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Full text of "Studien zu den Volksmärchen der Deutschen von J.K.A. Musäus Eine Litterarhistorische Untersuchung ..."

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Studien zu den 
Volksmärchen 
der Deutschen 
von J.K.A. 
Musäus 



Richard Andrae 



I 




J?arbart College Utfcrary 



THE GIFT OF 



FREDERICK ATHERN LANE, 

OF NEW YORK, N. Y. 



(Clas8 of 184g.) 



a»s, 0 0. 



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Studien 

zn den 

Volksmärehen der Deutsehen 

von 

J. K. A. Musäus. 



Eine litterar -historische Untersuchung. 

Inaugural-Dissertation 

zur 

Erlangung der Doktorwürde 

vorgelegt der 

Hohen Philosophischen Fakultät der Universität Marburg 

von 

Riehard Andrae 

aus Frankfurt/Oder. 



Marburg. 

Buchdruckerei Fr. Sömmering 
1897. 



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Von der philosophischen Fakultät als Dissertation angenommen 

am 22. Februar 1897. 



in 



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' Gewidmet 

meinem Vater und dem Andenken 
meiner zweiten Mutter. 



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Einleitung. 



Volksdichtung und Knnstdichtung stehen unter wechselseitigem 
Einfluss. Sie tauschen ihre Gegenstände, Motive und Formen gegen 
einander aus, sie geben das Entlehnte zurück und lassen es fortbilden, 
um es wieder zu entlehnen. 1 ) So gilt, was vormals die Kunst als ihre 
Blilte gezeitigt hat, einer späteren Zeit vielleicht als Trödelware. Wie 
es natürlich ist, wenn derselbe Gegenstand, vom Volke und vom Künstler 
behandelt, ein ganz verschiedenes Aussehen gewinnt, so können doch 
auch die Unterschiede fallen, und die Volksdichtung vereinigt sich mit 
der Kunstdichtung zu einer schönen Erscheinung. Aber in Zeiten, wo 
die litterarisch Gebildeten sich vom Volke schroff absondern und eine 
„Republik 4 ' in der Nation zu bilden bemüht sind, findet sich für solche 
Werke nur ein magerer Boden. Da die folgende Arbeit zur Märchen- 
litteratur ein Kapitel beitragen will, so möge an die Zeit erinnert 
werden, als die berühmteste Sammlung „Kinder- und Hausmärchen" 
erschien. Es waren die Jahre der Napoleonischen Unterdrückung, deren 
Härte die gesonderten Kreise enger aneinander schloss. Um nicht zu 
sagen, jene Sammlung war ein Ausfluss der Zeit, so darf sie »ins doch 
als ein Wahrzeichen der Angleiehung von Masse und Gebildeten gelten. 
Damals sprach der Gelehrte nicht mehr für den Hörsaal allein. Und 
wir können die Märchen der Brüder Grimm von 1812 als eine 
Gegengabe bezeichnen, die das Volk durch Vermittlung zweier Ge- 
lehrten den Gebildeten seiner Nation überreichte. 

Bekanntlich ist das Märchen auch schon vor 1812 litterarisch 
ausgebeutet worden, am meisten von den Romantikern. Aber nur 
einem Alteren war es bestimmt, bis auf den heutigen Tag im Volke 
als Märchenerzähler lebendig zu bleiben. Das ist der, dem vorigen 
Jahrhundert auch als Romanschriftsteller bekannte Joh. Karl Aug. 

') Reinhold Köhler: Aufsätze zum deut. Märchen. Hg. von Bolte 
und Er. Schmidt, Berlin 1894. 

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— a — 

Musäus. 1 ) Don grossen Unterschied zwischen dem Werke dieses Mannes 
und dem der Brüder Grimm bezeichnet schlagend ein einziger Umstand. 
Dem Lebensalter, für welches eigentlich Märchen bestimmt sind, wagt 
man nur die Grimmschen Märchen vorzulegen, wie 6ie die Brüder 
selbst geschrieben haben. Musäus aber hat zu vielen Überarbeitungen 
herausgefordert. Es genügt vorläufig anzuführen, dass zwischen beiden 
Märchenwerken 25 Jahre liegen. Bedeuten die kurzen, leicht nach- 
zuerzählenden Geschichtchen der Brüder Grimm die Krone dieser Er- 
zählungsgattung, so steht Musäus mit seinen zu Novellen ausgespon neuen 
Märchen am Anfang ihrer Entwicklung. 

Vor ihm gab es kein litterarisch gewürdigtes deutsches Märchen. 
Man hatte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kein Bedürfnis 
nach einer Dichtungsart, die sich rein aus der „Einbildungskraft" er- 
zeugte und im „Wunderbaren" gründete. Zwar findet man schon in 
der einflussreichen Abhandlung Bodmers „von dem Wunderbaren in 
der Poesie' 4 einen wohlwollenden Ausblick auf Phantasiegestalten wie 
„weise Frauen, Aelfen, Feyen, Wasser- und Luftgeister, Genien, Berg- 
nymphen, Geister von Verstorbenen." Aber der vollständige Titel der 
Schrift betonte schon die Verbindung des Wunderbaren' mit dem „Wahr- 
scheinlichen." Und da Bodiner vor allem die Wunder des Himmels, 
die Engel seines Milton poetisch zu rechtfertigen unternimmt, so ge- 
schieht es auch ganz in diesem Sinne, und im Sinne der Zeit, mit 
der Begründung „weil sie ja als wirkliche Wesen in der Natur sind", 
weil „eine Hälfte der Menschen an die Engel gränzt." „Belustigungen 
des Verstandes und Witzes" behielten vorerst noch die Oberhand; und 
zur Belustigung im heutigen Sinne des Wortes diente bezeichnend 
genug das Märchenhafte zuerst den Dichtern der komischen Romanze. 
Sie greifen bereits Stoffe auf, die uns später als deutsche Märchen 
und Sagen ganz vertraut werden. Gleim, der Vater dieser Romanzen, 
schreibt eine „schöne Melusine"; Schiebeier einen „Rübezahl"; Löwen 
und Miller befassen sich mit dem Grafen von Gleichen, um von 
Romanzen zu schweigen, die im Bänkelsängerton Aberglauben und 
Spukgeschichten vortragen. Das Wunderbare, besonders aber das 
Grausige, was der Stoff enthält, erzeugt mit dem leierhaften Vortrag 
und vielen Beziehungen auf den Zuhörer die gewünschte lächerliche 
Wirkung. Diese Sänger wollten vom Volke lernen und stellten sich 



') Auch Reinh. Köhler findet nur ihn allein vor Grimm der Er 
wähnung wert. 



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- 3 - 

vor (Gleim ganz entschieden), dass man im Volke ihnen nachsingen 
würde. Aber sie dichteten von ihrer Höhe herab und noch Hölty 
war es in den 70er Jahren unverständlich, dass man eine Romanze 
anders als komisch vortragen wolle. 1 ) 

In Goethes Jugendzeit verkauften herumziehende Trödler kleine „auf 
das schrecklichste Löschpapier fast unleserlich gedruckte" Schriftchen, 
die, wie Goethe (Dicht, und Wahrh. I, 1) selbst mitteilt „in der folgenden 
Zeit unter dem Titel: Volksschriften, Volksbücher, bekannt und sogar 
berühmt geworden." Was vielfach einer früheren Zeit als Kunstdichtung 
gegolten hatte, verbreiteten sie in fabrikmässigem Zuschnitt für billiges 
Geld unter kleinen Leuten und Kindern. Die Büchelchen erfreuten 
sich „grossen Abgangs." Sie enthielten hauptsächlich Märchen und 
Sagen (die vier Haymonskinder, die schöne Melusine, die schöne Magelone, 
Fortunatus etc.). Goethe nennt sie „schätzbare Oberreste der Mittelzeit", 
und so trugen sie auch ein altertümliches Gewand, besonders in ihrer 
Sprache. Die Gebildeten fanden an dieser Lektüre keinen Geschmack, 
wohl aber erfroute es sie, wenn graziöse Verse und Reime mit dem 
I altfränkischen Stoff ein lustiges Spiel trieben. So überreichte eine 



i'- 
- 



l ) Koberstein. Grundriss d. deut. Litt. V, 36. Camillo von Klenze: 
D. kom. Romanze im 18. Jh. Mbg. Diss. 1892. — In der Arbeit von 
Kleny.es findet man noch mehr Romanzen mit sagen- oder märchen- 
haftem Inhalt zusammengetragen (z. B. Gotters „Blaubart"; Bürgers 
„Weiber v. Weinsberg"; 2 Bearbeitungen des „Dr. Faust"). Nur wäre 
es vielleicht hier am Platze, 2 Arbeiten Zacharias, die Koberstein wie 
von Klenze derselben Rubrik einordnen, von der kom. Romanze abzu- 
trennen. 

Ihr Titel lautet: 

Zwei schöne neue Mährlein 
als 

l. Von der schönen Melusinen II. Von einer untreuen Braut, 

einer Meerfey. die der Teufel hohlen sollen. 

Der lieben Jugend, 
u. dem ehrsamen Frauenzimmer zu beliebiger Kurzweil, in Reime verlasst. 

Leipzig 1772. 

(Anonym hg. zu finden in d. Berl. Kgl. Bibl. unter: Romanzen Yl 7586,) 

Den Bearbeitungen fehlt die, für jene Romanzen erforderliche 
sangbare strophische Form. Sie sind in vierhebigen Reimpaaren ge- 
schrieben, ihre Länge überschreitet das gewöhnliche Mass der andern 
Diehtungsart. Nach dem Vorbilde der Volksbücher, die in Kapitel zer- 
fallen, zerlegte Z. die Erzählung 1 in mehrere Gesänge mit Ueberschriften. 
An einigen Stellen ist der Ton der komischen Romanze angeschlagen. 

1* 



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— 4 - 

Dame dem Dichter Zachnriä zwei solcher Volksbücher mit den Worten : 
„dies möchte ich einmal anders gemacht haben." — „Wie anders" 
(antwortete Z.). — „Ach, fingen Sie mich nicht lange! das wissen Sie 
ja wohl! Wie Sie wollen! Aber anders." Zachariä machte daraus 
zwei komische epische Gedichte (vgl. d. An in. oben). 

Das eigentliche Märchen in Prosa, das vor Musäus in Deutsch- 
land eifrig gelesen wurde, war französischer Abkunft. Die Gräfin 
d'Aulnoy und Perault hatten zuerst die Erzählungen des Volkes der 
Litteratur erschlossen; und mit ihren heimatlichen Wundergebilden 
verband sich die farbenreiche, orientalische Märchenwelt, als Galland 
1704— 8 die arabische Sammlung „Tausend und eine Nacht" übersetzte. 
Diese rühmlichen Leistungen sind auch den Deutschen des 19. Jahr- 
hunderts nicht verloren gegangen. Ihre massenhaften Nachahmungen 
stehen alle auf einer viel tieferen Stufe. Pädagogische Absichten, Ten- 
denzen, der Einfluss modern-schäferlicher Liebesgeschichten machen 
sich bemerklich; die Phantasterei artete in Albernheiten aus. All- 
mählich bildete sich ein komplizierter Apparat von Feen und Geistein 
heraus, den jeder Schriftsteller meistern musste. Dieses Kennzeichen 
der französischen Erzählungen trug ihnen den Namen „Feenmärchen" 
ein. 1 ) Deutsche lasen sie in der Ursprache (Wieland) und in Über- 
setzungen. Seit 17G5 stellte Heinr. Raspe in Nürnberg eine Aus- 
wahl der Feenmärchen in seinem „Kabinet der Feen" zusammen. 2 ) 
Auch die „Bibliothek der Romane" (hg. von Reichard) hatte diese 
Gattung in ihr grosses Programm aufgenommen. Die Übersetzung von 
„Tausend und eine Nacht" stammt von Voss. 

Dem Märchen als einem fremden Kunstprodukt schenkte man 
also in den GOer und 70 er Jahren grosse Beachtung, aber der Reichtum 
des eignen Volkes blieb so lange im Verborgenen, als man gering- 
schätzig auf das Geistesleben „der Kanaille", des „Pöbels" herabsah. 
Dieser vornehmen Verblendung trat zuerst Herder entgegen. Er 
geisselte die vornehme, antikisierende Richtung des deutschen Schrift- 
stellers und verwies denselben, indem er auf Kraft und Ursprünglichkeit 
der Poesie drang, an die gemeine Volkssage, Märchen und Mythologie. 
Während nun er und andere sich bemühten, die nationale Forderung 
auf dem Gebiete der Lyrik zu erfüllen, bleibt es das Verdienst des 



') Grimm: Märchen III, S. 348—358. K. Otto Meyer: Viertelj. f. 
Litt. V. „Das Fei'.nmäiThen bei Wicland." 

! ) Vgl. die Rezension in der Allg. Deut. Bibl., Bd. VI, S. 309, 1768. 



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Musäus, auf dem Gebiete der prosaischen Volksüberlieferung den ersten 
Versuch gemacht zu haben. 1 ) 

Die nachfolgende Arbeit stellt eine Untersuchung an, wie weit 
Musäus als Märchenschriftsteller gelten darf, ob andere Absichten, die 
seine Thätigkeit beherrschten, oder die eigne Persönlichkeit ihm 
förderlich oder hinderlich waren. Am besten geht wohl einer ein- 
gehenden Betrachtung der Volksmärchen die Schilderung des Verfassers 
und seiner früheren schriftstellerischen Thätigkeit voraus. 

') Herder: Ueber d. Ähnlichkeit der mittl. engl, und deutsch. 
Dichtkunst. 1777. 



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Die Persönlichkeit des Musäus. 1 ) 

Ein Blick über die Lebensstationen des Musäus zeigt, wie eng 
dieser Mann mit einem bestimmten Volksstamm verwachsen sein musste. 
In Jena wurde er 1735 geboren, erhielt nur kurze Zeit in Allstadt, 
hauptsächlich in Eisenach, seine erste Erziehung, studierte wieder in 
Jena, verheiratete eine Schwester nach Gotha, wohnte und wirkte bis 
an sein Lebensende (1787) in Weimar. Die Mehrzahl der genannten 
Orte liegen heute an einer fast schnurgeraden, schnell zurückgelegten 
Bahnstrecke. Nur kurze Vergnügungsreisen führten den Wanderlustigen 
hin und wieder abseits von diesem Wege. Vielleicht hat er, wie 
Pröhie 2 ) vermutet, das Riesengebirge besucht, wahrscheinlicher aber 
den Rennsteig überschritten und sich in Franken umgesehen. Er ver- 
steht wenigstens den fränkischen Dialekt und ahmt ihn bei Gelegenheit 
nach. Jedenfalls aber kannte der Thüringer sein kleines Ländchen, 
seine Stammesgenossen, ihre Natur, Gebräuche, guten und schlimmen 
Gewohnheiten, wie vor allem ihren Dialekt und Humor vorzüglich. 
Der Thüringer ist redselig und es wäre ein Wunder, wenn Musäus 
nicht schon, bevor er sich absichtlich darum bemühte, eine Menge von 
Sagen und Märchen gehört hätte. 

Nun stammte er zwar aus einer Gelehrtenfamilie, die sich auch 
durch Schriften bekannt gemacht hatte; sein Grossvater war Theologe, 
sein Vater Jurist, sein Oheim Weissenborn, bei dem er in Allstedt und 
Eisenach erzogen wurde, war Superintendent. Musäus selbst studierte 
erst Theologie, verscherzte sich aber durch einen Tanz die Gnade seiner 
zukünftigen Bauerngemeinde, Farnrode bei Eisenach; er wurde Schul- 
mann und erhielt 1763 nach seiner ersten schriftstellerischen Leistung 
die Stellung des Pagenhofmeisters bei Hofe, 17G9 eine Professur am 
Gymnasium. Anna Amalia zog ihn in ihren Kreis, er zeigte sieh 

•) Vgl. Muncker. Allg. D. B. 23. 84-90; M. Müller: J. K. A. Musäus, 
Jena 1867. 

*) 2. Vorrede zu seiner Ausgabe: Alxinger, Musäus, MülJer v. Itzehoe. 



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brauchbar für ihr Liebhabertheater. Aber einmal kann man bei der 
Engherzigkeit der damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt 
annehmen, diese Beziehungen werden seinen kleinbürgerlichen Sinn 
nicht erweitert haben. Und dann zeigen seine Scliriften, dass sich sein 
Gedanken- und Gefühlsleben ganz in der Sphäre bürgerlicher Leute 
bewegte. Unter ihnen fühlte er sich behaglich, unter ihnen glaubte 
er die Wahrheit wiederzufinden, welche die Überschwänglichkeit der 
litterarisch gebildeten Gesellschaft verscheuchte. Aber Neigung und 
Begabung führte ihn selbst zur litterarisehon Beschäftigung. Es war 
unter diesen Umständen nicht zu verwundern, dass er in eine oppo- 
sitionelle Stellung geriet. Wenn wir von den kleineren Erzeugnissen 
seiner Feder, der komischen Oper: „das Gärtnermädchen", allem, was 
er sonst in Versen verfasst hat, auch von den Straussfedern, für die 
er nur noch seinen berühmten Namen, aber keinen Geist mehr übrig 
hatte, wenn wir von all diesem absehen, so sind seine drei Haupt- 
werke, auch das letzte, aus litterarischer Opposition hervorgegangen. 

Das erste, ein Roman: „Grandison der Zweite oder Geschichte des 
Herrn von N**, in Briefen entworfen 1 ' erschien zu Eisenach 1760 — 62. 
In dieser Erzählung hat sich ein Edelmann, bei der Lektüre der Romane 
Richardsons und namentlich über ^dem Grandison, diesem Ideal von 
Tugend und Keuschheit, den Kopf so verwirrt, dass er beschiiesst, ein 
zweiter Grandison zu werden. Schalkhafte Zwischenträger bestärken 
ihn in der Überzeugung, dass sein Vorbild ein wirkliches Dasein habe, 
und so tritt er mit dem Romanphantom in schriftlichen Verkehr. Alle 
Albernheiten der Nachahmung und der Widerspruch zwischen erträumter 
Würde und wirklicher Lebensführung treten in der lächerlichsten Weise 
zu Tage, eine harte Demütigung für die verzückten deutschen Leser, 
an Don Qnixote erinnert zu werden, dessen Verstand über den Ritter- 
romanen der Wirklichkeit entfremdet wurde. 

Seit 1772 eroberte sich Lavaters Physiognomik Deutschland. Die 
damals, in einer kleinen Broschüre und mehr noch seit 1775 in den 
Fragmenten ausgesprochenen Anschauungen brachten den Wert des 
Menschen mit seiner Physiognomie in ein so enges Verhältnis, dass 
sich daraus bedenkliche Konsequenzen ergaben. Manche Gegenden 
Deutschlands waren wie Lichtenberg, Sommer 77, schreibt: „von einer 
Raserey für Physiognomik befallen". Musäus führte jene Konsequenzen 
in einem Romane vor, der 1778 herauskam und sich „Physiognomische 
Reisen" nannte. Hier sind es die eifrigsten Leser Lavaters, die dem 
Betrüge und der Selbsttäuschung durch ihren Glauben an die physio- 



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1' 



— 8 — 

gnomischen Grundsätze anheimfallen. Wiederum also traf Musäus nicht 
den Schriftsteller, nicht das Werk, sondern ihre Opfer, die Leser, 
Nachahmer und Schwärmer. Lichtenberg, Helfrich Peter Sturz griffen 
die Sache, die Grundsätze und Folgen der Physiognomik an, Klinger 
im Faust (1790) sogar den Urheber, freilich auch das sonderbare j 
Treiben der „Physiognomisten". Lediglich die in der Irre gehenden 
blinden Verehrer Lavaters geisselte Musäus. Er sah mit der Ver- 
stiegenheit der Schwärmer zugleich den Hochmut gepaart, seine, allem 
Extremen abgeneigte Natur wurde zur Satire herausgefordert, wenn 
romanhafte Gebilde dauernde Herrschaft über die Stimmung der Leser 
erlangten. Hierin liegt auch, was den ersten Roman betrifft, der 
Hauptuntersehied zwischen Musäus und Fielding. Denn Fielding ging 
nicht den Lesern, sondern den Tugendhelden Richardsons selbst zu leibe 
durch Personen, die mit aller Leidenschaftlichkeit, auch der sinnlichsten 
ausgestattet sind. 

Das Treiben der litterarisch interessierten und beschäftigten Leute 
konnte der Dichter aus nächster Nähe betrachten, als erst Wieland, 
dann Goethe nach Weimar kam, und durch die Anwesenheit des letz- 
teren noch eine kleine Schar himmelstürmcnder Talente herbeigelockt 
wurde, mit einem Wort, als für Weimar die Geniezeit begann. Musäus 
war schon zu alt, zu reif für das seltsame Treiben dieser Natur- 
menschen. Aber eine enge Begrenztheit der Natur führte ihn dahin, 
auch nur die Auswüchse und Verkehrtheiten im Gebahren der jungen 
Genies zu sehen. Er verschloss sich ihnen, weil sie jung und über- 
mütig waren und verkannte auch den grössten unter ihnen. Niemals 
hat er in seinen Briefen ein Wort des Beifalls für Werke, welche in 
seiner Nähe entstanden und grossen Einfluss erlangten. Nur Wieland 
gegenüber macht er eine Ausnahme (vgl. d. Vorbericht zu d. Volks- 
märchen); sie begegneten sich beide in einer heiteren, nicht sehr tiefen 
Lebensauffassung. Grosse Ereignisse machten nur einen vorübergehen- 
den Eindruck auf ihn. Das Alltägliche lag ihm weit mehr am Herzen. 

Die Grossen der Welt kümmerten ihn weniger als seine Freunde, 
die Schüler und die Familie. Herder hat ihn als Lehrer gewürdigt, 
den Freund und Familienvater lernt man aus den von Kotzebue 
herausgegebenen hinterlassenen Schriften kennen. Mit rührender Pünkt- 
lichkeit überreicht er seiner Frau an jedem Geburtstag den gereimten 
Glückwunsch. Er nimmt an den Familienverhältnissen auch der ent- 
ferntesten Freuiule herzlichen Anteil; die Briefe sind immer lang und 
weitschweifig, sie handeln meist von den kleinen Erlebnissen im engsten 



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— 9 — 

Kreise der Familie, einem Fest, einem Besuch, einer Reise, von kleinen 
Unfällen in der Kutsche, von den Schicksalen der Ilm und des Gartens. 
Keine Spur von einem litterarischen Briefwechsel. Fast nur geschäftlich 
spricht er einmal vorübergehend von den eigenen Schriften. Ein 
öffentliches Ereignis, die Geburt einer Prinzessin, den Schlossbrand, 
weiss er zur persönlichen Angelegenheit zu machen. 

Mit seinem Familiensinn hängt die Freude am Kleinen und Neben- 
sächlichen zusammen. Alles in seiner Umgebung hatte einen kleinen 
Zuschnitt. Die Stadt war noch einem Landstädtchen vergleichbar, dfü- 
herzogliche Hofstaat machte keine grossen repräsentativen Anstrengungen, 
und der Dichter selbst führte eine sehr bescheidene Haushaltung. 
Denn seinen schönen Titeln entsprach das Einkommen nicht. Man 
stelle sich die Räumlichkeiten vor, in denen zum grossen Teil unsere 
Dichter im vorigen Jahrhundert gehaust haben. Die Zimmer sind, 
mit unseren Verhältnissen verglichen, meist sehr niedrig und bald 
durchschritten. Musäus aber arbeitete noch dazu oft mit Weib, Magd 
und Kind zusammen. Kindergeschrei und „die Symphonie der Schnapp- 
weife und des Spinnrades' 1 begleiteten zuweilen seine Arbeit. Auf den 
klingenden Lohn der schriftstellerischen Thätigkeit wurde stark ge- 
rechnet. Wieland soll ihn mit beziig darauf ein „Laststier" genannt 
haben (Bottichen Lit. Zust. u. Zeitgenossen. I. S. 177.). 

Aber diese Verhältnisse drückten ihn nicht, er war geduldiger 
als seine Frau, die, wie es scheint, mehr Temperament, aber auch 
mehr wirtschaftlichen Sinn besass. Musäus wusste in diesem seinem 
kleinen Reich den geringsten Dingen Bedeutung abzugewinnen. Sein 
Ideal war, einen Garten zu besitzen, den er nach Belieben bestellen 
konnte. 

Von Muckertum gänzlich frei, vertrat er die Spiessbürgerlichkeit 
von ihrer liebenswürdigsten Seite; während bereits die jungen Stürmer 
und Dränger mit ihrer, aus künstlerischen Prinzipien verkündeten 
Emancipation des Fleisches auf die freie Romantik der neunziger Jahre 
hinstrebten, namentlich Heinse und Klinger, hielt er fest an seiner, auf 
biblischer Grundlage beruhenden Anschauung, suchte den Mittelpunkt 
des christlichen Lebens in der Familie, wie Luther, und ordnete das 
Weib streng dein Manne unter. Er hatte, was gar nicht mehr im 
Sinne der Zeit, seinen Spott mit Juden und Katholiken und berief sich 
gar zu gern auf die gute, alte Zeit, als deren Vertreter er sich auch 
durch einen altmodischen Rock und den „modischen Lebenslauf eines 
unmodischen Weltbürgers'' bekannte. Frivol war er nicht, macht seine 



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Leser niemals lustern oder aufgeregt (wie Heinse und Wieland), aber 
unbefangen streift sein Witz zuweilen an die Grenze des Lascivnen 
und er redet (vor allen Dingen in seinen Briefen) wie ein verheirateter 
Mann zu verheirateten Frauen reden durfte. 

Die Summe seiner Persönlichkeit ist eine heitere, doch etwa nicht 
spielerische Lebensanschauung, wie die eines Mannes, dem es wohl 
geht und dem die Arbeit angenehm gelingt. Das liest man aus den 
Zügen seines Portraits. 1 ) Die Physiognomie ist fleischig und stark- 
knochig, tr«lgt aber ein paar beobachtende und zuversichtliche Augen. 
Wenn ein Widerspruch in ihm angetroffen wird, so geschieht es, weil 
den Ausdruck seiner kindlich einfachen Natur die Einfälle des ge- 
lehrten, viel belesenen und in einer aufklärerischen Zeit gross gewor- 
denen Mannes durchkreuzen: Sein Leben war geteilt zwischen Familie 
und Büchern. Auf jener beruhte, gefestigt und begrenzt, seine ewig 
gleiche Gesinnung, an diesen erfrischte sich seine Phantasie und sein Witz. 



Die Volksmärehen der Deutsehen. 2 ) 

Musäus veröffentlichte seine „Volksmärchen der Deutschen 11 in 
den Jahren 1782—87. Sie erschienen zu Gotha in 5 Teilen. 

Den Titel hat er vielleicht den 1774 zusammengestellten „Romanzen 
der Deutschen* 1 nachgebildet. Die Volksmärchen stellten sich durch 
ihren Namen also den bisher in Deutschland verbreiteten Feenmärchen 
als nationale Erzeugnisse entgegen. Sie wurden aber andererseits grade 
dadurch veranlasst, dass in jener Zeit das französische Märchen aufs 
neue den Geschmack für diese Litteratur anregte. Musäus schreibt 
an Frau Gildemeister, seine Freundin in Duisburg: „Die Feereyen 
scheinen wieder recht in Schwung zu kommen; Rector Voss und Amt- 
mann Bürger vermodernisieren die Tausend und eine Nacht um die 
Wette, selbst die Feenmärchen sind in Jena das Jahr wieder im Nürn- 
bergischen Verlag von neuem gedruckt worden. Ich will mich an 



') Vgl. das Bild des Dichters in den nachgelassenen Schriften, hg. 
v. Kotzebuo 1791: die Büste in d. Gro8sh.Weim.Bibl. u. das Denkmal 
auf d. St. Jaeobskirchhof, beide von Martin Klauer. 

■) Die Citate beziehen sich auf die Ausgabe von Moritz Müller. 
Leipzig. Brockhaus 1868. Der Text dieser Ausgabe schliesst sich eng 
an die von Musäus z. t. noch selbst besorgte 2. Auflage der Volks- 
märchen au und ist mit dem der 1. Aufl. genau verglichen worden. 



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die Rotte anhängen." Seinem Unternehmen giebt er hier noch den 
Titel: „Volksmärchen, ein Lesebuch für grosse und kleine Kinder." 

Aber während der Arbeit verwandelte sich seine Idee derart, 
dass er im Vorbericht die Erklärung geben zu müssen glaubte: die 
Volksmärchen seien keine Kinderraärchen, denn ein Volk bestehe haupt- 
sächlich aus grossen Leuten. Wie uns nun der Vorbericht weiter 
belehrt, war es vor allem eine künstlerische Absicht, die ihn leitete. 
Er fand, dass jene Bearbeiter fremder Märchenstoffe erfindungsarm 
kunstlos „ohne Zuthat der geringsten Specerei" (V. M. I, 7) nach- 
bildeten. Er legte Gewicht auf „Wesen, Form, Ton und Haltung der 
Erzählung" (I, 9). Er erhob den Anspruch, dass „Anordnung und Über- 
einstimmung und handfeste Composition die Gerätschaft der Deutschen 
und ihre Dichtungen" auszeichnen (I, 9). Wir werden hiernach keines- 
wegs einfache, naive Nacherzählung, sondern planmässig abgerundete, 
durch den Ton der Darstellung eigenartige Geschichten zu erwarten 
haben. Aber mehr als die Form schien dem Dichter der Geist seines 
Werkes am Herzen zu liegen. Deutlich spricht es der Vorbericht aus, 
dass sich Musäus wieder zu einer litterarisch oppositionollen That 
anschickte. Seine Opposition richtete sich diesmal gegen die senti- 
mentale Schwärmerei, die seit einiger Zeit durch Romane genährt 
wurde, und, wie Thatsachen beweisen, Unheil stifteten. 

Wie es demnach der Vorbericht selbst nahe legt, wird man die 
Volksmärchen nach ihrer Composition, ihrer Sprache und ihrem 
Stimmungsgehalt zu prüfen haben, um ihrer Eigentümlichkeit auf die 
Spur zu kommen. 



Composition der Volksmärehen. 

Die beiden Romane des Musäus zeigen eine sehr bequeme Methode 
der Erfindung. Der Dichter bezog sich auf Werke, die viel gelesen 
wurden, und er fragte sich nur, wie die darin gebotenen Motive nutzbar 
zu machen seien. Indem nun der erste Roman (Grandison) seinen 
Helden von Nachahmung zu Nachahmung, der zweite den physiogno- 
mischen Wanderer von Ort zu Ort und zu Erlebnissen führt, die alle 
irgend eine Anregung Lavaters voraussetzen, entstehen episodenhaft 
zusammengesetzte Erzählungen von unbegrenzter Dehnbarkeit. Eine 
recht starke Enttäuschung und Bekehrung der Schwärmer wurde zu 
einem endlichen Abschluss aufgespart. Die Neigung zur Episoden- 



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erzählung vorleugnet sich aueh nicht in den Volksmärchen, nber in 
<ler Hauptsache haben diese den Vorzug- einer geschlosseneren, kunst- 
volleren Com position, die also nicht immer beliebige Anschwellungen 
verträgt, 

Die ersten Faktoren, welche die Composition einer Dichtung be- 
einflussen, sind ihre Quellen oder Vorbilder. Es fragt sich, ob Musäus 
sich an solche angelehnt oder aus freier Phantasie geschöpft habe. 
Er schreibt in jenem, schon erwähnten Briefe an Frau Amelie Gilde- 
meister: „Ich sammle die trivialsten Ammenmärchen, die ich aufstutze 
und noch zehnmal wunderbarer mache als sie ursprünglich waren." 
Über die Art, wie er sammelte, spricht sich Kotzebue, der fast täglich 
um ihn war, folgendermassen aus 1 ): „Wenigen ist vielleicht bekannt, 
dass, als er den Gedanken fasste, Volksmärchen der Deutschen zu 
schreiben, er wirklich eine Menge alter Weiber mit ihren Spinnrädern 
um sich her versammelte, sich in ihre Mitte setzte, und von ihnen 
mit ekelhafter Geschwätzigkeit vorplaudern liess, was er hernach so 
reizend nachplauderte." Eben so hätte er Kinder, und wen er sonst 
aufgreifen konnte, zu sich gerufen und erzählen lassen. An diesem 
Hcricht ist nicht zu zweifeln, und wir werden die Aufgabe haben, den 
Spurcn der mündlichen Überlieferung aus den Volksmärchen nachzu- 
gehen. Nur einer einzigen Erzählung, der Libussa, im 3. Teil, ist eine 
Quellenangabo vorausged ruckt, und die ihrem Charakter nach auffallend 
isolierte Darstellung lässt mit ziemlicher Sicherheit erkennen, dass 
Musäus sich nirgend so eng einer gedruckten Vorlage anschloss, wie 
dort, wenn er überhaupt sonst eine solche benutzt haben sollte. Jene 
Märehenerzähler aber wird er sich wohl von der Strasse zur Mitarbeit 
herangezogen haben, nicht mir, um ihnen den Stoff abzulernen, sondern 
um auch den formalen Charakter seiner Darstellungen danach zu bilden. 
Denn als erster Erzähler deutscher Märchen in der Sprache des 18. Jahr- 
hunderts war er gezwungen, sich erst in den geeigneten Stil zu finden. 

Wenn wir nun den Spuren der Volksüberlieferung nachgehen, so 
findet sich, dass dieselben vier Gebieten angehören, dem Märchen, der 
Sage, der Legende und dem, was wir unter Aberglauben zusammen- 
fassen wollen. Alle Erzählungen setzen sich aus diesen Elementen in 
manchmal bunter Mischung zusammen. Wir führen zunächst diejenigen 
Erzählungen auf, bei denen es gelungen ist, die Grundlagen ihrer Er- 
findung auf bekannte Vorbilder zurückzuführen, verzichten aber darauf, 

') Nachgelassene Schritten des vcrstoibenen Prof. Musäus, hg. v. 
seinem Zögling Aug. v. Kotzebue, Leipz. 1791. S. 14. 15. 



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die Ausgestaltung dieser Vorbilder bei Musäus genauer zu erörtern, da 
wir nichts Bestimmtes über die Form wissen, in der sie Mus. kennen 
lernte. 

I, 11 ff.: „Die Bücher der Chronika der drei Schwestern". Diese 
Erzählung handelt von einem Grafen, der sein Gut verprasst und, um 
sein lieben zu erhalten, die Tochter an einen Bären, einen Aar, einen 
Delphin, 3 verzauberte Prinzen, verkauft. Diese Prinzen sind gut und 
schön in Menschengestalt, die jeder nach einer bestimmten Frist einmal 
annehmen darf; wenn sie aber wiederum Tiere geworden sind, darf 
ihnen kein Mensch ungestraft nahen. Ein spät geborner Sohn des 
Grafen, Reinald, macht sich auf, die Schwestern zu suchen, jeder 
einzelne Schwager ist eine Gefahr für sein Leben; verwandelt aber 
nehmen sie ihn freundlich auf und jeder giebt ihm beim Abschied ein 
Mittel, womit Reinald den Entfernten zu Hilfe rufen könne, der Bär 
drei Haare, der Aar eine Feder, der Delphin eine Schuppe. Er macht 
von diesen Geschenken in der Not Gebrauch, es gelingt ihm, den bösen 
Zauberer Zornebock zu erschlagen, und damit wird nicht nur den Ver- 
zauberten ihre Menschengestalt für immer zurückgegeben, sondern noch 
dazu eine schöne Prinzessin aus der Gefangenschaft des Zauberers erlöst 
und von Reinald heimgeführt. 

Im Auslande finden wir dieses Märchen wieder. VVilh. Grimm 
verweist im 3. Teil der KHM. auf die Lieder von Rosraer Hafmand 
(Kämpe Viser I, S. 218 — 233) und auf ein damit übereinstimmendes 
schottisches Märchen bei Janiieson. Im alten Epos des Firdnsi Schah- 
namech reicht der Riesenvogel Simurg dem Knaben Sal eine Feder 
für den Fall der Not. Am ähnlichsten zeigt sich eine Erzählung des 
Italieners Basile: Li tre Yri anemale. Liobrecht II, 29 ff. (die drei Könige: 
Pentamerone IV, 3 vgl. KHM. III, S. 309). Hier sind die verwandelten 
Könige ein Hirsch, ein Falke, ein Delphin, zurückgewiesene Freier. 
Nicht wie bei Musäus kommt ihnen die Leichtlebigkeit eines lieblosen 
Vaters zu Hilfe, sie erzwingen sich ihre Bräute durch Verherung des 
Landes. Ein spät geborener Bruder löst auch hier den Zauber dadurch, 
dass er eine Königstochter von einem Drachen befreit, Zornebock 
scheint, nach Grimm, eine Erfindung des Dichters zu sein. Diese 
Gestalt hat er noch später einmal in die Erzählung Libussa hinein- 
gezogen. 1 ) 

• 

') Piöhle führt das Volksbuch : „Reinald, das Wunderkind" an; es 
sei aber möglicher Weise ein Nachdruck. Vgl. Prohle: Kinder- und 
Hausmärchen No. 1 S. 1 — 5; Heyscs Bücherschatz No. 1750. 



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„Richilde", das zweite Märchen, I, 43, ist ans „Schneewitchen" 
erwachsen. Aber mehr als die unschuldig leidende Stieftochter inter- 
essierte es den Mtisäus, den Charakter und die Schicksale ihrer Ver- 
folgerin, der Richilde, zu entwickeln. Dieses Weib ist von Natur zur 
Eitelkeit angelegt. Sie will die schönste sein und bleiben. Ein Zauber- 
spiegel, ihr Pathengeschen k von Albertus Magnus, tröstet sie darüber. 
Er zeigt auf die Frage, wer die schönste sei, allein ihr Bild; er zeigt 
ihr auch den schönsten Mann und es gelingt ihr, diesen, da er ver- 
heiratet ist, seinem Weibe abwendig zu machen. Dieser Mann hat 
aber schon eine Tochter, und eines Tages belehrt der Spiegel die rat- 
fragende Richilde, dass sie ihrer Stieftochter unterliege. Nun versucht 
sie auf die aus dem Märchen bekannte Weise, das Mädchen ums Leben 
zu bringen, und es fehlt nicht das Ende, dass sie in glühenden Schuhen 
auf der Hochzeit der Geretteten sich zu Tode tanzen muss. 

Der bekannte Inhalt der 5 Rübezahllegenden (I, 100 ff.) ist, in 
Überschriften znsammengefasst, folgender: 

1. Rübezahl entführt die Prinzessin Emma und wird von ihr 
beim Rübenzählen betrogen und verlassen. 

2. Rübezahl straft einen Handwerksburschen, der ihn verspottet, 
und bringt es dahin, dass dieser dem peinlichen Halsgericht verfällt. 
Er rettet aber noch den Unschuldigen und spielt den Richtern einen 
Schabernack. 

3. Rübezahl leiht einem Manne Geld und erlässt ihm die Schuld, 
als dieser ehrlich am Zahltage wiederkommt. 

4. Rübezahl schenkt einer braven Mutter einen Korb voll Laub, 
das sich in Gold verwandelt und straft ihren selbstsüchtigen Mann, 
dem er seine Glasladnng durch einen Sturm vernichtet. 

5. Rübezahl befreit eine vornehme Dame aus den Händen eines Be- 
trügers, der die Gestalt des Berggeistes angenommen. Er führt sie auf 
sein Schloss und lässt die Dame, die an keinen Rübezahl glaubt, nach- 
träglich erfahren, wessen Gesellschaft und Gastfreundschaft sie genossen. 

Über die Rübezahlsagen ist viel gehandelt worden. Die Legenden 
2, 3, 4 sind bereits in den kurzen Schwänkon wiederzuerkennen, die 
Prätorius in seiner Dämonologia Rubinzalii sammelte. Auch die 
. r >. Legende hat entfernte Ähnlichkeit mit einer Episode, die bei Prä- 
torius die Überschrift führt: „Rübezahl zwingt eine Gbi istin bei ihm 
zu schlafen." Die Untersuchung darüber findet sieh in der 1. zu 
llohenelbe 1884 erschienenen Preisschrift (von L. Kr. Richter). Die 
erste der Legenden scheint keine echte zu sein, sondern aus der 



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- 15 — 

Phantasie des Dichters als Variante zu den Sagen vom betrogenen 
Teufel zu stammen. Auch zum Inhalt der 2. Legende existiert eine 
Parallele in der 13. Teufelssage bei Vernalekcn: „Mythologie und 
Bräuche des Volkes in Oesterreich", 1859, p. 378 ff. Vgl. Lincke: 
„Die neueste Rübezahlforschung". Dresden, 189G. 

Bei der Erzählung „die Nymphe des Brunnens" (II, 1), hatte der 
Dichter das Märchen von Aschenputtel vor Augen (Grimm, M., I, 112). 
Von den vielen Variationen, die Grimm (III, 37 — 41) zum Aschen- 
puttel mitteilt, bringt keine das, für Musäus so wesentliche Motiv einer 
Brunnenfee, die nicht nur eine Freundin von Mathildens (al. Aschen- 
puttels) rechter Mutter ist, sondern auch für das väterliche, gräfliche 
Schloss die Rolle eine)- Schutzheiligen spielt. Das Versiegen ihres 
Bronns bedeutet den Untergang des Schlosses. Aber näher berührt 
sich damit ein Märchen: „Aschengrittel", das Dr. Ernst Meyer mitteilt 
(Deutsche Volksmärchen aus Schwaben, Stuttgart 1852, S. IG). Hier 
bewohnt der Wohlthäter Aschengrittels, ein Zwerg, auch einen Brunnen, 
und das Mädchen muss, wenn es Wunsche an ihn zu richten hat, 
dreimal mit einem goldnen Stäbchen an seine Behausung klopfen. — 
Die Person der Stiefmutter hat Musäus in zwei verschiedene Frauen 
aufgelöst. Die erste, eine wirkliche Stiefmutter plagt das Kind bis 
zum Untergang des Schlosses, den nur Mathilde überlebt Zu der 
zweiten gelangt Mathilde, als schmutzige Magd verkleidet. Diese ist 
die hässliche keifende Wirtschafterin eines Komthurritters. Das Pathen- 
geschenk der Nymphe des Brunnens, ein Bisamapfel, schenkt dem 
Mädchen zweimal mit kostbaren Kleidern eine herrliche Erscheinung 
und gewinnt ihr den eignen Herrn zum Gemahl. 

Libussa, II, 23, schliesst sich, wie gesagt, eng an gedruckte Vor- 
lagen an, und es soll später eingehend darüber gehandelt werden. „Der 
geraubte Schleier", II, 73, enthält das Motiv der Schwanjungfrauen, 
denen in Grimms Mythologie ein längerer Abschnitt gewidmet ist. 
Unter andern) erzählt Grimm eine schwedische Sage, wie ein Jüngling 
3 Schwäne sich am Strande niederlassen sah; sie legten ihre Schwanen- 
hemden ab und wurden schone Jungfrauen. Sie badeten, legten das 
Hemd wieder an und entflogen. Es gelang dem Jüngling, bei ihrer 
Wiederkohr, der jüngsten das Hemd zu entwenden. Da konnte sie 
nicht wieder heimfliegen, sie musste ihren Jäger heiraten. Aber nach 
7 Jahren zeigte er ihr das verborgene Hemd. Kaum hat sie es in 
der Hand, so entfliegt sie als Schwan zum offenen Fenster hinaus. 
Kurze Zeit darauf starb der traurige Gatte. (Gr. D. Myth. 1, 354- 5.) 



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— iß ^ 

Musaus verlegt, seine Geschichte in die Gegend um Zwickau, weil 
alte Chronisten erzählen, die Stadt sei durch Cygnus, Sohn oder Enkel 
des Heracles, gegründet und nach ihm Cyngnavia, verdeutscht Schwan- 
feld (oder Cygnau) genannt worden.») Der Chronist nennt die Ur- 
enkelin des Cygnus eine gewisse Schwanhildis. Musäus scheint nun 
jene Soge von der Schwanhilde haben erzählen hören; denn sein Held 
weiss, „dass eine gewisse Schwanhilde vor langen Jahren hier auch 
ihren Schleier verloren, dafür aber einen getreuen Liebhaber gefunden". 
Jedenfalls lässt er die kurze Sago sehr anschwellen, macht zwei Liebes- 
romane daraus, von denen der eine in Griechenland beginnt und in 
Deutschland endet, der andere in Deutschland beginnt und in Griechen- 
land endet. Dem einen Liebhaber glückt es nicht, das Schwanenhemd 
zu erhaschen, seinem Nachfolger tun so besser; aber am Hochzeitstage 
verrät die geschwätzige Mutter der Schwiegertochter den Ort des 
Schleiers und die Sehwanenprinzessin entkommt. Aber so traurig wie 
jene Sage endet Musäus' Erzählung nicht. Diese bringt die Getrennten 
am Schlüsse wieder glücklich zusammen. 

Unter den folgenden sieben Erzählungen schliessen sich nur noch 
zwei ihrer Grundlage nach bekannten Überlieferungen an: Bei „Dämon 
Amor" darf man nicht von der Überschrift auf eine Verwandtschaft 
mit der französischen Novelle „Teufel Amor" (Reichards Bibliothek der 
Romane) schliessen, obwohl Musäus den „Teufel Amor" kannte, was 
sich aus einer Anspielung auf Biondetta, die Heldin dieses Romans 
(Geraubter Schleier) ergiebt. Das Hauptmotiv im ,,Däraon Amor 4 er- 
innert vielmehr an den Zauberring der Höhle Xa-Xa, den man dreht, 
um Geister zu zitieren; nur leistet bei Musäus der Geist im Ring 
ausser andern Diensten zuletzt noch den Dienst des Liebesgottes. 

„Meloehsahv- (III, 73) behandelt die Erlebnisse des Grafen von 
Gleichen, den der Kreuzzug nach dem Morgenlande und in die Gefangen- 
schaft der Muselmänner führte. Er musste dort die schwersten Arbeiten 
verrichten; aber die Gunst und Liebe der schönen Tochter des Sultans 
verschaffte ihm die Freiheit. Sic entfloh mit ihm nach dem Abend- 
lande. Der Graf erwirkte zum Dank vom Papste einen Dispens sich 
neben seiner ersten Gemahlin eine zweite beizulegen und führte die 
Saracenin heim. Jene erste Gemahlin war glücklich über seine Rück- 
kehr und teilte gern mit der Fremdon ihre ehelichen Rechte. 

„Stumme Liel>e" (N, 1 1 2) führt einen, nur stumm liebenden, verarmten 
Kaufmannssohn auf Abenteuer, deren letzteres ihm einen Schatz und 

') Chronik der Stadt Zwiekau. Dr. Em. Herzog. 1839. S. 4, 5. 



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i? 



die Braut einbringt. Untersuchen wir zunächst die Abenteuer. Ein 
heftiger Platzregen zwingt Franz, den Helden des Märchens, auf einer 
Burg im öden Westfalen einzukehren bei Eberhard Bronkhorst, einem 
Ritter, von dein man sich erzählt, dass er „keinen Wandersmann 
ungerauft von sieh lasse." Sein männliches Betragen verschont ihn 
vor dieser sehnöden Behandlung. Weiterhin empfiehlt ihm ein schaden- 
froher Wirt ein verödetes Schloss zum Aufenthalt. Im Schlafe stört 
ihn ein umgehendes Gesj>enst, das ihn mit stummen Gebärden nötigt, 
sich rasieren zu lassen und danach die Miene hat, als wolle es selbst 
rasiert werden. Hurtig geht Franz ans Werk und erlöst damit die 
Seele eines Mannes, der bei seinen Ijebzciten jeden einkehrenden Pilger 
zum Schabernack glatt und kahl geschoren hatte. Zum Dank erhält 
er darauf die Anweisung, wie er in seiner Heimat einen Schatz heben 
könne. 

Im 16. Buch des abenteuerlichen Simplicissimi, Kap. 15, wird 
ein, dem letzteren überraschend ähnliches Abenteuer erzählt; freilich 
sind es vier umgehende Seelen, die hier olein Simplicius mit allem 
„Zugehör" erscheinen, „die ein Barbierer zu brauchen pfleget." Sie 
reden auch von ihrer Erlösung, und schliesslich ist der Grund ihres 
Banns ein anderer. 

Aber doch sieht es aus, als habe Musäus grade diese Vorlage 
benutzt. Einzelheiten lassen darauf schliessen. „Der ernte, so h in- 
eintrat ^ war eine ansehnlu-he graritetische Person mit einem langen 
weissen Barl, auf die untiquitetische Manier mit einem langen Talar 
. . . Itekleidet." Musäus: ,,Da trat herein ein langer hagerer Mann 
mit einem schwarzen Bart, in alter Tracht . . ., die Augenbrauen senkten 
sich zu tiefem Ernst von der Stirn herab:' Weiterhin heisst es im 
Simpl.: „salzten einen Stuhl in die Mitte des Zimmers und gaben mit 
Wimken und Deuten zu /erstehen, dass ich mich aus dem Bette be- 
geben etc. etc." Musäus: „rückte einen Stuhl zurechte und winkte mit 
ernster Miene . . .'• 

Entscheidend ist aber, dass auch das erste Abenteuer durch diese 
Stelle angeregt sein kann. Schon einmal war unserm Simplex sein 
jetziger Wirt begegnet, hatte ihn gruselig machen wollen, aber nur 
Schläge davongetragen. Wie nun Simplicissimus rumoren hört meint 
er: „so werden sie dich gcwi-sslich wieder karbatschen lassen, dass du 
eine weile daran daurn hatten trirsf." Daraus dürfte der Prügel- 
ritter konzipiert sein. 

2 



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Im Simplicissiraus lesen wir nicht, dass die Störung der Nacht- 
ruhe von den Nachtgespenstern durch die Anweisung auf einen Schatz 
aufgewogen worden sei. Dieser Zug deckt sich vielmehr mit einem 
Abenteuer, das Abraham a Santa Clara in „Judas der Erzschelm" 1 ) 
überliefert, und das aller Wahrscheinlichkeit nach die Grundlage der 
übrigen, die Abenteuer umrahmenden Erzählung bildet. Abraham erzählt 
dort, dass ein Gesell zu Dotrecht in Holland durch Schlemmerei alles 
verschwendet habe. Um seinen Gläubigern zu entgehen, hasste er wie 
die Fledermaus den Tag, liess sich nicht sehen und verfiel in Melancholie. 
Da träumt ihm von einem Manne, der ihn nach der Stadt Kempen wies; 
dort werde er auf der Brücke einen Menschen antreffen, der ihm gewisse 
Mittel, wieder reich zu werden, angeben könnte. Der Verarmte folgt 
der Traumerscheinung und wartet einen ganzen Tag in Kempen auf der 
Brücke. Schliesslich fragt ihn ein Bettler nach dem Grunde seines 
Umherschlenderns. Und als der Bettler diesen hört, verspottet er ihn, 
auch ihn hätte so ein Frauenbild einmal nach Dotrecht gewiesen, dort 
einen Schatz zu graben. Und während er genau Ort und Stelle des 
Schatzes angiebt, erkennt der andere, dass seines Vaters Garten ge- 
meint sei, geht hin, gräbt nach und findet wahrhaftig, was er suchte. 

So verarmt auch Franz bei Musäns und zieht sich von der Welt 
zurück, und wie jener Verschwender bei Abraham, erlebt er ein gleiches 
Abenteuer auf der Weserbrücke. Nur flieht Musäus in die Geschichte 
seiner Verarmung eine Liebesgeschichte ein, die der ganzen Erzählung 
den Namen giebt. Übrigens dürfte die Behandlung der Liebeserlebnisse 
überhaupt auch in anderen Märchen unseres Dichters eigenste Erfin- 
dung sein. 

Ausser diesen grösseren und einflussreicheren Motiven lassen sich 
eine Menge von kleineren Zügen nachweisen, die uns einen Dichter 
zeigen, der fleissig im Volke sammelte und suchte. Da aber Musäus 
auch stark belesen war, so haftete in soinem Gedächtnis noch manches, 
was er niemals im Volke gehört hatte; manches sucht er sich aus 
Geschichtsbüchern, Chroniken und Reisebeschreibungen zusammen, viel- 
leicht mehr als aus den eignen Anmerkungen zu ersehen ist. Wir 
wollen uns aber begnügen, nur die Elemente der Volksüberlieferung 
aufzusuchen und die litterarischen Motive, die er in seine Märchen 
aufnahm, bei Seite lasseR. Was nun jene betrifft, so sprach er die 
Absicht aus, das Wunderbare noch wunderbarer aufzustützen ; das lässt 



') Kürschner: D. N. L. (hg. v. Bobertag) S. 15 — 17. 



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_ lö - 

erwarten, dass wir die Elemente der Volksphantasie durchaus nicht 
rein und unvermischt wiederfinden werden. Aus diesem Grunde 
wünschte Ludw. Fr. Richter, Musäus möchte im Interesse der gelehrten 
Sagenforschung weniger geistreich gewesen sein, um die Ursprüng- 
lichkeit auch aller Einzelzüge erkennen zu lassen. 

Wie schon erwähnt, gehören diese Einzelzüge den vier Gebieten 
des Aberglaubens, der Legende, der Sage und des Märchens an. 

Die meisten Spuren von Aberglauben sind weit verbreitetes Gemein- 
gut: das Auslegen von Träumen (II, 136; II, 125; III, 113 etc.), das 
reichlich zur Motivierung der Handlungen angewandt ist; das Alp- 
drücken, das eine festere Gestalt in dem, von Libussas neidischen 
Schwestern ausgesandten Würgengel gewonnen hat (II, 50); die Irr- 
lichter, welche den Grafen von Gleichen in die Einöde locken (III, 80); 
das unbetrügliche Sieb (II, 38) ; der Spuck bei Grabstätten, wie in dem 
Märchen „Liebestreue" beim Monument des Grafen (III, 21, 22); das 
Praegnostikon, wonacli vom Geburtsmonat auf den Charakter geschlossen 
wird; so wie die Vorstellung (II, 129), das Weinen einer Braut sei 
von übler Vorbedeutung (II, 99). Landesüblich in Thüringen sind die 
Wetterprophezeiungen der Schäfer im Schatzgräber, „aus der Laune, 
mit welcher Maria übers Gebirge gegangen war (III, 131), aus dem 
heitern und trüben Adspect des Siebensch läfers und aus der Blüte des 
Haidekrauts." Wenn es am 2. Jidi regnet, am Tage Mariä Heim- 
suchung, dann regnets gleich 40 Tage um und um, und 7 Wochen, 
wenn es am Siebenschläfer, dem 27..Iuni. regnet (III, 1 2 7 ). 1 ) Auch 
das Jugendabenteuer der Schäfer, wie sie den grimmigen Wärwolf 2 ) 
durch den kräftigen Andreassegen weggescheueht haben (III, 129), ist 
nur eine kleine Spur der alten „Sagen- und Zauberformeln", die sich 
in Thüringen erhalten hatten. 3 ) Das Amulet oder Agnus dei gegen 
Fräsch und Herzgespan (Richilde) (I, 20) erinnert an die thüringische 
Volksmedizin. 4 ) 

Es sind nur winzige Züge, aber poetisch fein verwertet. Oft 
verschwindet uns die Empfindung des Aberglaubens vor einer andern 
tieferen, der er zum Ausdruck verhilft; also etwa, wenn Todesfälle 
sich anmelden. Musäus kannte dafür den Ausdruck „es eignet sich. 1 ' 

*) Regel II, 2, 709. Thüringen. Jena 1895. 
7 ) Grimm D. Myth. 620 ff. 

s ) Regel Th TI, 2, 718. Aus: Segen und Zauberformeln gesamm. 
in Thüringen. 

4 ) Regel II, 2. 

2* 



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— 20 



Hier versinnlicht der Aberglaube nur die bange Ahnung. Jene Gräfin 
von Hallermunde (Liebestreue), die ihrem Gemahl Treue bis über den 
Tod hinaus geschworen hatte, wartet auf den Grafen; er ist fern im 
Kriege und kehrt nicht zurück. Traurige Mienen sieht man überall, 
alles hängt ängstlichen Gedanken nach, und die überreizten Sinne 
warten förmlich auf Anzeichen. Da eignete es sich sogar am hellen 
Tage: Der Trinkbecher des Grafen zersprang mit lautem Klirren ; der 
Tod des Grafen war allen offenbar. Jutta vergisst nach langer Trauer- 
zeit in den Armen ihres hübschen Knappen den Schwur der Treue; 
die Hochzelt soll vor sich gehen, und der Brautzug wälzt sich der 
Kapelle zu. ,,Abcr hoch auf dem Dache sass eine ächzende Weh- 
klage/' l ) Dazu hört man das Geheul der Hunde und Eulengeschrei l ) 
„aus dem düstern Winkel eines alten Turmes." Oder man vergegen- 
wärtige sich auch die Szene aus der 2. Rübezahllegende, in der das 
schuldige Klärchen seinen Unglückstag herandäramern sieht; hier noch 
schwarze Nacht, dort der erste blutrote Schein der Morgenröte, und 
im Kämmerchen das erlöschende Lämpchen — das bange, beladene 
Bewusstsein sieht nicht die „Rose guter Vorbedeutung.' 12 ) 

Den Aberglauben macht sich also der Dichter für poetische 
Wirkungen zu nutze; dagegen hat die Heiligenlegende ihren sittlichen 
Gehalt fast überall dem Humor opfern müssen. Die heiligen 11 000 
Jungfrauen werden zum Vergleiche herangezogen, wenn Meta in ihrem 
neuen Leibrock prangt (LI, 121). — Die Übermacht der Sarazenen 
überwand den Grafen von Gleichen wie gemeiner Sage nach eine 
Mäuserotte einen Erzbischof überwältigen können, davon der Mänse- 
turm im Rhein, laut Hübnern, kundig Zeugnis giebt (III, 82). — 
Der heilige Christoph (Stumme Liebe), der wegen seiner gigantesken 
Natur alle Geschäfte mit seinen Pfleglingen nur vom Fenster aus 
abmacht, muss den eitlen Wünschen eines protzigen Hopfenkönigs 
dienen; aber Christoph führt ihn irre (II, 125). — Selbst das, mit 
Behagen erzählte Wunder von den Rosen der heiligen Elisabeth be- 
kommt seinen burlesken Abschluss. Elisabeth trägt unter der Schürze 
den Armen Nahrungsmittel zu; der Gemahl, der es ihr verboten, herrscht 
sie an, zu sagen, was sie da trage. Sie antwortet: „Rosen 1 '; und zu 
ihrem Staunen haben sich die Gegenstände alle in Rosen verwandelt. 
Der Landgraf schämt sich seines Verdachts und steckt zum Triumph 

') Grimm. D. Myth. 3 , S. 1088. 

*) Grimm. D. Myth. Aberglauben, No. 252. Brennt das Licht abends 
Rosen, so kommt des andern Tages Geld oder sonst ein Glück. 



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— 21 — 



ihrer Unschuld eine Blüte an den Hut; „die Geschichte meldet aber 
nicht, ob er den folgenden Tag eine verwelkte Rose oder eine Schlack- 
wurst darauf fand." (IH, 77.) Diese Behandlung der Legende ist für 
den Dichter charakteristisch. 

Einflussreicher als Aberglaube und Heiligenlegende wurden für 
die Erfindung Züge und Typen aus Sagen und Märchen. Eine Anzahl 
von blossen Anspielungen: auf den Vogel Greif, den ewig laufenden 
Juden, das Sandmännchen und die Siebenschläfer; eine Gestalt wie die 
des Wachtmeister lieutenants (Entführg.), der sich fest machen, Geister 
citieren kann und jeden Tag einen Freischuss hat, lassen eine ziemliche 
Kenntnis erraten. Zuweilen sind Spuren in einem Satz zu erkennen: 
„ich uriltere Menschen fleisch" (I, 23); „wer klopft, wer klojift an meinem 
Hause?" (I, 72), zuweilen in einem einzigen Wort: Rübezahl zog seine 
„Ehrkhsstrasse a l ) (I, 101). In diesen Ausdruck hat sich die ganze 
thüringische Iringssage zusammengezogen. 

Gehen wir nun zu den wichtigeren Elementen über, so wird sich 
dabei manches über die Erfindung der Erzählungen ergänzen lassen. 

Unter den Märchengestalten ist eine in Thüringen besonders be- 
liebt: die Hexe mit den stehenden Attributen von Hässlichkeit und 
einem unglaublich hohen Alter. Mit ihnen werden Katzen meistens 
so in Verbindung gebracht, dass sich die Hexen selbst diese unheim- 
liche Tiergestalt geben. 2 ) Musäus sagt: „das höchste Ideal der Schönheit 
ist ein Weib und das höchste Ideal der Hässlichkeit ist auch ein 
Weib" (I, 70). Bei seiner Neigung zur Karrikatur verwandte er bei- 
nahe mehr Ausführlichkeit, das Ideal der Hässlichkeit im Weibe zu 
schildern, und die Erscheinung einer Hexe war ihm in diesem Sinne 
sehr willkommen. Drei Mal ist Hexen in seinen Märchen eine nicht 
unwichtige Rolle zuerteilt, einmal in „Rolands Knappen" und zweimal 
in „Ulrich mit dem Bühel" (in Erzählungen, denen wir keine bekannten 
Seitenstücke nar-h weisen konnten). Jene leben alle drei im Walde, 
haben für den blossen Anblick etwas Schaudererregendes, zeigen sich 
aber durchgehends als Wohlthäter der Menschheit. Die Mutter Drude 
in „Rolands Knappen" sieht dem gewöhnlichen Bilde am ähnlichsten. 
Die Knappen stossen auf sie, als Roland gefallen war, und sie führerlos 



') G. D.Myth.' 298. Widukind : Rerum Saxon. libritres lit. I, Kp.9— 13. 
*) Emil Sommer: Sagen, Märehen und Gebräuche aus Sachs., aus 
Thüringen. Halle 1896. S. 57. 



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— 22 — 



im Walde umherirrten. 1 ) Das Weib erscheint als lebendiges Skelett, 
„ein Furchtgerippe", ein steinaltes Mütterchen im langen Talar, in der 
Hand eine Mistelstaude; sie siedet sich einen Igel, um mit seinem 
Fett ihre Pergamenthant zu salben, eine schwarze Katze ist der Ge- 
selle ihrer hundertjährigen Einsamkeit. Zum Dank für die Aufnahme 
sollen die warmblütigen Burschen das Lager mit ihr teilen. Das giebt 
ihr wieder Lebenskraft auf lange Zeit. 

Und nun mischt Musäus die Motive : auch die drei Wundergaben, 
welche die Drude ihren Gästen beim Abschied überreicht, sind keine 
Neuheiten. Das Märchen und das Volksbuch kennen: ein Tischchen 
deck dich, einen unerschöpflichen Säckel und eine Tarnkappe. An 
den „Säckel dos Fortunatus u erinnert Musäus selbst bei einer Seiner 
Gaben, sonst an die Wunderflasche des heiligen Remigius und den 
Ring des Gyges. Es ist aber zu beachten, wie seine, in einer be- 
stimmten Richtung arbeitende Phantasie den Wert dieser Dinge herab- 
setzt, um durch die Unscheinbarkeit der Geschenke einige niedliche 
Episoden zu gewinnen. Die Wunderflasche wird ein Tellertuch, der 
Säckel ein verrosteter Pfennig, die Tarnkappe oder der Ring des Gyges 
ein Däumling, also ein Fetzen von einem Handschuh (I, 78 ff.). Das 
gab zuerst grosse Enttäuschung und Schimpfen auf die Kargheit der 
alten Vettel, dann die Neckerei des Vernünftigsten, der die Kraft seines 
Däumlings entdeckte, und schliesslich die Freudenszenen, die sich bei 
der Entdeckung der andern Wunder abspielen, besonders die leckere 
Mahlzeit: ein Bild immer erfrischender als das andere. Vorher die 
ärmsten Schlucker, haben sie jetzt die Mittel zu grossem Reichtum 
und Einfluss in Händen, und Musäus macht es sich im weiteren Verlauf 
zur Aufgabe, sie in ihrem neuen Zustand zu zeigen; wie sie nicht 
einig bleiben können, wie sie hoch hinaufstreben und schliesslich in 
die Falle einer, an Ränken ihnen weit überlegonen Königin Uracka 
geraten. 

Die beiden anderen Hexen, von denen die Rede war, erheben die 
Erzählung von „Ulrich mit dem Bühel kt ins Reich der Wunder. Hier 
hält eine unglückliche Frau bei einer Hexe im Walde ihr Wochenbett, 
und das Geschenk, das ihr dieser Aufenthalt einbringt, ist eine Henne, 
die goldene Eier legt. Sommers Sammlung (S. 63 ff.) enthält mehrere 

') Einige Ähnlichkeit mit der Exposition hat das bei Sommer 
S. 108 mitget. Märchen: das so beginnt: Ein Unteroffizier, ein Tambour 
u. ein gemeiner Soldat wurden darüber einig, dass es besser sei, gut 
essen und trinken, als sich im Kriege zum Krüppel schiessen zu lassen. 



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— 23 — 



Nachrichten von goldenen Gänsen oder Enten, die auf goldenen Eiern 
brüten. Aber das Märchen schweigt im weitern Verlauf der Begeben- 
heiten. Lukrezia, das damals im Walde geborene Kind, steht im 
Mittelpunkt. Sie ist eine stolze Hofdame geworden, der es gefällt, ihre 
Freier zu äffen. Ulrich mit dem Bühel verspricht sie spöttisch ihre 
Hand für den Fall, dass er seines Buckels ledig werden könne. Betrübt 
zieht er in die Welt, aber eine zanberkundige wälsche Gräfin macht 
das Unmögliche möglich, und Lukrezia hält nun gern ihr Wort. 

Aus einem einzigen Märchenmotiv scheint sich die umfangreiche Ge- 
schichte vom Schatzgräber zu entwickeln: Es ist die Sage von der Spring- 
wurzel. Sie besteht aus zwei Hauptmomenten, der Gewinnung und Verwer- 
tung der Springwurzel. 1 ) Zum ersten gehört, dass man einem Grünspecht 
das Nest mit einem Keil verschliesst; der weiss dann die Springwurzel 
zu finden. Bringt er sie herbei, so muss man ihn mit Lärmen oder 
einem roten Tuch erschrecken, dann lässt er sie fallen. Zum zweiten 
Moment der Verwertung dieses „mythischen Schlüssels" gesellen sich 
allerdings Schwierigkeiten. Will nämlich der Besitzer solcher Spring- 
wurzel einen Schatz heben, so wird er durch Getöse, einen schwarzen 
Hund mit feurigen Augen oder andere Erscheinungen in Furcht gesetzt. 
Vor allein darf er nach der Hebung des Schatzes das Beste, die Wurzel 
selber nicht vergessen, sonst beraubt er sich einer zweiten Gelegenheit, 
Schätze zu heben. Von diesen Momenten nutzt Musäus nur das erste 
einigermassen aus. Besonders originell ist die Art, wie der künftige 
Schatzgräber, Peter Bloch, ein einsamer Trinker, hinter dem Ofen im 
Wirtshaus sitzt und aus dem Munde alter Schäfer erlauscht, wo und 
wie ein Schatz zu heben sei; ebenso die erste Probe, die Peter an 
dem Geldschrank seiner Frau macht, eh' er sich heimlich auf die Reise 
begiebt. Sonst legt Musäus wenig Gowicht auf das Motiv. Haupt- 
sache war ihm, das Familienleben des heruntergekommenen Stadtkochs, 
Peter Bloch, drastisch zu schildern, wie er von seiner Frau zu leiden 
hat, demütig hinvegetiert, wie er Kinder erzieht, im Becher Trost 
sucht und so tief sinkt, dass er das einzige Glück seines Daseins, die 
geduldige und aufopferur.gsfähige Tochter verhandeln will; wie aber 
schliesslich der gutmütige, schwache Mann die ganze Familie glücklich 
macht. 



') Vortrag v. Dr. Köhler: Zwei myth. Schlüssel und ein Compass. 
Jahresber. des Voigtl. altert, forsch. Ver. zu Hohenelbe 5152. Gr.D. S. 
I, 10 (mündl. v. einem Schäfer auf d. Kösterberg). 



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— 24 — 

» 

Die Entführung (I, 167) beruht auf Berichten' von einem um- 
gehenden Nonnengespenst, das sich in bestimmten Zeitabschnitten 
unheimlich vernehmen lässt. 1 ) Wahrscheinlich hat unsern Dichter 
Bürgers Lenore gelehrt, das Gespenst in ein grausiges Liebchen zu ver- 
wandeln; die Schilderung ist gar zu ähnlich: kaum hat der Entführer 
die als Nonne verkleidete, vermeintliche Braut in den Wagen gehoben, 
so geht's fort „über Stock und Stein, Berg auf, Thal ein. Die Rosse 
brausten und schnoben, schüttelten die Mähnen, wurden wild und ge- 
horchten nicht mehr dem Stangen gebiss". Dann rollt mit jähem Ab- 
sturz das Gefährt in die Tiefe. 

Sagen sind nur zweimal Grundlage einer ganzen Erzählung, zur 
Libussa und Melechsala. Als Episode greift die Erzählung von „Herzog 
Heinrich mit dem Löwen" ein (HI, 83), der in einer Nacht vom 
lybischen Gestade gen Braunschweig vom Teufel getragen wurde, um 
grade noch zu verhindern, dass seine Gemahlin mit einem andern 
Hochzeit hielt. Halb episodenhaft beeinflusst schon mehr den Gang 
der Ereignisse die Erscheinung des Albertus Magnus (1,43). Denn, 
wenn er der Richilde einen verhängnisvollen Spiegel schenkt, so ist 
dies ein weiterwirkendes Moment, wenn aber bei dieser Gelegenheit 
von seinen faustischen Kunststücken vor Kaiser Friedrich IL berichtet 
wird, so ist dies nur ein Tribut, den der Dichter seiner Heimat zollt, 
wo Albert eine beliebte Sagengestalt ist. 3 ) Manchmal liegen die Sagen- 
motive thüringischen Ursprungs ziemlich versteckt. Wenn Mathilde 
(Nymphe des Br.) beschuldigt wird, sie ermorde, um die Liebe ihres 
Mannes und die eigne Schönheit zu erhalten, die eignen Kinder mit 
einer Demantnadel, so erinnert dies an die scheussliche That der Gräfin 
von Orlamünde, die einem Burggrafen von Nürnberg zu liebe ihre 
Kinder aus erster Ehe mit Nadeln umbringt. 3 ) In der Richilde heisst 
es von Gottfried von Ardenne, dem Sohne Teutcbalds des Wüterichs, 
dass er in den Flammen des Fegefeuers wohl gepeinigt ward, seiner 
Frau dreimal im Schlaf erschien und bat, sie mochte ihn mit der 

') Aug. Wit/sehel. Sagen aus Thüringen, Wien 1888, (T. I.S.III, 
T. II, 92, D. gebannte Nonne in Mildenfurt); vgl. darin: Orts- und 
Volkssagen No. 106 Das Lindingsfräulein mit dem rasselnden Schlüssel- 
bund. Bechstein (Thüring. Sagen II) hörte etwas Ähnliches in Ohrdruf. 
Regel II, 2, S. 754. 

•') Grimm. D. S. II, S. 170. 

s ) A. Witzsehel. S. aus Thür. Unter: Gesch. Sager». I, S. 46 ff.: 
1) wie es der Seele des Landgrafen erging; 2) eine andere Sage von 
Ludwigs Seelenpein. 



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- 25 



heiligen Kirche aussöhnen. Der Sohn unternimmt behufs dessen 
eine Pilgerfahrt (I, 04). So weiss auch der Thüringer zu erzählen 1 ), 
wie fürchterlich ein Landgraf Ludwig und ein Landgraf Hermann 
haben in der Hölle schmoren müssen, und wie sehr die frommen Söhne, 
Ludwig der Milde und Ludwig der Fromme, benachrichtigt von diesem 
Leiden, sich um das Seelenheil ihrer Väter bemühten. 

Trotz dem überwiegend Märchenhaften in den Motiven der Be- 
gebenheiten waltet bei Musäus in der Behandhing derselben eine 
entschiedene Tendenz zur Sage vor von Anfang bis zu Ende. Für das 
Märchen giebt es keine Grenzen in Raum und Zeit, aber gerade diese 
Grenzen sucht der Dichter fest zu stecken. Überraschend wird nur 
in der ersten, vielleicht der märchenähnlichsten Erzählung am Schluss 
der historische Zusammenhang hergestellt. Albert der Bär kauft As- 
kanien und gründet Bernburg. Edgar der Aar baut Aarburg an der 
Aar; und nach Ufo dem Delphin nennt sich das Delphinat (I, 42). 
Damit ist das Land der Wunder aufgegeben. Das Schicksal der 
Knappen Rolands nimmt seinen Ausgang von der unglücklichen Schlacht 
bei Ronceval; das Schicksal Friedbert des Schwaben (d. geraubte Schi.) 
von der Schlacht bei Lucka, in der Markgraf Friedrieh mit dem Biss 
über Kaiser Albrecht siegte. So werden durch eine Schlacht, einen 
Reichstag, ein Fest, durch historisch bekannte Personen die Leser 
stets an wirklich Geschehenes erinnert, und wo es an einer solchen 
Stütze mangelt, wie in den meisten Rübezahl legenden, da verbürgt der 
Erzähler durch genaue Ortsangabe die Treue seines Berichts. Die 
meisten Erzählungen beginnen mit örtlicher Orientierung. Nur selten 
schweift der Dichter in ferne Lande (Melechsala, der geraubte Schleier, 
Rolands Knappen), und auch in solchen Fällen wird der Zusammenhang 
mit deutschem Boden nicht aufgegeben. In Deutschland selbst ziehen 
sich die Kreise möglichst eng um Thüringen. Das Voigtland, Fichtel- 
gebirge, der Harz, die Gegend zwischen Weser und Leine ist dem 
Dichter noch heimatlich; etwas südlicher schweifend betritt die Er- 
zählung Rotenburg an der Tauber, Dinkelshühl in Sehwaben und Bamberg, 
greift nach Meissen (Zwickau) und Schlesien hinüber und berührt auch 
entferntere Gegenden, Bremen, Pommern etc. Sie umfasst zwar mit 
Libussa, Dämon Amor und der fünften Legende von Rübezahl den 
grossen Zeitraum vom dunkelsten Heidentum bis zum aufgeklärten 
Zeitalter Voltaires und sucht nicht nur durch direkte Zeit- und Orts- 

') A. Witzschel. S. aus Thür. Unter: Gesch. Sagen. 1, S. 53: D. 
Landgr. Hennann im Fegefeuer. 



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— 26 — 



angaben, sondern auch durch Kostüm, Speisen, Gebräuche etc. das 
8. Jahrh. etwa und die jüngere Zeit zu differenzieren, bewegt sich 
aber doch mit ihren historischen Bildern am liebsten in den Anschauungen, 
welche das 18. Jahrhundert sich von dem sogenannten „schwäbischen 
Zeitpunkt" machte. Darin stehen die Märchen im engen Zusammen- 
hang mit dem Ritterdrama und Ritterroman, und so konnte sich Lands- 
knecht8raässige8, Ritterliches und die Romantik des Eremiten in einer 
Gestalt (dem Schwaben Friedbert im geraubten Schi.) vereinigen. Immer 
ist der Blick rückwärts auf Vergangenes gerichtet und in vielen Er- 
zählungen lebt eine Zeit wieder auf, von deren kernigem und thaten- 
frohem Leben das Zeitalter des Zopfes sich idealische Vorstellungen 
machte. 



Den Elementen der Composition entsprechend tragen auch die 
Formen der Composition manchen Zng vom Charakter der 
Märchen- und Sagenüberlieferung. Den längeren Volksmärchen wie 
auch anderen Volkserzählungen ist es vielfach eigen, dass sie einen 
Helden auf Abenteuer ausschicken oder dass sie, allgemein gesagt, 
an eine Person eine Anzahl von Geschichtehen anreihen. Diese ein- 
fache Technik begegnet sich mit der Erzählnngsmethode, die Musäus 
in seinen Romanen beobachtet hatte, und äussert sich auch hier in 
den Volksmärchen durch drei Formen: die Einschachtelung, die Drei- 
teilung und die Rahmenerzählung. 

1. Einschachtelung. Der Darsteller bekümmert sich einen 
Augenblick nicht um den Gang und das Ziel der Hauptbegebenheiten 
und schweift auf andere Dinge ab. So sind zu Anfang der dritten 
Rübezahllegende, um einen an die Spitze gestellten Satz zu demon- 
strieren, knapp wie das frühere Rübezahlbücher thaten, eine Anzahl 
Anekdoten der Haupthistorie vorausgeschickt. In Melechsala nimmt 
der Landgraf Ludwig an dem eigentlichen Vorgang keinen Anteil; 
dennoch war er zu erwähnen, und dies genügte, umständlich seine 
Gesinnung und sein Verhältnis zur Gemahlin durch die breit aus- 
gesponnene Legende von den Rosen zu illustrieren. Ähnlich spielt 
nachher die Sage von Herzog Heinrich hinein. Solche Stücke wären 
leicht abzulösen. 

2. Dreiteilung. Geschichtchen in der Geschichte zu bilden 
und doch streng bei der Handlung zu bleiben, ermöglichte sich Musäus 
durch eine Märchentechnik, die wir kurz das Prinzip der Dreiteilung 



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— 27 — 



nennen wollen. Wir sehen es in einer Reihe der ersten Märchen zur 
Anwendung gebracht. In den „drei Schwestern" knüpfen sich an die 
Dreizahl der Schwestern 3 Abenteuer ihres Vaters im Walde, 3 Ent- 
führungen, 3 Besuche des Bruders Reinald; als Rest bleibt nur die 
Lösung des Zauberbannes. 1 ) Die Einteilung der Richilde wird durch 
die dreimalige Wiederholung des „Sprüchleins": 

Spiegel blink, Spiegel blank etc. 
gekennzeichnet. Am meisten ausgebeutet ist das Dispositionsmittel in 
Rolands Knappen: 3 Knappen verlangen 3 Geschenke der Waldfrau, 
dreifache Begebenheiten und Abenteuer auf dem Wege und bei Hofe, 
eine dreifache Buhlschaft der Königin Uracka und dreimal eine Über- 
tölpelung der dummen Kerle. Ähnlich wirkt noch im 2. Teile der 
Bisaraapfel, an den sich drei Wünsche knüpfen. 

3. Rahmenerzählung. Kunstvoller gestaltete dieses Verfahren, 
Gest-Ii ich tchen in der Geschichte zu erzählen, eine Art Rahmenerzählung 
„Stumme Liebe", nur in einem anderen Sinn als man mit den Rahmen- 
erzählungen des Decamerone und der orientalischen Märchen verbindet 
Jene beiden schon oben erörterten Abenteuer, jedes eine wohlabgerundete 
Erzählung für sich, sind der Haupthandlung so symmetrisch ein- 
gegliedert, dass der ersten Hälfte der Erzählung das eine, der zweiten 
das andere angehört, dass der Held auf seiner Reise nach Antwerpen 
das eine, auf seiner Rückkehr das andere erlebt. Aber beide Ereignisse 
könnten für sich bestehen und wiederum unbeschadet des Ganzen 
entfernt werden. Ganz Jose ist nur das 2. Abenteuer mit dem Fort- 
gang der Haupterzählung verflochten. 

Als Musäus seinen ersten Roman zum ., deutschen Grandison" 
umarbeitete, schrieb er zur Hauptgeschichte eine Vorgeschichte 
hierzu und zeigte darin, wie sein Held bereits durch die Robinsonaden 
zum Narren geworden war. Diese Methode nun, die eigentliche Er- 
zählung um eine Vorgeschichte zu erweitern, behielt der Dichter jetzt 
bei und wandte sie auf die Volksmärchen an. Es empfahl sich, in 
der Vorgeschichte die Hauptperson noch zurücktreten zu lassen und 
wie in Biographien mit den Eltern anzuheben; dann liess sich dort 
vielleicht schon das treibende märchenhafte Element hineinmischen 

') Die Zahl 3 und 7 sind im Märchen wohl am meisten sanktioniert: 
vgl. die 7 Zwerge (Schneewittchen); die 7 Raben; die 7 jungen Geislein 
und die vielen Griinm'schen Märchen, die schon in der Uebcrschrift die 
Zahl „3" tragen. In den 3 Schwestern ist der erste Prinz 7 Tage, der 
zweite 7 Wochen, der dritte 7 Monate dem Zauber unterworfen. 



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— 28 — 

und ein Zusammenhang zwischen Haupt- und Vorgeschichte war her- 
gestellt. 

Schon die 2. Geschichte zeigt einen ziemlich breit angelegten 
Unterbau. Hier werden wir teils durch die Eltern, teils durch Albertus 
Magnus beschäftigt; das Märchenelement ist der Zauberspiegel. 

Die Nymphe des Brunnens tritt nur im ersten Teil der Erzählung 
dieses Namens auf und mit ihr verschwinden eine Reihe von Personen, 
die uns alle lebhaft interessieren. Mit Mathildens Wanderschaft be- 
ginnt eine völlig neue Geschichte, aber das Geschenk der Fee, der 
Bisamapfel, wirkt weiter. 

Die Vorgeschichte zum geraubten Schleier ist in den Mund des 
Einsiedlers gelegt: die Geschichte seiner Liebe zu einer Fürstin Zoe. 
Auch sie giebt durch den Hinweis auf den Schleierraub dem Verlauf 
der Erzählung den Weg an. 

Ebenso geht in Ulrich mit dem Bühel dem Hauptinhalt, der 
Lukrezia zum Mittelpunkte hat, das Schicksal ihrer Mutter voraus und 
jenes Abenteuer im Walde, das sie in den Besitz der Wunderhenne 
bringt. 

Die Libussa lässt uns aus deutlichen Symptomen erkennen, dass 
der Dichter diese Art Unterbau durchaus nicht aus seinen Vorbildern 
entnahm, sondern seinem eignen Fabulieren verdankte. 

Überhaupt ermöglicht uns die Erzählung Libussa am besten durch 
einen Vergleich mit ihren fest bestimmten Vorlagen, der Eigentüm- 
lichkeit und künstlerischen Absicht des Musäus auf die Spur zu kommen. 

Excurs: Vergleiche der Libussa mit ihren Quellen. 

Der ausgesprochene litterarische Zweck der Volksmärchen strebt 
freilich grade in der Libussa auf einem andern Wege nach seiner Ver- 
wirklichung als in den übrigen Märchen. In den übrigen verbirgt sich 
eine ernste Lebensmeinung überwiegen« l hinter fröhlichen Gestalton und 
oft komischen Situationen, hier spricht der Optimismus des Verfassers 
in den ernsten Tönen der Weissagung und sittlichen Erhebung. Aber 
hier wie dort zeigt Musäus als oberstes Prinzip, das heisst als sein 
innigstes Interesse, die Gestalten der Sagen und Märchen, die fast 
entmenschlichten, wieder wie Menschen, die dem modernen Verständnis 
zugänglich sind, sprechen und handeln zu lassen. 

Jede Seite der Schriften von Musäus bekundet den engsten 
Zusammenhang mit der Tageslektürc, und weil die Volksmärchen un- 
verkennbar den Einfluss der modernsten, volkstümlichen Bestrebungen 



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— 29 



auf dem Gebiete der Lyrik verraten, wie die Stilbetrachtung ergeben 
wird, so darf man wohl die erste Anregung zur Li hussa dem, in 
Herders Volksliedern 1778 veröffentlichten Gedicht: „die Ffirstentafcl" 
zuschreiben. 1 ) Schon die 1. Erzählung von Musäus, die 1782 er- 
schien, knüpfte das Schicksal des Zauberers Zornebock an die Fürstin 
Libussa aus dem Feengeschlecht Herder arbeitete nach einem anderen 
Werke*) als Musäus, aber der Charakter seines Gedichtes scheint 
nachhaltig auf das Volksmärchen gewirkt zu haben. Musäus benutzte: 
Job. Dubravii Historia Bohemica und Aenea Sylvii Cardinalis de 
Bohemorum origine ac gestis Historia, das zweite Werk aber nur zu 
winzigen Ergänzungen oder Änderungen, wie z. B. diese, dass er ffir 
die Tetcha des Dubravius den Namen Therba ans Aen. Sylv. einsetzte. 
Musäus gab selbst in 3 Anmerkungen Proben der lateinischen Vor- 
lagen; sie sollten die quellenmässige Treue seiner Erzählung besiegeln, 
eine Autorenschlauheit, der man nicht allzusehr trauen darf. 

Schon Dubravius scheint sich gesagt zu haben, dass man einen 
Mythos nicht im trocknen Ton der Historie erzählen dürfe. Einen 
poetischen Schimmer verleiht er der Erzählung durch den rhetorischen 
Schwung in den Reden seiner Figuren. Der Stil weist Reminiszenzen 
auf aus der klassischen Lektüre. Nur wenn hier und da ein Sprich- 
wort, eine Parabel, eine Prophezeiung vorkommt, stammt sie wahr- 
scheinlich aus älteren böhmischen Poesien. 

Die Komposition bei Dubravius ist die denkbar einfachste: die 
Reihenfolge der Oberhäupter im Böhmenreich gieht die Einteilung an, 
jeder Teil könnte für sich bestehen, nirgends verschwindet ein Ereignis, 
das später wieder auftaucht und l>eendet sein will. 

Die Besiedlung Böhmens durch den ,,Croaten u Creehius und die 
Herrschaft des Crocus bildet den Inhalt der beiden ersten Teile. Sie 
schildern: 

I. Die Einsamkeit des Landes, das mehr von Viehherden als von 
Menschen beherrscht war, 

die friedliche Besitzergreifung; dann aber als Crechius starb und 
ein Status popularis versucht wurde: 

die einreissende Anarchie, das varium et miitabile vulgus. 

') Herder (Suphan). 25. S. 452—458. 

*) Wcntzeslai Hagek a Liboczau. Annales Bohemorum ft bohemica 
editione latini redditi et notis illnstrati etc. Fid. P. Gelasius a S. Cha- 
terina 1763. 



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IL Die einmütige Wahl des Crocus verhütet den Verfall. Seine 
Tugenden und seine Sehergabe haben auf ihn aufmerksam gemacht. — 
Trotz grosser Uneigennützigkeit ist er der reichste. Er herrschte nach 
den Sitten und der Gewohnheit des Volkes, niemals absolut (ex suo 
arbitrio). Ein Tribunal wird von ihm eingesetzt; nicht er, das Volk 
scheint Richter (magis aliquante transactio popularis, quam iudiciura 
videbatur). 

Der Ruf des Crocus dringt weit, und sogar Polen laden ihn ein, 
ihre Verhältnisse zu ordnen. Bei dieser Thätigkeit stirbt er. Der 
Name Krakau ehrt sein Andenken. 

III. Die Geschichte der Libussa: 

1. 

Die Einleitung enthält 1) ihre und ihrer Schwestern Charakteristik 
als fatidicae vel magae potius; 2) die Walü der Libussa und ihre Be- 
gründimg; sie sei freigebiger, ihre Weissagung weniger trügerisch und 
vor allem unentgeltlich gewesen. 

2. 

Das Gericht: Ohne sich weiter auf die Regierung der Libussa 
einzidassen, erzählt Dubravius sofort die Einzelhamllung-, welche die 
Stellung der Fürstin wankend macht: ihre schiedsrichterliche Ent- 
scheidung. Im Streite zwischen einem Reichen und einem Geringen 
urteilt Libussa zu Ungunsten des ersten. (Ditior condemnatus est 
Non tenuit is infra dentium Septem iracundiae vocem.) Der Beleidigte 
schilt die Weiberherrschaft etwas Schimpfliches, das Weib gehöre an 
den Spinnrocken. Libussa beruft sich auf die Wahl des Volkes und 
auf die fleckenlose Geschichte ihrer Regierung. Damit kann sie nicht 
verhindern, dass ihr Feind durch Umtriebe eine starke Gegenpartei 
ins Leben ruft. Die Ifürstin empfängt die Unzufriedenen auf ihrer 
Burg und verteidigt sich beweglicher und wortreicher mit denselben 
schon vorher angeführten Gründon. Darauf der Hohn des feindlichen 
Führers: Die Kuh verlasse ungern die heiteren Weideplätze. Libussas 
Fabel von den Tauben, die sich den Habicht zum Oberhaupt gewählt, 
und schwer hatten büssen müssen, wirkt nicht Sie bittet schliesslich, 
die Entscheidung den Göttern anheim zu stellen. 

Der Götterspruoh : Am nächsten Morgen verkündigte sie den 
Götterspruch: Ihnen sei ein Fürst, ihr ein Gemahl bestimmt, mit 
Namen Primislav; 10 Boten sollten, von Libussas weissem Rosa ge- 



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— 31 — 

fuhrt, ihn aufsuchen und das Ross würde vor einem Pfluger Halt 
machen, der an eisernem Tische speise. 

Primislav: Primislav hält grade Mahlzeit auf seiner Pflugschar, 
als die Gesandtschaft eintrifft. Auf das Gebot löst er die fleckenlosen 
Stiere ab, die in zarte Luft zerfliessen, und stösst den Stab in die 
Erde. Plötzlich grünt der Stab aus 3 Sprossen, und zwei verdorren 
auf der Stelle. „Hättet Ihr mich doch erst zur Mehrung des Reiches 
das Feld umpflügen lassen" ruft Primislav geheimnisvoll. 

Auf dem Ritt verlangt er nach seinem Mantel und den hölzernen 
Schuhen, den Denk- und Ehrenzeichen seines Gesclüechts, und erklärt 
das Wunder des Stabes: Von 3 Söhnen seines Bluts würden 2 sterben, 
der dritte das Geschlecht fortführen. 

Nach der Vermählung hat Libussa immer noch die Zügel der 
Regierung in Händen. Ihre letzte That ist die Gründung Prags. 

Herders Gedicht im fünffüssigen Trochäen vers, das mit der Gerichts- 
scene einsetzt und mit einer persönlichen Klage schliesst, unterscheidet 
sich in den Hanptstücken und in der Anordnung der Begebenheiten 
von der vorangestellten Erzählung fast gar nicht, aber den mythisch 
heiligen Charakter der Libussa, die hier viel einsamer zwischen den 
Menschen und den Göttern steht, steigert der fremdartig anmutende 
Vortrag, der den Charakter slavischer Dichtung wiedergeben soll: 

„Wer ist jene, die auf grüner Heide 

„Sitzt in Mitte von 12 edeln Herren? 

„Ist Libussa, ist des weisen Kroko 

„Weise Tochter, Böhmenlandes Fürstin. 

„Sitzet zu Gericht und sinnt und sitzet." 
Der geheimnisvolle Anfang und auch der weitere Verlauf, wenn 
die Göttin Klimba der Libussa „öffnet Reithes Zukunft" und ihr zuruft: 
„eile, Tochter, Schicksalsstunde eilet", zeigt schon in der Sprache 
etwas Starres, Ceremonielles durch ungebräuchliche Unterdrückung des 
Pronomens oder Artikels, wie durch formelhafte Wiederholung der 
Worte, Wendungen und Reden. 

Weiler die Heilige noch die Zauberin interessierte Musäns in dem 
Masse, dass er sie zur Heldin der Haupterzählung gemacht hätte. 
Obwohl auch seine Libussa Züge von beiden trägt, ist sie doch in 
erster Linie ganz ein menschlich fühlendes Weib, mit der Besonderheit, 
dass sie auf stolzer Höhe, bescheiden einer stillen Liebe nachhängt, 
deren Gegenstand in Niedrigkeit verborgen lebt. Dieses Liebesverhältnis 
wurde das orste für die Umgestaltung der Compositum wesentliche Prinzip. 



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^ 32 - 

Was hatte in der Überlieferung Libussa mit Primislav zu schaffen? 
Ein Götterspruch führt sie zusammen; der eiserne Tisch und das 
Geheimnisvolle verdrängte dort das Interesse an den Menschen. Musäus 
legte lange vor dem Götterausspruch die Entscheidung in die Brust 
des Weihes. Darum gehörte nach ihm die Erscheinung des Primislav an 
den Anfang der Geschichte. Er zeigte den Primislav in seiner unver- 
schuldeten Niedrigkeit, gab ihm einen kühnen, aber kindlichen und 
gehorsamen Sinn und liess ihn der Lihussa so geschickt begegnen, 
dass dabei zugleich auch Libussas erste That bekannt wird. 

Diese Vorbereitung und Verfeinerung des Schicksalsspruches war 
für eine dichterische Phantasie mindestens einfacher als die neue 
psychologische Grundlage, die Musäus dem Konflikt gab. Bei Dubravius 
wird der Konflikt durch einen reichen und darum mächtigeren Mann 
heraufbeschworen, weil seine Willkür durch Libussas Gerechtigkeit 
gebunden wurde. Jene folgenschwere Gerichtsszene nahm auch Musäus 
an, aber sie bildet nur ein mittleres Glied in einer Kette von Motiven: 
Zwei Herren trifft der Vorwurf der Gewalttätigkeit, den vornehmen 
Magnaten Wladomir und den Ritter Mizisla. Der gerichtlichen Ent- 
scheidung türmen sich schwere Bedenken entgegen. Einmal sind die 
Frevler in so hohem Ansehen, dass die ohnmächtigen Kläger nur in 
Parabeln ihren Vorwurf anzubringen wagen. Vor allem aber ist die 
Richterin selbst den Beschuldigten verpflichtet. Sie soll über die 
urteilen, die früher bei Gefahr ihres Lebens die furchtsame Menge 
zur Wahl der Libussa begeisterten, die sie unentwegt mit ihrer Liebe 
umwarben und erst, enttäuscht und geärgert durch Libussas ablehnendes 
Verhalten, in einem wilden Leben Vergessenheit suchten. — 

Die Entscheidung selbst ist bedeutend interessanter als das blosse: 
,ditior conderanatus est'. Libussa befiehlt ihnen, durch einen ritter- 
lichen Krieg gegen den unholden Fürsten der Sorben, Zornebock, ihre 
Gnade wiederzugewinnen. War manchmal in der Rolle abgewiesener 
Liebhaber Gelegenheit gegeben, über die beiden zu lächeln, so zeigt 
sich hier, wie hübsch Licht und Schatten verteilt sind ; denn nun sind 
jene wieder ganz böhmische Helden, die „durch die Geschwader wie 
Sturm und Wirbelwind dahinflogen". Aber das Gedicht ist auch noch 
nicht letzte Ursache des Konfliktes. Erst als Libussa die sieggekrönten 
Liebhaber noch immer nicht erhört, ja ihrer sogar durch einen Zank- 
apfel zu spotten scheint, da „traten sie miteinander in Verein zu Trutz 
und Schutz und machten sich einen Anhang im Lande'. Die Auf- 
ständischen verlangen, sie solle sich einen Gemahl wählen. 



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- 33 - 

Nim erscheint am Ende der Erzählung der göttliche Befehl als 
eine List, die nur darum ganz frei von aller Frivolität ist, weil Libussa 
dem Frieden des Volkes zu liebe ihr Herz längst zum Schweigen 
gezwungen hatte und jetzt nur klug einem, von Trotz eingegebenen 
Verlangen begegnete. 

Die Vorgeschichte zu diesen Ereignissen knüpft sich natürlich 
an die Person des Crocus, an den Vater der Libussa. Aber charakte- 
ristisch ist, wie wenig Musäus sich mit den bei Dubravius überlieferten 
Thatsachen begnügt. Er erfindet schon dem Crocus eine Liebesgeschichte 
so ausführlich, so wenig Skizze, dass man hinter dieser Geschichte 
kaum noch etwas Neues erwartet. In der That hat ein Schriftsteller 
unserer Tage, anknüpfend an ein Bild Moritz von Schwinds, das Crocus 
und seine geliebte Fee am Eichbaurae darstellt, diese Vorgeschichte 
allein zur Grundlage eines Gedichtes gemacht. 1 ) 

Musäus entging nicht der Gefahr, manches aus der Haupthandlung 
vorwegzunehmen. Hier wie dort geniesst ein einfacher Mensch die 
Gunst eines höher begabten Weibes und gelangt durch seine Liebe 
ans dienender Stellung zur Herrschaft. Und nicht nur finden wir in 
der Libussa manchen Zug ihrer Mutter wieder, auch Crocus und der 
Günstling der Libussa, die doch nichts mit einander gemein haben, 
ähneln sich in vielen Stücken. Crocus rettet den Baum seiner Fee, 
Primislav leistet der Libussa auf der Jagd entschlossene Hülfe. Crocus 
ist der bescheidene Mann, der Ruhm und Reichtum für Minneglück 
zurückweist; auch Primislav verzichtet auf Thaten und geht wieder 
dem Pfluge nach. Beide erhalten die Gabe der Weissagung. Auch 
erscheint manches Wort über die Regierung der Libussa wie ein leises 
Echo aus den Zeiten des Crocus. Die Vorgeschichte ist eng mit der 
Hauptgeschichte verflochten: denn Libussa und Primislav begegnen, 
sich, lange bevor wir von Crocus Abschied nehmen. 



Die Sprache der Volksmärehen. 

Ein Zusammenhang, wie er sich in der Composition zwischen 
den früheren Hauptwerken des Musäus und den Volksmärchen fand, 
wird sich auch, was den Stil der Sprache anbetrifft, leicht nachweisen 
lassen. Wir wissen aber aus dem Stande deutscher Märchenlitteratnr, 

') Sehorcrs Familienblatt Jlng. IV, 88/89, Hft. 3 S, 142: „Die Elfen- 
eiche* von Wilh. Röscler. 

3 



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^ u ~* 

dass Mu8äus sich erst den geeigneten Stil finden sollte. Er toraühte sich 
darum. Das Resultat war ein künstliches Sprachprodukt. In erster 
Linie werden wir erwarten, dass er eine möglichst märchenhafte Sprache 
reden müsste, und die erste Zeile der Volksmärchen scheint dies zu 
bestätigen: „Ein reicher, reicher (h'af vergeudete sein Gut und Habe." 
Kann man mehr Eigentümlickeiten der Märchensprache in einen so 
kurzen Satz zusammendrängen? Das Märchen liebt die Unbestimmtheit 
der Person, daher: ein Graf; es stellt gern grossartig dar, daher: ein 
reicher, reicher Graf; gern formelhaft und poetisch, daher: Gut und 
Habe. — Abgesehen nun von dem Ausserlichsten, den Reimen im 
Prosatext, ist die Märchen spräche des Musäus von vielen andern echten 
Elementen durchsetzt, aber sie ist nicht schlicht genug, sondern ein 
Conglomerat verschiedener Stilarten, die, wie sich ergeben wird, einander 
beeinträchtigen. Dem Titel „Volksmärchen" jedoch entspricht es ganz, 
wenn unter diesen Stilarten das Volkstümliche, dem Märchenhaften, 
wenn das Poetischo, der Tendenz zur Sage, wenn das Altertümliche 
vorherrscht. Oft sind diese Elemente rein zu geniessen, sehr oft dienen 
sie alle nur dem Humor, vielfach decken sie sich gegenseitig; denn 
poetisch, volkstümlich und altertümlich zu schreiben, war grade in 
den 70er und 80 er Jahren des vorigen Jahrhunderts, für viele ein und 
dasselbe. 



Das Altertümliche. 

Bei Beurteilung des Altertümlichen im Stil des Musäus muss 
man sich an die Originalangaben der Volksmärchen halten. Will man 
einen archaisierenden Schriftsteller, der selbst schon archaisch geworden 
ist, herausgeben, so darf man allenfalls das modernisieren, was vom 
Dichter selbst nicht archaisch gemeint war, aber nicht, wie z. B. in 
der Hempelschen Ausgabe (Hcmpel V. M. III, 91) zu lesen ist, 
Geschlechtsgliederung für Gesohlechtsklittenmg (II, 43) einsetzen, l ) für 
ein Wort, das mit andern Zeugnis ablegt, wie gern sich Musäus der 
Ausdrücke des 16. Jahrhunderts bediente. Dagegen gehörten folgende 
Einzelheiten, wenn sie auch hin und wieder schon im Kampfe mit 
neuen Bildungen begriffen sind, durchaus noch der Zeitsprache an: 



') Vergl. auch endlich oder ende lieh. Hempel I, 80. 



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- 3S - 

Worte mit älterem Lautstand: Reuter, Heuraten, Dreistigkeit; 
Gebürge, wurklich; ungenüssbar. Sammlen; Canzelleyen. Küehen- 
zeddel. Mädgen, Gässgen (mehr orthographisch). 

In der Flexion liebt Musäus vor allem vollere Formen als heute 
gebräuchlich sind: setzet, stellet, leget. Dann hat er die alten Praeterita: 
Stund, verdung, und die im 17. Jahrhundert durchgehends ge- 
bräuchlichsten: riefe, sähe usw.; proraiscue sind mit diesen die 
moderneren Formen: stand, rief, sah usw. im Gebrauch. — Beim 
Zahlwort finden sich nach den Geschlechtern unterschieden: zwene, 
zwo, zwei. 

Von syntaktischen Abweichungen fallen zwei Constructionen auf: 
heissen (= befehlen) und liebkosen mit dem Dativ „hiess ihr an- 
schüren"; „sie liebkoste ihm". Liebkosen steht auch mit dem Accusativ. 

Was die Wortwahl anbetrifft, so sind namentlich eine Anzahl von 
häufig wiederkehrenden Adverbien und Conjunctionen zwar noch zeit- 
gemäss, aber doch schon in der Anwendung beschränkt: anoch, 
fürohin, sintemal, weiland. So bemerkt Adelung in seinem Lexikon 
(1780) IV, 48G, zu „Sintemal": ,,In der edleren Schreibart des Hoch' 
deutschen ist es veraltet, als welche es gern den Canzelleyen Überlässet, 
wo man die Wörter und Parti Icein nicht rielMlbig genug bekommen 
und daher wohl gar ein sintemal und alldieweil zusammensetzt" 

Wer damals archaisieren wollte, fand vielseitige Anregung und 
Schulung. Seit Bodmer 1 ) bemühte man sich, Werke der mlid. Zeit 
einem weiteren Kreise verständlich zu machen; die Genossen des 
Hains übten sich namentlich, die Töne des Minnesangs zu treffen. 
Gleichzeitig mit Bodmers Veröffentlichungen (1757) begann Gottscheds 
„Nötiger Vorrat zur deutschen dramatischen Dichtkunst" zu erscheinen, 
und gewohnte das Ohr an die Sprache einer vergangenen Zeit. Das 
10. Jahrhundert fing an, das litterarische Interesse zu beschäftigen. 
Die Fabeldichter hielten sieh zwar zuerst allein an die Stoffe, ohne 
sich von der Sprache beeinflussen zu lassen. Zachariä versprach 
dagegen wenigstens etwas mehr, wenn er „Fabeln in Burkhard Waldis 
Manier" herausgab. Aber Altertümliches findet man noch wenig auch 
bei ihm. Dagegen arbeiteten für die Erschliessung des IG. Jahrhunderts 
im grösseren Masssfcibc Zeitschriften wie: der teutsche Merkur und 
mehr noch das deutsche Museum. Für einen weiteren, weniger an- 



') Bodmer: 1757. Das Nibelungenlied. 

w 1758. Sammlung von Minnesängern. 

3* 



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— 36 — 

spruchsvollen Leserkreis sorgte auch in diesem Sinne Reichards 
Bibliothek der Romane mit ihren Fragmenten aus alten Volksromanen 
und Volksbüchern, die sich durch ihren alter tümelnden Ton empfahlen. 
Die Vorkämpfer aber der neuen Zeit unterstützten durch die archai- 
sierende Redeweise den Ausdruck ihrer Kraft und Begeisterung. Goethe 
wurde der Wiedererwecker des Hans Sachs; und Herder, dem bei 
diesem Streben die Krone gebührt, schrieb damals „Über den Geist 
der hebräischen Poesie" und „Über die Ähnlichkeit der mittleren 
englischen und deutschen Dichtkunst"; zündender wirkten aber seine 
Volkslieder, in deren Vorrede er das Symbol dieser Ideen: „die alte 
Chronik", den Lesern nahe legte. 

Von allen den Werken, welche hervorgeholt, erneuert nach- 
geahmt und sprachlich ausgenutzt wurden, hat keins eine solche Be- 
deutung erlangt, wie die schon immer wirksame Bibelübersetzung' 
Luthers. Durch die Luthersprache haben denn auch die Volksmärchen 
vorzugsweise ihr altertümliches Gepräge erhalten. 

Zunächst erinnern uns eine Anzahl oft vereinzelter, oft wieder- 
kehrender Ausdrucke, Wörter und Wendungen an die Bibel: Klein- 
mütig, allzumal, eitel (Tand und Thorheit), Schnur, Wittib, Speise- 
meister, holdselige Jungfrau, verziehen (= warten lassen), Heulen 
und Zähneklappen, Splitterrichter; die alttestamentliche Anrede: 
„Lieber"; länger Wendungen, wie z. B.: „Im Schweisse deines 
Angesichts sollst du dein Brot gewinnen" (II, 91). vgl. 1. Mos. 3, 19. 
. . . „verhüllte sie ihr Gesicht und weinte bitterlich" (II, 4. I, 2f>). 
vgl. Matth. 2C, 75. „Weils ihm an Öl gebrach" (I, 125). vgl. Ev. 
Joh. II, 3. „Gürtete seine Lenden" (I, 130). vgl. 1. Könige 18, 46 
und schliesslich jenes leicht missverständliche Wort endelich (dass 
du gelangest im Gebirge endelich I, 125). Damit übersetzt Luther 
(Luc. 1, 39): fiera onovdrjs eilig. *) Aus andern Schriften Luthers 
stammt: „Des Herrgotts Affe" (III, 84); mit diesem Ausdruck be- 
zeichnet Luther den Teufel ; vgl. Diez, Wörterbuch zu Luther (I, 1 50). 
An den Katechismus klingt an: „Ohne das Gesetz der Keuschheit 
weder mit Gedanken, Worten oder Werken im mindesten zu ver- 
letzen" (I, 78). „Zum Beweis, dass fromm Gesinde auch gut 
Jicgiment, gut Wetter, fromme und getreue Oberherren macht" (II, 14). 
Luthers berühmtestes Kirchenlied gab die Zeile: „Lass faiiren dahin" 
(I, 142), und für „hinrichten" die Umschreibung: „den Leib töten" 



') Hempel verstaud: endlich. Vgl. Uempel V. M. 104. 



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— 37 — 



(das peinliche Gericht hielt dafür, dass es nun an der Zeit sei, den 
Leib zu töten I, 127). „Gross Schrecken" für: „grosser Schrecken" 
(II, S9). (Luther: Gross Macht und viel List.) 

Das alles sind immerhin nur vereinzelte Reminiscenzen. Wirk- 
samer treffen einige mehrfach wiederkehrende syntaktische Formen 
den Ton der Luthersprache. 

Das finale Verhältnis wird auffeilend oft durch „dass u , seltener 
„auf dass" statt durch das moderne „damit" ausgedrückt; vgl. 
Mos. 1, 19, 5: „Führe sie heraus zu mir, dass wir sie erkennen" 
Mos. 1, 27, 21: „Tritt herzu, 1 ) mein Sohn, dass ich dich begreife, 
ob du seiest mein Sohn Esau etc" Bei Musäus desgleichen meist 
nach dem Imperativ: „Sag an deinen Traum, dass ich ihn ausdeute" 
(II, 22): „ivo weilt er, dass ich mich aufmache" (III, 121). 

Die hypothetische Beziehung giebt vielfach „so" statt wenn. 
Vgl. Matthäus 0, 14: „Denn so ihr den Menschen ihre Fehler ver- 
rjrbet, so wird euch etc." Mnsäus: „So ich's vermag, will icJi's enden" 
(II, 35). „So der zu mir spricht, weiche hic, weiche da etc." (II, 35). 
„So ihm das Beginnen gedeihen würde" (III, 90). 

„Sintemal", die kausale Conjunction, nach Adelung ungebräuchlich, 
ist biblisch bei Musäus: „Was kümmert Euch mein Schmerz, sintemal 
mir nicht zu helfen steht" (I, 120). „Sintemal sie mit einem andern 
hochxeitct" (III, 84). 

Für das coinpnrative Verhältnis dient „als" oder „so" statt wie: 
.... mit alten Lumpen .... als man pflegt in die Erbsen zu 
stellen (I, 128). So mir auch trefflich gelungen ist (III, 90). 

Tempoml findet sich hin und wieder „da" angewandt: Da das 
dein Vater .... angesagt ward: da sie so klagte und die Hände 
rang, vernahm sie (II, 3). 

Eins der Mittel, durch welche Musäus seine Sprache so klangvoll 
und flicssend gestaltet, ist die Stellung der Wörter. Und auch hier 
zeigt sieh der Einfluss der Lutherbibel. 

Das Neuhochdeutsche setzt in Aussagesätzen, die nicht durch ein 
Adverbium eingeleitet werden, der Regel nach das Subject vor das 
Prädicat. In der Luthersprache findet sich dagegen wiederholt die 
Inversion: vgl. Samuel 2, 15. 26: „Spricht er aber also" . . . . 
Matth. 2G, 7: „Trat zu ihm ein Weib" .... Musäus: „Trat Jwrein 
der weiland hocliberühfnte Arzt." 



*) „Tritt herzu" wörtlich: Libussa. II, 34. 



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— 38 — 



Doch dieser Fall steht in den Volksmärchen vereinzelt da. Eine 
wichtigere Erscheinung enthällt dasselbe Beispiel in der Stellung des 
Adverbiums „herein". In einfacher Prosa lösen wir das Adverb oder 
die Präposition zusammengesetzter Verba ab und stellen sie ans Ende 
des Satzes. (Da trat der Arzt herein.) Die Bibel empfindet häufig 
diesen Factor der Zusammensetzung als den bedeutenderen und hebt 
ihn durch ungewohnte Stellung hinter dem Verbum hervor: Mos. 1, 
12. 19: „und zog aus gegen Mittag"; Mos. 1, 31. 12: „Hebe auf 
deine Augen und siehe." Bei Musäus: „trocknete ab ihre Thränen" 
(I, 142); „Time auf deinem Manne" (I, 147); „da trat hervor Gimxelin" 
(1, 69); „da quoll hervor ein Stück seidenen Tuches" (II. 16). 

Alle diese Züge geben an ihrer Stelle der Sprache eine besondere 
Kraft. Mehr eine blosse Manier scheint die der Bibel abgelernte Art, 
in Nebensätzen, wo doch das Prädicat ans Ende des Satzes gehört, 
diesen Satzteil näher an den Anfang zu rücken, vgl. Mos. 1, 18. 1: 
„da er sass an der Thür seiner Hütte"; Mos. 1, 3. 22: „Nun aber, 
dass er nicht ausstrecke seine Hand"; Jesaias 62, 1. 2: „bis dass ihre 
Gerechtigkeit aufgehe wie ein Glanz". Musäus: „bis du gelangst zu 
Ratibor, meinem Sprossen" (I, 111); „dass ich unschuldig bin an dem 
Raube" (I, 118); „bis er ihn brachte gen Hirscliberg an die Thür der 
Herberge" (1, 117). 

Der von einem Wort abhängige Infinitiv umschliesst sonst alles, 
was von ihm abhängig ist. Die Bibel aber sagt Psalm 119, 4 : „Du 
hast geboten, fleissig xu füllten deine Befehle" ; Psalm 119, 10: „lass 
mich nicht fefden deiner Gebote". Musäus: „Hess dareinflicssen einen 
starken IÄquer" (1, 59). 

Wenn Lavater. Hamann, Herder die Sprache der Bibel redeten, 
so gerieten sie, ihrem Wesen und der Anlage ihrer Werke ent- 
sprechend, in den Ton des Propheten. Musäus erinnert im grossen 
ganzen mehr an den epischen Stil der Schrift, er wendet diesen Stil 
vorzugsweise in den Reden seiner Mensehen an, massvoller in der Er- 
zählung selbst. „Libussa" aber neigt mehr zur Sprache der Propheten, 
namentlich an Stellen, wo wirklich geweissagt wird. Fast gegen 
Ende heisst es (II, 67): „Da fiel der Geist der Weissagung auf den 
entzückten Pflüger; er that seinen Mund auf und sprach: Ihr Boten 
der Fürstin Libussa . . vernehmt dir Worte Primisla's. des Sohnes 
Mnatha's . . . Wenn dann hervorgeht der Göttersohn, der seines 
Pflügers Freund ist und ihn entledigt der Selarenkctten, Aftcrwctt 
merke darauf! so wirst Du Dein Schicksal segnen." 



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- 39 - 

Die Bibel drängte sich so stark dem Gefühl des Erzählers auf, 
dass er sogar eine alttestamentliche Sitte einführt. Als Crocus 
(Libussa) das Ende seiner Gemahlin erfuhr, „zerriss er sein Kleid". 
Aber wir wollen es aufgeben, immer die Bibel vergleichsweise heran- 
zuziehen. Zum Zeichen, dass Musäus auch sonst in älterer Litteratur 
erfahren ist, dienen Anspielungen in Redensarten wie: „Geschlechts- 
klitterung" (II, 53), „Rollwagengesellschaft 1 ' (I, 137) und die Gegen- 
sätze: „Schimpf" und „Ernst" (II, 148). 

Durchgehende Erscheinungen sind, dass die Verba der 2. Ab- 
lautsreihe älteren Lantstand aufweisen: fleuch (I, 110), verdreusst 
(I, 13G), sehleuss auf (II, 79), gebeutet (II, 35); dass neben vollen 
Formen, die alten, ohne „ge" gebildeten Participia: brachst (II, 19), 
fanden (II, 23), kommen (I, 125 u. II, 24) gebraucht werden, und 
dass eine Menge von Adverbien auftreten, die zum Teil ganz un- 
gebräuchlich sind, zum Teil nur veraltet in der bei Musäus an- 
gewandten Bedeutung, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass sie noch 
dialektisch fortleben: schier = sehneil; traun (I, 100); zu handen 
(II, 24); bei handen (so sehier ich immer konnte II, 88). Zu diesen 
kommen vier von der Bedeutung „sehr": Bas (I, 116) und gar, bei 
Adv. und Adject. gebraucht, bei Verben: fast und viel (gl. den rahd. 
und aueh heut noch dialektisch üblichen Adverbien): „So muss ich 
eure Wirtschaft fast rühmen" (II, 135). (Vgl. 1. Mos. 12, 4: dass 
sie fast schön war.) „O holde, zarte Frau, viel schlimm ist diese 
Botschaft" (I, 71). Vgl. III, 8. 

Man kann nicht entscheiden, ob alle diese Elemente mehr Reminis- 
cenzon aus der Bibel oder aus dem Volksliede waren; jedenfalls aber 
sind mehr auf die Einwirkung des letzteren die mit „lieh" und „sam" 
gebildeten Adjectiva und Adverbien zurückzuführen, die nicht jedes 
einzeln genommen, aber in ihrer Massenhaftigkeit und als vielfach eigen- 
tümliche Neubildungen die beabsichtigte Wirkung hervorrufen: 

tugendlich, züchtiglieh, gemeiniglich, geflissentlich, bänglich, 
strät-klieh, vornehmlich, sichtbarlich, getreulich, trüglich, bitterlich, 
mildiglich, kühnlich, ininniglich, männiglich. 

genugsam, allgenugsam, sattsam, gemachsam, tugendsam, horchsam, 
lauersam, gesprächsam, deutsam. 

Das steigernde „gar" pflegt man nirgends häufiger als im Volks- 
liede mit seinen Nachahmungen zu hören. 



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— 40 — 

Diese altertümlichen Elemente der Sprache verstärkten die Farben 
in dem ^eitbilde der Erzählungen, man findet sie in den Volksmärchen, 
die sich der Zeit des Verfassers näherten, etwa in der 5. Rübezahl- 
legende, seltener. 



Das Volkstümliche. 

Es wird noch später auszuführen sein, wie Musäus in der 
Charakteristik seine Idee verfolgte, das unverdorbene gesunde Volk 
einer verbildeten und eingebildeten Welt gegenüber zu Worte kommen 
zu lassen. Es war natürlich, dass er bei einem solchen Ziel den 
Ausdruck des Volkes ehrte und sich denen anschloss, die ihn litteratur- 
fähig zu machen suchten, einem Adelung aber, der sich auf ein vor- 
nehmes Schriftdeutsch (meissnerisch zugeschnitten), ohne alle Bei- 
mischung volkstümlicher, gar dialektischer Elemente versteifte, nicht 
zu Gefallen arbeiten konnte (Adelung, 1781: Über den deutschen Stil). 
Sonst ist wohl in der Sprache ein Unterscheidungsmittel zur Charakte- 
ristik Gebildeter und Ungebildeter gesucht worden, wie sich Wieland 
im „Don Sylvio" für seinen Diener Pedrillo eine niedere und doch 
nicht gerade unkünstlerische Redeweise geschaffen hat : durch Umständ- 
lichkeit der Rede, weites Ausholen, beteuernde und verschwörende 
Unterbrechungen: Potz Herrich; Potz Velten — Ich will zu einem 
Kohlhaupte werden; durch Wortverdrehung: Artischokeles für Aristoteles 
und durch manche „Circuraherumschweifungen". 

Musäus aber wählt den Ausdruck des Volkes als den kraftvolleren. 
Darum sind in erster Linie die Geräusche dialektisch wiedergegeben. 
Der Wächter „karjohlt" (III. 84) aus der rauhen Muramenkehle ein 
verjährtes Brautlied; ein Zorniger „rausaunt" (I, 140); die Minnesprache 
des Katzengeschlechts ist „miaulen" (I, 74); ein böswilliger Kater 
„queilt" (I, 74); Mäuse „kraspeln" (III, 8G). Grob ist eine „grölzende'' 
Stimme (III, 133). Gleiche Anschaulichkeit und Eindeutigkeit haben 
die Wörter: blinzen (II, 9C) und glosen (II, 89); flennen, maulen (III, 79), 
(durch Blick oder Wink) jemanden ankörnen (II, 80), von koketten 
Mädchen gesagt, versclinanben, schmorgen (I, 121) (= sich abdarben), 
„kehrisch" (II, 129) für einen flatterhaften Gesellen (Müller, unter der 
Anmerkg. II. 173) vgl. Henipel II, 62: kürisch. 

Das Volk lebt in den Bezeichnungen, die aus dem Gebiete seiner 
Thätigkeit, seines Gewerbes entnommen sind. Franz „heuert" (II, 118) 



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— 41 



(d. h. er kauft, mietet) einen Spiegel. Rübezahl „bosselt" (I, 161) mit 
einem Studenten (er schiebt Kegel; derselbe Ausdruck auch bei Prä- 
torius). Aus der Jägersprache stammt: „er horchte und windete" (III, 80); 
„Brahne" (I, 16) für Waldrand; vom Bergbau: „Lachter (I, 100), 
Schürf (III, 135) und Schwaden« (I, 100); vom Garten- und Landbau : 
„ein Blumenstock ist beklieben" (III, 102) (d. h. er hat gut angesetzt), 
Graslasten sind hochgepanst (I, 141) (Banse ist die Schranke, hinter 
der in der Scheune das Getreide aufgespeichert wird), die Sensen 
werden getängelt (II, 10); der Handwerksbursche trägt seinen „Wad- 
sack" l ) (III, 148) (Kleider-, Rucksack); der Schneider sitzt in seiner 
„Hölle (I, 126) oder Höllbank" (I, 147) (= Schneidertisch); vor allen 
Dingen fehlt hier nicht das Handzeug der Hausfrau: Spindel, Weife, 
Spinnstock und Hechel. Entgegen der geheimnisvollen ärztlichen 
Diagnose haben die Leute ihre bestimmten Bezeichnungen für gewisse 
Krankheiten: Fräsch, Herzgespann (I, 45), Kriebelkrankheit (I, 164); 
Tiere, Blumen und Bäume tragen ihre landesüblichen Namen: Kolk- 
rabe (I, 102) und Hipplein (I, 141); Liebstöckel, Mannestreue (II, 90), 
Masliebchen, Weymuthskiefer, Eibenbaum und die rot gesprenkelten 
Fohren (I, 30). Die grösste Mannigfaltigkeit herrscht in der Münz- 
bezeichnung; es giebt: Engelgroschen (II, 152), Gutfreytagsgröschel, 
Sechsgrotstücke (II, 153), Buchhorner Heller (U, 97), Dickthaler (1, 142) 
u. 8. f. Nationalspeisen erkennt man wohl in: „Apfelkröbsen (II, 153), 
Krüselbraten (II, 113), Raspelsemraeln (I, 81), Biermus (II, 134), Strözel 
und Butterkringel 1 ' (I, 142). „Kränzeljungfrauen" (I, 113) begleiten 
die Braut bei ihrem schönsten Fest; der „Hochzeiter 14 (HI, 85) hat sie 
mit dem „Mahlschatze" (III, 152) erworben. 

Wurden so „Mannsen und Weibsen" an ihre Arbeit und Erholung, 
an das Alltägliche und Festliche erinnert, so hörten sich weiterhin die 
Leute wie sie unter einander „kosen" (= freundlich sich unterhalten) 
und schelten. Im freundlichen Verkehr nennt man sich „Meister 
Schwimmart (I, 105), Mutter Ilse (I, 148), Freund Theophrast (n, 88), 
Vater Martin (III, 135, 136), Nachbar Blas" (III, 136); ein kräftiges 
Kind ist „ein Junge wie 'n Daus" (I, 139). Aber beim Schelten heisst 
es: „Du Schadenfroh (I, 145), Springinsfeld, du treulose Metze, du 
Galgenaas (III, 129), Trödlerin (III, 160), Gauch, Saufbold, Land- 
fahrer (III, 161), Balg (III, 41), Schlemmer (III, 146), Vollzapf, 
Lungerer, Trunkenbold (III, 145), Halunke (I, 145), Lump (I, 158). 



') Hempel: II, 118 Watsack. 



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Zur Derbheit gesellt sich Lebendigkeit. Volkstümliche Inter- 
jektionen wie: Husch (war sio an der Thür) (I, 12G), Gemach (edler 
Ritter) (II, 25), (Und) zack, zack (war er zum Thore hinaus, nämlich 
ein Reiter) (II, 137), Topp, murmelte der Bär, topp sprach der Graf (I, 12), 
gemahnen auch liier an die Eigentümlichkeit der damals modernen 
Volksdichter (vgl. Bürgers Manier: „Und hurre, hurre, hopp, hopp, 
hopp." „Sasa Gesindel, husch, husch, husch' 4 ). 

Nicht zuletzt aber verraten eine Unzahl von Sprichwörtern, von 
denen zuweilen drei, vier in einem Satze stehen (I, 130), wie der 
Mann aus dem Volke über Gut und Böse denkt. Sie weisen auf ver- 
lorene bessere Zeiten: Andre Zeiten, andre Sitten, Heut zu Tage giebt 
es keine klugen Kinder mehr (II, 9)'); loben die Pfiffigkeit: Einer 
hat den Beutel, der andre das Geld (I, 158), Not kennt kein Gebot (1, 102). 
Wer bei der Schüssel sitzt und nicht zugreift, der mag darben (I, 158); 
empfehlen ruhig Blut: Blinder Eifer schadet nur (I, 75), Vorgethan und 
nachbedacht hat in die Welt viel Unheil bracht, Zum Laufen hilft 
nicht schnell sein (III, 87); zeigen heimatlichen Stolz: Hinter dem 
Berge wohnen auch Leute; und guten Glauben an das Glück: Wer 
nicht wagt, der nicht gewinnt (I, 158), Es geht mehr als ein Weg 
durchs Holz (III, 123), wer s Glück hat, führt die Braut heim (III, 161). 
Es ist wohl keine imwahrscheinliche Vermutung, dass Musäus selbst 
diese Sätze recht oft im Munde geführt haben mag. Verschiedene, 
namentlich der letzte, finden sich in sindern Schriften von ihm wieder, 
und er glaubte, was er mit dem Sprichwort sagt: „Es treibt sich 
keine Rede im Volke um, es liegt ein Körnlein Wahrheit darinnen 11 (1, 138). 
Eine Vorschrift dieser Weisheit von der Gasse scheint aber das Motto 
seines Lebens gewesen zu sein, darum führt er diese „goldne Regel"' 
in dem Volksmärchen an, wie sie „drei weise Nationen wegen ihrer 
Brauchbarkeit so kurz und rund in drei Worte eingeschlossen haben' 1 : 

Ne quid nimis. Rien de trop. 
Allzuviel ist ungesund (I, 93). 

Wo unter den vorher angeführten Ausdrücken des Volksmundes 
Dialektisches vorkam, ist es natürlich thüringisch. Manchmal stellt 
es sich dem Thüringer von selbst ein; mitteldeutsche Formen wie: 
kömmt (II, 135), förder (IT, 141), sönnete (I, 138)2): Bildungen mit 
er-: erlustigt (I, 104), ersterben (I, 127, 8) (mit denen namentlich 



') „Kluge" fehlt bei Hcmpel III, 45. 
*) Doch uur in 1. Aufl. 



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— 43 — 



Otto Ludwig dialektische Färbung erstrebt) sind selten. Ein Satz 
wie: „'Hab eine Bitt' an Euch, lieber Fremdling" (II, 103) ist nicht 
als dialektisch aufzufassen, sondern als Rest einer litterarischen Manier, 
die Lichtenberg spöttisch den böotischen Dialekt nannte. 

Niemals war das Mundartliche, wo es vorkam, bestimmten Per- 
sonen zur Unterscheidung in den Mund gelegt. Dies geschieht nur 
an wenigen Stellen. Wie sich Peter Bloch übor seinen hungrigen 
Sprössling erbarmt, redet er gutmütig bittend" „in seiner fränkischen 
Mundart": „W'eibelä gib' doch dem Bübelä ä Schlägelä von dem 
Hennelä" (III, 138). Und Juden reden immer ihr Judendeutsch. Einer 
beteuert: „Soll mir Gott!" (III, 107). Ein andrer schreit: „Au weih 
mir! Wie geschieht mir — hat die Kunst falliert, so ist die Ursach 
davon, was ich nicht weiss" (I, 60, 61). 



Das Poetische. 

Die poetischen Elemente der Sprache lassen sich nicht so stark 
aus dem Wortschatze allein herauslesen, wie die altertümlichen und 
volkstümlichen, da die Worte erst in ihrer Verbindung mit andern und 
in ihrem Verhältnis zum Gedanken poetischen Wert erhalten. Man 
kann aber den meisten altertümelnden Wörtern (wenn sie nicht humo- 
ristischen Zwecken dienen) poetischen Gehalt beilegen, da sie nur in 
gehobener Sprache zur Anwendung zu kommen pflegen, ebenso Wörtern, 
von denen man bestimmt weiss, dass sie ausschliesslich einem höhern 
Stile angemessen sind, wie „harren" (II, 45), das Diminutivum 
„Bettlein" (I, 121), „Beilager" für Hochzeit, „Buhle" (I, 122) für Lieb- 
haber und „Fein Liebchen" (I, 121, 126), von denen uns die meisten 
aus der Volksdichtung geläufig wurden. Als poetische Elemente werden 
wir fernerhin alle Anklänge an bekannte Dichtungen betrachten, wofern 
sie nicht andern als poetischen Zwecken dienen. Neben jenen An- 
klängen an Luthers Lyrik lassen sich aus Bürgers Lenore anführen 
die Wendungen: hin ist hin (tot ist tot) (I, 65); hilf Gott (welch ein 
Gesicht) (III, 24); wie von Kusses Hufen (II, 44)": „Pater Graurock": 
Bürgers „Bruder Graurock und die Pilgerin". 1 ) Von der Strasse her 
dringt das Kinderlied hinein: „Hast I^edor und keinen Leisten 

') Vgl. auch d. Motiv dieses, aus dem Engl, geschöpften Ged. mit 
d. 2. Rübezahlleg. 



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— 44 — 



dazu" (I, 158); dazu Weisses viel gesungenes: „Ohne Lieb' und ohne 
Wein, was wär' unser Leben" (II, 70); und die erste Zeile des noch 
viel verbrei toteren Liedes: „Malbrough s'en va-t-en guerre" l ) (III, 94). 
Ebenso beginnt mit einem Kirchenlied ein Absatz in der „Stummen 
Liebe": „Hinunter war der Sonnenschein, die finstre Nacht brach stark 
herein, als Franz mit einer Laterne in der Hand" etc. (Johann Porst, 
Geistl. und Liebliche Lieder. 1792 No. 662.) (II, 143). 

Aber Anklänge an Poesien und Citate aus denselben machen eine 
Darstellung noch nicht poetisch. Wir begnügen uns darum, auf diese 
Spuren nur hinzuweisen. Mehr hingegen spricht sich die Neigung 
zum poetischen Stil in durchgehends wiederkehrenden Formen aus. 
Auf eine vom Prosaischen abweichende Stellung der Wörter führte 
schon der Vergleich mit der Bibelsprache Luthers. Es lassen sich 
jenen Beobachtungen noch hinzufügen: 

1. Die Stellung des Genitivattributs vor seinem Beziehungswort: 
„In der Venediger Dienst" (I, 143), „des Tages Schimmer" (I, 38), 
„keines Menschen Freund" (II, 148) etc. etc. 

2. Nachstellung des unflectierten attributiven Participiums: „da der 
Greis sich auf sein Lager streckte, von dürrem Laube zubereitet" (II, 91). 

3. Die Libussa enthält kunstvolle Kreuzstellungen innerhalb einer 
Periode: „Kannst Du auch dem Sturmwind wehren, wenn er sich 
aufmacht, seine Äste zu entblättern? oder wenn ein verborgener Wurm 
in seinem Marke nagt, kannst Du ihn hervorziehen und zertreten?" (II, 40). 
„. . . . Die weibliche Hand ist sanft und weich, gewohnt, mit dem 
Wedel nur kühle Luft zu fächeln; aber sehnig und rauh ist der männ- 
liche Arm" (II, 59). 

Als poetisch sehr einfacher Mittel, wie sie echten Volksmärchen 
eigen sind, bedient sich Musäus der formelhaften Wiederholungen und 
Aufzählungen, vor allem gern in den Reden der Menschen: 

I. Emma sendet (1. Legende von Rübezahl) (I, 110) die Biene 
aus: „Fleuch, liebes Bienchen, gegen Aufgang", sprach sie, „zu Ratibor, 
dem Fürsten des Landes, und sumse ihm sanft ins Ohr." Als die 
Botschaft vereitelt wurde, sandte sie die Grille (I, 110): „Hüpfe, kleine 
Grille, über das Gebirge zu Ratibor, dem Fürsten des Landes und 
zirpe ihm ins Ohr." Hier besteht die Wiederholung nur in einem 
Parallelismus der Worte. Buchstäbliche Wiederholungen zeigen andere 



') Vgl. über d. Einfl. der Worte dieses Liedes Klees Ausgabe d. 
V. M. 1897, S. 650 Spalte 1. 



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Stellen; aus der Nymphe des Br. (II, 2): „Kleinhänsel, schau aus! 
Was rauscht durch den Wald? Was trappelt im Thal? Wo wirbelt 
der Staub? Trabt Wackerraa nn an?" — Kleinhänsel antwortet: „Nichts 
regt sich im Wald, nichts reitet im Thal, es wirbelt kein Staub, kein 
Federbusch weht" Zweimal hört man in derselben Erzählung die 
Frage der Mathilde (II, 20, 27): „Amme, wo habt Ihr mein Kindlein?" 
Zweimal die Antwort: „Edle Frau, das zarte Herrlein ist in Euem 
Armen." l ) 

II. Aufzählungen enthalten die 3. Rübzahllegende (I, 130): „Einer 
sprach: Junges Blut, spar Dein Out; der andre: Iloffahrt kommt vor 
dem Fall; der dritte: Wie Difs treibst, so geht's; der vierte: Jeder 
ist seines Glückes Schmied — " und Libussa (II, 48): „Der eine lobte 
ihre Sittsamkeit, der andre ihre Bescheidenheit, der dritte ihre Klugheit, 
der vierte ihre Unfehlbarkeit — , der fünfte ihre Uneigennützigkeit 
gegen Katfragende, der zehnte ihre Keuschheit, andre neunzig ihre 
Schönheit und der letzte ihre Häuslichkeit". 2 ) 

Allein diese immerhin selten angewandten Formen würden nicht 
den Ausschlag geben. Dazu gesellen sich nun aber andere Formen, 
die viel häufiger, in allen Märchen vorkommen und den poetischen 
Eindruck erhöhen: das Hendiadyoin in Zwillingsformeln, vielfach ver- 
stärkt durch Allitteration und Binnenreim, und der Vergleich. 

Dieser letztere durchwandelt den Weg von seiner knappesten 
Form bis zur homerischen Ausführlichkeit und lässt schön erkennen, 
wie deutliche und reizende kleine Bilder Musaus mit seinem geistigen 
Auge sah und wie namentlich sein Sinn mit den Erscheinungen in 
der Natur vertraut war. 

In der ersten Form, der Zwillingsformel, treffen wir neben Neu- 
bildungen die bekanntesten Wendungen: In Schutz und Schirm, steif 
und starr, Gut und Geld, frank und frei, flugs und fröhlich, bergab, 
bergan, über Stock und Stein. Oede und wüste, weder Ziege noch 
Böcklein, wider Willen und Dank, vor Gram und Harm, Mühe und 

1 ) Vgl. (I, 121) „Wenn der Apfelbaum zum 3. Male blühet und die 

Schwalbe zu Neste trägt, kehr' ich heim von der Wanderschaft 

Nun blühete der Apfelbaum zum 3. Male und die Schwalbe nistete." 
Darin ist zugleich die poetische Umschreibung von Zeitangaben be- 
merkbar: vgl. „zur Zeit, wenn Tag und Nacht im Herbst sich gleichen" 
(II, 159). „Nachdem sie neunmal neun Sommer verlebt hatte." 

2 ) Vgl. K. H. M. I. Snewittchen S. 230 (Keclam) die Fragen der 
Zwerge: Der erste sprach: Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen? 
der zweite: Wer hat usw. bis zum siebenten. 



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Arbeit, Thun und Wesen, Art und Natur, Wunsch und Hoffnung, 
Tück und Ränke, zu Nutz und Frommen, Leben und Odem. Schmorgen, 
sorgen (I, 121), der eine war verdorben, der andre war gestorben 
(I, 37), er schämte sich nicht und grämte sich nicht (II, 114), mussten 
Köpfe und Töpfe entgelten (II, 13). 

Grade diese Form bekundet die Redseligkeit, die Weitschweifigkeit 
eines behaglichen Erzählers; sie erfährt darum zuweilen starke An- 
schwellungen: Prunk und Pracht und Reichtum (II, 159); bangt und 
ängstigt und presst das Herz zusammen (I, 124); die Türme der 
Kirchen und Klöster in Städten und Flecken (I, 116); Katzen und 
Marder, die sich beissen und balgen (II, 144). 

Da sich zu diesem Hendiadyoin der Wörter auch das des Ge- 
dankens, wenn man so sagen darf, hinzufindet, indem nämlich ein 
Gedanke um einen ähnlichen oder stärkeren vermehrt wird, so kann 
die Erzählung zuweilen kaum den Eindruck des Pleonasmus vermeiden. 
Gelinde tritt das noch in folgendem Beispiel hervor: „Schweige Deine 
Zunge und bewahre unser Geheimnis" (III, 162). Aber vollkommene 
Tautologie liegt in den Worten: „Darum bin ich kommen, Dich aus 
dem Kerker zu reissen und der Bande zu entledigen" (I, 125); „Man 
trug sich mit allerlei Gedichten und munkelte dies und das" ; . . . 
„Von niemand abzuhängen und keinem Menschen eine Verbindlichkeit 
schuldig zu sein" (II, 116). 

Durch diese Fülle des Ausdrucks soll der Satz voller erklingen ; 
es erinnert die Form aber auch an den Parallelisnius der Psalmen, 
besonders in folgenden Zeilen: „Dein Wink ist die Richtschnur meines 
Ganges, meine Füsse laufen, wohin Du sie leitest, und meine Hand 
hält fest, was Du ihr vertraust" (III, 96). 

Indem so die Sprache einer rhythmischen Gliederung zustrebt, 
ist der Schritt von der Prosa zur völlig gebundenen Rede nur ein 
kleiner, er wird um so unmerklicher, je mehr die Sätze rhythmisch 
wohlklingend gerundet sind. Jenes bei Gelegenheit der formelhaften 
Wiederholung angeführte Beispiel lässt sich leicht in jambisch- 
anapästische Verse abteilen: 

Kloinhdnsel. schau aus! 
Was rauscht durch den Wald? 
Was trappelt im Thal? 
Wo wirbelt der Staub ? 
Trabt Wäokermann an? 



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Ebenso die Antwort. Aber leichter und häufiger fliessen dem 
Erzähler Jamben aus der Feder und schliessen sich zu regelmässigen 
oder ungleich langen Taktreihen aneinander: „Heran, wer treu bei 
Herzog Heinrich hält | und auf Verräter Fluch und Dölch", ruft jener 
Herzog, wie er unter die Hochzeitsgäste seiner Gattin fährt (III, 85). 
In der allerersten Erzählung sucht Edgar der Aar die ihm bestimmte 

1 2 3 4 1 2 

Braut (I, 15): „Ich sehe Dich, ich suche Dich | fein Liebchen, ach 

3 4 1 2 3 4 

verbirg Dich nicht; | rasch schwing' Dich hinter mich aufs Ross | Du 

1 2 3 

schöne Adlerbraut. || 

Manchmal fallen einzelne Glieder eines Satzes liedartig heraus: 
„Die goldnen Sterne funkelten noch hell am nächtlichen Himmel, der 
Zug ging über Stock und Stein, Berg auf, Bergab, durch Wüsten und 
Wälder, über Steppen und Felder, sonder Ruh noch Rast, im vollen 
Trab" (I, 27); und man sieht, dass sich auch der Reim dazu gesellt. 
Gereimten Versen begegneten wir in Form einer Reminiscenz schon 
einmal (Hinunter war der Sonnenschein). Ähnlieh schliesst ein 
Absatz: „Der Schnee zerfloss, die Rebe schoss, es grünte der Wald 
und in der Kirche wurde das veni creator intoniert" (III, 7). 

Auf diese Weise dringen Rythmos und Reim sogar in den 
epischen Teil der Märehen, wie viel mehr aber in Reden, Fragen und 
Antworten der darin auftretenden Personen, um dadurch einer allgemein 
märchenhaften Eigentümlichkeit zu entsprechen! Und naturgemäss 
nehmen die im Märchen so beliebten Zauber- und Beschwörungs- 
formeln die erste Stelle ein: „Winde Dich wie ein Knäuel | Und 
runde Dich wie ein Plauel" (III, 53); damit verunstaltet eine zauber- 
kundige Dame ihren aufdringlichen Gast. 

Das Geschenk des Albertus Magnus hört auf folgenden Spruch: 

Spiegel blink, Spiegel blank, 

Goldner Spiegel an der Wand, 

Zeig mir an die schönste Dirn in Brdbant. (I, 49 etc.) 

Mathilde bringt den Bisamapfel zu einer Wirksamkeit, die in ihren 
Worten liegt : Hinter mir Nacht, vor mir Tag, dass mich niemand 
sehen mag" (II, 12). „Die Augen zu, bleibt alle in Ruh'» (II, IG). 
Dazu kommen Schimpfverse: 

Vollbrechts Ilse, Niemand will sc 

Die böse Hülse; Da kam der Koch, 

Peter Bloch, Und nahm sie doch (III, 137) 



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und andere Verse, denen man zwar nicht anmerkt, dass sie so direkt 
wie die letzten von der Strasse aufgefangen sind, die aber doch bald 
wie Märchen = bald wie Volksliederverse anmuten: Mathildens 
Einführungsrede: „Bin eine Waise, Mathilde ich heisse etc." (II, 13). 
Aus Liebestreue: „Ach, möchtest Du bald bei mir sein, Jutta, Herz- 
geliebte mein« (III, 10). 

Aus d. Stummen Lieder: „Spinn Töchterlein, spinn, Der Freier 
sitzt darin" (II, 161). Aus der Entfuhrung : „Ich habe Dich, ich halte 
Dich, nie lass ich Dich; || fein Liebchen, Du bist mein, fein Liebchen, 
ich bin Dein — mit Leib und Seele usw." (I, 175). 

Seltener sind poetische Dichtungsgattungen in prosaischer Fassung, 
die Rätsel, Fabeln und Parabeln. Sie beschränken sich eigentlich 
auf die Libussa und gehen zum Teil auf die Vorlage zurück. Von 
poetischer Kraft, sind sie ausserdem zur Motivierung ausgenutzt. 
Nur vergleichsweise wird im Schatzgräber die Parabel vom Sonnen- 
schein, der stärker ist als der Sturmwind, herangezogen (III, 143); 
in einer Anekdote der dritten Rübezahllegende steht das Rätsel, ob 
der Eichbaum früher war oder die Eichel (I, 129). Als Elemente 
didactischer Poesie könnten eine Anzahl sentenziöser Aussprüche 
gelten, die sich vielfach dem Wesen und der Form des Sprichwortes 
nähern. 

Das Humoristische. 

Wo Musäus alle diese Elemente des Stils, die altertümlichen, 
volkstümlichen und politischen, in eine ihrem Wesen entgegengesetzte 
Beziehung bringt, da treffen wir den Kern seines Humors. Jean Paul 
definiert den Humor in seiner Aesthetik als das „umgekehrt Erhabene". 
Diesen, etwas gezwungenen Ausdruck kann man vielleicht an Musäus 
deuten, da Jean Paul sich mehrmals in der „Vorschule zur Aesthetik 1 ' 
auf Musäus als einen trefflichen Huraoristen beruft. 

Musäus bethätigt seinen Humor hauptsächlich darin, dass er etwas 
Bedeutendes als Gemeines, oder etwas Gemeines als Bedeutendes be- 
handelt. Das lag in der Natur seines Wesens und seiner Zwecke: er 
musste ernüchtern und wollte ernüchtern. In dieser Hinsicht wirken 
nun am meisten die Charaktere der vorgeführten Menschen und die 
Situationen, in welchen sich diese befinden, aber auch der Sprache 
drückte jene Geistesrichtung ihren Stempel auf. 

Sehr auffallend macht sich das gleich darin bemerkbar, wie Musäus 
zu vielen Fragen des socialen und litterarischen Lebens bald in kleinen, 



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bald in ausgeführten, aber in immer ziemlich directen Anspielungen 
Stellung nahm. Mochte sein Verfahren jener und der nächst folgenden 
Zeit musterhaft erscheinen, spätere Generationen fühlen die Anspie- 
lungen als einen Mangel seines Stils; je weiter ihr Gegenstand in die 
Vergangenheit rückt um so unverständlicher werden sie und ihre Würze 
geht verloren. Schon Wieland erklärte sich für unfähig (in seiner 
Vorrede zur Ausgabe des M. 1804/5), alles zu deuten, aber er hütete 
sich wohl, an den Märchen zu ändern. Die Ausmerzung jener Eigen- 
tümlichkeit verlangt die grösste Feinheit und Vorsicht, wenn dem 
Eindruck nicht Abbruch geschehen soll. Heinrich Meissner hat in 
einer Auswahl von Volksmärchen jene Ausmerzung vollzogen; dem 
Gemeinverständnis sind die Erzählungen dadurch näher gerückt, aber 
für den Eingeweihten erscheint die Bearbeitung an manchen Punkten 
ziemlich flach. Meissner erzählt z. B.: Denn Rübezahl, müsst ihr 
wissen, ist ein launenhafter Gesell, heute ungestüm, roh, stolz, eitel, 
störrisch, morgen gutmütig, edel, empfindsam. — Diese Prädikate 
hätte Musäus seinem Rübezahl in solcher Anzahl und Auswahl 
niemals beigelegt, zumal da sie gar nicht alle mit den folgenden 
Sehilderungen dieses Berggeists übereinstimmen; aber er verfolgte 
seinen Nebenzweck und sagte: Freund Rübezahl, sollt ihr wissen, ist 
wie ein Kraftgenie — und dann macht er in einer Flut von kräftigen 
Attributen einem Unbehagen Luft, das die Kraftgenies ihm lange ver- 
ursacht hatten. 

Wir wissen, dass „Kraftgenie'' ein sehr gebräuchliches Schlag- 
wort war und bemerken damit an Musäus eine Richtung seines Witzes, 
die er mit allen gut belesenen Köpfen teilt, indem er nämlich durch 
Schlagwörter, die ähnlich wie Citatenwitze wirken, den Sinn der 
Leser aufmerksam macht. Gewöhnlich haben diese Schlagwörter in 
den Ohren der Zeitgenossen einen grossen Klang, den die Anwendung 
zerstört. Musäus erwähnt, dass der schwer beleibte Friesländer des 
Grafen von Gleichen kein „Hypogryph" gewesen sei (III. 81); einen 
handfesten Waldritter, der seine Gäste mit einer Tracht Prügel ent- 
lässt, nennt er einen Menschenfreund (II, 133). Und das ist ein 
Titel, den man grade in jenen Jahren den Edelsten und Besten auf 
ihr Monument setzte. ') Die Menschenliebe zu befördern, masste sich 

') In Frankfurt/Oder stehen zwei Denkmäler aus dem vorigen 
Jahrhundert. Das eine rühmt an Leopold von Braunschweig die 
Menschenliebe; auf dein andern bezeichnet ein Spruch der Karschin 
Ewald v. Kleist als deu Menschenfreund, den weisen Kleist. 

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ausserdem der Physiognomist Lavater an. Mit dem Prädikat physiog-- 
nomisch" treibt der Dichter vielen Spott. Ein Bettler auf der Weser- 
brücke (Stumme Liebe) nimmt jeden aufs „physiognomische Korn", 
ob von dem etwas zu erwarten sei (II, 163). Weil Lavater seine 
Physiognomik in „Fragmenten" herausgab, so ist Steffens, wie er seine 
zerbrochenen Glasscheiben zusammenliest, ein unglücklicher „Frag- 
mentensammler" (I, 146). Rübezahl wird durch die Liebe zum 
romantischen Schwänner, zu einem „Gartengenie" und „Wald- 
mysanthropen" (I, III). Miaulende Katzen sind lästige „Minnesänger" 
(I, 74). Hier vernichtet der Zusammenhang die Bedeutung des 
litterarisch bekannten Wortes; andererseits vernichtet dieses Wort die 
Zartheit eines Gedankens, mit dem es im Znsammenhang steht, wie 
das der von Thümmel aufgegriffene Ausdruck inoculierte Liebe thut. 
(Vgl. I, 103 der inoculierte Berggeist.) Namen wie „Mnrner" für 
einen Kater, einem komischen Heldengedicht Zacharias entlehnt 
(„Murner in der Hölle"); „Freund Hein" (I, 20), den, nach Gödeeke, 
zuerst Claudius für den Tod eingeführt hat; weitere Ausdrücke wie: 
„Von deutscher Art und Kunst (II, 1 15); Haupt- und Staatsaktion 
(II, 136), Schnaken, Schnurren und Charakterzfige" ') (IH, 158), 
zeigen, wie Musäus solche litterarische Worte auch nur um der 
Reminiscenz willen anwandte. 

Diese Manier widerstrebt natürlich der volkstümlichen Tendenz 
im Stile der Volksmärchen, und mit ihr die Anwendung einer Anzahl 
von Fremdwörtern. Darin hat nun wieder Wieland einiges bessern 
wollen; aber grade innerhalb der an volkstümlichen Tönen so reichen 
Sprache üben diese durch den Kontrast eine grosse humoristische 
Wirkung aus. Das Fremdwort ist entweder vornehm; dann muss es 
nur niedern Dingen und Verhältnissen beigelegt werden. Ein Tölpel, 
der noch niemals hatte kochen können, wird aufgefordert, sofort ein 
cochon farci en haut goüt anzufertigen (I, 86); ein Jude zeigt grosse 
Prädilection für die edleren Metalle (I, 63). 2 ) Oder das Fremdwort 
ist kalt, ein technisches, praktisches Hülfsmittel von prägnanter Farb- 
losigkeit; dann dringt es bei Musäus, mit andern Ausdrucksmitteln 
aus praktisch-technischem Gebiet in die Welt des Gemüts und der 
Ideen zersetzend ein: So kann man sich bei Musäus „über Herzens- 
angelegenheiten expectorieren" (II, 160). „Die irdische Masse" des 

l ) Titel einer Schrift von J. J. A. v. Hagen. Berlin 1783. 2 Bd. 
anonym. 

* 2 ) Hempel III, 59: „Vorliebe". 



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Landgrafen Ludwig wurde von der Heiligkeit seiner frommen Bett- 
hälfte dergestalt „irabibiert" (III, 76), dass er sogar den Ehrentitel 
eines Heiligen erhält. Das Herz „verweigerte seinen 'Assent' zu allen 
Motiven dos Sprechers im Oberhause u (aus der Parlamentssprache) (I, 50). 
„Eine reine und unbeflekte 'Politur 1 des Gewissens." 

Im ähnlichen Sinne wirken auch deutsche Ausdrücke, wenn Liebes- 
gelöbnisse mit einem „Salzhandel" (I, 129) verglichen werden, und 
die Liebe selbst „mechanisch wie ein Flaschenzug" arbeitet. 

An Gerichtswesen, Canzlei und Verwaltung erinnert Musäus in 
seiner Sprache am liebsten: „Die Lebensmittel waren aufgezehrt; 
darum setzte sie den dritten Tag zum peremptorischen Termin", wo 
sie im „Nichterscheinungsfalle" der Alten sich ihre „liegende und 
fahrende Habe" als „verlassenes Gut" anzumassen vornahm (HI, 31). 

Richilde findet „die Anfrage", wer die schönste Dirn in Brabant 
sei, so „gerecht und billig", dass sie kein Bedenken trug, „solche an 
die Behörde" gelangen zu lassen" (die Behörde ist der Spiegel) (I, 48). — 
„Die vertrauliche Session wurde aufgehoben (nämlich Melechsala und 
der Graf von Gleichen stellten ihr Liebesgespräch ein), ohne dass in 
Ansehung des strittigen Punktes etwas entschieden wurde" (III, 112). — 
Im geheimen Konklave des Grafen hatte der flinko Kurt „Sitz und 
Stimme" (III, 112). — Ks beruhte nur darauf, ob Vater Gregor in Bonn 
seine „Benediktion" zu dieser „Matrimonialanomalie" zu erteilen geneigt 
sei (III, 122). 

Die Fülle sind zu zahlreieh, um mehr von ihnen anzuführen. 
Necken sich die Anspielungen auf moderne Zustände samt den Schlag- 
wörtern mit dem altertümlichen Gepräge des Stils, und durften wir 
das Fremdwort .als den Gegensatz des Volkstümlichen bezeichnen, so 
zeigt sich grade diese letzte Art als echtes Widerspiel der poetischen 
Elemente. 

Die Vereinigung eines Höheren mit einem Niedrigeren zu einem 
komischen Bilde sieht man nicht nur in den verschiedenartigsten Wen- 
dungen wie: „der kaiserliche Bauch" (I, 45); Symphonie der Schnapp- 
weise und des Spinnrades — sondern mehr noch in der allgemeinen 
Behandlung der Antike und der biblischen Persönlichkeiten: Die eitle 
Richilde kritisiert die Frauen des Altertums: „die schöne Judith war 
zu plump und vierschrötig, wenigstens nach dem Malerkostüm, das 
ihr von undenklichen Zeiten her die robuste Gestalt eines Schlächter- 
weibes attribuiert, wenn sie den krausbärtigen Kapitän Holofernes ent- 
gurgelt; die schöne Esther war zu rachsüchtig, weil sie die 10 hübschen 

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Jungen des Exministers Haman — henken Hess; von der schönen 
Helena hiess es, sie sei ein artiger Rotkopf gewesen und habe aller 
Vermutung nach Sommersprossen gehabt u. s. f. (I, 49). 

Diese Art mit ehrwürdigen Namen des Altertums zu verfahren, 
hatte vorher Bürgers „Frau Schnips" berühmt gemacht. l ) Die Travestie 
und die komische Romanze wagten sich mehr an die Personen des 
klassischen Altertums als an die der Bibel. 

Die Zerstörung des Nimbus geschieht, wie man aus den an- 
geführten Beispielen ersieht, schon durch einen dem alten Namen bei- 
gelegten modernen Titel oder irgend ein andres ernüchterndes Wort: 
Dame Penelope (I, 49), Vetter Roland (I, 70), Mama, Papa (I, 15). 
Da ja die Personen der Erzählungen dem Bereich der Sage angehören, 
so wirkte es schon allemal komisch, wenn sie salonmässig behandelt 
wurden: „Wem soll sich Madame mitteilen?" (I, 106) heisst es von 
der Prinzessin Emma im unterirdischen Reiche Rübezahls. „Dame 
Richilde" nennt Musäus die Heldin der zweiten Geschichte (I, 57). 
Es ist dies eine Spur von der Eigentümlichkeit Wielands, moderne 
Lebensart auf die Verhältnisse vergangener Tage zu übertragen. 

Humoristen sind vielfach sehr wortschöpferisch. Bei Musäus treten 
aber Neubildungen nicht auffallend hervor. Einige ungewöhnliche 
Worte: „Matrimonialanomalie" (IH, 122), „Furchtgerippe" (I, 76) und 
eine Anzahl der Adjective und Adverbien auf lieh und sam scheinen 
seines Ursprungs zu sein. Nach einer allgemeinen Art der humoristischen 
Wortschöpfung werden aus Substantiven und besonders aus Namen 
neue Bildungen hervorgebracht. Es entsteht so ein „übelhumoristischer 
König" (I, 86). Als ein Arzt zu Rübezalü sagte, Rübezahl sei ein 
Hirngespinst, ein Nonsens, da fährt ihn der Berggeist wütend an : „Hier 
ist Rübezahl, der Dich nonensen wird" (I, 129). — Wackermann ülil- 
finger hat manchen so „zerbasedowt", „wie Armbrecher R(eich), der 
Menschenfreund, den Erzvater der Philanthrophisten" (II, 1). (Basedow 
soll nämlich jenem Reich eine Ohrfeige versetzt und der Geschlagene 
versichert haben, ihm die Arme dafür zu knicken.) 

Mit diesen Ausführungen soll nicht die Untersuchung über die 
litterarischen Einflüsse, welche auf die Sprache der Volksmärchen 
wirkten, abgeschlossen sein. Es sei nur zusammenfassend wiederholt, 
dass die Sprache Luthers, vor allem seiner Bibelübersetzung, den 

') An ihre Lästerzuge erinnert Musäus einmal, um die böse Ilse 
zu kennzeichnen. 



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Verfasser am meisten beherrscht. Sie deckte sich vielfach im Wort- 
schatze und in der Wortbildung mit der Sprache des Volksliedes, das 
vielleicht weniger durch sich selbst als durch seine Nachbildungen 
einen Einfluss ausübte. Bürger konnte nicht nur hierfür mit seiner 
Balladendichtung, sondern auch als Vertreter der komischen Romanze 
zur Erklärung humoristischer Eigenarten herangezogen werden. Hier 
begegnete uns auch Wieland, auf dessen Einfluss häufig verwiesen 
zu werden pflegt Wir dürfen ihn aber nicht zu hoch anschlagen, 
was die Sprache betrifft. Selbst der gefällige Periodenbau, der beiden 
gemein ist, bietet keine Berührungspunkte. Musäus gestaltete in seinem 
ersten Roman, also zu einer Zeit, wo ihn Wieland noch gar nicht 
interessierte, die Perioden viel weitschweifiger nach dem klassischen 
Stil als nachher in seinen Volksmärchen. Sie berühren sich stärker 
in der feinen Ironie, durch die sie ihre subjektive Teilnahme an den 
Menschen ihrer Erfindungen verbergen. Aber auch dieses ist mehr 
ein Zug von Geistesverwandtschaft oder es weist auf eine neue litte- 
rarische Persönlichkeit hin, die Wieland und Musäus gleichmässig 
anzog, auf Sterne mit seinem „sentimentalen" Humor. (Vischer: Aesthetik 
I, 4G8.) Wir werden uns mit dieser Ironie in dem Kapitel über den 
Stiminung8gehalt der Volksmärchen auseinanderzusetzen haben. 

Es steht gewiss fest, dass Musäus die lebendige Rede des Volkes 
studiert, in sich aufgenommen hatte und wiederzugeben verstand, aber 
dem viel belesenen Mann gestaltete sich seine Sprache zu einem 
mannigfach beemflussten Kunstprodukt. 



Stimmungsgehalt der Volksmärehen. 

Musäus erklärte, wie es schon an einer früheren Stelle erwähnt 
werden musste, er sei auf seine Märchenschriftstellerei durch den 
Geschmack der Zeit selbst gelenkt worden. Dieser Zufall richtete es 
wenigstens so günstig ein, dass der Dichter grade im Märchen das 
geeignetste Mittel fand, einen eingewurzelten persönlichen und litte- 
rarischen Gegensatz zum Ausdruck zu bringen. Nach Fr. Th. Vischer 
(Aesthetik 3, II, 5. S. 1299) schafft die Einbildungskraft im Märchen 
ein Weltbild, „in welchem das Naturgesetz zu Gunsten des Begriffs» 
des Gutes sich lüftet. Das Gut im Unterschiede vom Guten ist 
Grundinhalt des Märchens". Vischer trifft damit den wesentlichsten 
realistischen Charakterzug dieser Gattung. „Die Natur wird flüssig 



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und kommt dem Wunsch entgegen, der Mensch bewegt sich frei von 
„„den Bedingungen, zwischen welchen er eingeklemmt ist" u (Goethe). 
Allerdings zieht sich nun in den Begriff des Gutes auch der des 
Guten herein. Das Wunder kommt — wohl gerne dem ver- 
folgten Guten zu Hülfe, doch nicht sowohl der thätigen männlichen 
Tugend, als vielmehr der kindlichen Unschuld, Gutmütigkeit, dem 
holden Leichtsinn und der lustigen Schalkhaftigkeit, besonders gern 
aber der rührenden, schönen, poetischen Dummheit, in welcher ein 
Göttliches, eine grosse Anlage dunkel schlummert; — — — der 
ahnungsvolle geisterhafte Hauch vereinigt sich daher gerne mit dem 
Humor." Es ist aus dem Zusammenhang nicht zu ersehen, wie weit 
Vischer unter dem Eindruck der Märchen von Musaus gestanden hat. 
Wenn jene Darstellung wirklich das Wesen des Märchens trifft, so 
kam es der Anlage und den Absichten des Musäus sehr entgegen 
und stand im Widerspruch zu jener Sentimentallitteratur, die den Un- 
willen des optimistisch Gesinnten erregte. Im Vorbericht hatte der 
Verfasser der Volksmärchen die hierauf zielendo Absicht seiner Arbeit 
mit folgenden Worten ausgesprochen: es wäre an der Zeit, „die Herz- 
gefühle eine Zeitlang ruhen zu lassen, das weinerliche Adagio der 
Empfindsamkeit zu endigen, und durch die Zauberlaterne der Phantasie 
das ennuyierte Publikum mit dem schönen Schattenspiel an der Wand 
zu unterhalten" (I, 5). Genauer noch lernen wir aus einer Stelle der 
„Stummen liebe" die Gattung, welche er angreift, in einzelnen Exem- 
plaren kennen (II, 115). Dort weist er rühmend auf eine Zeit zurück, 
wo man noch den Dietrich von Bern, Hildebrand, den gehörnten 
Seyfried, den starken Rennewart und den ehrwürdigen Theuerdank 
las: „Es gab noch keine empfindsamen, pädagogischen, psychologischen, 
komischen Volks- und Hexenromane, keine Robinsonaden, keine Familien- 
noch Klostergcschichten, keine Plimplamplaskos, keine Kakerlaks, und 
die ganze fade Rosenthalsche Sippschaft hatte ihren Hökerweibermund 
noch nicht aufgethan, die Geduld des ehrsamen Publikums zn ermüden." 
Eine Anzahl der hier angedeuteten Romane kam erst 1784 an die 
Oeffentlichkeit („Kakerlak oder die Geschichte eines Rosenkreuzers aus 
dem vorigen Jahrhundert" — „Geschichte der Familie Rosenthal" — 
„Klärchen Rosenthal, eine abenteuerliche Geschichte", alle 3 der senti- 
mentalen Sphäre angehörig). Damals jedoch, als Musäus anfing zu 
schreiben, 1782 machte bereits 6 Jahre lang ein Werk seinen Einfluss 
geltend, das viel bedeutender als alle mit Namen genannten, den Aus- 
gangspunkt und zugleich den Höhepunkt der jene beherrschenden 



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Stimmung bildet Es war der „empfindsame" Roman Joh. Martin 
Millers: „Siegwart, eine Klostergeschichte". Freilich ist auch dieses 
Werk erst aus dem tiefen Eindruck hervorgegangen, den Goethes 
Werther auf Miller machte. Da man aber thatsäohlich dem Siegwart 
nachher grössere Beachtung schenkte, und weil er einerseits noch nicht 
allzu unwürdig ist, andrerseits die Schwächen des sentimentalen Romans 
in sich zusammenfaßt, so sei er uns ein Behelf, vergleichsweise die 
grossen Gegensätze zwischen Musäus und der empfindsamen Welt zu 
verdeutlichen. Merkwürdig scharf, als hätte dem Musäus der Siegwart 
besonders vor Augen geschwebt, ja manchmal werk würdig äusserlioh 
sogar werden diese Gegensätze zutage treten. 

Um kurz die Erfindung des „Siegwart" zu kennzeichnen, so sei 
hier einiges vom Inhalt vorausgeschickt. Miller will das Leiden schöner 
Seelen unter der Rohheit und den Standesvorurteilen der Mitmenschen 
schildern. Hiermit waren ihm gleich scharfe Gegensätze gegeben- 
Er erfindet zwei Freunde, Siegwart, den bürgerlichen, und von Kronhelm, 
den adligen; Kronhelm liebt Siegwarts Schwester und hat infolge- 
dessen den Zorn seines rohen, eigenwilligen Vaters zu tragen. Siegwart 
liebt die Tochter eines Hofraths Fischer in Ingolstadt, Marianne, nnd 
scheitert an dem Dünkel dieses titelstolzen Mannes. Kronhelm nnd 
die Schwester Siegwarts gelangen schliesslich zum Frieden, weil der 
Vater Kronhelms stirbt. Marianne aber wird ins Kloster getrieben. 
Siegwart folgt ihr auf diesem Wege der Entsagung nach und geniesst 
nur noch das Glück, auf dem Grabe seiner Geliebten, seelisch ver- 
schmachtet, den letzten Seufzer auszuhauchen. 

Die Erzählung spielt in den Kreisen der gebildeten oder doch 
höheren Gesellschaft. Ein adliger Gutsherr, ein Hofrat, ein Amtmann, 
die Kinder dieser Herren und gelehrte, wohlredende Klosterbrüder sind 
die herrschenden Persönlichkeiten; das Volk, Bauern, Diener, Jäger, 
Juden werden mitleidig oder verächtlich behandelt. Der Gegensatz 
steigert sich in der Auffassung des Menschen, die scharf in Schafe 
und Böcke geteilt sind. Der Hofrat verbirgt hinter feinen Formen 
ein eiskaltes Herz, er fordert von seinen Kindern bedingungslose Unter- 
werfung, schlägt die schon erwachsene Tochter, beraubt sie der Freiheit 
und sieht sie lieber verkümmern, als gegen seinen Willen glücklich 
werden. Schon äusserlich noch roher giebt sich der bayrische Gutsherr 
von Kronhelm, der Saufen, Hunde und Waidmannslust gegen die stillen 
Bedürfnisse des Geistes höhnisch geltend macht ; er plagt die Bauern, 
beurteilt den Mann nach seinem ersten Flintenschuss, und schiesst 



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selbst nach dem eignen Sohne, weil dieser seine Herzensneigungen 
nicht nach dem väterlichen Befehl einrichtet. Seine Sprache ist durchweg 
dialektisch, bayrisch. 

Mit ihnen haben sich nun jene andern reinen und gefühlvollen 
Naturen auseinanderzusetzen, die bei jeder Roheit zusammenzucken 
und in glücklich-trauriger Gefühlsseligkeit sich selbst zerfleischen. 
Einseitig wird bei ihrer Schilderung die Ausbildung des Geistes und 
Herzens betont ; die Leute erziehen sich zur Humanität, sie lesen viel, 
schreiben viel; Verse eines Gleim, Kleist und Klopstock führen sie 
gern im Munde, sie citieren, treiben Salonmusik, korrespondieren 
fleissig, führen Tagebücher und dichten. Man sieht in ihnen Gestalten, 
die damals ganz modern waren. Frisches, kerniges Leben ist leider 
nur einigen Bösewichtern geschenkt, die Edlen sind durchweg Schwäch- 
linge, oder wenigstens Leidende, deren überaus reizbares Gefühl jeden 
Augenblick bereit ist, sich in Thränen aufzulösen. Die Nachtigall, die 
Freundin der Thränen, der Mond, die stille Nacht, die kleinen Blümchen, 
alle Spiegelbilder zarter Empfindungen, welche die Natur erschuf, regen 
diese Seelen krampfhaft auf. „Hell scheint der Mond, aber traurig, 
ach ich sah ihn wohl, wie er hinter die Wolke trat und weinte." 
Wenn ein Klosterbruder seine Erinnerungen erzählt, wenn er einem 
rohen Ehemann ins Gewissen redet, wenn man spielt „schmelzend, 
bebend, wimmernd", sogar wenn bei Tafel die Gläser klingen, fliessen 
Thränen. Verzücktes Schweigen ist der Gipfelpunkt der Ueberschweng- 
lichkeit. Viel Leiden, wenig Thaten; viel Beschäftigung, aber kein 
Geschäft! 

Lieben heisst Schmachten und Dulden. Der Verfasser erschöpfte 
sich in den kleinlichsten Symptomen der Leidenschaft. Es ist etwa 
ein Triller, der Marianne hinreisst, ihren Siegwart „schmachtend und 
beweglich" anzuschauen, oder ein Druck von ihrer zarten Hand, „der 
durch Mark und Knochen schauderte". Auch die Freundschaft redet 
diese Weibersprache. Vom Familienleben sieht man nicht viel Erquick- 
liches. Die Familie ist meist gespalten. Wo sich Eltern und Kinder 
nicht gegenüberstehen, teilen sich die letzteren regelmässig in kindlich 
denkende und selbstsüchtige Naturen. Die Tendenz des Schriftstellers, 
die Eltern sollen das Herz der Kinder berücksichtigen, führt über die 
damals herrschenden Zustände hinaus. Die Litteratur jener Jahre 
nahm sich gern der Kinder an und suchte sie bei der Entscheidung 
über ihre Hand selbständiger hinzustellen. Das Eheweib kommt im 
Millerschen Roman nicht recht zur Geltung, von Gattenliebe ist wenig 



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zu sehen, nur die Liebe und Ergebenheit der Kinder wird warm und 
schön ausgemalt 

Moralisches Verhalten und sanfter Ausdruck kennzeichnet die Guten. 
Schelten, Spässe machen, zornig werden ist Sache roher Naturen, am 
profansten aber der Gedanke, nächtlich zu vagabundieren oder sinn- 
lichen Liebesgenuss zu suchen. 

Zur selben Zeit übten bereits die Naturlaute des Volksliedes ihre 
Gewalt aus, und dieser Siegwart schauderte, wenn Ingolstädter Stu- 
denten im Postwagen singen: 

„Das Mädel lob ich mir vor allen, 
„Das Leib und Seele kann erfreun. 4 ' 
Eine solche Poesie führte zur Entsagung und lenkte auch ohne den 
Hinweis auf die stillen Klostermauern das Gemüt vom Leben ab: 
„Komm Gedanke des Todes und küsse mich statt seiner" (des Ge- 
liebten) (Sophiens Tagebuch. Sgwt. 1. Tbl.). Aber der Tod kommt sehr 
langsam. Der Leser ist genötigt, ein qualvolles Hinsterben über viele, 
viele Seiten hin mitzuerleben. Den erlösten Seelen verspricht der 
Dichter den Himmel. 

Der geistige Gehalt des Romans ist nichts weniger als volkstümlich. 
Er ist das Resultat, welches Herder (Schriften 25, 12) der „hohen, 
Aetherischen, unsinnlichen, ganz Duft-, Gewürz- und Moralvollen Er- 
ziehung", wie sie seine Zeit gab, zuschreibt, und steht in schlechtem 
Einklang mit dem, was er die „sinnliche, wenn auch einfältige aber 
sichere, kurze, starke Rührung- und Inhaltvolle Denkart eines Volkes" 
nennt. Zwar auch die Stimme des Volkes hat (Zueignung der Volks- 
lieder. Schrift. 25, 645): Klagen, ermattendes Ächzen der Verstossenen, 
verhaltenen Schmerz, verspotteten Gram, aber auch Liebe, Hoffnung 
und den geselligen Trost, den unschuldigen Scherz, den fröhlichen 
Spott und die helle Lache des Volkes über erhabenen Dunst, über 
verkrüppelnden Wahn. 

Nicht jedes dieser Prädikate lässt sieht auf jedes Produkt der 
Volkspoesie anwenden, aber der Geist, der in den Volksmärchen weht, 
entspricht ihnen in ihrer grössten Anzahl. Der fundamentalste Gegensatz 
zum Siegwart ist nun der: Jener Roman war eine Welt der Thränen ; 
Resignation, schmerzliche Ergebung in das Schicksal war seine Forde- 
rung: die Volksmärchen sind eine Welt der Heiterkeit; hier herrscht 
die Zuversicht auf das Glück. 

Eine Eigentümlichkeit erschwert hin und wieder die klare Er- 
kenntnis, wo die Sympathie, wo die Abneigung des Dichters liege: 



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es ist die Ironie des Humoristen. Kein Ding und keine Person ist 
zu hoch oder zu niedrig, er scheint sein neckendes Spiel damit zu 
treiben. Er verfährt mit den Menschen wie Rübezahl, jener Kobold, 
den er selbst heraufbeschworen hat, aus reiner Freude am Schabernack 
die Menschen in Verlegenheit zu setzen und zu quälen. Am deut- 
lichsten offenbart sich der ironische Zug in der Art, wie das Wesen 
der Menschen und ihr Schicksal kontrastieren. Das wetterwendische 
Glück macht ans tapfern, derben Haudegen, dumpfen Sinnes, aus 
Rolands Knappen: eitle, neidische, lächerliche Trabanten einer listigen 
Königin; es verwandelt einen deutschen Edelmann der ritterlichsten 
Art, den Grafen von Gleichen in einen Gärtner, der einen romantisch 
wilden orientalischen Park nach fränkischer Mode aufstützen soll; einem 
verwegenen Liebhatier (im geraubten Schleier) zieht er die Kutte des 
Heiligen an, und das Volk strömt nach seinem Tode herbei, Zahnstocher 
zu kaufen, die der schlaue Erbe aus dem Stabe des Heiligen anfertigt ; 
ein flotter Offizier denkt sein Liebchen zu entführen (die Entführung), 
er umarmt aber das Gerippe einer verwunschenen Nonne ; schliesslich 
jene oben genannte Königin, die eitle, unzüchtige üracka vermeint, der 
Geisterkönig Dämogorgon solle sich ihr enthüllen — da nimmt Knapjie 
Sarron seinen unsichtbar machenden Däumling ab und vor ihr steht, 
„welcher Kontrast zwischen Original und Ideal, einer von den gewöhn- 
lichen Menschen, dessen Physiognomie weder Genieblick noch Sentiraental- 
geist verriet". Nur eine einzige Erzählung, Libussa, ist fest gänzlich 
frei von dieser Ironie; die Behandlung der Nebenpersonen Hess auch 
hier freilich die alte Neigung erkennen. Entstellt nun aber die Ironie 
auch einerseits, so ist sie doch auf der andern Seits gerecht und sie 
verteilt parteilos Vorzüge und Mängel unter die Menschen. Dieser 
Gegensatz zum Millerschen Roman soll später erläutert werden. 

Treten wir nun in die Parallele ein, so ist es abermals angebracht, 
einen Satz aus Vischers Aesthetik (III 2, S. 1315) an die Spitze zu 
stellen: „Der Stoffsphäre nach vereinigt sich das Komische mit der 
volkstümlichen oder bürgerlichen Opposition gegen den aristokratischen 
Roman." 

Wir bewegen uns bei Musäus in einer durchaus bürgerlichen 
Welt. Die bunte Menschheit des Volksmärchen gehörten in der grössten 
Mehrzahl der Masse des Volkes an : Ärzte, Kaufleute, ein Glashändler, 
Barbier, Beutelmacher, Schneider, ein verlumpter Stadtkoch, Schäfer, 
Ackerbürger, Juden u. dgl. Der Ritter, der Graf, die Dame des Salons, 
die Königin, sogar die Kaiserin fehlen nicht. Aber diese vornehme 



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Gesellschaft macht Musäus bieder und namentlich dem einfachen Volke 
gleich, oder sein Witz packt sie grade bei ihrer vornehmen Schwäche. 
In der fünften Rübezahllegende müssen sich eine Gräfin und ihre 
zarten schamhaften Töchter entstrumpfen und sich Blut abzapfen lassen ; 
in der allerersten Geschichte sieht man eine Gräfin in der Küche 
stehen, mit den Töchtern, und Kartoffeln kochen, weil sie nichts 
Besseres verstehen. Die Ritter und Grafen aber sind meistens rauho 
Gesellen, die ihre Fäuste zum Dreinschlagen benutzen, dem Kriege, 
dem Raube, dem edlen Waidwerk ergeben, nichts weniger als frauenhaft. 
Die vornehmeren Gestalten unter ihnen sind entweder wie der Komtur- 
ritter in der Nymphe des Brunnens farblos ausgefallen, oder sie treten 
wie Primislav (Libussa) bescheiden in den Hintergrund. 

Die Lieblinge des Musäus kennzeichnet, welchem Stande sie auch 
angehören, vor allem andern eine entschiedene Abneigung, sich mit 
Nachdenken oder Lektüre zu befassen. Der Stand geistiger Ausbildung 
ist ein tiefer ; alle Interessen der modernen höhern Gesellschaft werden 
abgelehnt. Von Peter Bloch, der durch einen glücklichen Fund zum 
reichsten Manne wird, hören wir: „die Addition und die Multiplikation 
wollten ihm nie ein und mit der Division hatte er sich all sein Lebtag 
nicht zu befassen gewusst" (III, 139). Was gewinnt nicht vor dem 
fanatischen Seelsorger der zweiten Rübezahllegende Bendix, der arme 
Schustergeselle, der unwissende Laie, der den Engelsgruss und das 
Paternoster stets durcheinandermengt. Friedbert, der treuherzige, nicht 
sehr kriegerische Schwabe, „schlichten und flachen" Sinnes „hat das 
Glück und führt die Braut heim u , die schönste griechische Prinzessin. 
Das „schlicht und flach" und andere Ausdrücke, die für den geistigen 
Fond eines Menschen sonst nicht empfehlend wären, dienen hier meist 
nur als Gegensatz zur Überbildung. Zum Ersatz für den Mangel an 
Kenntnissen schenkt Musäus seinen Lieblingen andere Gaben, vor allen 
Dingen: Mutterwitz und eine Gradheit des Charakters, die wenig von 
Grobheit unterschieden ist. Franz, der Held in der „Stummen Liebe'', 
der seine Jugend verschlemrat und nichts erlernt hat, um sich die 
Langeweile zu vertreiben, Lektüre überhaupt verabscheut, bewährt sich 
grade im Verlauf der Erzählung als ein männlich, kerniger Charakter 
und gelangt zum Ziel. „Er sagte rund und deutsch heraus, was ihm 
zu Sinne war, wie's der Bremer Art ist" (II, 138), auch dann, wann 
er die grösste Ursache hat, sich vor Prügel zu fürchten. Er weiss, 
dass der Waldritter, bei dem er eingekehrt ist, die Gepflogenheit hat, 
seine Gäste erst gut zu bewirten, dann aber, bevor er sie verabschiedet, 



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tüchtig auszuhauen. Aber dessen ungeachtet greift Franz beim Abend- 
essen herzhaft zu, verlangt Wein und sagt „dass er schlecht sei"; er 
hat überall auszusetzen und lässt sich „bedienen wie ein Bassa". Grade 
dadurch entgeht er dem erwarteten Schicksal. Jenen ehrlich rauhen 
Mann ärgert nur, wenn ihn die Gäste foppen und äffen mit Knie- 
beugungen und Bücklingen, alle ihre Worte auf Schrauben stellen, viel 
Reden machen ohne Sinn und Salz, sich zu jedem Dinge nötigen lassen, 
thät schier not noch zum Stuhlgang (II, 138). Deutlicher kann man 
der feinen Form nicht den Krieg erklären als durch diesen Prügelritter. 

Also gesellschaftliche Bildung haben diese Leute so wenig wie 
grosse Kenntnisse oder litterarisches Interesse. Nächst dem Stande 
ihrer Bildung berücksichtigen wir nun, nach jenem Einblick in den 
Siegwart, das Empfindungsleben der Personen in den Volksmärchen, 
und es wird uns zunächst die Frage interessieren, welche Bedeutung 
gewinnt bei ihnen der Schmerz und die Thräne. 

Gerne widmet Musäus dem Schmerze einmal schöne einfache 
Worte. Jener biblische Satz: „Sie verhüllte ihr Gesicht und weinte 
bitterlich" (II, 41) genügte, um die Sorge eines treuen Eheweibes aus- 
zumalen, dem der Gatte verhehlt, in welche Gefahren er sich begiebt 
(Nymphe des Brunnens). Aber oft genug will seine Laune auch den 
berechtigten Schmerz nicht respektieren und gestaltet durch den blossen 
Ausdruck oder die Schilderung des Schmerzes ein Zerrbild. Frau 
Jutta (Liebestreue) hört den Tod ihres Mannes, „die Erzählung wirkte 
auf die Thränendrüsen" (III, 10). Graf Ernst von Gleichen nimmt 
traurigen Abschied von den Seinen : „der Mund verzog sich sichtbarlich 
in die Breite, wobei er laut aufschluchzte" (III, 75). Zum Glück sind 
solche, etwas geschmacklosen Verirmngen seiner Laune nicht sehr 
häufig. Wenn in den Volksmärchen Thränen fliessen, so ist allemal 
ein triftiger Grund vorhanden, und sie werden getrocknet. Niemals 
weint man in der Überschwenglichkeit eines glücklichen Gefühls. Statt 
des sentimentalen Schmerzes herrscht in den Märchen sein lustiger 
Bruder, der Ärger. Diese Stimmung kumuliert in Rübezahl, der mit 
„Spleen und Menschenhass" sich in den Mittelpunkt der Erde begräbt. 
Grosse Erregungen waren dem Musäus unbequem, er dämpft sie durch 
irgend eins der ernüchternden Mittel, die in dem Kapitel über den 
Humor ihre Stelle fanden. Bezeichnend ist, dass nur eine einziga 
Erzählung: „Liebestreue" traurigen Ausgang hat. 

Die Liebe, welche im Millerschen Roman ein alles bewegender 
Faktor ißt, hat bei Musäus nicht jedes andere Leben und Erleben auf- 



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- ei - 

gesogen, spielt aber doch eine wichtige Rolle. Musäus zeigt unter 
seinen Frauen : kokette, spröde, wankelmütige, wollüstige neben scham- 
haften und scheuen; kalte und heissblütige Naturen; unter den Lieb- 
habern kecke, aufdringliche, stürmische, auch sehr geduldige und 
bescheidene; solche, die kurzen Prozess lieben, und solche, die ihre 
Dame beharrlich umkreisen, „wie der Mond die Erde". Er hat unter 
beiden Teilen Seufzende und Schmachtende. Aber diejenigen, mit 
denen er es selbst gut meint, entkleidet er so sehr aller Sentimentaliät, 
dass er sie direkt den modernen Liebhabern entgegenhält, deren Brauch 
es sei (nach I, 49), „zu weinen, zu girren, zu winseln, trübsinnig in 
den Mond zu schauen, zu rasen, vor Liebeswut Gift zu fressen, den 
Hals abzustürzen — — — oder ehrsamer eine Kugel sich durchs 
Hirn zu jagen". Musäus schildert fruchtloses und glückliches Liebes- 
w erben, das Erwachen und Absterben der Liebe, weniger die Freund- 
schaft, im höhern Masse das Verhältnis in der Familie. 

Wo ein Weib nur Zerstreuung und Befriedigung ihrer Wollust 
sucht, wie Uracka (Rol. Knappen); wo eine Richilde aus Eitelkeit den 
Besitz des Schönsten erstrebt und kein Mittel scheut, alle Schöneren 
neben sich zu unterdrücken; wo eine Lukrezia (ülr. m. d. Bühel) alle 
Künste der Koketterie aufbietet, nicht um ihr Herz zu befriedigen, 
sondern um sich selbst an ihrem Triumph und an enttäuschten Opfern 
zu weiden, da kann er mit bitterbösen Worten spöttisch und ernsthaft 
über sie herfallen. Die erste heisst bei ihrer Prunksucht: „die lebendige 
Musterkarte der Residenz"; die zweite „Giftnatter 1 ' muss unter grimmiger 
Schadenfreude des Erzählers den bekannten Tanz in glühenden Schuhen 
machen. Lukrezia ändert zwar ihren Sinn, aber erst nachdem durch 
eine Kaiserin der „Balg, die arglistige Schlange, die freche Dirne 4 ' tief 
gedemütigt ist. Jutta (in Liebestreue) ist die sentimentale Liebende; 
grade sie aber straft ihr empfindsames Verhalten zuletzt Lügen. Nur 
wo Musäus Liebe schildert, die es ehrlich meint, weiss er warme und 
reine Töne anzuschlagen. Am keuschesten hat er ein Liebesverhältnis 
in der Libussa, am lieblichsten in der Melechsala geschildert, in zwei 
Frauengestalten, zu denen man nur noch die Frau des Glashändlers 
Steffen (4. Rübezahllegende) hinzuzunehmen braucht, um die weiblichen 
Ideale des Dichters bei einander zu haben. Libussa lernteu wir bereits 
kennen. Melechsala ist ein Zeugnis dafür, dass Musäus auch die 
sinnliche Natur der Liebe, zart, doch ohne eindruckslos zu werden, 
darzustellen vermochte. Graf Ernst und Melechsala sind beide ernste, 
sittliche Gestalten; er männlich und treu; sie naiv und unerfahren in 



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- - 

den Gefühlen, die sie bestürmen. Aber eins hat Melechsala im Harem 
gehört, dass die Blume Muschirumi Liebesgenuss erfleht und ihre 
Annahme ihn verspricht. Graf Ernst weiss nichts dergleichen; er will 
mit der schönen Blüte seiner Wohlthäterin eine Freude machen; sie, 
über seine Kühnheit aufs höchste verwirrt, nimmt die Blume und 
erkrankt im Widerstreit ihrer Gefühle. So überhob der Zufall sinnreich 
die Verlegenen einer Aussprache. Sie beide finden denn auch den 
Endreim auf Muschirumi. Eine Melechsala wäre bei Miller nicht zu 
denken. 

Also nichts weniger als platonische Liebe! Das Sittliche geht 
dabei nicht verloren. Musäus findet es in der Treue. Auch der Graf 
von Gleichen ist keinen Augenblick unentschieden, dass er Melechsala 
aufgeben müsse, da seine Frau noch lebt. Erst die eigene Zustimmung 
der Gattin und der Dispens des Papstes führen die Vereinigung herbei. 
So weit es sich um diese eheliche Treue und die Pflichterfüllung in 
der Familie handelt, steht im allgemeinen bei Musäus das Weib höher 
als der Mann, wenngleich auch hier Ausnahmen vorkommen (Uracka). 
Es liegt hierin ein gut Teil der, dem Musäus eigenen Selbstironie. 
Am schönsten ist die Gattin und Mutter charakterisiert in dem Weibe 
des egoistischen Steffen, jener dritten weiblichen Heldengestalt. Ihre 
ganze Grösse kommt in einer Scene, in einer straff geführten Unter- 
redung mit Rübezahl zu einer wunderbar einfachen, aber anschaulichen 
Darstellung (I, 139 ff.). Das geplagte Weib bietet, um die Kinder 
zu schützen, Rübezahl sein Leben dar, und ihr Zorn darüber, dass 
der Unhold ihre Kinder in Schrecken setzte, klingt noch lange in den 
entschiedenen und gereizten Antworten nach. 

Der Bube ist ihr nicht um Schätze der Welt feil. — Kinder 
machen Überlast aber auch manche Freude. — Alle Arbeit und Mühe 
versüsst ein einziger, freundlicher Anblick, das holde Lächeln und 
Lallen der kleinen, unschuldigen Würmer. Steffen behandelt sie roh 
und mürrisch, aber sie ist ihm ergeben, weil er ihrer Kinder Vater 
ist. Rübezahl, der alte Heide, kann diese Demut nicht begreifen. Er 
antwortet, als die Mutter meint, ihre Kinder würden sie einst für alle 
Trübsal entschädigen: „Werden Dir die Jungen den letzten Heller aus 
dem Schweisstuche pressen, wenn sie der Kaiser zum Heer schickt 
ins ferne Ungarland, dass die Türken sie erschlagen." Das Weib : „Ei 
nun, das kümmert mich auch nicht; werden sie erschlagen, so sterben 
sie für den Kaiser und fürs Vaterland in ihrem Beruf, können aber 
auch Beute machen und die alten Eltern pflegen." 



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Darin liegt eine grosse Gesinnung, die nicht nachdenkt über das 
Recht und nur die Pflicht fühlt. Daraus geht hervor, dass Musäus 
zu den Frauen ein hohes Zutrauen besass, und es ändert daran nichts 
die gelegentliche Frage, die er einen Eifersüchtigen an sein Weib stellen 
lässt, ob sie die einzige deutsche Frau wäre, die ihren Mann nicht zu 
täuschen vermöchte (I, 32). 

Die Männer in den Märchen haben starken Hang zur Loiehtlebigkeit ; 
sie saufen, schlemmen, gehen ihrem Vergnügen nach, vernachlässigen, 
versetzen unter Umständen ihre Töchter, sind brummig und ver- 
schwenderisch. Dafür mögen der Graf der ersten Geschichte, Peter 
Bloch, der eben genannte Steffen, der „immer mehr Bauch werdende 
Vater 1 der letzten Geschichte als beste Beispiele dienen. Musäus 
bemüht sich eben, bei aller Verehrung der Familie, durchaus nicht, 
dieselbe so darzustellen, als wenn nur immer jeder neue Tag neue 
Freuden brächte und keine Not und keine Verstimmung. Es geht in 
seinen Familien, schon bei so gearteten Männern recht derb zu; der 
Humor aber hilft uns über Scenen hinweg, die ohne ihn abstossen 
würden. Darum ist der Humor zur Milderung mancher realistischen 
Derbheit ein unentbehrliches Mittel. Wie der in einen Bären ver- 
wandelte Gemahl der Wulfild (Büch, der Chron. etc.) den versteckten 
Bruder wittert und sich nicht beschwichtigen lässt, fasst sie sich ein 
Herz und versetzt ihm einen so nachdrücklichen Fusstritt in die Lenden, 
dass er ganz demütig auf seine Spreu kroch, sich niederthat, brummend 
an den Tatzen zog und seine Jungen leckte (I, 23). Der an sich grobe 
Vorgang wird schon dadurch, dass der Gemahl gerade seine ungeschlachte 
Bärengestalt hat und vor allem durch das niedliche Bild am Sehluss ästhe- 
tisch geniessbar gemacht. Als der flinke Kurt (am Ende von Melechsala) 
sein Eheweib nach langer Trennung wieder aufsucht, werden ihm statt 
Freudenthränen und Umarmungen Rippenstösse zu teil, und die Unter- 
haltung bewegt sich in Ausdrücken wie: „Du Galgenaas 1 '; „du schänd- 
licher Gauch" etc. Im allgemeinen aber werden kleine Zwiste leicht 
beigelegt. Selbst in dem traurigsten Ehedrama, das sich zwischen 
Ilsen, der bösen Hülsen, und dem unglücklichen Opfer ihres Pantoffels 
abspielt, kommt eine leidliche Aussöhnung zu stände. Die Gräfin der 
Erzählung: Bücher der Chronika etc. klagt zwar ihren Mann bitter 
an, dass er sie der Kinder beraube, aber ihre Leichtfertigkeit zehrt 
unbekümmert mit von dem Kaufgelde. Die Schuld ruht bei solchen 
Zwisten immer auf beiden Seiten. Manchmal ist die eine, manchmal 
die andere mehr belastet, aber das Glück entscheidet, mit welcher wir 



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uns freuen. Das Glück ist in den Märchen ein wesentliches Moment 
Und man muss gestehen, der Glaube an das Gluck und bescheidene 
Unterwerfung unter seine krause Laune stimmt das Gemüt sorglos und 
heiter, wenngleich das trübselige Nachdenken über die Gerechtigkeit 
des Schicksals zur tieferen Weltanschauung führt. Bei dem Dichter 
selbst war die Gesinnung, die ihm so zu schreiben gebot, mehr als 
Glaube an das Glück, sie war Religion, aber im Gegensatz zu der im 
Siegwart gepriesenen Religion, die den Leidenden mit dem Himmel 
vertröstet, eine praktische, die den Gesunden zum Leben aufmunterte. 
Sie gab ihm auch den erhabenen Standpunkt, von welchem aus er die 
Menschen sittlich einander viel ähnlicher sah, als der Verfasser des 
Siegwart, der die Menschheit so scheidet, dass hier Engel und da 
Teufel stehen. Das verleiht den Volksmärchen einen versöhnlichen Zug 
trotz mancher Ironie, mancher Satire, mancher Entstellung. Darum 
sind jene oben geschilderten leichtsinnigen und oft harten Väter auch 
wiederum gutmütig und lassen an ihrem Glücke teilnehmen; darum 
kann man sogar an einem so vollendeten Gauner (in der letzten Rübezahl- 
legende) wie der arme Kurt ist, helle Fi-eude haben: er zeigt sich 
pfiffig und gefasst, durchtrieben und dabei harmlos in der Auffassung 
seiner Übelthaten, und schliesslich geht es ihm doch herzlich schlecht; 
darum können neben einem Primislav noch andere Ritter bestehen. 
Am freundlichsten berührt dieser versöhnliche Zug bei dem Ausgang 
des Märchens: „Rolands Knappen". Im Unglück, betrogen durch eigene 
Schlechtigkeit und gegen einander verübten Verrat, treffen sie verarmt 
wieder zusammen; sie ziehen den für Musäus so bezeichnenden Schluss, 
„dass das Los der Freundschaft allein dem goldenen Mittelstande zu- 
gefallen sei, und sich schwerlich mit Glück und grossen Talenten 
vertrage". Dann sterben sie, tapfer gegen die Sarazenen kämpfend, 
„insgesamt den Tod der Helden". Wie seine Freunde ein schnelles, 
fröhliches, womöglich schicksalsreiches Leben führten, so gönnte ihnen 
Musäus, wo er dessen Erwähnung thut, eigentlich immer einen leichten, 
ehrlichen und raschen Tod, so dass er sich sogar einmal (beim Tode 
von Richildens Mutter) zu dem lustigen Ausdruck versteigt: „sie kämpfte 
flugs ihren Todeskampf und verschied" (I, 4G). Ein zwar geahnter, 
aber plötzlicher und leichter Tod hat auch dem Leben des Dichters 
ein Ende gemacht. 

Die sentimentale Litteratur hatte einen Begriff von Sittlichkeit 
aufgestellt, der über die menschliche Natur hinausging, und hatte dem 
Gefühl ein schädliches Übergewicht bei der Selbstbestimmung des 



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- M - 

Menschen zuerteilt. Die Auflehnung hiergegen von Seiten eines Cannes, 
der die Menschen zwar optimistisch, aber auch realistisch nach ihrem 
natürlichen Vermögen abschätzt, gab den Volksmärchen ihre eigen- 
tümliche Stimmung. Was sonst an direkten oder versteckten An- 
spielungen mit unterläuft, hat zwar auch seinen guten örund in der 
Persönlichkeit des Dichters und in seinen Erfahrungen, hat aber für 
die Volksmärchen nur die Bedeutung eines nebensächlichen Aufputzes. 
Diese Anspielungen beziehen sich auf öffentliche Zustände, Tagesereignisse, 
Moden, neue Entdeckungen, auf Erziehung, Gelehrsamkeit wie vor allem 
auf die zunächst liegenden litterarischen Erscheinungen. Sie sind nur 
stilistisch zu fassen, beeinträchtigen zuweilen das Stimmungsbild, aber 
beherrschen es nicht. Man kann in ihnen die Abstufungen der witzigen 
Bezugnahme beobachten von der persönlichen Satire an, über die mehr 
objektive Polemik, über stimmungsvollen Humor lunweg bis zu der, 
dem Wortwitz gleich zu achtenden scherzhaften Tändelei. 

Dass er unter all den angeführten Gegenständen die empfindsame 
Litteratur am häufigsten und schärfsten trifft, bedarf kaum der Er- 
wähnung. An dieser Stelle müssen wir die Bemerkung einschränken, 
als habe Muaäus mit seiner Feder niemals verletzen können. Es liegt 
in manchen Anspielungen sehr viel Hohn. Musäus wird manchmal 
so persönlich, dass die Betreffenden deutlich fühlen raussten, wenn sie 
gemeint waren. Ein Ausfall z. B. wie der gegen die Kraftgenies kann 
nicht mehr als Humor betrachtet werden, wenn es von ihnen heisst, 
sie seien launisch, ungestüm, sonderbar; bengelhaft, roh. unbescheiden; 
stolz, eitel, wankelmütig; heute die besten Freunde, morgen fremd 
und kalt; zu Zeiten gutmütig, edel und empfindsam, aber mit sich 
selbst in stetem Widerspruch, albern und weise, oft weich und hart 
in zween Augenblicken, wie ein Ei, das in siedend Wasser fällt etc. 
(I, 100, 1). 

Freundlicher zeigt er sich in seiner Stellung zur Physiognomik 
und ihren Vertretern, ja beinah spielerisch erscheint er unter der Zahl 
der andern Schriftsteller, die sich mit Physiognomik befassten, und zum 
teil polemisch, zum teil ebenfalls satirisch auftraten: Lichtenberg schrieb 
in der Tendenz ernst, mit witzigen und scharfen Excursen; Helfrich 
Peter Sturz ist lebhaft interessiert aber unentschieden; Klinger, der am 
spätesten noch darauf zurückkommt, heissblütig und gehässig. Musaus 
hätte auch niemals ernstlich auf die Förderung von Menschenkunde 
und Menscheiüiebe schmähen können, obwohl er auch auf diese Be- 
strebungen ironische Streiflichter fallen lässt. 

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Der sentimentale Roman, die Genies und die Physiognomik sind 
die Hauptgegenstände, die den Satiriker interessierten. Wie gesagt, 
werden viele andere Verhältnisse berührt, aber die Bemerkungen sind 
neutraler; sie werden zu Scherzen. „Der Scherz kennt kein andres 
Ziel als sein eignes Dasein." x ) Die Pädagogik, die Kleidertracht, neue 
Bücher, die Gartenkunst erhalten ihr Teil, nur weil sie auf der Tages- 
ordnung der gesellschaftlichen Unterhaltung stehen ; Vestris, den grossen 
Tänzer in Paris, Franz Finatzi, den dicken Mann aus Pressburg von 
488 Pfund Fleischgewicht, Pinetti und Philadelphia, zwei berühmte 
herumreisende Taschenspieler, findet man in den Zeilen der Volks- 
märchen neben Gassner, Basedow, dem Schulmann Hübner und Hirsch- 
feld, dem Schriftsteller über Gartenkunst, genannt, vor allem auch neue 
Erfindungen, von denen die des Luftballons (1783), mit den Abenteuern 
und Helden, die sie erzeugte, die Gemüter in heftige Aufregung ver- 
setzte. (Gustav Freytag: Bilder aus neuer Zeit. S. 29C. Wieland und 
Goethe schreiben über Pilatre de Rozier und Bergrat Buchholz führte 
den Weiinaranern das Schauspiel einer Luftreise vor.) Einzelne Heraus- 
geber haben sich der Mühe unterzogen, die Anspielungen dem Leser 
zu deuten. Wieland erklärte nur, was er zufällig wusste. Ausführ- 
licher sind die Anmerkungen zu der Ausgabe von Dr. Moritz Müller 1867 
und zu der Prachtausgabe von 1847. 

Grade die Mehrzahl dieser Anspielungen zeigte, dass die Stimmung, 
welche in den Volksmärchen herrscht, durch litterarische Opposition 
nicht zum wenigsten beeinflusst wurde, und wir dürfen es nicht zu 
hoch anschlagen, dass in einer Zeit, wo die Anspielungen noch aktuell 
waren, durch sie der Eindruck der Erzählungen nicht verkümmert, 
sondern gehoben wurde. Schon gleich nach dem Tode des Verfassers 
inusste eine neue Ausgabe besorgt werden. Und nicht lange darauf 
stellten sich auch die Nachahmer ein. Die „neuen Volksmärchen der 
Deutschen" von Christiane Benedict* Naubert erschienen in den 
Jahren 1789—93. V. 8. Karl Müller schrieb 1791—92 seine „Er- 
zählungen nach Musäus' 4 . 2 ) Ob er aber stofflich von grösseren und 
bekannteren Dichtern ausgenutzt wurde, ist mir nicht bekannt. Paul 
Heyse scheint durch Musäus zu seinem niedlichen Drama: „Rolands 



l ) Jean Paul, Vorschule zur Aesthetik. I. S. 165. 
s ) Auch Otmars: „Volkssagen des Harzes" 1800 sind nach Pröhle 
eine Nachahmung des Musäus. 



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Schildknappen oder Die Komödie vom Glück" 1 ) angeregt zu sein, 
obwohl er schon dadurch, dass die Zahl der Knappen um einen ver- 
mehrt ist, wichtige Änderungen in den Ereignissen eintreten lässt. 

Auch das Ausland interessierte sich für ihn; es existieren zwei 
französische Übersetzungen: Contes populaires des Allemands traduits 
par J. Lefevre 3. vol. I^eipz. 56, — und die ältere: Contes de Musäus, 
prec6d6s d'une notice par Paul de Kock. Paris 1826. Dieser erlaubte 
sich Änderungen, wenn nach seiner Meinung Musäus in seinen Scherzen 
zu weit ging. 

Den Engländern hat kein geringerer als Thomas Carlyle Proben aus 
Musäus, und Nachrichten über ihn mitgeteilt im : German romance 1827. 2 ) 

Am meisten interessiert es uns aber, dass einer der grössten 
Märchenerzähler unseres Jahrhunderts, der Däne Hans Christian Andersen 
bis 1830 etwa stark unter dem Einfluss des Musäus stand, stilistisch 
freilich zu seinem Schaden. In seiner Zeit, und in seiner Sprache 
erschienen die nicht seltenen litterarischen Abschweifungen in der 
Manier unseres Dichters, in der That als „kreischende Misstöne". 8 ) 

An den deutschen Ausgaben und Bearbeitungen der Volksmärchen 
bestätigt sich der meiner Arbeit vorausgeschickte Satz über den Aus- 
tausch von Kunst und Volksdichtung nicht ganz aber ungefähr. Denn 
alsbald hat man einzelne, vielleicht die beliebtesten der Märchen in 
die Masse jener löschpapiernen „Volksbücher" einzuschmuggeln unter- 
nommen. Alle wenigstens, die ich vor Augen bekommen habe, zeigen 
unbedingte Abhängigkeit von Musäus, so sehr sie entstellt wurden. Am 
häufigsten begegnen: die drei Rolandsknappen, die drei Schwestern, 
der wegen seiner kurzweiligen Poesien merkwürdige schlesische Rübezahl, 
Geschichte der Libussa, einer Elfentochter und ehemaligen Herzogin 
von Böhmen. 

Der Verfasser eines Rübezahlbuches giebt es direkt an, dass 
Musäus sein Vorbild, sein Gewährsmann sei. 

Die Ursprünglichkeit des Volksbuches: „Reinald das Wunderkind", 
das Pröhle anführt, stellt er selbst in Frage. 



*) Volksmärchen in 3 Akten und einem Vorspiel. 1865. 1895. Berlin. 
Herz. — Paul Heyse. Dramat. Dichtungen. 28 Bändchen. 

*) Abgedruckt auch in d. Miscellaneous essays. 

•) Vgl. Georg Brandes: Moderne Geister. Litterarische Bildnisse 
aus d. 19. Jahrh. 2. Aufl. Frft./M. 1887: Hans Christian Andersen. 

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Marbach nimmt in seine grosse Sammlung und Bearbeitung von 
Volksbüchern l ) auch die 3 ersten Märchen von Musäus auf, erzählt 
aber die zweite (Richilde) ursprünglicher unter dem Titel ,>Schnee- 
Weisschen". Die Herausgeber nehmen einen sehr verschiedenen Stand- 
punkt ein, je nachdem sie sich Kinder, Erwachsene oder sogar litterarisch 
Interessierte als Leser vorstellten. Die ersteren zeichnet ihre, mit • 
Originalität streitende Willkür bei der Umarbeitung, die letzteren nicht 
immer das richtige Verständnis für einen wissenschaftlichen Text aus. 
(Hempel.) 

Die besten wissenschaftlichen Ausgaben sind die von Klee 1847; 
und von Müller 1867. 

Die Märchen erscheinen in der einfachsten und in der schönsten 
Ausstattung, daher zu den billigsten Preisen, wie sie Reclams Bücher 
repräsentieren, und zu ziemlich hohen: die grosse Prachtausgabe von 
Klee kostet 36 Mk. Künstler haben die Hand dazu hergegeben, die 
Ausgaben zu verschönen. Von Moritz von Schwind kenne ich nur 
jenes oben erwähnte Bildchen. Ludwig Richter illustrierte mit 3 anderen 
Künstlern die Ausgabe von Klee. Mir scheint aber, das Schönste habe 
erst in unseren Tagen Hermann Vogel erreicht, der offenbar die glück- 
liche Geraütsanlage besitzt, noch im Erwachsenen das Kind zu sehen. 

*) Leipzig 1838. 



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Lebenslauf. 



Der Verfasser dieser Dissertation, Richard Andrae, wurde als Sohn 
des Lehrers Heinrich Andrae am 14. Februar 1873 in Frankfurt a. d. Oder 
geboren und evangelisch getauft. Er verHess im Sommer-Semester 1892 
das humanistische Gymnasium seiner Heimatstadt und studierte der 
Reihe nach an den Universitäten: München, Berlin und Marburg die 
Fächer: Deutsch, Geschichte und Geographie. 

Seine Lehrer waren folgende Herren Professoren und Dozenten: 
von Below, Birt, Carriere, Cohen, Dessoir, Geiger, Golther, Th. Fischer, 
Frohschammer, Heusler, Liesegang, Kayser, Köster, Kühnemann, 
Maass, Muncker, Natorp, Naude, Niese, Paul, Rödiger, von der Ropp, 
Scheffer-Boichhorst, Er. Schmidt, Edw. Schröder, vonSybel, vonTreitschke, 
Weinhold, Wrede. 

Allen gebührt grosser Dank, besonders Herrn Prof. Alb. Köster für 
die Unterstützung, welche diese wissenschaftliche Erstlingsarbeit bei ihm 
gefunden hat. 



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Inhalt 



Seit« 

I. Einleitung 1 

II. Die Persönlichkeit des Musäus 6 

III. Die Volksmärchen der Deutschen 10 

1. Composition der Volksmärchen 11 

a) Elemente der Erfindung 12 

b) Formen der Composition 26 

c) Excurs: Vergleich der Libussa mit ihren Quellen ... 28 

2. Die Sprache der Volksmärchen 83 

a) Das Altertümliche 34 

b) Das Volkstümliche 40 

c) Das Poetische 43 

d) Das Humoristische 48 

3. Stimmungsgehalt der Volksmärehen 53 

IV. Schluss 66 



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