre Gottesdienste bekannten Orte 
lag, wo er selbst mehrere auf den Cult der Feronia bezügliche In- 
schriften gefunden hat [C. I. L. 1, 1307—1309] und von wo wahr- 
scheinlich auch die beiden römischen Familien Petronia und Plae- 
toria stammten, die den Kopf der Feronia auf ihre Münzen gesetzt 
und uns dadurch ein Bild von dieser Göttin erhallen haben. Es ist 
das einer jugendlich blühenden Göttin, deren Haar mit Blumen ge- 
schmückt ist, was zu jenen Umschreibungen der Griechen vortrefflich 
pafst 8 ). Aufserdem läfst sich der Cult dieser Göttin durch Inschriften 
auch in der allen sabinischen Metropole Amiternum, zu Aveja bei 
den Vestiuem, in dem Orte Septempeda bei den Picentern und zu 
Pisaurum in Umbrien nachweisen, so dafs er also bei der indigenen 
Bevölkerung des mittleren Italiens sehr verbreitet gewesen sein mufs. 
[Auch in Rom hatte sie einen Festtag, den 14. November, und dem- 
nach auch eine Kultusstätte 3 ]. Auch der picus Feronius, welcher 



l ) Iul. Obseq. 43. Vermuthlich stammte «ach der Cult der römischen 
Noveosides von dort, s. obeo S. 102, 3. 

*) [Cohen Cons. T. XXX f. Petroo. 1. 4. 6. 9 mit der Beischrift Fero{nia), 
vgl. Borghesi a. 0. — Die Deutung des weiblichen Kopfes auf der Münte des 
Plätorius Cestiaous Cohen T. XXXII Pitt. 1, an die P. wohl dachte, ist un- 
sicher. Vgl. Moinmsen Miinzw. S. 623 A. 454.] 

»j Mommseo I. N. n. 5753 [= C. I. L. 1, 1291]. 5983, Henzen z. Or. n. 6000, 



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428 



FÜNFTER ABSCHNITT. 



neben dem picus Martius als ein für die auguralen Beobachtungen 
sehr wichtiger Vogel genannt wird (Fest. p. 197), hatte jeneu Bei- 
namen docli gewifs von der Feronia. Bei den Etruskern war das 
Heiligthum der Feronia am Fufse des Berges Soracte, der lucus 
Feroniae, woraus später ein eigner Ort geworden war (ursprünglich 
hatte es zum Gebiete der Stadt Capena gehört 1 ), nicht weniger be- 
rühmt und besucht als jenes sa bin i sehe bei Trebula Mutuesca. Alles 
Volk der Umgegend war gewöhnt die Erstlinge der Feldfrucht und 
s?7 viele Weihgeschenke dahin zu tragen, so dafs sich im Laufe der 
Jahre eine Menge Gold und Silber in dem Tempelschatze gesammelt 
hatte, welcher den Soldaten des Hannibal bei seinem Rückzüge von 
Rom zur Beute wurde 8 ). Feronia wurde hier neben dem soge- 
nannten Apollo Soranus verehrt und zwar fiel das beiden gemein- 
schaftliche Fest vermulhlich in den Frühling (S. 269); auch war sie 
hier wie an andern Orten eine Schulzgöttin der Freigelassenen, also 
eine Libera, daher auch die Libertinen in Rom ihre (iahen in dieses 
Heiligthum als das zunächst gelegene trugen 3 ). Einen andern lucus 
Feroniae genannten Ort, welcher später Petra Sancta hiefs, gab es 
im Innern von Etrurien 4 ). Ferner mufs unter den Latinern Prae- 
neste dieselbe Göttin seit alter Zeit verehrt haben, da sie nach dor- 
tiger Sage für die Mutter des Herilus galt, den Evander d. i. Faunus 



Malfei Mus. Veron p. 471, 1. [= C. I. L. 1, 169. Aurser in Terracina 
und Präneste (s. flg. S. A. 1. 2) finden sich auch in dem so manches Alte 
bewahrenden Aquileja Sporen ihres Kults (C. L L. 5, 776. 8218 und die 
Widmung der Ferottienses aqualores 8307. 8308). — Rom: Arvalkaleuder 
14. Nov. Feroniae in [C\ampo, die einzige Notiz. Das frühe Erlöschen des 
Kultus in Rom ersieht mau auch aus dem fast völligen Fehlen von Steinen 
(nur 6, 146. 147?); über die Grenzen Italiens scheint er nicht hinausgedrungen 
zu sein]. 

l ) [Ueberreste des Heiligthums glaubt Lanriani (a. 0. S. 30 f.) auf dem 
Hügel S. Antimo bei JNazzano gefunden zu haben: es sei ein Kundtempel 
(vgl. Bona Dea, Tellus) von gegen 20 m Durchmesser gewesen.] 

») Liv. XXVI, 11, Sil. Ital. Pun. XIII, 84 ff., vgl. Strabo V p. 226, Plin. 
H. N. III, 5, 8, A. W. Zumpt Commentat. epigr. Berol. 1850 p. 347. Cäsar und 
August hatten ihre Veteranen n. a. in diesem Orte untergebracht. 

8 ) Liv. XXH, 1, 18 f., 14, vgl. XXVII, 4. 

4 ) S. die Urkunde bei Grut. p. 220, deren Aechtheit Holsten gegen Cluver 
dargethan hat, und Ptolem. Geogr. III, 1. [P. wies im Text noch auf den 
Kult in Verona und Florenz hin: allein von den bezüglichen Inscbr. gehört 
die eine (Or. 1317 = C. I. L. 5, 776) nach Aquileja, die andere (Or. 131b = 
C. 1. L. 6, 147) wahrscheinlich nach Rom.] 



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429 



als streitbarer Held erlegte 1 ). Endlich gab es an der Küste der 
Yolsker, in der Nähe von Tarracina, ein oft genanntes und durch 
alte Sagen berühmtes Heiligthum der Feronia in der Umgebung eines 
anmulhigen Hains und einer Quelle, welche aus Horaz Sat. I, 5, 24 
bekannt ist'). Auch hier wurden Feronia und lupiter Anxur, welcher 
dem Apollo Soranus entspricht (S. 267), als Paar gedacht, Feronia 
als segnende Frühlings- und Quellengöttin des Thals und Jupiter 
als Gott der Höhe und der Sonne, s. Virgil. Aen. VII, 799, zu 
welcher Stelle Servius eine Legende erzählt, welche sie als wohl- 
thätige und fruchtbare Göttin des Hains charakterisirt. Noch be- 
merkt Servius, dafs Feronia in dieser Gegend als Iuno Virgo neben 
jenem Jupiter verehrt worden sei, und wirklich lassen sich verschie- 
dene Inschriften nachweisen, welche einer Iuno Feronia gedenken 8 ), 
während jenes Wort Virgo vermuthlich in demselben Sinne ver- 37* 
standen werden mute wie sonst von Divae Virgines die Rede ist 
(S. 100), also von einer Göttin der Vegetation und der Quellen. In 
einem andern Zusammenhange endlich berichtet derselbe Servius 
(zu Aen. VIII, 564), dafs diese Nymphe Campaniens, so nennt er 
sie als Quellen göttin der Campagne, gleichsam eine Göttin der Frei- 
gelassenen war, denen in ihrem Tempel das Haar geschoren und 
darauf der Hut als Symbol der Freilassung aufgesetzt wurde, auch 
habe sich in diesem Tempel eine Bank von Stein mit der Inschrift 
befunden: Benemeriti servi sedeant, surgent liberi. Varro wollte 
deshalb den Namen Feronia erklären durch Fidonia, da man doch 
eher an denselben Stamm wie in dem Namen der Quellengöttin 
Ferentina denken möchte, von welcher bei der Venus die Rede sein 
wird. Auch als eine hülfreiche Göttin der See scheint Feronia 
wenigstens an dieser Küste verehrt worden zu sein, wenn dieses 
anders aus der confusen Sage bei Dionys. II, 49 gefolgert werden 

*) Virgil Aen. VIII, 564 nascenti eui tris animas Feronia maier — dederat, 
terna arma tn Oven da. [Nach Praneste gehört die Inschrift v. J. 69 Or. 1756 
(vgl. Fieoroni Labico S. 35 f.) Fortunae Praen(estinae) et \Feroniae sanctti- 
timae.] 

>) In alter Zeit erstreckten sich die Befestigungswerke von Tarracina bis 
zu diesem Heiligthume, s. Piin. H. IN. II, 146. 

») Fnbretti p. 452, Or. n. 1314 [= C. I. L. 5, 412 Iunoni Feron[iae)] Or. 
1315 [Iunoni reginae et Feroniae}. Borgbesi Giorn. Arcad. 25 p. 386 [a. 0. 
S. 107] versteht diese Inschriften von der Iuno Feroniae, wie Iuno Deae Diae 
u. dgl. [So P. in den Zusätzen; es kann auch, wie Mominsen G. I. L. a. 0. 
thut, Iunoni, Feroniae verstanden werden. Nöthig ist keins von Beiden.] 



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430 FÜNFTER ABSCHNITT. 

darf, nach welcher die vermuthlich von Taren t bevorwortete Stammes- 
verwandtschaft der Sabiner und Spartaner durch das Mährchen 
bewiesen werden sollte, dafs zur Zeit des Lycurg eine Schaar 
ausgewanderter Spartaner an diese Küste verschlagen sei. Sie hätten 
darauf zum Dank für die glückliche Fahrt das Heiligthum der 
Feronia gestiftet 1 ) und seien endlich landeinwärts zu den Sabiirern 
gezogen. 

2. Flora. 

Auch diese Göttin ist von altitalischer Abkunft und wurde bei 
den Sabinern und überhaupt im innern Italien viel verehrt. Varro 
1. 1. V, 74 nennt sie unter den Göttern des T. Talius; auch kennen 
wir sie und einen eignen Monat der Flora, welcher dem April oder 
Mai entsprochen haben wird, aus den von Sabinern, Marsern und 
379 Samnitem bevölkerten Gegenden *). Es ist die Göttin der Blüthen 
und Blumen in weitester Bedeutung, denn wo immer etwas blüht, 
wie Ovid sagt 3 ), auf dem Acker, im Weinberge, in der Olivenpflan- 
zung und im Baumgarten, auch in der Blume des Weins, wenn er 
sich im Fasse regt, so wie im Honig, dem feinsten Stoffe der Blumen, 
endlich in der Blüthe der Jugend und eines fröhlichen Lebens- 
genusses „so lange die Rose blüht", da ist Flora thätig. Daher sie 
auf dem Lande und in den Städten viel verehrt wurde, auch als 
mütterliche Göttin, Flora Mater, des Frühlings, der Feldfrucht und 
selbst der „guten Hoffnung" der Frauen, deren Symbol die Blüthe 

*) Der Name wird dabei für einen griechischen genommen und anb ir\s 
nfXaytov (poQrjGfcos abgeleitet. So machte man ans einem alten, später zer- 
störten Orte dieser Küste Amuclae oder Amunclae ein spartanisches Amyclae, 
Plin. H. N. III, 5, 9. 

a ) Or. n. 1620, Mommsen I. Y n. 6755, vgl. die Inschr. von S. Agnone 
bei Mommsen Unterit. Dial. S. 12S [Zwetaj. Syll. 9a, 24] and die aus Pompeji 
ib. S. 180 [Zwetaj. 67; auf einem Hausaltar der casa del Fauno], wo Fluttsat 
oscisch = Florae ist. Ueber den Mt. der Flora s. Or. n. 2488 [= C. I. L. 1, 
603: Furfo], Unterit. Dial. S. 339, 4 [= Fabr. C. I. It. 2737: Amiternum]. In 
der lateinischen Inschrift aus Furfo, welche vom J. 58 v. Chr. ist, steht mense 
Flutare [vgl. Jordan Krit. Beitr. 116. 130], in der andern, welche aus Ami- 
ternum oder dem Lande der Marser stammt, mesene Flusare für mense FloraU. 
[? Andere halten Mesene Tür den Namen einer Göttin. Vgl. unten S. 400. 
Auf der I. von Agnone findet sich noch der Name Fiuusasiats a 20.] 

») Ovid F. V, 261 ff. Vgl. Lactant. I, 20, 7 deam ßnxerunt esse quac 
floribus praesä, eamque oporüre placari ut frtiges cum arboribus auf väibus 
bene prospereque ßorescerent. 



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FLORA. 



431 



ist, natürlich weit mehr im Sinne der Venus als in dem der Juno 1 ). 
Denn immer wurde sie in der populären Vorstellung gleich der Acca 
Larentia und andern Göttinnen des Frucht empfangenden Erdbodens 
als „liebe Buhle" gedacht und in diesem Sinne auch allerlei Mähr- 
chen von ihr erzählt 3 ) und ihr Fest mit ausgelassenem Frohsinn 
begangen. In Rom gab es einen eignen Flamen Floralis 3 ) und zwei 
Tempel der Flora, von denen der eine vermuthlich sabinischen Ur- 
sprungs war und auf dem Quirinale lag, der andre, welcher mit den 
Spielen der Flora entstand, in der Nähe des Cerestempels am Gircus 
Maximus 4 ). Der Gultus der Flora hatte demnach seit alter Zeit 
bestanden d. h. man hatte ihr um die Zeit, wo das Korn in der 
Blülhe stand und der Kornbrand zu fürchten war, sowohl auf dem 
Lande als in der Stadt geopfert 6 ), wahrscheinlich auch damals schon 
mit allerlei derb muthwilligen Späfsen und Gebräuchen, welche zum sso 
Wesen dieser Gottheit gehören 8 ) und in Italien zu allen Zeiten be- 
liebt und volksthümlich gewesen sind. Dann aber entstanden bald 
nach dem ersten panischen Kriege eigne Spiele der Flora, welche 
namentlich dem gemeinen Manne sehr willkommen, aber gleichfalls 



») Rustica Flora bei Martial. V, 22, 4. Vgl. das Kaiend. Rast Farnes, 
im Mt. Mai. In den Urkunden der Arv. Br. wird sie als eine der Göttinnen 
genannt, denen bei der Pflanzung von Baumen zu opfern ist, t. XLIli, Marioi 
p. 377. [Die Flora gehört zu der geschlossenen, mit Janus beginnenden, mit 
Vesta aufhörenden Reihe der Gottheiten, denen piacula wegen verschiedener 
Vorkommnisse im lucus dargebracht werden. Sie steht hier zwischen Fons 
und Summanus. Vgl. Henzen Acta 148.] Flora mater heifst sie bei Lucret. 
V, 737 und Cic. in Verr. V, 14, 36 (oben S. 56, 2]. Vgl. Arnob. III, 23 Flora 
iüa genetrix et saneta. 

s ) Lactaat. I, 20, 5 Flora cum magna» opes ex arte meretricia quaesi- 
visset, populum scripsit heredem certamque pecuniam reliquit, cuius ex annuo 
fenore suus nalalis dies celebraretur etc. Offenbar ist sie hier, wie sonst Acca 
Larentia, eine Göttin der römischen Stadtflor. 

») Varro 1. 1. VII, 45, vgl. die Inschr. bei Mommsen I. N. 5192. 

*) Becker Handb. 1, 577 und über den angeblichen cirons Florae ib. S. 673, 
Tacit. Ann. II, 49. [Der Tempel am Circus scheint noch von Symmachus 
(Consul 391) wiederhergestellt worden zu sein: Riese Anthol. n. 4 V. 114, 
Mommsen Hermes 4, 358. Ueber das Fehlen von Dedicationen s. am Schlufs.] 

8 ) Varro r. r. I, 1, 6 quarto Robigum ac Floram, quibus propitiis neque 
rubigo frumenta atque arbores eorrumpit neque non tempestive ßorent. PI in. 
H. N. XVIII, 286. 

•) Ovid Fast. V, 331 fl., 351 Mm est de tefricü, non est de magna pro- 
fessis, Volt sua plebeio sacra patere choro, Et monet aetatis specie dum floreat 
uti, Contemni spinam cum cecidere rosae. Vgl. Lucret. V, 1393 ff. 



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432 



FÜNFTER ABSCHNITT. 



sehr ausgelassen waren. Ueber ihre Entstehung berichten Ovid und 
Tacitus, dafs die beiden Publicii, dieselben von welchen der clivus 
Publicius am Aventin seinen Namen hatte, als plebejische Aedilen 
jenen T. der Flora beim Circus Maximus und die Spiele in dem- 
selben aus eingezogenen Strafgeldern gestiftet hätten 1 ). Doch seien 
diese im J. 514 oder 516 d. St. (240 oder 238 v. Chr.) gestifteten 
Spiele nicht regelmafsig alle Jahre gefeiert worden, sondern diese 
jährliche Feier erst später i. J. 581 (173 v. Chr.) beschlossen, auf 
Veranlassung eines von der Flora selbst, weil sie sich vernachlässigt 
glaubte, verhängten Miswachses. Genug diese Spiele hatten sich wie 
die der andern Götter erst allmählich bis zu solcher Ausdehnung 
und Ausstattung sowohl circensischer als scenischer Lustbarkeiten 
erweitert, in welcher wir sie bei den späteren Schriftstellern und in 
den Kalendern des Augusteischen Zeilalters kennen lernen, nach 
welchen sie vom 28. April bis zum 3. Mai gefeiert wurden 2 ). Am 
28. April war der Stiftungstag des Tempels, also der alte Festtag 
der Flora, zu welchem die übrigen Festtage erst mit der Zeit hinzu- 
getreten sein mögen. Von den Spielen, deren entsprechende Aus- 
rüstung zu den wichtigsten Obliegenheiten eines curulischen Aedilen 
gehörte 3 ), wird namentlich der characteristische Gebrauch erzählt, 
sei dafs bei ihnen Tänzerinnen nicht allein auf der Bühne auftraten, 
sondern auch, wenn es das Volk verlangte, alle Kleidung abwerfen 
und völlig entblöfst ihre Stellungen und Tänze fortsetzen mufsten: 
ein Herkommen, welches zu dem bekannten Auftritte mit dem älteren 
Cato führte, da er lieber das Theater verlassen als durch seine 
Gegenwart des Volkes Vergnügen stören wollte 4 ). Auch sonst wurde 

l ) Ovid F. V, 277 ff., Tacit. Ann. II, 49. Nach Vellei. Pat. I, 14, 8 und 
IMiii. XVIII, 286 worden die Floralien gleich im Jahre 516 ex oraculis Sibyllae, 
ut omnia bene deßorescerent, also auf Veranlassung eines Miswachses gestiftet, 
vgl. Verr. Flacc. F. Praen. 28. April. Die Münzen der gens Servilia nennen 
den C. Servilius C. F. als ersten Urheber der ludi Florales, was sich ver- 
muthlich wie bei den Cerealien auf eine spätere Anordnung bezieht. Der Kopf 
der Flora auf derselben M. ist jugendlich und mit Blumen und Geschmeide 
reichlich geschmückt. [Cohen Cons. T. XXXVII Servil. 5, vgl. Mommseu 
Münzw. S. 645 A. 538. Marquardt Staatsverw. 3, 363.] 

a ) Kai. Maff. Praen. Venus., wo nach Mommsen I. IN. n. 698 [C. I. L. 1 
p. 393] die Worte LVD. IN CIRCO FLORAE zum 3. Mai gehören, aber den- 
noch zu verbinden ist Ludi Florae in Circo. Vgl. Ovid F. V, 185 Incipis 
Aprili, transit in tempora Maii, AÜer te fügten», cum venit alter, habet. 

8 ) Cic. in Verr. V, 14, 36. 

«) Val. Max. II, 10, 8, Seneca Ep. 97, 8, Martial. I, Praef. Vgl. Iuvenal 



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FLORA. 



433 



in diesen Tagen viel geschlemmt und viel leichtfertiger und lär- 
mender Spafs getrieben 1 ); war doch auch Flora ein lustiges Blut 
gewesen und die Jahreszeit eine solche, daTs die ganze Natur zu 
Lust und Scherz von selbst einlud. Daher auch die bunten Kleider 
bei diesen Spielen und die brennenden Lichter, welche bei den Alten 
gewöhnlich ein Symbol der heitern Festlust sind. Auch die Ziegen 
und Hasen, welche im Circus gehetzt wurden, entsprechen diesem 
Character der Flora, denn auch ihre Natur ist üppig und muthwillig, 
daher der Hase bei den Griechen zur Umgebung der Aphrodite ge- 
hörte. Andre Schriflsteller erzählen von einer auch sonst herkömm- 
lichen, bei den Floralien aber vorzüglich beliebten Lustbarkeit, indem j 
Erbsen und Bohnen, die gewöhnliche Kost des gemeinen Mannes, 
unter das Volk geworfen wurden, wo denn Jeder greifend und bal- 
gend so gut er konnte, seine Taschen lullen mochte 2 ), noch Andre 
von einem Umlaufe von Personen, welche Blumen, namentlich Rosen 
trugen und durch die Eile ihres Laufes die Flüchügkeit alles natür- 
lichen Reizes andeuten sollten 3 ). Denn immer ist die Rose vor allen 
übrigen Blumen das Symbol des Frühlings und aller fröhlichen Lust 
gewesen, wie sich denn auch in Italien von solcher Anwendung 
dieser Blume bei öffentlichen und privaten Gelegenheiten viele Spuren 
nachweisen lassen 4 ). Endlich wurden unter den Kaisern noch manche 3 82 
aufserordentliche Vergnügungen hinzugefügt, denu fort und fort, 
sowohl in Rom als in den Provinzen, behaupteten sich die Spiele 



VI, 250 mit den Scholien and Augustin C. D. II, 26, Aroob. III, 23, VII, 
33, Lactant. I, 20, 10. Es scheinen vorzüglich Minien aufgerührt worden 
zu sein. 

») Varro Eamenides bei Non. Marc. p. 11, 10 contra cum ptalte pisia 
[Pisia?) et cum Flora htrcare ac slrepi [aistrepis die Hss.]. 

*) Pers. V, 177 an einen Ehrgeizigen: VigUa et cicer ingere longe rixanti 
populo, nottra ut Floralia passint aprici meminisse senes. Vgl. Horat S. II, 3, 
182 und Martial. VIII, 78, 8. 

8 ) Philostr. Ep. 55 p. 360 Kayser: Eros liebe die Rosen, doch seien beide 
vergänglich, y«Q 6 »tos xal rrj xalXovs onwQq, xal rrj (>6öwv Int,- 

tinpiUt' HSov iv'Ptüptn rohe üv&o(f6oovs Tofyovrag xal rtp Taftt fiaQtvQovv- 
t«j t6 aniaxov irjq axprjs. Doch wohl an diesem Feste, vgl. Ovid F. V, 194 
dum loquitur Vernas efflat ab ore rosas. 

*) So wurde nach dem feriale von Capua am 13. Mai in Caj.ua ein eignes 
Roseolen gehalten, während in Rom der Kalender des Constantin ein ähn- 
liches Fest am 23. Mai andeutet. Privatfeste gleicher Art werden in einzelnen 
Collegienordnuogen und Grabinschriften erwähnt. Vgl. Marini Arv. p. 573. 
580 sq., Avellino Opusc. III p. 247 sqq. 

Pro 11 er, Rom. Mjthol. L 3. Aufl. 28 

•I 



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434 



FÜ.NFTER ABSCHNITT 



der Flora unter den beliebtesten Ergötzlichkeiten der schönen 
Jahreszeit 1 ). 

3. Venus. 

Nach der bestimmten Aussage gründlicher Gelehrten, namentlich 
des Cincius und Varro, kam der Name der Venus weder in den 
Saliarischen Liedern noch sonst in den öffentlichen und priester- 
lichen Urkunden der Königszeit vor (Macrob. S. I, 12, 12), so dafs 
also eine Göttin dieses Namens in Rom d. h. von Staatswegen erst 
später verehrt worden wäre 2 ). Indessen ist ihr darum ein höheres 
Alterthum keineswegs abzusprechen. Sie konnte unter einem andern 
Namen oder sie konnte hei den Latinern früher als in Rom verehrt 
werden; denn Venus ist eben nur ein Name unter den verschiedenen, 
welche dieser Göttin des Frühlings und der sprossenden und trei- 
benden Vegetation beigelegt wurden, und grade bei den Latinern 
scheint ihr Cultus in vielen und verschiedenen Formen verbreitet 
gewesen zu sein, wie der der Feronia bei den Sabinern und ver- 
wandten Völkern. Und zwar wurde sie bei den Latinern und von 
daher auch in Rom seit alter Zeit nicht blofs in der nächsten Natur- 
bedeutung und in der einer Liebesgöttin des Geschlechts verehrt, 
sondern auch in der einer Vereinigung und Verbündung überhaupt, 
gesellige und bürgerliche, stifteuden, wodurch sie die höhere Bedeu- 
tung einer Concordia annahm, welche in späteren Zeiten gewöhnlich 
statt ihrer genannt wird. Daher die besondre Wichtigkeit dieses 
Cultus für den latinischen Bund, welches wieder zur Folge hatte 



1 1 Vgl. Saetoo Galb. 6 und die Inscbr. aus Algier bei L. Renier 1. n. 1875 
llonoratus Baebianus — per dietn ludorum Floralium — quo* triumvir sua 
pecunia fecit. [Damit hängt vermuthlich auch die späte Erneuerung des Flora- 
tempels in Rom (oben S. 431, 4) zusammen. Um so auffallender ist es, da Ts De - 
dicationen an Flora in Rom und Italien (mit Ausuahmc der wenigen, einem 
engen geographischen Gebiet angehörigen, oben S. 433) und in den Provinzen des 
römischen Reichs, soweit sich bis jetzt übersehen Hilst , ganz fehlen. An 
ihre Stelle scheint Venus getreten zu sein, namentlich als Gartengöttin.] 

•) [In der That findet sich im Kalender aul'ser den späten Veneralia 
1. April, ursprünglich dem Stiftungstag der Venus Verticordia, und dem 
19. Aug., dem Stiftungstag der Venus Obsequens am Circus (über beide unten), 
kein Venusfest und der Name fehlt auch in den Arvalacten. Doch zeigt die 
Gründuug des Tempels am Circus (459 d. St.) und noch mebr das hohe Alter 
der beiden sacella im Circusthal und auf dem Forum dafs die Göttin sicher 
schon vor dem 5. Jahrhundert d. St. eine Stelle im Staatscultus hatte.] 



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VENUS. 



*5= 

435 



dafs mit der Zeit eine gleichartige Göttin des Auslandes, ich meine 
die griechische und orientalische Aphrodite, von Sicilien und dem 
südlichen Italien her mit dieser älteren latinischen und il ansehen 
Venus verschmolzen und auf diesem Wege zugleich die Sage von 
Aeneas, dem troischen Helden, dem Sohne der Aphrodite des Ida- 
gebirges, in die Traditionen des latinischen Bundes hinübergezogen 
wurde. 

Auch der Name Venus ist altitalisch , da er sich aus der sss 
Wurzel ven erklärt, welche lieben, begehren, günstig sein bedeutet, 
derselben Wurzel von welcher wahrscheinlich auch olvog, vinum 
Wein abzuleiten ist 1 ). Vana ist im Sanskrit lieblich, angenehm* 
vanas Reiz, Lieblichkeit, das lateinische venustas, und auch im Alt- 1 
nordischen ist vaen i. q. venustus, pulcher, daher vermuthlich die 
Vanen der altnordischen Mythologie ihren Namen haben. Also ist 
Venus die schöne, Hebe Frau des Frühlings, aller Blüthen, alles 
Naturreizes, wie Flora, Feronia, Libera und andre Göttinnen der Art. 
In Rom hiefs sie, wie es scheint bevor der Name Venus der all- 
gemeine wurde, Murcia, welches mit muleere zusammenhängt, und 
Cloacina und Libitina, welche Namen durch gleichfalls altla tinische 
Wortstämme andre Beziehungen ihres Dienstes ausdrücken 2 ). Bei 
den oskisch redenden Völkern hiefs sie Herentas*), welcher Name 
mit dem Worte herest d. i. volet und der Sanskritwurzel hr d. i. 
nehmen zusammenhängt, also eine Göttin des Verlangens, wie 
Voluptas und Volupia, Volumnus und Voleta, welche Namen in den 
Indigitamenten vorkamen und theils von velle theils von volupe ab- 
zuleiten sind. Auch der Name Cupido, den man später für den 
griechischen Eros wählte, gehört in diese Reihe. Die oskische 
Herentas aber hilft uns zugleich zur näheren Bestimmung der lati- 



*) Kuhn in d. Zeitschr. f. vergl. Sprachf. 1, 191, 2, 461. [lieber VeDus 
8. auch J. Grimm in den Monatsber. der Berliner Akademie 1859 S. 519.] 
*) [Die Unnahbarkeit dieser Ansicht wird sich unten zeigen.] 
a ) Mommsen Unterital. Dial. S. 263. Uerius und Herennius, zwei bei den 
Samnitern sehr beliebte Namen, stammen eben daher, auch die Herie Innonis 
und die Hersilia Quirini, s. oben S. 275. 371 ff. [Osk. Inschr. von Herculanum 
Zwetajeff (I. Ose. 60 a. b.) Herentateis (Gen.), Herentatei Herukinai (Dat.); Pälign. 
1. von Corfinium (Bull, dell' inst. 1877, 184; vgl. Bücheler Rh. Mus. 33, 271 ff. 
Bugge Altital. Studien S. 61 ff.) Herentas (Nom.?), wo sie mit den Semonen 
und Persephooe vereint erscheint. Vgl. Fabretti Gloss. It. 578 und über die 
Wurzel (har begehren, har nehmen ?) die verschiedenen Ansichten bei Corssen 
Ausspr. 1 \ 468 und Curtius » 198. 199.] 

28* 



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FÜNFTER ABSCHNITT. 



irischen Quellen- und Bundesgöttin Ferentina, die auch nichts 
weiter als eine eigentümliche Form der Venus gewesen sein kann; 
bekanntlich war ihr Hain ( Junis Ferentinae) und ihre Quelle (caput 
Ferentinae) in dem anmuthigen Thale von Marino unter Alba Longa 
der Ort, wo wenigstens seit der Organisation des latinischen Bundes 
durch die Tarquinier die Bundesversammlungen gehalten wurden 1 ). 
Der Name mufs im alten Italien sehr verbreitet gewesen sein, da 
verschiedene Städte desselben Namens vorkommen, bei den Etrus- 
384 kern, den Hernikern und in Apulien*). Als latinische Bundesgöttin 
begegnet uns Venus aber auch in Ardea und Lavinium, also in der 
wichtigen Gegend, in welche die gewöhnliche Tradition den Ursprung 
des Bundes und seine ältesten Heiligthümer verlegte. Sowohl in der 
alten Bundesstadt Lavinium als in der Nähe von Ardea gab es ein 
Heiligthum der Venus, bei dem die Latiner in gemeinen Angelegen- 
heiten zusammenzukommen pflegten 8 ), und zwar scheint sich hier 
zuerst der Cultus und der Name der griechischen Aphrodite von 
Sicilien her und in Begleitung der Aeneassage eingemischt zu haben 4 ), 



») Liv. I, 50—52. Bei Liv. II, 38 heilst es ad caput Ferentinum. H und 
F wurden in den italischen Dialekten oft verwechselt. [Eine Göttin Feren- 
tina nennt Niemand. Die latinische Bundesversammlung; tagt ad caput aquae 
Ferentinae (Liv. I, 51), ad lucum Ferentinae (also aquae; das. 50) oder iv 
$Eg£irAf) (Dionys III, 34. 51, IV, 45) und vielleicht (s. Becker Top. 177) ist 
bei Plut. Rom 24 Inl irjs <Pt(>tvifyf)S vXrjs (st. 7ivXr t g) zu schreiben. Also ist 
Ferentinum der auch sonst bekannte Ortsname (A. 2); daneben kann aqua 
Ferentina statt Ferentinensis sehr gut gesagt worden sein. Dieser Name wird 
von Corsscn Krit. Beitr. z. lat. Form. 120. 174 wohl richtig zu forum gestellt. 
— Ueber die Lage des Orts ist Streit: Nibby Dintorni 2, 319, Beloch Der 
italische Bund 187.] 

*) Das Ferentinum der Herniker zahlte spater zu Latium und hatte für 
dieses eine volksthümliche Bedeutung, s. Ribbeck Com. Lat. p. 125. Aus Fe- 
rentinum in Etrurien, welches in der Gegend von Viterbo lag, stammten die 
Vorfahren des Otho, s. Sueton Otho 1 und Dennis die Städte und Begräbnifspl. 
Etruriens S. 136. Ferentum oder Forentum in Apulien wird b. Horat. Od. HI, 
4, 16 erwähnt, vgl. Diod. XIX, 65. 

s ) Strabo V p. 232 ava (xiaov 6k rovraiv iditv noXearv toxi tö Aaovivtov 
%Xov xoivöv rtuv Aaxtvw hoov AtfQo6ixr\c, InipeXovvxat 6* avxov 6ta ngo- 
■noXwv 'A^ätaxar ilxa Aavqtvxov vrciQxaxax 6k rovxuv 17 AnÖH(, XUX0lx((t 
'PovtovXotv. — faxt 6k xal xavxrjs ixXr]Ofov A(f(>o6fotov } onov 71 avrjyvfißovoi 
AatZvot. Pün. III, 56. 57 Ardea, — dein quondam Aphrodisium. 

4 ) Solin. 2, 14 nach Cassius Hemina: Aenearn aestate ab Ilio capto secunda 
Italic is litoribus appulsum — , ubi dum simulacrum , quod secum ex Sicilia 
advexerat, dedicat Veneri matri [vgl. S. 56, 2], quae Frutis dicüur, a Diomede 



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VENUS. 



welche Vermischung uns nicht abhalten darf an eine ältere latinische 
Venus beider Stätten zu glauben. Auch in Alba Longa und in Gabii 
m uis die Venus seit alter Zeit verehrt worden sein, da die Venus 
von Alba wesentlich zu den gentilen Traditionen des albanischen 
Geschlechts der Julier gehört; die Venus Gabina aber, ein alter 
Sprofs des albanischen Dienstes, unter den angeseheneren Culten 
von Latium und Rom genannt wurde 1 ). 

Jene Angabe, da£s Aeneas ein Bild seiner Mutter aus Sicilien 
mit sich an die latinische Küste gebracht habe, bezieht sich auf ein 
altes Cultusbild, welches aus der Gegend des Berges Eryx stammen 
und für Ardea und Lavinium eine ähnliche Bedeutung haben mochte 
wie das bekannte Palladium in Rom und Lavinium, sammt andern 
Götterbildern ältester Fabrik und Herkunft, welche den Eintritt der 
Idololatrie nach dem Muster der griechischen Holzbilder verrathen 
(S. 152). Eine Einwirkung des griechischen und phönicischen 
Aphroditedienstes hatte ohne Zweifel schon früher stattgefunden, da 
diese Göttin unter ihren übrigen Eigenschaften auch als mächtige 
Schutzgöttin zur See verehrt wurde und ihr Cultus eben deshalb sbs 
über die verschiedenen Küsten des mittelländischen Meeres und seiner 
Nebenmeere sich rasch verbreitete. Namentlich scheint die eryci- 
nische Venus auf Sicilien, welche zu dem Geschlechte der von 
Phönicien und Kleinasien her verbreiteten Dienste der Venus Urania 
gehörte und in dieser westlichen Gegend einen ähnlichen Mittelpunkt 
von Sagen und Filialculten bildete wie die Venus von Kythere an der 
südlichen Küste des Peloponnes, die von Paphos in den Umgebungen 
von Cypern, auch in Italien von den Griechen und Etruskern sehr 
zeitig anerkannt und vielfach angebetet worden zu sein*). Was 



Palladium sutcipä. Paul. p. 90 Fruiinal templurn Venerü Fruit, Servius 
V. A. I, 720 Dicüur et — Erycina, quam Aeneas seeum advexü. Die wahr- 
scheinlichste Erklärung jener Venus Frutis ist die Scaligers, dafs das Wort 
aus dem griechischen 'AyQOÖitri verdorben sei. [Sicher nicht: ebenso wenig 
ist an osk. Fütris zu denken (Mommsen Dial. 310): die Zusammenstellung mit 
Jru-t-ex (Corssen Ausspr. 2 *, 206) ist überzeugend.] 

») Or. n. 1367. 1368 [= Wilmauns Ex. 307]. Die gabioische Venus ist 
die der Antestier d. h. die auf den Münzen dieser Familie, vgl. Klausen Aeneas 
S. 730. [Cohen Cons. T. m Antest 9.] 

«) Vgl. Mommsen IJnterit. Dial. S. 142 und Gerhard Gottheiten der. 
Etrusker S. 38. 40. Eine Inschr. aus Potenza in Lucanien: Veneri Erycinae 
sacr. Oppia M. liberta Retlüuta etc. bei Mommsen I. JN. n. 374, Uenzen n. 5677. 
Opfertisch der Venus Erycina mit oskischer Aufschrift aus Herculaoum bei 



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438 



FÜ.NFTER ABSCHNITT. 



namentlich diese letzteren betrifft, so beweisen nicht allein die ver- 
schiedenen einheimischen Namen, mit denen die Liebesgöttin auf den 
etruskischen Denkmälern benannt wird, sondern auch der ausser- 
ordentlich grofse Vorrath etruskischer Venusbilder '), welche bald mit 
dem Attribute des Apfels oder der Blüthe, bald mit dem eines Ei's 
oder mit dem der brünstigen Taube, oder mit einem Myrtenzweige, 
einem Balsam gefäfs u. s. w. ausgestattet und immer langbekleidet, 
ausnahmsweise auch beflügelt oder strahlenbekränzt sind, dafs der 
Cultus dieser Göttin und ihrer verschiedenen Formen von der Pan- 
demos bis zur Urania bei diesem Volke einen sehr fruchtbaren Boden 
gefunden hatte. 

In Rom gab es drei Heiligthümer der Venus, welche für alt 
gelten dürfen, das der Murcia, das der Gloacina und das der Libitina. 
Der Name Murcia hängt mit mulcere in dem Sinne von erweichen 
zusammen 8 ), weiches Wort auch dem Mulciber d. i. Volcanus seinen 
386 Namen gegeben hat, obwohl man später meist Murtea schrieb und 
die so benannte Venus für die Myrtengöttin hielt. Ihr Heiligthum 
hiefs im gewöhnlichen Sprachgebrauch das der Murcia schlechthin; 
mithin kann der vollständigere Name Venus Murcia erst später auf- 
gekommen sein. Es lag am Abhänge des Aventin, nahe am hintern 
Ende des Circus Maximus, dessen Localitäten in dieser Gegend oft 
danach benannt werden; ja der Name Murcia hatte sich auch auf 
den Aventin und das ganze dort gelegene Stadtquartier ausgedehnt 8 ), 



Mommseo Uuterit. Dial. S. 179 [oben S. 435, 3]. C am panischer Ziegel mit der 
Inscbr. VENERVS HERVC bei Marini Atti p. 418 [— C. 1. L. 1, 1495. Die 
von P. hier noch a. etrusk. Inschr. mi vener im vinttcenas Fabr. 2049 bat mit 
Venus nichts zu thun: vgl. Corssen Spr. d. Etr. 1, 774, Deecke Etr. F. 3, 
131]. Der etruskische Name Turan [Müller Etr. 2*, 75] scheint der Urania 
zu entsprechen wie Turms dem Hermes. Aufserdem finden sich auf etrus- 
kischen Denkmälern die Namen Thalna (Corssen Spr. d. Etr. 1 , 365 f.] und 
Malavisch [ders. 1, 275. 341] für Venus. 

>) Gerhard über Venusidole S. 6. [Deecke zu Müller Etr. 2, 112 f.] 
*) Klausen Aeneas S. 733. Eben dahin gehört murcus und murcidus, 8. 
Serv. V. A. VIII, 636 und Augustin C. D. IV, 16 Deam Murciam quae praeter 
modum non moveret ac faceret hominem , ut ait Pomponius, murcidum i. e. 
nimis desidiosum et inactuosum. Dem Sinne nach ist Murcia also identisch 
mit der Libentiua und Volupia. [S. A. 3]. 

, ») Varro 1. 1. V, 154 Intumus Circus ad Murcim [lies Murciaet Jordan 
Top. 1, 1, 194] vocatur etc. V gl. die metae Murciae bei Tertull. de Spectac. 8 
Murciam enitn deam amoris volunt , cui in ilta parte aedem vovere d. h. am 
«üd liehen Ende des Circus, keineswegs im Circus selbst, und Paul. p. 148 und 



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VEMS 



439 



so dafs dieses Heiliglhum also jedenfalls ein sehr angesehenes war, 
wie es denn auch bei andern Gelegenheiten immer als das ältesle 
und angesehenste der städtischen Venus erscheint. So wurden später 
die Tempel der Venus Obsequens und Verticordia in derselben Gegend 
am Circus, also in dem Kreise des älteren Heiligthums der Murcia 
gegründet, und auch die Frühlings- und Weinlesefeier der Venus 
scheint sich vorzugsweise dahin gewendet zu haben. Da diese Gegend 
durch Ancus Marcius mit Latinern eroberter Städte bevölkert wurde 1 ), 
so mögen diese den Gottesdienst mit nach Rom gebracht haben. 
Für noch älter galt das Heiligthum der Cloacina oder Cluacina, 
welches sich in der Nähe des Comitiums befand, aber für die spätere 
Zeit mehr ein historisches als ein religiöses Interesse hatte. Es heifst 
nehmlich dafs Romulus und T. Tatius d. h. die Römer und Sabiner 
vor ihrer feierlichen Verbündung nach blutigem Streite auf dieser 
Stätte der Venus unter jenem Namen ein Heiligthum gestiftet und 
sich selbst bei demselben mit Myrtenzweigen gereinigt hätten, daher 
auch der Name von ciliare und cloare oder cluere d. i. purgare ab- 
geleitet wird 2 ): so dafs also Venus hier wieder die Göttin der fried- 387 



Serv. V. A. VIII, 636, nach welchen der benachbarte Abhang des Aventin 
ehedem Murcus und das Circusthal die Vallis Murcia geheifsen hatte. Die 
Aussprache schwankte zwischen Murtea und Murcia, s. Varro 1. c, Plin. XV, 
120, Plut. Qu. Ho, 20. [Jedesfalls ist Murc-ia ursprünglich Lokalaame, nach 
dem das Sacellum der Venus benannt wurde. Dasselbe gilt von der Cloacina 
(A. 2). Es ist schwerlich zufällig dafs die beiden ältesten Sacella der Venus 
an Wasserläufen standen: das der Murcia an der Murana, die aus dem sumpfi- 
gen Circusthal, das andere an der grofsen Cloaca, die aus der Tiefe des 
Forums abwässert (über jene Jordan Top. 1 , 1 , 138 f.). Man erkennt darin 
leicht eine au die Natur des Weibes (vgl. oben S. 275, 4) anknüpfende Sym- 
bolik. — Das Sacellum mit einem Götterbilde darin und einem Baum daneben, 
innerhalb des Circus stehend, dargestellt auf dem Relief von Foligno An- 
nali dell' inst. 1870 tav. d'agg. L. M. vgl. Zangemeister das. S. 245. — Der 
ursprüngliche Lokalname ist wohl vallis murcia, Sumpfthal, vgl. mar-ceo, 
tnor-ior (Jordan Top. 1, 1, 194); der Berg Murcus (Abhang des Aventin) bei 
Servius a. 0., den Hübner vorzieht (Jahrb. f. Phil. 77, 343. 79, 473) sieht sehr 
nach Erfindung aus. Mit dem Fremdwort Jtwrtus hat das Wort natürlich 
nichts zu thun.] 

') Liv. I, 33 quibus, ut iungeretur Palatio Jventinum, ad Murciae datae 
sedes. 

*) Plin. 1. c, Serv. V. A. I, 720. Daher cloaca, Cluilia fossa, Cloatius 
oder Cluatius, Cluentius, Cluvius und die spätere Geschichte, T. Tatius habe 
das Bild der Cloacina in der cloaca maxima gefunden, Lactant I, 20, 11. 
Ueber die Lage vgl. Liv. III, 48, Becker Handb. 1, 320. Münzen der Gens 



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440 FÜNFTER ABSCHMTT. 

liehen Vereinigung und Verbündung ist, gleich der späteren Goncordia. 
Endlich die Libitina, welche als Göttin der Lust gewöhnlich 
Lubentina oder Lubenüa und Labia genannt wird, und dem Namen 
nach mit dieser identisch ist '), war zugleich eine Göttin der Gärten, 
der Weinpflanzungen, der Weinlese, daher ihr Heiligthum wie das 
der Murcia am 19. Aug., dem Tage der ländlichen Vinalien, seinen 
Stiftungstag feierte 3 ), und die bekannte Göttin des Todes und der 
Verstorbenen, für welche nach einer Verordnung des Servius Tullius 
bei jedem Todesfall ein Stück Geld in ihren Kasten gelegt werden 
mufste, wie denn auch das zu Leichenbegängnissen Erforderliche, 
namentlich die Bahren, aus ihrem Haine, dem deshalb oft erwähnten 
I iiens Libitinae entlehnt wurde 8 ). Eine ahndungsreiche Zu- 
sammenfassung des Gedankens an den Tod und an schwellendes 
Leben, welche den Naturreligionen überhaupt geläufig ist und sich 
auch in dem griechischen Dienste der Aphrodite wiederfindet, in 
Italien aber sehr verbreitet und in der volksthümlichen Natur- 
anschauung tief begründet gewesen sein mufs, da auch die sabinische 



Mussidia mit der Inschrift CLOAC an einer Tribüne bei Riccio t. XXXIJI, 2. 
3 und t. LXI, 1. [Die Münze (gut abgeb. b. Cohen Göns. T. XXIX Muss. 5. 6, 
falsch beschrieben von Klausen Aen. 734 A. 1345) zeigt einen Schiffskörper 
mit rostrum aach links, darauf zwei menschliche Gestalten, darunter (aber am 
Schiffskörper selbst) die Inschrift. Noch unerklärt. lieber die Zeit der Prä- 
guog Mommsen Müdzw. S. 653. — Der Name der Cloac-ina, von dem noch 
nicht sicher erklärten doaoa (vgl. Jordan Top. 1, 1, 276 A. 40. 446 A. 71), 
bei der das Sacellum stand, läfst unmittelbar keinen Schlüte auf das Wesen 
der Göttin zu. Doch s. A. 3.] 

') Varro 1. 1. VI, 47 (vgl. Non. Marc. p. 64 prolubium) Ab lubendo libido, 
UbidmasuM ac Fenns Libentina et bUntina. Vgl. Cic. N. D. II, 23, 61, Serv. 
V. A. I, 720. [Plautus Asin. 268 lubentiores quam Lubentia.] 

*) Varro 1. 1. VI, 20, Fest p. 265 und 289. 

*) Dionys H. IV, 15, Plut Qo. Ro. 23, Numa 12. Daher die häutig- Er- 
wähnung der Libitina auf Veranlassung von Pestilenzen, Liv. XL, 19, XL!, 
21, Sueton Ner. 39 und überhaupt mit Beziehung auf Sterben und Leichen- 
begängnis, Horat. Od. III, 30, 7, Sat. II, 6, 19, ferner die Redensarten Libi- 
tinam exercere, facere, die Libitinarii d. h. die beim Leichenbegängnis Be- 
schäftigten, die Libitinensis porta beim Amphitheater. Besonders die Bahren 
und das zum Verbrennen Nöthige wurden von dort geholt, Ascon. Argum. 
Cic. Mil. [p. 29, 9 K. u. Sch.] und Martial. X, 97. Die Abgabe des Todtea- 
geldes hiefs lucar Libitinae, Or. n. 3349 [«= C. I. L. 5, 5128]. Der lucus Libi- 
tinae wird auch zur Bezeichnung des Wohnortes genannt, s. Or. 1378, Henzen 
„. 5683 [= Fahret« p. 701, 232]. Leider hat seine Lage noch nicht mit Sicher- 
heit bestimmt werden können. 



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VENUS. 



44t 



Feronia zugleich mit der Flora und mit der griechischen Persephone 
verglichen wurde und eine gleichartige Auffassung uns bei der Acca 
Laren ti.i und andern Göttinnen der Flur von neuem begegnen wird. 
Eben deshalb könnte der Ursprung einer von Gerhard nachgewie- 
senen Darstellung der Venus, wo diese zugleich Proserpina d. h. 
Todesgöttin ist 1 ), eben so gut in Italien zu suchen sein als in 
Griechenland. 

Im gewöhnlichen Cultus hatte Venus neben diesen besondern 
Formen die allgemeinere Bedeutung einer Frühlingsgöttin der Blumen, sss 
der Gärten, der Gemüse, der Weinpflanzungen. Die Gärten galten 
so speciell für ihr Revier, dafs sie gewöhnlich unter ihren Schutz 
gestellt wurden und alle Gärtner, Gemüsehändler, Blumenzüchter die 
Venus wie eine Göttin ihrer Profession verehrten 8 ), und was die 
Weinlese betrifft, so ist schon oben S. 196 bemerkt worden, dafs 
sowohl die ländlichen Vinaüen am 19. August, das eigentliche Wein- 
lesefest, als die sogenannten Vinalia priora am 23. April, wo man 
den jungen Wein zuerst kostete, dem Jupiter und der Venus galten 3 ). 
Namentlich wurden an diesen Tagen entsprechende Feierlichkeiten 
im Haine der Murcia und in dem der Libitina vorgenommen, deren 
Tempel beide den 19. Aug. als ihren Stiftungstag feierten, während 
im Uebrigen auch diese Feste ganz vorzüglich von den Gärtnern 

*) Gerhard Archaol. ISachlafs aus Rotn S. 121 — 105. Vgl. dessen Abb. 
über Venusidole S. 9. 15 ff. [Vgl. v. Duhn Bull, dell' int. 1878, 21.] 

*) Varro r. r. f, 1, 6 Item adveneror Minervam et P euerem, quarum unius 
procuratio oliveti, alterius hortorum, quo nomine rustica Vinalia instituta. 
Daher Naevius Venus für holera sagte, Paul. p. 58 cocum. Vgl. Plio. XIX, 
50 hortos tutelae Veneris adsignante Plauto [vgl. Plaut. Meo. 371 f. Venus 
me voluit magnißcare , neque id hattd immerito tuo: nam ecastor solus bene- 
factis tuis me flor entern Jacis) uud bei Or. n. 1369. 1462 die Veous hor- 
torum Sallustiaooroni. [Dazu kommt noch die Dedication eines vüicus (Rom 
C I. L. 6, 779) und die Gefafsinschrift (Pompeji das. 4, 2776) presto mi 
sinceru{m): sie te amet que custodit ortu(m) Venus. Aber sonst scheint 
es an bezüglichen Denkmälern ganz zu fehlen. Vgl. Silvanus, Terra mater 
Bona Dea] 

•) Varro 1. 1. VI, 20 Vinalia Rustica dicuntur a. dL XIV Rai. Sept., quod 
tum V eneri dedicata aedes et horti ei deae dicantur ac tum fiunt feriati holi- 
tores. Vgl. Fest. p. 265 und 289 und die Kalender, von denen das Kai. Caprau. 
für denselben Tag ein Opfer an die Venus beim Circ. Max. d. h. an die Mnrcia 
vorschreibt [C. I. L. 1 p. 399]. Nach Plut. Qn. Ro. 45 erfolgten an den Ve- 
neralien, wofür Vinaüen zu schreibeo, reichliche Weinspenden beim T. der 
Venns. Von den Vinalia priora s. Plin. XVIII, 287. Varro hatte eine Satire 
unter dem Titel Vinalia neoi eupQodiaiuv geschrieben. 



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442 



FÜNFTER ABSCHNITT 



und Gemüsehändlern begangen wurden. Aufserdem scheint von 
jeher der erste Tag des April der Venus heilig gewesen zu sein, 
obgleich die Art wie dieser Tag später gefeiert wurde die deut- 
lichsten Merkmale des griechischen und orientalischen Aphrodite- 
dienstes an sich trägt, wie man denn später sogar den Namen des 
Monats Aprilis von Aphrodite ableiten wollte. Richtiger ist die ab 
aperiendo, quod ver omnia aperit 1 ), weil die Erde sich dann von 
neuem öffnet und die Halme und Blüthen sich aus ihr hervor 
drängen: was wieder zu dem Begriffe einer Göttin der sprossenden 
Vegetation zurückführt. 

Zu diesen älteren und einfacheren Formen des latinischen Venus- 
dienstes kamen mit der Zeit die bedeutungsvolleren des Auslandes, 
889 unter denen die der Venus Victrix und der Venus Genetrix 
für die ältesten gelten dürfen. Beide gehören zu der gemeinschaft- 
lichen Wurzel des Dienstes der Venus Urania, welche zugleich als 
kriegerisch bewährte Siegesgöttin und als die befruchtende Mutter 
aller Dinge verehrt wurde; auch mögen beide von demselben Ur- 
sprünge des erycinischen Venusdienstes auf Sicilien abzuleiten sein, 
welcher, wie bereits bemerkt worden, seine Einwirkung auch über 
Italien, sowohl über die Griechen und Etrusker als über die ein- 
gebornen Völker, zunächst wohl die Lucaner, Campaner und Sam- 
niter verbreitet hatte. Die Venus Victrix wird von den Römern 
geradezu mit der Victoria identificirt 2 ) und scheint als solche auch 
sonst in und aufserhalb Italien viel verehrt worden zu sein. Namentlich 
mufs sie in Latium frühzeitig Eingang gefunden haben, da man aus 
dem Gebrauch der Myrte beim albanischen Triumphe (S. 216) fol- 
gern darf, dafs auch hier die Venus Victrix im Spiele war. In Rom 
hatte sie ein Heiligthum auf dem Capitole 8 ), wurde aber auch sonst 



») Varro 1. 1. VI, 33, Ovid F. IV, 87 ff., Censorin 22, 9, Macrob. I, 12, 
8 &'., wo der griechische Anthesterion verglichen wird. Vgl. Ovid F. IV, 125 ff. 
Nec Veneri tempus quam ver erat aptius ullum, Vere nitent terrae, vere re- 
mis sus ager, Nunc herbae rupta tellure cacumina tollunt, Nunc tumido gemmas 
cortice palmes agit. (Vgl auch das Kaiend. Praenest. im C. I. L. 1 p. 364 mit 
Mommsens Bemerkung.) 

») Varro 1. 1. V, 62, Gellius N. A. X, 1 , 7. Vgl. die Inschriften aus 
Sicilien Heozen 5679 [echt?], Umbrien Or. 1375 und Dalmatien Henzen 5678. 
5680 [— C. I. L. 3, 1965. 2770, und häufiger Bd. 3; vgl. 2, 470. 5, 2805]. 

8 ) Ein T. der V. Victrix auf dem Capitol wird erwähnt in dem Kai. Ami- 
tern. zum 9. (Mb. Pergelbe scheint identisch zu sein mit dem T. der Venus 



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vesus. 443 

von den Feldherrn viel verehrt, namentlich von Sulla und von Pom- 
pejus, welcher ihr auf der Höhe seines Thealers einen Tempel ge- 
stiftet hatte 1 ) , endlich von Julius Cäsar, welchem vermöge seiner 
Abstammung die Venus Victrix und die Venus Genetrix zu einem 
und demselben Bilde zusammenschmolzen 2 ). Diese letztere wurde 
nehmlich zu Rom immer speciell als Mater Aeneadum d. h. als 
Stammmutter der albanischen Geschlechter, welche sich von Aeneas 
ableiteten, namentlich der Julier verehrt; daher anzunehmen ist dass 
dieser Gultus geraume Zeit ein Gentilcult dieses Geschlechtes und 390 
seiner nächsten Sippen war, bis er bei zunehmender Bedeutung der 
Aeneassage für Rom und dessen conventioneile Geschichte zu einem 
öffentlichen wurde. Schon in der Zeit des ersten punischen Krieges 
war der Glaube an die troische Abstammung des römischen Volkes 
ein festgewurzelter, so dafs wir also auch bei diesem Cultus, wenn 
es sich von den Anfangen des Glaubens handelt, einige Generationen 
weiter hinauf, also gleichfalls bis in die Zeit der Samniterkriege 
zurückgehen müssen. Die römische Poesie trug das Ihrige dazu bei, 
diese Venus noch mehr zu verherrlichen *), Ennius indem er sie in 
seinen Annalen als Stammmutter des Romulus, also des römischen 
Namens überhaupt auftreten liefs, Lucrez u. A. indem er sie in ihrer 
kosmischen Bedeutung besang d. h. als die Göttin der Zeugung, des 
Ursprungs, der Entstehung der Dinge überhaupt, welche ihre Macht 



Capitoliua bei Sueton Cal. 7. [Mommsen C. I. L. 1 p. 403. — Die von P. 
hier ooch a. Stelle des Fälschers Pseudoplut. parell. 37, nach welchem au«? 
der jUTjjQonoXig twy 2avvtjcüv Tovfrov die Venus Victrix nach Rom über- 
geführt worden sei, ist werthlos. Vgl. oben S. 260, 1.] 

') Plut. Pomp. 68, Gellius 1. c, vgl. Becker Handb. 1, 676, welcher aoeh 
das vom Kai. Amitero. zum 12. Ang. vorgeschriebene Opfer an die Venus 
Victrix auf diese Pom|>ejanische bezieht. Was Sulla betrifft, so ist die Venus 
auf seinen Münzen höchst wahrscheinlich V. Victrix. [? Münze Cohen Cons. 
T. XV Com. 16, vgl. Mommsen Münzw. S. 598, 224c: Venuskopf, davor Cupido, 
in der R. eine Palme.] 

*) Prop. V, 1, 46 Vexit et ipsa sui Caesaris arma Venus, arma resur- 
gentis porlans victricia Troiae. Dio Cass. XLIII, 43 xal dia iovjo xal yXvptpta 
avTrjs fvonXov i<f,6(>tt xal atWiftu« avri)v iv nXefoxois xal fAtyloxuts xir- 
fiuvo« Inouiro. Auch auf Casars Münzen ist die V. Victrix oft zu sehen, 
gewöhnlich bekleidet mit Schild und Lanze, häu6g auch mit der Victoria 
auf der R. 

*) Bei Ennius [Ann. V. 53] betete llia vor der Hinrichtung: Te sale tiata 
preeor Venus, le genetrix patris /tust vi , ui me de caelo visas cognata parumper. 
Vgl. Lucret. de rer. nat. z. A. und Ovid F. IV, 91 ff. 



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444 FÜNFTER ABSCHNITT. 

vorzuglich in der Zeit des Frühlings, des jährlich sich erneuernden 
Ursprungs der Dinge, offenbarte und als kosmische Liebesgöttin 
bereits von dem Eleaten Parmenides und dem Agrigentiner Empe- 
dokles gepriesen worden war. Einen eignen Tempel bekam diese 
Venus Genetrix bekanntlich durch Julius Cäsar, welcher sich seiner 
Abstammung von dieser Göttin und seiner Verwandtschaft mit 
Kumulus und den albanischen Königen nicht allein sehr gerne 
rühmte 1 ), sondern auch in seinem eignen Wesen etwas von jenen 
alten Lieblingen der Venus, einem Aeneas, einem Paris u. A. hatte, 
welche mit grofser Liebesfähigkeit und Liebenswürdigkeit eben so 
viel Muth und Tapferkeit und die dämonische Gabe des Glücks ver- 
banden; denn auch diese hielt man für ein Geschenk der Venus, 
daher auch Sulla felix sich eifrig zu dieser Göttin bekannte. In der 
Schlacht bei Pharsalos gelobte Casar ihr in Folge eines Traums den 
Tempel, welchen er hernach auf seinem Forum sehr prächtig erbaute 
und am 25. Septb. 708 (24. Juli 46) mit vielen Spielen einweihte 8 ). 
391 Augustus war ganz der Mann, die mythologischen und religiösen 
Prätensionen dieses Dienstes zum Vortheile der Dynastie der Julier 
vollends auszubeuten, daher Mars und Venus, die Stammgötter dieses 
Geschlechts, durch ihn zu römischen Stammgöttern überhaupt er- 
hoben 8 ) und namentlich Venus Genetrix als solche fortan in vielen 
Gegenden von Italien mit und ohne speciellere Beziehung auf die 
Julische Familien tradition verehrt wurde 4 ). Ja diese Verehrung der 



») Caesar Fenere prognatus Cic. Ep. Farn. VIII, 15, 2. Vgl. Casars Rede 
bei Suetoo 6 und Vellei. Pat. II, 41 nobilissima Iuliorum genitus familia et 
quod inier otnnes antiquissimos constabat ab Anchise ac V euere deducens genus. 
Mehr bei Dio XL, 34 und XLIII, 43. [Dramana 3, 114.] 

«) Becker Handb. 1, 363 ff., Fischer Röra. Zeittafeln S. 289. Bei Serv. 
V. A. I, 720 ist für Vertu* Nut rix ex Caesarit somnio sacrata zu leseo 
Genilrix [?]. 

») Mars and Venus sind die Stammgötter der Julier, s Dio L1U, 27 vom 
Pantheon des Agrippa, C. I. Gr. n. 2957, wo Iul. Caesar anb v AQta>s xal 
jttf-QoMttis abgeleitet wird, vgl. Tacit. Ana. IV, 9. Daher Romulus oach der 
Erkläruog des Verrias Flaccus uod aodrer Gelehrten der Augusteischen Zeit 
den ersteo Mt. seines Jahres seinem Vater Mars, deo zweiten der Venus 
Genetrix d. h. der Mutter der Aeoeaden weiht, s. Verr. Fl. Fast. Praen. zam 
1. April: Apräis a t'enere, quod ea cum Anchise parens fuü Aeneae regis, 
qui genuü Iulutn, a quo populus Romanus ortus, Ovid F. IV, 25 ff., Macrob. 
S. I, 12, 8. 

*) Vgl. Or. n. 1377, Mommseo L N. n. 1385 und 4837 [C. I. L. 2, 3270]. 
Ueber das Bild der Venus Genetrix s. Visconli M. Pio Cl. III, 8, Gerhard 



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VENUS. 



445 



Venus Genetrix als der Stamm mutter des römischen Volks behauptete 
sich auch nach dem Aussterben des Julischen Geschlechts, da noch 
Hadrian einen prachtvollen Doppeltempel der Roma und Venus mit 
zwei colossalen Statuen der beiden Göttinnen erbaute 1 ), offenbar 
wegen des alten und eingewurzelten Glaubens, dafs die troische 
Venus durch Aeneas und die Aeneaden die Stammmutter des 
römischen Volkes sei. 

Nachdem die Römer diese Formen des Dienstes der Venus 
Urania in früheren Zeilen durch Vermittlung der Latiner und andrer 
italischen Völker kennen gelernt hatten, geriethen sie im Laufe des 
ersten punischen Kriegs in unmittelbare Berührung mit dem Dienste 
der erycinischen Venus und seinen Traditionen von der Wan- 
derung des Aeneas; ja sie wurden seit dem Frieden vom J. 241 
v. Chr. die Herrn über diese Gegend und diese Heiligthümer, welche 
für sie längst die Bedeutung einer sacralen Metropole hatten und in 
diesem Sinne fortan auch von ihnen gepflegt wurden 8 ). Die Folge 
war dafs Rom sich den Dienst der erycinischen Venus nun bald un- 
mittelbar von dort aneignete. Im Jahre der Schlacht am Trasi ma- 
nischen See (217 v. Chr.) wurde auf den Rath der Sibyllinischen asa 
Bücher der erste Tempel derselben und ein Lectisternium gelobt, 
bei welchem Mars und Venus als zusammengehöriges Paar er- 
schienen, während der neue auf dem Capitol erbaute Tempel der 
erycinischen Venus im folgenden Jahre eingeweiht wurde 8 ). Ein 
andrer und wie es scheint noch angesehener Tempel derselben Göttin 
lag vor der p. Collina, wo er im J. 18J. v. Chr. eingeweiht wurde, 
nachdem er einige Jahre vorher von einem Consul im Felde gelobt 
worden war 4 ). Diese Göttin galt wie das Urbild auf Sicilien für 
eine weibliche Macht des Himmels und der schöpferischen Natur, 



Venusidole S. 2* [A. Reifferscheid De ara Veneris genetricis, Aonali dell' in- 
stitutu 1863, p. 3JU ff., vgl. U. Köhler ib. p. 2Mf.] 

*) Becker Handb. 1^ 444. Dafs auch diese Venus des Hadrian die Venus 
Genetrix war, und zwar in der erweiterten Bedeutung einer Genetrix gentis 
Martine, Arnob. IV, 35, folgt auch aus der Stiftung zu Ehren des Marc. Aurel 
und der Faustina bei Dio LXXI, 3_L 

>) Tacitns Annalen IV, 43^ Sueton Claud. 25. Vgl. Eckhel D. N. 1 
p. 231L 

»} Liv. XXII, 9, XXIII, 3A 31^ Becker S. 40& 

*) Liv. [XL, 34] XXX, 38^ Strabo VI p. 212. [[F)eneri Eryc\inae extr]a 
port(äm) Collin(am) der Arvalkal. 23. April. Vielleicht gehört hierher der 
sortilegus ab rener e Erycina C. L L. 6^ 2274.] 



146 



FÜNFTER ABSCHNITT. 



auch der beruhigten See, aus welcher Aphrodite geboren ist, aber 
auch der Buhlerei und Prostitution, von welcher Seite sie in Rom 
wie anderswo bald lebhaften Anklang fand. 

Dazu waren im Laufe der Jahre noch verschiedene andre Formen 
des griechischen und orientalischen Venusdienstes gekommen, welchen 
bald in dem alten Bezirke der Murcia, bald in andern Gegenden der 
Stadt neue Heiligthümer gestiftet wurden. So gab es in der Nähe 
des Circus Max., also wahrscheinlich in jenem Bezirke, einen T. der 
V. Obsequens d. h. der Willfahrigen, welcher im J. 2Ü1> v. Chr. 
von Q. Fabius Gurges von den Strafgeldern ehebrecherischer Matronen 
gestiftet worden war 1 ): ferner in demselben Bezirke einen T. der 
V. Verticordia, welche der griechischen änoaiQotpia entspricht 
und auf Veranlassung höchst bedenklicher Spuren von Unsittlichkeit 
unter den Frauen und Jungfrauen der höheren Stände und eines 
schrecklichen Vorfalls im J. 1 14 v. Chr. gestiftet wurde. Drei 
Vestalische Jungfrauen, Aemilia, Licinia und Marcia, hatten sich 
damals in verbotenem Umgange mit römischen Rittern betreffen 
lassen, worauf in jenem Jahre die Sache zur öffentlichen Verhandlung 
kam und Licinia durch die Beredsamkeit des L. Crassus, Marcia 
durch einen andern Anwalt gerettet wurde, so dafs nur Aemilia als 
Opfer fiel. In dem Herbste desselben Jahres, nach den römischen 
Spielen, war ein römischer Ritter P. Elvius mit Frau und Tochter 
auf der Rückkehr nach Apulien begriffen, als sie im Freien von 
einem starken Gewitter überrascht wurden. Die Tochter wird ängst- 
222 lieh, der Vater setzt sie auf ein Pferd , um schneller mit ihr unter 
Dach zu kommen; da wird sie auf dem Pferde vom Blitz getroffen. 
An den Kleidern, am Schmuck, an den Schuhen war keine Spur 
des Blitzes zu finden, auch an ihrem Leibe nicht, nur dafs sie mit 
entblöfster Schaam dalag und die Zunge aus dem Munde hervor- 
ragte, daher man annahm, der Blitz sei durch die Schaam hinein 
und aus dem Munde wieder herausgefahren. Auch das Pferd war 
getödtet worden und der Sattel, Gurt und Zaum lagen zerfetzt 
umher 3 ). In Rom sah man in diesem Vorfall einen deutlichen Aus- 

») Nach Liv. X, 31^ vgl. Serv. V. A. 1^ 720, wo Fabius Garges diesen 
Tempel nach dem Samniterkriege stiftet, weil Venns sich ihm gnadig erwiesen. 
Er setzt hinzu: Harte ItaU Postvotam dicunt, welcher Name wohl ver- 
dorben ist. 

*) Liv. Epit. 63^ Plio. HL N. VII, 120, Iul. Obseq. 31 (97^ Oros. V, löj 
Fischer Rom. Zeitt. im J. LH und 113. 



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VENUS. 



447 



druck des göttlichen Zorns über jene Sünden der Vestalischen Jung- 
frauen und ihrer Buhlen, der Ritter. Die Untersuchung wurde also 
im folgenden Jahre wieder aufgenommen und jetzt auch Licinia und 
Marcia verurtheilt, ferner auf Veranlassung der Sil »j Iiinischen Bücher 
jenes Heiligthum und ein Bild der V. Verticordia gestiftet, zu welchem 
Behufe Sulpicia, die Gatün des Q. Fulvius Flaccus unter hundert 
Frauen als die keuscheste auserwählt wurde 1 ). Die Absicht der 
Stiftung war, dafs in Zukunft das Herz der Frauen und Jungfrauen 
sich um so leichter von der Lust zur Zucht und Keuschheit wenden 
möge. Noch andre Formen dieses späteren römischen Venusdienstes 
sind eine V. Ca Iva, welcher zu Liebe die in verschiedenen Städten 
wiederholte Geschichte erzählt wurde, dafs die Frauen bei der Be- 
lagerung des Capilols durch die Gallier ihr Haar zur Anfertigung 
von Stricken und Kriegsmaschinen hergegeben hätten 2 ). Andre er- 
zählten von einem Aussatze, in Folge dessen den römischen Frauen 
die Haare ausgefallen wären, wobei sie sich auf ein Bild beriefen, 
welches vermuthlich das der V. Calva war, dann aber viel jünger 
gewesen sein mufs als man in Rom glaubte, denn diese Form gehört 
wesentlich zur orientalischen Familie des Venusdienstes. Das Bild 
trug nehmlich einen Kamm in der Hand und war im Gesichte bärtig, 
wurde also mannweiblich gedacht, denn der Kamm (xtdg) ist das 
Merkmal des weiblichen Geschlechts. Wieder eine andre Venus hiefs 
Equestris, weil sie zu Pferde safs, angeblich eine Stiftung des 304 
Aeneas 3 ). Höchst wahrscheinlich war es die griechische 7if?.ayicc*), 
denn das Rofs hatte in der bildlichen Sprache der Alten sehr oft 
die Bedeutung der Woge, so dafs Venus auf dem Rosse die Herr- 
scherin über das Meer bedeuten sollte, wie die gleichfalls in Rom 
verehrte V. Marina und Limnesia d. i. die Hafengöttin, welche mit 
der Zeit den gleichartigen Dienst der alten Mater Matuta verdrängte. 
Ferner wird genannt eine V. My rica, Myrtea und Purpurissa, 

») PHn. I. c, Val. Max. VIII, 15, 12. Dafs das Heiligthum im Bezirk der 
Murcia lag, folgt aus Serv. V. A. VIII, 636. 

*) Serv. A. I, 720, nach welchem Andre die Venu* calva erklärten wie 
pura, noch Andre quod corda amantiuin calviat i. e. fallat atque eludat. Die 
Geschichte dafs die Frauen ihr Haar zu Kriegsmaschinen hergegeben, ward 
auch von der Belagerung Karthagos und von der von Byzanz und Aquileja 
erzählt, s. Lactant. I, 20, 27, Iul. Capitol. Maximin. Iun. 7. 

») Schol. II. 2, 820, Serv. 1. c. 

*) [Eine (natürlich nicht römische) Pelagia C. I. L. 3, 3066 (Insel Corcyra 
Nigra). Vgl. die f. A.] 



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448 FÜNFTER ABSCHNITT. 

mit Beziehung auf das heilige Laub der Tamariske und der Myrte 
und auf die Purpurfarbung: also gleichfalls Nebenformen der eryci- 
nischen, cyprischen oder phönicischen Aphrodite. Ferner gab es 
eine V. Salacia, welche später für die Liebesgöttin der Buhlerinnen 
galt, ursprunglich aber wohl auch nur die Göttin der salzigen 
Meeresfluth gewesen war 1 ), ferner eine namentlich in Campanien, 
aber auch sonst in Italien und in Rom verehrte V. Felix, welche 
eine Göttin weiblicher Fruchtbarkeit war und als solche wie eine 
glückliche, eine gesegnete Mutter, ein Rind auf dem Arme abgebildet 
wurde 2 ). Höchst wahrscheinlich ist auch die hin und wieder er- 
wähnte V. Fisica mit dieser identisch, da das griechische Wort 
(pvGixij dem lateinischen felix in dieser Bedeutung entspricht: eine 
Schutzgöttin von Pompeji, daher sie auch schlechthin V. Pompeiana 
heifst, wie Venus denn überhaupt in Campanien, von Capua bis nach 
Sorrent und Bajae, wo die Natur so fruchtbar, das Meer so reizend, 
die Gesellschaft so genufsreich war, das Leben und die Sitte in vielen 
und verschiedenen Formen beherrschte 3 ). Die Gemälde von Pompeji 
und Herculanum legen davon ein sehr beredtes Zeugnifs ab, indem 
sie uns die italische Venus nun ganz wie die griechische in den 
verschiedensten Anlässen des Lebens und der Fabel als die Alles 

] ) [Diese Namen sind Servias zur Aen. 1, 720 entlehnt. Von einem Cultus 
derselben ist sonst nichts. Die Deutung der Salacia ist jedesfalls ein Mifa- 
verständnirs. Doch wird an vereinzelten privaten Kulten griechischer Aphro- 
diten kein Mangel gewesen sein : vgl. z. ß. den condüor sacrari Veneris Chen- 
diae (Cnidiae?) C. 1. L. 6, 2273 nnd Bonae deae Veneri Cnidiae das. 76 (vgl. 
Bona Dea) und die Caelestis das. 780 und 5, 8137. 8138, die griechische 
Urania.] 

») Or. n. 1366 [=C. I. L. 6, 7S2, dazu 781] und 4036 [Peltuinun. . Mommsen 
I. N. n. 3903. 4986. 6034, vgl. Visconti M. P. Cl. U p. 313 und Müller Handb. 
der Archaol. § 376, 3. Venus felix ist zu verstehn wie arbor felix von fco, 
fetus u. s. w. [Vgl. Corsseu Beiträge zur lat. Formenlehre S. 191 f.] 

') Or. n. 1370 = Mommsen I. IN. n. 2253 [und C. I. L. 4, 1520], vgl. 
Dens, im Rh. Mus. f. Philol. 1847 S. 457 und das Bullet. Archeol. Napol. 1854 
p. 58. Die Mehlis Fisica bei Mommsen 1. N. n. 307 bedeutet wohl eine heifse 
Schwefelquelle, in deren Nähe die Vegetation gut gedieh. [Das sicher osklsche 
Wort fisica (mit tpvotx kann es nichts zu thun haben) ist noch nicht er- 
klärt, die Vergleichung der Eigennamen Fiselius u. a. hilft nicht.] Pompeii 
heifst COLonia VENeria CORnelia entweder nach dem Dictator Sulla oder nach 
seinem Neffen P. Cornelius Sulla. Vgl. Martial. IV, 44 Haec Veneris sedes, 
Lacedaemone gratior Uli, und Bullet. Nap. 1853 n. 27. [Vgl. Nissen Pomp. 
Studien 327 ff.] Bekannt ist die Venus von Capoa, vgl. Mommsen n. 3561 
Magistri Venems Joviae. In Sorrent aedes Veneris, ib. n. 2123. 2124. 



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VENUS. 



449 



beseelende und beherrschende Guttin der Schönheit und der Liebe 395 
zeigen, neben ihr eine grofse Anzahl von Eroten und Psychen, deren 
heitres Spiel auch in der römischen Decorationsmalerei sehr belieht 
war. Eros wurde zum Amor oder zum Cupido, Peitho, eine eben so 
unzertrennliche Gefährtin der Aphrodite, zur Suada, neben welcher 
als Göttin der Liebessehnsucht und des sinnenden Glücks oder Un- 
glücks der Liebe eine eigne Venus Mimnermia oder Meminia ■ 
verehrt wurde 1 ). 

Einer so veränderten Auflassung gemäfs mufsle sich natürlich 
auch der gewöhnliche Gottesdienst der Venus in Rom wesentlich 
verändern, da man von der einfacheren Auffassung dieser Göttin als 
einer Göttin der Vegetation, der Weinberge, des Frühlings und seiner 
Lust immer entschiedner zu der griechischen und orientalischen 
übergegangen, d. h. Venus vorherrschend als Göttin des weiblichen 
Reizes und des Genusses der Liebe zu feiern gewohnt geworden war. 
Vorzüglich war es der April, wo man Venus in diesem Sinne feierte. 
Der l. April galt nun vorzugsweise der V. Genetrix, der Stamm- 
mutter 'des römischen Volks, der Erneueriii aller Fruchtbarkeit des 
Jahres, welcher man jetzt auch die neue Eröffnung des Meeres und 
der Schiffahrt zuschrieb. Namentlich beteten die Frauen an diesem 
Tage eifrig zur Fortuna Viriiis d. h. zu der Götlin des Glückes der 
Frauen bei den Männern, während die Frauen geringeren Standes 
sogar die Badstuben der Männer aufsuchten, um dort ihre Andacht 
zu verrichten 2 ). Ferner wird von einem Bade der Venus d. h. ihres 
Bildes erzählt, bei welchem die Frauen gleich dem Bilde allen 
Schmuck ablegten, nach dem Bade aber dasselbe mit neuem Ge- 
schmeide und mit frischen Blumen, vorzüglich mit Rosen schmückten, 
worauf auch sie selbst unter grünenden Myrten ein Bad nahmen, 
wie einst Venus, da sie aus dem Meere aufgestiegen ihr Haar trock- 
nete, vor der Zudringlichkeit lüsterner Satyrn ihre Zuflucht zu einem 
Myrtengebüsch genommen habe 8 ). Endlich empfiehlt Ovid den Frauen 



>) Serv. V. A. I, 720. 

*) Verr. Flacc. b. Macrob. I, 12, 15 and Fast. Praen. 1. April. Frequenter 
tnulieres supplicant Fortunae t'irili, humiliores etiam in balineis, quod in iU 
ea parte corporis utique viri nudantur, qua feminarum gratia desideratur. 
[Mommsen C. 1. L. p. 390 vermulhet supplicant [honestiores Veneri Ferticordiae], 
Fortunae viriles humiliores, etiam u. $. w.J Vgl. Ovid F. IV, 145 ff., Io. Lyd. 
d. Mens. IV, 45. 

8 ) Ovid 1. c. v. 133 ff., vgl. Plot. Numa 19. Verrauthlich hängt damit zu- 

Preller, Röm. Mythol. I. 3. Aufl. 29 



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450 



FÜNFTER ABSCHMTT. 



396 an diesem Tage einen Mischtrank aus Milch, geslofsenem Mohn und 
Honigseim zu nehmen, wie dieses auch Venus hei ihrer Vermählung 
gethan hahe. Auch Venus Verticordia wurde an diesem Tage als 
Göttin der weiblicheu Zucht und Sitte verehrt, so dafs also über- 
haupt vorzugsweise die Matronen an ihm thätig waren. Dagegen 
galt der 23. April, der Tag der Vinalia priora, in dieser späteren 
Zeit speciell der Venus der Buhlerinnen und der Prostitution über- 
haupt, derselben welche Lucrez IV, 1063 die V. Volgivaga nennt 
und welche bei den Griechen Pandcmos hiefs. Es war die eryci- 
nische Venus vor der p. Collina, wo am 23. die Teilen Dirnen mit 
Myrten und Rosen ihre Andacht verrichteten, während seit Cäsar 
der 25. April von den feilen Knaben als eigner Festtag ihrer Pro- 
fession begangen wurde, so sehr war auch dieses Laster schon zu 
einem anerkannten BedOrfnifs geworden 1 ). Die unschuldigere Be- 
deutung der Venus als einer Göttin der weiblichen Geschlechtsreife 
und Geschlechtsbestimmung tritt auch in dem Gebrauche hervor, 
dafs die Mädchen, wenn sie aufhörten Kinder zu sein, entweder der 
Diana oder der Venus ihre Puppen weihten 2 ). 

4. Priapus. 

Mit der Venus war auch Priap nach Italien und Born gekommen, 
ganz in derselben Bedeutung wie er in Kleinasien, vorzüglich in der 
Gegend von Lampsacus und überhaupt am Hellespont verehrt wurde 
[Gr. Myth. 1, 608 f.], als Dämon aller üppigen Fruchtbarkeit und un- 
verhülltes, aber den Alten durch lange Gewohnheit vertrautes Symbol 
jedes geilen Naturtriebes. Sein eigentliches Gebiet waren die Gärten 
und Baumpflanzungen, wo sein Bild in der von Horaz und andern 
Dichtern mit so vieler Laune 1 beschriebenen Gestalt zugleich dem 
praktischen Zweck einer Vogelscheuche und eines Schutzes gegen 

saimnen die 'AifQoMrr] IntiuXaQiog bei Plut. fort. Ro. 10, welche ueben der 
Fortuna Viriiis verehrt wurde. 

i) Ovid F. IV, 863 ff., Verr. Fl. Fast. Praen. z. 25. April. [Mominscn 
C. I. L. 1 p. 392.] Eben dahin gehört die V. militaris d. h. quae castrertsibus 
flagitiis praesidet et puerorum stupris, Arnob. IV, 7, Serv. V. A. I, 720. So 
spricht Varro r. r. II, 10, 6 von eher V. pastoralis d. h. eioer Göttio des 
Liebesbedürfnisses der Hirten. 

») Pers. II, 70, vgl. Anthol. Pal. VI, 280 uud O. Jahn z. Pers. p. 130. 
Vgl. Varro b. Non. Marc. p. 156 Properate vivere puerae, quas sinit aetaitda, 
ludere, esse, arnare et Veneris teuere bigas. 



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PRIAPUS. 



451 



den linsen Blick des Neides und das Gelüst der Gartendiebe ge- 
nügte 1 ). Doch trat er auch im Gefolge des Bacchus oder der Venus 397 
auf, als asiatischer Alter, härtig, in einem langen Gewände und mit 
dem asiatischen Kopftuch, Früchte und Trauben im Sehoofs 2 ), als 
ein Gott des ländlichen Segens überhaupt. Ja sein Bild wurde, 
wie das der Venus und des Cupido, als Symbol der ewigen Rege- 
neration skraft der irdischen Natur selbst an Gräbern aufgestellt 3 ), 
während er andrerseits in seiner derb unanständigen Weise zu den 
beliebten Figuren des Volkstheaters 4 ) und des Volkswitzes überhaupt 
gehörte. 

5. Fertumnus und Pomona. 

Vertumnus oder Vortumnus galt in Rom gewöhnlich für einen 
Gott etruskischer Abkunft, aber nur weil sein Bild im Vicus Tuscus 
stand, einer lebhaften Durchgangsstrafse zwischen dem Forum, Vela- 
brum und Circus Maximus, wo ehemals Tusker angesiedelt worden 
waren (Varro 1. 1. V, 46). Doch wurde derselbe Gott auch bei den 
Latinern, den Sabinern und überhaupt in Italien als ein der Ceres 
und der Pomona nahe verwandter Fruchtgott viel verehrt 6 ), wie ja 

') Virgil Ge. IV, 110 mit den alten Aaslegern, Horat. S. 1, 8, vgl. Plin. 
II. N. XIX, 50 hortoque et foro tantum contra tnvidentium effascinationes di~ 
cari videmus in remedio satyrica signa, quamquam hortos ttüelae f 'cneris ad- 
signante Plauto [S. 441, 2], 0. Jahn in den Berichten der K. Sachs. Ges. d. W. 
1855 S. 72. Inschriften b. Or. n. 1623 uod eine merkwürdige griechische ans 
Rom C. I. Gr. n. 5960. [C. I. L. 6, 564 (offenbar ans einer ländlichen Villa) . . . 
sigiU(utn) Pria(pi) Liber{i), wohl eher als sigilla. Vgl. Nissen Pomp. Stud. 
S. 329; das bekannte Gedicht C. I. L. 5, 2803 u. a. m.j 

') Petron. Satir. 60, vgl. O. Jahn in dens. Berichten 1856 S. 235 8*. In 
einer Inscbr. b. Grut. p. 95, 4 heifst Priapus der conservator propaginis villi- 
corwn, in einer griechischen Inschrift aus Rom C. I. Gr. n. 5962 rtjs ytviatug 
notftriv. 

») Inschriften von Gräbern b. Henzen n. 5756 a aus Rom: Gustos sepukhri 
pene destricto deus Priapus ego suin mortis et vitai locus, vgl. Or. n. 1624 
[= C. I. L. 5, 3634] aus Verona : Dis Manib. C. H. C. locus adsignatus moni~ 
mento in quo est aedicla Priapi etc. Vgl. Mommsen I. N. n. 4218 aus Interamna 
am Liris: Dis Man ihn s und dazu als Bild: Venus nuda iacet cum Cupidine 
vgl. Or. n. 4585. Ein Priapus Pantheus b. Or. n. 2117. [= C. I. L. 3, 1139! 
Lieber Priapus vgl. 0. Jahn in den Jahrbb. des Vereins v. A. F. im Rheinlande 
27, 45 ff.] 

4 ) Augustin C. D. VI, 7. 

6 ) Vgl. Varro 1. 1. V, 74, Mommsen 1. N. n. 375 und 636. Neben der 
Ceres wird er genannt b. Mommsen n. 373 und b. Henzen z. Or. n. 5718. 

29* 



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452 



FÜNFTER ABSCHNITT. 



auch der Name acht klinisch und ilalisch ist, so dafs also auch in 
diesem Punkte wie in so vielen andern der etruskische Götlerglauhe 
mit dem des (ihrigen Italien übereingekommen sein mufs. Der Name 
hängt jedenfalls zusammen mit vertere, und zwar ist Vertumnus 
speciell der Fruchtgott des annus vertens 1 ), dessen wunderbar wech- 
selnde Gaben an Blumen und Früchten, Gewächsen, Bäumen und 
398 Beschäftigungen sich in der Wandelharkeit dieses Gottes und seiner 
Gestalten und Zierden wiederspiegelt, So ist er zunächst sowohl 
ein Gott des Frühlings 8 ) als des fruchtbaren Herbstes, ganz beson- 
ders aber dieses letzteren und seiner Spenden in den Gärten und 
Baumpflanzungen; daher er gewöhnlich wie ein Gärtner und Obst- 
züchter gedacht und abgebildet wurde, Früchte im Schoofs und das 
Gartenmesser in der Uand; doch besafs er nach dem Glauben des 
Volks die proteische Natur einer absoluten Wandelbarkeit, so dafs 
er jede beliebige Gestalt annehmen konnte 3 ). Den römischen Ver- 
tumnus im Vicus Tuscus schildert Properz in einem allerliebsten 
Gedichte (V, 2). Es reut ihn nicht, sagt er, Volsinii im Kriege ver- 
lassen zu haben (daher mochte das spätere Erzbild stammen), denn 
es gefalle ihm sehr in der lebhaften Strafse zu Rom, wo täglich so 
viel Volks vorbeilaufe und von wo er auf das geschäftige Forum 



') [Die Endung -u-mnus (auch Fem. -u-mnä) ist zwar unzweifelhaft mit dem 
Part. Präs. Pass. verwandt, die participiale und passive Bedeutung aber ist den 
zahlreichen damit gebildeten Namen und Wörtern (Corssen Ausspr. 2 S , 170 h".) 
nicht mehr lebendig. Aehnlich die Verwendung des Suffixes -ndo- in älteren 
weiblichen Gütternamen: (divae) Lar-u-nda, Fata Scrib-u-nda, sfdolenda, Com- 
molenda, Deferunda. Außerhalb Rom (vgl. a. Schlufs) findet sich der Cultus 
in Italien nur vereinzelt und ist wohl unter diesem Namen ursprünglich aus- 
schliefslich römisch: aufscrhalb Italien ist er so gut wie unbekannt (C. I. L. 
5, 7235 Segusio).] 

') Columella X, 308 mereibus et vernis dives Vertumnus abundet. Vgl. 
Prop. V, 2, 11 seu quia vertenlis fruetum praeeepimus anni, Vertumni rursus 
creditur esse sacrum. Tibull. IV, 2, 13 TaUs in aeterno felix FeHumnus 
Olympo: mille habet omatus, mitte decenter habet. 

») Daher Horat. S. II, 7, 14 Fertumnis quotquot sunt nattts iniquis. Er 
wurde darüber und wegen seiner Stelle im Vicus Tuscus, wo es viele Buden 
gab, Horat. Ep. 1, 20, 1, II, 1, 269, Martial. XI, 27, 11, auch zum Gotte des 
Kaufs und Verkaufs, s. Ascon. in Verr. II, 1, 154 p. 199 Vortumnus autem 
deus invertendarum rerum est i. e. mercaturae. [Ein darauf bezügliches Wort- 
spiel wahrscheinlich schon im Prolog des Curculio 21, vgl. Jordan Hermes 
15, 123 ] Ueber seine gewöhnliche Bildung s. Welcker z. Müller Handb. d. 
Arch. § 404, 1. [Doch vgl. Reifferscheid Annali 1866, 212 f.] 



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VERTDMNUS UND POMONA. 



453 



sehen könne. Einst sei der Tiber da geflossen, doch habe er dessen 
Strom gewendet, woher er nach Einigen seinen Namen bekommen 
habe 1 ), dahingegen Andre diesen von den mancherlei Früchten ab- 
leiteten, die ihm im Laufe des Jahres von dem Landvolke dargebracht 
wurden. Ihm reife zuerst die Traube, sein Haar werde zuerst von 
der reifenden Aehre geschmückt, Kirschen, Pflaumen, Maulbeeren, 
Birnen könne man zuerst bei ihm finden. Alle Gestalten kann er 
annehmen und pafst zu allen Gestalten, der des Kriegers, des Jägers, 
des Gärtners, des Fischers, des Hirten, eines Mädchens oder eines 
Jünglings. Aber am meisten berühmt und bewährt sei er doch als 
Gärtner und die Zier der Gärten stehe ihm auch am besten an, 
Gurken, Kürbisse, zierlich gebundene Kohlköpfe und alle Blumen. 
Einst sei sein Bild ein einfacher Ahornstock gewesen, etwas zu- 
gestutzt mit dem Messer, jetzt stehe er da als gegossenes und 
geschnitztes Bild von Erz, das Werk eines zweiten Mamurius. Noch 399 
hübscher ist das latinische Mährchen von Vertu mnus und der 
Pomona bei Ovid. Met. XIV, 623 ff., natürlich spielt es in alter 
Zeit, unter dem Albanerkönige Procas. Pomona ist die schöne 
Nymphe der Gärten und der Fruchtbäume. Immer ist das Garten- 
messer in ihrer Hand, bald um geile Triebe ihrer lieben Bäume zu 
beschneiden, bald um edle Setzlinge in den wilden Stamm einzu- 
lassen. Die Bäume sind ihre ganze Lust, sie zu begiefscn, zu pflegen, 
gegen das Gelüste der Waldmänner zu hegen. Von keiner Liebe 
wufste sie, wie sehr sich auch die lustigen Söhne der Flur und des 
Waldes um ihre Gunst bemühen mochten, auch Siivan, dessen Herz 
immer jünger ist als seine Jahre: bis Vertumnus die Spröde be- 
zwang, durch treue Liebe und durch die Schönheit seiner wirklichen 
Gestalt. Anfangs suchte er sie unter allerlei fremden Gestallen zu 
gewinnen, indem er bald als Schnitter zu ihr trat, bald als Mäher, 
bald als Ochsentreiber, dann wieder als Gärtner, als Winzer, als 
kühner Krieger mit dem Schwerdt, als Fischer mit der Angel, zuletzt 
in der Gestalt eines alten Weibes mit greisem Haar und bunter 



*) v. 10 Vertumnus verso dicor ab amne deus. Vgl. Ovid F. VI, 403 
und Serv. V. A. VIII, 90. Ueber das Oertliche s. Becker Handb. 1, 154. 439 
und meine Kegionen S. 151. (Die Inschr. C. I. L. 6, 804 Vortmnnus tempo- 
ribut Diocletiani et Maximiani ist am westlichen Ende des virus Tuscus, 
der jetzt zum Theil wieder aufgedeckt ist, gefunden worden (vgl. Henz. 5755, 
Jordan Eph. epigr. 3, 241). Dort stand sein Bild (sacellum) und war vom 
Forum aus sichtbar.] 



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454 



FÜNFTER ABSCHNITT. 



Haube, die an einem Krückenstabe in Pomonas Garten tritt, ihr 
Obst lobt, die reizende Nymphe küfst, zu den vollen Zweigen ver- 
wundert aufschaut und an dem Beispiel der Ulme, an welcher eine 
Weinrebe voller Trauben reifte, das Glück der liebenden Vereinigung 
nachweist. Warum sie so spröde sei, von so Vielen geliebt? Wohl 
habe sie Recht, die gemeinen Gesellen des Waldes zu verschmähen, 
nicht aber den Vertumnus, der in allen Gärten um Alba heimisch 
sei und Pomona so zärtlich liebe, zärtlicher als alle. Auch sei er 
jung und schön und seine Leidenschaft für das Obst so grofs wie 
die ihrige. Alles umsonst, bis er seine wahre Gestalt annimmt, die 
eines schönen Jünglings, so schön wie wenn die Sonne in vollem 
Glänze strahlend durch die Wolken blickt. Da ergiebt sich die 
Schöne freiwillig dem Schönen und beide sind fortan unzertrennlich. 
Wirklich scheint es in Italien neben der Pomona einen männlichen 
Gott desselben Namens gegeben zu haben, welcher in den iguvinischen 
Opferurkunden Puemunus heifst 1 ) und wohl mit dem Vertumnus 
identisch gewesen sein mag. Pomona aber hatte zwar auch in Rom 
400 einen eignen Flamen, freilich seiner priesterlichen Würde nach den 
am wenigsten angesehenen, weil die Aepfel (poma) im Rufe leicht- 
fertiger Sitte standen 8 ), doch war ihr eigentliches Gebiet natürlich 
wie das des Vertumnus auf dem Lande. So gab es auf dem ager 
oder campus Solonius, der sich zwischen Ardea und Ostia erstreckte 3 ) 



l ) Aufrecht aod Kirchhoff ümbr. Sprachdenkm. 2 S. 364. [S. die A. 1 fl. S.} 
Neben dem Puemunus und in steter Verbindung mit ihm erscheint auf den 
igavinischen Tafeln eine Göttin Vcsuna, die sich auch bei den Volskern 
und Marsern findet, aber noch nicht sicher erklärt ist, vgl. Mommsen Unter- 
ital. Dial. S. 321. [Bronze von Antinum unweit des Fucinersees, volskiseh, 
= Fabr. 2740. Stein von Milonia Mommsen T. XV S. 345 — Fabr. 2742 = 
C. I. L. 1, 182. Dafs das umbrische Vemne Puemunes bedeutet ,Vesune Frau 
des Puemunus' hat schon Mommsen zu C. I. L. 1, 182 gesagt (jetzt auch 
Bücheler im Bonner Progr. 22. März 1880 S. 13). — Neuestens ist ein etrus- 
kischer Spiegel gefunden worden (Mon. dell' ist. 11 T. XXI) auf welchem 
Vesuna neben Phuphluns (Bacchus) erscheint: dafs Vesuna hier (wie ander- 
wärts Minerva) von den Umbrern entlehnt ist, hat Klugmann richtig bemerkt 
(Bull. 1880, 102, vgl. Heibig Ann. 18S0, 257). — Die sprachlich unmögliche 
Identifictrung von Vesuna mit Feronia ist S. 426, 1 berührt worden. Möglich, 
aber ganz unsicher bleibt die von Bücheler Rh. Mus. 1877, 45 behauptete 
Zugehörigkeit von osk. Ves . ., Vesu . ., Vesulia, Fesulias, Vesulliais auf den 
bei Zwet. Syll. 1. Ose. p. 107 verzeichneten Inschriften.] 

») Varro 1. 1. VII, 45, Fest. p. 154 Maximae dignationis. 

8 ) Fest. p. 250, vgl. Bormann altlatin. Chorogr. S. 118. 



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VEHTLM.M'S UND POMONA. 



455 



und damals fleifsig cullivirt wurde, ein sogenanntes Pomonal, also 
einen alten Ilain der Pomona, der für die ganze Umgegend von 
religiöser Bedeutung sein mochte, wenigstens deutet auch die Fabel 
von Picus und Pomona (S. 377) auf diese Gegend. Endlich wissen 
wir dafs sie auch in der Gegend von Amiternum verehrt wurde 1 ). 
Vertumnus aber hatte aufser jener Capelle mit dem alten Bilde 
im Vicus Tuscus eine andre am Abhänge des Aventin, wo ihm am 
13. August, wohl zur Begrüfsung der Obstzeit ein Opfer dargebracht 
wurde *). 



') Vgl. die oskische Inscbr. aus jener (legend bei Momraseo Unterit. Dial. 
t. XV S. 339 [= Fabrctti 2737J mesene flusare poimunie [vielmehr bietet der Stein 
hinter e noch das Zeichen /*] d. i. mense Florali Pomonae [docb s. S. 430, 2]. Vgl. 
noch die Inschr. aus Salerno bei Mommsen I. N. n. 122, wo Einer eine Summe 
legirt ad exornandam aedem Pomonis etc. [Die Annahme der Identität von umbr. 
puemun-, sabell. poimun-, mit lat. pornon- ist, wie Aufr. und Kirchb. U. S. D. 
2, 364 richtig bemerken, wegen des oi (= i/e??) = ö bedenklich und das Bedenken 
wird durch Breal T. Eup. 29$ nicht gehoben. Die Entscheidung hangt von 
der noch nicht gelungenen Erklärung von po-mum (von pä- ,nähren', Corssen 
Ausspr. 1 342 oder pü ,zeugen', Curtius 2H7?) ab. — Auffallend aber docb 
wohl zufällig ist das lautliche Zusammenfallen von Poimunie mit dem bar- 
barischen Gölternamen Poemana C. I. L. 2, 2573.] 

J ) Kai. Capranic. Aniitern. z. d. Id. Aug. [C. I. L. 1 p. 399]. Auch die 
aciles Vertumni b. Fest. p. 209 Picta ist wahrscheinlich auf den Aventin zu 
beziehn, s. Becker Handb. 1, 450. 453. 489 [und genauer Jordan in der S. 233 
A. 2 a. Abhandlung]. Andre Stellen sind zweifelhart, weil die Namen Vor- 
luuinus und Volturnus leicht verwechselt wurden. 



Druck toü W. Pormotte r in Berlin C Nene Gran»tra»»e 30. 



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