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Full text of "Lehrbuch der Zoologie"

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Lehrbuch  der  Zoologie 


Richard  Hertwig 


Vi 


$tbranj  of  tbc  gluscum 

or 

COM  PA  B  ATI  VE  ZOÜLOGY, 

AT  HARVARD  COLLEGE,  CAMBRIDGE,  MASS. 
JFounDrb  bu  pnüatr  subsrription,  in  1861. 

Deposited  by  ALEX.  AGASSIZ. 


Ab.  nf  li<j. 


LEHRBUCH 


DER 


ZOOLOGIE 


VON 


DR  RICHARD  HERTWIG, 

O.  ö.  PROF.  DER  ZOOLOGIE  UND  VERGL.  ANATOMIE  A.  D.  UNIVERSITÄT  MÜNCHEN. 


MIT  568  ABBILDUNGEN. 


DRITTE  UMGEARBEITETE  AUFLAGE. 


JENA. 

VERLAG  VON  GUSTAV  FISCHER. 

1895. 


Vorrede. 

» 


Das  vorliegende  Lehrbuch  soll  in  erster  Linie  den  Anfänger  in 
das  Studium  der  wissenschaftlichen  Zoologie  einführen  und  denen, 
welche  der  Zoologie  als  Hilfswissenschaft  bedürfen,  die  Grundzüge  der- 
selben in  knapper  Fassung  bieten.  Es  würde  aber  den  Verfasser  freuen, 
wenn  es  dem  Buch  vergönnt  sein  sollte,  noch  weiteren  Einfluss  zu  ge- 
winnen und  in  den  Kreisen  gebildeter  Laien,  welche  vielfach  schon 
jetzt  den  Lebenserscheinungen  der  Thiere  lebhafte  Theilnahmc  ent- 
gegenbringen,  auch  für  die  Gesetzmässigkeit  in  der  thierischen  Organi- 
sation und  Entwicklung  regeres  Interesse  wachzurufen.  Denn  so  sehr 
auch  einige  cardinale  Fragen  der  Zoologie,  wie  z.  B.  die  Descendenz- 
lehre,  in  der  Neuzeit  in  weitere  Volksschichten  eingedrungen  sind,  so 
wenig  hat  die  Kenntniss  vom  Bau  der  Thierwelt  grössere  Ausbreitung 
gefunden ;  und  doch  kann  nur  von  einer  Ausbreitung  dieser  Kenntniss 
erwartet  werden,  dass  sich  allmählig  eine  unbefangene  Auffassung  von 
der  Stellung  des  Menschen  im  Naturganzen  Bahn  bricht. 

Ein  zur  Einführung  und  ersten  Orientierung  dienendes  Buch  muss 
sich  in  der  Auswahl  des  Stoffes  Beschränkung  auferlegen;  es  soll  ein 
Gesammtbild  entwerfen,  in  welchem  die  Grundzüge  nicht  durch  allzu 
viel  Einzelheiten  verdeckt  werden.  Eine  solche  Beschränkung  war 
schon  in  den  Partien  nothwendig,  welche  die  anatomischen  und  ent- 
wicklungsgeschichtlichen Merkmale  der  grösseren  Abtheilungen  des 
Thierreichs,  der  Stamme,  Classen  und  Ordnungen,  behandeln;  noch 
mehr  war  sie  in  den  systematischen  Abschnitten  geboten.  Bei  dem 
ausserordentlichen  Umfang  der  systematischen  Zoologie  muss  es  Spccial- 
werken  über  die  einzelnen  Classen  und  Ordnungen  vorbehalten  bleiben, 
die  genauere  Kenntniss  auch  nur  der  bekannteren  einheimischen  Arten 
und  Familien  zu  vermitteln.  Was  in  diesem  Buche  geboten  wird, 
kann  nur  den  Zweck  haben,  einige  besonders  auffällige  und  charak- 
teristische Formen  als  Beispiele  für  die  anatomischen  und  entwicklungs- 
geschichtlichen Darstellungen  aufzuführen. 

Von  dieser  Regel  wurde  nur  an  wenigen  Stellen  eine  Ausnahme 
gemacht,  wo  es  sich  um  Thiere  handelte,  welche  durch  Eigentümlich- 
keiten des  Baues  oder  der  Entwicklung  ein  besonderes  Interesse  bean- 
spruchen oder  durch  ihre  Lebensweise,  sei  es  schädlich,  sei  es  förder- 
lich, in  die  Existenzbedingungen  des  Menschen  eingreifen.  Wenn  die 
wichtigsten  Arten  und  Familien  der  Parasiten  des  Menschen  und  der 


IV 


Vorrede. 


Hausthiere  etwas  ausführlicher  berücksichtigt  worden  sind,  so  wird 
dies  nicht  nur  dem  Mediciner,  sondern  auch  dem  Landwirth,  dem  zu- 
künftigen Lehrer  der  Naturwissenschaften,  ja  einem  jeden  Laien  will- 
kommen sein. 

Ein  weiterer  Gesichtspunkt,  auf  welchen  bei  der  Abfassung  des 
Lehrbuchs  grosser  Werth  gelegt  wurde,  sei  hier  ebenfalls  noch  hervor- 
gehoben. Noch  mehr  als  in  anderen  Wissenschaften  sind  in  den  Natur- 
wissenschaften alle  Begriffe,  mit  denen  der  Leser  keine  klaren  Vor- 
stellungen verbinden  kann,  werthlos;  dem  Anfänger  gegenüber  kann 
nicht  eindringlich  genug  betont  werden,  dass  er  nicht  von  dem  Aus- 
wendiglernen der  Namen,  sondern  von  der  lebendigen  Kenntniss  der 
Erscheinungen  Förderung  zu  erwarten  hat,  Deshalb  darf  aber  auch  ein 
Lehrbuch  keine  Bezeichnungen,  welche  dem  Lernenden  notwendiger- 
weise noch  unbekannt  sein  müssen,  anwenden,  ohne  sie  zu  erläutern. 
Es  ist  besser,  weniger  zu  bieten,  dieses  Wenige  aber  vollkommen  zu 
erklären,  als  im  Aufbau  der  Kenntnisse  Lücken  und  Unklarheiten  zu 
lassen.  Gerade  in  dieser  Hinsicht  ist  die  vom  Einfachen  zum  Compli- 
cirten  aufsteigende  genetische  Methode,  welche  besonders  durch  die 
Descendenztheorie  zur  herrschenden  geworden  ist,  didaktisch  von  der 
grössten  Bedeutung  geworden.  Es  braucht  daher  kaum  hervorgehoben 
zu  werden,  dass  dieses  Lehrbuch  ganz  im  Geist  der  Entwicklungslehre 
geschrieben  ist,  auch  da,  wo  keine  specielle  Nutzanwendung  von  der- 
selben gemacht  wurde. 

Um  den  Text  besser  verständlich  zu  machen,  sind  dem  Lehrbuch 
zahlreiche  Figuren  beigegeben,  auf  deren  Auswahl  Dank  dem  liberalen 
Entgegenkommen  des  Herrn  Verlegers  besondere  Sorgfalt  verwandt 
werden  konnte.  Ein  Theil  derselben  konnte  aus  anderen  Lehrbüchern 
und  aus  wissenschaftlichen  Werken  entlehnt  werden;  ihre  Herkunft 
findet  der  Leser  angegeben  auch  dann,  wenn  sie  für  die  Zwecke  des 
Lehrbuchs  in  geeigneter  Weise  weiter  ausgeführt  oder  modificirt  worden 
sind.  Zahlreiche  Originalzeichnungen  waren  namentlich  bei  den  anato- 
mischen Darstellungen  nothwendig,  zumeist  aus  didaktischen  Rück- 
sichten. Für  ein  Lehrbuch  ist  es  von  Wichtigkeit,  dass  bei  den  Ab- 
bildungen die  Organe,  soweit  es  möglich  ist,  vollständig  und  in  ihren 
genauen  Lagebezichungen  zu  einander  dargestellt  werden.  Von  diesem 
Gesichtspunkt  aus  wird  der  Fachgenosse  es.  begreiflich  finden,  wenn 
manche  ältere  verdienstvolle  Zeichnungen,  welche  in  alle  Lehrbücher 
Eingang  gefunden  haben,  den  genannten  Ansprüchen  aber  nicht  ent- 
sprechen, wie  z.  B.  die  Anatomien  von  Ascidien,  Salpen,  Cephalo- 
poden,  Schnecken,  Cladoceren  etc.,  durch  neue  ersetzt  worden  sind. 

Für  die  gute  Ausführung  der  Zeichnungen  bin  ich  Herrn  Univer- 
sitätszeichner Krapf,  für  ihre  sorgfältige  und  rasche  Vervielfältigung 
der  Anstalt  für  Zinkotypie  von  Meisenbach  &  Co.  zu  grossem  Danke 
verpflichtet  ;  ferner  habe  ich  Herrn  Dr.  Hofer  für  seine  Theilnahme 
am  Lesen  der  Correcturbogen  an  dieser  Stelle  besten  Dank  zu  sagen. 

München,  im  October  1891. 

Bichard  Hertwig. 


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Vorrede  zur  dritten  Auflage. 


Das  hier  in  dritter  Auflage  vorliegende  Lehrbuch  der  Zoologie 
hat  bei  der  erneuten  Durcharbeitung  in  seinen  Grundzügen  keine 
Umgestaltung  erfahren.  Zwar  habe  ich  einem  von  verschiedenen 
Seiten  geäusserten  Wunsche  folgend  im  systematischen  Theil  eine  Er- 
weiterung vorgenommen,  indem  ich  die  Zahl  der  aufgeführten  Arten 
nicht  unerheblich  vermehrte;  ich  habe  dabei  aber  nach  wie  vor  an 
dem  Grundsatz  festgehalten,  dass  solche  Nennungen  nur  den  Zweck 
haben  können,  den  Leser  zu  orientiren,  an  welche  Stelle  des  Systems 
bekanntere  oder  in  der  Literatur  häufiger  genannte  Formen  hingehören, 
dass  es  dagegen  nicht  die  Aufgabe  eines  in  das  Studium  einführenden 
Lehrbuches  sein  kann,  systematische  Bestimmungen  zu  ermöglichen. 

Bei  der  Umarbeitung  hat  die  Darstellung  im  Einzelnen  viele 
Veränderungen  erfahren.  Am  erheblichsten  sind  diese  Veränderungen 
bei  den  Lamellibranchiern  und  Schwämmen  ausgefallen.  Auf  dem  Gebiet 
des  Lamellibranchier-Systems  sind  von  vielen  Seiten,  besonders  von 
Neumatr,  Pelseneer,  Jackson,  Grobben  u.  A.  Versuche  gemacht 
worden,  die  alte  unhaltbar  gewordene  Eintheilung  nach  den  Siphonen  und 
Adductoren  durch  ein  neues  System  zu  ersetzen.  Die  Versuche  haben 
zu  sehr  verschiedenen  Resultaten  geführt,  je  nachdem  bei  ihnen  das 
Hauptgewicht  auf  die  Beschaffenheit  der  Schale  oder  der  Weichtheile 
gelegt  worden  ist.  Keines  der  vorgeschlagenen  Systeme  hat  bisher 
vermocht,  sich  in  weiteren  Kreisen  einzubürgern.  Daher  habe  ich 
mich  entschlossen,  unter  Benutzung  der  systematischen  Erwägungen, 
zu  denen  die  genannten  Forscher  gelangt  sind,  selbständig  vorzugehen 
und  eine  neue,  Weichkörper  und  Schale  gleichmässig  berücksichtigende 


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VI 


Vorrede. 


Eintheilung  in  Protoconchen  und  Heteroconchen  dnrchzuführen.  Die 
hierbei  sich  ergebende  Anordnung  der  Familien  stimmt  im  Wesent- 
lichen mit  der  Anordnung  überein,  welche  in  dem  demnächst  er- 
scheinenden Lehrbuch  der  Palaeontologie  von  Zittel  durchgeführt  ist 
Mein  Freund  und  College  Geheimrath  v.  Zittel  hatte  die  Güte,  mir 
die  betreffenden  Correcturbogen  seines  Lehrbuches  zur  Einsicht  zu- 
zusenden. Ich  benutze  die  Gelegenheit,  ihm  hierfür  meinen  besten 
Dank  zu  sagen,  sowie  Herrn  Privatdocenten  Dr.  Maas,  welcher 
freundlichst  die  Neubearbeitung  der  Spongicn  durchgesehen  hat. 

Bei  der  Correctur  der  Druckbogen  hat  mir  Herr  Privatdocent 
Dr.  Hofer,  bei  der  Revision  des  Registers  Herr  Dr.  Scheel  bei- 
gestanden.  Auch  diesen  beiden  Herren  besten  Dank! 

München,  im  October  1894. 

Richard  Hertwig. 


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Inhaltsverzeichniss. 


Seite 

Einleitung    1 


Gesohiohte  der  Zoologie   5 

Entwicklung  der  systematischen  Zoologie    6 

Entwicklung  der  Morphologie   'J 

Reform  des  Systems   14 

(«eschiehte  der  Deszendenztheorie   16 

Darwinsche  Theorie   20 


Allgemeine  Zoologie   46 

I.  Allgemeine  Anatomie   47 

1.  Die  Fonnbestandthcile  des  thierischen  Körpers   47 

-'.  Die  Gewebe,  des  thicrischen  Körpers   57 

1.  Ki>ithclfrowcbe                                                                   .  58 

2.  Bindesubstanzen   67 

.).  Mibkt  -lgewi-be   TS 

4.  Nervengewebe   76 

Zusammenfassung   78 

3.  Umbildung  der  Gewebe  zu  Organen   80 

Vegetative  Organe   82 

A.  Organe  <lrr  Ernährung   -SLJ 

I.  Dann   Ki 

II.  Respirationsorgane   86 

III.  Circulationaorgane   88 

IV.  Excretignsorgane   92 

B.  GeM'hlechteorgant'   94 

Animale  Organe   97 

I.  Fortbewegungsorgane   97 

II.  Ncrvciisystriu   '.'7 

III.  Sinnesorgane  

Zusammenfassung   105 

4.  Promorphologie   100 

II.  Allgemeine  Entwicklungsgeschichte   111 

1.  Generatio  spontanea   111 


VIII  Inhaltsverzeichnis«. 

2.  Tocogonic   113 

a)  Ungeschlechtliche  Fortpflanzung   113 

b)  Geschlechtliche  Fortpflanzung   114 

c)  Cmnbinirte  Fortpfianzungsweison   110 

Allgemeine  Erscheinungen  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  .   .    .  118 

1.  Eircifc   118 

2.  Befruchtung   119 

3.  FurcluingsprtK'css   122 

4.  Bildung  der  Keimblätter   126 

5.  Verschiedene  Formen  der  geschlechtlichen  Entwicklung  .    .    .  130 
Zusammenfassung   132 

IH.  Beziehungen  der  Thiere  zu  einander   134 

1.  Beziehungen  zwischen  Individuen  derselben  Art   134 

2.  Beziehungen  zwischen  Individuen  verschiedener  Arten    .   .   .  137 

IV.  Thier  und  Pflanze   140 

V.  Geographische  Verbreitung  der  Thiere   142 


Speolelle  Zoologie   147 

I.  Stamm.    Protozoen   IIS 

I.  Classe.    Rhizopodcn   151 

1.  <  >nln.  Minieren   1~>3 

1 1.  ( )rdn.  Ami.lmien   1">4 

III.  Ordn.  Heliozocn   154 

IV.  Ordn.  Kadiolarien   1~JÜ 

V.  Ordn.  Thalamophoren   160 

VI,  Ordn.  Mycctoy.oe»   103 

II.  ('.'lasse.  Fhigi  Haien   101 

I.  Ordn.  Autoflag>  Unten   164 

II.  Ordn.  Dinoflagellaten   166 

III.  Ordn.  Cystoflagellaten   166 

III.  Classe.    Ciliatcn   168 

T.  Ordn.  Hnlotrirh«.    112 

II.  Ordn.  Heterotriehen   172 

III.  Onln.  Pcritrichen   173 

IV.  Ordn.  Hyi>otrichen   175 

V.  Ordn.  Suctorien   175 

IV.  Classe.    ("tregarinarien   176 

Zusammenfassimg   178 

Metazoen   1S1 

IL  Stamm.    Coeleiiteraten   181 

I.  Unterstamm.    Spongien  x   183 

I.  Classe.    Poriferen   183 

I.  Onln.  t 'aleispongien   1^0 

II.  Ordn.  Silicispongicn   186 

II.  I  fitei staiiim.    ( 'ni<lari<  ri   183 

II.  ('lasse.    H vdro/nen   1S!I 

I.  I'ntcrclassc.    tlydromedusen   189 

I.  Ordn.  Hydrarien   198 

II«  Ordn.  Hvdrocorallinen   198 


III.  Ordn.  Tuhiilario-Anthonieduaen  198 


Inhaltsverzeichnis««. 

IX 

Seite 

IV.  Onln.  Cainpannlttrio-I^ptonuduseii .    .    .  . 

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III.  St  am  tu.  Würmer  

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 227 

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I  V.  (  lulii.  Ni-im Ttinrii  

 217 

II.  l'lasne.  Hntutorien  

 2111 

 2.3 1 

 2.V2 

II.  Onln.  Acnuthncfphalrii  

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III.  1  ntiTflas-f.  HiriKUtio'ii  

VI.  Clause.  Entcropneiistcn  

 273 

ff  ff  ff          t  1_ 

 274 

1                1            4                   1  *        1  * 

 271» 

IX.  Clause.  Brachioixxlen  

 2K4 

 2!>4 

 2'J!» 

Anhaue:  Cvstoideen.  Klastoideen  'Mt2 


X 


[nhaltsverzeiehni.->. 


Srl^- 
IH.  Clas~e.    Erhinoüleen   :{()_' 

I.  <  >nln.  J v< iilur*  

II.  Onln.  Irreguläre-   :{(>.'> 

IV.  Cla-^-.    Holothnrien   3<h; 

I.  Onln.  Penaten   .{OS 

II.  Onln.  Ajnuhs   Mts 

Zn-ainiih  nla^Illiif   .'jus 

V.  S  t  a  tu  in.    Mollusken   310 

I.  ('lasse.    Ainphinetireii   31.~> 

II.  ('lasse.    I,aniellil>ranehier   31«> 

I.  Onln.  I'nit'K-oiirhfii   3'23 

II.  Onln.  IIeten>e<  »liehen   .{24 

III.  (  'la--f.     (  'i  plial"pli"l<  n   ,VJ\\ 

I.  (  >nin.  '  >|.i-lliMiir;in,  |iicr   .tili 

II.  Onln.  l'ntsohranehier   33.~> 

III.  Onln.  Hrtrr<HMxlc-n   337 

IV.  l  >nln.  Ptenipo'l'  n   33S 

Y.    (  l'llllllnilMtcil   .TIS 

VI.  Onln.  Sca|>ho]MKl«-n   331» 

IV.  ('hisse.    ( 'ephal<n**len   34Q 

I.  Onln.  Tetrahraneliialen   !U.S 

1 1.  t  tnln.  1  >il>iaiic  liiali  n   .: 4'.' 

/ai-aiiumiita-Hihi:  

VI.  St  am  in.    Arthropoden   3.V-' 

I.  l'nterstatntu   3<>_ 

I.  ('lasse.    Crnstaeeen   3ti-J 

I.  I  Iii'  nla--'  .     l-'.nl -■  n u 1 1 - 1 ;  ak'  ii   - 1 < > T 

I.  Onln.  Ch|m'Jmx1cii   3»>7 

II.  Onln.  Hiaiu-liiMiKMlni   370 

III.  Onln.  Ostiaenden   374 

I  V.  <  )nin.  >  'ii  ri[n  <|j<  i)  \ 

Anhang   37S 

\'.  Onln.  Xiphosunn   37H 

VI.  Onln.  TrÜohitrn   :t7!» 

VII.  Onln.  Oigantostraken   3*0 

II.  I  "iil'ivla^r,     M.-il;iki^l  rak>  n   ü^1 

I.  Legion.     Ivlrinplithaliii'-ii   3s-_? 

1.  <  >n In.  Aiiipilip.ti Ii 'ii     3Vi 

II.  i  min.  1-ip  ni.  ü   :;->! 

II.  Legion.    Thoraeostraken   3S<i 

I.  Onln.  SchiznpiMlm   3N> 

II.  Onln.  Stoniatopoilen   3.N7 

III.  Onln.  DrcatMHl.n     :4ss 

II.  I'nterstaniin.    Traeheaten   3!>4 

II.  ('lasse.    Pn  »traeheaten   3H."> 

III,  ('lasse.    Mviiap<Kl.n   W7 

I.  <  >nln.  1  )ipl"p<Hirn   ■!'.>7 

H.  Onln.  CliilMp,„irn   3!>s 

IV.  Ha*-,     ll.-r.'M,   I"l 

I.  Onln.  Apteryiroten   410 

II.  Onln.  Anhiptenn   411 

♦ 


Inhaltsverzeichnis».  XI 

Sehe 

III.  Ordn.  Prrh'»pt.Ti-ti   117 

IV.  Ordn.  Xcuropteren   4\U 

V.  Onln.  Oleopteren   420 

<  >r»  1  ii .  1 1  y  1 1 n ■  1 1 1  n 1 1 » - t*i ■  1 1   422 

V 1 1.  Onln.  Uh\ nchntnt   425 

VIII.  Ordn.  Dipteren   427 

IX.  Ordn.  Aphaniptcren   42!' 

\.    Prdl(.    LrpidupttTi'li   1-".' 

V.  C'lasse.    Araelmoideen   431 

I.  I'ntcrclasse.    Arthropastres   434 

  134 

II.  Onln.  Phrynoidccn   43.") 

III.  Ordn.  Scorpionidcen   435 

IV.  Ordn.  Psendoseorpiunidecn   430 

V.  Onln.  l>h:il:miri"id<-'ii   437 

II.  Unterela-^e.    Sphaeropastres   437 

VI.  Ordn.  Aranern   437 

VII.  Ordn.  Aearinen   440 

VIII.  Ordn.  Linpuattdiden   441 

IX.  (  >nln.  Tanlii;radi-n   4L' 

Anhanp.    Pvcnoponiden   443 

Zusaminenfa^snup   443 


VII.  Stamm.   Wirbelthiere   447 

I.  Unterstamm.    Anamnien   4S4 

I.  Clause.    Acranier   4S4 

IT.  ('lasse.    ("velostomen     4.S7 

TU.  Clause.    Fische   41H) 

I.  Onln.  Ela*mohranchier   7><)2 

II,  ( >nln,  ( iatmideii     ">«"'» 

III.  Ordn.  T.-lcoHti>T   7><>7 

IV.  Onln.  Pipticusten  ■    -    ■  7»  12 

IV.  ( 'lii-M'.    A niphil i"k  ii   7>n 

I.  Ordn.  Inxlelen   7>lt) 

II.  Onln.  Annren   7)20 

III.*  >nln.  ( ivii)ii<>]ihii'iH  ii   .    .    ,  521 


II.  Unterstamni.    Antidoten   7>21 

V.  Claasc.    Keptilien   7)22 

1.  l'nterclasse.    I>epidusanrier   527 

I.  Ordn.  Saurier   7)28 

II.  Ordn.  Ophidier   7)211 

II.  L'ntercla*se.    Hydronaurier   •    •  532 

III.  Onln.  CheK.nier   532 

IV.  Ordn.  (Voeodilirr   534 

Anhang   531 

VI.  ('hisse.    Vögel   535 

I,  l'nt.  n  Iii—  .    Iv.irit.  n  ">13 

 1.  Ordn.  l'ureort»   541 

II.  Unten-lasse.    ('arinaten  •    •  544 

II.  <  >nln.  (  iallmar.  i   544 

III.  Onln.  Colninhinen   54.) 

IV.  Ordn.  Natatore*   545 


XII  Inhalt*  Verzeichnis 

Seite 


V.  Ordn.  Grallatorcri   ">47 

VI.  Ordn.  Seansnres   547 

VII.  Ordn.  Passere?»   548 

VIII.  Ordn.  Raptatores   548 

III.  Untcrclasse.   Odontornithe*   34'.* 

IV.  Unterelaswe.    8aururen   540 

VII.  Ciasso.    Sauget  liiere   54!  > 

I.  Unterelasso   5*>2 

I.  Ordn.  Monotremen   502 

II.  Untereln^sc.    Marsupialier   5»x{ 

II.  (  >nlll.  Zo' i]»lia^i'II  ~  ttitt 

III.  Ordn.  Phytophagcn   5<ij 

III.  Unterc-lase.    Placcntalien   5<i5 

IV.  Ordn.  Kdi-ntateii   5«S7 

V.  Ortin.  Cetomorphen   5(»8 

VI.  Ordn.  Ungulateu   5<><» 

VII.  Ordn.  Pr<>l>ns<idirr   57:1 

VIII.  ( )rdn.  Kodenfi.  n   .'>74 

IX.  ( Irdn.  I nsivl  ivi imi   575 

X.  Ordn.  Cluroptoren   570 

XI.  (  >rdn.  ( 'ariiivurni   .">77 

XII.  Ordn.  Prrwimien   578 

XIII.  Ordn.  Primates   571) 

Zusammenfassung   581 


Einleitung. 


Der  Mensch,  welcher  vorurteilsfrei  die  Natur  zu  beobachten  ge- 
lernt hat.  sieht  sich  inmitten  einer  bunten  Mannichfaltigkeit  von  Orga- 
nismen, welche  ihm  in  ihrem  Bau  und  mehr  noch  in  ihren  Lebens- 
erscheinungen Aehnlichkeit  mit  dem  eigenen  Wesen  verraten.  Die 
Aehnlichkeit  tritt  ihm  bei  vielen  Säugethieren.  besonders  dem  menschen- 
ähnlichen Affen  mit  der  Deutlichkeit  einer  Carricatur  entgegen,  ver- 
wischt sich  bei  den  wirbellosen  Thieren,  lässt  sich  aber  selbst  bei  den 
niedersten  Lebewesen,  deren  Kenntniss  wir  der  Hilfe  des  Microscops 
verdanken,  noch  nachweisen,  wenn  auch  hier  die  Lebensvorgänge, 
welche  in  unserem  Körper  eine  staunenswerte  Complication  und  Voll- 
kommenheit erreicht  haben,  nur  mittelst  einer  eingehenden  Durch- 
forschung in  ihren  einfachsten  (irundzügen  erkannt  werden  können. 
Der  Mensch  ist  Theil  eines  grossen  Ganzen,  des  Thierrcichs.  eine  Ge- 
stalt unter  den  vielen  Hunderttausenden  von  Gestalten,  in  denen  die 
thierische  Organisation  zum  Ausdruck  gelangt. 

Will  man  den  Hau  des  Menschen  daher  vollkommen  verstehen, 
so  muss  man  ihn  auf  dem  Hintergrund  betrachten,  welchen  die 
Organisationsverhältnisse  der  übrigen  Thiere  bilden .  und  zu  dem 
Zweck  diese  Organisationsverhältnisse  erforschen.  Derartige  Bestre- 
bungen waren  es,  denen  die  wissenschaftliche  Thierkunde  oder  die 
Zoologie  ihre  Entstehung  und  fortdauernde  Förderung  verdankte;  sie 
sind  auch  heute  noch  vollkommen  berechtigt  und  dürfen  von  dem 
Zoologen  nicht  vernachlässigt  werden.  Allein  inzwischen  hat  sich  die 
Aufgabe  der  Zoologie  erweitert  :  auch  unabhängig  von  den  Beziehungen 
zum  Menschen  hat  der  Zoologe  die  Gestalten  der  Thiere  und 
das  Yerhältniss  derselben  zu  einander  zu  erklären.  Es  ist  das  ein 
reiches  Feld  wissenschaftlicher  Thätigkeit,  dessen  ungeheure  Aus- 
dehnung bedingt  wird  einerseits  von  der  fast  unerschöpflichen  Mannich- 
faltigkeit der  thierischen  Organisation,  andererseits  von  der  Ver- 
schiedenartigkeit der  Gesichtspunkte,  mit  denen  der  Zoologe 
an  die  Lösung  seiner  Aufgaben  herantritt. 

In  der  ersten  Hälfte  dieses  Jahrhunderts  galt,  wenn  auch  nicht 
ausschliesslich,  so  doch  überwiegend,  in  wissenschaftlichen  Kreisen  die 
Auffassung,  welche  sich  jetzt  noch  unter  Laien  als  die  herrschende 
erhalten  hat,  dass  die  Zoologie  die  Aufgabe  habe,  die  einzelnen  Thiere 
mit  Namen  zu  belegen,  nach  wenigen  leicht  erkennbaren  Merkmalen 

Her  t»  Ig,  Lehrbuch  der  Zojlugic.   3.  Aull  ige.  \ 


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2 


Einleitung. 


zu  charakterisiren  und  in  einer  die  schnelle  Bestimmung  ermöglichendem 
übersichtlichen  Weise  anzuordnen.  Unter  Thierkunde  verstand  man 
Systematik  der  Thiere.  das  heisst  nur  einen  Theil  der  Zoologie,  sogar 
einen  Theil  von  untergeordneter  wissenschaftlicher  Bedeutung.  Diese 
Auffassungsweise  ist  im  Lauf  der  letzten  4  Decennien  mehr  und  mehr 
in  den  Hintergrund  gedrängt  worden.  Der  Ehrgeiz,  möglichst  viele  neue 
Formen  beschriehen  zu  haben  und  durch  ausgebreitete  Artenkenntniss 
zu  glänzen,  gehört  einer  vergangenen  Zeit  an;  man  ist  sogar  dahin 
gelangt,  die  Systematik  mehr  als  billig  zu  vernachlässigen.  Um  so 
mehr  beherrschen  Morphologie  und  Physiologie  das 
Arbeitsgebiet  des  Zoologen. 
"ST  ^e  Morphologie  oder  die  Formenlehre  beginnt  mit  der  Er- 

scheinungsweise des  Thieres  und  hat  zunächst  Alles  zu  beschreiben, 
was  äusserlich  erkannt  werden  kann,  wie  Grösse,  Farbe,  Proportion 
der  Theile.  Da  aber  die  äussere  Erscheinung  eines  Thieres  sich  nicht 
verstehen  lässt  ohne  Kenntniss  der  inneren,  die  äusseren  Formen  be- 
dingenden Organe,  so  muss  der  Morphologe  sich  diese  mit  Hilfe  der 
Zergliederung,  der  Anatomie,  ebenfalls  zugängig  machen  und  nach 
ihrer  Form  und  Verbindungsweise  schildern.  Er  macht  mit  dieser 
Untersuchung  nicht  eher  Halt,  als  bis  er  an  den  morphologischen 
Elementen  oder  den  feinsten  Formtheilen  des  thierischen  Körpers, 
den  Zellen,  angelangt  ist.  Ueberall  hat  es  der  Morphologe  hierbei 
mit  Formverhältnissen  zu  thun ;  nur  die  Hilfsmittel,  mit  denen  er  Ein- 
blick in  dieselben  gewinnt,  sind  verschieden,  je  nachdem  er  durch  un- 
mittelbare Beobachtung,  oder  nach  vorhergegangener  Zergliederung 
mit  Messer  und  Scheere ,  oder  durch  Anwendung  des  Microscops 
die  Erfahrungen  sammeln  muss.  Daher  ist  es  nicht  gerechtfertigt, 
Morphologie  und  Anatomie  einander  gegenüber  zu  stellen  und  ersterer 
nur  die  Beschreibung  der  äusseren,  letzterer  die  Schilderung  der  inneren 
Theile  zuzuweisen.  Diese  Unterscheidung  ist  logisch  nicht  aufrecht  zu 
erhalten,  da  die  Art  der  Erkenntniss  und  die  geistige  Methode  der 
P'orschung  in  beiden  Fällen  die  gleichen  sind;  die  Unterscheidung  ist 
ausserdem  unnatürlich,  da  in  vielen  Fällen  Organe,  welche  gewöhnlich 
in  das  Innere  des  Körpers  verlagert  sind  und  zu  ihrer  Erkenntniss 
eine  anatomische  Präparation  voraussetzen,  der  KörperoberHäche  an- 
gehören und  einer  directen  Beschreibung  zugängig  sind,  da  ferner 
manche  Thiere  vermöge  ihrer  Durchsichtigkeit  auch  in  ihren  inneren 
Theilen  ohne  Zergliederung  durchforscht  werden  können, 
ifieu-heod».  ^  'e  nun  t"r  Je^e  Wissenschaft,  so  gilt  auch  für  die  Morphologie 
Anatomie.  (\ev  Satz ,  dass  die  Anhäufung  von  Beobachtungsmaterial  nicht  aus- 
reicht, um  ihr  den  Charakter  einer  Wissenschaft  zu  geben,  dass  es 
dazu  vielmehr  noch  der  geistigen  Verarbeitung  bedarf.  Eine  solche 
wird  durch  die  Vergleichung  der  anatomischen  Befunde  erzielt.  Der 
Morphologe  vergleicht  die  Thiere  unter  einander  nach  ihrem  Bau,  um 
zu  ermitteln,  was  von  Organisation  überall  wiederkehrt,  was  nur  auf 
enge  Kreise,  vielleicht  nur  auf  die  Repräsentanten  einer  Art  beschränkt 
ist.  Er  erzielt  dabei  einen  doppelten  Gewinn :  erstens  erhält  er  einen 
Einblick  in  die  Verwandtschaftsverhältnisse  der  Thiere  und  damit  die 
Grundlage  zu  einer  natürlichen  Systematik;  zweitens  weist  er  eine  die 
Organismen  beherrschende  Gesetzmässigkeit  nach.  Der  einzelne  Orga- 
nismus ist  nicht  ein  Gebilde,  welches  für  sich  entstanden  und  daher 
auch  vollkommen  aus  sich  heraus  erklärbar  ist ;  er  steht  vielmehr  in 
einem  gesetzmässigen  Abhängigkeitsverhältniss  zu  den  übrigen  Gliedern 


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Einleitung. 


des  Thierreichs.  Man  kann  seinen  Bau  nur  verstehen,  wenn  man  ihn 
mit  näher  und  weiter  verwandten  Thieren,  z.  B.  den  Menschen  mit  den 
übrigen  Wirbelthieren  und  manchen  niederen  wirbellosen  Formen,  ver- 
gleicht. Es  handelt  sich  hier  um  eine  der  rätselhaftesten  Erscheinungen 
in  der  Organismenwelt,  deren  völlige  Erklärung  erst  durch  die  Descen- 
denztheorie  angebahnt  worden  ist.  wie  bei  der  Darstellung  der  letzteren 
gezeigt  werden  soll. 

Zur  Morphologie  gehört  als  ein  wichtiger  integrierender  Bestand-  o»toiwie. 
theil  die  Ontogenie  oder  die  Entwicklungsgeschichte.  Nur 
wenige  Thiere  sind  am  Anfang  ihrer  individuellen  Existenz  in  allen 
ihren  Theilen  fertig  gebildet  :  meist  entstehen  sie  aus  dem  Ei,  einem 
verhältnissmässig  einfachen  Körper,  und  gewinnen  erst  allmählig  auf 
dem  Wege  complicirter  Formwandlungen  ihre  bleibende  Gestalt.  Der 
Morphologe  muss  in  möglichst  lückenloser  Reihe  die  einzelnen  Form- 
zustände durch  Beobachtung  feststellen ,  sie  mit  dem  ausgebildeten 
Thiere  und  mit  dem  Bau  und  den  Entwicklungsstadien  anderer  Thiere 
vergleichen.  Hierbei  offenbart  sich  ihm  dieselbe  Gesetzmässigkeit,  welche 
den  Bau  der  ausgebildeten  Thiere  beherrscht,  deren  Erkenntnis»  sowohl 
für  die  Systematik  als  auch  für  die  ursächliche  Erklärung  der  Thier- 
formen  von  fundamentaler  Bedeutung  ist.  Die  Entwieklungszustände 
des  Menschen  verrathen  gesetzmässige  Uebereinstimmung  nicht  nur 
mit  dem  Bau  des  ausgebildeten  Menschen,  was  an  und  für  sich  ja 
begreiflich  wäre,  sondern  auch  mit  dem  Bau  niederer  Wirbelthiere, 
wie  der  Fische,  ja  selbst  vieler  Thiere  aus  den  Gruppen  der  Wirbel- 
losen. 

Wie  der  Morphologe  den  Bau,  so  hat  der  Physiologe  die ph^r* 
Lebenserscheinungen  des  Thieres  und  die  Functionen  seiner  Organe  zu 
erforschen.  Früher  hielt  man  das  Leben  für  die  Aeusserung  einer  be- 
sonderen, nur  in  den  Organismen  thätigen  Lebenskraft  und  verzichtete 
damit  auf  eine  endgiltige  Erklärung  des  Lehensproeesses.  Die  moderne 
Physiologie  hat  die  Theorie  von  der  Lebenskraft  verlassen:  sie  hat  den 
Versuch  begonnen,  das  Leben  in  eine  Summe  äusserst  complicirter 
chemisch  -  physikalischer  Processe  aufzulösen  und  somit  die  auf  dem 
Gebiet  des  Anorganischen  herrschenden  Erklärungsprincipien  auch  auf 
das  Organismenreich  zu  übertragen.  Die  Erfolge,  welche  auf  diese 
Weise  erreicht  worden  sind,  lassen  erkennen,  dass  der  eingeschlagene 
Weg  der  richtige  ist. 

Da  jede  organische  Form  ein  Product  ihrer  Entwicklung  ist,  da 
ferner  die  Entwicklung  sich  uns  als  eine  Summe  mannichfaltigster 
Lebensprocesse  darstellt,  so  ist  die  Erklärung  der  organischen  Körper- 
formen in  letzter  Instanz  auch  ein  physiologisches  Problem,  freilich 
ein  Problem,  dessen  Lösung  noch  in  unendlich  weiter  Zukunft  liegt. 
Was  in  dieser  Richtung  thatsächlich  geleistet  worden  ist,  bewegt  sich 
in  den  allerdürftigsten  Anfängen  und  ist  äusserst  wenig,  selbst  im  Ver- 
gleich zu  dem.  was  Vielen  schon  fälschlicherweise  als  erreicht  erscheint. 

Insofern  als  für  jeden  Organismus  die  Beziehungen  zur  Aussenwelt  »wonr. 
durch  sejne  Lebensäusserungen  vermittelt  werden,  gehört  zur  Physio- 
logie, oder  reiht  sich  ihr  wenigstens  an,  die  Lehren  von  den  Existenz- 
bedingungen der  Thiere,  die  0  e  k  o  1  o  g  i  e .  vielfach  auch  die  B  i  o  1  o  g  i  e 
genannt.  Diese  Disciplin  hat  besonders  in  der  Neuzeit  eine  hervor- 
ragende Bedeutung  gewonnen.  Wie  sich  die  Thiere  über  den  Erdball 
verbreiten,  wie  Klima  und  Bodenbeschatt'enheit  ihre  Verbreitung  beein- 
flussen, wie  durch  die  genannten  Factoren  Bau  und  Lebensweise  der 

1* 


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4 


Einleitung. 


Thiere  verändert  werden,  das  sind  Fragen,  welche  jetzt  mehr  denn  je 
erörtert  werden. 

Schliesslich  gehört  in  das  Gebiet  der  Zoologie  auch  die  Paläo- 
zoologic  oder  die  Paläontologie,  die  Lehre  von  den  ausgestor- 
benen Thieren.  Denn  zwischen  ausgestorbenen  und  lebenden  Thieren 
besteht  ein  genetischer  Zusammenhang:  jene  sind  die  Vorläufer  von 
diesen  und  ihre  Versteinerungen  die  sichersten  Documenta  der  Ge- 
schichte der  Thierwelt,  der  Stammesgeschichte  oder  der  Phytogen  ie. 
Wie  in  menschlichen  Dingen  der  derzeitige  Zustand  sich  nur  historisch 
vollkommen  begreifen  lässt.  so  muss  auch  vielfach  der  Zoologe  zur 
Erklärung  der  lebenden  Thierwelt  die  Resultate  der  Paläontologie 
heranziehen. 

In  der  hier  erläuterten  Weise  würde  die  Zoologie  zu  umgrenzen 
sein,  wenn  man  sich  ausschliesslich  von  wissenschaftlichen  Gesichts- 
punkten aus  leiten  lassen  wollte.  Praktische  Rücksichtnahmen  haben 
jedoch  manche  Moditicationen  nöthig  gemacht.  Wegen  ihrer  hervor- 
ragenden Bedeutung  für  die  Medicin  haben  sich  menschliche  Anatomie 
und  Entwicklungsgeschichte  zu  selbständigen  Wissenszweigen  ausge- 
bildet. Von  einer  Thierphysiologie  sind  nur  die  allgemeinsten  Grund- 
züge entworfen :  eine  speciellere  Physiologie  existirt  nur  für  den 
Menschen  um!  die  ihm  nahestehenden  Wirbelthiere :  sie  ist  aus  den 
genannten  Gründen  ebenfalls  zu  einer  besonderen  Disciplin  geworden. 
Auch  die  Paläontologie  hat  neben  ihren  specitisch  zoologischen  Auf- 
gaben die  Bedeutung  einer  Hilfswissenschaft  für  die  Geologie  erhalten, 
indem  sie  die  Materialien  zur  Charakteristik  und  Abgrenzung  der 
einzelnen  Erdperioden  und  der  den  Perioden  entsprechenden  Erd- 
schichten liefert.  Wenn  man  daher  jetzt  von  Zoologie  spricht  so  hat 
man  vorwiegend  Morphologie  und  Systematik  der  lebenden 
Thiere  mit  Berücksichtigung  ihrer  allgemeinen  Lebens- 
e  r  s  c  h  e  i  n  u  n  g  e  n  im  Sinne. 

Die  Anschauungen,  welche  ich  hier  vom  Wesen  der  Zoologie  aus- 
gesprochen habe,  sind  nicht  zu  allen  Zeiten  dieselben  gewesen.  Wie 
jede  Wissenschaft,  so  hat  auch  die  Zoologie  sich  alhnählig  entwickelt: 
es  wechselten  mit  einander  Zeiten  und  Strömungen,  in  denen  die  syste- 
matische oder  die  morphologische  oder  die  physiologische  Betrachtungs- 
weise der  Thiere  vorherrschte.  Es  ist  nun  von  hohem  Interesse, 
einen  kurzen  Ueberblick  von  den  wichtigsten  Entwieklungsphasen  der 
Zoologie  zu  gewinnen.  Der  Leser  wird  den  Fragen,  welche  jetzt  die 
zoologische  Forschung  beherrschen,  ein  erhöhtes  Verständniss  entgegen- 
bringen, wenn  er  weiss,  wie  sie  sich  historisch  herausgebildet  haben. 


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t 


Geschichte  der  Zoologie. 


In  der  Geschichte  der  Zoologie  kann  man  zwei  grosse  Strömungen 
unterscheiden,  welche  in  einzelnen  Männern  sich  berührt  oder  vereinigt 
haben,  welche  aber  im  Grossen  und  Ganzen  sich  doch  unabhängig, 
vielfach  sogar  in  ausgesprochenem  Gegensatz  zu  einander  entwickelt 
haben :  es  sind  dies  einerseits  die  systematische,  andererseits  die  mor- 
phologisch-physiologische Betrachtungsweise  der  Thiere.  Wir  werden 
sie  in  diesem  kurzen  geschichtlichen  Ueberblick  der  Klarheit  halber 
auseinanderhalten  müssen,  wenn  auch  der  Gegensatz  beider  Richtungen 
in  den  Anfängen  der  zoologischen  Forschung  noch  fehlte  und  auch 
später  sich  vielfach  verwischt  hat. 

Mit  dem  Ehrennamen  eines  ..Vaters  der  Naturgeschichte"  hat  man  Arutoteiw. 
den  grossen  griechischen  Philosophen  Aristoteles  geziert  und  damit 
zum  Ausdruck  gebracht,  dass  die  Bruchstücke  des  zoologischen  Wissens 
seiner  Vorgänger  nicht  in  Vergleich  gesetzt  werden  können  mit  dem 
wohlgeordneten  Bau,  in  welchem  Aristoteles  seine  und  seiner  Vor- 
gänger Kenntnisse  vom  Wesen  der  Thiere  zusammengefasst  hat.  In 
Aristoteles  vereinigten  sich  günstige  äussere  Bedingungen  mit  gün- 
stiger geistiger  Beanlagung.  Ausgerüstet  mit  den  literarischen  Hilfs- 
quellen einer  umfangreichen  Bibliothek  und  den  für  naturhistorische 
Untersuchungen  damals  noch  mehr  als  jetzt  unerlässlichen  Geldmitteln, 
vertrat  er  die  induetive  Methode,  welche  aHein  im  Stande  ist,  auf  dem 
Gebiete  der  Naturwissenschaften  sichere  Fundamente  zu  liefern.  Seine 
zoologisch  wichtigsten,  leider  nur  zum  Theil  erhaltenen  Werke  sind  die 
..Historia  animalium".  ..De  partibus"  und  ..De  generatione".  drei  Werke, 
in  welchen  die  Zoologie  als  eine  universelle  Wissenschaft  begründet 
wurde,  indem  Anatomie  und  Entwicklungsgeschichte.  Physiologie  und 
Systematik  gleichmässig  Berücksichtigung  fanden.  Wie  weit  Aristo- 
teles —  selbstverständlich  neben  vielem  Irrthümlichen  —  in  der 
richtigen  Erkenntniss  des  Baues  und  der  Entwicklungsweise  der  Thiere 
gelangt  ist,  wird  am  schlagendsten  der  Hinweis  erläutern,  dass  manche 
seiner  Entdeckungen  erst  in  diesem  Jahrhundert  ihre  Bestätigung  ge- 
funden haben.  So  wusste  Aristoteles,  was  erst  von  Joh.  Müller 
wieder  neu  entdeckt  worden  ist.  dass  manche  Haie  nicht  nur  lebendig 
gebären,  sondern  dass  bei  ihnen  auch  der  Embryo  im  Uterus  der  Mutter 
festwächst  und  eine  an  die  Placenta  der  Säugethiere  und  des  Menschen 
erinnernde  Nährvorrichtung  bildet  ;  er  kannte  den  Unterschied  männ- 
licher und  weiblicher  Cephalopoden,  und  dass  die  jungen  Tintenfische 
einen  mundständigen  Dottersack  besitzen. 


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Entwicklung  der  systematischen  Zoologie. 


Von  grossem  Interesse  ist,  wie  sich  Aristoteles  zur  Systematik 
der  Thiere  verhalt.  Er  erwähnt  in  seinen  Schriften  die  stattliche  Zahl 
von  etwa  ftf.H.)  Thierarten :  da  er  sehr  bekannte  Formen  wie  Dachs, 
Libelle  etc.  nicht  nennt,  kann  man  mit  Sicherheit  annehmen,  dass  ihm 
sehr  viel  mehr  noch  bekannt  waren,  dass  es  ihm  nicht  nothwendig 
erschien,  alle  ihm  bekannten  Formen  aufzuführen,  dass  er  sie  nur 
nannte,  wenn  es  ihm  darauf  ankam,  gewisse  physiologische  oder  mor- 
phologische Verhältnisse  an  ihnen  zu  erläutern. 

Dieses  Zurücktreten  des  systematischen  Interesses  kommt  auch 
darin  zum  Ausdruck,  dass  der  grosse  Philosoph  sich  mit  'J  systematischen 
Kategorien  begnügte,  mit  eldo^,  Speeles  oder  Art,  und  ytrng  oder  Gruppe. 
Seine  acht  ytvr.  u/yioia  würden  etwa  den  ('lassen  der  modernen  Zoologie 
entsprechen ;  sie  sind  Ausgangspunkt  aller  späteren  (Tassiticationsver- 
suche  geworden  und  mögen  daher  hier  aufgeführt  werden : 
1.  Säugethiere  \Zvmro'/.ovvia  *v  mro/\,). 
'2.  Vögel  (opi'j #£&;). 

3.  Eierlegende  Vierfüssler  [itiQtiinda  i<'tnio/.otria). 

4.  Fische  (tzltvE<;). 

f>.  Weichthiere  (uaXcr/.ta). 
(>.  Kruster  (iiala/.öaiQct/.a), 

7.  Insekten  (tvinita). 

8.  Schalt hiere  [6oTQccAndt'(ftuant). 

Auch  die  Zusammengehörigkeit  der  vier  ersten  Gruppen  hat  Ari- 
stoteles herausgefühlt,  indem  er  sie.  ohne  allerdings  damit  eine  Ein- 
tlieilung  durchfühlen  zu  wollen,  als  Mutthiere  treu /tu  (besser  Thiere  mit 
rothem  Wut)  den  Mutlosen  ärmita  (besser  Thiere  mit  farblosem  oder 
gar  keinem  Mut)  gegenüberstellt. 


Entwicklung  der  systematischen  Zoologie, 


Ks  ist  eine  höchst  überraschende  Erscheinung,  dass  im  Anschluss 
au  die  Schriften  des  Aristoteles,  in  denen  die  Systematik  zurück- 
tritt und  nur  dazu  dient,  die  anatomischen  Verwandtschaftsverhältnisse 
der  Thiere  zum  Ausdruck  zu  bringen,  sich  eine  exclusiv  systematische 
Richtung  entwickelt  hat.  Die  Erscheinung  ist  nur  verständlich,  wenn 
man  berücksichtigt,  dass  es  sich  hier  nur  um  ein  äusserliches  Anknüpfen 
handelt.dass  dagegen  die  geistige  Continuität  der  Forschung  vollkommen 
unterbrochen  war.  einerseits  durch  den  Verfall  und  schliesslich  gänz- 
lichen Zusammenbruch  der  Bildung  des  classischen  Alterthums,  anderer- 
seits durch  das  siegreiche  Vordringen  der  christlichen  Weltauffassung. 
Den  Verfall  der  eben  erst  aufgeblühten  zoologischen  Forschung  be- 
kunden schon  die  Schriften  des  IMinius.  Nachdem  der  römische  Feld- 
herr und  Gelehrte  lange  Zeit  als  ein  hervorragender  Zoologe  des  Alter- 
thunis  gefeiert  worden  ist.  räumt  man  ihm  jetzt  nur  noch  die  Stelle 
eines  nicht  einmal  glücklichen  Compilators  ein.  der  aus  anderen  Schriften 
kritiklos  Richtiges  und  Fabulöses  zusammengetragen  und  die  naturge- 
mässe  Classification  der  Thiere  nach  ihrem  Hau  durch  die  unnatürliche, 
rein  äusserliche  Kintheilung  nach  ihrem  Aufenthaltsort  (Flugthiere, 
Landthiere,  Wasserthierei  ersetzt  hat. 


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Entwicklung  der  systematischen  Zoologie. 


Was  weiter  «las  Auftreten  des  Christenthums  anlangt,  so  hatte  SjSJj2fJ,J 
dasselbe  zunächst  eine  vollkommene  Vernichtung  des  naturwissen- 
schaftlichen Wissens  und  Forschens  zur  Folge.  Der  weltflüchtige 
Charakter,  welcher  von  Haus  aus  der  christlichen  Weltautfassung  cigen- 
thümlieh  war.  führte  zu  einer  feindseligen  Stimmung  gegen  jede  geistige 
Beschäftigung  mit  Naturobjecten.  Es  kam  eine  Zeit,  in  der  man 
Fragen,  welche  durch  die  einfachste  Beobachtung  gelöst  werden  konnten, 
durch  mühsames  gelehrtes  Durchstöbern  der  Werke  maassgebender 
Autoren  zu  entscheiden  suchte.  Die  Frage,  wie  viel  Zähne  das  Pferd 
besitzt,  wurde  in  vielen  Streitschriften  abgehandelt,  welche  das  schwere 
Geschütz  der  Autoren  in  das  Feld  führten,  ohne  dass  aber  einer  der 
Gelehrten  Veranlassung  genommen  hätte,  einem  Pferde  in  das  Maul 
zu  sehen.  Bezeichnend  für  diese  das  ganze  Mittelalter  beherrschende 
Geistesrichtung  ist  der  Physiologus  oder  Bestiarius.  ein  Buch,  aus 
welchem  die  Verfasser  mittelalterlicher  zoologischer  Schriften  vielfach 
geschöpft  haben.  Das  Buch  nennt  in  seinen  verschiedenen  Auflagen 
und  Ausgaben  etwa  70  Thiere.  darunter  viele  Fabelwesen:  Drache, 
Einhorn,  Phönix  etc.  Auch  sind  die  über  die  einzelnen  Thiere  mit- 
getheiten  Erzählungen  zumeist  Fabeln,  erfunden,  um  religiöse  oder 
ethische  Lehren  zu  erläutern.  In  gleicher  Weise  spielt  das  religiöse 
Moment  eine  wichtige  Rolle  in  den  bändereichen  Naturgeschichten  der 
Dominicaner  Albertus  Magnus  und  Vincentius  Bellovaeen- 
sis  und  des  Augustiners  Thomas  C  an  ti  m  pratensis,  wenn  auch 
dieselben  im  l'ebrigen  die  lateinische  Uebersetzung  des  Aristoteles, 
dio  Werke  des  Plinius  und  anderer  Autoren  des  Alterthums  bei  ihrer 
Darstellung  als  Grundlage  benutzten. 

Unter  solchen  Verhältnissen  musste  man  es  als  einen  gewaltigen  wouon. 
Fortschritt  betrachten,  dass  man  nach  Ausgang  des  Mittelalters,  als 
das  Interesse  an  wissenschaftlicher  Forschung  von  Neuem  erwachte, 
auf  die  ausschliesslich  von  naturwissenschaftlichen  Gesichtspunkten  ge- 
leitete Betrachtungsweise  des  Aristoteles  zurückgriff.  In  diesem  Sinn 
kann  als  ein  Erneuerer  des  Aristoteles  der  Engländer  Wotton  be- 
zeichnet werden,  welcher  l.Y>2  sein  Werk  „de  ditferentiis  animaliuni" 
schrieb,  in  dem  er  das  System  des  Aristoteles  im  Wesentlichen  copirte, 
nur  dass  er  die  Gruppe  der  Pflanzenthiere  oder  Zoophyten  neu  auf- 
nahm. Indessen  schon  der  Titel  ..über  die  unterscheidenden  Merk- 
male der  Thiere"  lässt  erkennen,  dass  von  dein  reichen  Schatz  des 
Aristotelischen  Wissens  vorwiegend  die  systematischen  Resultate  Auf- 
nahme gefunden  haben;  und  so  inaugurirt  denn  auch  das  Werk 
Wotton 's  die  Periode  der  systematischen  Zoologie,  welche  in  dem 
P^ngländer  Ray,  noch  mehr  aber  in  Linne  ihre  glänzendsten  Ver- 
treter gefunden  hat. 

Linne,  Sprössling  einer  schwedischen  Pfarrersfamilie,  welche  Linne- 
ihren  Namen  „Ingemarsson"  nach  einer  Linde  an  dem  Pfarrhaus  in 
Lindelius  verwandelt  hatte,  wurde  im  Jahre  1707  in  Rashult  geboren. 
Von  seinen  Lehrern  für  untauglich  zum  Studium  erklärt,  wurde  er 
durch  den  Einfluss  eines  Arztes,  der  die  glänzenden  (iahen  des  Knaben 
richtig  erkannte,  vor  dem  Schicksal,  das  Schusterhandwerk  zu  lernen, 
bewahrt  und  für  das  medicinische  Studium  gewonnen.  Er  studirte  in 
Lund  und  Xrpsala,  machte  als  junger  Mann  von  2*  Jahren  ausgedehnte 
Reisen  nach  dem  Continent  und  gewann  sich  schon  damals  die  An- 
erkennung der  hervorragendsten  Fachgenossen  :  1741   wurde  er  Pro- 


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Entwicklung  der  systematischen  Zoologie. 


fessor  der  Mediein  in  Upsala.  wenige  Jahre  später  Professor  der 
Katurgeschichte.    Sein  Tod  erfolgte  im  Jahre  177*. 

Linne's  wichtigstes  Werk  ist  sein  ..Systema  Naturae",  welches 
im  Jahre  1735  in  erster,  im  Jahre  17t>(> — Ii*  in  XII.  Auflage  erschien 
und  sogar  nach  seinem  Tode  eine  letzte  (XIII.),  von  Gmelin  besorgte 
Auflage  erlebte.  Dasselbe  ist  Grundlage  geworden  für  die  systema- 
tische Zoologie,  indem  es  zum  ersten  Mal  1  j  eine  schärfere  Gliederung 
des  Systems.  '2)  eine  bestimmte  wissenschaftliche  Terminologie,  die 
binäre  Nomenclatur.  und  .'))  kurz  gefasste  klare  Diagnosen  einführte. 
Hei  der  Gliederung  des  Systems  verwandte  Linne  4  Kategorien:  er 
theilte  das  ganze  Thierreich  in  Classen.  die  Gassen  in  Ordnungen, 
diese  in  Genera,  die  Genera  endlich  in  Arten  ein;  der  Begriff  der 
Familie  war  dem  Systema  Naturae  fremd.  Noch  wichtiger  war  die 
binäre  Xomenclatur.  Bis  dahin  waren  in  der  wissenschaftlichen 
Welt  die  Yulgärnamen  üblich,  was  zu  vielen  Mißständen  geführt 
hatte:  dieselben  Thiere  wurden  mit  verschiedenen,  verschiedenartige 
Thiere  mit  gleichen  Namen  belegt:  in  der  Benennung  neu  entdeckter 
Thiere  herrschte  kein  allgemein  giltiges  Princip.  Diese  Uebelstände 
wurden  von  Linne  in  der  X.  Autlage  seines  Systems  vollkommen  be- 
seitigt durch  Einführung  einer  besonderen  wissenschaftlichen  Be- 
nennung. Ein  vorangestelltes  Hauptwort  bezeichnet  die  Gattung,  zu 
welcher  das  Thier  gehört,  ein  zugefügtes  zweites  Wort,  meist  ein  Ad- 
jectiv.  die  jedesmalige  Art  innerhalb  der  Gattung.  Die  Namen  Canis 
familiaris,  Canis  lupus,  Canis  vulpes  sagen  aus.  dass  Hund,  Wolf  und 
Fuchs  einander  nahe  stehen,  indem  sie  zu  derselben  Gattung,  zur 
Gattung  der  hundeähnlichen  Thiere.  gehören,  innerhalb  deren  sie  be- 
sondere Arten  bilden.  Die  Linne'sche  Benennungsweise  war  nament- 
lich bei  der  Beschreibung  neuer  Arten  von  grosser  Bedeutung,  inso- 
fern sie  den  Leser  gleich  von  Anfang  darüber  orientirte.  in  welche 
verwandtschaftlichen  Beziehungen  die  neue  Species  zu  bringen  sei. 

Bei  der  Charakteristik  der  einzelnen  systematischen  Gruppen  brach 
Linne  vollkommen  mit  dem  bis  dahin  üblichen  Brauch.  Seine  Vor- 
gänger, wie  G essner,  Aldrovandi.  hatten  in  ihren  Naturgeschich- 
ten von  jedem  Thier  eine  langathmige  und  ausführliche  Schilderung 
gegeben,  in  welcher  das,  was  besonders  charakteristisch  für  das  Thier 
war  und  bei  seiner  Bestimmung  vornehmlich  Berücksichtigung  ver- 
langte, für  den  Anfänger  kaum  herauszufinden  war.  Dafür  führte 
Linne  kurze  Diagnosen  ein,  welche  in  wenigen,  nicht  einmal  in  Satz- 
form gefassten  Worten  nur  das  zum  Erkennen  Nothwendige  enthielten. 
Damit  war  der  Weg  gefunden,  mittelst  dessen  es  möglich  wurde,  bei 
der  enorm  wachsenden  Zahl  bekannter  Thiere  die  Uebersichtlichkeit 
zu  bewahren. 

In  den  hier  zur  Genüge  hervorgehobenen  grossen  Vorzügen  der 
Linne  sehen  Systematik  lagen  nun  aber  gleichzeitig  auch  die  Keime  zu 
der  einseitigen  Entwicklung,  welche  unter  dem  Eintiuss  Linne 's  die 
Zoologie  genommen  hat.  Die  unzweifelhaft  nothwendig  gewordene 
logische  Durchbildung  der  Systematik  machte  diese  zu  einer  glänzen- 
den Erscheinung,  welche  darüber  täuschte,  dass  sie  nicht  Endzweck 
der  Forschung,  sondern  nur  ein  wichtiges  und  unentbehrliches  Hilfs- 
mittel derselben  sei.  In  der  Freude,  die  Thiere  zu  benennen  und  zu 
elassihciren.  ging  das  höhere  Ziel  der  Forschung,  das  Wesen  des 
Thieres  zu  erkennen,  verloren,  und  es  erlahmte  das  Interesse  für 
Anatomie,  Physiologie  und  Entwicklungsgeschichte. 


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Entwicklung  der  Morphologie. 


0 


Man  kann  diese  Vorwürfe  dem  Vater  der  Richtung,  Linn «5,  selbst 
nicht  ersparen.  Indem  er  in  seinem  Systema  Naturae  eine  ausser- 
ordentlich viel  grössere  Zahl  von  Thierarten  bewältigte  als  irgend  ein 
früherer  Zoologe,  hat  er  keine  Vertiefung  unserer  Kenntnisse  herbei- 
geführt. Die  Art.  wie  er  das  Thierreich  eintheilte.  ist  im  Vergleich 
zum  Aristotelischen  System  eher  ein  Rückschritt  als  ein  Fort- 
schritt zu  nennen.  Linne  theilte  das  Thierreich  in  <>  Gassen:  Mam- 
nmlta,  Ares,  Amphibia,  Pisces,  Insecta,  Verntes.  Die  4  ersten  Classen 
entsprechen  den  4  Gruppen  der  Blutthiere  des  Aristoteles:  mit  der 
Eintheilung  der  wirbellosen  Thiere  in  Vermes  und  Insecta  steht 
Linne,  unzweifelhaft  hinter  Aristoteles  zurück,  welcher,  zum  Theil 
sogar  mit  Glück,  versucht  hatte,  eine  grössere  Anzahl  von  Gruppen 
aufzustellen. 

Noch  mehr  aber  als  bei  Linne  treten  uns  die  Schäden  der  syste- 
matischen Betrachtungsweise  bei  seinen  Nachfolgern  entgegen.  LinntTs 
Diagnosen  waren  ebensoviel  Schablonen,  welche  mutatis  mutandis  mit 
leichter  Mühe  auf  neue  Arten  angewandt  werden  konnten.  Es  be- 
durfte dazu  nur  des  Austausches  der  die  Unterschiede  zum  Ausdruck 
bringenden  Beiworte.  Bei  den  100  Tausenden  verschiedener  Thier- 
arten, namentlich  Insectenarten,  fehlte  es  nicht  an  Material,  und  so 
war  die  Arena  geebnet  für  die  geistlose  Specieszoologie.  welche  in 
der  ersten  Hälfte  dieses  Jahrhunderts  «bis  Ansehen  der  Zoologie  im 
Kreise  der  Gebildeten  geschädigt  hat.  Es  wäre  Gefahr  gewesen,  dass 
die  Zoologie  sich  zu  einem  babylonischen  Thurmbau  von  Artbeschrei- 
bungen ausgewachsen  hätte,  wenn  nicht  durch  das  Erstarken  der 
physiologisch -anatomischen  Betrachtungsweise  ein  Gegengewicht  ge- 
schaffen worden  wäre. 


Entwicklung  der  Morphologie. 


Die  vergleichende  Anatomie  —  denn  um  diese  handelt  es  sich  J"1",™!" 
hier  vornehmlich  —  hat  ihre  Ausbildung  lange  Zeit  über  vorwiegend  »«*«•  An«r- 
den  Vertretern  der  menschlichen  Anatomie  zu  verdanken  gehabt,  wo-  Uiun15' 
mit  es  denn  zusammenhing,  dass  bis  in  die  Neuzeit  die  vergleichende 
Anatomie  zu  der  medicinischen  Facultät  gerechnet  wurde,  wahrend  die 
Zoologie,  als  ob  sie  eine  ganz  andere  Disciplin  wäre,  der  philosophi- 
schen Facultät  angehörte.  —  Schon  die  Schüler  des  Hippocrates 
trieben  Thieranatomie,  um  sich  nach  dem  Bau  anderer  Säugethiere 
ein  Bild  von  der  Organisation  des  Menschen  zu  machen  und  damit 
eine  sichere  Unterlage  für  die  Diagnose  der  menschlichen  Krankheiten 
zu  gewinnen.  Das  in  dieser  Hinsicht  hervorragendste  Werk  des  clas- 
sischen  Alterthums,  die  berühmte  menschliche  Anatomie  von  Clau- 
dius Galen  us  (Dl— 2()1  n.  Chr.).  stützte  sich  vorwiegend  auf  Be- 
obachtungen, welche  an  Hunden,  Alfen  etc.  gesammelt  worden  waren. 
Denn  im  Alterthum  und  später  auch  im  Mittelalter  hielt  eine  begreif- 
liche Scheu  den  Menschen  zurück,  den  menschlichen  Leichnam  zum 
Gegenstand  wissenschaftlicher  Untersuchungen  zu  machen. 

Auch  für  die  Anatomie  erwies  sich  das  erste  Jahrtausend,  in  Mittelalter. 


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10 


Entwicklung  der  Morphologie. 


welchem  das  Christenthum  die  herrschende  Macht  im  geistigen  Lehen 
der  Volker  bildete,  als  völlig  unfruchtbar:  man  hielt  sich  im  Grossen 
und  Ganzen  an  die  Schriften  des  Galen  und  die  Werke  seiner 
Commcntatoren  und  nahm  nur  selten  Veranlassung,  ihre  Richtigkeit 
durch  eigene  Beobachtungen  zu  erproben.  Erst  mit  dem  Ausgang 
des  Mittelalters  brach  sich  das  Interesse  für  selbständige  wissenschatt- 
v  *at  jj(.jK,  Forschung  Hahn.  Vesal.  der  Schöpfer  der  modernen  Anatomie 
(lf>14 — lf)i>4).  hatte  den  Muth.  menschliche  Leichen  genau  zu  unter- 
suchen und  in  den  Schriften  des  Galen  zahlreiche  Irrthümer  nachzu- 
weisen, welche  dadurch  entstanden  waren,  dass  unberechtigter  Weise 
Thierbefunde  auf  den  menschlichen  Korper  übertragen  worden  waren. 
Durch  seine  Correcturen  des  Galen  gerieth  Vesal  mit  seinem  Lehrer 
Sil  vi  us,  einem  energischen  Vorkämpfer  der  Galenschen  Autorität, 
und  seinem  berühmten  Zeitgenossen  Eustachius  in  einen  heftigen 
Streit,  der  viel  zur  Entwicklung  der  vergleichenden  Anatomie  beige- 
tragen hat.  Zunächst  wurden  Thieranatomieen  nur  gemacht,  um  die 
Ursachen  der  Galenschen  Irrthümer  aufzudecken,  später  aber  auch 
aus  Lust  und  Liebe  zur  Sache.  Es  ist  begreiflich,  dass  in  erster 
Linie  die  Wirbelthiere  Berücksichtigung  fanden,  da  sie  dem  Menschen 
im  Hau  am  nächsten  stehen  und  am  meisten  zum  Vergleich  heraus- 
fordern. So  erschienen  noch  im  gleichen  Jahrhundert  mit  Vesals 
menschlicher  Anatomie  die  Abbildungen  von  Wirbelthierskeletten 
durch  den  Nürnberger  Arzt  Coiter.  die  anatomischen  Schriften  von 
Fabricius  ab  A  q  ua  p  en  den  t  e  etc.  Später  wandte  sich  aber  auch 
das  Interesse  den  Insccten  und  MoI/usJcen,  ja  selbst  den  im  Meere 
wohnenden  Echinodermcn ,  den  Coel enteraten  und  Protozoen  zu.  Hier 
verdienen  vor  Allem  drei  Männer  genannt  zu  werden,  welche  am  Ende 
Az«HUCmiJ,!r''(ls  IT.  Jahrhunderts  lebten,  der  Italiener  Marcello  Malpighi  und 
die  Holländer  Swammerdaiu  und  Leeuwenhoek.  Des  ersteren 
„Disscrtatio  de  bombi/ee"  war  bahnbrechend  für  die  Inscctenanatomie, 
indem  sie  durch  die  Entdeckung  der  Vasa  Malpighi.  des  Herzens,  des 
Nervensystems,  der  Tracheen  etc.  eine  ausserordentliche  Hereicherung 
unseres  Wissens  herbeiführte.  Von  S  w  a  m  m  e  r  d  a  m  '  s  Schriften  ist 
vor  Allem  die  ..Hibel  der  Natur"  hervorzuheben,  ein  Werk,  dem  sich 
kein  anderes  der  damaligen  Zeit  zur  Seite  stellen  lässt.  indem  es 
Aufschlüsse  von  einer  bewundernswerthen  Genauigkeit  über  den  Hau 
der  Bienen ,  Eintagsfliegen ,  Schnecken  etc.  enthält.  L  e  e  u  w  enhook 
endlich  ist  der  glücklichste  Entdecker  gewesen  auf  dem  Gebiete  der 
von  ihm  in  die  Wissenschaft  eingeführten  microscopischen  Forschung; 
vor  Allem  lehrte  er  neben  vielerlei  Anderem  auch  die  kleinen  He- 
wohner  des  Süsswassers.  die  „Inf'usionsthierchen"  kennen,  deren  ge- 
nauere Untersuchung  zu  einem  vollständigen  Umschwung  in  unseren 
Autfassungen  vom  Wesen  der  thierischen  Organisation  geführt  hat. 

Das  grosse  Verdienst  der  genannten  Männer  besteht  vornehmlich 
darin,  dass  sie  gründlich  mit  dem  Staub  der  Büchergelehrsamkeit  auf- 
räumten und.  indem  sie  sich  nur  auf  ihre  eigenen  Augen  und  ihr 
eigenes  Urtheil  verliessen,  den  Menschen  das  gänzlich  verloren  ge- 
gangene Gut  selbständiger  und  unbefangener  Beobachtung  wiederge- 
wannen. Sie  trugen  das  Interesse  für  Naturbeobachtung  in  die 
weitesten  Kreise,  so  dass  im  ls.  Jahrhundert  die  Zahl  selbständiger 
naturwissenschaftlicher  Schriften  eine  ganz  ausserordentliche  Ver- 
mehrung erfuhr.  Mit  Bau  und  Entwicklung  der  Insccten  befasste 
sich  in  Schweden  de  Geer.  in  Frankreich  Reauinur.  in  Belgien 


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Entwicklung  der  Morphologie. 


11 


Lyon  et.  in  Deutschland  Hösel  von  Rosenhof;  letzterer  schrieb 
zugleich  eine  noch  jetzt  lesenswerthe  Monographie  der  einheimischen 
Batrachier.  Namentlich  aber  bildete  die  Untersuchung  der  Infusorien 
eine  Lieblingsbeschäftigung  für  Gelehrte  und  Laien,  wie  Wrisberg, 
v.  Gleichen-Russwurm,  Schaff  er,  Eichhorn,  0.  F.  Müller. 
In  den  meisten  Schriften  tritt  der  religiöse  Charakter  der  Natur- 
betrachtung ausserordentlich  in  den  Vordergrund,  wie  denn  unter  den 
Schriftstellern  zahlreiche  Geistliche.  Eichhorn  in  Danzig.  Goeze  in 
(Quedlinburg.  Sc h äffer  in  Regensburg,  sich  einen  ehrenvollen  Platz 
errungen  haben,  ein  Zeichen,  dass  es  zu  einer  Aussöhnung  zwischen 
Christenthum  und  Naturbeobachtung  gekommen  war.  Um  einen 
Maassstab  für  die  im  Verhältniss  zu  früheren  Jahrhunderten  gemachten 
Fortschritte  zu  gewinnen,  bedarf  es  nur  eines  Vergleichs  der  Ab- 
bildungen. Jeder  Laie  wird  den  Unterschied  zwischen  den  dürftigen 
Zeichnungen  eines  Aldrovandi  und  den  ganz  meisterhaften  Bildern 
eines  Lyon  et  oder  Röscl  von  Rosenhof  auf  den  ersten  Rück 
erkennen. 

So  war  durch  den  Fleiss  zahlreicher  von  Liebe  zur  Natur  er- 
fülltet*  Männer  ein  reiches  anatomisches  Material  zusammengetragen  den  a»»u>- 
worden,  welches  nur  der  geistigen  Verarbeitung  bedurfte;  und  diese  n,,e- 
geistige  Verarbeitung  wurde  durch  die  grossen  vergleichenden  Ana- 
tomen, welche  am  Ende  des  vorigen  und  am  Anfang  des  jetzigen 
Jahrhunderts  lebten,  herbeigeführt  oder  wenigstens  angebahnt.  Unter 
denselben  sind  vor  Allem  die  französischen  Zoologen  Lamarck. 
Savigny,  Geoffroy  St.  Hilaire,  Cuvier  und  die  Deutschen 
Meckel  und  Goethe  zu  nennen. 

Indem  man  die  einzelnen  Thiere  auf  ihren  Hau  hin  unter  einander  com»»!.™ 

Aar  TlkPilf* 

verglich,  gelangte  man  schon  damals  zu  einer  Reihe  wichtiger  Grund- 
gesetze, vor  Allem  des  Gesetzes  der  Correlation  der  Theile  und 
des  Gesetzes  der  Homologie  der  Organe.  Ersteres  stellte  fest, 
dass  ein  Abhängigkeitsverhältniss  zwischen  den  Organen  eines  und 
desselben  Thieres  besteht,  dass  locale  Veränderungen  an  einem  ein- 
zelnen Organ  auch  zu  Veränderungen  an  entfernt  liegenden  Punkten 
des  Körpers  führen,  dass  man  daher  aus  der  Beschaffenheit  gewisser 
Theile  auf  die  Beschaffenheit  anderer  Körperabschnitte  einen  Rück- 
schluss  inachen  könne.  Namentlich  benutzte  Cuvier  dieses  Princip, 
um  aus  den  paläontologischen  Resten  sich  das  Aussehen  ausgestorbener 
Thierfonnen  zu  reconstruiren.  —  Noch  wichtiger  wurde  die  Lehre  von 
der  Homologie  der  O  r  g  a  n  e.  Man  lernte  an  den  Organen  der 
Thiere  zwischen  einem  anatomischen  und  einem  physiologischen  Cha-  UBi.<£a" 
rakter  unterscheiden:  der  anatomische  Charakter  ist  die  Summe  aller 
anatomischen  Merkmale,  wie  sie  in  Gestalt,  Structur,  Lagebeziehung 
und  Verbindungsweise  der  Organe  gegeben  sind:  der  physiologische 
Charakter  ist  ihre  Function.  Anatomisch  gleiche  Organe  werden  bei 
nahe  verwandten  Thieren  meist  auch  dieselbe  Function  haben,  wie 
z.  B.  die  Leber  sämmtlicher  Wirbelthicre  die  Function  hat.  Galle  zu 
bereiten;  hier  gehen  anatomische  und  physiologische  Charakteristik 
Hand  in  Hand.  Indessen  muss  dies  nicht  der  Fall  sein:  vielmehr 
kann  es  vorkommen,  dass  ein  und  dieselbe  Function,  wie  z.  B.  die 
Athinuug  der  Wirbelthiere,  von  anatomisch  verschiedenartigen  Organen 
besorgt  wird,  bei  den  Fischen  durch  die  Kiemen,  bei  den  Säugethieren 
durch  die  Lungen.  Umgekehrt  können  anatomisch  gleichwertige 
Organe,  wie  Lunge  der  Säugethicrc  und  Schwimmblase  der  Fische, 


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I 


12  Entwicklung  der  Morphologie. 

verschiedene  Functionen  besitzen:  gleiche  Organe  können  somit  von 
einer  Thicrabtheilung  zur  anderen  einen  Functions  Wechsel  er- 
fahren: der  hydrostatische  Apparat  der  Fische  ist  bei  den  Säuge- 
thieren  zun»  Sitz  der  Respiration  geworden.  —  Organe  gleicher  Func- 
tion, physiologisch  gleichwertige  Organe,  nennt  man  nun  analog; 
Organe  von  gleicher  anatomischer  Beschaffenheit,  anatomisch  gleich- 
werthige  Organe,  nennt  man  dagegen  homolog.  Als  Aufgabe  der 
vergleichenden  Anatomie  wurde  erkannt,  in  den  verschiedenen  Thier- 
abtheilungen  die  homologen,  die  anatomisch  gleichwertigen  Organe 
ausfindig  zu  machen  und  sie  auf  ihren  durch  Functionswechsel  be- 
dingten Wandlungen  zu  verfolgen. 

emior  Der  hervorragendste    Vertreter    der  vergleichend-anatomischen 

Richtung  war  Georges  Dagobert  Cuvier.  Derselbe  war  in  dem 
damals  noch  württembergischen  Städtchen  Mömpelgardt  (Montbeillard) 
17ii!>  geboren  und  genoss  seine  Ausbildung  auf  der  Carlssehule  bei 
Stuttgart,  wo  er  durch  Kielmeyer,  dem  gegenüber  er  dauernd 
grosse  Verehrung  bewahrt  hat.  für  die  vergleichende  Anatomie  ge- 
wonnen wurde.  Die  Gelegenheit,  die  sich  ihm  bot.  als  Hauslehrer 
des  Grafen  d'Heriey  an  das  Meer  zu  kommen,  benutzte  er  zu  seinen 
Epoche  machenden  Untersuchungen  über  den  Bau  der  Mollusken.  Im 
Jahre  17H4  siedelte  er.  besonders  auf  Veranlassung  seines  späteren 
grossen  Gegners  Geoffroy  St.  Hilaire,  nach  Paris  über,  wo  er 
zunächst  Professor  der  Naturgeschichte  an  den  Centralsehulen  und 
dem  College  de  France,  später  Professor  der  vergleichenden  Anatomie 
am  Ptlanzcngarteu  wurde.  Als  Zeichen  des  grossen  Ansehens,  in 
welchem  Cuvier  stand,  sei  noch  hervorgehoben,  dass  er  wiederholt 
mit  hohen  Stellungen  im  Cultusministerium  betraut  und  zum  Pair 
von  Frankreich  ernannt  wurde.    Als  solcher  starb  er  im  Jahre 

Cuviers  Untersuchungen  erstreckten  sich,  abgesehen  von 
den  Mollusken,  auf  die  Coelenteraten,  Arthropoden  und  Wirbefthiere, 
lebende  wie  fossile:  seine  ausgedehnten  Erfahrungen  über  den  Bau 
der  Thiere  sammelte  er  in  seinen  zwei  Hauptwerken  „Le  regne  animal 
distributf  d'apres  son  Organisation"  und  „Lecons  d'anatomic  comparee". 
Von  ganz  Epoche  machender  Bedeutung  war  die  kleine  Schrift  ..Sur 
un  rapprochement  ä  etablir  entre  les  differentes  classes  des  animaux'N 
in  welcher  er  die  berühmte  Typentheorie  begründete  und  mit  der- 
selben im  Jahre  1*12  eine  vollkommene  Reform  der  Systematik  herbei- 

thLrriö    ^u'irtt>*  Uuvier'schc  Eintheilung,  welche  Ausgangspunkt  für  alle 

weiteren  Classificationen  geworden  ist.  unterscheidet  sich  äusserlich 
von  allen  früheren  Systemen  darin,  dass  sie  die  Hassen  der  Säuge- 
thiere,  Vögel,  Reptilien  und  Fische  unter  dem  von  Lamarck  ein- 
geführten Namen  „Wirbel  thiere"  zu  einer  höheren  Einheit  zu- 
sammenfasse dass  sie  ferner  die  sogenannten  „Wirbellosen"  in  drei 
weitere  den  Wirbelthieren  gleichwertige  Einheiten  abtheilt:  „Mollus- 
ken, Articulateti  und  Radinten".  Cuvier  nannte  diese  über  den 
Classen  stehenden  Einheiten  Provinzen  oder  Hauptzweige  (en- 
b  r  a  n  c h  e  m  e  n  t  s) ,  wofür  dann  später  durch  B 1  a  i  n  v  i  1 1  e  der  Name 
„Typen"  eingeführt  wurde  Noch  wichtiger  aber  sind  die  Unter- 
schiede, welche  sich  in  der  inneren  Begründung  des  Systems  aus- 
sprachen. Anstatt  wie  frühere  Systematiker  einige  wenige,  vielfach 
äusserliche  Merkmale  bei  der  Eintheilung  zu  benutzen,  stützte  sich 
Cuvier  auf  die  Gesammtheit  der  inneren  Organisation,  wie  sie  in 
dem  Lageverhultniss  der  wichtigsten  Organe,  besonders  des  die  An- 


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Entwicklung  der  Morphologie. 


13 


Ordnung  der  übrigen  Organe  bestimmenden  Nervensystems,  zum  Aus- 
druck kommt.  ..Der  Typus  ist  das  Lagcverhältniss  der 
Theile"  (v.  Baer).  Hiermit  wurde  zum  ersten  Male  die  vergleichende 
Anatomie  zur  Bildung  eines  natürlichen  Systems  der  Thiere  heran- 
gezogen. 

Schliesslich  begründete  die  Typentheorie  eine  ganz  neue  Auf- 
fassung von  der  Anordnung  der  Thiere.  Cuvier  fand  als  herrschende 
Ansicht  die  Lehre  vor.  dass  alle  Thiere  eine  einzige  zusammenhängende, 
vom  niedersten  Infusor  bis  zum  Menschen  aufsteigende  Reihe  bilden; 
innerhalb  dieser  Reihe  werde  die  Stellung  eines  Thieres  ausschliess- 
lich von  seiner  Organisationshöhe  bestimmt.  Dagegen  lehrte  Cuvier, 
dass  das  Thierreich  aus  mehreren  coordinirten  Einheiten,  den  Typen, 
bestehe,  welche  gänzlich  unabhängig  neben  einander  existiren,  inner- 
halb deren  es  wiederum  höhere  und  niedere  Formen  gebe.  Die 
Stellung  eines  Thieres  werde  durch  zwei  Factoren  entschieden,  in 
erster  Linie  durch  seine  Zugehörigkeit  zu  einem  Typus,  durch  den 
Bauplan,  welchen  es  repräsentire,  in  zweiter  Linie  erst  durch  seine 
Organisationshöhe,  durch  die  Stufe,  welche  ihm  innerhalb  seines  Typus 
zukomme. 

Zu  denselben  Resultaten,  welche  Cuvier  auf  vergleichend-ana-  v«r- 
tomischem  Wege  förderte,  gelangte  C.  E.  v.  Baer  zwei  Decennien  f£SSS? 
später  mit  Hilfe  der  Entwicklungsgeschichte.  —  Innerhalb  der  Zoologie  Jx;,;,.. 
ist  die  Entwicklungsgeschichte  eine  der  jüngsten  Disciplinen 
gewesen.  Was  Aristoteles  darüber  von  sachlichem  Material 
kannte,  was  Fabricius  ab  Aquapendente  und  Malpighi 
über  die  Entwicklungsgeschichte  des  Hühnchens  geschrieben  haben, 
erhebt  sich  nicht  über  den  Werth  von  Aphorismen,  die  nicht  genügen, 
um  eine  Wissenschaft  auszumachen.  Der  Beobachtung  standen  hier 
viele  durch  die  Zartheit  und  Kleinheit  der  Entwicklungszustände  ver- 
anlasste Schwierigkeiten  entgegen,  deren  Bewältigung  die  Ausbildung 
des  Microscops  und  der  microscopischen  Technik  voraussetzte.  Ferner 
traten  die  herrschenden  philosophischen  Anschauungen  hinderlich  in 
den  Weg.  Man  glaubte  überhaupt  nicht  an  eine  Entwicklungsgeschichte 
im  heutigen  Sinne  des  Wortes.  Jeder  Organismus  sei  gleich  von  An- 
fang an  in  allen  seinen  Theilen  fertig  angelegt  und  bedürfe  nur  des 
Waehsthums,  um  seine  Organe  zu  entfalten  (Evolutio):  entweder  das 
Spermatozoon  sei  das  junge  Wesen,  welches  im  Nährboden  des  Eies 
die  günstigsten  Wachsthumsbedingungen  vorfände;  oder  das  Ei  reprä- 
sentire das  Individuum  und  werde  durch  das  Spermatozoon  zur  ..Evo- 
lutio4* angeregt.  In  ihren  weiteren  Consequenzen  führte  die  Theorie 
zur  Lehre  der  Einschachtelung.  welche  besagt,  dass  im  Eierstock  der 
Eva  die  Keime  aller  Menschen,  welche  bisher  gelebt  haben  und  noch 
leben  werden,  eingeschachtelt  gewesen  seien. 

Dieser  Lehre  trat  17fii»  Caspar  Friedrich  Wolff  mit  seiner  wo«. 
„Theoria  generationis"  entgegen ;  er  suchte  an  der  Hand  der  Beobach- 
tung zu  beweisen,  dass  (las  Ei  des  Hühnchens  anfänglich  ohne  jede 
Organisation  sei.  und  dass  in  ihm  erst  allmählig  die  einzelnen  Organe 
auftreten.  Im  Embryo  solle  eine  Neubildung  aller  Theile,  eine  Epi- 
genesis.  stattfinden.  Dieser  erste  Angriff  gegen  die  Schule  der 
Evolution  verlief  gänzlich  resultatlos,  zumal  da  A.  von  Haller.  der 
berühmteste  Physiologe  des  vorigen  Jahrhunderts,  mit  allem  seinen 
Einfluss  die  Lehre  von  der  Epigenesis  unterdrückte.  Wolff  selbst 
vermochte  nicht,    sich    einen    wissenschaftlichen   Wirkungskreis  in 


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I 


14  Reform  des  Systems. 

Deutschland  zu  erringen  und  musste  nach  Russland  auswandern.  Erst 
nach  seinem  Tode  fanden  seine  Schriften  durck  Oken  und  Meckel 
die  gebührende  Anerkennung. 
c.E.T.B»er.  §0  n|jeb  es  denn  Carl  Ernst  v.  Baer  vorbehalten,  in  seinem 
classischen  Werk:  ..Die  Entwicklung  des  Hühnchens,  Beobachtung 
und  Reflexion"  (1832)  die  Entwicklungsgeschichte  als  eine  selbständige 
Disciplin  zu  begründen.  liaer  bestätigte  die  Lehre  Wolff's  von 
dem  Auftreten  blattartiger  Anlagen,  aus  denen  die  Organe  abstammen, 
und  wurde  durch  die  Genauigkeit,  mit  welcher  er  diesen  Nachweis 
führte,  der  Begründer  der  Keimblättertheorie.  Ferner  kam  er 
zum  Resultat  dass  jeder  Typus  nicht  nur  seinen  besonderen  Bauplan, 
sondern  auch  seine  besondere  Entwicklungsweise  besitze,  dass  für  die 
Wirbelthiere  eine  Evolutio  bigemina.  für  die  Articulaten  die  Evolutio 
gemina,  für  die  Mollusken  die  E.  contorta  und  für  die  Radialen  die 
E.  radiata  charakteristisch  sei.  Wir  begegnen  hier  zum  ersten  Mal 
der  Idee,  dass  für  die  richtige  Beurtheilung  der  verwandtschaftlichen 
Beziehungen  der  Thiere  und  somit  für  die  natürliche  Systematik  die 
Resultate  der  vergleichenden  Entwicklungsgeschichte  unentbehrlich 
seien,  eine  Idee,  die  sich  in  der  Neuzeit  als  ausserordentlich  frucht- 
bringend erwiesen  hat. 
JJJ™-  Für  die  weitere  Ausbildung  der  vergleichenden  Anatomie  und 
Entwicklungsgeschichte  war  von  fundamentaler  Bedeutung  der  Nach- 
weis, dass  alle  Organismen  sowie  alle  ihre  Entwicklungsformen  sich 
aus  denselben  Elementen,  den  Zellen,  zusammensetzen.  Diese  Er- 
kenntniss  ist  die  Quintessenz  der  Zellentheorie,  welche  in  den  dreis- 
siger  Jahren  dieses  Jahrhunderts  von  Schwann  und  Schleiden 
vorgetragen  und  zwei  Jahrzehnte  später  durch  die  Protoplasmatheorie 
Max  Schultze's  vollkommen  reformirt  wurde.  Durch  die  Zellen- 
lehre wurde  für  alle  Lebewesen,  für  hoch  oder  niedrig  organisirte 
Pflanzen  und  Thiere.  ein  einheitliches  Organisationsprincip  gefunden 
und  zugleich  das  umfangreiche  Gebiet  der  Histologie  oder  Ge- 
webelehre einer  wissenschaftlichen  Behandlung  zugängig  gemacht. 


Reform  des  Systems. 


Man  kann  sagen,  dass  mit  der  Begründung  und  systematischen 
Verwerthung  der  vergleichenden  Anatomie  und  Entwicklungsgeschichte 
und  mit  der  Entwicklung  der  Zellentheorie  und  der  Gewebelehre  die 
Fundamente  der  Zoologie  gelegt  worden  sind.  Die  seitdem  verflossene 
Zeit  hat  vornehmlich  «lern  Ausbau  des  Gebäudes  gedient.  Ungeheure 
Fortschritte  wurden  auf  dem  Gebiete  der  Wirbelthieranatomie  durch 
die  classischen  Untersuchungen  von  Owen.  Job.  Müller,  Rathke, 
Gegenbaur  u.  A.  erzielt:  unsere  Vorstellungen  von  Organisation 
wurden  vollkommen  reformirt  durch  die  Arbeiten  Dujardin's.  Max 
Schnitzes.  H  a  e  c  k  e  Ts  u.  A..  welche  die  Einzelligkeit  der  niedersten 
Thiere  nachwiesen.  Die  Iveiniblättcrthcorie  wurde  weiter  ausgebaut 
von  Remak.  Kölliker  und  von  Kowalewski,  Haeckel. 
Huxley  auch  auf  die  wirbellosen  Thiere  übertragen.    Es  würde  den 


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Reform  des  Systems. 


Rahmen  dieses  kurzen  historischen  Abrisses  Überschreiten,  wenn  wir 
noch  weiter  hineinziehen  wollten,  was  auf  dem  Gebiete  der  übrigen 
Stämme  des  Thierreichs  geleistet  worden  ist;  wir  müssen  uns  daher 
begnügen,  die  wichtigsten  Reformen  zu  erwähnen,  welche  das  Cu- 
vier'sche  System  unter  dem  Einfluss  wachsender  Erkenntniss  er- 
fahren hat. 

Von  den  4  Typen  Cu  vier 's  war  der  Stamm  der  Badiaten  un- 
zweifelhaft derjenige,  dessen  Vertreter  dem  französischen  Gelehrten, 
mit  Ausnahme  der  Medusen,  am  wenigsten  bekannt  waren ;  daher  war 
er  auch  am  wenigsten  naturgemäss  zusanimengefasst,  indem  er  ausser 
den  radial-symmetrischen  Coelenteraten  und  Echinodermcn  Formen  ent- 
hielt, welche,  wie  die  Würmer,  bilateral-symmetrisch  oder,  wie  viele 
Infusorien,  ganz  asymmetrisch  beschaffen  sind.  So  kam  es,  dass  die 
meisten  Reformen  hier  ihre  Angriffspunkte  gefunden  haben. 

C.  Th.  v.  Siebold  ist  der  Urheber  der  ersten  wichtigen  Reform  /^il 
gewesen.  Er  beschränkte  den  Typus  der  Radiatm  oder,  wie  er  ihn 
bezeichnete,  der  Zoophyten  auf  die  Thiere  von  radial-symmetrischem 
Bau  {Echinodermcn  und  Pflanzenthierc),  trennte  alle  übrigen  ab,  und 
zwar  bildete  er  aus  den  niedriger  stehenden  einzelligen  Organismen 
den  Stamm  der  Urthiere  oder  Protozoen  :  die  höher  organisirten  Thiere 
fasste  er  als  „Vermes"  oder  „Würmer"  zusammen;  gleichzeitig  fügte 
er  einen  Theil  der  Articulaten,  die  Anneliden,  dem  Würmerstamm  zu 
und  führte  für  die  übrigen  Articulaten,  die  Krebse,  Tausend füssler, 
Spinnen  und  Insecten,  den  Namen  Arthropoden  ein. 

Ein  Jahrzehnt  später  löste  Leuckart  den  Stamm  der  Radialen  i 
in  2  Stämme  von  sehr  verschiedener  Organisationshöhe  auf;  die  nie- 
deren Formen,  bei  denen  noch  keine  besondere  Leibeshöhle  vorhanden 
ist  und  das  Innere  des  Körpers  von  nur  einem  der  Verdauung  die- 
nenden Hohlraumsystem .  dem  Darm,  eingenommen  wird,  nannte  er 
Coelenteraten  (im  Wesentlichen  die  Zoophyten  der  älteren  Zoologen); 
für  den  Rest,  bei  denen  Darm  und  Leibeshöhle  als  2  getrennte  Hohl- 
räume neben  einander  vorkommen,  behielt  er  den  Namen  Echtno- 
dermen  bei. 

So  würden  sich  im  Ganzen  7  Typen  ergeben:  Protozoen,  Coelen- 
teraten, Echinodermen,  Würmer,  Arthropoden,  Mollusken,  Vertebraten. 
Diese  Eintheilung  entspricht  noch  nicht  vollkommen  den  Ansprüchen, 
welche  man  an  ein  natürliches  System  zu  stellen  berechtigt  ist.  Von 
den  Mollusken  hat  man  auf  Grund  gewichtiger  anatomischer  und  ent- 
wicklungsgeschichtlicher Merkmale  die  Brachiopoden ,  Bnjozoen  und 
Tunicalen  abgelöst:  sie  bilden  einen  Gegenstand  divergenter  Ansichten. 
Die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  der  ersten  beiden  Gruppen  sind 
noch  nicht  vollkommen  aufgeklärt:  von  den  Tunicalen  wissen  wir  zwar, 
dass  sie  den  Vertebraten  nahe  verwandt  sind,  können  sie  aber  den- 
selben nicht  unterordnen,  da  sie  ganz  wesentliche  Unterschiede  im 
Hau  zeigen.  Di  der  Neuzeit  hat  sich  das  Bestreben  bemerkbar  ge- 
macht, solche  kleine  aberrante  Gruppen  zu  selbständigen  Stämmen  des 
Thierreiches  zu  erheben,  ein  Verfahren,  welches  nur  dazu  führen  kann, 
die  Uebersichtlichkeit  und  praktische  Verwerthbarkeit  des  Systems  zu 
schädigen.  Ich  habe  es  daher  vorgezogen,  die  betreffenden  Formen 
als  Anhang  zum  Stamm  der  Würmer  zu  behandeln,  und  habe  diesem 
Lehrbuch  die  Eintheilung  in  7  Stämme,  wie  sie  soeben  historisch  ent- 
wickelt wurde,  zu  Grunde  gelegt. 


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1(3 


Geschichte  der  Desceudenztheorie. 


Geschichte  der  Descendenztheorie. 


Elie  wir  die  geschichtliche  Einleitung  beenden,  müssen  wir  noch 
die  historische  Entwicklung  einer  Frage  in  s  Auge  fassen,  welche  bei 
oberflächlicher  Betrachtung  in  ihrer  Bedeutung  leicht  unterschätzt 
wird,  welche  aber  aus  kleinen  Anfängen  zu  einem  die  zoologische 
Forschung  vollkommen  beherrschenden  Problem  herangewachsen  ist 
und  mit  ihren  Consequenzen  nicht  nur  die  Zoologen,  sondern  alle 
Kreise  von  allgemeinerem  wissenschaftlichem  Interesse  beschäftigt  hat 
Es  ist  die  Frage  nach  dem  logischen  Werth  der  systematischen  Begriffe 
Art,  Gattung.  Familie  etc. 

In  der  Natur  finden  wir  nur  Einzelthiere  vor;  wie  kommt  es  nun, 
dass  man  dieselben  in  grössere  und  kleinere  Gruppen  zusammenfasst? 
Sind  die  einzelnen  Arten,  Gattungen  und  die  übrigen  Abtheilungen, 
welche  der  Systematiker  unterscheidet,  unveränderliche  Grössen,  gleich- 
sam Grundideen  der  Natur  oder,  wenn  man  will.  Schöpfungsgedanken, 
welche  in  den  Einzelformen  zum  Ausdruck  kommen  V  Oder  sind  es 
Abstractionen.  die  der  Mensch  in  die  Natur  hineinträgt,  um  dieselbe 
seinem  Begriffsvermögen  verständlich  zu  machen  ?  Sind  die  Art-  und 
Gattungsnamen  nur  durch  das  Wesen  unseres  Begriffsvermögens  noth- 
wendig  gewordene  Ausdrücke  für  die  Abstufungen  der  Verwandtschafts- 
kreise in  der  Natur,  welche  an  und  für  sich  nichts  Unabänderliches 
sind  und  daher  auch  einem  allmähligen  Wandel  unterliegen  können? 
In  die  Praxis  übersetzt,  lautet  das  Problem:  sind  die  Arten  constant 
oder  veränderlich?  Was  für  die  Arten  gilt,  muss  notwendigerweise 
für  alle  übrigen  Kategorien  des  Systems  Geltung  besitzen,  welche 
sämmtlich  in  letzter  Instanz  auf  dem  Artbegriff  beruhen. 

Einer  der  ersten,  welcher  über  den  Artbegriff  nachgedacht  hat, 
ist  der  Vorläufer  Linne  s,  der  Engländer  .lohn  Ray.  Bei  dem  Ver- 
suche, für  das.  was  man  unter  einer  Art  versteht,  eine  bestimmte  De- 
finition zu  geben,  stiess  er  auf  Schwierigkeiten.  In  der  Praxis  rechnet 
man  Thiere,  welche  wenig  von  einander  im  Bau  und  in  der  Erschei- 
nungsweise abweichen,  zu  derselben  Art.  Dieses  praktische  Verfahren 
lässt  sich  theoretisch  nicht  verwerthen :  denn  es  giebt  Männchen  und 
Weibchen  innerhalb  derselben  Art,  welche,  sich  anatomisch  mehr  von 
einander  unterscheiden  als  die  Repräsentanten  verschiedener  Arten. 
So  gelangte  John  Ray  zu  der  genetischen  Definition  des  Artbegriffs, 
indem  er  sagte:  Es  giebt  für  die  Pflanzen  kein  anderes  sicheres  Merk- 
mal der  Artzusammengehörigkeit  als  der  Ursprung  aus  dem  Satneu 
specitisch  oder  individuell  gleicher  Pflanzen ;  d.  h.  für  alle  Organismen 
generalisirt :  Zu  einer  und  derselben  Art  gehören  die  Individuen, 
welche  von  gleichen  Voreltern  stammen. 

Mit  Ray's  Worten  war  ein  völlig  uncontrolirbares  Element  in 
die  Definition  des  Artbegriffs  hineingetragen  worden,  da  kein  Syste- 
matiker  etwas  darüber  weiss  oder  überhaupt  etwas  darüber  wissen 
kann,  ob  die  Repräsentanten  einer  von  ihm  aufgestellten  Art  von 
gleichgearteten  Eltern  abstammen.  So  war  es  denn  natürlich,  dass 
der  Artbegriff  bald  ein  theologisches  Gewand  erhielt,  indem  er  durch 


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Geschichte  der  Descendenztheorie. 


17 


Anlehnen  an  religiöse  Vorstellungen  fester  gestützt  wurde.   Linn  6 
sagte:   „Tot  sunt  species,  quot  ab  initio  creavit  infinitum  Ens";  er 
baute  damit  den  Artbegriff  auf  den  Traditionen   der  Mosaischen 
Schöpfungsgeschichte  auf,  ein  Verfahren,  welches  naturwissenschaftlich 
ganz  unstatthaft  ist,  da  es  einen  der  grundlegenden  Begriffe  aus  tran- 
scendentalen  Anschauungen,  nicht  aus  dem  Bereich  der  naturwissen- 
schaftlichen Erfahrung  ableitet   Auch  erwies  sich  die  Linn6'sche 
Definition  sofort  als  unhaltbar,  sowie  die  Paläontologie  anfing  das 
umfangreiche,  in  Versteinerungen  niedergelegte  Material  ausgestorbener 
Thiere  zugängig  zu  machen.   Mit  abenteuerlichen  Phantasien  hatte 
man  lange  Zeit  die  unbequem  werdenden  Versteinerungen  ausserhalb 
des  Bereichs  wissenschaftlicher  Forschung  gehalten ;  es  seien  Spiele  der 
Natur,  hiess  es.  oder  Reste  der  Sintfluth,  oder  Einflüsse  der  Sterne 
auf  die  Erde,  oder  Producte  einer  Aura  seminalis,  einer  befruchtenden 
Luft,  die,  wenn  sie  organische  Körper  befalle,  zur  Bildung  von  Thicren 
und  Pflanzen  führe,  wenn  sie  aber  auf  anorganisches  Material  sich 
verirre,  Petrefacten  erzeuge.  Derartigen  wüsten,  schon  von  Lionardo, 
da  Vinci,  Hooke,  Buffon  und  anderen  vorurteilsfreien  Männern 
bekämpften  Speculationen  wurde  durch  die  Begründung  der  wissen- 
schaftlichen Paläontologie  durch  Cuvier  endgiltig  ein  Ziel  gesetzt 
C  u  v  i  e  r  wies  in  überzeugender  Weise  nach,  dass  die  Versteinerungen 
Reste  vorweltlicher  Thiere  seien.    Wie  der  Aufbau  der  Erdkruste  aus 
verschiedenen  über  einander  lagernden  Schichten  die  Unterscheidung 
verschiedener  Perioden  der  natürlichen  Erdgeschichte  ermögliche,  so 
lehre  die  Paläontologie  auch  verschiedene  Perioden  in  der  pflanzlichen 
und  thierischen  Lebewelt  unseres  Erdballs  kennen.   Jede  Erdperiode 
sei  durch  eine  besondere,  ihr  vollkommen  eigenthümliche  Thierwelt 
charakterisirt  gewesen;  diese  Thierwelt  habe  sich  um  so  mehr  von 
der  jetzt  lebenden  unterschieden,  je  älter  die  Erdperiode  sei,  der  sie 
angehörte.   Alle  diese  Verallgemeinerungen  führten  Cuvier  zu  seiner 
Kataklysmentheorie.    Das  Ende  jeder  Erdperiode  sei  durch  eine  ge- 
waltige* Umwälzung  bezeichnet,  welche  alles  Leben  vernichtet  habe; 
auf  dem  neugeschaffenen,  jungfräulichen  Boden  sei  eine  neue  Thier- 
welt constanter  Arten  entstanden. 

Durch  die  Annahme  zahlreicher  Schöpfungsacte  schien  der  Linnd- 
sche  Speciesbegriff  gerettet  zu  sein,  freilich  durch  das  Aufgebot  von 
Hilfshypothesen,  welche  weder  naturwissenschaftlich  gestützt,  noch 
theologisch  zu  rechtfertigen  waren.  C u v i e r ' s  Kataklysmentheorie 
führte  bei  consequenter  Durchführung  zur  Vorstellung  eines  Schöpfers, 
der  eine  Thierwelt  aufbaut,  um  sie  nach  einiger  Zeit  wie  ein  lästig 
gewordenes  Kinderspielzeug  zu  zertrümmern ;  sie  hat  daher  zu  keiner 
Zeit  warme  Vertheidiger  gefunden,  am  wenigsten  bei  den  Geologen, 
für  welche  sie  zunächst  bestimmt  war.  Von  hervorragenderen  Zoo- 
logen ist  nur  Louis  Agassiz  zu  nennen,  welcher  der  Lehre  bis  zu 
seinem  Lebensende  treu  geblieben  ist 

Unter  diesen  Verhältnissen  ist  es  denn  begreiflich,  dass  denkende 
Naturforscher,  welche  das  Bedürfniss  hatten,  das  Wesen  der  orga- 
nischen Natur  einheitlich  und  aus  den  allgemein  herrschenden  Natur- 
gesetzen zu  erklären,  an  der  Constanz  der  Arten  zu  zweifeln  anfingen 
und  zu  der  Lehre  von  der  Umbildung  der  Formen,  zur  Descendenz- 
theorie, geführt  wurden. 

Schon  zu  Zeiten  Cuvier's  herrschte  eine  kräftige  descendenz- 
theoretische  Strömung:  sie  fand  Ausdruck  in  England  in  den  Schriften 

Hartwig,  Lcnrtiuch  dor  Zoologie.   3.  Aufläse.  2 


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18 


Geschichte  der  Deszendenztheorie. 


von  Erasmus  Darwin  (Grossvater  des  berühmten  Charles  Darwin), 
in  Deutschland  nicht  nur  in  den  Werken  Goethe 's,  Oken's  und 
der  Anhänger  der  naturphilosophischen  Schule;  in  Frankreich  wurde 
die  Abstammungslehre  vornehmlich  von  Buffon,  Geoffroy  St. 
Hilaire  und  Lamarck  ausgebaut.  Ihren  vollgiltigsten  Ausdruck 
fand  sie  in  der  1809  erschienenen  „Philosophie  zoologique" 
Lamarcks,  an  deren  Ideengang  wir  uns  daher  im  Folgenden  auch 
halten  wollen. 

,Mck-  Lamarck  (Jean  Baptiste  de  Monet,  Ritter  von  Lamarck,  1744 
in  der  Picardie  geb.,  1820  als  Professor  am  Pflanzen  garten  gestorben), 
lehrte,  dass  auf  der  Erde  zunächst  Organismen  von  einfachstem  Bau 
auf  natürlichem  Wege  aus  unbelebten  Stoffen  durch  Urzeugung  ent- 
standen seien.  Von  diesen  einfachsten  Lebewesen  hätten  sich  im  Laufe 
von  unermesslich  grossen  Zeiträumen  die  jetzt  lebenden  Arten  der 
Thiere  und  Pflanzen  durch  langsame  Umbildung  entwickelt,  ohne  dass  die 
Continuität  des  Lebens  auf  unserem  Erdball  jemals  eine  Unterbrechung 
erfahren  habe:  Endpunkt  dieser  Reibe  sei  der  Mensch;  die  übrigen 
Thiere  seien  die  Descendenten  der  Formen,  aus  denen  der  Mensch 
sich  entwickelt  habe.  Lamarck  fasste  entsprechend  den  damals  herr- 
schenden Anschauungen  das  Thierrcich  als  eine  einzige  vom  nieder- 
sten Urthier  bis  zum  Menschen  aufsteigende  Reihe  auf.  Unter  den 
Ursachen,  welche  die  Veränderung  und  Vervollkommnung  der  Organis- 
men bewirken  sollten,  betonte  Lamarck  am  meisten  die  Uebung  und 
die  NichtÜbung;  die  Giraffen  sollen  lange  Hälse  bekommen  haben, 
weil  sie  durch  besondere  Lebensbedingungen  gezwungen  waren,  sich 
zu  strecken,  um  hochbelaubte  Bäume  abzuweiden;  umgekehrt  hätten 
sich  die  Augen  der  im  Dunkeln  wohnenden  Thiere  aus  mangelndem 
Gebrauch  zu  functionslosen  kleinen  Körperchen  rtickgebildet.  Un- 
wichtiger sollen  die  directen  Einwirkungen  der  Aussenwelt  sein;  die 
Veränderungen  der  Umgebung  („le  monde  ambiant"  Geoffroy  St 
Hilaire 's)  sollen  auf  Thiere  zumeist  indirect  wirken,  indem  sie  die 
Bedingungen  für  die  Uebung  der  Organe  verändern. 

Lamarck' s  geistvolle  Schrift  blieb  bei  seinen  Zeitgenossen  fast 
unbeachtet;  dagegen  kam  es  ls;U)  in  der  Pariser  Academie  zu  einem 
heftigen  Conflict  zwischen  Gegnern  und  Anhängern  der  Entwicklungs- 
lehre, zwischen  Cuvier  und  Geoffroy  St  Hilaire.  Der  Conflict 
endete  mit  einer  vollständigen  Niederlage  der  Descendenztheorie ;  die 
Niederlage  war  eine  so  vollständige,  dass  das  Problem  auf  längere 
Zeit  vollkommen  aus  der  wissenschaftlichen  Discussion  verschwand, 
und  die  Lehre  von  der  Artconstanz  wieder  zur  herrschenden  wurde. 
Dieser  Misserfolg  war  durch  vielerlei  Gründe  veranlasst  Zunächst 
war  die  Theorie  Geoffroy's  und  Lamarck's  mehr  eine  geistreiche 
Conception.  als  dass  sie  sich  auf  ein  reiches  empirisches  Material  ge- 
stützt hätte;  ausserdem  hatte  sich  in  sie  als  ein  fundamentaler  Irr- 
thum die  Lehre  von  der  einreihigen  Anordnung  der  Thierwelt  ein- 
geschlichen. Dem  entgegen  stand  C  u  v  i  e  r '  s  grosse  Autorität  und 
sein  umfassendes  Wissen,  welch  letzteres  es  ihm  leicht  machte,  zu 
zeigen,  dass  das  Thierreich  aus  einzelnen  coordinirten  Gruppen,  den 
Typen,  bestehe. 

Ljeii.  In  demselben  Jahr,  in  welchem  Cuvier  seinen  für  lange  Zeit 
entscheidenden  Sieg  über  Geoffroy  St.  Hilaire  erfocht,  wurde 
gegen  seine  Theorie  von  der  Aufeinanderfolge  zahlreicher  Thierwelten 
auf  unserem  Erdball  der  erste  verderbliche  Schlag  geführt  Cuvier's 


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Geschichte  der  Descendenztheorie. 


19 


Kataklysmentheorie  hatte  eine  doppelte  Seite,  eine  geologische  und 
eine  zoologisch-botanische.  Cuvier  leugnete  die  Continuität  der  ein- 
zelnen Erdperioden  wie  die  Continuität  der  ihnen  zukommenden 
Faunen  und  Floren.  In  den  Jahren  1830 — 1832  erschienen  nun  die 
„Principles  of  Geology"  von  Lyell,  ein  epochemachendes  Werk, 
welches  endgiltig  auf  dem  Gebiet  der  Geologie  die  Kataklysmentheorie 
beseitigte.  Lyell  wies  nach,  dass  man  der  gewaltigen  Erdrevolutionen 
nicht  bedürfe,  um  die  Umwandlung  der  Erdoberfläche  und  die  Ueber- 
lagerung  ihrer  Schichten  zu  erklären,  dass  vielmehr  die  allzeit  wirk- 
samen Kräfte,  die  Hebungen  und  Senkungen,  die  nagende  Wirkung 
des  Wassers,  möge  es  als  Ebbe  und  Fluth,  als  Regen,  als  Schnee  oder 
Eis,  als  reissender  zum  Meere  strömender  Fluss  oder  Bach  wirken, 
zur  Erklärung  vollkommen  ausreichen.  Ganz  allmählig  im  Laufe 
colossaler  Zeiträume  sei  die  Erdoberfläche  verändert  und  aus  einer 
Periode  in  die  andere  übergeführt  worden,  und  noch  jetzt  gehe  dieser 
stetige  Umwandlungsprocess  an  ihr  vor  sich.  Die  Continuität  in  der 
geologischen  Geschichte  der  Erde,  welche  hiermit  zum  ersten  Male 
vorgetragen  wurde,  ist  seitdem  eines  der  grundlegenden  Axiome  der 
Geologie  geworden ;  dagegen  wurde  die  Discontinuität  der  Lebewesen, 
obwohl  die  geologischen  Voraussetzungen  derselben  hinfällig  geworden 
waren,  lange  Zeit  über  nach  wie  vor  aufrecht  erhalten. 

Es  ist  das  grosse  Verdienst  von  Charles  Darwin,  nach  Jahr- 
zehnte langer  Ruhe  die  Descendenztheorie  von  Neuem  vorgetragen 
und  zur  allgemeinen  Geltung  gebracht  zu  haben.  Zugleich  wurde 
damit  die  wichtigste  Periode  in  der  Geschichte  der  Zoologie  eingeleitet, 
eine  Periode,  in  welcher  die  Wissenschaft  nicht  nur  selbst  einen  un- 
erwarteten Aufschwung  nahm,  sondern  auch  anfing,  auf  die  allge- 
meinen Anschauungen  der  Menschen  nachhaltigen  Einfluss  zu  gewinnen. 

Charles  Darwin  wurde  1809  zu  Shrewsbury  geboren.  Nach 
Beendigung  seiner  Studien  auf  den  Universitäten  Edinburgh  und 
Cambridge  (1825—1831)  schloss  er  sich  als  Naturforscher  der  Welt- 
umsegelung des  „Beagle"  an,  eines  englischen  Kriegsschiffes,  welches 
in  den  Jahren  1831 — 1836  nautische  Untersuchungen  auszuführen  be- 
stimmt war.  Als  Darwin  die  eigenthümlichen  Charaktere  der  Insel- 
faunen, besonders  der  Galapagos-Inseln ,  und  die  merkwürdige  geo- 
logische Aufeinanderfolge  der  Edentaten  in  Südamerika  kennen  lernte, 
bildeten  sich  in  ihm  die  Keime  zu  seiner  Epoche  machenden  Theorie. 
Eine  weitere  Ausbeute  dieser  Reise  waren  seine  schöne  Monographie 
der  Cirripedien  und  die  classischen  Untersuchungen  über  die  Corallen- 
riffe.  Nach  England  zurückgekehrt,  lebte  Darwin,  ausschliesslich 
wissenschaftlichen  Arbeiten  gewidmet,  vornehmlich  auf  seinem  Gute 
Down  in  der  Grafschaft  Kent  bis  zu  seinem  Tode  im  Jahre  1882;  vor 
Allem  war  er  unablässig  bemüht,  seine  Anschauungen  über  den  Ur- 
sprung der  Arten  auszubauen  und  für  dieselben  ein  immer  reicheres 
empirisches  Material  zu  sammeln.  Die  erste  schriftliche  Aufzeichnung, 
deren  Grundgedanken  er  Freunden,  besonders  dem  Geologen  Lyell 
und  dem  Botaniker  Hooker  mittheilte,  fällt  in  das  Jahr  1844,  ohne 
dass  der  Verfasser  sich  jedoch  bereden  Hess,  dieselbe  der  Oeffentlich- 
keit  zu  übergeben.  Erst  im  Jahre  1858  entschloss  sich  Darwin  zu 
einer  ersten  wissenschaftlichen  Mittheilung  im  Journal  of  the  Linnean 
Society,  und  zwar  durch  einen  äusseren  Anlass  bewogen.  In  diesem 
Jahr  erhielt  er  von  dem  Reisenden  Wallace  einen  Aufsatz  zugesandt, 
welcher  in  den  wichtigsten  Lehren  mit  Darwin  's  eigenen  Anschauungen 

2* 


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Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


übereinstimmte.  Darwin  brachte  einen  Abriss  seiner  Lehre  gleich- 
zeitig mit  Wallace's  Manuscript  zum  Abdruck.  Im  Jahre  darauf 
(18ö9)  erschien  dann  die  wichtigste  seiner  Schriften:  „On  the  origin 
of  species  by  means  of  natural  seleetion",  und  in  kurzer  Aufeinander- 
folge eine  stattliche  Reihe  von  Werken,  die  Frucht  jahrelanger  vor- 
bereitender Arbeit.  Für  die  Geschichte  der  Descendenztheorie  sind 
aus  dieser  Reihe  die  wichtigsten:  1)  Ucber  das  Variiren  der  Thiere 
und  Pflanzen  im  Zustand  der  Domcstication,  2  Bände,  welche  vor- 
nehmlich eine  Sammlung  empirischen  Reweismaterials  enthalten ;  2) 
lieber  den  Ursprung  des  Menschen,  ein  Werk,  welches  die  Anwendung 
der  Descendenzlehre  auf  den  Menschen  giebt. 

Wohl  kein  wissenschaftliches  Werk  dieses  Jahrhunderts  hat  in  der 
zoologischen,  ja  man  kann  sagen  in  der  ganzen  gebildeten  Welt  ein 
so  grossartiges  Aufsehen  gemacht,  wie  das  Buch  Darwin's  über  den 
Ursprung  der  Arten.  Vielfach  wurde  es  als  etwas  durchaus  Neues 
aufgenommen;  so  sehr  war  die  wissenschaftliche  Tradition  verloren 
gegangen.  In  Kreisen  der  Fachleute  wurde  es  von  einem  Theil  heftig 
befehdet,  von  einem  anderen  Theil  fand  es  eine  wohlwollende,  aber 
zweifelnde  Aufnahme.  Nur  wenige  Männer  traten  von  Anfang  mit 
aller  Entschiedenheit  auf  die  Seite  des  grossen  britischen  Forschers. 
Es  entbrannte  ein  lebhafter  wissenschaftlicher  Kampf,  welcher  mit 
einem  glänzenden  Sieg  der  Descendenztheorie  endete.  Zur  Zeit  ist 
unser  ganzes  wissenschaftliches  Denken  so  sehr  von  den  Ideen  der 
Descendenztheorie  durchsetzt,  dass  man  kaum  noch  von  einer  erheb- 
lichen Gegnerschaft  gegen  die  Lehre  reden  kann. 

Unter  den  Männern,  welche  am  meisten  diesen  raschen  Verlauf 
herbeigeführt  haben,  ist  neben  dem  Mitbegründer  des  Darwinismus 
A.  R.  Wallace  vor  Allem  E.  Haeckel  zu  nennen,  welcher  sich  in 
seiner  „Generellen  Morphologie''  und  seiner  ..Natürlichen  Schöpfungs- 
geschichte" um  die  Ausbildung  der  Theorie  die  allergrössten  Verdienste 
erworben  hat.  Energische  Vorkämpfer  der  Lehre  in  Deutschland 
waren  ferner  Fritz  Müller,  Carl  Vogt,  Weismann.  Moritz 
Wagner  und  Naegeli,  wenn  auch  letztere  rücksichtlich  der  die 
Umbildung  der  Formen  bedingenden  Ursachen  ihren  besonderen 
Standpunkt  einnahmen.  Unter  den  englischen  Naturforschern  sind  be- 
sonders Huxley,  Hook  er  und  Lyell  zu  nennen.  Am  spätesten  hat 
der  Darwinismus  in  Frankreich  Eingang  gefunden. 

Im  Folgenden  werde  ich  versuchen,  die  Darwinsche  Lehre,  so 
wie  sie  sich  im  Widerstreit  der  Meinungen  im  Laufe  der  letzten  Jahr- 
zehnte entwickelt  hat,  wiederzugeben,  indem  ich  mich  möglichst  der 
Art,  wie  sie  Darwin  selbst  vorgetragen  hat,  anschliesse. 


Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


Darwin  geht  von  der  Kritik  des  Speciesbegriffs  aus:  Sind  die 
Begriffe  Species  i  Art )  einerseits  und  Rasse  und  Varietät  andererseits  etwas 
vollkommen  Verschiedenes V    Giebt  es  besondere  Kriterien,  um  in  un- 


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Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


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Fig.  1  Taubenrassen  (nach  Darwin).  .1  englische  Boten- 
taube, B  englische  Burzcltauhc,  C  englische  Pfanentanbe. 


zweifelhafter  Weise 
festzustellen,  ob  wir 
in  einem  bestimmten 
Fall  es  mit  Varietäten 
einer  Art  oder  mit 
verschiedenen  Arten 
zu  thun  haben?  Oder 
gehen  die  Begriffe  in 
der  Natur  in  einander 
über  ?  Sind  die  Arten 
constant  gewordene 
Varietäten  und  eben- 
so die  Varietäten  in 

Bildung  begriffene 
Arten? 

Zur  Entscheidung1 
dieser  fundamentalen  *chi«ie 
Frage  können  mor»™r«Snu 
phologische  und 
physiologische 
Charaktere  her- 
angezogen werden. 
In  der  Praxis  des 
Systematikers  gelten 

gewöhnlich  aus- 
schliesslich die  mor- 
phologischen 
Merkmale,  weshalb 
wir  sie  hier  in  erster 
Linie  berücksichti- 
gen. Wenn  sich  inner- 
halb einer  grösseren 
Zahl  einander  ähn- 
licher Formen  zwei 
Gruppen  aufstellen 
lassen,  die  sich  erheb- 
lich von  einander  un- 
terscheiden, wenn  die 
Unterschiede  dersel- 
ben durch  keinerlei 

Mittelformen  ver- 
wischt werden  und 
wenn  sie  sich  in  meh- 
reren aufeinanderfol- 
genden Generationen 
constant  erhalten,  so 
spricht  der  Systema- 
tiker von  guten  Ar- 
ten ;  er  spricht  da- 
gegen von  Varietäten 
derselben  Art,  wenn 
die  Unterschiede  ge- 
ringfügig und  incon- 
stant  sind  und  durch 
die     Existenz  von 


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Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


Mittelformen  noch  weiter  an  Bedeutung  verlieren.  Eine  genaue  Prü- 
fling der  Art  und  Weise,  wie  diese  Regel  in  der, Praxis  befolgt  wird, 
lehrt  nun  die  grössten  Inconsequenzen  kennen,  womit  es  zusammen- 
hangt, dass  manche  einander  nahe  stehenden  Thier-  und  Pflanzen- 
gruppen von  einem  Theil  der  Systematiker  für  gute  Arten,  von  einem 
anderen  Theil  nur  für  Spielarten,  d.  Ii.  für  Varietäten  derselben  Art 
gehalten  werden.  Die  Unterschiede  zwischen  den  Spielarten  unserer 
Hausthiere  sind  vielfach  so  bedeutend,  wie  sie  sonst  als  ausreichend 
für  die  Unterscheidung  nicht  nur  guter  Arten,  sondern  sogar  von 
Gattungen  und  Familien  angesehen  werden.  Bei  den  Pfauentauben 
ist  die  sonst  nur  12— 14  betragende  Zahl  der  Steuerfedern  des 
Schwanzes  auf  30— 42  gesteigert  (Fig.  1  C)\  bei  anderen  Taubenrassen 
unterliegt  die  relative  Grösse  von  Schnabel  und  Füssen  im  Vergleich 
zum  übrigen  Körper  enormen  Schwankungen  (Fig.  1  A,  B)\  selbst 
das  Skelet  ist  bei  den  Variationen  betheiligt,  wie  daraus  hervorgeht, 
dass  die  Gesammtzahl  der  Wirbel  zwischen  38  (Botentauben)  und  43 
(Kropftauben),  die  Zahl  der  Sacralwirbel  zwischen  11  und  14  beträgt. 

Was  nun  das  Vorkommen  von  Zwischenformen  und  die  Constanz 
der  Unterschiede  anlangt,  so  herrschen  innerhalb  einer  und  derselben 
„guten  Art"  die  denkbar  grössten  Differenzen.  Bei  manchen  stark 
variirenden  Arten  sind  die  äussersten  Extreme  durch  vielerlei  Ueber- 
gänge  verbunden:  in  anderen  Fällen  kann  man  innerhalb  derselben 
Art  scharf  umschriebene  Formengruppen,  die  Rassen,  unterscheiden. 
Bei  den  Rassen  vererben  sich  die  charakteristischen  Merkmale  von 
Geschlecht  zu  Geschlecht  mit  derselben  Constanz,  wie  bei  guten  Arten. 
Man  kann  das  an  den  Menschenrassen  und  vielen  rein  cultivirten  Haus- 
thierrassen  beweisen. 

Eine  kritische  Prüfung  führt  somit  zu  dem  Satz,  dass  die  Mor- 
phologie zwar  benutzt  wird,  um  die  Thiere  in  Arten  und  Varietäten 
zu  gruppiren.  dass  sie  uns  aber  vollkommen  im  Stich  lässt,  wenn  es 
gilt,  principielle  Unterschiede  aufzustellen  zwischen  dein,  was  man  eine 
Art,  und  «lern,  was  man  eine  Varietät  zu  nennen  hat.  Dem  Syste- 
matiker steht  daher  nur  der  Ausweg  offen,  sein  praktisches  Verfahren 
ÄffS.  zu  ergänzen,  indem  er  physiologische  Gesichtspunkte  zu  Hilfe 
ter»rhiede.  njimnt.  Dies  hat  man  denn  auch  gethan  und  gewisse  bei  der  Fort- 
*\f?A!rt£  Pflanzung  auftretende  Unterschiede  herangezogen :  es  sollen  die  Indi- 
uut£rie'  viduen  verschiedener  Arten  sich  nicht  unter  einander  fortpflanzen 
können,  dagegen  sollen  unter  normalen  Verhältnissen  die  Individuen 
einer  und  derselben  Art,  mögen  sie  auch  verschiedenen  Varietäten 
oder  Rassen  angehören,  vollkommen  fruchtbare  Ehen  eingehen  können. 
Bei  der  Prüfung  dieser  beiden  Sätze  muss  man  sich  vor  einem  sehr 
nahe  liegenden  Cirkelschluss  hüten ;  ein  solcher  Cirkelschluss  würde 
es  sein,  wenn  ein  Experimentator  zwei  Thiere,  die  er  nach  ihren  son- 
stigen Verhältnissen  verschiedenen  Arten  zurechnen  würde,  für  Reprä- 
sentanten einer  Art  erklären  wollte,  nur  weil  sie  sich  mit  einander 
fortpflanzen  lassen:  vielmehr  muss  die  Frage  für  ihn  lauten:  Führt 
das  physiologische  Experiment  zu  denselben  systematischen  Unter- 
scheidungen, zu  denen  das  gewöhnliche  systematische  Verfahren,  die 
Abschätzung  der  Constanz  und  der  Divergenz  der  unterscheidenden 
Merkmale,  führt? 

Das  Gebiet,  welches  wir  hier  betreten,  ist  noch  lange  nicht  ge- 
nügend experimentell  durchgearbeitet;  gleichwohl  lassen  sich  schon 
jetzt  einige  allgemeine  Sätze  aufstellen:  1)  dass  nicht  wenige  soge- 


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Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


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nannte  gute  Arten  mit  einander  gekreuzt  werden  können,  2)  dass  die 
Schwierigkeiten  der  Kreuzung  im  Allgemeinen  wachsen,  je  geringer 
die  systematische  Verwandtschaft  der  benutzten  Arten  ist,  3)  dass  aber 
diese  Schwierigkeiten  keineswegs  der  systematischen  Divergenz  der 
Arten  vollkommen  proportional  sind.  Das  günstigste  Untersuchungs- 
material bieten  Thiere,  bei  denen  man  die  künstliche  Befruchtung 
durchführen  kann ,  denen  man  Eier  und  Spermatozoon  entnehmen 
kann,  um  sie  unabhängig  vom  Willen  der  Thiere  zu  mischen.  So  ge- 
lingt es,  Bastarde  von  Arten  zu  erzielen,  welche  ganz  verschiedenen 
Gattungen  angehören,  während  sehr  häufig  ganz  nahe  verwandte  Arten 
sich  nicht  kreuzen  lassen.  Unter  den  Fischen  kennt  man  Bastarde 
von  Abramis  brama  und  Blicca  Björlcna,  von  Trutta  solar  (Lachs)  und 
Trutta  fario  (Forelle) ;  unter  den  Seeigeln  befruchten  die  Spermatozoon 
von  Strongylocentrotus  Hvidus  mit  grosser  Leichtigkeit  die  Eier  von 
Echinus  microtuberculaius ,  dagegen  nur  äusserst  selten  die  Eier  des 
im  System  viel  näher  stehenden  Sphaerechinus  granularis.  Auch  kommt 
es  vor.  dass  die  Kreuzung  in  einer  Richtung  (Männchen  von  a  und 
Weibchen  von  b)  leicht  gelingt,  in  der  anderen  Richtung  (Männchen 
von  b  und  Weibchen  von  a)  vollkommen  fehlschlägt,  wie  z.  B.  der 
Same  von  Strongylocentrotus  lividus  wohl  die  Eier  von  Echinus  micro- 
tuberculalus befruchtet,  nicht  aber  umgekehrt  der  Same  von  E.  micro- 
tuberculatus  die  Eier  von  St.  lividus.  Noch  bekannter  ist  ein  zweites 
Beispiel:  dass  nämlich  Lachseier  zwar  von  Forellensamen,  dagegen 
nicht  Forelleneier  von  Lachssamen  befruchtet  werden. 

Bei  Thieren,  welche  eine  Begattung  nöthig  haben,  wachsen  die 
Schwierigkeiten  des  Experimentirens,  da  hier  häufig  zwischen  Männ- 
chen und  Weibchen  verschiedener  Arten  eine  Abneigung  besteht,  welche 
jede  Annäherung  vereitelt.  Immerhin  kennen  wir  auf  diesem  Gebiet 
Kreuzungen  verschiedener  Arten;  unter  den  Säugethieren  lassen  sich 
z.  B.  Pferd  und  Esel  (Maulthier,  Maulesel),  Rind  und  Zebu,  Steinbock 
und  Ziege,  Schafe  und  Ziegen,  Hunde  und  Schakale,  Hunde  und 
Wölfe,  Hasen  und  Kaninchen  (Lepus  Darwini)  etc.,  unter  den  Vögeln 
verschiedene  Finkenarten,  weiterhin  Birk-,  Hasel-  und  Schneehühner, 
Wildente  (Anas  boschas)  und  Spiessente  (Dafila  acuta),  die  bei  uns 
einheimische  Gans  und  die  chinesische  Gans  (Anser  domesticus  und  A. 
cygnoides)  kreuzen. 

Da  manche  Kreuzungen,  wie  Maulthier  und  Maulesel,  schon  seit ÄJS'toi 
Jahrtausenden  bekannt  sind,  wurde  das  Kriterium  gleichsam  eine  JJ^J™ 
Stufe  weiter  zurückgeschoben.  Wenn  die  Unfruchtbarkeit  sich  bei  der  ""u«*«' 
Kreuzung  mancher  Arten  nicht  unmittelbar  äussere,  so  soll  sie  sich 
doch  an  den  Producten  der  Kreuzung  bemerkbar  machen.  Wir  wollen 
im  Folgenden  die  Kreuzungsproducte  von  Varietäten  Blendlinge, 
von  Arten  Bastarde  nennen.  So  sollen  die  Blendlinge  stets  eine 
normale,  vielfach  sogar  gesteigerte  Fruchtbarkeit  besitzen,  dagegen 
sollen  die  Bastarde  stets  unfruchtbar  sein.  Auch  hier  handelt  es 
sich  jedoch  um  eine  Regel,  nicht  um  ein  Gesetz.  Maulesel  und  Maul- 
thiere,  welche  sich  nur  selten  fortpflanzen,  und  viele  andere  Ba- 
starde sind  zwar  unfruchtbar,  allein  man  kennt  schon  jetzt  nicht 
wenige  Ausnahmen,  obwohl  die  Zahl  der  nach  dieser  Hinsicht  unter- 
nommenen Experimente  eine  sehr  geringe  ist.  Bastarde  von  Hasen 
und  Kaninchen  haben  sich  Generationen  hindurch  fruchtbar  erhalten; 
das  Gleiche  gilt  für  die  Bastarde,  welche  von  Capra  ibex  und  C. 
hircus,  von  Anser  cygnoides  und  Anser  domesticus,  von  Salmo  salvelinus 


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Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


und  S.  fontinalis,  Cyprinus  carpio  und  Carassius  vulgaris,  Bonibyx 
cynihia  und  B.  arrindia  erhalten  worden  sind. 

Auch  der  zweite  oben  aufgestellte  Satz,  dass  Individuen  einer 
Art,  sofern  sie  gesund  sind,  sich  stets  mit  einander  fortpflanzen,  bedarf 
sehr  der  Einschränkung.  Den  Thierzüchtern  sind  schon  seit  Langem 
die  gefährlichen  Folgen  der  Inzucht  bekannt,  dass  die  Fortpflanzungs- 
fähigkeit sich  bis  zur  Unfruchtbarkeit  vermindert,  wenn  man  bei  einer 
Zucht  andauernd  nur  Abkömmlinge  eines  Eltcrnpaares  wählt.  Darwin 
hat  nicht  wenige  Fälle  zusammengestellt,  in  denen  unzweifelhafte  An- 
gehörige derselben  Art  unter  einander  vollkommen  unfruchthar  sind: 
so  gewisse  Formen  der  Primeln  und  anderer  di-  und  trimorpher  Arten. 
Beispiele  für  die  Unfruchtbarkeit  von  Blendlingen  kennt  man  nur  aus 
der  Botanik  (gewisse  Varietäten  von  Mais  und  Königskerze). 

Wenn  wir  das  Bekannte  überblicken,  so  scheint  die  dauernde 
Fruchtbarkeit  bei  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  von  einer  nicht 
allzu  bedeutenden  Differenz  in  den  Geschlechtsproducten  garantirt  zu 
werden ;  allzu  grosse  Aehnlichkeit,  wie  sie  bei  Inzucht  vorhanden  sein 
muss,  und  allzu  grosse  Unterschiede,  wie  bei  der  Bastardirung  ver- 
schiedener Arten,  sind  schädlich  und  werden  von  der  Natur  vermieden. 
Die  geschlechtliche  Fortpflanzung  besitzt  ein  Optimum,  von  dem  aus 
man  allmählig  nach  zwei  Seiten  eine  Abnahme  verfolgen  kann.  Da- 
mit wäre  aber  schon  gesagt,  dass  hier  graduelle  und  keine  princi- 
piellen  Differenzen  vorliegen  und  dass  demnach  auch  dieses  Merkmal  für 
eine  principielle  Unterscheidung  von  Art  und  Varietät  nicht  benutzt 
werden  kann. 

Das  Endresultat  aller  dieser  Ausführungen  lässt  sich  in  den  Satz 
zusammenfassen,  dass  es  bis  jetzt  weder  auf  physiologischem,  noch 
auf  morphologischem  Wege  geglückt  ist,  in  klarer  und  allgemein  giltiger 
Weise  die  Kriterien  festzustellen,  welche  den  Systematiker  leiten 
müssen  bei  der  Entscheidung,  ob  gewisse  Formenkreise  für  gute  Arten 
oder  für  Varietäten  einer  Art  zu  halten  sind.  Vielmehr  werden  die 
Zoologen  in  der  Praxis  von  einem  gewissen  systematischen  Tact 
geleitet,  welcher  sie  aber  in  schwierigen  Fällen  in  Stiche  lässt,  so  dass 
dann  die  Ansichten  der  einzelnen  Forscher  auseinandergehen. 
d?*vtü?  erorterten  Verhältnisse  finden  ihre  natürliche  Erklärung  durch 

^Lmu  die  Annahme,  dass  scharfe  Unterschiede  zwischen  Art  und  Varietät 
überhaupt  nicht  existiren,  dass  die  Arten  constant  gewordene 
Varietäten  und  die  Varietäten  in  Bildung  begriffene 
Arten  sind.  Wir  wollen  das  Gesagte  durch  Erläuterung  an  einem 
concreten  Fall  klar  machen.  Individuen  einer  Art  beginnen  zu  variiren, 
d.  h.  sie  gewinnen,  von  einem  zum  anderen  verglichen,  eine  grössere 
oder  geringere  Verschiedenartigkeit  der  Charaktere.  So  lange  die 
extremen  Unterschiede  durch  Uebergänge  verbunden  werden,  sprechen 
wir  von  Varietäten  einer  Art  ;  sind  dagegen  die  vermittelnden  Ueber- 
gänge ausgestorben,  haben  sich  im  Laufe  langer  Zeiträume  die  Unter- 
schiede befestigt  und  so  sehr  verschärft,  dass  eine  geschlechtliche 
Vermischung  der  extremen  Formen  entweder  völlige  Unfruchtbarkeit 
oder  wenigstens  eine  Hinneigung  zur  Unfruchtbarkeit  ergiebt,  so 
sprechen  wir  von  verschiedenen  Arten. 

Für  diese  Anschauung,  dass  Varietäten  bei  längerem  Bestand  zu 
Arten  werden  können,  spricht  auch  die  grosse  Uebereinstimmung, 
welche  zwischen  beiden  in  der  Häutigkeit  des  Auftretens  besteht.  Bei 
Gattungen,  welche  auffallend  viele  Arten  enthalten,  zeigen  meist  auch 


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Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten.  25 


die  Arten  viele  Varietäten;  die  Arten  sind  dann  meist  zu  Unter- 
gattungen gruppirt,  d.  h.  sie  sind  einander  in  ungleichem  Maasse  ver- 
wandt, indem  sie  kleine,  um  gewisse  Arten  sich  anordnende  Gruppen 
bilden;  Aehnliches  ist  auch  bei  den  Varietäten  der  Fall.  Bei  solchen 
Gattungen  ist  die  Artbildung  in  lebhaftem  Fluss;  jede  Artbildung 
setzt  aber  einen  grossen  Grad  von  Variabilität  voraus. 

Es  ist  nun  klar,  dass  dasselbe,  was  hier  für  die  Arten  durchge- Ph^°eeni0- 
führt  worden  ist,  auch  für  die  übrigen  Kategorien  des  Systems  Geltung 
haben  muss.  Wie  durch  divergente  Entwicklung  Varietäten  zu  Arten 
werden,  so  müssen  die  Arten  bei  Fortdauer  der  Divergenz  sich  so 
sehr  von  einander  entfernen,  dass  wir  sie  als  Gattungen  unterscheiden. 
Es  wird  nur  eine  Frage  der  Zeit  sein,  dass  diese  Unterschiede  höhere 
Grade  erreichen  und  die  Aufstellung  von  Ordnungen,  Classen  und 
Stämmen  ermöglichen,  sowie  auch  die  zarten  Verzweigungen  des  jungen 
Pflänzchens  beim  kräftigen  Baum  zu  Hauptästen  erstarken,  von  denen 
Seitenäste  und  Zweige  ausgehen.  Wenn  man  diesen  Gedankengang 
bis  in  seine  letzten  Consequenzen  verfolgt,  so  kommt  man  zu  der 
Vorstellung,  dass  alle  bis  jetzt  lebenden  Thiere  und  Pflanzen  durch 
Umbildung  von  wenigen  Urorganismen  entstanden  sind.  Da  jeden- 
falls schon  viele  Tausende  von  Jahren  dazu  gehören,  damit  durch 
Variabilität  einer  Art  mehrere  neue  Arten  entstehen,  so  müssen  zur 
Ermöglichung  dieser  historischen  Entwicklung  des  Thier-  und  Pflanzen- 
reiches Zeiträume  von  einer  Länge  nothwendig  gewesen  sein,  wie  sie 
für  unser  Begriffsvermögen  nicht  mehr  fassbar  sind,  ebenso  wie  die 
Astronomen  mit  Entfernungen  rechnen,  von  welchen  wir  uns  keine 
Vorstellungen  machen  können.  Wrie  man  nun  für  die  Lehre  von  der 
individuellen  Entwicklung  eines  Thieres  die  besondere  Bezeichnung 
„Ontogenie"  (Embryologie)  gewählt  hat,  so  hat  es  sich  auch  als  zweck- 
mässig herausgestellt ,  für  die  Lehre  von  der  allerdings  nicht 
beobachteten,  sondern  nur  erschlossenen  historischen  Entwicklung  der 
Thiere  die  besondere  Bezeichnung:  „ S tarn m es ge schichte"  oder 
„Phylogenie"  einzuführen. 

Will  man  alle  lebenden  Thiere  von  gemeinsamen  Urformen  ab-  t'n«i«uni. 
leiten,  so  muss  man  nothgedrungen  annehmen,  dass  dieselben  höchst 
einfach  organisirt,  dass  sie  einzellig  waren.  Denn  je  einfacher  die 
Organisation,  um  so  weniger  ist  sie  specialisirt  und  bestimmt,  um  so 
grösser  ist  ihre  Umbildungsfähigkeit  Aus  einfach  gebauten  Organis- 
men lassen  sich  auch  allein  die  niedersten  einzelligen  Lebewesen,  die 
Protozoen,  ableiten.  Endlich  können  wir  uns  nur  für  einfach  gebaute 
Organismen  eine  erste  natürliche  Entstehung  denken.  Da  es  un- 
zweifelhaft eine  Zeit  gegeben  hat,  zu  welcher  auf  unserem  Erdball 
Temperaturen  herrschten,  welche  jedes  Leben  unmöglich  machten,  so 
muss  einmal  das  Leben  auf  ihm  neu  entstanden  sein,  entweder  durch 
einen  Schöpfungsact  oder  auf  natürlichem  Wege  durch  Urzeugung. 
Nehmen  wir  dem  Geist  der  Naturwissenschaften  entsprechend  zur  Er- 
klärung natürlicher  Dinge  nur  Naturkräfte  zu  Hilfe,  so  werden  wir 
nothgedrungen  zur  Hypothese  der  Urzeugung  geführt,  dass  aus  nicht 
belebten  Stoffen  durch  eine  geeignete  Mischung  derselben  der  compli- 
cirte  Mechanismus,  den  wir  Leben  nennen,  entstanden  sei.  Auch  diese 
Hypothese  setzt  voraus,  dass  die  ersten  Organismen  den  denkbar  ein- 
fachsten Bau  besessen  haben. 

Vom  Boden  der  Thatsachen  ausgehend,  sind  wir  durch  Verall- 
gemeinerung der  Schlüsse  zu  einer  einheitlichen  Vorstellung  von  der 


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26  Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


Entstehung  des  Thierreichs  gelangt,  haben  uns  aber  in  gleichem  Maasse 
von  den  Ergebnissen  der  unmittelbaren  Beobachtung  entfernt.  Die 
Beobachtung  lässt  uns  nur  erkennen,  dass  die  Arten  umbildungsfähig 
sind  und  neue  Arten  aus  sich  erzeugen  können.  Dass  diese  Umbildungs- 
fähigkeit ein  universelles  Princip  ist.  ein  Princip,  welches  uns  die 
Entstehung  der  Thierwelt  erklärt,  dafür  bedarf  es  einer  weiteren  Be- 
weisführung. 

iwte  der  j)je  Entstehung  der  jetzt  lebenden  Thierwelt  ist  ein  Process, 
hTloceo1**  welcher  in  längst  vergangenen  Jahrtausenden  gespielt  hat  ,  welcher 
einer  directen  Beobachtung  nicht  mehr  zugängig  ist  und  daher  auch 
niemals  in  dem  Sinne  bewiesen  werden  kann,  wie  wir  die  individuelle 
Entwicklung  eines  Organismus  aufklären  können.  Man  kann  für  die 
Annahme  einer  einheitlichen  Abstammung  der  Thiere  nur  den  Wahr- 
scheinlichkeitsbeweis führen,  indem  man  zeigt,  dass  alle  unserer  Be- 
obachtung zugängigen  Thatsachen  nicht  nur  mit  dieser  Voraussetzung 
übereinstimmen,  sondern  auch  durch  sie  allein  ihre  einheitliche  Er- 
klärung finden.  Solche  Thatsachen  liefert  uns  das  System  der  Thiere, 
die  Paläontologie,  die  Thiergeographie,  die  vergleichende  Anatomie 
und  die  vergleichende  Entwicklungsgeschichte. 
.)8r»t«n*-  1)  Es  ist  eine  schon  seit  Längerem  anerkannte  und  in  der  Neu- 
""ShiÜ*"  zeit  immer  mehr  bestätigte  Erscheinung,  dass,  wenn  man  die  Ver- 
wandtschaftsverhältnisse der  Thiere,  ihrer  Classen,  Ordnungen.  Gat- 
tungen und  Arten  graphisch  ausdrücken  will,  die  einfache  Coordination 
und  Subordination  nicht  ausreicht,  sondern  dass  man  eine  baumförmige 
Anordnung  wählen  muss,  eine  Anordnung,  in  welcher  die  Hauptstämme 
von  den  einander  näher  oder  entfernter  verwandten  Hauptabtheilungen, 
den  Stämmen.  Phylen  oder  Typen  dargestellt  werden,  während  die 
feineren  Verästelungen  den  jedesmaligen  Classen,  Ordnungen  u.  s.  w. 
entsprechen.  Der  Stammbaum  ist  nun  in  der  That  die  Anordnung, 
zu  welcher  die  Descendenztheorie,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  mit 
Notwendigkeit  führt, 
bjrawonto-  9)  Die  paläontologische  Beweisführung  würde  sich  am 
^Ztite?* meisten  dem,  was  man  directe  Beweisführung  nennen  könnte,  nähern. 
Denn  die  Paläontologie  lehrt  uns  die  letzten  Existenzspuren,  welche 
die  Vorläufer  der  jetzigen  Thierwelt  hinterlassen  haben,  kennen.  In- 
dessen muss  man  berücksichtigen,  dass  auch  hier  sich  ein  hypothe- 
tisches Element  in  den  Charakter  der  Beweisführung  einschleicht 
Wir  können  nur  beobachten,  dass  mancherlei  Formzustände  einer 
Thiergruppe  in  verschiedenen,  auf  einander  folgenden  Erdschichten 
enthalten  sind:  wenn  wir  diese  Formzustände  zu  einer  Entwicklungs- 
reihe unter  einander  verbinden  und  uns  die  jüngeren  aus  den  älteren 
durch  Umbildung  entstanden  denken,  so  verlassen  wir  damit  streng 
genommen  den  Boden  der  Thatsachen.  —  Viel  mehr  wird  aber  der 
Werth  der  paläontologischen  Urkunde  durch  ihre  ausserordentliche 
Unvollständigkeit  herabgesetzt.  In  Versteinerungen  erhalten  sich  im 
Allgemeinen  nur  die  Hartgebilde  der  Thiere;  die  Weichtheile  dagegen, 
welche  bei  vielen  Stämmen  allein  vorhanden  sind  oder  doch  den  wich- 
tigsten Theil  ihrer  Organisation  ausmachen,  gehen  gewöhnlich  verloren. 
Auch  die  Hartgebilde  erhalten  sich  nur  unter  ganz  besonders  gün- 
stigen Bedingungen  in  gutem  Zusammenhang.  Wenn  man  nun  weiter 
berücksichtigt,  dass  diese  Schätze  im  Schoss  der  Erde  vergraben  sind 
und  meist  nur  zufällig  bei  Steinbrucharbeiten,  Wegebauten  etc.  ge- 
wonnen, äusserst  selten  dagegen  planmässig  und  mit  wissenschaft- 


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Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


27 


lieber  Ueberlegung  zu  Tage  gefördert  werden,  so  erhellt  daraus  zur 
Genüge,  wie  wenig  für  die  Stammesgeschichte  aus  dem  derzeitigen 
und  selbst  dem  zukünftigen  Material  der  Paläontologie  erwartet 
werden  darf. 

Immerhin  hat  die  Paläontologie  schon  manche  wichtige  Beweise 
der  jDescendenzlehre  geliefert  Sie  hat  gezeigt,  dass  die  niederen 
Formen  zuerst  und  später  erst  die  höher  organisirten  auftreten.  Unter 
den  Thieren  im  Allgemeinen  treten  am  spätesten  die  Wirbelthiere, 
unter  diesen  wiederum  die  Säugethiere,  unter  den  Säugethieren  die 

Alfen  und  der  Mensch  auf.  Für 
kleinere  Gruppen  ist  es  sogar 
schon  geglückt,  das  Material 
für  Stammbäume  zu  sammeln; 
Uebergangsformen  leiten  vom 
vierzehigen  Edhippos  des  Eocän 
zum  einzelligen  Pferd  der  Neu- 
zeit; für  sämmtliche  Hufthiere 
wurden  gemeinsame  Ausgangs- 
formen in  den  Condylarthren  ent- 
deckt. Ferner  hat  man  zwischen 
grösseren  Abteilungen  Ueber- 
gangsformen gefunden,  so  z.  B. 
zwischen  Reptilien  und  Vögeln 
die  merkwürdigen  Zahnvögel 
und  den  Archaeopteryx  (Fig.  2), 
einen  Vogel  mit  einem  befieder- 
ten, aber  nach  Art  der  Eidech- 
sen lang  gestreckten  Schwanz. 

3)  Wenn  man  vergleichende  {jüjjjjj, 
Anatomie  und  Entwicklungsge-  *eue. 
schichte  zum  Beweis  der  De- 
scendenztheorie  verwerthen  will, 
so  ergeben  beide  Disciplinen  so 
viel  Berührungspunkte,  dass  sie 
am  besten  in  einem  gemein- 
samen Abschnitt  abgehandelt 
werden. 

C  u  v  i  e  r  und  Carl  E.  v.  B  a  e  r 
hatten  gelehrt,  dass  die  einzelnen 
Typen  des  Thierreichs  Einheiten 

7 St 2'/  Ärcl!ac[JPtery*  l'thognnhtea  (nach  ^ien    von  welchen  eine  jede 
Zittol  .  cl  Clavicula,  co  Coraeoid,  //  numerus.  V         i  i  ,1, 

r  Radius,  «  Ulna,  r  Carpuß,  I-IV Zehen,    emen  besonderen,  ihr  eigenthüm- 
sc  Scapula.  liehen  Bau-  und  Entwicklungs- 

plan repräsentire,  dass  keiner- 
lei Aehnlichkeit  im  Bau  und  in  der  Entwicklung  eine  Brücke  von 
Typus  zu  Typus  schlage.  Der  erste  dieser  beiden  Sätze  ist  nach 
wie  vor  berechtigt ,  der  zweite  dagegen ,  welcher  allein  für  die 
Descendenztheorie  wichtig  ist ,  ist  gänzlich  unhaltbar  geworden. 
Alle  Thiere  haben  in  der  Zelle  ein  gemeinsames  Organisations- 
prineip  und  sind  dadurch  einander  nahe  gerückt.  Fast  alle  vielzelligen 
Thiere  stimmen  während  der  ersten  Stadien  ihrer  Entwicklung,  während 
der  Befruchtung,  der  Eifurchung  und  der  Bildung  der  2  ersten  Keim- 
blätter in  den  principiell  wichtigen  Punkten  überein  und  unterscheiden 


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28 


Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


sich  von  einander  nur  durch  Differenzen,  wie  sie  innerhalb  eines  und 
desselben  Typus  vorkommen.  Auch  das  Besondere,  welches  jeden 
Typus  im  Bau  und  in  der  Entwicklungsweise  auszeichnet,  tritt  in  der 
Thierreihe  nicht  unvermittelt  auf.  Namentlich  leiten  vom  Stamm  der 
Würmer  Uebergangsformen  zu  den  übrigen  Stämmen,  der  Balano- 
glossus  zu  den  Echinodertnen,  die  Ringelwürmer  und  der  Peripatus  zu 
den  Arthropoden,  die  Tunicaten  und  der  Amphioxus  zu  den  Wirbel^- 
thieren.  In  einem  jeden  Typus  vereinfachen  sich  der  Bau  und  die 
Entwicklungsweise  der  systematisch  niedrigsten  Formen  und  erfahren 
dadurch  eine  Annäherung  an  die  bei  anderen  Typen  herrschenden 
Verhältnisse.  Die  Existenz  solcher  Uebergänge  ist  einer  der  wich- 
tigsten Beweise  für  die  Descendenzlehre  und  spricht  gegen  die 
Annahme  eines  starren,  unveränderlichen  Typus  im  Sinne  Cu  vier 's. 

4  3  2  1 


k.   h  \  1  u, 


Fig.  4.  Kaulquappen  von  liana 


Fig.  3.  Menschlicher  Embryo.  1 — 4  Visccralbogen  temporaria.  m  Mund ,  g  Ober- 
nut Kiemenspalten  dazwischen.  /  Unterkieferbogen,  kiefer.  t  Unterkiefer,  s  Saugnäpfe, 
2  Zungenbeinbogen,  3,  4  erster  und  zweiter  Kiemen-  kb  äussere  Kiemen,  \ik  Gegend  der 
bogen,  a  Auge,  g  Geruchsgrfibchcn,  h  Herzgegend,  inneren  Kiemen,  n  Nase,  a  Auge, 
cl  eil  vordere j und  hintere  Extremität,  W  Urwirbel-  o  Hörbläsehen,  h  Herzgegend, 

grenzen.  d  Kiemendeckel. 


Für  die  Berechtigung  der  Descendenztheorie  fällt  weiterhin  ganz 
ausserordentlich  in  die  Wagschale,  dass  Bau  und  Entwicklungsweise 
der  Thiere  von  einer  Gesetzmässigkeit  beherrscht  werden,  welche  zur 
Zeit  nur  durch  die  Annahme  einer  gemeinsamen  Abstammung  erklärt 
werden  kann.  Jedes  Thier  durchläuft  während  seiner  Entwicklungs- 
geschichte im  Wesentlichen  die  Stufen,  welche  dauernd  bei  den  nie- 
driger oder  wenigstens  ursprünglicher  organisirten  Thieren  desselben 
Stammes  erhalten  sind,  was  folgende  drei  Beispiele  erläutern -mögen. 
1)  Auf  frühen  Entwicklungsstadien  besitzt  der  Embryo  des  Menschen 
(Fig.  3)  überraschende  Aehnlichkeiten  mit  den  niedersten  Wirbel- 
thieren,  den  Fischen.  Er  hat  wie  diese  Kiemenspalten,  dieselbe  An- 
ordnung des  Herzens  und  der  Arterienbögen,  gewisse  Grundzüge  in 
der  Entwicklung  des  Skelets  u.  s.  w.   2)  Die  Frösche  zeigen  auf  dem 


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Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


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Kaulquappenstadium  (Fig.  4)  eine  Organisation,  ähnlich  der,  welche 
die  niedriger  stehenden  Amphibien,  die  Perennibranchiaten ,  dauernd 
besitzen  (Fig.  5);  sie  haben  einen  Ruderschwanz  und  büschelförmige 
Kiemen,  welche  dem  ausgebildeten  Frosche  fehlen.  3)  Es  giebt  gewisse 
parasitische  Krebse,  welche  auf  den  Kiemen  von  Fischen  leben  und 
den  übrigen  Krebsen  gar  nicht  ähnlich  sehen.  Sie  sind  unförmliche 
Klumpen,  die  man  früher  für  parasitische  Würmer  gehalten  hat.  Ihre 
systematische  Stellung  kann  nur  durch  die  Entwicklungsgeschichte  be- 


Fig.  5.   Sircdon  pisciformis  (Axolotl)  (nach  Dmnfeü  et  Bibron). 


Fig.  7.    Philichthys  Xiphiae. 
Fig.  G.    Achtheres  Percarum,  c  Weib-  r? 'Weibchen  (nach  Claus)  4  mal 

chen,  a   Nauplius-,  h  Cyclopsstadium  vergrößert  ,  h  Männchen  (nach 

(nach  Claus).  Bergsoc)  12,  mal  vcrgrütwrt. 


stimmt  werden  (Fig.  6).  Hier  zeigt  sich,  dass  sie  das  bei  den  Crusta- 
ceen  weit  verbreitete  Naupliusstadium  (Fig.  Oa)  durchlaufen  und  dass 
sie  dann  eine  Gestalt  annehmen,  welche  gewissen*  kleinen  Krebsen 
ähnelt,  wie  sie  unter  dem  Namen  Cyclops  (Fig.  8)  im  Süsswasser 
sehr  verbreitet  sind  (Fig.  66).  Häufig  macht  das  Männchen  auf  dem 
„Cyclopsstadium"  Halt,  und  das  Weibchen  entwickelt  sich  allein  zu 
dein  unförmlichen  Klumpen  weiter,  so  dass  ein  ganz  auffallender 
Dimorphismus  der  Geschlechter  besteht  (Fig.  7).  Alle  diese  Bei- 
spiele, die  sich  leicht  zu  Hunderten  vermehren  Hessen,  lassen  sich 


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30 


Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


in  derselben  Weise  erklären.  Die  entwickelteren  Formen  durchlaufen 
die  Organisationsstufen  der  minder  entwickelten,  weil  sie  von  Vor- 
fahren abstammen,  welche  den  letzteren  ähnlich  gewesen  sind.  Der 
Mensch  durchläuft  in  seiner  Entwicklungsgeschichte  das  Fischstadium, 
der  Frosch  das  Perennibranchiatenstadium,  der  parasitische  Krebs 
zuerst  das  Nauplius-  und  dann  das  Cyclopsstadium ,  weil  ihre  Vor- 


Fig.  8.  Cpclops  coronatus  nebst  Nanoliu»  in  seitlicher  und  ventraler  Ansicht. 
/ —  V  die  5  Tüoracal-  und  weiterhin  die  ;>  Abdominalsegmente,  F  Furca,  1  erste, 
2  zweite  Antenne,  3  Mandil>el,  •/  Mnxille,  5  Pedea  niaxillaref,  6—0  die  ersten  4  Spalt- 
füsse,  während  der  rudimentäre  fünfte  Snaltfui«  verdeckt  ist.    au  Auge,  o  OberhpiK?, 

e  Eiersäckchen,  a  Darm,  m  Muskeln. 

fahren  einmal  FisM-ähnlich,'  Perennibranchiaten-ähnlich,  Nauplius-  und 
Cyclops-ähnlich  gewesen  sind.   Es  äussert  sich  hier  eine  allgemeine 
Buwhe*   Erscheinung,  welche  Haeckel  unter  dem  Namen  „biogenetisches 
Grund-   Grundgesetz"  in  einen  allgemeinen  Satz  gefasst  hat.   „Die  Entwick- 
gtt*u'   lungsgeschichte  eines  Thieres  (die  Ontogenie)  ist  die  kurze  Recapitu- 
lation  seiner  Stammesgeschichte  (Phylogenie),  d.  h.  die  wichtigsten 
Organisationsstufen,  welche  seine  Vorfahren  durchlaufen  haben,  treten, 


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Darwin/s  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


31 


wenn  auch  etwas  moditicirt,  in  der  Entwicklung  des  einzelnen  Thieres 
wieder  auf.4" 

mf  »>f 


Das  biogenetische 
Grundgesetz  lässt 
sich  ebenso  schön  für 
einzelne  Organe  wie 

für  ganze  Thiere 
durchführen.  Das 

Centrainerven- 
system der  niederen 
Thiere  (der  Echino- 
dermen,  Coelentera- 
ten,  vieler  Würmer) 
bildet  einen  Theil  der 
Haut ;  es  gehört  bei 
seinem  ersten  Auftre- 
ten der  Körperober- 
fläche  an,  weil  es  die 
Beziehungen  des  Or- 
ganismus zur  Aussen- 
weit  zu  vermittelnhat. 
Bei  höher  organisir- 
ten  Thieren,  z.  B.  den 
Wirbelthieren.liegen 
Hirn  und  Rücken- 
mark tief  in  das  In- 
nere   des  Körpers 

eingebettet;  beim 
Embryo  aber  werden 
sie  ebenfalls  als  ein 
Theil  der  Haut  (als 
Medullär  platte)  an- 
gelegt, von  welcher 
aus  sie  erst  allmäh- 
lig  durch  Einfaltung 
und  Abschnürung  in 
das  Innere  verlagert 
werden ;  man  kann 
diese  Verlagerung 

auf  Querschnitten 
durch  die  Rücken- 
gegend verschieden 
alter  Embryonen  für 
jedes  Wirbelthier  be- 
weisen.   (Fig.  9.) 

Ein  weiteres  Bei- 
spiel sei  das  Skelet 

der  Wirbelthiere. 
Bei  den  niedersten 
Wirbelthieren ,  dem 


1 


i 


,t'Vv 

I 

eh 


mp 

ep 

mkl 
lh 

mir 
ik 


nie 


Fig.  0.  Querschnitte  durch  die  Rückcugcgend  von  3 
verschieden  alten  Tritonembryonen  (aus  0.  Hertwig). 

I  Die  Mcdullarnlatte  (Anlage  des  Rückenmarks)  mp 
grenzt  sich  gegen  die  Haut  rp  durch  die  Medullarfalten 
mf  ab. 

II  Die  Medullarnlatte  hatte  sich  zu  einer  Rinne  durch 
Zusainmcnneigen  der  Medullarfalten  eingebogen. 

III  Die  Medullarplattc  hat  sich  zum  Rückenmarksrohr 
geschlossen. 

Bezeichnungen:  «//"  MeduUarf alten,  mp  Medullarplatte, 
n  das  aus  letzterer  hervorgegangene  Nervenrohr,  ep  Haut 
(Epidermis),  eh  Chorda,  mk  mittleres  Keimblatt  (mk1  parie- 
tales, mir  viscerales  Rlntt  desselben),  lh  Leüieshühle,  ush 
Ursegmenthöhlen,  ik  inneres  Keimblatt,  ilx  Dotterzellen 
desselben,  i/h  Darmhöhle. 

Amphioxus  und  den 

Cyclostomen,  fehlt  die  Wirbelsäule,  und  an  ihrer  Stelle  findet  sich  ein 
cylindrischer  Gewebsstrang,  die  Chorda  dorsalis.    Bei  den  Fischen 


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a2 


Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


und  Amphibien  existirt  die  Chorda  dorsalis  meist  ebenfalls  noch;  sie 
ist  aber  theilweise  verdrängt  und  eingeengt  durch  die  Wirbelsäule, 

welche  bei  den  niederen 
Formen  aus  Knorpel,  bei 
den  höheren  aus  Knochen 
oder  einem  Gemisch  von 
Knochen    und  Knorpel 

besteht.  Ausgebildete 
Vogel  und  Säugethiere 
endlich  haben  eine  voll- 
kommen verknöcherte 
Wirbelsäule:  ihre  Em- 
bryonen dagegen  haben 
auf  frühen  Stadien  nur 


Fig.  10.  Schwanzflossen 
verschiedener     Fische  (aus 
Zittel),  eh  Chorda,  abc  Deck- 
stücke der  Chorda. 

A  diphycerke  Flosse  von 
Pnlupterus  birhir  (Wirbel- 
säule und  Chorda  theilen  die 
Flosse  in  symmetrische  dor- 
sale und  ventrale  Abschnitte). 

B  heteroeerke  Flosse  vom 
Stör  (in  Folge  einer  Aufwärts- 
krümmung von  Chorda  und 
Wirbelsäule  ist  die  Flosse 
asymmetrisch  geworden,  der 
ventrale  Abschnitt  viel  grösser 
als  der  dorsale). 

C,  D  homocerke  Flossen, 
C  von  Amia  ralra .  D  von 
Trufta  solar  (in  Folge  noch 
stärkerer  Aufwärtskrümmung 
der  Chorda  und  Wirbelsäule 
ist  der  dorsale  Abschnitt  fast 
ganz  geschwunden  und  bildet 
der  ventrale  Abschnitt  fast 
allein  die  äusserlich  scheinbar 
symmetrische,  im  inneren  Bau 
vollkommen  asvmmetrische 
Flosse). 

die  Chorda  dorsalis  (Am- 
phioxusstadium),  später 
wird  die  Chorda  von  der 
Wirbelsäule  eingeengt 

( Fisch-Am  phibien- 
stadium)  und  schliesslich 
ganz  ersetzt;  dabei  ist 
die  Wirbelsäule  anfangs 
knorpelig,  um  erst  später 
zu  verknöchern.  Ver- 
gleichende Anatomie  und 
Entwicklungsgeschichte 
ergeben  somit  dieselben 
Entwicklungsstufen  des 


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Darwin'8  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


33 


Axenskelets:  1)  Chorda,  2)  Chorda  ■+-  Wirbelsäule,  3)  Wirbelsäule,  letz- 
tere zuerst  aus  Knorpel,  dann  aus  Knochen  gebildet. 

Wir  haben  hier  von  einem  Parallelismus  zwischen  den  Thatsachen 
der  vergleichenden  Anatomie  und  der  Entwicklungsgeschichte  ge- 
sprochen. Thatsächlich  sollte  man  aber  eine  dreifache  Parallele  er- 
warten. Denn  den  Lehren  der  Descendenztheorie  zu  Folge  ist  die 
systematische  Anordnung  der  lebenden  Thiere  und  der  Entwicklungs- 
gang jedes  Einzelneres  durch  einen  dritten  Factor,  die  historische 
Entwicklung  der  Thierwelt  oder  die  Phylogenese,  bedingt.  Die  Mark- 
steine der  Phylogenese,  die  Versteinerungen,  müssen  nun,  so  sollte 
man  erwarten,  in  den  auf  einander  folgenden  geologischen  Schichten 
die  gleiche  aufsteigende  Reihe  ergeben,  wie  die  vergleichend  anatomisch 
und  entwicklungsgeschichtlich  gefundenen  Formzustände.  In  der  That 
kennt  man  auch  Beispiele  einer  derartigen  dreifachen  Parallele.  Die 
vergleichende  Anatomie  lehrt,  dass  die  niederste  Entwicklungsform 
der  Schwanzflosse  der  Fische  die  diphycerke  ist  (Fig.  10^4).  dass  sich 
aus  ihr  die  heterocerke  (#).  aus  dieser  die  homocerke  Flossenform 
(C  und  D)  ableiten  lässt.  Entwicklungsgeschichtlich  sind  weiterhin 
die  höchst  entwickelten  homocerken  Fische  zuerst  diphycerk,  später 
heterocerk  und  werden  zuletzt  erst  hoinocerk.  Paläontologisch  endlich 
sind  die  ältesten  Fische  diphycerk  oder  heterocerk.  und  erst  später 
treten  homocerke  Formen  auf. 

Was  wir  hier  kennen  gelernt  haben,  ist  nur  ein  geringer  Bruch- 
theil  des  gewaltigen  Beweismaterials,  welches  die  Morphologie  zu 
Gunsten  der  Descendenztheorie  liefert;  es  sollte  nur  zur  Erläuterung 
dienen,  in  welcher  Weise  die  morphologischen  Beobachtungen  ver- 
werthet  werden  können.  Für  den  reflektirenden  Naturforscher  sind 
die  Thatsachen  der  Morphologie  ein  einziger  grosser  Inductionsbeweis 
zu  Gunsten  der  Abstammungslehre. 

4)  Was  nun  schliesslich  die  Thiergeographie  anlangt,  so  leuchtet  ™e.r*e?- 
ohne  Weiteres  ein,  dass  die  jetzige  Vertheilungsweise  der  Thiere  ein  VS^SL! 
Product  vergangener  Jahrhunderte  und  Jahrtausende  ist.   Man  wird 
daher  aus  ihr  Mancherlei  von  früheren  Zuständen  noch  entziffern 
können,  wenn  auch  mit  der  allergrössten  Vorsicht  und  nach  Ueber- 
windung  der  allergrössten  Schwierigkeiten. 

Nehmen  wir  an,  alle  Thierarten  seien  von  Anfang  an.  so  wie  sie 
jetzt  sind,  geschaffen,  so  würden  dieselben  von  dem  zweckmässig 
denkenden  Schöpfer  in  die  ihrer  Organisation  am  meisten  zusagenden 
Territorien  gesetzt  worden  sein ;  ihre  Vertheilung  über  die  Erdober- 
fläche würde  daher  ausschliesslich  von  Gunst  und  Ungunst  der  in  den 
einzelnen  Regionen  herrschenden  Lebensbedingungen,  wie  Klima.  Nähr- 
verhältnisse u.  s.  w.  bestimmt  sein.  Nehmen  wir  dagegen  an,  dass  die 
Thierarten  durch  Umbildung  aus  einander  hervorgegangen  sind,  so 
müsste  für  ihre  Verbreitungsweise  ausser  den  Existenzbedingungen 
noch  ein  zweites  Moment,  welches  wir  das  geologische  nennen  wollen, 
inaassgebend  gewesen  sein.  Wir  wissen,  dass  die  Reliefverhältnisse 
der  Erde  sich  im  Laufe  der  gewaltigen  Zeiträume  der  geologischen 
Perioden  vielfach  verändert  haben,  dass  Länderstrecken,  welche  früher 
zusammenhingen,  durch  das  eindringende  Meer  getrennt  wurden,  dass 
durch  die  Erhebungen  der  Gebirge  ebenfalls  wichtige,  früher  nicht 
vorhandene  Scheidewände  für  die  Ausbreitung  der  Thiere  gebildet 
wurden.  Aus  dem  Umstand,  dass  sich  Hand  in  Hand  zwei  Umände- 
rungen vollzogen  haben,  die  Umänderung  der  Erdoberfläche  und  der 

Hcrtwig,  Lehrbuch  der  Zoolcgie.    8.  Auflade.  3 


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34 


Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


auf  ihr  angesiedelten  Thierwelt,  ergiebt  sich  mit  Notwendigkeit  die 
Consequenz,  dass  die  Unterschiede  im  faunistischen  Charakter  zweier 
Länder  um  so  grösser  ausfallen  müssen,  je  länger  sie  sich  unabhängig 
von  einander  ohne  wechselseitigen  Austausch  ihrer  Thierbevölkerungen 
entwickelt  haben,  je  länger  ihre  Bewohner  durch  eine  unübcrsteigliche 
Grenze  von  einander  geschieden  waren.  Für  die  einzelnen  Thier- 
gruppen wird  der  Charakter  der  Grenzen  ein  verschiedener  sein; 
Landthiere,  welche  nicht  fliegen  können,  werden  durch  MeeresarmeT 
Meeresbewohner  umgekehrt  durch  Länderstrecken  in  ihrer  Verbreitung 
behindert ;  für  Landmollusken  genügen  schon  hohe  Gebirgskämme. 
welche  kahl  und  dürr  oder  gar  mit  Schnee  bedeckt  sind. 

Seitdem  man  auf  diese  Verhältnisse  aufmerksam  geworden  istr 
sind  viele  der  Descendenztheorie  günstige  geographische  Thatsaehen 
ermittelt  worden.  1)  Unter  den  einzelnen  Continenten  hat  Australien 
faunistisch  den  selbständigsten  Charakter;  als  es  entdeckt  wurde, 
besass  es  gar  keine  höheren  (placentalen)  Säugethiere,  ausser  solchen, 
welche  fliegen  können  (Chiropteren)  oder  das  Meer  bewohnen  (Cetaceeii) 
oder  leicht  durch  Holz  verschleppt  (kleine  Nager)  oder  durch  den 
Menschen  eingeführt  werden  {Dingo,  der  australische  Hund);  dagegen 
besass  es  die  merkwürdigen  Clonkcnthiere  {SchnabeUhiere)  und  die 
Beutel  (hier  e ,  Säugethierformen ,  welche  in  der  alten  Welt  und  mit 
Ausnahme  der  Jieutelratten  auch  in  Amerika  vollkommen  ausgestorben 
sind.  Die  Erscheinung  erklärt  sich  aus  der  geologischen  Thatsache, 
dass  in  der  Erdgeschichte  Australien  mit  seinen  anschliessenden 
Inseln  sicherlich  am  frühesten  aus  jedem  Zusammenhang  mit  den 
übrigen  Continenten  losgelöst  wurde.  Während  in  den  4  übrigen 
Erdtheilen  die  höheren  Säugethiere  sich  auf  Kosten  der  Beutelthiere 
entwickelten  und  ihre  niederen  Concurrenten  bei  dem  Zusammenhang 
der  Länder  überall  ganz  oder  nahezu  ganz  verdrängen  konnten,  hat 
sich  in  dem  isolirten  Australien  dieser  Fortbildungsprocess  nicht  voll- 
zogen und  sich  ein  alterthümlicher  faunistischer  Charakter  erhalten. 
2)  Wie  Wallace  gezeigt  hat,  zerfällt  der  malayische  Archipel  fau- 
nistisch  in  eine  östliche  und  westliche  Hälfte;  innerhalb  einer  jeden 
Gruppe  giebt  es  Inseln,  welche  trotz  Verschiedenartigkeit  des  Klimas 
eine  sehr  ähnliche  Fauna  besitzen.  Dagegen  schneidet  die  faunistische 
Grenze  zwischen  zwei  Inseln.  Bali  und  Lombok,  durch,  welche  gleiches 
Klima  besitzen  und  geographisch  einander  sehr  genähert  sind.  Die 
Tiefe  des  Meeresarmes  in  dieser  Gegend  macht  es  wahrscheinlich, 
dass  hier  eine  Grenze  von  geologisch  langem  Bestand  verläuft  und 
dass  erdgeschichtlich  sich  Bali  mit  dem  westlichen,  Lombok  mit  dem 
östlichen  Inselkomplcx  im  Zusammenhang  entwickelt  hat.  3)  Lange 
Zeit  vor  Darwin  hat  schon  der  berühmte  <ieologe  Leopold  von 
Buch  aus  der  Verbreitung  der  Pflanzen  auf  den  canarischen  Inseln 
den  Schluss  auf  eine  Umbildung  der  Arten  zu  nenen  Arten  gezogen; 
auf  Inseln  entwickeln  sich  in  abgeschlossenen  Thälern  besondere  Arten, 
weil  hohe  Gebirgskämme  Pflanzen  mehr  scheiden  als  weite  Meeres- 
strecken. Für  Käfer  und  Schnecken  hat  M.  Wagner  viele  Beispiele 
gesammelt,  dass  das  Verbreitungsgebiet  einer  Art  scharf  mit  einem 
breiten  Fluss  oder  einem  Gebirgskamm  abschneidet,  während  im 
Nachbargebiet  eine  nahe  verwandte,  sog.  vicariirende  Art  auftritt, 
c-iowi«  De-  j)je  Darwinsche  Theorie,  so  weit  wir  sie  bisher  kennen  gelernt 
der  [*««>.  haben,  gleicht  in  ihren  Grundzügen  den  Descendenztheorien,  wie  sie 
demiheofic.  am  Anfang  dieses  Jahrhunderts  von  Lamarck  und  anderen  Zoologen 


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Darwins  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


35 


vertreten  wurden ;  sie  unterscheidet  sich  von  ihnen  nur  durch  ihre 
viel  umfassendere  empirische  Begründung  und  ferner  dadurch,  dass 
sie  die  durch  die  Typentheorie  widerlegte  einreihige  Anordnung  der 
Thiere  aufgegeben  und  durch  den  „Stammbaum4*,  durch  die  verzweigte, 
baumartige  Anordnungsweise,  ersetzt  hat.  Weitere  Unterschiede  er- 
geben sich  in  der  causalen  Begründung  der  Descendenztheorie. 
Die  Lehre  von  den  Ursachen,  welche  die  Umbildung  der  Arten 
veranlasst  haben,  bildet  sogar  den  Kernpunkt  der  Darwinschen  Theorie, 
durch  den  sie  sich  vornehmlich  vom  Lamarckisinus  unterscheidet.  Um 
die  Umbildungen  der  Arten  ursächlich  zu  begründen,  stellte  Darwin 
seine  hochbedeutende  Lehre  von  „der  natürlichen  Zuchtwahl 
vermöge  des  Kampfes  um  das  Dasein'*  auf. 

Bei  der  Entwicklung  dieser  Lehre'  ging  Darwin  von  dem  eng-  JJJgJJf 
begrenzten  und  daher  leicht  übersehbaren  Gebiet  der  Domesti- 
cation,  der  künstlichen  Züchtung  unserer  Hausthierrassen,  aus.  Viele 
unserer  Hausthiere  stammen  unzweifelhaft  von  einer  einzigen  wild 
lebenden  Art;  andere  wiederum  stammen  von  mehreren  Arten,  sie 
machen  aber  jetzt  auf  uns  vollkommen  den  Eindruck  einer  einzigen 
Art.  Wie  sind  nun  die  so  ausserordentlich  verschiedenartigen  Rassen 
der  Tauben,  die  Pfauentauben,  Kropftauben,  kurz-  und  langschnäbe- 
ligen  Tauben  etc..  die  lang-  und  kurzgehörnten  Rinder,  die  schweren, 
langsamen  Perchcrons  und  die  zartgebauten,  schuellfüssigen  Araber- 
pferde entstanden?  Unzweifelhaft  durch  die  gleiche,  mehr  oder  minder 
bewusste  Beeinflussung  von  Seiten  des  Menschen,  deren  sich  jetzt 
noch  jeder  planmässig  vorgehende  Thierzüchter  bedient.  Wenn  dieser 
eine  bestimmte  Form  erzielen  will,  so  wählt  er  sich  aus  seinem  Thier- 
bestande geeignet  scheinende  Formen  aus.  welche,  wenn  auch  in  noch 
so  geringfügiger  Weise,  dem  angestrebten  Ideal  näher  kommen  als 
die  übrigen,  und  bringt  dieselben  unter  einander  zur  Paarung.  Durch 
planmässige  Wiederholung  dieser  Auslese,  indem  er  von  jeder  neuen 
Generation  immer  nur  die  geeigneten  Individuen  zur  Aufzucht  ver- 
wendet, erreicht  der  Züchter  eine  langsame,  aber  stetige  Annäherung 
an  das  gesetzte  Ziel.  Will  er  z.  B.  Pfauentauben  züchten,  so  wählt 
er  aus  seinem  Taubenbestand  Thiere  mit  möglichst  zahlreich  und 
kräftig  entwickelten  Schwanzfedern.  Im  Laufe  von  Generationen  tritt 
dann  eine  Cumulirung  des  Charakters  ein;  die  Zahl  der  Tauben  mit 
gesteigerter  Federzahl  wird  wachsen  und  so  ein  Material  gewonnen 
werden,  welches  zu  einer  weiteren  Vermehrung  der  Federzahl  geeignet 
ist.  Ein  geschickter  Züchter  kann  in  der  geschilderten  Weise  von 
einem  gemeinsamen  Ausgangsmaterial  ganz  verschiedene  Taubenrassen 
züchten. 

Bei  der  Züchtung,  deren  ungeheure  Wirksamkeit  jedem  Beobachter 
unserer  Hausthiere  klar  zu  Tage  liegt,  kommen  in  Betracht:  1)  die 
Variabilität;  die  Nachkommenschaft  eines  Elternpaares  hat  die 
Fähigkeit,  neue  Charaktere  zu  entwickeln  und  sich  dadurch  vom  Aus- 
sehen der  Eltern  zu  entfernen:  2)  die  Erblichkeit  neu  auftretender 
Charaktere:  es  besteht  die  Tendenz,  dass  die  Tochtergeneration  die 
neu  entstandenen  Charaktere  auf  die  Enkelgeneration  überträgt:  3)  die 
künstliche  Zuchtwahl:  der  Mensch  sucht  sich  zur  Züchtung  ge- 
eignete Individuen  aus  und  verhindert  auf  diese  Weise,  dass  ein  durch 
Variation  entstandener  neuer  Charakter  durch  Kreuzung  mit  Thieren 
von  entgegengesetzter  Variationstendenz  wieder  verschwindet. 

Vergleichen  wir  mit  den  Befunden  der  Domestication  die  Verhält- 

3* 


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30 


Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


nisse  der  im  Naturzustand  lebenden  Thiere,  so  finden  sich  als  wirk- 
same, allen  Organismen  innewohnende  Kräfte  Variabilität  und  Erblich- 
keit ebenfalls  wieder,  wenn  auch  erstere  nicht  überall  in  gleicher 
Intensität.  Viele  Arten  giebt  es,  die  gar  nicht  oder  unbedeutend  va- 
riiren  und  sich  daher  durch  Jahrtausende  unverändert  erhalten  haben. 
Diesen  conservativen  Arten  stehen  aber  in  jeder  Gruppe  progressive 
Arten  gegenüber,  lebensvolle  Arten,  welche  in  einein  regen  Umbildungs- 
process  begriffen  und  daher  allein  für  «las  Auftreten  neuer  Arten  von 
Bedeutung  sind.  —  Da  die  Vererbungsfähigkeit  allen  Organismen  zu- 
kommt, so  fehlt  uns  nur  ein  der  künstlichen  Zuchtwahl  entsprechender 
Factor,  und  diesen  hat  Darwin  in  der  sogenannten  „natürlichen 
Z  u  c  h  t  w  a  h  1"  aufgefunden. 
Snibl  Die  natürliche  Zuchtwahl  findet  ihre  Angriffspunkte  in  der 
Kimpf  um*  enormen  Zahl  von  Keimen,  welche  ein  jedes  Thier  producirt»  Es  giebt 
i>unn.  filiere,  z.  Ii.  die  meisten  Fische,  welche  viele  Tausende  von  junger 
Brut  im  Laufe  ihres  Lebens  erzeugen,  von  Parasiten  gar  nicht  zu 
reden,  bei  welchen  die  Eier  nach  vielen  Millionen  zählen.  Für  die 
Entwicklung  dieser  Thiermenge  hat  die  Erde  keinen  Platz:  denn  wenn 
wir  selbst  ein  langsam  sich  vermehrendes  Thier  der  Rechnung  zu 
Grunde  legen,  wie  z.  B.  den  Elephanten,  und  annehmen  würden,  dass 
alle  Nachkommenschaft,  welche  er  erzeugt,  am  Leben  bliebe  und  sich 
in  normaler  Weise  fortpflanze,  so  würden  wenige  Jahrhunderte  es  dahin 
bringen,  dass  die  Erde  von  Elephantenheerden  vollkommen  besetzt 
wäre.  Um  das  Gleichgewicht  im  Haushalt  der  Natur  aufrecht  zu 
erhalten,  müssen  grosse  Mengen  von  unbefruchteten  und  befruchteten 
Eiern,  ferner  von  jungen  und  erwachsenen,  aber  noch  nicht  zum  phy- 
siologischen Lebensende  gediehenen  Thieren  zu  Grunde  gehen.  Viele 
Existenzen  werden  unzweifelhaft  durch  rein  zufällige  Einflüsse  ver- 
nichtet werden.  Im  Grossen  und  Ganzen  werden  jedoch  am  meisten 
den  drohenden  Gefahren  diejenigen  Individuen  entgehen,  welche  am 
besten  geschützt  sind.  Geringe  Vortheile  im  Bau  werden  bei  diesem 
Ringen  um  die  Existenz  von  Wichtigkeit  werden  und  den  Trägern 
derselben  vor  ihren  Artgenossen  einen  Vorzug  gewähren,  ebenso  wie 
bei  der  Domestication  jedes  dem  Menschen  gefallende  oder  nützlich 
dünkende  Merkmal  an  einem  Hausthier  dem  Träger  des  Merkmals 
zum  Vortheil  gereicht.  Unter  den  vielerlei  auftretenden  Varietäten 
werden  die  passenden  erhalten  werden  und  im  Laufe  vieler  Gene- 
rationen durch  Summation  sich  steigern,  während  die  ungeeigneten 
Varietäten  der  Vernichtung  anheimfallen.  So  werden  sich  neue  Formen 
bilden,  welche  „der  natürlichen  Auslese  im  Kampf  um  das  Dasein" 
ihre  Existenz  verdanken. 

Der  Ausdruck  „Kampf  um  s  Dasein"  ist  ein  bildlicher.  Denn  nur 
in  seltenen  Fällen  wird  ein  activer.  bewusster  Kampf  über  die  Existenz- 
aussichten eines  Thieres  entscheiden,  wie  z.  B.  bei  den  Raubthieren. 
wo  diejenigen,  welche  ihren  Mitbewerbern  vermöge  ihrer  Körperstärke 
die  Beute  streitig  machen  können,  bei  beschränkter  Nahrung  am  besten 
gedeihen  werden.  Viel  häufiger  ist  das  unbewusste  Kämpfen;  jeder 
Mensch,  welcher  sich  selbst  eine  günstigere  Stellung  durch  besondere 
Intelligenz  und  Thatkraft  erringt,  beschränkt  zahlreichen  seiner  Mit- 
menschen in  gleichem  Maasse  die  Lebensbedingungen,  mag  er  noch 
so  sehr  sich  der  Humanität  betieissigen.  Die  Beutcthiere,  welche 
durch  besondere  List  oder  Schnelligkeit  ihren  Verfolgern  entgehen, 
sind  die  Ursache,  dass  die  Fressgier  der  Feinde  sich  auf  ihre  minder 


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Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


37 


begünstigten  Artgenossen  concentrirt.  Häufig  kann  nicht  einmal  von 
einem  Wettbewerb  die  Rede  sein,  so  z.  B.  wenn  bei  einer  schweren 
Epidemie  gewisse  Menschen  der  Krankheit  nicht  zum  Opfer  fallen, 
weil  ihre  Organisation  der  Infection  widersteht  oder  die  Krankheit 
besser  verträgt.  Hier  würde  sich  der  Ausdruck  „Ueberleben  des 
Passendsten",  den  Spencer  für  den  Ausdruck  „Kampf  um's  Dasein4* 
vorgeschlagen  hat,  viel  besser  eignen. 

Obwohl  schon  die  vorgetragenen  allgemeinen  Betrachtungen  ge- 
nügen, um  zu  beweisen,  dass  der  Kampf  um's  Dasein  in  der  orga- 
nischen Welt  eine  ganz  ungeheure  Rolle  spielt,  so  wollen  wir  doch 
bei  der  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  seine  Existenz  noch  an  einigen 
concreten  Beispielen  erläutern.  Die  am  Anfang  des  vorigen  Jahr- 
hunderts aus  Asien  eingedrungene  Wanderratte  (3/us  decumanus)  hat 
im  Lauf  der  seitdem  verflossenen  Zeit  die  in  Europa  einheimische 
Hausratte  {Mus  ralius)  fast  vollkommen  vernichtet  und  fährt  fort,  ihr 
in  anderen  Welttheilen  ebenfalls  die  Existenz  unmöglich  zu  machen. 
Einige  europäische  Distelarten  haben  sich  in  den  La  Plata-Staaten  so 
enorm  vermehrt,  dass  sie  stellenweise  die  einheimischen  Pflanzen  voll- 
kommen verdrängt  haben.  Eine  andere  europäische  Pflanze  (liypo- 
choeris  radicata)  ist  in  Neil-Seeland  zu  einem  Alles  überwuchernden 
Unkraut  geworden.  Gewisse  Menschenrassen,  wie  die  Dravidas  und 
Indianer,  sterben  in  demselben  Maasse  aus,  als  andere  Menschenrassen, 
wie  Kauknsier,  Mongolen  und  Neger,  sich  ausbreiten.  Je  mehr  man 
in  der  erläuterten  Weise  in  das  unendlich  complicirte  Gewebe  der 
Beziehungen  der  Thiere  zu  einander,  der  Thiere  zu  den  Pflanzen  und 
den  climatischen  Verhältnissen  einzudringen  versucht,  wie  es  Darwin 
gethan  hat  um  so  mehr  wird  man  die  Wirkungsweise  des  Kampfes  um's 
Dasein  würdigen  lernen.  Dann  wird  man  auch  auf  viele  äusserst 
interessante  Erscheinungen  aufmerksam  werden ,  welche  durch  die 
Lehre  vom  Kampf  um's  Dasein  sofort  ihre  Erklärung  finden,  während 
sie  sonst  unverständlich  sein  würden.  Inseln,  welche  mitten  im  Ocean 
gelegen  sind,  besitzen  unverhältnissmässig  viel  ungeflügelte  Insecten- 
arten,  weil  geflügelte  Formen  vom  Sturm  leicht  ins  Meer  verweht 
werden.  Auf  den  vom  Sturm  besonders  heimgesuchten  Kerguelen 
z.  B.  sind  sämmtliche  Insecten  flügellos,  darunter  eine  Schmetterlingsart, 
mehrere  Fliegen,  zahlreiche  Käfer.  Am  interessantesten  aber  sind  die 
Fälle  von  sympathischer  Färbung  und  von  Mimicry,  endlich  das  Auf- 
treten der  Geschlechtscharaktere  als  die  Folge  der  sexuellen  Zuchtwahl. 

1)  Sympathische  Färbung  nennt  man  die  Erscheinung,  dass  p*]£h9 
sehr  häufig  in  Gegenden,  welche  dauernd  oder  vorübergehend  eine  K*rbunf. 
einheitliche  Färbung  haben,  das  Kleid  der  Thiere  durch  die  gleiche 
oder  mindestens  eine  sehr  ähnliche  Färbung  ausgezeichnet  ist.  Be- 
wohner der  Schneeregion  sind  weiss  gefärbt;  Wüstenthiere  haben  die 
fahlgelbe  Farbe  der  Wüste:  Thiere,  welche  im  oberflächlichen  klaren 
Seewasser  leben,  sind  crystallartig  durchsichtig.  Angehörige  der  ver- 
schiedensten Thierstämme  zeigen  dieselbe  Erscheinung.  Die  Vortheile, 
die  damit  verbunden  sind,  bedürfen  kaum  der  Erläuterung;  jedes 
Thier,  mag  es  Ursache  haben,  sich  vor  seinen  Verfolgern  zu  verbergen 
oder  darauf  angewiesen  sein,  sich  seiner  Beute  unbemerkt  zu  nähern, 
wird  hierzu  um  so  befähigter  sein,  je  mehr  es  seiner  Umgebung 
gleicht.  Jeden  nach  dieser  Richtung  sich  ergebenden  Vortheil  wird 
die  natürliche  Auslese  festhalten  und  im  Laufe  vieler  Generationen 
steigern. 


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Darwins  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


Mimtcry.  9)  Auf  dasselbe  Princip  ist  die  ..Mhniery"  zurückzuführen,  nur 
dass  ilie  Nachahmung  sich  hier  nicht  auf  die  Farbe  beschränkt,  sondern 
auch  Gestalt  und  Zeichnung  beeinflusst.  Ausserordentlich  häutig 
werden  Pflanzentheile  nachgeahmt,  seien  es  Blätter,  seien  es  Stengel. 
Gewisse  Tagschmetterlinge  mit  prächtig  gefärbten  Flügeloberseiten 
(Fig.  11)  entziehen  sich  während  des  Fluges  durch  ihre  Schnelligkeit 


ihren  Verfolgern:  wenn  sie  s 
durch  ihre  grosse  Aehnlichkeit 
sie  vornehmlich  umschwärmen,  geschützt 


A 


Flg.  11. 

sitzend 


Blattschmetterlinge.   .1  Knllinin  parakreta,  fliegend, 
Uuu'h  Wiillnn-i.     Ii  Siderout  strigosus ,  Siegend, 
b  sitzend  mach  C.  Bterne). 


ich  zur  Ruhe  niederlassen,  werden  sie 
mit  den  Blättern  der  Pflanze,  welche 
Indem  die  Flügel  aufwärts 
geklappt  werden, 
kommt  die  dunkle 
Färbung  der  Un- 
terseiten zur  Gel- 
tung und  verdeckt 
die  Farbenpracht 

der  Oberseiten. 
Die  Theile  werden 
so   auf  einander 
gelegt,   dass  das 
Ganze  Plattform 
ergiebt   und  ge- 
wisse Zeichnun- 
gen sogar  zur 
Nachahmung  der 
Blattnervatur  zu- 
sammenstimmen. 
Unter  den  zahl- 
reichen Arten  der 

Blattschmetter- 
linge  giebt  es  ver- 
schiedene Grade 
der  Vollkommen- 
heit :  bei  manchen 

sind  sogar  die 
Schäden   des  In- 

sektenfrasses 
nachgeahmt  ;  bei 
anderen  ist  Forin 
und  Zeichnung  der 
Flügel   noch  un- 
vollkommen blatt- 
ähnlich, die  Zeich- 
nung gleichsam 
erst  im  Werden. 
Auch   unter  den 
die  ..wandelnden  Blätter": 
andere,  ganz  nahe  ver- 
vollkonimen  das  Aeussere 


Heuschrecken  giebt  es  Blattnachahmer,  so 
Phyllium  siccifolium,  Ph.  Scythe,  während 
wandte  Formen  wiederum  mehr  oder  minder 
dürrer,  ab  und  zu  auch  dorniger  Aeste  angenommen  haben  (Fig.  12a 
und  //). 

Sehr  häufig  werden  Insecten  von  anderen  Thieren  copirt.  Gewisse 
Schmetterlinge.  Heliconier,  fliegen  in  grossen  Schwärmen  schwerfällig 
und  trotzdem  von  Vögeln  unbehelligt,  weil  sie  einen  übel  schmeckenden 


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Darwin'a  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


39 


Fettkörper  enthalten.  Zwischen  sie  mengen  sich  andere  Schmetter- 
lingsarten. Pieriden,  welche  nicht  übel  schmecken  und  doch  nicht  ge- 
fressen werden,  weil  sie  im  Flug,  im  Schnitt  und  in  der  Zeichnung 
der  Flügel  die  Heliconicr  so  trefflich  nachahmen,  dass  selbst  ein  Syste- 
niatiker  leicht  über  ihre  systematische  Stellung  getäuscht  werden  kann 
<Fig.  13).  Ebenso  werden  die  wegen  ihres  Stachels  gefürchteten  Bienen 
und  Wespen  von  anderen  Insecten  nachgeahmt.  In  Borneo  lebt  eine 
grosse  schwarze  Wespe,  deren  Flügel  einen  breiten  weissen  Fleck  in 
der  Nähe  der  Spitze  haben  (Mygnimia  aviculus)  ;  ihr  NaehätTer  ist  ein 
heteromerer  Käfer  (Cohborhombus  fasciatipennis).  der  ganz  der  Gewohn- 
heit der  Käfer  entgegen  seine  HinterHügel  ausgebreitet  hält  und  ihren 
weissen  Fleck  an  der  Spitze  zeigt,  während  die  Deckflügel  zu  kleinen 
ovalen  Schuppen  geworden  sind  (Fig.  14). 


3)  Unter  geschlechtlicher  Zuchtwahl  verstehen  wir  einen  Jä^J 
besonderen  Unterfall  der  natürlichen  Zuchtwahl,  welcher  vorwiegend 
bei  Vögeln  und  Hufthieren  beobachtet  wird.  Zur  Befriedigung  seiner 
Lust  sucht  hier  das  Männchen  seine  Concurrenten  aus  dem  Felde  zu 
schlagen,  entweder  im  Kampf  oder  indem  es  die  Weibchen  durch  be- 
sondere Vorzüge  an  sich  fesselt.  Mit  kräftigen  Flügeln  und  den  Sporen 
des  Laufknochens  suchen  die  Hähne  sich  den  Besitz  ihrer  Heerde  zu 
sichern,  die  Hirsche  mittelst  ihres  Geweihes,  die  Stiere  durch  ihre 
Hörner.  Durch  prächtige  Färbung  gewinnen  die  Paradiesvögel,  durch 
Gesang  die  meisten  Singvögel,  durch  eigenthümliche  Liebestänze  manche 


Fig.  12.  Househm-kon-Miiuicry. 


a)  Acanthodcrus  Wailacei  i- 


b)  Phyllitttn  Seytke  i . 


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Darwins  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


Hühnerarten  die  Geneigtheit  des  Weibchens.  Da  alle  diese  Merkmale 
vorwiegend  dem  Männrhen  zukommen  und  nur  ausnahmsweise  und 
dann  minder  ausgeprägt  auch  auf  das  Weibchen  übertragen  werden, 
ist  es  fast  gewiss,  dass  sie  beim  Männchen  durch  den  Kampf  um  das 
Weibchen  gross  gezogen  wurden.  Bei  den  Vögeln  wird  allerdings 
noch  ein  zweites  Moment  mitgewirkt  haben,  um  den  enormen  Unter- 
schied in  der  Befiederung,  wie  er  z.  B.  bei  den  Paradiesvögeln  besteht 
(Fig.  1T>),  auszuprägen.  Für  das  nistende  Weibchen  werden  unschein- 
bare Farbe  und  schlicht  anliegendes  Federkleid  nothwendig  sein,  damit 
es  ungestört  von  Feinden  dem  Brutgeschäft  obliegen  kann. 


Fig.  14. 

Im  Laufe  der  letzten  Jahrzehnte  ist  viel  darüber  gestritten  worden, 
in  wie  weit  die  natürliche  Auslese  für  sich  allein  schon  ein  Arten 
bildendes  Princip  ist.  Von  vielen  Seiten  ist  der  Einwand  gemacht 
worden,  dass  die  in  der  Natur  vorkommenden  Variationen  bei  ihrem 
ersten  Auftreten  meist  viel  zu  geringfügig  seien,  um  dem  Organismus 
zu  nützen  und  so  Gegenstand  der  natürlichen  Auslese  zu  werden. 
Damit  z.  B.  die  Flügel  der  Vögel  zum  Fluge  verwandt  werden  können, 
müssen  sie  schon  eine  aussergewöhnliche  Grösse  erreicht  haben;  die 
bewegenden  Muskeln,  die  stützenden  Skeletstücke,  die  hinzutretenden 
Nerven  müssen  eine  bestimmte  Ausbildung  und  Anordnung  besitzen; 
kurz  und  gut,  es  tnuss  ein  harmonisches  Ineinandergreifen  der  Theile 
vorhanden  sein,  welches  eine  stetige  und  gleich  gerichtete  Entwicklung 
während  langer  Zeiträume  voraussetzt,  während  deren  der  Kampf 


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Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


41 


ums  Dasein  kei- 
nen richtenden 
Eintiuss  ausüben 
konnte.  Ein  wei- 
terer Einwand  be- 
sagt ,    dass  die 

Wirkungsweise 
der  natürlichen 
Auslese  unter  ge- 
wöhnlichen Ver- 
hältnissen durch 
die  entgegenge- 
setzte Wirkung 
der  unbehinder- 
ten Kreuzung  der 
variirenden  For- 
men ausgeglichen 

werden  müsse. 
Wenn  manPfauen- 
tauben  z.  B.  nicht 
von  den  übrigen 
Tauben  isolirt,  so 
würden    sie  mit 

denselben  sich 
kreuzen  und  die 
Nachkommenbald 
den  Habitus  ge- 
wöhnlicher Tau- 
ben wieder  an- 
nehmen. Endlich 
ist  hervorgehoben 
worden,  dass  zur 
Entstehung  neuer 
Arten  eine  einfache  Umbil- 
dung der  Formen  nicht  aus- 
reicht; es  muss  noch  weiter 
hinzukommen:  1)  eine  Um- 
bildung nach  verschiedenen 
Richtungen  hin,  eine  diver- 
gente Entwicklung  des  Indi- 
viduenbestandes einer  Art, 
2)  die  Vernichtung  der  Zwi- 
schenformen,  welche  die  di- 
vergenten Formen  unter  ein- 
ander verbinden. 

Der  Einwand,  dass  der 
Kampf  um's  Dasein  die  zur 
Ausbildung  nöthige  diver- 
gente Entwicklung  der  In- 
dividuen nicht  veranlassen 
könne,  fällt  am  wenigsten  in  s 
Gewicht.  Ohne  weiteres  muss 
zugegeben  werden,  dass  von 


Fig.  15  a. 


Fig.  15  b. 

Pnradi.sra  npoila,  Afännchen  und  Weibchen 
nach  Levaillont. 


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42 


Darwin's  Theorie  von  der  Abstämmling  der  Arten. 


vielen  bei  einer  Art  gleichzeitig  auftretenden  Variationen  zwei  oder 
mehr  zugleich  von  Vortheil  sein  können,  dass  sich  dann  ein  Theil 
der  Individuen  des  einen,  ein  anderer  Theil  des  anderen  Vortheils  be- 
mächtigen wird,  dass  beide  Theile  sich  in  Folge  dessen  nach  verschie- 
denen Richtungen  hin  entwickeln  werden.  Dabei  werden  die  Mittel- 
formen, welche  weder  nach  der  einen  noch  nach  der  anderen  Richtung 
hin  besonders  ausgeprägt  sind,  in  eine  ungünstige  Stellung  gerathen ; 
sie  müssen  mit  beiden  Gruppen  einseitig  differenzirter  Artgenossen  den 
Kampf  ums  Dasein  aufnehmen  und  als  minder  vollkommen  ausgerüstet 
in  demselben  unterliegen. 

Wichtiger  sind  die  beiden  an  erster  Stelle  genannten  Einwände; 
sie  haben  zu  Theorien  geführt,  welche  ursprünglich  bestimmt  schienen, 
die  Darwinsche  Theorie  zu  ergänzen,  im  Lauf  der  Discussion  aber 
immer  mehr  den  Anspruch  erhoben  haben,  sie  ganz  zu  verdrängen.  Im 
Folgenden  mögen  diese  Theorien  ihre  Darstellung  finden,  wenn  es  auch 
mit  Rücksicht  darauf,  dass  wir  uns  zur  Zeit  noch  mitten  in  den  Re- 
formbewegungen befinden,  hier  nicht  am  Platz  ist,  zu  erörtern,  ob  die 
Theorien  neben  der  Lehre  vom  Kampf  uin's  Dasein  bestehen  können, 
oder  ob  sie  dieselbe  ausschliessen. 

Um  zu  erklären,  wie  es  kommt,  dass  durch  Variationen  neu  ge- 
bildete Charaktere  Bestand  haben  und  nicht  durch  Kreuzung  mit  anders 
gearteten  Individuen  wieder  verschwinden,  hat  M.  Wagner  die 
Theorie  von  der  geographischen  Isolirung  oder  die  Migra- 
tionstheorie aufgestellt.  Neue  Arten  sollen  entstehen,  wenn  von 
dem  Individuenbestand  einer  Art  ein  Theil  sich  auf  Wanderung  be- 
giebt  oder  passiv  verschleppt  wird  und  so  nach  einem  neuen  Aufent- 
haltsort kommt,  an  welchem  die  Kreuzung  mit  den  zurückgebliebenen 
Art  genossen  nicht  möglich  ist.  Das  Gleiche  soll  eintreten,  wenn  ein 
von  einer  Art  besiedeltes  Gebiet  durch  geologische  Ereignisse  in  zwei 
Gebiete,  zwischen  denen  kein  Formenaustausch  mehr  möglich  ist.  ge- 
schieden wird.  Die  unter  den  alten  Verhältnissen  belassenen  Thiere 
sollen  den  ursprünglichen  Artcharakter  beibehalten,  die  Auswanderer 
dagegen  sich  zu  einer  neuen  Art  umwandeln.  Für  die  Berechtigung 
der  Theorie  sprechen  directe  Beobachtungen.  Eine  am  Anfang  des 
15.  Jahrhunderts  ausgesetzte  Kaninchenzucht  hat  sich  auf  der  Insel 
Porto-Sa nto  bis  in  die  Neuzeit  enorm  vermehrt:  dabei  hat  die 
Nachkommenschaft  die  Charaktere  einer  neuen  Art  angenommen.  Die 
Thiere  sind  kleiner  und  bissiger  geworden,  sie  haben  eine  gleichförmig 
röthliche  Farbe  erhalten  und  lassen  sich  mit  den  bei  uns  einheimischen 
Kaninchen  nicht  mehr  paaren.  Ein  weiterer  Beweis  für  die  Theorie 
der  geographischen  Isolirung  ist  ferner  der  eigenartige  faunistische 
Charakter  von  Territorien,  welche  von  angrenzenden  Ländern  durch 
unüberwindliche  Barrieren,  breite  Flüsse  oder  Meeresarme,  hohe  Ge- 
birgszüge (cfr.  Seite  '.\4)  getrennt  sind.  Besonders  lehrreich  ist  in 
dieser  Hinsicht  der  eigenartige  faunistische  Charakter  fast  aller  Inseln. 
Die  Fauna  einer  Insel  ähnelt  im  Allgemeinen  der  Fauna  des  Fest- 
lands, von  dem  die  Insel  durch  geologische  Ereignisse  abgelöst  wurde; 
nur  besitzt  sie  nicht  dieselben,  sondern  sogenannte  ..vicariirende 
Arten",  d.  h.  Arten,  welche  bis  auf  gewisse  Merkmale  den  Festlands- 
arten gleichen.  Solche  vicariirende  Arten  sind  offenbar  dadurch  ent- 
standen, dass  abgelöste  Individuengruppen,  auf  die  Insel  versprengt, 
eine  von  der  Ausgangsfonn  divergente  Entwicklung  genommen  haben. 
—  Bei  aller  Anerkennung  der  Migrationstheorie  wird  es  niemals 


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Darwin'a  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten.  43 


möglich  sein,  aus  ihr  allein  die  Vielgestaltigkeit  der  Organismenwelt 
zu  erklären.  Dazu  müsste  man  annehmen,  dass  früher  eine  ungeheure 
Umbildungsfähigkeit  der  Erdoberfläche  bestanden  hat,  während  gerade 
die  neueren  Untersuchungen  es  wahrscheinlich  machen,  dass  die  Ver- 
keilung von  Land  und  Wasser  lange  nicht  in  dem  Maasse,  wie  man 
früher  annahm,  gewechselt  hat.  Auch  lehrt  die  Erfahrung  der  Botaniker, 
dass  mehrere  Varietäten  an  demselben  Standort  entstehen  und  Con- 
stanz  gewinnen  können. 

Während  die  Migrationstheorie  mit  dem  Darwinismus  darin  über-  !•»»"*■»• 
einstimmt,  dass  sie  die  durch  Variation  auftretenden  neuen  Charaktere 
als  ein  Product  des  Zufalls  betrachtet,  ist  von  anderen  Seiten  gerade 
dieser  Theil  der  Lehre  zum  Gegenstand  eingehender  Kritik  gemacht 
worden.  Manche  Zoologen  haben  auf  die  causale  Begründung  der 
Descendenztheorie  durch  Lamarck  zurückgegriffen  und  erblicken  die 
Ursachen  der  Artumbildung  zum  Theil  in  dem  unmittelbaren  Ein- 
fluss  der  wechselnden  Existenzbedingungen,  zum  Theil 
in  dein  durch  den  Wechsel  der  Existenzbedingungen  veränderten  Ge- 
brauch und  Nichtgebrauch  der  Organe.  Beide  Principien 
sollen  ausreichen,  um  auch  ohne  Zuhilfenahme  des  Kampfes  ura's 
Dasein  die  Phylogenese  der  Organismen  zu  erklären. 

In  wie  weit  die  Existenzbedingungen  eine  dauernde  Ver- 
änderung im  Bau  der  Pflanzen  und  Thicre  ausüben  können,  dies  zu 
entscheiden  ist  bei  der  Verschiedenartigkeit  der  in  Frage  stehenden 
Einflüsse  kein  einheitliches  Problem.  Bei  einem  Wechsel  der  Er- 
nährung verändern  sich  Organismen  in  ganz  auffälliger  Weise  und 
innerhalb  kurzer  Zeit:  aber  gerade  diese  Veränderungen  (Ernährungs- 
modifleationen  Naegeli's)  scheinen  für  gewöhnlich  keinen  dauernden 
Bestand  zu  haben.  Pflanzen,  welche  aus  dem  in  der  Natur  ihnen  zu- 
kommenden mageren  Boden  in  fettes  Erdreich  versetzt  werden  oder 
umgekehrt,  nehmen  sehr  bald  ein  ganz  anderes  Aussehen  an  und  be- 
halten dasselbe  auch  durch  die  folgenden  Generationen  bei,  so  lange 
diese  im  fetten  Erdreich  bleiben ;  ebenso  rasch  aber  tritt  der  Rückschlag 
ein.  wenn  die  Pflanzenart  in  ihre  ursprünglichen  Existenzbedingungen 
zurückgelangt.  Eine  Veränderung  scheint  im  Allgemeinen  um  so 
dauerhafter  zu  sein,  je  langsamer  sie  sich  entwickelt  Bei  Versuchen 
über  den  Einfluss  der  Existenzbedingungen  wird  man  daher  am  ehesten 
auf  Erfolg  rechnen  können,  wenn  man  mit  langsam  wirkenden  Factoren 
experimentirt,  wie  Licht  und  Wärme,  trockene  oder  feuchte  Luft,  ver- 
schiedene Intensitäten  der  Schwerkraft,  Reizwirkungen,  welche  von 
Organismen  der  Umgebung  ausgelöst  werden. 

Was  nun  die  Wirksamkeit  von  Uebung  und  N  i  c h  t  ü  b  u  n  g  an- 
langt, so  ist  es  unzweifelhaft,  dass  die  Erscheinungsweise  eines  Thieres 
in  hohem  Maasse  von  der  Art,  wie  es  seine  Organe  benutzt,  beeinflusst 
wird.  Die  der  Uebung  unterliegenden  Organe  werden  in  ihm  besonders 
kräftig,  die  vom  Gebrauche  ausgeschlossenen  umgekehrt  schwächlich 
werden.  Fraglich  ist  nur,  ob  die  so  entstehenden,  im  strengsten  Sinne 
des  Wortes  neu  erworbenen  Eigenschaften  erblich  sind,  oder  ob  nicht 
vielmehr  die  Nachkommen,  um  zum  gleichen  Ziel  zu  gelangen,  die 
Uebung  und  NichtÜbung  von  Neuem  in  gleicher  WTeise  beginnen 
müssen.  Im  letzteren  Falle  wäre  eine  Cumulirung  des  Charakters  und 
damit  die  Möglichkeit,  dass  derselbe  zu  einem  dauernden  werde,  aus- 
geschlossen. Leider  fehlt  es  noch  immer  auf  diesem  der  experimen- 
tellen Behandlung  zugängigen  Gebiet  an  einwurfsfreien  Erfahrungen. 


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Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


Am  meisten  sprechen  zu  Gunsten  des  Lamarck'schen  Prinzips  zur  Zeit 
die  rudimentären  Organe.  Wenn  wir  sehen,  dass  Höhlenthiere,  welche 
seit  vielen  Generationen  im  Dunkeln  leben,  blind  sind,  indem  sie  ent- 
weder gar  keine  Augen  mehr  besitzen  oder  functionsuntaugliche  Reste 
von  solchen,  so  liegt  allerdings  die  Ansicht  nahe,  dass  mangelnder 
Gebrauch  diese  Veränderung  verschuldet  habe,  indem  er  zu  einer  von 
Generation  zu  Generation  zunehmenden  functionellen  und  anatomischen 
Untüchtigkeit  geführt  hat.  Man  sollte  nun  meinen,  was  für  die  Nicht- 
Übung gilt,  müsste  sich  im  entgegengesetzten  Sinne  auch  bei  der 
Uebung  äussern. 

pS'd'r  Zum  Schluss  haben  wir  noch  die  Umbildung  der  Arten  aus  eigenen 
rrot?«*fon. inneren  Ursachen  zu  betrachten,  das  was  C.  E.  von  Baer  mit  dem 
wenig  geeigneten,  weil  leicht  irre  leitenden  Ausdruck  „Zielstrebigkeit", 
Naegeli  als  „Vervollkom  mnungsprineip"  oder  „Princip  der 
Progression4*  bezeichnet  hat.  Es  kann  wohl  nicht  geleugnet  werden, 
dass  eine  jede  Art  aus  eigenen  inneren  Ursachen  genöthigt  ist,  sich 
zu  neuen  Formen  zu  entwickeln,  unabhängig  von  äusseren  Existenz- 
bedingungen und  unabhängig  bis  zu  einem  bestimmten  Grad  vom 
Kampf  um  das  Dasein.  In  allen  Thierstämmen  sehen  wir  den  Fort- 
schritt vom  Niederen  zum  Höheren  sich  vollziehen,  vielfach  in  ganz 
ähnlicher  Weise,  trotzdem  die  Thierc  unter  sehr  verschiedenen  Ent- 
wicklungsbedingungen leben.  Wir  sehen,  wie  das  bei  niederen  Formen 
oberflächlich  gelagerte  Nervensystem  bei  höheren  in  die  Tiefe  des 
Körpers  verborgen  wird,  wie  das  Auge,  zunächst  ein  einfacher  Pig- 
mentfleck, bei  Würmern,  Arthropoden,  Weichthieren  und  Wirbelihieren 
mit  Hilfseinrichtungen  wie  Linse,  Glaskörper,  Iris,  Chorioidea  etc. 
ausgerüstet  wird.  Darin  erblicken  wir  eine  Energie  zur  Vervollkomm- 
nung, welche,  da  sie  überall  vorkommt,  von  den  individuellen  Lebens- 
bedingungen unabhängig  sein  und  im  Wesen  der  lebenden  Substanz 
selbst  ihre  besondere  Erklärung  haben  muss.  (Vergl.  auch  Sachs's 
Lehre  von  den  Mechanomorphosen.) 

Es  ist  keineswegs  richtig,  eine  Auffassung,  wie  sie  hier  aus- 
gesprochen wurde,  eine  teleologische  zu  nennen  und  als  unnatur- 
wissenschaftlich zu  verwerfen ;  vielmehr  erscheint  in  ihr  der  Organismus 
ebenso  mechanisch  bedingt,  wie  eine  Billardkugel,  deren  Verlauf  doch 
nicht  nur  durch  die  Reibung  mit  den  Wandungen  des  Billards,  sondern 
zum  guten  Thcil  durch  die  ihr  innewohnende,  durch  den  Stoss  ihr 
übertragene  Kraft  bestimmt  wird.  Auch  ein  Organismus  ist  ein 
Kräftereservoir,  welches  sich  mit  Noth wendigkeit  aus  sich  heraus  ent- 
wickeln muss,  nur  dass  es  von  außerordentlicher  Complication  und  in 
gleichem  Maasse  auch  von  der  Aussen  weit  noch  viel  unabhängiger  ist. 
Eine  vollkommene  Unabhängigkeit  wird  natürlich  niemals  vorhanden 
sein  und  ist  auch  von  Naegeli  nicht  behauptet  worden.  Nebenher 
wird  vielmehr  stets  eine  „Bewirkung"  (Naegeli)  der  Aussenwelt  ein- 
hergehen, ein  modifleirender  Einfluss,  der  von  den  äusseren  Existenz- 
bedingungen entweder  direct  oder  durch  Vermittclung  von  Uebung 
und  NichtÜbung  in  der  oben  besprochenen  Weise  ausgeübt  wird. 

Wir  haben  hier  ausführlicher  bei  der  Darstellung  der  Descendenz- 
theorie  verweilt,  weil  sie  unzweifelhaft  in  der  Geschichte  der  Zoologie 
die  bedeutsamste  Erscheinung  ist.  Keine  andere  Theorie  hat  so  sehr 
in  den  Entwicklungsgang  der  zoologischen  Forschung  eingegriffen, 
keine  ihr  so  viele  neue  Probleme  gestellt  und  neue  Forschungsgebiete 
eröffnet.    Keiner  zoologischen  Theorie  kommt  somit  ein  gleich  her- 


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Darwin's  Theorie  von  der  Abstammung  der  Arten. 


45 


vorragender  „heuristischer"  Werth  zu.  Auf  die  vielen  Einwände, 
welche  gemacht  worden  sind,  die  Theorie  sei  ungenügend  begründet, 
lässt  sich  nur  erwiedern,  dass  sie  bei  dem  derzeitigen  Stande  unseres 
Wissens  die  einzige  Theorie  ist,  welche  mit  unseren  Erfahrungen 
übereinstimmt  und  dieselben  auf  einheitliche  Weise  und  auf  natur- 
wissenschaftlicher Basis  erklärt.  In  diesem  Satz  ist  zugleich  das  Lob 
der  Descendenztheorie,  zugleich  aber  auch  eine  Einschränkung  für 
ihre  Giltigkeit  gegeben.  Denn  einerseits  leitet  der  Satz  die  Ansprüche 
der  Theorie  auf  Giltigkeit  aus  dem  Bedürfniss  des  menschlichen  Geistes 
nach  einer  einheitlichen  Erklärung  der  naturwissenschaftlichen  That- 
sachen  ab;  andererseits  macht  er  den  Grad  der  Berechtigung  von  dem 
jeweiligen  Stand  unserer  Erfahrung  abhängig.  Beidesmals  handelt  es 
sich  um  keine  constanten  Grössen.  Viele  Naturforscher  haben  nicht 
das  Bedürfniss,  die  Erfahrungen  der  Palaeontologie,  der  Thier-  und 
Pflanzenkunde  in  ursächlichen  Zusammenhang  zu  bringen ;  ihnen  wird 
man  daher  die  Darwinsche  Theorie  ebensowenig  wie  jede  andere 
Gleiches  anstrebende  Theorie  beweisen  können.  Indessen  auch  retlec- 
tirende  Naturforscher  werden  immer  im  Auge  behalten  müssen,  dass 
unsere  Naturerkenntniss  in  beständigem  Fortschreiten  begriffen  ist 
und  zusehends  eine  Erweiterung  und  Vertiefung  erfährt  Est  ist  mög- 
lich, ja  sogar  wahrscheinlich,  dass  diese  Fortschritte  auch  zu  manchen 
Umgestaltungen  der  Theorie  führen  werden.  Namentlich  wird  die 
Lehre  von  den  Ursachen,  welche  die  Bildung  neuer  Arten  veranlassen, 
noch  vielfachem  Wandel  unterworfen  werden.  Dagegen  kann  man 
wohl  mit  grosser  Sicherheit  behaupten,  dass  das  Descendenz- 
princip,  welches  durch  den  Darwinismus  zum  ersten  Male  zur 
Herrschaft  gelangt  ist,  einen  dauernden  Grundpfeiler  der 
zoologischen  Forschung  ausmachen  wird. 


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Allgemeine  Zoologie 


In  den  Lebenserscheinungen  der  Thiere  lässt  sich  ein  gewisses 
Maass  von  Gleichartigkeit  durch  das  ganze  Thierreich  verfolgen ;  die 
Art,  wie  sich  die  Thiere  ernähren  und  fortpflanzen,  wie  sie  sich  be- 
wegen und  wie  sie  empfinden,  ist  in  grossen  Gruppen  im  Wesentlichen 
die  gleiche  und  kann  sogar  bei  weit  entfernten  Formen  mancherlei 
Uebereinstimmung  bieten.  Demgeniäss  müssen  auch  die  Einrichtungen, 
welche  für  die  genannten  Functionen  getroffen  sind,  die  Organe  der 
Ernährung  und  Fortpflanzung,  der  Bewegung  und  Empfindung  in  ihren» 
gröberen  und  feineren  Bau  und  in  ihrer  Entwicklungsweise  einander 
ähnlich  sein  und  einige  stets  oder  häufig  wiederkehrende  (irundzüge 
erkennen  lassen.  Alles  dies  bedarf  einer  allgemeinen  Erörterung,  bevor 
wir  auf  die  Schilderung  der  einzelnen  Thierstämme  eingehen  können. 
Diese  Erörterung  ist  liegenstand  der  allgemeinen  Zoologie,  speziell  der 
allgemeinen  Anatomie  und  Entwicklungsgeschichte  oder 
der  thierischen  Morphologie. 

Hat  man  auf  anatomischem  und  entwicklungsgeschichtlichem  Wege 
das  allgemeine  Wesen  des  thierischen  Organismus  begriffen,  so  muss 
man  ferner  seine  Beziehungen  zur  Umgebung  in  das  Auge  fassen. 
Zur  Lehre  von  den  Lebensverhältnissen  der  Thiere.  der  0  e  k  o  1  o  g  i  e  oder 
Biologie,  haben  wir  die  geographische  Verbreitung  der  Thiere 
—  ihre  Vertheilung  über  die  Oberfläche  der  Erde  und  in  den  verschie- 
denen Meerestiefen  —  zu  rechnen,  ferner  die  Wechselbeziehungen  von 
Thier  und  Pflanze,  von  Thier  zu  Thier,  wie  sie  in  Staaten  bildung, 
Symbiose.  Parasitismus  zu  besonderem  Ausdruck  gelangen. 

Bei  der  allgemeinen  Anatomie,  mit  welcher  wir  beginnen 
werden,  wollen  wir  den  Gedanken  zu  Grunde  legen,  wie  sich  ein 
Organismus  aus  seinen  Bcs t an dth eilen  aufbaut.  Wir 
werden  dabei  im  Geiste  das  entgegengesetzte  Verfahren  befolgen  von 
dem,  welches  die  Anatomie  thatsächlich  einschlägt,  wenn  sie  den 
thierischen  Körper  in  seine  Elementartheile,  seine  Organe.  Gewebe 
und  Zellen,  auflöst.  Anstatt  analytischer  werden  wir  synthetische 
Anatomie  treiben. 

Die  Synthese  eines  Organismus,  wie  wir  sie  in  der  allgemeinen 
Anatomie  nur  der  Idee  nach  vornehmen  können,  vollzieht  sich  that- 
sächlich in  der  Natur  während  der  Entwicklung  eines  jeden  Thieres. 
Entwicklungsgeschichtlich  ist  jeder  Organismus  vorübergehend  ein 


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Allgemeine  Zoologie. 


47 


einfaches  Element,  eine  Zelle:  die  Zelle  theilt  sich  und  es  entstehen 
Gewebe,  aus  den  Geweben  Organe  und  aus  den  Organen  setzt  sich 
das  gesetzmässig  gegliederte  Ganze  eines  Thierkörpers  zusammen. 
Wenn  somit  die  allgemeine  Entwicklungsgeschichte  synthetisch  ver- 
fährt, so  schliesst  sie  sich  bei  ihrer  Darstellung  nur  den  Vorgängen 
an,  welche  sich  in  der  Natur  abspielen  und  der  directen  Beobachtung 
zugängig  sind. 


I.  Allgemeine  Anatomie. 

Den  Ausdruck  „Bestandteile  des  thierischen  Körpers"  kann  man 
in  doppeltem  Sinne  anwenden.  Man  kann  von  Mischungsbestand- 
t heilen  reden:  das  sind  die  chemischen  Verbindungen,  welche  die 
Gewebe  bilden;  sie  sind  Gegenstand  der  Thierchemie  und  können 
daher  hier  übergangen  werden.  Man  kann  aber  ferner  auch  von  Form- 
best  an  (Ith  eilen  des  thierischen  Körpers  reden:  das  sind  die 
Zellen.  Diese  und  ihre  Umbildung  zu  Geweben,  Organen  und  ganzen 
Thieren  sind  für  uns  von  viel  grösserer  Bedeutung. 

1.  Die  Formbestandthelle  des  thierischen  KOrpers. 

Die  Lehre  von  den  Formbestandtheilen  der  organischen  Körper 
hat  eine  feste  Grundlage  erst  durch  die  Zellentheorie  gefunden.  Jede 
wissenschaftliche  Thier-  und  Pflanzenanatomie  muss  daher  mit  der 
Lehre  von  der  Zelle  ihren  Ausgangspunkt  nehmen. 

Der  Begriff  der  Zelle ,  wie  er  in  der  Morphologie  der  Thiero  £'"c£j^t* 
und  Pflanzen  eingebürgert  ist,  hat  im  Laufe  der  Zeit  viele  Wand-  7heori/n" 
lungen  erfahren,  welche  man  einigermaassen  kennen  muss,  um  Namen 
und  Bogriff  vollkommen  zu  verstehen.  Als  Hooker,  Marcello,  Mal- 
pighi  und  Nehemia  Grew  im  17.  Jahrhundert  den  Namen  in  die 
Pflanzenanatomie  einführten,  verstanden  sie  darunter  kleine  Kämmerchen, 
umgeben  von  festen  Wandungen  und  von  Luft  oder  flüssigem  Inhalt  er- 
füllt. Auch  als  man  am  Anfang  dieses  Jahrhunderts  richtig  erkannte,  dass 
die  Zelle  die  anatomische  und  physiologische  Einheit  des  Pflanzenkörpers 
ist,  aus  deren  Umwandlung  alle  übrigen  Theile  sich  bilden,  und  als  der 
englische  Botaniker  Brown  im  Innern  der  Zelle  ein  bis  dahin  über- 
sehenes Körperchen,  den  Nucleus  oder  Zellkern,  auffand,  blieb  die 
alte  Auffassung  bestehen  und  wurde  auch  als  solche  von  Schleiden  in 
seine  Zelltheorie  übernommen.  Sehl  e  i  d  e  n  fügte  als  neu  die  vollkommen 
irrige  Lehre  von  der  Entstehung  der  Zelle  hinzu,  dass  sich  in  einer  Art 
Mutterlauge,  dem  Cytoblastem,  zunächst  ein  Korn  bilde,  das  Kernkör- 
perchen,  dass  um  dieses  Korn  eine  Niederschlagsmembran  entstehe,  die 
Kernmembran,  und  um  den  damit  fertiggestellten  Kern  eine  weitere 
Niederschlagsmembran,  die  Zellmembran.  So  sei  für  die  Entstehung  der 
Zelle  der  Kern  von  der  allergrössten  Bedeutung. 

Da  in  dem  Körper  der  Thiero  die  Kerne  der  Zellen  am  leichtesten 
gefunden  werden  und  auch  jetzt  noch  zur  Orientirung  über  das  Auftreten 
der  Zellen  vornehmlich  benutzt  werden,  so  ist  es  verständlich,  dass  die 
Schleid  en'sche  Lehre,  welche  den  Zellkern  so  sehr  in  den  Vordergrund 


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Allgemeine  Zoologie. 


stellte,  für  Schwann  Veranlassung  werden  konnte,  die  Zellentheorie  auf 
das  Thierreich  zu  übertragen  und  damit  zu  einem  allgemeingiltigen  Princip 
zu  erheben.  Man  spricht  daher  meist  von  einer  Schwann-Schlei- 
den7sehen  Zellentheorie. 
f^ieXn-  Dieser  Theorie  zu  Folge  sollte  für  die  Function  der  Zelle  ihre 
•che  'ml  Wandung,  die  Zellmembran,  das  Wichtigste  sein :  durch  die  Zellmembran 
t  «mc.  flin(jurch  80uen  Dirtusionsstrüme  zwischen  Umgebung  und  flüssigem  Zell- 
inhalt sich  vollziehen;  der  Charakter  der  Membran  und  des  Zellsaftes  soll 
nach  allgemein  physikalischen  Gesetzen  die  Beschaffenheit  der  Diffusions- 
ströme und  damit  auch  den  functionellen  Charakter  der  Zelle  bestimmen; 
das  verschiedene  Aussehen  der  Gewebo  sei  vornehmlich  dadurch  bedingt, 
dass  die  anfangs  kugeligen  Zellen  ihre  Gestalt  verändern,  indem  sie  im 
fibrillären  Bindegewebo  z.  B.  enorm  in  die  Länge  zu  den  feinen  Fibrillen 
auswachsen.  Da  das  Leben  der  Organismen  nun  nichts  Anderes  ist  als 
das  Zusammenwirken  aller  seiner  Zellen,  so  schmeichelte  man  sich,  durch 
die  Zellentheorie  und  die  durch  sie  bewirkte  Entdeckung  der  physikalischen 
Einheiten  des  thierischen  und  pflanzlichen  Korpers,  dem  grossen  Problem 
der  physikalischen  Erklärung  der  Lebenserscheinungen  um  ein  gutes  Stück 
näher  gerückt  zu  sein.  —  Auch  die  Zellgenese  schien  nach  der  Lehre  ein 
ebenso  mechanisch  erklärbarer  Process  zu  sein,  wie  die  Bildung  eines 
Krystalls.  Im  Cytoblastem  sollten  ja  Kernkörperchen,  Kernmembran  und 
Zellmembran  ähnlich  den  Vorgängen  bei  der  Krvstallisation  durch  Nieder- 
schlag gebildet  werden. 
Reform-  In  der  Zwischenzeit  haben  sich  unsere  Auffassungen  vom  Wesen  der 

Zelle  vollkommen  verändert.  Die  Zelle  entsteht  nicht  nach  Art  eines 
Krystalls  als  eine  Neubildung  in  einer  Mutterlauge,  sondern  sie  setzt  die 
Existenz  einer  lebenden  Mutterzelle  voraus,  von  welcher  aus  sie  durch 
Theilung  oder  Knospung  erzeugt  wird.  Ebenso  ist  auch  die  Zelle  nicht 
eine  physikalische  Einheit,  sondern  selbst  wieder  ein  Organismus,  welcher 
uns  alle  die  Räthsel  des  Lebens  erkennen  lässt,  deren  physikalische  Er- 
gründung  unserer  Forschung  immer  als  Ziel  vorschweben  muss,  wenn  auch 
als  ein  Ziel,  das  noch  in  weite,  gar  nicht  absehbare  Entfernung  gerückt 
ist.  Für  das  Wesen  der  Zellen  sind  ferner  Membran  und  Zellsaft  von 
gänzlich  untergeordneter  Bedeutung;  das  Wichtigste  an  ihr  ist  viel- 
mehr eine  lange  Zeit  gar  nicht  berücksichtigte  Substanz,  für  welche 
H.  von  Mohl  den  Namen  Protoplasma  eingeführt  hat.  Nach  unserer 
neueren  Auffassung  ist  die  Zelle  vornehmlich  ein  Plasma- 
klümpehen,  meist,  vielleicht  sogar  stets,  ausgerüstet  mit 
einem  oder  mehreren  Kernen.  Diese  neuere  Auffassung  vom 
Wesen  der  Zelle  hat  sich  nun  so  allmählig  entwickelt  und  die  Schwann- 
Sehl  ei d  e  n  'sehen  Ansichten  so  langsam  verdrängt,  dass  der  alte  Name, 
obwohl  er  für  die  neue  Auffassung  gar  nicht  mehr  passte,  beibehalten 
wurde.  Man  hatte  sich  schon  so  sehr  an  den  Namen  gewöhnt,  dass  man 
gar  nicht  mehr  den  Widerspruch  empfaud,  der  darin  lag,  dass  man  ein 
solides  Klümpehen  ohne  Membran  eine  „Zelle"  nannte. 

Die  Reform  der  Zellentheorio  wurde  durch  Entdeckungen  angebahnt, 
welche  auf  sehr  verschiedenen  Gebieten  gewonnen  und  erst  spät  in  einem 
Brennpunkt  vereinigt  worden  sind. 

1.  Schon  an  der  Grenze  des  18.  und  19.  Jahrhunderts  hatten 
Bonaventura  Corti  und  Treviranus  gesehen,  dass  die  Chlorophyll- 
kügelchen,  welche  die  grüne  Farben  der  Pflanzen  bedingen,  bei  vielen 
Arten  lebhaft  im  Innern  der  Zelle  herumströmen,  aber  erst  Mohl  fand 
heraus,  dass  ihre  Bewegung  keine  active  sei,  dass  sie  vielmehr  von  einer 


uigui, 


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Allgemeine  Zoologie. 


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homogenen  Substanz,  in  welcher  sie  eingebettet  sind,  bewegt  werden. 
Diese  Substanz ,  welche  M  o  h  1 ,  um  sie  in  den  Vordergrund  zu  stellen, 
Protoplasma  nannte,  gewann  durch  eine  zweite  Beobachtung  noch 
grössere  Bedeutung.  Bei  der  Fortpflanzung  der  einfachsten  Algen  ergab 
sich,  dass  das  Protoplasma  mancher  Zellen  sammt  den  Chlorophyllkörnern 
sich  zu  einem  ovalen  Körper  zusammenballte,  dass  dieser  Körper  das 
Gehäuse  der  Zellmembran  verliess,  um  im  Wasser  frei  herumzuschwimmen. 
Da  das  Zellgehäuse  keine  Lebenserscheinungen  mehr  zeigte,  der  Proto- 
plasmakörper dagegen  zur  Ruhe  kam  und  eine  neue  Pflanze  bildete,  so 
war  unzweifelhaft  bewiesen,  dass  dieser  der  wichtigste  Bestandtheil  der 
Zelle  sei  (vergl.  Fig.  110). 

2.  In  der  thierischen  Gewebelehre  kam  die  Bedeutung  der  eigentlichen 
Zellsubstanz,  des  Protoplasma,  noch  eindringlicher  zur  Geltung.  Hier 
führte,  trotz  lange  Zeit  herrschender,  vorgefasster  Meinungen,  die  vor- 
urtheilsfreie  Untersuchung  zum  Resultat,  dass  die  meisten  thierischen  Zellen 
überhaupt  keine  Membran  besitzen. 

3.  Sehr  wichtig  war  endlich  das  Studium  der  niedersten  Organismen, 
der  l*rotoxocn.  Dujardin  suchte  durch  äusserst  sorgfältige  Beob- 
achtungen den  Beweis  zu  führen,  dass  diese  Thiere  keine  Organe  be- 
sassen,  sondern  aus  einer  gleichförmigen,  körnchenführenden  Substanz 
beständen,  der  Sarkode.  Die  Sarkode  solle  alle  sonst  auf  viele  Organe 
vertheilten  Lebensäusserungen.  Bewegung,  Empfindung,  Ernährung,  allein 
vermitteln.  Dujardin's  Lehre  wurde  durch  Ehrenberg  und  seine 
Schule  lebhaft  bekämpft,  gelangte  schliesslich  aber  durch  die  bahn- 
brechenden Arbeiten  von  Max  Schultze  und  Haeckel  zu  allgemeiner 
Geltung. 

Auf  Grund  obiger  3  Beobachtungsreihen  hat  endlich  MaxSchultze  ^^o-' 
die  schon  kurz  skizzirte  Reform  der  Zellentheorie  durchgeführt,  indem  er 
durch  ein  genaues  Studium  des  Aussehens  und  der  Lebenserscheinungen 
und  durch  zahlreiche  Experimente  den  Nachweis  führte,  dass  Zellsubstanz 
der  Thiere,  Sarkode  der  l*rotoxoen  und  Protoplasma  der  Pflanzen  iden- 
tisch seien,  und  dass  auf  diese  Substanz,  für  welche  er  den  Namen  „Proto- 
plasma" beibehielt,  alle  Lebenserscheinungen  der  Thiere  und  Pflanzen 
zurückzufuhren  seien.  Die  zweite  wichtige  Reform  betrifft  die  Umbil- 
dung der  Zellen  zu  Geweben.  Dieselbe  erfolge  weniger  durch  Form- 
veränderungen und  Auswachsen  der  Zellen  zu  den  Gewebselementen, 
wie  Schwann  meinte,  sondern  durch  chemische  Umwandlung.  Vermöge 
seiner  formativen  Thätigkeit  erzeuge  das  Protoplasma  Structurtheile,  welche 
nicht  mehr  Protoplasma  sind,  wie  Bindegewebsfibrillen,  Muskelnbrillen, 
Nervenfasern  etc.,  welche  den  specifischen  Charakter  der  einzelnen  Gewebe 
ausmachen  und  die  Functionen  derselben  leisten,  neben  denen  sich  dann 
als  Lebens-  und  Bildungsherde  die  nicht  verwandten  Reste  der  Zellen,  die 
Bindegewebskörperchen,  Muskelkörperchen  etc.,  erhalten. 

Diese  beiden  Grundgedanken  der  Max  Sch  ultze'schen  „Proto- 
plasmatheorio"  wollen  wir  nun  weiter  ausführen  und  dabei  die  Grundzüge 
der  modernen  Gewebelehre  kurz  skizziren. 

Die  Grösse  der  thierischen  Zellen  schwankt  in  bedeutenden  ';ht*^r'" 
Breiten;  die  kleinsten  Elemente  sind  wohl  die  männlichen  Samenzellen,  *u\\" 
die  Spermatozoon,  deren  Körper  namentlich  bei  Säugethieren  nur 
0,005  mm  misst,  die  grössten  umgekehrt  sind,  abgesehen  von  den 
Riesenplasmodien  einiger  Mycetozoen,  die  Eizellen.  Das  Gelbe  des 
Vogeleies,  welches  allein  das  Ei  im  engeren  Sinne,  befreit  von  seinen 
Hüllen,  darstellt,  besitzt  vorübergehend  den  Formenwerth  einer  Zelle 

Hcrtwlg.  Lehrbuch  der  Zoologie.   3.  Auftaue.  4 


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50 


Allgemeine  Zoologie. 


und  kann  bei  Strausseneiern  einen  Durchmesser  von  mehreren  Centi- 
metern  erreichen. 

Die  Form  der  Zelle  ist  ebenfalls  variabel.  Frei  lebende,  durch 
ihre  Umgebung  in  ihrer  Gestalt  nicht  bestimmte  Zellen  sind  meist  im 
Ruhezustand  kugelig  oder  oval,  wie  die  Eizellen  lehren:  zu  Geweben 
vereint,  können  sich  dagegen  die  Zellen  zu  polygonalen  oder  pris- 
matischen Körpern  zusammendrängen  oder  sich  in  spindelige  oder 
sternförmige,  verästelte  Ausläufer  verlängern, 
protopiw-  g0  bleibt  für  die  Charakteristik  der  Zelle  nur  die  Beschaffenheit 
ihrer  Substanz,  des  Protoplasma,  übrig.  Auch  hier  müssen  wir  von 
einer  chemischen  Charakteristik  Abstand  nehmen.  Wir  wissen  nicht 
einmal,  ob  das  Protoplasma  ein  bestimmter  chemischer  Körper  ist,  der 
vermöge  seiner  Constitution  unendliche  Variationen  zulässt,  oder  ob 
es  ein  wechselndes  Gemisch  verschiedener  chemischer  Körper  dar- 
stellt. Ebenso  wissen  wir  noch  keineswegs  sicher,  ob  diese  Körper, 
wie  man  geneigt  ist  anzunehmen,  den  an  und  für  sich  rätselhaften 
Proteinsubstanzen  angehören.  Wir  können  nur  sagen,  die  Beschaffen- 
heit des  Protoplasma  muss  bei  einer  gewissen  Gleichartigkeit  zugleich 
auch  [ganz  ausserordentlich  verschiedenartig  sein.   Denn  wenn  wir 

sehen,  dass  aus  dem  Ei  eines  Hundes 
stets  nur  ein  Hund  und  zwar  ein  Thier 
mit  allen  seinen  individuellen  Eigentüm- 
lichkeiten wird,  dass  das  Ei  eines  See- 
igels, unter  die  wechselndsten  Bedingun- 
gen gebracht,  stets  einen  Seeigel  liefert, 
dass  eine  Amöbenart  stets  nur  die  für 
sie  charakteristischen  Bewegungen  aus- 
führt, so  müssen  wir  annehmen,  dass 
der  funetionirende  Bestandteil  dieser 
Zellen,  das  Protoplasma,  in  jedem  Falle 
seine  Besonderheiten  hat  Wir  werden 
zur  Annahme  einer  fast  unbegrenzten 
Verschiedenartigkeit  des  Protoplasma  ge- 
zwungen, auch  wenn  wir  dem  später  zu 
besprechenden  Kern  einen  wichtigen  An- 
theil  an  den  hervorgehobenen  Unter- 
schieden einräumen. 

Die  bei  aller  Verschiedenheit  doch 
Fig.  1«.  A„,nrba  Prot™»  nach     unverkennbare  Gleichartigkeit  des  Proto- 
Lc'nW.  ek  Ektosark,  m  Enuwark,     plasina  äussert  sich  in  seinem  Aussehen 
er  contnutile  Vaiuolo,  n  Kern,     und  in  seinen  L  e  b  e  n  s  e  r  s  c  h  e  i  n  u  n  - 
S  Xahrung«kör|H»r.  jrelli    Hei  schwachen  Vergrösserungen 

erscheint  das  Protoplasma  als  eine  matt- 
graue, seltener  durch  Imbibition  mit  Farbstoffen  gelblich,  röthlich  oder 
anderweitig  gefärbte  Substanz ,  in  welcher  zahlreiche ,  stark  licht- 
brechende Körnchen  eingebettet  sind.  Die  Lebenseigenschaften  dieser 
Substanz  sind:  Bewegung,  Reizbarkeit,  Fähigkeit  zur  Ernährung  und 
Fortpflanzung. 

S'S"  I*ewetfung  äussert  sich  in  Gestaltsveränderungen  des  ge- 

prdt«pu»ia.sammten  Protoplasma  —  amöboide  Bewegung  zweitens  in  Lage- 
veränderungen der  kleinen  Körnchen  —  Körnchenströmung.  Zur 
amöboiden  Bewegung  (Fig.  1(5)  gehören  namentlich  die  später 
zu  beschreibenden  Bewegungen  der  Protozoen  und  der  farblosen  Blut- 


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Allgemeine  Zoologie. 


51 


zellen  vieler  vielzelliger  Thiere;  die  Protoplasmakörper  schicken  hier 
gröbere  und  feinere  Fortsätze  aus,  die  wieder  eingezogen  werden, 
zur  Ortsveränderung  dienen  und  daher  Pseudopodien  oder  Schein- 
ffisschen  heissen.  Die  Körn- 
chenströmung kann  so- 
wohl im  Innern  des  Zellkör- 
pers selbst,  als  auch  an  den 
von  diesem  ausgehenden  Pseu- 
dopodien wahrgenommen  wer- 
den. Mögen  die  Pseudopodien 
noch  so  fein  sein  und  an  der 
Grenze  der  Sichtbarkeit  mit 
unseren  stärksten  Vergrösse- 
rungen  stehen  (Fig.  17),  so 
kann  man  an  ihnen  doch  noch 
wahrnehmen,  dass  die  Körn- 
chen wie  Spaziergänger  auf 
einer  Promenade  hin  und  her 
wandern,  gleichzeitig  in  cen- 
tripetaler  und  centrifugaler 
Richtung,  in  beiden  Richtun- 
gen einige  mit  grösserer, 
andere  mit  geringerer  (ie- 
schwindigkeit  Und  doch 
werden  die  Körnchen  nur 
passiv  durch  das  zu  Grunde 
liegende  homogene  Proto- 
plasma bewegt.  Denn  wenn 
man  willkürlich  gewählte 
Farbkörnchen,  z.  B.  fein  ver- 
theilten Carmin,  durch  Fütte- 
rung den  Pseudopodien  einver- 
leibt, so  zeigen  dieselben  eben- 
falls die  merkwürdige  Körn- 
chenströmung.  Nichts  ist  wohl 
geeigneter,  um  die  grosse  Com- 
plication  im  Bau  des  Proto- 
plasma zu  erläutern,  als  diese 
äusserst  verwickelten  Bewe- 
gungserscheinungen auf  so 
feinen  Bahnen,  wie  meist  die 
Pseudopodien  sind. 

Dass  amöboide  Bewegung 
und  Körnchenströmung  durch 
mechanische,  chemische  und 
thermische  Reize  hervorge- 
rufen, zum  Stillstand  gebracht 
und  moditicirt  werden  können, 
ist  ein  sicherer  Beweis  für 
die  Reizbarkeit  des  Protoplasma. 


Ii  i!  h      K      .    ;1   {%    \V>  '-    \  •• 

/  /  «VI  N  :  1   \  r\  \     j  •• 


\ 


.T. 


; 


Fig.  17.     Uromhoriformis   (aus  Lang  nach 
M.  Schultzo». 

Am  wichtigsten  sind  die  t  h  e  r  - 
hen  Reize.    Steigert   man  die  gewöhnliche  Temperatur  «ler lw^m*. 
ebung,  so  werden  zunächst  die  Bewegungen  beschleunigt  bis  zu 


11)  1  s 

Umj 

einem  Maximum :  von  da  tritt  eine 


Verlangsamung 


ein,  endlich 
4* 


voll- 


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52 


Allgemeine  Zoologie. 


F.rnShrung 
und  Fort- 
pflanzung. 


Zellkern. 


kommener  Stillstand,  die  Wärmestarre.  Hält  die  hohe  Temperatur 
noch  länger  an,  oder  erfährt  sie  gar  eine  weitere  Steigerung,  so  erfolgt 
der  Tod.  Die  letale  Temperatur  ist  für  die  meisten  Organismen 
zwischen  40  und  50°  Celsius  gegeben;  ihr  Einfiuss  erklärt  einen  Theil 
der  schädlichen  Folgen,  welche  hohe  Fiebertemperaturen  auf  den 
menschlichen  Organismus  haben. 

Wie  eine  Wärmestarre,  so  giebt  es  auch  eine  Kältestarre, 
herbeigeführt  durch  ein  starkes  Sinken  der  Temperatur  unter  die 
normale.  Eingeleitet  wird  dieselbe  durch  eine  allmählige  Abnahme 
der  Beweglichkeit  ;  ihren  Schluss  findet  sie  im  Kältetod,  welcher  aber 
nicht  so  leicht  wie  der  Tod  durch  Erwärmen  herbeigeführt  wird. 

Es  ist  beraerkenswerth,  dass  viele  Thiere  und  demgemäss  auch 
ihre  Zellen  einfrieren  und  in  diesem  Zustand  starke  Kälte  vertragen 
können,  ohne  zu  sterben  (z.  B.  Goldfische  Temperaturen  von  —  8  bis  15°, 
Frösche  bis  -28°,  Blindschleichen  bis  —25°  C).  Die  Thiere  erwachen 
zu  neuem  Leben,  vorausgesetzt,  dass  sie  mit  der  genügenden  Vorsicht 
aufgethaut  werden. 

Erregbarkeit  und  Bewegungsfähigkeit  sind  die  Vorbedingungen 
der  Ernährung.    Letztere  ist  bei  den  meisten  thierischen  Zellen, 
wie  z.  B.  fast  allen  Gewebszellen,  nicht  gut  zu  verfolgen,  weil  die- 
selben  von  flüssiger  Nahrung 
a  leben.    Gewisse  Zellen  höherer 

Thiere,  die  farblosen  Blutzellen 
und  die  meisten  einzelligen 
Thiere  können  aber  auch  mit 
festen  Substanzen  gefüttert  wer- 
den; sie  nehmen  die  Nahrungs- 
körper, indem  sie  sie  mit  Pseu- 
dopodien umfliessen,  in  das  In- 
nere des  Protoplasma  auf,  ent- 
ziehen ihnen  alles  Assimilirbare 
und  stossen  das  Unverdauliche 
wieder  aus  (Fig.  1<>).  Bei  der 
Ernährung  kommt  nicht  nur  in 
Betracht,  dass  die  Zellen  zum 
eigenen  Wachsthum  und  zum  Er- 
satz des  Verbrauchten  die  auf- 
genommene Nahrung  benutzen, 
sie  haben  meist  auch  die  Fähig- 
keit, anderweitige  Stoffe  als  Pro- 
toplasma zu  erzeugen,  wie  z.  B. 
manche  Protozoen  organische  Ge- 
häuse bilden,  welche  mit  Kiesel 
oder  Kalk  erhärtet  werden.  Diese 
bildnerische  Thätigkeit,  die  Erzeugung  von  ,,Protoplasmapro- 
ducten",  ist,  wie  wir  sogleich  sehen  werden,  der  Ausgangspunkt  für 
die  Gewebebildung. 

Die  Fortpflanzung  der  Protoplasmakörper  ist  gleichbedeutend 
mit  der  Theilung  der  Zelle;  um  diese  aber  zu  verstehen,  müssen  wir 
zuvor  den  zweitwichtigen  Bestandtheil,  den  Kern,  noch  in  das  Auge 
fassen. 

Der  Zellkern  ist  ein  im  Protoplasma  eingeschlossener  Körper, 
dessen  Gestalt  zwar  für  jede  Zellenart  feststeht,  im  Uebrigen  aber 


Fig.  18.  Abweichende  Kernformen,  a  huf- 
eisenförmiger Kern  einer  Aritiete,  h  verästel- 
te Kern  ans  dem  Malpighi'schen  CJefäss  einer 
Sphinyidenraupe,  c  roseiikranzfunniger  Kern 
von  Mentor  cocruieus. 


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Allgemeine  Zoologie. 


53 


viele  Schwankungen  zeigt  Meist  ist  er  ein  kugeliges  oder  ovales 
Bläschen ;  er  kann  aber  auch  zu  einem  Stab  verlängert,  hufeisenförmig 
gebogen,  rosenkranzartig  eingeschnürt  oder  sogar  baumförmig  verästelt 
sein  (Fig.  18);  bei  manchen  Zellen  ist  er  unverhältnissmässig  gross, 
so  dass  das  Protoplasma  ihn  nur  mit  einem  schmalen  Ring  umgiebt. 
bei  anderen  wieder  so  klein,  dass  man  ihn  schwierig  im  Protoplasma 
und  dessen  Einschlüssen  auffindet.  Früher  hat  man  ihn  daher  in  sehr 
vielen  Fälle  übersehen,  und  auch  jetzt  noch  gelingt  sein  Nachweis 
öfters  nur  mit  grosser  Mühe  und  unter  Anwendung  einer  besonderen 
Technik,  welche  sich  auf  das  eigentümliche  Verhalten  der  Kern- 
substanz stützt.  Letztere  unterscheidet  sich  vom  Protoplasma  unter 
Anderem  durch  ihre  grössere  Gerinnungsfähigkeit  in  gewissen  Säuren, 
z.  B.  Essig-  und  Chrorasäure,  welche  daher  auch  vielfach  zum  Kern- 
nachweis verwandt  werden.  Wenn  in  einer  lebenden  Zelle  der  Kern 
wegen  der  Gleichartigkeit  seiner  Lichtbrechung  mit  der  des  Proto- 
plasma nicht  erkennbar  ist,  so  genügt  vielfach  der  Zusatz  von  2%-iger 
Essigsäure,  um  ihn  scharf  contourirt  hervortreten  zu  lassen. 


Fig.  10.  Bläschen  form  ige  Kerne  mit  verschiedener  Anordnung  der  Kernsubstanz. 
a  Eitern  von  Toxopnrustrs  liridus,  d  Keimbläschen  desaellx-n  Thieres,  b,  r  Kerne 
von  Aetinosphaerinm  Eichhorni,  c  Kern  einer  Aratdhomrtrr,  f,  y  Kerne  der  Sj>eichel- 

drüw  von  Culex  pipicm  (Larve). 


Die  Vertheilung  der  Kernsubstanz  im  Kern  ist  sehr  mannich- 
faltig  (Fig.  19) ;  häufig  bildet  sie  ein  den  ganzen  Kern  durchziehendes 
schwammiges  Gerüst  von  gröberer  oder  feinerer  Maschenweite  (o,  g\ 
oder  sie  ist  zu  einem  einzigen  grossen  oder  mehreren  kleinen  Körpern, 
den  Nucleoli,  zusammengeballt  (multi-  und  plurinucleoläre  Kerne)  (6,  c), 
oder  es  combinirt  sich  die  Bildung  von  Nucleoli  mit  einem  Kerngerüst 
{d,  f);  auch  kann  ein  Theil  der  Kernsubstanz  in  der  Peripherie  eine 
zusammenhängende  Rindenschicht  erzeugen  (c).  Bei  dieser  Vertheilung 
bleibt  innerhalb  der  Maschen  des  Kerngerüsts  oder  zwischen  den 
Nucleoli  ein  mehr  oder  minder  ansehnlicher  Raum  übrig,  welcher  von 
einer  eiweisshaltigen  Flüssigkeit,  dem  Kernsaft,  ausgefüllt  wird. 

Hier  schliesst  sich  nun  eine  strittige  Frage  an:  Giebt  es  eine 
oder  mehrere  Arten  von  Kernsubstanz V  Wir  wollen  hier  zwei  Arten 
unterscheiden,  das  Nu  dein  oder  das  Chromatin  und  das  Para- 
nuclein  oder  das  A  Chromat  in.  Die  Unterschiede  offenbaren  sich 
bei  der  später  zu  besprechenden  Betheiligung  an  der  Kernthcilung, 


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Allgemeine  Zoologie. 


IWcutuns 
dpi  Zell- 
kern». 


und  in  dem  sogleich  zu  erörternden  Verhalten  gegen  Farbstoffe 
(Carolin,  Hämatoxylin,  Anilinlösungen).  Bei  richtiger  Anwendung  der 
letzteren  färbt  sich  nur  das  Nuclein  (daher  auch  Chromatin  genannt), 
während  das  Paranuclein  vollkommen  farblos  bleibt.  Jede  der  beiden 
Substanzen  kann  sowohl  in  Gerüstform  wie  in  Form  von  Nucleoli 
auftreten,  so  dass  man  chromatische  und  achromatische  (ierüste  unter- 
scheiden muss.  Am  häufigsten  findet  sich  wohl  ein  achromatisches 
Gerüst  mit  eingestreuten  Chromatinkörnern  (Fig.  19  0). 

Lange  Zeit  war  die  functionelle  Bedeutung  des  Kerns  in 
der  Zelle  in  völliges  Dunkel  gehüllt,  so  dass  man  schon  anfing,  ihn 

als  ein  im  Vergleich  zum 
*  —mm**.  Protoplasma  nebensäch- 
liches Ding  zu  behandeln. 
Der  Nachweis,  dass  der 
Kern  bei  allen  Befruch- 
tungsprocessen  eine  Aus- 
schlag gebende  Rolle 
spielt  ,  und  zahlreiche 
hieran  anknüpfende  Un- 
tersuchungen haben  nun 
immer  mehr  die  Ansicht 
befestigt,  dass  der  Kern 
den  Charakter  der  Zelle 
bestimmt,  dass  alle  Thä- 
tigkeiten  des  Protoplasma 
vom  Kern  beeinflusst 
werden.  Wenn  aus  dem 
Fig.  20.  Zclltheilung  nach  Kahl  (Haut  von  Sulamamlra  Ei  ein  bestimmt  geartetes 

marulwa).  Thier    sich  entwickelt, 

wenn  ein  Zelle  im  Thier- 
körper einen  bestimmten 
histologischen  Charakter 
annimmt  ,  so  sind  wir 
jetzt  geneigt,  dies  dem 

Kern  zuzuschreiben. 
Daraus  folgt  dann  weiter, 
dass  der  Kern  der  Träger 
der  Vererbung  ist;  denn 
die  Uebertragung  der 
elterlichen  Eigenschaften 
auf  die  Kinder,  welche 
uns  die  tägliche  Erfahrung 
des  Lebens  lehrt,  kann 
nur  durch  die  Geschlechts- 
zellen der  Eltern,  durch 
Ei-  und  Samenzelle  be- 
wirkt werden.  Da  nun 
wiederum  vom  Kern  bestimmt 
letzter  Instanz  vom  Kern  ver- 
mittelt. Innerhalb  des  Kerns  ist  wahrscheinlich  die  eigentliche  Ver- 
erbungssubstanz,  wie  uns  die  Beobachtungen  über  Befruchtung  noch 
weiter  lehren  werden,  das  Chromatin,  während  das  Achromatin  eine 
Rolle  bei  der  Zellvermehrung  spielt. 


Fig.  21, 
Knospen 


Zellknoqmng.    I'uffophrun  gemmipara  mit 
er,  di«'  sich  ablösen  und  zum  Scn 
h  werden,  X  Kern. 


wanner 


der  Charakter  der 
wird,  so  wird  die 


Geschlechtszellen 
Uebertragung  in 


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Allgemeine  Zoologie. 


55 


Die  Zellvermehrung  findet  unzweifelhaft  ausschliesslich  durch  £J™" 
Theilung  und  zwar  meist  durch  Zweitheilung  statt  Auf  der  Ober- 
fläche der  Zelle  entsteht  eine  ringförmige  Furche,  welche,  tief  ein- 
schneidend den  Körper  in  zwei  gleiche  Stücke  (Fig.  20)  (Divisio  im 
engeren  Sinne)  zerlegt.  Seltener  ist  eine  Zellknospung  (Gemmatio), 
in  deren  Verlauf  von  einer  grösseren  Mutterzelle  sich  eine  oder 
mehrere  kleinere  Tochterzellen  abschnüren  (Fig.  21).  Viel  umstritten 
war  lange  Zeit  das  Verhalten  des  Kerns.  Einige  Forscher  behaup- 
teten, dass  der  alte  Kern  vor  der  Theilung  sich  auflöse  und  dass  in 
jeder  Tochterzelle  ein  neuer  Kern  gebildet  werde.  Andere  Hessen  den 
Kern  analog  der  Zelle  eingeschnürt  und  in  die  zwei  Tochterkerne 
zerlegt  werden.  Trotzdem  die  erstgenannten  Autoren  besser  be- 
obachtet haben,  haben  die  letzteren  doch  Recht  behalten.  Das  erklärt 
sich  daraus,  dass  der  Kern  bei  der  Theilung  in  ein  Stadium  tritt  auf 
welchem  er  ohne  Anwendung  geeigneter,  erst  in  der  Neuzeit  ent- 
deckter Verfahren  gar  nicht  erkannt  werden  kann,  weil  an  seiner 
Stelle  nur  eine  verwaschene  Lichtung  im  Protoplasma  zu  sehen  ist 
Dieses  Undeutlichwerden  des  Kerns  war  von  den  Zoologen  der  zweiten 
Reihe  ganz  übersehen,  von  denen  der  ersten  Reihe  dagegen  richtig 
beobachtet,  aber  falsch  gedeutet  worden.  Denn  der  Kern  ist  wie  die 
Behandlung  mit  Essigsäure  oder  Chromsäure  lehrt,  in  der  lichten 
Stelle  nach  wie  vor  vorhanden  und  hat  nur  die  Metamorphose  in  die 
..Kcrnspindel"  erlitten  (Fig.  20). 

Wie  schon  der  Name  sagt,  hat  der  Kern  auf  dem  kritischen 
Stadium  die  Gestalt  einer  Spindel  (häufig  auch  einer  Tonne)  ab- 
genommen und  sich  dcmgemäss  in  zwei  opponirte,  entweder  zugespitzte 
oder  flach  abgerundete  Enden  ausgezogen,  die  Kernpole  (o);  genau 
in  der  Mitte  zwischen  den  Kernpolen,  im  Aequator  der  Spindel,  hat 
er  seinen  grössten  Umfang.  Hier  liegt  alles  Chromatin  angesammelt 
zur  „A  equatorialplatte",  worunter  man  jedoch  nicht  eine  zu- 
sammenhängende Substanzmasse  verstehen  darf;  vielmehr  hat  die 
chromatische  Kernsubstanz  die  Gestalt  von  kleinen  Körnern  oder 
geradegestreckten  oder  U-förmig  gebogenen  Stäbchen  angenommen, 
deren  Zahl,  mag  sie  gering  oder  sehr  beträchtlich  sein,  für  jede 
Zellenform  genau  normirt  ist  Man  nennt  sie  die  Chromosomen. 
Von  den  Kernpolen  aus  divergirend,  treten  an  die  Chromosomen  feine 
farblose  Fäden  heran,  die  Spindelfasern,  welche  die  Form  der  Spindel 
bedingen  und  bei  der  Kerntheilung  die  active  Rolle  spielen.  Es 
spalten  sich  nämlich  die  einzelnen  Chromosomen  der  Aequatorialplatte 
der  Länge  nach  in  zwei  Stücke  (Fig.  20,  f»),  und  unter  dem  richtenden 
Einfluss  der  Spindelfasern  rücken  die  Spaltproducte  nach  den  Kern- 
polen auseinander  (c,  rf,  e).  Die  auf  diese  Weise  aus  der  Spaltung 
der  gesammten  Aequatorialplatte  entstandenen  Chromatinanhäufungen 
heissen  die  „Seitenplatten'4.  Die  Elemente  der  Seitenplatten  wiederum 
vereinigen  sich  unter  einander  und  liefern  die  beiden  Tochterkerne. 

Trotz  zahlreicher  Untersuchungen  der  Neuzeit  sind  noch  manche 
Verhältnisse  der  Kerntheilung  strittig  geblieben,  namentlich  werden 
die  Spindelfasern  von  vielen  Forschern  für  Bildungen  des  Protoplasma 
erklärt,  während  andere  sie  aus  der  achromatischen  Kernsubstanz  ab- 
leiten. Besonders  aber  erfordert  folgende  Frage  noch  eingehenderes 
Studium.  An  den  Spindelpolen  hat  man  häufig  farblose,  kleine,  rund- 
liche Körperchen  oder  Platten  aufgefunden,  die  Polkörperchen  oder 
Centrosomen.    Sie    sind  besonders  deutlich    während    der  Ei- 


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5G 


Allgemeine  Zoologie. 


theilung  der  Spulwürmer  (Fig.  92  B)  und  erhalten  sich  hier  nachweislich 
selbständig  auch  nach  der  Fertigstellung  der  Tochterkerne;  sie  liefern 
für  jeden  derselben  durch  erneute  Theilung  zwei  Centrosoinen,  welche 
auseinanderweichen  und  für  eine  abermalige  Spindelbildung  die  Pole 
abgeben.  Seitdem  man  einmal  auf  diese  Verhältnisse  aufmerksam  ge- 
worden ist,  haben  sich  rasch  die  Beobachtungen  vermehrt,  welche  in 
thierischen  und  pflanzlichen  Zellen  sowohl  während  der  Theilung  als 
auch  während  der  Ruhe  die  Centrosoinen  nachgewiesen  haben,  und 
so  bildete  sich  die  Auffassung  aus,  dass  das  Centrosoma  ein  stets 
vorhandenes,  zur  Einleitung  der  Kerntheilung  dienendes  Zellorgan  sei. 
Nur  blieb  es  bis  jetzt  unentschieden,  ob  das  Centrosoma  dem  Proto- 
plasma angehöre  oder  nicht  vielmehr  einen  Bestandteil  des  Kerns 
ausmache,  welcher  aus  letzterem  auf  längere  oder  kürzere  Zeit  heraus- 
trete, um  seine  Wirksamkeit  zu  entfalten. 

Kerntheilung  und  Zelltheilung  bilden  gewöhnlich  einen  wohl- 
geordneten Mechanismus,  dessen  einzelne  Phasen  gesetzmässig  in 
einander  greifen.  Die  Theilungsebene  der  Zelle  steht  senkrecht  auf 
der  die  beiden  Pole  verbindenden  Längsachse  der  Spindel ;  die  Spindel- 
pole wirken  nicht  nur  bestimmend  auf  die  Chromosomen,  sondern 

auch  auf  das  Protoplasma  der  Zelle  ein ;  dieses 
ordnet  sich  um  die  Pole  in  radialen  Bahnen,  was 
meist  zu  der  als  Protoplasmastrahlung  bekannten 
Anordnung  der  Körnchen  führt.  So  kommt  es,  dass 
jeder  Theilungsphase  des  Kernes  auch  eine  bestimmte 
Theilungsphase  des  Protoplasmakörpers  entspricht. 
Das  Wechselverhältniss  von  Protoplasma  und  Kern 
ist  nun  aber  keineswegs  ein  unabänderliches  und 
unlösbares,  vielmehr  sind  sehr  wohl  Kerntheilungen 
ohne  Betheiligung  des  Protoplasma  möglich.  Wenn 
dieser  Process  sich  häutig  wiederholt ,  entstehen 
Protoplasmamassen  mit  vielen  Kernen  (Fig.  22),  die 
Fig.  22.  Ricsonzdle  nun  ihrerseits  wieder  zu  vielen  Zellen  werden  können, 
mit  vichn  Kernen,   wenn  nachträglich  das  Protoplasma  nach  der  Zahl 

der  Kerne  sich  zerklüftet.  Vielkernige  Protoplasma- 
massen sind  somit  Zwischenstufen  zwischen  der  einfachen  einkerni- 
gen Zelle  und  dem  Haufen  vieler  einkerniger  Zellen  uud  sind 
in  Folge  dessen  bald  als  Aequivalent  einer  Zelle,  bald  als  Aequi- 
valent  vieler  Zellen  angesehen  und  bald  vielkernige  Riesenzellen, 
bald  Zellcomplexe,  Syncytien,  genannt  worden.  Im  Folgenden 
wollen  wir  eine  vielkernige  Protoplasmamasse  stets 
als  eine  einzige  Zelle  auffassen,  weil  der  Schwerpunkt 
für  das  Wesen  der  Zelle  darin  gegeben  ist,  dass  sie  einen  Lebens- 
herd für  sich ,  eine  physiologische  Individualität  bildet  Nach 
dieser  Hinsicht  aber  verhält  sich  eine  vielkernige  Protoplamasmasse 
genau  so  wie  eine  einkernige;  wie  die  Gewebszellen  und  die  Protozoen 
lehren,  wird  durch  Vielkernigkeit  die  Organisationsstufe  nicht  im 
Geringsten  gehoben.  Eine  Aenderung  tritt  erst  mit  dein  Augenblick 
ein,  wo  viele  gegen  einander  abgegrenzte  Protoplasmaklümpchen  ge- 
bildet und  damit  viele  Lebensherde  geschaffen  werden,  d.  h.  wenn  an 
Stelle  der  Vielkernigkeit  die  echte  Vielzelligkeit  tritt. 

Ehe  wir  die  Besprechung  der  Kerntheilung  beschliessen,  müssen  wir 
noch  kurz  die  Vereinfachung  kennen  lernen,  welche  die  oben  geschilderten 
complicirten  Vorgänge  vielfach  erfuhren.    Es  kommt  vor,  dass  der  Kern 


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Allgemeine  Zoologie. 


57 


sich  bei  der  Zelltheilung  ohne  wesentliche  Structurveränderung  streckt  und 
durch  eine  äquatoriale  Einschnürung  in  2  Stücke  zerlegt  wird  (Fig.  21,  140, 
145).  Man  spricht  dann  von  einer  directen  Kerntheilung  im  Gegen- 
satz zu  der  gewöhnlichen  Form,  von  der  wir  ausgegangen  sind,  der  i  n  - 
directen  Kerntheilung  oder  Kary okinese.  Zwischen  beiden  giebt 
es  vielerlei  Uebergänge,  welche  die  Idee  ausschliessen,  als  ob  es  principiell 
verschiedene  Vorgänge  wären.  Für  die  richtige  Beurtbeilung  der  vorhandenen 
Unterschiede  wird  uns  ein  beachtenswerter  Fingerzeig  durch  die  That- 
B&che  geliefert,  dass  die  directe  Kerntheilung  vorwiegend  bei  den  chromatin- 
reichen  Kernen  der  Protozoen  vorkommt.  Danach  müssen  für  den  verschiedenen 
Charakter  der  Kerntheilungsvorgänge  der  Chromatingehalt  und  die  Or- 
gaaisationshöhe  der  Zelle  maassgebend  sein.  Wie  oben  erläutert  worden 
ist,  haben  wir  Ursache,  das  Chromatin  für  den  Träger  der  Vererbung  zu 
erklären.  Je  höher  nun  ein  Thier  organisirt  ist,  um  so  mehr  Eigentüm- 
lichkeiten werden  von  Zelle  auf  Zelle  übertragen,  um  so  complicirter  muss 
die  Structur  der  Vererbungssubstanz,  des  Chromatins,  sein,  um  so  feiner 
durchgearbeitet  daher  auch  die  Vorgänge,  welche  die  gesetzmässige  Ver- 
keilung der  Vererbungssubstanz  auf  die  Tochterzellen  bewirken.  Die  Be- 
deutung der  indirecten  Kerntheilung  kann  somit  nur  darin  gesucht  werden, 
dass  die  in  kleinen  Quantitäten  vorhandene  Vererbungssubstanz  in  gleichen 
Mengen  und  in  gleicher  Constitution  auf  die  Tochterzellen  übertragen 
werde:  diese  Aufgabe  vereinfacht  sich  bei  niederen  Thieren,  bei  denen 
viel  Chromatin  vorhanden  ist  und  dieses  noch  dazu  eine  einfachere  Be- 
schaffenheit besitzt 


2.  Die  Gewebe  des  thlerlsehen  Körpers. 


Bei  der  Bildung  von  Geweben  treten  zwei  Processe  in  Wirksam- 
keit: 1)  die  Vermehrung  der  Zellen  durch  Theilung  zu  Zellcomplexen ; 

2)  die  histologische  Differenzirung   der  Zellen. 
a         fA.Lll!i       Man  kann  ein  Gewebe  daher  als  einen 

Complex  histologisch  gleichartig  diffe- 
renzirter  Zellen  definiren. 

Die  histologische  Differenzirung  äussert  sich  1]£l5JjJr 
zunächst  darin,  dass  die  Zellen  bestimmte  Gestalt  »che»  iW 
und  bestimmte  Lagebeziehung  zu  Nachbarzellen 
erhalten.  Dazu  kommt  fast  stets  noch  als  zweites 
und  wichtigeres  Moment  die  histologische  Um- 
wandlung der  Zelle.  Wir  haben  schon  oben  her- 
vorgehoben, dass  die  Zelle  die  Nährstoffe  vielfach 
nicht  nur  zum  eigenen  Wachsthum,  zur  Vermeh- 
rung des  Protoplasma,  benutzt,  sondern  auch 
anderweitige  Stoffe.  Protoplasmaproducte,  bilden 
kann,  entweder  in  ihrem  Inneren  (innere  Plasma- 
produete)  oder  häufiger  oberflächlich  (äussere 
Plasmaproducte).  Die  histologische  Um- 
wandlung ist  nun  die  Bildung  speci- 
fisch  funetionirender  Plasmaproducte. 
Nehmen  wir  als  Beispiel  die  Art.  wie  eine  Zelle 
zur  Muskelfaser  wird  (Fig.  2;V>.  so  sehen  wir.  dass 
dieselbe  auf  ihrer  Oberfläche  immer  neue  Fäden 
von  speeihscher  Muskelsubstanz,  bei  den  Wirbel- 


F«.  23.  Bildung  der 
Mu*kelfihrillcri  Vim 
Frosch  (Schema),  a  Bil- 
dungRzelle,  b  Bildungs- 
lelle  mit  zwei  querge- 
rtrtiften  Mugkclfibril- 
kn,  e  nildungüzelle  mit 

zahlreichen  Muskel- 
fibrillen. 


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Allgemeine  Zoologie. 


thieren  neue  quergestreifte  Muskelfibrillen,  ausscheidet,  bis  schliess- 
lich die  Bildungszelle  nur  noch  in  Resten  als  „Muskelkörperchen" 
im  Mantel  von  Muskelfibrillen  erhalten  ist  In  analoger  Weise 
zeigt  sich  jedes  Gewebe  bei  histologischer  Untersuchung  zu- 
sammengesetzt aus  Zellen  und  Plasmaproducten ;  erstere  besorgen  die 
Bildung.  Erneuerung  und  Ernährung  des  Gewebes,  diese  sind  Träger 
seiner  physiologischen  Function.  Die  Vortheile  der  Gewebebildung 
sind  die  Vortheile,  wie  sie  allgemein  mit  der  später  noch  öfters  zu 
besprechenden  Arbei  t  st  Heilung  verbunden  sind.  Solange  die 
Zelle  alle  Lebensfunctionen  in  sich  vereint,  sind  dieselben  unvoll- 
kommen, weil  sie  sich  gegenseitig  in  der  freien  Entfaltung  hemmen; 
das  Plasmaproduct  dagegen  dient  nur  einer  einzigen,  ihm  eigenthüm- 
lichen  Function  und  kann  dieser  daher  mit  grösserer  Vollkommenheit 
Genüge  leisten.  Die  von  der  Zelle  gebildeten  Muskelfibrillen,  die 
charakteristischen  Elemente  der  Musculatur.  haben  von  den  Eigen- 
schaften des  Protoplasma  vornehmlich  die  Fähigkeit  der  Contraction 
bewahrt ;  dieselbe  ist  aber  viel  energischer  und  rascher  als  die  Proto- 
plasmabewegung. Die  Nervenfibrillen  vermitteln  nur  die  Leitung  der 
Reize,  aber  ausserordentlich  viel  schneller  und  geordneter  als  das 
Protoplasma. 

derDt(Seu  ^a  an  Je('em  Gewebe  uns  am  meisten  seine  Function  interessirt, 
"w  so  ist  es  am  naturgemässesten,  bei  der  Eintheilung  der  Gewebe  die 
Function  und  den  hiermit  auf's  innigste  zusammenhängenden  feineren 
Bau  zu  Grunde  zu  legen.  Man  hat  so  schon  seit  längerer  Zeit  4  Ge- 
websgruppen  aufgestellt  :  1)  Epithelgewebe,  2)  Stützgewebe,  3)  Muskel- 
gewebe, 4)  Nervengewebe.  Dabei  finden  gewisse  Bestandtheile  des 
thierischen  Körpers  keine  Unterkunft,  Bestandtheile,  auf  die  der  Be- 
griff „Gewebe*  allerdings  auch  kaum  anwendbar  ist;  es  sind  das  die 
Geschlechtszellen,  das  Blut  und  die  Lymphe.  Erstere  sollen  im  An- 
schluss  an  das  Epithel,  diese  im  Anschluss  an  die  Stützsubstanzen 
besprochen  werden. 

1.  Epithelgewebo. 

Aus  mehrfachen  Gründen  müssen  die  Epithelien  an  die  Spitze 
der  Gewebe  gestellt  werden.  Sie  sind  die  ältesten  Gewebe;  sie  treten 
in  der  Thierreihe  zuerst  auf,  so  dass  es  Thiere  giebt,  welche  nur  aus 
Epithelien  bestehen.  Ferner  besteht  jeder  einzelne  Organismus  wäh- 
rend der  ersten  Stadien  des  embryonalen  Lebens  nur  aus  Epithel- 
schichten.  den  Keimblättern.  Damit  hängt  dann  weiter  zusammen, 
dass  im  Epithelgewebe  die  Zellen  das  geringste  Maass  der  histolo- 
gischen Umbildung  erfahren .  insofern  es  nur  in  untergeordnetem 
Maasse  zur  Bildung  von  Plasmaproducten  kommt. 
Function  Die  vornehmste  Aufgabe  der  Epithelien  ist  es,  über  Oberfiächen 
epiümi..  einen  schützenden  und  abschliessenden  Ueberzug  zu  bilden,  gleich- 
giltig.  ob  die  Oberflächen  nach  aussen  gewandt  sind  (Körperoberfläche) 
oder  durch  Hohlräume  im  Innern  des  Körpers  bedingt  werden  (Darm- 
lumen. Lumen  der  Blutgefässe.  Leibeshöhle).  Wie  wichtig  hierbei  die 
Epithelien  sind,  geht  am  besten  daraus  hervor,  dass  Entzündungen 
entstehen,  wenn  die  schützenden  Decken  entfernt  werden,  und  so  lange 
anhalten,  bis  eine  Regeneration  des  Epithels  eingetreten  ist.  Nur  aus- 
nahmsweise kommen  epithelfreie  Strecken  vor  :  die  Zähne  der  Wirbel- 
thiere.  die  Geweihe  der  Hirsche  sind  Theile  des  Körpers,  welche  ver- 


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Allgemeine  Zoologie.  59 

möge  ihrer  Festigkeit  wenigstens  eine  mehr  oder  minder  beträchtliche 
Zeit  lang  ohne  epithelialen  Ueberzug  bestehen  können. 

Durch  ihre  oberflächliche  Lage  sind  die  Epithelien  geeignet,  zwei 
weiteren  Functionen  vorzustehen:  alle  Stoffe,  welche  aus  dem  Körper 
entfernt  werden  sollen,  theils  weil  sie  unbrauchbar  und  in  Folge  dessen 
schädlich  geworden  sind  (Excrete),  theils  weil  sie,  wie  die  Verdauungs- 
säfte, noch  weiter  wichtige  Functionen  zu  leisten  haben  (Secrete), 
müssen  die  Oberfläche  passiren  und  werden  daher  von  Epithelien  aus- 
geschieden; das  sind  die  Drüsenepithelien.  Ferner  dringen  auf 
die  Körperoberflächc  zunächst  alle  Einwirkungen  der  Aussenwelt  ein, 
welche  die  Sinnesempfindungen  veranlassen ;  daher  denn  auch  gewisse 
Epithelien  für  das  Zustandekommen  der  sinnlichen  Wahrnehmungen 
von  der  grössten  Bedeutung  werden  und  zum  Hören,  Sehen,  Riechen, 
Schmecken  und  Tasten  dienen.  Derartige  Epithelstrecken  nennt  man 
Sinnesepithelien. 


Fig.  24.    Verschiedene  Formen  de»  einschichtigen  Epithel*,    a  Plattenepithel  von 
Syrnndra  raphanus,  a  auf  dem  Querschnitt,  n'  von  der  Flache  gesehen,  b  und  r  Pflaster- 
epithel und  Cylinderepithel  einer  Schnecke  (Haliotis  tuhereulaia),  d  Geisseiepithel  einer 
*  Actinie  (Calliaetis  pa ran  Uten),  e  Flimmerepithel  au*  dem  Darm  der  Teichmuschel, 
f  Epithel  mit  Cuticula  einer  Blattwespe  (Citnltex  coronatun}. 


Unsere  Aufmerksamkeit  gilt  zunächst  dem  gewöhnlichen  Deck- 
epithel, soweit  dasselbe  ausschliesslich  zum  Schutz  dient  oder  nur 
nebenbei  exeretorische  und  sensorielle  Functionen  erfüllt. 

Das  Deckepithel  besteht  aus  Zellen,  welche  durch  geringe Dwkepiüwi. 
Mengen  einer  für  die  Function  des  Gewebes  gleichgiltigen  Kittsubstanz 
unter  einander  vereinigt  werden.  Man  spricht  von  einschichtigen  und 
vielschichtigen  Epithelien,  je  nachdem  man  auf  Schnitten,  welche  senk- 
recht zur  Oberfläche  geführt  werden,  eine  oder  zahlreiche  Lagen  von 
Zellen  über  einander  antrifft  (Fig.  24,  25). 

Einschichtige  Epithelien  finden  sich  bei  allen  wirbellosen  Thieren  Ein»chichti- 
ausschliesslich  vor,  werden  dagegen  bei  den  Wirbelthieren  vielfach ,e*  l*p'tbel* 


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(30 


Allgemeine  Zoologie. 


durch  vielschichtiges  Epithel  ersetzt  ;  sie  erhalten  sich  hier  nur  selten 
in  der  Haut  iAmphioxus),  viel  häutiger  im  Bereich  der  Hohlräume  des 
Körpers.  Nach  der  Form  der  Zellen  unterscheidet  man  cubisches  oder 
Pflasterepithel.  Plattenepithel  und  Cylinderepithel.  Beim  Pttasterepithel 
(Fig.  24  6)  sind  die  Zellen  nach  allen  Richtungen  des  Raumes  nahezu 
gleichmässig  entwickelt  und  sehen,  weil  sie  durch  gegenseitigen  Druck 
abgeplattet  werden,  wie  würfelförmige  Stücke  oder  Pflastersteine  aus: 
beim  Cylinderepithel  ist  die  Längsaxe.  die  Entfernung  vom  centralen 
zum  peripheren  Ende  der  Zelle,  besonders  gross  (Fig.  24c);  beim 
Plattenepithel  endlich  ist  die  Längsaxe  stark  verkürzt  (Fig.  24  a).  die 
einzelne  Zelle  zu  einem  dünnen  Schüppchen  umgeformt. 

Weitere  Unterschiede,  welche  für  die  drei  genannten  Epithelformen 
gelten,  werden  durch  den  Mangel  und  die  Anwesenheit  von  Zellfort- 
sätzen bedingt,  von  (reissein  oder  Wimpern.  Beides  sind  feine  Fädchen. 
welche  aus  dem  Zellkörper  entspringen,  über  die  Oberfläche  hervor- 
ragen und  hier  eine  äusserst  lebhafte  Bewegung  unterhalten.  Beim 
Geisselepithel  (Fig.  24  d)  besitzt  jede  Zelle  nur  einen  schwingen- 
den Fortsatz,  welcher  aber  besonders  kräftig  entwickelt  ist;  bei  dem 
Flimmerepithel  (Fig.  24 e)  ist  dagegen  die  Oberfläche  der  Zelle 
von  einem  dichten  Wald  kleiner,  gemeinsam  schwingender  Fädchen 
bedeckt. 

Die  meisten  einschichtigen  Epithelien  erfahren  auf  ihrer  Ober- 
fläche einen  festen  Abschluss  durch  die  Cuticula,  eine  Membran, 
welche  von  den  Epithelzellen  gemeinsam  ausgeschieden  wird  und 
daher  nicht  selten  die  Abdrücke  der  Zellen  als  eine  polygonale  Zeich- 
nung erkennen  lässt.  In  vielen  Fällen  dünn  und  unscheinbar,  kann 
sie  sich  in  anderen  zu  einer  gewaltigen  Lage  verdicken,  welche  viel 
mächtiger  ist  als  die  mit  der  Ausscheidung  der  Cuticula  betraute  Matrix- 
schicht, das  Epithel  selbst  Die  Cuticula  ist  dann  deutlich  der  Oberfläche 
parallel  geschichtet  und  bildet  einen  wirksameren  Schutz  der  Körper- 
oberfläche als  das  Epithel;  sie  wird  zu  einem  Panzer,  wie  uns  die 
Kalkschalen  der  Mollusken  die  aus  Chitin  bestehenden  Körperbe- 
deckungen der  Insecten  (Fig.  24  f)  und  andere  Beispiele  lehren. 
SS^Jf."  Was  ,,eim  einschichtigen  Epithel  die  Cuticula  zum  Schutze  bei- 
th*i.  trägt,  das  kann  bei  dem  vielschichtigen  Epithel  unmittelbar  durch 
eine  chemische  Umwandlung  eines  Theils  der  Zellen  selbst  erreicht 
werden. 

Beim  vielschichtigen  Epithel  sind  die  Zellen  der  einzelnen  Schich- 
ten stets  durch  ihre  Formen  unterschieden;  die  tiefste  Zellenlage 
besteht  aus  Cylinrlerzellen,  die  oberflächliche  dagegen  aus  mehr  oder 
minder  abgeplatteten  Elementen.  Dazwischen  liegen  mehrere  Lagen 
von  Uebergangsformen,  so  dass  man,  von  den  Cylinderzellen  ausgehend, 
durch  eubische  Zellen  hindurch  allmählig  zu  den  Zellplatten  der  Ober- 
fläche übergeführt  wird.  Wie  schon  diese  Anordnung  erkennen  lässt, 
besteht  ein  genetischer  Zusammenhang  zwischen  den  Zelleningen ;  die 
unteren  cylindrischen  Zellen  sind  in  beständiger  Vermehrung  begriffen, 
ihre  Abkömmlinge  rücken  unter  alhnähliger  (iestaltsveränderung  in  die 
oberflächlichen  Lagen,  um  hier  in  gleichem  Maasse,  als  sich  die  Zellen 
abnutzen,  einen  Ersatz  zu  schaffen. 

Bei  «lieser  Verlagerung  können  nun  die  Protoplasmakörper  eine 
Umwandlung  erfahren;  bei  Reptilien,  Vögeln  und  Säugethieren  (Fig. 
25  b)  verhornen  sie,  d.  h.  zunächst  wird  die  Zellenrinde,  dann  die  innere 
Partie  der  Zelle  in  Hornsubstanz  umgewandelt.    Von  der  lebenden 


> 


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Allgemeine  Zoologie. 


61 


Zelle  erhält  sich  einige  Zeit  noch  der  Kern,  bis  auch  dieser  schwindet 
und  damit  die  Zelle  vollkommen  in  ein  todtes  Hornschüppchen  ver- 
wandelt wird.  In  der  Haut  der  höheren  Wirbelthiere  sind  die  Zonen 
der  lebenden  protoplasmatischen  und  der  nicht  mehr  lebensfähigen 
verhornten  Zellen  scharf  gegeneinander  abgegrenzt ;  man  unterscheidet 
sie  auf  dem  Querschnitt  leicht  als  das  Stratum  corneum  (sc)  und  das 
Stratum  Malpighi  (sM)  der  Haut.  Bei  vielschichtigen  Epithelien  hat 
die  Cuticula  ihre  Bedeutung  verloren,  sie  ist  entweder  ein  unansehn- 
licher Grenzsaum  oder  fehlt  ganz. 


B  B 


Fip.  23  a.  Schnitt  durch  die  Haut  von 
Prtromyxon  Planeri.  Ep  das  vielschichtige 
Epithel  der  Epidermis,  darinnen  Ii  Becher- 
zellen .  Kö  Körnerzellen .  Ko  Kolbenzellen, 
Co  Lederhaut  mit  Blutgefäßen  (i.  bestehend 
aus  horizontal  geschichteten  (Wi  und  senk- 
recht aufsteigenden  Fibrillenbündeln  (aus 
Wiedersheim.) 


Fig.  25  b.  Vielsehuh- 
tiges  Epithel  des  Men- 
schen. *M  Stratum  Mal- 
pighi .sc  Stratum  corneum. 


Fig.  20.  Einschichtiges 
Epithel  einer  Schnecke,  r  Cu- 
ticula, (I  Becherzellen. 


Das  Drüsenepithel  unterscheidet  sich  physiologisch  vom  ge- 
wöhnlichen Deckepithel  dadurch,  dass  es  zugleich  auch  Ausscheidungen, 
Secrete  oder  Excrete,  liefert;  anatomisch  lässt  sich  das  an  der  An- 
wesenheit von  ..Drüsenzellen'*  erkennen,  von  Zellen,  welche  die  Aus- 
scheidung besorgen  und  mehr  oder  minder  aulfällig  durch  ihre  Struetur 
ihren  Charakter  verrathen.  Charakteristische  Drüsenzellen  sind  z.  B. 
die  Becherzellen:  hier  ist  das  Beeret,  wohl  meist  Schleim,  im  Innern 
der  Zelle  zu  einer  glasigen  Masse  angehäuft,  das  Protoplasma  dadurch 
zu  einer  dünnen,  an  einen  Becher  crinernden  Wandschicht  zusammen- 
gedrängt, in  deren  Grund  der  Kern  lagert  (Fig.  25a,  Fig.  '>i\d)  \  andere 
Drüsenzellen  sind  die  Körnchenzellen,  bauchig  aufgetriebene  Körper, 


Drüsen- 

epithel. 


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G2 


Allgemeine  Zoologie. 


die  in  ihrem  Innern  von  Secretkörnchen  ganz  durchsetzt  sind  (Fig.  25  a  Kö). 
Zwischen  Deck-  und  Drüsenepithel  giebt  es  natürlich  alle  Uebergänge. 
Den  letzteren  Namen  wird  man  gewöhnlich  nur  dann  anwenden,  wenn 
die  Drüsenzellen  besonders  häufig  sind  und  damit  der  Epithelstrecke 
in  erster  Linie  secretorische  Bedeutung  verleihen.  Das  ist  vornehmlich 
in  den  Apparaten  der  Fall,  welche  man  mit  einem  besonderen  Namen 
„Drüsen"  nennt,  unterdenen  man  einzellige  und  vielzellige  Drüsen 
unterscheidet. 

Einwinde  Einzellige  und  vielzellige  Drüsen  führen  zu  einer  Ver- 
Drii.cn.  grösserung  (ier  secretorischen  Oberflüche  durch  Einstülpung.  Ein- 
stülpung einer  einzigen  Zelle  liefert  die  einzellige  Drüse,  welche  vor- 
nehmlich bei  wirbellosen  Thieren  vorkommt  (Fig.  27);  eine  Drüsenzelle 
wächst  hier  so  enorm  an,  dass  sie  im  Epithel  keinen  Platz  hat, 
sondern  in  die  Tiefe,  in  die  subepithelialen  Schichten,  hineindringt: 
hier  lagert  der  von  Secret  geblähte  Zellkörper  mit  Kern  und  dringt 
mit  einem  dünnen  Fortsatz,  einem  Ausführgang,  bis  zur  epithelialen 
Oberfläche  vor. 


Fig.  27.  Einzöllige  Drüsen  aus       Fig.  2K.    Tubulöse  Drüsen  (nneh  Toldt).  A  lieber- 
deni  Mantelrand  von  Heiix  po-    kühn'sche Drüsen  des  niensehliehcn  Darms,  Al  Drüsen 
matia.    r  Epithel,  <i  einzellige    der  Bindehaut  des  Auges.  B  LaMrüsen  der  Katze. 
Drüsen,  ji  Pigmentzellen.         0*  D  Nierencanälchen,  (,'  aus  der  Nierenpyrainide 

des  Hundes,  I)  aus  «1er  Nierenrinde  des  Kaninchens. 

vmmuip  Bei  der  Bildung  der  vielzelligen  Drüsen  wächst  eine  aus- 
omwn.  p0(jejmte  strecke  Drüsenepithels  als  cylindrischer  Strang  oder  Rohr 
von  der  Oberfläche  aus  in  die  tiefere  (iewebsschieht;  selten  bleibt 
derselbe  einfach,  meist  verästelt  er  sich  und  bildet  die  zusammen- 
gesetzte Drüse,  die  aus  Hunderten  oder  Tausenden  von  Drüsen- 
schläuchen bestehen  kann,  welche  sämmtlich  in  einen  gemeinsamen 
Ausführgang  münden.  Man  unterscheidet  unter  den  vielzelligen  Drüsen 
tubulöse  und  acinöse  Formen.  Bei  den  tu  biliösen  Drüsen  (Fig.  2*) 
besitzen  die  einfachen  oder  verästelten  Drüsenschläuche  dasselbe 
röhrige  Caliber  vom  Anfang  bis  zum  Ende,  bei  den  acinösen 
Drüsen  (Fig.  2!» )  dagegen  erweitert  sich  das  blinde  Ende  des  Drüsen- 
schlauchs zu  einer  Anschwellung,  welche  vorwiegend  die  secretorischen 


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Allgemeine  Zoologie. 


63 


Zellen  enthält  und  an  dem  vorderen  Abschnitt  des  Drüsenschlauchs, 
dem  Ausführgang,  ansitzt  wie  eine  Weinbeere  an  ihrem  Stiel.  Zu 
den  tubulösen  Drüsen  gehören  Leber,  Niere  und  Schweissdrüsen  des 
Menschen,  zu  den  acinösen  die  Speicheldrüsen  nicht  nur  der  Wirbel- 
thiere,  sondern  auch  der  Arthropoden  und  Mollusken. 


Fig.         Acinöse  Speicheldrüsen  von  Orthrxia  critajilirnrtti  (nach  List); 
in  einigen  Acini  sind  die  Kerne  und  (irenzen  der  Zellen  eingetragen. 


Fig.  3Ü.  Keiniepithel  einer  Meduse,  ck  Ektodcrni,  en  Entodcrm,  0  Eier,  e  Epithel. 

An  das  Drüsen-  ,ch£h„. 
epithel  schliessen  wir  *pitheiie». 
zweckmässigerweise 
die  Besprechung  der 
G  e  sc  h 1 e  cht s  ze 1  - 
1  e  n  an  ;  denn  diese 
bilden  ein  vollkomme- 
nes Seitenstück  zu  den 
Drüsen/eilen.  Wie 
das  Secret  der  letzte- 
ren aus  dem  Körper 

befördert  werden 
muss,  so  bilden  auch 
die  Geschlechtszellen 
Elemente,  die  dem 
Organismus  fremd- 
artig gegenüberstehen 
und  nach  aussen  ge- 
langen müssen,  um  in 
Function    zu  treten. 

Wie  Drüsenzellenj 
meist   zwischen  ge- 
wöhnliche Kpithelzel- 


Fig.  31.  Schnitt  durch  den  Eierstock  eines  neugehureueii 
Kinries  (nach  Waldeyer).  kc  Keiniepithel .  ur  Freier  im 
Keiniepithel,  esch  Eischläuchc,  rih  durch  Abschnürung  aus 

diesen  hervorgegangene  Eiballeu,  /"  einzelne  Kifollikcl, 

yy  (tcfäsae. 


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<>4 


Allgemeine  Zoologie. 


len  eingestreut  sind,  so  liegen  auch  fast  ausnahmslos  die  Geschlechtszellen 
im  Epithel  eingebettet,  sei  es  im  Epithel  der  Haut  (Fig.  30),  des 
Darms,  der  Leibeshöhle  oder  abgeschnürter  Theile  derselben  (Fig.  31). 
Diese  Verbindung  der  Sexualzellen  mit  dem 
Epithel  hat  noch  einen  weiteren  Grund  darin, 
dass  viele  Organismen  und  besonders  Orga- 
nismen  von  niederem  Bau  ausschliesslich  aus 
Epithel    bestehen    und    daher  notwendiger- 
weise  im    Epithel    ihre  Geschlechtsproducte 
entwickeln    müssen.      Geschlechtszellen  und 
Epithelzellen  sind,  mit  anderem  Worte,  die 
ältesten  Elemente  des  vielzelligen  Thierkörpers 
und    dadurch   schon    früh  in  Beziehung  zu 
einander  gebracht 

Geschlechtsepithelien,  oder  wie  man  sie 
auch  häutig  nennt,  Keimepithelien,  haben  wie 
Drüsenepithelien  die  Tendenz,  in  das  subepithe- 
liale Gewebe  in  Form  von  isolirten  oder  ver- 
ästelten Schläuchen  hineinzuwachsen  (  Fig.  31, 32), 
und  so  kommt  es,  dass  in  vielen  Thiergr  uppen 
die  Geschlechtsorgane  den  Charakter  verästelter 
Drüsen  tragen,  weshalb  man  im  Allgemeinen 
ebenso  häutig  von  Geschlechtsdrüsen  wie  von 
Geschlechtsorganen  spricht  (Fig,  32). 

AVas  nun  die  specitischen  Elemente  der 
Geschlechtsepithelien  und  Geschlechtsdrüsen 
anlangt .  so  besteht  ein  grosser  Unterschied 
zwischen  den  weiblichen  und  männlichen  Elemen- 
ten, der  schon  darin  zum  Ausdruck  kommt,  dass 
die  ersteren,  die  Eier,  zu  den  grössten.  die  letz- 
teren, die  Spermatozoen  oder  Samenfäden,  zu  den 
kleinsten  Zellen  des  thierischen  Körpers  gehören. 

Die  Eizelle  (Fig.  33),  wie  sie  im  Ova- 
rium  gebildet  wird,  hat  eine  je  nach  der  Thier- 
grnppe  wechselnde  Grösse,  bei  den  mikro- 
skopisch kleinen  Gasirotrichen  misst  sje  0,04  mm, 
beim  Menschen  fast  0.2  mm ,  bei  den 
Fröschen  mehrere  Millimeter,  und  bei  den 
grossen  Vögeln  mehrere  Centimeter,  wobei  zu 
beachten  ist,  dass  als  Eizelle  nur  das  soge- 
nannte Gelhci  angesehen  werden  kann,  während 
das  Eiweiss  und  die  Schale  Bildungen  sind, 
die  ausserhalb  des  Eierstocks  in  dem  Eileiter 
entstehen.  Diese  enormen  Grössenunterschiede 
sind  weniger  durch  den  Gehalt  an  eigentlicher 
Zellsubstanz,  an  Protoplasma  (Bildungs-  oder 
Hauptdotter)  bedingt,  als  durch  die  Anhäufung 
von  Deutoplasma  (Nahrungs-  oder  Nebendotter, 
auch  Dotter  kurzweg  genannt).  Der  Neben- 
dotter hat  die  Aufgabe,  den  in  Entwicklung 
begriffenen  Embryo  zu  ernähren,  und  besteht 

daher  aus  fett-  und  eiweissreichen  Stoffen,  welche  in  feinen  Körnchen 
oder  polygonalen  Körpern,  den  Dotterblättchen,  oder  in  rundlichen 


'IS 


Fig.  32.  Eiröhre  eine* 
IiLsecta,  Vatteasa  Urtica*, 
a  liildung*zcUen ,  b  Fol- 
likelepithel, e  Nährzellen, 
d  Eizellen,  f  fibröse  Um- 
hüllung, in  den  Endfaden 

y  auslaufend.  (Nach 
Waldeyer.) 


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Allgemeine  Zoologie. 


65 


Oelkugeln  abgelagert  sind.  Er  ist  in  um  so  grösseren  Quantitäten 
vorhanden  und  bedingt  dalier  auch  um  so  bedeutendere  Dimensionen 
des  Eies,  je  länger  die  Zeit  dauert,  in  welcher  das  Ei  von  jeder 
Nahrungszufuhr  abgeschnitten  ist.  Die  gröss- 
ten  Eier  finden  wir  im  Allgemeinen  bei  eier- 
legenden Thiereil,  welche  eine  hohe  Organi- 
sation besitzen,  bei  denen  zur  Anlage  der 
vielfältigen  Organe  ein  lange  dauernder  Ent- 
wicklungsgang nöthig  ist. 

Ausser  Bildungsdotter  (Protoplasma) 
und  Nährdotter  (Deutoplasma)  findet  sich  im 
Ei  stets  noch  der  Zellkern  oder  das  Keim- 
bläschen vor.  ein  autfallend  grosses  Bläs- 
chen, welches  bei  grossen  Eiern  schon  mit 
unbewaffnetem  Auge  erkannt  werden  kann 
und  von  einer  festen  Membran  umgeben  ist;  Fig. 33.  Eizelle  von  Strongy- 
sein  Inhalt  ist  vorwiegend  Kernsaft ;  in  locentrottu  lindiu*. 
demselben   breitet  sich  ein  achromatisches 

Kernnetz  aus  und  liegt  ferner  das  Kernkörperchen,  nach  dem  Ent- 
decker auch  Wagner'scher  Fleck  oder  Keimfleck  genannt.  Häufig 
sind  multinucleoläre  Keimbläschen,  besonders  bei  Eiern,  welche  sehr 
viel  Dotter  enthalten. 


Fig.  34.    Verschiedene  Spermatozoon,    a  von  der  Nachtseh\vaU>e ,  ß  vom  Laub- 
frosch, y  ™m  Flußkrebs.  8  einer  Krabbe,  t  vom  Spulwurm,  n  Kern,  m  Zwischen- 
stück, s  Geisel,  k  homogener  Kör|>er. 

Die  Spermatozoon,  die  Formelemente  des  männlichen  Samens, 
sind  so  klein,  dass  sie  nur  mit  den  stärksten  Vergrößerungen  auf 
ihren  feineren  Bau  hin  untersucht  werden  können.  (Fig.  34  a  und  fi.) 
Am  leichtesten  ist  an  ihnen  der  Kopf  zu  erkennen,  welcher  häufig  durch 
seine  sehr  verschiedenartige  Gestalt,  indem  er  kugelig,  oval,  sichel- 

11er  tw  Ig,  Uhrbuch  der  Zoologie.    3.  Auflage.  5 


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Allgemeine  Zoologie. 


sinne«- 
ipithil. 


förmig  u.  s.  w.  ist .  die  spezifische  Bestimmung  der  Spermato- 
zoen  ermöglicht.  Der  Kopf  ist  der  fest  zusammengeballte  chroma- 
tische Theil  des  Kerns  und  färbt  sich  daher  durch  Tinctionsrlüssigkeiten 
sehr  stark.  An  ihn  setzt  sich  ein  gar  nicht  färbbarer  zweiter  Abschnitt 
an,  das  Mittelstück,  an  das  letztere  wiederum  der  Schwanzfaden,  eine 
lange  Geissei,  welche  die  lebhafte  Beweglichkeit  der  reifen  Spermato- 
zoon vermittelt.  Protoplasma  kann  nur  in  äusserst  geringen  Spuren 
vorhanden  sein,  welche  in  dünner  Schicht  den  Kern  umgeben. 
Dagegen  findet  sich  wohl  stets  ein  achromatisches  Centrosoma,  welches 
seinen  Sitz  im  Mittelstück  oder,  wie  von  anderer  Seite  behauptet  wird, 
an  der  Spitze  des  Kopfes  hat. 

Nach  dem  beschriebenen  Schema  sind  die  Spermatozoen  fast  bei 
sänimtlichen  Thieren  gebaut  mit  Ausnahme  der  Nematoden  und  Cru- 
staeeen.  In  diesen  beiden  ('lassen  sind  merkwürdigerweise  die  Sper- 
matozoen auffallend  gross  und  unbeweglich  und  umschliessen  einen 
sonst  nicht  vorkommenden  homogenen,  stark  lichtbrechenden  Körper  ik). 
dessen  Bedeutung  ganz  unklar  ist.  Die  Spermatozoen  der  Spulwürmer 
(Fig.  iJ4  t)  halten  die  (iestalt  eines  Zuckerhuts  mit  abgerundetem 
breiten,  den  Kern  enthaltenden  Ende:  die  Spermatozoon  des  Fluss- 
krebses (Fig.  M  y)  gleichen  dagegen  einer  Tortenschüssel,  von  deren 
grösstem  Umkreis  ein  Kranz  feiner,  starrer  und  spitzer  Faden  ent- 
springt. 

Die  letzte  Modifieation  des  Epithels,  welche  wir  noch  zu  besprechen 
haben,  ist  endlich  das  S  i  n  n  e  s  e  p  i  t  h  e  1.    Seinen  besonderen  Charakter 

erhält  dasselbe  durch  die  Verbindung, 
welche  einige  seiner  Zellen,  die  Sinnes- 
zellen.  mit  den  feinsten  Endästen  ver- 
zweigter .  vom  Centralnervensystem 
kommender  Nerven  eingehen.  Diese 
Verbindung  kann  in  zweierlei  Weise 
bewerkstelligt  werden.  Im  ersten 
Fall  sind  die  Sinneszellen  feine,  lange 
Fäden,  in  denen  durch  die  Einlagerung 
des  Kerns  eine  Verdickung  herbeige- 
führt wird.  (Fig.  ;!;*>.)  Dabei  zerfällt 
der  Zellkörper  in  ein  peripheres  Ende, 
welches  die  Aufnahmt!  der  Sinnesem- 
pfindung  vermittelt,  und  ein  centrales, 
welches  continuirlich  in  die  Nervenäst- 
chen  sich  fortsetzt  und  sich  demgemäss 
in  zwei  oder  mehr  feinste,  den  Cha- 
rakter von  Nerveiihbrillon  annehmende 
A u s lauf e r  v e r z w e i gt .  Im  z  w  e  i  t  e  n 
Falle  endet  der  Sinnesnerv  in  einer 
(ianglienzelle,  welche  in  das  Epithel 
Ausläufer  entsendet,  die  sich  mit  ihren  Enden  an  die  Sinnes- 
zellen anlegen  und  somit  mit  denselben  nur  in  Contact  stehen. 
In  beiden  Fällen  trägt  das  periphere  Ende  der  Sinneszelle  beson- 
dere, zur  Sinnesempfindung  in  Beziehung  stellende  Anhänge.  Hör- 
haare,  Tasthaare,  stiftehonartige  Aufsätze  bei  (Jemens-  und  (ie- 
schmaeksorganon,  ansehnliche  Stäbchen  bei  den  Sehzellen.  Auch 
in  Sinnesorganen,  bei  welchen  die  Nervenendigungen  nicht  an  der 
Körperoberrläehe  liegen,  wie  dem  Gehörorgan  und  dem  Auge  des 


'  1 

l  \ 

V 

Ii  \ 

.Siiini'wpithel  ,   t  riiHT 
aus  der  ( JoruchsschMin- 
haut  tV-n  MenM'lifii,  d  Slützzelh-n, 
.s  Siniu  s/vllon. 


Act  in»' 


.'».). 
e 


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Allgemeine  Zoologie. 


«7 


Menschen,  sind  trotzdem  Strecken  von  Sinnesepithel  die  functionell 
wichtigsten  Theile.  Man  kann  hier  fast  stets  durch  die  Entwicklungs- 
geschichte den  Beweis  führen,  dass  die  Endorgane  der  Nerven  abgelöste 
Theile  der  allgemeinen  Körperhaut  sind. 

Im  Bereich  des  Sinnesepithels  und  zwischen  den  Sinneszellen 
finden  sich  noch  anderweitige  Epithelzcllen,  welche  nicht  mit  Nerven 
in  Verbindung  stehen  und  mannichfache  Ncbcnfunctionen  zu  leisten 
haben;  sie  dienen  zur  Stütze  der  Sinneszellen,  enthalten  beim  Auge 
Pigment,  tragen  beim  Gehörorgan  die  Hörsteine  u.  s.  w.  Man  kann 
sie  mit  dem  allgemeinen  Namen  „Stützzellen"  belegen. 

2.  Bin  de8ubs tanzen. 

Histologisch  genommen,  giebt  es  keinen  grösseren  Unterschied  als 
zwischen  Epithelien  einerseits  und  Bindesubstanzen  andererseits;  ge- 
hören jene  der  Oberfläche  an,  so  finden  sich  diese  im  Innern  des 
Körpers;  spielen  bei  jenen  die  Zellen  die  Hauptrolle,  so  sind  sie  um- 
gekehrt bei  diesen  von  untergeordneter  Bedeutung  gegenüber  den 
Plasmaproducten,  den  „Intercellularsubstanzen".  welche  den  Charakter 
der  verschiedenen  Bindesubstanzarten  vornehmlich  bedingen. 

Primäre  Aufgabe  der  Bindesubstanzen  ist  es,  die  Zwischenräume, 
welche  sich  im  Innern  des  Körpers  zwischen  den  einzelnen  Organen 
ergeben,  auszufüllen  und  dabei  die  Einzeitheile  des  Organs  sowie 
auch  die  verschiedenen  Organe  unter  einander  zu  verbinden.  Die 
Bindesubstanzen  tragen  in  Folge  dessen  auch  zur  Festigkeit 
des  Körpergefiiges  bei  und  werden  häufig  zum  Aufbau  des  Skelets 
verwandt.  Um  das  zu  erreichen,  bilden  die  Zellen  auf  ihrer  Ober- 
fläche Substanzen ,  welche  meist  eine  grössere  Festigkeit  haben 
als  das  Protoplasma  und,  «la  sie  zwischen  die  Zellen  eingeschlossen 
sind,  Intercellularsubstanzen  heissen.  Je  mehr  die  Intercellularsub- 
stanzen  an  Masse  zunehmen,  um  so  mehr  verbrauchen  sich  die  Zellen 
und  werden  zu  unscheinbaren  Körperchen,  den  Bindesubstanz- 
körperchen,  oder  verschwinden  sogar,  was  jedoch  selten  ist,  gänzlich. 
Da  die  Intercellularsubstanzen  das  Wichtigste  in  der  Bindesubstanz 
sind,  ist  es  begreiflich,  dass  vornehmlich  auf  ihrer  verschiedenen 
Beschaffenheit  die  Unterschiede  der  einzelnen  Arten  der  Bindesubstanz 
beruhen.  Man  unterscheidet  folgende  Formen;  1)  zellige  Bindesub- 
stanz. 2)  homogene  Bindesubstanz,  i\)  faserige  Bindesubstanz,  4)  Knorpel, 
5)  Knochen. 

Die  z  e  1 1  i  g  e  B  i  n  d  e  s  u  b  s  t  a  n  z  zeigt  die  Merkmale  der  Gruppe /,r^,^e' 
am  wenigsten  ausgeprägt  ;  sie  hat  ihren  Namen  daher,  dass  die  Zellen 
bei  ihr  die  Hauptmasse  ausmachen,  während  die  Zellproducte  nur  in 
ihren  ersten  Anfängen  vorhanden  sind.  Die  Zellen  sind  grosse,  blasige 
Körper,  welche  nach  Analogie  pflanzlicher  Zellen  fest  gegen  einander 
gepresst  sind  und  sich  gegenseitig  polygonal  abgeplattet  haben ;  sie 
haben  zwischen  sich  eine  feste,  wenn  auch  dünne  Schicht  von  Inter- 
cellularsubstanz  ausgeschieden  (Fig.  SWS). 

Bei  der  homogenen  B  in  des  übst  an  z  ist  die  Intercellular-  "j;™* 
Substanz  meist  reichlich  vorhanden  als  eine  glasartig  durchsichtige  »ub*'.»iu 
und  daher  unter  dem  Microscop  fast  gar  nicht  wahrnehmbare,  bald 
gallertartig  weiche,  bald  derbere  Masse  (Fig.  H7).    Die  in  ihr  liegenden 
Zellen   sind  entweder  kugelig  oder  senden  verästelte  Fortsätze  in  die 
Grundsubstanz  hinein.    Solche  Verästelungen  können  zu  einem  Netz- 

.*>* 


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werk  verschmelzen,  welches  wie  ein  Pseudopodiennetz  Zelle  mit  Zelle 
verbindet.  Nicht  selten  wird  ausserdem  die  homogene  Bindesubstanz 
von  isolirten  festen  Fäden  oder  Strängen  durchsetzt,  welche  vermöge 
ihrer  physikalischen  Eigenschaften  elastische  Fasern  heissen  und  aus 
einer  gegen  die  meisten  Reagentien  äusserst  widerstandsfähigen  Substanz, 
dem  Elastin,  bestehen.  Endlich  können  sich  in  der  Grundsubstanz 
die  feineren  Bindesubstanzfibrillen  entwickeln,  welche  das  charakteri- 
stische Element  der  nächsten  Gruppe  bilden  und  zu  dieser  überleiten, 
je  mehr  sie  durch  Zunehmen  an  Zahl  in  den  Vordergrund  treten  und 
den  Charakter  des  Gewebes  bestimmen.. 


Fig.  87.  Homogene  Bindcsnhstanz  von 
Sycandra  raphanus  (nach  F.  E.  Schulze). 


K*hX  Die  faserige  Bindesubstanz  ist  ausgezeichnet  durch  die 
«.»Mi««,  reichliche  Anwesenheit  der  Bindegewebstibrillen ;  dieselben  sind  Fädchen 
von  ausserordentlicher  Feinheit  und  liegen  in  einer  homogenen 
Grundsubstanz,  die  sie  um  so  mehr  verdecken,  je  reichlicher  sie  sind. 
In  ihrem  Verlaufe  sind  sie  entweder  wirr  angeordnet  und  nach  allen 
Richtungen  gekreuzt,  oder  sie  verlaufen  im  Wesentlichen  parallel  und 
in  einer  bestimmten  Richtung.  Zwischen  ihnen  linden  sich  die  rund- 
lichen, spindelförmigen  oder  verästelten  Bindesubstanzkörperchen 
(Fig.  38).  Bei  den  Wirbelthieren  sind  stets  zahlreiche  Fibrillen  zu 
einem  Bündel  vereint  :  jedes  Bündel  wird  gewöhnlich  umhüllt  von  den 
zu  platten  Zellen  gewordenen  Bindegewebskörperchen.  Die  Bündel 
verlaufen  locker  gekreuzt  nach  allen  Richtungen  (lockeres  Binde- 
gewebe, Zellgewebe  der  früheren  Autoren)  (Fig.  39),  oder  sie  sind 
ihrerseits  wieder  genau  parallel  gestellt  und  zu  einer  straffen  Faser- 
masse zusammengefügt  (straffes  Bindegewebe  der  Bänder,  Sehnen- 
gewebe) (Fig.  40).  Da  nun  die  Fibrillen  der  faserigen  Bindesubstanz 
der  Wirbeltniere  noch  eine  weitere,  sonst  nicht  vorkommende  Eigen- 
thümlichkeit  besitzen,  dass  sie  aus  Glutin  bestehen  und  beim  Kochen 
Leim  liefern,  ist  es  zweckmässig,  für  diese  Gewebsform  den  besonderen 
Namen  „Bindegewebe"  zu  reserviren. 

In  allen  faserigen  Bindesubstanzen  können  als  weitere  Form- 
elemente die  elastischen  Fasern  auftreten;  sie  können  sogar  die  ge- 
wöhnlichen Bindegewebsfibrillen  verdrängen  und  zum  dominirenden 


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Allgemeine  Zoologie. 


Bestandteil  der  Bindesubstanz  werden,  weshalb  man  dann  von  ela- 
stischem Gewebe  spricht. 


5      -  *  .V'l.'i  1 
.    mW\     ;  ?  Ii 


V 


•l    •/•A'v,;;, t  :;if!  |,|  I 


Fig.  Lockeres 

Fig.  38.    Fahrige  Bindesubstanz  f  a-^ngea  Bindegewebe     FlK-  11 Srhnengeweho 
einer  Actinir.  (nach  Gegenbaur),         <nftch  Gegenbaur). 

Knorpel  und  Knochen  sind  gleichfalls  Gewebe,  welche  ihre  Kn(>Tfl- 
charakteristische  Ausbildung  nur  bei  Wirbelthieren  Hilden.  Der 
Knorpel  hat  in  seinem  Aussehen  viel  Aehnliehkeit  mit  der  homogenen 
Bindesubstanz  mancher  wirbelloser  Thiere;  das  Grundgewebe  ist 
homogen  und  auf  den  ersten  Blick  ganz  structurlos  (Fig.  41),  nimmt 
aber  unter  dem  Eintluss  gewisser  Heagentien 
eine  faserige  Beschaffenheit  an.  Letzteres  Ver- 
halten, sowie  der  Umstand,  dass  der  Knorpel 
durch  Umwandlung  des  Perichondrium ,  einer 
dünnen,  faserigen,  seine  Oberfläche  überziehenden 
Haut,  wächst,  lässt  es  sicher  erscheinen,  dass 
er  ein  homogenisirtes ,  faseriges  Bindegewebe 
ist  und  sich  somit  wesentlich  von  der  homo- 
genen Bindesubstanz  unterscheidet,  da  er  nicht 
wie  diese  eine  niedere,  sondern  eine  höhere 
Stufe  der  Gewebsbildung  bezeichnet.  —  Im 
Grundgewebe  Heger,  die  Knorpelzellen  zu  Grup- 
pen und  Nestern  vereinigt,  eine  Gruppirungs- 
weise,  die  auf  ihre  Entstellung  hinweist,  da  jede 
Zellen  gruppe  durch  succesive  Theilung  aus 
einer  einzigen  Mutterzelle  entstanden  ist.  — 
Auch  im  Knorpel  können  elastische  Fasern  auf- 
treten:  eine  grosse  Zahl  derselben  wandelt  den 
bläulich  schimmernden  hyalinen  Knorpel  in  den 
gelblich  gefärbten,  elastischen  Knorpel  um. 

Der  Knochen  ist  die  complieirteste  Bildung  in  der  Binde-  Knoden, 
substanzreihe.  Er  besteht  aus  einer  dem  Glutin  sehr  nahestehenden 
Grundsubstanz,  dem  Ossein,  welche  mit  anorganischen  Bestandteilen 
so  innig  verbunden  ist.  dass  man  unter  dem  Microscop  nur  eine 
homogene  Masse  sieht.  Das  Verhältniss  von  organischer  und  anorga- 
nischer Substanz   wechselt  nach  Alter  und  Art  des  Thieres;  beim 


Fig.  41.   Knorpel  inaeh 

Qegenbaur).  e  Perichoa- 
drium,  b  Uehergang  nun 
typischen  Knorpel  a. 


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7U 


Allgemeine  Zoologie. 


Menschen  z.  B.  kommen  b\r)%  anorganische  Sul)stanz  auf  35°)0  or- 
ganische, hei  der  Schildkröte  03%  auf  Ü7°/0.  Unter  den  anorganischen 
Pestandtheilen  ist  am  wichtigsten  der  phosphorsaure  Kalk,  84%  der 
Gesammtmasse  der  anorganischen  Verbindungen,  daneben  finden  sich 
noch  in  geringeren  Quantitäten  Verbindungen  von  Fluor,  Chlor, 
Kohlensäure  und  Magnesia.  Morphologisch  ist  die  (irundsuhstanz 
zusammengesetzt  aus  den  Knochenlamellen  (Fig.  42),  deren  Anordnung 
von  den  in  und  an  dem  Knochen  vorhandenen  Oberflächen  bestimmt 

w  ird.  In  einem  Höhrenknochen  (wie  dem 
n  Oberarmbein  oder  einem  Handknochen) 

ist  eine  Oberfläche  durch  die  Begren- 
zung nach  aussen  gegeben,  wo  eine 
faserige  Haut,  die  Beinhaut  oder  das 
Periost,  dicht  auflagert;  eine  zweite 
Oberfläche  ist  nach  dem  Innern  nöthig 
geworden  durch  die  Anwesenheit  der 
Markhöhle;  endlich  ist  das  Massiv  des 
Knochens  noch  durchsetzt  von  den 
Haversischen  Canälen,  welche  vorwie- 
gend in  der  Längsrichtung  angeordnet, 
durch  quere  oder  schräge  Canäle  aber 
zu  einem  Netz  unter  einander  ver- 
bunden sind  und  dem  Verlauf  von 
Blutgefässen  dienen.  Indem  nun  die 
Knochenlamellen  sich  parallel  den  be- 
sprochenen Oberflächen  anordnen,  las- 
sen sich  auf  dem  Querschnitt  2  Systeme 
unterscheiden,  die  (irundlamellen  und 
die  Haversischen  Lamellen.  Jene  sind 
den  Oberflächen  des  Periosts  und  des 
Markraums  parallel  gestellt  und  bilden 
einen  Mantel  von  concentrischen  Schich- 
ten um  die  Markhöhle  herum.  In 
diesen  Grundstock  des  Knochens  sind 
nun  die  Haversischen  Canäle  mit  ihren 
Lamellen  eingebohrt,  indem  sie  die  ihnen 
in  den  Weg  tretenden  < irundlamellen 
zerstört  und  ersetzt  haben.  Die  Haver- 
sischen Lamellen  sind  um  das  Lumen 
der  Haversischen  Canäle  ebenso  concen- 
trisch  geschichtet  wie  die  Grundlamel- 
len  um  den  Markraum. 

Die  Schichtung  des  Knochens  ist 
durch  die  Entstehungsweise  begründet. 
Wo  der  Knochen  an  die  Haversischen 
Canäle,  den  Markraum  und  das 
Periost  angrenzt ,  findet  sich  vorübergehend  oder  dauernd  eine 
epithelartige  Lage  von  Zellen,  von  „Osteoblasten",  welche  die 
Knochensubstanz  auf  ihrer  Oberfläche  zu  ausscheiden,  was,  wie 
in  allen  derartigen  Fällen ,  der  ausgeschiedenen  Substanz  eine 
geschichtete  Structur  verleiht.  Bei  dieser  Ausscheidung  gerathen 
einige  Zellen  mit  in  die  (Irundsuhstanz  hinein  und  geben  hier  die 
Knochenkörperchen  ab,  welche  sich  von  den  Knorpelzellen  durch  die 


Fijr.  42.  Querschnitt  durch  den 
Mctaearpiifl  des  Menschen,  a  Fläche 
des  Periosts,  />  Fläche  des  Markrauins, 
c  Querschnitte  der  Haversischen  <  'antik 
und  ihrer  LaiiK  lIcu-ystcme,  <l  Grund- 
bunellcn,  e  Knochenk6rperchen  (nach 
Frey). 


Allgemeine  Zoologie. 


71 


reichlichen,  die  Grundsubstanz  durchbohrenden  Ausläufer  unterscheiden. 
Die  von  einem  Knochenkörperchen  entspringenden  Ausläufer  verästeln 
sich  und  verschmelzen  mit  den  ihnen  entgegenkommenden  Ver- 
zweigungen benachbarter  Zellen :  ihre  Anordnung  ist  am  schönsten 
am  getrockneten  Knochen  zu  erkennen,  weil  hier  die  Hohlräume  und 
Canäle  der  Grundsubstanz  von  Luft  gefüllt  sind.  —  Als  besondere 
Moditicationen  des  Knochengewebes  sind  noch  zu  nennen  das  Gewebe 
der  Fischschuppen  und  das  Zahnbein,  auch  Elfenbein  oder  Substantia 
eburnea  genannt. 

Blut  und  Lymphe,  welche  wir  hier  im  Anschluss  an  die  Binde- 
substanzen abhandeln,  sind  streng  genommen  gar  keine  Gewebe,  sondern 
nur  ernährende  Flüssigkeiten.  Zweierlei  ernährende  Flüssigkeiten 
finden  sich  bei  den  Wirbelthieren  vor,  das  roth  gefärbte  Blut  und  die 
farblose  oder  schwach  opalisirende  oder  weisslich  getrübte  Lymphe. 
Am  Blut  des  Menschen  und  der  Wirbelthiere  haben  wir  zunächst 
die   flüssigen  und  die  geformten  Bestandteile  auseinanderzuhalten. 


Flg.  44.  Rothe  Blutk<">r|>orchen  a  vom  Menschen, 
h  vom  Karneol,  r  von  der  Natter,  d'  von  Proteus, 
(Kantenansieht),  d"  Fläehcnansieht,  r  eines  Rochen, 


Fig.  U.    Weisse  BIntkörpcrehen    f  vom  Petromyzon.  n  Kern.  (Alle  Blutkörperehen 
vom  Mensehen,  h  vom  Krebs    700 fach  vergrössert,  mit  Ausnahme  von  d,  welche 
[ii  der  Kern).  330nml  VOfgrössert  sind.» 


Die  Blutflüssigkeit  oder  das  Blutplasma  ist,  abgesehen  von 
anorganischen  Bestandteilen,  besonders  reich  an  Eiweisssubstanzen, 
von  denen  sich  jedoch  nach  der  Entleerung  des  Blutes  aus  den  Ge- 
fässen  ein  Theil  durch  Gerinnung  ausscheidet  und  den  aus  Fibrin 
bestehenden  Blutkuchen  liefert,  während  eine  an  Eiweiss  ärmere 
Flüssigkeit,  das  Blutserum,  übrig  bleibt.  Die  geformten  Elemente,  die 
Blut zellen.  werden  als  rothe  und  weisse  Blutkörperchen  unter- 
schieden. Letztere  (die  Leukocyten)  sind  in  geringerer  Anzahl  vor- 
handen und  haben  grosse  Aehnlichkeit  mit  den  im  Wasser  vorkom- 
menden Amöben;  sie  sind  Protoplasmaklümpchen.  welche  einen  Kern 
enthalten.  Fremdkörper,  wie  z.  B.  in  das  Blut  gespritzte  Carminkörnchen, 
fressen  und  sich  „amöboid"  d.  h.  durch  Aussenden  von  Pseudopodien 
fortbewegen  (Fig.  43  o). 

Die  rothen  Blutkörperchen  der  Wirbelthiere  (Fig.  44)  sind  im 
ausgebildeten  Zustand  kreisrunde  oder  ovale  Scheiben,  welche  durch 
Einwirkungen  von  aussen,  durch  Druck  und  Zug,  vorübergehend  ge- 
bogen, eingeschnürt  oder  anderweitig  in  ihrer  Form  modificirt  werden, 


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72 


Allgemeine  Zoologie. 


activ  aber  ihre  Gestalt  nicht  verändern  können,  weil  sie  nicht  mehr  aus 
Protoplasma  bestehen.  Entwieklungsgesehichtlich  entstehen  sie  zwar 
aus  ächten,  kernhaltigen,  protoplasmatischen  Zellen,  von  denen  es  noch 
zweifelhaft  ist.  ob  sie  mit  den  Leukocyten  identisch  sind:  allein  der  proto- 
plasmatische Zellenleib  wird  ganz  in  ein  Plasmaproduct,  das  Stroma  des 
Blutkörperchens,  verwandelt.  Wenn  sich  bei  dieser  Metamorphose  der 
Kern  erhält,  so  bildet  er  im  Centrum  der  Scheibe  beiderseits  eine 
schwache  Hervorwölbung;  wird  der  Kern  ebenfalls  rückgebildet,  dann 
werden  die  beiderseitigen  llervorwölbungen  durch  flache  Dellen  er- 
setzt. Im  letzteren  Fall  hat  man  streng  genommen  kein  Recht  mehr, 
von  Blutzellen  zu  reden,  da  alle  charakteristischen  Bestandteile  der 
Zelle,  Kern  und  Protoplasma,  geschwunden  sind.  —  Systematisch 
sind  die  rothen  Blutkörperchen  insofern  von  Interesse,  als  kernlose 
Formen  nur  bei  den  Säugethieren  {Fig.  44  a,  Ii),  kernhaltige  bei  allen 
übrigen  Wirbelthieren  (c— ä)  gefunden  werden.  Auch  besitzen  die 
Säuyethiere  kreisrunde,  die  übrigen  Wirbclthiere  ovale  Scheiben.  In 
letzterer  Hinsicht  kommen  jedoch  Ausnahmen  vor,  indem  unter  den 
Säugethieren  die  Tylopoden  (Kameel,  Lama)  ovale,  unter  den  Fischen 
die  Cyclostomen  kreisförmige  Blutkörperchen  haben. 

Die  rothen  Blutkörperchen  sind  sowohl  Ursache  der  Farbe  des 
Blutes  als  auch  Träger  einer  seiner  wichtigsten  Functionen,  der  Ver- 
mittlung des  Gasaustausches :  beides  hängt  damit  zusammen,  dass 
das  Stroma  den  Blutfarbstoff  oder  das  Hämoglobin  enthält.  Das 
Hämoglobin  gehört  zu  den  wenigen  crystallisirbaren  Eiweisskörpern 
und  ist  ausgezeichnet  durch  seinen,  wenn  auch  geringen,  so  doch 
äusserst  wichtigen  (Ichalt  an  Eisen  und  durch  seine  Wahlverwandt- 
schaft zu  Sauerstoff.  Sauerstoffhaltiges  Hämoglobin  oder  Oxyhämo- 
globin  bedingt  die  carminartige  Farbe  des  sogenannten  arteriellen 
Blutes,  sauerstofffreies,  „reducirtes"  Hämoglobin  die  dunkelrothe, 
in's  Bläuliche  schimmernde  Farbe  des  venösen  Blutes. 

Vom  Blut  unterscheidet  sich  die  Lymphe  durch  den  gänzlichen 
Mangel  der  rothen  Blutkörperchen  und  die  geringere  Gerinnungsfähig- 
keit seines  Plasmas.  Lymphe  ist  somit  eine  eiweisshaltige  Flüssigkeit 
mit  weissen  Blutzellen,  welche  deshalb  auch  die  Lymphkörperchen 
heissen. 

Bei  den  meisten  wirbellosen  Thieren  ist  nur  eine  Art  von  ernäh- 
render Flüssigkeit  vorhanden  und  auch  diese  nicht  einmal  bei  allen 
Classen ;  die  Flüssigkeit  wird  Blut  genannt,  obwohl  sie  gewöhnlich 
farblos  ist.  Wo  Färbung  vorkommt,  ist  dieselbe,  wenn  auch  nicht 
immer,  so  doch  meistens  eine  gclblieh-rothe  oder  intensiv  rothe:  sie 
kann  sogar,  ähnlich  wie  bei  den  Wirbelthieren,  durch  Hämoglobin 
bedingt  sein  (unter  den  Mollusken  bei  Planorben,  Area  tetragona,  A. 
noae,  Solen  legttmen,  Teilina  pianata,  Pectunculus  gfycimeris  und  anderen, 
unter  Anneliden  bei  Capitelliden,  Glyccra,  Polycirrus,  Leprea,  Blutegeln, 
Regenwürmem,  unter  Insecten  bei  Chironomus).  Anstatt  des  Hämoglobin 
finden  sich  vielfach  andere  Farbstoffe,  bei  Tintenfischen,  manchen 
Schneeken,  beim  Hummer  das  bei  Sauerstoffzutritt  sich  bläuende, 
schwach  kupfcrhaltigc  Hämocyanin,  bei  Sipunculiden  Hämery- 
th  r  i  n  etc.  Sitz  der  Färbung  ist  in  der  Hegel  das  Blutplasma  (  Chirono- 
mus, Hirudineen,  Reyenwürmer  und  die  meisten  Anneliden);  nur  aus- 
nahmsweise kommen  gefärbte  Blutkörperchen  vor,  wie  bei  Area,  Solen 
und  den  übrigen  oben  genannten  Muscheln,  feiner  bei  der  Gattung 
Phoronis.    Gefärbte,  mit  Blutkörperchen  identische,  Hämoglobin  ent- 


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Allgemeine  Zoologie. 


7:i 


haltende  Elemente  finden  sich  ausserdem  in  der  Leibeshöhlentiüssigkeit 
mancher  Anneliden  {Capitelliden,  Glycern,  Lejwen,  I'olycirrus)  und  in 
den  Ambulaeralgefässen  von  Echinodermen  (Ophiactis  virens,  einigen 
Holnthurien)  vor.  —  Am  verbreitetsten  sind  hei  wirbellosen  Thieren  die 
Leukocyten.  welche  sich  durch  lebhafte  amöboide  Beweglichkeit  aus- 
zeichnen, indessen  können  sie  ebenfalls  fehlen,  so  dass  dann  das  Klüt 
eine  Flüssigkeit  ohne  geformte  Körperchen  ist. 

Man  hat  das  Klüt  öfters  eine  Bindesubstanz  mit.  verflüssigter 
Intercellularsubstanz  genannt.  Diese  Auffassung  ist  weder  physio- 
logisch noch  morphologisch  gerechtfertigt.  Denn  wenn  wir  von 
der  ganz  abweichenden  Function  des  Hintes  absehen,  so  lässt  sich 
nicht  beweisen,  dass  das  Blutplasma  ein  Product  der  Blutzellen  ist, 
wie  die  Intercellularsubstanz  ein  Product  der  Bindesubstanzzellen. 
Das  Vorkommen  von  Blut  ohne  Zellen  ist  vielmehr  ein  Keweis,  dass 
die  Bildung  des  Blutplasma  unabhängig  von  den  Blutkörperchen  erfolgt. 


3.  Muskolgewebe. 

Functionen  am  schärfsten  charakterisirt.  ist  «las  Muskelgewebe, 
insofern  es  Träger  der  activen  Bewegungen  im  thierischen  Körper 
ist:  da  nun  auch  dem  Protoplasma  active  Beweglichkeit  zukommt,  ist 
es  wichtig,  die  Unterschiede  zwischen  beiden  .Bewegungsweisen  zu 
erörtern.  Die  Unterschiede  sind  gegeben  in  der  Rich- 
tung und  in  der  Intensität  der  Bewegung.  Ein  Proto-  a  ^ 
plasmaklümpchen  hat  die  Fähigkeit,  nach  allen  Rich- 
tungen hin  zu  wandern,  weil  in  seinem  Innern  die 
vollkommenste  Verschiebbarkeit  der  kleinsten  Theil- 
chen  gegen  einander  besteht.  Alle  Muskeln  und  dem- 
entsprechend auch  ihre  einzelnen  Elemente,  die  Muskel- 
fasern und  Muskelribrillen,  besitzen  dagegen  nur  die 
Fähigkeit  der  Verkürzung,  unter  gleichzeitiger  Zu- 
nahme des  Querschnitts  (Fig.  4f>);  sie  können  daher 
auch  nur  Bewegungen  in  einer  bestimmten  Richtung, 
in  der  Richtung  der  Muskelaxe,  vollziehen.  Ist  die  Fig.-U  Qurrp'- 
Muskelsubstanz  somit  in  ihrer  Bewegung  beschränkter  ^,n'!n'>  ^uskV1" 
als  das  Protoplasma,  so  bietet  sie  auf  der  anderen  ^eite  n,i„.mi,.n  /,  j,„ 
die  Vortheile  grösserer  Energie  und  grösserer  Schnellig-  contniliirirn  Zu- 
keit.    Ein  mit  der  Natur   der  verschiedenen  Bewe-  marh  M<  r- 

gungsarten  vertrauter  Beobachter  wird  schon  aus  der 
Intensität  und  Schnelligkeit  mit  ziemlicher  Sicherheit 
entscheiden  können,  ob  in  einem  gegebenen  Fall  eine  Bewegung  durch 
Protoplasma  oder  contractile  Substanz  im  engeren  Sinne  (Muskelsub- 
stanz) ausgeführt  wird. 

Diese  physiologischen  Betrachtungen  weisen  schon  darauf  hin, 
dass  Protoplasma  und  contractile  Substanz  auch  morphologisch  ver- 
schiedenerlei Dinge  sind  und  dass  man  daher  im  Muskelgewebe  scharf 
zwischen  Bildungszelle  oder  Muskelkörperchen  und  Bildungsproduet 
oder  contractiler  Substanz  unterscheiden  muss,  wie  im  Bindegewebe 
zwischen  Bindegewebskörperchen  und  Bindegcwchstihrillen.  That- 
sächlich  ist  auch  dieser  Unterschied  vorhanden,  nur  ist  er  optisch 
nicht  immer  gleich  gut  wahrnehmbar,  weshalb  er  in  der  Histologie 
nicht  in  dem  Maasse  hervorgehoben  wird,  als  es  sein  sollte.  Man 
kennt  in  der  thierischen  Histologie  2  Arten  oder,  man  kann  auch 


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74 


Allgtiuehie  Zoologie. 


sagen,  2  Ausbildungsstufen  der  Muskelsubstanz,  die  homogene  oiler 
glatte  und  die  quergestreifte.  Da  erstere  dem  körnchenfreien  Proto- 
plasma sehr  ähnlieh  sieht,  ist  ihre  Abgrenzung  gegen  das  Muskel- 
körperchen  schwieriger  zu  erkennen  als  bei  der  quergestreiften  Muskel- 
substanz, welcher  durch  ihre  feinere  Structur  ein  ganz  anderes  Aussehen 
als  dem  Protoplasma  gegeben  wird.  Bei  der  'quergestreiften  Mus- 
kulatur besteht  die  contractile  Substanz  aus  2  in  der  Contractions- 
richtung  des  Muskels  regelmässig  mit  einander  alternirenden  Substanzen, 
von  denen  die  eine  doppelt,  die  andere  einfach  lichtbrechend  ist 
(Fig.  2X  45,  4S). 

Die  glatte  Muskelsubstanz  stellt  eine  niederere  Entwicklungsstufe 
als  die  quergestreifte  dar,  indem  sie  vorwiegend  bei  minder  hoch 
organisirten  und  trägeren  Thierformen  vorkommt.  Interessant  ist  in 
dieser  Hinsicht  die  Erscheinung,  dass  von  zwei  Entwicklungszuständen 
einer  und  derselben  Art  der  einfach  gebaute  und  träge  Polyp  glatte, 
die  in  jeder  Hinsicht  vollkommnere  und  beweglichere  Meduse  quer- 
gestreifte Muskeln  hat.  Der  Unterschied  in  der  Leistungsfähigkeit  hat 
bei  den  Wirbelthieren  zu  der  cigenthümlichen  Vertheilung  der  Muskel- 
substanz geführt,  dass  die  glatte  Muskulatur  vorwiegend  den  inneren 
Organen,  welche  nicht  dem  Willen  unterworfen  sind,  zuertheilt  worden 
ist,  während  die  «lern  Willen  unterworfene  und  daher  zu  schnellerer 
Handlung  berufene  Körpermuskulatur  quergestreift  ist.  Man  muss 
sich  hüten,  daraus  den  Schluss  zu  ziehen,  als  ob  der  Unterschied  von 
glatter  und  quergestreifter  Muskulatur  sich  mit  dem  Unterschied  von 
Eingeweide-  und  Körpermuskulatur  decke.  Um  diese  irrthümliehe 
Ansicht  gleich  von  Anfang  auszuschliessen.  sei  hier  bemerkt,  dass  fast 
jlie  gesammte  Körpermuskulatur  der  Mollusken  glatt,  die  Eingeweide- 
muskulatur  vieler  Insecten  und  Krebse  ebenso  wie  die  Körpermusku- 
latur quergestreift  ist. 

Im  ersten  und  zweiten  Abschnitt  der  Gewebelehre  haben  wir 
im  Epithel  und  in  der  Bindesubstanz  zwei  grundsätzlich  verschiedene 
(iewebsformen  kennen  gelernt.  Dieser  Gegensatz  hat  auch  für  die 
Besprechung  der  Muskulatur  seine  Bedeutung;  denn  es  zeigt  sich, 
dass  sowohl  Epithelzellen  wie  Bindesubstanzzellen  die  Fähigkeit  haben, 
contractile  Substanz  zu  bilden,  und  dass  sich  genetisch  daher  2  Muskel- 
arten ergeben,  die  E  pi  t  h  e  1  m  u  s  k  e  1  z  e  1 1  c  und  die  Bindesub- 
stanz m  u  s  k  e  1  z  e  1 1  e.  für  welch  letztere  wir  den  seit  langein  ge- 
bräuchlichen Namen  ..contractile  Faserzelle"  beibehalten  wollen.  Beide 
Arten  Muskelzellen  können  a  priori  sowohl  glatte  wie  quergestreifte 
Muskelsubstanz  bilden :  nur  hat  die  Anhäufung  der  Bindesubstanz  um 
innere  Organe  es  begünstigt,  dass  die  contractilen  Faserzellen  meist 
glatt,  während  die  Epithelmuskelzellen  meist  quergestreift  sind. 

E  i»  i  t  h  e  1  m  u  s k e  1  z  e  1 1  e n  sind  Zellen,  welche  mit  dem  einen 
Ende  an  die  Körperoberrläche  oder  die  Fläche  eines  Innenraumes 


Fig.  l'i.  Kpithcl.nu.k.l/.rllru  n  ,in.  r  M<<Ium\  ausgeschieden  haben  (Fig. 


(Leibeshöhle  ,  Dannlumen) 
heranreichen  und  hier  sogar 
eine  Cutieula,  Geissein  und 
Flimmern  besitzen  können, 
während  sie  am  anderen 
Ende  contractile  Substanz 
in  Form  von  Muskelnbrillen 


b  fiiu-r  Actinie. 


4<>);  sie  vereinigen  in  sich 


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Allgemeine  Zoologie.  75 

die  Doppelfunction  der  Epithelzelle  und  der  Muskelzelle.  Con- 
tractile Faserzellen  sind  dagegen  Bindesubstanzzellen,  welche 
sich  meist  allseitig  mit  einem  Mantel  contractiler  Substanz  um- 
hüllt haben;  ihrer  Entstehung  entsprechend  haben  sie  die  Form 
von  Bindesubstanzzellen  und  sind  spindelförmig  oder  verästelt; 
wo  Verästelungen  vorkommen,  sind  sie  namentlich  an  den  Enden 
angebracht  (Fig.  47).  Die  Gleichartigkeit  der  Gestalt  erschwert  die 
Unterscheidung  von  gewöhnlichen  Bindesubstanzzellen  und  Faser- 
zellen; ist  die  contractile  Schicht  auf  der  Oberfläche  schwach  ent- 
wickelt, so  kann  die  Unterscheidung  sogar  zur  Unmöglichkeit  werden. 
Um  das  Wesen  des  Elements  daher  zu  erkennen,  muss  man  sich 
an  gut  ausgeprägte  Beispiele  halten,  an  denen  die  ein-  oder  viel- 
kernige Protoplasmamasse,  die  „Axensubstanz",  von  der  Muskel- 
niasse.  der  ..Rindenschicht",  durch  eine  scharfe  Linie  abgegrenzt  ist 
(Fig.  47  c.  d.  e). 


Fig.  47.  Contractile  Fa*eraellen,  /»  m  i>><n    «Irr  Fi- 

a  vom  McHsrhm,  l>—r  einer  Berne  briUYn    da«  Snrko- 

( Ctenophorrl.  b  junge  Fa«er.  C  TOT«  tarnen    deutlich  jre- 

iatcltee  Ende.  */  SfetteUhril  einer  worden  i«t  maefi 

Fancr,  r  Querschnitt.  <Jep  nlmurl. 


Bei  Wirbelthiercn  und  Arthropoden  finden  sich  die  contractilen 
Faserzellen  in  den  vegetativen  Organen  als  Elemente  der  „organischen 
Muskulatur"  vor;  dagegen  tritt  uns  hier  die  epitheliale  Muskulatur, 
losgelöst  vom  Epithel  und  nur  entwicklungsgeschichtlich  noch  auf  das 
Leibeshöhlenepithel  zurückführbar, in  den  quergestreiften  Primitivbündeln 


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7(5 


Allgemeine  Zoologie. 


entgegen  (Fig.  4S>.  Ein  Priniitivbündel  ist  ein  evlindriseher  Schlauch, 
der  durch  eine  structurlose  Haut,  das  Sareofemma,  nach  aussen 
begrenzt  und  unihüllt  wird.  Sein  Inhalt  besteht  aus  feinen  Fibrillen, 
welche  streng  parallel  zu  einander  und  dicht  zusammengefügt  von 
einem  Ende  des  Schlauchs  zum  anderen  verlaufen.  Jede  Fibrille  wird 
von  einfach-  und  doppeltbrechenden  Theilen  gebildet,  welche  in  mehr 
oder  minder  complicirtcr  Anordnung  mit  einander  alterniren.  Da  nun 
die  doppelt  brechenden  Theile  der  Fibrillen  innerhalb  eines  Bündels 
immer  genau  auf  gleicher  Höhe  liegen,  so  fügen  sie  sich  zu  einer 
queren,  das  ganze  Mündel  durchsetzenden  Streifung  zusammen. 
Zwischen  die  Muskelfibrillcn  sind  endlich  hier  und  da  eingesprengt 
die  Muskelkörperchen,  spindelige  Protoplasmakörper  mit  einem  Kern, 
die  Reste  Her  Zellen,  welche  die  Muskulatur  gebildet  haben. 


4.  Nervengewebe. 

Wie  das  Muskelgewebe  die  Bewegungen  vermittelt,  so  dient  das 
Nervengewebe  der  Uebertragung  von  Erregungszuständen ;  es  pflanzt 
die  in  der  Peripherie  entstehenden  Erregungen  der  Sinnesorgane  nach 
dem  Centrainervensystem,  dem  Sitze  des  Bewusstseins,  fort  und  bringt 
sie  hier  zur  Wahrnehmung  (centripetale  Nervenbahnen):  es  überträgt 
ferner  die  Willensimpulse  vom  Centraiorgan  nach  der  Peripherie,  vor 
Allem  auf  die  Muskulatur  (centrifugale  N\).  Im  Nervengewebe  des 
Centraiorgans  werden  endlich  die  an  verschiedenen  Orten  entstehen- 
den Erregungszustände  combinirt  und  so  die  Elemente  geliefert  zu 
dem ,  was  wir  selbständige  seelische  Thätigkeit  nennen.  Der  Träger 
der  Beizleitung  ist  unzweifelhaft  eine  speeitische,  vom  Protoplasma 
verschiedene  Substanz,  die  Nervensubstanz,  analog  der  Muskeltibrille 
eine  Nervenfibrille.  Die  Unterschiede  dieser  Substanz  vom  Proto- 
plasma sind  aber  in  praxi  schwer  zu  erkennen,  so  dass  wir  hier  von 
der  wissenschaftlich  durchaus  gerechtfertigten  Unterscheidung  von 
Nervensubstanz  und  Nervenkörperchen  Abstand  nehmen  wollen, 
^zefitu"*  l"^e,nente  ('es  Nervengewebes  sind  (Ganglienzellen  und 

N  e  r  v  e  n  f  a  s  e  r  n.  Die  ( i  a  n  g  1  i  e  n  z  e  1 1  e  n  sind  von  sehr  verschiedener 
(Grösse;  nicht  selten  sind  sie  ansehnliche  Kugeln,  welche  im  thierischen 
Körper  nur  noch  von  den  Eiern  an  (Grösse  übert rotten  werden  und 
dementsprechend  auch  einen  grossen,  an  das  Keimbläschen  erinnern- 
den Kern  besitzen.  Man  unterscheidet  im  Wirbelthierkörper  vor- 
nehmlich multipolare  und  bipolare  (Ganglienzellen  (Fig.  41»)-  Letztere 
gehen  in  2  Fortsätzen  aus,  welche  zu  Nerven  werden,  sind  somit 
Zellkörper,  welche  in  den  Verlauf  einer  Nervenfaser  eingeschaltet  sind. 
Bei  den  multipolaren  (Ganglienzellen  sind  zweierlei  Ausläufer  vor- 
handen :  die  Dendriten  oder  Protoplasiuafortsätze  und  die  Nerven- 
oder Axencyünderfortsätze.  Die  Dendriten  sind  ausserordentlich  reich 
verästelt  und  bilden  dabei  feinste  Fäserchen,  deren  nervöse  Natur  von 
manchen  Seiten  angezweifelt  wird.  Die  Nervenfortsätze,  von  denen 
gewöhnlich  nur  einer  auf  eine  ( langlienzelle  kommt,  bleiben  lange 
Zeit  unverästelt  oder  geben  nur  spärliche  Seitenästchen  (Collateralen) 
ab:  sie  verlängern  sich  grösstenteils  in  die  peripheren  Nervenfasern. 

Bei  den  wirbellosen  Thieren  hat  man  lange  Zeit  nur  apolare  oder 
unipolare  (Ganglienzellen  beschrieben,  also  (Ganglienzellen  mit  keinem 


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Allgemeine  Zoologie. 


77 


oder  einem  einzigen  Fortsatz ;  beide  sind  physiologisch  unverständlich. 
Denn  die  Wirkungsweise  einer  Ganglienzelle  lässt  sich  nur  dann  be- 
greifen, wenn  ihr  von  einer  Seite 
eine  oder  zahlreiche  Erregungs- 
bahnen zufliessen ,  während  auf 
der  anderen  Seite  ein  Ausläufer 
zur  weiteren  Fortleitung  dient 
Wahrscheinlich  sind  bei  den  ,.apo- 
lareu  Ganglienzellen'*  sämmtliche, 
bei  den  „unipolaren  Zellen"  die 
meisten  Ausläufer  durch  »eine  un- 
geeignete Präparationsweise  ver- 
loren gegangen.  Neuere  Untersu- 
chungen haben  diese  Vermuthung 
weiter  bestätigt,  da  multi-  und 
bipolare  Ganglienzellen  bei  Coel- 
enteraten  durch  Isolation  darge- 
stellt (Fig.  50)  und  bei  Cruslaceen, 
Würmern  etc.  durch  Färbungsme- 
thoden nachgewiesen  wurden. 

Die  Nervenfasern  sind  die 
Ausläufer  von  Ganglienzellen;  sie 
sind  ebenfalls  bei  den  Wirbelthie- 
ren  am  besten  bekannt  (Fig.  öl  — 
5:|).  Das  Grundelement  derselben 
sind  feinste  Fädchen.  die  Nerven- 
ribrillen.  die  sich  durch  den  Man- 
gel der  Querstreifung  von  Muskel- 
fibrillen,  durch  ihre  grosse  Ver- 
letzlichkeit    von  Bindegewebs- 

fibrillen  unter- 
scheiden. Bei 
selbst  guter  Con- 
servirung  zeigen 
sie  die  Neigung, 
zu  verquellen  und 
dabei  feine  An- 
schwellungen, die 

  Varicositäten,  zu 

bilden.  Viele  par- 
allel verlaufende 
Nerventibrillen 
bilden  eine  Ner- 
venfaser, welche 
man   die  graue 

Nervenfaser 
nennt,  im  Gegen- 
satz    zu  einer 
zweiten  Form, 
der  weissen  oder 

markhaltigen.  Bei  der  markhaltigen  Nervenfaser  ist  die  Faser  selbst, 
der  Axencylinder,  noch  von  einer  Schicht  Nervenmark  oder  Myelin 
umhüllt,  einer  fettähnlichen  Substanz,  die  in  Osmiumsäure  stark 


Fig.  40.    Multij>olare  Ganglicnzellc  dos 
Menschen  (nach  Gegenbaur). 


Fig.  50.    Ganglienzellen  einer  Actinie. 


>meo- 


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78 


Allgemeine  Zoologie. 


geschwärzt 


mannigfach 


wird,   stark  lichtbrechend  ist  und  leicht  zu 
gestalteten  Tropfen,  den  Myelintropfen,  auseinanderfliesst.    Die  „Mark 
scheide"  scheint  wie  ein  Isolator  zu  wirken. 

Marklose  und  markhaltige 
Nervenfasern  können  endlich 
noch  von  der  Schwann- 
schen  Scheide  umhüllt  sein. 
Dieselbe  kommt  allen  Nerven- 
fasern, welche  ausserhalb  von 
Hirn  und  Rückenmark  ver- 
laufen, zu  und  fehlt  ebenso 
constant  den  Nervenfasern 
innerhalb  des  Centraiorgans. 
Die  Schwann'sche  Scheide  ist 
eine  zarte,  stucturlose  Hülle, 
in  welcher  von  Strecke  zu 
Strecke  Kerne  eingebettet 
sind :  sie  bildet  in  grösseren 
Abstünden  Einschnürungen, 
welche  die  Markscheide  durch- 
setzen und  bis  zur  Axenfaser 
vordringen  (die  Ran  viertelten 
Schnürringe). 

Einfacheren  Verhältnissen 


er- 


Fijr.  ">  1 .  N 
verifibrillcn 
(aus  Hut- 
schok). 


u.  ">;{.     Einfach  con- 


tourirte  ;A)  und  doppelt  eon- 
tourirtc  (B)  NrrvonfHMern ,  link« 

ohne,  n  t  hts  mit  SehwannVhor  begegnen  wir  bei  den  wirbel- 
Seheide  und  Kernen         losen   Thieren.     Hier  sieht 
(aus  ]int«chck}.  nian  gewöhnlich  nur  Nerven- 

tibrillen,  welche  in  grösserer 
und  geringerer  Menge  vereint  die  Nerven  erzeugen.  Seltener  kommen 
auch  hier  zu  Bündeln  vereinte  Fibrillen,  die  Nervenfasern,  vor.  Mark- 
haltige Nervenfasern  wurden  in  der  Neuzeit  bei  Anneliden  und  Arthro- 
poden beobachtet;  sie  besitzen  nur  eine  dünne  Myelinscheide. 


Zusammenfassung  der  wichtigsten  Punkte  aus  der  Gewebelehre. 


a)  zeiie.         1)  Das  wichtigste  Formelenient  aller  Gewebe  ist  die  Zelle. 

2)  Die  Zelle  ist  ein  Klümpchen  Protoplasma,  das  entweder  kern- 
los ist  (Cytode?)  oder  einen  oder  mehrere  Kerne  enthält  (einkernige, 
vielkernige  Zellen). 

."{)  Der  Kern  bestimmt  wahrscheinlich  den  specitischen  Charakter 
der  Zelle,  indem  er  die  Functionen  derselben  beeintlusst;  demgemäss 
ist  er  auch  Träger  der  Vererbung. 

4)  Zelle  und  Kern  vermehren  sich  ausschliesslich  durch  Theilung 
oder  Knospung. 

b)  Gewebe.       .:)J  (iewelic  sind  Complexe  zahlreicher  histologisch  gleichartig 
differenzirter  Zellen. 

(>)  Die  histologische  Ditterenzirung  beruht  zum  Theil  darauf,  dass 
die  Zellen  eine  bestimmte  Form  und  Anordnung  annehmen,  zum  Theil 


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Allgemeine  Zoologie. 


auf  der  Bildung  von  Plasmaproducten,  welche  den  Charakter  des  Ge- 
wehes ausmachen  (Muskeltibrillen,  Bindegewcbstibrillen). 

7)  Nach  der  Function  und  der  Structur  unterscheidet  man  1)  Eni- 
thelien,  2)  Bindesubstanzen,  .*J)  Muskelgewebe.  4)  Nervengewebe.  Gewebe. 

X)  Der  functionelle  Charakter  der  Epithel ien  ist  darin  gegeben, 
dass  sie  die  Oberfläche  der  Körper  überziehen,  ihr  morphologischer 
Charakter  darin,  dass  sie  aus  dicht  gedrängten,  nur  durch  Kitt  ver- 
bundenen Zellen  bestehen. 

0)  Nach  ihrem  weiteren  functionellen  Charakter  theilt  man  die 
Epithelien  in  Drüsenepithelien  (einzellige,  vielzellige  Drüsen),  Sinnes- 
epithelien,  Keimepithelien,  Deckepithelien. 

10)  Nach  der  Structur  unterscheidet  man  einschichtige  (cubisehe, 
cylindrische,  Platten-f]pithelien)  und  vielschichtige  Epithelien,  Geissel- 
un<l  Flimmerepithelien,  Epithelien  mit  und  ohne  Cuticula. 

1 1)  Der  physiologische  Charakter  der  B  i  n  d  e  s  u  b  s  t  a  n  z  c  n  beruht 
darauf,  dass  sie  im  Innern  des  Körpers  die  Zwischenräume  zwischen 
anderen  Geweben  ausfüllen. 

12)  Der  morphologische  Charakter  der  Bindesubstanzen  ist  in  der 
Anwesenheit  der  Intercellularsubstanz  gegeben. 

V\)  Nach  der  Masse  und  der  Structur  der  Intercellularsubstanz 
theilt  man  die  Bindesubstanzen  ein  in  1)  zellige  (spärliche  Inter- 
cellularsubstanz), 2)  homogene,  ;j)  faserige  Bindesubstanz,  4)  Knorpel, 
i>)  Knochen. 

14)  Der  physiologische  Charakter  des  Muskelgewebes  ist  in 
der  gesteigerten  Contractionsfähigkeit  gegeben. 

15)  Der  morphologische  Charakter  beruht  darauf,  dass  die  Zellen 
Muskelsubstanz  ausgeschieden  haben. 

HS)  Nach  der  Beschaffenheit  der  Muskelsubstanz  unterscheidet 
man  glatte  und  quergestreifte  Muskelfasern. 

17)  Nach  dem  Charakter  und  der  Abstammung  der  Zellen  (Muskel- 
körperchen)  theilt  man  die  Muskulatur  in  epitheliale  (Epithelmuskel- 
zellen. Primitivbündel)  und  bindegewebige  (contractile  Faserzellen). 

\X)  Der  physiologische  Charakter  des  Nervengewebes  beruht 
auf  der  Fortpflanzung  der  sinnlichen  Reize  und  Willensimpulse  und 
auf  der  Combination  derselben  zu  einheitlicher  seelischer  Thätigkeit. 

11))  Die  Leitung  wird  vermittelt  durch  Nervenfasern  (marklose  und 
markhaltige  Fibrillen  und  Fibrillenbündcl).  die  Combination  der  Reize 
durch  Ganglienzellen  (bipolare,  multipolare  Ganglienzellen). 

20)  Blut  und  Lymphe  sind  eiweisshaltige  Flüssigkeiten; 
selten  zellenlos  enthalten  sie  entweder  nur  farblose  amöboide  Zellen 
(weisse  Blutkörperchen,  Leukocyten)  oder  neben  diesen  noch  rothe 
Blutkörperchen. 

21)  Rothe  Blutkörperchen  linden  sich  vorwiegend  nur  bei  Wirbel- 
thieren  und  sind  hier  Ursache  der  Blutfarbe;  sie  fehlen  den  meisten 
wirbellosen  Thieren. 

22)  Wenn  wirbellose  Thierc  gefärbtes  (rothes,  gelbes,  grünliches) 
Blut  haben,  so  ist  die  Ursache  dazu  meist  im  Blutplasma  zu  suchen 

2:J)  Die  rothen  Blutkörperchen   sind  kernlos   bei  Säugethieren. 
kernhaltig  bei  allen  übrigen  Wirbelthieren. 


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so 


Allgemeine  Zoologie. 


3.  Umbildung  der  (»ewebe  zu  Onranen. 

Aus  den  Geweben  bauen  sich  die  Organe  auf.  Ein  Organ 
kann  man  einen  Gewebscomplex  nennen,  welcher  gegen 
die  übrigen  Gewebe  abgegrenzt  ist  und  eine  in  sich  ab- 
geschlossene Gestalt  angenommen  hat,  um  eine  e i n h e i t - 
liehe  Function  zu  vollziehen.  So  ist  der  einzelne  Muskel  ein 
Organ,  welches  aus  einer  gewissen  Menge  von  Muskelgewebe  besteht, 
mit  Sealpell  und  Scheere  aus  seiner  Umgebung  als  ein  zusammen- 
hängendes Ganze  herausgeschält  werden  kann  und  eine  bestimmte  Be- 
wegung vermittelt. 

«npt.  und  jn  je(iCjn  Organ  ist  ein  Gewebe,  welches  die  Function  des  Or- 
«•w.if.  gans  vermittelt  und  daher  den  physiologischen  Charakter  desselben 
ausschliesslich  bestimmt:  wir  wollen  es  das  Hauptgewebe  nennen. 
Neben  ihm  können  noch  weitere  Gewebe  vorhanden  sein,  welche  nur 
den  Zweck  haben,  die  Function  des  Haupt gewebes  zu  unterstützen 
oder  zu  ermöglichen,  die  Nebengewebe.  So  findet  man  im  Muskel 
der  Wirbclthiere  ausser  den  Muskelfasern  noch  Bindesubstanz,  welche 
als  eine  Art  Gemen t  die  Muskelbündel  unter  einander  verkittet,  ferner 
Blutgefässe,  welche  zur  Ernährung  dienen,  endlich  Nerven,  durch 
welche  die  Muskeln  erregt  werden.  In  der  Leber  des  Menschen  sind 
ebenfalls  ausser  den  functionell  wichtigsten  Theilen,  den  Leberzcllen, 
noch  Blutgefässe.  Nerven-  und  Bindesubstanz  vorhanden.  Derartige 
Nebengewebe  pflegen  im  Allgemeinen  nur  bei  einer  hohen  Entwick- 
lungsstufe des  Organs  vorhanden  zu  sein;  bei  niederen  Thieren  können 
sie  fehlen;  so  besitzt  der  Darm  der  Coelenteraten  nur  eine  epitheliale 
Auskleidung,  ihr  Nervensystem  besteht  nur  aus  einem  Strang  von 
Nervenfasern  und  Ganglienzellen. 

Für  den  dauernden  Bestand  eines  Organs  ist  es  von  der  grössten 
Bedeutung,  dass  seine  Gewebe  in  Function  erhalten  werden.  Die 
lebende  Substanz  unterscheidet  sich  von  der  unbelebten  darin,  dass, 
sie  zwar  ebenfalls  durch  den  Gebrauch  verzehrt  wird,  zugleich  aber 
einen  Ersatz  erfährt,  welcher  oft  mehr  als  hinreichend  ist,  um  die 
Verluste  zu  decken.  Functionirende  Gewebe  und  Organe  nehmen 
unter  günstigen  Bedingungen  an  Masse  zu ;  functionslos  gewordene 
Theile  erfahren  dagegen  einen  allmähligen  Schwund,  welcher  schliess- 
lich zu  ihrem  Untergang  führt. 
iKrndrr  zwe*  erörterten  Momente,  dass  der  Fortbestand  der  Gewebe 

o7K»ne.'r  anhaltende  Uebung  voraussetzt  und  dass  meist  mehrere  Gewebe  in 
den  Bau  eines  Organs  eintreten,  sind  wichtig  zum  Verständniss  des 
Princips  des  Fu n et  ion  s  w ech  sei s,  welches  bei  der  Umbildung 
der  Thierformen  eine  wichtige  Rolle  spielt.  Es  kann  vorkommen,  dass 
ein  Organ  unter  veränderte  Bedingungen  gebracht  wird  und  nicht 
mehr  Gelegenheit  hat.  in  der  bisherigen  Weise  zu  funetioniren.  Dann 
geht  zwar  allmählig  das  functionirende  Gewebe  aus  Mangel  an  Ge- 
brauch zu  Grunde,  das  Organ  kann  aber  noch  vermöge  seiner  Neben- 
gewebe weiter  existiren.  wenn  die  neuen  Bedingungen  es  ermöglichen, 
dass  nun  eines  der  Nebcngewebe  zur  Function  gelangen  und  dem 
Organ  einen  neuen  physiologischen  Charakter  verleihen  kann. 

Ein  Muskel  z.  B.  kann  aus  sehr  verschiedenen  Ursachen  functions- 
los werden;  wenn  dann  das  Muskelgewebe  schwindet,  so  bleibt  zu- 
nächst noch  die  Summe  der  Hilfsgewebe,  vor  Allem  das  von  Blut- 


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Allgemeine  Zoologie. 


81 


gefässen  durchsetzte  Bindegewebe  übrig;  es  kann  erhalten  bleiben 
und  ein  schützendes  Band,  eine  Sehne  oder  Fascie  liefern.  Wir  haben 
dann  morphologisch  dasselbe  Organ,  nur  dass  es  seinen  physiologischen 
Charakter  geändert  hat;  der  Muskel  hat  einen  Functionswechsel  er- 
fahren und  ist  ein  ligamentöser  Strang  geworden.  Ein  anderes  Bei- 
spiel sind  die  Visceralbögen  der  Fische;  dieselben  sind  ihrer  ersten 
Bedeutung  nach  Träger  der  Kiemen;  wenn  nun  die  Kiemen  beim 
Uebergang  zum  Landleben  verloren  gehen,  so  werden  die  Visceral- 
bögen functionslos  und  bilden  sich  dementsprechend  auch  theilweise 
zurück :  ein  Theil  aber  erhält  sich,  weil  er  neue  Functionen  gewonnen 
hat,  und  liefert  die  Kiefer,  das  Zungenbein  und  die  Gehörknöchelchen, 
welche  trotz  ihrer  ganz  anderen  Functionen  dieselben  morphologischen 
Gebilde  sind  wie  die  Kiemenbögen. 

In  der  Geschichte  der  Zoologie  (Seite  11)  haben  wir  gesehen,  wie 
die  vergleichende  Anatomie  dazu  geführt  wurde,  homologe  oder  mor- 
phologisch gleichwerthige  und  analoge  oder  physiologisch  gleichwerthige 
Organe  zu  unterscheiden,  d.  h.  Organe,  welche  in  gleichen  Lage- 
beziehungen und  Verbindungsweise  auftreten,  und  Organe,  welche  die- 
selbe Function  besitzen.  Was  wir  hier  über  den  Bau  der  Organe 
kennen  gelernt  haben,  macht  es  verständlich,  warum  morphologischer 
und  physiologischer  Charakter  sich  nicht  nothwendig  decken,  warum 
morphologisch  gleichartige  Organe  verschiedene  Function,  morpho- 
logisch differente  Organe  dieselbe  Function  haben  können. 

Organe,  welche  vollkommen  gleichartig  oder  doch  wenistens  im  Aus- 
gleichen Sinne  functioniren,  können  nun  in  demselben  Körper  in 
grösserer  Menge  vorkommen.  Ein  Mensch  hat  viele  Muskeln,  vielerlei 
Organe,  welche  die  Verdauung  unterhalten.  Man  fasst  daher  alle  Organe, 
die  im  Körper  gleichartig  oder  ähnlich  functioniren,  zu  einer  ideellen, 
höheren  Einheit  zusammen  und  spricht  von  Organsystemen.  Man 
kennt  im  Ganzen  9  solcher  Systeme:  1)  Skeletsystem.  2)  Verdauungs- 
system, ;J)  Respirationssystem,  4)  Blutgefässsystem ,  ö)  Excretorisches 
System,  Ii)  Genitalsystem,  7)  Muskelsystem,  H)  Nervensystem,  *J)  System 
der  Sinnesorgane.  Das  Skelet  kann  bei  vielen  Thieren  fehlen,  die  übrigen 
beim  Menschen  specialisirten  Systeme  können  sich  vereinfachen,  so 
dass  man  nach  'den  Grundfunctionen  des  Lebens  folgende  Organ- 
gruppen aufstellen  kann :  I.  Organe  der  Ernährung  (2—5),  II.  Organe 
der  Fortpflanzung  (<j).  III.  Organe  der  Bewegung  (7),  IV.  Organe  der 
Empfindung  (8  und  9). 

Die  Organe  der  Ernährung  und  Fortpflanzung  (I  und  II)  fasst  v^mire 
man  als  vegetative  Organe,  die  übrigen  als  animale  (III  und  IV)  Or- ""SrlaS*1" 
gane  zusammen.  Die  älteren  Zoologen  wollten  damit  sagen,  dass  Er- 
nährung und  Fortpflanzung  Functionen  seien,  welche  in  gleicher  Weise 
Thieren  und  Pflanzen  zukommen,  dass  dagegen  Empfindung  und  Be- 
wegung den  Pflanzen  fehlen  und  sich  nur  bei  Thieren  finden.  Die 
in  der  Grundidee  auf  etwas  Richtiges  hinzielende  Lehre  bedarf  nach 
unserem  jetzigen  Wissen  eine  wesentlich  veränderte  Fassung.  Wir 
haben  gesehen,  dass  das  Protoplasma  bei  Pflanzen  und  Thieren  nicht 
nur  die  Fähigkeit  sich  zu  ernähren  und  fortzupflanzen,  sondern  auch 
Bewegungsfähigkeit  und  Reizbarkeit  besitzt  Letztere  Eigenschaften 
können  somit  auch  der  gesaminten  Pflanze  nicht  vollkommen  abgehen, 
wenn  sie  dem  wichtigsten  Bestandteil  derselben  zukommen.  In  der 
That  zeigen  ja  auch  manche  Pflanzen,  wie  Mimosen,  die  Compass- 
ptlanze,  grosse  Reizbarkeit,  und  viele  niedere  Pflanzen,  die  Fort- 
Ken  Lehrbuch  der  Zoologie.   8.  Auilitfc.  (J 


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*2 


Allgemeine  Zoologie. 


pflanzungszustände  der  Algen,  bewegen  sich  ebenso  lebhaft  oder  noch 
lebhafter,  wie  viele  niedere  Thiere.  Umgekehrt  giebt  es  zahlreiche 
Thiere,  welche  im  ausgebildeten  Zustand  wie  die  Pflanzen  festgewachsen 
sind.  Viele  Protozoen  und  Würmer,  die  meisten  Pflanzenthiere,  einige 
Stachelhäuter,  wie  die  Seelilien,  ja  sogar  manche  Krebse,  die  Cirri- 
pedien  zeigen  nur  während  der  frühesten  Entwicklungsstadien  Orts- 
bewegung und  sind  später  auf  die  Bewegung  einzelner  Körpertheile, 
der  Arme,  Tentakeln,  Seheinfüsschen  etc.  beschränkt.  Bei  den  Schwäm- 
men sind  sogar  diese  Einzelbewegungen  so  unbedeutend,  dass  sie  mit 
unbewaffnetem  Auge  gar  nicht  und  selbst  mit  Hilfe  des  Mikroskops 
nur  schwierig  nachgewiesen  werden  können. 

Gleichwohl  müssen  die  beiden  Bezeichnungen:  animal  und  vege- 
tativ beibehalten  werden.  Denn  wenn  auch  Bewegung  und  Empfindung 
den  Pflanzen  nicht  fremd  sind,  so  sind  sie  doch  im  Pflanzenreich  zu 
keiner  hohen  Ausbildung  gelangt;  man  kann  sogar  sagen,  dass  sie 
mehr  und  mehr  in  den  Hintergrund  gedrängt  werden,  je  höher  sich 
die  Pflanze  entwickelt.  Umgekehrt  entfalten  sie  sich  im  Thierreich 
zu  ausserordentlicher  Vervollkommnung  und  bedingen  die  charakte- 
ristische Erscheinungsweise  desselben. 


Vegetative  Organe. 
A.  Organe  der  Ernährung. 

Wenn  wir  den  Begriff  der  Ernährung  im  weitesten  Sinne  fassen, 
so  haben  wir  in  diesem  Abschnitte  alle  Einrichtungen  zu  besprechen, 
welche  getroffen  sind,  um  zur  Zeit  der  aufsteigenden  Entwicklung  das 
Wachsthum  zu  ermöglichen  und  auch  später  nach  beendigtem  Wachs- 
thum den  mit  jeder  Arbeitsleistung  verbundenen  Verlust  an  Spann- 
kraft auszugleichen  und  dem  Körper  seine  Leistungsfähigkeit  zu 
bewahren.  Bei  jeder  Arbeitsleistung  werden  nun  *  organische  Ver- 
bindungen oxydirt  oder,  wie  man  sich  bildlich  ausdrückt,  verbrannt; 
Verbindungen,  welche  besonders  reich  an  Kohlenstoff  und  verhältniss- 
mässig  arm  an  Sauerstoff  sind,  welche  ausserdem  Wasserstoff,  meist 
auch  Stickstoff  und  Schwefel  enthalten,  werden  durch  Zutritt  von  Sauer- 
stoff' zerlegt  in  Kohlensäure.  Wasser  und  verschiedenerlei  stickstoff- 
haltige Oxydationsproduete.  wie  Harnstoff,  Harnsäure  u.  s.  w.  Ein 
Gleichgewicht  im  Stoffwechsel  wird  herbeigeführt  werden,  wenn  nicht 
nur  das  unbrauchbar  Gewordene  entfernt,  sondern  auch  den  Geweben 
Ersatz  für  das  verbrauchte  Material  von  Sauerstoff  und  von  kohlen- 
stoffreichen  Verbindungen  geliefert  wird. 

Niedrig  organisirte  Thiere  erledigen  alle  den  Stoffwechselausgleich 
vermittelnde  Processe  mit  Hilfe  eines  und  desselben  Organs,  des 
Darmes;  bei  höheren  Thieren  ist  dagegen  eine  Spccialisirung  ein- 
getreten und  sind  für  die  vielerlei  Einzelvorgänge,  die  in  ihrer  Ge- 
sammtheit  das  Bild  der  normalen  Ernährung  ausmachen,  besondere 
Einrichtungen  getroffen.  Zwischen  niederen  und  höheren  Thieren  giebt 
es  selbstverständlich  Uebergänge,  bei  denen  die  Specialisirung  früher 
oder  später  Halt  gemacht  hat. 


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Allgemeine  Zoologie. 


«3 


Jeder  Stoffwechsel  beginnt  mit  der  Zufuhr  der  geeigneten  Nahrung; d8^0c^; 
es  müssen  die  festen  und  flüssigen  Bestandteile  dem  Körper  ein-  Er- 
verleibt  und  verdaut,  d.  h.  in  einen  Zustand  übergeführt  werden,  in  nsUm,DC- 
welchem  sie  resorbirt  und  den  Geweben  zugeleitet  werden  können. 
Das  Alles  geschieht  durch  den  mit  Anhangsorganen,  den  verdauenden 
Drüsen,  versehenen  Darm,  welcher  zugleich  auch  alle  unverdaut  ge- 
bliebenen Massen  (die  Fäcalien)  entfernt.  Das  zum  Lebensunterhalt 
nöthige  Gas,  der  Sauerstoff,  wird  dagegen  durch  besondere  Körper- 
theile,  die  Respirationsorgane,  durch  Kiemen  oder  Lungen  aufgenom- 
men. Der  Sauerstoff  und  die  verdauten  und  dadurch  in  gelösten 
Zustand  übergeführten  organischen  und  anorganischen  Verbindungen 
müssen  weiter  im  Körper  vertheilt  und  nach  Bedarf  den  func- 
tionirenden  Organen  und  Geweben  zugeleitet  werden.  Dazu  sind  die 
Blutgefässe  oder  die  Circulationsorgane  da,  welche  den  Körper  nach 
allen  Richtungen  hin  durchsetzen.  Die  Gewebe  bedürfen  nun  aber 
nicht  allein  der  Zufuhr  neuen  Materials,  sondern  auch  der  Entfernung 
der  unbrauchbar  gewordenen  Stoffe.  Die  bei  den  Arbeitsleistungen 
entstehenden  Oxydationsproducte,  die  Stoffe  der  regressiven  Meta- 
morphose, sind  dem  Organismus,  wenn  sie  in  ihm  aufgehäuft  werden, 
schädlich  und  zum  Theil  geradezu  giftig.  Damit  sie  entfernt  werden 
können,  werden  sie  ebenfalls  vom  Blutgefässapparat  im  gelösten  Zu- 
stande aufgenommen  und  an  die  zur  Ausscheidung  oder  Excretion 
bestimmten  Stellen  gebracht  ;  das  sind  für  die  Flüssigkeiten  die  Nieren 
der  Wirbelthiere,  die  Malpighrschen  Gefässe  der  Insecten,  die  Wasser- 
gefässe  der  Würmer,  Einrichtungen,  welche  man  sammt  ihren  Hilfs- 
apparaten unter  dem  gemeinsamen  Namen  „Excretionsorgane"  zu- 
sammenfasse Exerete  sind  sehr  wohl  von  Fäcalien  zu  unterscheiden; 
Exerete  sind  Stoffe,  welche  den  Körper  selbst,  die  Gewebe  des  Körpers, 
passirt  haben  und  durch  Oxydation  unbrauchbar  geworden  sind, 
während  die  von  Anfang  an  unbrauchbaren  Theile,  welche  die  Fäcalien 
bilden,  streng  genommen  niemals  dem  Körper  angehört  haben,  sondern 
von  den  Geweben  stets  durch  die  Grenzschicht  des  Darmepithels 
getrennt  geblieben  sind.  Das  gasförmige  Oxydationsproduct  des 
thierischen  Körpers,  die  Kohlensäure,  wird  aus  dem  Blutgefässapparat 
durch  die  Respirationsorgane  entfernt.  Indem  in  den  Respirations- 
organen ein  Austausch  der  unbrauchbaren  Kohlensäure  gegen  den 
zum  Leben  nöthigen  Sauerstoff  stattfindet,  haben  dieselben  eine 
Doppelstellung  und  sind  Excretionsorgane  und  Organe  der  Nahrungs- 
aufnahme zugleich. 

Nach  diesem  allgemeinen  Ueberblick  müssen  wir  noch  auf  die  ein- 
zelnen Organsysteme  etwas  genauer  eingehen. 


I.  Darm. 

Da  die  Nahrungsaufnahme  und  Assimilation  die  für  die  Erhaltung  (<££h^; 
des  Thieres  wichtigsten  Functionen  sind,  ist  es  begreiflich,  dass  der  *wurm* 
Darm  von  allen  Organen  zuerst  in  der  Thierreihe  auftritt  und  ent- 
wicklungsgeschichtlich auch  sich  fast  überall  am  frühesten  anlegt. 
An  diesem  Satz  wird  dadurch  nichts  geändert,  dass  manche  Würmer 
(Cestoden)  und  Krebse  (Rhieocephalen)  keinen  Darm  besitzen;  denn  wir 
können  mit  Bestimmtheit  sagen,  dass  diese  Thiere  durch  Anpassung 
an  besondere  Lebensverhältnisse,  vornehmlich  in  Folge  von  Parasitismus 


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84 


Allgemeine  Zoologie. 


(cf.  diesen)  den  Dann  verloren  haben.  Die  niedrigst  organisirten. 
vielzelligen,  frei  lebenden  Thiere  sind  einfache  oder  verzweigte  Dann- 
sehläuche,  welche  nur  eine  einzige  als  Mund  und  After  functiooirende 
Oeffnung  besitzen  (Fig.  f>4).  Ein  derartiges  Thier  muss  mindestens 
2  epitheliale  Schichten  haben,  von  denen  die  eine  den  Dann  aus- 
kleidet,  die   andere   die   Körperoberfläche   betleckt.    Diese  beiden 


Fig.  Längs- 
schnitt durch  den 
Fn-ssH.vp  fhier  >7- 

fihotinphori'  mach 
Haeckel).    »  Mund- 
öffnung,Fn Inderm, 
rk  Ectodenn. 


Fig.  "».">.  Slnutstmiia  Ini- 
eops  in  Theilung  n  ectoder- 
maler  Anfangsdarm  bei  a  für 
das  hinten«  Thier  neugebildet, 
m  blind  geschlossener  ento- 
denualer  Mitteidann.  e  eeto- 
dermales  Fliinmerejathel .  y 
Ganglion  mit  Fliinmcrgrube  /', 
//  Was>ergcfäs>eanal, 

«/'  (Janglion  dt-  hinteren 

Thiere«. 


Fig.  r.ii.  Bienenlarve 
kurz  nach  dein  Ausschlü- 
pfen von  der  Bauchseite 
gesehen ;  Darm  aus  3  Ab- 
sehnitten,  a  Anfangsdarm, 
vi  Mitteidann,  r  Enddarm 
(mit  dem  Mitteldarm  noch 
nicht  verbunden),  M  Seg- 
mentgrenzen, st  Stigmen, 
/  Tracheen,  n  Bauchmark 
(nach  Bütschli). 


fundamentalen  Zellenschichten,  welche  nur  bei  rückgebildeten  Thier en 
fehlen,  nennen  wir  En  t oder m  und  Ectodenn.  Der  von  Entoderm 
ausgekleidete  primitive  Dann  heisst  derUrdariu  oder  das  Arche  n- 
teron;  er  bildet  bei  Medusen  und  Polypen  den  gesaminten  Darm; 
bei  den  meisten  Thieren  jedoch  genügt  er  nicht,  den  Bedürfnissen  der 
Verdauung,  sondern  erfährt  eine  Vergrösserung,  indem  Theile  der 
Körperoberfläche,  des  Ectodenns.  sich  einstülpen. 


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Allgemeine  Zoologie. 


85 


Schon  bei  vielen  Coelenteraten  und  niederen  Würmern  entsteht  J^™0ünii 
eine  Einstülpung  am  vorderen  Ende  des  Darmrohres  und  liefert  den  rrocto- 
ectodermalen  Vorderdarm  oder  das  Stomodaeum  (Fig.  55).    Von  d*wun' 
den  höheren  Würmern  an  gesellt  sich  dazu  eine  zweite  Einstülpung 
am  hinteren  Ende,  der  ebenfalls  ectodennale  Enddarm  oder  das 
Proctodaeum  (Fig.  56);  dieser  legt  sich  entwicklungsgeschichtlich 
als  ein  Blindsack  an,  dessen  geschlossenes  Ende  an  den  ebenfalls 
geschlossenen  hinteren  Abschnitt  des  Archenteron,  nunmehr  auch 

Mesenteron  oder  Mitteldarm  ge- 
nannt, angrenzt,  bis  die  Scheidewand 
schwindet,  wodurch  Mittel-  und  End- 
darm mit  einander  communiciren  und 
der  Darm  zu  einem  den  ganzen  Körper 
durchziehenden  Canal  wird. 

Der  Antheil,  welchen  das  Archen-  TtAe^ta^d 
teron  im  Vergleich  zu  dem  ectoderma-  d«  o«rn>i. 
len  Proctodaeum  und  Stomodaeum  am 
Aufbau  des  Gesammtdarms  nimmt,  ist 
nach  den  einzelnen  Thierstämmen  sehr 
verschieden.  Den  grössten  Contrast 
bilden  die  Insecten  einerseits,  die  Wirbel- 
ihiere  andererseits:  die  Insecten  haben 
einen  sehr  kurzen  Mitteldarm  und 
somit  lange,  vom  Ectoderm  gelieferte 
Darmstrecken  des  Vorder-  und  Hinter- 
darms; bei  den  Wirbelthieren  sind  um- 
gekehrt die  ectodermalen  Darmstrecken 
äusserst  kurz. 

Die  AVeite  des  Lumen  wechselt  im 
Verlaufe  des  Darmcanals  und  ermög- 
licht die  Unterscheidung  verschiedener 
Abtheilungen,  welche  man  so  weit  als 
möglich  in  der  Thierreihe  mit  einer 
einheitlichen  Nomenclatur  versehen  hat. 
Die  vom  Haushuhn  entnommene  Abbil- 
dung der  Figur  57  möge  zur  Erläu- 
terung der  üblichen  Bezeichnungen 
dienen.  An  die  Mundöffnung  schliesst 
sich  ein  weiter  Raum  an,  den  man 
häutig  in  einen  vorderen  Abschnitt,  die 
Mundhöhle,  und  einen  hinteren,  den 
Pharynx,  abtheilen  kann.  Eine  nun 
folgende  enge  Röhre  ist  die  Speise- 
röhre oder  der  Oesophagus  (a); 
sie  kann  stellenweise  erweitert  sein 
oder  eine  beutelartige  Ausstülpung  zur 
provisorischen  Aufnahme  der  Nahrung  tragen,  den  Kropf  oder  In- 
j.fluvies  (b).  Vom  Oesophagus  tritt  die  Nahrung  in  eine  ansehnliche 
Erweiterung,  den  Magen.  Die  Vögel,  wie  viele  andere  Thiere  haben 
einen  doppelten  Magen,  eine  mit  Drüsen  ausgerüstete,  dünnwandige 
Abtheilung  und  eine  zweite  Abtheilung,  deren  Wände  durch  dicke 
Muskelmassen  ausgezeichnet  sind ;  erstere  ist  der  Drüsen  m  a  g  e  n  (c), 
letztere  der  zur  Zerkleinerung  der  Nahrung  dienende  Kaumagen 


Fig.  ")7.  Dürrn  des  Hau^huhn*. 
a  Oesophapis«,  b  Kropf,  c  Drüsen - 
maeen,  d  kaumagen.  e  Leber,/ (Sal- 
lenblai*e,  y  Panereas,  h  und  i  Dünn- 
darm ,  /-'Blindsäcke,  /  Dickdarm, 
in  l'rctercn,  »  Eileiter,  o  Cloake. 


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8i; 


Allgemeine  Zoologie. 


(dl  Nach  dem  Magen  verengt  sich  das  Darmrohr  zum  Dünndarm 
(A),  zu  welchem  als  letzter  Abschnitt  «1er  wiederum  verbreiterte  Dick- 
darm il)  kommt.  An  der  (irenze  von  Dünn-  und  Dickdarm  finden 
sich  2  Blinddärme,  die  Coeca  (k).  Verbindet  sich  mit  dem  After- 
darm noch  <lie  Ausmündung  der  Niere  (m)  und  des  Geschlechts- 
apparats («),  so  nennt  man  den  kurzen  sowohl  zur  Abfuhr  von  Harn 
und  Fäcalien,  wie  zur  Ausleitung  der  Gcschlechtsproducte  dienenden 
Endabschnitt  Cloake  (o). 

Bei  Thieren,  welche  reichlichere  Nahrung  zu  sich  nehmen,  genügt 
der  Darmraum  nicht,  um  die  Verdauungssäfte  zu  liefern,  so  dass  Aus- 
stülpungen der  Darmwand  oder  Drüsen  zur  Aushilfe  dienen  müssen. 
In  die  Mundhöhle  münden  die  Speicheldrüsen,  in  den  Anfangstheil 
des  Dünndarmes  dicht  hinter  dem  Magen  die  Leber  (e)  und  das 
Pancreas  {g)  (oder  ein  einheitlicher  Drüsenapparat,  dessen  Secret 
die  Eigenschaften  der  Galle  und  des  Pancreassaftes  in  sich  vereinigt, 
das  Hepatopancreas).  An  dem  Enddanu  endlich  finden  sich  ab  und 
zu  Drüsen,  welche  ein  stinkiges  Secret  liefern,  die  Analdrüsen.  — 
Die  Länge  des  Darmrohrs  wird  vornehmlich  von  der  Art  der  Nahrung 
beeinflusst  In  allen  Thierclassen  kehrt  ein  Unterschied  zwischen 
Pflanzen-  und  Fleischfressern  wieder,  indem  erstere  einen  viel  längeren 
und  in  Folge  dessen  in  viele  Windungen  gelegten  Canal  haben.  Der 
Darm  eines  Raubthieres  misst  etwa  das  4— 5-fache  der  Länge  des 
Körpers,  der  Darm  eines  pflanzenfressenden  Wiederkäuers  dagegen 
das  20-  bis  28-fache.  Aehnlich,  wenn  auch  nicht  so  gross,  sind  die 
Unterschiede  zwischen  Kaubkäfern  und  pflanzenfressenden  Käfern. 


II.  R^s|»ii*Htionsorgratie. 

Der  Sauerstoff,  welchen  jedes  Thier  aufnehmen  muss,  um  ihn  gegen 
die  in  den  Geweben  entstandene  Kohlensäure  einzutauschen,  stammt 
entweder  aus  der  Luft  oder  aus  dem  Wasser,  je  nachdem  das  Thier 
ein  Land-  oder  Wasserbewohner  ist.  Seltener  geschieht  es,  dass 
Wasserbewohner  Luft  athmen  und  dadurch  gezwungen  werden,  zeit- 
weilig an  die  Oberfläche  des  Wassers  aufzusteigen,  um  Luft  zu  schöpfen : 
das  gilt  für  die  im  Meere  lebenden  grossen  Säugethiere  und  für  viele 
im  Süsswasser  verbreitete  Insecten,  Spinnen  und  Schnecken.  Luft-  und 
Wasserathmung  wird  ausschliesslich  durch  die  Haut  besorgt,  so  lange 
diese  zart  und  leicht  durchgängig  ist  und  so  lange  keine  höhere  Ent- 
faltung der  Organisation  einen  lebhafteren  Stoffwechsel  verursacht. 
Ist  das  Sauerstoffbedürfniss  dagegen  ein  grösseres,  so  finden  sich  noch 
besondere  Athmungsorgane,  die  Kiemen  für  die  Wasserathmung,  die 
Lungen  und  Tracheen  für  die  Luftathinung,  neben  denen  dann 
die  Haut  noch  immer  als  ein  Hilfsorgan  von  grösserer  oder  ge- 
ringerer Bedeutung  thätig  ist. 

Die  Kiemen  sind  meist  dünnwandige  Partieen  der  Haut,  welche 
von  Blutgefässen  besonders  reich  versorgt  werden  und  zu  reich 
verästelten  buschartigen  Anhängen  oder  breiten  Blättern  empor- 
gewachsen sind,  um  für  den  Gasaustausch  eine  möglichst  grosse  Ober- 
fläche zu  bieten :  sie  liegen  an  solchen  Stellen,  welche  mit  frischem 
Wasser  am  meisten  in  Berührung  kommen:  bei  den  Krebsen  z.  B.  an 
den  in  beständiger  Bewegung  begriffenen  und  neues  Wasser  herbei- 
strudelnden Beinen  (Fig.  5*1,  bei  schwimmenden  Würmern  am  Rücken, 


Allgemeine  Zoologie. 


87 


bei  röhrenbewohnenden  Würmern  (Fig.  59)  am  vorderen,  aus  der 
Röhre  herausragenden  Körperende,  bei  den  meisten  Amphibien  zu  beiden 
Seiten  des  Kopfes.  Seltener  dient  der  Darm  zur  Wasserathmung;  bei 
den  Fischen,  Enter  opneusten  und  Tunicaten  ist  der  Vorderdarm  zur  Kieme 
geworden,  indem  seine  Seitenwandungen  von  den  Kiemenspalten  durch- 
bohrt werden,  welche  auf  der  Oberfläche  des  Körpers  nach  aussen 
münden.  Durch  die  Kiemenspalten  tritt  sauerstoffhaltiges  Wasser  aus 
und  ein  und  bespült  die  hier  angebrachten,  reichlich  mit  Blutgefässen 
versorgten  Kiemcnblättchen.  Auch  der  Enddarm  kann  bei  manchen 
Fischen,  Insecten  und  Würmern  als  ein  Hilfsapparat  der  Athmung 
verwandt  werden,  indem  er  sich  von  Zeit  zu  Zeit  mit  frischem  Wasser 
füllt 


Fig.  58.  Zweitor  linker  Fuss  eines  Flosa-  Fig.  ">9.  Vorderes  Ende  von  lere- 
krebse*  mit  anhängender  Kieme  &r(nach  Huxlcv).  bclla  nclmlo&a  (nach  Milne  Edwards), 
cxp  Coxopodit,  bp  Basipodit,  ip  Isehiopo<(it,  ph  Pharynx,  v.  d  dorsales,  r.  v  ven- 
mp  Meropodit,  cp  Carpopodit,  pp  Propodit,  trale's  Blutgefäss,  br  Kiemen, 

«/pDactylopodit,  cxs  Coxopoditborsten,  c  Lainina  t  Tentakeln, 

der  Kieme. 

Bei  den  Luft  athmenden  Thieren  begegnen  wir  ebenfalls  den 
beiden  Möglichkeiten,  dass  die  Athmungsapparate  vom  Darm  oder  von 
der  Haut  ausgehen.  Bei  den  Wirbeltkieren  ist  das  erstere  der  Fall, 
indem  die  die  Athemluft  enthaltenden  Lungen  hier  direct  oder  durch 
Vermittelung  von  Trachea  und  Bronchien  mit  dem  Darmrohr  in  Ver- 
bindung stehen.  Wendet  man  dagegen  den  Ausdruck  „Lunge"  bei 
wirbellosen  Thieren  (SchnecJcen  und  Spinnen)  an,  so  handelt  es  sich 
stets  um  Luftsäcke  der  Haut,  und  ebenso  sind  die  Tracheen  der  In- 
secien  Luftröhren,  die  an  der  Körperoberfläche  mit  Luftlöchern  oder 
Stigmen  beginnen  und  sich  im  Innern  verzweigen  (Fig.  56  st). 


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88 


Allgemeine  Zoologie. 


Im  Allgemeinen  lässt  sich  somit  ein  Gegensatz  zwischen  den 
Wirbelthieren  und  den  Wirbellosen  constatiren;  bei  jenen  dient  zur 
Luft-  und  Wasserathmung  der  Darm  oder  Theile  desselben,  bei 
diesen  dagegen  die  Haut.  Von  Seiten  der  Wirbelthiere  sind  als  Aus- 
nahmen nur  die  meisten  Amphibien  und  einige  Fische  (Protopterus)  zu 
nennen,  bei  denen  die  Kiemen  büschelförmige  Hautanhänge  sind  (Fig. 
4  und  5,  S.  28);  unter  den  Wirbellosen  dagegen  nehmen  die  mit  einem 
Kiemendarm  versehenen  Tunicaten  und  Enteropneusten  eine  besondere 
Stellung  ein. 


roelom. 


H<rx,  Arte- 
rien, Venen 
UpllUren. 


III.  Cireulntionsnppiirat. 

Damit  der  durch  die  Athmungsorgane  aufgenommene  Sauerstoff 
und  die  im  Darm  verdauten  Nahrungshestandtheile  ihr  Endziel,  die 
Gewebe,  erreichen,  bedarf  es  keiner  besonderen  Organe,  solange  als 
der  Körper  nur  aus  2  dünnen  Epithel- 
lagen, dem  Ectoderm  und  Entoderm,  be- 
steht. Wenn  sich  dagegen  zwischen  die- 
selben eine  dritte  mittlere  Gewebsschicht, 
das  Mesoderm,  einschiebt  und  der  Körper 
voluminöser  wird,  so  werden  meist  Ein- 
richtungen für  die  Nahrungsvertheilung 
getroffen.  Am  einfachsten  wird  letztere 
erreicht,  wenn  der  Darm  die  Beschaffenheit 
eines  einfachen  Rohres  aufgiebt  und  sich 
verästelt,  um  mit  seinen  Verzweigungen 
die  einzelnen  Körperprovinzen  aufzusuchen. 
Man  spricht  dann  von  einem  Gastro- 
vascu  lar System,  weil  hier  der  Dann 
selbst  die  Function  und  die  verzweigte 
Anordnung  gewinnt,  welche  sonst  den  Ge- 
lassen, den  „Vaseula",  eigentümlich  ist 
(Fig.  (10). 

Zur  Nahrungsvertheilung  kann  auch 
die  Leibeshöhle  oder  das  Coeloma 
dienen,  ein  weiter,  zwischen  Darm  und  Kör- 
perwand eingeschobener  Hohlraum,  der  von 
einer  besonderen  Membran,  dem  Bauch- 
fell oder  Peritoneum,  mindestens 
mit  einem  eigenen  Epithel  ausgekleidet 
ist  und  die  meisten  vegetativen  Organe  in 
sich  beherbergt.  Die  Leibeshöhle  ist  wahr- 
scheinlich nur  eine  Fortbildung  des  Gastro- 
vascularsystems.  Denn  durch  entwicklungs- 
geschichtliehe  Untersuchungen  hat  sich 
schon   für  zahlreiche  Leibeshöhlenthiere 

beweisen  lassen,  dass  das  Coeloin  durch  Ausstülpung  vom  Darm  ent- 
steht und  somit,  nur  ein  abgeschnürter  Theil  desselben,  ein  selbständig 
gewordener  Darmdivertikel  ist. 

Die  vollkommenste  Art  der  Nahrungsvertheilung  wird  endlich 
durch  die  Blutgefässe  vermittelt,  welche  daher  auch  den  höheren 
Thierstäminen  allgemein  zukommen,  gleichgiltig,  ob  daneben  noch  eine 
Leibeshöhle  vorhanden  ist  oder  nicht  (Fig.  b'l).    Blutgefässe  sind 


Fig.  <*0.  Lcptoplana  trrntelta- 
ris.  n  Mund,  h  Mundhöhle,  c 
Öffnung  dos  Sehlundkopfs  in 
die  Mundhohle,  <l  Centrahnagon, 
r  writMelter  eiiiodonnaler  Darm, 
/  Ganglien.  >j  Hoden,  h  Samen- 
bin*', /.  rtorua,  /  Receptaculum 
Scmini.s  m  weibliche  Genital- 
mündung. 


uiQinzeci  uy  vjüu 


Allgemeine  Zoologie. 


89 


Röhren  mit  flüssigem  Inhalt,  welche  von  den  Athmungsorganen  aus 
den  Sauerstoff,  vom  Darm  aus  die  assimilirte  Nahrung  aufnehmen  und 
sie  später  an  die  Gewebe  wieder  abgeben.  Da  ein  solcher  Stoffaus- 
tausch voraussetzt,  dass  die  Blutflüssigkeit  in  den  Gefässen  circulirt, 
so  sind  bestimmte  Theile  der  Blutbahn  contractu ;  sie  sind  mit  Muskeln 
bedeckt,  welche  durch  ihre  Contraction  die  Röhren  verengen  und  die 
Flüssigkeit  vorwärts  treiben.  Bei  niederen  Formen  sind  weite  Strecken 
der  Blutbahn  contractil;  bei  höheren  wird  grössere  Regelmässigkeit 
der  Circulation  erreicht,  indem  nur  ein  bestimmter,  besonders  musku- 
löser Theil  der  Blutbahn,  das  Herz,  die  Blutmasse  fortbewegt.  Eine 
freie  Bewegung  des  Herzens  ist  nur  dann  möglich,  wenn  dasselbe 
von  den  angrenzenden  Geweben  losgelöst  ist  und  in  einem  beson- 
deren Hohlraum  liegt  (Fig.  Gl).  Daher  sehen  wir,  dass  das  Herz 
entweder  frei  in  der  Leibeshöhle  lagert  oder  in  einen  eigenen 
Beutel,  in  das  Pericard  oder  den  Herzbeutel  (wohl  überall  einen 
selbständig  gewordenen  Theil  der  allgemeinen 
Leibeshöhle),  eingebettet  ist  (p).  Minder 
wichtig  als  das  Auftreten  des  Pericards  ist 
für  die  Thätigkeit  des  Herzens  die  Sonderung 
desselben  in  einen  das  Blut  aufnehmenden 
Theil,  den  Vorhof  (A),  und  einen  das  Blut 
austreibenden  Theil,  die  Kammer  (/»);  daher 
denn  keineswegs  diese  Sonderung  überall 
durchgeführt  ist.  Besondere  Einrichtungen  des 
Herzens  sind  noch  die  Klappen  (&/),  welche 
an  den  Grenzen  der  Herzabschnitte  angebracht 
sind  und  durch  ihren  Verschluss  verhindern, 
dass  das  Blut  in  Kammer  oder  Vorkammer 
zurückströmt,  wenn  die  Wandungen  derselben 
nach  beendigter  Contraction  erschlaffen. 

Für  ein  gutes  Functioniren  der  Blutge- 
fässe ist  ausser  der  Circulation  noch  noth- 
wendig,  dass  die  ernährenden  Stoffe  leicht   .Fi?-'.il-   8d*ma  dar  Blut- 

c  i  i-  i        •    l        i      eireulation.    a  Arten«',  r  tu- 

aufgenommen  und  an  die  Gewebe  wieder  ab-    illaren        Vorkammer  ,<■  k 
gegeben   werden   können.     Der  betreffende  Kammer,  kl  Klappen,  /»  Peri- 
Abschnitt der  Blutbahn   muss  durchgängig  «ml,  r  Neuen, 
sein,   im  Körper  sich  weit  verbreiten  und 

eine  für  sein  Lumen  grosse  Oberfläche  besitzen.  Diesen  Anforde- 
rungen genügen  die  Haargefässe  oder  die  Capi Ilaren  (c), 
äusserst  feine  und  dünnwandige  Gefässe,  welche  alle  Organe  um- 
spinnen und  durchsetzen :  durch  ihre  häufig  nur  von  einer  zarten 
Epithellage  gebildeten  Wandungen  hindurch  können  die  Eiweiss- 
stoffe  zur  Ernährung  an  die  Gewebe  abgegeben  und  der  Sauerstoff 
gegen  die  Kohlensäure  ausgetauscht  werden.  Zwischen  dem  Herzen 
und  den  Capillaren  besteht  somit  entsprechend  ihrer  verschiedenen 
Function  der  denkbar  grösste  Unterschied  im  Bau:  sie  müssen  daher 
durch  besondere,  einen  Uebergang  vermittelnde  Gefässe  verbunden 
werden,  Gefässe,  welche  dickwandig  und  gross  am  Herzen  beginnen 
uml  durch  Verästelung  und  Verdünnung  ihrer  Wand  allmählig  in  die 
Capillaren  übergehen;  solcher  Gefässe  giebt  es  zwei  Arten,  die  infden 
Capillarbezirk  einleitenden  festeren  Arterien  (o)  und  die  nach  dem 
Herzen  zurückleitenden  dünnwandigeren  (v)  Venen. 


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90 


Allgemeine  Zoologie. 


Comlatlon 
Ton  Ath- 


und 
BlBl- 


Bei  allen  Thieren  bat  sich  als  Gesetz  herausgestellt,  dass  das 
Blutgefässsystem  in  seiner  Anordnung  und  seinem  Bau  mehr  von  der 
Respiration  beeinflusst  wird  als  von  der  Nahrungsaufnahme  im  engeren 
Sinne:  es  besteht  eine  Correlation  zwischen  Respirations-  und 
Circulationsorganen.  Diese  Correlation  drückt  sich  zunächst  darin  aus, 
dass  man  einen  doppelten  Capillarbezirk  unterscheiden  muss,  ausser 
dem  schon  erwähnten  Körpercapillarbezirk  noch  den  respiratorischen 
Capillarbezirk ,  dessen  aus- 
schliessliche Aufgabe  es  ist,  die 
Kohlensäure  aus  dem  Blut  zu 
entfernen  und  den  Sauerstoff 
ihm  zuzuführen  (Kiemen-  und 
Lungencapillaren).  Zweierlei 
Capillarbezirke  machen  auch 
zweierlei  Arterien  und  Venen 
nöthig.  Körperarterien  und  Kör- 
pervenen ,  respiratorische  Arte- 
rien und  respiratorische  Venen. 
Dies  erläutert  beistehendes 
Schema  vom  Blutkreislauf  der 
Fische  (Fig.  02).  Aus  dem  Ca- 
pillarbezirk der  functionirenden 
Gewebe  des  Körpers  führen 
Venen  nach  dem  Vorhof  des 
Herzens;  vom  Vorhof  strömt 
das  Blut  in  die  Herzkammer 
und  durch  die  Kiemenarterien 
weiter  in  die  respiratorischen 
Kieineneapillaren.  Von  diesen 
wird  es  durch  Kiemenvenen  ab- 
geleitet, die  sich  zu  einem  ein- 
zigen starken  Stamm  vereinigen, 
welcher  seinerseits  sich  wieder- 
um verästelt,  um  in  den  Capillar- 
bezirk des  Körpers  überzugehen. 
Da  die  Verästelungen  des  durch 
die  Kiemenvenen  gebildeten 
Hauptstammes  wieder  in  einen 
Capillarbezirk  einleiten ,  muss 
man  sie,  wie  den  Hauptstamm  Fische,  <*'  aufsteigende  Aorta  mit  den  Kic 
selbst.  Arterien  nennen.  menarterien  [ka),  a»  die  au»  den  Kiemenvenen 

„i  i>i  •„  .  81c''1  bammelnde  absteigende  Aorta,  tr 

.„  .fahrend  das  Blut  seinen  fcemencapillawn,  h  Hersvorbunmer,  *  Hm* 
Kreislauf  durch  den  Körper  be-  kamnier,  ri  Vena  jugularis,  rr  Vena  cardinali.-s 
schreibt,  ändert  es  zweimal  seine  tJh  Vena  hepatica  (eava  inferior),  da  Darm- 
chemische Beschaffenheit  und  arU'ri«^  ,,r  Darmvenen,  sc  Körpcrc-apUlaren, 
demgemäss  auch  seine  Farbe.  c  A'H'T™ln  arrn- 

Das  Blut,  welches  aus  dem  Körpercapillarbezirk  abfliesst,  hat 
seinen  Sauerstoff  an  die  Gewebe  abgegeben ,  Kohlensäure  dafür 
eingetauscht  und  eine  dunkelrothe  Farbe  angenommen.  Diesen  Cha- 
rakter behält  es  bis  in  die  Kieineneapillaren  bei,  wo  es  wieder 
unter  Abgabe  der  Kohlensäure  sauerstoffhaltig  wird  und  sich  hellroth 
färbt.  Die  verschiedene  Beschaffenheit  des  Blutes  kannte  man  zuerst 
von  den  Arterien  und  Venen  des  Körperkreislaufs  und  nannte  das 


Fiir.  62.    Schema  für  den  Blutkreislauf  der 


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Allgemeine  Zoologie. 


91 


dunklere,  kohlensäurehaltige  Blut  venös,  das  hellrothe,  sauerstoff- 
haltige dagegen  arteriell,  da  ersteres  in  den  Venen,  letzteres  in  den 
Arterien  fliesst.  Beide  Ausdrücke  sind,  wie  aus  dem  oben  gegebenen 
Schema  ersehen  werden  kann,  durchaus  ungeeignet,  weil  sie  zu  der 
falschen  Auffassung  führen  können,  als  ob  Venen  immer  kohlensäure- 
haltiges Blut  und  Arterien  immer  sauerstoffhaltiges  Blut  führen 
müssten.  Dem  gegenüber  lehrt  das  Schema,  dass  im  respiratorischen 
Kreislauf  (kleinen  Kreislauf)  die  Verhältnisse  umgekehrt  sein  müssen 
wie  im  Körperkreislauf,  indem  die  Arterien  hier  „venöses",  die  Venen 
dagegen  „arterielles"  Blut  enthalten. 

Ein  Blutgefässsystem,  wie  wir  es  bisher  besprochen  haben,  nennen 
wir  ein  geschlossenes,  weil  das  Blut  stets  in  besonderen,  mite 
eigenen  Wandungen  ausgerüsteten  Röhren  fliesst.  Dem  geschlossenen 
steht  das  offene  Blutgefässsystem  gegen- 
über; hier  verlieren  die  Blutgefässe  nach  einiger 
Zeit  den  Charakter  von  Röhren  und  werden  zu 
weiten  Hohlräumen,  welche  ohne  besondere  Wan- 
dungen sich  zwischen  die  Eingeweide  und  Organe 
einschieben. 

Das  beste  Beispiel  eines  offenen  Blutgefäss- 
systems  liefern  die  Insccten  und  Tausendfüsse, 
welche  nur  das  Herz  und  ganz  kurze  Arterien- 
stämme  besitzen ;  aus  den  Enden  der  Arterien- 
stümpfe tritt  das  Blut  in  die  Leibeshöhle,  aus 
der  Leibeshöhle  gelangt  es  durch  seitliche  Spalten 
wieder  in  das  Herz  zurück  (Fig.  G3).  Innerhalb 
des  Stammes  der  Arthropoden  und  der  Mollusken 
sind  zwischen  einem  so  extremen  Fall  von  offenem 
Blutgefässsystem  und  einem  nahezu  geschlossenen 
alle  Uebergänge  vorhanden.  Hier  offenbart  sich 
aufs  Neue  die  engste  Correlation  der  Cir- 
culations-  und  Respirationsorgane,  und 
zwar  kommt  den  letzteren  der  bestimmende  Ein- 
fluss  zu.  Wenn  die  Athmung  über  oder  durch 
den  Körper  diffus  verbreitet  ist  und  die  Ver- 
keilung des  Sauerstoffs  ohne  besondere  Gefässe 
von  selbst  sich  regelt,  ist  der  Circulationsapparat 
sehr  einfach ;  er  wird  dagegen  differenzirt  in  Herz, 
Arterien ,  Venen  und  Capillaren ,  wenn  die  Ath- 
mung an  bestimmte  beschränkte  Stellen  geknüpft 
ist  und  dadurch  eine  regelmässige  Vertheilung 
des  Sauerstoffes  nöthig  wird.  Man  vergleiche 
hierüber  das  Genauere  bei  Crustaceen,  Spinnen 
und  Insecten. 

Ein  besonderer  Abschnitt  des  Blutgefässapparats  ist  endlich  das 
nur  bei  Wirbelthieren  vorkommende  L  y  m  p  h  g  e  f  ä  s  s  s  y  s  t  e  m.  Im 
Capillarbezirk  des  Körpers  können  Eiweissstoffe  wohl  in  die  Gewebe 
übertreten,  ein  etwaiger  Ueberschuss  kann  aber  wegen  des  in  den 
Capillaren  herrschenden  höheren  Druckes  nicht  auf  dem  gleichen  Wege 
wieder  in  die  Blutgefässe  zurückgelangen.  Dieser  Ueberschuss  wird 
durch  die  Lymphgefässe  in  die  Venen  zurückgeführt.  Die  Lymphge- 
fasse  beginnen  mit  den  Gewebslücken,  aus  denen  sie  sich  erst  all- 
mählig  zu  Gefässen  mit  deutlichen  Wandungen  herausbilden.  Beson- 


Fig.  63.  Vorderes 
Ende  des  Herzens  von 
Smlopnulro  (ans  Lang 
nach  Newport).  nk 
Herzkammern  mit 
Flügelmuskeln  (/»») 
und  seitlichen  Spalt- 
öffnungen (o) ;  ab,  ae, 
al  vom  Herzen  aus- 
gehende Arterien,  die 
das  Blut  in  die  Leibes- 
höhle ergiessen. 


geli«»e. 


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92 


Allgemeine  Zoologie. 


ders  wichtig  werden  die  Lyiuphgefässe  des  Darms,  indem  sie  während 
der  Verdauung  sich  mit  den  Eiweiss-  und  Fettbestandtheilen  der  ver- 
dauten Nahrung  beladen ;  man  nennt  sie  Chylusgefässe,  weil  dann  ihr 
Inhalt,  der  Chylus,  sich  durch  seine  milchige  Färbung  von  gewöhn- 
licher Lymphe  unterscheidet. 

w»ra"d  Im  Anschluss  an  das  Blutgefässsystem  mögen  noch  zwei  Aus- 
war, drücke  Erläuterung  finden,  welche  auch  in  Laienkreisen  viel  angewandt, 
meist  aber  nicht  richtig  verstanden  werden:  Kaltblüter  und  Warm- 
blüter, oder  wie  es  richtiger  heissen  sollte,  wechselwarme  und  eigen- 
warme Thiere.  Unter  wechselwarmen  (poikilothermen)  oder  kaltblutigen 
Thieren  verstehen  wir  Formen,  deren  Temperatur  vollkommen  von 
der  Temperatur  der  Umgebung  abhängig  ist  und  mit  derselben  steigt 
und  fällt,  stets  aber  wenige  (Jrade  mehr  als  dieselbe  beträgt.  In 
unseren  Klimaten,  wo  die  Temperatur  wesentlich  niedriger  ist  als 
unsere  eigene  Blutwärme,  werden  solche  Thiere,  wie  z.  B.  die  Frösche^ 
auf  unser  Gefühl  einen  erkältenden  Eindruck  machen,  da  sie  nament- 
lich in  der  kühlen  Jahreszeit  eine  viel  geringere  Körpertemperatur  be- 
sitzen als  wir. 

Als  Warmblüter  oder  eigenwarme  (idiotherme,  homoiotherme) 
Thiere  bezeichnet  man  dagegen  Thiere,  welche  unter  allen  Verhält- 
nissen immer  nahezu  dieselbe  Temperatur  beibehalten.  Der  Mensch 
hat  im  Sommer  und  Winter,  unter  dem  Aequator  und  am  Nordpol 
stets  annähernd  eine  Temperatur  von  3fi — 37°  C.  und  zeigt  nur  im 
Fieber  höhere  Temperaturen.  Um  eine  constante  Temperatur  gegen- 
über wechselnden  äusseren  Wärmeverhältnissen  aufrecht  zu  erhalten, 
muss  ein  Thier  die  Wärmesteuerung  besitzen;  es  muss  die  Fähigkeit 
haben,  die  Wärme  seines  Körpers  zu  reguliren,  einerseits  durch  Regu- 
liren der  Wärineproduetion.  andererseits  durch  Reguliren  der  Wärme- 
abgabe. Ist  die  Umgebung  höher  erwärmt,  als  die  Körpertemperatur, 
so  muss  zunächst  die  Wärineproduetion  auf  das  mit  den  Lebenspro- 
cessen  vereinbare  geringste  Maass  beschränkt  werden :  da  dies  aber 
nicht  genügt,  so  muss  ausserdem  durch  Verdunstung  auf  der  Körper- 
oberfläche, wie  sie  namentlich  durch  starkes  Schwitzen  herbeigeführt 
wird,  die  Wärmeabgabe  gesteigert  werden.  Ist  die  Umgebung  dagegen 
kühl,  so  muss  umgekehrt  jede  unnothige  Wärmeabgabe  vermieden,  die 
Wärineproduetion  dagegen  gesteigert  werden.  Es  ist  klar,  dass  die 
Idiothermie,  indem  sie  complicirte  Einrichtungen  voraussetzt,  nur  bei 
höheren  Thieren  vorkommen  kann. 


IV.  Kxcretioiisorgaiie. 

Die  Excretionsorgane  sind  Röhren  oder  Dnisencanäle,  welche  direct 
oder  durch  Vermittelung  des  Enddarms  (Cloake)  auf  der  Körperober- 
fläche münden  und  unbrauchbar  gewordene  Stoffe  nach  aussen  be- 
fördern. Für  ihren  Bau  ist  es  von  Wichtigkeit,  ob  eine  Leibeshöhle 
vorhanden  ist  oder  nicht,  wie  am  schönsten  der  Stamm  der  Würmer 
erkennen  lässt.  Bei  den  Würmern  kommen  zwei  Arten  von  Excre-  » 
tionsorganen  vor,  die  W  a  s se r  ge f ä  s se  oder  I'rotonephridien 
und  die  S  c  h  1  e  i  f  e  n  c  a  n  ä  1  e  oder  N  e  p  h  r  i  d  i  e  n  (auch  Segmental- 
organe genannt);  erstere  finden  sich  bei  den  parenchymatösen 
Würmern,  letztere  bei  den  Würmern,  welche  eine  Leibeshöhle  besitzen. 
Die  Wassergefässe  beginnen  mit  verästelten,  oft  zu  einem  Netzwerk 


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Allgemeine  Zoologie. 


V)3 


sich  verbindenden,  an  Capillaren  erinnernden  Canälen,  welche  sich  zu 
einem  oder  mehreren  nach  aussen  führenden  Hauptstämmen  vereinen. 
Kurz  vor  der  Mündung  (Porus  excretorius)  findet  sich  meist  eine 
Ausweitung,  eine  Art  Harnblase,  deren  Contractionen  die  excrethaltige 
Flüssigkeit  austreiben  (Fig.  64).  Die  Anfänge  des  Canalsystems  sind 
in  äusserst  feinen  Canälen  gegeben,  deren  blind  geschlossene  Enden  leb- 
haft schlagende  Wimperbüschel,  die  „Flimmerläppchen"  tragen  (Fig.  65). 


Fig.  *>4.    Pistoma  hrpa- 
( t'cu tu    mit  Wasscrgefiiss- 
systen».     i>  Poms  excre- 
torius, n  Mundöffnung 
(«US  Hatschck). 


Fig.  üö.  Blindes  Ende 
eine»  feinsten  Wasaor- 
gefä^scanuls.  (k)  einer 
Tiirbrllarir  (aus  Lang), 
//  Kern ,  f  Fortsätze 
der  Endzelle,  //■/'  Flim- 
merlfippehen  der  End- 
zelle, /•  Vacuolen. 


Fig.  <50.  Scgincntalorgan  eine« 
Olifjochacten.  Schema  (aus  Lang). 
t\  Flimmcrtrichter,  dis  Dissepi- 
inent ,  tig'  nicht  drüsiger,  ng7 
drüsiger  Theil  des  Canals ,  eb 
Endblase,  In  Leilx-swand. 


Die  Schleifencanäle  oder  Segmentalorgane  (Fig.  66)  sind  dagegen 
einfache,  an  beiden  Enden  geöffnete  Röhren:  die  eine  Oefi'nung  führt 
nach  aussen,  die  andere  communicirt  mit  der  Leibeshöhle;  zwischen 
beiden  Oetfnungen  verläuft  ein  drüsiger,  in  viele  Windungen  gelegter 
Canal.  Die  Mündung  nach  der  Leibeshöhle  wird  durch  eine  mit  starken 
Flimmern  bedeckte,  trompetenartige  Erweiterung  des  Canals,  welche 
Flimmertrichter  heisst,  bewirkt.  Auf  solche  Schleifencanäle  sind  wahr- 
scheinlich die  Excretionsorganc  der  Crustaceen  und  sicher  die  Nieren 
der  WirbeWUere  zurückzuführen  (Fig.  67).  Letztere  werden  als  eine 
Reihe  von  Canälen  angelegt,  welche  mit  ihrem  proximalen  Ende  in 


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94 


Allgemeine  Zoologie. 


die  Leibeshöhle  sich  offnen,  mit 
dem  distalen  Ende  dagegen  in 
einen  Sammelcanal,  den  Harn- 
leiter, münden.  Erst  später  wan- 
delt sich  die  Niere  zu  einem 
compacten  Drüsenkörper  um,  meist 
unter  Schwund  der  Peritoneal- 
trichter. 


Fig.  «57.  Schema  der  Umiere 
Wirhclthicro  (oub  Hatschck);  Segment- 
grenzen  pnnktirt.  J.  Afteröffnung.  P 
Mündung  der  rrnierengänge  II'  A> 
Wimpcrtriehter  (Nephrostom),  .V  Mal- 
pighiVche  Körperchen  der  Segiuental- 
eanäle  (.S). 


.1  P 


Kifirnfpilhfl 
und  Keim 


und  Oono- 


B.  Geschlechtsorgane. 

Am  Geschlechtsapparat  der  Thiere  muss  man  die  keimbercitenden 
Stätten  oder  die  Geschlechtsdrüsen  und  die  Ausführwege 
unterscheiden.  Jene  sind  bei  allen  vielzelligen  Thieren  vorübergehend 
oder  dauernd  vorhanden,  diese  können  dagegen  gänzlich  fehlen.  Wenn, 
wie  es  bei  Coelenteraten  der  Fall  ist,  die  Gesehlechtsproducte  in  der 
Haut  oder  im  Darm  entstehen,  dann  sind  die  Ausführwege  überflüssig, 
da  die  gereiften  Elemente  durch  Platzen  ihrer  Umhüllung  direct  nach 
aussen  oder  in  den  Darm  hinein  entleert  werden. 

Männliche  und  weibliche  Geschlechtszellen  nehmen,  wie  wir  ge- 
sehen haben,  aus  einer  indifferenten  Anlage  ihre  Entstehung,  welche 
man  das  Keiniepithel  nennt.  Mit  Vorliebe  bildet  dasselbe  einen  Theil 
der  epithelialen  Auskleidung  der  Leibeshöhle,  bei  vielen  Thieren 
dauernd,  bei  anderen  nur  vorübergehend:  im  letzteren  Falle  trennt 
es  sich  meist  durch  Abschnürung  und  bildet  drüsenartige  Körper,  die 
Geschlechtsdrüsen. 

Bei  den  ineisten  Thieren  erzeugt  das  Keiniepithel  entweder  nur 
weibliche  oder  nur  männliche  Geschlechtszellen:  solche  Thiere  nennt 
man  get  reu  n  t  gesch  locht  lieh  oder  gonochor  istisch  im 
Gegensatz  zu  den  h  e  rm  a  ph  rod  i  t  e  n  oder  zwitterigen  Formen, 
bei  denen  in  einem  und  demselben  Individuum  beiderlei  Geschlechts- 
organe enthalten  sind.  Man  kann  verschiedene  Grade  des  Herm- 
apliroditismus  unterscheiden:  gewöhnlich  sind  Hoden  und  Ovar  zwar 
in  demselben  Thier  vereinigt,  innerhalb  des  Körpers  jedoch  räumlich 
getrennt,  wie  z.  Ii.  bei  unserem  Regenwurm,  bei  welchem  ein  paar 
Ringe  nur  männliche,  ein  dritter  King  nur  weibliche  Drüsen  enthält 
(Fig.  ()>:).    Seltener  ist  die  Vereinigung  von  Hoden  und  Eierstöcken 


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Allgemeine  Zoologie. 


95 


zu  einem  einzigen  Drüsenkörper,  einer  Zwitterdrüse;  unsere  Lungen- 
schnecken besitzen  eine  Zwitterdrüse,  welche  in  denselben  Follikeln 
Samen  und  Eier  producirt. 

Fig.  H8.  Ge- 
schlechtsorgane von 
Lnrnbricn*  agricola 
(aus  Lang  nach 
Vogt  und  Yung). 
Die  Sanienbläschen 
der  rechten  Seite 
!<iii(l  ahgeachnitten. 
bm  Bauehmark,  bv 
u.bl  ventrale  u.  late- 
rale  Boratenreihen, 

st:  Samentasehen 
(Receptneula  semi- 
nw),  «bl  sb1  .sb*  die 
.'{.Suii»nl)la«ch<n  der 
linken  Seite,  welche 
auf  2  unpaaren  8a- 
nienkapscln  (sbu) 
sitzen.  In  letzteren 
eingeschlossen  //'  //* 
die  vorderen  und 
hinteren  H<xlcn  und 
0  t1  die  vorderen 

und  hinterenSamen-  / 
trichter,  die  in  das  dt  Ol/' 

Vas  deferena  rd  leiten;  o  Ovarien,  fit  Flimmert riehter,  die 
di  Reste  der  Dissepimente.  VIII — AT  8. — 15.  Segment. 


di,  to  di 

in  die  Oviducte  <>r  leiten, 


Hermaphroditismus  ist  bei  niedriger  organisirten  Thieren  im  All- 
gemeinen häufiger  als  bei  den  höher  organisirten.  Insecten  und  Wirbel- 
thiere  sind  fast  ausnahmslos  getrennt  geschlechtlich :  man  kennt  unter 
ihnen  nur  zwei  Fälle  von  normalem  Hermaphroditismus,  den  Seebarsch, 
Serranus  scriba,  einen  Knochen- 
fisch, und  die  Myxine  glutinosa. 
Häutiger  wird  Hermaphroditis- 
mus als  Abnormität  beobachtet, 
zumeist  in  Forin  des  Herm- 
aphroditismus lateralis,  bei  wel- 
chem die  eine  Hälfte  des  Thie- 
res  nur  männliche,  die  andere 
nur  weibliche  Geschlechtsdrüsen 
erzeugt-  Sind  Männchen  und 
Weibchen  einer  Art  an  ihrem 
verschiedenen  Aussehen  zu  un- 
terscheiden, so  drückt  sich  der 

Hermaphroditismus  lateralis 
schon  äusserlich  in  der  Gestalt 
aus,  indem  die  eine  Hälfte  des  Thieres  die  Kennzeichen  des  Männ- 
chens, die  andere  die  des  Weibchens  besitzt.  Man  kennt  hermaphro- 
dite  Schmetterlinge  und  Mienen,  bei  denen  die  männliche  Hälfte  die 
besondere  Gestalt  der  männlichen  Fühler,  Augen  und  Flügel  trägt  und 
sich  durch  sie  wesentlich  von  der  weiblichen  Hälfte  unterscheidet 
(Fig.  60).  Doch  ist  hier  zu  beachten,  dass  in  vielen  Fällen,  in  denen 
der  äusseren  Erscheinung  nach  Hennaphroditismus  vorzuliegen  schien, 
die  anatomische  Untersuchung  entweder  nur  männliche  oder  nur  weib- 
liche Geschlechtsdrüsen  nachweisen  konnte. 


Fig.  69.    Hennaphroditismus  lateralis  eines 
Schmetterlings  {Omcrin  tlisparf.    Links  weib- 
lich, rechts  männlich  (nach  Taschenberg). 


Allgemeine  Zoologie. 


Aeusserst  selten  ist  echter  Hermaphroditismus  (Auftreten  von 
zweierlei  Sexualdrüsen  in  demselben  Thier)  bei  Säugethieren  und 
Menschen  beobachtet  worden.  Was  hier  als  Hermaphroditisnius  be- 
sehrieben worden  ist,  verdient  in  der  Mehrzahl  der  Falle  diesen 
Namen  nicht. 

Die  Ausführwege  der  Geschlechtsproducte  sind  im  Thierreich 
sehr  häutig  den  excretorischen  Apparaten  entnommen.  Bei  den  Anne- 
liden dienen  manche  Segmentalorgane,  bei  den  Wirbelthieren  Theile 
des  Nierensystems  ausschliesslich  oder  neben  ihrer  excretorischen 
Function  der  Geschlechtsthätigkeit.  Man  spricht  daher  von  einem 
„Urogenital-System".  Diese  merkwürdige  Vereinigung  von  Geni- 
talorganen  und  Excretionsorgancn  hat  eine  doppelte  Ursache,  eine 

physiologische  und  eine  anatomische.  Phy- 
siologisch ist  wichtig,  dass  sich  Eier  und 
Spermatozoen  wie  Excrete  verhalten;  sie 
sind  Stoffe,  die  nicht  mehr  für  den  Nutzen 
des  Individuums  bestimmt  sind ,  sondern 
nach  aussen  gelangen  müssen,  um  in  Wirk- 
samkeit zu  treten.  Die  morphologische  Ur- 
sache ist  im  Verhalten  zu  der  Leibeshöhle 
gegeben :  ein  Urogenitalsystem  entwickelt  sich 
nur  bei  Thieren,  bei  denen  das  Kcimepithel 
aus  dem  Epithel  der  Leibeshöhlc  abstammt 
und  bei  denen  die  Niere  dauernd  oder  ihrer 
Anlage  nach  mit  der  Leibeshöhle  in  Ver- 
bindung steht  und  so  die  natürliche  Ab- 
leitung für  die  Producte  derselben  bildet 
—  Unabhängig  davon,  ob  die  Geschlechts- 
wege Theile  der  Excretionsorgane  oder  selb- 
ständige Bildungen  sind,  gewinnen  sie  in 
der  Thierreihe  eine  bestimmte,  durch  ihre 
Function  bedingte  Einrichtung  (Fig.  70). 
Von  der  Geschlechtsdrüse  leiten  Canäle 
nach  aussen,  die  Eileiter,  Oviducte,  des 
Weibchens,  die  Samenleiter.  Vasa  defe- 
rcn  tia,  des  Männchens  (bei  der  Zwitter- 
drfise  der  Zwittergang).  Eileiter  und  Samen- 
leiter können  mit  Ausstülpungen  versehen 
sein,  welche  zur  Aufnahme  von  Samen  die- 
nen. Man  nennt  sie  beim  Eileiter  Reeep- 
t  a  c  u  1  a  Sem i  n  i s,  beim  Samenleiter  V  e  s i  c  u  1  a  e  s e  m  i  n  a  1  e  s :  erstere 
beherbergen  Samen,  welcher  durch  die  Begattung  in  die  weiblichen 


Fitr.  70.  Geschlechtsapparat 
von  Vorh'x  viridis  (aus  ( Jcjren- 
lmur  nach  M.  Schnitze).  / 
Hoden,  rd.  Vasa  defenntia, 
rs  Vcsicnla  seminalis,  p  Penis, 
o  Ovarium  mit  Ovidnctcn,  u 
l'terus,  /•  Vagina,  rs  Recep- 
taculum  seininis,  gv  Dotter- 
Stöcke.  * 


Gesehlechtswege 


gelangte, 


letztere  Samen,   welcher  im  Hoden  des 


gleichen  Thieres  entstanden  ist. 

Der  Endabschnitt  des  Samenleiters  ist  häutig  sehr  muskulös  und 
heisst  Ductus  ej  ac  ulatori  us;  er  kann  als  Penis  oder  Cirrus 
herausgestülpt  werden  und  ragt  dann  über  die  Körperoberfläche  her- 
vor. Der  Endabschnitt  des  Eileiters  ist  meist  erweitert  und  lä.sst 
2  Abschnitte  erkennen,  den  Uterus,  welcher  die  Eier  während  ihrer 
Entwicklung  beherbergt,  und  die  zur  Begattung  dienende  Scheide, 
Vagina.  Dazu  können  dann  in  den  beiden  Geschlechtern  noch  ac- 
cessorische  Drüsen  der  verschiedensten  Art  hinzutreten. 


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Allgemeine  Zoologie. 


1)7 


Animale  Orsrane. 
I.  Fortbewejrunghonrane. 

Die  Fähigkeit,  den  Ort  nach  freier  Wahl  zu  verändern,  ist  eine 
so  sehr  in  den  Vordergrund  tretende  Eigenthüiulichkeit  der  Thierc, 
dass  der  Laie  geneigt  ist,  danach  zu  entscheiden,  oh  ein  Organismus 
dem  Thier-  oder  Pflanzenreich  zugehört,  Deshalb  ist  es  nöthig,  her- 
vorzuheben, dass  zahlreiche  Thiere  die  freie  Ortsbewegung  aufgeben, 
indem  sie  sich  auf  dem  Boden,  auf  Pflanzen  oder  auf  anderen  Thiercn 
fest  ansiedeln.  Alle  Schwämme  und  Corallen,  die  meisten  Hydroid- 
polypen,  die  Crinoiden  unter  den  Echinodermen  haben  zwar  frei  herum- 
schwimmende Larven,  sitzen  aber  im  ausgebildeten  Zustand  fest  und 
haben  dadurch  eine  überraschende  Aehnlichkeit  mit  Pflanzen  ge- 
wonnen, so  dass  sie.  obwohl  echte  Thiere,  lange  für  Pflanzen  gegolten 
haben.  Ferner  sind  manche  Muscheln  und  Würmer  mit  ihren  Gehäusen 
angewachsen;  ja  sogar  manche  Krebsformen,  die  Cirripedien,  haben 
die  freie  Ortsbewegung  vollkommen  verloren.  Eine  genauere  Unter- 
suchung wird  aber  in  allen  diesen  Fällen  lehren,  dass  eine  Bewegungs- 
fähigkeit  der  einzelnen  Theile  fort  existirt.  wie  denn  die  Corallen  ihre 
Tentalkronen  und  die  Cirripidicn  ihre  federbuschartigen  Füsse  ein- 
schlagen, die  Muscheln  ihre  Schalen  activ  schliessen  können. 

Zur  Bewegung  dienen  bei  den  niederen  Formen,  den  Protozoen, 
fast  ausschliesslich  Zellfortsätze,  seien  es  Cilien,  Geissein  oder  Pseudo- 
podien. Bei  den  vielzelligen  Thiercn  ist  das  äusserst  selten  der  Fall. 
Amöboide  Beweglichkeit  der  Epithelzellen  kommt  zwar  noch  bei 
Coelenieraien  und  auch  bei  manchen  Würmern  vor,  genügt  aber  nicht 
zur  Ortsbewegung.  Wirksamer  ist  das  Geissei-  oder  AYimperepithel, 
welches  bei  Ctenophoren,  Turbellarien  und  Rotatorien  die  Schwimm- 
bewegungen  vermittelt ;  ausserdem  findet  sich  dasselbe  auch  bei  vielen 
Larven  von  Thieren,  welche  ausgebildet  entweder  gar  nicht  oder  nur 
mit  Hilfe  von  Muskeln  ihren  Ort  verändern  können.  In  der  Form 
von  Planulae.  d.  h.  als  bewegliche,  mittelst  Flimmern  schwimmende 
Larven,  verlassen  fast  alle  Cocl  enteraten,  Echinodermen  und  Mollusken 
und  die  Mehrzahl  der  Würmer  die  Eihüllen. 

Zu  energischerer  Thätigkeit  ist  nur  die  Muskulatur  befähigt 
Die  Anordnung  derselben  wechselt  und  hängt  von  der  Beschaffenheit 
des  Skelets  ab.  Skeletlose  Formen  haben  gewöhnlich  den  „llaut- 
muskelschlauch",  einen  Sack  von  circulären  und  longitudinalen  Fasern, 
welcher  mit  der  Haut  fest  vereinigt  ist.  Bildet  sich  von  der  Haut 
aus  ein  Skelet,  wie  bei  den  Arthropoden,  so  löst  sich  der  Schlauch  in 
Muskelgruppen  auf.  die  am  Hautskelet  ihre  Angriffspunkte  finden; 
bildet  sich  dagegen,  wie  bei  den  Wirbelthieren,  ein  Axenskelet  aus.  so 
ist  hier  das  Punctum  fixum  der  Muskelwirkung  gegeben,  so  dass  die 
Muskulatur  einen  ganz  neuen  Charakter  gewinnt  und  namentlich  tiefer 
zu  liegen  kommt.  Ein  Locomotionsapparat  ganz  eigener  Art  ist  «las 
Ambulacralsystcm  der  Echinodermen,  ein  System  von  feinen,  zum 
Theil  als  Füsschen  ausstülpbaren  Schläuchen,  über  deren  Verwendung 
das  Nähere  bei  den  Echinodermen  nachzulesen  ist. 

II.  »rreiisj stein. 

Kaum  ein  Organsystem  zeigt  in  der  Thierreihe  eine  so  gesetz- 
inässige  Fortbildung  wie  das  Nervensystem.  Die  verschiedenen  Stufen, 

Hartwig,  Lehrbuch  der  Zoologie.    3.  Auflage.  7 


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08 


Allgemeine  Zoologie. 


lianglien- 


welche  man  dabei  aufstellen  kann,  wollen  wir  als  die  diffuse  Form, 
die  Strangform,  die  gangliöse  Form  und  die  Röhrenform  bezeichnen. 

1)  Die  diffuse  Form  des  Nervensystems  ist  jedenfalls  die  ur- 
sprünglichste; sie  zeigt  die  beiden  Elemente.  Nervenfasern  und 
Ganglienzellen,  gleichmässig  durch  den  ganzen  Körper  oder  wenigstens 
durch  gewisse  Schichten  des  Körpers  verbreitet.  Als  eine  von  den 
ersten  Anfängen  an  bevorzugte  Schicht  ist  die  Haut  des  Körpers,  das 
Ectoderm,  anzusehen,  da  dieses  den  Verkehr  mit  der  Aussenwelt 
vermittelt  und  daher  die  für  die  Ausbildung  der  Nervengewebe  wich- 
tigen Sinneseindrücke  erhält.  Die  Corallen  und  Hydroidpolypen  können 
uns  als  Beispiel  dienen,  da  bei  ihnen  das  Ectoderm  nach  allen  Rich- 
tungen hin  von  einem  zarten,  spinnwebeartigen  Netz  von  Nerven- 
fasern und  Ganglienzellen,  welches  sogar  auf  das  Entoderm  übergreift, 
durchsetzt  wird. 

2)  Aus  der  diffusen  Form  lassen  sich  die  übrigen  Hauptformen 
durch  Localisation  ableiten,  die  wohl  hauptsächlich  dadurch  bedingt 
ist,  dass  manche  Stellen  zur  Aufnahme  von  Sinneseindrücken  und 
daher  auch  zur  Entwicklung  nervöser  Theile  geeigneter  gelagert  sind, 
als  die  Nachbarschaft.  Bei  den  Medusen  ist  der  .Rand  der  Glocke 
eine  solche  Stelle,  weshalb  hier  ein  kräftiger,  an  Ganglienzellen  auf- 
fallend reicher  Nervenstrang  verläuft.  Man  kann  denselben,  ebenso 
wie  den  Ringnerven  und  die  f>  Ambulacralnerven  der  Echino- 
dermen  ein  Centraiorgan  nennen  und  davon  den  Rest  des  Nerven- 
netzes  als  peripheres  Nerven  syst  em  unterscheiden. 

3)  Vielerlei  Uebergangsformen  leiten  uns  zu  dem  gangliösen 
Centralnervensystem  der  Würmer,  Mollusken  und  Arthropoden  (Fig.  71). 

Das  Centralnervensystem  besteht  hier  aus 
2  oder  mehreren  Ganglien;  jedes  Ganglion 
ist  ein  rundliches  Knötchen  gesetzmässig 
angeordneter  Nervenfasern  und  Ganglien- 
zellen. Jene  bilden  den  Kern  des  Knöt- 
chens und  verursachen,  indem  sie  sich 
nach  allen  Richtungen  kreuzen,  das  Bild 
einer  feinen  Körnelung.  welches  zu  dem 
ungeeigneten,  weil  leicht  irreführenden  Na- 
men ..Leydig'sche  Punktsubstanz"  geführt 
hat.  Die  Ganglienzellen  dagegen  häufen 
sich  zu  einer  dicken  Rindenschicht  um  die 
Leydig'sche  Punktsubstanz  an.  Aus  der 
centralen  Nervenmasse  entspringen  die 
peripheren  Nerven,  ebenso  die  Commis- 
si! ren.  die  Verbindungsstränge  zu  anderen 
Ein  Gnnglionpjuir  ähnlichen  Ganglienknötchen. 
uus  dfin  Bnuohinnrk  von  Fhro-  r>a  nun  die  meisten  Thiere  symme- 
XÄ'I^Är  W«*  gebaut  sin.l,  Hml,!  .„an  die  Ganzen 
darum  cino  Kindo  von  < iuiuxlk-n-  paarig  gruppirt;  em  linkes  und  ein  rech- 
zellen  (Mut,  VOl.  WH.  H\>.  LX  tes  Ganglion  entsprechen  einander  und  sind 
Länp^oinn.i.-snrui.  n.v abg<  h.-n-  durch  einen  Strang  von  Nervenfasern,  die 
de  Nerv.-nf^m   marh  Clans).  QU0ITOminissUI-  einheitlich  verbunden.  Am 

constantesten  sind  zwei  Ganglien,  welche 
dorsal  über  dem  Anfangsdarm  liegen  und  daher  die  oberen  Schlund- 
ganglien oder  auch  Hirnganglien  heissen.  Wenn  noch  weitere  Ganglien 
vorkommen,  so.  liegen  dieselben  ventral  und  unter  dem  Darm  (Bauch- 
mark). 


Fig.  :: 


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I 


Allgemeine  Zoologie. 


99 


Eine  weit  verbreitete  Einrichtung  ist  die  als  Str  ickleiter-  "JJJJf 
n  e  rvensy  st  ein  (Fig.  72)  bezeichnete  Form  (Anneliden  und  Arthro- 
poden). Zahlreiche  Ganglienpaare  (im  vorliegenden  Beispiel  neun) 
liegen  auf  der  Bauchseite  des  Thieres  hinter  einander  und  sind  durch 
Längsconimissuren  verbunden,  und  zwar  entsprechen  den  linken  und 
rechten  Ganglien  auch  linke  und  rechte  Commissuren.  Das  erste 
Paar  der  Reihe  wird  von  den  unteren  Schlundganglien  gebildet,  welche 
zwei  links  und  rechts  den  Darm  umgreifende  Commissuren  zu  den 
oberen  Schlundganglien  entsenden.  Obere  und  untere  Schlundganglien 
nebst  den  Schlundcommissuren  erzeugen  den  Schlund  ring,  einen 
Nervenring,  welcher  den  Anfangstheil  des  Darms  umfasst. 


Fig.  72. 


Fig.  73. 


Fig.  72.    Striekleiternervenaystein  von  Powell io 
«ruber  (Assel).    *l  Hirn,  D  liauchmark,  durch  die 
Schlundeonuuissuren  verbunden  mit  dem  Hirn,  b 
ein  früher  als  Syinnathicus  godeutetei  Strang 
(nach  Leydig). 


Fig.  73.  Querschnitt  durch  das  Rückenmark 
des  .Menschen  (aus  Wiedersheim),  schwarz  die  graue, 
weiss  die  weisse  Substanz;  Cc  Centralcanal,  um- 
geljen  von  der  vorderen  und  hinteren  Conmüssur 
/Cr/,  Üj,  Sp  Sulcus  anterior  und  posterior,  VW, 
IlW  vonlere  und  hintere  Nervenwurzel,  VII,  IUI 
Vorder-  und  Hinterhorn  der  grauen  Substanz,  V, 
S,  II  Vorder-,  Seiten-  und  llinterst ränge  der 
weissen  Substanz. 


4)  Die  röhr  ige  Form  des  Nervensystems  findet  sich  nur  bei  kücImo- 
den  Wirbelthieren  (Flg.  73)  und  den  den  Wirbelthieren  sehr  nahe  "Tura"^ 
stehenden  Larven  der  Tunicaten.  Hirn  und  Rückenmark  der  Wirbel- 
thiere  kann  man  als  die  in  verschiedener  Weise  entwickelten  Abschnitte 
einer  Röhre  mit  stark  verdickten  Wandungen  auffassen.  Im  Centrum 
liegt  der  äusserst  enge  Spinalcanal,  welcher  sich  nach  vorn  in  die 
einzelnen  Hirnventrikel  erweitert.  Auf  einem  Querschnitt,  sieht  man 
um  tlen  Spinalcanal  herum  die  Nervenelemente  genau  im  ent- 
gegengesetzten Sinne  gruppirt  als  bei  den  Ganglienknötchen.  Zu 
äusserst  liegt  eine  Schicht  Nervenfasern  (die  weisse  Substanz  der 
menschlichen  Anatomie);  nach  innen  davon  folgt  ein  aus  Ganglien- 
zellen   und   Nervenfasern    gebildeter    Kern    (die    graue  Substanz), 

7* 


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IOC) 


Allgemeine  Zoologie. 


welcher  durch  ein  besonderes  Epithel  gegen  den  Ccntralcanal  abge- 
grenzt wird. 

Fast  für  alle  Thierabtheilungen  hat  sich  nachweisen  lassen, 
dass  das  Nervensystem  aus  dem  Ectoderm  entsteht. 
Bei  vielen  Thieren  liegen  daher  die  Nervenstränge  und  Ganglicnknoten 
dauernd  in  der  Haut,  bei  anderen  nur  während  der  Entwicklung, 
um  später  durch  Abspaltung  oder  Einleitung  losgelöst  und  in  tiefere 
Körperschicliten  verlagert  zu  werden  (Fig.  i\  S. 

III.  Sinnesorgane. 

Was  wir  vom  Wesen  der  Aussenwelt  wissen,  gründet  sich  auf  die 
Erfahrungen,  welche  wir  durch  unsere  Sinnesorgane  gemacht  haben. 
Wir  kennen  daher  die  Aussenwelt  nur  insoweit,  als  sie  den  von  Ur- 
theilskraft  genau  controlirten  und  geschärften  Sinnen  zugängig  ist. 
So  kommt  es,  dass  die  aus  der  menschlichen  Physiologie  stammende 
Unterscheidung  von  ;">  Sinnen,  Tast-  oder  Hautsinn,  Geruch-, 
Geschmack-,  Gehör-  und  Gesichtssinn,  auf  das  ganze  Thier- 
reich übertragen  wurde.  A  priori  kann  allerdings  die  Möglichkeit 
nicht  bestritten  werden,  dass  bei  den  Thieren  Sinnesempfindungeu  vor- 
kommen, welche  uns  gänzlich  fehlen;  im  Verfolgen  dieses  Gedanken- 
ganges ist  man  sogar  zur  Aufstellung  eines  sechsten  Sinnes  gelangt, 
über  dessen  Wesen  man  sich  jedoch  nur  in  Vermuthungen  ergchen 
kann,  da  wir  uns  unmöglich  vom  Wesen  eines  uns  fehlenden  Sinnes 
eine  lebendige  Vorstellung  machen  können. 

Ein  weiterer,  noch  wichtigerer  Grund  für  die  Erscheinung,  dass 
unsere  Kenntnisse  vom  Sinnesleben  der  Thiere  sehr  fragmentarischer 
Natur  sind,  ist  dadurch  gegeben,  dass  wir  bei  der  physiologischen 
Deutung  von  Sinnesapparaten  uns  nur  selten  auf  Experimente  stützen 
können  und  somit  auf  Schlussfolgerungen  aus  dem  Bau  angewiesen 
sind.  Der  Hau  mancher  Sinnesorgane,  wie  der  Geruchs-  und  Ge- 
sclmiacksorganc.  ist  aber  keineswegs  so  ckarakteristisch,  dass  er  allein 
schon  zur  physiologischen  Deutung  berechtigte. 
Tastorgar«.  \]s  Tastorgan  functioiiirt  die  Haut  der  Thiere  meist  wohl  in 
ganzer  Ausdehnung,  wenn  auch  nicht  überall  mit  gleicher  Intensität. 
Hervorragende  Partien,  wie  die  Tentakelkronen  der  Polyjwn  und  vieler 
Würmer,  die  Fühler  der  Arthropoden  und  Schnecken,  werden  auf  die 
Benennung  immer  besonderen  Anspruch  machen  können.  Zum  Tasten 
dienen  Epithelzellen,  welche  mit  starren,  über  die  OberHäche  ragen- 
den Haaren,  den  Tastborsten  oder  Tasthaaren,  versehen  sind  (Fig.  74). 
Nur  bei  den  Wirbelthieren  Huden  die  Tastnerven  meist  unter  dem 
Epithel  in  besonders  moditicirten  Endorganen  (den  Vater  -  Pacini- 
schen  Körperchen,  den  Meissnersehen  Körperchen  etc.)  ihr  Ende 
(Fig.  7ö). 

J'"»choe-  e  r  11  r  n  s "  u,,(l  G  e  s  c  h  m  a  c  k  s  o  r  g  a  n  e  sind  nur  bei  den  Wirbel- 

thieren  mit  Sicherheit  bekannt.  Das  Geruchsorgan  der  Fische  besteht 
<fK»ne.  aHg  zwpj  (;rjjiK.|K,n  (|er  iiaut  vor  und  dorsalwärts  von  der  Mund- 
spalte. Bei  den  Luft  atlimenden  Wirbelthieren  werden  die  anfänglich 
ebenfalls  der  Haut  angehörenden  Geruchsgrübchen  in  die  dorsale 
Wand  der  Nasengänge  aufgenommen,  zweier  zur  Athmung  dienender, 
von  der  Körperobertläche  zur  Mundhöhle  führender  Canäle.  Da  nun 
die  im  Epithel  der  Grübchen  vertheilten  Riechzellen  häufig  durch 
Büschel   von  Riechhaaren  ausgezeichnet  sind,  da  ferner  auch  das 


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Allgemeine  Zoologie. 


101 


Epithel  der  Umgehung  gewöhnlich  bewimpert  ist,  so  ist  man  geneigt, 
bei  wirbellosen  Thieren  (z.  B.  Medusen,  Cephalopoden)  flimmernde,  von 
Nerven  versorgte  Hautgruben  für  Rieehorgane  zu  erklären,  zumal 
wenn  sie  in  der  Nachbarschaft  von  Athmungsorganen  auftreten  (Osphra- 
dium  der  Mollusken).  Indessen  giebt  es  Ausnahmen.  Bei  den  Arthro- 
poden hat  das  Experiment  es  wahrscheinlich  gemacht,  dass  die  An- 
tennen zum  Riechen  dienen.    Hier  kann  die  Sinnesempfindung  nur 


an  gewisse  modificirte  Haare,  die  Riech  röhrchen  der  Crustaceen 
und  die  Riechkegel  der  Insecten,  geknüpft  sein.  —  Was  nun  die 
(Ieschmacksorgane  anlangt,  so  wird  man  Nervenendigungen  im 
Bereich  der  Mundhöhle  als  solche  deuten,  da  die  (ieschmacksorgane 
der  Wirbelthiere ,  die  sogen.  G esch m acksknospen,  in  der  Mund- 
höhle, besonders  reichlich  auf  der  Zunge  liegen. 

Gehörorgan  und  Auge  nennt  man  die  höheren  Sinnesorgane,  o«w>'. 
weil  sie  für  unser  gesammtes  Erkennen  von  viel  grösserer  Bedeutung 
sind  als  die  übrigen  Sinnesorgane,  indem  sie  Empfindungen  vermitteln, 
welche  qualitativ  und  quantitativ  eine  viel  genauere  Bestimmung  zu- 
lassen. Gehör  und  Auge  haben  daher  einen  complicirteren  und  cha- 
rakteristischeren Bau,  welcher  ein  leichtes  Wiedererkennen  ermög- 
licht, zumal  da  zu  den  der  Empfindung  selbst  dienenden  Sinneszellen 
fast  stets  leicht  kenntliche  Hilfsapparate  hinzutreten. 

Die  Gehörorgane  der  Wirbelthiere  und  der  meisten  übrigen  Thier- 
stämme lassen  sich  auf  eine  einfache  Grundform,  das  Hörbläschen, 
zurückführen  (Fig.  7U).  Dasselbe  besitzt  eine  epitheliale  Wandung, 
einen  flüssigen  Inhalt,  das  Hörwasser  oder  die  Endolymphe, 
und  einen  einzigen  oder  zahlreiche  zu  einem  Haufen  zusammen- 
geballte Hör  st  eine  oder  Otolithen.  In  einem  bestimmten  Be- 
reich der  epithelialen  Wandung  sind  die  Zellen  zur  Crista  acu- 


Fig.  74.  Haut  eine«  Insects  mit 
einem  gewöhnlichen  Haar  (h)  und 
einem  Tasthaar  /(/.  n  Nerv, Sinnes- 


zelle, §  Epithel,  r  ("utieula 
(nach  v.  Rath). 


Fig.  7.">.  Kolbenkörperchen  aun 
tiein  Schnabel  der  Ente  (aus  Wieders- 
heim).  A  Nervenfaser  mit  Endkolben 
JK.  Q  innere.  L  äussere  Hüll lameUen, 
ZA  Kerne  der  letzteren,  Al  Axcncylin- 
der,  MS  Markscheide,  A7  Nerven- 


scheide. 


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102 


Allgemeine  Zoologie. 


Fig.  7t>.  Hoi-bläschen  rhu  <  Molhihks  (Picro- 
fracJtra).   X  Hörnerv,  Hx  Uöracllen  mit  «lt-r 
Centrakelle  (h,  W%  Wimpcraellen,  Ol  Otolitb 
(nach  Claus»). 


stica,  der  Hörleiste,  entwickelt:  sie  stehen  mit  dem  Hörnerven  (Nervus 
acusticus)  in  Verbindung  und  tragen  die  in  die  Endolymphe  hinein- 
ragenden Hörhaare.  Die  Otolithen  selbst  sind  Conoretionen  von  kohlen- 
saurem oder  phosphorsaurein 
Kalk,  ihre  Function  ist  noch 
nicht  aufgeklärt.  Sie  schwe- 
ben meist  frei  im  Centruni 
des  Bläschens  und  werden 
häufig  von  Flimmerbüscheln, 
die  von  den  nicht  sensiblen 
Epithelzellen  der  Wand  aus- 
gehen, oder  in  mannichfach 
anderer  Weise  in  ihrer  Lage 
gehalten. 

Jedes  Hörbläschen  ent- 
wickelt sich  durch  eine  gruben- 
förmige  Einstülpung  der  Haut 
und  ist  somit  vorübergehend 
ein  Hörgrü beben.  Daher 
darf  es  uns  nicht  wundern, 
dass  bei  vielen  Thieren  das 
Organ  auf  dieser  niederen 
Entwicklungsstufe  bestehen  bleibt,  wie  z.  Ii.  die  Flusskrebse  ein  offenes 
Hörorgan  oder  Hörgrübchen  besitzen.  Andererseits  kann  das  Hör- 
bläschen zu  einem  äusserst  verwickelten  Hohlraumsystem  auswachsen, 
so  namentlich  bei  den  Säugcthieren  (Fig.  77),  wo  es  durch  eine  Ein- 
schnürung in  den  Sacculus 
und  den  Utriculus  zerlegt  wird. 
Der  Sacculus  ist  mit  einein 
Spiral  gewundenen  Blindsack, 
der  Schnecke,  der  Utriculus 
mit  den  )\  halbkreisförmigen 

Canälen  versehen.  Dazu 
kommen  bei  den  Säugethieren, 
wie  den  meisten  WirbeUhieren 
Schema  dos  im-nsehliehen  Laby-    ,ije  schallleitenden  Apparate, 

1  den  2»Ä!55?I!SE;    um   dem    Gehörorgan  einen 

aussergewöhnlich  complicirten 
Bau  zu  verleihen. 

Da  es  nun  Thiere  giebt. 
welche,  ohne  Hörblasen  zu 
besitzen,  gut  hören,  wie  Spinnen  und  Insecten,  müssen  wir  annehmen, 
dass  es  Gehörorgane  giebt,  welche  nicht  nach  dem  Typus  der  Hör- 
bläschen gebaut  sind.  Sicheres  weiss  man  jedoch  nur  über  die  tym- 
panalen  Hörorgane  der  Heuschrecken  (vergl.  diese). 

Experimente  an  Repräsentanten  der  verschiedensten  Wirbelthier- 
Classen  haben  zu  «lern  Resultat  geführt,  dass  die  3  senkrecht  auf  ein- 
ander stehenden  halbkreisförmigen  Canäle  das  Gefühl  für  die  Gleich- 
gewichtslage des  Körpers  vermitteln.  Denn  nach  ihrer  Zerstörung 
fangen  die  Thiere  an  zu  taumeln  und  die  Balance  zu  verlieren.  Es 
ist  möglich,  dass  bei  den  Fischen  das  Labyrinth  ausschliesslich  diesen 
Zwecken  dient.  Denn  bis  jetzt  hat  man  nicht  mit  Sicherheit  feststellen 
können,  dass  die  Fische  hören.    Von  diesen  Erfahrungen  ausgehend, 


Fig. 
rinths. 

Caniilcn,  .S'Smrulus,  durch  den  Canalis  reunieiis 
mit  der  Schuirki-  /('/  verbunden,  R  Hwts.-us 
labyrinthi.  V  SrluKTkonblindsack.  A"  Kuppel- 
blindsack  (aus  ().  ll.  rt wig). 


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Allgemeine  Zoologie. 


103 


haben  neuere  Forscher  zu  beweisen  versucht,  dass  die  Hörbläschen 
der  wirbellosen  Thiere  ausschliesslich  oder  doch  vorwiegend  Organe 
des  Gleichgewichtssinnes  sind. 

Das  Auge  ist  bei  allen  Thieren  schon  an  der  Beschaffenheit  des 
Sinnesepithels,  der  Retina,  zu  erkennen.  Letztere  ist  stets  durch 
starke  Ablagerung  von  Pigment  ausgezeichnet,  welches  entweder  in 
den  Sinneszellen  liegt  oder  in  besonderen  Zellen,  die  zwischen  oder 
hinter  den  Sinneszellen  angebracht  sind.  Das  einfachst  gebaute  Auge 
erscheint  daher  als  ein  scharf  umschriebener,  mit  Nerven,  gewöhnlich 
auch  mit  einer  Linse  versehener  Pigmentfleck  im  Epithel  der  Haut 
(Fig.  78). 


Fig.  78. 


Fig.  79. 


Fig.  78.   Ocellus  for)  einer 
Meduse  (Lixxia  Koälikeri) 
mit  Linse  (l). 

Fig.  79.  Retina  de*  Mensehen 
(nach  Gegcnbaur).  P  Pigment- 
Schicht,  E  Schient  der  Seh- 
zellen ,  O  Ganglion  onticum. 
1  Limitans  interna,  2  }Serven- 
fasersehieht,  3  Ganglienzellen, 

4  innere  retieulirte  Sehieht, 

5  innere  Körnersehicht ,  C 
äussere  retieulirte  Sehieht,  7 
äussere  Körnerschicht.  .s'Liini- 
tans  externa,  0  Stäbehen-  und 
Zapfenschieht ,  10  Tapetum 
nigrum,  m  Müller'sche  Fasern. 

Die  Sinneszellen  selbst  tragen  meist  an  ihrem  peripheren  Ende 
einen  Aufsatz,  den  man  das  Rhabdom  nennt.  Das  Rhabdom  ist  eine 
Art  Cuticularbildung,  dient  wahrscheinlich  dazu,  die  Lichtwellen  auf- 
zufangen und  dadurch  die  Erregung  der  Sehzellen  zu  ermöglichen,  und 
hat  besonders  bei  den  Wirbelthieren  einen  complicirten  Bau,  insofern 
jedes  Rhabdom  aus  einem  Innen-  und  Aussenglied  besteht  Auch 
kann  man  hier  2  Arten  von  Rhabdomen,  Stäbchen  und  Zapfen,  unter- 
scheiden (Fig.  79). 


Auge. 


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104 


Allgemeine  Zoologie. 


Ehe  der  Sehnerv  sich  an  die  einzelnen  Sehzellen  vertheilt,  bildet 
er  noch  eine  Anschwellung,  das  Ganglion  opticum,  welches  ent- 
weder als  ein  geschlossener  Körper  ausserhalb  des  Auges  liegt  oder 
mit  der  Retina  zu  einem  zusammenhängenden  Ganzen  verschmilzt. 
Bei  den  Wirbelthieren  ist  die  ansehnliche  Dicke  der  Retina  (Fig.  79) 
dadurch  bedingt,  dass  sie  auch  das  Ganglion  opticum  enthält.  Die  als 
reticulirtc  Schichten,  Lagen  der  inneren  Körner  und  Ganglienzellen, 
Nervenfaserschicht  bezeichneten  Theile  bilden  das  Ganglion  opticum; 
die  Schicht  der  Sehzellen  besteht  nur  aus  der  äusseren  Körnerschicht 
und  den  aufsitzenden  Stäbchen  und  Zapfen.  Die  äusseren  Körner 
sind  die  Kerne,  die  zugehörigen  Stäbchen-  und  Zapfenfasern  die  Zellen- 
leiber der  Sehzellen. 


CXO  vo 


Fijr.  NO.    Horizontalsehnil  t  durch  das  menschliche  Auge  (nach  Arlt  aus  Hatschck). 
E  Epithel  der  Cornea  (Conjunetiva),  C  Cornea.  rA  vordere  Augenkammer.  /  Iris. 
hA  hinten»  Aupnkamiuer,  ;  Zonula  Zinnii,  (Ks  Ora  serrata,  Sc  Sclera,  Ch  Chorinidca, 
Ii  Retina,  p  Papille  des  Sehin-rvcn,  "l  Macula  lutea  (Stelle  des  sehärfsten  Sehen*1. 
VO  Seheide  des  X.  opticus,  \0  X.  opticus,  C  Arteria  centralis,  Cc  Corpus  ciliare. 

L  Linse,  Cr  (.«laskörpcr. 

Der  complicirte  Bau  vieler  Augen  wird  ferner  dadurch  veranlasst, 
dass  besondere  lichtbrechende  Körper  das  Licht  zum  Entwerfen  des 
Bildes  auf  der  Retina  concentriren  (Cornea,  Linse,  Glaskörper),  dass 
der  Lichtcinfall  der  Regulirung  (Iris)  bedarf,  dass  Ernährungsvorrich- 
tungen (Chorioidea)  und  Schutzvorrichtungen  gegeben  sein  müssen 
(Sclera).  Wenn  alle  diese  Theile  vorhanden  sind,  dann  kommt  ein 
Bau  zu  Stande,  wie  ihn  Tintentische  und  Wirbelthiere  bieten  (Fig.  80). 


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Allgemeine  Zoologie. 


\  105 


Das  Auge  der  Wirbelthiere  ist  vielfach  ein  nahezu  kugeliger  Körper, 
dessen  Oberfläche  von  einer  festen  Membran  gebildet  wird.  Im 
grössten  Theil  der  Circumferenz  ist  diese  Membran  undurchsichtig  fibrös 
oder  knorpelig  und  heisst  Sclera  oder  Sclerotica;  nur  im  vorder- 
sten Abschnitt  ist  sie  glashell  durchsichtig  und  bildet  hier  vermöge 
ihrer  stärkeren  Krümmung  einen  uhrglasförmigen  Aufsatz,  die  Cornea. 
Nach  innen  von  der  Sclera  liegt  die  Chorioidca.  eine  bindegewebige, 
pigment-  und  blutreiche  Hülle,  welche  an  der  Grenze  von  Sclera  und 
Cornea  sich  in  die  Iris  verwandelt.  Die  Iris,  der  Sitz  der  Augen- 
farbung.  ist  in  ihrer  Mitte  von  der  Pupille  durchbohrt,  einer  Oeffnung, 
deren  wechselnde  Grösse  den  Lichteinfall  regulirt.  Nach  innen  von 
der  Chorioidea  folgt  zunächst  eine  Lage  schwarzer  Zellen,  das  Tape- 
tum  nigrum,  und  endlich  die  Netzhaut  oder  Retina  selbst,  die 
Ausbreitung  des  am  hinteren  Ende  in  das  Auge  eintretenden  Seh- 
nerven. Tapetuni  nigrum  und  Retina  gehören  entwicklungsgeschicht- 
lich zusammen  und  endigen  daher  auch  beide  gemeinsam  am  Rand 
der  Pupille,  nachdem  die  Retina  schon  vorher  in  einiger  Entfernung 
vom  äusseren  Rand  der  Iris  an  der  Ora  serrata  ihren  nervösen  Cha- 
rakter verloren  hat. 

Der  Binnenraum  des  Auges  wird  von  dem  Corpus  vitreum, 
dem  Humor  aqueus  und  der  Linse  vollkommen  ausgefüllt. 
Für  den  Sehact  ist  die  Linse  der  wichtigste  Theil,  da  sie  nächst  der 
Cornea  den  Gang  der  Lichtstrahlen  am  meisten  beeinflusst.  Sie  liegt 
hinter  der  Iris  befestigt  an  dem  vorderen  Rand  der  Chorioidea.  welche 
hier  zu  dem  Corpus  ciliare  umgewandelt  ist.  Vor  ihr  befindet  sich 
die  seröse  Flüssigkeit  des  Humor  aqueus  in  der  sogenannten  hinteren 
Augenkammer,  zwischen  Linse  und  Iris,  und  in  der  vorderen  Augen- 
kammer, zwischen  Iris  und  Cornea.  Den  viel  ansehnlicheren  einheit- 
lichen Raum  hinter  der  Linse  füllt  ein  gallertartiger  Gewebskörper, 
der  Glaskörper  oder  das  Corpus  vitreum,  aus. 

Zwischen  dem  einfachen  Piginenttleck  und  dem  hochorganisirten 
Wirbelthierauge  finden  sich  vielerlei  Ausbildungsstufen :  Pigmentflecke 
mit  Linse,  Pigmentflecke  mit  Linse  und  Glaskörper,  mit  hüllenden  und 
ernährenden  Häuten  etc.  Einen  besonderen  Entwicklungstypus  zeigt 
das  Facettenauge  der  Insecten  und  Krebse,  auf  dessen  Hau  wir  bei 
den  Arthropoden  zurückkommen  werden. 


Zusammenfassung  der  wichtigsten  Punkte  der  Orgaiiologie. 


1)  Organe  sind  Gewebscomplexe,  welche  gegen  ihre  Umgebung 
zur  Bildung  eines  Körpers  von  bestimmter  Gestalt  abgegrenzt  sind 
und  eine  einheitliche  Function  verrichten;  jedes  Organ  kann  somit 
morphologisch  (nach  seinem  Bau  und  seinen  Lagebeziehungen)  und 
physiologisch  (nach  seiner  Function)  charakterisirt  werden. 

2)  Organe  verschiedener  Thierarten  können  physiologisch 
gleich  werthig  sein:  analoge  (gleichartig  funetionirende)  Organe. 

3)  Organe  verschiedener  Thierarten  können  morphologisch 
gleich werth ig  sein:  homologe  (in  gleichen  Lagebczichungen  auf- 
tretende) Organe. 


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106  Allgemeine  Zoologie. 

4)  Bei  der  Vergleichung  der  Organe  zweier  Thiere  können  sich 
3  Möglichkeiten  ergeben: 

a)  sie  sind  homolog  und  analog  zugleich, 

b)  sie  sind  homolog,  aber   nicht  analog  (Schwimmblase  der 
Fische,  Lunge  der  Säugethiere), 

c)  sie  sind  analog,  aber  nicht  homolog  (Kiemen  der  Fische, 
Lungen  der  Säugethiere). 

f>)  Die  Organe  theilt  man  ein  in  an  i  male  und  vegetative. 

G)  Anlmale  Functionen  sind  Functionen,  welche  zwar  der  Pflanze 
nicht  vollkommen  fremd  sind,  aber  bei  ihr  verkümmern,  dagegen  im 
Thierreich  ihre  Fortbildung  erfahren  und  das  Charakteristische  des 
Thieres  ausmachen. 

7)  Vegetative  Functionen  sind  in  gleicher  Vollkommenheit,  wenn 
auch  in  verschiedener  Weise  bei  Pflanze  und  Thier  ausgebildet. 

8)  Zu  den  animalcn  Organen  gehören  die  Organe  der  Bewegung 
und  Empfindung,  d.s.  die  Muskeln,  die  Sinnesorgane,  das  Nerven- 
system. 

9)  Zu  den  vegetativen  Organen  gehören  die  Organe  der  Ernäh- 
rung und  der  Fortpflanzung. 

10)  Unter  Ernährung  im  weitesten  Sinne  verstehen  wir  nicht 
nur  die  Aufnahme  und  Verdauung  von  Speise  und  Trank,  sondern 
auch  die  Aufnahme  von  Sauerstoff  (Athmung),  die  Vertheilung  der 
Nahrung  an  die  Körperprovinzen,  die  Entfernung  des  unbrauchbar 
Gewordenen. 

11)  Zu  den  Organen  der  Ernährung  gehören  daher  nicht  nur  der 
Darm  und  seine  Anhangsdrüsen,  sondern  auch  die  Athmungsorgaue, 
das  Blutgcfässsystcm  und  die  Excretionsorgane  (Niere). 

12)  Zur  Fortpflanzung  dienen  die  männlichen  und  weiblichen 
Geschlechtsorgane. 

l.'l)  Beiderlei  Geschlechtsorgane  können  auf  2  Thiere  vertheilt 
(G  onochori  sm  us)  oder  in  einem  und  demselben  vereinigt  sein 
(Her m  a p h  r o d i  t i  s m  u s). 

14)  Der  höchste  Grad  von  Hermaphroditismus  wird  erreicht,  wenn 
ein  und  dieselbe  Drüse  (Zwitterdrüse)  sowohl  Eier  wie  Samenfaden 
erzeugt. 

15)  Häufig  sind  Geschlechtsorgane  und  Harnwege  innig  vereinigt; 
dann  spricht  man  von  einem  Urogenitalstem. 


4.  Proinorphologie  oder  (»rundfoniieiilehre  der  Thiere. 

Auf  gesetzmässiger  Vereinigung  verschieden  funetionirender  Organe 
beruht  der  Bau  der  Einzelthiere.  Die  Organe  nehmen  dabei  ein  Lage- 
verhältniss  zu  einander  ein,  welches  für  jeden  einzelnen  Thierstamm 
ein  bestimmtes  ist  oder  doch  nur  in  untergeordneter  Weise  variirt. 
Vergleicht  man  die  einzelnen  Thierstämme  mit  Rücksicht  auf  das  An- 
ordnungsprineip  der  Theile.  so  kommt  man  zur  Aufstellung  einiger 
weniger  Grundformen,  welche  für  den  Morphologen  eine  ähnliche  Rolle 
spielen  wie  die  Grundformen  der  Krystalle  für  den  Mineralogen.  Nur 
darf  man  in  Verfolgung  dieses  Vergleiches  die  Lehre  von  den  Grund- 


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Allgemeine  Zoologie. 


107 


formen  oder  die  Proinorphologie  der  Thiere  nicht  als  eine  eben- 
bürtige Wissenschaft  der  Kristallographie  zur  Seite  stellen  wollen. 
Ein  Krystall  ist  eine  aus  gleichartigen  Theilen  bestehende  Masse; 
seine  Forin  ist  die  nothwendige  und  unmittelbare  Folge  der  chemisch- 
physikalischen  Beschaffenheit  seiner  Molecüle.  Ein  derartiger  directer 
Zusammenhang  zwischen  Molecularstructur  und  Grundform  ist  bei  den 
Organismen  nicht  vorhanden  und  kann  nicht  vorhanden  sein,  da  schon 
jedes  Organ  sich  aus  vielerlei  chemischen  Verbindungen  zusammen- 
setzt. Daher  fehlt  auch  die  den  Krystallen  zukommende  mathematische 
Regelmässigkeit.  Selbst  bei  den  Thieren,  welche  die  grösste  Regel- 
mässigkeit in  der  Anordnung  der  Theile  besitzen,  fügen  sich  dieselben 
nicht  sämmtlich  den  Anforderungen  der  Grundform,  so  dass  wir  ge- 
nöthigt  sind,  grössere  oder  kleinere  Abweichungen  unberücksichtigt  zu 
lassen.  Wenn  wir  z.  B.  den  Menschen  bilateral  symmetrisch  nennen, 
so  müssen  wir  unberücksichtigt  lassen  nicht  nur  die  kleinen  Asym- 
metrien von  schiefen  Nasen  etc.,  sondern  auch  die  wesentlicheren:  dass 
die  Leber  auf  die  rechte,  das  Herz  auf  die  linke  Seite  verschoben  ist, 
dass  der  Darm  in  vollkommen  asymmetrischer  Weise  verläuft. 

Man  kann  nun  durch  den  Körper  eines  Thierus  nach  den  drei 
Dimensionen  des  Raums  drei  auf  einander  senkrechte  Axen  legen  und 
nach  ihrer  Beschaffenheit  ihn  bis  zu  einem  bestimmten  Grade 
charakterisiren ;  ferner  kann  man  den  Körper  auch  charakterisiren  nach 
den  Ebenen,  in  denen  man  ihn  symmetrisch  halbiren  kann,  den  Sym- 
metrieebenen. So  kommt  man  zur  Aufstellung  folgender  Grund- 
formen : 

1)  anaxone,  asymmetrische,  irreguläre  oder  amorphe  Grundform 
(Fig.  81), 

2)  homaxone,  allseitig  symmetrische,  sphärische  Grundform  (Fig.  82), 
vi)  monaxone,  radial  symmetrische  Grundform  (Fig.  83), 

4)  einfach    heteraxone,    zweistrahlig    symmetrische  Grundform 
(Fig.  84,  85), 

f>)  doppelt  heteraxone.  bilateral  symmetrische  Grundform  (Fig.  86). 

Ii  Anaxon  oder  asymmetrisch  nennen  wir  Thiere,  bei  denen 
die  Anordnung  der  Theile  in  keiner  Richtung  des  Raumes  gesetzmässig 
bestimmt  ist.  welche  daher  in  jeder  Richtung  unregelmässig  weiter 
wachsen  können.  Bei  ihnen  ist  kein  in  bestimmten  Beziehungen  zur 
Organisation  stehender  Mittelpunkt  gegeben;  es  ist  ferner  unmöglich, 
bestimmte  Axen  durch  den  Körper  zu  legen  oder  den  Körper 
in  symmetrische  Stöcke  zu  theilen  (viele  Schwämme  und  viele  Pro- 
tozoen). 

2)  Homaxone  oder  sphärische  Thiere  haben  die  Grundform 
der  Kugel:  die  Theile  des  Körpers  sind  concentrisch  um  einen  fest- 
stehenden Mittelpunkt  angeordnet,  so  dass  beliebig  viele  Axen  und 
Symmetrieebenen  hindurchgelegt  werden  können,  nämlich  alle  Linien 
und  Ebenen,  welche  durch  den  Mittelpunkt^ler  Kugel  verlaufen  (wenige 
kugelige  Protozoen,  namentlich  Radiolarien). 

'M  Monaxonie  oder  Rad i a  1  sy m m et r i e  wird  herbeigeführt, 
wenn  in  einer  bestimmten  Richtung  das  Waclisthum  und  demgemSss 
auch  die  Bildung  der  Organe  in  anderer  Weise  sich  vollzieht,  als  in 
den  senkrecht  dazu  gestellten  Richtungen.  Wir  nennen  die  Linie, 
welche  diese  Richtung  bezeichnet,  Hauptaxe  im  Gegensatz  zu  den  noch 
unter  einander  gleichen  Nebenaxen  oder  Radien.  Die  Hauptaxe  kann 
als  solche  bestimmt  sein,  weil  sie  länger  oder  kürzer  ist  als  die  Neben- 


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ins 


Allgemeine  Zoologie. 


«ixen;  sie  kann  aber  auch  gleich  lang  wie  diese  und  dennoch  genau 
bestimmt  sein,  indem  sie  gewisse  Organe  (z.  B.  die  Mundöffnung)  ent- 
hält, welche  in  den  anderen  Richtungen  fehlen.  Bei  radialsyminetrischen 


Fig.  Sl.  SmnujiUn  fhtrintilis  (nach  Huxlcy). 
a  oWrfläcnlich»'  Schicht  mit  Dermnl|><>ren, 
b,  0  Gegend  der  (Tcisselkaiuiner,  d  Osculu  in . 


Fig.  82.    Haliomma  erinaems.  a  äussere,  i  in- 
nere Gittcrkugel,  ck  Centraikapsel,  irk  extracapsu- 
lärer  Weicnkörper,  n  Binnenbläschen  (Kern). 


Flg. 83.  .NV/»s/7//o<;.  eiii(>acra-*])o«lc  RfedtU«' inach  Langt,  vom 
oralen  Ende  der  stark  verkürzten  Hauptaxc  aus  betrachtet. 
vr  Perradien,  ir  Interradicn .  ar  Adradien  (Perradien  und 
Interradicn  bezeichnen  die  1  Symmctrieebenen  des  Thieres». 
.•>•/■  Suhradien,  rl  Randlappctl,  i  Tentakeln,  $k  Ramlkörper, 
tj  Geschlechtsorgane,  ///'(iasindfilamente,  m  Biibombrelüurer 
Ringmuskel;  im  Gentium  dir  krenzfönnige  Mundöffnung. 


Fig.  84.  Schema  einer  Actinie 
nach  Angelo  Andres  iaus 
Hatschek).  Seitliche  Anficht, 
senkrecht  zur  stark  verlän- 
gerten Hauptaxe. 


Thieren  sind  dieselben  Organe  stets  in  grösserer  Anzahl  vorhanden 
und  gleichmässig  um  die  Hauptaxe  in  der  Richtung  der  Radien  ver- 


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Allgemeine  Zoologie.  109 

theilt.  Durch  ein  solches  Thier  kann  man  eine  grössere  Anzahl  Schnitte 
führen,  welche  durch  die  Längsaxe  gehen  und  den  Körper  symmetrisch 
halbiren.  Zerschneidet  man  das  Thier  in  der  Richtung  aller  möglichen 
Syinmetrieebencn,  so  erhält  man  Stücke,  welche  im  Wesentlichen  gleich 
gebaut  sind.  Gewisse  Thierstämme,  wie  die  meisten  Echinodermen  und 
Coelenleratcn,  sind  mehr  oder  minder  vollkommen  radial-symmetrisch. 


svnniictrwvbenc    des    Körper*    liezciehnen,  Pig.  SU».  Querschnitt  durch  einen  Fisch  auf  der 

Rikrend  <lie  zweite  dazu  senkrecht  stellt.  Höhe  der  vorderen  Extremität.   I>  V  Sagittalaxe, 

/-/I"  (Velen  der  Septenpaare  I— IV.  ()rd-  HL  Transversalaxe ;  n  Aorta  descendens,  r  Lei- 

'Miiip.    Ii  Binnenfach  1.  Ordnung,  'A  Zwi-  hoshöhle,  d  Dann.  Ch  Chorda,  g  Sehultergürtcl, 

i  h»nifach  1. Ordnung,  in  welchem  neuangelegt  h  Herz.  ///  Muskeln.  //  vorderes  Ende  der  Niere, 

und  Septenpaare  und  Binnenfächer  II.,  III.,  p  IVricard.  oh  obere  Bogen,  ub  untere  Bogen, 

IV.  Ordnung  [f/1  </•  [/*)',  x  Schlundrinncn.  r  Rückenmark. 

4)  und  5)  Die  nächsten  2  Grundformen  haben  das  Gemeinsame, 
dass  drei  ungleiehwerthige,  auf  einander  senkrecht  stehende  Axen 
unterscheidbar  sind,  die  man  als  Hauptaxe,  Quer-  oder  Transversalaxe 
und  Pfeil-  oder  Sagittalaxe  bezeichnet:  dies  ist  der  Fall,  wenn,  abge- 
sehen von  der  Hauptaxe,  auch  in  der  Sagittalrichtung  eine  andere 
Organvertheilling  herrscht  als  in  der  Transversalrichtung,  wenn  in  der 
ersteren  Organe  liegen,  die  in  der  letzteren  fehlen,  und  umgekehrt. 
Dann  sind  zunächst,  solange  es  sich  nur  um  Ungleichwerthigkeit  der 
Axen  handelt.  2  Symmetrieebenen  möglich :  man  kann  das  Thier  sym- 
metrisch theilen,  1)  wenn  man  den  Schnitt  durch  Haupt-  und  Trans- 
versalaxe, 2)  wenn  man  ihn  durch  Haupt-  und  Sagittalaxe  legt.  Der- 
artige zweistrahlig  symmetrische  Thiere  sind  die  Ctenophoren, 
Äctinien  (Fig.  *4,  86)  und  Corallen. 

Nehmen  wir  nun  weiter  an,  dass  die  Enden  der  Sagittalaxe  un- 
gjeichwerthig  werden,  dass  an  dem  einen  Ende  ganz  andere  Organe 
als  an  dem  entgegengesetzten  liegen,  dann  erhalten  wir  die  weitest 
verbreitete  Grundform,  die  bilaterale  Symmetrie.    Die  ungleich- 


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Allgemeine  Zoologie. 


werthigen  Enden  «1er  Sagittalaxe  nennt  man  „dorsal"  und  „ventral", 
womit,  dann  ferner  die  Bezeichnungen  „rechts4*  und  „links"  für  die 
Enden  der  Transversalaxe  gegeben  sind ;  ein  bilateral  symmetrisches 
Thier  kann  man  nur  in  eine  linke  und  rechte  Hälfte  symmetrisch 
theilen  durch  einen  in  der  Richtung  von  Längs-  und  Sagittalaxe  ge- 
führten Schnitt,  den  Medianschnitt:  ein  Frontalschnitt  (Schnitt  durch 
Längs-  und  Queraxe)  ergiebt  stets  ungleichwerthige  Theile,  Rücken- 
und  Bauchseite. 

nndttSE  Die  symmetrischen  Stücke  eines  Thieres  nennt  man  Antimeren; 
meren.  jedes  Antimer  besitzt  Organe,  welche  in  seinem  Nebenantimer  eben- 
falls vorkommen.  Dem  rechten  Arm  des  Menschen  entspricht  der 
linke,  dem  rechten  Auge  das  linke  etc.  Dieselben  Organe  wieder- 
holen sich  somit  in  der  Richtung  der  Queraxe.  Nun  kommt  es  aber 
im  Thierreich  sehr  häufig  vor,  dass  die  Wiederholung  der  Organe 
nicht  nur  in  der  Richtung  der  Queraxe,  sondern  auch  in  der  Richtung 
der  Längsaxe  stattfindet,  dass  der  Körper  nicht  nur  aus  symmetrischen 
Stücken,  den  Antimeren,  sondern  auch  aus  gleichartig  aufeinander 
folgenden  Theilen,  den  Metameren,  zusammengesetzt  ist.  Dies 
führt  uns  auf  den  Begriff  der  Gliederung  oder  Segmentirung. 

In°u"swd        Von  G 1  i  e  d  e  r  u  n  g  oder  Segmentirung  spricht  man,  wenn  der 

Gliederung.  Körper  eines  Thieres  aus  zahlreichen  Segmenten  oder  Metameren  be- 
stellt (cf.  Fig.  f>G).  Vielfach  ist  das  äusserlich  schon  zu  erkennen, 
wenn  nämlich  die  Segmentgrenzeii  auf  der  Oberfläche  durch  Einker- 
bungen niarkirt  sind  {Arthropoden  und  Anneliden).  Die  „äussere 
Gliederung"  kann  aber  gänzlich  fehlen  und  die  Gliederung  nur 
innerlich  in  der  reihenweisen  Aufeinanderfolge,  in  der  metameren 
oder  segm cntalen  Anordnung  der  Organe,  zum  Ausdruck 
kommen.  Der  Mensch  ist  z.  B.  innerlich  gegliedert,  weil  unter  Anderem 
sein  Skelet  aus  zahlreichen  gleichwertigen  Stücken,  den  Wirbeln,  be- 
steht, die  in  der  Längsaxe  aufeinander  folgen.  Beim  Fisch  besteht 
auch  die  Muskulatur,  wovon  man  sich  an  jedem  gekochten  Fisch  leicht 
überzeugen  kann ,  aus  zahlreichen  Muskclsegmenten.  Bei  dein  auch 
äusserlich  gegliederten  Regenwurm  kehren  in  jedem  Segment  die  Gang- 
lienknötchen,  die  Gefässsehlingen,  die  Nierencanälchen  oder  Segmental- 
gorane,  die  Borstenbüschel  und  die  Scheidewände  der  Leibeshöhle  wieder. 

Homonome        tjü»  genannten  Beispiele  sind  zugleich  geeignet,  um  das  Wesen 

und  hetero-  v  .  «  ,  .     ,  i  i 

nooe  Uli«- der  verschiedenen  rönnen  der  Gliederung,  der  nomonomen  und 
h e terono m e n  Gliederung,  zu  erläutern.  Der  Regenwurm  ist homonom 
gegliedert,  weil  die  einzelnen  Segmente  im  Bau  einander  ausserordent- 
lich gleichen  und  nur  geringfügige  Unterschiede  zwischen  dem  Kopf, 
dem  Hinterende  und  den  Genitalsegmenten  vorhanden  sind.  Die 
Menschen  und  alle  Wirbelthiere  sind  dagegen  heteronom  gegliedert, 
weil  die  aufeinander  folgenden  Segmente  trotz  mancher  Uebereinstiiu- 
mung  einander  sehr  unähnlich  geworden  sind.  Die  Segmente  des 
Kopfes  haben  eine  ganz  andere  Bedeutung  für  den  Gesammtorganisnius 
wie  die  des  Halses  oder  der  Brust  oder  gar  der  Schwanzregion. 
Zwischen  den  Segmenten  eines  heteronomen  Thieres  ist  eine  Al- 
be i  t  s  t  h  e  i  1  u  n  g  eingetreten. 

Die  Unterschiede  zwischen  Heteronomic  und  Homonomie  sind  von 
hervorragendem  physiologischen  Interesse.  Je  verschiedenartiger  die 
Segmente  eines  Thieres  geworden  sind,  um  so  mehr  sind  sie,  um  normal 
funetioniren  zn  können,  auf  einander  angewiesen,  um  so  einheitlicher 
zusammengefügt  ist  das  Ganze,  so  dass  die  einzelnen  Theile  nur  in 


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Allgemeine  Zoologie. 


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ihrem  Zusammenhang  zu  leben  vermögen.  Umgekehrt  ist  der  Zu- 
sammenhalt der  Theile  um  so  lockerer,  je  gleichartiger  sie  sind,  je 
mehr  sie  im  Falle  der  Trennung  für  einander  vicariiren  können.  Dies 
äussert  sich  am  schönsten  bei  Verstümmelungen.  Manche  Lumbri- 
eiden  kann  man  durchschneiden  und  beobachten,  dass  nicht  nur  jedes 
Stück  für  sich  weiter  lebt,  sondern  dass  es  sogar  das  Fehlende  er- 
gänzt: wenn  dagegen  ähnliche  Eingriffe  heteronom  gegliederte  Thiere 
betreffen,  tritt  entweder  sofort  der  Tod  ein,  wie  bei  den  höheren 
Wirbelthieren,  oder  die  Stücke  leben  nur  kurze  Zeit  eine  hoffnungslose 
Existenz  weiter,  wie  Frösche,  Schlangen,  Insecten  etc.  erkennen  lassen. 
Bei  der  Gliederung  wiederholt  sich  somit  eine  Erscheinung,  welche 
im  Thierreich  eine  weite  Verbreitung  besitzt  und  zu  der  höheren  Ent- 
wicklung desselben  beiträgt;  zunächst  tritt  eine  Vervielfältigung  der 
Theile  (hier  der  Segmente)  ein,  dann  wieder  eine  Arbeitstheilung,  so 
dass  das  Endresultat  ein  vielgestaltiges,  trotzdem  aber  wieder  ein- 
heitlich organisirtes  Ganze  ist. 


II.  Allgemeine  Entwicklungsgeschichte. 


Da  jede  Entwicklung  mit  einem  Act  der  Zeugung  beginnt,  so 
haben  wir  zunächst  in  diesem  Kapitel  zu  erörtern,  in  welcher  Weise 
Organismen  neu  entstehen  können.  Wenn  wir  hierbei  allein  das  Ge- 
biet des  Beobachteten  berücksichtigen  wollten,  so  müssteu  wir  uns 
an  den  alten  Satz  des  berühmten  Engländers  Harvey  halten:  Omne 
vivum  ex  ovo,  und  denselben  etwas  moditicirend  sagen:  Omne  vivum 
ex  vivo,  dass  jeder  lebende  Organismus  von  einem  anderen  lebenden 
Organismus  abstammt.  Wir  müssten  uns  auf  die  Entstehungsweisen 
beschränken,  welche  man  als  Tocogonie  oder  Elternzeugung  bezeichnet 
hat.  Die  grosse  Bedeutung,  welche  jedoch  die  Lehre  von  der  eltern- 
losen Zeugung  oder  der  Urzeugung  in  der  Neuzeit  durch  den  Darwi- 
nismus gewonnen  hat,  macht  ein  Eingehen  auf  dieselbe  an  dieser 
Stelle  nöthig. 

1.  Generatio  spontanen.  Archigonie. 

Die  alten  Zoologen,  selbst  Aristoteles,  Hessen  zahlreiche 
Thiere,  darunter  auch  höher  organisirte  Formen,  wie  Frösche  und  die 
meisten  Insecten,  aus  dem  Schlamm  durch  Urzeugung  entstehen.  Erst 
im  17.  und  18.  Jahrhundert  fand  diese  Lehre  ihre  energischen  Gegner 
in  S p a  1 1  a n z a n i ,  Francesco  Redi,  R ö s e  1  v. R o s e n h o f,  S w a m - 
merdam  u.  A.,  welche  den  experimentellen  Beweis  beizubringen 
suchten,  dass  alle  Thiere  Eier  legen,  welche  durch  Samen  befruchtet 
werden  müssen,  um  sich  weiter  zu  entwickeln.  Gegenüber  diesen 
überzeugenden  Untersuchungen  flüchtete  sich  die  Lehre  von  der  Ur- 
zeugung auf  das  Gebiet  der  Naturgeschichte  der  niederen  Thiere. 
Sie  fand  hier  neue  Stützpunkte  in  dem  Auftreten  der  Parasiten  im 
Innern  anderer  Thiere,  welche  bei  Beginn  ihres  Lebens  zweifellos  frei 
von  Inwohnern  gewesen  sein  mussten.    Die  Parasitologen  nahmen  an, 


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112 


Allgemeine  Zoologie. 


dass  die  Parasiten  aus  dem  überschüssigen  plastischen  Material  ihrer 
Wirthe  vollkommen  neu  entständen,  bis  durch  eine  Reihe  epoche- 
machender Arbeiten  die  Wege  festgestellt  wurden,  auf  denen  die  sich 
aus  Eiern  entwickelnden  Jugendformen  der  Parasiten  in  den  Körper 
ihres  Wirthes  hinein  gelangen.  —  Als  Beweis  für  die  Lehre  von  der 
Urzeugung  galt  endlich  bis  in  die  Neuzeit  die  Thatsache,  dass  sich 
in  ganzlich  unbelebten  Gläsern  mit  Wasser  nach  einiger  Zeit  thierisches 
und  pflanzliches  Leben  bemerkbar  macht,  dass  namentlich  einzellige 
Organismen,  Infusionstierchen  etc.,  in  solchen  Glasern  auftreten,  dass 
ferner  organische  Flüssigkeiten  in  Folge  der  Entwicklung  niederster 
Pflanzen,  der  Haderien.  in  Fäulniss  übergehen.  Jetzt  wissen  wir.  dass 
in  allen  diesen  Fällen  Keime  von  Organismen,  welche  durch  die  Luft 
verschleppt  worden  waren.  Veranlassung  zu  der  Neuentwicklung  von 
Leben  gewesen  sind.  Tödtet  man  durch  Erhitzen  der  Gläser  und 
Kochen  der  Flüssigkeiten  die  Keime  ab  und  verhindert  man  durch 
geeignete  Verschlussmittel  den  Zutritt  neuer  Lebensträger,  so  bleibt 
eine  derartige  „sterilisirte  Flüssigkeit"  dauernd  unverändert.  Freilich 
hat  sich  dabei  herausgestellt,  dass  die  Keime,  namentlich  von  Bactcrien, 
eine  ganz  aus>ergewöhnliche  Widerstandskraft  entwickeln  und  nicht 
selten  mehr  als  10  Minuten  gekocht  werden  müssen,  ehe  sie  zu  Grunde 
gehen.  Als  Endresultat  aller  neueren  Versuche  und  Beobachtungen 
kann  nur  das  Eine  gelten,  dass  die  derzeitige  Existenz  einer 
Urzeugung  nicht  bewiesen  ist.  Nun  fragt  sich,  mit  welchem 
Kechte  kann  man  daraus  folgern,  dass  Urzeugung  weder  existirt  noch 
je  existirt  hat. 

Wer  entsprechend  den  Lehren  der  Astronomie  die  Ansicht  vertritt, 
dass  unser  Erdball  sich  einmal  in  einem  feurig-flüssigen  Zustand  be- 
funden hat  und  erst  allmählig  erkaltete,  muss  annehmen,  dass  das 
Leben  auf  der  Erde  nicht  von  Urewigkeit  existirte.  sondern  einmal 
seinen  Anfang  gehabt  hat.  Will  er  ferner  nicht  einen  übernatürlichen 
Sehöpfungsact  oder  willkürlich  aufgestellte  Hypothesen,  wie  die  von 
der  Verschleppung  lebender  Keime  von  anderen  Weltkörpern  mittelst 
der  Meteore,  zur  Erklärung  heranziehen,  so  bleibt  ihm  nur  die  Hypo- 
these übrig,  dass  nach  den  allgemein  giltigen  und  jetzt  noch  zu  be- 
obachtenden Gesetzen  der  Affinität  oder  chemischen  Wahlverwandt- 
schaft Verbindungen  von  Kohlenstoff.  Sauerstoff,  Wasserstoff,  Schwefel 
und  Stickstoff  sich  zusammengefügt  haben,  um  lebende  Substanz  zu 
erzeugen.  Diesen  Process  nennt  man  U  rzeu  gu  n  g.  Da  der  Kohlen- 
stoff, Sauerstoff.  Stickstoff  etc..  welche  jetzt  in  Organismen  festgelegt 
sind,  damals  noch  disponibel  waren,  mögen  die  Bedingungen  für  die 
Entstehung  organischer  Verbindungen,  durch  deren  weiteres  Zusam- 
mentreten das  Leben  möglich  wurde,  günstiger  gewesen  sein.  So 
g  e  s  t  a  1 1  e  t  sich  die  II  y  p  o  t  h  e  s  e  v  o  n  d  e  r  eisten  Entstehung 
des  Lebens  durch  Urzeugung  zu  einem  logischen  Po- 
st u  1  a  t. 

Die  Lehre  kann  aber  nicht  weiter  dahin  ausgedehnt  werden,  dass 
auch  jetzt  noch  Urzeugung  existiren  muss.  Hierfür  kann  nicht  nur 
kein  zwingender  Grund  geltend  gemacht  werden,  vielmehr  spricht  sogar 
Mancherlei  dagegen.  Wie  Darwin  in  seiner  Lehre  vom  Kampf  ums 
Dasein  in  überzeugender  Weise  dargethan  hat,  sind  die  Existenzmög- 
lichkeiten auf  der  Oberfläche  unseres  Erdballs  erschöpft.  Neue  Lebe- 
wesen sind  nur  möglich,  wenn  andere  zu  Grunde  gehen.  Wie  sollte 
da  die  Urzeugung  noch  weiter  an  einer  Vermehrung  der  Individuen 


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Allgemeine  Zoologie. 


113 


und  Arten  thätig  sein  können,  wo  für  die  günstiger  situirte  lebende 
Materie  der  Raum  nicht  ausreicht? 


2.  Eltonizeuguiig  oder  Tocogoiiie. 

Nach  den  vorausgeschickten  Erörterungen  haben  wir  uns  hier  nur 
mit  den  Fortpflanzungsarten,  welche  thatsächlich  beobachtet  worden 
sind,  zu  befassen,  mit  den  Elternzeugungen.  Dieselben  zerfallen  vor- 
nehmlich in  2  grosse  Gruppen,  die  ungeschlechtliche  und  die  ge- 
schlechtliche Zeugung,  Monogonie  und  Amphigonie,  zu  denen 
eine  dritte  Gruppe,  die  gemischten  Fortpflanzungsweisen,  noch  hinzu- 
kommt. 

a)  Ungeschlechtliche  Fortpflanzung.  Monogonie. 

Zum  Wesen  der  ungeschlechtlichen  Fortpflanzung  gehört  zunächst, 
dass  bei  ihr  nur  ein  einziger  Organismus  thätig  ist  Da  nun  bei  ge- 
wissen geschlechtlichen  Fortpflanzungsweisen,  wie  bei  der  Fortpflanzung 
herraaphroditer  Thiere  und  der  Parthenogenesis,  dieser  Satz  ebenfalls 
zutrifft,  so  bedarf  er  noch  der  Erläuterung.  Die  ungeschlechtliche 
Fortpflanzung  muss  auf  Wachsthumsvorgänge  zurückgeführt  werden; 
man  kann  sie  mit  einem  gewissen  Recht  als  ein  Wachsthum  über 
das  individuelle  Maass  definiren.  Ein  durch  Wachsthum  er- 
zeugter Ueberschuss  an  Körpermaterial  wird  zur  Bildung  neuer  In- 
dividuen verwandt.  Das  Wachsthum  des  Organismus  kann  nun  ent- 
weder ein  allgemeines  sein  und  zu  einer  gleichmässigen  Vergrösserung 
des  Thieres  in  allen  seinen  Theilen  führen,  oder  es  ist  localisirt  und 
bedingt  eine  partielle  Vergrösserung  und  demgemäss  die  Bildung  eines 
Auswuchses  in  der  Gegend  des  starken  Wachsthums;  im  ersteren  Falle 
kommt  es  zur  Theilung,  im  letzteren  Fall  zur  Knospung. 

Bei  der  Theil  ung  (cf.  Fig.  110  u.  140)  zerfällt  ein  Thier  in  2  oder  Thetiunj. 
mehr  unter  einander  gleichwertige  Stücke,  so  dass  es  nicht  möglich 
ist,  Mutter-  und  Tochterthiere  zu  unterscheiden ;  denn  das  ursprüngliche 
Thier  hat  sich  vollkommen  in  die  junge  Generation  aufgelöst  Die 
Theilung  ist  gewöhnlich  eine  Quertheilung,  wobei  die  Theilebene  senk- 
recht zur  Längsaxe  des  Thieres  steht  Seltener  ist  Längstheilung,  am 
seltensten  die  Schrägtheilung  (die  Theilungsebene  schneidet  in  der 
Richtung  der  Längsaxe  durch,  oder  bildet  mit  ihr  einen  spitzen  Winkel). 

Bei  der  Knospung  sind  die  sich  ergebenden  Producte  ungleich-  Km»»™», 
werthig.  Das  eine  Thier  führt  den  Bau  des  Muttertieres  weiter.  Der 
durch  locales  Wachsthum  bedingte  Auswuchs  dagegen,  die  Knospe, 
erscheint  als  eine  Neubildung,  als  das  Tochterindividuuni.  Immerhin 
ist  der  Unterschied  zwischen  Theilung  und  Knospung  kein  unver- 
mittelter. Wenn  wir  von  der  Zweitheilung  ausgehen,  so  wird  dieselbe 
sich  der  Knospung  in  gleichem  Maasse  nähern,  als  die  Theilproducte 
ungleich  werden,  so  dass  das  eine  mehr  und  mehr  den  Charakter 
einer  Knospe,  das  andere  den  Charakter  des  fortexistirenden  Mutter- 
tieres annimmt  Solche  Uebergänge  sind  namentlich  bei  der  termi- 
nalen Knospung  möglich,  bei  der  die  Knospe  in  der  Verlängerung 
des  Mutterthieres  an  dein  einen  Ende  der  Hauptaxe  auftritt  Der 
Charakter  der  Knospung  ist  dagegen  unverkennbar,  wenn  die  Knospe 
unter  Neubildung  ihrer  Körperaxe  als  ein  seitlicher  Auswuchs  der 
Mutter  entsteht  (Fig.  87),  oder  wenn  von  einem  geineinsamen  Mutter- 

Hertwig,  Uhrbach  der  Zaolojto.    3.  Auflage.  g 


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114 


Allgemeine  Zoologie. 


thier  gleichzeitig  zahlreiche  Knospen  abgeschnürt  werden  (cf.  Fig.  21) 
(laterale  und  multiple  Knospung). 


b)  Geschlechtliche  Fortpflanzung.  Ainphigonie. 

Die  geschlechtliche  Fortpflanzung  setzt  gewöhnlich  zwei  Thiere. 
ein  männliches  und  ein  weibliches  voraus;  die  Fortpttanzungszellen 
des  einen,  die  Eier,  müssen  von  den  Fortpflanzungszellen  des  anderen, 
den  Spermatozoon,  befruchtet  werden  und  erhalten  dadurch  die  Fähig- 
keit, sich  zu  einem  neuen  Organismus  zu  entwickeln.  Da  es  nun 
hermaphrodite  Thiere  giebt,  welche  Eier  und  Spermatozoon  gleich- 
zeitig erzeugen,  und  da  für  viele  derselben  wenigstens  die  Möglichkeit 
der  Selbstbefruchtung  sicher  erwiesen  ist,  so  ist  es  klar,  dass  der 
Schwerpunkt  bei  der  Definition  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  nicht 
auf  die  Individuen,  sondern  auf  deren  Geschlechtsproducte  gelegt 
werden  muss.  D  a  s  Wesen  der  geschlechtlich  e  n  F  o  r  t  p  f  1  a  n  - 
z u n g  w ü r d e  demnach  in  der  Vereinigung  d e r  m  ä  n  n  1  i  c  h  e  n 
und  weiblichen  Geschlechtszellen  zu  suchen  sein. 

Diese  Erklärung  passt  für  die  weitaus  überwiegende  Mehrzahl  der 
Fälle,  namentlich  für  alle  die  Fälle,  von  denen  der  Begriff  ..geschlecht- 
liche Fortpflanzung"  abgeleitet  wurde.  Im  Laufe  der  letzten  20  .lahre 
ist  jedoch  in  überzeugender  Weise  bewiesen  worden,  dass  zwei  Fort- 
pflanzungsweisen.  welche  man  früher  zur  Monogonie  rechnete,  die 
i-Mthfn«.«»  Parthenogenese  und  die  Paedo genese,  als  besondere  Modi- 
Tt.'^nAw  ticationen  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  angesehen  werden  müssen, 
obwohl  sie  den  oben  aufgestellten  Bedingungen  nicht  vollkommen  ge- 
nügen. In  beiden  Fällen  entwickeln  sich  die  Eier,  ohne  dass  eine 
Befruchtung  durch  Samen  vorangegangen  wäre,  aus 
eigenem,  innerem  Antriebe.  Bei  der  Paedo  genese  kommt  noch 
das  Besondere  hinzu,  dass  die  Fortpflanzung  sich  an  Thieren  voll- 
zieht, welche  das  Ende  der  normalen  Entwicklung  nicht  erreicht  haben  : 
es  pflanzen  sich  z.  B.  die  Larven  gewisser  Fliegen  fort,  bevor  sie 
sich  verpuppt  haben  und  zu  Fliegen  geworden  sind.    Paedo  genese 


Fig.  *7.  A  fl'j'ha 
yri*ca  in  Knospung 
auf  dem  optischen 
Längsschnitt.  daneben 
Ii  erste  Anlage  einer 
Knosj»e.  ru  Entodenn. 
eh  Kctodcnn.  s  JStütz- 
Uunelle,  t  Tentakeln 
des  Mutterthieres .  t" 
Tentakeln  der  K  110*1*  . 
m  Magen,  o  Mund- 
Öffnung. 


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Allgemeine  Zoologie. 


115 


ist  somit  die  Parthenogenesis  eines  jugendlichen  Orga- 
n  i  s  m  u  s. 

Einige  Forscher  haben  versucht,  die  Parthenogenesis  von  der  ge- 
schlechtlichen Fortpflanzung  auszuschliessen,  indem  sie  die  partheno- 
genctisch  sich  entwickelnden  Eier  für  Pseudova  erklärten,  für  Gebilde, 
welche  thatsächlich  keine  Eier  sind.    Diese  Ansicht  ist  gänzlich  un- 
haltbar gegenüber  dem  Nachweis,  dass  die  „Pseudova"  vollkommen  wie 
gewöhnliche  Eier  entstehen  und  auch  wie  diese  sich  weiter  entwickeln, 
indem  sie  sich  theilen  und  Keimblätter  bilden.   Am  überzeugendsten 
ist  die  Gleichwertigkeit  der  parthenogenetischen  Eier  mit  denen, 
welche  befruchtet  werden,  bei  den  Bienen  bewiesen,  bei  denen  das 
Schicksal  der  Zellen,  ob  sie  weibliche  oder  männliche  Thiere  liefern 
werden,  im  Moment  der  Eiablage  erst  entschieden  wird  und  davon 
abhängt,  ob  sie  von  der  Königin  mit  Samenfäden  versehen  werden 
»weibliche  Thiere)  oder  nicht  (männliche  Thiere).    Parthenogenesis  ist 
daher  nicht  eine  ungeschlechtliche  Fortpflanzung,  welche  die  geschlecht- 
liche vorbereitet,  sondern  vielmehr  eine  Fortpflanzung,  welche  aus  der 
geschlechtlichen  abgeleitet  werden  muss:  sie  ist  eine  geschlecht- 
liche Fortpflanzung,  bei  welcher  es  z  n  einer  Rückbil- 
dung der  Befruchtung  gekommen  ist.    In  Erwägung  dieser 
Verhältnisse  müssen  wir  uns  an  die  Auffassung  gewöhnen,  dass  für 
das  Wesen  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  die  Befruchtung  (der 
Zutritt  der  Spermatozoen)  zwar  einen  äusserst  wichtigen,  keineswegs 
aber  einen  unerlässlichen  Charakterzug  bildet.    Für  alle  zur  Amphi- 
gonie  gehörigen  Fälle  passt  nur  die  Definition:  „die  geschlecht- 
liche Fortpflanzun  g  ist  eine  Fortpflanzung  durch  Ge- 
schlechtszelle n." 

Die  Unterschiede  der  Geschlechtszellen  von  den  ungeschlechtlichen 
Fortpflanzungskörpern,  den  Theilstücken  und  Knospen,  ergeben  sich  aus 
ihren  Beziehungen  zu  den  Lebensprocessen  des  Thieres.  Die  Zellen  einer 
Knospe  haben  vor  Eintritt  der  Fortpflanzung  an  den  Lebensprocessen  des 
Thieres  Antheil  gehabt,  sie  waren  funetionirende  oder  „somatische"  Zellen. 
Wenn  bei  unserem  Siisstrasserpoli/j)  eine  Knospe  entsteht,  so  ist  das  Zellen  - 
material,  welches  zur  Verwendung  kommt,  bisher  vom  Mutterthier  ganz 
ebenso  verwandt  worden,  wie  die  übrigen  Theile  der  Körperwand.  Die 
Geschlechtszellen  eines  Thieres  sind  dagegen  dauernd  oder  wenigstens  auf 
längere  Zeit  von  den  Lebensverrichtungen  ausgeschlossen,  als  Zellen,  welche 
in  einem  Ruhezustand  verharrt  hatten,  deren  Lehensenergie  während  dieser 
Ruhe  geschont  worden  war.  Daher  fehlen  auch  bei  der  geschlechtlichen 
Fortpflanzung  die  Beziehungen  zum  Wachsthum,  welche  bei  der  unge- 
schlechtlichen Fortpflanzung  so  auffällig  sind.  Denn  wenn  auch  häufig  die 
geschlechtliche  Fortpflanzung  erst  nach  beendigtem  Körperwachsthum  ein- 
tritt, so  kommt  es  doch  ebenso  häufig  und  noch  häufiger  vor,  dass  Thiere, 
wie  z.  B.  alle  Fische,  noch  nach  Eintritt  der  Geschlechtsreife  auf  das 
Doppelte  und  Mehrfache  ihrer  Körpergrösse  weiterwachsen.  Die  geschlecht- 
liche Fortpflanzung  ist  eben  keine  besondere  Form  des  Wachsthums,  son- 
dern eine  völlige  Erneuerung  des  Organismus,  eine  Verjüngung  desselben. 
Daraus  erklärt  sich  die  wichtige  Erscheinung,  dass  die  ungeschlechtliche 
Fortpflanzung  immer  mehr  von  der  geschlechtlichen  verdrängt  wird,  je 
höher  die  Organisation  des  Thieres  ist,  je  mehr  sich  die  Lebensenergie 
seiner  Zellen  verbrauchen  muss,  um  den  gesteigerten  Ansprüchen  an  die 
Leistungsfähigkeit  zu  genügen. 

8* 


■ 


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116 


Allgemeine  Zoologie. 


c)  Combinirte  Fortpflanzungsweisen. 

Sehr  häufig  kommen  bei  einer  und  derselben  Thierspecies  zweierlei 
Fortpflanzungsweisen  neben  einander  vor.    Viele  Corallen  und  Würmer 
haben  sowohl  die  Fähigkeit,  sich  durch  Theilung  oder  Knospung  zu 
vermehren,  als  auch  Eier  und  Spermatozoen  zu  bilden ;  andere  wiederum 
besitzen  zwar  keine  ungeschlechtliche  Fortpflanzung,  ihre  Eier  aber 
entwickeln  sich  je  nach  Umständen  entweder  parthenogenetiseh  oder 
nach  vorausgegangener  Befruchtung.    Das  Auftreten  von  zweierlei 
Fortpflanzungsarten  ist  nun  vielfach  in  der  Weise  geregelt,  dass  Indi- 
viduen mit  verschiedener  Fortpflanzung  in   einem  ganz  bestimmten 
Rhythmus  mit  einander  altemiren.    Man  nennt  eine  derartige  Ent- 
wicklung Generationswechsel  im   weiteren   Sinne  und  unter- 
scheidet zwei  besondere  Formen  desselben,  die  Metagenesis  oder  den 
Generationswechsel  im  engeren  Sinne  (progressiven  Generationswechsel), 
und  die  Heterogonie  (regressiven  Generationswechsel). 
ProprfMiv«       Generationswechsel  im  engeren  Sinne  oder  Metagenesis 
üe°"£,n>*ist  der  \Yechsel  von  mindestens  zwei  Generationen,  von  denen  die 
Met»gtne.u.  ejne  Bjcl)  nur  ungeschlechtlich,  durch  Theilung  oder  Knospung,  ver- 
mehrt, die  andere  ausschliess- 
lich  oder  doch  vorwiegend 
geschlechtlich.    Die  erste  Ge- 
neration heisst  die  Amme,  die 
zweite   das  Geschlechtsthier. 
Das  beste  Heispiel  liefert  die 
Fortpflanzung  der  Hydro- 
medusen  (Fig.  HH).  Die  Ammen 
sind  hier  die  Polypen,  welche 
meist  zahlreich  unter  einander 
zu  einer  Colonie  vereint  sind, 
niemals  Geschlechtsorgane  er- 
zeugen, wohl  aber  durch  Kno- 
spung  Geschlechts  t  h  i  e  r  e,  die 
Medusen.    Die  Medusen  sind 
den  Polypen  vollkommen  un- 
ähnlich, viel  höher  organisirt, 
freibeweglich;  sie  haben  nur 
ausnahmsweise     die  unge- 
schlechtliche Fortpflanzung  be- 
wahrt ;  dagegen  entwickeln  sie 
Eier  und  Spermatozoen,  aus 
denen  wiederum  die  festsitzen- 
den Ammen,  die  Polypen,  ent- 
Fig.  HS.    iktwjahiriUm  ramom  (aus  Lang),  stehen.     Das  Beispiel  lehrt 
//  Hydranthrn,  welche Mediwenkno.s|Kii  (mk\  er-  zugleich,   dass    beim  Gene- 
zeugen  (Amn^H^  losgelöste  ^-d^e,  Maryd,,  ration8wechsel   nicht   nur  ein 
rnmnsa  ^.»esenleehUtluer  .  TT  .  .    ,  .      ,      „  a 

Unterschied  in  der  Fortpflan- 
zungsweise  vorhanden  ist,  son- 
dern dass  meistens  noch  dazu  ein  Unterschied  in  der  Gestalt  und  Or- 
ganisation kommt.  Zwischen  Polyp  und  Meduse  ist  der  Unterschied  so 
gross,  dass  man  beide,  obwohl  Repräsentanten  derselben  Art,  lange 
2eit  in  ganz  verschiedenen  Classen  des  Thierreichs  unterbrachte.  — 
In  manchen  Fällen  kann  sich  der  Generationswechsel  noch  dadurch 


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Allgemeine  Zoologie. 


117 


coinpliciren,  dass  2  ungeschlechtliche  Generationen  auf  einander  folgen, 
ehe  die  Rückkehr  zur  geschlechtlichen  Fortpflanzung  eintritt:  dann 
spricht  man  von  Grossamine,  Amme  und  Geschlechtsthier. 

Die  Heterogonie  unterscheidet  sich  von  dem  gewöhnlichen  n«t#ro»onie, 
Generationswechsel  oder  der  Metagenesis  dadurch,  dass  die  unge- 
schlechtliche Fortpflanzung  durch  Parthenogenesis  ersetzt  ist.  Es 
alterniren  somit  Thiere  von  manchmal  ganz  verschiedenem  Uau,  von 
denen  die  einen  von  befruchteten,  die  anderen  von  unbefruchteten 
Eiern  abstammen.  Gewisse  Krebse,  die  Daphniden,  zeigen  die  Hetero- 
gonie in  typischer  Weise.  Lange  Zeit  im  Jahre  findet  man  nur  Weib- 
chen, die  sich  parthenogenetisch  durch  Sommereier  vermehren;  vor- 
übergehend treten  dann  Männchen  auf:  es  werden  die  befruchteten 
Wintereier  gebildet,  aus  denen  wiederum  parthenogenetische  Gene- 
rationen hervorgehen.  —  Die  Heterogonie  hat  man  vielfach  von  der 
Metagenesis  nicht  genügend  unterschieden,  meistens  deswegen,  weil 
man  die  parthenogenetische  Fortpflanzung  für  eine  ungeschlechtliche 
hielt;  so  bei  den  Trematoden.  Die  geschlechtsreifen  Distomen  erzeugen 
die  ganz  abnorm  gestalteten  Sporocysten,  diese  liefern  parthenogene- 
tisch wieder  die  Larven  der  Distomen,  die  Cercarien.  Lange  Zeit 
huldigte  man  hier  der  irrthümlichen  Ansicht,  dass  die  Zellen,  aus 
denen  die  Cercarien  abstammen,  keine  Eier,  sondern  „innere  Knospen", 
„Keiniköruer"  seien  (vergl.  Fig.  212).  —  Unter  die  Heterogonie  hat 
man  andererseits  auch  Fortpflanzungsweisen  aufgenommen,  bei  denen 
gar  keine  Parthenogenesis  vorkommt.  Man  nennt  Heterogonie  auch 
die  Fälle,  wo  zwei  Generationen  alterniren,  welche  nur  verschiedene 
Gestalt  und  Organisation  haben.  In  der  Froschlunge  wohnt  die  As- 
caris  nigrovenosa,  ein  hermaphroditer  Wurm  ;  er  erzeugt  das  getrennt 
geschlechtliche,  im  Schlamm  lebende  Rhabdonema  nigrovenosum,  aus 
dessen  Eiern  wieder  die  Froschascariden  entstehen. 

Die  Verbreitung  der  Fortpflanzungsweisen  im  Thierreich  lehrt  nun 
in  überzeugender  Weise,  dass  die  ungeschlechtliche  Fortpflanzung  die 
niedere,  die  geschlechtliche  die  höher  entwickelte  Art  der  Vermehrung  ist. 
Ungeschlechtliche  Vermehrung  ist  die  herrschende  bei  Protozoen,  theilt 
sich  mit  der  geschlechtlichen  in  den  Antheil  an  der  Vermehrung  bei  Coe- 
lenteraten  und  verschwindet  bei  den  Würmern  uud  Echinodermen,  um  bei 
allen  höheren  Thierstümmen  gar  nicht  mehr  vorzukommen.  Umgekehrt  ist 
die  geschlechtliche  Fortpflanzung  bei  den  Protozoen  nur  in  den  ersten 
Anfängen  wahrzunehmen :  sie  verdrängt  die  ungeschlechtliche  allmählig 
bei  Coe/enteraten  und  Würmern  und  wird  zur  herrschenden  bei  den  höhe- 
ren Thieren.  Die  Parthenogenesis  tritt,  man  möchte  sagen,  eingesprengt 
im  Gebiet  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  namentlich  bei  den 
Arthropoden,  seltener  bei  den  Würmern  auf.  Die  Art,  wie  dies  ge- 
schieht, wie  neben  den  streng  geschlechtlichen  Fortpflanzungsarten 
sich  die  parthenogenetisehen  einstellen,  ist  ein  sicherer  Beweis,  dass 
hier  überall  ursprünglich  eine  normale  Befruchtung  herrschte  und  nur 
in  Folge  besonderer  Lebensbedingungen  rückgebildet  wurde  (daher 
..regressiver  Generationswechsel"),  indem  die  Eier  die  Fähigkeit  er- 
hielten, sich  ohne  Sperma  zu  entwickeln.  Für  viele  Fälle  ist  es  sicher 
erwiesen,  dass  die  Parthenogenesis  die  Aufgabe  hat,  durch  Ersparung 
der  Männchen  eine  rasche  Ausbreitung  der  Art  zu  ermöglichen.  So- 
lange Parthenogenesis  herrscht,  verbreiten  sich  Blattläuse  und  Floh- 
krebse mit  ganz  ausserordentlicher  Schnelligkeit  über  ein  ihnen  zu- 
gängiges Gebiet,  während  das  Auftreten  von  Männchen  eine  lang- 
samere Vermehrung  bedingt. 


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Iis 


Allgemeine  Zoologie. 


Allgemeine  Erscheinungen  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung. 

Bei  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  kommt  eine  Reihe  von 
Entwicklungsvorgängen  zur  Beobachtung,  welche  in  principiell  gleicher 
Weise  bei  allen  vielzelligen  Thieren  wiederkehren  und  daher  hier  im 
Zusammenhang  besprochen  werden  sollen;  das  sind  1)  die  Reife  der 
Eier,  2)  der  Befruchtungsprocess.  3)  der  Furchungsprocess,  4)  die 
Bildung  der  3  Keimblätter. 

I.  Ei  reife. 

Das  Ei  mit  dem  grossen  bläschenförmigen  Kern,  dem  Keimbläs- 
chen, wie  wir  es  in  der  Histologie  kennen  gelernt  haben,  kann  noch 
nicht  befruchtet  werden :  um  befruchtungsfähig  zu  werden,  muss  es 
eine  Summe  von  Veränderungen  durchmachen,  die  Reifeerscheinungen, 
welche  darin  bestehen,  dass  das  Keimbläschen  durch  den  sehr  viel 
kleineren  Eikern  ersetzt  wird  und  dass  gleichzeitig  an  dem  einen  Pol 
des  Eies  die  Richtungskörperchen  (Polkörperchen)  abgeschnürt  werden. 


Fifr.  S<».  Verschiedcnr  Stadien  der  RiehtunpdiörjMTbildungvon  Astm'as  gl 
*7>  Rieiitungsspindel,  rkl  erster  Rieht  unpdiörper,  rk*  zweiter  Riehtiiiigskör|>er. 
kern  in  Bildung. 


Astn  ias  ylarinlis. 

*k  Ei- 


Biwung  der  Das  Keimbläschen  macht  mit  den  Umwandlungen  den  Anfang,  in- 
RichtunK.-  sejne  Wandung  aufgelöst,  sein  Inhalt  zum  Theil  dem  Protoplasma 
des  Eies  beigemengt,  zum  Theil  zur  Bildung  einer  Kernspindel  ver- 
braucht wird.  Die  letztere,  auch  die  Richtungsspindel  genannt,  stellt 
sich  mit  ihrer  Axe  in  einen  Eiradius  ein,  so  dass  ihr  einer  Pol  dem 
Centrum  zugewandt,  der  andere  in  der  oberflächlichsten  Schicht  des 
Eies  befestigt  ist  (Fig.  Stla).  Nunmehr  beginnt  ein  regelmässiger  Zell- 
theilungsprocess,  nur  dass  die  Theilproducte  sehr  ungleich  gross  sind  : 
das  grössere  Theilstück  ist  das  Ei,  das  kleinere,  ganz  unansehnliche 
Theilstück  ist  der  Richtungskörper  (Fig.  SM,  c).  Letzterer  erhebt  sich 
über  die  Eioberfläehc  als  ein  Hfige)  empor,  in  den  die  Richtungs- 
spindel mit  ihrer  einen  Hälfte  hineinragt  :  bei  der  Abschnürung  wird 
diese  Hälfte  in  den  Richtungskörper  hinübergenommen. 

Der  im  Ei  verbleibende  Theil  der  Richtungsspindel  ergänzt  sich 
sofort  zu  einer  neuen  Spindel  :  die  Zellknospung  wiederholt  sich  und 


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Allgemeine  Zoologie. 


111) 


führt  zur  Bildung  des  zweiton  Richtungskörpers.  In  Folge  dessen 
liegen  an  dem  einen  Ende  des  Eies  zwei  kleine  Zellen,  iu  vielen  Fällen 
sogar  drei,  da  während  der  Bildung  des  zweiten  Richtungskörpers  der 
erste  sich  ebenfalls  noch  einmal  getheilt  haben  kann  (Fig.  80  d — f). 
Der  nach  der  zweiten  Theilung  noch  übrige  Rest  der  Richtungsspindel 
ist  zu  einem  ruhenden  bläschenförmigen  Kern,  welchen  wir  Eikern 
nennen,  geworden,  das  charakteristische  Merkmal  des  reifen,  befruch- 
tungsfähigen Eies.  Mit  anderen  Worten,  durch  doppelte  Theilung  sind 
aus  dem  unreifen  Ei  4,  resp.  3  Zellen  entstanden,  von  denen  die  eine 
bei  Weitem  den  gröbsten  Thcil  der  ursprünglichen  Zellenmasse  über- 
nommen hat  und  das  reife  Ei  darstellt,  während  die  übrigen  zwei  oder 
drei  kleine  Körper  sind,  gleichsam  rudimentäre  Eier.  Den  Namen 
Kichtungskörperchen  haben  dieselben  dem  Umstand  zu  verdanken,  dass 
ihre  Lage  in  sehr  vielen  Fällen  eine  bestimmte  Orientirung  im  Ei  er- 
möglicht: man  kann  durch  das  Ei  einen  Durchmesser,  die  Hauptaxe, 
legen,  dessen  eines  Ende  durch  die  Richtungskörperchen  bezeichnet 
wird.  Mit  Rücksicht  auf  spätere  Entwicklungsprocesse  nennt  man  dieses 
Ende  den  an i malen  Pol  des  Eies,  das  entgegengesetzte  Ende  den 
vegetativen  Pol. 

In  den  meisten  Fällen  verläuft  die  Eireife  schon  vor  der  Besamung 
dos  Eies  entweder  im  Eierstock  selbst  oder  im  Anfang  der  Ausführwege. 
Bei  manchen  Thieren  tritt  dagegen  eine  Ruhepause  ein,  wenn  die  erste 
Richtungsspindel  gebildet  worden  ist;  das  Ei  bedarf  dann  des  Zusatzes 
von  Samen,  damit  die  weiteren  Vorgänge,  Abschnürung  der  Richtungs- 
körper und  Reconstruction  des  Eikerns,  zu  Ende  geführt  werden.  Diese 
Abhängigkeit  der  letzten  Reifeerscheinungen  vom  Eintritt  der  Befruchtung 
hat  lange  Zeit  zu  dem  Irrthum  geführt,  dass  die  Bildung  der  Richtungs- 
körper einen  Theil  der  Befruchtungsvorgänge  selbst  ausmache. 

2.  Befruchtung. 

Wenn  man  den  Ausdruck  „Befruchtung"  im  wissenschaftlichen 
Sinne  anwenden  will,  so  muss  man  ihn  auf  die  intimen  Vorgänge  be- 
schränken, welche  sich  nach  dem  Zusammentreffen  der  Eier  und  Sper- 
matozoon im  Innern  der  ersteren  abspielen  und  mit  einer  vollkom- 
menen Verschmelzung  beider  Geschlechtszellen  endigen ;  dagegen  muss 
man  besondere  Ausdrücke  für  die  vorbereitenden  Vorgänge  wählen, 
welche  den  Zweck  haben,  die  Befruchtung  zu  ermöglichen.  Sehr 
häutig  ist  zu  diesem  Zweck  die  active  Uebertragung  des  Samens  von 
dem  Männchen  auf  das  Weibchen  nöthig,  die  Begattung:  indessen  Be?»mm?. 
nicht  immer.  Bei  vielen  Wasser  bewohnenden  Thieren,  namentlich 
bei  den  meisten  Fischen,  Echinodermen ,  Coel enteraten,  werden  Eier 
und  Spermatozoon  in  das  Wasser  entleert,  und  der  Zufall  bedingt  ihre 
Vereinigung,  die  Besamung  der  Eier.  Man  kann  dann,  was  sich  ,t,"imon« 
in  der  Natur  vollzieht,  künstlich  erzielen,  aus  den  Geschlechtsorganen 
die  reifen  Producte  entleeren  und  sie  zur  Vereinigung  bringen ;  man 
kann  z.  B.  aus  dem  Uterus  eines  Froschweibchens  die  Eier  entnehmen 
und  mit  Sperma  aus  den  Samenbläschen  des  Männchens  besamen, 
oder  durch  geeigneten  Druck  auf  den  Leib  laichreifer  Fische  die  Eier 
in  eine  Schüssel,  das  Sperma  in  eine  zweite  Schüssel  sammeln  und 
den  Inhalt  der  letzteren  auf  die  erstere  ausgiessen  und  so  in  vielen 
Fällen   eine  vollkommen   naturgemässe  Entwicklung  erzielen.  Man 


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120 


Allgemeine  Zoologie. 


nennt  ein  solches  Verfahren  künstliche  Befruchtung;  besser 
würde  es  sein,  von  künstlicher  Besamung  zu  reden. 

ue/ruchtHin?.  Gehen  wir  nun  auf  die  Befruchtungsvorgänge  im  engeren  Sinne 
ein,  so  beginnen  dieselben  mit  dem  Eindringen  des  Spermatozoons  in 
das  Ei.  Gewöhnlich  ist  das  Ei  von  einer  gallertigen  Hülle,  dem 
Chorion,  umgeben,  auf  dessen  Oberfläche  die  Spermatozoen  bei  der 
Besamung  haften  bleiben  und  durch  das  sie  sich  durchbohren,  bis  sie 
die  Oberfläche  des  Dotters  erreichen  (Fig.  1)0).  Da  nun  aber  das 
Chorion  namentlich  bei  Eiern,  welche  an  der  Luft  abgelegt  werden, 
hart  und  unnachgiebig  sein  kann,  existirt  häutig  an  ihm  eine  besondere 
Einrichtung,  welche  den  Spermatozoen  den  Zugang  ermöglicht,  der 
Micropy la p parat;  derselbe  ist  ein  einziger,  die  Dicke  des  Chorion 
durchbohrender  ('anal,  wie  bei  den  Fischen,  oder  ein  ganzes  Büschel 
solcher  Canäle,  wie  bei  fast  allen  Insecten. 


Fig.  1)0.  Ei  von  Asterüu  fflaciali* 
während  der  Ikfrnehtung.  .4  Ein- 
dringen des  Spermatozoon,  B  das 
Spermatozoon  ist  eingedrungen,  die 

Dottermembran  gebildet  (dach  Fol). 


Durch  die  Gallerthülle  oder  den  Mieropylcanal  können  viele  Sper- 
matozoen eindringen:  in  das  Ei  selbst  gelangt  unter  normalen  Ver- 
hältnissen stets  nur  ein  einziges.  Demjenigen  Spermatozoon,  welches 
(dnen,  wenn  auch  noch  so  kleinen,  Vorsprung  vor  den  übrigen  ge- 
wonnen hat,  sendet  das  Ei  einen  Fortsatz  entgegen,  auf  welchem  es 
in  «las  Innere  des  Dotters  einwandern  kann ;  damit  wird  das  Ei  unzu- 
gängig  für  alle  übrigen  Samenfäden,  welche  unbenutzt  zu  Grunde 
gehen.  Nur  bei  krankhaft  veränderten  oder  durch  langes  Liegen  ge- 
schädigten Eiern  kann  es  vorkommen,  dass  2  oder  mehr  Spermatozoen 
limMpermie  eindringen.  Der  normalen  Einfachbefruchtung  oder  Monospermie 
u.%rm°e!  haben  wir  die  Di-  und  Polyspermie,  die  Mehrfachbefruchtung,  als 
pathologische  Erscheinungen  entgegenzustellen.  Im  Ei  existiren  gegen 
diese  anormale  Befruchtungen  Schutzvorrichtungen,  welche  durch  Ab- 
nehmen der  Lebensenergie  ausser  Thätigkeit  gesetzt  werden.  Eine 
dieser  Schutzvorrichtungen,  aber  keineswegs  die  einzige,  ist  die  Bildung 
der  Dottermembran .  einer  undurchgängigen  Hülle,  die  plötzlich  von 
der  Oberfläche  des  Eies  ausgeschieden  wird,  wenn  ein  Spermatozoon 
die  Befruchtung  vollzogen  hat.  Innerhalb  der  Dottermembran  zieht 
sich  der  Körper  des  Eies  unter  Entleerung  flüssiger  Bestandteile  auf 
ein  kleineres  Volumen  zusammen,  so  dass  zwischen  Dottermembran 
und  Eioberfläche  ein  Zwischenraum  entsteht,  an  welchem  man  kleinere 
befruchtete  Eier  leicht  erkennen  kann  (Fig.  902?). 

Sollte  es  sich  bestätigen,  das.s  bei  grossen  dotterreichen  Eiern  mancher 
hueefen  und  Wirbelt  Idar  auch  unter  normalen  Verhältnissen  mehrere  Sper- 
matozoon eindringen  (physiologische  Polyspermie),  so  würde  die  principielle 
Auflassung  vom  Wesen  der  Befruchtung  nicht  geändert  werden.  Denn 


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Allgemeine  Zoologie. 


121 


auch  dann  ist  nur  ein  Samenfaden  bei  der  eigentlichen  Befruchtung,  der 
Kerncopulation,  thütig,  während  die  anderen  nach  einiger  Zeit  zu  Grunde 
gehen. 

Wenn  das  Spermatozoon  in  das  Ei  eingedrungen  ist,  dann  sind 
von  seinen  Bestandteilen  der  Kopf  und  das  Centrosoina  noch  erkenn- 
bar, —  nach  der  in  der  Histologie  gegebenen  Deutung  die  chromatischen 
und  achromatischen  Theile  des  Kerns  des  Spermatozoons  oder  des 
S  p  e  r  in  a  k  e  r  n  s  — ,  während  der  Schwanzfaden  und  das  etwa  vorhandene 
Protoplasma  vom  Dotter  des  Eies  amalgamirt  worden  sind.  Im 
Protoplasma  des  Eies  erzeugt  das  Centrosoma  des  Spermakerns  eine 
intensive  Strahlung,  wie  sie  auch  während  der  Theilung  beobachtet 
wird.  Die  Strahlung  voran,  wandert  der  Spermakern  auf  den  Eikern 
zu,  bis  er  ihn  erreicht  hat  (Fig.  91);  er  vereinigt  sich  mit  ihm  und 


Fig.  Ol.  Befrucbtungwtadien  des  Seeigclejcä  (nach  O.  Hertwig).  Sj)ermakcrn  sk 
mit  Strahlung,  in  «lein  einen  Ei  oberflächlich,  in  dem  anderen  Ei  dicht  am  Eikern 

ek  gelagert. 

bildet  mit  ihm  gemeinsam  einen  einheitlichen  Kern,  den  Furchungs- 
kem,  welcher  nun  rasch  zu  einer  Kernspindel  (Furchungsspindel)  wird 
und  somit  den  Anstoss  zum  Heginn  der  Einbryonalentwicklung,  zur 
Theilung  des  Eies  (Eifurchung)  giebt.  Da  erst  hiermit  die  Befruch- 
tung abgeschlossen  ist,  so  gelangen  wir  zu  dem  fundamental  wichtigen 
Satz,  dassdas  Wesen  der  Befruchtung  in  der  Vereinigung 
von  Ei-  und  Spermakern  besteht. 

.1  B 


FL'.         Befruchtung  von  Asrnris  nin/afnrtpliala  (nach  Hoven).   A  Die  Spindcl- 
enden  {{ Vntn ^oinen j  gebildet,  Ii  die  Spindel  fertig  gestellt,  sp  S|>cnnakern  renp.  die 
au«  ihm  hervorgehenden  Chromosomen,  </  Eikern,  j>  Kiclitnnp*kör|tcrehen. 

In  vielen  Fällen  kann  eine  Altkürzung  der  Entwicklung  eintreten, 
indem  das  Stadium  des  Furchungskerns  ausfällt  und  Ei  und  Sperma- 


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122 


Allgemeine  Zoologie. 


kern  ohne  vorherige  Vereinigung  direct  in  die  Furchungsspindel  über- 
geführt werden.  Diese  Falle  ändern  nichts  an  dem  oben  aufgestellten 
Satz;  wohl  aber  sind  sie  wichtig,  weil  sie  deutlicher  erkennen  lassen, 
in  welcher  AVei.se  sich  die  beiden  Kerne  am  Aufbau  der  Furchungs- 
spindel  betheiligen.  Es  ergiebt  sich,  dass  von  den  Chromosomen, 
d.  h.  den  chromatischen  Elementen,  welche  die  Aequatorialplatte  des 
Kerns  bilden,  genau  die  eine  Hälfte  vom  Eikern,  die  andere  vom 
Spennakern  geliefert  wird.  Denn  ehe  noch  die  Spindel  entstanden 
und  die  Contour  der  beiden  Kerne  geschwunden  ist,  sind  die  für  die 
Spindel  bestimmten  Chromosomen  in  jedem  derselben  vollkommen  ent- 
wickelt (Fig.  V»2). 

Vererbung.  Die  mitgctheiltcn  Beobachtungen  über  die  Befruchtung  haben  in 
der  Neuzeit  eine  sichere  Basis  für  die  Lehre  von  der  X  ererb  ung 
geliefert.  Unter  Vererbung  verstehen  wir  die  Cebertragung  der  elter- 
lichen Eigenschaften  auf  die  Nachkommenschaft.  Diese  Cebertragung 
erfolgt  im  Grossen  und  Ganzen  mit  gleicher  Energie  von  Seiten  des 
A'aters  wie  der  Mutter.  Denn  wenn  wir  aus  zahlreichen  Fällen  das 
Mittel  ziehen,  so  sind  die  Eigenschaften  des  Kindes  eine  Resultante, 
welche  zwischen  den  Eigenschaften  von  A'ater  und  Mutter  die  Mitte 
hält:  oder  mit  anderen  Worten,  die  männlichen  und  weiblichen  In- 
dividuen, im  Durchschnitt  betrachtet,  haben  gleichviel  A'ererbungs- 
energie. 

Da  bei  allen  Thieren  mit  äusserlicher  Befruchtung  ein  materieller 
Zusammenhang  zwischen  Eltern  und  Nachkommenschaft  nur  durch  die 
Geschlechtszellen  vermittelt  wird,  so  müssen  diese  die  Substanzen 
enthalten,  welche  die  Vererbung  bewirken.  Ferner  müssen  bei  der 
gleichen  Vererbungsenergie  beider  die  A'ererbungssubstanzen  im  Ei 
und  Spermatozoon  in  gleicher  Menge  vorhanden  sein.  Auf  diesem 
AVege  der  l'eberlegung  kommen  wir  dahin,  mit  grosser  Bestimmtheit 
die  chromatische  Kernsubstanz,  welche  die  Chromosomen  liefert,  als 
den  Träger  der  Vererbung  zu  bezeichnen.  Denn  da  wir  wissen,  dass 
das  Ei  grosse  Mengen  von  Protoplasma,  das  Spermatozoon  aber  nur 
die  allergeringsten  Sinnen  davon  enthält,  dass  dagegen  Eikern  und 
Spennakern  gleichviel  Substanz  und  namentlich  gleichviel  Chromo- 
somen zur  Furchungsspindel  liefern,  so  genügt  nur  das  Chromatin 
des  Kernes  den  Ansprüchen .  welche  wir  an  eine  Vererbungssubstanz 
stellen  müssen.  Hiermit  gewinnt  eine  früher  schon  geäusserte  An- 
sicht weitere  Stützen,  dass  der  Kern  der  Träger  der  Vererbung  ist 
und  den  specirischen  Charakter  der  Zelle  bestimmt  (cf.  Seite  54). 


.'i.  F  u  r  c  h  u  n  g  s  p  r  o  c  e  s  s. 

Die  befruchtete  Eizelle  theilt  sich  in  rascher  Aufeinanderfolge  in 
2.  4.  x.  1<>  etc.  Zellen,  die  naturgemäss  immer  kleiner  werden,  da  die 
Masse  des  Eies  keine  Zunahme  erfährt.  Man  nennt  die  Zellen 
i"rrtZi)C  ^»i^bungskugeln.  den  ganzen  Vorgang  den  Furchungsprocess,  weil  bei 
(orewu.  jeder  Theilung  auf  der  Oberfläche  Furchen  entstehen,  die  immer  tiefer 
durchschnüren  (Fig.  Im  Grossen  und  Ganzen  herrscht  die  Regel, 
dass  jede  neue  Furchungsebene  sich  möglichst  senkrecht  auf  die  vor- 
hergehende stellt.  Daher  die  Erscheinung,  dass  die  3  ersten  Furchungs- 
ebenen.  welche  die  2-,  4-  und  X-Theilung  veranlassen,  fast  bei  allen 
Thieren  gleich  angeordnet  sind.  Den  Vergleich  mit  der  Erdkugel  zu 
Grunde  legend,  spricht  man  von  einer  ersten  und  zweiten  Meridional- 


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Allgemeine  Zoologie.  .  123 

furche  (I,  II)  und  nennt  die  dritte  Furche  die  Aequatorialfurche  (III). 
Die  Kreuzungspunkte  der  beiden  Meridionalfurchen  liefern  uns  die 
Pole  des  Eies,  den  an i malen  und  den  vegetativen,  so  genannt, 
weil  das  Material  des  einen  vorwiegend  für  animale  Organe  (Nerven- 
system), das  Material  des  anderen  für  vegetative  Organe  (Darm)  ver- 
wandt wird. 

I  fl  Ol 


Fig.  93.  Acquale  Furchung  von  Amphinxiin  lancrolattts  (nach  Hatsehek).  I  Zw»»i- 
thoilung  (Bildung  der  ersten  Meridionalfurehc),  II  Viertheilung  (zweite  Meridional- 
furehe  gebildet.  Furehungskugel  1  verdeckt).  III  Achttheilung  (Aequatorialfurche, 
Furchungskugel  7  und  8  verdeekn,  IV  BlaMtula  auf  dein  optischen  Durchschnitt ; 
eine  einschichtige  Zellenblase  uingiebt  die  Furchungshöhle.  In  1.  II,  III  Ix-zeichnct 
ein  kleines  Kort>erchen  (Riehtungskörperehen)  den  aninuden  Pol. 

In  der  Entwicklungsgeschichte  unterscheidet  man  verschiedene  r.\aia" de! 
Arten  des  Furchungsproccsses,  deren  Besonderheiten  von  '2  Momenten  den  Kur- 
bestimmt werden:  1)  von  der  Masse  des  zur  Ernährung  des  Eies  c,m?£pro* 
dienenden  Materials,  des  Nahrungsdotters,  2)  von  der  Anordnung 
desselben.  Der  Nahrungsdotter  wirkt  hemmend  auf  die  Theilung  ein. 
da  er  ein  Material  darstellt,  welches  keiner  activen  Bewegung  fähig  ist 
und  nur  passiv  durch  die  Thätigkeit  des  Protoplasma  auf  die  Furchungs- 
zdlen  vertheilt  wird.  Je  mehr  die  Masse  dieses  Ballastes  im  Ver- 
hältniss  zum  Protoplasma  zunimmt,  um  so  langsamer  werden  die 
Theilungsvorgänge  verlaufen.  Schliesslich  tritt  ein  Moment  ein,  wo 
der  Widerstand  des  Dotters  so  gross  wird,  dass  das  Protoplasma  der 
Arbeit  nicht  mehr  vollkommen  gewachsen  ist:  dann  werden  nur  die 
protoplasmareicheren  Partien  des  Eies  getheilt,  die  dotterreicheren 
bleiben  eine  ungetheilte  Masse.  Man  spricht  in  diesen  Fällen  von  einer 
partiellen  Furchung  im  (iegensatz  zu  dem  gewöhnlichen  und  ur- 
sprünglicheren Verhalten,  der  totalen  Furchung;  ferner  nennt  man 
die  Eier,  welche  die  partielle  Furchung  zeigen,  meroblastische, 
weil  nur  der  abgefurchte  Theil  des  Eies  direct  zum  Aufbau  des  Embryo 
oder  des  Sprosses  (Blastos)  verbraucht  wird,  während  die  ungetheilte 
Hauptmasse  als  Nährinaterial  beim  Wachsthum  dient.  Die  Eier  mit 
totaler  Furchung  sind  dagegen  die  hol o  b  lastischen. 

Was  nun  zweitens  die  Anordnung  des  Dotters  anlangt,  so  hängt  Jjtjjgjj« 
dieselbe  mit  der  Lage  des  Kerns  zusammen.  Entweder  behauptet  der 
Eikern  seine  centrale  Lage,  und  der  Dotter  sammelt  sich  um  ihn  in 
concentrischer  Anordnung  (centr  o  1  ec i t h ale  Eier)  (Fig.  t'4):  oder 
er  wird  mit  der  Hauptmasse  des  Protoplasma  nach  einem  Pol  des  Eies 
verdrängt,  während  nach  dem  anderen  Pole  zu  das  Dottermaterial 
überwiegt  (teloleci  thale  Eier).  Da  der  kernhaltige  Pol  im  Lauf 
der  Entwicklung  stets  zum  animalen  wird,  so  kann  man  im  Ei  eine 
animale  protoplasmareichere  und  eine  vegetative  dotterreichere  Partie 
unterscheiden  (Fig.  05).  Bei  vielen  telolecithalen  Eiern  gehen  beide 
Partien  allmählig  in  einander  über,  bei  anderen  wieder  ist  der  Unter- 


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124 


Allgemeine  Zoologie. 


schied  scharf  ausgeprägt,  so  dass  eine  deutliche  Grenze  die  fast  rein 
protoplasmatische  animale  Partie  von  der  dotterhaltigen  vegetativen 


P 
// 

n 


-  n 
--P 


V\)i  Ül.    ( 'entrnlecithales  Ki  (aus 

O.  Hertwig).  n  Kern,  »  protoplauDa- 
reiche,  <l  dotterreiche  Parti«-  ru-s  Kies. 


¥\)i  IC).    Telolecit  Indes    Ei  <aus 
>,  Hertwig).  n  Kern, 
reich»1,  rf  dotterrciche' 


0.  Hertwig).  h  Kern, j»  protoplaama- 

l'artie  des  Eies. 


Partie  trennt.  Am  schönsten  zeigt  dies  Verhalten  das  Vogelei  (Fig.  9G). 
Als  Ei  im  Sinne  der  Embryologie  ist  hier  nur  das  Gelbei  anzusehen, 
während  das  Eiweiss,  die  faserige  Eihaut  und  die  Kalkschale  erst 
spätere  Ablagerungen  auf  der  Oberfläche  des  Eies  sind.  Die  Haupt- 
masse des  Gelbeies  ist .Nahrungsdotter,  aufweichein  eine  bei  jeder  Lage 
nach  oben  gewandte  dünne  Schicht  von  Protoplasma  ruht,  die  Keim- 
scheibe. Letztere  enthält  den  Eikern  und  grenzt  sich  nach  der  Be- 
fruchtung und  mit  fortschreitender  Entwicklung  immer  schärfer  von 
dem  darunter  gelegenen  Dotter  ab. 


Fig.  U«5.  Schematischt.T 
Längsschnitt    durch  ein 

Vogelei  (aus  Ilalfour). 
1)  da»  Ei :  b.  I  Keiinscheiho, 
ir.  y  weisser  Dotter,  y.  y. 
gelber  Dotter.  2)  Hüllen 
tkfl  Eies|:  r.  t.  Dotterhaut, 
sc  u.  innere  und  äussere 
Eiwcisslage,  ch.l  C'halazen, 
i.s.m.  und  s.m.  innere  und 
äussere  Schalenhaut,  da- 
zwischen am  rechten  Ende 
a.c.h.  die  Luftkamincr, 
.•>•.  Schale. 


cti.l 


VArteut'd«r  Nach  den  vorausgeschickten  Bemerkungen  werden  wenige  kurze 
Kurchunc»*  Erläuterungen  genügen,  folgende  Tabelle  der  verschiedenen  Furchungs- 
Proc«»i«.  arten  verständlich  zu  machen. 

a)  Holoblastischc  Eier  mit  totaler  Furchung. 

1)  äquale    Furch ung:    Der   Dotter   ist    in    geringen  Mengen 
gleichmässig  im  Ei  vertheilt,  bei  der  Furchung  zerfällt  das  Ei  in 


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Allgemeine  Zoologie. 


125 


Theilstückc  von  annähernd  gleicher  Grösse  und  gleichem  Dotter- 
reichthum (alecithale  Eier)  (Fig.  93). 

inäquale  Furchung:  Der  Dotter  ist  reichlich,  aber  nicht  reich- 
lich genug,  um  die  vollkommene  Furchung  zu  verhindern; 
er  Liegt  besonders  am  vegetativen  Pole  des  Eies  und  ist  Ur- 
sache, dass  hier  die  Furchung  langsamer  verläuft,  und  dass  hier 
grössere,  weil  dotterreichere  Furehungskugeln  entstehen.  Man 
findet  daher  den  Keim  gebildet  von  kleinen  animalen  dotterarmen 
und  grossen  vegetativen  dotterreichen  Zellen  (telolecithale,  holo- 
blastische  Eier)  (Fig.  97  u.  98). 

Fig.  97. 
A  B 

Fig.  !»7.  [niquale  Furchung  dei 
EScfl  von  Pttromyxon  (nach  Shipley 
mir*  Hatschck).  .1  Stadium  der  N  Fur- 
chungskugeln.  Ii  Rlastula,  in  meri- 
diontuer  Richtung  durchschnitten.  Die 
Ungleichheit  d«-r  Furchungskugclu 
tritt  hier  <-rst  mit  der  Aetjuatorial- 
furchc  <in. 


Fig.  98. 

I  I  in 


Fig.  HS.  Inäquale  Furchung  des 
Eiflfl  einet  Schnecke,  Saxsa  mutnhilis 

mach  Bobretaky).  /  Die  erste  Meri- 
dionalfurehe  hat  da**  Ei  in  ungleiche 
Stücke  getheilt.  //  Die  zweite  Mtri- 
«liMiialfun  hc  hat  3  kleiner«'  und  «'ine 
ROMCIC  Furehungskugel  gebildet  (Imm- 
aea  seitliche  Ansichten).  ///  Die  äqua- 
toriale Furche  hat  4  kleinere  aniinale 
und  t  gr«"»ssere,  aber  ungleiche  vege- 
tative Zellen  erzeugt  (Ansicht  vom 
animalen  Pol). 


b)  Meroblastische  Eier  mit  partieller  Furchung. 

3)  discoidale  Furchung:  Der  Dotter  ist  in  der  vegetativen  Partie 
des  Eies  so  stark  angehäuft,  dass  er  ihre  Abfurchnng  verhindert 
Die  Furchung  bleibt  daher  auf  die  Umgebung  des  animalen 
Poles  beschränkt  und  zerlegt  dieselbe  in  eine  Scheibe  kleiner 
Zellen,  die  Embryonalanlage  oder  Keimscheibe  (telolecithale, 
meroblastische  Eier)  (Fig.  99). 

A  B  < 


Fig.  99.   Discoidale  Furchung  des  Oephalopodeneies  (Loliyo  Prah  i.  nach  Watasc). 


Allgemeine  Zoologie. 


4)  super fi fiel le  Furch  ung:  Der  Dotter  ist  im  Centrum  «les 
Eies  angehäuft  und  verhindert  dessen  Abfurchung:  in  Folge 
dessen  zerfällt  nur  die  Rinde  des  Eies  in  Furchungszellen ,  welche 
in  Form  einer  zusammenhängenden  superticiellen  Schicht  die 
ungefurchte  centrale  Masse  umhüllen  (centrolecithale  Eier)  (Fig.  100>. 


ABC 


Fig.  Ii*».    Su|M*rfifi<*llo  Furrhuntr  des  InsrctcnrieH  iPirrfs  iratargi).    A  Thriluni: 
* I* *—  Fun-huiifrskcriis,  Ii  Heraufrürken  der  Kerne  zur  Bildung  des  Blaft<xlfnns.  C  Bil- 
dung da  BlnsOxlenns  tiuieh  Bnbretzky). 

Von  den  genannten  4  Arten  «1er  Furchung  hat  die  superficielle 
Furchung  ein  systematisches  Interesse,  indem  sie  ausschliesslich  bei 
den  Arthropoden  vorkommt.  Die  übrigen  Furchungsarten  vertheileu 
sich  in  der  Weise,  dass  die  diseoidale  bei  der  Mehrzahl  der  Wirbel- 
thiere  und  bei  den  höchstorganisirten  Mollusken,  den  Tintenfischen, 
einigen  Arthropoden  und  Tunicaten  beobachtet  wird,  während  äquale 
und  inäquale  Furchung  bei  allen  Stämmen  der  vielzelligen  Thiere  auf- 
treten können. 

Biwtui».  Schon  während  der  ersten  Furchungsstadien  bildet  sich  im  Innern 
des  Eies  zwischen  den  Zellen  ein  Hohlraum  aus,  welcher  mit  dem  Fort- 
schreiten der  Entwicklung  immer  grösser  wird  und  die  Furchungs- 
höhle  heisst:  um  dieselbe  herum  liegen  die  Zellen  in  Form  eines  ein- 
oder  vielschichtigen  Epithels  und  bilden  das  Blastoderm.  Daher  der 
Name  Vesicula  blastodermica  oder  kurz  Blastula  für  das  vorliegende 
Stadium.  Je  mehr  Dotter  vorhanden  ist,  um  so  kleiner  ist  der  Durch- 
messer der  Furchungshöhle :  bei  den  centrolecithalen  Eiern  mit  super- 
ticieller  Furchung  fehlt  sie  sogar  ganz. 

4.  B  i  1  d  u  n  g  d  e  r  K  e  i  m  1»  1  ä  1 1  e  r. 

OMtnda.  Ausser  der  Blastula  ^iebt  es  noch  ein  zweite-  Entwicklungs>tadium. 
welches  allen  vielzelligen  Thieren  gemeinsam  ist,  die  (lastrula  oder 
der  zweischichtige  Keim.  Bei  den  äqual  sich  furchenden  Eiern  ist  das 
Stadium  am  leichtesten  zu  verstehen  (Fig.  1<»1  B)\  es  hat  hier  die 
Gestalt  eines  doppelwandigen  Bechers  mit  weiterer  oder  engerer 
Mündung.  Der  Hohlraum  des  Bechers  ist  die  Anlage  des  wichtigsten 
Abschnitts  des  Darms,  des  Urdarms  oder  Archenteron:  die 
Mündung  ist  der  Urmund  oder  das  Prostoma;  von  den  beiden  die 
Becherwand  bildenden  und  am  Brostoma  zusammenhängenden  Zell- 


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Allgemeine  Zoologie. 


127 


schichten  ist  die  äussere  der  Ectoblast  oder  das  äussere  Keim- 
blatt, die  innere  der  Entoblast  oder  das  innere  Keimblatt. 
Auf  dem  Gastrulastadium  begegnen  wir  zum  ersten  Male  der  Keim- 
blattbildung, d.  h.  der  Bildung  von  bestimmten,  gegen  einander  ab- 
gegrenzten Lagen  embryonaler,  noch  nicht  differenzirter  Zellen,  aus 
denen  durch  organologische  und  histologische  Sonderung  die  Organe 
hervorgehen. 

Die  Gastrula  entsteht  aus  der  Blastula  durch  Einstülpung  oder  in» 
Invagination  (Fig.  101  A).  Wie  wenn  man  bei  einem  bohlen 
Gummiball  durch  den  Fingerdruck  die  eine  Seite 
gegen  die  andere  einpresst,  so  sinkt  die  Schicht 
der  vegetativen  Zellen  allmählig  ein  und  wird  von 
den  Zellen  des  animalen  Poles  umschlossen. 
Dabei  entsteht  im  Ei  neben  der  Furchungshöhle 
ein  neuer  Hohlraum,  die  Anlage  des  Darmlumens: 
derselbe  vergrössert  sich  und  verdrängt  schliess- 
lich die  Furchungshöhle  ganz,  so  dass  dann  der 
eingestülpte  Theil  des  Blastoderms,  der  Entoblast. 
tfegen  den  aussen  verbleibenden  Theil.  den  Ecto- 
blast, angepresst  wird. 

Bei  dotterreichen  Eiern  wird  das  Yerständniss 
des  Baues  und  der  Bildungsweiso  der  Gastrula 
wesentlich  erschwert.  Es  genügt  hier  daher  die 
Bemerkung,  dass  es  geglückt  ist,  für  alle  auch  noch 
so  dotterreichen  Eier  das  Gastrulastadium  nachzu- 


Fig.  KM.  Gast  Dilation 
des  .  1  m  {ih  ioxus  ( nach 
Hatsehek).  Im  Unter- 
schied zu  Fijf.  !•:$  ist  der 
aniinale  Pol  abwärt«,  der 
vegetative  aufwärt«  er- 
richtet. In  Fig.  A  be- 
ginnen die  /eilen  des 
vegetativen  Poles  einzu- 
sinken. Ii  Einstülpung 
beendet,  Furchungshöhle 
auf  einen  Spalt  /.wischen 
En  toi  »last  rn  und  Ecto- 
blast rk  reducirt.  o  (5a- 
«trulamund. 


weisen ,  wobei  das  Dottermaterial  vorwiegend  in 
den   entoblastischen  Zellen  seine  Unterkunft  findet. 

Für  äusseres  und  inneres  Keimblatt  hat  man 
vielfach  die  Bezeichnungen  Epi  blast  und  Hypo- 
blast,  oberes  und  unteres  Keimblatt 
benutzt ;  die  Namen  passen  streng  genommen  nur 
auf  die  Eier  mit  discoidaler  Furchung.  Beim  Vogelei 
z.  B.  bilden  die  beiden  Keimblatter  über  dem  un- 
gefurchten Dotter,  von  dem  sie  durch  die  Gastrula- 
höhle  getrennt  werden,  einen  uhrglasfürmigen  Auf- 
satz; dabei  liegt  dann  das  äussere  Keimblatt  that- 
säcklich  oben,  das  innere  unten.  Weitere  Bezeich- 
nungen für  die  beiden  Keimblätter  sind  Ectoderm 

und  Entoderm.  Diese  Namen  wurden  ursprünglich  für  die  Körper- 
schichten  ausgebildeter  Thiere,  der  Curlrntcrntrn,  gebraucht  und  sind  erst 
später  auf  die  Entwicklungsgeschichte  übertragen  worden.  In  diesem 
Lehrbuch  sollen  sie  nur  iu  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung  für  Zelleu- 
schichten,  welche  schon  die  organologische  und  histologische  Sonderung 
erfahren  haben,  angewandt  werden,  da  für  embryonale  Zellschichten  die 
Namen  Entoblast  und  Ectoblast  geeigneter  sind. 

Ueber  die  Entwicklungsweise  der  Gastrula  haben  sich  mehrfache  Contro-i*i.'inin»uon. 
versen  entwickelt,  welche  noch  nicht  ganz  zum  Abschluss  gelangt  sind. 
Neben  der  Invagination  soll  noch  ein  zweiter,  allerdings  sehr  seltener  Bil- 
dungsmodus, die  Del a  m  i  n  a  t  i  o  n  ,  existiren.  Bei  der  Delamination  soll 
die  Blastula  zweischichtig  werden  durch  tangentiale  Theilung  ihrer  Zellen 
Fijr.  102);  jede  einzelne  Blastodermzelle  oder  doch  wenigstens  die  Mehr- 
zahl der  Zellen  soll  bei  dieser  Theilung  in  eine  periphere  ectoblastische 
und   eine    centrale  entoblastische  Zelle  zerfallen.    Bei  der  Delamination 


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12* 


Allgemeine  Zoologie. 


würde  die  Furchungshöhle  direct  zur  Darmhöhle  werden,  was  es  erschwort, 
Dolamination  und  Invagination  als  Modificationen  eines  und  desselben  Pro- 
cesses  anzusehen. 


Fijr.  102.    Polainination  d»\s  (HTyonidcnrio-  nach  F<»1  <aur.  KoiNch«'lt-Hcidcr\ 

chungshöhle,  g  Gallerte. 


//  Fur- 


SbMbLlr  Viele  niedere  Thiere,  die  meisten  Coclenferaicn,  besitzen  über- 
■jmipl  nur  *>  Keimblätter.  Wenn  dieselben  angelegt  sind,  so  beginnt 
hier  sofort  die  Ausscheidung  von  Muskel-  und  Nervenfasern  und  die 
übrigen  Processe  der  histologischen  Umbildung  der  Zellen,  sowie  eine 
Reihe  von  Gcstaltveränderungen .  durch  welche  die  Gastrulae  zu  aus- 
gebildeten Thieren  werden.  Bei  höherer  Organisation  dagegen  entsteht, 
bevor  es  zur  organologischen  und  histologischen  Sonderung  kommt, 
noch  ein  drittes  Keimblatt ,  welches  seiner  Lage  zwischen  den  heiden 
ersten  den  Namen  Me  so  blast  oder 
mittleres  Keimblatt  verdankt. 
Dasselbe  kann  natürlich  nur  von  dem 
Zellenmaterial  der  vorhandenen  Keim- 
blätter abstammen,  und  zwar  scheint 
dabei  allein  der  Entoblast  betheiligt  zu 
sein.  Man  kann  zwei  Arten  in  der  Bil- 
dung des  mittleren  Keimblattes  unter- 
scheiden. In  einem  Fall  wird  der 
Zwischenraum  zwischen  Ectoblast  und 
Entoblast  durch  Ausscheidung  von  Gal- 
lerte von  Neuem  ausgeweitet,  und  in 
die  (iailerte  dringen  isolirte  Zellen  aus 
dem  Entoblast  ein;  so  entsteht  eine 
an  gallertige  Bindesubstanz  erinnernde 

Mc*enchym.  Zwischenschicht .  das  Mesenc  h  y  in 
(Fig.  HK-J),  aus  welchem  ein  Theil  der 
Organe  seine  Entstehung  nimmt. 

Zweitens  aber  kann  das  mittlere 
Keimblatt  den  epithelialen  Charakter 
der  beiden  primären  Keimblätter  bei- 

vewpitM.  behalten,  so  dass  wir  es  Mesepithel 
nennen.    Das  Mesepithel  ist  ein  durch 

Faltung  abgeschnürter  Theil  des  Entoblastes,  über  dessen  Entwick- 
lungsweise die  Embryologie  eines  Wurms,  der  Sagitta,  uns  Aufschluss 
geben  mag  (Fig.  104). 


Fijr.  103.  Bildung  des  Mrsenehymf» 
und  beginnende  Gastrulstian,  von 
Holotkuria  tuhulnsn  mach  Slenka 
aus  Halfour t.  mr  Micropyle,  //Cho- 
rion, .«<•.<•  Fnn,liunp«hölilv,  hl  Klasto- 
dmu,  cn  Ectoblast,  ////  Entoblast,  mn 
Mi •soncimii/cllcn.  <u-  Arehi'iitrron. 


igiiizca  Dy 


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Allgemeine  Zoologie. 


129 


Fig.  1()4.  Bildung  des  Mesepithel»  und  dos  Coeloms  von  Sagitta.  A  Vom 
Grund  der  Gast ru U  erheben  »»ich  J  Falten,  welche  den  Urdarm  in  den  bleibenden 
Darm  und  die  Coelomdivertikel  abtheilen.  B  Die  Sonderung  durch  Vordringen  der 
Falten  fast  beendet,  ak  äusseres,  nik  mittlere.-»,  ik  inneres  Keimblatt,  »ikl  Haut- 
faserblatt, vik*  Dannfaserblatt.  ///  Leibeshöhle. 


Wenn  sich  die  Gastrula  der  Sagitta  entwickelt  hat,  erheben  sich  am 
Grund  des  Urdarms  2  entoblastische  Falten  symmetrisch  zur  Mittellinie 
des  Körpers  und  theilen  den  Urdarm  in  3  zunächst  noch  zusammenhängend« 
Räume,  den  bleibenden  Darm  und  die  beiden  Anlagen  der  Leibeshöhle,  diu 
Coelomdivertikel.  Jetzt  schliesst  sich  der  Urmund  und  wachsen  die  Ento- 
dermfalten  bis  an  das  vordere  Ende  der  Gastrula,  um  hier  mit  den  Wan- 
dungen zu  verkleben.  Dadurch  wird  zweierlei  bewirkt:  die  beiden  Coelom- 
divertikel werden  vom  Darm  vollkommen  getrennt ;  ferner  wird  in  ent- 
sprechender Weise  der  bis  dahin  einheitliche  Entoblast  in  3  Epithelsäckchen 
zerlegt.  Das  mittlere  ist  die  Auskleidung  des  Darms  oder  der  secuudäro 
Entoblast  (Darmdrüsenblatt),  die  seitlichen  sind  die  Auskleidungen  der 
Coelomsäcke  oder  die  paarigen  Anlagen  des  mittleren  Keimblatts.  Jede 
Mesoblastanlage  besteht  aus  2  Schichten,  welche  durch  die  Leibeshöhle 
getrennt  werden ;  die  eine  Schicht  liegt  dem  Darm  an  und  heisst  daher 
das  Darmfaserblatt,  die  andere  Schicht  folgt  dicht  unter  dem  Ecto- 
blast  oder  der  embryonalen  Haut  und  heisst  H  au  t  f as  e  r b  1  a  1 1.  Aus 
dem  Gesagten  ist  ersichtlich,  dass  der  epitheliale  Mesoblast  streng  genommen 
keine  einheitliche  Schicht  ist,  sondern  aus  2  allerdings  in  einander  über- 
gehenden Lagen  besteht,  und  dass  seine  Entstehung  mit  der  Bildung  der 
Leibeshöhle  eng  verknüpft  ist. 

Was  nun  die  Verbreitungsweise  des  Mesenchyms  und  des  Mesepithels 
anlangt,  so  sind  3  Fälle  möglich  und  thatsächlich  auch  vorhanden.  Es 
giebt  rein  mesenehymatöse  Thiere,  wie  die  PfattiHirmcr.  und  rein  mes- 
epitheliale,  wie  die  Sagittcn,  viele  Anneliden  und  der  Amphiosus;  es  giebt 
endlich  aber  auch  Thiere,  bei  denen  der  Mesoblast  aus  Mesenchym  und 
Mesepithel  besteht.  Entweder  entsteht  zuerst  das  Mesenchym  und  später 
das  Mesepithel,  wie  bei  den  Echinodennen,  oder  es  wird  wie  bei  den  meisten 
Wirbelthieren  die  umgekehrte  Reihenfolge  eingehalten. 

Aus  den  3  Keimblättern  entstehen  alle  Organe  eines  Thieres  da-t  gjjj**M< 
durch,  dass  sich  zunächst  embryonales  Zellenmaterial  meist  durch  Ein-  org*no- 

r  1*1.1 

faltung  zu  einem  gesonderten  Complex  abgrenzt  (organologische  nEmni- 
Differenzirung),  und  dass  dieser  Complex  dann  später  in  Gewebe 
verwandelt  wird  (histologische  Differenzirung).    Wie  das  ge- 


Hertwtff,  1-ehrl.och  d«f  Zoologie.   3.  Auflig». 


9 


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130 


Allgemeine  Zoologie. 


schiebt ,  ist  bei  den  einzelnen  Thierstännnen  verschieden.  Immerhin 
lassen  sich  folgende  allgemeine  Sätze  aufstellen,  dass  aus  dem  Ec to- 
blast die  Epidermis  mit  ihren  Drüsen  und  Anhängen,  das  Nerven- 
system und  die  Sinncscpithclien  hervorgehen,  dass  der  Entoblast 
den  wichtigsten  Theil  des  Darms  mit  seinen  wesentlichsten  Drüsen  er- 
zeugt, dass  endlich  Muskeln.  Bindesubstanz,  exeretorische  Organe  ganz 
oder  zum  Theil  im  Mesoblast  entstehen:  meroblastisch  sind  meist 
auch  die  Geschlechtsorgane, 
verhüten  In   der  Neuzeit  ist  die   Frage  viel   erörtert  worden,  inwieweit  die 

huttw'blV  Keimblättertheorie  auch  für  die  Vorgiinge  bei  der  ungeschlechtlichen  Fort- 
der  Kno*-  pflanzung  Geltung  besitzt.  Zunächst  würde  man  erwarten,  dass  bei  der 
Knospung  und  noch  mehr  bei  der  Theilung  Jedes  Organ  des  Tochter- 
thieres  sich  von  dem  entsprechenden  Organ  des  Mutterthieres  abspalte  oder, 
wenn  das  durch  räumliche  Verhältnisse  unmöglich  gemacht  wird,  von  einer 
dem  gleichen  Keimblatt  an«;ehörigen  Gewebsmasse.  In  vielen  Fällen  ist 
das  sicher  der  Fall,  wie  z.  B.  bei  der  Knospung  <ler  Hydranten  Eutoderm 
und  Ectoderm  der  Knospe  von  den  entsprechenden  Körperschichten  der 
Mutter  abstammen  (Fig.  $7).  Durch  neuere  Untersuchungen  sind  wir  aber 
mit  Ausnahmen  von  dieser  Regel  bekannt  geworden.  Bei  Bryo.ocn  und 
Tunwaten  sind  die  bei  der  Knospung  zur  Verwerthung  kommenden  Zellen 
indifferente,  noch  nicht  mit  den  Merkmalen  einer  bestimmten  Körperschicht 
ausgestattete  Elemente,  welche  demgemäss  auch  unabhängig  von  der  Lage, 
welche  sie  im  Mutterthier  einnahmen,  je  nach  Bedürfnis*  zum  Aufbau  der 
Organe  benutzt  werden  können. 


;">.  Die  verschiedenen  Formen  der  geschlechtlichen 

E  n  t  w  i  c  k  1  u  n  g. 

S^0"*-  ^ur  ^e^'  'n  Wi,l('Ml'r  <ne  beschriebenen  Vorgänge  (Befruchtung 
1  Theilung  des  Eies.  Bildung  der  Keimblätter)  abspielen,  sind  die 

mwickiu«»;  jungen  Thiere  gewöhnlich  noch  in  schützende  derbe  Eihüllen  oder  gar 
in  den  mütterlichen  Geschlechtsapparat  (Uterus)  eingeschlossen  und 
werden  deshalb  Embryonen  genannt.  Auch  spätere  Stadien,  die 
Bildung  der  wichtigsten  Organe,  können  noch  in  die  Zeit  des  Em- 
bryonallebens fallen,  wie  uns  die  Siiugethiere,  Vögel ,  Reptilien,  viele 
Fische,  Würmer  und  Krebse  lehren,  welche,  am  Ende  ihres  embryonalen 
Daseins  angelangt,  in  allen  Theilen  fertig  gestellt  sind  und  nur  noch 
der  Keife  der  Geschlechtsorgane  und  des  Wachsthums  des  gesammten 
Körpers  bedürfen,  um  den  Höhepunkt  ihrer  Ausbildung  zu  erreichen. 
Auf  der  anderen  Seite  giebt  es  Thiere.  namentlich  Wasserbewohner, 
welche  nach  dem  Verlassen  der  Eihüllen  noch  wichtige  Umgestaltungen 
erfahren,  wie  Coe) 'enteraten .  Ringel  wärmer ,  Echinodermen ,  Insec.ten, 
Amphibien  etc.  Die  Coelenteraten ,  Echinodermen  und  viele  Würmer 
pflegen  sogar  vor  der  Entstehung  der  Keimblätter  die  Hüllen  zu  durch- 
brechen und.  mittel  st  eines  die  Körperoberfläche  bedeckenden  Wimperkleids 
frei  herumschwimmend,  als  „Planulae"  die  Keimblätter  und  Organe  zu 
bilden.  Da  hier  zur  embryonalen  Entwicklung  eine  mehr  oder  minder 
ausgedehnte  postembryonale  Entwicklung  kommt,  ist  es  misshräuchlich, 
für  jede  Form  der  Entwicklungsgeschichte  den  Namen  „Embryologie" 
anzuwenden ;  vielmehr  ist  es  nöthig.  den  Namen  auf  die  Entwicklungs- 
vorgänge in  den  Eihüllen  zu  beschränken,  generell  dagegen  von  Ent- 
wicklungsgeschichte oder  Ontogenie  zu  sprechen.  Wie  man  das  un- 
entwickelte Thier  innerhalb  seiner  Hüllen  einen  Embryo  nennt,  so 


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Allgemeine  Zoologie.  1,'U 

ist  der  Name  Larve  für  das  freilebende,  aber  noch  entwicklungs- 
bedürftige Thier  üblich. 

Die  Larvenentwicklung  kann  nun  entweder  eine  directeD',^™d 


oder  eine  indirecte  sein.  Bei  der  directen  Entwicklung  bewegt  sich 
die  Larve,  wie  der  Name  sagt,  gleichsam  geraden  Wegs  auf  ihr  End- 
ziel, das  geschlechtsreife  Thier,  zu,  indem  sie  die  ihr  fehlenden  Organe, 
das  eine  nach  dem  anderen,  anlegt  und  stetig  somit  dein  geschlechts- 
reifen  Thier  ähnlicher  wird.  Die  indirecte  Entwicklung  macht  dagegen 
Umwege;  es  werden  Organe  angelegt,  die  später  wieder  zu  Grunde 
gehen  und  nur  auf  das  Larvenleben  berechnet  sind ,  die  man  dem- 
gemäss  auch  Larvenorgane  nennt.  Bei  der  Definition  der  indirecten 
Entwicklung  oder,  wie  sie  gewöhnlich  genannt  wird,  der  Metamor-  MJ££T 
phose  ist  daher  besonderes  Gewicht  auf  die  Anwesenheit  der  „Larven- 
organe" zu  legen.  So  unterscheiden  sich  die  Itaupen  von  den  Schmetter- 
lingen nicht  nur  durch  den  Mangel  der  zusammengesetzten  Augen  und 
der  Flügel,  sondern  auch  durch  die  Anwesenheit  der  dem  Schmetter- 
ling fehlenden  Aftcrfüsse  und  Spinndrüsen .  ferner  durch  die  andere 
Gestalt  von  Kiefern,  Antennen  und  Beinen,  die  verschiedene  Anord- 
nung des  Tracheen-  und  Nervensystems  etc.;  die  Kaulquappen  unter- 
scheiden sich  vom  Frosch  nicht  nur  durch  den  Mangel  der  Lungen 
und  Extremitäten,  sondern  auch  durch  die  Anwesenheit  der  Kiemen 
und  des  Ruderschwanzes.  Je  mehr  Larvenorgane  vorhanden  sind,  um 
so  deutlicher  wird  daher  auch  der  Charakter  der  Metamorphose  sein. 

Unabhängig  von  der  Zeit,  um  welche  der  Embryo  die  Eihüllen oripu*  ?s 
verlässt,  ist  der  Zeitpunkt,  auf  welchem  das  Ei  aus  dem  mütterlichen  'C^" 
Organismus  entfernt  wird.  Wir  kennen  hier  zwei  Extreme,  die  Ovi- 
paren oder  eierlegenden  und  die  viviparen  oder  lebendig  gebärenden 
Thiere.  Zu  den  oviparen  Thieren  können  streng  genommen  nur 
solche  Formen  gerechnet  werden,  bei  denen  das  Ei  zur  Zeit  der  Ge- 
burt noch  den  Charakter  einer  einzigen  Zelle  hat.  bei  denen  es  ent- 
weder wie  bei  den  meisten  Fischen,  Seeigeln  etc.  erst  nach  der  Ent- 
leerung oder  wie  bei  Batrachiern  und  Insccten  während  der  Entleerung 
befruchtet  wird.  Bei  viviparen  Thieren  dagegen  treffen  Geburt  und 
Zerreissen  der  Eihüllen  zeitlich  vollkommen  oder  nahezu  zusammen, 
und  aus  den  mütterlichen  Geschlechtswegen  tritt  ein  Thier  hervor, 
welches  seine  Entwicklung  abgeschlossen  oder  doch  so  weit  fortgeführt 
hat,  dass  es  ohne  schützende  Hüllen  zu  leben  vermag. 

Zwischen  beiden  Extremen  vermitteln  die  wechselnden  Formen  der 
„ovo- viviparen"  Entwicklung.  Was  hier  bei  der  Geburt  zum  Vor- 
schein kommt,  macht  zunächst  vermöge  seiner  Hüllen  den  Eindruck 
eines  Eies;  allein  die  ersten  Entwieklungsstadien  sind  schon  in  ihm 
>eit  längerer  Zeit  abgelaufen,  so  dass  man  beim  künstlichen  Sprengen 
der  Eihüllen  einen  mehr  oder  minder  weit  entwickelten,  aber  zu  selb- 
ständigem Leben  noch  nicht  befähigten  Embryo  herausschält.  In  die 
Kategorie  der  ovo-viviparen  Thiere  sind  auch  die  Vögel  zu  rechnen; 
denn  ihre  Eier  sind  längere  Zeit,  bevor  sie  gelegt  wurden,  befruchtet 
worden  und  haben  die  Bildung  des  Blastoderms  schon  vollendet.  Bei 
vielen  Würmern  kann  sogar  bei  der  Ablage  schon  ein  zum  Aus- 
schlüpfen bereites  Thier  in  der  Eischale  enthalten  sein. 

Derartige  Uebergangsformen  lehren,  dass  zwischen  „Eier  legen" 
und  ..lebendig  gebären"  keine  scharfe  Grenze  gezogen  werden  kann, 
und  dass  man  sich  hüten  muss,  den  hier  zu  Tage  tretenden  Unter- 
schieden grössere  Bedeutung  beizumessen.    Es  war  gänzlich  verfehlt, 

9* 


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Allgemeine  Zoologie. 


dass  Linno  nach  dem  Vorgang  von  Aristoteles  den  Zeitpunkt  der 
Geburt  systematisch  venverthen  wollte.  In  vielen  Thierabtheilungen 
Huden  sich  sowohl  Eier  legende  wie  lebendig  gebärende  Formen.  Die 
meisten  Haifische  sind  lebendig  gebärend,  einige  Arten  aber  legen 
Eier;  umgekehrt  gilt  für  die  Knochenfische  als  Regel,  dass  die  Eier 
vor  der  Befruchtung  entleert  werden.  Ausnahmen  davon  sind  der 
lebendig  gebärende  Zoarces  viviparus  u.  A.  Von  Amphibien,  Reptilien 
und  Imecten  sind  die  meisten  Eier  legend,  nicht  wenige  Formen  aber 
lebendig  gebärend.  Selbst  bei  den  Säugethieren,  bei  welchen  das 
„Lebendiggebären"  lange  Zeit  für  typisch  galt,  kennt  man  seit  Kurzem 
Eier  legende  Formen,  Echidnn  und  Ornithorhynchus.  Schliesslich 
kommen  sogar  bei  einer  und  derselben  Art  Ausnahmen  von  der  Regel 
vor.  Die  Nattern  legen  gewöhnlich  Eier,  unter  ungünstigen  Be- 
dingungen aber  behalten  sie  dieselben  bei  sich  bis  kurze  Zeit  vor  dem 
Ausschlüpfen  der  Jungen. 


Zusammenfassung  der  Resultate  der  Entwicklungsgeschichte. 


1)  Die  Entwicklung  eines  Thieres  beginnt  mit  einem  Act  der 
Zeugung:  man  unterscheidet  Urzeugung  und  Elternzeugung. 

2)  Urzeugung;  (Generatio  aequivoea,  G.  spontanea,  Abiogenesis)  ist 
die  Entstehung  lebender  Wesen  aus  unbelebter  Materie  (ohne  präexi- 
stirendc  Organismen). 

,'V)  Die  derzeitige  Existenz  der  Urzeugung  ist  weder  durch  Be- 
obachtung erwiesen,  noch  überhaupt  wahrscheinlich:  dagegen  ist  die 
Urzeugung  ein  logisches  Postulat,  um  die  erste  Entstehung  der  Organis- 
men auf  unserem  Erdball  zu  erklären. 

4)  Eltcrnzcugiing  (Tocogonie),  Abstammung  eines  Thiers  von 
einem  Thier  gleichen  oder  ähnlichen  Baues,  kann  entweder  auf  ge- 
schlechtlichem oder  ungeschlechtlichem  Wege  erfolgen. 

5)  Die  ungeschlechtliche  Fortpflanzung  wird  durch  ein  gesteiger- 
tes Wachsthuni  vorbereitet,  welches  zu  einer  Vertheilung  des  Ueber- 
schusses  auf  zwei  oder  mehr  Individuen  führt. 

(>)  Die  ungeschlechtliche  Fortpflanzung  kann  sein  Theilung  oder 
Knospung. 

7)  Beider  Theilung  wächst  ein  Organismus  gleichmässig  in  allen 
seinen  Theilen  und  zerfällt  durch  Einschnürung  in  zwei  oder  mehr 
gleichwerthige  neue  Stücke. 

8)  Nach  der  Richtung  der  Theilungsebene  zur  Längsaxe  des  Thiers 
spricht  man  von  Längs-,  Quer-  und  Schrägthcilung. 

9)  Bei  der  Knospung  findet  ein  locales  gesteigertes  Wachsthum 
statt  ;  der  locale  Auswuchs,  die  Knospe,  löst  sich  als  ein  kleineres,  meist 
auch  unvollkommener  gebautes  Individuum  vom  Mutterthier  ab. 

10)  Nach  der  Lage  und  der  Zahl  der  Knospen  unterscheidet  man 
laterale,  terminale,  multiple  Knospung. 

11)  Die  geschlechtliche  Fortpflanzung  ist  eine  Fortpflanzung 
mittelst  besonderer,  vom  Antheil  an  den  Kör^erfunctionen  längere  Zeit 
oder  dauernd  ausgeschlossener  Zellen,  der  Geschlechtszellen. 


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Allgemeine  Zoologie. 


133 


12)  Bei  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  vereinigen  sich  zweierlei 
Geschlechtszellen,  das  weibliche  Ei  und  der  männliche  Samenfaden  (Be- 
fruchtung). 

13)  Selten  kann  sich  das  Ei  ohne  Befruchtung  entwickeln:  Par- 
thenogenesis:  diese  ist  eine  geschlechtliche  Fortpflanzung  mit  rück- 
gebildeter Befruchtung. 

14)  Pädogenesis  ist  die  parthenogenetische  Fortpflanzung  eines 
jugendlichen,  d.  h.  unvollkommen  entwickelten  Thieres. 

15)  Verschiedene  Arten  der  Fortpflanzung  (ungeschlechtliche,  ge- 
schlechtliche, Parthenogenesis,  Pädogenesis)  können  bei  derselben 
Species  vorkommen ;  häutig  wird  dann  die  Yertheilung  derselben  ge- 
setzmässig  geregelt,  derart,  dass  Individuen  mit  verschiedener  Fort- 
pflanzung mit  einander  alterniren:  Generationswechsel  im  wei- 
teren Sinne. 

10)  Generationswechsel  im  engeren  Sinne  (progressiver  G.,  M e ta- 
gen esis)  ist  der  Wechsel  zweier  Generationen,  von  denen  sich  die 
eine  durch  Theilung  oder  Knospung,  die  andere  geschlechtlich  fort- 
pflanzt.   Erstere  heisst  die  Amme,  letztere  «las  Geschlechtsthier. 

17)  Folgen  mehrere  ungeschlechtliche  Generationen  auf  einander, 
ehe  wieder  ein  Geschlechtsthier  auftritt,  so  spricht  man  von  Grossamme, 
Amme,  Geschlechtsthier. 

1*)  Das  Aiterniren  von  Parthenogenesis  oder  Pädogenesis  mit 
streng  geschlechtlicher  Fortpflanzung  nennt  man  regressiven  Generations- 
wechsel oder  II  eterogonie. 

11»)  Die  durch  die  geschlechtliche  Fortpflanzung  eingeleitete  Ent- 
wicklung zeigt  fast  bei  allen  vielzelligen  Thieren  in  den  Anfangsstadien : 
Befruchtung,  Furchung,  Keimblattbildung,  principielle  Teberein- 
stimmung. 

20)  Das  W  e  s  e  n  d  er  B  e  f  r  u  c  h  t  u  n  g  beruht  auf  der  vollkommenen 
Verschmelzung  von  Ei  und  Spermatozoon,  vor  Allem  auf  der  Ver- 
einigung der  Kerne,  Ei-  und  Spermakern,  zum  Furchungskern. 

21)  Die  Eifurchung  ist  eine  Zelltheilung,  eine  Theilung  des  be- 
fruchteten Eies  in  die  Furchungskugeln.  Die  Furchung  kann  sein  eine 
totale  (holoblastische  Eier)  oder  eine  partielle  (meroblastische 
Eier):  die  totale  Furchung  ist  entweder  äqual  oder  in  äqual,  die 
partielle  entweder  discoidal  oder  superfiziell. 

22)  Durch  fortgesetzte  Theilung  der  Furchungskugeln  und  durch 
Ausbildung  der  Furch ungshöhle  entsteht  der  einschichtige  Keim,  die 
Blastula  (Vesieula  blastodermica). 

23)  Durch  Einstülpung  der  Blastula  entsteht  die  Gastrula  oder 
der  zweischichtige  Keim. 

24)  Die  Gastrula  umschliesst  einen  durch  den  Gastrulamund  nach 
aussen  sich  öffnenden  Hohlraum,  den  Urdarm  oder  das  Archenteron; 
sie  besteht  aus  2  Epithellagen,  dem  den  Urdarm  auskleidenden  En  to- 
blast (Hypoblast)  oder  inneren  Keimblatt  und  dem  die  Körperober- 
fläche bildenden  Ec toblast  (Epiblast)  oder  äusseren  Keimblatt. 

2f>)  Zwischen  äusserem  und  innerem  Keimblatt  kann  noch  ein 
drittes,  mittleres  Keimblatt,  Me  so  blast,  entstehen. 

2<i)  Das  mittlere  Keimblatt  entsteht  entweder  durch  Einfaltung  und 
Abschnürung  eines  Theils  des  Entoblastepithels :  epithelialer  Mesoblast, 
Mesepithel,  oder  durch  Auswandern  einzelner  Zellen  zur  Bildung 
eines  Gallertgewebes:  Mesenchym. 

27)  Viele  Thiere  legen  die  Eier  vor  oder  kurz  nach  der  Befruch- 


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134 


Allgemeine  Zoologie. 


tung  ab  (ovipare  Thiere),  andere  legen  Eier  ab,  welche  schon  im 
Mutterleib  befruchtet  waren  und  bei  der  Geburt  einen  Theil  der  Ent- 
wicklungsstadien durchlaufen  haben  (ovo-vivipar).  Eine  dritte  Reihe  von 
Thieren  gebiert  lebendige  Junge  (vivipar). 

28)  Die  Entwicklung  eines  Thieres  ist  entweder  eine  directe  oder 
eine  indirecte  (Metamorphose). 

29)  Von  indirecter  Entwicklung  oder  Metamorphose  spricht 
man,  wenn  das  aus  dem  Ei  hervortretende  junge  Thier  von  dem  ge- 
schlechtsreifen  Thier  sich  in  zwei  Punkten  unterscheidet: 

1)  durch  den  Mangel  gewisser  dem  gesehlechtsreifen  Thier  zu- 
kommender Organe, 

2)  durch  das  Auftreten  von  Organen,  die  umgekehrt  dem  ge- 
schlcchtsreifen  Thier  fehlen,  von  Larvenorganen. 


III.  Beziehungen  der  Thiere  zu  einander. 


Wie  zwischen  den  Organen  eines  und  desselben  Thierkörpers  ein 
gesetzmässiger  Zusammenhang  besteht,  welcher  als  Correlation  der 
Theile  bezeichnet  wird,  so  stehen  auch  die  verschiedenen  Individuen 
der  Thierbevölkerung  in  vielfacher  und  inniger  Wechselwirkung  zu 
einander.  An  einer  Fülle  von  Beispielen  hat  Darwin  durchgeführt, 
wie  die  Existenzbedingungen  mancher  Thierarten  verändert  werden, 
wenn  andere  Formen  neu  auftreten  oder  verschwinden  oder  eine  ausser- 
gewöhnliche  Reduction  oder  Vermehrung  der  Individuenzahl  erfahren. 
Derartige  Wechselwirkungen  sind  meist  individueller  Natur  und  können 
nur  durch  Specialstudien  klar  gelegt  werden ;  nur  wenige  Verhältnisse 
haben  allgemeinere  Verbreitung  und  sind  daher  auch  einer  allgemeinen 
Besprechung  zugängig:  hierher  gehören  Stock-  und  Staatenbildung, 
Parasitismus  und  Symbiose. 


1.  Beziehungen  zwischen  Individuen  derselben  Art. 

i 

w*dmlh  Stock-  und  Staatenbildung  sind  Beziehungen,  welche  sich  zwischen 
c5ncrfT  Individuen  derselben  Art  ergeben.  Unter  einem  Thierstock  ver- 
tcta'1'  stehen  wir  eine  Vereinigung  zahlreicher  Thierindividuen,  welche  auf 
einem  festen  organischen  Zusammenhang  der  Körper  beruht.  Letzterer 
kann  auf  zweierlei  Weise  zu  Stande  kommen,  einmal  indem  Thiere. 
welche  von  Anfang  an  getrennt  waren,  sich  einander  nähern  und  theil- 
weise  mit  einander  verschmelzen,  zweitens  indem  Thiere,  welche  durch 
Theilung  und  Knospung  entstanden  sind,  mit  einander  vereint  bleiben, 
anstatt  sich  von  einander  zu  trennen.  Der  erstere  Fall  der  Stock- 
bildung ist  äusserst  selten  und  spielt  im  Thierreich  gar  keine  Rolle. 
Manche  Protozoen  verschmelzen  mit  einander  und  bilden  grössere 
Körper,  in  denen  man  die  Einzelthiere  noch  erkennen  kann.  Unter  den 
vielzelligen  Thieren  kennt  man  nur  den  Fall  des  Diplozoon  paradoxum, 
bei  welchem  normalerweise  jedesmal  zwei  aus  verschiedenen  Eiern 
stammende  Thiere  (die  Diporpcn)  sich  zu  einem  Doppelthier  vereinen, 


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Allgemeine  Zoologie.  135 

welches  an  gewisse  Doppelmissbildungen,  wie  z.  B.  die  siamesischen 
Zwillinge,  erinnert  (Fig.  105). 


Fig.  K>">.  Entwicklung  von  Diplo\oon  paradox  ttm  (aus  Roos).  1)  Larve,  2)  daraus 
hervorgegangene  „Diporpa".  3)  Zwei  Diporpen  vereinigen  sich.  4)  Die  Diporpen 
«nd  zum  Dtplozoon  vereint,  »i  Mund,  d  Dann,  //  hinterer  Haftapparat,  b  Bauch- 
nngnapf,  der  zum  Fassen  des  Rückenzapfens  r  dient. 

Im  Allgemeinen  kann  man  sagen,  dass  die  in  der  Natur  vor-  ^^orch 
kommenden  Fälle  von  Stockbildung  auf  unvollkommener  Theilung  und  S&xEL. 
Knospung  beruhen.    Ein  Thier  besitzt  die  Fähigkeit  der  ungeschlecht-  JJ" 
liehen  Vermehrung;  letztere  kommt  jedoch  nicht  zum  normalen  Ab-  Kno»Pun«. 
schluss,  indem  zwar  die  Ausgestaltung  von  zwei  oder  mehr  Individuen, 
nicht  aber  die  völlige  Trennung  herbeigeführt  wird.  Mehr  oder  minder 
breite  Gewebsbrücken  bleiben  erhalten,  welche  die  Theilstücke  unter 
einander  oder  die  Knospen  mit  ihrem  Mutterthier  vereinigen.  Die 
marinen  Stöcke  der  Corallen  und  Hydroiden  (Fig.  88,  188)  können  aus 
Tausenden  von  Individuen  bestehen,  welche  durch  fortgesetzte  unvoll- 
kommene Knospung  oder  Theilung  von  einem  einzigen  geschlechtlich 
erzeugten  Mutterthier  abstammen. 

Der  Zusammenhang  der  Gewebe  bedingt  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
einen  nicht  unbeträchtlichen  Grad  von  Gemeinsamkeit  der  Functionen. 
Reize,  welche  ein  Individuum  treffen,  werden  durch  gemeinsame  Nerven 
den  übrigen  Thieren  des  Stockes  mitgetheilt:  dadurch  werden  gemein- 
same Bewegungen  ermöglicht.  In  gleicher  Weise  kommt  die  von 
einem  Thier  erbeutete  und  verdaute  Nahrung  dem  gesammten  Stock 
zu  Gute.  Vermöge  der  Gemeinsamkeit  seiner  Functionen  erscheint 
ein  Stock  wie  ein  einheitliches  Ganze,  wie  ein  Individuum  höherer 
Ordnung:  es  wiederholt  sich  derselbe  Process,  welcher  zur  Bildung 
vielzelliger  Organismen  führte;  wie  dort  die  Elementarorganismen,  die 
Zellen,  zum  Eiuzelthier  verbunden  bleiben,  so  hier  die  Einzelthiere 
zum  Stock, 

Wo  ein  Ganzes  aus  zahlreichen  gleichwertigen  Theilen  besteht,  pf$™r; 
sind  die  Bedingungen  zur  Arbeitsteilung  gegeben.  Anstatt  dass  die  p  mutm 
Functionen  der  Gesammtheit  sich  gleichmässig  auf  die  Einzelstückc 
vertheilen,  werden  manche  der  letzteren  mehr  für  diese,  andere  wieder- 
um mehr  für  jene  Function  geschickt  und  erhalten  eine  dem  ent- 
sprechende Organisation.  Bei  solchen  Thierstöcken  spricht  man  dann 
von  Vielgestaltigkeit  oder  P  o  1  y  m  o  r  p  h  i  s  m  u  s.  Der  Polymorphismus 
äussert  sich  am  häufigsten  auf  dem  Gebiet  der  vegetativen  Functionen, 
indem  er  zu  einem  Gegensatz  von  Geschlechtsthicren  und  Nährthieren 
führt,  wie  bei  den  meisten  Hydrozoen,  bei  denen  nicht  selten  die  Er- 
nährung durch  Thiere  ohne  Geschlechtsorgane  und  die  Fortpflanzung 
durch  Thiere  ohne  Mund  besorgt  wird.    Aber  auch  die  übrigen  Func- 


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IM 


Allgemeine  Zoologie. 


St.iiiten- 
bUdung. 


tionen,  wie  Fortbewegung,  Empfindung,  Schutz  und  Trutz,  können 
speeialisirt  werden.  Das  classische  Beispiel  für  Polymorphismus  sind 
die  Siphonophoren  (Fig.  106).  Zu  einem  einzigen  Körper  vereint  sind 
liier  locomotorische  Thiere,  die  Schwimmglocken,  welche  nur  der  Be- 
wegung dienen,  Deckstücke,  welche  nur  die  übrigen  beschützen.  Fress- 
polypen, welche  nur  Nahrung  aufnehmen  und  verdauen,  Geschlechts- 
thiere  und  Tastpolypen,  welche 
nur  die  geschlechtliche  Fortpflan- 
zung, beziehungsweise  die  Empfin- 
dung vermitteln.  Rücksichtlich  der 
übrigen  Functionen  ist  hier  jedes 
Thier  auf  seine  Geschwister  ange- 
wiesen ;  seine  Existenz  ist  daher 
von  diesen  abhängig  geworden : 
das  einzelne  Individuum  kann  nur 
als  Theil  eines  Ganzen  dauernd 
leben.  So  führt  auch  hier  die 
Arbeitstheilung  zu  grösserer  Cen- 
tralisation;  je  polymorpher  ein 
Thierstock  ist,  um  so  einheitlicher 
ist  er,  um  so  mehr  macht  er  den 
Eindruck  eines  Einzelthieres,  an- 
statt einer  Summe  von  Individuen. 

Viel  geringer  ist  die  wechsel- 
seitige Abhängigkeit  der  Thiere 
bei  der  S  t  a  a  t  e  n  b  i  l  d  u  n  g .  da 
es  sich  hier  um  keinen  organi- 
schen Zusammenhang,  sondern 
nur  um  ein  freiwilliges  Zusammen- 
leben handelt.  War  bei  der  Stock- 
bildung die  ungeschlechtliche 
Fortpflanzung  von  Wichtigkeit,  so 
spielt  hier  die  geschlechtliche  eine 

grosse  Rolle.    Unter  dem  EillflllSS     Fi)f.  100.    Praya  diplnja»  (nach  (re^eii- 

baur,    A  »las  puize  Thier.  B  eine  einzeln«1 


des  Geschlechtstriebs  drängen  sich        '•  i  ' 

•  i     «-pi  •  Ii   4       11  Indivitlueiijrrtinpe  starker  ver^rossert  (hu 

viele  Thiere.  selbst  solche  von  (1„xi,.(<  ,  J^litück.  2  Fros^lv,».  3  Snk- 

niedrigster  Organisation,  dauernd  faden,  4  (icschlechts^loeke. 
oder  zeitweilig  zu  Haufen  zusam- 
men: die  Seeigel,  Seewalzen,  viele  Fische  sammeln  sich  an  der  Küste 
zur  Zeit  der  Eiablage;  der  Geschlechtstrieb  vereinigt  die  Herden 
der  Hirsche,  Elephanten  etc.  Zu  einer  festen  Organisation,  zu  einer 
Staatenbildung  im  engeren  Sinne  führt  dann  weiter  die  Sorge  um  die 
junge  Brut;  alle  Insectenslaaten  sind  auf  dieser  Basis  aufgebaut.  Da 
somit  das  Geschlechtsleben  der  Ausgangspunkt  für  die  Staatenbildung 
ist,  so  ist  es  weiter  begreiflich,  dass  bei  den  verschiedenen  Individuen- 
gruppen, den  ..Ständen"  des  Staates,  die  Geschlechtsorgane  in  ihrer 
Ausbildung  beeinflusst  werden.  Ausser  Männchen  und  Weibchen 
(Königen  und  Königinnen)  giebt  es  noch  Thiere  mit  rückgebildetein, 
funetionsunfähig  gewordenem  Gcschlechtsapparat,  die  Arbeiter:  ent- 
weder sind  die  letzteren  nur  Weibchen  (Bienen,  Ameisen)  oder  Weib- 
chen und  Männchen  (Termiten).  Während  die  Könige  und  Königinnen 
den  Nachwuchs  liefern,  haben  die  Arbeiter  die  Pflege  der  jungen  Brut 
übernommen;  sie  sorgen  für  die  Bauten,  für  die  Nahrung  und  auch 


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Allgemeine  Zoologie. 


137 


für  die  Verteidigung,  wenn  nicht  letztere  von  einem  besonderen 
Stand,  den  Soldaten  (Termiten),  geleistet  wird. 


2.  Beziehungen  zwischen  Individuen  verschiedener  Arten. 

Wenn  Individuen  verschiedener  Arten  zu  einander  in  ein  engeres 
Wechselverhältniss  treten,  so  ist  die  Ursache  dazu  der  Nutzen,  welchen 
entweder  einseitig  die  eine  Art  von  der  anderen  zieht,  oder  den  beide 
sich  gegenseitig  bieten;  im  ersteren  Fall  sprechen  wir  von  Para- 
sitismus, im  letzteren  von  Symbiose. 

Unter  Parasiten   verstehen  wir  Thiere,   welche  auf  anderen  p,^u*" 
Thieren.  den  Wohnthieren  oder  Wirthen,  Wohnung  und  Nahrung  finden, 
welche  dadurch  in  ein  Abhängigkeitsverhältniss  zu  diesen  getreten 
sind  und  mehr  oder  minder  eingreifende  Veränderungen  ihrer  Orga- 
nisation erfahren  haben. 

Um  ein  Thier  als  Parasiten  zu  erklären,  genügt  es  nicht,  dass  es  auf 
einem  andereu  sich  niedergelassen  hat.  Es  «riebt  viele  Thiere,  welche  über- 
haupt festsitzen  und  welche,  je  nachdem  sich  ihnen  Gelegenheit  bietet,  sich 
auf  einem  Steiu,  einer  Pflanze  oder  einem  anderen  Thiere  ansiedeln;  in 
solchen  Fällen  von  Raumparasitismus  zu  reden,  ist  missbräuchlieh,  weil 
von  einem  Abhängigkeitsverhältniss  nicht  die  Rede  sein  kann.  Wenn  ein 
}hj<iroi»ljH>hfi>  anstatt  auf  einem  Stein  sich  einmal  auf  dem  Rücken  einer 
Kraltl»  niederlüsst,  so  handelt  es  sich  dabei  um  einen  Zufall,  durch  den 
das  Wesen  des  Ilyrfroitlpolyprtt  in  keiner  Weise  betroffen  wird.  Ganz 
anders  würden  wir  den  Fall  bcurtheilen,  wenn  der  betreffende  Polyp  nur 
auf  der  Krubltc  zu  leben  vermöchte  und  an  anderen  Orten  zu  Grunde  ginge. 
Kin  derartiges  Abhängigkeitsverhältniss  trifft  nur  zu,  wenn  von  dem  Aufent- 
haltsort auch  die  Ernährungsweise  abhängt,  wenn  das  Wobnthier  nicht 
nur  zum  Wohnen  dient,  sondern  dem  Bewohner  auch  die  Nahrung  liefert, 
wenn  der  Bewohner  auf  Kosten  des  Wohnthiers  lebt. 

Das  Maass,  in  welchem  ein  Parasit  von  seinem  Wirth  abhängig  p*^,c,£eh* 
geworden  ist.  wechselt  nach  den  einzelnen  Arten ;  es  wird  davon  be-  widuag. 
stimmt,  inwieweit  der  Parasit  sich  in  der  Organisation  seinem  Wirth 
angepasst  hat.  Darum  ist  es  nöthig.  bei  der  Besprechung  des  Para- 
sitismus auch  der  Umgestaltungen  zu  gedenken,  welche  die  parasitische 
Lebensweise  in  dem  Bau  der  Thiere  hervorruft.  Dieselben  betreffen 
am  unmittelbarsten  die  Organe  der  Fortbewegung  und  Ernäh- 
rung. Da  ein  Parasit  sich  auf  seinem  Wohnthier  möglichst  fest  an- 
zusiedeln sucht,  so  gehen  die  den  Ortswechsel  vermittelnden  Einrich- 
tungen allmählig  verloren  oder  werden  doch  schlechter  entwickelt. 
Dafür  treten  Apparate  zum  Festhalten  am  Wirth  auf.  Parasiten  der 
verschiedensten  Abtheilungen  besitzen  Haken,  Klammern.  Saugnäpfe  etc. 
Zur  Ernährung  dient  den  Parasiten  das  Blut  oder  der  Gewebssaft  oder 
der  Speisebrei  des  Wirths;  das  sind  gelöste  Substanzen,  welche  kaum 
der  Verdauung  bedürfen.  Daher  ist  gewöhnlich  der  Darmkanal  ver- 
einfacht oder  er  geht  gänzlich  verloren;  es  giebt  unter  den  Parasiten 
sowohl  darmlose  Würmer  als  darmlose  Crustaceen.  Auch  sonst  ver- 
einfacht sich  die  Lebensweise  des  Parasiten,  da  er  nicht  gezwungen 
ist,  nach  Nahrung  zu  suchen  :  bei  allen  Parasiten  erfahren  Nerven- 
system und  Sinnesorgane  eine  hochgradige  Rückbildung:  ersteres  wird 
zumeist  auf  das  Notwendigste  beschränkt,  diese  können  gänzlich  ver- 
loren gehen. 


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Allgemeine  Zoologie. 


Eine  starke  Ausbildung  erleidet  dagegen  der  Geschlechts- 
apparat. Während  es  dem  Parasiten  leichter  wird,  sich  selbst  zu  er- 
halten, ist  die  Existenz  der  Art  um  so  gefährdeter.  AVenn  ein  Mensch 
stirbt,  so  gehen  auch  meist  seine  Parasiten  mit  ihm  zu  Grunde,  namentlich 
diejenigen,  welche  im  Innern  des  Körpers  existiren.  Soll  eine  bestimmte 
parasitische  Art  nicht  in  kurzer  Zeit  aussterben,  so  ist  es  nöthig,  dass 
ihre  Eier  immer  wieder  in  neue  Wirthe  hineingerathen.  Da  diese 
Uebertragung  mit  Schwierigkeiten  verknüpft  ist ,  müssen  die  Parasiten 
einen  enormen  Ueberfluss  an  Eiern  produciren.  Die  Eier  ihrerseits 
wiederum  zeichnen  sich  durch  grosse  Widerstandsfähigkeit  und  gut  ent- 
wickelte Schutzorgane,  wie  starke  Schalen,  aus;  es  ist  z.  Ii.  bekannt, 
dass  die  Eier  von  Ascariden  sich  längere  Zeit  sogar  in  Spiritus 
weiter  entwickeln,  da  sie  durch  ihre  undurchgängigen  Schalen  ge- 
schützt sind. 

Alle  die  hervorgehobenen  Einrichtungen  werden  mehr  bei  Sehma- 
Siittrir  rotzern,  welche  im  Innern  von  anderen  Thieren  leben,  den  Ento- 
parasiten.  Geltung  gewinnen,  als  bei  Bewohnern  der  Haut  oder  an- 
derer oberflächlicher  Organe,  den  Ectoparasiten.    Bei  den  Ento- 


Fig.  1<X 


parasiten  sind  die  umgestaltenden  Ein- 
flüsse des  Parasitismus  so  bedeutend, 
dass  Vertreter  der  verschiedensten 
Thierabtheilungen  eine  auffallende 
Aehnlichkeit  des  Aussehens  und  des 
Baues  gewinnen,  l'cntastomum  taeni- 
oides  z.  Ii.  gehört  mit  den  Spinnen 
in  dieselbe  (  lasse ,  die  Classe  der 
Arnchnotdccn  (Fig.  10*)  gleicht  den- 
selben aber  gar  nicht  in  der  äusseren 
Erscheinung,  sondern  erinnert  an  die 
Bandwürmer  (Fig.  107).  Man  hat  da- 
her auch  lange  alle  Entoparasiten 
wegen  ihrer  Gleichartigkeit  in  eine 
einzige  systematische  Gruppe  unter 
dem  Namen  „llelminthes"  zusamiiien- 
gefasst  und  darin  Crustnccen,  Würmer 
und  Arnclmoidecn,  alsoThiere  aus  ganz 
verschiedenen  Thierstämmen ,  ver- 
einigt: erst  durch  die  Entwicklungs- 
geschichte wurden  die  Zoologen  auf 
das  rnnatürliche  der  Helminthen- 
gruppe  aufmerksam  gemacht.  Der 
Entoparasitismus  ist  somit  eines  der 
schönsten  Beispiele,  um  das  Wesen 
der  con  verteilten  Züchtung 
zu  erläutern:  dass  Thiere  von  ganz 
verschiedener  systematischer  Stellung 
ciin^n.  letztere  empfangt  die  Ausfuhr-  unter  gleichen  Lebensbedingungen 
Av.  tro  7.«v,r-r  K,„,„:H,,ia  *•.„....<  >>  und      ,     •  Gleichartigkeit  des 

«ludet  •sich  um  den  l»arm  '/.       ().•>.,-  p  ,    .  * 

|,h,ijr,iK  Baues    und    der    Erscheinung  ge- 

winnen. 

Viel  seltener  als  Parasitismus  ist  die  Symbiose  oder  das  Zu- 
sammenleben der  Thiere  zu  gegenseitigem  Nutzen.  Bei  Staaten 
bildenden  Thieren  beobachtet  man  zwar  nicht  selten,  dass  sie  gewisse 


Fig.  K>7.    Tin  nid  nana  mach  I*cuckarfi. 

Fig.  lO\  l\nta.>toinnnt  laminitlrs, 
Weibchen  (nach  Lcuckart).  //  Haken 
link-  und  rechts  v«nn  Mund;  "/•  im- 
paans  Ovar  gabelt  sieh  in  '_'  Ovidncte, 
die  sieh  zur  unpaann  Vagina  ira)  ver- 


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Allgemeine  Zoologie. 


Thierarten  nicht  nur  in  ihren  Verbänden  dulden,  sondern  sogar  zu  hegen 
und  zu  pflegen  suchen,  wie  man  in  Gesellschaft  der  Ameisen  manche 
blinde  Käfer,  wie  den  Claviger,  oder  manche  Blattläuse  oder  sogar 
Ameisen  aus  anderen  Arten  und  Gattungen  findet.  Solche  Fälle  des 
Zusammenlebens  entsprechen  aber  vielmehr  der  Hausthierzucht  oder 
der  Sklaverei,  wie  sie  vom  Menschen  betrieben  werden.  Die  Ameisen 
halten  die  Blattläuse,  um  die  süssen  Säfte  zu  lecken,  welche  in  ihren 
Fäcalien  enthalten  sind;  sie  rauben  die  Puppen  anderer  Ameisen  und 
ziehen  sie  auf,  um  sie  später  als  Sklaven  zu  ihrem  Vortheil  zu  be- 
nutzen. Das  Verhältniss  beruht  somit  nicht  auf  Gleichberechtigung, 
indem  das  eine  Thier,  in  dem  vorliegenden  Heispiele  die  Ameise,  das 
Zusammenleben  veranlasst,  das  andere  Thier  passiv  in  dasselbe  hinein- 
geräth. 

Einen  Fall  vollkommenster  Gleichberechtigung  und  echter  Sym- 
biose liefern  uns  dagegen  ein  Krebs  und  eine  Actinie.  der  Pagurus 
Prideauxi  und  die  Adamsia  palliata.  Wie  jede  Pagurusart,  bewohnt 
auch  dieser  Einsiedlerkrebs  die  Schale  einer  Schnecke,  aus  deren 
Mündung  er  nur  mit  seinen  Beinen  und  Scheeren  hervorschaut.  Auf 
dein  Schneckenhaus  siedelt  sich  eine  kleine  Actinie  an,  welche  mit 
ihrem  Körper  den  Eingang  des  Schneckenhauses  umgiebt.  Wenn  der 
Krebs  im  Laufe  seines  Wachsthums  gezwungen  wird,  ein  neues  grösseres 
Schneckenhaus  zu  beziehen,  so  nimmt  er  stets  seine  Begleiterin  mit. 
Die  Vortheile,  welche  die  Actinie  aus  dieser  Symbiose  zieht,  sind  klar; 
sie  bekommt  ihren  Antheil  an  der  Heute,  welche  der  schnellfüssige 
Krebs  erjagt.  Weniger  klar  ist  es,  warum  der  Krebs  auf  das  Zu- 
sammenleben so  grossen  Werth  legt.  Indexen  ist  die  Actinie  ihm  viel- 
leicht von  Vortheil.  indem  sie  mit  ihren  Nesselbatterien  den  Eingang 
in  die  Schale  vertheidigt  und  somit  Eindringlinge  abhält,  welche  in  das 
Innere  der  Schale  hineinschleichen  und  (lern  weichen  Hinterleib  des 
Krebses  gefährlich  werden  könnten. 

Dass  im  Allgemeinen  Thiere  selten  in  Symbiose  leben,  hat  vor- 
nehmlich seinen  Grund  wohl  darin,  dass  die  Lebensbedingungen  aller 
Thiere  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ähnlich  oder  gleich  sind.  Sie  alle 
nehmen  kohlenstoff-  und  stickstottmche  Verbindungen  auf  und  zer- 
setzen sie,  indem  sie  unter  Zutritt  des  Sauerstoffs  der  Luft  dieselben  in 
Kohlensäure.  Wasser  und  stickstoffhaltige  Oxydationsproducte  zerlegen. 
Alle  Thiere  sind  somit  Concurrenten  im  Wettbewerb  um  die  Nahrung. 
Derselbe  Grund  macht  es  auf  der  anderen  Seite  begreiflich,  weshalb 
umgekehrt  echte  Symbiose  zwischen  Pflanzen  und  Thieren  gar  nicht 
selten  ist  Besonders  sind  es  niedere  Algen,  die  ZooxanthcUen,  welche 
oft  in  Thieren  leben.  Gewisse  Rhizopoden,  vor  Allem  die  Radiolaricn, 
enthalten  in  ihrem  Weichkörper  grün  oder  gelb  gefärbte  Zellen  mit 
solcher  Constanz.  dass  man  sie  lange  für  Bestandteile  ihres  Körpers 
hielt.  Ganz  ähnliche  gelbe  und  grüne  Zellen  bevölkern  das  Magen- 
epithel vieler  Actinien,  Corallen  und  sogar  mancher  Würmer.  Die 
ZooxanthcUen  ernähren  sich  \on  der  Kohlensäure,  welche  in  den 
thierischen  Geweben  gebildet  wird,  und  athmen  Sauerstoff*  aus,  welcher 
wiederum  für  das  Thier  von  grosser  Bedeutung  ist;  sie  bilden  ferner 
Stärke  und  andere  Kohlenhydrate,  und  ist  es  nicht  ausgeschlossen ,  dass 
ein  hierbei  entstehender  Ueberschuss  als  Nährmaterial  dem  Thiere  zu 
(inte  kommen  kann.  So  spielt  sich  hier  im  kleinen  Raum  der  Kreis- 
lauf der  Stoffe  ab,  wie  er  im  Grossen  in  der  Natur  zwischen  Thier- 
und  Pflanzenreich  vorhanden  ist.    Mit  Hilfe  des  Blattgrüns  und  der 


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Allgemeine  Zoologie. 


chemischen  Einwirkung  des  Sonnenlichts  zerlegen  die  Pflanzen  Wasser 
und  Kohlensüure  und  bilden  aus  ihnen  Sauerstoff,  den  sie  ausathmen, 
und  kohlenstoffreiche  Verbindungen,  welche  sie  in  ihren  Geweben  ab- 
lagern; sie  sind  Reductionsorganisnien.  Umgekehrt  athmen  die 
Thiere  Kohlensäure  und  Wasser  aus ,  nehmen  dagegen  Sauerstoff  aus 
der  Luft  und  kohlenstoffreiche  Verbindungen  durch  ihre  Nahrung  auf: 
den  Sauerstoff  benutzen  sie,  um  die  chemischen  Verbindungen  zu  zer- 
legen, zu  oxydiren  :  sie  sind  O  x  y  d  a  t  i  o  n  s  o  r  g a  n  i  s m  e  n.  Daher  er- 
klärt es  sich,  weshalb  die  günstigen  Einwirkungen  der  Pflanzen  auf  «las 
Thierreich  sofort  aufhören,  wenn  sie  den  Charakter  ihres  Stoffwechsels 
verändern.  Pilze  und  ßacterien  haben  mit  dem  Verlust  des  Chlorophylls 
die  Fähigkeit,  Kohlensäure  zu  rcducircn ,  verloren:  sie  beziehen  die 
Nahrung  von  anderen  Organismen  und  zerlegen  dieselbe  in  Kohlensäure, 
Wasser  u.  s.  w. :  sie  sind  Oxydationsorganismen  wie  die  Thiere  und  so- 
mit gefährliche  Concurrenten  der  Thiere  geworden.  Wo  sie  im  thie- 
rischen Körper  sich  niederlassen,  bringen  sie  ihm  in  der  überwiegenden 
Mehrzahl  der  Fälle  Schaden;  sie  sind  die  Ursachen  vieler  dem  Thier 
äusserst  gefährlicher  Krankheiten. 


IV.  Thier  und  Pflanze. 


Die  Betrachtungen  über  Symbiose  haben  uns  darauf  geführt,  dass 
zwischen  Pflanzen  und  Thieren  ein  Gegensatz  in  der  Art  des  Stoff- 
wechsels existirt,  der  sich  darin  ausdrückt,  dass  Pflanzen  zumeist 
Kohlensäure  aufnehmen  und  Sauerstoff  ausathmen,  während  die  Thiere 
Sauerstoff  einathmen  und  Kohlensäure  abgeben.  Hieraus  könnte  man 
schliessen,  dass  es  leicht  sein  müsse,  allgemein  giltige  Unterschiede 
zwischen  Pflanzen  und  Thieren  ausfindig  zu  machen,  wie  denn  in  der 
That  der  Laie  nie  im  Zweifel  ist,  bei  den  ihm  allein  bekannten  höher 
organisirten  Thieren  und  Pflanzen  zu  entscheiden,  welchem  Naturreich 
er  dieselben  zurechnen  soll. 

Je  mehr  man  sich  aber  mit  dieser  Frage  beschäftigt  hat,  um  so 
schwieriger  hat  sich  die  Lösung  derselben  herausgestellt.  Schon  die 
alten  Zoologen  kamen  zu  der  Auffassung,  dass  es  Organismen  gäbe, 
welche  auf  der  Grenze  von  Thier-  und  Pflanzenreich  ständen,  und  der 
Engländer  Wotton  nannte  dieselben  direct  Pf  lanzenthier  e  oder 
Zoophyten.  Jetzt  wissen  wir,  dass  die  Pflanzenthiere  des  Wotton 
echte  Thiere  sind  mit  einer  oberflächlichen  Pflanzenähnlichkeit:  dafür 
sind  wir  durch  das  Mikroskop  mit  zahlreichen  niederen  Organismen 
bekannt  geworden,  deren  Zugehörigkeit  zu  einem  der  beiden  Natur- 
reiche noch  umstritten  ist.  Als  solche  sind  zu  nennen  die  Myxo- 
myceten  und  viele  Flaurtlaten. 
tnter>chf,  "Will  man  scharfe  Unterschiede  zwischen  Thieren  und  Pflanzen  aus- 
Twwund  findig  machen,  so  kann  man  einerseits  physiologische,  anderer- 
piun»..  sejjs  morphologische  Merkmale  heranziehen.  Von  physiolo- 
gischem Gesichtspunkt  ausgehend,  schrieb  Linne  den  Pflanzen  nur 
die  Fähigkeit  der  Fortpflanzung  und  Ernährung,  den  Thieren  dagegen 
ausser  diesen  noch  die  Fähigkeit  der  Bewegung  und  Empfindung  zu. 


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Allgemeine  Zoologie. 


141 


Seitdem  wir  wissen,  dass  das  pflanzliche  Protoplasma  so  gut  wie  das 
thierische  reizbar  und  zu  Bewegungen  befähigt  ist,  seitdem  wir  die 
lebhaften  Bewegungen  niederer  Algen,  die  grosse  Empfindsamkeit  der 
Mimosen  und  anderer  Pflanzen  kennen  gelernt  haben,  seitdem  wir  ferner 
wissen,  dass  zahlreiche  selbst  höher  organisirte  Thiere  wie  Krebse 
(Fig.  100)  die  Ortsbewegung  verlieren  und  festwachsen  und  manche 
festsitzende  Formen  wie  viele  Spongien  (Fig.  81)  auch  bei  der  ge- 
nauesten Untersuchung  unbeweglich  und  gegen  Reize  unempfindlich  er- 
scheinen, haben  wir  darauf  verzichtet,  die  sogenannten  animalen  Func- 
tionen als  sichere  Unterschiede  zu  betrachten. 

Auch  der  Gegensat/,  im  Stoffwechsel 
ist  keineswegs  durchgreifend.  Jede  Pflanze  hat 
einen  doppelten  Stoffumsatz ;  bei  seinen  Be- 
wegungen und  anderweitigen  Lebensleistungen 
liefert  das  pflanzliche  Protoplasma  Kohlensäure 
und  verbraucht  Sauerstoff;  daneben  geht  unter 
dem  Einfluss  des  Sonnenlichts  und  des  Chloro- 
phylls die  Reduction  der  Kohlensäure  und  die 
Abgabe  von  Sauerstoff  einher.  Am  Tage  über- 
wiegen bei  chlorophyllhaltigen  Pflanzen  die  Re- 
duetionsvorgänge  so  bedeutend ,  dass  sich  als 
Endresultat  die  Abgabe  grosser  Mengen  von 
Sauerstoff  herausstellt,  und  nur  Nachts,  wenn 
die  Reductionsvorgänge  wegen  des  Mangels  an  (ifex£  (ü£h 
Sonnenlicht  eingestellt  werden,  kommt  die  Kohlen-  oCarina,  fTergum,  »Seu- 
säureproduetion  zur  Wahrnehmung.  Die  Re-  tum. 
duetionsvorgänge  kommen  aber  sofort  dauernd 

in  Wegfall,  wenn  das  Chlorophyll  fehlt ;  chlorophylllose  Pilze  und  Bactc- 
rien  haben  daher  denselben  Stoffwechsel  wie  Thiere. 

Ebenso  ist  es  auch  nicht  richtig,  dass  nur  die  Pflanzen  die  Fähig- 
keit haben,  Cellulose  zu  bilden.  Denn  Cellulose  findet  sich  bei 
manchen  niederen  Thieren.  den  Hhizopoden,  und  in  der  hochorganisirten 
Gruppe  der  Tunicaten:  ja  nach  neueren  Untersuchungen  scheint  sie 
auch  bei  Arthropoden  verbreitet  zu  sein. 

So  kämen  denn  die  m  o  r  p  h  o  1  o  g  i  s  c  h  e  n  Merkmale  zur  Dis- 
cussion.  —  Vielzellige  Thiere  und  vielzellige  Pflanzen  sind  leicht  zu 
unterscheiden,  da  erstere  in  der  Keimblattbildung  ein  ihnen  allein  zu- 
kommendes Anordnungsprincip  der  Zellen  haben.  Mit  dem  Auftreten 
des  Gastrulastadiums  ist  jeder  Organismus  als  unzweifelhaftes  Thier 
charakterisirt.  Indessen  bei  einzelligen  Organismen  kommt  die  An- 
ordnungsweise der  Zellen  in  Wegfall  und  kann  nur  die  Beschaffenheit 
der  einzelnen  Zelle  uns  leiten.  Giebt  es  nun  unzweifelhafte  morpho- 
logische Unterschiede  zwischen  der  thierischen  und  der  pflanzlichen 
Zelle? 

Im  Bau  der  Pflanzen-  und  Thierzelle  ist  ein  wichtiger  Unterschied 
dadurch  bedingt,  dass  erstere  eine  Cellulosemembran  besitzt,  letztere 
dagegen  zumeist  membranlos  ist.  Auf  diesen  Unterschied  muss  in 
letzter  Instanz  das  so  verschiedene  Aurssehen  der  beiden  Reiche  zurück- 
geführt werden.  Indem  die  Pflanzenzelle  sich  frühzeitig  mit  einem 
festen  Panzer  umhüllt,  verliert  sie  ein  gutes  Theil  von  der  Fähigkeit 
zu  weiterer  Umgestaltung.  Daher  sind  pflanzliche  Gewebe  und  Organe 
einförmig  gegenüber  der  ungeheuren  Vielgestaltigkeit,  welche  die 
thierische  Histologie  und  Organologie  erkennen  lässt.    Die  so  ausser- 


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Allgemeine  Zoologie. 


ordentlich  viel  höhere  Stufe  der  Organisation,  welehe  das  Thierreich 
selbst  in  seinen  niederen  Dassen  erreicht,  ist  zum  grossen  Theil  wohl 

eine  Folge  davon,  dass  die  Zellen  des  Thiere> 
sich  nicht  eingekapselt,  sondern  sich  die  Fähig- 
keit zu  mannichfacher  und  höherer  Entwicklung 
bewahrt  haben. 

Allein  auch  hier  ergeben  sich  bei  niederen 
Pflanzen  und  Thieren  ITebergänge.  Bei  niederen 
Aigen  haben  die  Zellen  die  Fähigkeit ,  aus  der 
Cellulosemembran  herauszutreten  und  freibeweg- 
lich herumzuschwimmen  (Fig.  110),  ehe  sie  sich 
wieder  aufs  Neue  einkapseln.  Andererseits  be- 
sitzen die  meisten  einzelligen  Thiere  die  En- 
cvstirung;  sie  hören  auf  zu  fressen  und  sich  zu 
bewegen,  kugeln  sich  zusammen  und  umhüllen 
sich  mit  einer  festen,  manchmal  sogar  aus  Cellu- 
lose  bestehenden  Membran. 

Da  in  beiden  Fällen  ein  Wechsel  zwischen 
düng,  "l  dirptflekTdc»  eingekapselten  und  freibeweglichen  Zuständen 
Al^enfmltritt  mit  _aus-  vorhanden  ist,  kann  nur  die  längere  Andauer  des 

einen  oder  des  anderen  bei  der  Unterscheidung 
leiten.  Damit  ist  aber  die  Möglichkeit,  dass  in- 
differente Zwischenformen  existiren ,  gegeben. 
Ihre  thatsächliche  Existenz  ist  Grund ,  weshalb 
wir  auch  jetzt  noch  keine  scharfe  Grenze  zwischen 
Thier-  und  Pflanzenreich  ziehen  können. 


Fig.  110.  Ocdogo- 
nium  in  Zoosporenbil- 


schlflpfendemZellinhult. 
D  aus  »lern  Inhalt  her- 
vorgegangene Zoospore. 
C  Zoosporc  festsitzend, 
in  Keimung(naeh  Sachs1. 


V.  Geographische  Verbreitung  der  Thiere. 

Schon  eine  oberflächliche  Kenntnis«  von  der  Verbreitungsweise  der 
Thiere  lässt  erkennen,  dass  die  Thierfauna  an  verschiedenen  Punkten  der 
Erde  einen  wesentlich  anderen  Charakter  hat.  Zum  Theil  ist  diese  Ver- 
sebiedenartigkeit  der  Faunen  eine  unmittelbare  Folge  der  klimatischen 
Unterschiede.  Eisbär,  Polarfuchs,  Eiderenten  und  viele  andere  Schwimm- 
vögel sind  auf  die  Polarzono  angewiesen,  weil  sie  ein  bestimmtes  Maass 
von  Wärme  nicht  ertragen  können;  umgekehrt  sind  die  grossen  Katzen- 
arten,  die  Affen,  die  Colibris  etc.  nur  in  tropischen  oder  subtropischen 
Gegenden  vertreten,  weil  sie  gegen  die  Einflüsse  der  kühleren  Witterung 
nicht  genügend  geschützt  sind. 

Wäre  das  Klima  der  einzige  die  Verbreitung  bestimmende  Factor,  so 
müsste  der  leninistische  Charakter  von  zwei  Ländern,  welche  gleiche  klima- 
tische Verhältnisse  besitzen,  im  Wesentlichen  derselbe  sein;  umgekehrt 
müssten  innerhalb  eines  zusammenhängenden,  sich  durch  mehrere  Klima- 
zonen hindurch  erstreckenden  Territoriums  die  einzelnen  Regionen  gänzlich 
verschiedene  Thierfaunen  besitzen,  je  nachdem  sie  dem  Aequator  oder  den 
Polen  benachbart  sind.  Beides  trifft  nicht  zu;  zwei  tropische  Länder 
können  im  Charakter  ihrer  Thierwelt  einander  ferner  stehen,  als  die  heissen 
und  kalten  Gegenden  eines  und  desselben  Continents. 


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Allgemeine  Zoologie. 


143 


Die  moderne  Zoologie  ist  bemüht,  diese  eigentümlichen  Verhältnisse 
zu  erklären,  indem  sie  die  jetzige  Verbreitung  der  Thiere  als  Product  von 
zwei  Factoren  auffasst:  der  allmähligen  Umgestaltung  der  Thierwelt  und 
ferner  der  allmähligen  Umgestaltung  der  dem  Thierreich  zur  Ausbreitung 
dienenden  Erdoberfläche.  Die  in  der  Geologie  niedergelegte  Erdgeschichte 
lehrt  zweierlei:  1)  dass  die  Zusammenhänge  der  Erdtheile  vielfach  ge- 
wechselt haben,  dass  z.  B.  zu  einer  Zeit,  wo  das  Mittelmeer  noch  nicht 
seine  heutige  Ausdehnung  gewonnen  hatte,  Marokko,  Algier,  Tunis  und 
Aegypten  mit  dem  europäischen  Nordrand  des  Mittelmeers  inniger  verknüpft 
waren  als  mit  dem  südlichen,  durch  dio  Sahara  getrennten  Theil  des  afri- 
kanischen Continents,  2)  dass  erhebliche  Klimaschwankungen  stattgefunden 
haben.  In  Europa  herrschte  in  der  Tertiärzeit  ein  subtropisches  Klima, 
welches  Thieren,  wie  sie  jetzt  in  Algier  (Löwe)  vorkommen,  die  Existenz 
ermöglichte.  Umgekehrt  trat  später  eine  Kälteperiode  ein,  welche  in  weite 
Strecken  des  europäischen  Continents  polare  Lebensbedingungen  und  damit 
eine  Fauna  nordischer  Thiere  (Rcnnthicr)  einführte.  Hand  in  Hand  mit 
den  geologischen  Veränderungen  gingen  Veränderungen  in  der  Thierwelt 
vor  sich,  indem  unter  dem  Wechsel  der  Existenzbedingungen  vorhandene 
Arten  ausstarben  oder  durch  allmählige  Umbildung  neue  Arten  lieferten. 
So  gestaltet  sich  die  Thiergeographie  zu  einem  äusserst  verwickelten  Problem, 
dessen  Lösung  eine  umfassende  Reihe  von  Vorarbeiten  voraussetzt.  Wir 
müssen  genau  wissen,  wie  sich  die  Zusammenhänge  des  Festlands  und  die 
Klimavertheilung  besonders  in  den  letzten  Erdperioden  verändert  haben; 
wir  müssen  ferner  erforscht  haben,  nicht  nur  wie  sich  jetzt  die  Thiere 
über  die  Erdoberfläche  vertheilen,  sondern  auch  wie  sie  in  früheren  Zeiten 
vertheilt  gewesen  sind.  Endlich  müssen  zuvor  Anatomie  und  Entwick- 
lungsgeschichte in  ganz  detaillirter  Weise  uns  die  Verwandtschaftsbe- 
ziehungen der  Thiere  klargelegt  haben. 

Bis  zur  Lösung  der  hier  kurz  skizzirten  Aufgabe  ist  es  ein  unendlich 
weiter  Weg;  was  bisher  erforscht  wurde,  kann  nur  die  Bedeutung  einer 
vorläufigen  Prüfung  haben,  dass  die  Zoologie  mit  ihren  herrschenden  An- 
schauungen über  die  Umformung  der  Thiere  und  der  Erde  auf  dem  rich- 
tigen Wege  ist.  Ein  Prüfstein  für  die  Richtigkeit  dieser  Anschauungen 
würde  es  sein,  wenn  sich  feststellen  Hesse,  dass  die  faunistische  Aehnlich- 
keit  zweier  Länderstrecken  in  erster  Linie  davon  abhängt,  wie  lange  sie 
mit  einander  in  enger  Verbindung  und  in  Folge  dessen  auch  im  Austausch 
der  sie  bewohnenden  Thiere  gestanden  haben.  Zwei  Länder,  welche  in 
frühen  Perioden  der  Erdgeschichte  von  einander  getrennt  wurden,  ohne 
sich  je  wieder  mit  einander  zu  vereinigen,  müssen  rücksichtlich  ihrer  Thiere 
einander  fremder  sein,  als  Länder,  welche  jetzt  noch  zusammenhängen  oder 
sich  erst  jüngst  von  einander  getrennt  haben.  Bei  der  näheren  Durch- 
führung der  erörterten  Gesichtspunkte  haben  die  Thiergeographeu  versucht, 
grosse  Faunengebiete  der  Erde,  Thierprovinzen  oder  Regionen  zu  unter- 
scheiden und  innerhalb  dieser  wieder  Abtheilungen  von  geringerer  Be- 
deutung, die  Subregionen.  Man  hat  diese  Provinzen  vorwiegend  auf  die 
Verbreitungsweise  der  Säugcthicrc,  weniger  auf  die  der  Vögel  und  übrigen 
Thiere  begründet.  Denn  die  Verbreitungsweise  der  Säugethiere  wird  haupt- 
sächlich von  denjenigen  Veränderungen  der  Erdoberfläche  bestimmt,  welche 
sich  geologisch  am  besten  controliren  lassen  und  am  meisten  Interesse  be- 
sitzen. Den  Säugethieren  setzen  Hebungen  und  Senkungen  der  Erdober- 
fläche unüberwindliche  Barrieren  entgegen,  Hebungen,  wenn  sie  zur  Bil- 
dung gewaltiger  vergletscherter  Gebirgskämme  führen,  Senkungen,  wenn  in 
ihrem  Gefolge  Meeresarme  entstehen,  welche,  wenn  auch  vielleicht  nur 


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Allgemeine  Zoologie. 


schmale,  so  doch  für  die  meisten  Säugethiere  un überschreitbare  Wasser- 
strecken zwischen  zwei  bisher  zusammenhängende  Länder  einschieben. 
Vögel  und  gut  fliegende  Insecten  werden  von  allen  solchen  Veränderungen 
der  Erdoberfläche  zwar  auch  betroffen,  aber  nicht  in  gleichem  Maass  wie 
die  Säugethiere;  sie  können  ihrer  Mehrzahl  nach  Meeresarme  und  Gebirgs- 
ketten überfliegen,  wie  es  denn  Vögel  giebt,  die  sogar  weite  Meeresstreckeu, 
wie  den  Atlantischen  Ocean,  überschreiten. 

Von  den  bisher  aufgestellten  thiergeographischen  Systemen  hat  am 
meisten  Anklang  die  von  Sclater  uud  Wallace  vorgeschlagene  Ein- 
theilung  gefunden.  Die  englischen  Gelehrten  unterscheiden  folgende  <J 
Hauptregionen:  lj  die  paläaretische,  welche  ganz  Europa,  den  Norden 
Afrikas  bis  zur  Sahara  und  das  nördliche  Asien  bis  zum  Himalaya  um- 
fasst;  2)  die  äthiopische,  das  gesaramte  südlich  der  Sahara  gelegene 
Afrika;  3)  die  orientalische,  zu  der  Vorder-  und  Hinterindien,  das 
südliche  China  und  die  westlichen  malayischen  Inseln  gehören;  4)  und  5)  die 
nearetische  und  neotropische  Region,  welche  den  amerikanischen 
Contincnt  ausmachen  und  durch  eine  Linie,  welche  in  der  Gegend  des 
Nordrands  von  Mexiko  zu  ziehen  ist,  getrennt  werden;  <>)  die  austra- 
lische, zu  der  man  ausser  Australien  selbst  die  grossen  und  kleinen 
Inseln  des  Stillen  Oceans  und  die  östlichen  malayischen  Inseln  inclusive 
Celebes  und  Lembok  rechnet. 

1)  Die  australische  Region  ist  von  allen  übrigen  am  schärfsten 
nnterschieden,  wie  denn  unzweifelhaft  das  unter  diesem  Namen  zusammen- 
gefasste  Ländergebiet  sich  geologisch  am  frühzeitigsten  vom  Rest  des 
festen  Landes  getrennt  hat.  Für  die  Region  ist  vor  Allem  die  Beutel- 
thierfauna charakteristisch.  Während  die  Ikutelthie.re,  welche  in  der  Tertiär- 
zeit die  gesammte  Erdoberfläche  bewohnten,  in  Europa,  Asien  und  Afrika 
gänzlich  ausstarben  und  in  Amerika  sich  nur  in  der  Familie  der  Beitfel- 
ratten  erhielten,  haben  sie  umgekehrt  in  Australien  eine  Fortbildung  er- 
fahren. Dagegen  fehlen  in  Australien  die  höhereu  place  nf  ahn  S'itnjeiln'rrc, 
welche  die  U titellhierftmna  der  alten  Welt  verdrängt  haben,  so  gut  wie 
ganz.  Es  finden  sich  einige  Wasser  bewohnende  Formen,  ferner  Fleder- 
mäuse und  Miiuse,  Thiere,  welche  leicht  durch  Flug  oder  durch  Transport 
auf  schwimmendem  Holz  vertragen  werden,  endlich  Hausthiere,  welche  vom 
Menschen,  besonders  von  den  Europäern  eingeführt  worden  sind.  Aach 
der  Dingo  australicus  ist  wahrscheinlich  nur  ein  verwilderter  Haushund.  Kur 
auf  die  an  die  orientalische  Region  angrenzenden  Inseln  haben  sich  einige 
wenige  kleinere  Jianbthien-,  JJufthiere,  und  Affen  ausgebreitet. 

Eine  weitere  Eigentümlichkeit  der  australischen  Region  sind  die 
Farad  iesrögel  Neuguineas,  die  Eier  legenden  Säugethiere  Omithorhynchtis 
und  Eebvlua.  die  merkwürdige  Jhüttria  und  der  Kiwi  Neuseelands,  der 
Kasuar  und  der  Dremmens  mirac  Ilollnndiae. 

2)  Nächst  Australien  ist  am  besten  umschrieben  die  neotropische 
Region,  Südamerika  mit  dem  angrenzenden  Theil  von  Ceutralamerika, 
Wir  finden  hier  den  Verbreitungsbezirk  der  breitnasigen  Affen,  während 
die  sehtnalntisiyen  Affen  der  alten  Welt  angehören;  wir  finden  die  Gürtcl- 
thiere,  Fatdthierr,  Ameisenfresser,  lieutelraUcn  ausschliesslich  in  Amerika,  von 
Vögeln  die  Colibris,  die  merkwürdigen  Coiinyiden,  Tanagriden  u.  a. 

Die  Abgrenzung  der  4  übrigen  Provinzen  ist  nicht  so  leicht  zu  be- 
werkstelligen, wie  die  der  beiden  bisher  betrachteten.  Da  Nordamerika 
durch  einen  Inselgürtel  mit  Nordasien  verbunden  ist,  haben  unzweifelhaft 
die  nearetische  und  paläaretische  Region  vielfach  in  Formenaustausch  ge- 
standen. Ferner  hat  sich  beim  wiederholten  Wechsel  des  Klimas  der 
nearetischeu  und  paläarctischen  Regionen  die  Möglichkeit  ergeben,  dass 


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Allgemeine  Zoologie. 


14Ö 


ihre  Thierwelten  sich  einerseits  mit  der  neotropischen,  andererseits  mit  der 
äthiopischen  und  orientalischen  vermischten.  Ebenso  hat  die  orientalische 
Thierprovinz  an  Schärfe  der  Abgrenzung  gegen  die  australische  verloren, 
indem  die  continuirliche  Kette  der  malayischen  Inseln  einen  andauernden 
Formenaustausch  ermöglichte.  Immerhin  hat  jede  der  genannten  4  Pro- 
vinzen zahlreiche  Gattungen  und  Familien  ausschliesslich  für  sich  und 
zeichnet  sich  durch  den  Mangel  gewisser  Lebeformen  aus. 

3)  Die  nearctische  Region  hat  besonders  3  Säugethierfamilien 
eigenthümlich,  die  Gabelgemsen,  die  Taschenratten  und  die  Haplodanten,  aus 
der  Classe  der  Amphibien  die  Sircniden  und  Amphiumiden.  Von  der  am 
nächsten  verwandten  paläarctischen  Region  ist  sie  ausserdem  noch  unter- 
schieden durch  das  Eindringen  neotropischer  Formen,  wie  der  Waschbären, 
Beutelraiten,  Colilrris  etc. 

4)  Die  paläarctische  Region  ist  ein  Gebiet,  welches  sich  über 
den  grössten  Theil  der  Erde  erstreckt  und  dabei  an  viele  andere  Thier- 
provinzen angrenzt.  Daher  ergeben  sich  einerseits  wichtige  durch  Klima 
und  weite  Entfernung  bedingte  Unterschiede  zwischen  den  einzelnen  Local- 
faunen,  andererseits  erklärt  sich  daraus,  dass  die  paläaretische  Region  keine 
Familien  ausschliesslich  für  sich  besitzt.  Familien,  welche  wenigstens  vor- 
wiegend hier  ihre  Entwicklung  gefunden  haben,  sind  die  Hirsehe,  Rinder, 
Schafarten  and  Kamele ;  besonders  hervorstechende  Gattungen  die  Gemsen, 
die  Siebenschläfer,  Dachse  und  Pfeifliascn. 

5)  Die  äthiopische  Region  hat  viele  Familien  für  sich  allein, 
unter  denen  die  Flusspferde  und  Giraffen,  die  (Japsehweine  und,  wenn  wir 
Madagascar  zur  Region  hinzuziehen,  die  Fingcrthiere  die  charakteristischsten 
sind.  Ebenso  bemerkenswerth  ist  das  gänzliche  Fehlen  äusserst  auffallen- 
der Familien  und  Gattungen,  wie  der  Büren.  Maulwürfe,  Hirsche,  Ziegcii, 
Schafe,  der  echten  Binder  und  Schweine,  soweit  sie  nicht  domesticirt  und 
eingeführt  sind. 

Innerbalb  der  Region  nimmt  die  Insel  Madagasrar  eine  höchst  merk- 
würdige Stellung  ein.  Die  Insel  ist  das  Land  der  Halbaffen  und  Inscctm- 
fresser;  namentlich  ist  kein  Land  so  reich  an  Halbalfen,  von  denen  die 
Mehrzahl  der  Gattungen  ausschliesslich  in  Madagascar  lebt.  Dagegen 
fehlen  die  grossen  Raublhicrc,  die  Katxen,  Hyänen,  Hunde  und  die  aller- 
dings auch  in  Afrika  nicht  vertretenen  Bären,  sämmtliche  echte  Affen,  Anti- 
loj>en,  Elephanten  und  Bhinoeerosarten.  Da  sich  somit  Madagascar  ganz  er- 
heblich von  Afrika  unterscheidet,  trennen  viele  Zoologen  die  Insel  von  der 
äthiopischen  Region  ab;  manche  wollen  ihr  sogar  den  Rang  einer  selb- 
ständigen Hauptregion  geben. 

6)  Die  orientalische  Region  enthält  nächst  Madagascar  die 
meisten  Halhiffcn,  unter  denen  die  Tarsiden  und  GafeopUheciden  (letztere 
meist  zu  den  Insectivoren  gerechnet)  ausschliesslich  orientalisch  sind.  Auf- 
fällige Vertreter  der  Provinz  sind  ausserdem  dio  (libbons  und  (hang  T'tangs, 
der  Moschushirsch,  zahlreiche  Faniiiion  und  Gattungen  der  Vögel. 

In  der  Neuzeit  gewinnt  die  Anschauung  immer  mehr  an  Boden,  dass 
man  ausser  den  besprochenen  sechs  Thierprovinzen  noch  zwei  weitere  circum- 
polare  aufstellen  müsse,  die  aretisebe  und  antaretische.  Beide  be- 
sitzen eine  aus  wenig  Arten,  aber  zahlreichen  Individuen  bestehende  Thier- 
welt, aus  welcher  für  die  nördliche  oder  aretische  Region  die  Alken,  Ei.s- 
tiieen ,  Renthiere ,  Eisfüchse,  für  dio  antaretische  dio  Pinguine  besonders 
charakteristisch  sind. 

Zur  Thiergeographie  gehört  ferner  die  Verbreitung  der  Thiere 
im  Meer  und  im  süssen  Wasser.    Da  die  meisten  Meere  im  Zu- 

H«rt  »1  g.  Uhrbuch  der  Zoologie.    3.  Aufljjo.  JQ 


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Allgemeine  Zoologie. 


sammenhang  stehen,  so  sind  faunistische  Regionen  in  der  Schärfe  wie  bei 
der  Landfauna  nicht  zu  erkennen;  erhebliche  Unterschiede  sind  nur  da 
vorhanden,  wo  zwei  Oceano  durch  Continente  getrennt  werden,  welche  weit 
nach  Norden  oder  Süden  vorragen ;  erhebliche  Unterschiede  bestehen  z.  B. 
zwischen  dem  rothen  Meer  und  dem  geographisch  benachbarten  Mittelmeer, 
zwischen  Ost-  und  Westküste  von  Nordamerika,  selbst  da,  wo  sie  nur 
durch  die  schmale  Landeuge  von  Panama  getrennt  werden. 

Viel  auffälliger  sind  bei  der  Meeresfauna  gewisse  Unterschiede,  welche 
durch  die  Abänderung  der  Lebensbedingungen  in  den  einzelnen  Meeres- 
tiefen herbeigeführt  werden.  Man  kann  eine  Tiefseefauna,  eine 
Küstenfauna  und  eine  pelagische  F a u n a  aufstellen.  Die  Küsten- 
fauna umfasst  die  Thiere,  welche  die  pfianzenbewachsenen  felsigen  oder 
sandigen  Ufer  bis  einige  100  Meter  tief  theils  festgewachsen,  theils  frei 
beweglich  besiedeln.  Die  Tiefseefauna  schwimmt,  kriecht  oder  ist 
festgewachsen  auf  dem  Boden  der  1000  bis  fast  0000  Meter  tiefen  Ab- 
gründe der  Oceane;  sie  unterscheidet  sich  wesentlich  von  der  Küsten- 
fauna durch  ihren  alterthümlichen  Charakter,  indem  hier  vielfach  Gattungen 
und  ganze  Thierabtheilungon  fortleben,  welche  man  lange  Zeit  vorwiegend 
aus  früheren  Erdperioden  kannte,  wie  die  Hejcadindliden,  Oritioideen.  gewisse 
Sccsterne  und  Seeigel  etc. 

Unter  pelagischer  Thierwelt  versteht  man  das,  was  frei  im 
Wasser  schwebt,  das  „Plankton";  viele  CockiUerutcn,  Medusen  und  Cieno- 
phoren,  ganze  Abtheilungen  der  Protozoen,  wie  die  Radioktricn,  mancherlei 
Krebse  und  Krebslarven,  von  den  Mollusken  die  Jkteropoden  und  Pleropoden 
gehören  hierher.  Diese  Thiere  leben  entweder  an  der  Oberfläche  des  Meeres 
selbst  oder  frei  suspendirt  in  geringeren  und  grösseren  Tiefen  bis  zu 
8000  Meter  und  darunter.  Zumeist  sind  sie  gallertig  weich  und  von 
glasartiger  Durchsichtigkeit,  was  wohl  als  sympathische  Färbung  und 
Anpassung  an  die  durchsichtige  Klarheit  des  Meerwassers  betrachtet 
werden  muss. 

Im  Süsswasser  muss  mau  2  Gruppen  von  Thieren  auseinanderhalten, 
von  denen  die  eine  vorwiegend  die  höher  organisirten  Formen,  die  Fisefa, 
Mollusken  und  höheren  Krebse,  die  andere  die  niedere  Lebewelt  umfasst. 
Die  Verbreitungsweise  der  ersteren  wird  vorwiegend  von  den  Momenten 
bestimmt,  welche  auch  bei  der  Scheidung  der  Landbewohner  wirksam 
sind ;  die  Verbreitungsweise  der  letzteren  ist  dagegen  eine  kosmopolitische. 
Dieselben  Infusorien  und  Jthixopoden,  ßraehiopoden  und  Copc/Kkkn,  Süss- 
tvasserscb uämme  und  Polypen,  welche  bei  uns  in  Deutschland  vorkommen, 
scheinen  über  die  ganze  Erde  verbreitet  zu  sein.  Das  hängt  damit  zu- 
sammen, dass  alle  diese  Thiere  Ruhezustände  besitzen,  in  denen  sie  das 
Eintrocknen  vertragen.  Die  Ruhezustände,  seien  es  hartschalige  Eier  oder 
ganze  eingekapselte  Thiere,  können  wie  Staub  vom  Winde  verweht  oder 
mit  Schlamm  von  Wasservögeln  vertragen  werden,  um,  von  Neuem  in  das 
Wasser  gelangt,  ihre  volle  Entwicklungsfähigkeit  zu  bethätigen. 


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Specielle  Zoologie. 


Seitdem  die  Anschauungen  der  vergleichenden  Anatomie  und  der 
Descendenztheorie  Einfluss  auf  die  systematische  Zoologie  gewonnen 
haben,  erblickt  man  im  System  der  Thiere  nicht  nur  ein  Mittel,  das 
Bestimmen  der  Arten  zu  ermöglichen,  sondern  stellt  ihm  weiter  die 
Aufgabe,  die  verwandtschaftlichen  Beziehungen,  in  denen  die  grösseren 
und  kleineren  Gruppen  zu  einander  stehen,  zum  Ausdruck  zu  bringen. 
Die  Lösung  dieser  Aufgabe  setzt  eine  genaue  vergleichend-anatomische 
und  entwicklungsgeschichtliche  Kenntniss  und  ein  hierauf  sich  gründen- 
des volles  Verständniss  der  Thierformen  voraus.  Wir  sind  von  letzterem 
noch  weit  entfernt,  auf  einigen  Gebieten  der  Zoologie  weniger  weit  als 
auf  anderen  und  demgemäss  sind  auch  die  systematischen  Bemühungen 
nicht  überall  gleich  weit  gediehen.  Als  naturgemäss  gebildete  Stämme 
des  Thierreichs  werden  allgemein  anerkannt:  1)  die  Wirbelthiere,  2)  die 
Weichthiere  (nach  Ausschluss  der  Brachiopoden),  3)  die  Glieder  füssler, 
4)  die  Stachelhäuter,  5)  die  Coelenteraten  (nach  Ausschluss  der  Schwämme), 
6)  die  Urthiere.  Dagegen  ist  es  strittig,  wie  man  sich  dem  von  Sie- 
bold  aufgestellten  und  von  Leuckart  enger  begrenzten  Stamm  der 
Würmer  und  einigen  kleineren  Gruppen  gegenüber  verhalten  soll 
(Brachiopoden,  Bryozoen,  Tunicaten).  Im  Allgemeinen  besteht  die 
Neigung,  die  Würmer  mindestens  in  3  Stämme  aufzulösen  (Platt-,  Rund- 
und  Ringelwürmer)  und  auch  aus  den  Brachiopoden,  Bryozoen  und  Tuni- 
caten besondere  Stämme  zu  bilden.  Bei  einem  solchen  Verfahren 
werden  nun  formenarme  und  für  die  Betrachtung  des  Thierreichs 
minder  wichtige  Gruppen  mit  den  grossen,  unendlich  mannichfaltiger 
gebauten  Stämmen  der  Wirbelthiere,  Glieder  füssler  und  Weichthiere 
auf  eine  Stufe  gestellt  und  gewinnen  so,  namentlich  im  Auge  des 
Anfängers,  eine  ihnen  nimmermehr  zukommende  Bedeutung.  Daher 
soll  in  diesem  Lehrbuch  der  Stamm  der  Würmer  beibehalten  und 
sollen  die  Brachiopoden,  Bryozoen  und  Tunicaten  im  Anschluss  an 
ihn  besprochen  werden,  um  so  mehr  als  es  noch  gar  nicht  ausge- 
macht ist,  ob  nicht  die  im  Namen  schon  ausgedrückte  Formenähnlich- 
keit der  verschiedenen  Wurmclassen  auf  einer  engeren  Blutsverwandt- 
schaft beruht.  Von  den  7  Stämmen,  welche  sich  ergeben,  wenn  man 
den  Würmerstamm  beibehält,  haben  weiterhin  die  Coelenteraten,  Würmer, 
Stachelhäuter,  Weichthiere,  Gliederfüssler  und  Wirbelthiere  viel  Gemein- 
sames, wodurch  sie  sich  vom  Stamm  der  Urthiere  unterscheiden;  sie 
sollen  daher  unter  dem  Namen  Metazoen  zusammengefasst  werden. 


10* 


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14* 


Specielle  Zoologie. 


I.  Stamm. 

Protozoen  oder  l'rthiere. 

pTo*o*oen.  Prot0*0?**  oder  Urthiere  sind   durchschnittlich  von  geringer 

Körpergrösse;  die  meisten  von  ihnen  können  eben  noch  von  einem 
scharf  beobachtenden  Auge  als  kleine  Punkte  wahrgenommen  werden; 
viele  sind  sogar  so  klein,  dass  zu  ihrer  Auffindung  das  unbewaffnete 
Auge  nicht  ausreicht  und  die  Benutzung  des  Mikroskops  nothwendig 
ist;  auf  der  anderen  Seite  giebt  es  allerdings  auch  Formen,  welche 
einen  Durchmesser  von  mehreren  Millimetern  oder  gar  Centimetern  er- 
reichen, was  namentlich  dann  zutrifft,  wenn  Hunderte  von  Individuen 
zu  einer  Colonie  vereinigt  sind. 
r»u.  Die  geringe  Körpcrgrösse  der  Protozoen  ist  eine  nothwendige  Folge 

davon,  dass  sie  nur  aus  einer  einzigen  Zelle  bestehen;  sie 
sind  Klümpchen  jener  eigenthümlichen  Substanz,  welche  man  früher 
Sarkode  genannt  hat,  der  man  aber  jetzt  den  Namen  Protoplasma  giebt,  weil 
sie  in  ihren  Lebenserscheinungen  mit  dem  Protoplasma  der  thierischen 
und  pflanzlichen  Zellen  im  AYesentlichen  Obereinstimmt.  Zum  Proto- 
plasma kommt  als  ein  weiteres  Zellattribut  die  Anwesenheit  von  einem 
oder  mehreren  Kernen.  Mit  der  Einzelligkeit  hängt  es  ferner  zu- 
sammen, dass  den  Protozoen  echte  Gewebe  und  echte  Organe 
fehlen;  sie  haben  keinen  Darm,  kein  Nervensystem,  keine  Geschlechts- 
organe etc. :  die  fundamentalen  Functionen  der  Ernährung,  Empfindung. 
Bewegung  und  Fortpflanzung  werden  mehr  oder  minder  unmittelbar 
vom  Protoplasma  geleistet. 

Ernährung.  Bei  der  Ernährung,  sofern  sie  nicht  durch  gelöste  Stoffe  erfolgt, 
gelangen  Fremdkörper  in  das  Protoplasma  hinein  und  werden  von  dem- 
selben verdaut ;  meist  liegen  sie  während  der  Verdauung  in  besonderen 
Flüssigkeitsansammlungcn  (Fig.  llf>,  l.'it»  u.  f.  Na.),  den  Nahrungs- 
vacuolen,  seltener  unmittelbar  in  der  Körpersubstanz  selbst.  Alles  Un- 
verdauliche wird  nach  einiger  Zeit  wieder  ausgestossen.  Die  Aufnahme 
und  Entleerung  der  Fremdkörper  kann  bei  den  niederen  Protozoen  an 
jedem  Punkt  der  Körperoberfläche  erfolgen,  während  bei  den  höher  organi- 
sirten  dazu  bestimmte  Oeffnungen  dienen,  welche  man  nach  Analogie 
mit  den  vielzelligen  Thieren  Mund  und  After  oder  prägnanter  Zellen- 
mund. „Cy  tost  om".  und  Zellenafter,  „C  y  t  opy  g  eu  nennt.  Der  Zellen- 
mund kann  sogar  in  einen  nach  innen  frei  in  das  Protoplasma  mün- 
denden Canal  führen,  eine  Art  Oesophagus  oder  Cytopharynx. 

Auch  sonst  können  innerhalb  der  Protozoenzelle  Einrichtungen 
entstehen,  welche  an  die  Organe  höherer  Thiere  erinnern  und  daher 
Zell organe  heissen.  Wenn  auch  gewöhnlich  zur  Fortbewegung  das 
Protoplasma  mit  seinen  Anhängen ,  den  Pseudopodien,  Geissein  und 
Flimmern,  ausreicht,  so  giebt  es  doch  Protozoen,  welche  echte  Muskel - 
tibrillen  erzeugen,  wie  die  Stentorcn  und  Vorticrllinen.  Die  Reizbarkeit 
der  Protozoen  gegen  Licht  wird  in  manchen  Fällen  besonders  gesteigert, 
indem  sich  ein  Äugcnflcck  entwickelt,  eine  umschriebene  Pigmentan- 
häufung, in  welcher  sogar  eine  Linse  vorhanden  sein  kann.    Zu  den 

fvaJuoie.'e  verbreitetsten  Zellorganen  gehören  endlich  die  con  tractilen  '  V  a- 
euolen  (Fig.  111  u.  f.  c?>.),  Gebilde,  welche  bei  den  Süsswasserproto- 
zoen  nur  selten,  dagegen  häufig  bei  den  Meeresbewohnern  vermisst 
werden  und  sich  von  den  schon  erwähnten  Nahrungsvacuolen  in  drei- 


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Protozoen.  141) 

facher  Weise  unterscheiden.  Ersteus  nehmen  sie  im  Körper  des  Thieres 
eine  bestimmte  Lagerung  ein ,  zweitens  ist  ihre  Zahl  für  die  meisten 
Arten  annähernd  constant,  drittens  besitzen  sie  äusserst  charakteristische 
Lebenserscheinungen.  Ihre  Wandungen  contrahiren  .sich  und  entleeren 
den  flüssigen  Inhalt  manchmal  durch  einen  besonderen  Ausführgang  nach 
aussen.  Ist  in  Folge  der  Entleerung  die  Vacuole  vollkommen  verschwun- 
den, so  entsteht  sie  nach  einiger  Zeit  von  Neuem,  indem  sie  sich  mit 
Flüssigkeit  aus  dem  umgebenden  Protoplasma  füllt.  Durch  diese 
Functionsweise  erinnern  die  contractilen  Vacuolen  an  die  Nieren  der 
Würmer,  die  später  zu  besprechenden  Wasscrgefasse ;  wahrscheinlich 
entleeren  sie  schädliche,  im  Körper  durch  die  Lebensprocesse  ent- 
standene gelöste  Stoffe,  darunter  möglicherweise  auch  nach  Art  der 
Respirationsorgane  Kohlensäure. 

Das  Vorkommen  so  mannichfacher  an  Organe  und  Gewebe  erinnernder 
Differenzirungen  kann  dem  Körper  der  Protoxocn  ein  complicirtes  Aussehen 
und  ein  so  hohes  Maass  von  Leistungsfähigkeit  verleihen,  dass  es  schwer 
fällt,  das  Alles  einer  einzigen  Zelle  zuzutrauen.  Doch  wäre  es  falsch,  des- 
wegen Zweifel  an  der  Einzelligkeit  der  Protozoen  zu  erheben.  Denn  mit 
dem  Begriff  der  Zelle  ist  es  sehr  wohl  vereinbar,  dass  sie  ihre  bildnerische 
Thätigkeit  nach  vielen  Richtungen  hin  gleichzeitig  entfaltet,  dass  sie 
gleichzeitig  eine  Art  Darm,  Muskelfasern,  Sinnesapparato,  Skeletstücke  u.s.  w. 
erzeugt,  wenn  sie  auch  sonst  im  Organismus  der  vielzelligen  Thiere  meist 
nur  ein  bestimmtes  Bildungsproduct  (die  Muskelzelle  coutractile  Substanz, 
die  Drüsenzelle  Secrete)  liefert. 

Wahrscheinlich  erfolgen  alle  Lebensäusserungen  des  Protoplasma  Kem. 
unter  dem  Eintluss  des  Kerns,  wie  aus  einer  Reihe  von  Experimenten 
hervorgeht,  welche  zeigen,  das  Protozoen,  welche  künstlich  durch  Ver- 
letzung ihres  Kerns  beraubt  wurden .  nur  unvollkommen  funetioniren 
und  nach  einiger  Zeit  zu  Grunde  gehen,  während  kernhaltige  Bruch- 
stücke am  Leben  bleiben.  Junge  Urthiere  sind  gewöhnlich  einkernig; 
manche  verbleiben  in  diesem  Zustand  zeitlebens;  andere  werden  früh- 
zeitig vielkernig.  Solche  vielkernige  Protozoen  werden  vielfach  als 
Complexe  zahlreicher  Zellen  oder  als  „Sy ncytien*4  gedeutet,  allein 
mit  Unrecht,  denn  abgesehen  davon,  dass  in  der  thierischen  und  pflanz- 
lichen Histologie  vielkernige  Protoplasmamassen  nur  als  eine  Zelle 
angesehen  werden,  so  wird  durch  die  Bezeichnung  „Syneytien"  zwischen 
den  einkernigen  und  vielkernigen  Protozoen  ein  Unterschied  gemacht, 
welcher  den  thatsächlichen  Verhältnissen  nicht  entspricht,  da  die 
Leistungsfähigkeit  bei  beiden  vollkommen  die  gleiche  ist. 

Die  Vermehrung  der  Protozoen  erfolgt  ausschliesslich  durch  vo«. 
Theilung  oder  Knospung  und  ist  unter  günstigen  Bedingungen,  nament-  v**'™**- 
lieh  bei  reicher  Nahrungszufuhr,  eine  so  lebhafte,  dass  manche  Pro- 
tozoen innerhalb  weniger  Wochen  eine  nach  Millionen  zählende  Nach- 
kommenschaft erzeugen.  Viele  Thiere  theilen  sich  im  freien  Zustand, 
während  sie  herumkriechen  oder  herumschwimmen,  andere  encystiren 
sich  zuvor,  d.  h.  sie  nehmen  die  Gestalt  einer  Kugel  an  und  scheiden 
eine  schützende  Membran  aus  (Fig  1  H>  u.  1 17).  Eneystirte  Thiere  theilen 
sich  meist  in  mehr  als  2  Stücke,  in  4,  s  oder  gar  viele  Hunderte  von 
Fortpflanzungskörpern.  Es  kommt  häutig  vor,  dass  vielkernige  Protozoen 
ebenso  viel  theilstücke  liefern,  als  Kerne  vorhanden  sind. 

Bei  den  Protozoen  begegnet  man  ausserdem  V  e  r  s  c  h  m  e  1  z  u  n  g  e  n, 
welche  in  ihrem  äusserlichen  Verlauf  viel  Aehnlichkeit  mit  den  Be- 
fruchtungsprocessen  der  Metazoen  und  Pflanzen  haben.    Zum  Theil 


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I 


150  Protozoen. 

sind  die  Verschmelzungen  wohl  zufällige  und  für  das  Thier  unwichtige 
Erscheinungen,  zum  Theil  aher  hahen  sie  unzweifelhaft  grosse  physio- 
logische Bedeutung.    Das  erstere  gilt  von  den  Uhizopoden,  welche  vor- 
übergehend verschmelzen  und  sich  wieder  trennen,  ohne  nachweisbare 
Veränderungen  in  ihrem  Bau  oder  in  ihren  Verrichtungen  zu  erfahren, 
letzteres  gilt  von  den  Vereinigungen  der  Infusorien,  Grcgarincn  und 
FlageUaten,  bei  denen  erhebliche  Umgestaltungen  den  Vereinigungen 
unmittelbar  folgen.     Die  Vereinigung  kann  auch  hier  eine  vorüber- 
gehende sein  oder  zu  dauernder  Verschmelzung  führen ;  die  dabei  be- 
theiligten Thiere  können  an  Grösse  entweder  gleich  oder  so  sehr  unter- 
schieden sein,  dass  man  von  männlichen  Thieren  (Mikro-  oder  Zoo- 
sporen) und  weiblichen  Thieren  (Makro-  oder  Oosporen)  reden 
könnte.    So  ergeben  sich  verschiedenerlei  Combinationen ,  welche  als 
Stufen  fortschreitender  sexueller  Differenzirung  aufgcfasst  werden  müssen, 
wie  namentlich  das  Studium  der  Infusorien  gelehrt  hat.    Immerhin  darf 
man  den  wichtigen  Unterschied  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  hier  ganze 
Thiere  Träger  der  Geschlechtsthätigkeit  sind,  während  bei  den  Metazoen 
die  Fortptianzungszellen  nur  besondere  Teile  des  Körpers  bilden. 
Ency»«n.ne.       Als  kleine  und  weiche  protoplasmatische  Körper  sind  die  Proto- 
zoen gegen  Eintrocknen  durch  Verdunstung  wenig  oder  gar  nicht  ge- 
schützt und  daher  auf  den  Aufenthalt  im  "Wasser  angewiesen.  Wenige 
Formen,  wie  Amoeha  tcrricoln,  leben  auf  dem  festen  Lande,  aber  auch 
diese  nur  an  feuchten  Orten.    Meer-  und  Süsswasser,  bei  letzterem 
vorwiegend  pflanzenreichc  stehende  Gewässer,  wie  Teiche  und  Tümpel, 
sind  die  Lieblingsorte  der  Protozoen.    Die  Süsswasserbewohner  sind 
kosmopolitisch,  so  dass  die  Protozoenfaunen  der  verschiedensten  Länder 
einander  äusserst  ähnlich   sind.    Das  hängt  mit  ihren  besonderen 
Lebenseinrichtungen  zusammen.    Die  Süsswasserprotozoen  besitzen  un- 
abhängig von  der  Fortpflanzung  die  Fähigkeit  sich  einzukapseln;  im 
encystirten  Zustand  überdauern  sie  die  Zeiten    ungünstiger  Lebens- 
bedingungen, wenn  Nahrungsmangel  eintritt,  wenn  das  Wasser  gefriert 
oder  gar  vollkommen  verdunstet,  so  dass  sie  auf  das  Trockene  ge- 
rathen.    Im  encystirten  Zustand  können  Protozoen  wie  Staub  durch 
die  Winde  zerstreut  oder  durch  die  Füsse  von  Wirbelthieren,  nament- 
lich von  Wasservögeln  weithin  vertragen  werden.    Daher  die  eigen- 
tümliche Erscheinung,  welche  einem  Theil  der  Protozoen  den  Namen 
Infusorien  oder  Aufgussihierchen  verschafft  hat.    Wenn  man  trockene 
Erde  oder  trockene  Pflanzen,  z.  B.  Heu,  mit  Wasser  übergiesst  und 
diese  Infusion,  oder  auch  nur  ein  Glas  mit  reinem  Wasser  längere 
Zeit  stehen  lässt,  so  entwickelt  sich  eine  mehr  oder  minder  reiche 
Protozoenfauna  in  der  Flüssigkeit,  weil  in  sie,  sei  es  durch  den  vom 
Luftzug  verwehten  Staub,  sei  es  gleichzeitig  mit  der  Erde  oder  den 
Pflanzentheilen,  encystirte  Thiere  hineingerathen  waren,  welche  durch 
die  Benetzung  zu  neuem  Leben  erwachten  und  die  Cystenhülle  ver- 
liessen.    Eine  Urzeugung,  wie  man  früher  annahm,  findet  hierbei  sicher- 
lich nicht  statt  ;  denn  wenn  man  die  zur  Infusion  verwandten  Materialien 
sterilisirt  und  durch  Verschluss  der  ebenfalls  sterilisirten  Gläser  das 
Eindringen  neuer  Keime  verhindert,  bleiben  die  Infusionen  unbelebt. 
Man  sterilisirt  Gläser,  Wasser,  Heu,  Erde  etc.,  indem  man  sie  längere 
Zeit  Temperaturen  von  KK)°  C  aussetzt. 

Geschichtliches.  Da  die  meisten  Protozoen  mit  unbewaffnetem 
Auge  gar  nicht  oder  nur  eben  als  kleine  Punkte  wahrgenommen  werden 
können,  blieben  sie  Jahrhunderte  lang  unbekannt.    Im  Jahre  1G75  wurden 


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I.  Rhizopoden. 


151 


sie  zum  ersten  Male  in  Infusionen  durch  den  Hollander  von  Leeuwe n- 
hoek,  den  Erfinder  des  Mikroskops,  entdeckt;  durch  Wrisberg  er- 
hielten sie  im  vorigen  Jahrhundert  den  Namen  Aufgussthierchen,  „Animal- 
citla  infusoria".  Erst  in  diesem  Jahrhundert  wurde  der  zuerst  von  Gold- 
fuss, aber  in  viel  weiterem  Sinne  gebrauchte  Name  „Protoxoen"  durch 
von  Siebold  eingeführt.  Der  Vorschlag,  eineu  Theil  der  Protozoen  zu 
einem  Zwischenreich  zwischen  den  Thieren  und  Pflanzen,  dem  Reich  der 
Protisten,  zu  vereinigen ,  wurde  von  H  a  e  c  k  e  1  gemacht ,  hat  aber  wenig 
Anklang  gefunden  und  ist  im  Interesse  der  Ueberaichtlichkeit  des  Systems 
auch  hier  nicht  befolgt  worden. 

Bei  der  Beurtheilung  des  Baues  standen  sich  lange  Zeit  die  Ansichten 
Dujardin's  und  Ehrenberg's  gegenüber.  Ehrenberg  behauptete 
mit  aller  Bestimmtheit,  dass  die  Protozoen  wie  alle  übrigen  Thiere  die 
wichtigsten  Organe,  Darm,  Nervensystem,  Muskulatur,  Excretionsorgane, 
Geschlechtsdrüsen,  besässen.  Dujardin  stellte  dies  Alles  in  Abrede  und 
schrieb  den  Protoxoen  nur  eine  einzige  homogene  Substanz,  die  „Sarkode", 
zu,  welche  schon  genüge,  alle  Lebensthätigkoiten  zu  ermöglichen.  Dujar- 
din's Lehre  fand  später  eine  sehr  wichtige  Ergänzung  durch  den  Satz 
Siebold's,  dasa  die  Protoxoen  einzellige  Organismen  seien.  Lange  Zeit 
über  war  die  Ansicht  Ehrenberg's  in  ihrer  ursprünglichen  Form  oder 
in  mehr  oder  minder  wichtigen  Modifikationen  die  herrschende;  für  die 
Wiizopodcn  wurde  sie  endgiltig  erst  in  den  50er  Jahren  durch  Max 
Schultze  und  Ha e ekel  beseitigt,  für  die  Infusorien  noch  später  durch 
die  Arbeiten  Haeckel's,  Bütschli's,  Hertwig's  u.  A. 

Die  Erkenntniss,  dass  es  einzellige  Thiere  ohne  Organe  giebt,  welche 
vollkommen  lebensfähig  sind,  war  eine  äusserst  werthvolle  Errungenschaft, 
erstens  weil  sich  dadurch  unsere  Auffassungen  vom  thierischen  Leben  ver- 
tieft haben,  zweitens  aber  weil  mit  dieser  Erkenntniss  für  die  Lehre  von 
der  Descendenz  der  Organismen  aus  einfachen  Urformen  das  wichtigste 
Glied  der  Kette,  der  Anfang  derselben,  gefunden  wurde. 

Systematik.  Das  verschiedene  Aussehen  der  Protozoen  hängt  von 
dem  Grad  der  organologischen  und  histologischen  DifTerenzirung  ab.  Da 
diese  vorwiegend  in  den  zur  Fortbewegung  und  Ernährung  dienenden 
Einrichtungen  zu  Tage  treten,  verdienen  letztere  bei  der  Eintheilung  be- 
sondere Berücksichtigung.  Je  nachdem  die  Fortbewegung  und  Nahrungs- 
aufnahme durch  Protoplasmafortsätze,  durch  Geissein  oder  Wimpern  ver- 
mittelt wird,  erhalten  wir  die  3  Classen  der  /Mko/Wow  ,  FlagrUaten  und 
Oiliaten  (Infusorien  s.  str.);  dazu  kommt  die  durch  Parasitismus  in  Er- 
nährung, Fortbewegung  und  Fortpflanzung  beeinflusse  Classe  der  Grcgari- 
narien  oder  Sporozoen. 


I.  Classe. 

Rhizopoden,  Wurzclfüssler. 

An  die  Spitze  der  Protozoen  müssen  wir  Organismen  stellen,  bei 
denen  noch  keinerlei  constante  Einrichtungen  zur  Fortbewegung  und 
Ernährung  getroffen  sind,  sondern  das  Körperplasma  oder  die  Sarkode 
selbst  diese  Functionen  verrichtet.  Mit  Rücksicht  auf  die  unmittelbare 
Verwendung  der  Sarkode  können  wir  die  Thiere  Sarkodeorganismen 
oder  Sarkodina  nennen.  Verbreiteter  ist  der  Ausdruck  „  Wurzelfüssler" 
oder  „Rhizopoden",  welcher  sich  darauf  bezieht,  dass  das  Protoplasma 


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152  Protozoen. 

wurzelartige  Fortsätze  aussendet,  welche  Nahrungsaufnahme  und  Be- 
wegung vermitteln.  Die  Fortsätze  heissen  Scheinfüsschen  oder  Pseudo- 
podien, da  sie  zwar  wie  Füsse  zur  Ortsveränderung  dienen,  aber 
von  echten  Extremitäten  sich  dadurch  unterscheiden ,  dass  sie  keine 
constanten  Zellorgane  sind,  sondern  nach  Bedürfniss  gebildet  werden 
und  wieder  verschwinden.  Ein  Pseudopodium  entsteht,  wenn  nach 
einer  Stelle  des  Körpers  das  Protoplasma  zusammenströmt  und  über 
die  Obertiäche  als  ein  Fortsatz  hervorfiiesst.  Indem  der  Fortsatz  sich 
anheftet  und  den  Körper  nachzieht,  findet  eine  langsame  Ortsbewegung 
statt.  Dabei  schwindet  der  Fortsatz,  indem  er  wieder  in  den  Körper 
aufgenommen  wird  und  es  bilden  sich  an  andern  Stellen  des  Körpers 
neue  Fortsätze,  welche  nach  einiger  Zeit  abermals  in  den  Körper  zu- 
rückfliessen.  Man  nennt  diese  Form  der  Bewegung  amöboid  nach 
den  Amöben,  bei  welchen  die  Bewegungsweise  am  frühesten  genauer 
studirt  wurde.  Wenn  nun  Bhizopoden  bei  ihren  Wanderungen  auf  Nah- 
rungskörper stossen  ,  umtliessen  sie  dieselben  mit  ihren  Protoplasma- 
fortsätzen und  verdauen  sie  innerhalb  derselben  oder  pressen  sie  in 
ihren  Körper  hinein.    (Fig.  111  N.) 

Die  Form  der  Pseudopodien  ist  für  jede  Art  annähernd 
constant,  im  Uebrigen  aber  sehr  mannich faltig,  so  dass  sie  zur  Unter- 
scheidung nicht  nur  verschiedener  Arten,  sondern  sogar  von  Gattungen, 
Familien  und  grösseren  Gruppen  benutzt  werden  kann.  Es  giebt 
einerseits  läppen-  oder  fingerförmige  Pseudopodien  (Fig.  111),  anderer- 


B 


Flg.  III.    Autor  ha  Prohns  nach  Fitr.  112.    /Malin  Frcyeri  (aus  Lang  nach 

Lj'idy.    cl;  Kt  tusark.        Knt<*ark.       M.  Schnitze). 
A'  Nuhrung-köriH'r .  vr  contractilc 
Vaeuole.  n  Kern. 

seits  Pseudopodien  von  so  grosser  Zartheit,  dass  sie  selbst  mit  starken 
Vergrösserungen  nur  wie  dünne  Fäden  aussehen  (Fig.  112);  zwischen 
diesen  Extremen  existiren  die  manniehfachsten  Uebergänge.  Faden- 
förmige Pseudopodien  sind  meistenteils  verästelt;  wenn  sich  die  feinen 
Aestchen  begegnen,  können  sie  mit  einander  zu  Netzen  verschmelzen 
und  Anastomosen  bilden,  woraus  hervorgeht,  dass  die  Oberfläche 


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I.  Rhizopoden:  Moneren,  Amöbinen.  153 

der  Pseudopodien  nicht,  wie  man  früher  annahm,  von 
einer  Membran  bedeckt  ist.  Die  feinen  Körnchen  des  Proto- 
plasma treten  meistenteils  auf  die  Pseudopodien  über  und  erzeugen 
hier,  indem  sie  in  centrifugaler  und  centripetaler  Richtung  circuliren, 
das  Phänomen  der  Körnchenströmung.  Da  auch  leblose  Partikelchen, 
wie  Carminkömchen ,  welche  vom  Protoplasma  aufgenommen  werden, 
sich  an  der  Circulation  betheiligen,  ist  die  Ursache  der  Bewegung  nicht 
in  den  Körnchen  selbst,  sondern  in  dem  sie  tragenden  Plasma  zu 
suchen.  Die  so  überaus  wichtige  Erscheinung,  dass  auf  demselben 
feinsten  Fädchen  Körnchen,  nach  entgegengesetzten  Richtungen  strömen 
und  gleichgerichtete  Körnchen  einander  überholen  können ,  haben  wir 
schon  früher  (Seite  51)  benützt,  um  auf  die  ausserordentliche  Com- 
plicirtheit  der  Protoplasmastructur  hinzuweisen. 

Wenn  Rhizopoden  sich  im  freien  oder  encystirten  Zustand  durch  Thei- 
Inng  vermehrt  haben,  vertauschen  die  Theilproducte  häutig  die  amöboide 
Bewegung  mit  der  für  die  Classe  der  FlagcUalen 
charakteristischen  Bewegungsweise  und  werden 
zu  G e i s s e  1  s c h w ä r m e r n  oder  Zoosporon. 
Der  Körper  rundet  sich  zu  einem  Oval  oder  zu 
bohnenfönniger  Gestalt  ab  und  entwickelt  an 
seinem  vorderen,  kernführenden  Ende  eine  oder 
mehrere  Geissein,  welche  energischer  als  Pseudo- 
podien schwingen  und  constant  bleiben,  so  lange 
als  das  Stadium  des  Geisselschwänners  anhält. 
(Fig.  117).  Da  manche  Urthiere  dauernd  neben 
den  Pseudopodien  (Jeisseln  besitzen ,  verwischt 
sich  die  Grenze  zwischen  Rhizopoden  und  FUujel- 
laten.    (Fig.  113.) 

Die  Rhiu/jx>dtn  bilden  eine  aufsteigende  Reihe, 
in  welcher  die  .systematischen   Merkmale  immer 
charakteristischer  werden,  sei  es,  dass  die  Korper-     mQeb*  Mpera  (mu.h  'F> 
ge.stalt  eine  bestimmtere  wird  wie  bei  den  Radiola-     K.  Schulze). 
rien  und  Hriioxorn,  sei  es,  dass  ein  Skelet  von 

gesetzmässiger  Form  auftritt  wie  bei  den  Tlialaniophorrn ,  sei  es  endlich, 
dass  die  Furtpflanzungsweise  der  Gruppe  ein  bestimmtes  Gepräge  verleiht 
ßlycetoxoenj.  Am  niedrigsten  stehen  Moneren  und  Amöbinen,  deren  Charak- 
teristik vornehmlich  eine  negative  ist,  insofern  weder  Skelet  noch  Körper- 
gestalt noch  Fortpflanzungsweise  bestimmte  systematische  Merkmale  liefert. 

I.  Ordnung.  Moneren. 

Das  wichtigste  Merkmal  der  Moneren  ist  der  Mangel  eines 
Kernes.  Wie  jede  negative  Charakteristik,  so  hat  auch  die  vorliegende 
etwas  Missliches.  In  vielen  Fällen  sind  Kerne  sehr  schwierig  nachzu- 
weisen, besonders  wenn  das  Protoplasma  reichlich  und  von  Farb- 
stoffkörnchen getrübt  ist;  und  so  können  Thiere  als  kernlos  be- 
schrieben werden ,  nur  weil  die  vorhandenen  Kerne  übersehen  worden 
waren.  Früher  war  daher  die  Zahl  der  „Moneren"  eine  sehr  grosse; 
sie  schrumpfte  zusammen,  als  die  Technik  im  Nachweis  der  Kerne 
sich  vervollkommnete.  Somit  ist  es  sehr  wohl  möglich,  dass  die  wenigen 
jetzt  noch  als  Moneren  geltenden  Formen  Kerne  besitzen.  Auf  der 
andern  Seite  können  mancherlei  theoretische  Erwägungen  zu  Gunsten 
der  Existenz  kernloser  Organismen  geltend  gemacht  werden.    Es  ist 


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154 


Protozoen. 


leichter  sich  vorzustellen,  dass  bei  der  Urzeugung  zunächst  Organismen 
entstanden,  welche  nur  von  einerlei  Substanz  gebildet  waren,  als  Or- 
ganismen, bei  denen  sich  Kern  und  Protoplasma  schon  gesondert  hatten. 

Als  kernlose  Organismen  werden  mehrere  Arten  der  Gattung  Protamoeba 
beschrieben:  Protamoeba  vorax  Grbr. 


H.  Ordnung.  Amöbinen. 

Als  charakteristische  Repräsentanten  der  Amöbinen  können  die 
verschiedenen  Arten  der  Gattung  Amoeba  gelten,  Thiere,  welche  dem 
beständigen  Wechsel,  den  ihre  Körperform  bei  der  Bewegung  erleidet, 
ihren  Namen  verdanken  (Fig.  111).  Der  Formenwechsel  wird  veran- 
lasst durch  das  Aussenden  weniger,  stets  neu  sich  bildender  und  wieder 
verschwindender,  fingerförmiger  Pseudopodien.    Der  Körper  und  die 

von  ihm  ausfliessenden  Pseudopodien  bestehen 
aus  zwei  Schichten,  einer  weichen ,  körnchen- 
reicheren Innenschicht,  dem  Entosark  (en\ 
und  einer  festeren,  körnchenarmen  Aussen- 
schicht,  dem  Ectosark  (ek).  Im  Entosark 
liegen  stets  Kerne,  gewöhnlich  nur  ein 
einziger,  seltener  eine  grosse  Anzahl.  Der 
Kern  in)  ist  ein  Bläschen  mit  grossem  Nucleo- 
lus  oder  zahlreichen  kleinen  Kernkörperchen. 
Eine  contractile  Vacuole  ist  meistens  vorhan- 
den. Die  Fortpflanzung  der  Amöben  erfolgt 
durch  Theilung  (Fig.  114). 

Die  meisten  Amöben  sind  aus  dem  Süß- 
wasser bekannt:  die  grösseren  Formen,  wie  die 
2  mm  grosse  Pelomyxa  palustris  Greeff,  leben  im 
Schlamm  von  Tümpeln,  kleinere,  wie  A.  proteu* 
und  A.  prinreps  Ehrbg.,  an  Wasserpflanzen  oder 
frei  im  Wasser  schwebend;  in  feuchter  Erde 
existirt  die  sehr  kleine  Amoclta  terricola  Greeff. 
Auch  giebt  es  unter  den  Amöben  einige  Para- 
E.Schul/.<0.  »  Kern, ,  rr  von-  siten  wie  die  0,02  bis  0,035  mm  grosse,  bei 
tra<tile\  acuole,  ch Ekfohark,  '  ,  '         ,     *  ~ 

cn  Entosark.  nns  selten,  in  heissen  Klimaten  dagegen  häutig 

beobachtete  Amoetm  coli  Loesch,  welche  in  den 
Dickdarmgeschwüren  und  Leberabscessen  von  Menschen,  die  an  Dysenterie 
erkrankt  sind,  in  enormen  Mengen  auftreten  und  vielleicht  auch  Ursache 
der  Erkrankung  sind.  Ferner  ist  es  neuerdings  mehr  zur  Gewissheit  ge- 
worden, dass  kleinste,  in  die  Blutkörperchen  eindringende  und  dieselben 
zerstörenden  Amöben  (Jlarmamocba  malariae  Grassi,  Laverania  malariae 
Grassi)  die  verschiedenen  Formen  des  Wechselfiebcrs  veranlassen ;  dieselben 
werden  von  den  meisten  Beobachtern  zu  den  Gregarinen  gestellt,  weil  sie 
sich  innerhalb  der  Blutkörperchen  wie  Gregarinen  in  eine  grössere  Zahl  von 
Keimlingen  (10 — 20)  theilen,  welche  zu  einer  Rosette  („ Gänseblümchen") 
gnippirt  sind. 


Fig.  IM.  Anioeha  pnly- 
potliii  in  Tlwilung  (nach  F. 


m.  Ordnung.    Heliozoen,  Sonnentbierohen. 

Die  Heliozoen  verdanken  ihren  Namen  „Sonnenthierchen"  der  Kugel- 
gestalt ihres  Körpers  und  den  wie  Strahlen  radienartig  angeordneten 
Pseudopodien.  An  letzteren  unterscheidet  man  einen  feinen,  eine  Art 
Skelet  bildenden  organischen  Axenfaden  und  einen  dünnen  Ueberzug 


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L  Rhizopoden:  Heliozoen. 


155 


körnigen  Protoplasmas.  Verästelungen  und  Anastomosen  sind  selten 
und  treten  gewöhnlich  nur  auf,  wenn  die  radiale  Anordnung  der  Pseudo- 
podien durch  Druck  gestört  wird.  Der  Körper  besteht  aus  einer 
Rinden-  und  einer  Marksubstanz  (Fig.  115),  welche  beide  nur  durch 


M 
n 


CT 

Na 
R 


er  Xa 

Fig.  1 15.  Actinosphaerium  Eiehhomi.  M  Mnrksulwtnnz  mit  Körnen  (w).  ÄRindan- 
mbetanz  mit  coQtractflen  Vacoolen  cc,  Na  Nahrangsktoper. 

verschiedene  Beschaffenheit   des  Proto- 

Slasmas,  nicht  aber  durch  eine  trennende 
[embran  von  einander  geschieden  wer- 
den. In  der  Rinde  liegen  die  contrac- 
tilen  Vacuolen  (cv) ;  in  der  Marksubstanz 
der  meist  einfache  Kern.  Zu  den  wenigen 
vielkernigen  Formen  gehört  das  schönste 
und  grösste  Sonnenthierchen  des  süssen 
Wassers,  das  Actinosphaerium  Eiehhomi. 
Viele  Heliozoen  besitzen  ein  Kieselskelet, 
entweder  eine  Gitterkugel  (Fig.  117)  oder 
radial  angeordnete  Stacheln,  oder  tan- 
gential gestellte  Nadeln;  seltener  sind 
gänzlich  skeletlose  Formen.  Aber  auch 
diese  letzteren  haben  die  Fähigkeit  bei 
der  Encystirung  kieselige  Umhüllungen 
zu  bilden,  wie  Actinosphaerium  Eichhorni 

lehrt  (Fig.  l«k  Rg.  116.  Cvi*tc  mit  TuchtercysU-n 

Die  F  o  r  t  p  f  1  a  n  z  u  n  g  erfolgt  durch  von  ^Aetino&kaernm  Eichhorni 
Theilung,  wobei  es  vorkommen   kann,  (nach  F.  E.  Schulze). 


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150 


Protozoen. 


dass  eines  oder  beide  Theilstücke  zu  Schwärmsporen  werden,  d.  h. 
eine  ovale  Gestalt  annehmen  und  an  einem  Pol  1—2  Geissein 
erhalten  (Fig.  117).  Mit  den  Geissein  verbreiten  sich  die  Helio- 
zoenschwärmer  weithin,  ehe  sie  wiederum  zur  Kugclform  zurück- 
kehren und  unter  Verlust  der  Geissein  Pseudopodien  aussenden.  Häutig 
kommt  es  vor,  dass  mehrere  Helioeoen  gleicher  Art  mittelst  Proto- 
plasmabrucken verschmelzen  und  so  Verbände  von  2—10  Thieren  bilden: 
doch  ist  es  bisher  nicht  gelungen  zu  beweisen,  dass  diese  ,,Conjugationen" 
einen  Einfluss  auf  die  Fortpflanzung  haben. 

Wir  unterscheiden 
skeletlose  und  skelet- 
bildendc  Formen.  Ein 
Skelet  besitzt:  Cfathnt- 

linu  rfrynns  Cienk., 
Skelet  eine  Gitterkugel 
von  einem  Stiel  getra- 
gen (Fig.  117).  Affm- 
thocy.stis  turfarea  Cart., 
Skelet  bestellt  aus  zahl- 
reichen radial  gestellten 
Stacheln  ,  welche  cen- 
tralwärts  mit  einem 
Fussplättchen  beginnen 
und  nach  der  Peripherie 
sich  gabeln.  Zu  den 
skeletlosen  Formen  ge- 
hört vor  Allem  d  as  schon 
im  vorigen  Jahrhun- 
dert von  0.  F.  M  fl  1 1  e  r 
entdeckte    und  vom 

Pfarrer  Eichhorn 
wieder  neu  aufgefun- 
dene A'-finosj/lmeriunt 
Eichhorn i  Ehrbg.  (Fig. 
115);  Körper  milch- 
weiss,  stecknadelkopf- 
gross, Protoplasma  nach 


Fier.  117.  Clathnilina  vlrnaus.  A  Thier  mit  auüjre- 
*treekten  Ps<  udojMwlicii.  //  Individuum  in  2  Cysten  p> 
t heilt,  V  Z<x»si>ore.    n  Kern,  rc  contractile  Vacuole. 


Art  von  Seifonschaum  von  Flüssigkeitsvacuolen  durchsetzt,  deren  verschie- 
dene Gestalt  und  Grösse  den  Unterschied  von  Rinden-  und  Marksubstanz 
bedingen.  In  der  Rinde  mehrere  contractile  Vacuolen,  im  Mark  zahlreiche 
Kerne.  Bei  der  Encystirung  verschwindet  die  schaumige  Beschaffenheit 
des  Protoplasmas;  innerhalb  der  Cyste  theilt  sich  das  Thier  in  zahlreiche 
einkernige  Stücke,  welche  sich  mit  besonderen,  aus  Kieselsäure  bestehenden 
Hüllen  umgeben  (Figur  116).  Die  aus  den  Cysten  auskriechenden  jungen 
Thiere  sind  klein  und  einkernig  und  gleichen  dann  einer  zweiten  hierher 
gehörigen,  kleineren  Art,  der  A'tinophn/s  sol  Ehrbg. 


IV*.  Ordnung.  Radiolarien. 

Die  Radiolarien,  die  formenschönsten  und  höchst  organisirten 
Rhizopoden  erinnern  in  ihrem  Habitus  sehr  an  die  Heliozoen;  sie  haben 
einen  kugeligen  Körper,  welcher  nur  selten  durch  Abplattung  in  die 
Scheibenform  oder  durch  ungleichmäßiges  Wachsthum  in  kegelförmige 


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I.  Rhizopoden:  Radiolarien. 


157 


oder  lappige  Gestalten  übergeführt  wird.  An  die  Hcliozoen  erinnern 
ferner  die  feinen,  oft  von  Axenfäden  gestützten  Pseudopodien.  Das 
unterscheidende  Merkmal  ist  in  der  C  c  n t  ral k ap  s  e  1  gegeben.  Unter 
diesem  Namen  versteht  man  einen  von  einer  Membran  umschlossenen, 
centralen  Theil  des  Körpers,  während  man  die  nach  aussen  davon  ge- 
legenen Theile  als  ext  racapsu  lären  Weichkörper  zusammen- 
faßt. Die  Central  kapsei  ist  der  wichtigste  Abschnitt  desThieres; 
mit  Prüparirnadeln  aus  dem  extracapsulären  Weichkörper  herausgeschält, 
lebt  sie  nicht  nur  weiter,  sondern  regenerirt  sogar  die  verloren  ge- 
gangenen Partieen,  während  der  extracapsuläre  Weichkörper  ohne 
Centralkapsel  zu  Grunde 
geht.  Da  das  Proto- 
plasma beider  Theile,  die 
intracapsuläre  und  die 
extracapsuläre  Sarkode, 
identisch  ist  ,  kann  der 
Unterschied  im  Regene- 
rationsvermögen nur 
durch  die  Kerne  veran- 
lasst sein,  welche  in 
ihrer  Verbreitung  auf 
die  Centralkapsel  be- 
schränkt sind. 

Die  Centralkap- 
sel kann  ein-  oder  viel- 
kernig sein.  Im  erste- 
ren  Fall  liegt  der  Kern 
als  ein  Bläschen  von  an- 
sehnlicher Grösse  (Rin- 
nenbläschen) im  Cen- 
trum (Fig.  118);  im 
zweiten  Falle  ist  der 
Kapselinhalt  ganz  durch- 
setzt von  Hunderten  klei- 
ner homogener  Kerne. 
Jedes  Radiolar  ist  in 
der   Jugend  einkernig 


/mm  w 


Fig.  1 1  s. 


'Ihntassirnlla  primjira.  Tin  ( Vntruin  der  Kern 

und  zur  Zeit  der  Schwär-  (Wniirnbii«.h.MO  mit  pvundYmm  Xudeolus,  darum  die 

.  ..  ,  ...  (  «-ntralkapsH  mit  <  irlku^i-ln  .  um  ine»»'  «irr  •  xtracapsu- 

inerblldung     vielkernig.  )än,  V\Yichkörner  mit  Vaninlon  («  xtnuansulän  n  Alveo- 
Der  Umstand,  dass  man  len),  gelben  Zellen  (schwarz)  und  Pseudopodien, 
bestimmte    Arten  fast 

stets  einkernig,  die  andern  fast  stets  vielkernig  antritft,  hängt  damit  zu- 
sammen, dass  im  enteren  Fall  die  Einkernigkeit  lange  Zeit  Restand  hat 
und  erst  kurz  vor  der  Schwärmcrbildung  in  die  Vielkernigkeit  übergeht, 
wahrend  im  zweiten  Fall  sich  die  Umbildung  frühzeitig  vollzieht. 

In  der  Centralcapscl  können  noch  mannichfache  Ablagerungen, 
welche  während  der  Fortpflanzung  zur  Ernährung  dienen,  wie  Oelkugeln, 
Concretionen  etc,  aufgestapelt  sein. 

Die  die  Centralkapsel  umschliessende  K  a  p  sei  m  em  b  ran  ist  ent- 
weder allseitig  von  vielen  Porenkanälen  durchbohrt  oder  besitzt  nur  an 
beschränkten  Stellen  kleine  OerTnungen.  Durch  die  Poren  und  OefT- 
nungen  tritt  die  intracapsuläre  Sarkode  hervor  und  breitet  sich  im 


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158 


Protozoen. 


extracapsulären  Weichkörper  aus.  Dieser  besteht  der  Haupt- 
raasse nach  aus  einem  Gallertmantel,  welchen  das  Protoplasma  mit  einem 
feinen  Netzwerk  durchzieht,  ehe  es  an  der  Oberfläche  die  Pseudopodien 
bildet  Bei  grösseren  Radiolarien  kann  der  Gallertmantel  eine  beträcht- 
liche Ausdehnung  erfahren,  indem  sich  Vacuolen  (extracapsulärc  Alve- 
olen) in  dem  protoplasmatischen  Netz  entwickeln  (Fig.  118). 

Mit  wenigen  Ausnahmen  besitzen  die  Radiolarien  Skelete  von 
wunderbarer  Schönheit;  man  findet  gegitterte  Kugeln,  einzelne  oder 
mehrere  in  einander  geschachtelt  und  durch  radiale  Stäbe  verbunden 
(vergl.  Fig.  82  auf  Seite  108),  auf  ihrer  Oberfläche  häufig  mit  stachel- 
artigen Aufsätzen  verziert.  Oder  es  sind  gegitterte  Scheiben,  heim- 
oder  käfigartige  Gehäuse  (Fig.  120),  schwammige  Gerüste.  In  anderen 
Fällen  endlich  begegnet  man  Ringen,  Röhren,  Stacheln,  welche  im 
Centrum  der  Centraikapsel  zusammenstossen  (Fig.  119)  etc.  Selten 


Fig.  110.  Fig.  120. 


körper,  n  Kerne,  St  Stacheln. 
P  Pseudopodien. 


Fig.  120.  Eu-eurtidinm 
rranwides  (nach  Haeckel). 


sind  die  -Skelete  nur  von  organischer  Substanz  (Acanthin)  gebildet, 
meist  sind  sie  k  i  e  s  e  1  i  g  und  von  ausserordentlicher  Festigkeit.  Da- 
her finden  sich  auch  die  Skeletreste  von  Radiolarien  in  vielen  geologischen 
Schichten;  die  berühmtesten  Fundstätten  sind  die  Berge  von  Caltani- 
setta  in  Sicilien  (Tertiär)  und  die  ebenfalls  der  Tertiärzeit  angehörigen, 
an  Radiolarien  noch  reicheren  Gebirge  der  Nicobareninseln  und  der 
Insel  Barbados.  Neuerdings  wurden  Radiolarien  als  älteste  zur  Zeit 
bekannte  Versteinerungen  in  Quarziten  der  archäischen  Formationen 
in  der  Bretagne  entdeckt. 


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1.  Rhizopoden:  Radiolarien. 


150 


Von  der  Fortpflanzung  der  Radiolarien  kennt  man  zunächst 
Tlieilungen,  welche  mit  der  Theilung  der  Centralkapsel  (bei  einkernigen 
Formen  mit  der  Theilung  des  Kerns)  beginnen  und  meist  auf  den  extra- 
kapsulären Weichkörper  sich  fortsetzen.  Unterbleibt  die  Theilung  des 
letzteren,  so  kommt  es  zur  Coloniebildung.  In  einer  gemeinsamen, 
allmählig  wachsenden  Gallerte  liegen  zahlreiche  C'entralkapseln,  unter 
einander  durch  Protoplasmanetze  verbunden,  welche  an  der  Oberfläche 
der  Colonie  die  Pseudopodien  bilden  (Fig.  122).  Eine  zweite  Art  der 
Fortpflanzung  ist  die  Fortpflanzung  durch  Schwärmer,  welche 
immer  erst  eintritt,  wenn  der  Kern  der  Centralkapsel  sich  in  Hunderte 
oder  Tausende  von  Tochterkernen  verwandelt  hat.  Der  Centralkapsel- 
inhalt  zerfüllt  dabei  in  so  viel  Stücke,  als  Kerne  vorhanden  waren;  die 
kernhaltigen  Stücke  werden  oval  oder  nierenförmig,  entwickeln  zwei 
Geissein,  welche  bald  lebhaft  zu  schlagen  beginnen,  so  dass  der  Inhalt 
der  Centralkapsel  in  tumultuarische  Bewegung  geräth.  Indem  die 
Kapselmembran  platzt,  schwärmen  die  jungen  FortpHanzungskörper 
aus,  womit  unsere  Kenntnisse  von  dieser  Form  der  Fortpflanzung  ab- 
schliessen  (Fig.  121).  Da  bei  vielen  Arten  grosse  und  kleine  Schwärmer, 
Makro-  und  Mikrosporen,  vorkommen,  ist  vielleicht  behufs  weiterer  Ent- 
wicklung eine  Copulation  verschiedenartiger  Schwärmer  nöthig. 

Fig.  121.  Fig.  122. 


Sehr  verbreitet,  wenn  auch  nicht  constant,  sind  im  Körper  der 
Radiolarien  die  gelben  Zellen,  welche  früher  irrthümlich  für  Theile 
des  Radiolars  gehalten  wurden;  sie  sind  einzellige  Algen  (Zooxanthellen), 
wie  sie  auch  bei  anderen  Thieren  {Thalamophoren,  Actinien,  Schwämmen  etc.) 
vorkommen ;  sie  liefern  uns  ein  Beispiel  für  die  Symbiose  oder  das  Zu- 
sammenleben verschiedenartiger  Organismen  zu  gegenseitigem  Nutzen. 
Die  neue  Auffassung  gründet  sich  darauf,  dass  die  gelben  Zellen 
eine  Membran  besitzen,  stärkeartige  Substanzen  erzeugen,  unabhängig 
vom  Radiolar  sich  theilen  und  nach  dessen  Tode  fortleben. 

Die  Radiolarien  sind  ausschliesslich  Meeresthiere ;  sie  schwimmen 
bei  gutem  Wetter  vielfach  frei  an  der  Oberfläche  des  Meeres,  steigen 
aber  bei  Regen  oder  Sturm  in  die  Tiefe  hinab.    Bestimmte  Arten,  ja 


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K5o 


Protozoen. 


ganze  grosse  Gruppen  wie  die  Phaeodarien  findet  man  fast  ausschließ- 
lich in  grossen  Meerestiefen  von  7000  Meter,  vielfach  bei  Tempe- 
raturen, welche  wenig  unter  oder  über  0°  C.  betragen. 

I.  Unterordnung.  P  c  r  i  p  y  1  e  e  n  oder  S  p  u  m  o  1 1  a  r  i  e  u.  Die 
Kapsel niembran  ist  allseitig  von  Porencanäleu  durchsetzt,  Skelet  fehlt  oder 
besteht  aus  kieseligon  Gitterkugeln,  welche  öfters  zu  einem  spongiösen 
Netzwerk  aufgelöst  oder  zu  Scheiben  abgeplattet  sind;  die  Gitterkugeln 
können  mit  Stacheln  und  Verbindungsstäben  ausgerüstet  sein.  Hierher  ge- 
hören die  coloniebildenden  Sjthaeroxin n  (Fig.  122),  die  grossen  'flialassünlkn 
(Fig.  118),  die  gitterschaligen  lhiliomnifii  (Fig.  82),  die  scheibenförmigen 
Disciilat,     ('f)lloxotintin'nmr  H..  Tholnssirolln  prhif/itv  H. 

II.  Unterordung.  Acantharien.  Die  Kapselmembran  ist  eben- 
falls allseitig  durchbohrt;  20  Stacheln,  welche  aus  einer  organischen  Sub- 
stanz, dem  Acanthin  bestehen,  vom  Centrum  des  Thieres  ausstrahlen  und 
äusserst  gesetzmässig  (Mnller'sches  Gesetz)  angeordnet  sind,  bilden  das 
Skelet ;  sie  sind  von  Gallertscheiden,  die  von  besonderen  Muskelchen  be- 
wegt werden,  umhüllt:  Armifhfir/iffmt,  oder  die  Stacheln  sind  unter  einander 
durch  Gitterku^eln,  die  aus  20  Eiuzelplatten  bestehen,  verbunden: 
Atonfhojthndhti.     Aranthttmrtm  rhsfitti  H.  (Fig.  119). 

III.  Unterordnung.  Monopyleen  oder  Nassellarien.  Die 
Centralkapsel  besitzt  nur  an  einem  Ende  feine  Poren  zu  einem  Porenfeld 
vereinigt.  Die  bekanntesten  Monopyleen  sind  die  (.[t/rtidrn.  Radiolarien  mit 
zierlichen,  Helm-  oder  Käfig-artigen  Gehäusen  und  die  Strphoitlceu  mit  einem 
sagittal  gestellten  Ring.    Knnjrtidiuoi  enuiiohlcs  H.  (Fig.  120). 

IV.  Unterordnung.  Phaeodarien  Die  Centralkapsel  hat  eine 
häufig  röhrig  ausgezogene,  von  dunklem  Pigment  (Phaeodium)  umhüllte 
Hauptöffnung,  zu  der  noch  kleinere  Nebenöffnungen  hinzutreten  können. 
Skelet  kieselig,  aus  hohlen  Einzelstücken  gebildet.  Die  Phaeodarien  sind 
meist  Tiefseebewohner  und  sind  daher  zum  grössten  Theil  erst  neuerdings  be- 
kannt geworden ;  oberflächlich  leben  die  Aithtroiit/iftt,  Aulnsphaerru.  Corlodrwhr/i, 
Thiere,  welche  meist  die  Grösse  von  0,5—1,0  mm  erreichen.  Vorlodendrnm 
almtininn  H. 

V.  Ordnung.    Thalamophoren  oder  Foraminiferen. 

Die  Thalamophoren,  früher  und  vielfach  auch  jetzt  noch  Forami- 
niferen genannt,  sind  zwar  den  Radiolarien  an  Mannichfaltigkeit  und 
Schönheit  der  Erscheinung  nicht  ebenbürtig,  sind  ihnen  dagegen  an 
Individuenzahl  bedeutend  überlegen  und  besitzen  daher  für  die  Umge- 
staltung der  Erdoberfläche  eine  viel  grössere  Bedeutung.  Keiue  Thier- 
abtheilung hat  an  der  Ablagerung  neuer  Gesteinsschichten  in  Gegen- 
wart und  Vergangenheit  einen  so  grossen  Antheil  gehabt  wie  sie. 

Das  wichtigste  Merkmal  der  Gruppe  ist  in  der  Schale  gegeben: 
diese  ist  ein  Gehäuse,  welches  an  einem  Ende  geschlossen  ist,  am 
anderen  Ende  gewöhnlich  mittelst  einer  zum  Durchtritt  der  Pseudo- 
podien dienenden  Oeffnung  nach  aussen  mündet  (Fig.  123).  «le  nach- 
dem die  durch  diese  beiden  Pole  gezogene  Axe  verkürzt  oder  verlängert 
ist,  ist  die  Schale  Scheiben-  oder  sack-  oder  flaschenförmig  oder  gar  in 
Folge  spiraler  Einrollung  schneckenhausartig.  Meist  kommt  hierzu  noch 
das  weitere  Merkmal,  dass  der  IJinncnrauiu  der  Schale  durch  quere 
Scheidewände  in  zahlreiche  Kammern  abgetheilt  ist  (Fig.  124).  Solche 
v  i  e  1  k  a  m  m  e  r  i  g  e  Schalen  ( Pohfthalamien)  sind  anfangs  klein,  ein- 
kammerig  oder  nur  aus  wenigen  Kammern  gebildet,  vergrössern  sich 


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I.  Rbizopoden :  Thalainophoren  oder  Foraminiferen. 


161 


aber,  solange  das  Wachsthum  des  Thieres  andauert,  indem  an  der 


Schalenmündung 


neue 


an  Grösse  zunehmende  Kammern  entstehen. 
Oeffnungen  in  den  Scheidewänden  (Foramina)  verbinden  dabei  die 
Binnenräume  der  aufeinanderfolgenden  Kammern.  Die  spiral  eingerollten, 
vielkammerigen  Gehäuse  haben  eine  überraschende  Aehnlichkeit  mit  den 
ausserordentlich  viel  grösseren  Schalen  der  Nauliliden  (Fig.  340),  was 
lange  Zeit  selbst  hervorragende  Forscher  wie  d'Orbigny  veranlasste, 
die  Foraminiferen  für  kleine  Cephalopoden  zu  halten. 


Fig.  123.  Qttodrula  .symme- 
trica (nach  F.  E.  Schulze),  n 
Kern,  er  contraetile  Vacuolc,  .V 
Nalirungskörper. 


Fig.  124.  Junge  Miiiofa  [mit 
vielen  Kernen  (aus  Lang). 


Die  Wand  der  Schale  ist  bei  den  Sflsswasserformen  durch  eine 
organische  chitinöse  Substanz  gebildet ,  welche  an  Festigkeit  gewinnen 
kann,  indem  sie  verkieselt  oder  Fremdkörper  in  sich  aufnimmt.  Die 
typischen,  ausschliesslich  marinen  Vertreter  der  Gruppe  besitzen  da- 
gegen fast  stets  Gehäuse  von  kohlensaurem  Kalk,  welche  bei  Behand- 
lung mit  Säuren  unter  Kohlensäureentwicklung  sich  lösen  und  nur 
geringe  Spuren  einer  organischen  Grundlage  hinterlassen.  Auf  mannich- 
fache  Reliefzeichnungen  der  Schale,  wie  Dornen,  Stacheln,  Leisten, 
Höcker  etc.,  sei  hier  nur  kurz  hingewiesen.  Systematisch  wichtiger  ist 
die  Frage,  ob  die  Schalen  wand  solid  oder  von  feinen  Poren- 
c analen  durchsetzt  ist;  letzteres  ist  bei  den 
perforaten  Thalainophoren  der  Fall  (Fig.  Hl*). 

Der  Weichkörpor  bildet  einen  mehr  oder 
minder  vollkommenen  Ausguss  der  Schale  und  be- 
steht daher  bei  vielkammerigen  Arten  aus  vielen 
der  Zahl  der  Kammern  entsprechenden  Stücken, 
welche  aber  sämmtlich  untereinander  verbunden 
sind,  indem  Plasmabrücken  die  „Foramina"  der 
Scheidewände  durchsetzen  (Fig.  125).  Im  Proto- 
plasma findet  sich  ein  grosser  Kern  (Fig.  123, 
125  n),  welcher  aber  häufig  frühzeitig  durch  eine 
Tochtergeneration  kleiner  Kerne  ersetzt  werden 
kann.  Contraetile  Vacuolen  kommen  im 
Allgemeinen  nur  den  Süsswasserbewohnern  zu.  Die  Schale  erhalten,  n  Kern. 

HertwU,  Uhlbach  der  Zoologie.    3.  AutUge.  |  [ 


Fig.  12"».  Weichkör- 
ner einer  Qlobigerina 
durch    Auflösen  der 


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102 


Protozoen. 


Pseudopodien  verlassen  die  Schale  durch  die  am  Ende  der  Schalen- 
axe  befindliche  Hauptöffnung,  bei  den  Perforaten  vielleicht  auch  durch 
die  Poren  der  Schalenwand;  sie  sind  selten  lappig  oder  fingerförmig 
(Fig.  123),  viel  häufiger  fadenförmig,  verästelt,  reich  an  Körnchen  und 
Anastomosen  und  daher  zum  Studium  der  Körnchenströmung  vorzüglich 
geeignet  (Fig.  112). 

Die  Fortpflanzung  erfolgt  im  Allgemeinen  durch  Theilung,  ist 
aber  im  Uebrigen  sehr  verschiedenartig.  Selten  theilt  sich  das  Thier 
sammt  seiner  Schale;  häufig  dringt  das  Protoplasma  aus  der  Schalen- 
mündung heraus  und  bildet  einen  Auswuchs,  um  den  sich  eine  zweite 
Schale  anlegt,  worauf  bei  der  Theilung  das  eine  Thier  die  neue,  das  andere 
die  alte  Schale  für  sich  in  Anspruch  nimmt.  Für  die  marinen  Poly- 
thalamien  scheint  allgemein  folgende  Entwicklungsweise  zu  gelten.  Der 
vielkernige  Inhalt  eines  Thieres  zerfällt  in  zahlreiche  einkernige  Stücke, 
welche  sich  schon  innerhalb  der  mütterlichen  Schale  mit  kleinen ,  aus 
einer  oder  wenigen  Kammern  bestehenden  Schalen  umgeben. 

I.  Unterordnung.  Monothalamien.  Die  einkammerigen  Thala- 
mophoren  bewohnen  vorwiegend  das  Susswasser.  Die  Süsswasserformen 
haben  niemals  eine  Kalkschale;  die  Schale  ist  entweder  rein  chitinös  oder 
verkieselt  oder  durch  eingeklebte  Fremdkörper  erhärtet.  Contractile  Va- 
cuolen  werden  nur  ausnahmsweise  vermisst ;  die  Pseudopodien  sind  sehr 
verschiedenartig:  lappig,  fingerförmig,  fadenartig,  verästelt  oder  un verästelt, 
körnchenfrei  oder  körnchenreieb. 

a)  Arten  mit  fingerförmigen  Pseudopodien:  Aredia  vulgaris  Ehbg. 
Bräunliche,  scheibenförmige  Schale,  2  oder  viele  Kerne.  Quadrula  sym- 
metrica F.  E.  Schulze  (Fig.  123).  Schale  aus  vielen  quadratischen  Plätt- 
chon  zusammengefügt.  Diffluyia  proteiformis  Ehbg.  Schale  durch  einge- 
kittete Fremdkörper  erhärtet,  b)  Arten,  mit  verästelten  fadenförmigen 
Pseudopodien:  Ewjhjpha  ahcolata  Duj.  Schale  aus  ovalen  Plättchen.  Gromia 
oviformis  Duj.  (Fig.  17  S.  51)    Schale  ein  häutiger  Sack,  maiin. 

II.  Unterordnung.  P  o  1  y  t  h  a  1  a  m  i  e  n.  Die  vielkammerigen  Tha- 
lanwpiwren  sind  ausschliesslich  Meeresbewohner;  entweder  sitzen  sie  an 
Küstenpflanzen  oder  sie  leben  am  Meeresgrund  oder  sie  schwimmen  pelagisch. 
Die  Schalen  der  abgestorbenen  Thiere  kommen,  sofern  sie  nicht  durch  die 
Kohlensäure  des  Meeres  gelöst  oder  wenigstens  zerstört  werden,  im  Meeres- 
grund in  so  enormen  Mengen  vor,  dass  ein  Gramm  feingesiebten  Sandes 
an  günstigen  Punkten  etwa  50  000  Schalen  enthalten  kann.  Da  die  Schalen 
vorwiegend  aus  kohlensaurem  Kalk  mit  nur  geringen  Beimengungen  orga- 
nischer Grundsubstanz  bestehen,  so  haben  sie  zu  allen  Zeiten  einen  ganz 
hervorragenden  Autheil  am  Aufbau  der  Erdrinde  besessen.  Gewaltige 
Erdschichten,  wie  die  Kreide,  der  Grünsandstein,  die  Nummulitenkalke, 
bestehen  vorwiegend  aus  Foraminiferenschalen.  —  Die  lebenden  Arten 
haben  eine  durchschnittliche  Grösse  von  etwa  1  mm,  selten  sind  mehrere 
cm  grosse  Thiere  (Psammonyx  vulcanicus  Dödl.  5 — G  cm) ;  unter  den  fos- 
silen erreichen  die  Xummiditcn  Duchmesser  bis  zu  6  cm.  —  Die  Eintei- 
lung gründet  sich  auf  die  Structur  der  Kammerwand. 

1.  Impcrforatm.  Schalenwand  massiv,  die  terminale  Pseudopodienöff- 
nung  ist  die  einzige  Communication  des  Schaleninnern  nach  aussen.  Miliola 
cyäostoma  M.  Schultze  (Fig.  124). 

2.  Perforaten.  Schalenwand  von  zahlreichen  feinen  Poren  durchsetzt, 
PseudopodienötFnung  kann  fehlen.  Polystoniella  strigülata  M.  Schultze,  I&- 
talia  Freyeri  M.  Schultze  (Fig.  112)  am  Meeresgrund  lebend;  Qhbigerina 
bidloidcs  d'Orb.  pelagisch  (Fig.  125).    Von  fossilen  Formen  sind  besonders 


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I.  Rhizopoden :  Mycetozoen. 


die  Nummuliten  zu  nennen,  ferner  das  den  uralten  laurentischen  Schichten 
Canadas  und  Böhmens  entstammende  Eoxoon  canadeiise  Dawson ,  dessen 
thierische  Natur  jedoch  von  den  meisten  Beobachtern  bestritten  wird. 

VI.  Ordnung.  Myeetozoon. 

Die  Mycetozoen  oder  Schleimthiere  werden  von  einem  Theil  .der 
Forscher  zu  den  Thieren,  von  einem  anderen  Theil  dagegen  unter  dem 
älteren  Namen  Myxomyceten  {Schleimpilze)  zu  den  Pflanzen  gestellt. 
Erstere  Auffassung  gründet  sich  auf  den  Bau  der  beweglichen  Zu- 
stände, der  Plasmodien,  letztere  auf  den  Bau  der  an  die  Pilze  er- 
innernden Fortpflanzungskörper.  —  Die  Plasmodien  bilden 
sich  bei  nassem  Wetter  auf  faulendem  Holz  als  rahmartige,  intensiv 
roth,  orange  oder  gelb  gefärbte  Ueberzüge  ;  sie  sind  riesige,  mehrere  Centi- 
meter  grosse  Amöben  mit  netzförmig  angeordneten  Protoplasmasträngen, 
in  welchen  zahlreiche  Kerne  und  vielerlei  gefressene  Fremdkörper  ein- 
bettet sind ;  sie  kriechen  langsam  vorwärts ,  indem  vorhandene  Proto- 
plasmastränge eingezogen,  neue  gebildet  werden.  (Fig.  12(3.)  Bei  ein- 
tretender Trockenheit  encystiren  sich  die  Plasmodien  in  eigenthümlicher 
Weise;  haben  sie  eine  bestimmte  Reife  erreicht,  so  bilden  sie  die 
mannichfach  gestalteten  Fortpflanzungskörper,  die  Sporen- 
blasen (Fig.  127)  und  die  Carpome.   Jene  sind  festwandige  Blasen, 


der  Zoospore  tiervorgegangene  Amöben,  oamata,  die  linke  ist  durch  den  Druck  des 
die  anfangen  zum  Plasmodium  sich  zu  heraUf-o/ieUenden  ( 'apillitium  geplatzt  und 
vereinen  d  und  <  Kern  und  coli-     hat  die  S|x>reu  entleert.    (Nach  de  Hary.) 

tractile  Vacuolc  zu  sehen) ,  f  Theil 
eines  Plasmodium  (nach  Strasburger). 

welche  häufig  auf  einem  Stiel  sitzen,  der  sich  in  die  Axe  der  Blase 
als  Columella':  verlängern  kann.  Der  Zwischenraum  zwischen  Blasen- 
wand und  Columella  ist  von  einem  feinen  Sporenpulver  und  einer 
quellungsfähigen ,  bei  vielen  Arten  jedoch  fehlenden  Masse  ausgefüllt, 
welch  letztere  entweder  ein  Netz  von  feinen  Fäden  (Capillitium)  ist 
oder  aus  vielen  spiral  aufgerollten  Strängen  (Elateren)  besteht.  Wenn 
bei  eintretendem  Regen  das  Capillitium  oder  die  Elateren  befeuchtet 

11* 


H54 


Protozoen. 


werden,  dehnen  sie  sich  aus.  bringen  die  Cystenwand  zum  Platzen  und 
schleudern  die  Sporen  weit  aus.  Im  Wasser  oder  in  feuchter  Um- 
gebung keimen  die  Sporen:  aus  den  Hüllen  treten  kleine  Amöben 
hervor,  die  bei  manchen  Arten  vorübergellend  Geissein  entwickeln  und 
mittelst  derselben  herumschwiirmen.  (Fig.  12(5.)  Mehrere  Amöben  ver- 
schmelzen unter  einander  zu  einem  kleinen  Plasmodium.  —  Acthatium 
septicum  Fr.,  Lohblüthe;  Plasmodium  gelb,  auf  Gerberlohe. 


II.  Classe. 

Flagellaten  oder  Mastigophoren,  Geissclinfusoricn. 

Bei  vielen  Ithizopoden  sahen  wir  zur  Zeit  der  Fortpflanzung  die 
Pseudopodien  schwinden  und  durch  1 — 2  Gcisseln  ersetzt  werden: 
andere  Jlhizupoden  haben  neben  den  Pseudopodien  dauernd  oder  perio- 
disch eine  Geissei  zum  Zweck  der  Fortbewegung.  Solche  Geissei- 
schwärmer und  Geisselrhizopoden  leiten  zu  den  Geisseiinfusorien,  den 
Flagellaten  oder  Mastigophoren  über,  b ei  denen  ständig  Gcisseln 
vorhanden  sind,  welche  die  Fortbewegung  und  die  Nahrungsauf- 
nahme vermitteln.  Hierher  gehören  .*»  Ordnungen,  welche  wir  sofort 
getrennt  besprechen  wollen:  1)  die  Autoflagallaten,  2)  die  Cgstoflagellaten^ 
.')(  die  Dino/lagellaten. 


I.  Ordnung  Autoflagellaten. 

Alle  Autoflagefinten  haben  unter  einander  bei  oberflächlicher  Unter- 
suchung eine  grosse  Aehnlichkeit,  einen  meist  ovalen  Körper,  dessen 
eines  Ende  gewöhnlich  den  bläschenförmigen  Kern ,  dessen  anderes 
Ende  die  contractile  Vacuole  beherbergt.    Am  vorderen  Ende  findet 

sich  öfters  noch  ein  rother  oder  brau- 
ner Pigmentfleck,  der  wahrscheinlich 
die  Lichtemphndung  unterstützt  und 
daher  als  ein  primitives  Auge  ange- 
sehen werden  kann.  (Fig.  12S.)  Auch 
die  Geissein  sitzen  zu  1  oder  2  am 
vorderen  Ende,  und  nur  wenn  grössere 
Zahlen  (S  oder  noch  mehr)  vorhanden 
sind,  stehen  sie  über  den  Körper  ver- 
theilt.   (Fig.  12IO    Die  Körperober- 
fläche ist  häutig  nackt  und  dann  viel- 
fach noch  amöboider  Bewegungen  fähig, 
oder  sie    ist  von   einer  mehr  oder 
Mnja-  minder  deutlichen  Cuticula  überzogen. 
Weit  verbreitet  sind  geschlossene  Hül- 
len und  offene,  becherförmige  Gehäuse 
(Fig.  i:52)  oder  einfache  und  verästelte 
Stiele,  auf  denen  die  Thiere  in  klei- 
nen Gruppen  festsitzen.     (Fig.  131.) 
Grosse  Unterschiede  ergeben  sich  in  der  Art  der  Ernährung 
und    in    den    hiermit    zusammenhängenden    Einrichtungen.  Viele 
Flagellaten  fressen  wie  Thiere,  indem   sie   ähnlich  den  Rhisopoden 
mit  Pseudopodien,  oder  wie  Infusorien  mittelst  einer  Mundöffnung  ge- 


Fijr.  l'JS.  F.a- 


ririt/i.'i 
Stein).  // 
v  contrac- 
tu.- Vacuole,  o 
Pigmcntfleck. 


ijh  im 
(nach 
Kern . 


Fiir.  V2(X 
ffotiKi    ( nli  rii-ui» 
(nach   Grasen  von 
vorn   und   in  seit- 
licher  Ansicht ;  n 
Kern. 


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II.  Flagellaten :  Autoflagellaten. 


formte  Nahrung  aufnehmen.    Eine  merkwürdige 


Einrichtung 


besitzen 


die  Choanoflagellaten  (Fig.  131);  bei  ihnen  erhebt  sich  im  Umkreis  der 
Geissei  das  Körperprotoplasma  zu  einem  trichter-  oder  kragenartigen 
Aufsatz,  dem  Collare,  an  welches  die  zur  Nahrung  dienenden 
Fremdkörper  von  den  Geisseln  herangeworfen  werden,  um  von  hier  in 
das  Innere  des  Thieres  zu  gleiten.  Ausser  diesen  thierähnlichen 
Flagellaten  giebt  es  auch  pflanzenähnliche,  welche  Chlorophyll  {Volvo- 
cineen  und  Eugleneii)  oder  braun  gefärbte  Chromatophoren  [  Chromo- 
monad'mcn)  enthalten,  mit  Hilfe  derselben  assimiliren  und  so  be- 
fähigt werden,  Paramylum  oder  sogar  ächte  Stärke  zu  erzeugen.  Merk- 
würdigerweise treten  pflanzliche  und  thierische  Ernährungsweise  bei 
anatomisch  einander  nahe  verwandten  Formen  auf.  Auch  kommt  es 
vor,  dass  manche  Arten  ein  Cytostom  besitzen,  ohne  geformte  Nahrung 
aufzunehmen,  sei  es,  dass  sie  mittelst  Chlorophylls  assimiliren,  sei  est 
dass  sie  von  flüssiger  Nahrung  leben  (Fig.  l.'JO).  Alles  dies  erschwert 
die  systematische  Verwerthung  der  in  der  Ernährung'zu  Tage  treten- 
den Unterschiede,  lässt  zugleich  aber  erkennen,  dass  die  Flagellaten 
nach  den  verschiedensten  Richtungen  hin,  zu  den  Rhizopoden,  Infusorien 
und  niederen  Pflanzen,  Anknüpfungspunkte  bieten. 


Fig.  Ol.  Chihniionns 
Parnniarritnn.  oc  Cvtn- 
-unu,  r  contractu«-  Ya- 
cuole.  n  Kern.  iXach 
15iit*ehli). 


Fig.  131.  ('mlunorla- 
dittm  unibi  Ilatun»  (nach 
Stein).     ,  * 


Fig.  V.V2.  'Dhtnhnjoii 
Srrtularia  (nach  Stein). 
//  eine  parasitische  Fla- 
gellate,  die  .-ich  häufig 
in  den  <  »ehäUHen  findet, 
h  der  Kern,  h  die  con- 
tractile  Vaeunlc. 


Fig.  i:u). 


Fig.  131. 


Fig.  132. 


Die  Fortpflanzung  erfolgt  fast  überall  durch  Zweitheilung;  nur  die 
pflanzenähnlichen  Volvocineen  bieten  besonderes  Interesse,  indem  sie 
ausser  der  ungeschlechtlichen  Vermehrung  durch  Theilung  noch  eine 
„geschlechtliche  Fort  pflanz  u  ng"  besitzen.  Im  Verlauf  derselben 
verschmelzen  2  Individuen  vollständig  mit  einander  zu  einer  Dauer- 
spore. Bei  dem  Colonieen  bildenden  Volvox  globator  sind  die  copu- 
lirenden  Individuen  ungleich  gross,  indem  einige  Thiere  der  Colonie 
zu  grossen,  unbeweglichen  Oosporen  heranwachsen,  während  andere 
durcli  fortgesetzte  Theilung  kleine,  äusserst  bewegliche  Zoosporen  oder 
Spermatozoiden  liefern.  Wenn  die  Oosporen  von  den  Spermatozoiden  be- 
fruchtet worden  sind,  fallen  sie  zu  Boden,  umgeben  sich  mit  einer  Hülle, 
verfärben  sich  bräunlich  und  gehen  in  einen  Ruhezustand  über,  ehe  sie 
durch  Theilung  eine  neue  Colonie  erzeugen. 


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166 


Protozoen. 


I.  Gruppe.  Pflanzenähnlicho  chlorophyllführende  Flagellaten  meist 
mit  einem  Augenfleck.  Volum nccn :  Volrox  glolxitor  L. ,  eine  grüne,  0,2 — 
0,7  mm  grosse  Kugel,  welche  aus  vielen  tausend  Einzelthieren  besteht,  die 
mit  ihren  Geissein  das  Schwimmen  vermitteln.  Euglcnidcen:  Englena  viridis 
Ehrbg.  (Fig.  128),  einzellebend,  färbt  durch  massenhaftes  Auftreten  kleine 
Wasserpfützen  intensiv  grün  oder  in  einer  rotheu  Varietät  purpurn.  Durch  den 
Besitz  bräunlich-gelblicher  Farbstoffplatten  sind  die  Chrysomonadinen  aus- 
gezeichnet, die  sich  ganz  wie  Pflanzen  ernähren,  selten  aber  daneben  noch 
geformte  Nahrung  aufnehmen.    Dinobryon  Scrtularia  Ehrbg.  (Fig.  132). 

Tl.  Gruppe.  Flagellaten  mit  Collare  ChoanoflageUaten,  meist  kleine, 
Colonien  bildende  Formen.  Codonocladium  nmbcllatnm  St.  Zahlreiche  Einzel- 
thiere  in  Form  eines  Büschelcheus  auf  einem  Stiel  vereint  (Fig.  131). 

III.  Gruppe.  Thierähnlicbe  Flagellaten ,  welche  ent- 
weder mit  Hilfe  von  Pseudopodien  oder  einer  bestimmten 
mehr  oder  minder  zu  einem  Cytostom  differenzirten  Stelle 
geformte  Nahrung  aufnehmen,  Monadincn.  Hierher  gehören 
ausser  zahlreichen  frei  lebenden  Formen  mehrere  Parasiten 
des  Menschen;  Mcgastoma  enicricum  Grassi  im  Dünndarm, 
auch  von  Ratten,  Mäusen  und  anderen  Säugethieren  (Fig. 
Fig.  133.  Tri-  129),  Cercomonas  intestinalis  Lambl.  und  Trichomonas  intest  i- 
chomotias  rnyi-   ;wjfy  Leud^  im  Dünndarm ;   Trichomonas  raginalis  Donne 

ni!'!u,«n!\  1  «  im  katarrhalischen  Secret  der  Scheide  besonders  bei  Schwan- 
inocüinann).   n  „ 

Kt»rn  geren,  seltener  in  der  Urethra  des  Mannes,    (flg.  166). 


II.  Ordnung 


Fig.  131.  Ceratinm  ror- 
mitinii,  opn  vorderes  Horn 
mit  Oeffnung,  rsfi  rechtes, 
aalt 
für« 

l pulte,  v  Vacuole,  r  Knuten- 
platte  (aus  Bütsehli  nach 
Stein). 


«       .         .  ....... H  .       ,or.       .  ....v*", 

h  hintere:*  Horn.  r/LängR- 
rehe,  g  (Wissel,  gs  Geisflcl- 


Dinoflagellaten,  Cilioflagellaten. 

Die  im  Süsswasser  und  im  Meer  gleich- 
massig  verbreiteten  Dinoflagellaten  werden  in 
der  Neuzeit  mehr  in  die  Nähe  der  Pflanzen 
gestellt,  weil  sie,  ausgerüstet  mit  braunen 
Chromatophoren,  sich  wie  diese  ernähren.  In- 
dessen wurde  auch  die  Aufnahme  geformter  Nah- 
rung mittelst  einer  Mundöffnung  beobachtet. 
Pflanzenähnlich  ist  ferner  der  ausCellulose  be- 
bestehende  Panzer ;  derselbe  wird  durch  eine 
quere  Furche  in  2  Stücke  abgetheilt,  welche  zu 
einander  liegen  wie  etwa  derKelch  und  der  Deckel 
eines  Pokals.  Ausserdem  ist  eine  zu  einem  Aus- 
schnitt verbreiterte  Längsfurche  vorhanden, 
welche  die  Querfurche  kreuzt.  Am  Kreuzungs- 
punkt  entspringen  2  Geisseln,  von  denen  die  eine 
in  der  Querfurche  lagert  und  den  ungeeigneten 
Namen  „Cilioflagellaten**  veranlasst  hat,  weil  sie 
wegen  ihrer  undulirenden  Bewegungen  bis  in  die 
Neuzeit  für  einen  Wimperring  gehalten  wurde. 

Im  Süsswasser  sind  verbreitet  Prridinium 
UibukUum  Ehrb.  und  Ceratinm  cornutam  Ehrb. 
iFig.  131  ,  im  Meer  Crratium  tnpos  Ehrb. 


m.  Ordnung.  Cystoflagellaten. 

Die  Cystoflagellaten  besitzen  einen  von  einer  Membran  umschlossenen 
Gallertkörper.  Zu  ihnen  gehören  zwei  äusserst  interessante,  in  der 
Gestalt  von  einander  sehr  verschiedenartige  Thiere,  die  Noctiluca  miliaris 


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II.  Flagellaten:  Cystoflagellaten. 


1G7 


(Fig.  135)  und  der  Leptodiscus  medusoides  (Fig.  136),  beide  aus- 
schliesslich Meeresbewohner. 


Fig.  135.  Kuctilucn 
miliaris.  A  ganzes 
Thier,  n  Kern,  t  Ten- 
takel, o  Mundöffnung, 
daneben  ,.Zahn"  und 
„IJpjK'",  letztere  mit 
/"Geiasel,  B,  C  obere* 
Ende  der  Körper- 
blase, l>eginnende  und 
weiter  fortgeschrit- 
tene Theilung  in  Zo- 
Oiporen,  D  Zoosporon 
UumTheil  nach  Cien- 
kowski). 


Die  Noctiluca  miliaris  (Fig.  135)  zeigt  am  schönsten  unter  den 
Seethieren  das  Phänomen  des  Meeresleuchtens.  Die  kugligen,  etwa 
1  mm  grossen  Körperchen  kommen  in  so  enormen  Mengen  in  manchen 
Nächten  an  die  Oberfläche,  dass  diese  bei  geringem  Wellenschlag  leb- 
haft [zu  funkeln  anfängt.  Das  Leuchten  wird  wahrscheinlich  durch 
Oxydationsprocesse  im  Protoplasma  veranlasst,  dauert  aber  bei  Ent- 
ziehung des  Sauerstoffes  längere  Zeit  fort.  Die  Hauptmasse  des  Körpers 
ist  eine  Gallertkugel,  welche  von  einer  Membran  überzogen  ist.  Die 
Membran  ist  an  einer  nabelförmig  vertieften  Stelle  des  Körpers  vom 
Cytostom  unterbrochen;  an  derselben  Stelle  liegt  der  Kern,  umgeben 
von  einer  reichlichen  Menge  von  Proto- 
plasma, welches  verästelte  Stränge  durch 
die  gallertige  Grundlage  aussendet.  Am 
Eingang  des  Cytostoms  liegt  ferner  das 
zur  Ortsbewegung  gar  nicht  mehr  die- 
nende Flagellum  und  der  locomotorische 
Tentakel.  Der  Tentakel  ist  eine  band- 
förmige Ausstülpung  der  Körpermem- 
bran mit  einem  quergestreiften,  muscu- 
lösen  Inhalt;  er  bewegt  sich  langsam 
schwingend  hin  und  her. 

Die  Noctilucen  vermehren  sich  durch 
einfache  Quertheilung  und  ausserdem 
durch  Schwärmerbildung.  Bei  letzterer 
conjugiren  zwei  Thiere  mit  einander 
unter  Verlust  der  Tentakeln.  Flagellen 
und  Cytostome.  Nachdem  eine  wechsel- 
seitige Kernbefruchtung  stattgefunden 
hat,  gehen  sie  wieder  auseinander ;  es 

sammelt  sich  jetzt  in  jedem  Thier  das  vöii  der  FiachTgeaeheo!  /"  Geissei" 
Protoplasma  zu  einer  Scheibe,  welche  Mundöffnung,  »  Kern,  o  Zuleitung 
durch  successive  Theilung  in  zahlreiche  z»"«  Mund,  p  Protoplasmastrang.', 
einkernige,    ovale   Keimlinge  zerfällt. 

Diese  sitzen  zunächst  noch  der  Gallertkugel  auf.  später  lösen  sie  sich 
ab  und  ergeben  kleine  Geisseischwärmer,  über  deren  weiteren  Verbleib 
bisher  keine  Sicherheit  erzielt  worden  ist  (Fig.  135  B—D). 


Fig.  130.  Is.pt  wlisrus  medmoidrs 
auf  dem_opti*ehen  Durchxcluiitt  und 

m 


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U58 


Protozoen. 


Leptodiscus  medusoides  (Fig.  136)  hat  vollkommen  die  Gestalt 
zarter  1 — 1,5  mm  grosser  Medusen.  Die  Gallertscheibe  seines  Körpers 
ist  auf  der  Oberfläche  von  einer  Membran  bedeckt.  Am  höchsten  Punkt 
der  Glocken  Wölbung  liegt  eine  Protoplasmaanhäufung  mit  einem  einzigen 
Kern;  von  derselben  geht  einerseits  ein  zur  Mundöffnung  ziehender 
Strang  aus,  andererseits  ein  Canal,  welcher  an  seinem  Ende  ein  feines 
Flagellum  trägt.  Die  Thiere  schwimmen  äusserst  schnell  wie  Medusen 
durch  Zusammenklappen  ihres  Schirms,  was  durch  zarte,  auf  der  con- 
caven  Seite  verlaufende  Muskelfasern  bedingt  wird. 


III.  Classe. 

Cillateii,  Wiraperhifusorlen. 

Mit  den  Rhizopoden  rivalisiren  an  Mannichfaltigkeit  der  Arten 
und  Reichthuin  der  Individuen  die  Wimperinfusorien  oder  Ciliaten. 
Thiere  von  so  complicirtem  Bau,  dass  derselbe  lange  Zeit  als  ein  sicherer 
Beweis  der  Vielzelligkeit  galt.  Erst  im  Laufe  der  letzten  zwei  De- 
cennien  sind  die  Zweifel  an  der  Einzelligkeit  der  Thiere  vollkommen 
gehoben  worden. 

Alle  Infusorien  haben  eine  für  die  jeweilige  Art  bestimmte  Körper- 
gestalt; dieselbe  ist  bei  den  „ametabolcn"  Formen  vollkommen  unver- 
änderlich, während  die  „metabolen"  Infusorien  unter  Einschnürungen  der 
Körperoberfläche  sich  durch  enge  Passagen  hindurchwinden  können ;  nach 
Ueberwindung  des  Hindernisses  kehren  jedoch  auch  sie  zur  normalen  Ge- 
stalt zurück.  Die  Constanz  der  Körpergestalt  hängt  mit  der  Erhär- 
tung der  Oberfläche  zu  einer  gegen  die  Sarkode  mehr  oder 
minder  deutlich  abgesetzten  Cuticula  (Pellicula)  zusammen,  welche 
bei  den  ametabolen  Formen  panzerartige  Festigkeit  gewinnt,  bei  den 
Metabolen  dagegen  eine  grosse  Biegsamkeit  bewahrt.  Die  Cuticula  wird 
von  den  Wimpern  oder  Cilien  bedeckt,  kleinen,  schwingenden  Fort- 
sätzen, welche  nicht  einzeln,  sondern  in  grösseren  Mengen  gleichzeitig 
bewegt  werden  und  sowohl  zur  Fortbewegung  als  auch  zum  Herbei- 
strudeln der  Nahrung  dienen ;  sie  bilden  das  systematisch  wich- 
tigste Merkmal  der  Classe. 

Die  Anwesenheit  einer  Cuticula  macht  die  Einrichtung  eines 
Cytostoms  (o)  nöthig,  da  die  Nahrungskörper  durch  die  Cuticula 
nicht  hindurchgepresst  werden  und  daher  nicht  mehr  an  jeder  Stelle  in 
den  Körper  hinein  gelangen  können.  Die  Cuticula  sammt  ihrer  Be- 
wimperung  senkt  sich  an  einer  Stelle  trichterartig  in  das  Körperinnere 
hinein  und  bildet  eine  Art  Speiseröhre  (Cytopharynx) ;  am  Grund  der- 
selben ist  sie  unterbrochen,  so  dass  hier  Wasser  und  Körperproto- 
plasma mit  einander  in  Berührung  kommen.  Durch  das  Schlagen  der 
Wimpern  wird  Wasser  und  darin  suspendirte  Nahrung  durch  den  Mund 
aufgenommen  und  gegen  das  Protoplasma  gepresst,  welches  dem  Druck 
nachgiebt.  Indem  sich  die  so  entstandene  Aussackung  allmählig  ab- 
schnürt, entsteht  eine  Flüssigkeitsansaminlung  im  Protoplasma,  eine 
Nahrungsvacuole  (»«),  welche  von  der  Strömung  im  Innern  des  Körpers 
erfasst  und  herumgetragen  wird.  War  ein  Nahrungskörper  in  die 
Vacuole  hineingerathen ,  so  wird  derselbe  verdaut,  das  Unverdauliche 
an  einer  bestimmten,  für  gewöhnlich  in  keiner  Weise  ausgezeichneten 
Stelle,  der  Cytopyge  (Zellenafter),  ausgestossen. 


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III.  Ciliaten:  Bau. 


Contractile  Vacuolen  {ev)  fehlen  nur  selten  (bei  Meeres- 
bewohnern und  Parasiten);  sie  sind  constant  in  Zahl  und  Lagerung 
and  besitzen  oft  zuführende  Canäle,  welche  ihren  Inhalt  in  die  Vacuole 
entleeren,  während  diese  ihn  weiter  nach  aussen  befördert.  Inconstante 
Vorkommnisse  sind  Triehocystcn ,  Nesselkapseln  und  Muskeltibrillen. 
Trich oey S t en  sind  kleine  Stäbchen,  welche  senkrecht  zur  ÜberHäche 
in  der  Rindenschicht  des  Körpers  gestellt  sind  und  bei  Behandlung  mit 
Reagentien  (am  besten  Chromsäure)  sich  in  einen  die  Cuticula  durch- 
bohrenden Faden  verlängern.  Auf  Grund  dieser  Erscheinung  haben 
manche  Forscher  sie  für  Vertheidigungs-  und  Angriffswaffen  ähnlich 
den  Nesselkapseln  der  Coelenteraten  erklärt,  während  andere  sie  für 
Taststäbchen  halten;  mit  den  Cilien  stellen  sie  in  keiner  Verbindung. 
Echte  Nesselkapseln  wurden  äusserst  selten  beobachtet,  häufiger 
M  u  s  k  e  1  f i  b  r  i  1 1  e  n ,  welche  dann  zwischen  Cuticula  und  Ectosark  ver- 
laufen und  ihre  Anwesenheit  durch  rasche,  zuckende  Bewegungen  des 
Thieres  verkünden. 

Fig.  Pttrotnaeciutn 
cauaatum  (hall>sehematii?ehj. 
/.-  Koni,  tut  Nebcnkern ,  o 

Mundöffnung  (( 'vtostotu), 
na'  Nahrungsvaenole  in  Bil- 
dung begriffen,  na  Nahrnngs- 
vaeuole,  r/eontnutile  Vacuole 
im  rontrahirteu,  er'  im  aus- 
gedehnten Zustand,  /  Trieho- 
eysten,  hei  V  hervorgeaekleu- 
dert. 

Fig.  138.  Pammaecium 
ttitrrh'a  in  Theilung,  daneben 
in  Fig.  '_'  dir  Art  ,  wie  auf 
einem  früheren  Stadium  das 
( \tostom  des  hinteren  Thieres 
durch  Ahsehnürung  vom  vor- 
handrnrn  entsteht,  k  Haupt- 
kern, ///,•  Nebenkcri),  0  Mund- 
öff nung  de*  vonleren  Theil- 
stüeks,  nk'  /;'  <>'  des  hinteren 
Theilslüeks. 

Aeusserst  interessant  sind  die  K  e  r  n  v  e  r  h  ä  1 1  n  i  s  s  e ,  insofern  eine  EfitaEf 
Sonderling  in  zweierlei,  physiologisch  ungleichwerthige  Kerne,  Haupt-" 
und  Neben  kern,  eingetreten  ist.  Der  Hauptkern  (Nucleus  der 
älteren .  Macronucleus  der  neueren  Autoren)  ist  ein  grosser,  ovaler, 
Stäbchen-  oder  rosenkranzförmiger  Körper,  der  sich  intensiv  in  Farbe- 
flüssigkeiten färbt  und  von  einer  festen  Membran  umschlossen  ist.  Seine 
Aufgabe  besteht  wahrscheinlich  darin ,  dass  alle  gewöhnlichen  Lebens- 
verrichtungen (Bewegung.  Ernährung  etc.)  sich  unter  seinem  Einfluss 
vollziehen.  Neben  demselben  oder  in  einer  Nische  eingebettet  liegt 
der  sehr  viel  kleinere  Neben  kern  (Micronucleus,  früher  Nucleolus 
genannt),  der  sich  gewöhnlich  schwächer  färbt  und  nur  bei  den  Fort- 
pflanzungserscheinungen eine  Rolle  spielt.  Da  er  bei  allen  geschlecht- 
lichen Vorgängen  besonders  in  den  Vordergrund  tritt,  kann  man  ihn 
geradezu  Geschlechtskern  nennen. 

Die  Vermehrung  der  Infusorien  erfolgt  durch  Zweitheilung  Th«uung. 
(Fig.  138),  seltener  und  dann  nur  im  encystirten  Zustand  durch  Theilung 


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ITC) 


Protozoen. 


in  zahlreiche  (bis  zu  CA)  Stücke;  bei  Veritrichen  und  Suctorien  wurde 
auch  Knospung  beobachtet.  Stets  theilt  sich  zuerst  der  Nebenkern 
unter  Spindelbildung,  sehr  viel  später  der  Hauptkern  durch  Streckung 
und  bisquitfönnige  Einschnürung.    Die  alte  Mundöffnung  (o)  verbleibt 


I.  I  DI 


Fig.  13'.».  Oonjugation  von  Faramam'nni.  nk  Nebenkern,  k  Hauptkcrn  der 
cnnjugirenden  Thiere. 

I.  Der  Kobenkern  «rändelt  Bich  zur  Spindel  um,  im  linken  Thier  Sichclstndiuni, 
rechts  Spindclstadium. 

II.  Zweite  Theilung  «Ii  s  Nel)enkerns  in  die  Hnuptspindel  (links  mit  /,  rechts 
mit  5  bezeichnet)  und  « 1  i« •  Nehenspindeln  [links  2,       /.  recht«  6,  7,  8). 

III.  I)ie  Neltenspindeln  in  Uüekbildung  <  links  2.  .7,  ■/.  rechts  6,  7,  S\  die 
Hnuptspindeln  tbeilen  sieh  in  die  männliche  und  die  weibliche  Spindel,  links  1  in 
Im  und  lir,  rechts     in  5  m  und  5w. 

IV.  Austausch  der  männlichen  Spindeln  nahe/u  vollendet  (Befruchtung);  die- 
pcIImmi  stecken  noch  mit  einem  Ende  in  ihrem  Mutterthier,  mit  dem  andern  Ende 
haben  sie  »ich  mit  der  weiblichen  Spindel  des  zweiten  Paarlings  vereint,  Im  nüt 
5  ir  und  5m  mit  ltr.    Hauptkcrn  in  Theilstücke  ausgewachsen. 

V.  Die  ans  Vereiniguni:  von  männlichen  und  weiblichen  Kernen  entstandene 
primäre  Theilsnindel  theilt  sich  in  die  secundaren  Theilspindeln     und  t". 

VI.  und  \  II.  Nach  Aufhebung  der  Conjngntion.  Die  secundaren  Theilspindeln 
theilen  sich  in  die  Anlagen  »1er  neuen  Nelx-nkerne  {nk')  und  die  Anlagen  des  neuen 
Hauptkerns  pt  ( l'lacenten).  Der  zerstückelte  alte  Hauptkcrn  fängt  an  zu  zerfallen. 
(Da  Paratnnfvium  eattdatum  für  die  AnfangHgtadfen,  P.  aurelia  für  die  Endstadien 
leichter  verständliche  Verhältnisse  bietet,  wurde  für  I— III  P  mudatum,  für  IV—  VII 
P,  aurelia  gewählt.  Der  rntersehied  IwMder  Arten  beruht  darauf,  dass  P.  caudainm 
einen  Nebenkern,  P.  aurelia  deren  zwei  hat,  dass  l»ei  letzterem  der  Kernzerfall 
schon  auf  Stadium  I  beginnt.) 


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III.  Ciliaten:  Conjugation. 


171 


im  vorderen  Theilsprössling,  doch  schnürt  sich  öfters  von  ihr  eine 
Ausstülpung  (Fig.  138 2  o)  ab,  welche  dem  hinteren  Sprössling  zufallt 
und  sich  in  ihm  zu  einer  neuen  Mundöffnung  entwickelt. 

Die  Perioden  der  Theilung  werden  von  Zeit  zu  Zeit  durch  die  ge-  conjo*»«©i». 
schlechtlichcn  Vorgänge  der  Conjugation  unterbrochen,  welche  wir 
im  Folgenden  für  die  Paramaecien  schildern  wollen  (Fig.  139).  Zwei 
Paramaecien  legen  sich  zunächst  mit  den  vorderen  Enden,  später  mit 
ihrer  ganzen  ventralen  Seite  an  einander,  so  dass  Mundöffnung  gegen 
Mundöffnung  steht.  In  der  Nachbarschaft  der  letzteren  bildet  sich  auf 
vorgerückten  Stadien  der  Copulation  eine  Verwachsungsbrücke :  schliess- 
lich gehen  die  Thiere  auseinander  und  regeneriren  ihre  verloren  ge- 
gangenen Mundöffnungen.  Während  sich  diese  äusserlich  leicht  er- 
kennbaren Vorgänge  abspielen,  hat  sich  im  Innern  eine  vollkommene 
Umgestaltung  des  Kernapparats  vollzogen.  Der  Hauptkern  wächst  in 
Fortsätze  aus,  welche  sich  in  kleine  Stücke  zerlegen ;  diese  verschwinden 
in  den  ersten  Tagen  nach  aufgehobener  Copulation  (wahrscheinlich 
meist  durch  Resorption)  und  machen  einem  neuen  Kern  Platz,  welcher 
dem  Nebenkern  seine  Entstehung  verdankt.  Die  Nebenkerne  werden 
am  Anfang  der  Copulation  zu  Spindeln,  welche  in  jedem  Thier  durch 
zweimalige  Theilung  vier  Spindeln  liefern.  Von  den  vier  Spindeln  gehen 
drei,  die  Nebenspindeln,  zu  Grunde  und  erinnern  so  an  das  Schick- 
sal der  Richtungskörper  bei  der  Eireife;  die  vierte,  die  Haupt- 
spindel, stellt  sich  in  der  Gegend  der  Mundöffnung  senkrecht  zur 
Körperoberfläclie  ein  und  theilt  sich  aufs  Neue  in  zwei  Kerne,  den 
oberflächlichen  Kern,  den  Wanderkern  oder  männlichen  Kern, 
und  den  tiefer  gelegenen,  den  stationären  oder  weiblichen  Kern. 
Die  männlichen  Kerne  beider  copulirten  Thiere  werden  ausgetauscht, 
indem  sie  sich  auf  der  zu  diesem  Zweck  gebildeten  Protoplasmabrücke 
an  einander  vorbeischieben.  Während  des  Austausches  besitzen  die 
männlichen  Kerne  Spindelstructur ;  nach  dem  Austausch  verschmelzen 
sie  mit  den  ebenfalls  spindeligen  weiblichen  Kernen,  so  dass  nun  jedes 
Thier  wieder  nur  eine  Spindel,  die  Theilspindel,  besitzt,  welche 
aus  der  Vereinigung  der  eigenen  weiblichen  Spindel  und  der  von  aussen 
eingedrungenen  männlichen  Spindel  hervorgegangen  ist.  Die  Theil- 
spindel endlich  liefert  durch  Theilung  (meist  auf  Umwegen)  zwei  Kerne, 
von  denen  der  eine  die  Grundlage  zum  neuen  Hauptkern  liefert,  der 
andere  zum  neuen  Nebenkern  wird. 

Ziehen  wir  den  Vergleich  mit  den  Befruchtungsvorgängen  der 
Metazoen ,  so  entspricht  der  weibliche  Kern  dem  Eikern,  der 
männliche  Kern  dem  Spermakern.  Wie  durch  Vereinigung  von 
Ei-  und  Spermakern  der  Furchungskern  gebildet  wird,  so  hier  durch 
Vereinigung  von  weiblichem  und  männlichem  Kern  der  Theilkern;  wie 
eine  Eizelle  durch  Befruchtung  die  Fähigkeit  gewinnt,  nicht  nur  wieder 
Geschlechtszellen  zu  liefern,  sondern  auch  somatische  Zellen,  Zellen, 
welche  den  gewöhnlichen  Lebensprocessen  des  Organismus  vorstchen, 
so  bildet  der  befruchtete  Nebenkern  nicht  nur  die  Nebenkerne,  sondern 
auch  den  Hauptkern,  den  funetionirenden  oder  somatischen  Kern.  Mit 
anderen  Worten,  die  Befruchtung  führt  bei  den  Infusorien 
zu  einer  vollkommenen  Neugestaltung  des  Kernapparats 
und  damit  auch  zu  einer  Neuorganisation  des  Infusors. 

Bei  den  meisten  Infusorien  sind  die  conjugirenden  Thiere  gleich- 
werthig,  die  Befruchtung  ist  eine  wechselseitige,  und  es  trennen  sich 
die  Thiere  nach  der  Befruchtung  von  einander.    Bei  den  Peritrichen 


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172 


Protozoen. 


Fijr.  140.  Einst ylis  u ml» Karin  (nach 
Gre«-ff).  Theil  *'iner  in  ..knosj*nför- 
mipT  Conjugation*'  begriffenen  Colonie. 
r  die  durch Theilung  entstandenen  Micro- 
sjHjren,  k  Microsporc  in  L'onjugation  mit 
einer  Macrosjxjre. 


dagegen  (Fig.  140)  ,  meistenteils 
festsitzenden  Formen,  wird  die  Aehn- 
lichkeit  mit  den  geschlechtlichen 
Vorgängen  der  Metazoen  noch  wei- 
ter dadurch  gesteigert,  dass  es  zu 
einer  geschlechtlichen  Dif- 
ferenzirung  und  einer  d  auem- 
den  Verschmelzung  der  conjugiren- 
den  Thiere  kommt.  Einige  Thiere, 
die  Macrosporen,  behalten  ihre 
Grösse  und  sitzende  Lebensweise 
bei,  andere  wiederum  liefern  durch 
lebhafte  Theilung  Gruppen  von  we- 
sentlich kleineren  Microsporen: 
letztere  lösen  sich  ab  und  suchen 
die  Macrosporen  auf,  um  mit  ihnen 
vollkommen  und  dauernd  zu  ver- 
schmelzen. Die  Kernveränderungen 
sind  principiell  dieselben  wie  bei 
Paramaecium,  mit  Ausnahme  einiger 
durch  die  totale  Verschmelzung  be- 
dingter Moditicationen. 


I.  Ordnung.  Holotrichen. 

Die  Holotrichen  sind  unzweifelhaft  die  ursprünglichsten  Infusorien .  in- 
sofern alle  Stellen  der  Körperoberfläche  sich  in  der  Bewimperung  noch 
gleichartig  verhalten;  höchstens  sind  an  den  Enden  des  Thieres  oder  im 
Innern  des  Cytostoms  einige  Wimpern  etwas  stärker.  Von  bekannteren 
Formen  gehören  hierher  die  Parnmaerien :  Paramaecium  aurelia  Müll,  in 
fauligen  Flüssigkeiten  lebend :  von  bohnenförmiger  Gestalt ,  mit  Tricho- 
cysten  und  2  Nebenkernen.  Im  Darm  des  Frosches  lebt  OjKtlina  ranantm 
Ehrbg.,  ohne  Mundöffnung,  mit  zahlreichen  gleichartigen  Kernen,  ohne 
Nebenkerne  und  ohne  Conjugation.  Die  kleinen  encystirten  Opalinen 
kommen  mit  den  Fäcalien  nach  aussen  und  werden  sammt  letzteren  von 
den  Froschlarveu  verzehrt,  welche  sich  so  inficiren. 


IL  Ordnung.  Heterotrichen. 

Die  Heterotrichen  haben  noch  die  totale  Bewimperung  der  Holotrichen, 
haben  aber  ausserdem  einen  besonders  stark  entwickelten  Wimperapparat, 
die  ad  orale  Wimperspirale.  Diese  ist  ein  flimmerndes  Band,  dessen 
eines  Ende  in  grosserer  oder  geringerer  Entfernung  von  der  Mundöffnung 
beginnt,  dessen  anderes  Ende  in  spiralem  Verlauf  in  die  Mundöffnung  hin- 
ein leitet.  Das  Band  besteht  aus  quer  gestellten,  zu  _  Membranellen-  ver- 
klebten Wimperreihen,  welche  wie  die  Reihen  eines  Bataillons  in  der 
Längsrichtung  des  Bandes  auf  einander  folgen.  Bei  den  bekanntesten 
Heterotrichen,  den  Tutoren,  bildet  das  von  der  adoralcn  Wimperspirale  um- 
grenzte „Perist  om  fehl"  das  trompetenartig  verbreiterte  vordere  Ende 
des  Thieres,  während  sich  nach  rückwärts  der  Körper  in  eine  Spitze  ver- 
jüngt, welche  vermöge  hier  entspringender  Plasmafäden  zum  Anhaften  be- 


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III.  Ciliaten:   Heterotricben,  Peritrichen,  Hypotrichen. 


173 


nutzt  werden  kann. 
Muskelnbrillen,  welche 
vom  hinteren  zum  vorde- 
ren Ende  dicht  unter  der 
Cuticula  verlaufen,  er- 
möglichen den  Stentoren 
energische  ,  zuckende 
Bewegungen.  StenUyr 
cacrulc us Eh  rbg.,  St.jxjly- 
morphus  Ehrbg.  bauen 
sich  während  des  Fest- 
sitzens  gern  Gallert- 
hülsen. Als  Parasit  des 
Menschen  verdient  das 

Balantidium  coli 
Malmst.,  welches  bei 
Diarrhöen  im  Dick- 
darm auftritt,  genannt 
zu  werden;  noch  häu- 
figer findet  sieb  das- 
selbe, ohne  Beschwer- 
den zu  erzeugen ,  im 
Dickdarm  des  Schweins 
(Fig.  142). 


Flg.  141. 


Fig.  142. 


Fi-:.   141.  Sfentor 
polymorph»*  (nach 
Stein).      a  lVrietom- 
niuklc.  /'  Abdachung 

des  Hy|H>.*tom8,  o 
Mund.  ;•'  adorale  Wiin- 
perapinle ,  »  Kern,  y 
eontraetile  Vaeuole,  t 
Hypoatom  (Vertiefimg 
zur  Mundöffnung). 


Fig.  142.  Balanti- 
dium coli  (nach 
Ix-uckart). 


III.  Ordnung.  Peritrichen. 

Der  Körper  der  Peritrichen  besitzt  stets  am  vorderen  Ende  ein  breites 
Peristomfeld  mit  der  Mundöffnung,  am  hinteren  Ende  hat  er  entweder  eine 


Fig.  143.  Garthes itim  polypinum  (nach  Bütschli).  Links  Einzelthier,  rechts 
3  Theilungs^tadien.  «  Kern,  n'  Xelwnkern,  er  contractilc  Vaeuole  mit  ihrem  Ret*er- 
voir  rs,  trk  Ring,  an  dem  sich  ein  hinterer  Wimjxrring  bilden  kann,  Atf  Nahrungs- 
vaeuolen ,  per  Peristom ,  tst  Vestibiüum  ,  um  undulirende  Membran  ,  a  Stelle  des 
Afters,  os  Oesophagus. 


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174 


Protozoen. 


correspondironde  Fussscheibe  oder  er  ist  hier  nach  Art  eines  Kelchglases 
verjüngt  und  endigt  in  einen  festgewachsenen  Stiel  (Fig.  143).  Constant 
ist  nur  die  adorale  Wimperspirale,  welche  von  den  wulstigen  Rändern  der 
Peristommulde  ausgeht,  ausserdem  sich  aber  auch  auf  die  Wimper- 
scheibe fortsetzt,  einen  Deckel,  welcher  für  gewöhnlich  aus  der  Peristom- 
mulde hervorragt,  bei  der  Contraction  aber  dicht  auf  sie  gedrückt  wird, 
während  sich  über  ihm  die  Peristomlippen  zusammenziehen.  Ausser  der 
Wimperspirale  kann  noch  ein  Wimperkranz  nahe  dem  hinteren  Ende 
dauernd  oder  vorübergehend  vorhanden  sein.  —  Der  Kern  der  PeritricJten 
ist  meist  wurstförmig  und  mehrfach  gebogen;  sein  hinteres  Ende  beschreibt 
einen  Haken,  in  dessen  Winkel  der  kleine  Nebenkern  lagert. 

Die  bekanntesten  Repräsentanten  der  Ordnung  sind  die  Vorticdlinen 
(Fig.  140,  143),  Thiere,  welche  mit  einem  hohlen  Stiel  festsitzen,  in  dessen 
Innerem  ein  schwach  spiraliger  Muskel  verläuft.  Der  Muskel  dringt  in 
die  Basis  der  Yorticcllc  ein  und  löst  sich  in  ein  Bündel  feiner  Fibrillen 
auf,  welche  unter  der  Cuticula  bis  zum  Peristom  hinziehen ;  wenn  der 
Stielmuskel  sich  contrahirt,  legt  er  sich  und  die  umhüllende  Stielscheide  in 
korkzieherartige  Windungen ;  so  wird  das  Thier  zurückgezogen  und  sein 
vorderes  Ende  zugleich  geschlossen.  Die  echten  VorticeUen  sind  einzel- 
lebend; die  Carclicsien  coloniebildend  mit  dichotom  verästeltem  Stiel;  Ejri- 
sti/lis  desgleichen,  nur  dass  der  Muskel  fehlt  und  der  Stiel  solid  und  starr 


Fig.  144.  Stylonyiltia  im/tUus  (nach 
Stein),  a  Afterwüuperu,  b  Baucheirren, 
c  contractile  Vacuole,  d  Sternleiste,  i  un- 
dulirendc  Membran,  g  Zuleitungseanäle 
für  die  contractile  Vacuole,  /  Oberlippe, 
//  Kern  mit  Nebenkern,  p  adorale  Wim- 
perspirale ,  r  Randwinipern ,  st  Stirn- 
wimpera,  *  After. 


Fig.  145.  Stylonychia  mytilus  in 
Theilung  (nach  Stein),  c  contractile  Va- 
cuole, n  Kern  mit  Nebenkernen,  p  ad- 
orale Wimj)erspirale,  r  Randwimpern, 
w  Wimperleisten  (die  mit  einem  Index 
bezeichneten  Buchstaben  beziehen  sich 
auf  das  hintere  Thier). 


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III.  Ciliaten  :  Hypotrichen,  Suctorien. 


175 


ist.  Vorticeüa  nebulifcra  Ehrbg.  Carchcsmm  polypinvm  L.  Epistylis  pli- 
catiiis  Ehrbg. 

IV.  Ordnung.  Hypotrichen. 

Bei  den  Hypotrichen  ist  die  Körpergestalt  mehr  oder  minder  stark 
abgeplattet  und  dadurch  eine  schärfere  Sonderung  zwischen  Bauchseite  und 
schwach  gewölbter  Rückenseite  herbeigeführt  (Fig.  144,  145).  Der  Rücken 
ist  frei  von  Wimpern,  dagegen  öfters  mit  Stacholn  und  feinen  Tastborsten 
ausgerüstet*;  die  Bauchseite  trägt  mehrere  Längsreihen  von  Wimpern,  ausser- 
dem mehrere  aus  verklebten  Wimpern  bestehende,  gerade  gestreckte  Griffel 
und  hakenförmig  gekrümmte  Cirren;  letztere  werden  wie  Beine  der  Li- 
steten zum  Kriechen  auf  Unterlagen  verwandt,  indem  sie  mit  grosser  Be- 
hendigkeit umgebogen  und  ausgestreckt  werden.  Zum  Herbeistrudeln  der 
Nahrung  und  zum  Schwimmen  dient  eine  ebenfalls  ventral  gelagerte  mäch- 
tige adorale  Wimperspirale.  Der  Hauptkern  ist  oft  in  2  ovale  Körper 
zerfallen,  welche  durch  einen  Verbindungsfaden  zusammenhängen,  die  Zahl 
der  Nebenkerne  schwankt  zwischen  2  und  4  bei  derselben  Art;  kein  Infusor 
eignet  sich  zur  Beobachtung  der  Nebenkerne  so  vorzüglich  wie  die  Hypo- 
trichen. —  Die  bekanntesten  hypotrichen  Infusorien  sind  die  Stylonychien, 
Stylonychia  mytilus  Müll. 

V.  Ordnung.    Suotorien  oder  Acinetinen. 

Von  den  typischen  Infusorien  weichen  die  Samjinfusorien  oder  Suctorien 
(Fig.  21,  S.  54)  dadurch  ab,  dass  sie  als  ausgebildete  Thiere  keine  Wimpern 
und  damit  auch  keine  freie  Ortsbewegung  besitzen ;  sie  sind  entweder  mit 
ihrer  Basis  auf  einer  Unterlage  angewachsen  oder  auf  einem  schlanken 
Stiele  befestigt.  Der  gewöhnlich  kugelige  Körper  ist  von  einer  Cuticula 
bedeckt,  welche  bei  der  Gattung  Acineta  sich  stellenweise  abhebt  und  zu 
einem  becherartigen  Gehäuse  erhärtet.  Eine  Mundöffnung  fehlt,  dafür  sind 
die  Suctorien  mit  Tentakeln  oder  Saugfüsschen  versehen,  feinsten  Röhren 
mit  contractilen  Wandungen,  die  im  Protoplasma  des  Körpers  beginnen 
und  durch  die  Cuticula  hindurchtreten.  Die  Achteten  tödten  mittelst  ihrer 
Tentakeln  andere  Thiere,  namentlich  Infusorien,  legen  die  saugnapfartigen 
Enden  der  Tentakeln  an  und  saugen  sie  aus.  Im  Innern  des  Protoplasma 
liegt  ausser  den  nur  selten  fehlenden  conctractilen  Vacuolen  der  grosse 
compacte  Kern;  auch  Nebenkerne  scheinen  allgemein  verbreitet  zu  sein. 

Im  Gegensatz  zu  den  wenig  oder  gar  nicht  beweglichen  ausgebildeten 
Thieren  sind  die  Jugendformen  sehr  geschickte  Schwimmer,  welche  nach 
Art  der  holotrichen,  hypotrichen  oder  peritrichen  Infusorien  bewimpert  sind. 
Sie  bilden  sich  als  knospenformigo  Auswüchse  auf  der  Oberfläche  eines 
Mutterthieres  oder  auch  als  „Embryonen"  im  Innern;  letzteres  ist  jedoch 
nur  scheinbar  und  so  zu  erklären,  dass  die  Stelle  der  Kürperoberfläche, 
welche  die  Knospe  erzeugt,  vorher  in's  Innere  des  Körpers  eingestülpt 
worden  war.  Nach  längerem  Herumschwimmen  kommen  die  Thiere  zur 
Ruhe,  indem  sie  sich  festsetzen,  die  Wimpern  einziehen  und  Saugröhrchen 
bilden. 

Im  Süsswasser  sind  einige  Podophrycn  (P.  qnadripartita  Clap.  u.  Lachm.) 
weit  verbreitet,  ausserdem  die  in  Infusorien  schmarotzende  Sphaeropimja, 
im  Meer  lebt  auf  Hydroidcn  und  Dryoxocn  neben  zahlreichen  Arten  der 
Gattung  Acineta  die  Podophrya  genimipara  R.  Hertw.  (Fig.  21,  S.  54.) 


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17«*»  <  Protozoen. 


IV.  C  lasse. 
Gregarhiarien  oder  Sporozoen. 

Die  Grcyarmcn  haben  in  ihrer  drehrunden,  fadenförmigen  Gestalt 
und  in  ihrer  parasitischen  Lebensweise  eine  oberflächliche  Aehnlichkeit 
mit  Nematoden  und  wurden  daher  lange  für  Jugendformen  derselben 
gehalten ;  sie  sind  aber  von  Nematoden  als  typische  einzellige  Organis- 
men sehr  leicht  zu  unterscheiden  (Fig.  140  I.).  Das  Protoplasma  ist 
schärfer  als  bei  irgend  einem  Urthier  in  ein  trübkörniges  Entosark  (en) 
und  ein  helles  Eetosark  {ck)  gesondert  ;  letzteres  wird  nach  aussen 
von  einer  (nicht  überall  nachweisbaren)  doppelt  contourirten  Cuti- 
cula  ick)  fiberzogen.  Bei  vielen  Greyarincn  zerfällt  der  Körper  durch 
eine  ringförmige  Einschnürung  in  eine  vordere  kleinere  und  eine  hintere 
grössere  Partie.  Protomcrit  und  Deuteromerit:  innerlich  kommt  die 
Sonderung  darin  zum  Ausdruck,  dass  sich  durch  die  Entosarkmasse 
eine  quere  Brücke  Eetosarks  hindurch  erstreckt.  Hei  den  Formen,  in 
denen  Proto-  und  Deuteromerit  diflerenzirt  sind,  liegt  der  bei  allen 
Gregarinen  einfache  bläschenförmige  Kern  in  letzterem:  dagegen  be- 
sitzt das  Protomerit  ab  und  zu  einen  Forsatz  mit  einer  Armatur  von 
Borsten  und  Widerhaken,  welche  wahrscheinlich  zum  Befestigen  des 
Thieres  an  den  Wandungen  seines  Aufenthaltsortes  dienen  (Epimerit). 
Contractile  Vacuolen  fehlen,  ebenso  eine  Muudötfnung:  wahrscheinlich 
vermögen  die  Thiere  durch  ihre  Cuticula  hindurch  nur  flüssige  Nahrung 
aufzunehmen. 

Für  gewöhnlich  liegen  die  Gregarinen  ruhig  oder  gleiten  ähnlich 
den  Diatomeen  ohne  wahrnehmbare  Gestaltveränderung  langsam  voran. 
Seltener  sind  wurmförmige  Contractionen,  Einknickungen  des  Körpers, 
Ausbuchtungen  der  Oberfläche,  welche  an  amöboide  Bewegungen  er- 
innern, wie  denn  manche  Arten  anatomisch  von  Amöben  kaum  zu  unter- 
scheiden sind.  Selten  wurden  besondere  Bewegungsvorrichtungen  in 
Form  ringförmiger,  subeuticularer  Muskelfibrillen  vorgefunden. 

Die  Vermehrung  erfolgt  ausschliesslich  im  encystirten  Zustand. 
(Fig.  IIA).  Bei  manchen  Arten  beobachtet  man,  dass  lange  Zeit  zuvor 
zwei  Thiere  mit  einander  herumkriechen,  indem  das  vordere  Ende  des 
einen  an  das  hintere  Ende  des  anderen  anklebt  ;  dann  encystiren  sich 
beide  gemeinsam.  Hierbei  kommt  es  zu  keiner  Verschmelzung  der 
Körper,  wohl  aber  zu  einer  Befruchtung  durch  Verschmelzung  der 
Kerne.  Nachdem  durch  Vermehrung  des  Kernes  jedes  encystirte  Thier 
vielkernig  geworden  ist,  zerfällt  es  zunächst  oberflächlich,  dann  auch 
in  den  inneren  Partieen  in  kleine  Kugeln  (Fig.  II  B),  welche  sich  in 
die  Pseudonavicellen  verwandeln  (Fig.  II  C).  Die  Pscudonavi- 
c eilen  sind  spindelförmige,  einkernige,  von  einer  festen  Membran  um- 
hüllte Körper  (Fig.  III  A).  Bei  der  Bildung  der  Pseudonavicellen 
bleibt  ein  Rest  körniger  Substanz  übrig,  welcher  durch  sein  grosses 
Quellungsvermögen  unter  günstigen  Verhältnissen  die  Cyste  zum  Platzen 
bringt  und  die  Pseudonavicellen  austreibt.  Zur  Entleerung  der  letzteren 
dienen  ab  und  zu  auch  besondere  Ausführcanäle.  die  Sporoducte.  Mit 
abermaliger  Hinterlassung  eines  Restkörpers  theilt  sich  der  Inhalt  der 
Pseudonavicellen  in  die  sichelförmigen  Keime  (4 — 10   an  der  Zahl), 


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IV  Gregarinarien. 


177 


welche  unter  günstigen  Bedingungen  auskriechen,  in  Gewebszellen  ein- 
dringen und  hier  zu  jungen  Gregnrinen  werden  (Fig.  III  B). 


Fig.  Uli. 


Kg.  147. 


Fig.  140.  Gregarinenentwicklung,  I. 
Clepsidrina  blattarum  in  Conjugation. 
ek  Ectobark ,  in  Entosark,  cu  Cuticula, 
um  Protoinerit.  ihn  Dctitcromcrit,  «Kern, 
II.  Cysten  in  Umbildung  zu  Pseudonavi- 
cellen.  pm  Pseudnnavicellcn ,  rk  Ilcst- 
kÖrper.  III.  A  Eine  Pseudouavieclle 
stärker  vergrößert.  B  Dieselbe  getheilt 
in  die  sichelförmigen  Keime  sk. 


Fig.  147.  Cure  tili  um  umforme  (aus 
Hatsehek).  .1,  Ii  jüngere  und  ältere  Cy- 
ste, C  Theilung  in  4, Stücke,  D  Bildung 
der  Keimlinge. 


Typische  Oregarinen  kommen  nur  im  Dann,  in  der  Leibeshöhle 
und  den  Geschlechtsorganen  wirbelloser  Thiere  (namentlich  von  In- 
secten  und  Würmern)  vor;  Clepsidrina  blattarum  Sieb,  findet  sich  im 
Darm  der  Küchenschabe  (Periplaneta  orientalis),  Monocystis  agilis  St. 
im  Geschlechtsapparat  des  Regenwurms;  beide  scheinen  ihren  Wirthen 
keinen  Schaden  zu  bringen.  Gefährlicher  sind  die  Coccidien,  welche 
auch  bei  Wirbelthieren,  namentlich  bei  Säugethicren,  vorkommen  und 
sich  nicht  unwesentlich  von  den  echten  Gregarinen  unterscheiden. 
Uoccidium  oviforme  Leuck.  (Fig.  147)  lebt  in  den  Epithelzellen  der 
Gallenw  ege  des  Kaninchens,  seltener  auch  des  Menschen ;  C.  perforans 
Leuck.  (nach  neueren  Untersuchungen  mit  C.  oviforme  identisch)  dringt 
in  die  Epithelzellen  des  Darmes  ein.  Beide  erzeugen  gefährliche  Epi- 
demien. Haben  die  Coccidien  eine  bestimmte  Grösse  erreicht,  so 
encystiren  sie  sich.  Die  Cysten  müssen  ins  Freie  gelangen,  um  sich 
weiter  zu  entwickeln.  Ihr  Inhalt  zerfallt  dann  in  vier  Tochtercysten ; 
jede  Toehtercyste  liefert,  abgesehen  von  etwas  Restsubstanz,  zwei  Keim- 
linge mit  kugelig  verdicktem,  vorderem  Ende,  welche  so  aneinander 
liegen,  dass  das  Bild  einer  Hantel  mit  gebogenem  Mittelstück  entsteht. 
In  einen  neuen  Wirth  gelangt,  kriechen  die  Keimlinge  ans  und  werden 
zu  Amöben,  welche  von  Neuem  in  die  Epithelzellen  der  Gallengänge, 
resp.  des  Darms  eindringen.  Ausserdem  soll  sich  das  Coccidium  in 
seinein  Wirth  selbst  vermehren  können,  indem  es  direct  in  eine  grössere 

B «riffle,  Erblich  der  Zoologie.   8.  Auflage.  JO 


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178 


Protozoen. 


Zahl  sichelförmiger  Keimlinge  zerfällt.  Nahe  verwandt  Eimerin  falci- 
formis  Eim.  im  Mäusedarm. 

Von  den  echten  Gregarinen  entfernen  sich  noch  mehr  die  Psoro- 
spermien  und  die  Rainey-Miescher sehen  Schläuche,  welche  daher 
auch  erstere  als  Myxosporidien,  letztere  als  Sarkosporidien  zu  beson- 
deren Abtheilungen  der  Gregarinarien  erhoben  werden. 

Die  Myxosporidien  (Fig.  148)  nisten  sich  als  grosse,  mit  blossem 
Auge  wahrnehmbare  amöboide  Körper  in  den  Kiemen,  Muskeln  und 
Eingeweiden  der  Fische  ein.  Hier  zerfallen  sie  in  zahlreiche  runde 
Kugeln,  die  Keimkugeln,  welche  ihrerseits  durch  Theilung  zwei  oder 
drei  Sporen  erzeugen.  Jede  Spore  ist  oval  und  von  einer  zweiklap- 
pigen  Schale  umhüllt  und  besitzt  anfänglich  drei  Kerne,  von  denen 
aber  nur  einer  erhalten  bleibt.  Am  merkwürdigsten  sind  an  ihr  ein 
bis  zwei  Körper  vom  Bau  der  Nesselkapseln  der  Coelenteraten,  ovale 
Bläschen,  welche  einen  Faden  in  sich  enthalten,  der  unter  besonderen 
Verhältnissen  ausgeschleudert  wird. 


Fijr.  Iis. 


Flg.  Iii». 


6 


Flg.  148.  Mi/r»*/»»  i<li< ». 
1  Mweobolus  Miillrri  an- 
der Fisehkirin«' ,  2  und  H 
I'siirosprruu'en  von  My- 
Sillium  IJrherkühni.  n 
Kitii  ,  /.•  Kerne  in  Rück- 
bildung, ji  n  i -ssi -lk  n|  >*<•!- 
artige  Polkörpcr  l>«-i  2  mit 
aiipgt'sdmcllton  Fäden. 


Fijf.  14!t.  Sfircuci/.st i.«  aus 
dein  Zwerehfell  des 
Schweinen  (nach  Bütochli). 
As  Hüll«-,  Spor^nku^-In. 


Am  wenigsten  bekannt  sind  die  Sarkosporidien  (Fig.  141»),  welche 
in  den  Muskeln  von  Schweinen,  Beben,  Mäusen  und  anderen  Wirbel- 
thieren  und  zwar  nach  Art  der  Trichinen  im  Inneren  der  Sarkolemm- 
schläuche  gefunden  wurden.  Sie  sind  0,5— 3,0  mm  grosse,  ovale  Körper, 
welche  aus  einzelnen  Sporen  bestehen  und  von  einer  Hülle  umgeben 
werden,  die  eine  zur  Oberfläche  senkrechte  Streifung  zeigt.  Die  Sporen 
zerfallen  in  Haufen  von  sichelförmigen  Keimen.  Miescheria  muris 
Blanch.  wurde  auch  im  Menschen  (Stimmband)  beobachtet. 


Zusammenfassung  der  wichtigsten  Resultate  über  Protozoen. 

1)  Die  Protozoen  sind  einzellige  Organismen  ohne  echte  Gewebe 
und  ohne  echte  Organe. 


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IV.  Gregarinarien.  Zusammenfassung. 


179 


2)  Alle  Leben  sprocesse  werden  durch  das  Protoplasma  (Sarkode) 
vermittelt,  die  Verdauung  stets  unmittelbar  vom  Protoplasma,  die 
Fortbewegung  und  Nahrungsaufnahme  durch  Fortsätze  des  Proto- 
plasma (Pseudopodien)  oder  durch  Anhänge  (Wimpern  und 
G  e  i  s  s  e  1  n). 

3)  DieExcretion  erfolgt  durch  besondere  Flüssigkeitsansammlungen, 
die  contractilen  Vacuolen. 

4)  Die  Vermehrung  ist  eine  ungeschlechtliche  und  erfolgt 
durch  Knospung  oder  Theilung;  daneben  tritt  bei  Grcgarinen,  Infu- 
sorien und  Flagellaten  die  Conjugation  als  Zeichen  geschlechtlicher 
Thätigkcit  auf. 

5)  Die  Protozoen  sind  Bewohner  des  Wassers,  einige  leben  auch 
in  feuchter  Luft;  in  trockener  Luft  vermögen  sie  nur  im  encystirten 
Zustand  auszuharren,  innerhalb  einer  Kapsel,  welche  das  Vertrocknen 
verhindert. 

(>)  Da  im  enevstirten  Zustand  die  Protozoen  leicht  durch  den  Wind 
verschleppt  werden,  erklärt  sich  ihr  Auftreten  in  Infusionen  und  in 
Wasser,  welches  anfänglich  keine  Thiere  enthielt. 

7)  Die  Eintheilung  der  Protozoen  in  die  Classen  der  Rhizo- 
poden.  Flagellaten,  Ciliaten  und  Gregar inen  gründet  sich 
auf  die  Fortbewegungsweise. 

X)  Die  Rhlzopoilen  besitzen  wechselnde  protoplasmatische  Aus- 
läufer, die  Pseudopodien. 

U)  Die  Rhizopoden  werden  eingetheilt  in  Moneren,  A möbinen, 
H  e  1  i o z o e n.  R a d i o  1  a r i e n,  Thala in op hören  und  M ycetozoen. 

10)  Amöbinen  und  Moneren  besitzen  beide  eine  unbestimmte  Kör- 
pergestalt  und  unterscheiden  sich  von  einander,  indem  erstere  einen 
Kern  besitzen,  letztere  kernlos  sind. 

11)  üeliozoen  und  Hadiolarien  haben  eine  kugelige  Körpergestalt 
mit  feinen,  radial  ausstrahlenden  Pseudopodien  und  häutig  Kieselskelete ; 
sie  unterscheiden  sich  von  einander,  indem  die  Hadiolarien  eine  Cen- 
tral kap  sei  besitzen,  die  den  Heliozoen  fehlt. 

12)  Thalamophoren  haben  eine  Schale,  welche  an  einem  Ende 
blind  geschlossen,  am  anderen  Ende  zum  Durchtritt  der  Pseudopodien 
geöffnet  ist;  im  Uebrigen  ist  die  Schale  rein  chitinös  oder  mit  kohlen- 
saurem Kalk  imprägnirt,  einkammerig  oder  vielkammerig,  gerade  ge- 
streckt oder  Spiral  eingewunden,  fest  gedichtet  oder  von  kleinen  Oeff- 
nungen  durchbohrt:  die  Pseudopodien  sind  manchmal  lappig,  häutiger 
fadenförmig,  verästelt,  anastomosirend. 

l.*l)  Durch  ihre  Schalen  und  ihr  massenhaftes  Auftreten  haben  die 
Thalamophoren  grosse  geologische  Bedeutung,  indem  sie 
mächtige  Ablagerungen  gebildet  haben  (Kreide.  Nummulitcnkalke)  und 
noch  bilden.  Von  geringerer  Bedeutung  sind  die  Kieselskelete  der 
Hadiolarien. 

14)  Mycetozocn  (Mvxomyceten  der  Botaniker)  sind  meist  riesige 
Amöben  mit  netzförmig  verästelten!  Protoplasma  (Plasmodien):  sie 
bilden  complicirte,  an  die  Pilze  erinnernde  FortpHanzungskörpcr  (Sporen- 
blasen und  Carpome). 

15)  Die  Flagellaten  besitzen  einen  oder  wenige  lange,  schwingende 
Fortsätze,  welche  zur  Fortbewegung  und  zum  Herbeistrudeln  der 
Nahrung  dienen,  die  Geissein. 

1<5)  Die  Autoflauellaten  haben  nur  Geissein,  sie  ernähren  sich  wie 
Pflanzen   mittelst  Chlorophylls   (  Vofvocineen)    oder  haben    zur  Auf- 

12* 


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ISO 


Zusammenfassung. 


nähme  der  Nahrung  eine  Mundöffnung  oder  ein  Collare  (Choano- 
flagelUiten). 

17)  Dinoflagellaten  haben  zweierlei  Geissein  und  meist  einen  aus 
Cellulose  bestehenden  Panzer. 

18)  Cystoflagellatcn  sind  Flagellaten  mit  einem  von  einer  festen 
Membran  umschlossenen  Gallcrtkörper  (Noctiluca,  Meerleuchte). 

19)  Die  Ciliatcn  oder  auch  Infusorien  im  engeren  Sinne  haben 
zahlreiche  feine,  schwingende  Fortsätze,  die  Cilien,  eine  Cuticula 
(Pellicula),  in  Folge  dessen  besondere  Oeffnungen  zur  Aufnahme  und 
Abgabe  von  Stoffen,  Zellenmund  (Cytostom)  und  Zellenafter 
(Cytopyge). 

20)  Am  interessantesten  ist  das  Auftreten  von  zweierlei  Kernen, 
eines  Geschlechtskcrns  (Nebenkern)  und  eines  funetionirenden  Kerns 
(Hauptkern). 

21)  Bei  der  Conjugation  werden  Theile  der  Nebenkerne  aus- 
getauscht und  bewirken  die  Befruchtung.  Der  Hauptkern  geht 
dabei  zu  Grunde  und  wird  durch  ein  Theilstück  des  befruchteten 
Nebenkerns  ersetzt. 

22)  Die  Systematik  der  Infusorien  beruht  auf  der  Ausbildungsweise 
und  der  Vertheilung  der  Wimpern. 

23)  Die  Holotrichen  haben  eine  totale,  gleich  massige  Be- 
wimperung.  Die  Hetcrotrichen  haben  ausser  der  totalen  Bewiinperung 
besonders  kräftige  Wimpern  im  Umkreis  des  Mundes  (adorale 
W i m p e r s p i r a  1  e).  Die  Peritrichen  haben  nur  die  adorale  He- 
winiperung.  Die  Hypotrichen  haben  auf  der  Bauchseite  ausser 
der  Wimperspirale  noch  weitere,  in  Reihen  gestellte  Wimpern  und 
Wimperbüschel.  Die  Suctorien  haben  nur  während  der  Fortpflanzung 
Wimpern,  später  sitzen  sie  fest  und  ernähren  sich  durch  Saug- 
tentakeln. 

24)  (jJrejjrarinaricn  sind  parasitische  Protozoen  ohne  Fortbe- 
wegungsorgane und  ohne  Mund;  da  sie  eine  Cuticula  haben,  können 
sie  sich  nur  durch  Endosmose  ernähren. 

2.j)  Die  echten  Gregarincn  bilden  bei  der  Fortpflanzung  Cysten, 
deren  Inhalt  in  die  Pseudonavicellen  zerfällt;  der  Inhalt  der 
Pseudonaviccllen  liefert  durch  Theilung  die  s  ich e  1  f ö r  m  i  g e n  K  e  i  in  e. 

20)  Von  den  typischen  Gregarincn  unterscheiden  sich  in  mehr  oder 
minder  erheblicher  Weise  die  Coccidien  (Coccidium  ovi forme  der  Säuge- 
tliiere),  die  Psorospermienschläuche  der  Fische  oder  Myxosporidien,  und 
die  Rainey- Micscher' 'sehen  Schläuche  der  Säugethiermuskeln  oder  Sarko- 
sporidien. 

Anhang. 

Der  Descendenztheorie  zufolge  sollte  man  erwarten,  dass  Uebergaugs- 
l'ormen  zwischen  Protozoen  und  Metaxmn  existieren.  Als  solche  sind  die 
Kaiallakten  beschrieben  worden,  Kugeln  von  flimmernden  Zollen ,  die  sich 
bei  der  Fortpflanzung  in  die  einzelnen  Zellen  auflösen.  Eigenartige  viel- 
zellige Thiere  von  äusserst  primitivem  Bau,  denen  im  System  der  Metazocn 
schwer  eine  feste  Stellung  einzuräumen  ist,  sind  ferner  der  Trichoplax adJiaercns 
F.  E.  Schulze ,  die  Srlaginella  sähe  Freuzel ,  die  Otlhonectidm  und  die 
Dicifcmidcn.  Der  Trichoplax  ist  eine  Scheibe,  welche  nur  aus  zwei  epitbel- 
artigen,  durch  Gallertgewebe  getrennten  Zellenlagen  besteht;  die  Dicyewidcn 
und  Orthonrrtidm  haben  ein  vielzelliges  Ectoderm,  welches  dort  nur  eine 


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Mctazoen. 


18t 


grosse  Zelle,  hier  einen  soliden  Haufen  von  Zellen  umschlies*t.  Bei 
Seld'jiitdla  endlich  ist  überhaupt  nur  eine,  eine  Art  Darm  umschliossende 
Zellenschicht  vorhanden.  Da  die  Dieyemiden  in  der  Niere  der  Cejßh>ilt»jH»/en, 
die  Orthonectiilen  in  Würmern  und  I'Jehinof/erhieit  parasitisch  leben,  ist  es 
möglich,  dass  ihre  niedere  Organisation  durch  Rückbildung  zu  erklären  ist. 


Metazoen,  vielzellige  Thiere. 


Nach  Ausschluss  der  Protozoen  kann  man  alle  Stämme  des  Thier- 
reichs  unter  dem  Begriff  „Metazoen\  d.  h.  „hflherc  Thiere"  zusammen- 
fassen. Das  Gemeinsame  derselben  besteht  darin,  dass  sie  aus  zahl- 
reichen gegen  einander  abgegrenzten  einzelnen  Zell- 
körpern bestehen  und  dass  diese  Zellen  in  mehreren  Lagen 
angeordnet  sind.  Mindestens  sind  zwei  Lagen  vorhanden,  eine 
Zellschicht,  welche  die  Abgrenzung  des  Thierkörpers  nach  aussen  be- 
wirkt, die  Haut-Epithelschicht  oder  das  Ectoderm,  und  eine  den 
Darm  auskleidende  Zellenlage,  das  Entoderm  oder  die  Darm-Epithel- 
schicbt:  dazwischen  kann  noch  eine  dritte  Gewebslage  vorkommen, 
welche  häufig  durch  die  Leibeshöhle  in  eine  äussere,  Hautfaserschicht, 
und  eine  innere,  Darmfaserschicht,  gespalten  wird.  Man  nennt  die  mittlere 
Körperschicht,  unbekümmert  darum,  ob  eine  Leibeshöhle  vorhanden 
ist  oder  nicht:  Mesoderm.  Die  Vielzelligkeit  ermöglicht  eine  höhere 
Entfaltung  der  Organisation;  es  treten  in  verschiedenen  Graden  der 
Specialisirung  Gewebe  und  Organe  auf.  —  Bei  keinem  Metazoon 
wird  ferner  eine  echte  geschlechtliche  Fortpflanzung,  d.  h. 
eine  Fortpflanzung  durch  Geschlechtszellen  vermisst ,  womit 
aber  nicht  die  Möglichkeit  ausgeschlossen  sein  soll,  dass  manche  Arten 
sich  vielleicht  ausschliesslich  durch  unbefruchtete  Eier  auf  parthe- 
nogenetischem  Wege  entwickeln.  Neben  der  geschlechtlichen  Fortpflan- 
zung kommen  bei  vielen  Arten,  namentlich  bei  den  niederen  Würmern 
und  den  Coclenteraten,  noch  Theilung  und  Knospung  vor. 

Für  sämmtliche  Metazoen  ist  die  Erscheinung  der  Ei- 
furchung in  hohem  Grade  charakteristisch;  das  befruchtete 
Ei  theilt  sich  in  zahlreiche  Zellen,  welche  als  Furchungszellen  zur 
Bildung  der  Keimkugel  vereinigt  bleiben.  Kein  einziges  Protozoon 
besitzt  einen  Furchungsprocess ;  etwaige  Theilungen  führen  hier  zu 
neuen  Individuen,  die  sich  entweder  vollkommen  von  einander  trennen 
oder  ausnahmsweise  in  einem  lokeren  Verbände  (Stock,  Colonie) 
verbleiben. 


II.  Stamm. 

Coclenteraten,  Pflanzentliiere. 


Die  zum  Stamme  der  Coclenteraten  gehörigen  Thiere  wurden  früher 
wie  auch  jetzt  noch  von  manchen  Zoologen  Zoophyten  oder  Pßanzen- 


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1H2 


Coelenterateu. 


thiere  genannt :  spater  wurden  sie  von  C  ti  v  i  e  r  mit  den  Echinodermen  zum 
Typus  der  Radtaten  vereint,  eine  Vereinigung,  welche  Leuckart. 
der  Vater  des  Namens  „Coelenteraten",  wieder  rückgängig  machte,  weil 
bei  den  Echinodermen  ein  besonderer  Darm  und  eine  besondere  Leibes- 
höhle vorhanden  sind,  bei  den  Coelenteraten  dagegen  nur  ein  einziges 
Hohlraumsystem.  Jeder  der  drei  Namen  bezieht  sich  auf  bestimmte 
wichtige  Merkmale  des  Stammes. 

1)  Der  Name  „Pflanzcnthicre"  wurde  mit  Rücksicht  auf  den  all- 
gemeinen Habitus  gewählt.  Die  ineisten  Coelenteraten  sind  wie  Pflanzen 
auf  dem  Boden  festgewachsen  und  bilden  vermöge  unvollständiger 
Knospung  busch-  oder  rasenartige  Colonien :  die  Aehnlichkeit  ist  jedoch 
nur  eine  äusserliche,  da  bei  einer  einigermaassen  genauen  Untersuchung 
die  thierische  Natur  keines  einzigen  Coelenteraten  auch  nur  im  ge- 
ringsten zweifelhaft  sein  kann.  Der  Namedarf  daher  nicht  so  verstanden 
werden,  als  ob  es  sich  hier  um  zweifelhafte  Formen  handle,  welche 
auf  der  Grenze  von  Thier-  und  Pflanzenreich  stehen.  Dies  würde 
schon  dadurch  widerlegt  werden,  dass  es  neben  den  festsitzenden  auch 
frei  bewegliche  Formen  giebt.  welche  sogar  mit  grosser  Behendigkeit 
im  Wasser  schwimmen. 

2)  Die  meiten  Coelenteraten  sind  ra  d  i  al  sy  in  m  et  risc h  :  in 
ihrem  Körper  ist  stets  eine  Axe  feststehend ,  die  Hauptaxe,  deren 
eines  Ende  durch  die  Mundöffnung,  deren  anderes  Ende  durch  das 
blinde  Darmende  charakterisirt  ist.  Im  Umkreis  der  Hauptaxe  sind 
im  Grossen  und  (tanzen  die  Organe  des  Körpers  gleichmässig  vertheilt, 
so  dass  zahlreiche  Thcilebenen  möglich  sind,  welche  den  Körper  sym- 
metrisch halbiren.  Bei  den  Schwämmen  allerdings  ist  die  Vertheilung 
der  Organe  so  regellos,  dass  man  eher  von  Asymmetrie  oder  Anaxonie 
reden  könnte;  andererseits  giebt  es  hochorganisirte  Coelenteraten,  welche 
sich  zur  zweistrahligen  Symmetrie  oder  gar  zur  Bilateralität  höher 
entwickelt  haben  (Clcnophorcn  und  manche  Antliozocn). 

.'!)  Coelenteraten  endlich  heissen  die  Thiere,  weil  in  ihrem  Körper- 
innern  nur  ein  einziges  zusammenhängendes  Hohlraumsystem,  das 
Coclcnteron  oder  das  G  a  s  t  r  o  v  as  c  u  1  a  r  sy  s t  e  m  vorhanden  ist. 
Im  einfachsten  Fall  ist  dasselbe  ein  weitmündiger  Sack,  in  welchen 
die  Nahrung  zur  Verdauung  aufgenommen  wird:  die  einzige  Oeffnung 
des  Sacks  dient  dann  als  Mund  und  After  zugleich :  der  Sack  selbst 
ist  als  Darm  oder  Magen  zu  bezeichnen.  Häutig  gehen  von  dem 
central  gelegenen  Sack  seitliche  Divertikel  oder  verästelte  Canäle 
aus,  welche  die  Nahrung  nach  der  Peripherie  des  Körpers  vertheilen 
und  somit  functionell  die  Gefässe  ersetzen.  Daher  der  Name  „Gastro- 
v  a  scu  1  a  rs  y  s  t  em". 

Da  das  besprochene  Hohlraumsystem  in  erster  Linie  der  Ernäh- 
rung dient,  ist  es  niissbräuchlich,  dasselbe  Leibeshöhle  zu  nennen  und 
die  Coelenteraten  für  darmlos  zu  erklären.  Dagegen  ist  der  Name 
..('oelenteron'*  oder  „Darmleibeshöhle"  —  d.  h.  ein  Hohlraum,  der  Darm- 
und Leibeshöhle  zugleich  ist  —  vollkommen  zu  vertheidigen.  Denn 
bei  vielen  höheren  Thieren,  welche  eine  echte  Leibeshöhle  besitzen, 
sehen  wir  dieselbe  als  eine  sich  abschnürende  Ausstülpung  des  Darms 
entstehen.  Da  solche  Darmdivcrtikel  auch  bei  den  Coelenteraten  vor- 
kommen, ohne  jedoch  selbständig  zu  werden,  so  kann  man  in  der  That 
sagen,  dass  hier  im  Gastrovascularsystein  nicht  nur  der  Darm,  sondern 
potentia  auch  die  Leibeshöhle  enthalten  ist. 

Bei  den   Coelenteraten   kommt  neben   »1er  geschlechtlichen 


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I.  Spongien. 


183 


noch  die  ungeschlechtliche  Fortpflanzung  vor,  in  weitester  Ver- 
breitung die  Knospung,  seltener  die  Theilung.  Geschlechtliche  und 
ungeschlechtliche  Fortpflanzung  können  sich  combiniren  und  durch  ge- 
setzmässiges  Aiterniren  den  Generationswechsel  hervorrufen. 

Zum  Zweck  der  weiteren  Besprechung  müssen  wir  gleich  von  An- 
fang zwei  Unterstämnie  auseinanderhalten,  die  Spongien,  mit  der  einzigen 
Classe  der  Poriferen  und  die  Cnidarien  oder  Nematophoren,  welche 
letztere  die  drei  Classen  der  Hydrozoen,  Anthozocn  und  Ctenophoren 
umfassen.  Beide  Unterstämme  haben  so  wenig  mit  einander  gemein, 
dass  viele  Zoologen  den  Namen  „  Coclenteraten"  auf  die  Cnidarien 
beschränken  und  aus  den  Spongien  einen  selbständigen  Stamm  des 
Thierreiches  bilden. 


I.  TJnteratamm. 

Spongien. 

I.  Classe. 
Poriferen,  Schwämme. 

Die  Spongien  oder  Poriferen,  zu  denen  als  bekanntester  Repräsen-  o«uit. 
tant  der  Badeschwamm,  Euspongia  officinalis,  gehört,  sind  fast  aus- 
schliesslich Meeresbewohner:  aus  dem  Süßwasser  kennt  man  nur  die 
verschiedenen  Arten  der  Gattung  Spongilla  (neuerdings  in  mehrere  Gat- 
tungen aufgelöst).  Die  Thiere  haben  keine  Ortsbewegung,  sondern  sind 
an  Wasserpflanzen  und  Steinen  festgewachsen,  entweder  an  den  Küsten 
oder  auf  dem  Grund  des  Meeres  bis  zu  Tiefen  von  f>000  Meter.  Hier 
bilden  sie  kugelige  Klumpen  oder  dünne  Krusten,  kleine  Cylinder  oder 
aufsteigende,  verästelte  Körper;  häufig  ist  die  Gestalt  so  wechselnd, 
dass  man  überhaupt  von  einer  bestimmten  Grundform  nicht  reden 
kann.  —  Ausserordentlich  schwierig  ist  es,  sich  von  der  thierischen 
Natur  dieser  unförmlichen  Klumpen  zu  überzeugen.  Auffällige  Be- 
wegungen und  Contraetionen  des  ganzen  Körpers  kommen  selten  vor; 
gewöhnlich  kann  man  nur  mit  Hilfe  des  Mikroskops  active  Bewegungen, 
das  OetTncn  und  Schliessen  der  Poren  und  die  Strömungen  im  Gastro- 
vascularsystein.  erkennen. 

Die  einfachsten  Schwammformen,  die  Asconcn,  haben  die  Gestalt  ahu»»*. 
eines  dünnwandigen  Schlauches  (Fig.  150).  welcher  mit  dem  einen 
Ende  festgewachsen  ist  und  am  anderen  Ende  eine  Oefl'nung,  das  als 
After  funetionirende  Osculum.  besitzt.  Das  Lumen  des  Schlauchs 
ist  der  Magen,  ein  weiter,  zur  Verdauung  dienender  Hohlraum,  in 
welchen  das  die  Nahrung  enthaltende  Wasser  durch  zahlreiche  die 
Dicke  der  Magenwand  durchsetzende  Poren  gelangt. 

Die  Grundlage  des  Körpers  ist  eine  Lage  homogener  oder  faseriger, 
von  verästelten  Zellen  durchsetzter  Bindesubstanz  (Fig.  151),  welche 
nach  aussen  von  einem  sehr  vergänglichen  Plattenepithel  überzogen 
ist.  Das  Plattenepithel  —  früher  Ectoderm  genannt  —  und  die 
Bindesubstanz  —  Mesoderm  —  werden  jetzt  als  eine  zusammengehörige 
Schicht  „Me  so -Ectoderm"  aufgefasst,  da  es  sich  herausgestellt  hat, 


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184 


Ccelenteiaten. 


dass  die  platten  Epithelzellen  vielfach  genetisch  nichts  Anderes  sind 
als  Bindesubstanzzellen,  die  sich  auf  der  Oberfläche  ausgebreitet  haben. 

Dagegen  findet  sich  ein  deutlich  differenzirtes  E n to- 
der m  in  Form  eines  den  Magen  auskleidenden  ein- 
schichtigen Geisselepithcls ,  dessen  einzelne  Zellen 
ausserordentlich  an  die  Körper  der  Chonnoßagellaten 
erinnern  (Fig.  131».  Das  periphere  Ende  jeder  Zelle 
erhebt  sich  zu  einein  die  Geisseibasis  umfassenden 
Kragen  (Collare).  Da  nun  ferner  sich  im  Zellkörper 
wie  bei  Protozoen  eine  eontractile  Yacuole  vorfindet, 
hat  man  versucht,  jede  Geisselzelle  als  ein  Einzelthier 
und  den  ganzen  Schwamm  als  eine  Flagellatencolonic 
aufzufassen,  eine  Ansicht,  die  jedoch  die  übrigen  Ge- 
webe des  Schwainmkörpers  nicht  berücksichtigt:  dass 
ausser  der  schon  erwähnten  Uindesubstanz  und  dem 
Plattenepithel  im  Meso-Ektoderm  noch  Geschlechts- 
zellen, amöboide  Wanderz  eilen,  ja  sogar 
eontractile,  das  Sc h Hessen  der  Poren  b e - 
w  irkende  F a  s  e r  z  e  1 1  e  n  vorkommen  können. 

Nach  dem  Typus  der  Asconen  gebaute  Schwämme 
sind  nicht   häutig.     In    der  Kegel   treten   uns  die 
Schwämme  als  massive  Körper  mit  einem  äusserst 
verwickelten  Canalsystem  entgegen   (Fig.  152 — 154). 
Sämmtliche   Canäle  sind  mit   Plattenepithel  ausge- 
kleidet   mit  Ausnahme   der  Oeissclkanimem, 
kugeliger  oder  tonnenförmiger  Hohlräume,  welche  allein  das  charak- 
teristische Gcisselepithel  besitzen  und  daher  auch  allein  dem  Ascon- 
magen  verglichen    werden    können.     Von   den   Poren   der  Körper- 


Kg.  150.  Olyn- 
thiis  (nach  Haeckel). 

0  Osmium,  p  Poren, 
u  Dann,  e  Nadeln. 

1  Ei<  r. 


en.. 
m 


Fig.  151.  Stück  eine*  Querschnitts  durch 
Syramlra  raphmms  mach  F.  F.  Schulze). 
en  entodermale  < icisselzellcn  mit  Collare, 
eh  cctodcrnialf's  Plattcncpithol,  ///  Mcsoderm 
mit  Ihndcsubstanzzellen,  u  Kicr,  *7  Kalk- 
stachcln. 


Fig.  152.  LettCOrtis  pulrfnar.  o 
Osculum,  r  Cloakal  röhre,  c  Canäle, 
die  aus  der  Gci>selkammer  in  die 
Cloakalröhre  führen,  e  Geissel- 
kammern,  /  Mesoderm,  a  aboraler 
Pul  mach  Ilaeckel). 


Oberfläche,  den  „Dermalporen''  (Fig.  154)  führen  in  die  Geissei- 
kammern Canäle,  welche  oft  unter  einander  zu  ansehnlichen  „Sub- 
dennalräumen"  zusammenHiessen ,  in  anderen  Fällen  wiederum  die 
Fig.  153  dargestellte  Anordnung  eines  Baumes  mit  W  urzel-!  und  Ast- 


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I.  Spongien.    Calcispongien.  SUicispongien. 


1*5 


werk  erkennen  lassen.  Ans  den  Geisseikammern  leiten  andere  Canäle 
das  Wasser  wiederum  nach  aussen.  Diese  auslesenden  Canäle  münden 
gewöhnlich  in  ein  oder  mehrere  grössere  Hohlräume,  die  Cloacal- 
röhren  oder  Pse udogaste r,  deren  weite,  oft  durch  Schliessmuskcln 
verschliessbare  Mündungen  die  Oscula  heissen,  obwohl  sie  ausschliess- 
lich zum  Ausleiten  des  Wasserstroms  dienen.    Die  Verständlichkeit  des 


Fig.  1T>3.  Querschnitt  durch  die  Rinde  von  Chumh  iUn 
nuctthi  (nach  F.  E.  Schulze  etwa.-»  schemafisirt  durch 
Weglassen  des  Skclets).  p  Poren,  welche  in  die  zuführen- 
den Canäle  (<•')  leiten,  diese  verästeln  sich  in  die  (ieissel- 
karamern  g  ;  aus  den  Geisselkaminern  strömt  das  Wasser 
durch  die  rttckführenden  Canäle  (<•*)  in  die  Cloukal  röhre 
(m)  und  durch  das  Osculuin  nach  aussen. 


Fig.  151.  I  >ennali>oren 
von  Aplysina  ai'ropltoba, 
von  der  Ohcrfläeho  l>e- 
t  rächtet  (nach  F.  E. 
Schulze). 


Canalsystems  wird  getrübt,  wenn  es  nicht  zur  Bildung  grösserer  Sammel- 
canäle  oder  Cloakalröhren  kommt.  Weiterhin  wird  die  richtige  Beur- 
theilung  der  Schwammorganisation  dadurch  erschwert,  dass  die  Schwämme 
sich  verästeln  (Fig.  155)  und  die  Aeste,  wo  sie  sich  begegnen,  mit 
einander  zu  einem  Netzwerk  verschmelzen  können  (Fig.  150). 


Fig.  155. 


Flg.  156. 


Fig.  157. 


Fig.  I.'m.    Asri/ssii  ueufera 
(nach  Ilaeckel). 

Fig.  1  ."»•;.    Leucdta  sayit- 
tata  (nach  Ilaeckel). 

Fig.  157.    Entwicklung  von  Syrandra  mphanu»  (nach 
F.  E.  Schulze).    ,1  Bkitftula.    //  tiastrula  im  Moment  ^ 
des  Festsetzens.     >l;  Ectoniesodenn,  m  Eiitoderm. 


Die  Entwicklung  kann  eine  ungeschlechtliche  sein,  indem  sich  Kn,wicklun» 
Schwammstücke  als  Knospen  ablösen  und  neue  Thiere  liefern.  Ge- 
wöhnlich herrscht  geschlechtliche  Fortpflanzung.    Die  Eier, 


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ISO  Coelenteraten. 

welche  wie  die  Spermatozoon  aus  Mesodermzellen  entstehen  (Fig.  151), 
werden  am  Ort  ihrer  Entstehung  befruchtet  und  abgefurcht  und  ver- 
lassen erst  als  Flimmerlarven  den  mütterlichen  Körper.  Beim  Fest- 
setzen der  Larve  (Fig.  l.">7)  findet  eine  Art  Gastrulation  statt.  Dabei 
schliesst  sich  der  (iastrulamund  und  es  bildet  sich  am  entgegengesetzten 
freien  Ende  eine  neue  Oeffnung,  das  Osculum. 

Fast  alle  Schwämme  besitzen  ein  Skelet.  welches  von  besonderen 
Zellen  des  Mesoderms  ausgeschieden  wird,  dessen  Structur  und  che- 
mische Beschaffenheit  bei  der  Systematik  in  erster  Linie  Berücksich- 
tigung verdienen.  ,Ie  nachdem  kohlensaurer  Kalk  oder  Kieselsäure 
als  Skeletmaterial  verwandt  ist,  unterscheidet  man  Calcispongicn  und 
Silicispongicn.  Dagegen  hat  man  die  beiden  (1  nippen  der  Ccraospongien 
—  Skelet  aus  Spongin  oder  Ilornsubstanz  —  und  Myxospongicn  — 
Skelet  fehlt  —  fallen  lassen ,  da  ihre  Vertreter  aus  den  Silicispongicn 
entstanden  sind,  indem  das  Kicselskelet  entweder  allmählig  durch 
Spongin  ersetzt  oder  rückgebildet  wurde. 


L  Ordnung.  Calcispongien. 

Die  Kalkschwümme  finden  sich  ausschliesslich  im  Meer,  wo  sie  mit 
Vorliebe  felsige  Küsten  in  geringer  Tiefe  besiedeln:  sie  sind  von  unschein- 
barer, grauer  Farbe  und  geringer 
Körpergrösse ,  ein  oder  wenige 
CYiitimeter  lang.  Die  im  Mesoderm 
entstandenen  Skeletnadeln  ragen 
meist  durch  das  Eetoderm  heraus 
und  bilden  namentlich  gern  im 
Umkreis  des  Osculum  einen  seiden- 
glänzenden Kranz.  Man  unter- 
scheidet Vier-,  Drei-  und  Ein- 
Strahler (Fig.  158).  Innerhalb  der 
•t  genannten  Grundformen  kommen 
mannichfaclie  Moditieationen  durch 
Fijr.  1"kS.  Verschiedene  Nadelformen  von  ungleiche  Entwicklung  und  Krüm- 
Kalk-  und  Kie*el,ehwä„m.en  ta..>  Lang).        mnng  ,,er  Strahlen  zu  Stande.  Der 

Weichkörper  ist  verschiedenartiger 
gebaut  als  bei  den  anderen  Spongien :  nach  ihm  unterscheidet  man  3 
Gruppen:  die  AscniifH.  Si/comti  und  Lfinnnfii. 

L  Unterordnung.  Asmmn.  Schwämme  mit  dünner,  von  Poren 
durchsetzter  Magenwand   (Fig.  1 50.  155i.    Asn/ssti  ucufcrti  H. 

II.  Unterordnung.  S»/i«mni.  Ein  Pseudogastcr  vorhanden  mit 
zahlreichen  radial  angeordneten  Mägen,  den  Radialtuben,  fr/rtm  ciliatum 
( >.  Fabr..  St/ctio'int  nijthanns  0.  S. 

III.  Unterordnung.  Leueomn.  In  der  verdickten  Wand  des 
Pseudogasters  zwischen  den  Poren  der  Oberfläche  und  den  Puren  dor  Pseudo- 
gaster-Wand  spannt  sich  ein  complicirtes,  verästelte*  Canalsystcm  mit  Geissel- 
kammern  aus  iFig.  15*2,  15<i>.    Lewrfht  sayittula  H..  Lnirorth  pulrinar  H. 


II.  Ordnung.  Siliciapongien. 

Die  K><  sf  Ischinitintie  bilden  die  artenreichste  Gruppe  unter  den  S/hwäm- 
mrn :  sie  sind  in  allen  Meeren  und  Meerestiefen  weit  verbreitet  und  häutig 
durch  bedeutende  Grösse  —  bis  zu  1  Meter  —  und  prächtige  Farben  aus- 


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I.  Spongien.  Silicispongien. 


187 


gezeichnet.  Sie  werden  in  Trifuonier  und  Tctramnier  eingetheilt.  Bei  den 
Trhxoiüern  zeigen  die  ausnehmend  zierlichen,  wie  aus  Glas  gesponneneu 
Skeletstücke  —  Hyalosjtonyicn  oder  Glassch  icämmr  — -  drei  gekreuzte  Axcu 
id  von  einem  Mittelpunkt  ausstrahlende  Kieselfäden:  HwwthieUufon).  Das 
Mesodenn  ist  spärlich,  in  Folge  dessen  sind  die  zu-  und  abführenden  Canäle 
in  ein  weitmaschiges  Lückenwerk  umgewandelt :  zwischen  beiden  liegt  eine 
Schicht  grosser  tonneuförmiger  Geisselkammern.  —  Bei  den  Tctraxoiiiem 
ist  dagegen  das  Mesoderm  gewöhnlich  reichlich  und  die  zu-  und  abführen- 
den Canäle  gut  entwickelt.  Als  Grundform  des  Skelett  sind  die  vier- 
axigen  Nadeln  der  TrtmctincUhb n  zu  betrachten:  aus  ihnen  leiten  sich  die 
derben,  zu  massiven  Gerästen  verklebten  Skeletstücke  der  LithLst't/kn  und 
die  Einstrahier  der  Mowicthwüiden  ab. 

I.  Unterordnung.  Tr'mxnnirr.  Die  hierher  gehörigen  HcxaeiincUiden 
leben  vorwiegend  in  grossen  Meerestiefen  und  waren  daher  lange  Zeit  nur 
durch  wenige  Arten  bekannt:  Euplrrtclla  a.spagiltum  Owen,  Venuskörbchen 
genannt  wegen  seines  eleganten  Skelets,  einer  durchbrochenen,  aus  feinen 
Kieselfäden  gesponnenen  Röhre.    Hyih/in/m  Sichddi  Gray. 

II.  Unterordnung.  Trtmxouier.  Typische  Vertreter  sind  die  Lithi- 
stidcn,  zum  grössten  Theil  ausgestorbene,  zum  kleineren  Theil  vorwiegend 
in  grösserer  Tiefe  fortlebende  Schwämme  (Diarodcnnüi  jnlydiscus  Boc.)  und 
die  Tetraijinellidm  (Gwdia  yiy<is  Lani.,  Plnhinn  mnnolitpha  F.  E.  Schulze  . 
An  Plahhui  schliesst  sich  OsmreUa  lohuinris  O.  Schm.,  an  eine  skeletlose 
Form  (Myxosjtonyit). 

Bei  den  MonndintUiden  werden  die  Kieselnadeln  durch  Spongin  zu 
einen»  Gerüst  verklebt  (Cornacuxpougirn)  und  können  sogar  vom  Spongin 
vollkommen  ersetzt  werden.  Typische  OtriKiruspony'ten  sind  ausser  zahl- 
reichen Meeresschwämmen  die  Süsswasserschwämme :  Sponyilla  ßuvifUitis  Lk. 
und  Sp.  lamstrLs  Lk.  (Fig.  81,  S.  108),  welche  als  Ueberzüge  von  Steinen 
und  von  Wurzeln,  die  in  das  Wasser  ragen,  in  Flüssen,  Wassergraben. 
Tümpeln  und  Teichen  weit  verbreitet  sind.  Die  natürliche  Farbe  ist  ein 
lichtes  Grau ,  welches  aber  durch  eingenistete  Algen  in  Grün  verwandelt 
werden  kann.  Vor  den  meisten,  vielleicht  sogar  allen  marinen  Verwandten 
haben  die  Süsswasserschwämme  die  Bildung  der  Gemmulae  voraus; 
zeitweilig  zerfällt  der  Weichkörper  in  kleine  rundliche  Stücke,  welche  den 
Durchmesser  eines  dicken  Stecknadelkopfes  besitzen  und  sich  mit  einer 
festen  Membran  umgeben ,  die  bei  manchen  Arten  noch  von  Kieselstück- 
chen, den  A  mp  h  i  d  i  sce n.  verstärkt  werden  kann.  Derartige  „Gemmulae" 
liegen  auf  dem  von  Kieselnadeln  gebildeten  Schwammgerüst  und  über- 
dauern die  Zeit,  in  welcher  das  Wasser  des  Aufenthaltsorts  gefroren  oder 
eingedunstet  ist:  unter  günstigen  Verhältnissen  kriechen  die  Inhalts- 
portionen wieder  aus  und  erzeugen  kleine  Spongillen.  Die  Gemmulae- 
bilduug  ist  eine  der  bei  Süsswasserthieren  so  verbreiteten,  der  Eucystirung 
der  Protozoen  vergleichbaren  Schutzvorrichtungen. 

Wenn  nun  die  Kieselnadeln  gar  nicht  mehr  angelegt  werden  und  nur 
noch  das  Spongingerüst  übrig  bleibt,  so  erhalten  wir  die  Cet'aospOTUfien 

oder  Hornftchwümmc. 

Das  Skelet  der  Hornsrltu  ämntc  besteht  aus  einer  organischen  Substanz, 
welche  man  Horn  nennt,  obwohl  sie  chemisch  nicht  mit  dem  Keratin  der 
Nägel,  Hufe,  Haare  und  Federn  der  Wirbolthiere  identisch  ist.  Die  Sub- 
stanz ist  in  Fäden  abgelagert,  welche  durch  Apposition  wachsen  und  daher 
einen  concentrisch  geschichteten  Bau  besitzen.  Die  Anbildung  neuer 
Massen  erfolgt  durch  eine  besondere,  die  Fasern  beieckende  Zellenschicht 
von  Sp  ou  gobiasten.    Die  Hornfäden  sind  stets  nach  allen  Richtungen 


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1*8 


Coelenteraten. 


des  Raums  verästelt,  die  Aestc  meist  unter  einander  zu  einem  Gerüstwerk 
verwachsen. 

Die  bekanntesten  Hnrnschwäiiimr,  sind  die  Badonlnrätame :  Ens]»>n;jia 
offo-imilis  L ,  welche  in  verschiedenen  Varietäten  das  Mittelmeer  und  audere 
Meere  bevölkern.  Am  gesuehtesten  sind  die  Levanteschwämme  {rar.  mol- 
litithwi) .  nächsrdem  die  Schwämme  der  Ad  Ha.  Zur  Verwendung  kommt 
im  Handel  nur  das  Skelet ,  ein  Gerüstwerk,  dessen  Balken  wiedenim  aus 
Netzen  feinster  Fasern  bestehen.  Den  Weichkörper  entfernt,  man.  indem 
man  ihn  durch  Quetseheu  abtödtet,  anstäulen  lässt  und  die  Reste  mit  Süß- 
wasser auswäscht.  Technisch  verwerthbar,  wenn  auch  weniger  gut  sind 
EusjHtm/ia  ximfM.ra  O.  Schm.  und  Ilij'pospoiiifia  rauimi  O.  Schm.  Pterde- 
schwamm,  unbrauchbar  dagegen  <  1  io  Carotfpnntfmt,   Ajtlysinrn  und  Aj'li/sill^ii. 

Auch  unter  den  Mnnw-lim <lli>hii  giebt  es  gänzlich  skeletlose  Formen, 
wie  z.  B.  Halt  samt  Ditjardini  Johnston. 


II.  Unterstamm. 

Cnidarien  oder  Nematophoren. 

Die  drei  höheren  Classen  der  Coelcnteraten  unterscheiden  sich  von 
den  Spongien  schon  bei  oberflächlicher  Betrachtung,  indem  sie  viel  mehr 
den  Eindruck  thierisch  belebter  Körper  machen.  Dies  hängt  damit  zu- 
sammen,  dass  die  einzelnen  Thiere,  obwohl  sie 
meist  unter  einander  zu  Colonien  verbunden  und 
auf  dem  Boden  testgewachsen  sind,  auf  Reize  hin 
sich  rasch  und  energisch  zusammenziehen  können. 
Am  autfälligsten  sind  die  Bewegungen  an  den 
Tentakeln,  hingen  Fühlfäden,  welche  im  Um- 
kreis der  Mundöttnung  stehen  und  die  Aufgabe 
haben,  nach  Beute  zu  tasten,  dieselbe  zu  fassen 
und  der  Mundötfnung  zuzuführen.  Zum  Abtödten 
der  Beute  bedienen  sich  die  Cnidarien  der  Cni- 
dae  oder  X  es  sei  kapsei  n  ,  welche  in  anderen 
Thierstämmen  fehlen  oder  doch  wenigstens  nur 
äusserst  selten  (bei  einigen  Protozoen,  Turbellarien 
und  Mollusken)  beobachtet  werden  (Fig.  1Mb). 
Diese  systematisch  sehr  wichtigen  Apparate  sind 
ovale  oder  wurstförmige  Bläschen  mit  einem  flüssi- 
gen Inhalt  und  einer  festen  Membran.  Jedes 
Bläschen  ist  an  einem  Ende  in  einen  langen 
Schlauch  verlängert,  welcher  meist  so  dünn  ist, 
dass  er  wie  ein  Faden  aussieht  und  daher  auch 
Nesselfaden  heisst.  Der  Nesselfaden  kann  in 
ganzer  Ausdehnung  mit  Widerhaken  bewaffnet  sein 
oder  er  trägt  nur  wenige  starke  Widerhaken  an  sei- 
nem unteren,  an  die  Nesselkapsel  anschliessenden 
den  Widerhaken  reichende  basale  Abschnitt  des 
Nesselfadens  ist  dicker  als  der  übrige  Theil.  Im  Ruhezustand  (a)  ist 
der  Nesselfaden  in  das  Innere  der  Kapsel  eingestülpt  und  in  Spiral- 
windungen aufgerollt;  sein  basales  Ende  kann  dabei  eine  feste  Axe 


Fi<:.  1 ")!).  X< -:<.»el/ellr!i 
der  C Miliarien,  a  Zelle 
mit  CnidiH-il  und  einem 
in  der  Kuppel  uut'jrei"« »Il- 
ten Xessi-lfadeii.  X<  s- 
selfaden  aus  der  N«>>s«,l- 
kapH'l  hervorgesehleu- 
dert,  an  »1er  13a.-sis  mit 
Widerhaken  bewnffnet. 
e  Klebzellen  einer  L'h  no- 
phorv  (aus  Lang). 

Ende.    Der  bis  zu 


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IX.  Hydrozoen.  Hydromedusen. 


139 


bilden,  um  welche  der  Rest  gewickelt  ist  Bei  Reizung  des  Thieres 
wird  der  Faden  ausgeschnellt  und  erzeugt  dem  Angreifer  eine  Wunde, 
in:  welche  der  stark  nesselnde,  flüssige  Inhalt  eingeträufelt  wird.  Es 
giebt  Coelenteraten,  welche  auf  diese  Weise  selbst  dem  Menschen  inten- 
sive Verbrennungen  verursachen  können. 

Die  Neeselkapsel  entsteht  als  Plasmaproduct  im  Innern  einer  Zelle 
neben  dem  Kern.  Die  ausgebildete  Nesselzelle  reicht  bis  an  die  Körper- 
oberflüche und  endet  hier  mit  einem  Tasthaar  oder  Cnidocil,  welches 
bei  Berührung  das  Protoplasma  reizt  und  dadurch  zum  Ausschiessen 
des  Nesselfadens  veranlasst.  Vielfach  ist  die  Nesselkapsel  daher  von 
einer  muskulösen  Hülle  umschlossen  oder  von  einem  Netz  von  Muskel- 
fasern umsponnen. 

Im  Vergleich  zu  den  Schwämmen  kann  man  die  Cnidarien  epi- 
theliale Organismen  nennen.  Ein  bindegewebiges  Mesoderm  fehlt 
entweder  ganz  oder  besitzt  eine  untergeordnete  Bedeutung:  dagegen 
liefert  das  Epithel  der  Körperobertiäche  (Ectoderm)  und  das  den 
Magen  auskleidende  Epithel  (Entoderm)  die  wichtigsten  Gewebe,  wie 
Muskeln,  Nerven,  Sinnesorgane,  Geschlechtsorgane,  Nesselkapseln  etc., 
weshalb  man  die  Cnidarien  auch  zweiblättrige  Tlüere,  Dtblastcrien, 
nennt. 


II.  C lasse. 
Hydrozoen. 

Wenn  man  die  einzelnen  Gassen  der  Cnidarien  rücksichtlich  der 
Organisationshöhe  beurtheilt,  kann  man  die  Hydrozoen  im  System  eben- 
sowohl höher  wie  niedriger  als  die  Anlhozoen  stellen;  dies  kommt  da- 
her, dass  in  der  Gasse,  vielfach  sogar  bei  jeder  Art  2  Grundformen 
auftreten,  von  denen  die  eine  im  Bau  den  Anthoeoen  nachsteht,  die 
andere  ihnen  überlegen  ist.  Erstere  ist  der  sessile,  meist  colonie- 
bildende  Polyp,  letztere  ist  die  freibewegliche,  mit  Sinnesorganen  gut 
versehene  Meduse.  Das  Verhältniss  beider  zu  einander  ist  gewöhnlich 
das  des  Generationswechsels.  Der  Polyp  ist  die  Amme  und 
erzeugt  auf  dem  Wege  der  Knospung  die  Meduse,  die  Meduse  dagegen 
ist  das  Geschlechtsthier,  aus  dessen  Eiern  sich  wieder  Polypen  ent- 
wickeln. 

Wir  kennen  nun  2  Polypenformen  und  2  Medusenformen,  die  gene- 
tisch einander  entsprechen:  1)  den  Hydroidpolypen  und  die  craspedote 
Meduse,  2)  den  Scyphopolypm  und  die  acraspede  Meduse.  So  führt  die 
Betrachtung  der  Ammen  und  der  Geschlechtsthiere  gleichmässig  zur 
Aufstellung  zweier  Gruppen,  die  wir  Hydromedusen  und  Scyphomedusen 
nennen  wollen. 

1.  Unterclas.se. 
Hydromedusen. 

Der  Hydroidpolyp  bildet  im  Stamm  der  Cnidarien  eine  wichtige 
Grundform,  aus  welcher  sich  alle  übrigen  Gestalten,  die  Medusen, 
Scyphopolypcn,  ja  sogar  die  Corallenpolypcn  ableiten  lassen:  das  beste 
Beispiel  für  ihn  liefern  uns  die  bei  uns  in  Bächen  und  Tümpeln  so 


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190 


Coelenteraten. 


weit  verbreiteten,  auf  Wasserpflanzen  festsitzenden  Süsswasserhydren.  — 
Der  Körper  einer  Hydra  (Fig.  87,  KiO)  ist  ejn  Schlauch,  der  mit  dein 
hinteren,  blind  geschlossenen  Ende,  der  Fussscheibe,  sich  fest- 
kleben kann,  am  vorderen  Ende  dagegen  die  Mundöffnung  trägt,  welche 
in  einen  einfachen  Hohlraum  im  Innern  des  Thieres,  den  Magen 
führt.  Der  Mund  ist  umstellt  von  einem  Kranz  langer  Tentakeln, 
welche  zum  Ergreifen  der  Beute  (besonders  kleiner  Crustaceen)  dienen  : 
dieselben  sind  Ausstülpungen  der  Körperwand  und  ermöglichen  es,  an 
letzterer  zwei  Theile  zu  unterscheiden,  das  innerhalb  des  Kranzes  ge- 
legene Perist om  und  das  die  Seitenwand  bildende  Mauerblatt. 


Fig.  ltjo.  Hydra  tiridis,  eben  mit  einem  Fi«:.  161,  Körperschichten  von  Hudra 
Kranz  von  Hoden,  tiefei  mit  einer  Ovaria!-  (nach  F.  K.  Schulze  aus  Hätschele}. 
an->ch\vellunjr.  m  Fntodcrm,  *  Stützlamcllc,  ek  Ekto- 

derm   mit   Cuticula   r   und    Nessel - 

ka|wcln  en. 

Bu  d.»  Hydra  hat  nur  zwei  Körperschichten,  das  den  Magen  auskleidende, 
"Iii"'!'!,",  mit  GeisselD  versehene  Entoderm  und  das  die  Körperoberfläche  be- 
deckende Ectoderm  (Fig.  Kil).  Zwischen  beiden  liegt  die  Stütz  - 
lamelle,  eine  structurlose  Membran,  welche  keine  Zellen  enthält  und 
daher  auch  nicht  als  eine  besondere  Körperschicht  gelten  kann.  Jede 
der  beiden  Körperschichten  besteht  aus  einer  Lage  Epithelmuskelzellen 
(cfr.  S.  74),  welche  an  ihrer  Basis  im  Ectoderm  longitudinale,  im  Ento- 
derm circuläre,  glatte  Muskelfasern  gebildet  haben.  Im  Ectoderm  lagern 
ferner  Ganglienzellen,  Nesselzellen  und  Geschlechtszellen.  Die  Nessel- 
zellen drängen  sich  in  grösserer  Menge  an  den  Tentakeln  zu  kleinen, 
mit  Cnidoeils  bedeckten  Wülsten  zusammen.  Die  Geschlechtszellen 
erzeugen  indessen  nur  zu  bestimmten  Zeiten  im  Ectoderm  um- 
schriebene Höcker:  dicht  unter  den  Tentakeln  einen  Kranz  von  Hoden, 
etwas  tiefer  die  Eierstöcke  (Fig.  KiO). 

Häufiger  als  in  (ieschlechtsreife  findet  man  die  Süsswasserpolypen 
in  ungeschlechtlicher  Vermehrung  durch  Knospung  (Fig.  87.  S.  114). 
Am  Mauerblatt  entstehen   kleine   Ausstülpungen,   welche  sich  ver- 


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II.  Hydrozoen.  Hydromedusen. 


191 


grossem  und  eigene  Tentakeln  und  eine  eigene  Mundöffnung  erhalten. 
Indem  Mutterthier  und  Knospe,  ehe  sie  auseinandergehen,  sich  weiter 
vermehren,  kann  eine  kleine  Colonie  entstehen,  welche  jedoch  nur 
kurzen  Bestand  hat  und  durch  Abschnürung  der  Einzelthiere  auf- 
gelöst wird. 

Im  Meere  giebt  es  nun  zahlreiche  Hydroidpolypen ,  welche  der  ^JJ^1" 
Hauptsache  nach  mit  unserer  Hydra  übereinstimmen,  in  zwei  wichtigen 
Punkten  sich  aber  unterscheiden : 
1)  sie  erzeugen  selbst  keine 
(;  e  s  c  h  e  c  b  t  s  o  r  g  a  n  e  m  ehr;  2) 
sie  bilden  mit  wenige  n  A  u  s- 
n a h  m  e n  d a uern d  C o 1 o n i e n 
oder  St ö c k e  ( Fig.  1  02).  D urch 
die  Stockbildung  wird  eine  Reihe 
von  Einrichtungen  veranlasst,  die 
besondere  Bezeichnungen  nöthig 
gemacht  haben.  Die  einzelnen 
Thiere  einer  Colonie  nennt  man 
II  yd  ran  t  hen ;  sie  hängen  durch 
das  Coenosark  unter  einander 
zusammen,  ein  System  von  Röhren, 
welche  wie  die  Hydranthcn  aus 
Entoderm,  Stützlamelle  und  Ecto- 
(lerm  bestehen  und.  da  sich  auch 
der  Hohlraum  des  Magens  in  sie 
hinein  fortsetzt,  eine  gleichmiissige 
Vcrtheilung  der  Nahrung  in  der 
Colonie  bewirken.  Die  Coenosark- 
röhren  können  auf  der  Unterlage 
«Fels.  Pflanzen,  Schneckenschalen, 
Krebspanzer)  hinkriechen  und  ein 
Geflecht,  die  Hydrorhiza,  er- 


zeugen, oder  sie  steigen  baumartig  Hj£nt(]'; 
verästelt    auf  (H  y  d  r  o  e a u  1  u  s) ; 
meist  hat  dieselbe  Colonie  sowohl 
Hydrorhiza  wie  Hydrocaulus. 

Der  Colonie  wird  die  nöthige 
Festigkeit  durch  das  Peride  rm 


CatupaHu/ariu  Johnstoni.  <t 
Hydranthoii  mit  Ilydrothocn,  h  im  zuruck- 
jrc/.ftjrt'ncn  Zustand,  tl  Hydnx-auln*.  f  Go- 
imthrcn  mit  MediUM'ukno^jH'ii,  //  abgelöste 
Modus«-  (muh  Alliiian). 

geliefert,  eine  cuticulare  Ausschei- 
dung lies  Ectoderms,  welche  zu  einer  festen  Röhre  erstarrt.  Bei  einem 
Theil  der  Hydroidcn  (Fig.  MVA)  hört  die  Peridennbekleidung  an  der 
Basis  des  Hydranthcn  auf,  bei  einem  anderen  Theile  erweitert  sie  sich 
zu  einer  weitmündigen  Glocke,  in  welche  sich  der  Hydranth  bei  drohen- 
der Gefahr  zurückziehen  kann,  die  Hydrotheea*(Fig.  104).  Selten 
ist  das  Periderm  in  dicken  Schichten  abgelagert,  welche  verkalken  und 
dadurch  an  die  Skelete  der  echten  Corallen  erinnern;  es  entstehen 
dann  massige  oder  zierlich  verästelte  Kalkstöcke  mit  Oeffnungen,  aus 
denen  die  Polypen  hervortreten  (Fig.  1(5")). 

Der  Mangel  der  Geschlechtsorgane,  durch  welchen 
die  marinen  Hydroiden  von  unserer  Siisswasserhydra  unterscheiden, 
erklärt  sich  aus  dem  Umstand,  dass  ebenfalls  auf  dem  Wege  der  Knos- 
pung von  der  Colonie  aus  b  e  s  o  n  d  eis  gestaltet  e  G  e  s  c  h  1  e  c  h  t  s  - 
thiere  erzeugt  werden,  welche  sich  frühzeitig  ablösen  und  frei 
herumschwimmen;  das  sind  die  Medusen  (Fig.  100,  107).  Dieselben 


sich  u"Vdcr  ^ 


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192 


Coelenteraten. 


haben  die  Gestalt  von  hochgewölbten  oder  fast  scheibenartig  flachen 
Glocken  und  bestehen  vorwiegend  aus  einer  ausserordentlich  wasser- 
reichen Gallerte.  Die  Gallertglocke,  der  Schirm  der  Meduse,  ist  all- 
seitig von  Ectodermepithel  bedeckt,  sowohl  auf  der  concaven  Seite, 


Fig.  10:?.   Fiiilriiih  ini»  inmo.nnu.  Fig.  164,    Cnmpanukwia  gttUeulata. 

Für  beide  Figuren  gelten:  cn  Entoderni,  rk  Ektodcrni.  j>  Peridcrm,  $  Stützlamelle. 

S  u  b  u  m  b  r  e  1 1  a .  wie  auf  der  convexen  Wölbung,  E  x  u  in  b  r  c  1 1  a.  Am 
Schinnrand  ragen  beide  Epithelschichten  noch  etwas  weiter  hervor, 
sind  hier  nur  von  einer  Stützlamelle  gestützt  und  erzeugen  einen  den 
Schinnrand   umfassenden   Saum ,    das   systematisch  bedeutungsvolle 

Velu'm  oder  Craspedon.  Am 
Schirmrand  selbst,  also  oberhalb 
des  Velnm.  entspringen  auch  die 
Tentakeln:  4,  *  oder  Vielfache 
dieser  Zahlen. 

Vergleichbar  dem  Schirmstiel 
oder  Glockenklöppel  hängt  in  den 
Glockenraum  vom  höchsten  Punkt 
der  Wölbung  aus  der  Magen 
herab:  an  seinem  unteren  Ende 
trägt  er  die  Mnndötfnung :  von  sei- 
nem oberen  Ende  sendet  er  die 
Radialcanäle  aus.  welche  auf  der 
K&  165.  Millcpom  ah  irornis,  ein  Stück  subumbrellaren  Seite  der  Glocke 
AUf)  vergrößert   (nach  verlaufen    UI1(1    am  Glockenrand 

mittelst  des  Ringcanals  zusammen- 
hängen ;  ihre  Zahl  beträgt  bei 
jungen  Medusen  nur  4,  steigert  sich  aber  bei  manchen  Arten  im  Laufe 
der  Entwicklung  auf  mehr  als  Hundert.  Magen  und  sämmtlichc  bisher 
genannte  Canäle  sind  von  einem  entodennalen  Geisselepithel  ausge- 
kleidet, welches  sich  auch  in  die  Tentakeln  hinein  fortsetzt  und  deren 
Axe  liefert. 


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II.  Hydrozoen.    Hydromedusen.  193 

Alle  wichtigeren  Orgaue  entwickeln  sich  aus  dem  Ectoderm. 
Hoden  oder  Eierstöcke  entstehen  bei  manchen  Arten  im  Magen- 
ectoderm  (Fig.  167),  bei  andern  im  ectodermalen  Ueberzug  der  Radial- 
canäle  (Fig.  lGß);  beidesmal  bilden  sie  ansehnliche,  häufig  schön  roth 


Fig.  100.  lihopalonema  vrlatum  (etwa*  sohemntisirt).  A  seitlich,  B  von  unten 
gesehen,  e  Exumbrella ,  ä  Subumhrella ,  m  Magen ,  r  Kadialcanäle ,  c  llingeaiml, 
t  Tentakeln,  t'  erster,  t"  zweiter  Ordnung,  y  Geschlecht«orgaiie ,  h  Hörbläsohen, 
n  Nervenring,  r  Velum. 

oder  orange  gefärbte  Verdickungen  dieser  Organe.  —  Ectodermale 
Längsmuskeln  verleihen  den  Tentakeln  die  schlangenartige  Beweglich- 
keit, welche  den  an  das  Medusenhaupt  erinuernden  Namen  veranlasst 
hat;  circuläre,  stets  quer  gestreifte  Muskeln,  welche  auf  der  subum- 

H«  tt  w  ig.  Lthrbuch  der  Zoologie.   3.  Aull^.  J3 


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194  Coelenteraten. 


brellaren  Seite  von  (Hocke  und  Velum  verlaufen,  bedingen  die  charak- 
teristischen Bewegungen  der  Meduse.  Durch  ihre  Contraction  wird 
die  Glocke  stärker  gewölbt  und  verengt;  das  Velum,  sonst  schlaff 
herabhängend  (Fig.  166  A) ,  springt  dann  diaphragmaartig  in  die 
Gloekeninündung  vor  (Fig.  1602?).  Indem  dabei  Wasser  ausgepresst 
wird,  schwimmt  die  Meduse  durch  Rückstoss  mit  der  Glockenwölbung 

Die  Ringmuskelschichten  des 
Velum  und  der  Subumbrella  wer- 
den durch  einen  Zwischenraum 
unterbrochen  ,  welcher  für  das 
Centraiorgan  der  Meduse,  dea 
N  e  r  v  e  n  r  i  n  g ,  reservirt  bleibt. 
Mit  dem  Nervenring  hängen  Sinnes- 
organe, die  Randkörper,  zu- 
sammen, einfachste  Augen,  rothe 
Pigmentflecke  mit  oder  ohne  Lin>e 
(Fig.  78  S.  103)  und  offene  oder 
geschlossene  Hörbläschen  (Fig.lö*). 
Tastborsten  stehen  besonders  reich 
auf  den  Tentakeln. 

Die  Gehörorgane  zeigen  zweierlei 
Typen,  welche  beide  als  offene  Ge- 
hörorgane beginnen  und  sich  zu  ge- 
schlossenen Hörbläschen  vervoll- 
kommneu.  Der  eine  Typus  findet 
sich  bei  den  TrucinjmeAusot ,  der  an- 
dere bei  den  Lcptonicdusen.  Die  Ge- 
hörorgane der  Traehymcduscn ,  die 
H  ö  r  k  ö  1  b  c  h  e  n ,  sind  moditicirte 
Tentakeln  ;  die  entodcrmale  Tentakel- 
axo  bildet  die  Otolithen,  der  ecto- 
dermale   Ueberzug   die  Sinneszellen. 

Fig.  1Ö7.    liara  plicata  (aus  Hätschele  Die  Hörkölbchen  sitzen  bei  den  Äegi- 
nnch  Ilaeckel),  niden  (Fig.  168.1)  auf  Hörpolstern. 

ragen  im  Uebrigen  aber  frei  ins 
Wasser;  sie  werden  bei  den  TracJnjnnttiden  iE)  von  Epithel  umwachsen 
und  so  in  unvollkommen  geschlossene  Bläschen  gehüllt ;  bei  den 
Gctffoniden  (C)  werden  die  Bläschen  geschlossen  und  sogar  in  die  Tiefe 
in  die  Gallerte  des  Schirms  verlagert.  Die  Gehörorgane  der  Leptomcdusen, 
die  volaren  Gehörorgane,  sind  bei  manchen  Arten  noch  kleine  weit- 
mündige  Gruben  auf  der  subumbrellareu  Seite  des  Velum,  bei  allen  übrigen 
Arten  jedoch  (Fig.  168  D)  abgeschnürte  Bläschen,  indem  die  Mündung  der 
Grube  sich  geschlossen  hat.  Hier  sind  Sinneszellen  und  Otolithenzellen 
beide  ecto dermaler  Herkunft. 
"JJJJJ  So  sehr  sich  nun  auch  die  Meduse  in  ihrem  Bau  von  dem  Hy- 
Urtast  und  droidpolypen  unterscheidet,  so  führt  doch  eine  genaue  vergleichend- 
twjrp.  anatomische  und  eutwicklungsgeschichtliche  Untersuchung  zu  dem  Re- 
sultat, dass  sie  nur  ein  höher  entfalteter,  an  die  schwimmende  Lebens- 
weise angepasster  Hydroidpolyp  ist.  Um  die  Meduse  auf  den  Polypen 
zurückzuführen,  muss  man  sich  vorstellen,  dass  die  Läugsaxe  des  Po- 
lypen sich  verkürzt  hat  und  dass  dadurch  sein  cylindrischer  Körper 
zur  Scheibenform  abgeplattet  wurde  (Fig.  169,  170),  dass  ferner  die 


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II.  Hydrozoen.    Hydromedusen.  195 

Stützlamelle  der  Fussscheibe  und  des  Mauerblatts  zu  einer  ansehnlichen 
Gallertschicht  verdickt  worden  ist.    Dann  erklärt  sich  leicht  die  An- 

.4  C 


Fig.  168.  Gehörorgane  von  Medusen.  A — C  von  Trachynieduscn,  D  einer  Lepto- 
medu$0.  a  Epithel,  /*  Hörzellen,  hh  Hörhaare,  hj  Ursprungsstellen  der  |Hörhaare, 
U  Hörkölbchen.  Up  Hörpolster,  o  Otolithcn,  nr  ^ervenring,  n  Hörnerv.  J.(Cunina 
lativentris,  B  Rhopaloneina  velatura,  C  Carmarina  hastata,  D  Octorchis.; 


Ordnung  des  Gastrovascularsysteras;  Magen,  Ringcanal  und  Radial- 
canäle  sind  die  Reste  des  Hydroidenmagens,  dessen  Hohlraum  durch 
den  Druck  der  Gallerte  in  den  dazwischen  gelegenen  Partien  verödete. 


Fig.  M».  Schematisehcr  Längsschnitt  Fip.  170.  Schematicher  Längsschnitt 
durch  einen  Polypen.  durch  eine  Meduse. 

en  Entodenn,  el  Entoderralamelle  durch  Zusammenpressen  der  Magenwand  ent- 
standen, ek  Eetodenn,  ek1  der  Exumbrella,  de1  der  Suoumbrella,  ek3  des  Magen», 
r  Ringcanal,  s  Subumbrella,  t  Tentakeln,  v  Velum,  x  Gallerte  resp.  die  correspon- 
«lircnde  Stützlamelle. 

13* 


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196 


Coelenteiaten. 


Zu  diesen  Umgestaltungen  treten  dann  als  Neubildungen  noch  die 
Sinnesorgane  und  das  Veluni  hinzu. 
Entwickle.  D  i  e  H ü c  k f  ü h  r  u  n  g  d  er  M  e d  n  s e  a u  f  den  Hau  des  Po- 
lypen ist  für  das  Verständnis»  der  Entwick lungs ge- 
sell i  e  h  t  e  v  o  n  B  e  d e  u  t  u  n  g.  Dieselbe  hat  gewöhnlich  den  Charakter 
eines  Generationswechsels.  Aus  dein  Ei  einer  Meduse  entsteht 
eine  Flimmerlarve,  welche  sieh  festsetzt,  Mundötinung  und  Tentakeln 
entwickelt  und  durch  fortgesetzte  Knospung  ein  Hydroiden stöckchen 
liefert.  Das  Hydroidenstöckchen  ist  die  ..Amine44;  es  hat  nie  Geschlechts- 
organe, erzeugt  aber  auf  dein  Weg  der  Knospung  die  Geschlechts- 
thiere,  die  sich  ablösenden  und  frei  herumschwimmenden  Medusen. 

Da  Polyp  und  Meduse  dem  Obigen 
zufolge  morphologisch  einander 
gleichwertig  sind,  hat  das  Hy- 
droidenstöckchen zur  Zeit .  wo  die 
Loslösung  der  Medusenknospe  noch 
nicht  erfolgt  ist.  den  Charakter  einer 
polymorphen  Colon  ie,  be- 
stehend aus  Individuen,  welche  nur 
ungeschlechtlich  sich  fortpflanzen 
(Hydranthen) ,  und  aus  solchen, 
welche  die  geschlechtliche  Fortpflan- 
zung übernommen  haben  (Medusen). 
So  gelangen  wir  zur  Vor  stellang, 
dass  der  Generationswechsel  der  Hy- 
droiden durch  Arbeitsteilung  oder 
Polymorphismus  ursprünglich  gleich- 
wertiger Individuen  entstanden  ist. 
indem  ein  Theil  derselben  (die  Ge- 
schlechtsthiere)  sich  ablöste  und 
einen  eigenartigen  Bau  gewann. 

Wie  der  Generationswechsel  aus 
dem  Polymorphismus  hervorgegan- 
gen ist,  so  kann  er  sich  auch  wieder 
in  denselben  zurückverwandeln.  Dies 
geschieht,  wenn  die  Medusen,  an- 
statt sich  loszulösen,  in  der  Colonie 
verbleiben.  Sie  werden  dabei  zu 
den    ..Sporosaes"  rückgebildet. 

w lcklunir-^tiulicn  von  Mi'duscn,  darunter  .    ,  •  »r      , T. 

:;  v.whi<Hlenfrrndig  rückgebüdete  8j^ro-  1,1,k',u  *,e  st(>t*  Mundoflnung .  \p- 
*aca  (au*  Hatechek).  lum  und  Tentakeln  (Fig.  171)  ein- 

büssen,  oft  auch  die  Radialcanäle 
und  den  Ringcanal,  so  dass  schliesslich  nur  der  Magen  (Spadix)  und 
die  Geschlechtsorgane  übrig  bleiben,  letztere  umhüllt  von  den  Rudi- 
menten des  Medusenschinns.  Da  Medusen  und  Sporosaes  bei  nahe 
verwandten  Arten  für  einander  vieariiren,  nennt  man  sie  mit  einem 
gemeinsamen  Namen  „G  o  n  o  ph  oren". 

Die  Entwicklungsweise  der  Hydrozoen  kann  noch  nach  zwei  wei- 
teren Richtungen  abändern,  indem  entweder  die  Bildung  der 
Medusengeneration  oder  die  der  Hydroiden generation 
unterbleibt.  Im  ersteren  Falle  haben  wir  Polypen,  welche  sich  so- 
wohl geschlechtlich  als  ungeschlechtlich  fortpflanzen  können,  im  anderen 
Falle  Medusen,  aus  deren  Eiern  direct  wieder  Medusen  entstehen. 


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II.  Hydrozoen.  Hydroniedusen. 


11)7 


Im  Ganzen  ergeben  sich  somit  vier  Fälle:  1)  Polypen  erzeugen,  zeit- 
weilig geschlechtlich,  zeitweilig  ungeschlechtlich,  stets  nur  Polypen; 
2)  Medusen  erzeugen  stets  nur  Medusen;  3)  Polypen  und  Medusen 
stehen  mit  einander  im  Generationswechsel :  4)  Polypen  und  sessile 
Medusen,  d.  h.  Sporosacs,  bleiben  zu  einem  polymorphen  Thierstock 
vereint. 

Nach  ihrer  geographischen  V er b rei tu n g  sind  die  Hydro-  Verbnr*i(un* 
medusen  als  marine  Thiere  zu  bezeichnen.  Die  II  y  d  ro  i  d  e  n  st  ö  c  k-  sjitomatuu 
chen  finden  sich  meist  an  felsigen  Küsten  oder  in  Tiefen  bis  zu 
RH)  Metern ;  ja  selbst  in  Tiefen  von  78<X>  Metern  sind  sie  beobachtet 
worden.  Die  Medusen  gehören  der  pelagischen  Thierwelt  an.  Als 
Ausnahmen  von  der  Regel  und  als  ausschliessliche  Süsswasserbewohner 
kannte  man  lange  Zeit  über  nur  die  zum  grossen  Theil  auch  bei  uns 
einheimischen  Arten  der  kosmopolitischen  Gattung  Hydra.  In  der 
Neuzeit  sind  weitere  Süsswasserbewohner  bekannt  geworden,  und  zwar 
sowohl  Hydroiden  {Protohydra  Ryderi  Potts  in  Amerika,  Polypodium 
hydriforme  in  Russland),  als  auch  Medusen  (Limnocodium  Sowerbyi 
Lank,  in  Brasilien,  Limnocnida  Taganyicae  Gthr.  in  Afrika,  Halmonises 
lacustris  Kenn,  auf  Trinidad).  An  der  Grenze  von  Süss-  und  Salz- 
wasser, im  Brackwasser,  siedelt  sich  Cordylophora  lacustris  an.  -  Bei 
der  Systematik  kanu  man  sowohl  die  Hydroidenform  wie  die  Medusen- 
form zu  Grunde  legen.  Bei  ausschliesslicher  Berücksichtigung  der 
Hydroideu  kommt  man  zu  vier  Gruppen. 

Ii  Hydrarien.  Polypen  mit  ungeschlechtlicher  und  geschlechtlicher 
Fortpflanzung;  ohne  dauernde  Coloniebildung.  ohne  Peridenn, 
ohne  Gonophore  (Fig.  100). 

2)  Tubularien.    Meist  coloniebildende  Polypen  mit  Peridenn.  aber 

ohne  Hydrotheka,  Fortpflanzung  durch  Gonophoren  (Medusen 
oder  Sporosacs  (Fig.  8«  und  103). 

3)  Campanularien.    Coloniebildende  Polypen  mit  Peridenn  und  mit 

Hydrotheka:  Fortpflanzung  durch  Gonophoren,  welche  in  be- 
sonderen Peridermkapseln ,  den  Gonotheken,  eingeschlossen 
sind  (Fig.  102  und  1<>4). 

4)  Hydrocorallinen.    Coloniebildende  Polypen  mit  massigem,  ver- 

kalktem, an  Corallen  erinnerndem  Peridenn ;  Fortpflanzung 
durch  Sporosacs,  vielleicht  ausnahmsweise  auch  durch  Medusen. 

Geht  man  von  den  Medusen  aus,  so  erhält  man  ebenfalls  vier 
Gruppen : 

1)  Anthomedusen.  Geschlechtsorgane  in  den  Wandungen  des  Magens; 

keine  Gehörorgane,  meist  aber  Augenflecke;  Hydroidengene- 
ration  vorhanden. 

2)  Leptumedusen.    Geschlechtsorgane  an  den  Radialcanälen ;  velare 

Gehörorgane;  Hydroidengeneration  vorhanden. 

3)  Trachymedusen.    Geschlechtsorgane  an  den  Radialcanälen;  tenta- 

kulare  Gehörorgane;    Entwicklung   direct  ohne  Hydroiden- 
generation. 

4)  Siphönophoren :  polymorphe,  freischwimmende  Stöcke  von  Antho- 

medusen; Entwicklung  ohne  Hydroidengeneration. 

Da  aus  obigen  beiden  Tabellen  ersichtlich  ist,  dass  es  Medusen 
ohne  Hydroiden  und  Hydroiden  ohne  Medusen  giebt.  so  kann  ein  ein- 
heitliches und  erschöpfendes  System  nur  durch  gleichmässige  Berück- 
sichtigung beider  Formen  gewonnen  werden.    Hierbei  ergiebt  sich, 


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198 


Coelenteraten. 


dass  die  Anthomedusen  mit  den  Tubularien,  die  Lcptomedusen  mit  den 
Campanularien  zusammenfallen,  da  die  jedesmaligen  Medusen  und 
Polypen  im  Generationswechsel  stehen;  dazu  kommen  zwei  Gruppen 
ohne  Hydroiden,  Trachymedusen  und  Siphonophoren ,  und  eine  Gruppe 
ohne  Medusen,  die  Hydrarien.  Bei  den  Hydrocorallinen  scheinen  selten 
neben  Sporosacs  auch  Medusen  vorzukommen.  Im  Ganzen  erhalten 
wir  somit  ti  Ordnungen. 

I.  Ordnung.  Hydrarien. 

Aus  der  Gruppe  der  Hydrarien  kannte  man  lange  Zeit  über  nur  die 
Süsswasserpolypen,  die  verschiedenen,  meist  kosmopolitischen  Arten  der 
Gattung  Hydra.  Den  grössten  Theil  des  Jahres  über  pflanzen  sich  die 
Thiere  ungeschlechtlich  durch  Knospung  fort  (Fig.  87),  nur  zu  gewissen 
Zeiten  erhalten  sie  Geschlechtsorgane  (Fig.  1G0).  Die  Eier  bleiben  wäh- 
rend der  Furchung  und  der  Keimblattbildung  mit  dem  Mutterthier  in  Ver- 
bindung, bilden  dann  eine  feste  Embryonalschale  und  fallen  ab,  um  so  vor 
Unbilden  geschützt  während  Trockenheit  oder  Frost  die  Existenz  der  Art 
zu  sichern;  in  diesem  „Cystenzustand"  können  sie  auch  durch  Wind  oder 
Wasservögel  verschleppt  werden.  Hydra  yrisca  L.,  grössere  bräunliche 
Form;  H.  viridis  L.,  durch  Symbiose  mit  Algen  grün  gefärbt.  —  Weitere 
Hydrarien  sind:  das  auf  Sterleteiern  schmarotzende,  noch  weiterer  Unter- 
suchung bedürftige  Polypwlium  hydri forme  Ussow  und  die  tentakellose 
Protohydra  Rydcri  Potts. 

n.  Ordnung.  Hydrocorallinen. 

Die  Hydrocorallinen  kommen  ausschliesslich  im  Meere  vor  und  bilden 
hier  Colonien  von  vielen  Tausenden  von  Individuen,  deren  massives  Kalk- 
skelet  so  sehr  an  die  Skelete  echter  Corallen  erinnert,  dass  man  die  hier- 
her gehörigen  Familien  der  weisslichen  Milkporidni  und  rosenfarbenen  Styl- 
a.sferiden  für  echte  Corallen  erklärte,  bis  man  mit  den  lebenden  Einzelthieren 
bekannt  wurde.    StyhsUr  rosen«  Gray.    Millrjxira  akicornis  L. 

III.  Ordnung.  Tubulario-Anthomedusen. 

Als  Regel  gilt,  dass  die  mit  Periderm  versehenen,  aber  der  Hydro- 
theca  entbehrenden,  fast  ausnahmslos  coloniebildenden  Polypen  (Fig.  88,  103) 
freibewegliche  Anthomedusen  erzeugen.  Letztere  sind,  abgesehen  von  ihren 
magenständigen  Geschlechtsorganen  und  dem  Mangel  der  Hörbläschen,  meist 
schon  an  ihrer  hochgewölbten  Glocke  zu  erkennen  (Fig.  1G7);  auch  sind 
sie  häufig  mit  Ocellen  ausgerüstet  (LkcUalai).  Daneben  kommt  es  vor,  dass 
die  Medusen  als  Sporosacs  in  der  Colonie  verbleiben.  So  erzeugt  in  der- 
selben Familie  der  TuLuhiridcn  die  Corymorjtha  nutaas  Sars  Medusen,  die 
Tulndaria  hryur  L.  Sporosacs.  —  Alle  hierher  gehörigen  Arten  (z.  B.  die 
Hydroiden  Synan-yne  Susi  Low,  Hydraefiuia  cehinata  Flem.,  Eudcndrium 
ramciim  Johnst..  die  Medusen  Tiara  jahafa  Forsk.,  Li.ria  Köllileri  Gegnb.) 
sind  marin :  eine  Ausnahme  macht  Cordylophorn  laeuatris  Allm.,  ein  reich 
verzweigtes  Stöckchen  mit  Sporosacs;  von  Haus  aus  ein  Brackwasserbe- 
wohner, dringt  das  Thier  allmählich  in's  Süsswasser  vor. 


■ 


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II.  Hydrozoen.  Hydromedusen. 


199 


IV.  Ordnung.  Campanulario-Leptomedusen. 

Von  den  Repräsentanten  der  vorigen  Ordnung  sind  die  Thiere  leicht 
zu  unterscheiden,  die  stets  ansehnliche  Colonien  bildenden  Hydroiden  ver- 
möge der  Anwesenheit  der  Hydrotheca  (Fig.  162,  164),  die  Medusen  ver- 
möge ihres  flach  gewölbten  Schirms,  der  velaren  Hörbläschen  und  der  Lage 
der  Geschlechtsorgane  an  den  Radialcanälen.  Eine  Besonderheit  der  Gruppe 
sind  die  Gonotheken,  geschlossene  Peridermhüllen,  innerhalb  deren  die 
Gonophoren  an  einem  besonderen  mund-  und  tentakellosen  Polypen,  dem 
Blastostyl  (Fig.  162/")  entstehen.  Die  typischen  Campanularidm  erzeugen 
Medusen,  so  die  Campanularia  Johnstoni  Johnst.  das  Phialidium  variabik 
Claus.  Bei  den  Seritdariden  und  Pliomdaridcn  finden  sich  dagegen  Sporo- 
sacs.  Serttdaria  abielina  L.  Plumularia  pinnata  Lara.  Sehr  verbreitete  Me- 
dusen sind:  Acquorea  forskaka  Per.  et  Les.,  Irene  pcüucula  H. 

V.  Ordnung.  Trachymedusen. 

Die  Trachymedusen  gleichen  den  Leptomcdusen  nicht  nur  in  ihrer  Ge- 
stalt, sondern  auch  im  Besitz  von  Hörbläschen  und  in  der  Lagerung  der 
Geschlechtsorgane  an  den  Radialcanälen.  Indessen  entstehen  ihre  Hör- 
organe nicht  aus  dem  Velum,  sondern  sind  umgewandelte  Tentakeln,  also 
ganz  andere  Gebilde  Dazu  kommt  als  wichtigster  Unterschied  der  Mangel 
des  Generationswechsels,  die  directe  Entwicklung  der  Meduse.  Dies  gilt 
besonders  von  Trachyncmiden  und  üeryoniden:  Rhopalonema  velatum  Gegnb. 
und  Cannarina  hastata  H.,  während  bei  den  auch  sonst  abweichend  gebauten 
Aeyiniden  (Narcomcduscn)  einige  Medusen  wenigstens  von  parasitisch  leben- 
den Ammen  durch  Knospung  erzeugt  werden.    Cunina  parasüica  Metschn. 

VI.  Ordnung.  Siphonophoren. 

Die  Siphonophoren  sind  Colonieen,  welche  zu  den  herrlichsten 
Repräsentanten  der  pelagischen  Thierwelt  gehören  und  ihrem  Aussehen 
nach  sich  am  besten  mit  Blumenguirlanden  vergleichen  lassen.  Wie 
eine  Guirlande  aus  Blumen  und  Blättern  besteht,  die  an  einem  Faden 
aufgereiht  sind,  so  besteht  eine  Siphonophore  aus  zahllosen,  theils  glas- 
artig durchsichtigen,  theils  farbigen  Einzelthieren,  die  von  einem  ge- 
meinsamen Strang  entspringen  (Fig.  172,  173).  Der  Strang,  die 
C  oenosarkröhre  oder  der  Stamm,  ist  äusserst  muskulös  und  ent- 
hält im  Innern  einen  von  Entodcrm  ausgekleideten  Centralcaual,  ein 
Xahrungsreservoir,  von  dem  aus  die  Einzelthiere  der  Colonie  gespeist 
werden.  Sein  vorderes  Ende  umschliesst  bei  den  meisten  Arten  ein 
abgeschlossenes,  mit  Luft  gefülltes  Säckchen,  den  Pneu matop hör 
oder  die  Luftkammer,  welche  als  hydrostatischer  Apparat  funetionirt 
und  die  senkrechte  Stellung  der  Colonie  im  Meere  bedingt. 

Die  von  der  Coenosarkaxe  entspringenden  Einzelthiere  dienen  ver- 
schiedenen Functionen  und  sind  in  Folge  dessen  auch  verschieden  ge- 
baut. Unmittelbar  auf  die  Luftkammer  folgen  gewöhnlich  mehrere 
Reihen  von  S  c  h  w  i  tu  m  g  1  o  c  k  e  n  ,  Thiere,  welche  von  der  Organisation 
der  Meduse  nur  das  zur  Fortbewegung  Nöthige.  Glocke  und  Velum 
(Fig.  172 sq\  ausserdem  die  zur  Ernährung  dienenden,  vom  Coenosark- 
rohr  aus  versorgten  Ring-  und  Radialcanäle  bewahrt  haben.  Die  an- 
schliessenden, zum  Schutz  dienenden,  medusenartigen  Thiere,  die 


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200 


Coelenteraten. 


Deckstücko  (<fo),  sind  feste  Gallertplatten  und  haben  auch  den  Riiiir- 
eanal,  die  Muskulatur  und  die  Glockengestalt  der  Meduse  eingebüßt. 
Zur  Ernährung  des  Ganzen  dienen  besondere  Polypen  mit  trompeten- 
artig erweiterter  Mundüffnung,  die  Fress- 
polypen   (Ay),    welche    die  Nahrung 
mittelst  ihrer  grossen  Massen  von  Drüsen- 
zellcn  verdauen  (Leberstreifen)  (S.  84, 
Fig.  54.)    und   durch   Vermittlung  des 
Coenosarkrohrs  allen  übrigen  Individuen 
des  Stocks  zuführen.     Sie  besitzen  an 
ihrer  Basis  den  Fangfaden  (t),  einen 
langen,  muskelreichen  Strang,  von  wel- 
chem seitlich  feine  Fäden,  die  Senkfäden, 
herunterhängen.     Die  Senkfäden  enden 
mit  buntgefärbten  Anschwellungen,  welche 
Nesselknöpfe  heissen,  da  sie  aus  dicht 
gedrängten,  auffallend   grossen  Nessel- 
kapseln bestehen;  sie  sind  der  Grund, 
weshalb     alle     Siphonophoren  nesseln, 
manche  in  so  empfindlicher  Weise,  das» 
sie  wegen  der  ausgedehnten  Verbrennun- 
gen, die  sie  erzeugen,  selbst  von  den 
Menschen  gefürchtet  werden.  Ebenfalls 
an  Polypen  erinnern  die  Taster  (/>), 
mundlose  geschlossene  Schläuche,  welche 
durch  ihre  grosse  Reizbarkeit  und  Be- 
weglichkeit ausgezeichnet  sind.  Von  allen 
Thieren  der  Colonie  entwickeln  sich  end- 
lich am  spätesten  die  meist  prächtig  ge- 
färbten    G  e  s  c h  1  e c  h  t s t h i er  e.  Sie 
gleichen  den  Gonophoren  der  Tubularien, 
verbleiben  meist  als  mehr  oder  minder 
rückgebildete  Sporosacs  in  der  Colonie 
und  lösen  sich  nur  äusserst  selten  als 
kleine  tentakellose  Anthomedusen,  {Chry- 
somilren)  ab. 

Dem  Gesagten  zu  Folge  sind  die 
Siphonophoren  ein  ausgezeichnetes  Bei- 
spiel für  Arbeitsteilung  und  den  da- 
durch bedingten  Polymorphismus 
der  Individuen ;  letzterer  kann  innerhalb 
der  Ordnung  einen  so  hohen  Grad  er- 
reichen ,  dass  manche  Siphonophoren 
durchaus  den  Eindruck  einheitlicher  Individuen  mit  einer  Vielheit  von 
Organen  machen. 

1)  Chlyeopkoreen  (Oalyconecten).  Keine  Luftflasche,  vorderes  Ende  der 
Colonie  durch  1 — 2  grosse  Schwimmgloeken  eingenommen  (Fig.  106), 
die  übrigen  Individuen  sitzen  in  Abständen  von  einander  zu  kleinen 
Gruppen  vereint,  welche  häufig  vor  Eintritt  der  Geschlechtsreife  sich  ab- 
ablösen  und  eine  Zeit  lang  —  früher  unter  dem  Namen  Eudoxien  als  selb- 
ständige Thiere  beschrieben  —  herumschwimmen.    Praya  maxima  Gegnb. 

2)  Physopliorcru  (Physonecten).  Luftflasche  vorhanden,  aber  klein;  auf 
die  Luftflasche  folgt  eine  Säule  von  Schwimmglocken,  dann  die  übrigen 


Fig.  172.  Schema  einer  Sipko- 
nophbre  (aus  Lang),  sb  Luftkam- 
mer, sy  Sehwimmglocken,  </.s  Deck- 
atüeke,  t  Tentakeln,  y»  CJonopho- 
ren,  hy  FrexspolyjMH,  n  Taster, 
*/  Sduum,  A — //  versclüeuene  Arten 
der  Ausbildung  und  der  Gruppi- 
rung  der  Individuen. 


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II.  Ifydrozoen.    Scyphomedusen.  2< )  1 


Individuen  der  Colonie.  Physophora  hyrfroshtfiea  Forsk.,  Apokmia  uvaria  Less. 
äusserst  schmerzhaft  nesselnd. 

3)  Physakcn  (Ci/stottcrten).  Luftflasche  stark  vergrössert,  füllt  den  ge- 
saminten  Coenosarkcanal  aus,  auf  dessen  untere  Seite  der  Ursprung  der 
Einzelthiere  beschränkt  bleibt.  Die  Thiere  schwimmen  stets  an  der  Ober- 
flüche des  Wassers  und  treiben,  zum  Theil  über  den  Wasserspiegel  her- 
vorragend, wie  Segel  vor  dem  Wind.    Physnlin  arcthum  Til. 

Den  bisher  genannten  Formen  werden  vielfach  unter  dem  Namen  Dis- 
conanthcn  als  eine  vollkommen  abweichende  Gruppe  gegenübergestellt:  Vc- 
Idia  spirans  Eschz.  und  Porpita  mediterranen  Eschz.,  Luftflasche  eine  chiti- 
nöse  Scheibe  mit  concentrischen  Luftcanälen. 


II.  Untcrclassc. 
Scyphomedusen. 

Die  Scyphomedusen  bilden  eine  Parallelgruppc  zu  den  Hydrome- 
dusen,  insofern  sie  sich  ebenfalls  häutig  durch  Generationswechsel  ent- 
wickeln. Die  Amme  ist  der  Scyphopolyp  oder  das  Scyphostoma, 
das  Geschlechtsthier  die  acraspede  Meduse.  Im  Gegensatz  zu  den 
Hydromedusen  spielt  jedoch  die  Amme,  der  Scyphopolyp,  eine 
untergeordnete  Rolle  ;  er  ist  bei  den  verschiedensten  Arten  sehr  gleich- 
förmig gebaut  und  kommt  häufig  sogar  ganz  in  Wegfall,  während  die 
Medusengeneration  sehr  mannichfaltig  und  stets  wohl  entwickelt 
ist  Wenigstens  ist  zur  Zeit  kein  Fall  bekannt,  dass  bei  den  Scypho- 
medusen die  Meduse  vermisst  werde  oder  die  rudimentäre  Gestalt  eines 
Sporosacs  annehme. 

Das  Scyphostoma  (Fig.  174,  175)  hat  eine  äussere  Aehnlichkeit 
mit  unserer  Süsswasserhydra,  unterscheidet  sich  aber  von  ihr  äusser- 


202 


Coelenteraten. 


Fig.  175. 


B»u  der 


lieh  durch  einen  kleinen  Peridermnapf,  in  welchem  das  hintere  Ende 
festsitzt,  innerlich  hauptsächlich  durch  4  Längsfalten,  welche  in  den 
Magen  hineinragen  und  von  dem  hinteren  Ende  bis  zum  Rand  der 
Mundöffnung  reichen.   Diese  „Gastralfalten"  oder  „Septen"  geben  sich 

Fig.  174. 

Fig.  174.  Scyphostoma  von 
Aurelia  aurita  (aus  Korschelt- 
Heider).  pb  Peristomrüssel,  tr 
trichtcrförinigp  Einsenkuiigen 
des  Peristoms,  /  Gastralfalten, 
at  Stiel,  k  Pendenanapl 

Fig.  175.  Querschnitt  durch 
ein  Scyphostoma  (ausllatschek). 
gr  Magen,  .«  Gastralfalten,  sm 
Muskel  in  demscll>en. 

auf  Querschnitten  als  kleine  von  einem  Fortsatz  der  Stützlamelle  ge- 
stützte Entodermfalten  zu  erkennen :  sie  sind  morphologisch  wichtig, 
indem  sie  bei  der  Knospung  der  Medusen  die  Gastraltentakelchen  der- 
selben liefern,  ferner  als  erste  Anlage  des  bei  den  Anthozoen  so  hoch 
entwickelten  Septensystems. 

Die  a c r a s p eilen  M e d u s e n ,  meist  grosse.  0,1 — 1  Mtr.  messende 
Thiere,  besitzen  einen  flach  gewölbten  Schirm  von  oft  knorpelartiger 
Consistenz;   sie  unterscheiden  sich  von  den  Craspedoten  äusserlich 

Fig.  1 7*5. 


Fig.  17G.  Ephyra  von  Votylorhixa 
iuherculnta.  yt  ('iastraltentakelehen, 
rk  -KandkörjM  r  (nach  (  laus). 


Fig.  177.  Ulmari*  protntifpns  (aus 
Batsehek).  /  Radien  erster  Ord- 
nung (Perradien),  mit  den  Mand- 
arinen (o),  welehe  rechts  entfernt 
sind ,  //  Radien  zweiter  Ordnung 
(Interradien) .  in  ihnen  liegen  die 
Geschlechtsorgane,  /  Tentakeln,  be- 
zeichnen die  Adradien,  /  Kandlappen. 


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II.  Hydrozoen.  Scyphomedusen. 


203 


sofort  durch  die  Einkerbungen  des  Schirmrands,  welche  die 
Peripherie  in  Lappen  abtheilen.  Wenn  wir  uns  zunächst  an  die  ge- 
wöhnlichen Formen  halten,  so  sind  mindestens  8  Lappen  vorhanden 
(Fig.  1 7  t»,  177),  von  denen  ein  jeder  wieder  tiefeingekerbt  ist,  in  dieser 


Fig.  178.  Pohjrlnnia  frondosa  in  seitlicher  Ansicht,  daneben  ein  Mundnrm  von 
unten,  um  die  Verästelungen  :zu  zeigen;  d  die  Endlüjmchen,  welche  die  kleinen  Oeff- 
nungen  tragen,  welche  in  die  "zum  Darm  leitende,  eanalartig  geschlossene  Annrinne  (a) 
ffthren  (nach  Agassi/,). 

Kerbe  einen  Sinneskör- 
per trägt  und  dalier  Sinncs- 
körperlappen    heisst.  Die 
B  Binneskörperlappei)  (Fig. 
1771  u.  II)  schliessen  bei 
manchen  Medusen  dicht  an- 
einander, bei  anderen  wer- 
den sie  durch  eine  „inter- 
mediäre", ebenfalls  gekerbte 
und  gelappte  Strecke  von 
einander  getrennt  und  sind 
dann  oft  nur  durch  genaue 
Untersuchung  herauszufin- 
den (Fig.  17*).  In  den  Ker- 
ben zwischen  den  Sinnes- 
körperlappen oder  in  den 
Kerben  der  intermediären 
Strecke    entspringen  die 
Tentakeln,  sofern  sie  nicht 
rückgebildet  sind. 

Durch  die  Sinneskör- 
per werden  in  der  Me- 
duse 8 Hauptradien  gekenn- 
zeichnet, von  denen  4  die 
Pe r  r a  di en,  4  mit  ihnen 
alternirende  die  Interra- 
dien  heissen  (Fig.  176). 
Adradien  endlich  nennt 
man  Linien,  welche  die  Win- 
kel der  Hauptradien  halbiren. 


Fig.  17!>.  Randkör|>»T  von  Aunliit  attn'ta,  „ 
Othohthen.  oc  Auge,  n  Nervenschicht,  ya  Gastral- 
canal,  *  Stützlamelle,  ttk  SiniK'skörj>er. 


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2(>4 


Coelenteraten. 


Die  Lappung  des  Sehirmrands  übt  einen  fundamentalen  Einthiss 
auf  alle  übrigen  Organe  aus;  zunächst  bedingt  sie  den  Mangel  des 
Veluin,  welches  functionell  durch  eine  dicke  circulare  Muskclmasse 
(Fig.  Kim,  S.  104)  auf  der  Subunibrella  des  Schirms  ersetzt  wird;  da- 
her der  Name  „Acraspeden".  Anstatt  eines  Nervenrings  bilden  sich  X 
getrennte  Nervencent  reu.  die  schon  genannten  Sinneskörper, 
welche  vollkommen  den  Hau  von  Tentakeln  (Fig.  179)  besitzen  lind 
somit  aus  einer  entodermalen  Axe  und  einem  cetodermalen  Ueberzug 
bestehen.  Erstere  schwillt  an  ihrem  Ende  stets  zu  einem  Otolithen- 
säckchen  an ;  in  letzterem  liegt  ein  dickes  Polster  von  Nervenfasern 
und  Ganglienzellen,  ab  und  zu  auch  ein  Pigmenttleck,  ein  einfachstes 
Auge.  Minder  deutlich  ist  der  Einfluss  der  Lappung  auf  die  vegeta- 
tiven Organe.  Das  G  astro  vascularsyst  cm  beginnt  mit  der  kreuz- 
förmig gestalteten  Mundöffnung;  die  Ecken  des  perradial  gestellten 
Kreuzes  sind  meist  in  lange,  wie  Fahnen  aus  dein  Schirm  herabhän- 
gende Mundarme  (Fig.  177)  verlängert,  welche  zum  Ergreifen  der 


Nahrung  viel  wichtiger  sind,  als  die  häutig  verkümmerten  Randten- 
takeln. Der  an  die  Mundöffnung  schliessende  Magen  bildet  alternirentl 
mit  den  Mundarmen,  d.  h.  interradial  4  Aussackungen,  die  Gastrogenital- 
taschen.  Das  Epithel  derselben  erzeugt  einerseits  eine  Gruppe  kleiner, 
in  der  Axe  von  Gallerte  gestützter,  äusserst  beweglicher  „Gastrai- 
ten takeichen",  andererseits  die  krausenartig  gefalteten  Bänder  der 
Geschlechtsorgane,  welche  somit  ganz  im  Gegensatz  zu 
den  Hydro  med  usen  ent  oder  mal  er  Herkunft  sind.  Vom 
Magen  und  seinen  Aussackungen  entspringt  der  periphere  Theil  des 
Gefässsystems.  Hei  allen  Medusenlarven,  den  Ephyren  (Fig.  170), 
vielfach  auch  bei  erwachsenen  Thieren,  verlaufen  s  radiale  Taschen 
zu  den  *  Randkörpern,  dazwischen  s  weitere  (adradiale)  Taschen  zu 
den  Tentakeln,  falls  letztere  vorhanden  sind.  Indessen  wird  diese  pri- 
mitive Anordnung  häutig  durch  ein  complicirtes  Gefässnetz  ersetzt 
Fig.  177). 


Fig.  180.  Entwick- 
lung von  Aurel ia 
anrita  aus  dem  Ei. 
In  der  ersten  Reihe 
Umbildung  «1er  Pla- 
nula  zum  Scyplutsto- 
ma ;  darunter  Seypho- 
ptonien  in  Strobila- 
tion  (AWhnürung 
von  Ephyren),  linkt 
ein  Scyphostoiua  vom 
oralen  Pnl  gesehen, 
recht.-*  2  Ephyren  in 
verschiedener  Lage 
(Hatsehek). 


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II.  Hydrozoen.  Scyphomedusen. 


205 


Bei  der  Darstellung  der  Fortpflanzung  der  Scyphomedusen  gehen  ,:^k- 
wir  von  den  Formen  mit  Generationswechsel  aus  (Fig.  180).  g^X*. 
Die  aus  dem  Ei  der  Meduse  entstandenen  Flimiuerlarven  setzen  sich 
fest  und  werden  zu  Scyphostomen,  welche  stets  zu  terminaler,  häufig 
auch  zu  lateraler  Knospung  befähigt  sind.  Durch  laterale  Knospung 
bilden  sich  immer  nur  neue  Scyphostomen,  durch  terminale  dagegen 
Medusen.  Im  letzteren  Fall  entwickelt  sich  eine  Strobila:  durch 
mehrere  hinter  einander  gelegene  ringförmige  Einschnürungen  zerfällt 
das  vordere  Ende  des  Scyphostoma  in  scheibenförmige  Stücke,  die 
Medusenanlagen,  welche  zunächst  noch  nach  Art  eines  f  assensatzcs  in 
einander  stecken.  Successive  reifen  nun  die  einzelnen  Stücke,  lösen 
sich  ab  und  schwimmen  als  „Ephyren"  davon.  Die  Ephyren  haben 
anfänglich  nur  vier  Gastralteutakeln,  die  abgelösten  oberen  Enden  der 
Gastralfalten  des  Scyphostoma ;  sie  besitzen  noch  keine  Randtenüikeln, 
wohl  aber  die  8  Sinneskörper  und  ihre  Lappen.  Indem  sich  die 
Ephyren  somit  wesentlich  von  Medusen  unterscheiden  und  erst  ganz 
allniählig  zu  geschlechtsreifen  Medusen  umgewandelt  werden,  combinirt 
sich  der  Generationswechsel  der  Scyphomedusen  mit  einer  ausgespro- 
chenen Metamorphose.  Diese  Metamorphose  bleibt  nun  auch  dann 
erhalten,  wenn  der  Generationswechsel,  was  häufig  geschieht,  unter- 
drückt wird ;  aus  dem  Ei  der  Meduse  entwickelt  sich  dann  direct  eine 
Ephyra,  die  sich  zur  geschlechtsreifen  Meduse  umwandelt.  Dagegen 
scheint  es  niemals  vorzukommen,  dass  die  Medusengeneration  ausfällt 
und  dass  geschlechtsreif  werdende  Scyphostomen  auf  geschlechtlichem 
Wege  direct  wieder  Scyphostomen  erzeugen. 

Von  den  bisher  besprochenen  typischen  Scyphomedusen  weicht  eine 
Reihe  von  Formen  im  Bau  und  wahrscheinlich  auch  in  der  Entwick- 
lungsweise ab;  dieselben  haben  höchstens  vier  Randkörper,  wäh- 
rend die  Stellen  der  vier  übrigen  von  Tentakeln  eingenommen  werden. 
Entweder  stehen  dann  die  Randkörper  auf  gleichen  Radien  mit  den 
Geschlechtsorganen,  d.  h.  in  den  Interradien,  und  die  Tentakeln  in  den 
dazwischen  gelegenen  Perradien:  Peromeduscn,  oder  es  ist  das  Umge- 
kehrte der  Fall :  Cubomidusen.  Endlich  kommt  es  auch  vor,  dass  gar 
keine  Randkörper  vorhanden  sind  und  ihre  Stellen  durch  acht  primäre 
Tentakeln  eingenommen  werden  oder  ganz  leer  bleiben :  Stauromedusen. 
Wir  sehen  somit,  dass  Randkörper  und  Tentakeln  für  einander  vica- 
riiren  können;  da  sie  ausserdem  im  Wesentlichen  gleichen  Bau  be- 
sitzen, kann  man  den  Satz  aufstellen,  dass  die  Randkörper  der  Scypho- 
medusen wie  die  Hörkölbchen  der  Trachymeduscn  umgewandelte  Ten- 
takeln sind. 

I.  Ordnung.  Stauromedusen. 

Die  bekanntesten  Sfaurowalusot  sind  die  Lnrrrnaricn.  deren  aborales 
Ende  in  einen  stielartigen  Fortsatz,  mit  welchem  sie  festsitzen,  ausgezogen 
ist.  Die  Stellen  der  8  Sinneskörper  sind  durch  kleine  Tentakelchen  oder 
eigentümliche  Haftapparate  eingenommen,  die  dazwischen  gelegenen  Strecken 
in  armartige  Fortsätze  verlängert,  an  deren  Enden  Büschel  von  Tentakeln 
sitzen.    Lucernaria  pyramidalis  H.  (Fig.  181). 

II.  Ordnung.  Peromedusen. 

Die  mit  4  interradialen  Siuueskörpem  versehenen  Pcrotnedusen  sind 


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2UÜ 


Coelenteraten. 


Tiefseeformen  und  waren  daher  alle  ungenügend  bekannt;  die  grösste  und 
am  meisten  untersuchte  Form  ist  die  PeriphyUa  mirabilis  H. 

Dl.  Ordnung.  Cabomedusen. 

Auch  die  Medusen  mit  4  perradialen  Sinnesorganen,  die  Oubomedusen, 
gehören  vornehmlich  der  Tiefsee  an ;  unter  ihnen  wurde  die  Charybdea 
marsttpialis  PeV.  et  Les.  als  Bewohnerin  des  Mittelmeers  schon  vor  längerer 
Zeit  beschrieben  (Fig.  182). 


IV.  Ordnung.  Discomeduseo. 

Unter  den  Scyphomedusen  stehen  die  Discomedusen  durch  den  grossen 
Reichthum  an  Arten  so  sehr  im  Vordergrund,  dass  wir  bei  der  allgemeinen 
Besprechung  ihren  Bau  und  ihre  Entwickluugsweise  zunächst  allein  be- 
rücksichtigt haben.    Namentlich  gehören  fast  alle  im  freien  Meere  lebenden 

Acraspedcn  zu  den  Discomedusrn. 
Sie  werden  nach  der  Beschaffen- 
heit der  Mundöffnung  eingetheilt. 
1 )  Die  Cannostomen  haben  ein  vier- 
kantiges Magenrohr  ohne  Mund- 
arme:  Nattsithoc  albida  Köll.  (Fig. 
83.  S.  108)  merkwürdig  dadurch, 
dass  ihr  unter  dem  Namen  Stcpha- 
noscyjrftus  mirabilis  beschriebener 
Scyphopolyp  in  Schwämmen 
schmarotzt.  2)  Die  Scmaeostomen 
(Fig.  177)  zeigen  die  Ecken  der 
Mundöffnung  in  4  lange  Muudanne 
ausgezogen,  welche  wie  äusserst 
bewegliche  Fahnen  aus  der  Glocken- 
mündung heraushängen.  Aurelia 
aurUa  L.,  die  Ohrenmeduse  von 
Nord-  und  Ostsee ;  Pelagia  noetiluca 
Per.  et  Les.  stark  meerleuchtend: 
miliaris  prototypus  H.  3)  Die  Riii- 
xostmneen  (Fig.  178)  haben  ebenfalls 
4  lange  Mundarme :  dieselben  sind 
ein-  oder  mehrmal  dichotom  ver- 
ästelt. Mundöffnung  und  Armfurchen  sind  durch  Verwachsung  geschlossen 
bis  auf  viele  kleine  Stomata,  die  zum  Aufsaugen  der  Nahrung  dienen. 
Rhixostvma  Pulmo  Les.;  Polyclonia  fromtosa  L.  Ag. 


Fig.  181 .  Lucernaria  Fi)».  182.  Charybdea 
pyramidalis  (aus  Hat-  marsupialis  (aus 
schek).  Hatsehek). 


III.  C lasse. 

Anthozoen,  Corallenthlerc. 

Die  ausschliesslich  im  Meer  lebenden  und  hier  hauptsächlich  durch 
die  Coraüen  und  Seerosen  vertretenen  Anthozoen  sind  mit  wenigen  Aus- 
nahmen auf  dem  Boden  festgewachsen  und  bilden  individuenreiche 
Colonien  von  oft  colossaler  Grösse.  Sie  gleichen  hierin  den  Hydroid- 
polypen,  mit  denen  sie  auch  in  der  Erscheinung  der  Einzelthiere  eine 


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III.  Anthozoen. 


207 


grosse  Aehnlichkeit  haben  (Fig.  183).    Wie  der  Hydroidpolyp,  so  ist 
auch  der  Anthozoen-  oder  Corallenpolyp  mit  Fusscheibe,  Mauerblatt, 
Mundscheibe  und  einem  Kranz  von  Tentakeln,  welche  an  dem  Ueber- 
gang  von  Mauerblatt  und  Mundscheibe  entspringen,  versehen ;  er  unter- 
scheidet sich  von  ihm  durch  die  grössere  Vervollkommnung 
in  der  histologischen  und  organologischen  Sonderung. 
Der   Corallenpolyp    besitzt  ein 
gut  entwickeltes  Mesoderm, 
indem  die  Stützlamelle  der  Hy- 
droiden    bei   ihm    durch  eine 
Schicht   zellenreichen  Bindege- 
webes ersetzt  wird,  welches  den 
Thieren  zumeist  einen  derberen, 
fleischigen  Habitus  verleiht;  vor 
Allem  aber  besitzt  er  einige  Ein- 
richtungen, welche  den  Hydroid- 
polypen  vollkommen  fehlen  und 
beim    Scyphopolypen   nur  eben 
angedeutet  sind:  das  Schlund- 
rohr   und    die    mit   den  Ge- 
schlechtsorganen  und   Mesente-     Fi  183 
rialfilamenten  versehenen  Sep-  Sagittalaxe.' 
ten. 

Wir  betrachten  zunächst  das  Schlundrohr  und  seine  Be- Schiundrohr. 
Ziehungen  zu  Mundscheibe  und  Mundöffnung.  Der  Mund  liegt  im 
Centrum  der  Mundscheibe,  ist  aber  in  einer  Richtung  meist  zu  einem 
Oval  oder  einer  Spalte  ausgezogen.  Man  kann  daher  —  ein  Zeichen 
für  die  zweistrahlige  Symmetrie  der  Thiere  —  durch  ihn  zwei  für  die 
Architektonik  des  ganzen  Corallenpolypen  wichtige,  auf  einander  senk- 
rechte Durchmesser  legen,  die  in  der  Längsrichtung  der  Spalte  ver- 
laufende Sagittalaxe  (Fig.  183  s — s)  und  die  dazu  senkrechte 
Trans versalaxe.  Von  den  Mundrändern  hängt  in  das  Innere  des 
Thiers  das  Schlundrohr  hinab,  ein  in  transversaler  Richtung  zu- 
sammengepresster  Schlauch,  der  am  unteren  Ende  mit  weiter  Mündung 
in  den  Centraimagen  führt  (Fig.  184  s).    Entwicklungsgeschichtlich  ist 


Antheomorplit  äajam.    S  S 


Fig.  1S4. 


Fig.  185. 


7tt 


Fig.  1S4.  Paracds 
excacata.  ms  Ring- 
muski  1.  k  Mauer- 
blatt ,  *  Mund- 
»cheibe,  *•  Schlund- 
rohr,  sr  Schlund- 
rinnen,  w/nSeptum, 
/  Fussschcibe. 


Fig.  IS."».  Cereus  spinosus.  Keilförmige  Lüngs- 
stücke.  herausgeschnitten,  um  den  Unterschied  von 
vollständigen  und  unvollständigen  Spten  zu  er- 
läutern, /*'  Septen  I.  Ordnung,  /<',  h',  /**  unvoll- 
ständige Scpten  II.,  III.,  IV.  Ordnung  mit  Ge- 
schlechtsorganen, tx— t*  die  zugehörigen  Tentakeln, 
a  Aeontien,  b  Mesenterialfilamente,  <  Septalstoma, 
ms  Ringmuskel. 


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208 


L'oelcnteraten. 


das  Schlundrohr  ein  eingestülpter  Theil  «1er  Mundscheibe;  es  ist 
daher  auf  seiner  Innenseite  mit  Kctoderm  bekleidet;  seine  untere 
Mündung  ist  dein  Mund  der  Hydroidporypen  zu  vergleichen, 
sppten.  Das  Schlundrohr  wird  in  seiner  Lage  befestigt  durch  radiale 
Scheidewände,  die  Septen,  welche  von  Mauerblatt.  Fuss-  und  Mund- 
scheibe ausgehen  und  an  (Ins  Schlundrohr  herantreten  (Fig.  185  A1)«  I)ie 
Septen  springen  wie  Coulissen  in  den  Centraimagen  vor  und  theilen 
den  peripheren  Abschnitt  desselben  in  zahlreiche  Nischen,  die  Radial- 
kammern,  welche  unterhalb  des  Schlundrohrs  mit  dem  Central- 
zusammenhängen.  nach  oben  dagegen  abgeschlossen  sind  und 


niageu 


Mpwntrrial. 


sich  hier  in  das  Innere  der  Tentakeln  fortsetzen.  Die  Tentakeln  sind 
demgemüss  Ausstülpungen  der  Kadialkammern  und  meist  in  gleicher  Zahl 
mit  ihnen  vorhanden.  Ausser  den  „vollständigen  Septen",  welche  das 
Schlundrohr  erreichen,  giebt  es  häutig  noch  „unvollständige",  welche 
halbwegs  mit  freiem  Rande  aufhören  (Fig.  Inf»  ä2  h*). 

Die  Septen  sind  die  Träger  einer 
Anzahl  wichtiger  Organe:  der  Mesen- 
terialtilamente ,  der  Geschlechtsorgane 
und  der  Muskelfahnen.  Die  Mese n- 
t  e  r  i  al  f  i  1  a  m  e  n  t  e  sind  dicke  Streifen 
eines  an  Drüsen-  und  Nesselzellen  rei- 
chen Epithels;  sie  fassen  die  Ränder 
der  Septen  ein  wie  der  Hesatz  den 
Saum  eines  Kleides.  Da  sie  viel  länger 
sind  als  die  Septen,  zwingen  sie  die 
Ränder  derselben,  sich  krausenartig  zu 
falten  und  gewinnen  dadurch  einige 
Aehnlichkeit  mit  dem  vielfach  gewun- 
denen, ebenfalls  an  einem  krausenartig 
gefalteten  Mesenterium  befestigten 
Säugethierdann.  Unterhalb  der  Mesen- 
terialfilamente entspringen  bei  gewissen 
Arten  noch  die  A conti  en,  Fäden,  die 
mit  Nesselkapseln  dicht  besetzt  sind 
und  zur  Vertheidigung.  sei  es  durch 
die  Mundöffnung,  sei  es  durch  Poren 
des  Mauerblatt«  (Cincliden)  heraus- 
geschleudert werden.  —  Die  (ie- 
°üffS?tt*Bchlcchts organe  —  nur  ausnahms- 
weise Hermaphrodit  —  liegen  einwärts 
von  den  Mesenterialtilamentcn  als  band- 
artige, vielfach  gefaltete  Verdickungen 
(Fig.  1>C>7i*  A3).  Ihre  Elemente  entstehen 
wie  bei  den  Scyphumeduscn  aus  dem  Ento- 
derm.  werden  aber  frühzeitig  in  die 
Septum  verlagert  (  Fig.  l*bV).  von  wo  sie  bei  der  Reife  durch  Platzen 
der  Hüllen  in  den  Magen  entleert  werden.  Die  Brut  verlässt  den 
Magen  auf  verschiedenen  Stadien  der  Entwicklung,  sei  es  als  Planulae 
(Fig.  ist)  III),  sei  es  als  kleine,  mit  Tentakeln  versehene  Thiere. 
MNVM1i!n"d  ^ur  M°rphologie  des  Corallenpolypcn  am  wichtigsten  sind 
Altern,  endlich  die  Muskelfahnen  der  Septen.  Muskeln  und  Nerven 
rinden  sich  sowohl  im  Entoderm  als  im  Ektoderm.  Während  aber  das 
Nervensystem  sich  besonders  im  Ektoderm  entwickelt  und  namentlich 


Fi^'.  lsii.  Querschnitt  durch  ein 
feteptum  von  E'lintnhia  tttbrrcitlata. 
t  nYLuU *\i>xi\\,  rk  KctfKlorm,  »*rMe*o- 
derni,  »>f  Mu*kelfahne,  o  Ovar,  r 
Mrsmtcriulfilnnunt. 

mesodennale  Stützschicht  des 


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III.  Anthozoen. 


209 


auf  der  Mundscheibe  eine  subepitheliale,  dicke  Schicht  von  Nerven- 
fasern und  Ganglienzellen  erzeugt,  ist  die  Muskulatur  im  Ektodenn 
meist  schwach  ausgebildet  und  hier  auf  Mundscheibe  und  Tentakeln 
beschränkt  Um  so  mächtiger  ist  die  entodermale  Muskulatur.  Am 
oberen  Ende  des  Mauerblatts  findet  sich  meist  ein  kräftiger  Ringmuskel, 
der  das  Mauerblatt  über  der  nervenreichen  Mundscheibe  zusammen- 
ziehen kann.  Die  Septen  endlich  sind  beiderseits  mit  Muskelfasern 
bedeckt,  auf  der  einen  Seite  mit  transversalen,  auf  der  anderen 
mit  longitudinalen.  Nur  letztere  sind  kräftig  entwickelt  und  erzeugen 
eine  vielfach  gefaltete  Muskellamelle,  die  wegen  ihres  Querschnittsbildes 
die  „Muskelfahne"  heisst. 

Bei  den  UexacoralUen  (Fig.  187)  sind  die  Septen  paarweise  grup- 
pirt,  indem  zwei  benachbarte  Septen  einander  nicht  nur  genähert  sind, 
sondern  ihre  Zusammengehörigkeit  auch  darin  bekunden,  dass  sie  sich 
gleichwerthige,  d.  h.  mit  gleich  gerichteter  Muskulatur  ausgerüstete  Seiten 
zukehren.  Die  Regel  ist,  dass  die  Septen  eines  Paares  die  „Muskelfahnen1- 
auf  zugewandten  Seiten  tragen.  Von  dieser  Regel  machen  nur  2  Septen- 
paare  eine  Ausnahme,  welche  sich  an  den  Enden  der  Sagittalaxe  des 
Schlundrohrs  befestigen,  die  Muskelfahnen  auf  abgewandten  Seiten  tragen 


Septen- 
itellimf. 

a)  Uexa- 
coralUen. 


Fig.  ISN.  Querschnitt 
einer  Oetoeorallie 
ci/oniuni);  x  Schlund« 
rinne,  1,  2,  3,  4  die 
Septen  der  einen  Seite, 
welche  genau  symme- 
trisch mit  denen  der 
anderen  Seite  angeord- 
net sind  und  sämmtlieh 
die  Muskelfahnen  auf 
der  gleichen  Seite  tra- 
gen. 

Fig.  IST.  Querschnitt  einer  Aetinie  (Adamsia  dinjthana).  A,  B  Rieh- 
tungsfäeher,  zugleich  Enden  der  Sagittalaxe,  welche  die  eine  Synunetrie- 
ebene  des  Körpers  bezeichnen,  während  die  zweite  dazu  senkrecht  steht. 
I—  IV  Cyclen  der  Septenpaare  I.— IV.  Ordnung,'  Ii  Hinnentach  I.  Ordnung, 
Z  Zwisclienfach  L  Ordnung,  in  welchem  neuangelegt  sind  Peptenpnare  und 
Binnenfäeher  II.,  III.,  IV.  Ordnung  (y*  g*  y*). 

und  Richtungssepten  heissen,  da  sie  eine  bestimmte  Richtung  im 
Körper,  nämlich  die  Sagittalaxe,  anzeigen.  Vermöge  der  paarigen  Grup- 
pirung  der  Septen  kann  man  zweierlei  Radialkammern  unterscheiden:  die 
innerhalb  eines  Septenpaares  gelegenen  Binnenfächer  und  die  zwischen 
zwei  Septenpaaren  gelegenen  Z  w  i  s  c  h  e n  i'ä  c  h  e  r.  Zum  verschiedenen 
morphologischen  Charakter  der  Radialkammern  kommen  Unterschiede  in 
der  Rolle,  welche  sie  beim  Wachsthum  der  Aetinie  spielen,  indem  eine 
Vergrösserung  des  Mauerblattes  und  eine  Vermehrung  der  Septen- 
paare  sich  nur  in  den  Zwischen  fächern  vollzieht.    So  haben 

Hertwij,  Uhrbuch  der  Zoologie.   3.  Auflage.  14 


» 


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210 


Coelenteraten. 


b)OctO- 
cunilliea. 


fast  alle  Actinien  auf  einem  bestimmten  Stadium  der  Entwicklung  6  Septen- 
paare  (2  Paar  Richtungssepten  und  gleichmässig  dazwischen  links  und 
rechts  vertheilt  4  weitere  Septenpaare) ;  sie  sind  die  Septen  erster 
Ordnung  oder  die  Hauptsepten.  Wenn  die  Septenzahl  weiter  zu- 
nimmt, so  treten  neue  Septen,  Septen  zweiter  Ordnung,  nur  in  den 
Zwischenfächern  paarweise  auf:  zu  den  6  Paaren  erster  Ordnung  treten 
6  weitere  Paare  zweiter  Ordnung.  Da  das  hier  kurz  angedeutete  Princip 
des  Wachsthums  dauernd  beibehalten  wird,  so  muss  sich  die  Vermehrung 
der  Septen  und  demgemäss  auch  der  Tentakeln  nothgedrungen  in  Multiplen 
von  6  bewegen;  es  entwickeln  sich  weiter  12  Paare  dritter  Ordnung,  später 
24  Paare  vierter  Ordnung  etc. 

Sehr  viel  einfacher  verhalten  sich  die  aehtxähHgen  Anthoxoen,  bei  denen 
nie  mehr  als  8  einzelne  Septen  vorkommen  (Fig.  188).  Dieselben  ver- 
theilen sich  gleichmässig  zu  beiden  Seiten  des  Schlundrohrs  derart,  dass 
4  auf  der  linken,  4  weitere  auf  der  rechten  Seite  der  Sagittalaxe  stehen. 
Auch  hier  sind  die  transversalen  und  longitudinalen  Muskelfasern  voll- 
kommen gesetzmässig  vertheilt,  so  dass  man,  je  nachdem  man  von  dem 
einen  oder  dem  anderen  Ende  der  Sagittalaxe  ausgeht,  nur  zugewandte 
oder  nur  abgewandte  Muskel fahnen  vor  sich  hat. 


Fig.  180. 


Fig.  190. 


Fig.  189.  CoraUium  rubrum  (aus 
HuxTcy  nach  Lacaze  Duthiers).  I. 
Stück  eines  Siöekchens  mit  ganz 
und  halb  (A,  Ii)  zurückgezogenen 
und  vollkommen  entfalteten  (C) 
Polypen.  «  Coenosark-Kclch  zur 
Aufnahme  des  Polypen.  b  Tentakel- 
krone.  II  Stück  eines  Astes;  der 
Weichkörper  (A)  gespalten  und  eine 
Strecke  zurückgeklappt.  Skeletaxe 
ilr)  mit  ihren  Canellirungeu  frei- 
gelegt; f  grössere  Coenosarkröhxeu, 
die  die  Oanellirung  veranlassen, 
//  <1;ls  Netz  feinerer  Coenosarkröhren. 
LI  die  zum  Theil  in  das  Coenosark 
zurückgezogenen  Polypen;  a  Ein- 
stülpun^srand,  c  Rand  der  einge- 
gestülpten  Tentakeln  (if),  b  eingestülpter  Theil  des  .Mauerblatts,  k  Mund,  m  Schlund- 
rohr, i  Magen,  j  Septen.    III  und  YV  Flimmerlarven. 

Fig.  190.    Scleropltylliu  luurtjariticula  (nach  Klunzinger). 


Kno.pung.  Ausser  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  besitzen  fast  säinmt- 
liche  Anthozoen  die  Fähigkeit,  sich  durch  Knospung  zu  vermehren. 
Nur  selten  lösen  sich  die  Knospen  ab ;  meist  bleiben  sie  mit  dein 
Mutterthier  zur  Bildung  von  Colonien  (Fig.  189)  verbunden,  welche 


III.  Anthozoen. 


211 


gewöhnlich  aus  vielen  Hunderten  und  Tausenden  von  Individuen  zu- 
sammengesetzt sind.  Der  Zusammenhalt  wird  dann  bewirkt  durch 
ein  reichliches,  vorwiegend  aus  Mesodenn  bestehendes  Coenenchym 
oder  Coenosark,  weichesauf  seiner  Oberfläche  von  Ectoderm  über- 
zogen, im  Innern  von  reich  verästelten  und  anastomosirenden  Ento- 
dermcanälen  durchsetzt  wird.  Bei  Beunruhigung  können  sich  die 
Einzelpolypen  blitzschnell  in  das  Coensosark  zurückziehen. 

Die  stockbildenden  Anthozoen  haben  fast  stets  ein  vom  Ectoderm  speiet, 
aus  entstehendes  Skelet  von  kohlensaurem  Kalk  oder  einer  orga- 
nischen Substanz,  welche  man  Hornsubstanz  nennt,  obwohl  sie  nicht, 
mit  dem  Keratin  der  Wirbelthiere  identisch  ist.  Auch  kommt  es  vor, 
dass  sich  das  Skelet  aus  altemirenden  Kalk-  und  Hornstücken  aufbaut. 
Der  Anordnung  nach  unterscheidet  man  Axen-  und  Rindenskelete. 
Die  Axenskelete  beschränken  sich  auf  die  innersten  Partien  des 
Coenosarks,  lassen  dagegen  die  weiche  Rinde,  in  welcher  die  Polypen 
wurzeln,  wie  auch  die  Polypen  selbst,  unverkalkt.  Die  Rindenskelete 
gehen  dagegen  von  den  Polypen  aus  und  wiederholen  die  complicirte 
Structur  derselben  bis  zu  einem  gewissen  Grade  (Fig.  1!H),  191).  Stets 
ist  eine  Theca  vorhanden,  ein  Kalkcylinder,  welcher  an  das  Mauer- 
blatt des  Einzelpolypen  erinnert;  meist  kommen  dazu  radiale  Scheide- 
wände, welche  man  im  Gegensatz  zu  den  Scheidewänden  des  Weich- 
körpers Sklerose pten  nennt. 


Fi*;.    191.     Schliff  durch  das   Skelet  von  Linie  ab  ist  der  Schnitt  durch  das 

Caryophyttia   Cyathus    (nach  Koch).     Nach  Bchlundrohr,  unterhalb  der  Linie  ah 

aussen  'fheca,  weiter  Septen  (/ — XIII.  und  2.  unter  dem  Schlundrohr  jrefiihrt.  Das 

Cvclus),  Pali  und  im  Centrum  die  Columella.  Skelet  schwarz,  ;•  Rieht ungssepten. 


Die  Sklerosepten  können  über  den  Mündungsrand  der  Theca  herüber- 
greifen und  auf  der  Aussenwand  als  Costae  herablaufen.  Ein  dem 
Schlundrohr  vergleichbarer  Abschnitt  fehlt,  dagegen  erhebt  sich  aus  dem 
Grund  des  Ealkcylinders  ein  Haufen  von  kleinen  Säulchen,  welche  in  ihrer 
Gesammtheit  die  Columella  darstellen  (Fig.  191).  Wenn  zwischen  dein 
freien  inneren  Rand  der  Septen  und  der  Columella  besondere  Kalkpfeiler 
stehen,  nennt  man  dieselben  Pali.  Feinste  Kalkstäbchen,  Synaptikeln, 
können  die  Septen  quer  untereinander  verbinden.  Besondere  Skeletstücke, 
die  T  a  b  u  1  a  e  ,  endlich  werden  durch  die  Wachsthumsverhältnisse  des  Po- 
lypen veranlasst.  Dieser  baut  am  oberen  Rande  der  Theca  «las  Skelet  immer 
weiter  und  verlässt  in  gleichem  Maasse  die  tieferen  Partien  desselben. 

14* 


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212 


Coelentcraten. 


Gegen  den  verlassen»'»  Theil  grenzt  er  sich  durch  horizontale  Scheide- 
wände ab,  die  je  nach  ihrer  Structur  Tabulae  oder  Dissepimente  genannt 
werden. 

Früher  glaubte  man.  dass  die  Corallenskelete  nichts  Anderes  seien 
als  die  mit  Kalk  imprägnirten  einzelnen  Theile  des  Weichkörpers,  und 
hat  von  crsteren  ohne  Weiteres  einen  Rüekschluss  auf  die  Anordnung 
der  letzteren  gemacht.  Dies  hat  sich  als  ein  vollkommener  Irrthuni 
herausgestellt:  die  Sklerosepten  bilden  sich  zwischen  den  Sarko- 
septen  in  den  Radialkammern  und  ebenso  die  Theca  innerhalb  und 
in  einiger  Entfernung  vom  Mauerblatt  (Fig.  1i>2).  Von  vorn- 
herein ist  es  daher  wahrscheinlich,  aber  nicht  durchaus  nothwendig.  dass 
der  Numerus  der  Sklerosepten  dem  der  Sarkosepten  entspricht :  hei 
manchen  Corallen  fehlt  sogar  diese  rebereinstimmung,  wie  z.  B.  bei 
den  Hclioporidcn,  welche  man  nach  ihrem 
Skelet  früher  für  Hcxacornllien  hielt,  wäh- 
rend ihr  Weichkörper  sie  unzweifelhaft 
unter  die  Octocorallien  verweist. 
cor*iiem,if,  Vermöge  ihrer  Skeletbildung  legen  die 
Antlwzocn  grosse  Mengen  von  kohlensaurem 
Kalk  in  gewaltigen,  aus  dem  Grund  des 
Meeres  aufsteigenden  Hauten,  den  Corallen- 
riffen,  fest,  welche  aus  verschiedenen  Arten 
bestehen,  unter  denen  aber  die  Mmlre- 
porarien  die  dominirende  Rolle  spielen. 
Wenn  die  Riffe  die  Meeresoberfläche  er- 
reichen, können  sie  zur  Bildung  von  kleinen 
Inseln  Veranlassung  geben ,  die  durch 
eigenthümliche  Gestalt  ausgezeichnet  sind: 
am  merkwürdigsten  sind  die  Atolle,  Ringe,  ^  m  Oadocora  ro«m- 
in  deren  Innerem  sich  ein  Recken  von  to«a  (nwh  Heider).  Verhältnis 
Meerwasser  befindet.  Die  Entstehung  von  Skelet  und  Weichkftrper. 
solcher   Atolle,   wie   die   Entstehung  der 

Strand-  und  Rarriereritte  ist  Gegenstand  vieler  Theorien  geworden, 
unter  denen  Darwin  s  Theorie  vom  Corallenwachsthum  lange  Zeit 
über  am  meisten  Anklang  gefunden  hat. 

I.  Ordnung.    Octocorallien,  Alcyonarien. 

Die  Alcyonarien^  anatomisch  durch  die  Anwesenheit  von  8 
Einzelsepten  charakterisirt  (Fig.  lssj,  lassen  sich  äusserlich  sofort 
daran  erkennen,  dass  nur  S  Tentakeln  vorkommen  und  dass  diese  8 
Tentakeln  gefiedert  sind ,  d.  h.  ausgerüstet  mit  zwei  Reihen  kleiner 
Ausstülpungen,  die  von  der  Rasis  nach  der  Spitze  des  Tentakels  kleiner 
werden  (Fig.  lHU).  Die  Thiere  ziehen  im  Allgemeinen  die  grossen 
Meerestiefen  dem  Aufenthalt  an  der  Küste  vor. 

I.  Unterordnung  Altyonßccen.  Das  meist  ansehnliche,  fleischige, 
festgewachsene  Polypar  ist  durchsetzt  von  zahlreichen,  inesodermalen  Kalk- 
stücken, den  Sklerodermiten,  welche  aber  nicht  zu  einem  zusammenhängen- 
den Skelet  verkleben.    Ahyonhnn  jxjlmatmn  Pall. 

II.  Unterordnung.  Uoryoniacren.  Eine  fest  aufgewachsene,  reich 
verästelte  Skeletaxe  wird  von  einem  Weichkörper  überzogen,  in  den  sich 
die  weichen  Polypen  zurückziehen  können.  Bei  den  Goryoninen  ist  die 
Skeletaxe  rein  hornig:    Goryonio  mrueosa  Pall.;  bei  den  kidinen  besteht 


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III.  Anthozoen :  Octocorallien.  Hexacorallien. 

» 


213 


sie  aus  alternirenden  Horn-  und  Kalkstücken:  Isis  clonyata  Esp. ;  bei  den 
CoraUinen  ist  sie  rein  kalkig:  Corallium  rubrum  Lam.,  Edelcoralle,  lebt  in 
Tiefen  von  ca.  100  Mtr.  an  den  Küsten  von  Algier,  Corsica,  Sardinien 
und  den  Cap-Verdischen  Inseln,  auf  sogenannten  Corallenbänkon.  Der  Erlös 
der  besonders  von  Neapel  aus  betriebenen  Fischerei  wird  jährlich  auf 
2  Millionen  Francs  geschätzt. 

III.  Unterordnung.  Penuatidaecen.  Die  rein  hornige  Skeletaxe 
bleibt  unverästelt;  der  Coeuosarküberzug  besteht  aus  einem  unteren  und 
oberen  Abschnitt;  ersterer  kann  zu  einer  Blase  aufgebläht  werden  und 
gräbt  sich  locker  in  den  Meeresboden  ein ;  letzterer  trägt  allein  die  häufig 
in  Fiederblättchen  angeordneten  Polypen.  Pennatula  phosphorea  Ellis  hat 
wie  viele  andere  Alcijonarien  ein  intensives  Leuchtvermögen. 

IV.  Unterordnung.  Tufn'/jornecen.  Das"  Skelet  besteht  aus  zahl- 
reichen Kalkröhren,  die  wie  Orgelpfeifen  neben  einander  stehen  und  durch 
quere  Wände  verbunden  sind.    Tubipora  Hemprichi  Ehrbg.,  Orgelcoralle. 

V.  Unterordnung.  Heliojtonmen.  Das  Skelet  ist  wie  bei  manchen 
Hexacorallien  eine  massive  Kaikniasse,  in  welcher  Aushöhlungen  für  die 
zahlreichen  Polypen  enthalten  sind.  Die  Anwesenheit  von  Sklerosepten 
war  lange  Zeit  Ursache,  die  Thiere  für  Hexacorallien  zu  halten.  IMUnntm 
caerulea  Blaiuv. 

II.  Ordnung.    Hexacorallien»  Zoantharien. 

Für  die  Hexacorallien  sind  in  erster  Linie  die  .schlauchförmigen, 
nicht  gefiederten  Tentakeln  charakteristisch;  erst  in  zweiter  Linie 
kann,  die  oben  erläuterte  seehszählige  und  paarige  Oruppirung  der 
Septen  zur  Charakteristik  benutzt  werden.  Denn  wenn  dieselbe  auch 
für  die  überwiegende  Mehrzahl  der  Formen  gilt,  so  giebt  es  doch  Aus- 
nahmen von  der  Regel.  Einerseits  kennen  wir  die  achtzähligen,  mit 
gewissen  Larvenstadien  der  Actinien  übereinstimmenden  Edwardsien, 
bei  denen  die  typische  Hexucorallienstructur  noch  nicht  erreicht  ist, 
andererseits  die  Zoanthcen,  Ceriantkeen  und  Antipatharien,  bei  denen 
die  sechszählige  Anordnung  eine  wesentliche  Abänderung  erfahren  hat. 

I.  Unterordnung.  Mfilneodrrmen,  Aetiuiarien,  Seerosen.  Die  hierher 
gehörigen  Anthoxocn  sind  skoletlose,  meist  einzellebende  Thiere  mit  zahl- 
reichen Cyclen  von  Septen  und  Tentakeln ;  sie  finden  sich  in  allen  Klimaten 
und  in  allen  Meeresschichten,  von  der  Fluthgrenze  bis  zu  den  grössten 
Meerestiefen,  selten  frei  schwimmend,  meist  an  Steinen  festsitzend.  Mit 
Ausnahme  der  gänzlich  unbeweglichen,  colonialen  Zoanthcen  vermögen  die 
Actinien  auf  ihrer  zum  Ansaugen  dienenden  musculösen  Fussscheibe  zu 
kriechen  wie  Schnecken  auf  ihrem  Fuss.  Den  deutschen  Namen  „ Seerosen u 
verdanken  die  Thiere  theils  ihren  lebhaft  bunten  Farben,  theils  der  grossen 
Zahl  der  Tentakeln,  welche  wie  Blumenblätter  einer  gefüllten  Kose  in 
vielen  Reihen  hinter  einander  vom  Rand  der  Mundscheibe  entspringen. 
Bei  Beunruhigung  werden  die  Tentakeln  verkürzt  und  der  obere  Rand  des 
Mauerblatts  durch  den  Sphinkter  über  ihnen  und  der  nervenreichen  Mund- 
scheibe zusammengezogen.  Anemonin  enuina  L.  Adnmsia  pallititn  Forb., 
bekannt  durch  die  Symbioso  mit  «lein  Einsiedlerkrebs  Popirus  Prideouxi. 

II.  Unterordnung.  Antipftfhnrien.  Die  Antipnthnrien  vertreten  unter 
den  Hexacorallien  die  Goryonien;  sie  haben  eine  glänzend  schwarze,  hornige, 
verästelte  Axe,  überzogen  von  Coenenchym,  in  welchem  kleine  Polypen 
mit  rudimentären  Septen  sitzen:  durch  ihre  schlauchförmigen  Tentakeln  sind 
sie  als  llcsacorullien  charakterisirt.    AntijHiIhes  lanjux  Ellis. 


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214 


Coelenteraten. 


III.  Unterordnung.  Sklerodermm.  Corallen.  Diese  umfangreichste 
Gruppe  der  Aiühoxocn  zeichnet  sich  durch  die  ganz  vorzügliche  Entwick- 
lung des  Kalkskelets  aus.  Stets  sind  Tbeca  und  Septen  vorhanden,  meist 
Collumella,  Synapticulae,  Pali  und  Dissepimente,  sehr  häufig  auch  Costae. 
Selten  sind  einzellebende  Formen,  wie  die  Fungim,  Caryophyllien  und  Fla- 
hellen,  meist  sind  zahlreiche  (nicht  selten  Tausende)  Einzelthiere  durch 
reichliches  Coenenchym  zu  einer  Colonie  verbunden,  welche  entweder  rasen- 
artige Ueberzüge  oder  verästelte  Bäumchen  bildet.  Zwischen  Colonien  und 
einzellebenden  Formen  giebt  es  alle  Uebergänge  (Fig.  190,  193,  194,  195). 
Eine  Colonie  entsteht  von  einem  Einzelthier  aus  durch  fortgesetzte  Thei- 
lung  oder  Knospung;  wenn  Theilung  und  Knospung  nicht  zum  Abschluss 
kommen,  können  sich  mäandrisch  verschlungene  Reihen  äusseret  unvoll- 
kommen gegen  einander  abgesetzter  Individuen  bilden,  wie  das  bei  den 
Mdandrinrn  der  Fall  ist,  bei  denen  es  gar  nicht  möglich  ist,  die  Zahl  der 
in  einer  Colonie  enthaltenen  Thiere  zu  bestimmen;  eine  Mnandrinc-  könnte 
man  als  ein  einziges,  in  mäandrisch  verschlungene  Verzweigungen  ausge- 
wachsenes Thier  auffassen  (Fig.  196). 


Fig.  194.  Faria  rarer  nom  (nach  Klun-  Fijr.  19."».  Corloria  arabira  (nach 
zinger).  Klunzingcrj. 

Da  nur  von  wenigen  Corallcn  die  Weichtheile  genauer  bekannt  sind, 
ist  man  bei  der  Systematik  ausschliesslich  auf  die  Structur  des  Skelets 
angewiesen.  Die  Eporosen  haben  ein  compactes  Skelet.  Zum  Theil  sind 
sie  einzellebend:  Caryophyttia  eyathus  Lmx.  (Fig.  191),  Srjrrophyllia  marga- 
rüicota  Klzgr.  (Fig.  190) j  zum  Theil  bilden  sie  verästelte  Stöcke:  Amphi- 

Itciia  oculata  L.,  die 

weisse  Coralle : 
zum  Theil  haben 
die  Stöcke  die  Ge- 
stalt von  rasen  ar- 
tigen Ueberzügeu 
oder  Knollen :  ( 'In- 
docora  caespitosa  E. 
H.  (Fig.  193).  Mus- 
sa  eorymbosa  Dana, 
Cochria  arnbim 
Klzgr.  (Fig.  195); 

Furia  mvernosn 
Klzgr.  (Fig.  194), 


L—  M*   ;•'       >  r» 


Fijr.  19*1.    Mtidrrpttm  cn/tfiram  (nach  Klunzingcr). 


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IV.  Ctenophoren. 


215 


Astraea  radians  Ok.  —  Bei  den  Perforaten  dagegen  ist  das  Skelet  porös 
nach  Art  eines  feinen  Schwammgerüsts.  Madrepora  erythraea  Klzgr.  (Fig. 
196).    Dendrophyüia  ramca  L.    Astroidcs  calycutoris  Pall. 

Gewisse  fossile,  vorwiegend  auf  die  palaeozoischen  Formationen  be- 
schränkte Corallen  unterscheiden  sich  von  den  recenten  Formen  durch  die 
vierzahlige  Anordnung  der  Septen,  sie  bilden  die  ausgestorbene  Ordnung 
der  Tetracorallien  oder  Rugosen. 


IV.  C lasse. 
Ctenophoren,  Rippenquallen. 

Die  Ctenophoren  übertreffen  alle  pelagischen  Organismen,  selbst  u«*»". 
die  Medusen,  an  Durchsichtigkeit  und  Zartheit  der  Gewebe;  manche 
unter  ihnen  sind  so  ausserordentlich  weich,  dass  schon  ein  heftiger 
Wasserstrahl  genügt  um  sie  zu  zerreissen,  und  dass  alle  Versuche,  sie 
zu  conserviren,  bis  jetzt  gescheitert  sind.  Fast  stets  ist  ihr  Körper 
(Fig.  199)  zweistrahlig  symmetrisch,  d.  h.  er  kann  nach  der  Richtung  der 
Transversal-  und  Sagittalaxe  in  symmetrische  Hälften  zerlegt  werden. 
Indem  für  gewöhnlich  die  Längsaxe  die  untereinander  gleichen  Ncben- 
axen  an  Grösse  etwas  übertrifft,  ist  der  Körper  meist  oval  oder  birn- 
förmig:  selten  ist  er  durch  starkes  Wachsthum  in  der  Sagittalaxe 
bandförmig  verlängert,  wie  bei  dem  Venusgürtel. 

Grundlage  des  Körpers  bildet  eine  weiche  Gallerte  mit 
Bindegewebszellent  die  nach  allen  Richtungen  durchsetzt  wird  von 
glatten,  an  den  Enden  verästelten,  vielkernigen  Muskelzellen,  welche 
wahrscheinlich  von  besonderen  Nervenfasern  gekreuzt  und  innervirt 
werden.  Auf  der  Oberfläche  wird  dieses  gallertige  Substrat  von  den* 
E et o denn  bedeckt,  im  Innern  von  den  reichlich  verästelten  Ento- 
dermcanälen  durchzogen. 

Im  Ectoderm  befindet  sich  am  aboralen  Pole  (Fig.  199  Bp)  am  sinne». 
Grunde  einer  Vertiefung  eine  verdickte  Stelle,  der  Sinneskörper,  körp*r' 
welcher  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  einem  Hörbläschen  hat  Das 
hohe  Sinnesepithel  bildet  eine  flache  Grube  (Fig.  200  B);  starre  Haare, 
welche  vom  Rand  der  Grube  sich  erheben,  fügen  sich  zu  einem  glocken- 
artigen Aufsatz  zusammen,  welcher  die  Grube,  wenn  auch  unvoll- 
kommen, zu  einem  Bläschen  schliesst  Im  Innenraum  liegt  ein 
kugeliger  Haufen  von  kleinen  Otolithen,  balancirt  auf  4  in  zitternder 
Bewegung  begriffenen  S-förmig  gekrümmten  Büscheln  von  Wimpern, 
die  unter  einander  verklebt  einen  federnden  Trageapparat  darstellen. 
Von  den  Wimperbüscheln  gehen,  anfangs  paarweise  vereint  später 
divergirend,  nach  dein  oralen  Ende  zu  8  Streifen  verdickten  Epithels 
aus.  welche  wir  in  Anbetracht  ihres  meridionalen  Verlaufs  Meridian- Rudmeiheo. 
streifen  nennen  wollen  (Fig.  199  A  tos);  sie  bestehen  zum  Theil 
aus  Wimperepithel,  zum  Theil  aus  den  charakteristischen  Ruder- 
plättchen,  welche  die  Fortbewegung  der  Ctenophoren  vermitteln 
und  als  quere  Reihen  langer,  verklebter  Wimpern  aufgefasst  werden 
müssen.  Die  Ruderplättchen  (Fig.  197)  entspringen  von  dicken  Epithel- 
wülsten, welche  quer  zur  Richtung  der  Meridianstreifen  gestellt  und 
so  weit  von  einander  entfernt  sind,  dass  die  freien  Ränder  der  oberen 
Blättchen  die  Basen  der  unteren  dachziegelartig  decken.  In  Folge 
ihrer  faserigen  Structur  irisiren  die  Ruder  im  Sonnenlicht  in  den  leb- 


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21 G 


Coelenteraten. 


härtesten  Farben  und  erzengen  bei  der  Bewegung  ein  prachtvolles 
Spiel  von  metallischen  rothen,  blauen  und  grünen  Glanzlichtern,  welche 
den  Meridianstreifen  entlang  fliessen.    Von  den  zahllosen  kleinen 


Fig.  199. 

Fig.  197.  Rudcrplattehen  mit  Epithelpolster  (nach  Chan). 

Fig.  198.    Hormiphora  plumosa  (nach  Chan). 

Fig.  199.  Plcurobrachia  rhodmlactyla  (nach  Chun).  A  Ansicht  vom  aboralen|Pol, 
B  Ansicht  von  vorn ,  C  Ansicht  von  der  Seite,  nc  Siiuioskörper ,  p  Polplatten , 
v  Ruderreihen,  n  Flinunerrinncn,  tb  Tcntakelbasis,  ist  Tentakelstarain,  /  Fangfaden, 
seh  Tentakelscheide,  sclto  Oeffnung  derselben,  o  Mundöffnung,  /«  Magen,  tr  Trichter, 
tr.g  Trichtcrgefasse,  ex  Oeffnungen  derselben,  c.pr  linker  und  rechter  Gefüssstamm,  der 
sich  in  die  mtcrradialcn  Gefässe  (c.ir)  und  die  Rippenge  fasse  (c.adr  und  g)  theilt, 
mg  Magongefiis.se ,  tg.sch  Tentakelgefässo ,  sp  Hodcnstroifen ,  ov  Ovarialstreifen  der 
Rippengofame  j  1-T  Transversalaxe,  M  Sagittalaxe. 


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IV.  Ctenophoren. 


217 


Ruderehen  getrieben,  vermag  das  Thier  sich  in  Bewegung  zu  setzen. 
Da  die  Ruderreihen  erst  in  einiger  Entfernung  vom  aboralen  Pole 
beginnen,  sind  sie  mit  dem  Sinneskörper  durch  Streifen  Wimper- 
•  epithels,  die  Flimmerrinnen  (Fig.  200  A  ws) ,  in  Verbindung 
gebracht. 


Aus  dem  Ectodermepithel  entstehen  noch  2  weitere  Organe,  die 
2  Pol  platten  und  die  2  Tentakeln.  Erstere  sind  Epithelzungen, 
welche  in  sagittaler  Richtung  vom  Sinneskörper  aus  eine  kurze  Strecke 
weit  reichen  und  vielleicht  Riech-  oder  Gcsehmacksorgane  darstellen  ; 
letztere  entspringen  am  Ende  der  Transversalaxe  am  Grunde  von  tief 
eingestülpten  Säcken,  in  welche  sie  zurückgezogen  werden  können.  Am 
Grunde  des  Tentakelsackes  befindet  sich  die  Tentakelwurzel;  von  ihr 
erhebt  sich  der  lange  Tentakelstamm,  von  dem  wiederum  die  seitlichen 
Senkfäden  herabhängen.  Tentakelstamm  und  Senkfäden  haben  eine 
Axe  von  Längsmuskeln,  welche  von  Epithel  überzogen  wird.  Der 
epitheliale  Ueberzug  besteht,  abgesehen  von  wenigen  Sinneszellen, 
ausschliesslich  aus  den  Klebzellen,  kugeligen  Körperchen,  welche  ein 
äusserst  klebriges,  in  Körnchen  abgelagertes  Serret  enthalten  und 
ähnlich  dem  Körper  einer  Vorticelte  mit  ihrem  basalen  Ende  auf 
einem  spiralen  Stielmuskel  sitzen  (Fig.  HU).  Die  Function  der  eigen- 
thümlichen  Zellen  ist  so  zu  verstehen,  dass  Beutethiere,  welche  von 
dem  klebrigen  Secret  festgehalten  werden,  zunächst  die  Stielmuskeln 
ausdehnen  können,  dann  aber  durch  die  spirale  Zusammenziehung  der- 
selben wieder  in  das  Niveau  der  EpitheloberHäche  gebracht  werden. 

Das  Ectoderm  hat  endlich  noch  Antheil  an  der  Bildung  des  n»™.  uod 
Gastro  v  asc  ula  r  syst  e  ms  (Fig.  1  *.»*»)-  An  der  Mundöffnung,  welche  (iVor?i£hu~ 
bei  normaler  Haltung  des  Thieres  das  untere  Ende  der  Hauptaxe  be- 
zeichnet, schlägt  es  sich  in  das  Innere  ein  und  kleidet  einen  ansehn- 
lichen Hohlraum  aus,  der  dem  Schlundrohr  der  Actinien  verglichen 
werden  kann,  aber  allgemein  noch  Magen  genannt  wird.  Erst  am 
hinteren  Ende  dieses  Hohlraums  beginnt  der  eigentliche  entodermale 
Magen,  der  sogenannte  Trichter,  von  dem  aus  zahlreiche,  meist 


Fip.'J'N»  A.  Al>«»nUYr  K«'ir|MT|M»l  von 
(lall in  in im  hinhün  um-.  Lan^i.  im 
Wiini«  r-tn  iffii .  /  Federn,  welche 
den  Otolithcnhanfen  </  trafen.  $k 
Sinne«k«"irjMT.  /<//  l'olplnttcn,  t<>  Oeff- 
nongen  der  TrichtergofSiwc. 


Fig.  '_'<>0  H.  Qnersehnitt  dnreh  den 
Sinneskürjier  von  ('ulliiniira,  links  (.1) 
dnreh  das  Cent  nun,  rechts  [B)  etwas 
t  xrrntriseh  geführt,  f  Federn,  welehe  den 
<  >tolithenhauf<'n  0  tragen,  tl  Dach  der  Sin- 
nes|Lrrnl»e.  >■<•  Sinneszellen.  //  Piirtneiit/ellen. 


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218 


Coelenteraten. 


blind  geschlossene  Canäle  sich  in  der  Gallerte  verbreiten,  um  die 
einzelnen  Organe  zu  versorgen.  Zwei  (selten  vier)  Canäle.  die 
Trichtergefässe,  verlaufen  nach  dem  aboralen  Pole  und  münden 
hier  in  gekreuzter  Stellung  neben  dem  Sinneskörper:  ein  zweites  Paar 
Canäle  tritt  an  die  Tentakelwurzel  heran,  ohne  jedoch  in  sie  ein- 
zudringen, ein  drittes  Paar  begleitet  den  Magen.  Die  wichtigsten 
unter  sämmtlichen  Canälen  sind  aber  die  Rippen  gefässe,  welche 
aus  dem  Trichter  mittelst  eines  linken  und  rechten  zweimal  dichotom 
verästelten  Hauptcanals  entspringen ;  8  an  der  Zahl,  verlaufen  sie  unter 
den  Meridianstreifen  und  dienen  nicht  nur  diesen,  sondern  auch  den 
Geschlechtsorganen  zur  Ernährung.  Jedes  Rippengefäss  enthält  nämlich 
in  seinem  dem  Ruderplättchen  zugewandten  Epithel  2  Längsstreifen 
von  Geschlechtszellen,  von  denen  der  eine  männlich,  der  andere 
weiblich  ist;  dieselben  stammen  trotz  ihrer  Lagerung  im  Entoderm 
wahrscheinlich  aus  dem  Ectoderm.  Die  Vertheilung  der  Geschlechts- 
strcifen  ist  sehr  gesetzmässig,  indem  2  Rippengefösse  auf  den  einander 
zugewandten  Seiten  stets  gleichartige  Geschlechtsorgane  tragen.  Die 
Entleerung  der  Geschlechtsproducte  erfolgt  durch  das  Lumen  der 
Gastrovascularcanäle. 

Die  artenarme  Gruppe  wird  nach  dem  Vorhandensein  oder  dem  Fehlen 
der  Tentakeln  eingetheilt.  Mit  Tentakeln  versehen  (Tenlamlata)  sind  die 
theils  kugelig,  theils  birnfbrmig  gestalteten  Cydippiden:  Plcurobrachia  rhodo- 
daciyla  Ag.  (Fig.  1W>),  Ilormiphora  plumosa  Ag.  (Fig.  198)  und  die  band- 
förmigen Ccstidm:  Cestus  Vcneris  Les.,  Venusgürtel.  Tentakellos  (Nuda), 
mit  weitem  Magen  ausgerüstet  sind  die  kosmopolitischen  Beroiden:  Btröt 
Forshili  M.  E.  —  Kleine,  auf  Unterlagen  kriechende  Ctenophoren  Cwloplana 
metschnikoirii  Kow.  und  Ctcnoplana  koualcwskii  Kort,  werden  in  der  Neu- 
zeit von  manchen  Zoologen  als  IJebergangsformen  zu  den  TurMlarien  ge- 
deutet. 


Zusammenfassung  der  Resultate  über  Coelenteraten. 


1)  Die  Coelenteraten  wurden  früher  Radiaten  genannt,  weil  sie 
meist  eine  radiale  Grundform  haben :  dieselbe  ist  bei  niederen  Formen 
noch  nicht  gut  ausgeprägt:  bei  den  höheren  kann  sie  in  die  zwei- 
strahlige, manchmal  sogar  in  die  bilateral -symmetrische 
Grundform  übergeführt  werden. 

2)  Die  Coelenteraten  heissen  vielfach  auch  Pflanzentniere, 
weil  die  meisten  unter  ihnen  festgewachsen  und  dadurch  äusserlich 
prlanzenähnlich  geworden  sind:  die  Pflanzenähnlichkeit  wird  gesteigert, 
indem  unvollständige  Theilung  und  Knospung  zur  Coloniebildung 
führt,  was  den  meisten  Coelenteraten  ein  buschartiges  Aussehen  ver- 
leiht. 

3)  Der  Name  Coelenteraten  wurde  gewählt,  weil  die  Thiere  nur 
ein  Hohlrauinsystem  haben,  einen  einfachen  oder  mit  Verästelungen 
ausgerüsteten  Magen,  der  gleichzeitig  den  Darm  und  die  morphologisch 
noch  nicht  entwickelte  Leibeshöhle  vertritt 

4)  Der  coelenterische  Apparat  heisst  auch  Gastro vas- 


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Zusammenfassung. 


219 


cularsystem,  weil  verästelte  Ausläufer  des  Magens  die  Nahrung 
überall  hin  vertheilen  und  so  die  Function  der  Blutgefässe  erfüllen. 

5)  Die  Fortpflanzung  ist  entweder  geschlechtlich  oder  unge- 
schlechtlich, sehr  häufig  cyklisch  (Generationswechsel). 

6)  Die  Coelenteraten  werden  in  Spongien  und  Cnldarien  ein- 
geteilt. 

7)  Der  Körper  der  Spongien  ist  eine  Bindesubstanzmasse,  durch- 
setzt von  Canälen,  welche  von  einem  auch  die  Körperoberfläche  über- 
ziehenden Plattenepithel  ausgekleidet  sind  (Bindesubstanz  -\-  Platten- 
epithel =  Meso- Ectoderm).  Ein  aus  Gcisselzellen  (Kragen- 
zellen) bestehendes  Entoderm  findet  sich  nur  im  Bereich  der 
Geisseikammern,  welche  in  den  Verlauf  der  Canäle  eingeschaltet 
sind  (bei  den  Asconen  im  Bereich  des  Centraimagens). 

8)  Die  Thiere  nehmen  die  Nahrung  durch  feine  Poren  der 
Körperoberfläche,  Dermalporen,  auf  und  geben  das  Unverdauliche 
durch  ein  oder  mehrere  Oscula  ab. 

9)  Da  Nerven,  Muskeln,  Sinnesorgane  fehlen  oder  ganz  unvoll- 
kommen ausgebildet  sind,  zeigen  die  Thiere  so  gut  wie  keine  Be- 
wegungen. 

10)  Nach  dem  Skelet  zerfallen  die  Spongien  in  Calci  spongien 
und  Silicispongien. 

11)  Die  Cnldarien  sind  höher  organisirt  und  thierähnlicher,  da 
sie  mit  Nerven,  Muskeln,  Sinnesorganen  ausgerüstet  sind  und  daher 
eine  grössere  Reizbarkeit  und  Bewegungsfähigkeit  besitzen. 

12)  Besonders  charakteristisch  für  die  Cnidarien  ist  die  Anwesen- 
heit von  Tentakeln  und  von  kleinen,  in  besonderen  Zellen  sich 
bildenden  Nesselorganen,  den  Nesselkapseln. 

13)  Fast  alle  histologischen  Differenzirungen  gehen  vom  Ectoderm 
und  Entoderm  aus,  indem  ein  Mesoderm  entweder  vollkommen  fehlt 
oder  nur  als  Stützgewebe  erscheint  (Diblasterien,  zweiblättrige  Thiere). 

14)  Man  unterscheidet  3  Classen:  Hydrozoen,  Anthozoen,  Ctono- 
1»  hören. 

15)  Bei  den  Hydrozoen  findet  man  2  im  Generationswechsel 
stehende  Formen,  die  sessilen  Polypen  (Ammen)  und  die  frei  beweg- 
lichen Medusen  (Geschlechtsthiere). 

16)  Nach  dem  Bau  von  Polyp  und  Meduse  unterscheidet  man 
2  Unterlassen :  1)  Hydromcdusen,  2)  Scyphomedusen. 

17)  Für  die  Hydromcdusen  ist  der  Hydroidpolyp  und  die  cras- 
pedote  Meduse  charakteristisch. 

18)  Der  Hydroidpolyp  ist  ein  aus  Ectoderm.  Entoderm 
und  Stützlamelle  bestehender  Schlauch  mit  einem  Tentakelkranz ; 
bei  coloniebildenden  Formen  kommt  noch  ein  cuticulares  Ausscheidungs- 
produet  des  Ectoderms,  das  Periderm,  dazu. 

19)  Die  craspedote  M ed  u se  hat  einen  glockenförmigen  Körper 
mit  glattem  Schirmrand,  an  dem  der  Schwimmsaum  oder  das  Velum 
entspringt.    Die  Geschlechtsorgane  sind  ec  toder  mal. 

20)  Die  Meduse  entsteht  am  Polyp  durch  laterale  Knospung. 

21)  Der  Generationswechsel  kann  in  Polymorphismus 
übergehen,  wenn  die  Meduse  als  Sporosac  im  Stock  verbleibt;  er 
kann  unterdrückt  werden,  indem  entweder  die  Hydroidengeneration 
oder  die  Medusengeneration  ausfällt. 

22)  Für  die  Scyphomedusen  ist  das  Scyphostoma  und  die 
acraspede  Meduse  charakteristisch. 


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220 


Vennes  oder  Würmer. 


23)  Das  Scyphostoma  unterscheidet  sich  von  dem  Hydroid- 
polypcn  vornehmlich  durch  vier  longitudinale  Gastralfalten  oder 
Septen. 

24)  Die  acraspede  Meduse  unterscheidet  sich  von  der  craspe- 
doten  durch  den  Mangel  des  Velum,  die  gelappt  e  Beschaffenheit 
des  Glockenrandes,  die  Anwesenheit  der  Gastraiten  takeichen, 
die  entodcr malen  Geschlechtsorgane. 

25)  Die  Meduse  entsteht  am  Polyp  durch  terminale  Knospung. 
20)  Häutig  wird  der  Generationswechsel  unterdrückt,  aber 

nur  in  der  Weise,  dass  das  Scyphostomastadium  ausfallt. 

27)  Bei  den  Anthozoen  findet  sich  als  einzige  Grundform  der 
Corallenpolyp ;  derselbe  unterscheidet  sich  vom  Hydroidpolyp  durch 
das  Schlundrohr,  die  radialen,  an  das  Schlundrohr  tretenden 
Septen,  durch  die  Anwesenheit  eines  Mesoderms,  durch  entoder- 
male,  früh  in's  Mesoderm  übertretende  Geschlechtsorgane. 

28)  Die  meisten  Anthozoen  sind  colonicbildend  und  erzeugen  ein 
Skelet.  das  gewöhnlich  aus  kohlensaurem  Kalk,  seltener  aus  „Horn- 
substanz" besteht. 

29)  Das  Skelet  kann  entweder  ein  Axenskelet  sein  oder  kann 
sich  auch  auf  die  einzelnen  Polypen  erstrecken  (Rinden skelet). 

30)  Nach  der  Zahl  der  Septen  theilt  man  die  lebenden  Antho- 
zoen in  Hcxacoralllen  und  Octocorallien  ein,  denen  sich  die  fossilen 
Tetracorallien  anschliesscn. 

31)  Die  Hcxacoralllen  haben  sechs  Septenpaare  oder  Multipla 
davon,  sie  haben  ferner  zahlreiche  schlauchförmige  Tentakeln. 

32)  Die  Octocorallien  haben  acht  Finzelsepten  (nie  mehr)  und 
acht  gefiederte  Tentakeln. 

33)  Die  Ctenophoren  sind  stets  freischwimmend  und  haben  einen 
aus  einem  muskelreichen  Mesoderm  bestehenden  Gallcrtkörper. 

34)  Nesselzellen  fehlen  und  sind  durch  Klebzellen  ersetzt. 

35)  Am  meisten  charakteristisch  sind  acht  meridional  verlaufende 
Ruder  reihen,  deren  Bewegungen  von  einem  gemeinsamen  Centrai- 
organ, dem  nach  Art  eines  Hörbläschens  gebauten  Sinneskörper, 
regulirt  werden. 

30)  Der  Dann  besteht  aus  einem  durch  Ectodermeinstülpung  ent- 
standenen M a g e n  und  reich  verästelten  e n  t o d  e r m  a  1  e n  Gefässen. 


III.  Stamm. 

Vennes  oder  Würmer. 


rrafri*^  Der  Stamm  der  Würmer  hat  in  der  Geschichte  der  systematischen 
,  mumm».  Zoologie  am  meisten  Wandlungen  durchzumachen  gehabt,  und  noch 
heute  gehen  bei  der  Beantwortung  der  Frage,  was  man  unter  dem 
Namen  „Würmer"  Alles  zusammenfassen  soll,  die  Ansichten  der  For- 
scher weit  auseinander.  Viele  Zoologen  wollen  sogar  den  Würmer- 
stamm  ganz  aufheben  und  ihn  in  mehrere  Stämme  auflösen.  —  Es 
giebt  gewisse  Gruppen,  welche  lange  Zeit  allgemein  dem  Stamm  ein- 


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Vennes  oder  Würmer.  221 


gereiht  wurden,  wie  die  umfangreichen  Classen  der  Blatt-,  Hund-  und 
Gliederwürmer  und  die  kleinen  Abtheilungen  der  Pfeil-  und  Eichel- 
würmer; sie  bringen  das  Charakteristische  in  der  Erscheinungsweise 
der  Würmer  am  meisten  zum  Ausdruck  und  verdienen  daher  bei  der 
Besprechung  in  erster  Linie  Berücksichtigung.  Ferner  gehören  un- 
zweifelhaft hierher  die  liädcrthierc ;  denn  so  sehr  sich  dieselben  auch 
in  ihrer  Erscheinungsweise  von  typischen  ausgebildeten  Würmern,  wie 
Blutegel,  Regenwurm  etc.  unterscheiden,  so  gross  ist  die  Ueberein- 
stimmung  mit  vielen  Wurmlarven,  eine  Uebereinstimmung,  auf  welche 
bei  der  jetzigen  hohen  Werthschätzung  der  Entwicklungsgeschichte 
besonderes  Gewicht  gelegt  werden  muss.  Dagegen  werden  von  den 
meisten  Zoologen  einige  Thiergruppen,  welche  in  diesem  Lehrbuch,  wenn 
auch  nur  in  Form  eines  Anhangs,  dem  Stamm  angefügt  worden  sind, 
von  den  Würmern  ausgeschlossen  und  vielfach  zu  selbständigen  Stämmen 
erhoben,  die  Brachiopoden  und  Bryozoen  zum  Stamm  der  Mollus- 
coideen,  die  Ascidien  und  Salpcn  zum  Stamm  der  Tunicaten.  Für  den 
hier  eingenommenen  Standpunkt  war  zunächst  die  Erwägung  maass- 
gebend,  dass  es  nicht  zweckmässig  ist,  so  einförmig  gebauten,  an  Fami- 
lien und  Arten  armen  Gruppen  den  Rang  eines  Thierstammes  einzu- 
räumen. Dazu  kamen  Erwägungen  über  die  systematische  Stellung 
der  Würmer  im  Allgemeinen.  Allseitig  wird  anerkannt,  dass  wir  in 
den  Würmern  die  Urformen  der  höheren  Thierstämme  zu  suchen  haben, 
dass  aus  ihnen  die  Echinodermcn.  Mollusken,  Arthropoden  und  Verte- 
braten  durch  einseitige  Specialisirung  des  Baues  hervorgegangen  sind. 
So  sind  auch  Bryozoen,  Brachiopoden  und  Tunicaten  jedenfalls  Ab- 
kömmlinge wurmartiger  Urformen  und  daher  eng  mit  dem  Würmer- 
stamm verknüpft.  Dagegen  ist  es  mehr  als  zweifelhaft,  ob  Brachio- 
poden und  Bryozoen  mit  einander  verwandt  sind  und  ob  sie,  wie  der 
Name  Molluscoidcn  sagt,  mit  den  Mollusken  irgend  etwas  zu  thun  haben. 
Die  Tunicaten  sind  zwar  sicher  nahe  Verwandte  der  Wirbelthiere, 
immerhin  aber  doch  von  ihnen  so  enorm  verschieden,  dass  es  ganz 
unstatthaft  ist,  sie  mit  ihnen  unter  dem  Namen  Chordonier  zu  vereinen. 

Von  den  Coelenleratcn  unterscheiden  sich  die  Würmer  durch  ilue£Xri^?frrV 
Bilateralität,  welche  in  der  inneren  Anatomie  stets  auch  da  nach- 
weisbar  ist,  wo  sie  bei  Betrachtung  der  äusseren  Gestalt,  wie  bei  den 
drehrunden  Nematoden,  zu  fehlen  scheint,  ferner  durch  die  Form  des 
Nervensystems,  die  Anwesenheit  besonderer  E  x  c  r  e  t  i  o  n  s- 
organe  und  anderweitige  Anzeichen  höherer  Organisation.  Von 
Unterscheidungsmerkmalen  gegen  die  übrigen  bilateral  symmetrischen 
Formen  möge  als  wichtigstes  der  H  a  u  t  m  u  s  k  e  1  s  c  h  1  a  u  c  h  vorangestellt  "^5™*™- 
werden,  von  dessen  Anwesenheit  namentlich  die  eigenthümliche  Be-  ,c 
wegungsweise,  welche  man  die  wurmförmige  nennt,  bestimmt  wird. 
Man  versteht  unter  Ilautmuskelschlauch  die  innige  Vereinigung  der 
Haut  des  Körpers  mit  der  darunter  gelegenen  Muskulatur  (Fig.  201, 
202,  203).  Die  Haut  ist  ein  einschichtiges  Epithel,  welches  bald  Flim- 
mern trägt,  bald  eine  dicke  Cuticula  als  Schutzorgan  ausscheidet.  Das 
Epithel  sitzt  auf  einer  structurlosen  Stützlamelle  oder  einer  zellen- 
haltigen  Bindegewebssehicht  auf,  mit  welcher  die  nach  der  Tiefe  zu 
folgenden  Muskelfasern  so  innig  verbunden  sind,  dass  sie  ihre  An- 
griffspunkte an  ihr  finden.  In  der  Muskelschicht  sind  stets  longitu- 
dinale  Fasern  vorhanden;  häutig  treten  zu  denselben  eine  oder  meh- 
rere Lagen  cireulärcr  Fasern,  ferner  isolirte,  dorsoventral  verlaufende 
Muskeln. 


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222 


Würmer. 


Darm.  Unter  den  Organen  des  Wiinnkörpers  muss  als  das  ansehnlichste 
in  erster  Linie  der  Darin  genannt  werden.  Zwar  giebt  es  Würmer, 
welche  entweder  gänzlich  darmlos  sind,  wie  die  Bandwürmer,  oder  wie 
manche  Nematoden  nur  einen  geschlossenen,  offenbar  functionsunfähigen 
Canal  besitzen ;  das  sind  dann  aber  stets  Parasiten,  welche,  wie  Ueber- 
gangsfornien  deutlich  lehren,  den  Darm  in  Anpassung  an  die  verein- 
fachten Ernährungsbedingungen  des  Parasitismus  verloren  haben.  Im 
Bau  des  Darms  schliessen  sich  die  niedersten  Würmer  noch  voll- 
kommen an  die  höheren  Coelenteraten  (Anthozoen  und  Ctenophoren)  an,  in- 
dem sie  ausser  dem  entodcrmalen  Urdarm  (Mesenteron,  Gastrula- 
säckchen)  nur  noch  den  durch  Ectodermeinstülpung  entstandenen 
Vorderdarm  (Stomodaeum)  besitzen,  während  der  Enddarm  (Procto- 
dacum)  und  damit  eine  Afterölfnung  noch  fehlt  (cfr.  S.  84,  Fig.  55). 
Bei  den  meisten  Würmern  ist  jedoch  der  Darm  durch  eine  Ectoderm- 
einstülpung am  hinteren  Ende  (Proctodaeum)  zu  einem  beiderseits 
durch  Mund  und  After  geöffneten  Rohr  geworden.  Vielzellige  An- 
hangsdrüsen werden  bei  den  typischen  Würmern  {Platt-,  Rund-  und 
Ringelwürmern)  noch  vermisst,  nur  hie  und  da  finden  sich  blindsack- 
artige Ausstülpungen  des  Mitteldarms  (Leber  der  Tunkaten  und 
Brachiopoden). 

i.tlb«»höhie.  Der  Darm  ist  entweder  direct  in  das  von  Muskeln  durchsetzte 
Körperparenchym  eingelassen  und  kann  dann  nur  schwer  oder  über- 
haupt nicht  herauspräparirt  werden  (Fig.  201);  oder  er  liegt  in  einem 
Hohlraum,  dem  Goelom  oder  der  Leibeshöhle,  welche  ihn  vom 
Hautmuskelschlauch  trennt  und  in  welcher  man  ihn  leicht  durch  Durch- 
schneiden des  Muskelschlauehs  frei  legen  kann  (Fig.  202,  203).  Wir 
können  daher  parenchymatöse  und  Leibeshöhlen-Würmer,  Scoleciden 
und  Coelhelminthen,  einander  gegenüberstellen  und  kommen  so  zu  2 
Typen  der  Wurmorganisation,  die  scharf  auseinandergehalten  werden 
müssen,  da  die  Thiere  in  ihrem  gesammten  Aussehen,  im  Bau  ihrer 
Körpermuskulatnr  und  der  meisten  vegetativen  Organe  ganz  erheb- 
liche Unterscheide  zeigen,  je  nach  dem  sie  eine  Leibeshöhle  haben 
oder  nicht.  Die  Coelhelminthen  sind  im  Allgemeinen  rundlich,  ihr 
Körperquerschnitt  ist  nicht  selten  genau  kreisförmig.  Die  Körper- 
muskeln werden  vom  äusseren  (parietalen)  Epithel  der  Leibeshöhle 
geliefert  (Fig.  202,  20-J)  und  bestehen  somit  ans  „Epithelmuskelzellen". 
Die  parenchymatösen  Würmer  sind  dagegen  meist  in  dorsoventraler 
Richtung  abgeplattet  (Fig.  201);  ihre  Körpermuskeln  sind  moditicirte 
Parenchymzollen,  „contractile  Faserzellen"  (vergl.  hierüber  S.  74,  75). 


Fig.  201.  Querschnitt  durch  eine  Planarir  (nur  die  rechte  Hälfte  dargestellt  i.  e 
Eetodermepithcl  mit  Flimmern ,  die  Körnchen  darunter  (/»*)  sind  die  Querschnitte 
von  Längsmiukclll,  de  dorsoventrale  Muskelfasern,  y  Blindsäcke  des  Darms,  d  Dotter- 
stock,  h  Hodeufollikel,  n  Nervensystem  (Längsstrange). 


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Coelhelminthen  und  Scoleciden. 


223 


Bei  den  Coelhelminthen  sind  die  Nieren  Verbindungscanäle  J^h^lf° 
der  Leibeshöhle  mit  der  Aussenwelt  und  heissen  Nephridien,  früher  nePhridi«o. 
auch  Schleifencanäle  oder  „Segmentalorgane"  (cfr.  Seite  03,  Fig.  G6); 
sie  beginnen  in  der  Leibeshöhle  mit  einer  trichterförmigen,  flimmern- 
den Oeffnung,  dem  Wimpertrichter,  und  münden  nach  vielfach  ge- 
wundenem Verlauf  nach  aussen,  nachdem  sie  noch  vorher  zu  einer 
Art  Harnblase  angeschwollen  sind.  Bei  den  Scoleciden  müssen  Wimper- 
trichter selbstverständlich  fehlen ;  ihr  excretorischer  Apparat,  die  Pro- 
ton ephridien  oder  das  „W asser gefä  sssy  stein",  ist  ein  System 
verästelter,  gegen  das  Parenchym  abgeschlossener  Canäle  (cfr.  S.  (J3, 
Fig.  64,  G5),  welche  mit  kleinen  Blindschläuchen  beginnen,  an  deren 
Grund  ein  Flimmerbüschelchen  sich  wie  eine  im  Winde  flackernde 
Kerzenflamme  bewegt.  Dieses  „Wimperläppchen"  dient  offenbar  zur 
Bewegung  der  excretorischen  Flüssigkeit,  welche  aus  den  feineren,  oft 
nach  Art  von  Blutcapillaren  anastomosirenden  Gefässen  durch  einen 
oder  mehrere  Hauptstämme  nach  aussen  geleitet  wird.  Ehe  die 
Hauptstämme  durch  den  Porus  excretorius  nach  aussen  münden, 
können  sie  eine  contractile  Blase  bilden.  Die  Flüssigkeit,  welche  durch 
die  Contractionen  der  letzteren  entleert  wird,  ist  wasserklar,  enthält 
aber  ab  und  zu  Körperchen,  welche  mikrochemisch  sich  wie  Guanin 
verhalten. 


Fig.  202.  Querschnitt  durch  Ascaris  lumhricoidcs  auf  der  Höhe  des  Pharyngeal- 
bulbus ;  daneben  ein  Stück  Hautinuskelschlauch  stärker  vergrössert.  r  Cuticula,"  h  Hy- 
podermis ;  Verdickungen  denselben  =  d  dorsale ,  v  ventrale ,  s  seitliche  Längslinie, 
DD  letzterer  ic  der  Excretionscanal,  m  Liingsmuskebi,  p  Muskelzellen,  n  deren  Kerne. 


Bei  den  Coelhelminthen  ist  der  Geschlechtsapparat  einfach 
gebaut;  die  Geschlechtszellen  (Fig.  203  o)  entstehen  aus  dem  Epithel 
der  Leibeshöhle  und  gelangen  durch  die  Nephridien,  seltener  durch 
besondere  Ausführwege  nach  aussen,  so  dass  gewöhnlich  eine  an  das 
Urogenitalsystem  der  Wirbelthiere  erinnernde  Vereinigung  von  Ge- 
schlechts- und  Nierenorganen  vorhanden  ist.  Bei  den  Scoleciden  fehlen 
analoge  Einrichtungen;  die  Geschlechtsorgane  haben  hier  meist  ihre 
eigenen,  sehr  complicirten  Ausführwege. 


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224 


Würmer. 


Biuiircfj«c  Ein  geschlossenes  Blut  g  e  f  ä  s  s  s  y  s  t  c  in  kann  in  beiden  Gruppen 
der  Würmer  vorkommen  oder  fehlen.  Wo  es  fehlt,  dient  bei  den 
(Joelhelminthen  als  Ersatz  die  Leibeshöhle;  bei;  den  Scoleciden  dagegen 
können  Einrichtungen  getroffen  sein,  welche  vollkommen  an  das 
Gastrovascularsystem  der  Coelenternten  erinnern  (cfr.  S.  88,  Fig.  60, 
S.  230,  Fig.  210» ;  der  Darm  verästelt  sich  und  sucht  zum  Zweck  der 
Nahrungsvertheilung  mit  seinen  Endzweigen  die  entferntesten  Gegen- 
den des  Körperparenehyms  auf. 


r  1¥- 


Fig.  203.  Querschnitt 
durch  Sag  Uta  Lij>untiata 
auf  der  Höhe  des  Ovars, 
daneben  ein  Stück  llaut- 
inufkelschlauch  stärker 
veigrössert.  c  eetoder- 
mal.s  Epithel,  tu  Haut- 
faserblatt  (Uingsniuskeln 
und  zugehörige  Epithel- 
zellen), tlf  Pnrmfnserblatt, 

dd  I>arin<lrii>fnblatt,  o 
Ovar.  (  Coelom  mach  O. 
Hertwig). 


^m  Grundplan  des  Nervensystems  stimmen  Scoleciden  und 
Cnclhelminthen  überein :  ein  Ganglienpaar  liegt  dorsal  vom  Schlund 
(ojb  e  r e  Sehl  u  n  d  -  oder  H  i  r  n  ga  n  g  1  i  e n)  und  entsendet  nach  rück- 
wärts 2  kräftige  Stränge,  die  zum  Centrainervensystem  gerechnet 
werden  müssen,  da  sie  einen  Beleg  von  Ganglienzellen  haben.  Diese 
Hauptstränge,  zn  denen  sich  bei  Trcmntoden  noch  weitere  Längsstränge 
hinzugesellen,  verlaufen  bei  allen  Plattwürmem  seitlich;  bei  den  ge- 
gliederten Würmern  dagegen  sind  sie  ventralwärts  zur  Bildung  des 
Bauch marks  verlagert;  hier  kommen  sie  in  der  Mittellinie  zur  Ver- 
einigung und  nehmen  die  Form  des  Strickleiternervensystems 
an  (vergl.  S.  OU,  Fig.  72).  das  mit  den  ihre  dorsale  Lage  beibehal- 
tenden Hirnganglien  durch  die  Sehiundcommissuren  verbunden  ist. 
Vielfach  liegt  das  Nervensystem  noch  im  Ectoderm,  d.  h.  im  Epithel 
der  Haut ;  bei  manchen  Würmern  ist  es  aus  der  Haut  ausgeschieden 
und  auf  der  Grenze  von  Ectoderm  und  Mesoderm  nach  aussen  von 
dem  Muskelschlauch  angelangt.  Am  häutigsten  rindet  man  jedoch  die 
nervösen  Centralorgane  entweder  inmitten  der  Muskulatur  oder  sogar 
einwärts  von  ihr  in  der  Leibeshöhle.  Man  kann  somit  bei  den 
Würmern  die  Verlagerung  des  Nervensystems  aus  seiner  Bildungs- 
stätte, der  Haut,  in  die  Tiefe  vergleichend-anatomisch  auf  das  schönste 
verfolgen.  —  Die  Sinnesorgane  sind  sehr  variabel,  am  verbreitetsten 
sind  einfache  Augen  und  Tastorgane,  seltener  Hörbläschen. 
Eatwkkionf.  Unter  den  F  o  r  t  p  f  1  a  n  z  u  n  g  s  w  e  i  s  e  n  überwiegt  die  geschlecht- 
Trochophor5'- liehe,  doch  kommt  auch  noch  Paedo  genese  und  ungeschlechtliche 
Fortpflanzung  durch  Theilung  und  Knospung  vor.  Damit  sind 
die  Bedingungen  zu  Generationswechsel  und  Heterogonie  gegeben, 
welche  beide  thatsächlich  auch  in  einigen  ("lassen  beobachtet  werden. 


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Scoleciden.    L  Plathelminthen. 


225 


Die  Eier  schlagen  ebenso  häufig  den  Weg  der  direeten  Entwicklung 
wie  den  Weg  der  Metamorphose  ein.  Bei  letzterer  treten  sehr 
charakteristische  Larven  auf,  welche  hier  gleich  ihre  Besprechung 
finden  mögen,  da  sie  bei  verschiedenen  Classen  der  Würmer  in  ähn- 
licher Weise  vorkommen.  Man  führt  die  mannichfaltigen  Gestalten 
auf  eine  gemeinsame  Urform,  die  Trochophora,  zurück  (Fig.  204). 
Dieselbe  ist  von  grosser  morphologischer  Bedeutung,  da  sie  in  ihrem 
Bau  den  Räderthierchcn  gleicht,  da  ferner  ähnliche  Larvenformen  bei 
Echinodermen  und  Mollusken  vorkommen  ;  sie  ist  ein  Gallertklümpchen 
mit  einem  aus  Vorder-,  Mittel-  und  Enddarm  bestehenden  Darm- 
canal.  Anfänglich  ist  die  Haut  gleichmässig  bewimpert,  bei  vor- 
geschrittener Entwicklung  findet  jedoch  eine  Beschränkung  der  Wimpern 


Fig.  204.  Trochophora  -  Larve 
(Loven'sche  Larve)  von  Polyijordins 
(aus  Hatsehek).  Wkr  praeoraler, 
trkr  postoraler  WiinjK'rkranz ,  irx 
ailorale  Wimperzone,  FPi  Wimper- 
schöpf  der  Scheitelplatte  SP,  <t 
Mund,  Oe  Oesophagus,  ./  Magen, 
Jl  Dann ,  ED  Entldann ,  .1  After, 
Xeph  Kopfniere,  Mstr  Mesmlenn- 
streifen,  v.LM,  d.LM  ocLM  Munkeln, 
r.LX  n  Nerven. 


auf  bestimmte  verdickte  Partien  des  Epithels,  die  Wimperschnüre, 
statt.  Eine  Wimperschnur  ist  namentlich  eonstant ;  sie  verläuft  ring- 
förmig vor  der  Mundöffnung  und  umgiebt  ein  einheitliches  Feld,  das 
Stirnfeld:  inmitten  desselben  liegt  als  Anlage  des  Nervensystems  eine 
oft  mit  einem  Wimperschopf  ausgerüstete  Epithelverdickung,  die 
Scheitelplatte.  Von  Organen  können  dazu  ausser  Muskeln  noch  eine 
linke  und  rechte  Niere  kommen,  die  neben  dem  Darm  münden  und, 
wie  die  Nieren  der  parenchymatösen  Würmer,  blind  geschlossene,  ver- 
ästelte Canäle,  ächte  Protonephridien  sind.  Bei  den  Scoleciden  ist 
die  Larve  noch  nicht  vollkommen  entwickelt,  indem  der  Enddarm 
und  die  Protonephridien  noch  fehlen ;  man  spricht  hier  von  einer  P  ro- 
troch ula  (Fig.  20*  u.  220). 


I.  Unterstamna. 

Scoleciden,  parenchymatöse  Würmer. 

I.  C 1  a  s  s  e. 

Plathelminthen,  Plattwürmer. 

Die  Classc  ist  schon  zur  Genüge  durch  den  Namen  gekennzeichnet; 
mit  wenigen  Ausnahmen  (rhabdocoele  Turbellarien)  sind  die  nahezu 
plane  Bauchseite  und  der  schwach  convexe  Rücken  einander  stark  ge- 
liert w  ig,  Lehrbuch  der  Zoologie.   3.  Au(l.<se.  ly 


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220 


Würmer. 


nähert  und  gehen  an  den  Seitenrändern  mit  mehr  oder  minder  scharfen 
Kanten  in  einander  über:  ausserdem  ist  der  Unterschied  von  Rücken 
und  Bauch  meist  schon  durch  die  lichtere  Färbung  des  letzteren  aus- 
gedrückt. Da  die  Plattwürmer  die  charakteristischsten  Vertreter  der 
Scoleciden  sind,  gelten  für  sie  alle  oben  schon  hervorgehobenen  Merk- 
male dieser  Gruppe ;  wir  fassen  sie  kurz  noch  einmal  zusammen :  eine 
Leibeshöhle  fehlt;  die  Grundlage  des  Körpers  ist  ein  Muskelparenchym. 
eine  bindegewebige,  von  longitudinalen,  transversalen  und  dorsoven- 
tralen  Muskelfasern  durchsetzte  Masse,  in  welcher  die  einzelnen 
Organe:  Darm,  Nervensystem,  Niere,  Geschlechtsapparat,  wie  in  einem 
festen  Kitt  eingebettet  sind.  Während  die  Beschaffenheit  des  Darms 
äusserst  wechselnd  ist,  besteht  das  Nervensystem  stets  aus  einem 


die  Niere  (Protonephridium)  ist  ein  verästeltes  Wassergcfässsystein  mit 
Flimmerläppchen  und  mit  einem  oder  mehreren  Ausführgängen.  Den 
meisten  Raum  im  Körper  nehmen  die  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
zwittcrigen  Geschlechtsorgane  für  sich  in  Anspruch.  Namentlich 
ist  der  weibliche  Apparat  sehr  voluminös  und  gewöhnlich  dadurch 
ausgezeichnet,  dass  zur  Bildung  der  Eier  zweierlei  Drüsen  zusammen- 
wirken, der  kleine,  unpaare  Eierstock,  auch  Keim  stock  genannt, 
und  die  paarigen,  reich  verzweigten  Dotterstöcke.  Im  Keimstock 
entstehen  die  „Keimzellen"  als  kleine,  dotterarme  Körper;  im  Dotter- 
stock bilden  sich  die  mit  Nahrungsbcstandtheilen  (Dotterplättchen) 
reich  beladenen  Dotterzellen.  Da  wo  die  Ausführgänge  beider  Drüsen, 
die  Dottergänge  und  der  Eileiter,  zusammentreffen,  wird  je  eine 
Keimzelle  mit  vielen  Dotterzellen  zu  einem  ovalen  Körper  zusammen- 
gefügt, welcher  weiterhin  durch  besondere  Schalendrüsen  noch  mit 
einer  festen  Hülle  versehen  wird  (Fig.  2U5  A).  So  entsteht  ein  zu- 
sammengesetztes Ei;  dasselbe  macht  von  dem  Gesetz,  dass  das 
thierische  Ei  stets  eine  einzige  Zelle  ist,  nur  scheinbar  eine  Aus- 
nahme. Denn  die  Entwicklung  lehrt,  dass  nur  die  Keimzelle  an  der 
Bildung  des  Embryo  directen  Antheil  hat  und  allein  als  die  eigent- 
liche Eizelle  angesehen  werden  kann,  dass  die  Dotterzellen  dagegen 
allmählich  zerfallen  und  einen  dem  Embryo  zur  Speise  dienenden 
Nahrungsklumpen  liefern  (Fig.  20;")  B). 


Gewöhnlich  werden  die  Plattininner  in  4  Ordnungen  eingetheilt  r 
1)  Twrbdlaricn,  2)  Trcmatodr/i,  3)  Ccstoden,  4)  Xeniertiucn.  Von  ihnen  sind 
unzweifelhaft  die  Turbrllaritn  die  Ausgangsfornien  für  die  3  übrigen  Ord- 
nungen. Aus  den  Tktrbellaricn  sind  durch  höhere  Entwicklung  die  Netner- 
lunH  hervorgegangen,  die  Trematoden  und  Cestoden  dagegen  durch  mehr 
und  mehr  zunehmende  Rückbildung,  eine  Folge  parasitischer  Lebensweise. 


Fig.  205.  Eier  von  Distomm/t 
hrpaiivum  (nach  Schauinsland).  .1 
vor  der  Embryonalentwieklung ,  H 
Einbryonalcntwicklung  im  Gang, 
Dottorzollen  zerfallen,  et  YAzoUv, 
</  Dotterzelle,  en  Entodermzellen. 
ek  Ectodenn,  p  Pigmcntfleek. 


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I.  Plathelminthen.  Turbellarien. 


227 


Mau  kann  sogar  die  Beziehung  der  4  Ordnungen  noch  bestimmter  aus- 
drücken und  von  den  beiden  Unterordnungen  der  Turbellarien  die  Iihabdo- 
coelm  als  Vorläufer  der  Xemcrtinen,  die  IhndrtHttrfru  als  Vorläufer  der 
Treinatoden  und  Cestoden  bezeichnen.  Rüchsichtlich  der  Xrmertinen  wird 
von  manchen  Zoologen  allerdings  die  Ansicht  vertreten,  dass  sie  überhaupt 
nicht  zu  den  Plattwürmcrn  gehören,  sondern  den  Anneliden  verwandt  sind. 


Die  Turbellarien  sind  Thiere  von  geringer  Körpergrössc;  nur 
wenige  Arten  erreichen  eine  Länge  von  mehreren  Centimetern,  während 
es  viele  Arten  giebt,  welche  dauernd  microscopisch  klein  bleiben.  Der 
Name  „Strudelwürmer"  bezieht  sich  auf  das  wichtigste  systematische 
Merkmal  der  Gruppe,  das  dichte  Wimperkleid,  welches  die  Ober- 
fläche des  Körpers  überzieht  und  von  einem  einschichtigen  Cylinder- 
epithel  seinen  Ursprung  nimmt  (Fig.  206).  Dasselbe  dient  zur  Ath- 
mung,  indem  es  neuen  Sauerstoff  der  Körperoberfläche  zuführt,  ausser- 
dem aber  auch  vielfach  zur  Fortbewegung.  Man  findet  nämlich  die 
Turbellarien  vorwiegend  im  Wasser  (im  Meer-  wie  im  Süsswasser), 
seltener  auf  dem  Land  in  feuchter  Erde  (tropische  Landplanarien). 
Im  Wasser  kriechen  sie  entweder  ähnlich  gewissen  Nacktschnecken 
auf  ihrer  Bauchseite  an  Steinen  und  Pflanzen,  oder  sie  tummeln  sich 
frei  schwimmend  im  Wasser  herum.  Im  letzteren  Falle  machen  die 
grösseren  Formen  undulirende  Bewegungen  des  Körpers ;  den  kleineren 
dagegen  genügt  der  Ruderschlag  ihrer  Wimpern. 


I.  Ordnung.    Turbellarien  oder  Strudelwürmer. 


Fig.  206. 


Flg.  207 


■ . 


Kig.  '206.  Stnmstomum  leueops  in 
Tbeüang.  a  ectodennaler  Anfangsdnrm  bei 
a  für  das  hintere  Thier  neugebüdet,  m  blind- 
geschloßt  nt  r  entodennaler  Mitteidann,  e  ecto- 
uermalc!»  Flimmerej>ithel ,  g  Ganglion  mit 
Flirnmergrub«-  f.ir  \\  asserp-fii.-sainuC  Gang- 
lion dt-)*  hinteren  Thieree. 


Fig.  207.  (lundn  Inhata  (nach  O.  Schmidt). 
ff  Ganglienknotehen  mit  Augenflpcken,  «Mund 
(Eingang  in  das  lanpe  Sehlnndrohr),  p  Poms 
genitalis ,  davor  der  weil  »liehe  ,  dahinter  der 
männliche  GeflchlechÜMtppftrat. 


15* 


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228 


Wüfmer. 


Aufenthaltsort,  Wimperkleid  und  allgemeiner  Habitus  verleihen 
den   kleinen  Turbcllarien  eine   überraschende  Aehnlichkeit  mit  In- 
fusorien, so  dass  es  jetzt  noch  den  Anfängern  in  der  Zoologie  wie 
einst  den  Begründern  der  mieroscopischen  Forschung  schwer  füllt, 
Infusorien  und    Turbellarien  auseinander  zu   halten.    Da    nun  der 
für  sich  allein  schon  ausreichende  Nachweis  der  Vielzelligkeit  ohne 
Reagentien   nicht  leicht   zu   führen   ist,  leitet   am   sichersten  heim 
Erkennen  lebender  Turbellarien  die  Beobachtung  eines  mit  eigenen 
Wandungen  versehenen  Darmcanals.    Derselbe  besteht  nur  aus 
Anfangsdarm  und  Mitteldarm  und  ist  am  hinteren  Ende  blind  ge- 
schlossen, da  Enddarm  und  After  noch  fehlen.  Die  Mundöffnung  liegt 
in  einiger  Entfernung  vom  vorderen  Ende  auf  der  ventralen  Seite,  ist 
aber  nicht  selten  bis  in  die  Mitte  des  Körpers  verschoben  und  kann 
sogar  dem  hinteren  Ende  genähert  sein  (Fig.  207);  sie  führt  in  einen 
musculösen  Schlundkopf,  welcher  häufig  in  einer  besonderen  Scheide 
eingeschlossen   ist  und  dann  wie   ein  Rüssel  nach  aussen  hervor- 
gestossen  werden  kann.    Der  auf  den  Schlundkopf  folgende,  blind- 
geschlossene, entodermale  Darm  liefert  einige  systematisch  wichtige 
Unterschiede:  so  ist  er  bei  den  Ehabdocoelen  ein  einfacher  stabförmiger 
Schlauch,  bei  den  Dendrocoelen  dagegen  bildet  er  einen  Centralniagen, 
von  dem  aus  weiterhin  verästelte  Blindschläuche  ausgehen.    Die  Zahl 
derselben  ist  bei  den  Volycladen  (vergl.  S.  *8,  Fig.  <'»())  eine  sehr  an- 
sehnliche, bei  den  Tricladen  sind  3  Hauptzweige  vorhanden,  ein  un- 
paarer  medianer  nach  vorn,  1  laterale  nach  rückwärts  gerichtet.  Von 
jedem  der  ;\  Hauptzweige  gehen  weiterhin  zahlreiche  verästelte  Blind- 
säcke aus.   Unabhängig  von  den  verschiedenen  Stellungen  des  Mundes 
bewahren  die  oberen  Schlund ganglien  ihre  Lage  am  vorderen 
Ende  des  Thieres.    Letzteres  dient  auch  zum  Tasten  und  kann  in 
fühlerartige  Spitzen  ausgezogen  werden;  fast  stets  trägt  es  zwei  oder 
mehr  einfach  gebaute  Augen,  während  ein  unpaares  Hörbläschen  nur 
bei  wenigen  Arten  beobachtet  wurde. 

In  der  Haut  mancher  Turbellarien  finden  sich  Nesselkapseln,  welche 
vollkommen  wie  bei  den  Coelenteraten  gebaut  sind.  Viel  verbreiteter 
sind  jedoch  die  Rhabditen,  kleine  Stäbchen,  welche  in  Epithel- 
zellen entstehen,  die  nicht  selten  nach  Art  einzelliger  Drüsen  in  das 

Mesoderm  hineinragen.  Sie 
finden  sich  in  der  schleimigen 
Spur,  welche  kriechende  Tur- 
bellarien auf  der  Unterlage 
hinterlassen. 

Der  her  m  a  p  h  r  o  d  i  t  e 
Geschlechtsapparat  ( Fig. 
70)  und  «las  Wassergefäss- 
system  zeigen  in  den  ein- 
zelnen Unterordnungen  und 
Familien  eine  sehr  verschie- 
denartige Ausbildung.  Die 
Eier  der  Turbellarien  sind 
gewöhnlich  sehr  gross  und 
werden  mittelst  kleiner  Stiel- 
chen an  Wasserpflanzen  be- 
festigt.   Manche  Arten  bilden 


Fig.  208.  Larve  von  Stylorhns  pilidium  (aus 


Kc.rschelt-Heider  nach  Goettc).  S  Schlund,  iestlgt.  Manclie  Arten  bilden 
h  Dam»,  En  i'u-t-  von  l .1,  .  i  ■  •,,/  iL  n.  auch  Coccons ,  deren  Inhalt 


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I.  Plathelniinthen.  Trematoden. 


229 


aus  zahlreichen  Dotterzellen  und  wenigen  Eiern  besteht.  Bei  mari- 
nen Turbcllarien  kann  aus  dem  Ei  eine  frei  schwimmende  Larve 
mit  lappigen  Anhängen  hervorgehen ,  welche  durch  Metamorphose 
zur  kriechenden  Turbellarie  wird  (Fig.  20*).  Nur  selten  findet  sich 
neben  der  geschlechtlichen  auch  die  ungeschlechtliche  Fort- 
pflanzung. Die  Microstomeen  und  einige  Planarien  besitzen  die 
Fähigkeit  der  Quertheilung  und  bilden  bei  guter  Ernährung  durch 
rasche  Wiederholung  der  Theilung  eine  Kette  hintereinander  ge- 
reihter Individuen,  welche  sich  erst  allmählig  von  einander  lösen.  Für 
jedes  hintere  Thier  werden  Schlundkopf  und  Ganglien  neu  gebildet 
(Fig.  2W). 

I.  Unterordnung.  RhalxUx-orlen.  Die  meist  microscopisch  kleinen, 
im  Aussehen  und  in  der  Lebensweise  den  Infusorien  ähnlichen  Thiero 
haben  einen  einfachen,  stabförmigen  Darmblindsack.  Vortex  viridis  Max 
Schultze ;  Mesostomum  Elircnfurgi  0.  Scbm.  Im  Süsswasser  sind  am  ver- 
breitetsten  die  Minostomcni,  bei  denen  die  ungeschlechtliche  Fortpflanzung 
durch  Theilung  so  sehr  überwiegt,  dass  man  äusserst  selten  Geschlechtsthiero 
trifft     Microstomum  lineare  Oerst. ;  Stenostomnm  leurops  0.  Scbm.  (Fig.  206). 

II.  Unterordnung.  Tkiulrtjertelen.  Die  Thiere  sind  meist  ein  oder 
mehrere  Centimeter  gross,  haben  einen  deutlich  dorsoventral  abgeplatteten 
Körper  und  einen  reich  verästelten  Darm.  Bei  den  ausschliesslich  marinen 
Pobjeladcn  entspringen  unmittelbar  vom  Centralmageo  zahlreiche  Blindsäcke  : 
Thysanoxoon  Dies  inen 'Gr.,  Lepftnilana  laevi/jata  Qf.  (Fig.  b'O).  Bei  den  auch 
im  Süsswasser  und  in  fouchter  Erde  vorkommenden  Triehulen  sendet  der 
Centralmagen  3  weiterhin  sich  verästelnde  Blindsäcke  aus,  einen  medianen 
nach  vorwärts,  zwei  laterale  nach  rückwärts.  Zu  den  „Siissuasscrpfanarien" 
gehört  das  milchweisse  DrudrocoehnH  lavteum  Oerst.  und  die  schwärzlichen 
lUi/rrlis  nvjm  0.  Schm.  und  Planati«  [toh/rhroa  0.  Schni.,  zu  den  meist 
tropischen  „Lanrfplannrien''  das  vielfach  in  Gewächshäusern  beobachtete, 
35  cm  lange  DipdiHm  h'raensc  Moseley.  Marin  ist  (iunda  loUda  0.  Schm. 
(Fig.  207). 

II.  Ordnung.    Trematoden,  Saugwürmer. 

Die  Saugwürmer  sind  ausschliesslich  Parasiten,  welche  entweder 
auf  der  Haut  und  den  Kiemen  (Ectoparasiten)  oder  in  den  inneren 
Organen  (Entoparasiten)  anderer  Thiere  leben;  in  ihrem  Bau  schliessen 
sie  sich  den  dendrocoelen  Turbellarien  aufs  engste  an  und  sind  von 
ihnen  vornehmlich  durch  Merkmale  unterschieden,  welche  sich  unmittel- 
bar auf  ihre  parasitische  Lebensweise  zurückführen  lassen.  Zunächst 
fehlt  den  Trematoden  das  für  den  Wasseraufenthalt  berechnete  Wimper- 
kleid der  Turbellarien  oder  tritt  nur  während  des  im  Wasser  sich  ab- 
spielenden Larvenlebens  auf.  Dafür  ist  die  Haut  mit.  Apparaten  zur 
Befestigung  am  Wirth  bewaffnet,  mit  Saugnäpfen  und  Haken.  Die 
Saugnäpfe  sind  flache,  von  dicker  Cuticula  ausgekleidete  Gruben  der 
Körperoberfläche,  ausgerüstet  mit  einer  dicken  Muskelschicht,  welche 
durch  ihre  Contraction  die  Grube  vertieft  und  ihr  Lumen  erweitert. 
Eine  Erweiterung  des  Lumens  muss,  wenn  die  Ränder  des  Saugnapfs 
fest  schliessend  auf  die  Haut  des  Wirths  gepresst  werden,  ansaugend 
wirken  und  eine  Befestigung  des  Parasiten  herbeiführen.  Bei  den 
Trematoden  ist  mindestens  ein  solcher  Saugnapf  vorhanden,  welcher 
das  vordere  Ende  des  Thieres  einnimmt  und  indem  er  an  seinem 
Grund  von  der  MundöfTnung  durchbohrt  wird,  auch  die  Xahrungsauf- 


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230 


Würmer. 


nähme  begünstigt.  Dazu  kommt  bei  fast  allen  Formen  noch  ein 
zweiter  bauchständiger  Saugnapf  (Fig.  209)  oder  eine  grössere  Zahl 
von  Saugnäpfen  und  Haken,  welche  am  hinteren  Körperende  zu  einer 
grossen  Haftscheibe  vereint  sind  (Fig.  210).  Ob  zahlreiche  Haft- 
apparate vorhanden  sind  ( Polystomeen)  oder  nur  1—2  Saugnäpfe  (Disto- 
meen),  hängt  von  der  Lebensweise  ab,  wie  wir  sogleich  sehen  werden. 

Weitere  Folgen  des  Parasitismus  sind  die  schwache  Entwicklung 
des  Nervensystems  und  die  rudimentäre  Beschaffenheit  der  Sinnes- 
organe. Augenflecke  finden  sich  nur  noch  bei  den  Ectoparasiten  und 
den  im  Freien  lebenden  Larven  mancher  Entoparasiten.  selten  bei  aus- 
gebildeten Entoparasiten.  Auch  der  Darm  ist  meist  zu  einem  Gabel- 
darm  vereinfacht  und  nur  selten  noch,  wie  bei  Distomum  hepaticum 
(Fig.  210)  mit  den  dendritischen  lilindsäcken  bedeckt.  Mit  dem  Parasi- 
tismus hängt  endlich  die  starke  Entwicklung  des  Geschlechts- 
apparats zusammen,  welcher  zur  Zeit  der  Geschlechtsreife  den  Körper 

Fig.  205».  Distomum  laucco- 
Uttum.  $'  vorderer,  s"  hinterer 
Saugnapf ;  an  sl  schlieft  der 
Pharynx  mit  dem  Galieldanu 
an:  h  die  beiden  Huden  mit 
den  2  Vasa  deferentia,  dir  sieh 
zum  Gurt»  (c)  vereinen  daneben 
mündet  der  stark  gewundene 
Uterus  (//»,  o  Ovar,  dahinter 
SehalendrÜÄe  mit  Laurer'schein 
Gang  (/),  tl  die  paarigen  Potter- 
stöcke  mit  den  zur  Sehalendrfise 
ziehenden  Ausführgangen ,  w 
WaÄsergi'fasse,  g  Ganglion. 

Fig.  210.  Distomum  hrj,a- 
tirum  (aus  Ilona),  s1  vorderer. 
*7  hinterer  Saugnapf,  in  Darm- 
Bchcnkel  mit  verästelten  Blind- 
Bücken  (»/). 

des-Thieres  zum  grössten  Theil  ausfüllt.  Von  seiner  Beschaffenheit 
giebt  beistehende  Zeichnung  von  Distomum  lanceolaium  eine  Vorstel- 
lung (Fig.  209).  Aus  zwei  Hoden  ih)  führen  zwei  Vasa  deferentia 
nach  vorn,  um  sich  zu  vereinigen  und  eine  Samenblase  zu  erzeugen : 
der  Endabsclmitt  des  vereinigten  Ganges  kann  als  ein  mit  Widerliaken 
bewaffneter  Penis  oder  Cirrus  (c)  ausgestülpt  werden,  ist  aber  für  ge- 
wöhnlich in  einem  besonderen  Behälter,  dem  Cirrusbeutel,  einge- 
schlossen. Im  weiblichen  Apparat  ist  das  Ovar  (o),  oder  der  Keim- 
stock sehr  klein,  da  er  nur  kleine,  dotterarme  Eier  liefert.  Dafür 
sind  die  Dotterstöcke  (d)  stark  entwickelt;  ihre  Ausführgänge  ver- 
einigen sich  mit  dem  Eileiter  an  einer  erweiterten  Stelle,  der  Schalen- 
drüse oder  dem  Ootyp.  Hierhin  gelangen  vom  Keimstock  her  die  im 
Keimgang  befruchteten  Keimzellen  einzeln,  von  den  Dotterstöcken  da- 
gegen Haufen  von  Dotterzellen.  In  der  Schalendrüse  wird  jede  Keim- 
zelle gemeinsam  mit  einer  grösseren  Zahl  Dotterzellen  von  einer  Schale 


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I.  Plathelminthen :  Termatoden. 


231 


umschlossen  und  so  das  „zusammengesetzte  Ei" 
fertig  gestellt.  Die  Schale  hat  die  Gestalt  eines 
ovalen  Rechers.  dessen  Mündung  durch  einen 
calottenförmigen  Deckel  geschlossen  ist  (Fig. 
206).  Von  der  Schalendrüse  führen  zwei  Wege 
nach  aussen;  der  eine,  welcher  dicht  neben 
dem  männlichen  Geschlechtsapparat  oder  bei 
I).  hepaticum  gemeinsam  mit  ihm  durch  den 
Porus  genitalis  mündet,  füllt  sich  mit  den  be- 
fruchteten, in  Embryonalentwicklung  begriffe- 
nen Eiern  und  heisst  Uterus  («).  Der  zweite 
Canal  ist  viel  kürzer  und  heisst  der  Laurer- 
Bche  Canal  oder  die  Scheide  (/).  Bei  vielen 
Polystomeen  ist  der  Laurer'sche  Canal  doppelt 
(Fig.  210  m;)  und  dient  hier  sicher  zur  Be- 
gattung; bei  den  Distomecn  ist  er  dagegen  ein 
functionslos  gewordenes,  daher  manchen  Arten 
fehlendes  Gebilde.  Indem  hier  der  Uterus  zu- 
gleich auch  zur  Begattung  dient,  ist  die  Mög- 
lichkeit der  Selbstbefruchtung  gegeben.  Bei 
vielen  Trematodcn  findet  sich  noch  ein  dritter 
Canal,  Ductus  vitello-intestinalis,  der  in  den 
Darm  mündet 

Die  Trematoden  zerfallen  in  zwei  grosse 
Gruppen,  die  Polystomeen  und  die  Distomcen; 
die  ersteren  sind  Ectoparasiten ,  die  letzteren 
Entoparasiten,  ein  Unterschied  in  der  Lebens- 
weise ,  welcher  weitere  Unterschiede  im  Bau 
und  in  der  Entwicklungsweise  bedingt. 

X.  Unterordnung.  Polystomeen. 

Die  Polystomeen  (Fig.  211)  leben  auf  der 
Haut  von  wasserbewohnenden  Thicren,  nament- 
lich von  Fischen  und  Crustaceen,  wo  sie  die 
zarthäutigen,  blutreichen  und  daher  zum  Aus 


i        •      •,  V.  <u  er' 


Jh 


I 


Fig.  211.  Vohjztomum  in- 
taurrimum  (nach  Zcller). 
2Thiere  in  wechselseitiger 
Begattung,  darunter  ein 
Thier  stärker  vergri^sert. 
m  Mundöffnung,  ;>//  Pha- 
rynx ,  d  verästflter ,  voll 


für  Vit*  lieferen«  (vi)  und 
Uterus  (»),  sie  die  Mün- 

düngen  der  paarigen 
Scheiden  (r),  )/  Hoden- 
Mäschen ,  nr   Ovar ,  (ist 
Dotterstoek ,   »///  Dotter- 
gänge. 


saugen  besonders  geeigneten  Organe,  die  Kie-  gjj,  »«ffi 
men,  bevorzugen.  Da  sie  bei  ihrer  oberfläch- 
lichen Anheftung  in  höherem  Maasse  als  die 
Entoparasiten  Gefahr  laufen,  abgestreift  zu 
werden,  besitzen  sie  kräftige  Klammerorgane, 
eine  reichliche  Anhäufung  von  Saugnäpfen  und 
Haken  am  hinteren  Körperende  ausser  dem 
Mundsaugnapf.  Ihre  Verbreitung  von  einem 
Wohnthier  auf  das  andere  bietet  keine  Schwierigkeiten:  daher  ist  auch 
die  Entwicklungsgeschichte  nicht  complicirt.  Die  gestielten  Eier 
werden  am  Aufenthaltsort  des  Mutterthiers  abgesetzt  und  liefern  Lar- 
ven, welche  schon  bald  nach  dem  Auskriechen  dem  fertigen  Thiere 
ähnlich  werden. 

Zu  den  interessanteren  Polystomeen  gehört  der  auf  den  Kiemen  von 
Karpfen  schmarotzende  Qyrwlaetylus  rlrynm  Nordm.  Er  gebiert  lebendige 
Junge ,  welche  schon  vor  ihrer  Geburt  in  ihrem  Inneren  eine  neue  Gene- 
ration   erzeugen.     Noch  auffallender   ist   das  ebenfalls  auf  Cyprinoiden- 


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2o2 


Würmer. 


Kiemen  lebende  Ihjilo\<Mm  paiwbjon  Nordm.,  welches  seinen  Namen  dem 
Umstände  verdankt,  dass  man  stets  zur  Zeit  der  Geschlechtsreife  die  Thiere 
über  Kreuz  nach  Art  der  Siamesischen  Zwillinge  verwachsen  findet  (vergl. 
Seite  135,  Fig.  105).  Aus  den  Eiern  kriechen  die  früher  unter  dem  Namen 
Jtijiorjm  beschriebenen  Einzelthiere  aus,  welche  erst  nachträglich  unter 
einander  verwachsen.  Jede  Diporpa  hat  zu  diesem  Zweck  einen  Rücken- 
zapfen und  eine  ventrale  Sauggrube.  Eine  paarweise  Vereinigung  findet 
statt,  indem  ein  Paarliug  den  Rückenzapfen  des  anderen  mit  seiner  Saug- 
grube packt.  Dabei  verwächst  zum  Zweck  der  gekreuzten  Befruchtung 
die  Scheide  des  einen  Paarlings  mit  dem  Samenleiter  des  anderen.  Den 
Uebergang  zum  Entoparasitismus  vermittelt  das  rohjsiomnm  inteyr-rrimutn. 
Rud.  aus  der  Harnblase  des  Frosches.  Dasselbe  lebt  anfänglich  auf  den 
Kiemen  der  Kaulquappe;  wenn  bei  der  Metamorphose  des  Frosches  die 
Kiemen  verloren  gehen,  sucht  der  Parasit  noth^edrungen  in  der  Harnblase 
einen  neuen  weichhäutigen  Nährboden  (Fig.  211). 

n.  Unterordnung.  Diatomeen. 

Für  die  entoparasitischen  Trematoden,  die  Distomeen,  welche  meist 
im  Darm  und  in  dessen  Anhangsorganen  bei  Wirbelthieren  und 
anderen  Thieren  leben,  sind  zunächst  gewisse  anatomische  Merk- 
male charakteristisch;  als  Dunkelbewohner  haben  sie  mit  wenigen 
Ausnahmen  die  Augentieeke  verloren,  welche  nur  noch  während  des 
Larvenlebens  und  auch  da  nicht  immer  auftreten.  Da  sie  nicht  so 
sehr  Gefahr  laufen,  aus  den  von  ihnen  bewohnten  Organen  abgestreift 
zu  werden,  haben  sie  entweder  nur  den  zur  Nahrungsaufnahme  dienen- 
den Mundsaugnapf  (Gattungen  Monostomum,  Holostomum)  oder  höchstens 
noch  einen  zweiten  Bauchsaugnapf  (Gattungen  Distomum,  Amphisto- 
mum).  Am  meisten  aber  unterscheiden  sich  die  Distomeen  von  ihren 
Verwandten  durch  ihre  E  n  t  w  i  ck  1  u  n  g  s  w  eise;  der  durch  den  Ento- 
parasitismus nothwendig  gewordene  Wirthswechsel  hat  zu  einem  durch 
Metamorphose  complicirten ,  äusserst  interessanten  Generations- 
wechsel, richtiger  gesagt  zur  II  e  te  r  o  g  o  n  i  e,  geführt  (Fig.  212). 

Wenn  die  Eier  aus  dem  Uterus  entleert  werden,  sind  die  ersten 
Stadien  der  Entwicklung  schon  abgelaufen  und  ist  ein  zum  Aus- 
schlüpfen reifer  Embryo  vorhanden.  Derselbe  hat  zu  seiner  Weiter- 
entwicklung nothwendig,  dass  er  mit  den  Fäcalien  oder  Excreten  des 
Wirths  entleert  wird  und  in  das  Wasser  gelangt.  Im  Wasser  wird 
der  Deckel  der  Eisehaie  abgeworfen  und  es  kriecht  eine  Larve  („Mira- 
cidium")  aus  (A),  welche  entweder  wie  ein  Turbellar  über  und  über, 
oder  nur  am  vorderen  Ende  oder  überhaupt  nicht  bewimpert  ist. 
Kriechend  oder  mit  den  Wimpern  schwimmend  suchen  sich  die  jungen 
Thiere  ein  neues  Wohnthier  aus  dem  Stamme  der  Mollusken,  eine 
Muschel  oder  Schnecke,  auf,  um  sich  unter  Verlust  des  Wimperkleides 
einzubohren  und  durch  reichliche  Nahrungsaufnahme  zu  einem  Körper 
heranzuwachsen,  den  man  je  nach  seinem  Bau  Sporocystis  (B.  C)  oder 
Bedia  (D.  E)  nennt.  Die  Rcdia  ist  höher  organisirt,  hat  einen  Darm 
mit  musculösem  Pharynx,  zwei  stummelartige  Fortsätze  am  hinteren 
Körperende  und  eine  in*s  Körperinnere  führende  Geburtsöffnung,  Ein- 
richtungen, die  dem  Keimschlauch  oder  dem  Sporocystis  fehlen. 
Beiden  Formen  gemeinsam  ist  das  Wassergefässsystem  und  ein  Haufen 
kleiner,  das  Körperinnere  hauptsächlich  füllender  Eier  oder  Keim- 
körner.   Letztere  furchen  sich  und  werden  zu  den   Cercarien  {F), 


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..I 


I.  Plathelminthen :  Trematoden.  233 

welche  in  ihrer  Körpergestalt  an  Kaulquappen  erinnern,  da  sie  wie 
diese  einen  rundlichen  Körper  mit  einem  Ruderschwanz  haben.  Ihr 
Körper  hat  schon  vollkommen  den  Bau  eines  geschlechtslosen 
Distomum.  Stets  ist  ein  vorderer  Saugnapf  vorhanden,  an  welchen 
sich  ein  musculöser  Pharynx  mit  einem  Gabcldarm  anschliesst;  da/u 
kommt  noch  bei  den  meisten  Arten  ein  ventraler  Saugnapf.  Ferner 


Fig.  212.  Ent  wicklung  von  Distomum  hepaticum  (aus  Korschclt-Hcider  nach  Lcuckart). 
A  Larve,  B  junge  Sporocyate  aus  der  Athenihöhle  von  Linmaeus,  C  ältere  Sporo- 
cvste  mit  Bedien  im  Inneren.  D  Redie,  welche  im  Inneren  wieder  Redien  erzeugt. 
£  Redie,  welche  Cercarien  erzeugt,  F  Cerearie,  0  emgekapeeltes  Distomum.  .1  Au- 
genfleck, D  Darm,  Dr  Drüsen,  Ex  Flimmerläp|>ehen  des  Wassergefässsystems,  (/  Gc- 
burtsöffnung,  A't  Keimzellen,  X  Nervensystem. 

zeigt  das  Wassergefässsystem  und  das  Nervensystem  schon  die  An- 
ordnung wie  bei  dem  reifen  Thier;  nur  die  Geschlechtsorgane  sind 
unentwickelt  und  bestehen  aus  einem  indifferenten  Zellenhaufen.  Die 
Cercarien  müssen  auf's  Neue  das  Wohnthier  verlassen.  In  Aquarien 
sieht  man  daher  manchmal  Schnecken  und  Muscheln  von  einer  Wolke 
kleiner  Körperchen  umgeben;  das  sind  die  ausgewanderten  Cercarien, 


2.-J4 


Würmer. 


welche  im  Wasser  schwimmend  sich  einen  neuen  Wirth  aufsuchen,  je 
nach  der  Art  ein  Reptil,  Amphibium,  einen  Fisch,  ArÜiropoden  oder 
wiederum  ein  Mollush.  Sie  dringen  unter  Verlust  des  Ruderschwänz- 
chens ein,  umgeben  sich  mit  einer  Hfille  und  werden  zum  ein- 
gekapselten Distomum  (Fig.  211  G).  Dieses  bleibt  im  Ruhestand,  bis 
es  auf  passivem  Wege,  durch  Verbitterung,  wieder  in  das  erste  Wohn- 
thier gelangt  in  welchem  es  die  zur  Erlangung  der  Geschlechtsreife 
günstigen  Bedingungen  vorfindet. 

Wie  nachstehendes  Schema  (b)  lehrt,  vertheilt  sich  der  typische  Ent- 
wicklungsgang eines  Distomum  auf  3  Wohnthiere  mit  Einschaltung  eines 
doppelten  Wasseraufenthalts;  er  setzt  sich  ferner  aus  zwei  Generationen  zu- 
sammen, von  denen  die  eine  vom  befruchteten  Ei  des  Distomum  bis  zur 
Redie,  resp.  Sporocystis  reicht,  die  zweite  mit  dem  unbefruchteten  Ei  der 
letzteren  beginnt  und  sich  durch  Cercarie  und  eingekapseltes  Distomum 
zum  geschlechtsreifen  Distomum  entwickelt.  Eine  ungeschlechtliche  Fort- 
pflanzung durch  Knospung  oder  Theilung  kommt  nicht  vor;  es  wechselt 
eine  befruchtete  und  eine  purtheuogenetische  Generation;  somit  liegt  bei 
den  Trematoden  die  besondere  Form  des  Generationswechsels  vor,  welche 
man  Heterogonie  nennt. 


Entwicklungs weisen  der  Distomeen. 

n)  vereinfachte  b)  ^ewöhiiliclic  n  roiaplicirtcre 


'2  1 

-  \ 

1-arsr, 

jj 

Larve 

I.  Generation 

Lurve 

SjiorocystJ  .•» 
oder  Uedi.x 

WohiuhierT 
( Mulluskj 

Spoioc  vstis 
oder  Redi.i 

Wohnthier  I 

Sporocystis 

Wohnthier  l 
iMollusk) 

===i 

Utdia 

r  ■  '■  *t 

c 

I 

- 

c 

J 

Cercarie 

Wasser 

§ 

Cercarie 

•* 

J  ciiifickati- 

Sfltt-h  Oi*to- 
ii  i  Li  in 

Wohn- 
;hler  1 

eingekap- 
seltes 
Distomum 

Wohn. 
Thier  Jl 

Distotnuru 

YVohu- 
thler  n 

schlechls- 
reife*  LÜsto- 
nmm 

Woht  j - 
ihii-r  |] 

c«-  1 

Nclilfchts-  Wotm- 
rcllce      1    tlüer  III 
Distomum  i 

tfe- 

SChleChtS- 
^  reifes 

Wohn- 

Die  soeben  gegebene  Schilderung  passt  nicht  für  alle  Distomeen.  Bei 
manchen  Formen  kann  die  Entwicklung  eine  Vereinfachung,  bei  anderen 
eine  Complication  erfahren.  So  fällt  z.  B.  bei  Monostomum  mutabik  das 
Cercarion8tadium  aus  und  aus  dem  Ei  des  Sporocystis  entstoht  direct  ein 
geschlechtlich  unreifes  Distomum,  welches  ohne  den  Zwischen  wirth  zu  ver- 
lassen sich  einkapselt  (Tabelle  a).  Umgekehrt  ist  bei  Distomum  hepaticum 
die  Zahl  der  Generationen  vermehrt,  indem  der  aus  der  Larve  entstandene 
Sporocystis  mehrere  Generationen  von  Redien  erzeugt,  deren  letzte  erst 
Cercarien  zur  Entwicklung  bringt  (Tabelle  c). 

Am  bekanntesten  sind : 

Distomum  hejxiticum  L.  (Fig.  210^  der  Leberegel,  ein  2 — -3  cm  grosses 
Thier  von  der  Gestalt  eines  Kürbiskerns.  Der  Wurm  lebt  in  den  Gallen- 
gängen  des  Schafes,  äusserst  selten  in  denen  des  Menschen  (sicher  con- 


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i 


I.  Plathelminthen:  Cestoden.  235 

statirt  sind  etwas  über  20  Fälle),  verstopft  dieselben  und  bedingt  durch 
die  Verhinderung  des  Gallenabflusses  und  die  damit  zusammenhängende 
Entzündung  eine  unter  dem  Namen  „Leberfäule"  bekannte,  heftige,  all- 
mählig  zum  Tode  führende  Krankheit.  Zwischenwirth  ist  eine  auf  feuchten 
Wiesen  mancherorts  häufige  Schnecke,  der  Lhmuiens  tmncalulua.  womit  es 
zusammenhängt,  dass  die  Schafe  von  der  Krankheit  hauptsächlich  nur  da 
zu  leiden  haben,  wo  sie  im  Sommer  zur  Fütterung  aus  dem  Stall  auf 
feuchte  Wiesen  getrieben  werden;  die  Cercarien  scheinen  in  keinen  neuen 
Zwischenwirth  einzudringen,  sondern  sich  an  Wasserpflanzen  einzukapseln. 
Ferner  erklärt  sich  aus  der  Entwicklungsweise  der  Umstand,  dass  regen- 
reiche Jahre  zur  Ausbreitung  der  Erkrankung  wesentlich  beitragen.  So 
sind  z.  B.  in  England  im  regenreichen  Jahre  1830  ca.  l*/s  Millionen,  1812 
nur  in  der  Umgegend  von  Arles  3(X>000  Schafe  dem  Uebel  erlegen.  Ein 
häufiger  Begleiter  des  D.  heputiemn  ist  das 

I).  lanceolatunt  Mehlis,  nur  1  cm  lang  und  wenige  mm  breit,  in  Folge 
seiner  geringen  Körpergrösse  nicht  so  gefährlich  wie  das  vorige  (Fig.  209). 

D.  (DUharxia)  haematohium  Bilharz  (Fig.  213)  ist  ein  Parasit  des 
Menschen,  welcher  in  heissen  Klimaten.  besonders  häufig  bei  den  Fellahs 
Aegyptens  beobachtet  wird.  Das  Thier  ist  getrennt  ge- 
schlechtlich ;  das  ca.  1  cm  lange  Männchen  bildet  durch 
Einrollen  seiner  Seitenränder  einen  unvollkommen  ge- 
schlossenen ventralen  Canal,  den  Canalis  gynaecophorus, 
in  welchem  meist  das  schlankere  Weibchen  eingebettet 
liegt.  So  findet  man  die  Thiere  paarweis  vereint  im 
Blut  der  Pfortader  und  der  mit  ihr  anastomosirenden 
Venen.  Sie  steigen  dem  Blutstrom  entgegen  in  den 
Capillarbezirk,  um  in  der  Schleimhaut  der  Ureteren  und 
der  Blase  ihre  Eier  abzusetzen.  In  Folge  der  dadurch 
entstehenden  eitrigen  Entzündung  bildet  sich  der  so- 
genannte Milchharn,  oder  der  Harn  sieht  in  Folge  von 
Blutungen  roth  aus;  als  sicheres  Kennzeichen  der 
Krankheit  findet  man  im  Harn  die  sehr  charakte- 
ristischen Eier  vor.  In  den  Menschen  gelangt  der 
Parasit  vielleicht  durch  Genuss  von  Amphijforlm  und 
Ephemeridenlarvm,  in  welche  die  Larve,  ohne  eine  Hete-  Fig.  213.  Distnwum 
rogonie  durchzumachen,  eindringen  soll  (?).  hasmalnhium  (aus 

Hier  seien  noch  einige  weitere  menschliche  Para-   ^Uq^j]'s  ^Ynawo1 
siten  aufgeführt:  Das  in  der  Katze  lebende  D.  felincum         »ru^ 't-s^Miuni^ 
wurde  in  Sibirien  (D.  sibiricum  Winogradoff)  wieder-  chens. 
holt  in  der  Menschenleber  gefunden.   In  Nord-Amerika 
wird  das  D.  hepaticum  durch  D.  carnosum  Hassall  ersetzt.    In  Aegypten 
wurde  D.  helciophycs  Sieb,  im  Darm  des  Menschen  beobachtet.    Aus  Asien 
kennt  man  aus  der  Lunge  des  Menschen  I).  pulmonale  Bälz,  aus  Darm 
und  Leber  D.  crassum  Busk.,  D.  spnlhidntiun  Leuck.  (1).  sinnisc  Cobb.),  D. 
conjutxlum  Cobb.    Als  eingekapselte  Jugendzustände  traten  gelegentlich  im 
Menschen  auf:    D.  opldhalmobium  Dies,  in  der  Linsenkapsel,  Motiostomum 
kntis  Nordm.  in  der  Linse.   Die  bei  Unyulnten  besonders  verbreitete  Gattung 
Amphistomum  ist  im  menschlichen  Darm  (Indien)  durch  A.  hominis  vertreten. 

III.  Ordnung.    Cestoden,  Bandwürmer. 

Von  den  entoparasitischen  Tremaloden  unterscheidet  sich  die 
Mehrzahl  der  ebenfalls  entoparasitischen  Cestoden.  namentlich  alle  im 


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230 


Würmer. 


Bau  de* 
UajMl«umif> 


menschlichen  Dann  vorkommenden  Arten,  in  ganz  auffälliger  Weise.  Die 
Grenze  beider  Gruppen  wird  jedoch  durch  gewisse  in  niederen  Wirbel- 
thieren  oder  in  Wirbellosen  lebende  Formen,  wie  Archigetes,  Caryo- 
phyUaeus  und  Amphilina  verwischt,  welche  bald  zu  den  Trematoden, 
bald  zu  den  Cesioden  gerechnet  worden  sind.  Um  hier  eine  feste 
Abgrenzung  zu  ermöglichen,  stellen  wir  als  wichtigstes  Merkmal  der 
Cestoilm  in  den  Vordergrund,  dass  sie  in 
Folge  der  parasitischen  Lebensweise  auch  die 
letzten  Spuren  des  Darms  verloren  haben. 
Die  Cestodcn  sind  darin  los  und  ernäh- 
ren sich  von  den  Gewebssäften  oder  dem 
Speisebrei  ihrer  Wirthe,  indem  sie  die  flüssige 
Nahrung  durch  die  Haut  direct  in  ihr  Körper- 
parenehym  aufnehmen.  Ihre  oberflächlichste 
Schicht,  welche  man  Cuticula  nennt,  obwohl 
sie  wahrscheinlich  eher  als  Basalmembran 
eines  verloren  gegangenen  Körperepithels 
aufzufassen  ist ,  besitzt  zu  diesem  Zweck 
feine  Porencanäle.  welche  die  Resorption  der 
Nahrung  ermöglichen. 

Erst  innerhalb  der  Ordnung  kommen 
zwei  weitere  Merkmale  zur  Ausbildung,  welche 
allerdings  so  autfällig  sind,  dass  man  an  sie 
zunächst  denkt,  wenn  von  Bandwürmern  die 
Rede  ist:  1)  die  Differenzirung  von  zweierlei 
Entwicklungszuständen :  der  im  Bindegewebe 
parenchymatöser  Organe  (Muskel,  Leber,  Hirn 
etc.)  lebenden  Finnen  ( Blasenwürmer  oder 
Cystieerken)  und  der  im  Darm  schmarotzen- 
den  geschlechtsreifen  Thiere,  2)  die  Glie- 
derung der  letzteren  in  zahlreiche  auf  ein- 
ander folgende  Stücke,  den  Kopf  oder  Sco- 
lex  und  die  Glieder  oder  Proglottiden. 
Da  wenigstens  das  letztere  Merkmal  für  alle 
im  menschlichen  Darm  lebenden  und  daher 
am  meisten  untersuchten  Formen  gilt,  wollen 
wir  bei  unserer  Darstellung  mit  derartigen 
typischen  Formen  beginnen. 

Die  Zusammensetzung  des  geschlechts- 
reifen Randwurms  (Fig.  214)  aus  zahlreichen 
Stücken  bringt  es  mit  sich,  dass  derselbe  die 
ausserordentliche  Länge  von  vielen  Metern 
erreichen  kann  ;  die  Stücke  sind  in  einer 
Linie  bandförmig  hinter  einander  gereiht,  zu- 
vorderst der  stets   in   Einzahl  vorhandene 


Fig.  214. 
(aus  Boas 


Tuen ia  say inata 
nach  Lcuckart). 
»f  mit  Reihen   von  I*ro- 
glottiden  .welche  verschiedeneu 
Gegenden  der  Strobüa  ent- 
Scolex,  dahinter  die  Proglottiden,  deren  nonmien  sind. 

Zahl  bei  manchen  kleinen  Formen  (T.  echino- 

coccus)  auf  ;\  beschränkt  ist,  bei  den  grösseren  (den  Menschentaenien)  weit 
über  KXK)  betragen  kann.  Die  Proglottiden  sind  die  Abkömmlinge  des 
Scolex.  indem  sie  durch  eine  Art  Knospimg  vom  hinteren  Ende  desselben 
al»geschnürt  werden.  Diese  Entwicklungsweise  erklärt  uns  die  auch 
in  weiteren  Kreisen  bekannte  Thatsache,  dass  ein  Bandwunnleiden 
nicht  gehoben  ist,  so  lange  der  Scolex  noch  im  Darm  verbleibt  und 


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I  Plathelminthen    Ocstoden.  237 


neue  Proglottiden  zu  bilden  vermag ;  ferner  erklärt  sie  uns  die  eigen- 
tümliche Gestalt  des  Bandwurms,  welcher  am  vorderen  Ende  dünn 
wie  ein  Wollenfaden  ist  nach  rückwärts  dagegen  zu  einem  breiten 
Band  wird.  Denn  bei  ihrer  ersten  Bildung  sind  die  Proglottiden  klein, 
sie  wachsen  erst  vermöge  selbständiger  Ernährung  zu  ansehnlicher 
Grösse  heran,  um  sich  am  hinteren  Ende  abzulösen  und  allein  weiter 
zu  leben,  wenn  ein  bestimmtes  Maass  des  Wachsthums  erreicht  ist. 
Bei  der  im  Menschendarm  schmarotzenden  Taenia  solium  sind  z.  B. 
die  neugebildeten  Proglottiden  in  der  Nähe  des  Kopfes  queroblong, 
»>,5  mm  breit  und  O.Ol  mm  lang,  die  gereiften  Proglottiden  des  hinteren 
Endes  dagegen  sind  längsoblong,  5  mm  breit  und  12  mm  lang. 

Kopf  und  Proglottiden  haben  eine  Summe  gemein- 
samer Merkmale.  Ihr  bindegewebiges  Parenchym  enthält  zahl- 
reiche, rundliche  Kalkconcretionen  und  besteht  aus  zwei  Schichten, 
einer  Rinden-  und  einer  Marksubstanz.  Erstere  enthält  vor- 
wiegend die  Muskulatur,  letztere  die  übrigen  Organe.  Durch  die 
ganze  Länge  des  Bandwurms  erstrecken  sich  das  Nerven-  und  das 
Wassergefässsystem.  Im  Kopf  lassen  sich  noch  die  paarigen 
Hirnganglien  der  Plattwürmer  erkennen,  wenn  sie  auch  häufig  durch 
starke  Entwicklung  der  Commissur  zu  einer  unpaaren  Masse  ver- 
schmolzen (Fig.  216)  oder  durch  accessorische,  durch  die  Haftorgane 
bedingte  Theile  einigermaassen  verdeckt  sind.  Nach  rückwärts  ent- 
senden sie  zwei  Stränge,  welche  durch  sämmtliche  Proglottiden  nahe 
den  Seitenkanten  verlaufen  (Fig.  219).  Die  beiden  Seitennerven 
werden  in  ganzer  Länge  von  zwei  Längscanälen  des  Wrassergefäss- 
systems  begleitet,  welche  im  Kopf  sowohl  wie  am  hinteren  Rand  einer 
jeden  Proglottis  durch  quere  Stämme  verbunden  sind.  Sie  münden 
meist  nur  in  der  letzten  Proglottis  nach  aussen  und  führen  die  Ex- 
cretstoffe  aus  dem  vortrefflich  entwickelten,  mit  Flimmerläppchen 
reichlich  versehenen  Capillarsystem  ab.  Bei  vielen  Arten  werden  mehr 
als  zwei,  selbst  bis  zu  zehn  Längsgefässe  beobachtet. 

In  allem  übrigen  unterscheiden  sich  S c o  1  e x  und 
Proglottiden:  die  Proglottiden  enthalten  die  Geschlechts- 
organe, der  S co lex  dagegen  ist  mit  Haftorganen  aus- 
gerüstet, weil  er  ausser  der  Aufgabe,  Proglottiden  zu  erzeugen, 
noch  die  Function  hat,  den 
Wurm  im  Darm  zu  befesti- 
gen. Die  wichtigsten  Haft- 
organe sind  die  Saug- 
näpfe; weniger  kräftig  wir- 
ken Haken,  welche  ent- 
weder in  grösserer  Zahl  in 
einem  Hakenkranz  vereinigt 
stehen  oder  von  besonderen 


Fig. 


»l.">.  Kopf  von 
tihinii  von  olx'ii 


aus-  und  einstülpbaren  Rib 
sein  getragen  werden  (Fig.  g«'*'hen(ausHat*chek). 
215—217). 

Wo  ein  Hakenkranz  vor- 
handen ist,  liegt  derselbe  um 
das  vordere  Ende  herum  auf 
dem  Stirnfeld  und  wird  von  einem  besonderen  Apparat,  dem  Rosteilum, 
bewegt;  das  letztere  ist  ein  Muskelzapfen,  welcher  durch  die  Contractionen 
einer  musculösen  Scheide  hervorgepresst  werden  kann  und  dabei  das  Stirn- 


Fig.  LMM.  Kopf  von 
Irfra rh  t/>icltns  r iriii ig, 
geöffnet,    um  drn  im 

Innern  verlaufenden 
Theil  der  Itütwel  (o") 
und  »las  Ganglion  ig)  zu 
zeigen  (naeh  Wagener). 


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238 


Würmer. 


feld  emporwölbt,  bei  Erschlaffung  der  Scheidt  dagegen  in  das  Parenchyni 
des  Kopfes  zurückgleitet  und  sich  zusammenzieht,  Jeder  Haken  ist  mit  seiner 
Spitze  nach  auswärts  gekrümmt  und  geht  an  seiner  Basis  in  2  Wurzeln  aus, 
von  denen  die  eine  auf  dem  Rosteilum  ruht.  Wird 
dieses  hervorgepresst,  so  muss  es  auf  die  nach  innen 
gewandte  Hakenwurzel  wirken ;  der  bis  dahin  aufrecht 
stehende  Haken  wird  umgelegt  und  in  die  Darm- 
schleimhaut dos  Wirt  lies  eingeschlagen  (Fig.  217). 
i'rogi( n.don.  Die  Geschlechtsorgane  sind  Herma- 
phrodit und  in  ebenso  grosser  Anzahl  vorhanden 
als  die  Proglottiden,  so  dass  diese  früher  als  die 
mit  eigenen  FortpHanzungsorganen  ausgerüsteten 
Geschlechtsindividuen  eines  Thierstocks  angesehen 
wurden.  In  der  Ausbildung  der  Organe  muss 
man  zwei  Grundformen  unterscheiden,  von  denen 
die  eine  sich  vermöge  der  Anwesenheit  eines 
Dotterstocks  und  der  getrennten  Mündung  von 
Uterus  und  Scheide  an  den  Geschlechtsapparat 
der  Trematoden  aufs  engste  anschliesst,  während 
bei  der  zweiten  Form  der  Uterus  blind  endet  und 
die  Dotterstöcke  durch  die  kleine  Eiweissdrüse 
ersetzt  sind.  Da  männliche  und  weibliche  Geschlechtswege  gemein- 
sam münden,  ist  eine  Selbstbegattung  der  Proglottiden  ermöglicht. 
Ausserdem  wurde  eine  gekreuzte  Begattung  abgelöster  Proglottiden 
beobachtet. 

uothrioco-         Als  Beispiel  der  ersten  Form  sei  hier  der  Geschlechtsapparat  der 
Phaiu*.   Bothrioccphalülen  geschildert  (Fig.  218).    Bei   demselben  liegen  zahlreiche 
Hodenbläschen  im  Parenchym  zerstreut.    Die  kleinen  Vasa  deferentia  ver- 
einigen sich  nach  und  nach  zu  einem  Hauptcanal,  welcher  nahe  dem  vorderen 


i 


Fig.  217.  Schema 
der  Rosteilumwirkung. 
Rechts  von  der  Lüne 
ist  das  Rosteilum  vor- 
gestossen,  der  Haiken- 
kranz umgelegt  ,  links 
ist  das  Rostcllum  zu- 
rückgezogen, der 
Uakenkranz  aufge- 
richtet, r  RosteUum. 
s  Scheide,  /  longitu- 
dinale  Muskeln. 


cd 


dt 


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-.  -4  *     •*  >  ' 


£  ^  Mg  «j?  jtf 


ov 


dt 


Fig.  218.  Proglottis 
von  Bothriovrpltaliut 
latus  (nach  Sommer), 
rechts  ist  nur  der 
Dotterstock,  links  nur 
der  Hoden  dargestellt . 

dt  Dotterstock,  dg 
Dottergang,  oe  Eier- 
st<»ck,  od  Oviduct,  «J 
Sckalendrüse,  ra  Va- 

S'na,  «  Uterus;  // 
odenblaschcn .  rd 
dunkel  schrafßrtes 
Vas  deferens,  cb  Cir- 
msl)eutcl  gemeinsam 
mit  der  Vagina  mün- 
dend; tc  Wassergefäss- 
canäle. 


Rand  in  der  Mittellinie  der  Proglottis  mündet.  Der  Endabschnitt  des  Canals 
funetionirt  als  Penis  und  kann  aus  einer  besonderen  Umhüllung,  der  Penis- 
tasche oder  dem  Cirrusbeutel,  ausgestülpt  werden.  Im  weiblichen  Geschlechts- 
apparat haben  wir  zunächst  Keimstock  und  Dotterstock  auseinanderzuhalten. 


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I.  Plathelminthen :  Cestoden. 


230 


Der  Keimstock  ist  eine  zweilappige  Drüse  am  hinteren  Rand  der  Proglottis 
und  producirt  kleine,  dotterarme  Eier ;  der  Dotterstock  dagegen  besteht  aus 
zahlreichen  Läppchen,  welche  ähnlich  den  Hodenbläschen  im  Parenchym 
zerstreut  liegen.  Der  unpaare  Ausführweg  des  Keimstocks  und  die  paarigen 
Sammelcanäle  der  Dotterstöcke  vereinigen  sich  zu  einer  drüsenreichen  Aus- 
weitung, der  Schalendrüse,  in  welcher  je  eine  Keimzelle  mit  einer  grösseren 
Zahl  Dotterzellen  zu  einem  zusammengesetzten  Ei  vereinigt  und  mit  einer 
gedeckelten  Schale  versehen  wird.  Von  der  Schalendrüse  führen  2  Canäle 
nach  aussen,  der  eine,  die  Scheide,  mündet  mit  dem  männlichen  Geschlechts- 
apparat gemeinsam  durch  den  Porus  genitalis,  der  andere,  der  Uterus, 
mündet  etwas  weiter  zurück  selbständig;  er  enthält  die  reifen  und  in  Ent- 
wicklung begriffenen  Eier,  welche  zur  Zeit  der  Geschlechtsreife  sich  so 
massenhaft  anhäufen,  dass  der  Uterus  sich  in  viele  Windungen  legen  muss. 

Bei  der  zweiten  Form  des  Geschlechtsapparats,  welche  vornehmlich  tmi»i» 
den  Taenien  zukommt  (Fig.  219),  ist  der  männliche  Apparat  im  Wesent- 
lichen so  wie  bei  Bothriocrphalus  gebaut,  nur  ist  die  Ausmündung  gewöhn- 
lich seitenständig  bald  auf  der  rechten,  bald  der  linken  Kante  des  Körpers. 
Von  den  weiblichen  Organen  ist  der  Keimstock  zweilappig  wie  bei  Bothrio- 
cephahts,  die  Dotterstöcke  dagegen  fehlen  und  sind  durch  eine  unpaare 


Fig.  219.  Pro- 
glottis von  Taetiia 
saginata  in  Reifung 
der  Geschleehtaor- 
gane  begriffen  (au» 

Hatschek  nach 
Sommer).   N  Ner- 
venstrang, Ncph 

Wassergefäss,  t 
Hoden,  rd  Vas  de- 
fereus,    cb  Cirrus- 
bentel,  k  Porus  ge- 
nitalis, rag  Vagina, 
ov  Ovar,   rs  Kecep- 
taculum  seniinis, 
sdr  Schalendrüse, 
dt  Eiweissdrüse,  ti 
Uterus. 


Eiweissdrüse  ersetzt,  welche  sich  dicht  am  hinteren  Proglottisrand  zwischen 
die  Lappen  des  Keimstocks  einschiebt.  Die  Ausführwego  von  Keimstock 
und  Eiweissdrüse  vereinigen  sich  in  der  Schalendrüse,  von  welcher  —  zu- 
nächst noch  in  Uebereinstimmung  mit  Bothriocrphalus  —  2  Canäle,  Scheide 
und  Uterus,  ausgehen.  Während  nun  aber  die  Scheide  im  Bogen  zum 
seitlich  gelegenen  Porus  genitalis  verläuft  und  mit  dem  Cirrusbeutel  ge- 
meinsam in  einer  kleinen  Nische,  dem  Antrum  genitale,  mündet,  besitzt 
der  Uterus  keine  Oeffnung  nach  aussen.  Er  ist  ein  Blindschlauch,  welcher 
in  der  Mittellinie  der  Proglottis  verläuft  und,  wenn  er  sich  mit  Embryonen 
füllt,  seitlich  Blindsäcko  treibt,  anstatt  sich  wie  bei  Bothrioccphulu«  in  Win- 
dungen zu  legen.    (Vergl.  S.  245,  Fig.  226). 


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240 


Würmer. 


Der  Unterschied  im  Geschlechtsapparat  hat  auch  Einfluss  auf  die 
Beschaffenheit  der  Eier  (Fig.  220).  Bei  Bothriocephalus  sind  dieselben 
gross  (fr),  haben  eine  derbe  Schale  mit  Deckel  und  enthalten  eine 
kleine  Keimzelle  nebst  zahlreichen  Dotterzcllen;  die  Taenieneier  (h,i) 
sind  klein,  von  einer  Eiweisshülle  mit  feiner  Schale  umgeben,  welche 
frühzeitig  verloren  geht.  Statt  ihrer  bildet  sich  eine  Embryonal- 
schale,  ein  radialgestreifter  Saum,  welcher  vom  Embryo  auf  einem 
ziemlich  vorgerückten  Stadium  der  Entwicklung  ausgeschieden  wird. 
In  diesem  Zustand  bekommt  man  die  Taenieneier  meistens  zu  Gesicht. 


Fig.  220.  Eier  von  IIi  liuinllu;ii  «l<  *  incn^hliclicti  Danas  bei  400facher  VcrsTos- 
BCrung  (nu*  Leuckart).  a  Asraris  lumhricnidcs  b  und  c  von  Oxyuris  rirmicularis, 
d  'Irii  hnccphulus  dispar,  e  Dovhmius  duodenal  is,  f  Ih'stomum  hepaticum,  g  Jiistomum 
lawrolatum,  h  Tanna  xolittm,  i  Taenia  sayinaia.  k    liothriorephalus  latus. 

aJaffito?  Mit  der  verschiedenen  Beschaffenheit  des  Gcsehlechtsapparats  geht 
ccrhako.  weiter  Hand  in  Hand  eine  verschiedene  Entwicklungsweise.  Auch  hier 
erinnern  die  Bothriocephalen  an  die  Trematoden;  ihre  Eier  müssen  zur 
weiteren  Ausbildung  in  das  Wasser  gelangen;  im  Wasser  tritt  aus 
ihnen  eine  Flimmerlarve  hervor,  welche  einen  ovalen  Körper  mit  sechs 
Haken,  den  „sechshakigen  Embryo"  (Onkosphaera),  enthält  (Fig.  221). 
Die  Flimmerhülle  ist  vergänglicher  Natur  und  wird  wie  das  Flimmer- 
kleid der  Trematodenlarven  abgestreift  ;  die  „sechshakige  Larve"  dringt 
in  Fische  ein,  um  sich  in  den  Muskeln  und  Eingeweiden  derselben 
mit  einer  dünnen  Cyste  zu  umgeben  (Plerocercoid)  und  sich  direct  in 
den  Kopf  eines  Bothriocephalus  zu  verwandeln,  welcher,  durch  Ver- 
fütterung  in  den  Dann  eines  geeigneten  Wirtlis  gebracht,  zum  ge- 
schlcchtsreifen  Thier  heranwächst. 

E?i£S2  Wesentlich  davon  verschieden  ist  der  schon  seit  längerer  Zeit 
'  festgestellte  und  in  weiteren  Kreisen  bekannte  Entwicklungsgang  der 
Taenien.  Der  Unterschied  ist  schon  früh  erkennbar,  indem  der  auch 
hier  vorhandene  sechshakige  Embryo  kein  Flimmerkleid  erhält  sondern 


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I.  Plathelniinthen  :  Cestoden. 


241 


Fijr.  221.  Entwicklung  von  Bothrion phalus  (aus  Leuekart),  Fliinmcrlarvc.  Flim- 
nierlarve  mit  herausgepresster  sechshakiger  Larve,  eingekapselter  junger  Bnthrioce- 
phalus. 

von  der  oben  erwähnten,  dem  Fliininerkleid  entsprechenden  Embryo- 
nalschale  umhüllt  wird.  Aus  diesem  selbstgefertigten  Behälter,  welchen 
es  selbst  nicht  sprengen  kann,  muss  das  junge  Thier  durch  die  Ver- 
dauungssäfte  im  Magen  eines 
geeigneten  Zwischenwirths 
befreit  werden.  So  müssen 
die  Eier  von  Taenia  solium 
in  den  Magen  des  Schweins 
gelangen,  indem  das  Schwein 
durch  Verunreinigung  seiner 
Nahrung  die  mit  Embryonen 
gefüllten,  mit  den  Fäealien 
abgehenden  reifen  Proglot- 
tiden  oder  auch  die  durch 
Platzen  der  Uterusblindsäcke 
frei  gewordenen  Eier  ver- 
zehrt. Aus  ihrer  Schale  be- 
freit, bohren  sich  die  mikro- 
skopisch kleinen  Larven  mit 
ihren  sechs  Haken  durch  die 
Darmschleimhaut .  nvandern 
durch  das  lockere  Bindege- 
webe vornehmlich  in  die 
Muskeln,  seltener  in  andere 
Organe  ein  und  setzen  sich 
hier  fest,  um  zu  F  i  n  n  e  n 
(Cysticerken)  zu  werden  (Fig. 
'J'2'Jl  Sie  lassen  dabei  die 
eigentliche  Muskelsubstanz, 
die  Sarkolemmsehläuehe,  un- 
berührt und  bleiben  im 
Bindegewebe  des  Muskels. 
Bei  der  Umwandlung  zur 
Finne  nehmen  sie  eine  ovale 
Gestalt  an  und  scheiden  eine 


r  r 

Fig.  '-2'2.  Hau  und  Entwicklung  der  Finne  von 
Tamia  solium  (Cysticercus  cellulosae),  a  reife 
Finne  mit  ausgestülptem  Kopf  (schwach  ver- 
grossert).  />  reife  Finne  mit  eingestülptem  Seolex, 
t  junge  Finne  mit  Anlage  des  Sculex  und  mit  Wa>- 
sergefässnetz.  rfu.e  zwei  Ausbildung>stufen  desSco- 
lex  allein  dargestellt  hei  stärkerer  Vergrößerung. 


Cyste  aus,  zu  welcher  das 
Schwein  noch   eine    den   Fremdkörper   abkapselnde,  bindegewebige 
Hülle  liefert.    Die  Finnenanlage  wächst  durch  Zunahme  der  Zellen, 

Bvrtwlf,  Lehrbuch  der  Zoologie.    3.  Aufl»«r. 


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242  Würmer. 

mehr  aber  noch  durch  Infiltration  mit  einer  serösen  Flüssigkeit, 
welche  alle  Gewebsbestandtheile  nach  der  Peripherie  zu  einer 
zarten  durchscheinenden  Membran  zusammendrängt  und  so  reichlich 
sein  kann,  dass  bei  Taenia  solittm  das  anfangs  microscopisch  kleine 
Thier  zu  einem  Bläschen  von  Erbsen-  oder  Bohnengrösse,  bei  anderen 
Taenien  sogar  von  der  Grösse  eines  Hühnereies  wird.  Die  Wandung 
des  Bläschens  bildet  durch  Einstülpung  die  Anlage  des  Scolex  (Fig. 
222  b,  c) ;  letzterer  hat  anfangs  die  Gestalt  eines  Säckchens,  wächst 
aber  bald  zu  einem  Schlauch  aus,  welcher  an  seiner  Ausdehnung 
durch  eine  Hülle,  das  Receptaculum  scolicis,  behindert  wird  und  sich 
daher  winkelig  einknicken  muss  (<7,  e).  In  der  Finnenwand  erscheint 
deswegen  der  Scolex  als  eine  weissliche  Anschwellung. 

Am  Grund  des  eingestülpten  Blindsacks  entsteht  die  charak- 
teristische Bewaffnung  des  Scolex,  welche  es  ermöglicht,  mit  Sicher- 
heit vorauszusagen,  welcher  Bandwurm  aus  der  Finne  hervorgehen 
wird ;  speciell  bei  T.  solium  bilden  sich  vier  Saugnäpfe  und  ein 
Hakenkranz.  Diese  Theile  sind  zunächst  einwärts  geschlagen  und 
kommen  erst  in  richtige  Lage  auf  die  Aussenseite  des  Scolex,  wenn 
die  Anlage  des  letzteren  wie  ein  Handschuhtinger  umgestülpt  wird. 
Die  Umstülpung  tritt  jedoch  in  der  Cyste  nicht  ein,  sowie  auch  zu- 
meist die  Bildung  der  Proglottiden  und  damit  der  Eintritt  der  Ge- 
schlechtsreife unterbleibt.  Die  Weiterentwicklung  setzt  voraus,  dass 
die  Finne  als  Nahrung  mit  dem  Fleisch,  in  welchem  sie  enthalten  ist. 
in  den  Magen  eines  geeigneten,  neuen  Wirths  gelangt.  Wenn  der 
Mensch  z.  B.  finniges  Schweinefleisch  geniesst,  so  werden  durch  die 
Einwirkung  der  Magensäfte  die  Finnen  befreit  und  im  weitereu  Ver- 
lauf die  Seoliees  ausgestülpt.  Den  letzteren  hängen  eine  Zeit  lang 
noch  die  eigentlichen  Finnen  als  sogenannte  Schwanzblasen  an,  bis 
auch  diese  den  Verdauungssäften  erliegen,  worauf  der  Scolex  mit  der 
Bildung  der  Proglottiden  beginnt. 
M...MC-  Wenn  die  Finnen  eine  bedeutende  Grösse  erreichen,  ao  erhalten  sie 

iieuiunK  ii.r  damit  zugleich  die  Fälligkeit,  mehr  als  einen  Scolex  zu  erzeugen.  Die  im 
Tr" "itnT  Hirn  der  Schafe  lebenden  Finnen  von  Cociitmts  rarl/ralis  sind  auf  ihrer 
vu.rmrr.  I,menwan(i  mit  Hunderten  von  Scolices  bedeckt;  noch  grösser  ist  die  Zahl 
bei  Tue nia  frhiwMi-orus,  bei  welcher  die  Finne  sich  längere  Zeit  durch 
Knospuug  vermehrt  und  durch  Abschnürung  zahlreicher  Tochterblasen 
eine  bedeutende  Geschwulst  besonders  in  Lunge  und  Leber  von  Haus- 
thiereu  und  Menschen  erzeugt,  ehe  die  Bildung  der  Scolices  beginnt.  Zu- 
nächst entstehen  hier  im  Innern  einer  Tochterblase  mehrere  Brutblasen, 
von  welchen  eine  jede  wiederum  mehrere  Scolices  producirt,  so  dass  aus 
einem  G-hakigen  Embryo  Tausende  von  Scolices  hervorgehen  können  (Fig. 
227\  Diesen  extremen  Fällen  zunehmender  Complication  des  Finnen- 
stadiums stehen  Zustände  gegenüber,  welche  zu  dem  Entwicklungsgang 
von  ßothrioeephalus  überleiten,  indem  das  Finnenstadium  durch  das 
Cysticercoid  ersetzt  wird.  Da  hier  die  Infiltration  mit  Flüssigkeit 
unterbleibt,  wird  der  Scolex  von  seiner  der  Finnenwand  entsprechenden 
Hülle  direct  und  eng  umfasst.  Was  man  Finne  nennt,  gewinnt  den 
Charakter  des  hinteren  vergrösserten  Scolexendes,  in  welches  das  vordere 
zurückgezogen  worden  ist  (Fig.  223). 

Das  Gesagte  ist  für  die  richtige  Beurtheilung  der  Entwicklung  der 
Bandwürmer  von  grosser  Wichtigkeit.  Früher  deutete  man  die  Entwick- 
lung als  einen  complicirten  Generationswechsel:  die  Finne  sei  die 
Grossamme,  welche  durch   endogene  Knospung  den  Scolex  erzeuge;  der 


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I.  Plathelminthen :  Cestoden. 


243 


Scolex  wiederum  sei  eine  Amme,  von  welcher  durch  terminale  Knospung 
die  Geschlechtsthiere,  die  Proglottiden,  gebildet  würden ;  der  Bandwurm- 
körper selbst  sei  eine  Kette  von  Individuen,  eine  Strobila.  Diese  Vor- 
stellung, so  praktisch  sie  auch  für  den  Anfanger  ist,  um  sich  den  Entwick- 
lungsgang einzuprägen,  und  so  sehr  sie  auch  auf  den  ersten  Blick  einleuchtet, 
ist  doch  nicht  aufrecht  zu  erhalten,  da  sie  an  zwei  Fehlern  leidet.  Erstens 
ist  die  Finne,  wie  oben  gezeigt  wurde,  keine  selbständige  Generation,  son- 
dern nur  das  verfrüht  sich  anlegende  hintere  Ende  des  Scolex.  Zweitens 
ist  der  Bandwurmkörper  keine  Colonie,  sondern  ein  einheitliches  Thier; 
die  Proglottiden  sind  nicht  Individuen ,  sondern  individualisirte  Stücke 
dieses  einheitlichen  Thieres.    Man  kann  diese  Auffassung  durch  Vergleich 


Fig.  223. 


Fig.  224. 


Fig.  223.  Cysticereoid  im  ein- 
gestülpten und  ausgestülpten 
Zustand  (aus  Hatsehek). 

Fig.  224.  Cnryophyllaeus 
mutabilis  (nach  M.  Schnitze). 
k  Scolex,  t  Hoden,  df  Vaa  de- 
ferens,  r*  Vesicula  seininalis, 
jm  Penis ,  ri  Dotterstock ,  dv 
Dottergänge,  OV  Ovarien,  tä 
Uterus,  rs  Receptaculuni  se- 
ininis. 


der  einzelnen  Bandwurmfamilien  beweisen.  Die  CanjophyUnrukn  sind  ein- 
heitliche Körper,  deren  vorderes  Ende  sich  verlängert  und  die  Stelle  des 
Scolex  vertritt,  während  das  hintere  verbreiterte  Endo  einen  einzigen  herma- 
phroditen  Geschlechtsapparat  enthält  (Fig.  224).  Ihnen  schliessen  sich  die 
Liguliden  an,  bei  denen  der  Geschlechtsabschnitt  des  Körpers  noch  unge- 
gliedert ist,  an  Grösse  aber  zugenommen  hat,  weil  zahlreiche  Geschlechts- 
apparate in  ihm  entstanden  sind.  In  dieser  Vervielfältigung  des  Geschlechts- 
apparats ist  der  Grund  zu  suchen,  dass  das  hintero  Ende  des  Bandwurms 
sich  in  viele  Stücke,  die  Proglottiden,  abgetheilt  hat. 

Ueber  die  besprochenen  Entwicklungserscheinungen  der  Bandwürmer  Hi*u>ri«eh*» 
hat  vornehmlich  das  Experiment  Klarheit  verschafft.    Nachdem  v.  Sie- 

16* 


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244 


Würmer. 


b  o  1  d  und  Andere  schon  früher  bewiesen  hatten,  dass  die  Scolices  mancher 
Finnen  den  Scolices  vieler  geschlechtsreifer  Bandwürmer  genau  entsprachen, 
z.  B.  der  Scolex  von  Cysticercus  cellulosae  des  Schweins  dem  Scolex  von 
Tacnia  solium  des  Menschen,  haben  Küchenmeister  und  Leuckart 
die  Frage  experimentell  entschieden.  Zum  Tode  verurtheilte  Verbrecher, 
welche  frei  von  Bandwürmern  waren,  wurden  einige  Wochen  oder  Monate 
vor  der  Enthauptuug  mit  finnigem  Schweinefleisch  ernährt  und  enthielten 
beim  Tode  die  mehr  oder  minder  weit  entwickelten  Individuen  von  Tnenia 
solinui  ;  ferner  wurden  Schweine  finnig  gemacht,  indem  man  sie  Proglottiden 
von  Tue nia  solium  verzehren  Hess.  Nachdem  die  Ungefahrlichkeit  des  zu- 
erst genannten  Experiments  festgestellt  war,  haben  viele  Experimentatoren 
an  sich  selbst  die  Versuche  weiter  fortgesetzt.  Durch  ähnliche  Experimente 
wurde  von  Braun  bewiesen,  dass  Heclttr,  welche  eingekapselte  Ihthrin- 
eephuleu  enthalten,  den  Menschen  mit  dem  breiten  Bandwurm,  B.  Intus. 
inficiren  können. 

1.  Farn.  Cun/ophylhteiu'cu.  Bandwürmer  ohne  Saugnäpfe,  mit  einfachem 
Geschleehtsapparat,  bei  denen  Scolex  und  Proglottis  noch  nicht  gegen  ein- 
ander abgesetzt  sind.  —  Die  Thiere  sind  den  Trematoden  sehr  ähnlich 
und  unterscheiden  sich  von  ihnen  vorwiegend  durch  den  Mangel  des 
Darms ;  ihre  Jugendformen  leben  wahrscheinlich  in  wirbellosen  Thieren, 
die  Geschlechtsformen  fast  stets  in  Fischen.  ( 'nry(ß]>hylhu  us  mutnbilis  Rud. 
(Fig.  224)  im  Darm  der  Cyprinoiden :  Amphiliua  folinan  Wagen,  in  der 
Leibeshohle  des  Sterlet;  Are/t  iyetis  Siehohl i  Leuck.  in  Ringel  Würmern 
tSueuuris). 

2.  Farn.  Liyululen.  Bandwürmer  ohne  Saugnäpfe  mit  multiplem  Ge- 
schlechtsapparat, Scolex  und  Proglottiden  noch  nicht  gegen  einander  ab- 
gesetzt. Die  geschlechtlich  unentwickelten  Thiere  leben  in  der  Bauchhöhle 
von  Fischen,  die  geschlechtsreifen  im  Darm  von  Wasservögeln  (Schnepfen- 
dreck, vorwiegend  von  Bandwürmern  gebildet).  Beiderlei  Zustände  sind 
breite  riemenartige  Bänder,  in  deren  Innerem  die  multiplen  Geschlechts- 
organe den  Zerfall  in  Proglottiden  vorbereiten,  ohne  dass  derselbe  äusser- 
lich  zum  Ausdruck  kommt.    Liyuhi  simplieissinm  Rud. 

X.  Farn.  Trtrnrhynchhh  n.  Bandwürmer  mit  Scolex  und  Proglottiden. 
Kopf  mit  4  aus-  und  einstülpbaren,  hakenbewaffneten  Rüsseln  (Fig.  216). 
Die  Bandwürmer  leben  sowohl  im  geschlechtsreifen  wie  im  geschlechts- 
losen Zustand  in  Fischen.    Trfruehyuihus  yiyns  Bened. 

4.  Farn.  Jiothriocephalhleu.  Bandwürmer  mit  Scolex  und  Proglottiden: 
Kopf  spatelartig  mit  2  Sauggruben  auf  den  schmalen  Kanten. 

Aus  der  Familie  interessirt  uns  besonders  der  JJothriocephnlus  Infus 
Brems,  i  Fig.  225} ,  der  grösste  Bandwurm ,  welcher  sich  im  Darm  von 
Menschen  (auch  von  Hund  und  Katze)  findet,  da  er  bis  zu  12  Meter  lang 
werden  und  mehrere  Tausend  Proglottiden  enthalten  kann.  Die  quer- 
ovalen, etwa  1  cm  breiten  und  etwas  weniger  langen ,  reifen  Proglottiden 
sind  gequetscht  oder  eingetrocknet  leicht  an  der  durch  die  Windungen 
des  Uterus  veranlassten  Zeichnung  zu  erkennen.  Der  spatelartige  Kopf 
ist  in  einer  Richtung  abgeplattet,  welche  senkrecht  zur  Richtung  steht,  in 
welcher  der  Rumpf  abgeplattet  ist.  Aus  den  Eiern  schlüpft  im  Wasser  eine 
bewimperte  Larve  aus.  welche  einen  G-hakigen  Embryo  umschliesst;  dieser 
wandelt  sich  in  Fischen  zum  geschlechtslosen  Bothriocephalus  um.  Der 
Mensch  erhält  den  Parasiten  durch  den  Genuss  von  ungekochtem  und  un- 
genügend gesalzenem,  inficirtem  Hechtfleisch;  ausserdem  können  noch 
Barsch,  Quappe  und  einige  Salmoniden  (Huchen,  Aesche,  Forelle,  Seeforelle. 


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I.  Plathelminthen:  Cestoden. 


245 


Felchen)  Zwischenwirthe  sein.  Daher  die  Erscheinung,  dass  der  Bothrio- 
ccphahis  seinen  Verbreitungsbezirk  vorwiegend  in  wasserreichen  und  in 
Folge  dessen  auch  fischreichen  Gegenden  besitzt,  wie  in  den  Ostsee- 
provinzen und  in  der  Schweiz.  In  Grönland  findet  sich  Ii.  cordatus  Leuck., 
1  m  lang,  in  Japan  und  China  als  Plerocercoid  des  Menschen,  Ii.  liyn- 
loidc.s  Cobb. 

5.  Farn.  Tacniadcn.  Bandwürmer  mit  Scolex  und  ablösbaren  Proglot- 
tiden :  am  Scolex  stets  4  Saugnäpfe ,  bei  einem  Theil  ausserdem  noch  ein 
Rostellum  mit  Hakenkranz;  in  den  Proglottiden  ist  der  Dotterstock  durch 
die  kleine  Eiweissdrüse  ersetzt,  der  Uterus  blind  geschlossen;  der  Poms 
genitalis,  die  gemeinsame  Mündung  für  Vas  deferens  und  Scheide,  liegt 
gewöhnlich  seitlich  in  den  Proglottiden,  alternirend  rechts  und  links,  selten 
nur  einseitig  (Hymenolcpis  Anoplocrphalusj,  selten  ist  er  in  jeder  Proglottis 
doppelt  (Dipylidium  Monicxia).  Cysticerken  und  Cysticercoide  fehlen  nur 
selten. 


Fig.  •>>.>. 


8  A 


Fig.  2J">.  Kopf  von  Bothriocephalu* 
ln(n.«  A  von  »1er  Fläch«'.  D  von  der  eine 
Sandgrube  tragenden  Kante  gesehen ,  C 
eine  Reihe  von  Proglottiden  mit  der 
durch  den  Uterus  bedingten  Zeichnung. 

Fig.  Kopf  und  reife  Prnglottis: 

A  von  Turnki  »aginota,  ff  von  Tacnia  so- 
ll um. 


Fig.  22a 
*  B 


Wir  stellen  zunächst  die  im  Menschen  vorkommenden  Tacnicn  zu- 
sammen, wobei  wir  unterscheiden  müssen,  ob  sie  als  geschlechtsreife  Thiere 
oder  als  Finnen  im  menschlichen  Körper  beobachtet  werden. 

a)  Tarnten,  welche  geschlochtsreif  im  Darm  des  Menschen 
vorkommen. 

Hier  müssen  in  erster  Linie  Tacnia.  sali  um  Rud.  und  Tacnia  myinata 
Goeze  (7'.  nicd'nxancllata  Küchm.)  genannt  werden,  deren  Unterscheidung  mit 
Hilfe  beistehender  Abbildungen  und  der  Tabelle  auf  der  folgenden  Seite  leicht 
zu  bewerkstelligen  ist  (Fig.  226).  Für  die  Praxis  ist  es  nicht  unwichtig,  dass 
Tacnia  sayinata  trotz  des  mangelnden  Hakenkranzes  vermöge  ihrer  derberen 
Saugnäpfe  schwieriger  abzutreiben  ist.  Bei  Tacnia  soliutn  verdient  Beachtung, 
dass  man  sie  wiederholt  schon  im  Menschen  auch  als  Finnen  beobachtet 
hat,  und  zwar  häufig  an  Stellen  wie  Hirn  und  Auge,  wo  dieselben  schwere 
Schädigungen  veranlassten;    dieses  Vorkommen  erklärt  sich  z.  Th.  wohl 


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240  Würmer. 

aus  Verunreinigung  der  Nahrung  mit  Eiern,  möglicherweise  aber  auch 
durch  eine  innere  Selbstinfeetkm :  dass  bei  starken  Brechbewegungen 
Stücke  des  Bandwurms  in  den  Magen  gelangten  und  hier  verdaut  wurden, 
wodurch  die  Embryonen  befreit  und  zum  Auswandern  veranlasst  wurden. 


Kopf 

Zahl  der 
Froglotti- 
den 

Uterus 

Lange  des 
Wurms  und  der 
reifen  Proglot- 
tiden 

Beschaffen- 
heit der 
Finne 

Taenia 
soliutn 

mit  Kostelluui 

und  Haken- 
kranz  (30  lia- 
keuin  2  Keilien) 
4  schwache 
Sauguapfe 

8-0OO 

mit  jederseits 
7 — 0  plumpen, 

vcräsi  eltcn 
Aussackungen 

a.  3— 3<  j  Meter 

b.  9— 11  mm 

lang 
0—7  mm 

breit 

6—20  mm, 
reich  an 
Flüssigkeit 

im  Schwein,  ab 
und  su  auch  in 

•Jen  Muskeln, 
dem  Illrn,  Aug- 
apfel des  Men- 
schen 

Taenia 
saginata 

kein  Kostellum, 

kein  Haken- 
kraus,  4  starke 
Saugnüpfe 

I7O0-I30O 

mit  jederseits 
20—30  zier- 
lichen. twcnig 

verästelten 
Aussackungen 

a.  7—8  Meter 

b.  18—20  mm 

lang 

5-7  mm  breit 

4—8  mm 
derb,  mit 
wenig  Flüs- 
sigkeit, da- 
her kleiner 

im  Rind 

Manche  Taenien  sind  anderen  Säugethicren  eigentümlich,  kommen 
aber  auch  im  Darm  des  Menschen  vor.  Bei  Mäusen  und  Ratten  finden 
sich  die  Taenia  (Jhfmcnokp'm)  murina  Duj.  und  die  T.  (Ilf/menolepis)  Irpfo- 
trpfiala  Creplin.  Erstere  soll  mit  der  7.  nana  Siob.  identisch  sein,  welche 
in  der  Neuzeit  namentlich  in  Italien  häufig  im  menschlichen  Darm  nach- 
gewiesen wurde  (Fig.  107,  S.  138).  Der  2—4  cm  lange  Wurm  kann  zu 
Tausenden  auftreten  und  nicht  unbedenkliche  Beschwerden  verursachen ; 
er  entwickelt  sich  ohne  Zwischenwirth,  indem  Eier  durch  Verunreinigung 
der  Nahrung  in  den  menschlichen  Darm  gelangen  und  hier  zu  Bandwürmern 
werden.  T.  Irptwrphah  ist  als  T  fJaropundata  Weiul.  und  T.  diminuta  Rud. 
aus  dem  Menschen  beschrieben  worden.  Den  Zwischenwirth  stellen  hier 
Insecten  in  analoger  Weise  wie  bei  T.  (Dipylidinm)  cueumerina  Rud.,  die 
sehr  häufig  Hunde  und  Katzen,  ab  und  zu  auch  den  Menschen  befällt. 
Eine  tropische  Form  ist  T.  (Daiainm)  madayunwirifusia  Dav. 

b.  Taenien,  welche  als  Cysticerken  im  Menschen 
schmarotzen. 

Ausser  dem  Cysticercus  cellulosae  von  Taenia  sali  um  hat  man  die 
Cysterken  von  Taenia  aeanthoirias  Weinl.  ( wahrscheinlich  mit  T.  solium 
identisch)  im  Menschi  n  beobachtet.  Ein  häufiger  und  für  die  practische 
Medicin  äusserst  wichtiger  Parasit  ist  jedoch  nur  der  Cysticercus  der 
Taenia  eehinoromis  Sieb.  (Fig.  227).  Der  ausgebildete  Bandwurm  lobt  im 
Darm  des  Hundes  und  ist  wegen  seiner  Kleinheit  leicht  zu  übersehen.  Er 
ist  höchstens  5  mm  lang  und  besteht  aus  einem  Scolex  mit  3 — 4  Pro- 
glottiden.  Der  Scolex  hat  ausser  den  vier  Suuguäpfen  ein  Rosteilum  mit 
Hakenkranz.  Werden  die  Eier  in  den  menschlichen  Darm  verschleppt, 
wozu  das  Streicheln  und  Küssen  inficirter  Hunde  die  günstigen  Vor- 
bedingungen liefert,  so  wandern  die  ausschlüpfenden  Embryonen  in  Lober, 
Lunge,  Hirn  oder  andere  Organe  und  erzeugen  hier  Geschwülste,  welche 
in  der  Leber  bis  zu  Kindskopfgrösse  und  zur  Schwere  von  10,  ja  selbst 
30  Pfund  heranwachsen  können.  Diese  aussergewühnliche  Grösse  wird 
dadurch  bedingt,  dass  der  aus  dem  Embryo  hervorgegangene  Cysticercus 
durch  Knospung  nach  innen  und  nach  aussen  (endogener  und  exogener 


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I.  Plathelminthen :  Cestoden. 


247 


Echinococcus)  viele,  manchmal  Hunderte,  selten  Tausende  von  Tochter- 
blasen erzeugt,  bevor  die  Bildung  der  Brutblasen  beginnt,  an  denen  die 
Scolicos  (meist  je  5 — 10)  entstehen.  Wenn  letzterer  Process  ganz  aus- 
bleibt, so  entstehen  Blasen  ohne  Köpfe,  die  Acephalocysten  Häufiger 
als  beim  Menschen  iE.  hominis)  sind  die  Echinococcen  im  Rind,  Schaf, 
Schwein  (E.  reterinorum).  Auch  bei  Affen, 
Nagern ,  ja  selbst  finuf>-  und  BeuteUhieren 
wurden  Echinococcen  beobachtet. 

Im  Anschluss  an  obige  Parasiten  des 
Menschen  seien  hier  noch  die  wichtigsten 
Taenien  genannt,  welche  nur  in  Thieren  be- 
obachtet werden.  Im  Hundedarm  leben 
ausser  T.  cueumerinn  und  T.  echinoeoccus :  T. 
coenurwt  Sieb.  (Finne  Coenurus  ccrebralis  im 
Hirn  der  Schafe  erzeugt  die  Drehkrankheit); 
T.  serialis  Baillet,  beide  ca.  V,  Meter  lang 
(Finne  Coenurus  scriali*  im  Kaninchen) :  T. 
srrrata  Goeze  (auch  in  Wolf  und  Fuchs) 
V2—  2  Meter  lang  (Finne  C.  pisiformis  in 
Leber  und  Mesenterium  von  Hase  und  Ka- 
ninchen); T.  marginata  Batsch,  2 — 5  Meter 
lang  (Finne  C.  tenuicollis  in  Peritoneum  und 
Pleura  von  Wiederkäuern).  Im  Katzendarm  : 
T.  crassicollis  Rud.,  ca.  '/2  Meter  lang  (Finne 
C.  fasciolaris  von  Mäusen  und  Ratten).  Im 
Darm  der  Wiederkäuer:  71  {Manie xia)  expansu 
Bud.  und  (hntietdata  Rud.,  erstere  4  —  5  Meter, 

letztere  ca.  Meter  lang.  Im  Pferdedarm:  T.  (Anoplocephala)  plicata 
Zeder,  V2  Meter  lang. 


Fig.  227.  Taenia  echinoroccus 
(aus  Hatschek  nach  I>euckart). 
Geschlechtsreife»  Thier,  daneben 
ein  Stück  einer  Brutblaae  mit 
ansitzenden  Scoliees. 


IV.  Ordnung.    Nomertinen,  Schnurwürmer.  ' 

Die  letzte  Ordnung  der  Vlattwürmer  bilden  die  Schnurwürmer 
oder  Nemertincn,  Thiere,  welche  gewöhnlich  ansehnlich  gross  sind  und 
öfters  die  Länge  von  fast  1  m  erreichen.  Sie  leben  selten  im  Süsswasser 
und  auf  dem  festen  Land  in  feuchter  Erde,  sind  dagegen  häufig  im 
Meere,  wo  sie  unter  Steinen  oder  Tangwurzeln  zusammengerollt  liegen. 
Von  den  rhabdocoelen  Turbcllaricn,  denen  sie  am  nächsten  stehen,  unter- 
scheiden sie  sich  vornehmlich  durch  drei  Charaktere: 

1)  Durch  die  Bildung  eines  ectodermalen  Enddarms  hat  der  Darm 
eine  Aftermündung  erhalten  und  ist  zu  einem  durchleitenden  Rohr 
geworden  (Fig. 

2)  Ein  Schlundkopf  fehlt,  dafür  ist  ein  besonderer  Rüssel  vor- 
handen, welcher  dorsal  über  dem  Darm  liegt  und  getrennt  von  dem- 
selben mündet»  Der  Rüssel  ist  ein  blind  geschlossener,  weit  nach 
rückwärts  reichender  Schlauch,  welcher  von  einer  musculösen  Rüssel- 
scheide eng  umschlossen  und  an  den  Grund  derselben  durch  einen 
Rfickziehmuskel  befestigt  ist.  Durch  Contractionen  der  Scheide  wird 
der  Rüssel  wie  ein  Handschuhfinger  umgestülpt  und  zum  Angriff 
oder  zur  Verteidigung  in  ganzer  Länge  über  die  Körperoberfläche 
hervorgestossen,  während  der  Rückziehmuskel  die  Aufgabe  hat,  die 


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248 


Würmer. 


Fig.  'J'JS.  Junges  Tetrastci/twa 
uh.tr ii nun  (suis  Hatschek  nach 
M.  Schult ze  .  Rüsselöffnung, 
r  Rüssel,  st  Haupt-  und  N'eben- 
stilets.  r'Dnisensaek  de*  Kussels, 
rm  Ketraetur  des  Rü»els,  or 
Augen ,  f  Flimniergruben ,  ry 
Hirngangl  ion .  i  c  dor*ale  Coin- 
misftUT,  nl  Seilenstränge,  ncph 
Wassergefüsse.  deren  Mündung, 
tnr  dorsales ,  Ig  xeitlichc  Blut- 
gefäsxe,  i  Dann,  a  After. 


Waffe  nach  dem  Geltrauch  wieder  irr 
die  Ruhelage  zurückzuführen.  Bei  vielen 
Neniertinen  wird  die  Gefährlichkeit  dieser 
Waffe  noch  durch  zwei  Einrichtungen 
wesentlich  gesteigert:  Erstens  findet  sich 
am  Grund  des  Sacks  ein  Stil  et,  welches 
die  Spitze  des  ausgestülpten  Rüssels  krönt 
und  neben  dem  noch  einige  Reservestilets 
liegen,  zweitens  mündet  an  der  Basis  des 
Stilets  ein  bei  stiletlosen  Nemertinen 
fehlender  hinterer  Giftsack,  der  nicht  mit 
ausgestülpt  wird. 

3)  Ein  drittes  Merkmal  höherer  Orga- 
nisation ist  das  B 1  u  t  gef ä  s ss  y  s  t  e  in , 
welches  aus  einem  dorsalen  und  zwei  seit- 
lichen Längsstämmen  besteht,  die  vorn 
und  hinten  durch  Schlingen  unter  ein- 
ander zusammenhängen. 

Das  ('entralnervensystem  —  oft  durch 
Hämoglobin  roth  gefärbt  —  gleicht  dem 
der  TurMlnrkit.  Zwei  obere  Schlundganglien 
sind  durch  eine  dorsale  Commissur  verbun- 
den, welche  von  dem  durchtretenden  Rüssel 
in  einen  oberen  und  unteren  Strang  getrennt 
wird;  sie  verlängern  sich  nach  hinten  in 
zwei  Seitennerven,  welche  auf  der  Bauch- 
seite durch  zahlreiche  Quercommissuren  zu- 
sammenhangen. An  die  oberen  Schlund- 
ganglien legen  sich  zwei  seitliche  flimmernde 
Gruben  an,  tiefe  Einsenkungen  der  Haut, 
deren  oberflächliche  Mündungen  vom  Thier 
nach  Belieben  geöffnet  und  geschlossen  wer- 
den können.  Früher  für  Respirationsorgane 
gehalten,  gelten  sie  jetzt  mehr  für  Geruchs- 
grübchen, wie  sie  auch  bei  anderen  Wür- 
mern {%.  B.  Mlcrostomem)  vorkommen.  Von 
unzweifelhaften  Sinnesorganen  sind  nur 
Ocellen  und  Tasthaaro  häufiger,  Hörbläschen 
dagegen  äusserst  selten  beobachtet  worden. 
Während  die  Wassergefässo  an  die  Zier« 
hrllurim  erinnern,  haben  die  Geschlechts- 
organe einen  Bau  eigener  Art ;  sie  bilden 
jederscits  eine  Reihe  hinter  einander  gela- 
gerter Säckchen,  welche  auf  dem  Rücken 
nach  aussen  münden  und  mit  ßlindsäcken 
des  Darms  alterniren.  In  der  Regel  herrscht 
Gonochorismus. 

Die  Entwicklung  ist  selten  eine  directe, 
häufiger  eine  Metamorphose,  bei  welcher  die 
Fechterhutlarve,  das  Pilidium  (Fig.  22J») 
oder  die  aus  dem  Pilidium  durch  Rück- 
bildung entstandene   Desor'sche  Larve 


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I.  Plathelminthen :  Nemertinen. 


249 


auftritt.  Das  Pilidium  ist  ein  Gallertkörper  von  der  Gestalt  eines  Napoleons- 
hutes, von  dessen  unterem  Rand  links  und  rechts  2  Mundlappen  herunter- 
hängen, welche  an  die  Schutzklappen  eines  Fechterhutes  erinnern.  Der  Rand 
der  Lappen  und  des  übrigen  Hutes  ist  von  einem  Wimperreif  eingefasst, 
einer  verdickten  Epithelpartie,  welche  Flimmern  trägt.  Ein  Flimmerbusch 
auf  der  Spitze  des  Hutes  geht  von  einer  Epithelverdickung  (Scheitel- 
platte)  aus,  welche  wahrscheinlich  als  Centrainervensystem  functionirt.  Im 
Inneren  findet  sich  ein  am  hinteren  Ende  geschlossener  zweitheiliger  Darm, 
welcher  zwischen  den  Mundlappen  nach  aussen  mündet.  Bei  der  Meta- 
morphose wird  er  allein  in  den  fer- 
tigen Wurm  mit  hinübergenommen 
und  durch  einen  complicirten  Fal- 
tungsprocess  aus  dem  sich  rückbil- 
denden Gallertkörper  der  Larve  her- 
ausgeschält. 

Systematisch  unterscheidet  man 
zwei  Unterordnungen  :  1 )  Enojila 
(Hoploncmertinfn):  Nemertinen,  deren 
Rüssel  ein  Stilet  besitzt,  deren  Ent- 
wicklung eine  directe  ist.  Xcmerlcs 
grarilis  Johnst.,  Tetrasfruuna  obtCWUtn 
M.  Schultze  (Fig.  228),  im  Süsswasser 
TetrasUmma  laeustn  du  Ples.,  auf  dem 
Land  Geonemrrtrs  chalicophOTQ  GrafF. 
2)  Anopfa  (neuerdings  in  Vnhmmrwf  r- 
tinen  und  Sthixonemcrtinen  gesondert),  (aunTLang 

Thiere  mit  Metamorphose  und  mibe-  platte,  »t  Munddan«,  mä  Magcndanu,  es 
warfnetem    Rüssel;    hierher    Linens  Einstülpungen  wolohr  ..pätor  die  Haut 

xr    j.p        i  ✓  .    i       i  Mermertme  liefern,   m  .Mundlappen  ,••  wk 

winnits  Alonti.  und  <  rreorntulUi  mnr- 

ginatus  Leuck. 


Fig.  229.  Pilidium- Larve  einer  Nemcrtine 
nach  Salcnsky).    sp  Scheitel- 


Wiinprr>ehnur,  rn  Ringnerv. 


II.  C lasse. 


Kotatoricn,  Räderthierehen. 

Die  im  Wasser  lebenden  Räder  thierchen  gehören  zu  den  kleinsten 
vielzelligen  Thieren  und  sind  von  Infusorien,  mit  denen  sie  die  Lebens- 
weise theilen.  nur  mit  Hilfe  des  Mikroskops  zu  unterscheiden.  Ihr 
Körper  zerfällt  in  drei  Abschnitte:  Kopf,  Rumpf  und  Schwanz;  der 
R  u  m  p  f  ist  von  einer  derben  Cuticula  fest  gepanzert  und  dient  ähnlich 
der  Schale  einer  Schildkröte  den  beiden  anderen  Abschnitten  zur  Zu- 
flucht (Fig.  220  A).  Der  Schwanz  ist  oft  aus  mehreren  Ringen  zusam- 
mengesetzt, welche  wie  Glieder  eines  Fernrohrs  in  einander  geschoben 
werden  können  und  durch  die  oberflächliche  Aehnlichkeit  mit  Segmen- 
tirung  manche  Zoologen  veranlasst  haben,  die  Räder thiere  irrthümlich 
zu  den  Arthropoden  zu  stellen.  Der  letzte  Schwanzring  trägt  eine 
Zange,  mit  deren  Hilfe  sowie  mit  Hilfe  von  Klebdrüsen  die  Thiere 
sich  festsetzen  können.  Das  Kopfende  ist  am  zarthäutigsten  und 
verbreitert  sich  nach  vorn  zur  Radscheibe,  einem  Apparat  von  sehr 
wechselndem  Aussehen,  dessen  kräftige  Bewimperung  sowohl  zum 


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250 


Würmer. 


Schwimmen  dient,  als  auch  die  Nahrung  zum  ventral  gelegenen  Mund 
herbeistrudelt.  Der  Darm  besteht  aus  Oesophagus,  Kaumagen,  Drüsen- 
magen und  Enddarm  und  ist  mit  Ausnahme  des  Kaumagens  von 
Wimpern  ausgekleidet;  der  Kaumagen  dagegen  trägt  zwei  mit  Kau- 
leisten bedeckte  Chitinplatten,  welche  beim  lebenden  Thiere  zum  Zer- 
kleinern der  Nahrung  beständig  gegen  einander  klappen.  Oberhalb 

des  Oesophagus  liegt  das  paarige 
Hirnganglion,  mit  welchem  häutig 
einfachste  Ocellen  und  eigenthüm- 
liche  Sinnesorgane,  die  Nackenten- 
takeln etc.,  zusammenhängen.  Mit 
dem  Enddarm  mündet  das  meist 
unpaare,  sackförmige  Ovar  und  die 
paarigen  W  a  s  s  e  r  g  e  f  ä  s  s  c  a  n  ä  1  e, 
deren  Seitenäste  am  blindgeschlos- 
senen Ende  kleine  Flimmerläpp- 
chen  tragen.  Zum  Wassergefass- 
system  gehört  ferner  noch  eine 
grosse  contractile  Blase. 

Lange  kannte  man  nur  weibliche 
Thiere,  bis  Dalrymple  die  Ent- 
deckung machte,  dass  die  zuge- 
hörigen Männchen   sehr  viel  sel- 
tener und  kleiner  sind,  sogenannte 
Z  w  c  r  g  m  ännchen,    und  eine 
stark    rückgebildete  Organisation 
besitzen.    Meist  ist  der  Darm  zu 
Fig.  230.  Rrmhionus  urccolari«.  A  ^om  soliden  Gewebsstrang  redu- 
Wcibchtn  mit  4  Eicm  auf  verschiedenen  cirt,  in  welchem  der  Hoden  ein  ge- 
Stufen der  Entwicklung,  Ii  Männchen,  C  bettet  liegt  ( Fi*7.  2IJ0  B). 
ein  FümnicrläjMK'hcn  d„s  Wawergeftoos  Räderthi'cre  haben  zweierlei 

starker  vergrößert.  /  lentakel,  ti  danghon  ,  .  .     ....  . 

mit  Auge.  //•  W  a.ßergefä.sssv.tem,  k  Kau-  kier.  grosse  dotterreiche  Winter- 
magen.  ti  Magendrüsen,  m  Magen,  o  Ovar,  ei  er,  welche  von  einer  festen 
c  Cloakenr.ffnung,  b  Harnblase,  h  Hoden,  Schale  umgeben  sind,  und  kleine 
P  Pen18-  dünnschalige  S  o  in  m  e  r  e  i  e  r.  Letz- 

tere entwickeln  sich  parthenogene- 
tisch  und  dienen  durch  ihre  grosse  Zahl  und  rasche  Entwicklung  der 
Verbreitung  der  Art.  Jene  sind  seltener,  bedürfen  der  Befruchtung  und 
haben  eine  lange  Buheperiode;  sie  erhalten  die  Art  wahrscheinlich 
während  ungünstiger  Zeiten,  wenn  das  Wasser  einfriert  oder  ein- 
trocknet (Dauereier).  Ein  gewisses  Maass  von  Eintrocknen  vertragen 
übrigens  die  ausgebildeten  Thiere  ebenfalls;  in  feuchtem  Moos,  in 
den  Residuen  von  Dachrinnen  findet  man  sie  zusammengezogen  in 
einer  Art  Winterschlaf  befangen,  aus  dem  sie  erst  bei  Zusatz  von 
Wasser  aufwachen. 

Die  Schilderung  vom  Bau  der  Iift/ntorirn  lüsst  erkennen ,  dass  die 
Thiere  ausserordentlich  den  Wurmlarven  vom  Trochophora-Typus  gleichen. 
Wir  müssen  sie  daher  für  äusserst  primitive  Formen  erklären,  welche  den 
Urahnen  des  Würmerstammes  am  nächsten  stehen.  Damit  gewinnen  sie 
trotz  ihres  abweichenden  Aeusseren  nahe  Verwandtschaft  mit  den  Würmern, 
unter  denen  sie  sich  nach  dem  Bau  ihres  Nerven-  und  Excretionssystems 
den  Plattwürmern  anschliessen.    Die  meisten  Räderthiere  leben  im  Süss- 


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II.  Rotatorieu.    Coelhelminthen.    III.  Chaetognathen.  251 

wasser:  Brach  ionus  urceolaris  Ehrbg.  (Fig.  320),  Conochilus  rolrox  Ehrbg., 
letzterer  eine  kugelige  Colonie  radial  angeordneter  Einzelthiere. 


n.  Unterstamm. 

Coelhelminthen. 

III.  C  las  sc. 
Chaetognathen ,  PfeilwUruier. 

Um  in  das  Studium  der  Leibeshöhlenwürmer  einzuführen,  sind 
am  meisten  geeignet  die  Chaetognathen,  glashelle,  1—5  cm  lange  Würmer, 
welche  an  der  Oberfläche  des  Meeres  Jagd  auf  andere  pelagische 
Thiere  machen  und  ihren  blitzschnellen  Bewegungen  und  zum  Theil 
auch  ihrer  Körpergestalt  den  Namen  Sagitten  oder  Pfeilwürmer  ver- 
danken. Die  Thiere  schwimmen  mit  horizontal  gestellten,  von.  beson- 
deren Strahlen  gestützten  Flossen,  deren  eine  das  Schwanzende  um- 
greift, während  1  oder  2  weitere  Paare  seitlich  am  Rumpf  sitzen 
(Fig.  231).  Zum  Ergreifen  der  Beute  dienen  ihnen  2  Lappen,  welche 
vorn  links  und  rechts  von  der  Mundöffnung  gelegen  und  mit  kräftigen 
hakenartigen  Borsten  (daher  Chaetognathen ,  Borstenkiefer)  be- 
waffnet sind.  Innerlich  ist  der  Körper  deutlich  in  drei  Segmente  ge- 
schieden, Kopf,  Rumpf  und  Schwanz,  weil  die  Leibeshöhle  durch 
quere  Scheidewände  in  drei  Kammern  zerfallt:  Kopf-,  Rumpf-  und 
Schwanzleibeshöhle.  Jede  Kammer  wiederum  bestellt  aus  einer  linken 
und  rechten  Hälfte,  da  ein  Mesenterium  in  sagittaler  Richtung  aus- 
gespannt ist,  in  welchem  der  gerade  gestreckte  Darm  verläuft.  Letz- 
terer mündet  am  Ende  des  Rumpfsegments,  ohne  in  den  Schwanz- 
abschnitt einzutreten. 

Das  Nervensystem  (Fig.  232)  ist  noch  vollkommen  ectodermal; 
im  Kopfabschnitt  bildet  es  ein  dorsal  gelegenes  Paar  Hirnganglien, 
wie  wir  sie  schon  von  den  Blattwürmern  her  kennen,  im  Rumpf- 
abschnitt ausserdem  noch  ein  grosses  ventrales  Ganglion,  die  erste 
Anlage  des  bei  den  Anneliden  höher  entwickelten  Bauchmarks.  Kopf- 
und  Bauchganglien  sind  durch  lange  Schlundcommissuren  unter  ein- 
ander verbunden  (Fig.  231).  Sehr  interessant,  weil  auch  für  Nema- 
toden und  manche  Anneliden  charakteristisch,  ist  die  Beschaffenheit 
der  Muskulatur,  welche  nur  aus  longitudinalen  Fasern  besteht.  Die 
Leibeshöhle  wird  von  einem  Epithel  ausgekleidet,  welches  parietales 
Mesoderm  heissen  mag,  soweit  es  an  das  Ectoderm  grenzt,  viscerales 
Mesodenn,  soweit  es  das  Darmrohr  überzieht  (Fig.  203  a  u.  b).  Das 
parietale  Mesodermepithel  hat  die  Muskelfasern  ausgeschieden,  deren 
Masse  in  4  Felder  abgctheilt  ist,  ein  rechtes  und  linkes  dorsales  und 
ein  rechtes  und  linkes  ventrales.  Die  Chaetognathen  wie  auch  die 
Nematoden  und  Anneliden  führen  somit  die  uns  von  den  Coelenteraten 
her  bekannte  Einrichtung  der  Epithelmuskelzellen  fort.  Im  Epithel 
der  Leibeshöhle  entstehen  auch  die  (i  e  s c h  1  ec  h  t  s z e  1 1  e  n  :  im  Rumpf- 


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Würmer. 


Fi>r.  L':il.  Üti/ifhi 
hcra/ttira  (aus  Lllllg 
nach  O.  Hcrtwig)  von 
der  Hau<-Iis.it«'  p>- 
wheii.  Mund, 
Dann .  sc  ScMund- 
commixflur,  hy  Bauch- 
ganglion, //.  *fl  Flos- 
sen, oc  Ovar,  otd 
Oviduct.  ii»  weibliche 
Geschlecht  soft  nunir. 


UV 


Fijr.  '»32.  Kopf  von  SnyiUo 
biptwctata  in  dorsaler  Ansicht 
(nach  ( ).  Hertwij;  aus  Lanjr).^ 
llirn^iinirlion ,  yh   Horsten,  sr 

Schliiinlconiinissur.  m  Kioch- 
orjnui  mit  Nerv  ( rn),  au  Auge 
mit  Nerv  (an). 


segment  die  Eier,  welche 
durch  besondere  Ovi- 
dukte narh  aussen 
geleitet  werden,  im 
Sehwanzsegment  da- 
gegen die  Anlagen  der 
Hoden.  Frühzeitig  lö- 
sen sich  die  Samen- 
bildungszellen  ab,  fallen 
in  die  Leibeshöhle  und 
reiten  hier  zu  Sperma- 
tozoon ,  die  durch  Ca- 
näle  ausgeleitet  werden, 
welche  durch  ihre  Ver- 
bindung mit  der  Leibes- 
höhle an  die  Segmental- 
organe  der  Anneliden 
erinnern. 


Die  Entwicklungsgeschichte  der  Sagitkn  ist  nach 
zwei  Richtungen  hin  von  Bedeutung:  1)  Der  Urdarm 
zerfallt  durch  zwei  seitliche  Falten  in  einen  unpaaren 
mittleren  und  zwei  paarige  seitliche  Räume;  ersterer 
ist  der  bleibende  Darm,  letztere  sind  die  Anlagen  der 
Leibeshöhle  oder  die  Coelomdivertikel ;  die  Leibeshöhle 
ist  somit  eine  Ausstülpung  der  Darmhöhle  (S.  129, 
Fig.  104).  2)  Die  Geschlechtsorgane  lassen  sich  auf 
ein  Paar  Zellen  im  primitiven  Entoblast  zurückführen, 
die  später  in  die  Epithelauskleidung  der  Leibeshöhle 
gelangen.  Jede  Zelle  t heilt  sich  in  eine  vordere  und 
hintere;  da  die  vordere  das  Ovar,  die  hintere  den 
Hoden  liefert,  so  sind  bei  iSagitta  die  männlichen  und 
weiblichen  Geschlechtszellen  unzweifelhaft  Abkömm- 
linge einer  gemeinsamen  Mutterzelle. 

Die  einzelnen  Arten  der  Cfiaetopuühen  lassen  sich 
wenigen  Gattungen  einreihen,  von  denen  die  über  alle 
Meere  verbreitete  Gattung  Smjitta  am  bekanntesten  ist. 
Sayift'i  hrjunti in  d'(  )rb. 


IV.  Classe. 
N'eniathelmiiithcn,  Knndwürnier. 


Wie  die  Plattwürmer,  so  sind  auch  die  Rund- 
ivürmer  {Nemathebninthen)  schon  durch  den  Namen, 
der  sich  auf  die  faden-  oder  walzenförmige  Körper- 

n!Jw*n%?i*Ä*n-  -(>stalt  «ur  Genüge  gekennzeichnet.  Die 

blase.  Gestalt  ist  bedingt  durch  die  Anwesenheit  einer 

Leibeshöhle,  in  welche  sämmtliche  Eingeweide  so 
locker  eingebettet  sind .  dass  sie  beim  Spalten  des  Hautmuskel- 
sehlauehes  sofort  herausfallen.  Da  die  Rundwürmer  den  Besitz  einer 
Leibeshöhle  mit  den  meisten  Anneliden  theilen,  so  muss  zur  Unter- 


scheidung 


von  letzteren  noch  ein 


negatives 


Merkmal  hervorgehoben 


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IV.  Nematholminthen :  Nematoden. 


253 


werden,  der  Mangel  der  Gliederung  und  demgemäss  auch  der  Mangel 
der  in  regelmässigen  Abständen  sich  wiederholenden  Einkerbungen 
oder  Ringelungen  des  Körpers. 

Zu  den  Nemathelminthen  gehören  nur  2  Ordnungen,  von  denen 
die  eine,  die  Gruppe  der  Nematoden,  bei  Weitem  die  wichtigere  ist. 

I.  Ordnung.    Nematoden,  Faden würm er. 

Die  Nematoden  sind  eine  artenreiche  Gruppe  fadenförmiger,  o«uit. 
O.Ol — 1,0  m  langer  Würmer,  die  durch  die  grosse  Zahl  bei  Pflanzen, 
Thieren  und  Menschen  weit  verbreiteter,  zum  Theil  äusserst  gefähr- 
licher Parasiten  ein  ganz  hervorragendes  Interesse  besitzen.  Die  Ober- 
fläche ihres  Körpers  wird  von  einer  derben  Cuticula  gebildet,  welche 
von  der  darunter  gelegenen  Hypodermis  ausgeschieden  wird  (Fig.  202, 
S.  223),  einer  histologisch  noch  ungenügend  verstandenen  Schicht, 
welche  auf  dem  Querschnitt  gesehen  4  Verdickungen  zeigt,  2  laterale 
(links  und  rechts)  und  2  mediale  (dorsal  und  ventral).  Erstere  schim- 
mern deutlich  durch  die  Cuticula  als  zwei  Längsleisten,  die  Seiten- 
linien, durch:  letztere  sind  schwach  ausgeprägt  und  veranlassen  die 
minder  deutlichen  Rücken-  und  Bauchlinien.  In  den  Seitenlinien  ver- 
laufen die  Excretionsgefässc  (wahrscheinlich  in  die  Leibeshöhle  mün- 
dende Nephridien),  gewöhnlich  2  Längscanäle,  welche  unweit  des  vorderen 
Endes  durch  einen  Quercanal  verbunden  sind  und  in  der  Bauchlinie  durch 
einen  unpaaren  Porus  exeretorius  nach  aussen  leiten.  Durch  Seiten- 
linien, Rücken-  und  Bauchlinie  wird  die  Muskulatur,  welche  auch  hier 
nur  aus  Längsfasern  besteht,  in  4  Felder  abgetheilt,  ein  dorsales  und 
ventrales  rechtes  und  ein  dorsales  und  ventrales  linkes.  Die  Bildung 
der  longitudinalen  Muskelfasern  geht  vom  parietalen  Peritonealepithel 
aus,  einer  Schicht  blasiger  Zellen,  welche  durch  ihre  Grösse  die 
Leibeshöhle  so  sehr  einengen,  dass  kaumPlatz  genug  für  den  Darm 
und  die  Geschlechtsorgane  übrig  bleibt. 

Der  Darm  beginnt  mit  der  genau  endständigen  Mundöffnung  und  i..v.m. 
endet  mit  einem  After,  welcher  vom  hinteren  Ende  auf  die  Bauchseite 
verschoben  ist.    Diese  Lagerung  ist  besonders  auffällig,  da  sonst  bei 
den  Würmern  umgekehrt  der  After  terminal  angebracht,  die  Mund- 
öffnung dagegen  durch  den  Kopf  läppen  überwölbt  und  auf  die  Bauch- 
seite gedrängt  zu  sein  pflegt.   Der  an  den  Mund  anschliessende  muscu- 
löse,  zum  Saugen  dienende  Oesophagus  schwillt  an  seinem  Ende  zu 
dem  Pharyngealbulbus  oder  Magen  an  und  ist  in  ganzer  Ausdehnung 
von  einer  Cuticula  ausgekleidet;  von  da  bleibt  sich  die  Beschaffenheit 
des  Darms  bis  zum  After  gleich  (Fig.  233).    Umfasst  wird  der  Anfang 
des  Oesophagus  von  einem  mit  Ganglienzellen  bedeckten  Nerven-  »rv.-.i 
ring;  auch  dieser  ist  bemerkenswert)!,  da  wohl  umschriebene  An-  *>>Um 
Schwellungen.  Ganglienknötchen,  wie  sie  sonst  bei  den  Würmern  stets 
vorkommen,  bei  den  Nematoden  fehlen. 

Sehr  einfach  ist  der  Bau  der  Geschlechtsorgane  der  nur  «.rtchicM-w»- 
ausnahmsweise  hermaphroditen  Thiere.  Männchen  und  Weibchen  sind,  (,r*iac 
abgesehen  von  den  Copulationsorganen,  dadurch  leicht  zu  unterscheiden, 
dass  die  Geschlechtsorgane  des  ersteren  von  vorn  und  unten  in  den 
Enddarm  münden,  welcher  hierdurch  zur  Cloake  wird  (Fig.  234). 
während  die  Weibchen  (Fig.  233)  eine  besondere  Gesehlerhtsöffnung 
haben,  die  ventral  zwischen  Mund  und  After  je  nach  den  Arten  bald 
mehr  nach  vorn,  bald  mehr  nach  hinten  liegt.    Im  Uebrigen  ähneln 


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2Ö4 


Würmer. 


4 

1 


sich  beide  Geschlechter  im  Hau  der  Fortpflanzungs- 
organe. Beidesmal  handelt  es  sich  um  lange,  bei 
grosser  Fruchtbarkeit  in  vielen  Windungen  auf-  und 
absteigende  Röhren,  deren  blindes,  in  einen  feinen 
Faden  ausgezogenes  Ende  die  Keimzellen  liefert 
(Hoden,  Ovar),  während  der  Rest  als  Samenblasc  und 
Ausführweg  'dient  Reim  Mannchen  ist  die  Genital- 
röhrc  stets  einfach;  beim  Weibchen  kann  sio  eben- 
falls einfach  sein,  ist  aber  häufiger  doppelt,  wobei 
dann  linke  und  rechte  Röhre  erst  kurz  vor  der  Mün- 
dung sich  vereinigen  (Fig.  22'Ava).  Als  Copulations- 
organe  funetioniren  beim  Männchen  am  häufigsten 
Spicula,  d.  h.  gekrümmte  Stacheln,  welche  hinter  dem 
Darm  in  einer  Scheide  eingeschlossen  sind  und  durch  die 
Cloakenspaltehervorgestossen  werden  können;  Retrac- 
toren,  welche  sich  an  das  hintere  Ende  der  Spicula  be- 
festigen, ziehen  sie  in  die  Ruhelage  wieder  zurück. 
Dazu  kommen  ab  und  zu  linke  und  rechte  Klappen 
zum  Festhalten  des  Weibchens,  oder  es  ist,  wie  bei 
den  Trichinen,  die  ganze  Cloakc  vorstülpbar. 
tni»^..nc.  Da  eine  Begattung  stattfindet,  werden  die  Eier 
im  Innern  des  Eileiters  befruchtet  und  machen  häufig 
einen  Theil  der  Entwicklung  im  Uterus  des  Weib- 
chens durch;  manche  Nematoden,  wie  die  Trichinen, 
sind  sogar  lebendig  gebärend.  Die  Entwicklung  ist 
vielfach  eine  directe,  kann  aber  auch  unter  dem 
Bild  einer  mehr  oder  minder  ausgesprochenen  Me- 
tamorphose verlaufen.  Endlich  kommt  auch  He- 
terogonie  vor,  insofern  als  hermaphrodite  oder 
parthenogenetische  Generationen  mit  getrennt  ge- 
schlechtlichen Generationen  alterniren.  Die  ver- 
schiedene Art  der  Entwicklung  wird  in  hohem  Grade 
von  der  Lebensweise  beeinfiusst  Sehr  verbreitet 
sind  Nematoden  im  süssen  und  salzigen  Wasser;  an- 
dere leben  in  organischen  Flüssigkeiten ;  eine  dritte 
Gruppe  wiederum  schmarotzt  im  Körper  von  Pflanzen 
und  Thieren.  Nur  die  Parasiten  zeigen  die  Neigung  zu  Metamorphose  und 
Heterogonic,  Einrichtungen,  welche  mit  dem  durch  Entoparasitismus 
bedingten  Wirthswechsel  zusammenhängen.  Auch  sind  bei  parasi- 
tischen Nematoden  Encystirungen  sehr  verbreitet  Diese  wenigen 
orientirenden  Worte  mögen  hier  genügen  ;  Genaueres  über  die  ver- 
schiedenen Entwicklungsweisen  findet  der  Leser  bei  der  Besprechung 
der  einzelnen  Arten  und  Familien,  von  denen  im  Folgenden  nur  die- 
jenigen Berücksichtigung  finden  sollen,  welche  als  weitverbreitete 
Parasiten  von  Pflanzen,  Thieren  und  Menschen  eine  aussergewöhnliche 
Wichtigkeit  besitzen. 

1.  Familie.  Aiiynilhdidcn.  Kleine,  fadenförmige  Nematoden  meist 
mit  doppelter  Pharyngealanschwellung,  welche  im  Schlamm  oder  in  orga- 
nischen Flüssigkeiten,  oder  in  Pflanzen,  seltener  in  Thieren  leben;  Männ- 
chen mit  2  Spicula.  AmjuiUuh  arrti  0.  Fr.  M.,  Essigälchen  im  Kleister  und  Essig 
als  ein  weisslicher,  geschickt  schwimmender,  2  mm  langer  Wurm.  Rhabditis 
niffrotrnusa  f Rhuhdnnrittn  ni'/rotrNosiuti},  noch  nicht  1  mm  lang,  im  Schlamm 
lebend,  steht  in  Heterogonie  mit  einem   zweiten  Thier,   welches  in  der 


Fig.  223.  Ana- 
tomie einer  jungen 
weihlichen  Ascart* 
(zu  (»runde  gelegt 
eine  Zeichnung  von 
Leuckart).  p  Pha- 
rynx ,  d  Dann ,  r 
ventrale  Linie ,  8 
Seitenlinien,  ta  Va- 
gina, o  Ovar. 


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IV.  Nemathelminthen:  Nematoden. 


255 


Lange  des  Frosches  wohnt  und  wegen  der  Mundpapillen  früher  zu  den 
Ascariden  gestellt  wurde.  Die  Rhabditis  ist  getrennt  geschlechtlich,  die 
Ascarisform  hermaphrodit.  Sehr  ähnlich  ist  der  Entwicklungsgang  des 
1  mm  grossen  Wtatxlonenia  stcrcoraJe  (R.  strotigyloides  Leuck.),  welche  eben- 
falls in  feuchter  Erde,  aber,  wie  es  scheint,  nur  in  wärmerem  Klima  lebt; 
ihre  Nachkommenschaft  entwickelt  sich  im  menschlichen  Darm  zu  der 
*2  mm  langen  AnyuilJula  intestinalis,  welche  junge,  mit  den  Faeces  den 
Darm  verlassende  IHiaM.  stercorale  erzeugt,  ob  parthenogenetisch  oder  her- 
maphroditisch ?  ist  noch  zweifelhaft.  In  vielen  Fällen  scheint  nun  die  frei 
lebende  Generation  ganz  ausfallen  zu  können,  indem  die  nach  aussen  ge- 
langten Rhabditiden  sich  in  die  Intestinalisform  verwandeln  und  erst  im 
Darm  des  Menschen  ihre  Geschlechtsreife  erlangen.  Der  Parasit,  früher 
nur  aus  den  Tropen  bekannt,  ist  in  der  letzten  Zeit  häutig  in  Norditalien 
beobachtet  worden. 

Zu  den  Anyuilluliden  gehören  endlich  zahlreiche  Pflanzenparasiten : 
die  kleinen  auf  Pilzen  schmarotzenden  Nematoden,  vor  Allem  aber  der 
Tylenchus  tritici  Neidh.  und  die  Ikterndcra  Schacht i  Schmidt,  von  denen  der 
erstere  dem  Weizen,  die  letztere  den  Rüben  grossen  Schaden  anthut.  Ihre 
rapide  Vermehrung  ist  Ursache  der  Rüben-  und  Weizenmüdigkeit,  der 
Erscheinung,  dass  Boden,  welcher  Jahre  lang  hindurch  ausschliesslich  mit 
einer  dieser  Pflanzen  bestellt  wurde  zunehmend  schlechte  Ernten  liefert, 
weil  immer  mehr  Pflanzen  dem  Parasiten  erliegen.  Tylenchus  devastatrix 
Kühne  befällt  Roggen  und  Hyacinthen. 

2.  Familie.  Ascariden.  Mundöftnung  von  3  Lippen  (einer  dorsalen, 
zwei  ventralen)  umstellt ;  Männchen  mit  2  Spicula.  Ausser  den  zahlreichen 
Ascariden,  welche  man  eingekapselt  oder  freibeweglich  und  goschlechtsreif 
in  Fischen  und  anderen  Wirbeithicren  findet,  gehören  hierher  die  2  ver- 
breitetsten  Parasiten  des  Monschen,  der  Spulwurm  oder  Ascaris  lumbriemihs 
und  der  Spring-  oder  Madenwurm,  die  Oxyuris  rermieuhtris. 

Die  auch  bei  Schweinen  vorkommende  Ascaris  lumbrieoides  L.  (Fig. 
234)  bewohnt  den  Dünndarm .  öfters  in  enormen  Mengen  (Wurmknoten) ; 
ihren  Namen  hat  sie  der  Aehnlichkeit  mit  dem  Regenwurm  zu  verdanken, 
von  dem  sie  sich  jedoch  durch  den  Mangel  der  Gliederung  sofort  unterscheidet. 
Auch  ist  der  Spulwurm  grösser  und  schlanker,  das  WTeibchen  20 — 25, 
selten  sogar  40  cm,  das  Männchen  nur  15 — 17,  .selten  25  cm  lang.  Die 
Thiere  sind  von  enormer  Fruchtbarkeit,  indem  das  Weibchen  ca.  64  Millionen 
Eier  enthält.  Die  Eier  sind  leicht  an  ihrer  Gestalt  zu  erkennen  (Fig.  220a); 

a/  a2  a  3  a4 

Fig.  234.  Ascaris  lumbrieoides 
(aus  Ilatschek).  a-1  dorsale,  a*  ven- 
trale Ansicht  de«  Kopfendes ,  «* 
Kopfende  von  oben  betrachtet ,  a* 
Hinterende  des  Mftnnrheiw. 

sie  werden  mit  den  Fäcalien  aus  dem  Dann  entleert,  entwickeln  sich  aber 
ohne  Zwischenwirth,  wenn  sie  nach  einiger  Zeit  in  den  menschlichen  Darm 
zurückgelangen.  Die  gleiche  Entwicklungsweise  gilt  für  Oxyuris  vertu icularis 
L.  Das  weissliche  Thier  lebt  im  Rectum  besonders  bei  Kindern  und  erzeugt 
beim  Auswandern  aus  dem  After  heftiges  Jucken ;  das  1  cm  lange  Weibchen 
verlängert  sich  rückwärts  in  einen  pfriemenförmigen  Schwanz,  der  den 
Namen  veranlasst  hat.  Das  Männchen  ist  etwa  halb  so  gross.  Bekannte  Thier- 


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256 


Würmer. 


-b 


parasiten  sind  ferner  die  A.  Hir;/alwj>hah  Clocjuet ,  (h  i/uris  rtjul  Schrank 
des  Pferdes,  A.  mysUar  Zed.  des  Hundes  und  der  Katze. 

3.  Familie.  Strongylhlcn  sind  im  männlichen  Geschlecht  leicht  an 
der  mit  2  Spicula  ausgerüsteten  Bursa  zu  erkennen,  einer  aus  2  Hügel- 
artigen  Fortsätzen  bestehenden  Verbreiterung  des  hinteren  Korperendes; 
häutig,  jedoch  nicht  constant,  ist  die  Erweiterung  des  Aufangsdarms  zu 
einer  von  Papillen  umstellten  Mundkapsol. 

Strongylus  gigus  Rud.,  1  Meter  lang,  lebt  im  Nierenbecken  des  Wolfes, 
Hundes  etc.,  äusserst  selten  des  Menchen.  -  —  Sir.  filaria  Rud.  in  der  Lunge 
von  Schaf,  Ziege,  Gemse  und  anderer  Wiederkäuer,  5 — 10  cm  lang.  —  Synga- 
wus  titirliealis  Sieb.,  1 — 2  cm,  in  der  Trachea  der  Hühner  und  anderer  Vögel, 
Männchen  und  Weibchen  stets  in  Copula.  —  Sdtrostonia  tqumum  Müll., 
2 — 5  cm,  in  Aorta  und  Darm  des  Pferdes.  —  Dwhmitis  (Ankylostoma)  »hio- 
denalis  Dub.  (Fig.  235),  im  weiblichen  Geschlecht  etwas  grösser,  im  männ- 
lichen Geschlecht  etwas  kleiner 
als  1  cm,  lebt  im  Dünndarm  des 
Menschen  und  erzeugt  durch  sein 
Saugen  starke  Blutverluste  und 
daran  sohliessende  Bleichsucht 
i  Chlorosis  aegyptiaca).  Er  besitzt 
eine  geräumige  Mundkapsel,  deren 
Rand  mit  Zähnen  zum  Festhalten 
an  der  Darnischleimhaut,  deren 
(inind  mit  Stilets  zum  Ver- 
vvundeu  bewaffnet  ist.  Die  Ext 
entwickeln  sich  in  Schlamm  und 
feuchter  Erde  zu  kleinen  rhab- 
ditisartigen  Larven,  welche  sich 
wiederholt  häuten,  von  der  letzten 
Larvenhülle  wie  von  einer  (Vste 
geschützt,  das  Eintrocknen  vertragen,  und  in  den  Darm  des  Menscheu  zurück- 
gekehrt direct  zum  geschlechtsreifen  Thier  werden.  Die  Krankheit  tritt  beson- 
ders auf  bei  Leuten,  die  gezwungen  sind,  schlammiges  Trinkwasser  zugeniessen 
^Fellahs  von  Aegypten),  oder  die  viel  mit  feuchter  Erde  zu  thun  haben 
(Ziegel-  und  Erdarbeiter).  Nachdem  sie  schon  lange  aus  Aegypten  und 
den  Tropen  bekannt  war,  trat  sie  bei  den  Arbeitern  des  Gotthardtunnels 
endemisch  auf  und  hat  sich  seitdem  auch  in  Deutschland  verbreitet. 

4.  Familie.  Trtrhofrncltefiden.  Die  Trichotraclwliden  verdanken  ihren 
Namen  „Haarhälse"  dem  Umstände,  dass  ihr  vorderes  Körperende,  d.  h. 
der  Kürperabschnitt,  welcher  den  Oesophagus  enthält,  sehr  stark  haarartig 
verlängert  ist.  Der  Oesophagus  ist  ferner  zu  einem  dünnen  Faden  ausge- 
zogen ,  welcher  inmitten  einer  Reihe  grosser  Zellen  verläuft ,  die  an  ihm 
wie  Perlen  an  einer  Perlenkette  aufgereiht  sind.  Am  längsten  bekannt  ist 
aus  der  Familie  der 

P  e  i  t  s  c  h  e  n  w  u  r  m  ,  lYirhfxrjihultis  ilisjtnr  Kud.  dos  Menschen  (Fig.  236 1. 
Das  Weibchen  3 — 5  cm  gross,  das  Männchen  nur  wenig  kleiner.  Hinterer 
Körperabschnitt  sehr  viel  dicker  als  das  peitschonschnurartig  verlängerte 
Vorderende.  Letzteres  wird  korkzieherartig  in  die  Darmschleimhaut  ein- 
gebohrt oder  zwischen  die  Schleimhautfalten  eingelagert,  hauptsächlich  im 
Bereich  des  Blinddarms.  Da  der  Wurm  seinen  Aufenthaltsort  nicht  ändert, 
macht  er  keinerlei  Beschwerden :  seine  Anwesenheit  wird  aber  leicht  an 
den  ovalen  Eiern  erkannt ,  welche  mit  den  Fäcalien  entleert  werden 
I  Fig.  220'/);  sie  besitzen  eine  bräunliche  doppelte  Schale,  die  innere  ist 
an  den  beiden  Enden  etwas  verdickt  und  hat  daher  eine  citronenförmige 


ffFig.  -35.  Vorderes  Ende  von  Ihtthmiu* 
(hituh  nalin.  m  Mundkap>cl ,  w-  Oesophagus, 
(i  innere,  A  äußere  dor-nlc  Zähne,  r  ventrale 
Zähne  des  Mundrands,  tl  Stilet  am  Grund 
der  Mundkapx  l,  <  ventrales  Lüngsriff. 


0O£ 


IV.  Nemathelminthen :  Nematoden. 


257 


•Gestalt.  Die  Infection  wird  direct  durch  Import  entwicklungsfähiger  Eier 
herbeigeführt.   Im  Blinddarm  von  Wiederkäuern :  Trichoccphalus  afßnis  Rud. 


Fig.  m. 


Fig.  238. 


Fig.  236.  Trichoccphalus  disjiar.  Männchen, 
mit  dem  vorderen  Ende  in  die  Darmschleini- 
hant  eingelassen  (aus  Leuekart). 


Fig.  ->K. 


Fig.  237.  Männchen  von  Trichina  npiralis 
(aus  Hatschek).   cl  Cloake.   /  Hoden. 

Fig.  238.  Muskeltrichine  (aus  Boas  nach 
Iycuckart). 


Die  zweite  Trichotrachelide,  die  Trichina  sjnralls  Owen  (Fig.  237,  238) 
ist  viel  kleiner  als  der  Trictiorephaius,  zugleich  aber  viel  gefährlicher.  Man 
unterscheidet  zwei  Zustände,  die  eingekapselte  Muskcltriehine  und  die  ge- 
schlechtsreife  Darmtrichine.  Erstere  wurde  schon  im  Jahre  1835  von  dem 
Studenten  der  Medizin  Paget  auf  dem  Präparirsaal  in  einer  Leiche  ent- 
deckt und  von  Owen  als  Protoxoe  beschrieben.  Die  Darmtrichine  wurde 
sehr  viel  später  durch  Leuekart  und  Virchow  aufgefunden,  ihr  Ent- 
wicklungsgang durch  diese  beiden  Forscher  und  Zenker  festgestellt;  das 
Verdienst,  ihre  grosse  Bedeutung  für  die  Krankheitslehre  aufgeklärt  zu 
haben,  gebührt  dem  letztgenannten  Forscher  und  Virchow. 

Die  Mtuskdtrichine  findet  sich  in  den  Muskeln  von  Schwein,  Ratte, 
Maus,  Mensch,  Kaninchen,  Meerschweinchen,  seltener  von  Fuchs,  Katze, 
u.  a.  (nie  bei  Vögeln)  eingeschlossen  in  einer  ovalen ,  citronenförmigen 
Kapsel,  welche  0,4 — 0,6  mm  lang  ist  und  daher  eben  noch  von  einem  ge- 
übten Beobachter  mit  bloßem  Auge  erkannt  werden  kann;  etwas  leichter 
zu  scheu  sind  die  Kapseln,  wenn  sie  verkreiden  und,  mit  kohlensaurem 
Kalk  imprägnirt,  eine  weissliche  Farbe  annehmen.  Zum  sicheren  Nach- 
weis bedarf  es  des  Mikroskopes,  wenn  auch  nur  schwacher  Ver- 
größerungen. In  der  Kapsel  liegt  der  ca.  1  mm  lange  Wurm  in  spiralen 
Windungen  aufgerollt,  zunächst  noch  nicht  geschlechtsreif,  wenn  auch  mit 
der  Anlage    der  Geschlechtsorgane   versehen.     Zur  Erlangung   der  Ge- 


ll «rtwis  ,  Uhrbuch  der  Zoologie.   3.  Autlayc. 


17 


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2ä8 


Würmer. 


scblechtsreife  muss  die  Trichine  in  den  Dann  eines  neuen  Wirths  trans- 
portirt  werden ;  wenn  z.  B.  ein  Mensch  trichinöse»  Schweinefleisch  verzehrt, 
so  werden  die  Trichinen  durch  die  Einwirkung  des  das  Schweinefleisch 
und  die  Kapsel  lösenden  Magensaftes  befreit;  sie  gelangen  in  den  Dünn- 
darm und  werden  innerhalb  einiger  Tage  geschlechtsreif:  das  Weibchen 
(3 — 4  mm  lang,  das  Männchen  1,5  mm)  gebiert  im  Laufe  eines  Monats  über 
1500  lebendige  Junge.    Während  die  Muttertrichinen  absterben,  bohren 
sich  die  jungen  Thiere  in  die  Darmwand  ein  und  wandern,  die  Lücken 
des  Bindegewebes,  vielleicht  auch  die  Blutbahnen  benutzend,  in  die  Muskeln 
ein;  daher  die  Erscheinung,  dass  bei  der  Trichinose  die  von  lockerem 
Bindegewebe  umhüllten  Muskeln  besonders  stark  inficirt  werden  und  zum 
Nachweis  der  Trichine  sich  am  besten  eignen  (Halsmuskeln,  Glutaeen, 
Zwerchfell).    Am  Orte  der  Bestimmung  angelangt,  bohren  sich  die  Thiere 
in  deu  Sarkolemm  schlauch  selbst  ein,   bedingen  einen  Zerfall 
der  Muskelsubstanz  und  nähren  sich  vom  Detritus,  bis  sie  eine  gewisse 
Grösse  erreicht  haben  und  sich  einkapseln.    Die  Wanderungen  der  jungen 
Trichinen  fallen  in  die  zweite  und  dritte  Woche  nach  der  Infection ,  die 
Encystirung  in  den  Verlauf  des  dritten  Monats.    Die  Krankheitssymptome 
gehen  zunächst  von  dem  stark  gereizten  Darm  aus,  später  tritt  die  Ent- 
zündung der  Muskeln  in  den  Vordergrund.  —  Aus  vorstehender  Beschreibung 
haben  zwei  Punkte  in  der  Neuzeit  eine  abweichende  Darstellung  erfahren. 
1)  Die  Muttertrichinen  sollen  in  die  Darm  wand  eindringen  und  hier  ihre 
Embryonen  in  die  Lymphspalten  absetzen :  2)  die  jungen  Muskeltrichinen 
sollen  nicht  die  Sarkolemmschläuche  anbohren,  sondern  sich  im  Bindege- 
webe des  Muskels  encystiren. 

5.  Familie.  Die  Filaridm  sind  XniHtt<nhn  von  sehr  langgestreckter 
fadenartiger  Gestalt:  ihr  bekanntester  Vertreter  ist  der  Drantiiculius  Mräi- 
nensiii  L.,  ein  fast  1  m  langer  Wurm,  welcher  die  Dicke  einer  starken 
Bassseite  besitzt  und  eine  schon  den  Griechen  als  Dracontiasis  bekannte 
Krankheit  verursacht.  In  der  Haut  bilden  sich  Beulen,  welche  aufplatzen 
und  zu  Geschwüren  werden ,  auf  deren  Grund  aufgerollt  der  Wurm  liegt. 
Die  Embryonen  desselben  —  man  kennt  nur  Weibchen  —  werden  durch 
Platzen  des  Mutterthiers  frei,  müssen  ins  Wasser  gelangen  und  dringen 
hier  in  kleine  Critstnctrn  der  Gattung  Cyrlops  ein.  Der  Mensch  erkrankt 
wahrscheinlich ,  indem  er  mit  dem  Trinkwasser  die  Parasiten  träger  ver- 
schluckt. Der  Medinawurm  ist  am  längsten  aus  dem  Orient  bekannt: 
findet  sich  weit  verbreitet  in  den  Tropen  (Asien,  Afrika,  in  der  Neuzeit 
auch  nach  Amerika  verschleppt). 

Eine  zweite  tropische  Filaride  ist  die  in  Lymphdrüsen  wohnende 
8 — 15  cm  lange  FHaria  suuyninis  hominis  Lewis  (Filan'a  Bankrofii  Cobbold), 
so  genannt,  weil  sie  ihre  Brut  in  die  Blutgefässe  des  Menschen  absetzt,  so 
dass  das  Blut  dann  von  ca.  140,000  0,3  mm  grosser  Würmer  wimmelt. 
Diese  wandern  öfters  durch  die  Nieren  aus,  heftige  Beschwerden  (Milch- 
und  Blutbarnj  veranlassend.  Nach  beendeter  Auswanderung  hören  die 
Beschwerden  auf,  wiederholen  sich  aber,  wenn  ein  neuer  Satz  Eier  zur 
Reife  gelangt  ist  und  auswanderungsfähige  Embryonen  erzeugt  hat.  Man 
vermuthet,  dass  Moskitos  den  Zwischenwirth  bilden.  —  W7eitere  Filariden 
des  Menschen  sind:  F.  lentis  Dies,  aus  der  Linse,  F.  loa  Gujot  aus  der 
Conjunctiva ,  F.  labialis  Pane  aus  der  Mundschleimhaut,  etc.  Von  Thier- 
parasiten seien  genannt  Filaria  cquina  Gmd.  im  Peritoneum  des  Pferdes, 
F.  haetaoirfuif/ira  Raill.  (ähnlich  dem  rhacuneulus)  in  der  Haut  des  Pferdes, 
/•".  intmitis  Leidy  im  Herz  des  Hundes,  setzt  Embryonen  ins  Blut  ab. 

6.  und  7.  Familie,  (iordiden  und  Menaithidcn  sind  langgestreckte 
Würmer,  die  in  ihrer  Gestalt  an  die  Fitariden  erinnern,  sich  aber  durch 


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IV.  Nemathelminthen:  Acanthocephalen. 


259 


ihren  Bau  und  ihre  Lebensweise  wesentlich  von  ihnen  sowie  von  allen 
übrigen  Nematoden  unterscheiden.  Sie  schmarotzen  in  der  Leibeshöhle  der 
Insecten  und  verlassen  dieselbe  bei  feuchtem  Wetter,  um  im  Wasser  ihre 
Eier  abzusetzen.  Ihr  zeitweiliges  massenhaftes  Auftreten  nach  schweren 
Regengüssen  hat  zur  Sage  des  Wurmregens  Veranlassung  gegeben.  Oordius 
aquaticm  Duj.,  Mcnnis  nigre.sce.ns  Duj. 


//# 


V, 


Ha 


I 


II.  Ordnung,    Aoanthooephalen,  Kratzer. 

Die  Arten  der  Acanthocephalen,  lange  Zeit  der  einzigen  Gattung 
Echinorhynchus  eingeordnet  (Fig.  239),  leben  im  Darm  von  Wirbel- 
thieren:  so  z.  B.  häufig  E.  (Gigantorhynchus)  gigas  Goeze  im  Darm 
des  Schweins,  E.  proteus  Westr.  in  Fischen,  äusserst  selten  E.  hominis 
Lambl  im  Darm  des  Menschen.    Sie  gleichen  den 
Ascariden  in  der  Erscheinung,  unterscheiden  sich 
aber  leicht  von  ihnen  durch  die  Anwesenheit  des 
Rüssels,  eines  Zapfens,  welcher  durch  Retraetoren 
zurückgezogen  und  durch  eine  muskulöse  Scheide 
ausgestülpt  werden  kann.    Der  Rüssel  bohrt  sicli  in 
die  Darmwand  ein  und  ist  zum  Festhalten  mit  Wieder- 
haken besetzt,  die  in  Quer-  und  Längsreihen  stehen. 
In  der  inneren  Anatomie  sind  wichtige  Unterschiede 
zu  den  Nematoden  der  gänzliche  Mangel  des  Darms, 
der  eigenartige  Bau  der  Geschlechtsorgane  und  ein 
im  Hautmuskelschlauch  liegendes  geschlossenes  Ge- 
fässnetz,  welches  sich  auch  auf  zwei  neben  der  Rüssel- 
scheide   gelegene  Anschwellungen,    die  Lemniscen, 
ausdehnt;  zwischen  den  Lemniscen  und  mitten  auf 
der  Rüsselscheide  liegt  das  unpaare  Ganglion.  Zu 
ihrer  Entwicklung  bedürfen  die  Echinorhynchen  eines 
Zwischenwirths;  man  findet  ihre  Larven  in  Arthro- 
poden, die   des  E.  proteus  in  Crustaceen  (Wasser- 
asseln ,  Flohkrebsen),  die  des  E.  gigas  in  Insekten 
(Maikäfern). 

Ueber  die  Bildung  des  Geschlechtsapparats  sei  Fol- 
gendes bemerkt:  Die  Thiere  sind  getrennt  geschlechtlich. 
Die  Männchen  (Fig.  239)  besitzen  paarige  Hoden  und  paa- 
rige Samenleiter,  die  in  einen  unpaaren  Abschnitt  des  Go- 
schlechtsapparats  münden ;  letzterer  kann  als  ein  glocken- 
förmig gestalteter  Penis  bei  der  Begattung  ausgestülpt 
werden.    Beim  Weibchen  lösen  sich  die  Ovarien  früh- 
zeitig in  zahlreiche  Gruppen  von  Eizellen  auf.  welche 
frei  in  der  Leibeshöhle  herumflottiren.    Die  reifen  Eier 
werden  auf  höchst  merkwürdige  Weise  nach  aussen  be-  rhyncku*  \ngusta- 
fordert :  es  existirt  ein  musculöser  Uterus,  der  mittelst  tus.  Männchen  (am 
einer  verengten  Stelle  mit  der  nach  aussen  mündenden  Hatwhekl.  r  Rüssel 
Scheide  zusammenhängt;  der  Uterus  nimmt  ohne  Wahl  "!j«0j|(!j||^n' 
reife  befruchtete  und  unreife  Eier  mittelst  einer  weiten  Muskeln    y  Gang- 
Mündung  am  oberen  Ende  (Uterusglocko)  auf.    Nur  die  ihm,  lig  Ligament, 
langgestreckten ,   mit  einer  glatten   Schale   versehenen  '  Hoden ,  rd  Vas 

befruchteten   Eier   vermögen    die    verengte   Stelle    zu  d<;ferens,  </;•  prö^n, 
,  j.     o  ,    .j  i         i  "c    Sainenblase ,  /* 

passiren    und  so  in   die  Scheide    und  nach  aussen  zu  p,,,,^  \,  Beut(>i  ,i,;s 

gelangen;    die   unreifen,   rauhen    und    rundlichen   Eier  Penis!  /  Lemniscen. 

17* 


V 


\ 


de 


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260 


Würmer. 


müssen  in  die  Leibeshöhle  zurückwandern,  und  zwar  durch  zwei  untere 
Oeffnungen.  Neben  dem  Geschlechtsapparat  münden  Excretionsorgane 
vom  Bau  der  Wassergefässe  der  I'lathciirmer  (Protonephridien). 

V.  C  lasse. 

Anneliden,  Ringel  wttrmer. 

Im  Stamm  der  Würmer  nehmen  die  Anneliden  oder  Ringelwürmer 
die  höchste  Stufe  ein:  sie  führen  die  bei  den  Chaetognathen  ange- 
bahnte Organisation  zu  höherer  Vollendung.  Die  dort  nur  durch  die 
Dreitheilung  der  Leibeshöhle  ausgedrückte  Gliederung  des  Körpers 
gewinnt  bei  ihnen  Einfluss  auf  die  äussere  Erscheinung  —  Ringe- 
lung  oder  äussere  Gliederung  des  Körpers  —  und  auf  die  An- 
ordnung der  wichtigsten  Organsysteme  —  metamere  Anordnung  der 
Excretionsorgane.  des  Nervensystems,  des  Blutgefässsystems:  innere 
Gliederung.  Dazu  kommt  die  ausserordentliche  Vermehrung 
der  Zahl  der  Segmente,  welche  weit  über  Hundert  betragen  kann. 
Wir  können  somit  die  Anneliden  detiniren  als  Würmer  mit  Leihes- 
höhle und  mit  äusserer  und  innerer  Gliederung.  Voll 
und  ganz  passt  diese  Definition  jedoch  nur  auf  einen  Theil  der  hier 
zu  besprechenden  Formen,  auf  die  Chaetopoden  und  die  denselben 
nahestehenden  ArchianneUden  oder  Uranneliden.  Bei  anderen  Formen 
fehlt  eines  der  beiden  wichtigen  Merkmale,  bei  den  Gephyreen  fehlt  die 
Gliederung,  bei  den  Hirudineen  meistens  die  Leibeshöhle.  Wenn  wir 
trotzdem  beide  Unterclassen  zu  den  Anneliden  rechnen,  so  geschieht 
es,  weil  wichtige  anatomische  und  entwicklungsgeschichtliche  Merkmale 
es  mindestens  in  hohem  Grad  wahrscheinlich  machen,  da*s  Hirudineen 
und  Gephyreen  von  typischen  Anneliden  abstammen  und  die  fehlenden 
Merkmale  —  die  Hirudineen  die  Leibeshöhle,  die  Gephyreen  die  Gliede- 
rung —  früher  besessen  und  nur  durch  Rückbildung  verloren  haben. 

I.  Unterciasse. 

Chaetopoden,  Borstenwürmer. 

Als  Leibeshöhlenwürmer  theilen  die  Chaetopoden  mit  den  Nema- 
toden die  rundliche,  auf  dem  Querschnitt  annähernd  einen  Kreis  er- 


Fig.  240.  Seitliche  Ansicht  des 
Kegcnwurnis  und  vorderes  Ende 
desselben  stärker  vergrößert  und 
von  unten  betrachtet.  1  Erstes  .Seg- 
ment mit  Mund  und  Kopflnppen. 
15  fünfzehntes  Segment  mit  männ- 
licher Gcsehlcchtsöffnung,  33—37 
Clitellum  (nach  Vogt  und  Yung). 


V.  Anneliden:  Chaetopoden. 


261 


gebende  Körpcrgestalt :  sie  unterscheiden  sich  von  ihnen  sofort  durch 
ihre  Gliederung.  Tiefe,  ringförmige  Kerben  inarkiren  äusserlicli 
die  Grenzen  der  Segmente  (Fig.  240);  innerlich  zerfällt  die  Leibes- 
höhle durch  die  Dissepimen  tc,  zarte  schleierartige  Membranen, 
die  vom  Hautmuskelschlauch  an  den  Darm  treten,  in  ebensoviel 
Kammern,  als  Metameren  vorhanden  sind  (Fig.  241  d).  Auch  der  Darm 
kann  zur  äusseren  Unterscheidung  dienen ;  derselbe  ist  zwar  je  nach 
der  Ernährungsweise  bei  den  einzelnen  Thieren  sehr  verschieden, 
stimmt  aber  stets  darin  überein,  dass  der  After  am  hinteren  Ende 
genau  terminal  liegt,  während  die  Mundöffnung  ventral  verschoben 
und  von  einem  ansehnlichen  Kopflappen  überdacht  ist. 


Für.  241. 


Fig.  242. 


m  >         !  i 


Fig.  241.  Vorderes  Ende  von  Xai*  rlinyuis.  h  Hirn 
(oberes  Sehlundganglion),  durch  die  Schlundcommissur  mit 
dein  Bauchmark  (n  Strickleiternervcnsystem)  verbunden,  dy 
contractiler  dorsaler,  ry  ventraler  BlutgetäWtainm.  ///  Mus- 
keUehieht  der  Haut .  db  dorsale ,  rb  ventrale  Borsten  ,  d 
Dissepbnente ,     Kopflappen,  o  Mundöffnung. 

Fig.  242.  Pontodrilus  Marion  ix.  vorderes  Körjterende 
vom  Kücken  geöffnet  inaeh  Perrier).  />//  Pharynx  mit 
Küekziehmuskeln  lh,  oe  Oesophagus;  <je  Hirnganglinn,  st 
Pharynxganglion .  co  Sehlunuring,  b  Bauchmark;  dg,  ly, 
ry  dorsale,  laterale,  ventrale  Gefässstänune.  a  Anastomosen 
derselben,  c  Herzen  ;  ds  Dissepbnente ,  rd  Vas  defcreiis 
mit  Flimn»ertriehtern  ipt) ,  o  Ovarien,  j>  Keeeptacula  se- 
minis,  s  Segmentalurgane. 


St 
pk 


t9 
d.j 
oe 


Unter  dem  EinHuss  der  Gliederung  stehen  nun  weiter  fast  sämmt- 
liche  übrigen  Organsysteme,  das  Nervensystem ,  die  Blutgefässe  und 
die  Excretionsorgane.  Das  Nervensystem  ist  ein  typisches  Striek- 
leiternervensystem :  es  beginnt  mit  den  im  Kopflappen  liegenden 
oberen  Schlundganglien:  dann  lenken  die  Schlundcommissuren  auf  die 
Bauchseite  über,  um  das  Bauchmark  zu  bilden,  welches  fast  aus  ebenso 
vielen  durch  Längscommissuren  verbundenen  Ganglienpaaren  besteht, 
als  Segmente  vorhanden  sind.  Diese  gleichförmige  Anordnung  des 
Nervensystems  ist  von  besonderem  Interesse,  indem  in  ihr  am  deut- 
lichsten ein  Grundzug  der  Annelidengliederung  zu  Tage  tritt,  durch 
den  sich  die  Rinifelwiirmcr  wesentlich  von  den  ebenfalls  gegliederten 
Wirbelthieren  und  den  meisten  Arthropoden  unterscheiden.  Die  Seg- 
mentirung  ist  eine  homonome,  indem  es  noch  nicht  zu  einer 
verschiedenartigen  Entwicklung,  einer  Arbeitsteilung,  der  Metameren 
gekommen  ist. 1    Im  Kopflappen  liegen  stets  Tastapparate  und  meistens 


Nerven - 


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262 


Würmer. 


BluUelJSt- 
*)»'*«'• 


auch  Augen,  die  jedoch  nur  bei  einigen  marinen  Formen  eine  höhere 
Ausbildung  (Linse,  Glaskörper,  Retina)  erfahren;  Gehörbläschen  sind 
selten,  weit  verbreitet  dagegen,  wenn  auch  nicht  in  allen  Abteilungen 
beobachtet:  Wimpergrübchen  am  Kopf  (Geruchsorgane ?),  becher- 
förmige Organe  am  Rumpf  (Geschmacksorgane)  und  endlich  Seiten- 
organe, Sinnesapparate,  die  durch  ihre  genau  segmentale  Anordnung 
ausgezeichnet  sind. 

Von  Blutgefässen  sind  constant  nur  zwei  Hauptstämme  vor- 
handen, die  häutig,  wie  z.  B.  bei  den  Regenwürmern  (Fig.  242),  von 
Haemoglobin  roth  gefärbtes  Blut  führen ;  der  eine  Stamm,  der  dorsale, 
liegt  auf  dem  Darm,  der  andere,  der  ventrale,  in  einiger  Entfernung 
unter  demselben ,  beide  hängen  durch  linke  und  rechte  Anastomosen 
zusammen,  die  sich  segmentweise  regelmässig  wiederholen.  Das  Blut 
strömt  im  dorsalen  Stamm  von  hinten  nach  vorn,  im  ventralen  in  um- 
gekehrter Richtung:  es  wird  durch  contractu«  Abschnitte  der  Blut- 
bahn  getrieben,  und  zwar  pulsirt  gewöhnlich  der  dorsale  Gefässstamm, 
seltener  wie  bei  den  Regenwürmern  einige  besonders  kräftige  Anasto- 
mosen im  vorderen  Rumpf,  die  „Herzen"  (Fig.  242  c).  Ausnahms- 
weise fehlen  Blutgefässe  und  circulirt  das  Blut  in  der  Leibeshöhle 
(  CnpileUiden). 

Die  Excretionsorgane  (Fig.  24.' V)  oder  Nephridien  der  Ch/ieto- 
poden  haben  von  ihrer  Anordnung  den  Namen  „Segmentalorgane"  er- 
halten, da  sie  paarweise  in  jedem  Segment  auftreten:  jedes  Orgau 
gehört  streng  genommen,  zwei  Segmenten  an:  es  beginnt  in  einem 
vorderen  mit  dem  Wimpertrichter,  durchbohrt  das  Dissepiment  und 
mündet  nach  complicirten  Windungen  in  dem  folgenden  nach  aussen 
(Fig.  <><j).  Die  in  ganzer  Ausdehnung  flimmernden  Canäle  dienen  meist 
auch  zum  Ausleiten  der  Gesch  1  eeh  t  spr od u  cte,  welche  bei  allen 
Chaetopoden  im  Epithel  der  Leibeshöhle  gebildet  werden.  Selten  sind, 
wie  bei  unserem  Hegenwurm,  neben  den  Segmentalorganen  in  den 
Genitalsegmenten  besondere  Oviduetc  und  Samenleiter  vorhanden, 
welche  dann  aber  ebenfalls  nach  dem  Schema  der  Schleifencanäle  ge- 
baut sind  (Fig.  249). 


Fig.  243.  Bchemnti*her 
Querschnitt  durch  einen 
Kingelwurin  <nach  Lang). 
k  Kioinc .  ir  ventrale,  (lc 
ilnrxnle  ("irre,  f/p,  rp  dor- 
sales ,  ventralen  Para- 
nodiuin.  ac,  h  Borsten,  Im 
Jünpinuskoln ,  rm  Riii«- 
inuskcln ,  im  transversaTf 
Muskeln.  //»  fSejnnental- 
eanal,  tr  Wimpertrichter. 
or  Ovar,  rd ,  er  dorsales 
und  ventrales  IMuteeftU*. 
hm  Hauchmnrk.  rml  l>ara>. 


Die  Entwicklung  ist  bei  den  marinen  Anneliden  eine  Meta- 
'  morphose,  bei  welcher  pelagische  Larven  auftreten,  die  sich  trotz 


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V.  Anneliden:  Chaetopodeii. 


263 


der  Mannichfaltigkeit  ihres  Aussehens  auf  die  Loven'sche  Larve,  die 
schon  früher  besprochene  „Trochophora"  Ivergl.  S.  2.Y».  Fig.  1*04) 
zurückführen  lassen.  Die  Unterschiede  beruhen  vornehmlich  auf  Medi- 
kationen des  Wimperapparats.  entweder  auf  einer  Vermehrung  der 
ringförmigen  Wimperschnüre  (polytroche  Larven)  oder  auf  einer  Ver- 
lagerung derselben  in  die  Mitte  oder  an  die  Enden  des  Körpers  (meso- 
troche  und  telotroche  Larven).  Die  Larve  wird  zu  einem  gegliederten 
Wurm  (Fig.  244),  indem  das  hintere  Ende  bedeutend  in  die  Länge 
wächst  und  sich  gliedert.  In  dem  gegliederten  Abschnitt  entsteht 
die  Leibeshöhle  als  eine  Neubildung,  von  Anfang  an  durch  Scheide- 
wände in  zahlreiche  Kammern  abgetheilt  Auch  die  Segmentalorgane 
(Xephridien)  bilden  sich  neu,  unabhängig  von  dem  Wassergefäss>vstem 
(Protonephridien)  der  Larve,  welches  vielfach  auch  Kopfniere  heisst, 
da  der  Haupttheil  der  Larve  den  Kopflappen  des  Wurms  liefert 

Die  Süsswasseranneliden  entwickeln  sich  zwar  direct,  besitzen  alter 
als  Embryonen  noch  Hinweist'  auf  ein  früheres  Larvenleben,  indem 
der  Kopflappen  sehr  ansehnlich  ist  und  auch  vorübergehend  eine  Kopf- 
niere  enthält.  Man  kann  daraus  schliessen,  dass  die  Thierc  früher 
ebenfalls  eine  Metamorphose  besessen  haben.  Aus  der  Aehnlichkeit 
der  Trochophora  mit  Iiotatorien  schliesst  man  ferner,  dass  die  Anne- 
liden von  Rotatorien-artigen  Urformen  abstammten,  indem  das  hintere 
Ende  unter  Neubildung  der  Leibeshöhle  zum  gegliederten  Wurme 
auswuchs. 

-Vi1)*  Neben  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  besteht  bei  manchen 
Süsswasser-  und  Meeresformen  noch  die  Fähigkeit  zur  u  n  g  e  - 
schlech  tli  che  n  Vermehrung,  welche  durch  die  grosse  Homo- 

nomie  der  Körpergliederung  ermög- 
licht wird.    Das  hintere  Körperende 
\      gerfith  in  lebhaftes  Wachsthum  und 
erzeugt  zahlreiche  Glieder,  welche 


B. 


/ 


Knoipunr 

Und  Irene 

ratloni- 


Fig.  '244.     A  Larve  des  Polyijnnlius.  Fig.  2-15.    Kii  .-j»uiig  von  Myrin- 

B  beginnende  Umwandlung  in  den  ge-  nidc  (nach  Milne-Edwarda  au-*  Hut  - 

gliederten  Wurm  (aus  KorscJielt»Heiaer  Bchek).    IMe  Aufeinanderfolge  der 

nach  Hat*ehek).  sp  ScheiN-lplaite,  ///  Buchstaben  bezeichnet  das  Alter  der 

Mund,  a  After.  NM*  gegliederte*  Meso-  Thiere. 
derm,  kn  Kopfniere. 

sich  gruppenweise  als  junge  Thiere  von  dem  Mutterthier  abschnüren 

(Fig.  24f>).    Bei  lebhafter  Knospung  können  die  Neuhildungsprocesse 


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2C4 


Würmer. 


rascher  verlaufen,  als  es  zur  Ablösung  kommt,  wodurch  dann  vor- 
übergehend Stöcke  hinter  einander  gereihter  Individuen  entstehen. 
Während  der  Zeit  der  ungeschlechtlichen  Fortpflanzung  fehlen  ge- 
wöhnlich die  Geschlechtsorgane.  Da  nun  ferner  sich  das  Aussehen  der 
Thiere  häufig  mit  Deginn  der  Gesehlechtsthätigkeit  erheblich  ändert, 
kann  die  Fortpflanzung  den  Charakter  des  Generationswechsels 
annehmen.  So  alternirt  die  geschlechtliche  Sacconereis  helgolandica 
mit  dem  ungeschlechtlichen  Autolytus  prolifer.  —  Die  Homonomie  des 
Annelidenkörpers  macht  weiterhin  die  grosse  Regenerationsfähigkeit, 
bei  Verstümmelungen  verständlich:  wenn  man  gewisse  Lumbriciden 
durchschneidet,  bleiben  beide  Theile  am  Leben  und  ergänzen  die  ver- 
loren gegangenen  Abschnitte,  weil  die  anatomisch  sehr  gleichartigen 
Segmente  vorübergehend  für  einander  eintreten  können. 

Wir  haben  bisher  ein  wichtiges  Merkmal  der  Gruppe,  welches  so- 
gar den  Namen  veranlasst  hat  noch  nicht  berücksichtigt,  die  Borsten 
oder  Chaetae.  Dieselben  entwickeln  sich  in  besonderen  Follikeln 
einzeln  oder  zu  mehreren  vereint  und  bilden  Büschel,  von  denen  es 
in  jedem  Körpersegment  gewöhnlich  vier  giebt :  zwei  liegen  links  und 
rechts  dorsal,  zwei  weitere  ebenso  ventral.  Jeder  Follikel  ist  ein  von 
Epithel  ausgekleidetes  und  auf  der  Haut  mündendes  Säckchen,  an 
dessen  Grund  jede  Borste  von  einer  besonderen  Zelle  gebildet  wird 
(Fig.  24(1).    Die  entwickelten  Borsten  ragen  aus  dem  Follikel  hervor 


Fijr.  '2Wk  (Querschnitt  durch  Körper- 
waud  und  Borsteufollikel  eines  Oligorhar- 
tat  (aus  Hatechck  mich  Vejdov.*kil.  r 
Epithel,  mit  Cuticida,  rm  Kiii£inu*keb). 
Im  IJingsmuskcln,  bl  Borstenfollikel,  nun 
«lrsseii  Muskeln.  />*  Ersatzfollikel  mit 
Ersatzborste ,  an  deren  Basis  noch  die 
Bildung/eile  zu  sehen  ist. 


und  können  durch  besondere  Muskeln,  welche  sich  an  den  Grund 
des  Follikels  befestigen,  hervorgestossen,  zurückgezogen  und  um- 
gelegt weiden;  sie  sind  kleine,  zur  Fortbewegung  dienende  Hebel. 
Ihre  Zahl  und  Befestigungsweise  ist  verschieden  und  giebt  Veran- 
lassung zur  Unterscheidung  von  Pofychaeten  und  Oligochaeten. 

I.  Ordnung.  Polychaeten. 

Die  Polychaeten  haben  ihren  Namen  zwar  von  der  grossen  Zahl 
und  der  mannichtachen  Gestalt  der  zu  einem  Büschel  vereinten  Borsten 
erhalten ;  wichtiger  ist  jedoch  der  Umstand,  dass  jedes  Borstenbündel 
von  einem  Höcker  der  Körperoberflächc,  einem  Parapodium  (Fig. 
24;.},  24*  B),  getragen  wird.  Die  Parapodien  sind  Fussstummeln  und 
somit  die  ersten  Anfänge  echter  Extremitäten ;  immerhin  sind  sie  noch 
von  den  Extremitäten,  der  Arthropoden  wesentlich  unterschieden,  in- 
dem sie  weder  vom  Körper  abgegliedert  noch  auch  selbst  wieder 


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V.  Anneliden:   Chaeiopoden.    Polychaeten.  2< if> 

gegliedert  sind.  Sie  können  daher  gewöhnlich  keine  selbständigen 
Bewegungen  ausführen,  sondern  nur  die  Bewegungen  des  (iesammt- 
körpers  unterstützen. 

Auch  sonst  ist  die  Haut  der  l'olycliacten  höher  entwickelt  als  die 
der  ülifjochneten,  indem  sie  namentlich  auf  der  Rückenseite  mannich- 
fach  geformte  Anhänge  trägt,  welche  man  nach  ihrer  Gestalt,  Function 
und  Lage  als  Girren,  Palpen.  Elytren,  Kiemen  etc.  unterscheidet.  Die 
Cirren  sind  lange  von  den  Parapodien  entspringende  Fäden,  welche 
wie  die  auf  das  Kopfseginent  beschränkten  Palpen  zum  Tasten  dienen 
(Fig.  248):  die  Elytren  sind  dünne  Lamellen,  welche  sich  dachziegel- 
artig decken  und  ein  schützendes  Kleid  über  dem  Kücken  erzeugen 
(Fig.  247). 

Fast  alle  Polychaeten  sind  getrennt  geschlecht- 
lich und  besitzen  eine  mehr  oder  minder  ausge- 
sprochene Metamorphose ;  sie  sind  ausschliess- 
lich Meeresbewohner,  nach  ihrer  Lebensweise 
werden  sie  in  festsitzende  und  freibeweg- 
liche  Formen  eingetheilt.  Krstere  loben  von 
pflanzlicher  Kost ,  bauen  sich  Röhren  aus 
einer  organischen,  lederartigen  Substanz,  die 
dazu  noch  mit  Fremdkörpern  incrustirt  oder 
mit  Kalk  imprägnirt  sein  kann,  und  ragen  aus 
der  Röhrenmündung  mit  den  vordersten  Seg- 
menten hervor;  letztere  scheiden  zwar  auch 
öfters  Gallerthüllen  aus,  in  die  sie  sich  zurück- 
ziehen können,  verlieren  aber  ihre  Bewegung»-  Fig.  247.  Köpfend«'  von 
fähigkeit  nicht  und   verlassen    zeitweilig   ihre     PalynoV    tpinifera  (nach 

Schlupfwinkel,    um   geschickt  herumzuschwim-     Fh'<»).   Rücken  ganz  mit 
j    i  »•  i     n-  i         e      j      mi_-  hlvtn  u  Im  <l*rkt  ,  darunter 

men  und  als  gelahrhche  Rauber  auf  andere  Thiere     Hdlauen  (  .jrmi  uml  Pun|. 

Jagd  zu  machen.    Beide  Gruppen  unterscheiden     podien  hervor. 

sich  in  Folge  ihrer  Lebensweise  auch  im  Bau. 

Bei  den  freischwimmenden  sind  Kopf  und  Rumpfsegmente  wenig  ver- 
schieden, der  Anfaugsdarm  kann  als  Rüssel  hervorgestossen  werden  und 
zeigt  dann  eine  der  räuberischen  Lebensweiso  entsprechende  Bewaffnung 
mit  kräftigen  Kiefern  'Fig.  248  A).  Bei  den  festsitzenden  Formen  fehlt 
die  SehlundbewarTnung.  dagegen  ist  ein  grosser  Unterschied  zwischen  den 


Fig.  -2  ls.  ,1  Kopf  von 
Sereis  n  r*ii>€ilatu  mit  BUS- 
gestülptem  Sehlundkopf 
inaeh  F.hk-rs).  k  Kiefer, 
/  Tentakeln  ,  p  Pal[>cn  .  / 
Kopflap|M*n  mit  4  Augen. 
r  Kopfeirren.  /  ParajMMlien. 
Ii  ein  Parapodienpaar  ver- 
grös^ert. 


vorderen  und  hinteren  Körperse<;n)euten  vorhanden:  an  letzteren  sind  die 
Körperanhänge  meist  sehwach  entwickelt,  so  dass  der  Körper  Aehnlichkeit 
mit  dem  Körper  eines  Oh't/ochnili  n  erhalt:  dafür  ist  gewöhnlich  der  Kopf 
nnd  der  Anfangstheil  des  Rumpfes  (Thorax   mit  reichlichen,  zum  Athmen 


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•JGO 


Würmer. 


und  zum  Herbcistrudeln  der  Nahrung  dienenden  Anhängen,  den  Kiemen 
und  Tentakeln  (Fig.  i>9,  S.  87).  ausgerüstet;  die  unter  gewöhnlichen  Ver- 
hältnissen wie  ein  Fedorbusch  ausgebreitete  Tentakelkroue  wird  blitzschnell 
bei  Beunruhigung  in  die  Röhre  zurückgezogen.  —  Die  Unterschiede 
werden  systematisch  benutzt  zur  Bildung  der  beiden  Gruppen  Knautien 
und  Tuhitokn. 

I.  Unterordnung.  Frraidim  sind  räuberische  Formen  mit  starker 
Kielerbewartnung  des  Schlundes.  Die  grossen  Kindridm,  welche  in  manchen 
Arten  eine  Länge  von  ca.  1  m  erreichen,  können  selbst  Fische  an- 
greifen. Ilaila  Purtheiinprn  0.  Costa  (fast  einen  Meter  lang).  Die  Ahiopiden 
sind  pelagische  Räuber,  durchsichtig  wie  alle  pelagischen  Thiere,  mit 
grossen ,  hochorganisirten  Augen ,  Akiopr  Co/ilraini  Clap.  Die  lohjnoidrn 
sind  Bewohner  des  Meeresgrundes,  gedrungene  Thiere  mit  einer  Rücken- 
decke von  Elytren :  die  bekannteste  Form  ist  die  Seemaus,  die  Aphrodite 
ncttkfita  L..  ausgezeichnet  durch  seidenglänzende  und  metallisch  schillernde 
Borsten  :  Pohjnw  sphtifera  Ehl.  (Fig.  247). 

II.  Unterordnung.  Die  Tubholen  oder  Sednttarieu  könuon  ihren  Platz 
nicht  beliebig  verändern ,  da  sie  in  einer  i'ostgewachsenen  Röhre  stecken. 
Die  Röhre  ist  rein  membranös  bei  den  SaMlitlm  iSpirographis  Sjudhunani 
Viv.),  bei  den  Tcrcftcllidcn  mit  Sand  incrustirt  (TercMln  eonchikya  Fall.),  bei 
den  Strpitliden  verkalkt  und  mit  einem  Deckel  verschliessbar  {Scrpula  nor- 
ivcrjica  Gnnn.,  Spirorhis  xpirälum  L.  Röhre  schneckenhausförmig).  Aus  der 
Röhre  kann  der  Wurm  zwar  herauswandern,  er  thut  es  aber  nur.  um  un- 
günstigen Lebensbedingungen  zu  entgehen,  meist  kurz  vor  dem  Absterben ; 
gewöhnlich  kommt  vom  Thier  nur  das  vordere  Endo  mit  der  Tentakel- 
krone zum  Vorschein  (Fig.  59).  Von  den  typischen  Tubicolen  weichen 
wesentlich  die  im  Sand  bohrenden,  von  den  Fischern  als  Köder  benutzten 
Arenirolidfn  ab.    Airnfcola  ttmrina  L. 

An  die  Pohj<  hatten  reihen  sich  die  Arch'umncliden  au,  welche  noch 
keine  Borstt-n  und  Parapodien  besitzen  und  auch  sonst  in  Bau  und  Ent- 
wicklungsweise sich  am  meisten  als  ursprüngliche  Formen  zu  erkennen 
geben  :  Poli/yonliits  lartnis  Sehn. 

If.  Ordnung.  Oligochaeten. 

Den  das  Meer  bewohnenden  I'ofych'ietcn  stehen  die  Oligochaeten 
gegenüber  als  Thiere,  welche  meist  im  süssen  Wasser,  vorwiegend  im 
Schlamm  (Limicoten),  oder  in  feuchter  Erde  (Terricoten)  leben;  sie  sind 
niedriger  organisirt  als  ihre  marinen  Verwandten,  wahrscheinlich  in 
Folge  von  Rückbildung,  welche  durch  ihre  vereinfachten  Lebensbe- 
dingungen veranlasst  wurde.  Die  Augen  sind  rudimentär  oder  fehlen; 
ebenso  fehlen  die  Palpen,  ('irren,  Tentakeln,  Kiemen,  vor  Allem  die 
Parapodien.  so  das>  die  vier  Borstenbüschel  jedes  Segments  direct  aus 
dem  Hautmuskelschlaiich  hervortreten.  Die  Geschlechtsorgane  sind 
her  m  a p  h  r  o  d  i  t ,  Hoden  und  Ovarien  liegen  in  verschiedenen  Seg- 
menten. In  der  Nähe  der  Mündungen  der  Geschlechtsorgane  ist  die 
Haut  einige  Segmente  weit  durch  Einlagerung  von  Drüsenzellen  ver- 
dickt (S.  2<iO,  Fig.  240);  diese  Verdickung,  «las  Clitellum  genannt, 
dient  bei  der  Begattung,  welche  trotz  der  hermaphroditen  Be- 
schaffenheit der  Geschlechtsorgane  nothwendig  ist.  Die  Clitellen 
scheiden  Bänder  aus,  welche  die  Körper  der  copulirten  Thiere  gegen 
einander  pressen.  Bauch  gegen  Bauch,  so  dass  nun  das  Sperma  des 
einen  Wurms  in  den  anderen  überströmen  kann:  hier  wird  es  in  be- 


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V.  Anneliden  :  Chaetopoden.  Gephyreen. 


L><37 


sondere  Behälter,  die  Receptacula  seminis,  aufgenommen.  Die  Eier 
werden  zu  mehreren  in  einen  Coeon  eingeschlossen. 

L  Unterordnung.  Limieolm.  Im  Schlamm  unserer  Bäche  und  Tümpel 
findet  man  die  Tuhificiden  (Saenuris  riruhmim  Lam.),  die  in  Folge  der  Farbe 
ihres  Bluts  roth  erscheinen  und  bei  massenhaftem  Auftreten  den  Boden 
roth  färben;  es  sind  scheue  Thiere,  welche  beunruhigt  sich  tief  in  ihre 
im  Schlamm  gebauten  Röhren  zurückziehen.  An  Wasserpflanzen  leben  die 
durchsichtigen  Xoideen,  die  man  fast  das  ganze  Jahr  in  ungeschlechtlicher 
Fortpflanzung  antrifft:  Xnis  jirohosrimn  Müll.,  X.  rlimjuis  Müll. 

II.  Unterordnung.  Tbrrtcolen.  Zu  den  erdbewohnenden  Formen  gehören 
die  Regenwürmer,  die  einheimischen  Arten  Ltnulirinis  aijrirnln  Hotfm..  L.  com- 
munis Hoffni.  etc.  von  mittlerer  Grösse,  die  tropischen  Formen  mehrere 
Fuss  lang,  von  der  Gestalt  mittlerer  Schlangen.  Mcyascolides  australis  Spencer 
Meter  lang.  In  der  Lebensweise  stimmen  die  meisten  Arten  überein :  in- 
dem sie  sich  durch  die  Erde  hindurch  fressen  und  die  gefressene  Erde  als 
Fäcalien  auf  die  Oberfläche  tragen,  lockern  sie  den  Boden  mit  ihren  Gängen 
und  tragen  die  gute  Erde  aus  der  Tiefe  zur  Oberfläche;  sie  sind  daher 
dem  Pflanzenwuchs  nicht  nur  nicht  schädlich,  sondern  befördern  denselben 
und  tragen  zur  Urbarmachung  des  Bodens  bei.  Die  Geschlechtsdrüsen 
unseres  Regenwurms  sind  wegen  ihrer  Kleinheit  schwierig  zu  finden.  Die 
Eier  (Fig.  249  o)  entwickeln  sich  im  vorderen  Abschnitt  des  13.  Segments 
und  werden  durch  Flimmertrichter  (to)  ausgeleitet,  welche  in  kurze,  das  da- 
hinter liegende  Dissepiment  durchbohrende  und  im  14.  Segment  mündende 
(.'anäle  führen.  Zum  weiblichen  Apparat  gehören  ausserdem  noch  die 
zwei  Paar  Receptacula  seminis  (st1  u.  st*),  welche  im  9.  und  10.  Segment 
liegen.  Von  Hoden  findet  man  zwei  Paare,  ein  Paar  im  10.,  ein  zweites 
im  11.  Segment  fhl  h2):  jedem  Hoden  gegenüberliegt  ein  Flimmertrichter, 
der  Anfang  eines  durch  das  Dissepiment  hindurch  nach  rückwärts  ver- 
laufenden Vas  deferens  (ixlj.  Die  Vasa  deferentia  einer  Seite  vereinigen 
sich  zu  einem  im  1">.  Segment  mündenden  Hauptcanal.    Die  zwei  Hoden 


Fig.  249.  Ge- 
scblechtBorgane  von 

/, u m hr int*  mir irn/n 

iam  Lang  nach 
V«<ct  uiid  Yunjrt. 
I>i<  Suinenldäselien 
der  rechten  Seite 
find  abgeschnitten. 
Ith  Kauchmark.  hr 
n.bl  ventrale  u.  late- 
rale Borgten  reihen, 
*tl  *f*  Soincntasehcn 
K<  ptaculii  «i  mi- 
ni«), sbl  sb*  sb*  die 
»Samenhläsehen  der 
linken  Seite,  welehe 
auf  8  im  paaren  Sa- 
menkapseln [s/m) 

sitzen.  In  letzteren 
«  ingesehloroen  A'  h* 
die  vorderen  und 
hinteren  Hud«*n  und 
ll  f*  die  vorderen 
und  hintercnSamen-  I  f 

trichter,  die  in  das  dt  CW 

Vas  deferena  pd  leiten;  o  Ovarien,  to  Fix 
di  Jtt'nw  der  Disäcpimente.   VI  II—  XV  8 


hm 


brru    dz>»  t& 


di 


iinnertiirhter,  die  in  die  Ovidurte  »r  leiten. 

15.  Segment. 


2(18 


Würmer. 


und  Flimmertrichter  eines  jeden  Segments  sind  eingeschlossen  und  voll- 
kommen verborgen  in  einer  gemeinsamen  Umhüllung,  der  Samenkapsel 
(ubii',  in  welche  frühzeitig  die  männlichen  Geschlechtszellen  hineingelangeL, 
um  hier  ihre  Reife  durchzumachen.  Um  hierfür  genügend  Platz  zu  ge- 
winnen, bildet  jede  Samenkapsel  links  und  rechts  Ausstülpungen  oder 
Vesiculae  seminales  (.«bl  —  *•//'),  welche  vom  ganzen  Geschlechtsapparat 
am  meisten  in  die  Augen  fallen.  Zwei  Paare  Vesiculae  seminales  gehören 
der  Samenkapsel  des  10.  Stgments  an.  1  Paar  der  Samenkapsel  des  11. 
Segments. 

IL  Untcrclasse. 
Gephyreen. 

Die  ausschließlich  im  Meere  vorkommenden  Gephyreen  unter- 
scheiden sich  von  den  Chaetopoden  auf  den  ersten  Blick  durch  den 
gänzlichen  Mangel  d  e  r  G 1  i  e  d  e  r  u  n  g.  ihr  Körper  ist  ein  plumper, 
ovaler  oder  walzenförmiger  Sack,  dessen  Rundung  durch  eine  ge- 
räumige Leibeshöhle  veranlasst,  dessen  vorderes  Ende  durch  die  Lage 
der  Mundötfnung  bezeichnet  wird.  Um  die  Mundöffnung  herum  steht 
entweder  ein  Kranz  von  Tentakeln  < Sipunculiden)  (Fig.  250),  welche 
durch  besondere  Retractoren  (r)  tief  in  den  Schlund  zurückgezogen 
werden  können,  oder  der  Mund  ist  dorsal  von  einem  spateiförmigen 
Kopflappen  überdacht,  der  5— 10  Mal  so  lang  wie  das  Thier  und  am 
Ende  in  2  Zipfel  gegabelt  sein  kann  (Fig.  251  A). 

Wie  im  Acussern,  so  fehlen  auch  im  Innern  Zeichen  der  Gliede- 
rung: vor  Allem  fehlen  die  Disscpimcnte.  Die  Segmentalorgane  sind 
an  Zahl  reducirt;  im  Maximum  sind  3  Paare  vorhanden;  häufig  findet 
sich  sogar  nur  ein  einziges  unpaares  Organ;  sie  haben  gewöhnlich 
die  Aufgabe,  die  im  Epithel  der  Leibeshöhle  entstandenen  Gesehleehts- 
produete  mit  ihren  Flimmertrichtern  aufzunehmen  und  auszuleiten. 
Zur  Excretion  dienen  dagegen  2  Schläuche,  die  in  den  Enddarm  mün- 
den und  reich  mit  verästelten  Canälen  bedeckt  sind,  welche  bei  den 
Chaetiferi  durch  Flimmertrichter  mit  der  Leibeshöhle  communiciren 
(Fig.  251  </).  Diese  Schläuche  haben  einige  Aehnlichkeit  mit  den  Wasser- 
1-ungen  der  Holothurien  und  haben  dadurch  die  irrige  Ansicht  einer 
näheren  Verwandtschaft  mit  den  Echinodermen  veranlasst,  worauf  der 
Name  Brückenthiere,  überleitende  Thiere  (;«•'</ i  g«,  die  Brücke),  zurück- 
zuführen ist. 

Von  allen  Organen  erinnern  am  meisten  das  Blutgefässsytem 
und  das  Nervensystem  an  die  Anneliden.  Ersteres  besteht  aus 
einem  ventralen  und"  dorsalen  Längsstamm,  letzteres  aus  Hirnganglien 
und  Bauchmark;  freilich  besitzt  das  Bauchmark  keine  Gliederung 
in  Ganglien  und  ist  ein  continuirlicher  Nervenstrang  geworden 
(Fig.  250*1). 

Für  die  Entscheidung  der  systematischen  Stellung  der  Gephyreen 
ist  die  Entwicklun g s g e s c h i c h t e  von  grosser  Bedeutung  gewesen. 
Bei  einem  Theil  {Chaetiferi)  findet  sich  die  Troehophoralarve:  aus  ihr 
entsteht  der  Wurm  wie  bei  den  Chaetopoden  durch  Auswachsen  des 
hinteren  Endes,  welches  anfänglich  auch  eine  gegliederte  Leibeshöhle 
und  ein  gegliedertes  Bauclunark  hat,  später  aber  die  Gliederung  ver- 
liert (Fig.  251  B). 

I.  Ordnung.    (>ip)njr>-i  iluutifni.    Würmer  mit  spateiförmigem,  nicht 


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V.  Anneliden:  Gephyreen.  Hirudineen. 


2G9 


Fig.  250. 


Fig.  250.  Phasrohsnma  Punta  arenar  (nach  Kefcrstein).  7"  Tentakelkranz,  y  obere« 
Schlundganglicnpaar,  n  Banchmark,  r  die  4  durchschnittenen  Retraetoren,  *  Scgmental- 
organe,  a  After. 

Fig.  251  A.  Boneil ia  viridis,  a  Weibchen  (an»  Huxley).  Koptlappen,  t  Dann, 
m  einzigem  Segmentalorgan,  welehcs  als  Eileiter  funetionirt .  m  Muskeln,  welche  sich 
an  den  Dann  in.*eriren,  r  C'loake,  y  Exeretionsorgane.  ß  Männchen  stark  vergrößert 
mach  Sjiengel).  d  rudimentärer  Darm,  rd  Segment alorgan  mit  Flimmertrichter.  welches 
als  Va*  def  eren.»  funetionirt;  c  die  in  der  Leil>e>diöhle  reifenden  Samenballen. 

selten  am  Ende  gabelförmig  getheiltem 
Kopflappen ,  mit  Besten  von  Anneliden- 
Borsten  ;  Entwicklung  mittelst  der  Trocho- 
phora.  Aus  der  Gruppe  hat  Bondlia  viridis 
Rol.  besonderes  Interesse  durch  ihren  G  e  - 
schlechtsdimorphismus  erregt.  Lange 
Zeit  kannte  man  nur  das  grüngefärbte 
Weibchen,  einen  5 — 8  cm  langen  Sack  mit 
einem  20 — 30  cm  langen,  am  Ende  gegabel- 
ten Kopflappen;  erst  in  der  Neuzeit  wurde 
das  etwa  1  mm  lange  Männchen  entdeckt, 
welches  eine  ganz  andere  Gestalt  und 
Farbe  besitzt,  im  Anfangsdann  des  Weibchens 
schmarotzt  und  nur  zur  Begattung  in  den 
Oviduct  überwandert  (Fig.  251  A  ß).  Fshi- 
nrtis  pallasii  Guerin. 

II.  Ordnung.  Gejihyrei  inermes  (Fig.  250). 
Die  Thiere  unterscheiden  sich  nicht  nur 
durch  den  Mangel  der  Borsten  von  den 
Chaelifcri,  sondern  auch  durch  die  ein-  und 
ausstülpbare  Tentakelkrone  und  die  rücken- 
ständige Lage  der  weit  nach  vorn  verlager- 


u 


Fig.  251  B.  Larve  von  Krhiurus 
mit  Andeutung  von  Gliederung 
(nach  Hätschele  aus  Korschelt- 
Heider).  a  After,  ab  Analblaten, 
d  Darm,  kn  Kopfniere,  m  Mund, 
nies  Mesodennst reifen,  n  Hauch- 
mark .  st-  Schlundeommisaur,  *p 
Scheitelplatte. 


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270 


Würmer. 


ten  Afterörftmug ;  ferner  fehlt  während  des  Larvenlebens  jede  An- 
deutung von  Gliederung.  Die  in  den  Enddarni  mündende  Niere 
ist  ein  Protonephridium  mit  blindgeschlossenen  Enden  und  mit  Flimmer- 
läppchen. Daher  ist  es  zweifelhaft,  ob  für  die  G.  inermcs  die  für  die 
G.  chaeti/hi  geltende  nähere  Verwandtschaft  mit  den  Chaetopodcn  eben- 
falls Berechtigung  besitzt.  In  der  Neuzeit  überwiegt  die  Neigung,  die 
„Inamcs"  von  den  Anneliden  zu  trennen  und  wegen  des  rückenständigen 
Afters  unter  dem  Namen  Prosopygier  mit  den  TJryoxorn  und  Brachiopoden 
zu  vereinigen.  Sipunmlus  nudtts  L.,  Priapnlua  eandatun  Lam.,  beide  im 
Meeresschi  am  m  bohrend. 

III.  Unterclas.se. 

Hirudineen.  Egelwüroier. 

i«uh'  ''er  äusseren  Betrachtung  der  Hirudineen  verdienen  zur  Unter- 

scheidung von  den  Chaetopoden  drei  Merkmale  besondere  Beachtung. 
Erstens  ist  die  Haut  vollkommen  frei  von  Borsten,  dagegen  bewaffnet 
mit  zwei  Saugnäpfen,  von  denen  der  eine  das  hintere  Ende  des 
Körpers  einnimmt  und  nur  zum  Festhalten  und  zur  Fortbewegung 
dient,  der  andere  am  vonleren  Ende  liegt,  von  der  Mundöffnung 
durchbohrt  ist  und  daher  auch  zum  Ansaugen  der  Nahrung  verwandt 
wird.  Bei  der  Fortbewegung  befestigen  die  Blutegel  abwechselnd  den 
vorderen  und  hinteren  Saugnapf  und  kriechen  in  dieser  Weise  ziem- 
lich rasch  nach  Art  der  Spannerraupen;  ausserdem  vermögen  sie  ge- 
wandt mittelst  schlängelnder  Bewegungen  des  ganzen  Körpers  zu 
schwimmen. 

Ein  zweites  Merkmal  der  äusseren  Erscheinung  ist  die  ausser- 
ordentlich feine  R  i  n  g e  1  u  n  g  des  Körpers.  Eine  genaue  Untersuchung 
derselben  hat  zu  dem  Resultat  geführt,  dass  bei  manchen  Arten  3mal, 
bei  anderen  5-,  selbst  12mal  so  viel  Ringel  als  Segmente  vorhanden 
sind,  weil  jeder  ursprüngliche  Segmentring  durch  secundäre  Ein- 
kerbungen in  eine  Gruppe  von  Ringeln  zerlegt  ist  In  jeder  solchen 
Gruppe  von  Ringeln  ist  öfters  der  vorderste  ausgezeichnet,  in- 
dem er  besonders  stark  entwickelte  „becherförmige"  Sinnesorgane 
trägt  —  Wie  bei  den  Regenwürmern  können  bei  den  Blutegeln  ge- 
wisse Ringel  durch  reichliche  Drüsenbildung  zum  .,Clitellum"  an- 
schwellen, welches  hier  dazu  dient,  die  Eier  mit  einem  Cocon  zu 
umgeben. 

i'»"»  Ein  dritter  äusserlich  wahrnehmbarer  Unterschied  der  Hiru- 

dineen von  den  Anneliden  ist  die  ausgesprochene  dorso- ventrale 
Abplattung  der  K  ö  r  p  e  r  g  e  s  t  a  1 1 ,  welche  vollkommen  an  die 
bei  Plathelminthen  herrschenden  Verhältnisse  erinnert  ;  auch  hier  hängt 
dieselbe  mit  dem  Mangel  der  Leibeshöhle  zusammen.  Die  meisten 
Blutegel  haben  ganz  wie  die  Planarien  und  Leberegel  ein  aus  Längs-. 
Quer-  und  dorsovcntralen  Muskeln  durchsetztes  Körperparcnchym,  in 
welches  die  Organe  unmittelbar  eingebettet  sind  (Fig.  252). 

Für  den  Darm  (Fig.  254)  der  Blutegel  gilt  allgemein,  dass  er  mit 
einer  linken  und  rechten  Reihe  von  Blindsäcken  ausgerüstet  ist,  welche 
—  beim  medicinischen  Blutegel  10  an  der  Zahl  —  während  des 
Saugens  sich  mit  Blut  füllen.  Zwischen  den  zwei  letzten  und  grössten 
Blindsäcken  liegt  der  Enddarm,  der  über  dem  hinteren  Saugnapf  nach 


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V.  Anneliden:  Hirudineen.  271 


aussen  mundet.  Im  Bau  der  Mundhöhle  ergeben  sich  wichtige  Unter- 
schiede zwischen  Rüssel-  und  Kieferegeln.  Bei  den  Rüsselegeln  erhebt 
sich  vom  Grund  der  Mundhöhle  ein  fein  zugespitzter,  conischer  Zapfen, 
der  aus  dem  Mund  hervor  gestossen  werden  kann  und  dann  zum  Ver- 
wunden und  Saugen  benutzt  wird.  Bei  den  Kieferegeln  dagegen,  z.  B. 
dem  medicinischen  Blutegel,  liegen  in  der  Mundhöhle  drei  Kiefer 
(Fig.  253);  dieselben  sind  halbkreisförmige  Chitinplatten,  deren  ge- 
krümmter freier  Rand  mit  zahlreichen,  spitzen  Zähnen  besetzt  ist, 
während  an  die  Basis  zweierlei  Muskeln  herantreten:  die  einen  ziehen 
die  Kiefern  in  die  Ruhelage,  in  die  Kiefertaschen,  zurück,  die  andern 
ziehen  sie  heraus  und  schlagen,  indem  sie  den  Rand  wie  eine  Kreissäge 
bewegen,  die  Wunde  /um  Saugen,  welche  aus  drei  von  einem  Mittel- 
punkt divergirenden  feinen  Einschnitten  besteht.  Die  Blutung  aus 
der  Wunde  ist  schwer  zu  stillen,  da  einzellige  Drüsen,  welche  an  den 
Lippen  und  zwischen  den  Kieferzähnen  münden,  durch  ihr  Sccret  das 
Gerinnen  des  Blutes  verhindern.  Das  Blutgcfässsystem  enthält 
meist  rothes  Blut  und  besteht  aus  vier  mit  einem  complicirtcn  Capillar- 
systera  verbundenen  Längscanälen :  zwei  contractilen  Seiten gefässen, 
einem  dorsalen  und  einem  ventralen  das  Bauchmark  umschliessenden 
Gefassstamm. 


Flg.  2S2.  Fi*.  253, 


Fig.  252.  Querschnitt  durch  Hirttdö  nudiemalü  (aus  Lang\  dm,  l>n.  rm  dorso- 
ventrale,  longitudinalc.  ringförmige  Munkeln,  rl.  rd,  rr  laterales,  dorsalen ,  ventrales 
Blutgefäss,  in  letzterem  das  Bauclunark  Inn,  h  Hoden.  ni  Vas  deferens,  mit  Mittel- 
darm, np  Sohleifeneanal,  '■///<  HarnMaac. 

Fig.  253.  Hiruflo  medirinalia  (nach  I^enekart  aus  Claus),  n  vorderes  Ende  mil 
ventral  geschlitzter  Mundhöhle,  um  die  Kiefer  (A')  zu  zeigen,  b  ein  einzelner  Kieler 
mit  seinen  Muskeln  »tiirker  vcrgriWert. 

Am  Nervensystem  unterscheidet  man  die  beiden  Hirnganglien  und 
meist  23  Paar  Bauchganglicn ,  von  denen  das  erste  und  letzte  aus . «"l-hiSiu. 
mehreren  Paaren  verschmolzen  ist.  Das  Hirn  liefert  die  Nerven  für  die 
am  Kopf  gelegenen  Augen,  welche  aus  der  Moditication  von  „becher- 
förmigen Sinnesorganen"  entstanden  sind.  Links  und  rechts  vom 
Bauchmark  liegen  die  zwitterigen  Geschlechtsorgane:  bei  unserem 
Blutegel  9  Paar  Hoden  (Fig.  2öö  A).  deren  Ausführwege  auf  jeder 
Seite  sich  zu  einem  Vas  deferens  (vd)  vereinen.    Die  Vasa  deferentia 


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272 


Würmer. 


verlaufen  nach  dem  vonleren  Ende  des  Thieres,  bilden  durch  Ver- 
knäuelung  die  sogenannten  Nebenhoden  (nh)  und  münden  schliesslich 
in  den  un paaren,  birnförmigen.  ausstülpbaren  Penis  ( p).  Im  Zwischen- 
raum zwischen  den  Nebenhoden  und  dem  ersten  Hodenpaar  trifft  man 
den  weiblichen  Geschlechtsapparat:  ein  Paar  Ovarien  iov)  und  eine 
unpaare  Vagina  (u).  —  Lateralwärts  von  den  Geschlechtsorganen  liegen 
die  Nephridien  (sc),  bei  //.  medicinalis  jederseits  17  complicirt  ge- 
wundene Canäle,  deren  Secret  sich  in  einer  nach  aussen  mündenden 
Harnblase  (hb)  sammelt. 


Fig.  _':»4. 


Fig.  2.V». 


Dass  man  die  Ilirndinecn 
zu  den  Anneliden  und  somit  zu 
den  Leiltcshöhlrntriinnern  stellt 
und  nicht  ihrem  Habitus 
nach  für  gegliederte  Sooltciden 
(Plathelminthes)  erklärt,  gründet 
sich  auf  den  Nachweis,  dass  ihre 
Leibeshöhle  rückgebildet  ist, 
indem  sie  durch  Parenchym- 
wucherung  eingeengt  und  zu 
Längscanälen,  die  mit  dem  Blut- 
gefässsystem  in  Verbindung 
traten ,  umgewandelt  wurde. 
Jedenfalls  sind  Bauch-  und 
Darm  von  llinidn  Seitengefasse  als  Reste  des  Cö- 
o  Oe-  loms  zu  deuten.  Blutegel  der 
Gattung  Clepsine  haben  noch  das 
dorsale  und  ventrale  Blutgefäss 
der  ( 'htuniojwlcn  und  auserdem 
4  longitudinale  Cölomsinus,  die 
durch    quere   Anastomosen  in 

Der  dorsale 


Fig.  254. 
weiht  inn/is  (au8  Irsing) 
.Miphagns,  dl,  d1  BliwWieke .  h 
Enddarm  mit  Atter. 


Fig.  2."».  Nervensystem,  Blut- 
gefässe. GeHchltrhtMirgane  und 
Schlrifencanäle  des  Blutet/efx. 
von    der   Bauchseite  gesehen. 

//  Bauchmark  im  hinteren  Theil  Verbindung  stehen, 

nicht  sichtbar,  weil  es  hier  im  Cölomsinus  umschliesst  das  dor- 

BnuyWfäss  liegt,  sc  Schleifen-  8ale  Blutgefäss,  der  ventrale  die 

canale.  hb  dazu  gehonge  Harn-  .          Eingeweide,  darunter 

blaue,  p  Penis,  nh  >>ei>enh<>den,  """o  ««.»•«., 

or  Ovar,  //  I  terns  und  Seheide,  auch  —  ähnlich  dem  ventralen 

/'/  Va.H  deferens ,  h  Hoden,  lg,  Blutstamm  der  übrigen  Hirudi- 

ra  latentes  und  ventrales  Blut-  neen  _  das  Bauchmark.  Der 

gefa»  mit  A  crastchmgen.  ^  ^  ^ 

höhle  ausserdem  dadurch  charakterisirt,  dass  in  ihm  die  Nephridien  mit 
Flimmertrichtern  beginnen.  Flimmertrichter,  allerdings  in  mehr  oder 
minder  rudimentärer  Form,  sind  auch  bei  anderen  Himdinern  aufgefunden 
worden;  sie  münden  hier  in  ampullenartige  Erweiterungen  der  Blut- 
gefässe ein. 

I.  Ordnung.  GnathoMelkcn  Kieferegel.  Der  bekannteste  Repräsentant, 
der  Hirudo  medicinalis  L.,  findet  sich  noch  in  Ungarn,  ist  dagegen  bei 
uns  in  Deutschland  so  gut  wie  ganz  ausgerottet  und  wird  nur  noch  in 
manchen  Gegenden  in  besonderen  Teichen  gezüchtet.  'Mit  ihm  wird  leicht 
der  Pferdeegel  Hnemopis  vorax  M.  Td.  und  das  Aulostomum  giäo  M. 
Td.  verwechselt,  deren  Kiefer  zu  schwach  sind,  um  die  menschliche 
Haut  durchzubeissen  ;  sie  sind  daher  beim  Saugen  auf  Schleimhäute  ange- 
wiesen.   Im  Süsswasser  ist  ferner  sehr  verbreitet  die  kieferlose  Nephelis 


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VI.  Enteropneusten. 


273 


vulgaris  M.  Td.  In  den  Tropen  sind  der  Schrecken  der  Reisenden  die 
Landblutegel  der  Gattung  Hannodipsa  (H.  japohica  Whyt.j. 

II.  Ordnung.  RhijtwhobdrUeen,  Rüsselegel.  Bei  uns  sind  einheimisch 
die  sich  von  Schnecken  ernährenden  Clepsinen  (Cl.  complatiata  Sav.),  die 
auf  Fischen  schmarotzende  Pixcirola  geometrica  L.  In  Amerika  findet  man 
■die  Uaemcntarien ,  deren  Rüssel  ebenso  wirksam  ist  wie  die  Kiefer  des 
medicinischen  Blutegols  und  die  menschliche  Haut  durchbohren  kann. 
Haementaria  offmtiniin  de  Fil. 


VI.  C lasse. 


Enteropneusten. 

Die  wenigen  hierher  gehörigen  Meerthiere  (am  bekanntesten  Ba- 
Innoglossus  (Ptychoderä)  minutus  Kow.  und  B.  (Ft.)  claviger  Chiaje) 
wurden  früher  in  der  Gattung  Balanoglossus  vereinigt,  jetzt  aber  auf 
mehrere  Genera  (Ptychodera,  Schi- 
zocardium,  Glandiceps,  Balanoglossus) 
vertheilt.  Die  Thiere  haben  noch  voll- 
kommen den  Habitus  von  Würmern 
und  bohren  auch  wie  viele  derselben 
im  Sehlamm.  Ihr  Körper  besteht  aus 
drei  Abschnitten,  aus  Rüssel.  Kragen 
und  Rumpf  ( Fig.  25U).  Der  R  ü  s  s  e  1, 
welcher  im  Kragen  eingelassen  ist 
wie  die  Eichel  in  der  Cupula,  um- 
schliesst  einen  Hohlraum,  der  auf 
der  Rückenseite  nach  aussen  mündet 
und  ebenso  wie  die  beiden  gleichfalls 
dorsal,  aber  getrennt  mündenden 
Kragenhöhlen  mit  Meerwasser  gefüllt 
werden  kann.  Vermöge  ihrer  Schwell- 
barkeit  dienen  Rüssel  und  Kragen  zum 
Kriechen  im  Sand  und  sind  somit 
Loeomotionsorgane  ähnlicher  Art,  wie 
das  später  zu  besprechende  ambu- 
lacrale  Gefässsystem  der  Echinoder- 
men.  Die  Aehnlichkeit  würde  noch 
mehr  in  die  Augen  springen .  wenn 
es  sich  bestätigen  sollte,  dass  Rüssel- 
höhle, Kragenhöhle  und  Cülom  des 
Balanoglossus,  wie  die  Vasoperitoneal- 
blasen  der  Echinodennen  als  Diver- 
tikel des  Darms  entstehen. 

Der  Name  „Enteropneusten"'  „Darm- 
athmer"  ist  durch  eine  zweite  Eigen- 
thümlichkeit  des  ßalanoglossus  verursacht.  Die  ventral  vor  dem 
Kragen  gelegene  Mundöffnung  führt  in  einen  Darm,  dessen  vorderer 
Abschnitt  in  seiner  dorsalen  Wand  von  einer  linken  und  rechten 
Reihe  von  Kiemen  spalten  durchbrochen  wird,  während  der 
darauf  folgende  Mittcldarm  mit  Leberblindschläuchen  bedeckt  ist.  Der 

Hertwtf .  Lchrtmch  der  Zoologie.   3.  Auflag«.  ,  \tf 


dl). 


Fijf.  25U.  litilaHotjlussus  Koirairtcski 
(aus  K«>rschclt-Hriil<'r  nach  Ajra.->?<iz). 
e  Kitrhrl.  kr  Kraben,  k  Ki<*iuenrefri«»n, 
g  Gegend  der  GeschkfhLsoiyane,  db, 
rh  dorsales  und  ventrales  Imitat  fäss. 


* 


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274 


Würmer. 


Fi);.  2."»7.  Tornaria- 
Larve  des  Iialaiioylosm* 
(aus  Balfour  naeh  Met- 
schnikoff».  ///  Mund, 
an  After,  tr  Anlage  der 
RiWIhÖhlc. 


dung  an  die 


Darm  ist  in  eine  Leibeshöhle  eingeschlossen  un<l 
wird  von  einem  dorsalen  und  ventralen  Blut- 
gefäss begleitet,  zu  welchem  als  Theile  der  Blut- 
bahn noch  laterale  Canäle  und  reichliche  Ver- 
ästelungen kommen.  Sehr  eigenthümlich  ist  das 
zum  Theil  noch  im  Ectoderm  lagernde  Nerven- 
system :  ein  ventraler  und  ein  den  Kragen  durch- 
bohrender dorsaler  Längsstrang,  beide  in  der 
Gegend  des  Kragens  unter  einander  verbunden. 
Die  Geschlechtsorgane  endlich  sind  zahlreiche 
Follikel ,  welche  zwischen  Leber  -  und  Kiemen- 
region, zum  Theil  noch  in  diese  hineinreichend, 
liegen  und  direct  nach  aussen  münden. 

Die  Larve  des  Balanoglossus,  die  Tornaria 
(Fig.  257)  gleicht  den  Echinodermenlarven  so  sehr, 
dass  sie  früher  hierfür  gehalten  wurde.  Die  Aehn- 
lichkeit  wird  besonders  durch  die  Anordnung  der 
Flimmerschnur  und  des  Darms  bedingt  Ferner 
erinnert  die  Rüsselhöhle  mit  ihrer  dorsalen  Mün- 
Ambulacralblase  und  den  Steincanal  der 


Anhang  zu  den  Würmern. 


VII.  Classe. 
Tunicaten,  Mnntelthicrc. 

Vom  Bau  und  von  der  Erscheinungsweise  der  Würmer  entfernen 
sich  die  ausschliesslich  im  Meere  lebenden  Tunicaten  in  ganz  erheb- 
licher Weise;  dafür  besitzen  sie  im  ausgebildeten  Zustand  eine  äussere 
Aehnlichkeit  mit  den  siphoniaten  Muscheln  und  während  ihrer  Ent- 
wicklung eine  Uebereinstimmung  im  Bau  wichtiger  Organe  mit  den 
Wirbelthieren.  Ersteres  war  Veranlassung,  dass  man  lange  Zeit  die 
Thiere  als  Molluscoiden  den  echten  Mollusken  anschloss,  ein  Verfahren, 
welches  nach  unserm  jetzigen  Wissen  vom  Bau  und  von  der  Entwick- 
lung beider  Abtheilungen  gar  nicht  mehr  vertheidigt  werden  kann. 
Die  ontogenetische  Uebereinstimmung  dagegen  hat  dazu  geführt, 
Wirbelthiere  und  Tunicaten  als  Chordonier  zu  vereinigen.  Wenn  man 
nun  auch  zugeben  muss,  dass  viele  Merkmale  eine  Verwandtschaft  mit 
den  Wirbelthieren  beweisen,  so  sind  doch  die  vorhandenen  Unter- 
schiede so  ausserordentliche,  dass  kein  besonnener  Systematiker  sich 
so  leicht  dazu  entschliessen  wird,  die  Tunicaten  unter  die  Wirbelthiere 
aufzunehmen,  weil  ein  solcher  Schritt  die  Charakteristik  des  so  ein- 
heitlichen Wirbelthierstammes  unmöglich  machen  würde. 

Ihren  Namen  haben  die  Tunicaten  der  Tunica  zu  verdanken, 
einer  Hülle,  welche  wie  eine  Cuticula  durch  Ausscheidung  vom  Haut- 
epithel gebildet  wird;  von  gewöhnlichen  Cuticulae  unterscheidet  sie 


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VII.  Tunicaten. 


275 


sich  jedoch  durch  ihre  feinere  Structur,  welche  mit  der  Struktur  der 
Bindesubstanzen  übereinstimmt,  indem  Zellen  aus  dem  Mesoderm  in  die 
Grundsubstanz  einwandern.  Die  Grundsubstanz  ist  bald  faserig,  bald 
homogen  und  hat  noch  die  weitere  interessante  Eigentümlichkeit,  dass  sie 
bei  der  Elementaranalyse  die  gleiche  Zusammensetzung  aus  C,  O  und  H 
ergiebt,  wie  die  Celluiose  (C6H100&)  und  auch  mit  diesem  specifisch 
pflanzlichen  Stoff  im  microchemischen  Verhalten  übereinstimmt  (Blau- 
färbung bei  Behandlung  mit  Jodjodkalium  und  Schwefelsäure,  Violett- 
färbung bei  Chlorzinkjodzusatz).  Aus  keiner  Thierabtheilung  kennt 
man  so  reichliche  Cellulosebildung. 

Ein  weiteres  Merkmal  der  Tunicaten  ist  die  Umwandlung  des 
Vorderdarms  in  eine  Kieme,  indem  seine  Wandung  von  Spalten 
durchbrochen  wird,  welche  entweder  direct  nach  aussen  oder  häufiger 
in  einen  Vorraum,  den  Perithoracalraum  leiten.  Während  das 
Athemwasser  durch  die  Kiemenspalten  ahfliesst,  werden  die  gleich- 
zeitig mit  ihm  aufgenommenen  Nahrungsbestandtheile  von  einem  ring- 
förmigen Flimmerband  erfasst  und  dem  Oesophagus  zugeleitet,  um- 
hüllt von  Schleim,  welcher  vom  Endostyl  ausgeschieden  wird,  einer 
flimmernden,  für  alle  Tunicaten  charakteristischen  ventralen  Rinne 
des  Kiemendarms. 

Zwischen  dem  hinteren  Ende  des  Endostyls  und  dem  Magen  liegt 
auf  der  ventralen  Seite  der  Herzschlauch,  eingeschlossen  in 
einen  Herzbeutel;  er  besitzt  die  sonst  nirgends  wieder  vorkommende 
Eigentümlichkeit,  dass  die  Richtung  der  Contra  ctionen 
innerhalb  kurzer  Zeit  wechselt;  nachdem  das  Herz  einige 
Zeit  alles  Blut  in  der  Richtung  zum  Endostyl  getrieben  hat,  ruht  es 
auf  kurze  Zeit  aus  und  beginnt  dann  seine  Thätigkeit  in  entgegen- 
gesetzter Richtung,  indem  es  das  Blut  von  dem  Endostyl  weg  nach 
dem  Magen  pumpt. 

Wenn  wir  zu  der  vorstehenden  Schilderung  noch  hinzufügen,  dass 
ein  dorsal  gelegenes  Ganglion  und  ein  hermaphroditer  Geschlechts- 
apparat vorhanden  ist,  so  sind  die  allgemein  giltigen  Merkmale  der 
Classe  erschöpft:  im  Ucbrigen  unterscheiden  sich  die  Endglieder  der 
Reihe  wesentlich  von  einander,  werden  aber  durch  Mittelformen  einander 
so  sehr  genähert,  dass  an  einer  nahen  Verwandtschaft  nicht  gezweifelt 
werden  kann.  An  dem  einen  Ende  der  Reihe  stehen  die  Appendtcu- 
larien,  an  dem  anderen  die  Salpen  mit  den  ihnen  nahe  verwandten 
Doliolen;  vermittelnde  Formen  sind  Ascidien  und  Pyrosomen. 

I.  Ordnung.  Appendioularien. 

Die  ein  oder  wenige  Cm.  grossen  Appendicularien  leben  ineist  an 
der  Oberfläche  des  Meeres,  mit  dem  vorderen  Ende  in  ein  gallertiges 
Gehäuse  eingelassen,  welches  sie  ohne  Schädigung  verlassen  können; 
wie  Kaulquappen  schwimmen  sie  geschickt  mittelst  eines  Ruderschwänz- 
chens, das  vom  hinteren  Ende  des  Rumpfes  entspringt.  Im  Rumpf 
(Fig.  liegt  der  hufeisenförmige  Darm,  der  nur  zwei  grosse  Kiemen- 
spalten  besitzt,  welche  ebenso  wie  der  After  im  Gegensatz  zu  allen 
übrigen  Tunicaten  direct  nach  aussen  münden.  Unter  dem  Darm 
treffen  wir  das  Herz,  oberhalb  die  Hermaphroditen  Geschlechtsorgane 
und  das  Nervensystem.  Letzteres  besteht  aus  einem  Hirnganglion. 
welchem  ein  höchst  einfach  gebautes  Gehörorgan  anliegt,  und  einem 

18* 


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270 


Würmer. 


Strang-  gangliöser  Knötchen,  {der  sich  in  den  Schwanzabschnitt  hinein 
erstreckt.  Die  feste  Axe  des  Schwanzes  bildet  die  Chorda  dorsalis, 
ein  von  einer  Zellenscheide  umschlossener  (iallertstrang,  der  den 
Muskeln  zur  Insertion  dient  und  eine  kurze  Strecke  weit  in  den  Rumpf 
eindringt.  Dieses  Eindringen  sowie  der  Umstand,  dass  die  Reihe  der 
Schwanzganglien  wie  das  Rückenmark  der  Wirbelthiere  dorsal  von  der 
Chorda  lagert,  muss  jetzt  schon  besonders  betont  werden.  Oikopteura 
eophocerca  Ggbr. 


A  B 

Fig.  '_'.">S.  Oikopleura  copfweerea  Ggbr.  mach  Fol).  A  das  ganze  Thier  niii* 
seinem  Gehäuse  herausgenommen  vom  Kücken  gesehen.  B  der  Rumpf  mit  der  Basis 
de*  Schwanzes  in  seitlicher  Ansieht  besonder»  tiargestellt  und  stärker  venrrössert, 
ausserdem  im  Vergleich  zu  A  um  !M>  Grad  gedreht),  m  Mund,  o  (or)  Ovar,  h  Hoden,«/' 
Kiemendarm.  //"  nutritorischer  Darm  mit  I^-herhlindsack,  cn  Endogtyl,  f  Flüimicrbögen, 
Kiemenspalte,  n  After,  e  Chorda,  </  obere«  Schlundganglion  mit  anliegendem  Hor- 
hläschen  und  Yerbindungsnervcn  zu  y'  erstem  Ganglion  des  Schwanzes.  Die  Pfeile 
lM'zeichnen  die  Richtung  der  Wassereirculation,  durch  die  Mundöffnung  hinein,  zum 
Theil  durch  die  Kiemenspalten,  zum  Theil  durch  den  After  heraus. 

II.  Ordnung.    Thethyodeon,  Ascidineformes. 

Mit  Ausnahme  der  im  Wasser  frei  flottirenden  Pyrosomen  sind 
alle  Ascidien  an  Felsen,  Pfählen,  Hafenbauten  oder  am  Grund  des 
Meeres  festgewachsen.  Das  mit  der  sitzenden  Lebensweise  zusammen- 
hängende erhöhte  Schutzbedürfniss  hat  zu  einer  enormen  Entwicklung 
der  Cellulosehülle  geführt,  welche,  alle  inneren  Organe  verdeckend, 
den  Ascidien  ein  plumpes  und  unförmliches  Aussehen  verleiht.  Zwei 
meist  auf  erhabenen  Stellen  angebrachte  Öffnungen,  die  Egestions- 
und  I n  ge s t i  o n  s öf  f  n  u  n  g,  führen  in  das  Innere  des  Körpers  hinein 
und  spritzen  Wasserstrahlen  aus.  wenn  man  die  Thiere  aus  dem  Wasser 
herausnimmt  (Fig.  2bi)  A). 

Nach  Entfernung  des  Cellulosemantels  findet  man  einen  voll- 
kommen an  die  Würmer  erinnernden  Hautmuskelschlauch  von  longi- 
tudinalen  und  circulär  zu  den  beiden  Oeffnungen  angeordneten  Muskel- 
fasern. Eingeschlossen  in  dem  Muskelschlauch  liegen  die  Eingeweide, 
unter  denen  der  Anfangs-  oder  Kiemendarm  den  ansehnlichsten  Theil 
ausmacht  Der  Kiemendarm,  in  den  man  durch  die  von  kleinen 
Tentakeln  umstellte  Mundöffnung  oder  die  Ingestionsöffnung 


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VII.  Tunicaten:  Tethyodeen. 


277 


hineingelangt,  ist  ein  weiter  Sack,  der  einen  ansehnlichen  Hohlraum, 
die  innere  Kiemenhöhle,  umschliesst  und  selbst  wieder  in  einem  ihn 
allseitig  umhüllenden  Raum,  dem  Peribranchial-  oder  Perithoracal- 
raum  (äussere  Kiemenhöhle),  längs  einer  die  Bauchseite  bezeichnenden 
Linie  aufgehängt  ist  (in  der  Figur  A  auf  der  linken  Seite).  Die  Wand 
des  Kiemendarms  ist  netzförmig  durchbrochen  von  .feinen  flimmern- 
den Kiemenspalten,  die  in  Längs-  und  Querreihen  gestellt  sind  (Fig. 
25!»  (7):  durch  sie  fliesst  das  durch  den  Mund  aufgenommene  Athem- 
wasser  in  den  Perithoracalraum  und  von  diesem  durch  die  Egestions- 
öffnung  nach  aussen  ab ;  letztere  ist  somit  nicht  mit  der  Afteröflnung 
identisch. 


mm 


Fig.  259.  Ast'itlia  (Cione>  inte- 
stinalis. A  von  der  linken  Seite  ge- 
sehen ,  linke  Seite  des  Olllllose- 
mantels  und  des  Hnutmuskel- 
schlauehs  entfernt.  B  von  der 
rechten  S  ite  gesehen  ;  ( Vllulose- 
niantel  ganz  entfernt  .  Kietnendnnn 
von  cler  Ingcsttonsoffnung  n,ls  geöff- 
net, /  lng< -st ionsöff nung,  t  Tentakel- 
kran/,.  >■  Egestionsöffnung .  //  Mün- 
dung der..Hypophvsis-\  y  Ganglion, 
et  Cloake  (Penthoraealrauin).  <nl  0\i- 
duet  (die  sehwar/.e  Linie  danel>cn  das 
Vasdefercns),  a  After,  ff  Enddarin,  tu  Hautmuskelschlaueh,  k  Kieinensaek.  *  Seheidewand 
zwischen  Cloake  und  Lcilieshöhle ,  w  Oesophagus,  st  Magen ,  Im  verästelte  Hoden- 
schläuche  am  Magen  und  Dann,  09  Ovar,  Itc  Herz  mit  Pericard ,  >  n  Endost yl  oben 
an  dem  Flinnnerl>ogen  endend,  r  Cellulosemantel  am  unteren  Ende  mit  1 1  aftfäden. 
C  Ein  Stück  des  kiemennetzes  von  Cinne  intestinalis  starker  vergrüssert .  um  die 
Kiemenspalten  zu  zeigen. 


Während  das  Athemwasser  durch  die  Kiemenspalten  direct  in  den 
Perithoracalraum  gelangt,  schlagen  die  Nahrungsbestandtheile  den 
weiteren  Weg  durch  den  hinteren  oder  nutritorischen  Darm- 
abschnitt  ein.  Durch  Vermittlung  der  den  Eingang  zur  Athem- 
höhle  umgreifenden  Flimmerbögen  und  umhüllt  vom  Schleim  des 
Endostyls  (wegen  der  ventralen  Lage  auch  Hypobranchialrinne  genannt) 
kommen  sie  in  den  am  Grund  des  Kiemensacks  beginnenden  Oeso- 
phagus, von  da  in  den  Magen,  welcher  meist  mit  einer  Leber  versehen 
ist,  und  endlich  durch  ein  gewundenes  Dannrohr  durch  den  After  in 
den  Perithoracalraum;  da  in  letzteren  auch  die  (ieschlechtsproducte 
entleert  werden,  so  heisst  der  unter  der  EgestionsötTnung  gelegene 
Theil  desselben  auch  Cloake.    Wie  die  Kieme  im  Perithoracalraum, 


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278  Würmer. 

so  kann  der  übrige  Darm  in  einer  besonderen  Leibeshöhle  eingeschlossen 
sein,  welche  dann  durch  eine  zarte  Scheidewand  von  dem  Perithoracal- 
rauni  getrennt  wird  (Fig.  2;V.)  A,  s). 

In  der  Leibeshöhle,  welche  bei  Ascidien  mit  gedrungener  Körper- 
gestalt fehlt,  finden  sich  ferner  noch  die  Geschlechtsorgane  und 
das  Herz,  letzteres  als  ein  S-förmiger  Schlauch  zwischen  Magen  und 
Endostyl  ausgespannt  Dem  Endostyl  gegenüber  in  der  dorsalen  Wand 
des  Kiemendarms  liegt  das  Ganglion  zwischen  Ingestions-  und 
Egestionsöttnung;  unter,  selten  über  ihm  liegt  eine  verästelte  Drüse, 
welche  in  den  an  die  Ingestionsöffnung  grenzenden  Darmabschnitt 
mündet  und,  weil  sie  dadurch  an  einen  rasch  vorübergehenden  Ent- 
wicklungszustand der  Hypophysis  der  WirbeUhiere  erinnert,  mit  zweifel- 
haftem Recht  Hypophysis  genannt  wird. 

Aus  den  Eiern  der  Ascidien  gehen  kleine,  lebhaft  bewegliche 
Larven  hervor  (Fig.  260),  welche  wie  Appendicularien  aussehen  und 
dem  entsprechend  aus  Rumpf  und  Ruderschwanz  bestehen  ;  sie  haben 
ferner  e  i  n  e  ü  b  e  r  r  a  s  c  h  e  n  d  e  A  e  h  n  1  i  c  h  k  e  i  t  m  i  t  E  m  b  r  y  o  n  a  l  - 
und  Larvenstadien  niederer  WirbeUhiere ,  vor  Allem  des 
Amphioxus.  Dorsal  von  dem  auf  den  Rumpf  beschränkten  Darm 
liegt  das  röhrige  Nervensystem,  an  dem  man  drei  Abschnitte  unter- 
scheiden kann:  zuvorderst  das  bläschenförmige  Hirn,  in  dessen  Wan- 
dungen ein  primitives  Auge  und  eine  Art  Gehörorgan  eingebettet  sind, 
weiterhin  eine  verjüngte  Partie  (verlängertes  Mark),  schliesslich  ein  in 
den  Schwanz  eintretendes  Rückenmarksrohr.  In  der  Axe  des  Schwanzes 
liegt  ein  festes  Stützorgan,  die  Chorda  dorsalis,  welche  sich  eine 
kurze  Strecke  weit  in  den  Rumpf  zwischen  Darm  und  Nervenrohr 
einschiebt. 


i 


Fig-  'JM>.  Ascidictn-ntwicklung  (nach  Kupffer  und  Kowalewski).  1  oben  ausge- 
schlüpft«"- Larve,  1  Querschnitt  «Kirch  th-n  Schwanz  einer  etwas  jüngeren  Larve,  3  ein 
erheblich  früheres  Kntwieklungsstadium:  Bildung  der  Chorda  und  de*  Nervensystem*, 
4  vorderes  Ende  einer  Larve  kurz  vor  dem  Festsetzen.  (1  Phallusia  mentuln,  2 — l 
Phallusia  mominillntn).  e  Chorda,  rl  Cellulo*emantel.  >i  Neurairohr,  //  Anschwellung 
desselben:  Hirn  mit  Auge  (auf  und  Gehörorgan  fo) .  »r  Canali*  neurentericus,  1 
Dann  (>/'  nutritorischer .  </"  respiratorischer  Theil),  i  Mnndeinstülpung  (Ingestion/- 
Öffnung),  e  Cloakcnbhlschcn  (Egcstionsöffnung),  m  Muskeln  des  Schwanzes,  p  Haft- 
Itapillen,  ek,  Ectodorm,  <»  Entodexm. 


VII.  Tunicaten:  Tethyodeen. 


279 


Die  besprochenen  Wirbelthiercharaktere  der  Ascidienlarve  (An- 
wesenheit der  Chorda  dorsalis  und  ihre  Einfügung  zwischen  Darm 
und  Nervensystem,  die  röhrige  Beschaffenheit  des  letzteren,  seine  Zu- 
sammensetzung aus  Hirn  und  Rückenmark,  seine  rein  dorsale  Lage) 
gewinnen  noch  weiter  an  Bedeutung  durch  den  Nachweis,  dass  die 
Chorda  dorsalis  und  das  Nervensystem  der  Ascidicn  sich  embryonal 
in  einer  Weise  anlegen,  wie  es  nur  bei  den  Wirbelthieren  beobachtet 
wird,  die  Chorda  durch  Abschnürung  vom  Entoderm  aus  der  dorsalen 
Wand  des  Urdarms,  das  Nervensystem  dagegen  aus  dem  Ectoderm 
durch  Einfaltung.  In  beiden  Gruppen  communicirt  vorübergehend  das 
hintere  Ende  des  Rückenmarksrohrs  durch  den  Canalis  neuren- 
tericus  mit  dem  Darm.  Auf  Grund  dieser  entwicklungsgeschicht- 
lichen Befunde  kann  man  mit  Recht  den  Satz  aufstellen,  dass  unter 
allen  Wirbellosen  die  Ascidien  den  Verlebraten  am  nächsten 
stehen.  Man  kann  diesen  Satz  noch  weiter  damit  stützen,  dass  auch 
die  ausgebildete  Ascidie  durch  die  Anwesenheit  des  Kiemendarms, 
die  ventrale  Lage  des  Herzens,  wahrscheinlich  auch  durch  die  An- 
wesenheit des  der  Thyreoidea  vergleichbaren  Endostyls  den  Wirbel- 
thieren trotz  abweichender  Körpergestalt  ähnlich  ist 

Bei  der  Metamorphose  der  beweglichen  Larve  in  die  festsitzende 
Ascidie  spielen  4  Processe  eine  wichtige  Rolle.  1)  Die  Larve  be- 
festigt sich  mittelst  dreier  am  vorderen  Ende  befindlicher  Papillen. 
2)  Der  Ruderschwanz  wird  eingezogen  und  nach  vorhergegangener 
fettiger  Degeneration  resorbirt  .'i)  Die  Gestalt  wird  unförmlich  durch 
Ausscheidung  des  Cellulosemantels.  4)  Vom  Rücken  her  bilden  sich 
2  Hauteinstülpungen,  die  Perithoracalbläschen ;  dieselben  umwachsen 
den  Vorderdarm  und  verschmelzen  zu  dem  einheitlichen  Perithoracal- 
raum. 

Ausser  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung  besitzen  viele  Ascidien 
noch  die  Fähigkeit  zu  ungeschlechtlicher  Vermehrung  durch  Knospung. 
Wo  letztere  besteht,  führt  sie  zur  Coloniebildung,  welche  von  grosser 
systematischer  Bedeutung  ist. 

I.  Unterordnung.  Monnsridien.  Einzelascidien  von  meist  ansehnlicher 
Grösse,  bald  mit  durchsichtigem  Mantel  (Cione.  intestinalis  L.,  PhaUusia 
mammillata  Cuv.),  bald  mit  faserigem,  lederartig  trübem  Mantel  (Cynthia 
microtosmus  Cuv.).  Die  Gattung  Clarellina  {('l.  lejtadiformis  Sav.)  treibt  an 
der  Basis  Wurzelausläufer ,  an  denen 
neue  Thiere  zu  einer  locker  verbünde-  / 
nen  Colonie  hervorsprossen ;  sie  leitet 
dadurch  über  zu  der  nächsten  Gruppe. 

H.  Unterordnung.  Synascidien.  Die 
zusammengesetzten  Ascidien  bestehen  aus 
sehr  kleinen  Einzelthieren ,  welche  zu 
Hunderten  in  einem  gemeinsamen  Cellu- 
losemantel  eingebettet  sind  und  daher  an- 
sohnliche  Krusten  auf  Steinen,  Pflanzen  p,g  ofJl.  Bothnjllus  violaeem 
und  Thieren  erzeugen.  Meist  sind  die  (nach  Carpentcr).  A  eine  kleine  aus 
Thiere  einer  Colonie  auf  viele  kleine  JJ  Imlividnengrunpeu  1h  stehende 
Gruppen  vertheilt,  ven  ie.eo  eine  jede  ^  J^t"'^''" 
ihre    gemeinsame    Cloake    besitzt,  um 

welche  herum  die  Ingestionsötfnungen  der  G  — 12  der  Gruppe  zugehörigen 
Thiere  eine  Rosette  bilden.    Botryllus  dolore us  Edw.  (Fig.  261). 


280 


Würmer. 


III.  Unterordnung.  Pyrosomen  sind  freischwimmende,  pelagischo  Synas- 
citlicH.  Die  walzenförmige  Colonie  umschliesst  einen  nach  abwärts  mün- 
denden Raum,  die  Centralcloake ;  die  einzelnen  Thiere  stehen  zur  Längsaxe 
derselben  senkrecht,  und  zwar  so,  dass  die  Egestionsöffnung  nach  aussen 
schaut.  Das  aussergewöhnlich  intensive  Leuchtvermögen  hat  den  Namen 
veranlasst:  P.  gigantenm  Lea.  Feuerzapfen. 


III.  Ordnung.    Thaliaceen,  Salpaeformea. 

Wie  die  Pyrosomen,  so  gehören  auch  die  salpen  artigen  Tunicatctt, 
die  echten  Salpen  und  die  Doliolen,  der  pelagischen  Thierwelt  an;  in 
derselben  spielen  sie  sogar  eine  hervorragende  Rolle,  einige  trotz 
ihrer  geringen  Körpergrösse  durch  ihr  massenhaftes  Auftreten,  andere, 
namentlich  die  coloniebildenden  Formen,  durch  ihre  ansehnlichen 
Dimensionen.  Ihrer  Körpergestalt  nach  kann  man  eine  Salpe  mit  einer 
an  beiden  Enden  geöffneten  Tonne  vergleichen,  deren  Wandung  nach 
aussen  vom  Cellulosemantel,  nach  innen  vom  Hautmuskelschlauch  ge- 
bildet wird  (Fig.  262).  Die  Muskeln  sind  sämmtlich  cireulär  und  bilden 
6 — 8  nicht  immer  vollkommen  geschlossene  Ringe,  die  wie  Reifen  den 
Innenraum  umgürten.  Ihre  Contractionen  treiben  das  die  Tonne  er- 
füllende Meerwasser  durch  die  hintere  oder  Egestionsöffnung  aus, 
worauf  durch  die  vordere  Ingestionsöffnung  neues  Wasser  einströmt. 
Die  Thiere  schwimmen  auf  diese  Weise  durch  Rückstoss  mit  dem 
vorderen  Ende  voran. 


Fig.  2C>2. 


Fig.  263. 


Fig.  -JiU. 


Fig.  'J<i'J.  Salpa  tlemorratiea  mit  Knospen- 
zapfen (Ä  tnvrronata)  A  in  ventraler,  B  in 
seitlicher  Ansieht, 

Fig.  263.  Salpa  wucromila .  Theil  einer 
jungen  noch  nicht  lange  abgelösten  Kette. 

Fig.  2t>4.  Doliolum  flentirulatiim. 
i  Ingestionsöffnung,  /"FUnunerbögen,  y  Ganglion  mit  hufeisenförmigem  Auge  und 
davor  gelegenem  Tentakel  und  IfyjMipIiysengruhe,  /,  Kieme,  rn  Endostyl ,  d  Dann. 
*•/  Stolo  prolifer,  r  Forest  ionsöffming,  a  After,  //  Hoden,  in  Muskelreifen,  c  Celluluse- 
mantel;  die  Pfeile  deuten  die  Kiehtung  der  Wasserströmung  beim  Schwimmen  au; 
die  Richtung  des  schwimmenden  Thieres  ist  entgegengesetzt. 

Der  Hohlraum  der  Tonne  entspricht  sowohl  dem  Kiemendann 
wie   dem   Perithoracalraum    der   A seidien.    Bei   den   Doliolen  sind 


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VII.  Tunicaten  :  Thaliaceen. 


2*1 


beide  Räume  noch  durch  eine  von  Kiemenspalten  durchbrochene 
Scheidewand  getrennt  (Fig.  2<>4);  bei  den  gewöhnlichen  Snlpen  ist  die 
Scheidewand  zu  einem  schmalen,  stark  bewimperten  Balken  rück- 
gebildet, so  dass  Kiemenhöhle  und  Pcrithoracalraum  in  einen  einheit- 
lichen Raum  zusammenfliessen.  Als  weitere  Reste  des  Kiemendanns 
der  Ascidien  erhalten  sich  ausserdem  noch  eonstant  der  ventrale  En- 
dostyl und  die  den  Kienieneingang  umhüllenden  Flimmerbögen. 

Die  Eingeweide  des  Thieres  liegen  im  llautmuskelschlauch,  da, 
wo  Kiemenbalken  und  Endostyl  sich  nähern,  meist  zusammengedrängt 
zu  einem  Knäuel,  dem  „Nucleus"  (Darm,  Geschlechtsorgane,  Herz). 
Nur  das  Ganglion  erhält  sich  gesondert  und  liegt  dem  Endostyl  gegen- 
über dorsal  kurz  vor  dem  Anfang  des  Kiemenbalkens;  es  steht  in  Zu- 
sammenhang mit  einem  hufeisenförmigen  Ocellus. 

Schon  seit  Langem  kennt  man  zweierlei  Snlpen:  die  einen  leben 
als  Einzelthicre  isolirt  für  sich ;  bei  den  anderen  sind  viele  Individuen 
hinter  einander  zu  einer  Kette  oder  neben  einander  zu  einer  Rosette 
vereinigt  Am  Anfang  dieses  Jahrhunderts  entdeckte  Chamisso, 
dass  die  Kettensalpen  von  den  solitären  erzeugt  werden  und  dass  diese 
umgekehrt  wieder  von  jenen  abstammen,  eine  eigenthümliche  Ent- 
wickluugsweise,  für  welche  Steens trup  später  den  Namen  Gene- 
rationswechsel eingeführt  hat.  Die  solitäre  Salpe  ist  die  Amme, 
sie  hat  keine  Geschlechtsorgane,  wohl  aber  nahe  dem  hinteren  Ende 
einen  Knospenzapfen  oder  Stolo  prolifer,  welcher  an  seinem  Ende 
mehrere  Salpencolonien  hinter  einander  hervorsprossen  lässt  Während 
die  erste  sich  ablöst,  reift  eine  zweite  heran  und  beginnt  eine  dritte 
sich  aus  dem  Knospenzapfen  heraus  zu  differenziren.  Die  colonialen 
Salpen  werden  geschlechtsreif  ;  jedes  Thier  einer  Colonie  producirt  nur 
ein  Ei,  welches  sich  wieder  zur  solitären  Salpe  entwickelt 

Da  nun  sowohl  die  Kettensalpen  wie  die  aus  ihnen  hervorgehenden 
Einzelsalpen  schon  besondere  Namen  erhalten  hatten,  ist  man  in  der  Neu- 
zeit gezwungen  worden,  Doppelnamen  anzuwenden.  So  bedeutet  der  Aus- 
druck .S.  tlrniorratica-nnicronata  Forsk.,  dass  die  demmratica  die  Amme, 
die  .*\  Hntcromta  das  geschlechtliche  Kettenthier  ist;  in  derselben  Weise 
sind  die  Namen  N.  Afrirana  -  mcuiitia  Forsk.,  >'.  nuwinala  -  fusifonnis  Cuv. 
gebildet.  Von  den  eigentlichen  Salpen  unterscheiden  sich  die  Tonnchen 
oder  Uoliolrn  durch  die  besser  ausgebildete  Kieme  und  einen  noch  mehr 
complicirten  Generationswechsel.  JfaUohun  drutindatttm  Quov  u.  Gaim. 
(Fig.  2G4). 


VIII.  C lasse. 

Bryozoen,  Moosthierehen. 

In  ihrer  äusseren  Erscheinung  haben  die  Bryozoen  oder  Moos- 
thierchen  eine  überraschende  Aehnlichkeit  mit  Hydroidpolypen,  so  dass 
ein  ungeübter  Beobachter  sie  schwierig  von  ihnen  unterscheidet;  wie 
diese  bilden  sie  auf  dem  Wege  der  Knospung  Colonien,  welche  mit 
gallertigen  Ucberzügen  oder  harten,  kalkigen  Krusten  Felsen,  Wasser- 
pflanzen, Thiere,  Pfähle  etc.  überziehen  oder  sich  von  ihnen  als  kleine 
Büsche  oder  Bäumchen  erheben.  Ferner  besitzen  sie  eine  mit  dichten 
Flimmern  bedeckte  Tentakelkrone,  welche  weit  ausgebreitet  und  blitz- 
schnell zurückgezogen  werden  kann.    Gleichwohl  ist  der  Unterschied 


282 


Würmer. 


im  Bau  ein  ganz  erheblicher.  Man  achte  zunächst  darauf,  das*  die 
Bryozoen  einen  mit  eigenen  Wandungen  versehenen,  aus  3  Abschnitten 
bestehenden  Darm  besitzen,  welcher  derart  hufeisenförmig  gebogen 
ist,  dass  der  After  ganz  in  die  Nähe  des  Mundes  zu  liegen  kommt 
Zwischen  Mund  und  After  liegt  das  Centrainervensystem  in 
Form  eines  Ganglion,  und  münden  zwei  Nieren c an äle  in  einem  ge- 
meinsamen Poms. 

Ueber  das  Gesagte  kann  man  bei  einer  allgemeinen  Charakteristik 
nicht  hinaus  gehen,  da  es  zwei  Gruppen  der  Bryozoen  giebt,  die  Ento- 
procten  und  die  Ectoprocten^  die  sich  in  so  auffälliger  Weise  von  einander 
unterscheiden,  dass  man  zweifeln  kann,  ob  sie  überhaupt  zusammen- 
gehören; die  Entoprocten  haben  keine  Leibeshöhle  und  ähneln  somit 
den  kleinen  Scoleciden,  den  Rotatorieny  während  die  Ectoprocten  sich 
den  Coelhelminthen  ansehlie>sen  und  durch  Vermittelung  der  Gattung 
Phoronis  mit  den  unbewaffneten  Gepliyreen  {Prosopytuern)  und  auch 
den  Anneliden  Fühlung  gewinnen. 


I.  Ordnung.  Entoprocten. 

Die  Einzelthiere  der  Entoprocten  haben  die  Gestalt  eines  Wein- 
glases (Fig.  26b)  und  sitzen  auf  Stielen,  welche  sich  meist  aus  ver- 
ästelten, am  Hoden  hinkriechenden  Stolonen  er- 
heben. Die  den  Kelchrand  einnehmende  Tentakel- 
krone umschliesst  das  Peristomfeld,  auf  welchem 
sowohl  Mund  wie  After  und  zwischen  beiden  die 
Excretions-  und  Geschlechtsorgane  münden.  Der 
Zwischenraum  zwischen  dem  hufeisenförmigen 
Dann  und  der  Körperoberfläche  ist  vollkommen 
von  einem  Muskelzellen  enthaltenden  Parenchym 
ausgefüllt.  Dem  gemäss  sind  die  Excretionscanäle 
Protonephridien  nach  Art  der  Wassergefässe  der 
Scoleciden.  Hei  der  das  Süsswasser  bewohnenden 
VrnatelUi  gracilis  Dav.  sind  sie  verästelt  und  be- 
ginnen mit  Flimmerläppchen.  PedicelUna  echinata 
Sars.,  Loxosoma  singulare  Kef. 

II.  Ordnung.  Ectoprocten. 

Fig.  2i  m.    Losifsoma  .    .  .  ... 

singulare  (nach  Kit-         Hei  den  Ectoprocten  ist  eine  geräumige,  von 

bch'r).  KinzcIttnVr  mit  Fliiiimeiepithel  ausgekleidete  Leibeshöhle  zwischen 
dem  optU-hcn  liing*-  Darm  und  Haut  vorhanden,  wodurch  die  letzteren 
kränz X'ua  ciundilm  l't  auseinander  gedrängt  und  bis  zu  einem  gewissen 
Knddarm,  ./  Darm.'  V  Grad  unabhängig  von  einander  werden.  (Fig.  266.) 
Magern.  Daher  ist  man  zu  einer  eigentümlichen  Auffassung 

der  Organisation  gelangt,  welche,  morphologisch 
zwar  gänzlich  unhaltbar,  für  die  Schilderung  manche  Vortheile 
bietet:  es  sei  nämlich  jedes  Hryozoenindividuum  aus  zwei  in  einander 
gesteckten  Individuen  zusammengesetzt.  Cystid  und  Polypid.  Als  Polypid 
wird  dann  Darm  mit  Tentakelkrone,  als  Cystid  das  Uebrige,  vor  Allein 
der  Hautmuskelschlauch  gedeutet 

Das  Cystid  hat  die  Gestalt  eines  Hechers  oder  einer  oblongen 
oder  ovalen  Schachtel:  man  unterscheidet  an  ihm  eine  Endocyste 
und  eine  Ectocyste.    Erstere  ist  der  Hautmuskelschlauch,  letztere 


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VIII.  Bryozoen:  Ectoprocten. 


283 


ein  vom  Epithel  der  Körperoberfläche  ausgeschiedenes,  nieist  stark 
verkalktes  CuticularskeleL  Die  Oberfläche  der  Endocyste  ist  constant 
nur  an  der  Basis  und  an  den  Seiten  Wandungen  von  der  Ectocyste 
bedeckt,  das  periphere  Ende  bleibt  zum  Theil  weichhäutig  und 
bildet  eine  Art  Kragen,  in  den  der  aus  dem  Cystid  hervortretende 
Theil  des  Polypiris  summt  seiner  Tentakelkrone  durch  blitzschnell 
sich  contrahirende  Muskeln  zurückgezogen  werden  kann.  In  der 
Ectocyste  befindet  sich  dem  Gesagten  zufolge  eine  mehr  oder  minder 
grosse  Oeffnung,  die  bei  vielen  Bryozoen  {Chilostomen)  durch  einen 
Deckel  geschlossen  werden  kann.  Auch  in  den  Seitenwandungen 
finden  sich  Oeffnungen,  durch  welche  benachbarte  Individuen  einer 
Colonie  in  Verbindung  treten.  Die  Tentakelkrone  umgiebt  nur  die 
Mundöffnung,  während  der  After  ausserhalb  in  der  Nähe  des  Kragens 
liegt  Zwischen  beiden  Oeffnungen  beschreibt  der  Darm,  die  Grund- 
lage des  Polypiris,  einen  weit  nach  abwärts  reichenden  Bogen,  dessen 
hinteres  Ende  durch  einen  Strang,  den  Funiculus,  mit  dem  Grund 
des  Cystiris  verbunden  ist  Zwischen  Mund  und  After  liegen  ferner 
das  Ganglion  und  die  Niere,  letztere  aus  2  flimmernden  Canälen  ge- 
bildet, welche  in  der  Leibeshöhle  getrennt  beginnen,  aber  gemeinsam 
nach  aussen  münden.  Die  Geschlechtsorgane  entstehen  aus  dem  Epithel 
der  Leibeshöhle,  die  Hoden  am  Funiculus,  die  Ovarien  meist  an  den 
Wandungen  des  Cystiris. 


Fig.  2VA).  FlnMrn  wembranarra  (mich  Nifc*che),  oin  einzelnes  Thier,  rn  Emlo- 
eyste,  ek  Ectoeyftte,  k  Krügen,  welcher  die  völlige  Einntül|>ung  des  Thiere*  stattet , 
f  Funiculiia ,  a  After,  in  Magen,  u  Oesophagus,  y  (iiuiglioti,  m  HautmiiHkrUchlauch. 
A  Avicularien,  B  Vibracularien  von  Bwjula  (nach  t'la|>arcdr). 

Hunderte  oder  Tausende  von  microscopisch  kleinen  Einzelthieren 
bilden  Colonien  (Fig.  207)  von  mannichfaltigstem  Aussehen,  in  denen 
sich  Cystid  unmittelbar  an  Cystiri  anreiht  Die  Colonien  wachsen  durch 
Knospung;  von  einem  Cystid  schnürt  sich  ein  Theil  ab  als  Tochter- 
Cystid,  in  welchem  durch  Neubildung  der  Darm  mit  Tentakelkronc. 
das  Polypid,  entsteht. 


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2*4 


Würmer. 


Fip.  '2<i7.  Ein  Steekehen  v<>n  Lof  hnj.tig 
cryttallfNUH  Pall,  mi<  jüngeren  und  alter«'», 
tlicils  ausgestreckten,  theib  halb  oder  Ranz 
autückgezogcnen  Thieren  :  «Ii«-  dunklen  Kör- 
1MT  im  Innern  sind  Statohln.stcn  (nach 
Kraenelin). 


Sehr  häufig  rindet  sich  bei 
den  Rryozoen  Arbeitsteilung 
oder  P  o  1  y  m  o  r  p  h  i  s  in  u  s  vor. 
Ausser  den  bisher  beschrie- 
benen vorwiegend  zur  Ernährung 
dienenden  Thieren  können  noch 
dreierlei  Individuen  vorkommen, 
die  Ovicellen,  Vibracu- 
larien  und  Avicularien: 
alle  .*>  sind  Cystide,  welche  das 
Polypid  verloren  haben.  Die 
Ovicellen  sind  rundliche  Kapseln, 
welche  zur  Aufnahme  der  be- 
fruchteten Eier  dienen,  die  Vi- 
bracularien  (Ii)  lange  tastende 
Fäden,  die  Avicularien  (A)  sind 
Greifapparate,  welche  Nahrun  gs- 
körper  festhalten,  damit  sie  zer- 
fallen und  in  den  Bereich  der 
Tentakelkrone  der  Fressthiere 
gerathen.  Das  Avicularcystid 
hat  die  Gestalt  eines  Vogel- 
kopfes, indem  es  mit  einem  Ende  in  einen  schnabelartigen  Fortsatz 
ausgezogen  ist,  dem  ein  beweglicher  Fortsatz  am  anderen  Ende  wie 
ein  Unterkiefer  entgegenwirkt. 

Unter  ungünstigen  Bedingungen  kann  in  einem  Cystid  das  Polypid 
zu  (i runde  gehen  und  lange  Zeit  fehlen,  bis  günstigere  Verhältnisse 
eine  Neubildung  gestatten.  Ausserdem  kommt  es  vor,  dass  in  den 
verödeten  Cvstiden  eigenthümliche,  zur  Verbreitung  der  Art  dienende 
Ruhezustände,  die  Stntoblnsfen,  angetroffen  werden,  vielzellige,  innere 
Knospen  von  linsenförmiger  Gestalt,  welche  von  einer  festen  Hülle 
umgeben  werden.  Der  Rand  des  Körpers  ist  von  einem  Gürtel  ge- 
schlossener Käinnierchen  unigeben,  welche  sich  beim  Eintrocknen  mit 
Luft  füllen  und  den  Statoblasten  schwimmen  machen,  wenn  er  aufs 
Neue  in  das  Wasser  geräth.  Aus  dem  Statoblasten  tritt  dann  ein 
kleines  lirvozoenindividuum  hervor,  welches  eine  neue  Colonie  liefert. 

1.  Unterordnung.  IStetmatopoden  f  Kreiswirbler,  Hryoxocn,  bei  denen 
die  Tentakeln  einen  Ring  um  die  Mundöffnung  bilden.  Zu  den  fast  aus- 
schliesslich marinen  Thieren  gehören  als  die  bekanntesten  Arten  die  Flwstrnt 
und  die  Bugulen,  Fluni  ra  mn/tbmnacea  L.  (Fig.  26C),  Biu/ula  aricularia  L. 

2.  Unterordnung.  LojihojifHirn,  tragen  die  Tentakeln  auf  dem  Lophophor. 
Derselbe  besteht  aus  zwei  links  und  rechts  von  der  Mundöffnung  gelegenen 
hufeisenförmigen  Fortsätzen,  an  deren  Rand  die  Tentakeln  stehen.  Die 
Lophopoden  sind  Süsswasserbewohner.  Aln/onella  funyosa  Pall.  PhimakUa 
rcjitaus  L.    Lophqptta  rrystaüinus  Pall.  (Fig.  267). 


IX.  C  lasse. 

llrachiopodcn. 

Die  Brachiopodon  wurden  wegen  ihrer  zweiklappigen  Schale  lange 
Zeit  für  Muscheln  gehalten;  sie  wurden  später  von  den  Muscheln  ge- 


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IX.  Brachiopoden. 


285 


trennt  und  für  eine  besondere  Classc  der  Mollusken  erklärt,  als  man 
auf  die  ganz  abweichende  Lage  der  Schalen  aufmerksam  wurde:  dass 
nämlich  die  Schalen  nicht  links  und  rechts  zur  Symmetrieebene  des 
Körpers  liegen,  sondern  die)  dorsale  und  ventrale  Seite  des  Thieres 
bedecken.  Zu  einer  Loslösung  von  den  Mollusken  entschloss  man 
erst  in  der  neuesten  Zeit,  als  man  erkannte,  dass  die  Thiere  im 
des  Nervensystems,  der  Excretions-  und  Geschlechtsorgane,  in 


Beschaffenheit  der  Leibeshöhle  und  in  der  Entwicklungsweise 


sich 
Bau 
der 
den 


Coelhelminthen  viel  näher  stehen  als  den  Mollusken. 

Der  Körper  eines  Brachiopoden  hat  eine  stark  verkürzte  Längs- 
axe  (Fig.  268)  und  ist  in  Folge  dessen  ein  querovaler  Eingeweidesack; 

Fig.  2IVS. 


Fig.  20S.  Anatomie  von 
R/wnchoneUa  psittaeea,  beide 
Schalen,  die  körperwand  und 
ilie  Lelier  der  linken  Seite 
sind  entfernt,  «'  linker,  a1 
rechter  Ann,  a1  die  Eingänge 
in  den  Hohlraum  der  Anne  ; 
«»  Oesophagus ,  ij  Magen  mit 
Leber  /,  il  Darm ,  r  blindes 
Ende  fdes,«ell>en ;  ni  Muskeln 
zum  Oeffnen  und  Sehliesaen 
der  Sehale,' w1  jt1  dorsaler  und 
ventraler  Mantellappen ,  st 
Stiel .  7  und  2  erst««*  und 
/.weites  Dis*epiment.  an  dem 
/weiten  Di>sepiment  Mündung 
i  ines  Segment  nlorgans  (naeh 
Haneoek). 


Fig.  209.  Waldhcimia 
ffarrsrcntt  iau>  Zittel).  Sehale 
mit  Armen  und  Muskeln,  a 
Ann  mit  seinein  gefransten 
Saum  (hj.  d  Sehliessmuskeln, 
r  und  r'  Muskeln  zum  Oeff- 
nen der  Sehale,  D  Sehl..— - 
f-Ttsatz.  Dieseukreehte  Linie 
bezeiehnet  die  taige  des 
Schlusses. 


Fig.  209. 


von  seinem  hinteren  Ende  entspringt  bei  den  meisten  Arten  ein  mus- 
eulöser  Stiel,  mit  Hilfe  dessen  die  Thiere  festgewachsen  sind ;  ferner 
gehen*  von  ihm  zwei  ansehnliche,  an  ihrem  freien  Rand  mit  Borsten 
besetzte  Falten  aus,  die  Man te  1 1  ap  pe n  ,  von  welchen  fast  stets  der 
eine  wie  eine  Kapuze  über  den  Bücken  gezogen  ist,  der  andere  sich 
in  ähnlicher  Weise  über  die  Bauchseite  schlägt.  Jeder  Mantellappen 
scheidet  mittelst  des  Epithels  seiner  äusseren  Oberfläche  eine  Schale 
aus,  welche  der  Hauptmasse  nach  aus  kohlensaurem  Kalk  besteht. 
Selten  haben  dorsale  und  ventrale  Schale  gleiche  (iestalt;  gewöhnlich 
ist  die  ventrale  —  bei  manchen  Arten  festgewachsene  —  stärker  kahn- 


2*> 


Würmer. 


artifi  gewölbt  und  zum  Durchtritt  des  Stieles  an  ihrem  hinteren  Ende 
von  einer  Öeffnung  durchbohrt.  Die  dorsale,  flachere  Schale  ihrerseits 
besitzt  eine  charakteristische  Einrichtung  in  dem  Annskelet,  das  frei- 
lich nicht  immer  vorhanden  ist  und,  wenn  es  vorhanden,  ist  eine  ver- 
schiedene Ausbildung  zeigt  (Fig.  269,  270).  Seine  Grundlage  besteht 
aus  zwei  Kalkstäben,  welche  symmetrisch  zur  Medianebene  von  der 
dorsalen  Schale  aus  senkrecht  in  den  Schalenraum  abwärts  steigen; 
sie  können  durch  einen  gebogenen  Querbügel  verbunden  sein;  von 
ihren  Enden  kann  dann  noch  weiter  jederseits  ein  spiral  gewundener 
Fortsatz  entspringen.  Das  beschriebene  Skclet  ist  ein  Trageapparat 
für  die  spiralen  Mundarme. 


Heide  Schalen  umhüllen  im  geschlossenen  Zustand  den  Weich- 
körper vollkommen;  wenn  sie  sich  öffnen,  weichen  sie  mit  den  vor- 
deren Rändern  auseinander,  während  die  hinteren  Ränder  verbunden 
bleiben.  Die  Bewegung  vollzieht  sich  um  einen  festen  Punkt,  das 
Schloss,  welches  ein  wenig  einwärts  vom  hinteren  Rande  liegt;  zur 
Bildung  desselben  trägt  die  ventrale  Schale  mit  zahnartigen  Vor- 
sprüngen bei,  welche  in  besondere  Vertiefungen  der  dorsalen  Schale 
passen.  Oeffnen  und  Schliessen  ist  (im  Gegensatz  zu  den  Lamelli- 
branchiern)  beides  ein  activer  Vorgang;  von  der  ventralen  Schale  ent- 
springen Muskeln,  welche  sich  an  der  dorsalen  Schale  entweder  nach 
hinten  vom  Schloss  an  dem  Schlossfortsatz  befestigen  und  dann  zum 
Oeffnen  dienen  (Divaricatoren)  oder  nach  vorn  davon  ihren  Angriffs- 
punkt rinden  und  den  Schalenschluss  herbeiführen  (Adductoren).  Sie 
hinterlassen  auf  beiden  Schalen  Muskelabdrücke,  welche  namentlich 
für  die  Unterscheidung  fossiler  Formen  wichtig  sind. 

Den  Hauptthcil  des  Schalenraums  füllen  die  beiden  spiral 
gewundenen  Arme,  welche  links  und  rechts  von  der  Mundöffnung 
liegen  und  Ursache  zur  Namengebung,  „Brachiopoden"  oder  „Spiro- 
branchier",  gewesen  sind.  Sie  besitzen  auf  ihrer  von  der  Spiralaxe 
nach  aussen  gewandten  Seite  eine  Längsfurche,  die  bis  an  die  Spitze 
des  Arms  reicht  und  von  einer  Reihe  kleiner  Tentakelchen  eingefasst 
ist.  Der  Armapparat  erinnert  ausserordentlich  an  den  Lophophor  der 
lophopoden  Bryozoen  (Fig.  2(57);  man  kann  ihn  aus  demselben  ableiten, 
wenn  man  sich  vorstellt,  dass  jeder  der  beiden  Lappen  des  Lopho- 
phors  stark  gewachsen  sei  und  dabei  sich  spiral  eingekrümmt  habe. 
Thatsächlich  gleicht  auch  vorübergehend  der  Armapparat  eines  jungen 
Brachiopoden  dem  Lophophor  der  Bryozoen. 


Fig.  270.  Waldheim  in 
flare.tcenH  (aus  Zittcl).  A  die 
dorsale,  B  die  ventrale  Schale. 
n,  b,  r  Abdrücke  der  Muskel  - 
insertionen ,  a  der  Sehliess- 
inuskcln  (Adductoren),  r' ,  r 
der  Muskeln  zum  Oeffnen 
(Divaricatoren),  s  Sehlos*- 
gruben  der  oberen  Schale,  in 
welche  die  Schloswzähne  /  der 
unteren  Schale  passen,  /  Stütz- 
apparat der  Anne,  f  < Mfnung 
für  den  Stiel. 


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Zusammenfassung. 


2*7 


Im  Rumpf  der  Braehiopoden  findet  sich  eine  Leibeshöhle, 
welche  sich  bis  in  die  beiden  Mantelfalten  hinein  erstreckt  Sie  um- 
schliesst  Darm,  Leber  und  Geschlechtsorgane  und  zerfällt  durch  ein 
dorsales  und  ventrales,  an  den  Darm  tretendes  Mesenterium  in  eine 
linke  und  rechte  Hälfte;  jede  Hälfte  wiederum  ist  durch  zwei  quere 
Scheidewände  in  eine  vordere,  mittlere  und  hintere  Kammer  abgetheilt, 
ähnlich  wie  wir  es  für  die  Sagitten  kennen  gelernt  haben.  Wenn  die 
Anordnung  der  Scheidewände  nicht  so  klar  und  übersichtlich  ist  wie 
bei  diesem  Wurm,  so  ist  es  eine  Folge  der  starken  Verkürzung  der 
Längsaxe  und  der  dadurch  bedingten  Windung  des  Darms.  Letzterer 
besteht  aus  Oesophagus,  einem  die  Gallengänge  aufnehmenden  Magen 
und  einem  Enddarm,  welcher  bei  einem  Theil  der  Braehiopoden  blind- 
geschlossen ist 

Leber  und  Geschlechtsorgane  liegen  hauptsächlich  in  den  Mantel- 
lappen. Die  Geschlechtsproducte  werden  durch  die  Segmentalorgane 
entleert,  welche  mit  weiter  Mündung  in  einer  Leibeskammer  beginnen, 
das  Dissepiment  durchbohren  und  in  der  nächstfolgenden  Kammer 
nach  aussen  münden.  Da  gewöhnlich  zwei  Dissepimentc  vorhanden 
sind,  können  auch  zwei  Paar  Segmentalorgane  vorkommen;  indessen 
ist  meist  eines  der  beiden  Paare  rückgebildet.  Als  Nervensystem 
funetionirt  ein  Schlundring,  in  welchem  eine  schwache  dorsale  An- 
schwellung das  obere  Schlundganglienpaar,  eine  stärkere  ventrale  das 
Bauchraark  vertritt  Im  Blutgefässsystem  verdient  ein  dorsal  vom 
Magen  gelegenes  Herz  Beachtung. 

In  der  Entwicklungsgeschichte  erinnern  die  Braehiopoden  einerseits 
an  Sagitta,  andererseits  an  die  Anneliden.  Mit  Sayilta  haben  sie  gemein- 
sam, dass  die  Leibeshöhle  durch  Ausstülpung  vom  Darm  aus  entsteht  und 
durch  quere  Scheidewände  in  3  Höhlen  zerlegt  wird;  annelidenähnlich  ist 
die  Gestalt  der  Larven  und  das  Vorkommen  von  Borsten,  welche  in  be- 
sonderen Follikeln  gebildet  werden.  —  In  früheren  Erdperioden  war  die 
Thierclasse  sehr  reich  an  Individuen  und  Arten  entwickelt,  so  dass  ihre 
Schalen  zu  den  wichtigsten  Leitfossilien  gehören.  Jetzt  lebt  nur  ein  spär- 
licher Rest,  zum  Theil  in  grossen  Meerestiefen.  Die  wenigen  Gattungen 
und  Arten  vertheilen  sich  auf  zwei  Ordnungen.  Die  Ecardines  haben 
gleichförmige  Schalen  ohne  Schloss,  welche  zwischen  ihren  dorsalen  Enden 
den  Stiel  durchtreten  lassen.  IJngnla  anatina  Lam.  Die  Tesfieardines 
haben  ein  Schloss  und  ungleich  entwickelte  Schalen,  von  denen  die  ven- 
trale allein  die  Oeffnung  für  den  Durchtritt  des  Stiels  bildet.  Der  After 
ist  rtickgebildet.  Waldheimia  flarexcens  Lam.  (Fig.  209).  Terebratula 
ritrea  Lam. 


Zusammenfassung  der  Besnltatc  über  Würmer. 


1)  Die  Würmer  sind  bilaterale  Thiere  mit  einem  Haut- 
muskelschlauch  und  einem  meist  aus  Ganglienknötchen  be- 
stehenden Centrainervensystem. 

2)  Die  Fortpflanzung  ist  vorwiegend  geschlechtlich,  doch 
kommt  auch  Paedogenesis  und  Knospung  und  demgemäss  Heterogonie 
und  Generationswechsel  vor. 


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288 


Zusammenfassung. 


l\)  Je  nach  Anwesenheit  oder  Mangel  einer  Lei I» esh oh  1  e  unter- 
scheidet man  p  a  rene  Ii  y  m  a  t  ö  s  e  W  fl  r  in  e  r,  Seoleelden.  und  Leibes- 
h  ö  h  1  e  n  w  ü  r  in  e  r,  Coeilichninthen. 

4)  Die  typischen  Vertreter  der  Scoleeiden  sind  die  Plattwttrmer, 
Thiere  von  dorsoventral  abgeplatteter  Gestalt,  deren  Nervensystem 
nur  aus  den  oberen  Sehlundganglien  und  den  Seitensträngen,  deren 
Xierensystem  aus  den  verästelten  Wassergefässen  (Proto- 
nephridien)  besteht. 

f>)  Die  ursprünglichsten  Plattwürmer  sind  die  Turbetlarien,  aus 
denen  sich  einerseits  die  Trematoden  und  Cestoden,  andererseits  die 
Nemertinen  ableiten  lassen. 

6)  Die  Turbetlarien  sind  durch  ihr  flimmerndes  Körperepithel 
i Strudelkleid)  charakterisirt ;  sie  haben  keinen  After  und  keine 
Blutgefässe;  ihr  Darm  besteht  aus  dem  octodermalen  Schlundkopf 
und  dem  entodcrmalen  Magen,  welcher  bei  Rhabdocoelen  ein  stabförmiger 
Blindsack,  bei  Dendrocoelen  reich  verästelt  ist. 

7)  Bei  den  parasitischen  Trematoden  ist  das  Flimmerkleid  vertoren 
gegangen  oder  auf  das  Larvenleben  beschränkt,  dafür  finden  sich 
Haftapparate  zum  Festhalten  am  Wirth,  Haken  und  Saug- 
näpfe, bei  den  ectoparasitischen  Polystomeen  zahlreiche,  beiden  ento- 
parasitischen  Diatomeen  1    2  Saugnäpfe. 

8)  Bei  den  Diatomeen  kommt  es  zum  W  i  r  th  s  w  cch  sei  und  zur 
Hcterogonie.  Aus  den  Eiern  eines  Distomum  entsteht  eine  stets 
in  Mollusken  (1.  Wohnthier)  schmarotzende  Redia  oder  ein  Spo- 
roeystis;  aus  deren  partheiiogenetiseh  sich  entwickelnden  Eiern  wird 
eine  Cercarie,  welche  sich  zum  eingekapselten  Distomum 
<  im  2.  Wohnthier)  und  endlich  zum  g  c  s  c  h  1  e  c  h  t  s  r  e  i  f  o  n  D  i  s  t  o  ni  u  m 
(im  3.  Wohnthier)  umwandelt. 

9)  Die  bekanntesten  Distomeen  sind  D.  hepaticum  und  D.  lanceo- 
latum  (selten  im  Menschen,  häutig  im  Schaf),  Distomum  haematobium 
in  der  Pfortader  des  Menschen,  aber  nur  in  wärmeren  Klimaten. 

10)  Von  den  Trematoden  sind  die  Cestoden  unterschieden  vor 
Allem  durch  den  Verlust  des  Darms,  wozu  meistens  noch  die 
Sonderung  des  Körpers  in  Scolex  und  Proglottiden  kommt 

11)  Der  Seolex  ist  das  Haftorgan  der  Bandwürmer  und  als  solches 
mit  Saugnäpfen  und  öfters  auch  mit  Haken  versehen;  er  hat 
ferner  die  Aufgabe,  die  Proglottiden  durch  terminale  Knospung 
zu  erzeugen. 

12)  Die  Prosrlottidcn  enthalten  den  Hermaphroditen  Ge- 
schlechtsapparat 

1.'))  Die  in  den  Eiern  sich  bildenden  «5 -hakigen  Embryonen 
müssen  in  einen  Zwischenwirth  gelangen,  indem  sie  entweder  passiv 
durch  die  Nahrung  in  dessen  Darm  verschleppt  werden  oder  indem 
sie  als  Flimmerlarven  im  Wasser  schwimmend  denselben  activ  auf- 
suchen. 

14)  Im  Zwischenwirth  kapseln  sie  sich  im  Bindegewebe  von  Mus- 
keln oder  anderen  Organen  ein  und  verwandeln  sich  direct  in  den 
Seolex  (Plerocercoid)  oder  in  eine  Blase  (Finne,  Cysticercus),  die 
in  ihrem  Innern  ein  bis  viele  Scolices  erzeugt. 

1;">)  Der  Scolex  wird  aus  der  Cyste  befreit,  wenn  er  durch  Ver- 
bitterung in  den  Darm  eines  geeigneten  Wohnthiers  gelangt,  und  er- 
hält dadurch  die  Fähigkeit,  einen  Bandwurm  zu  bilden. 

IG)  Im  Menschen  kommen  besonders  häufig  vor:  als  Finnen  die 


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Zusammenfassung.  289 

Taenia  echinococcus  (Bandwurm  im  Hund)  und  Taenia  solium,  als  ge- 
schlechtsreife  Thierc  T.  sag  in  ata  (Finne  im  Rind),  T.  solium  (Finne  im 
Schwein),  T.  nana,  Bothriocephalus  latus  (Plerocercoid  im  Hecht,  Barsch, 
Quappe,  einigen  Salmoniden). 

17)  Die  Nemertinen  unterscheiden  sich  von  den  Turbellarien  durch 
die  Anwesenheit  eines  Afterdarms,  eines  besonderen  neben  dem 
Darm  existirenden  Rüssels  und  der  Blutgefässe. 

18)  Von  den  Piattwürmern  entfernen  sich  wesentlich  in  ihrer  Ge- 
stalt die  Rotatortcn;  sie  gleichen  ihnen  in  der  Beschaffenheit  des 
Wassergefässsystems;  durch  ihre  Rad  Scheibe  erinnern  sie  an  die 
bei  Würmern  weit  verbreitete  Trochophoralarve. 

10)  Die  Merkmale  der  <  oelhelmlnthcn.  sowohl  die  anatomischen 
wie  die  entwicklungsgeschichtlichen,  sind  am  schönsten  bei  den  Chae- 
tognathen  ausgeprägt:  dieselben  sind  hermaphrodite  Würmer 
mit  3-getheilter  Leibeshöhle,  mit  Flossen  und  zum  Kauen  dienenden 
Borsten. 

20)  Die  Nematoden  sind  meist  getrennt  geschlechtliche, 
meist  parasitische,  fadenförmige  Würmer  mit  drehrundera, 
ungegliedertem  Körper,  mit  Nervenring  (keine  Ganglien),  paa- 
rigen Excretion  s  gcf  äss  en,  deutlichen  Seitenlinien,  röh- 
rigem Gcschlechtsap  parat. 

21)  Die  wichtigsten  Arten  sind  die  im  Dünndarm,  resp.  Dickdarm 
des  Menschen  lebenden  Ascaris  lumbricoides  und  Oxyuris  vermicularis, 
der  aus  dem  Darm  Blut  sangende  Dochmius  duodenalis,  der  im  Coecum 
unschädlich  angesiedelte  Trichocephalus  dispar,  die  berüchtigte  Trichina 
spiralis:  heissen  Klimaten  gehören  an:  Rhabdonema  stercorale,  Füaria 
sanguinis  hominis  und  Dracunculus  Medinensis. 

22)  Wichtige  Ptlanzenparasiten  sind  Heterodera  Schachii  und 
Tylcnchus  tritici,  welche  die  als  Rüben-  resp.  Weizenmüdigkeit  be- 
kannten Erscheinungen  veranlassen. 

2i|)  Von  den  Nematoden  unterscheiden  sich  die  ebenfalls  parasi- 
tischen, ascarisartigen  Aeanthoeephalen  (Echinorhynchen)  durch  den 
Mangel  des  Darms,  durch  die  Anwesenheit  eines  bestachelten 
Rüssels  und  eines  sehr  complicirten  Geschlechtsapparates. 

24)  Die  ehaetopoden  Anneliden  haben  mit  den  Nematoden  die 
dreh  runde  Gestalt  gemeinsam;  sie  unterscheiden  sich  von  ihnen 
durch  die  Gliederung:  durch  die  Ringelung  des  Körpers,  durch 
die  segmentale  Wiederholung  der  Dissepimente,  Seg- 
mentalorgane und  Blutgefässanastomosen,  durch  das 
Strickleiternervens  y  stein. 

25)  Das  wichtigste  Merkmal  der  Chaetopoden  sind  die  in  be- 
sonderen Follikeln  entstehenden  Borstenbüschel  (4  in  einem  Seg- 
ment); die  Borsten  sind  spärlich  bei  den  hermaphroditen  Oligochaeten, 
zahlreich  und  von  besonderen  Parapodien  getragen  bei  den 
meist  gonochoristischen  Polycftaeten. 

20)  Den  chaetopoden  Anneliden  sind  nahe  verwandt  die  Gephyreen; 
dieselben  sind  ovale  Schläuche  mit  Tentakelkronc  oder  spatel- 
förmigein  Kopf  läppen;  sie  haben  die  Gliederung  und  die  Borsten- 
bewaffnung mehr  oder  minder  vollständig  eingebüsst.  Andeutungen 
der  Gliederung  treten  während  der  Entwicklungsgeschichte  auf  und 
sind  auch  anatomisch  in  der  Anwesenheit  eines  Bauchmarks  und 
von  Segmentalorganen  nachweisbar. 

27)  Zu  den  Anneliden   gehören   endlich  noch  die  Hirudineen, 

Hertwic.  Lehrbuch  der  Zoologe.    3.  Auflage.  19 


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290 


Zusammenfassung. 


hermaph  rodite  Würmer,  welche  anstatt  der  Borsten  mit  Saug- 
näpfen ausgerüstet  sind.  Ihre  abgeplattete  Gestalt,  paren- 
chymatöse Beschaffenheit,  der  Mangel  der  Leibeshöhle 
verleihen  den  Thieren  Aehnlichkeit  mit  den  Plattwürmern. 

28)  Die  Hirudineen  haben  zum  Verwunden  entweder  einen  Rüssel 
(BhynckoOdelleae)  oder  3  längsgestellte,  gezähnte  Kiefer  Gnathob- 
delleae);  zu  den  Kieferegeln  gehört  der  medicinische  Blutegel,  Hirwio 
medicinalis. 

29)  Die  Enteropneusten  (Balanoglossus)  sind  äusserlich  gekenn- 
zeichnet durch  die  Anwesenheit  des  in  einem  Kragen  steckenden 
Rüssels,  anatomisch  durch  die  Umbildung  des  Vorderdarms  zur 
K  i  e  in  e. 

.'MD)  Die  Tunicaten  besitzen  zwar  noch  den  Hautmuskel- 
schlauch der  Würmer,  unterscheiden  sich  aber  im  übrigen  Bau  er- 
heblich von  ihnen.  Ihr  wichtigstes  Merkmal  ist  die  aus  C  eil  u  lose 
bestehende  Tunica;  weiter  ist  constant,  dass  der  Vorderdarm  zum 
Kiemensack  geworden  ist,  dass  derselbe  den  Endostyl  enthält, 
dass  sich  ein  ventralesHerz  mit  wechselnder  Contractions- 
rich  tu  n  g  vorfindet. 

31)  Die  Tunicaten  sind  durch  2  weitere  Merkmale  besonders 
interessant:  1)  Die  Salpen  haben  einen  typischen  Generations- 
wechsel zwischen  den  ungeschlechtlichen  solitären  und  den  ge- 
schlechtlichen K etten- Salpen.  2)  Die  Tunicaten  sind  Nfichst- 
verwandte  der  Wirbelthiere,  indem  die  Ascidien  als  Larven  die 
Chorda  dorsalis  besitzen,  welche  bei  den  Appendicularien  dauernd 
vorhanden  ist.  Entwicklungsgeschichtlich  bildet  sich  das  Nerven- 
system wie  bei  den  Wirbelthieren  als  ein  Rohr,  das  durch  den 
Canalis  neuron tericus  mit  dem  Darm  zusammenhängt,  rein 
dorsal  liegt  und  aus  Hirn  und  Rückenmark  besteht. 

32)  Die  Bryozoen  sind  ähnlich  den  Hydrozoen  stockbildende 
Thiere  mit  einer  Tentakel  kröne;  sie  unterscheiden  sich  von  ihnen 
durch  das  gangliose  Nervensystem  und  den  hufeisenför- 
migen Darm,  zum  Theil  auch  durch  die  Anwesenheit  einer  Leibes- 
höhle. 

33)  Nach  der  Lage  des  Afters  innerhalb  oder  ausserhalb  der 
Tentakelkrone  unterscheidet  man  Entoprocten  und  Ectoprocten. 

34)  Die  Brachiopoden  haben  eine  zweiklappige  Schale, 
welche  Analogien  zu  den  Schalen  der  Muscheln  bietet,  nur  dass  an 
Stelle  linker  und  rechter  Schalenklappen  dorsale  und  ventrale 
vorhanden  sind. 

3ö)  Die  geräumige  Leibeshöhle  wird  durch  2  Scheidewände  in 
3  Kammern  zerlegt,  von  denen  stets  eine,  seltener  zwei  mit  Segmental- 
organen versehen  sind. 

3(5)  Die  Brachiopoden  sitzen  meist  mittelst  eines  Stieles  fest;  nach 
dem  Vorhandensein  oder  dem  Mangel  eines  Schalenschlosses  zerfallen  sie 
in  die  afterlosen  Testicardines  und  die  mit  After  versehenen 
E  c  a  r  d  i  n  e  s. 


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Stachelhäuter. 


291 


IV.  Stamm. 

Echinodernien,  Stachelhäuter. 


Durch  ihre  radialsymmetrische  Gestalt  entfernen  sich  die  Echino-  8ymmewe. 
dermen  von  den  meisten  ührigen  Thierstämmen  und  nähern  sich  dafür 
den  Coelenteraten;  sie  wurden  daher  auch  mit  letzteren  seit  Cuvier's 
epochemachender  Typentheorie  unter  dem  Namen  „Radiateni%  vereint, 
bis  Lcuckart  eine  Trennung  auf  Grund  ihres  abweichenden  Baues, 
namentlich  wegen  der  Anwesenheit  einer  Leibeshöhle  herbeiführte.  In 
der  That  hat  auch  die  radiale  Symmetrie  der  Echinodernien  einen  ganz 
verschiedenen  Werth.  Während  bei  den  Coelenteraten  die  Zahl  4  oder 
(wahrscheinlich  von  4  abgeleitet)  die  Zahl  6  zu  Grunde  liegt,  sind  die 
Echinodernien  mit  wenigen  Ausnahmen  fünfstrahlig.  Während  ferner 
die  radiale  Symmetrie  bei  den  Coelenteraten  als  ein  ursprünglicher, 
niederer  Zustand  der  Körperform  angesehen  werden  muss,  ist  sie  bei 
den  Echinodernien,  wie  namentlich  ihre  Entwicklungsgeschichte  lehrt, 
aus  der  bilateralen  Symmetrie  abzuleiten ;  mit  anderen  Worten,  die 
Echinodernien  sind  von  bilateral-symmetrischen,  wahrscheinlich  wurm- 
artigen Stammformen  durch  Rückkehr  zu  einer  niederen  Grundform 
hervorgegangen. 

Den  Thieren  verleiht  die  Beschaffenheit  ihrer  Haut  ein  H.nt-.kei< 
charakteristisches  Aeussere.  Unter  dem  Epithel  im  mesodermalen 
Bindegewebe  bilden  sich  Kalkplatten,  welche  wie  Knochenplatten  den 
Körper  panzern  und,  da  sie  meist  in  Spitzen  und  Stacheln  sich  erheben, 
den  Namen  „Echinodernien",  „Stachelhäuter"  veranlasst  haben.  Das 
mesodermale  Hautskelet  kann  zwar  einer  Rückbildung  unterliegen,  wie 
bei  den  Holothurien.  schwindet  aber  auch  dann  nicht  vollständig,  son- 
dern erhält  sich  in  Resten,  den  Kalkankern  und  Kalkrädchen.  Eigen- 
thümliche  Anhänge  der  Haut,  welche  jedoch  nicht  überall  vorkommen, 
sind  die  Sphaeridien  und  Pedicellarien  (Fig.  295).  Erstere  sind  Sinnes- 
organe, letztere  Greifapparate,  die  im  Bau  an  Zangen  erinnern  und 
gewöhnlich  von  besonderen  Stielen  getragen  werden;  sie  sind  im  Leben 
äusserst  beweglich  und  scheinen  zur  Reinigung  der  Haut  oder  zur 
Verteidigung  zu  dienen ;  im  Innern  haben  sie  ebenfalls  ein  Kalkskelet 

Nicht  minder  charakteristisch  als  das  Skelet  ist  das  zur  Fort-  ^J^*1" 
bewegung  dienende  Ambulacralgefässsystem,  auch  Wassergefäss- 
system  genannt  (Fig.  272).  Dasselbe  beginnt  zumeist  auf  der  Ober- 
fläche der  Haut  mit  der  Madre porenplatte,  einer  Kalkplatte,  welche 
von  feinen  Oeffnungen  siebartig  durchbrochen  wird  und  zur  Aufnahme 
von  Seewasser  dient.  Das  Wasser  gelangt  in  einen  Canal,  welcher  wegen 
der  bei  Seesternen  vorhandenen  starken  Verkalkung  seiner  Wandungen  der 
Steincanal  heisst  (Fig.  271a)  und  abwärts  zu  einem  den  Mund  um- 
gebenden Ringcanal  leitet.  An  letzterem  sitzen  gewöhnlich  mehrere 
(bis  zu  5  Paar)  Polfsche  Blasen,  welche  man  neuerdings  ebenso  wie 
die  Tiedemann'schen  Körperchen  der  Seesterne  als  Anhänge  deutet, 
die  nach  Art  der  Lymphdrüsen  Leucocyten  liefern.  Vom  Ringcanal 
strahlen  ferner  5  Ambulacralgefässe  aus,  um  links  und  rechts  Seiten- 

V)* 


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292 


Stachelhäuter. 


äste  abzugeben,  welche  über  die  Körperoberflüche  hervortreten  und  die 
Ambulacralfüsschen  darstellen,  die  höchst  merkwürdigen  Fortbewegungs- 
organe der  Echinodemien.  Jedes  Füsschen  ist  ein  Schlauch  mit  mus- 
culösen  Wandungen,  welcher  durch  Einpumpen  von  Wasser  prall  ge- 
füllt und  in  die  Länge  gedehnt,  andererseits  durch  Contraction  seiner 
Muskeln  verkürzt  werden  kann ;  meist  trägt  es  am  Ende  zum  Festhalten 
eine  Saugscheibe;  an  seiner  Basis  ist  es  mit  einem  kleinen  Reservoir 
versehen,  der  in  der  Leibeshöhle  liegenden  Ambulacralampulle.  'Will  ein 
Echinoderm  in  einer  bestimmten  Richtung  sich  bewegen,  so  schickt  es 
in  derselben  seine  Füsschen  aus,  verankert  sich  mit  den  Sangseheiben 
und  zieht  dann  den  Körper  durch  Verkürzung  der  Füsschen  nach. 


Fig. 


"1  a. 


H 


Fig.  271.  Schema  des  Ambulacral- 
gef&B8Bystema  eines  Seesterns  (aus  Boas). 
ma  Madreporen  platte ,  st  Steincanal, 
k  Ringcanal,  />  Poli'schc  Blasen,  r  Am- 
bulacralgt'fäsfH»,  Füsschen,  ap  Amhula- 
cralainpullen. 

Fig.  271  a.  Querschnitt  durch  den 
Stebicanal  von  Astropecteit  anrantiacM 
(nach  Ludwig). 


Ambulacrale 
Org»nc. 


Die 


Intmmbu- 
hcrale  Or- 
gine. 


Anordnung  des  Ambulacralgefässsvsteins  bestimmt  die  An- 
ordnung der  übrigen  Organe.  Neben  dem  Steineanal  kann  ein  früher 
mit  Unrecht  „Herz"  genanntes  schlauchförmiges  Organ  verlaufen, 
welches  jetzt  als  lymphoide  Drüse  („glande  ovoidc'4)  gedeutet  wird.  Den 
Ringcanal  begleitet  ein  Blutgefässring,  die  Ambnlacralgefässe  begleiten 
5  radiale  Blutgefässe,  zu  denen  sich  oft  noch  weitere  am  Darm  hinzie- 
hende liefässe  gesellen.  Auch  das  Nervensystem  beginnt  mit  einem 
perioralen,  häutig  noch  im  Ectoderm  lagernden  Nervenring  und  setzt 
sich  in  5  Ambulacralnerven  fort.  Ausserdem  soll  ein  vom  Peritoneal- 
epithel abstammendes  „enterocoelisch.es  Nervensystem"  vorhanden  sein. 

Die  vom  Centrum  geineinsam  ausstrahlenden  Ambulacralgefässe, 
Blutgefässe  und  Nerven  markiren  im  Körper  gewisse  Hauptlinieu,  die 
Radien  erster  Ordnung  oder  die  A  m  b  u  1  a  c  r  a  1  r  a  d  i  e  n  ;  zwischen  den- 
selben intcrambulacral  oder  in  den  Radien  zweiter  Ordnung 
mündet  dagegen  der  Steincanal  mit  der  Madreporenplatte  und  liegt 
das  „Herz".  Ebenfalls  in terambulacral  sind  die  Geschlechtsorgane 
angebracht,  welche  entweder  5  einzelne  oder  5  Paar  traubige  Drüsen 
resp.  Drüsengruppen  darstellen ;  sie  sind  in  der  geräumigen  Leibes- 
höhle an  besonderen  Aufhängebändern  befestigt  In  der  Leibeshöhle 
rindet  sich  ausserdem  noch  der  durch  ein  Mesenterium  an  der  Körper- 
wand aufgehängte  Darmcanal. 


Stachelhäuter. 


29:'. 


Die  Echinodermen  sind  ausschliesslich  Bewohner  <les  Meeres,  welches 
sie  in  ganz  aussergewöhnlicher  Individuenzahl  bis  In  die  grössten  Tiefen 
hinein  bevölkern ;  manche  Gruppen,  wie  die  meisten  Haarsterne,  sind 
vorwiegend  Tiefseebewohner,  andere  bevorzugen  die  felsigen  Küsten. 
Namentlich  zur  Fortpflanzungszeit  sammeln  sich  am  Meeresufer  See- 
igel, Seesterne  und  Holothurien,  um  die  (ieschlechtsproducte  in  das 
Wasser  zu  entleeren,  wo  ihre  Vereinigung  und  die  Befruchtung  erfolgt 

Aus  den  Eiern  schlüpfen  Larven  aus,  welche  frei  schwimmend  an  vntwickiuos. 
der  Oberfläche  des  IVassers  pelagisch  leben  und  sich  von  den  ausge- 
bildeten Thieren  ganz  wesentlich  unterscheiden,  einmal  durch  ihre 
weiche,  gallertige  und  durchsichtige  Beschaffenheit,  zweitens  durch  ihre 
bilaterale  Symmetrie  (Fig.  212).  Durch  Entwicklung  von  lappigen 
Fortsätzen  und  dünnen,  von  Kalkstäben  gestützten  Armen  gewinnen 
sie  ein  höchst  abenteuerliches  und  verschiedenartiges  Aussehen  (Plutei 
der  Seeigel  und  Ophiuren,  Brachiolarien  und  Bipinnarien  der  See- 
sterne, Auricularien  der  Holothurien);  sie  lassen  sich  aber  alle  auf 
eine  gemeinsame  Ausgangsform  zurückführen,  welche  durch  die^An- 
wesenheit  eines  dreitheiligen  Darms  und  einer  den  Mund  umgebenden 
Flimmerschnur  an  manche  Wurmlarven,  besonders  an  die  Tornaria 
des  Balanoglossus,  erinnert.  Die  Unterschiede  im  Aussehen  der  Larven 
sind  einerseits  bedingt  durch  die  Art  der  Ausbuchtungen  der  Wimper- 
schnur, andererseits  dadurch,  dass  dieselbe  in  zwei  oder  mehrere  sich 
von  Neuem  schliessende  Stücke  zerlegt  wird  (Fig.  272  V). 


Fig.  272.  rxhinodenn«'n- 
larvcn  (nach  Johannes 
Müller),  m  Mund,  a  After. 
/  gemeinsame  Ausgangs- 
form aller  Larven.  //,  /// 
Entwicklung&sUtdien »'  der 
Holothurien  -  Aurieularia. 
IV,  rEntwieklungsstadien 
der  Asteriden-Hipinnaria. 
VI  Pluteus  eines  Spatan- 
giden.  Die  schwarze  Linie 
bezeichnet  den  Verlauf 
der  Wirapersehnur. 

Die  Umwandlung  der  bilateralen  Larve  in  das  radial  gebaute  Echino- 
denn  ist  sehr  complicirt;  sie  wird  frühzeitig  vorbereitet  durch  Ausstülpungen 
des  Darms,  welche  sich  abschnüren  und  die  „Vasoperitonealblasen",  die  An- 
lagen der  Leibeshöhle  und  des  Ambulacralgefässsystems  liefern  (Fig.  272). 
Von  der  Anlage  der  Leibeshöhle,  welche  entweder  von  Anfang  an  paarig 
ist  oder  doch  bald  paarig  wird,  trennt  sich  das  unpaare,  linksseitige  Ambulacral- 
säckchen  und  giebt  den  Anstoss  zur  Umwandlung  der  streng  bilateralen  Larve 
in  das  radialsymmetrische  Eckmoderm]  es  dehnt  sich  zu  einem  *len  Oesophagus 
umschliessenden  Ring  aus,  welcher  5  radiale  Ausstülpungen,  die  Anlagen 
der  Ambulacralgefasse  bildet.  Indem  diese  die  Körperoberflüche  vor  sich 
hertreiben,  entstehen  bei  den  Scestrmcn,  welche  die  Verhältnisse  am  klarsten 
erläutern,  die  Arme  als  Auswüchse,  welche  an  Knospen  erinnern  (Fig  274). 


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294 


Stachelhäuter. 


Dies  hat  dazu  geführt,  die  Arme  eines  Seesterns  als  Individuen  für  sich, 
den  ganzen  Seestorn  und  so  auch  jedes  andere  Echinoderm  als  eine  Colonie 
von  5  Individuen  aufzufassen.  Die  Kntwicklung  würde  dieser  Auffassung 
zufolge  eine  Art  Generationswechsel  sein,  die  Echinodermenlarve  eine  Amine, 
welche  durch  Knospung  einen  Stock  von  5  Geschlechtsthieren  erzeugt. 
So  bestechend  diese  Ansicht  auch  ist,  so  entspricht  sie  doch  nicht  den 
tatsächlichen  Verhältnissen,  indem  sie  einen  nicht  durchführbaren  Gegen- 
satz zwischen  Larve  und  fertigem  EchiHoderm  annimmt.  Mit  ihren  wich- 
tigsten Organen  geht  erstere  in  letzteres  über;  das  Echinoderm  bringt  die 
Anlagen  nur  zu  weiterer  Entfaltung,  wie  auch  ein  IfiStd  viele  in  der  Larve 
noch  fehlende  oder  unvollkommen  entwickelte  Organe  im  Laufe  seiner 
Metamorphose  erzeugt ;  wie  die  Insectenentwicklung,  ist  auch  die  Echino- 
dermenentwicklung  eine  Metamorphose. 


Fig.  27-1.  Bildung  der  Opkiure  von  der  Plutciwlarve  au>  (nach  Juli.  Müller  aus 
1  leider-  Korsi  hell  . 

Schon  bei  einer  oberflächlichen  Betrachtung  kommt  man  dazu, 
die  Echinodcnnen  in  4  (Massen  zu  thcilen,  die  Asteroideen,  Crinoideen 
( l'elmatozocn),  Echinoideen  und  Holothurien;  dagegen  kann  man  getheil- 
ter  Meinung  sein,  ob  man  die  Crinoideen  oder  die  Asteroideen  als 
die  ursprünglicheren  Formen  an  die  Spitze  stellen  soll.  Die  schwer- 
wiegenderen Gründe  sprechen  zu  Gunsten  der  Crinoideen:  dagegen 
sind  die  Asteroideen  unzweifelhaft  geeigneter,  um  in  das  Studium  der 
Echinodermen  einzuführen. 


Am  Körper  eines  Seesterns  kann  man  zwei  Bestandteile  unter- 
scheiden, die  centrale  Kör  per  sc  heibe  und  die  von  ihr  meist  in 
Fünfzahl  ausstrahlenden  Arme  (Fig.  281).  Das  Verhältniss,  in  dein 
beide  Theile  zu  einander  stehen,  schwankt  zwischen  zwei  Extremen: 
bei  manchen  Seesternen  spielen  die  Arme  die  Hauptrolle  und  die 
Körperscheibe  sieht  nur  wie  die  Yerwachsungsstelle  ihrer  proximalen 
Enden  aus  (Fi,Lr.  27.").  l'7i>)  :  auf  der  anderen  Seite  kann  die  Körper- 


Fig.  273. 


Fig.  J74. 


I.  C  1  a  s  -  e. 


Asteroideen,  Seesterne. 


I.  Asteroidt  en. 


295 


scheibe  an  Bedeutung  gewinnen,  sich  auf  Kosten  der  Anne  vergrößern 
und  diese  gleichsam  in  sicli  aufsaugen,  so  dass  sie  nur  als  die  fünf 
Ecken  der  pentagonalen  Scheibe  zur  Geltung  kommen  (Fig. 
277,  279). 

Ferner  unterscheiden  wir  am  Seestern,  und  zwar  sowohl  an  den 
Armen  wie  an  der  Körperscheibe,  eine  dorsale  und  eine  ventrale  Seite, 
welche  mit  schmalen  Randpartien  in  einander  übergehen.  Die  ven- 
trale Seite  ruht  bei  normaler  Stellung  des  Thieres  auf  dem  Boden ; 
sie  trägt  die  im  Centrum  angebrachte  Mundöffnung  und  die  von 
<lieser  beginnenden,  bis  in  die  Armspitzen  reichenden  fünf  Ambula- 
cralfurchen;  dorsal  dagegen  lagert  nahezu  im  Centruin  der  After 
(sofern  er  nicht  zurückgebildet  ist)  und  excentriseh  in  einem  der  Inter- 
ambulacra  die  Madreporen platte  (Fig.  277  a). 


Fig.  275.  Fig.  •_':<;.  Fig.  •_>::. 


Fig.  277.  CulcHa  pcnlniiiiulnrii*  vom  Rüeken  gesehen.  />  aufgebogene  Enden  der 
Ainbulaersilfurrhcn,  a  Madrvi>orcnj>|jUto  [ans  Ludwig). 


Die  Haut  eines  Seesterns  ist  überall  von  grossen  und  kleinen  an 
einander  gefügten  Kalkplatten  geschützt  :  dieselben  machen  den  Körper 
eines  todten  Secsicrns  hart  und  starr;  während  des  Lebens  aber  sind 
sie  so  sehr  verschiebbar,  dass  der  Seestern  in  ganz  überraschender 
Weise  seine  Arme  einrollen  und  umbiegen  und  seinen  Körper  durch 
enge  Oeffnungen  und  Spalten  hindurchschieben  kann.  Unter  den 
Skeletstücken  verdienen  besondere  Beachtung  die  Am  bulacralia, 
welche  das  Dach  der  Ambulacralfurche  bilden  und,  wie  man  am  besten 
auf  Querschnitten  durch  einen  Arm  sieht,  diese  Furche  gegen  die 
Leibeshöhle  der  Arme  abschliessen  (Fig.  27H).  In  jedem  Arm  sind 
zwei  Reihen  von  Ambulacralia  vorhanden,  welche  wie  Dachsparren  in 
der  Mittellinie  zusammenstossen.  Ein  in  dieser  Weise  zusammenge- 
fügtes Paar  nennt  man  einen  Ambulacralwirbel,  weil  die  Paare  in  der 
Längsrichtung  des  Armes  wie  Wirbel  auf  einander  folgen.  Als  minder 
constante  Theile  können  sich  an  die  seitlichen  Enden  eines  „Wirbels" 
die  Adambulacralia  ansetzen  und  an  diese  wieder  die  Marginalia, 
welche  die  Seitenwände  der  Arme  panzern  (Fig.  27H  ad.  m1.  m*). 

Die  Organe  eines  Seesterns  liegen  zum  Theil  in  der  Leibeshöhle, 


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296 


Stachelhäuter. 


Fijr.  -Ts.  Links  Querschnitt  ilurch  den  Ann  von  A*trnpcrteti  aunitiHacit.t ,  in 
der  Mitte  .']  aus  je  zwei  Ainhulacralien  l»est«honde  Wirbel  dessellwn  Thiercs  von  oben 
gesehen,  rechts  Querschnitt  durch  den  Ann  von  Ophiothrix  frayiUs.  in  {in1  m1)  Mar- 
'nalia,  a  Ainlmlacralia  (l>ei  Astropreini  auf  der  linken  Seite  zum  Theil  dureh  den 
üsschencanal  verdeckt),  ad  Adamhuhicrnlia ,  b  Hauchplatten,  r  Rückcnplatten  oVr 
Ophiuren;  n  Ainbulacnilnorv,  y  Blntpefäas,  w  Wassergef iiss ;  b  Aniridie,  c  Leibes- 
höhle, d  Dannhlindsäcke. 


zum  Theil  in  der  Anibulacralfurche.  Der  Leibeshöhle  gehört  der 
Darm  an,  welcher  als  ein  kurzes,  weites  Kohr  vom  Mund  zum  Rücken 
emporsteigt,  um  dort  den  After  zu  bilden  oder  blind  geschlossen  zu 
endigen  (Fig.  270,  2*0);  in  die  Leibeshöhle  der  Arme  entsendet  er 

fünf  Paar  Blindsäcke,  die  reich 
mit  Ausbuchtungen  besetzten 
Leberschläuche.  Neben  den 
Leberschläuchen  liegen  die  lan- 
gen, traubigen  Geschlechts- 
d  r  ü  soll,  welche  im  Winkel 
zwischen  zwei  Armen  münden 
(Fig.  270,  280).  In  der  Leibes- 
höhle sind  endlich  noch  die  An- 
fänge des  Ambulacralgefäss- 
systems  eingeschlossen ;  der 
S  t  e  i  n  c  a  n  a  1 ,  begleitet  von  der 
ovoiden  Drüse,  dem  „Herze  n'\ 
(Fig.  2*0),  steigt  in  einem  der 
Interambulacra  von  der  Madre- 
porenplatte  zu  dem  die  Mund- 
öffnung umgebenden  Ringcanal 
herab. 

Am  G  r  und  der  A  m  b  u  1  a  - 
c  raifurche  zwischen  den 
Füsschen  findet  man  die  ambu- 
lacralen  Nerven.  Blutgefässe  und  Wassergefässe.  Die  Ambulacralnerven 
enden  an  der  Spitze  der  Arme  mit  einem  Pigmcnttieck,  der  den  Bau  eines 
sehr  vereinfachten  Facettenauges  hat.  Von  den  ambulacralen  Wasser- 
gefässen  (Fig.  27s )  treten  durch  den  Zwischenraum  zwischen  zwei  Am- 
bulacralwirbeln  die  Seitenäste  wieder  in  die  Leibeshöhle,  schwellen 
daselbst  zu  Ampullen  an  und  kehren  dann  in  die  Furche  zurück,  um 
in  die  aus  der  Furche  hervortretenden  Füsschen  einzudringen.  Wie  die 
Ampullen,  so  liegen  auch  die  Anhänge  des  Ringcanals,  die  Poli'schen 
Blasen  (f>  Paar)  und  die  Tiedemann'schen  Körpereben  in  der  Leibeshöhle. 
Da  die  Arme  eines  Seesterns  fast  alle  wichtigen  Organe  enthalten, 


vom 


Kijtr.  -'TO. 
Rücken  aus  i'<- 

Lel»crblin«lschlänche ,  t  rosettenförmiper 
Magen  mit  After.    >j  Geschlechtsdrüsen. 


Axter  ix  ftt*  rrmtriilatus 

geöffnet  (nach  Gegcnbaur). 


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I.  Asteroideen. 


2117 


erklärt  sich  ihre  grosse  physiologische  Selbständigkeit ;  abgelöste  Arme 
leben  nicht  nur  weiter,  sondern  regeneriren  sogar  das  ganze  Thier,  indem 
sie  zuerst  die  Körperscheibe  bilden,  an  welcher  dann  die  neuen  Arme  als 
kleine  Knospen  herauswachsen  (Kometenform)  (Fig.  275,  '276);  die  Ablösung 
kann  entweder  durch  Verletzung  herbeigeführt  oder,  was  nicht  selten  vor- 
kommt, spontan  eingetreten  sein.  Bei  manchen  Ophiurcn  der  Gattungen 
Ophiocnida.  Ophiothda,  Ophioet/ma,  namentlich  aber  bei  jungen  Thieren  von 
Ojihiartis  rirens.  kommt  es  geradezu  zu  einer  ungeschlechtlichen  Fort- 
pflanzung (Schizogonie)  indem  der  Seestern  sich  quer  durch  die  Körper- 
scheibe hindurch  in  zwei  Thiere  theilt.  Es  ist  begreiflich,  dass  diese 
ausserordentlich  auffallende  Erscheinung  benutzt  worden  ist,  um  zu  be- 
weisen, dass  die  Secsterue  Tbiercolonien  sind. 


Fig.  280.  Ein  durch  ein  Ainbulacruni  und  da*  entgegengesetzte  Intcramlmlacmin 
geführter  Radialschnitt  von  Solavtrr  emleca.  s  Steineanal  mit  Madrejtorenplatte,  da- 
neben das  „Herz",o  Mund,  r  Magen,  c  Leberschlauch, y  (jewhleehtsdrüsen.p  Füssehen. 

Die  hier  gegebene  Schilderung  passt  vornehmlich  auf  die  erste  Ord- 
nung der  Astrroideen,  die  Stellenden  oder  die  Seesterne  im  engeren  Sinne; 
dagegen  weichen  die  Ophiuridcn  oder  Schlangensterne,  welche  vielfach  als 
eine  besondere  ('lasse  angesehen  werden,  in  wichtigen  Punkten  von  ihr 
ab.  Die  Arme  der  Ophiuriden  (Fig.  282)  sind  sehr  schlank  und  gegen 
die     Körperscheibe     scharf    abgesetzt;     sie    werden    def  Hauptmasse 

Fig.  281.  Fig.  282. 


Fig.  281.  Pythonastcr  Murray i  (nach  Staden)  in  ventraler  Ansicht,  f  die  von 
der  Mundöffnung  ausstrahlenden  Ainhulaeralfurehcn  mit  den  Fitesehenreihen.  (Die 
Anne  sind  nur  zum  Theil  dargestellt.) 

Fig.  282.    Opkioglypha  bullata  vorn  Kücken  gesehen  (nach  Wyville  Thomson). 


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2!>8 


Stachelhäuter. 


nach  von  den  zu  einheitlichen  Armwirbeln  verschmolzenen  Ambulacralien 
gebildet,  welche  die  Leibeshöhle  der  Arme  zu  einem  unansehnlichen  Canal 
eingeengt  haben.  Fig.  281  rechts.)  In  Folge  dessen  fehlen  die  Leber- 
schläuche  und  sind  Darm  und  Geschlechtsorgane  ganz  auf  die  Körperscbeibe 
beschränkt.  Ferner  sind  die  Ambulacralfurchen  durch  ventrale  Kalkplatten 
geschlossen  und  so  zu  Canälen  geworden.  Die  Füsschen  besitzen  weder 
Saugplatten  noch  Ampullen  und  dienen  nur  zum  Tasten,  während  die  Anne 
durch  schlängelnde  Bewegungen  die  Ortsveränderungen  bewirken.  Die 
Arme,  welche  bei  den  Stellenden  alle  wichtigen  Organe  enthalten  und  den 
Kindruck  von  colonial  verbundenen  Eiuzelthieren  machen,  sind  bei  den 
Ophinridcn  zu  Anhängen  der  Körperscheibe  geworden. 

Unter  den  beiden  Gruppen  der  Seenterue  giebt  es  nun  Formen,  welche 
zu  zwei  anderen  Echinodermenclassen  überleiten.  Bei  einigen  Stellenden 
sind  die  Arme  so  sehr  in  die  Körperscheibe  eingezogen,  dass  der  Körper 
nur  eine  peutagonale  Scheibe  ist  (Fig.  277,  271)).  Stellt  man  sich  diesen 
Körper  kugelig  aufgeblasen  vor  und  lässt  man  ferner  das  Rückenintegument 
auf  ein  kleiues  Areal  schrumpfen  und  die  ventrale  Seite  mit  ihren  Ambu- 
lacren  sich  in  gleicher  Weise  bis  nahe  zum  Rückenpol  ausdehnen,  so  er- 
hält man  den  Bau  der  Seeigel.  Durch  Umgestaltungen  im  entgegengesetzten 
Sinne  könnte  man  von  denOphiuriden  die  Crinoideen  ableiten.  Die  schon 
dort  zu  Anhängen  gewordenen  Arme  verlieren  bei  den  Crinoideen  noch  mehr 
den  Charakter  der  Selbständigkeit  und  werden  zu  tentakelartigen  Fortsätzen, 
welche  sich  so^ar  wiederholt  verästeln  können. 

I.  Ordnung.  Stelleroideon. 

Bei  den  Strlhroidcen  enthalten  die  Arme  eine  sehr  geräumige  Leibes- 
höhle, in  welche  der  Darm  mit  je  einem  Paar  Leberblindschläuchen  ein- 
dringt; die  Ambulacralfurche  bleibt  offen.  Die  Ambulacralwirbel  bestehen 
aus  linken  und  rechten,  nicht  verschmolzenen  Stücken.  Ein  Beispiel  für 
ansehnlich  entwickelte  Arme  mit  kleiner  Körperschoibe  liefern  die  Asteriaden 
mit  AMerias  glacialis  J.  Müll,  als  Typus,  einem  der  verbreitetsten  Seesterne, 
der  durch  4reihige  Anordnung  der  Füsschen  charakterisirt  ist.  Mittleren 
Ausbildungsgrad  der  Arme  zeigen  die  afterlosen  Asteropeel iniden  (Asterojxcten 
aurantiacus  Gray).  Reduction  der  Arme  zu  Gunsten  der  pentagonalen 
Körperscbeibe  findet  sich  bei  Ptntticerontiden  (Cideita  coriacea  M.  Tr., 
Fig.  277). 

II.  Ordnung.  Ophiuroideen. 

Bei  den  Ophiuroideen  ist  die  Leibes- 
höhle in  den  Armen  fast  ganz  rückgebildet, 
so  dass  in  ihnen  weder  Geschlechtsorgane 
noch  Darmblindsäcke  Platz  finden.  Die 
Ambulacralfurche  ist  durch  Bauchschilder 
geschlossen ,  die  Ambulacralien  sind  zu 
massiven  Armwirbeln  verschmolzen.  Die 
Madreporenplatte  liegt  auf  der  ventralen 
Seite.  Die  Arme  sind  unverästelt  bei  den 
(Jphiuriden  (Ophioglypha  bullata  Wyv.  Th.; 
Ophiothrix  fmgilis  Düb.);  sie  sind  dichotom 
Fig.2N3.  Astroph,,to,,arb„rcsccn*  verästelt  bei  den  Euryaliden  (Astrophyton 
nus  Ludwig).  arborweem  Ag.  Fig.  283). 


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II.  Crinoideen. 


299 


II.  C lasse. 


Crinoideen  oder  Haarsterne. 

Die  Crinoideen  oder  Haarsterne  bilden  einen  Zweig  der  Echino- 
dermen,  welcher  im  Aussterben  begriffen  ist.  In  früheren  Erdperioden, 
namentlich  im  paläozoischen  Zeitalter,  waren  sie  massenhaft  vertreten ; 
jetzt  lebt  eine  ziemlich  beschränkte  Zahl  von  Gattungen  und  Arten  in 
sehr  grossen  Meerestiefen  weiter,  und  nur  die  kleine  Familie  der 
Comatuliden  gehört  der  oberflächlichen  Küstenfauna  an.  Auf  dem 
Meeresboden  sind  die  Cri- 
noideen  mittelst  eines  lan- 
gen von  einem  Central- 
canal  durchsetzten  Stie- 
les festgewachsen  (Fig. 
284);  derselbe  besteht  aus 
rundlichen,  scheibenförmi- 
gen Stücken,  welche  über 
einander  geschichtet  sind 
und  oft  seitlich  entsprin- 
gende, in  fünf  Reihen  an- 
geordnete ,  rankenartige 
Ausläufer,  die  Cirren,  tra- 
gen. Die  Befestigung  mit- 
telst eines  Stieles  fehlt  den 
Comatuliden  (Fig.  285), 
welche  entweder  mit  ihren 
später  zu  besprechenden 
Armen  im  Wasser  schwim- 
men oder  sich  mit  ihnen 
an  Tangen  anranken.  In- 
dessen haben  diese  Thiere 
während  ihrer  Entwicklung 
das  sogenannte  Pentacri- 
nusstadium  zu  passiren, 
während  dessen  sie  mit 
einem  Stiel  angewachsen 
sind,  ein  sicherer  Beweis, 
dass  die  festsitzende  Le- 
bensweise für  die  Crinoi- 
deen der  ursprüngliche  Zu- 
stand war  (Fig.  286).  Bei 
den  Comatuliden  erhält 
sich,  wenn  sie  sich  später 
ablösen,  wenigstens  ein  Best 

des  Stiels,  das  oberste  Glied  mit  seinen  Cirren,  das  „Centrodorsale'*; 
es  verwächst  mit  den  untersten  Kelchplatten,  den  Infrabasalien. 

Auf  dem  obersten  Stielglied  balancirt  ein  kelchf örmiger 
Körper,  dessen  Rand  5—10  meist  verästelte  Arme  trägt.  Die 
Seitenwandungen  des  Kelchs  sind  von  polygonalen  Kalkplatten  fest 
gepanzert.    Zunächst  folgt  gewöhnlieh  auf  den  Stiel  ein  Kranz  von 


Fig.  284.  Prntarrinns  marlenraittts  (muh  Wvville 
Thomson). 


300 


Stachelhäuter. 


fünf  riattcn,  die  Basalien  (Fig.  2876);  mit  ihnen  alternirt  ein  zweiter 
Kranz  von  Platten,  die  Radialien  O);  dazu  kann  noch  ein  Kranz  von 
Infrabasalien  kommen,  welche  unterhalb  der  Basalien  mit  den  Radialien 
auf  gleicher  Linie  stehen. 


Flg.  285. 


Fig.  _'s<i. 


Fig.  2N">.    Ausgebildetes  Thier  von  Antcdon  macroncma  inaeh  Carpenter). 

Fig.  286.  a,  b,  c  verschieden  alte  Pentacrinusftadien  von  AnterJon  rosacea. 
1  Anne,  2  Cirren,  3  Stiel. 

An  die  Radialien  schliessen  sich  vielfach  direct  die  Stücke 
des  Armskelets,  die  Brachialien  an  (Fig.  287).  Sehr  häufig  kommt 
es  aber  vor,  dass  die  Arme  sich  ein-  oder  mehrmal  dichotom 
verästeln,  dass  ferner  die  Basis  der  Arme  und  ihre  erste  Gabelung 
in  den  Kelch  hinein  bezogen  wird,  was  dann  zur  Folge  hat,  dass  zehn 


A 


Fig.  2n~.  ffyttcn'iitts  Ikthlcyonus.  A  oberes  Ende  des  Stiels 
mit  dem  Kelch  und  der  Basis  der  "i  Arme,  br  BrachinUa,  r  Ra- 
dialia,  b  Basalia.  Ii  Kelch  von  der  oralen  Seite  gesehen  mit 
Basis  der  Arme,  Mundöffnung.  5  amlndacralen  r-urehen.  In 
einem  Intcrradius  der  After.  Zum  Vergleich  der  Kelch  einer 
Antedon  marrouema  mit  .">  verästelten  Amhulaeralfurchcn  und 
10  nur  im  basalen  Abschnitt  dargestellten  Armen. 


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II.  Crinoideen. 


301 


Anne  von  der  Kelchperipherie  zu  entspringen  scheinen.  Im  letzteren 
Fall  rechnet  man  die  untersten  Brachialien  zum  Kelch  und  nennt  sie 
ebenfalls  Radialia,  und  die  nach  der  Gabelung  entstehenden  Doppel- 
reihen Radialia  distichalia  (Fig.  284,  285).  Von  den  Armen  entspringen 
in  einer  linken  und  rechten  Reihe  diePinnulae,  lancettförmige,  von 
Kalkstücken  gestützte  Blättchen,  in  denen  die  Geschlechtsorgane  reifen, 
bis  sie  durch  Platzen  frei  werden. 

In  der  Mitte  der  Mundscheibe,  welche  den  Kelch  nach  oben  ab- 
schliesst,  findet  sich  die  Mundöffnung.  Dieselbe  ist  im  Gegensatz  zu 
den  übrigen  Echinodermen,  welche  mit  der  Mundöffnung  nach  abwärts 
kriechen,  vom  Boden  abgewandt;  sie  führt  in  einen  geräumigen  Nah- 
rungsschlauch, an  dem  man  Anfangsdarm,  Magen-  und  Enddarm  unter- 
scheiden kann;  letzterer  mündet  interambulacral  nahe  der  centralen 
Mundöffnung.  Vom  Mund  aus  beginnen  fünf  Ambulacralfurchen, 
welche  bei  den  fünfarmigen  Crinoideen  (Fig.  287  ß)  sich  direct  auf  die 
Anne  fortsetzen  und  bis  an  das  äusserste  Ende  der  feinen  Pinnulae 
reichen  :  bei  den  zehnarmigen  Formen  erfahren  sie  noch  im  Bereich 
der  Mundscheibe  ihre  erste  Gabelung  (Fig.  287  Ö).  Im  Umkreis  des 
Mundes  beginnen  Amhulacralgefässsystem,  Blutgcfässsystem  und  Nerven- 
system mit  einem  Ring:  sie  verlaufen  dann  ähnlich  wie  bei  den  Asieroideen 
am  Grund  der  Ambulacralfurche  und  treten  sogar  auf  die  Pinnulae 
über,  um  sich  zu  verästeln.  Unterschiede  zu  den  Seesternen  sind 
darin  gegeben,  dass  die  Saugfüsschen,  welche  bei  der  sitzenden  Lebens- 
weise werthlos  sein  würden,  durch  zarte,  zum  Tasten  dienende 
Schläuche  oder  Tentakeln,  an  denen  die  Ampullen  fehlen,  ersetzt  sind. 
Ferner  fehlt  ein  typischer  Steincanal:  an  Stelle  desselben  gehen  vom 
Ringcanal  fünf  oder  viele  hundert  Röhrchen  aus,  welche  in  die  Leibes- 
höhle  münden:  ihren  Mündungen  liegen  feine  Oeffnungen  in  der 
Mundscheibe,  die  Kelchporen,  gegenüber,  durch  welche  das  Wasser  in 
die  den  Steincanal  ersetzenden  Röhrchen  eingeleitet  wird.  Endlich  ist 
auch  das  ambulacrale  Nervensystem  schwach  entwickelt;  es  wird  sogar 
von  manchen  Forschern  ganz  in  Abrede  gestellt  Dagegen  ist  das 
enterocoele  Nervensystem  auffallend  stark;  es  bildet  ein  antiam- 
bulacrales  Centraiorgan,  Faserstränge,  die  in  der  Axe  der 
Radialia  und  Brachialia  verlaufen  und  sich  im  Centrodorsale  zu  einem 
Ring  vereinigen.  Im  Centrodorsale  beginnt  auch  ein  räthselhaftes  Or- 
gan, «las  in  der  Kelchaxe  nach  der  Mundscheibe  zu  aufsteigt,  das  so- 
genannte Dorsalorgan. 

Die  Crinoideen  —  vielfach  im  Gegensatz  zu  den  Blastoideen  und 
Cystideen  auch  Eucrinoidetn  genannt  —  zerfallen  in  zwei  Gruppen:  Die 
Palaeocrinoidccn  (Tesselaten)  haben  einen  Kelch,  dessen  Seitenwandungen 
aus  unbeweglich  aneinander  gefügten  dünnen  Platten  bestehen,  dessen  Am- 
bulacralfurchen durch  Kalkplüttchen  meist  vollkommen  gedeckt  sind ;  sie 
lebten  ausschliesslich  im  paläozoischen  Zeitalter.  Cuprassocrimuj  orassits 
Gldf.  —  Die  Neocrinoidecn  (Arlvnüaten),  ausgezeichnet  durch  offene  Am- 
bulacralfurchen und  derbe,  zum  Theü  gelenkig  verbundene  Kelchplatten, 
lösten  die  I\üaeocrinoideen  im  mesozoischen  Zeitalter  ab;  einige  Familien 
haben  sich  bis  auf  die  Neuzeit  erhalten.  In  der  Tiefsee  leben  die  gestielten 
Phixocriniden  (Fig.  287)  (Ä  lofotcmis  G.  O.  Sars)  und  PenUuriniden  (P.  capui 
viedusae  Lam.).  Der  Küstenfauna  gehören  die  Comaiuliden  (Fig.  285)  an, 
welche  in  der  Jugend  noch  festsitzen,  später  unter  Rückbildung  des  Stiels 
frei  beweglich  werden:  Antcdon  roswea  Norm. 


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302 


Stachelhäuter. 


Anhang. 

In  Kürze  seien  hier  die  von  den  echten  Crinoideen  sehr  abweichenden 
Cystoideen  und  Dlastoideen  erwähnt.  Die  ausschliesslich  paläozoischen,  be- 
sonders im  Silur  vertretenen  Cystoideen  gehören  zu 
den  ältesten  Versteinerungen.  Ihr  kugeliger  Körper 
wird  von  zahlreichen  polygonalen  Platten  gebildet, 
welche  häufig  durch  die  Porenrauten  ausgezeichnet 
sind.  Stiel-  und  Annapparat  sind  rudimentär  und 
können  ganz  fehlen.  Echinosjdtaerites  aurantium  Hin 
(Fig.  288). 

Die  Blastoidcen  treten    am    Ende   der  Silurzeit 
auf,   um  schon  zum  Schluss  der  Steinkohlenperiode 
F' '    °88     Eeh*      zu  verschwinden.   Arme  fehlen  vollkommen,  dagegen 
np/uuritrs    aurantium  *at    ^ie    Mundöffnung   von    fünf  blumenblattartigen 
(aus  Zittel).  Ambulacra  umgeben.  Pentrcmitcs  ftoreali*  Say  (Fig.  289 1. 


III.  Clus  sc. 


Echlnoideen.  Seeigel. 

Um  den  Bau  der  Seeigel  zu  verstehen,  gehen  wir 
von  den  regulären  Formen  aus,  welche  eine  annähernd 
kugelige  Gestalt  besitzen  (Fig.  2iH),  291).  Bei  ihnen 
liegen  Mund  und  After  einander  gegenüber  an  den 
Enden  der  Hauptaxe,  jede  Oeffnung  inmitten  eines 
bei  den  einzelnen  Familien  in  verschiedener  Weise  von 
Kalkplatten  getäfelten  Feldes,  der  After  innerhalb  des 
Periproets.  der  Mund  innerhalb  des  Peristo  m  s. 
welch  letzteres  ausserdem  die  Sphaeridien  und  bei  den 
regulären  Seeigeln  5  Paar  interambulacralc  Kiemen 
trägt.  Der  zwischen  Peristom  und  Periproct  gelegene 
Haupttheil  der  Körperwand  besteht  aus  fünfeckigen 
Kalkplatten,  welche  fest  zu  einer  unnachgiebigen  Kapsel 
zusammengefügt  sind  und  nur  ausnahmsweise  eine  ge- 
ringe Verschiebbarkeit  gestatten.  Die  Platten  sind  — 
wenn  wir  von  den  ausgestorbenen  Perischoechiniden 
absehen  —  in  20  meridionalen  Reihen  angeordnet  oder, 
genauer  ausgedrückt,  in  10  Doppelreihen,  da  immer 
zwei  Reihen  in  einem  engeren  Zusammenhang  stehen, 
in  seitlicher,  b  in  Fünf  Doppelreihen  heissen  nach  ihrer  Lage  in  den 
oraler,  e  in  abo-  Radien  erster  Ordnung  die  Ambulacren,  die  da- 
At^ieht.     zwischen  gelegenen  fünf  übrigen  die  Interambulacren. 

Beiderlei  Platten,  die  ambulacralen  wie  die  inter- 
ambulacralen ,  tragen  kleine  halbkugelige  Gelenkhöcker,  auf  denen 
nadelartig  zugespitzte  oder  kolbig  verdickte  Stacheln  äusserst  beweglich 
durch  GelenkbJinder  und  Muskeln  befestigt  sind,  um  so  nicht  nur 
wirksame  Schutzorgane,  sondern  auch  einen  zur  Fortbewegung  dienen- 
den Hebelapparat  zu  bilden.  Von  den  Interambulacren  unterscheiden 
sich  die  Ambulacren  vor  Allem  durch  ihre  Beziehungen  zu  den  Füss- 
chen;  sie  werden,  da  die  Ambulacralampullen  auf  ihrer  Innenwand 


Fig.  289.  Pen- 
trenn  fcs  f  Inreal /.s 
(aus  Zittel).  a 


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IIJ.  Echinoideen.  303 

liegen,  von  den  Füsschencanälen  durchbohrt  und  tragen  je  nach  der 
Zahl  der  Füsschen  entweder  ein  oder  mehrere  Paare  von  Ambulacral- 
poren.  Diese  für  die  Seeigel  charakteristische  paarige  Gruppirung 
der  Poren  hängt  damit  zusammen,  dass  die  Verbindungen  zwischen 
Füsschen  und  Ampullen  durch  doppelte  Canäle  hergestellt  werden. 
Wenn  man  einen  Seeigel  in  Bewegung  von  einem  seiner  Pole  betrachtet, 
so  sieht  man  aus  dem  Wald  von  Stacheln  die  zarten  Füsschen  tastend 
hervortreten  in  Reihen,  welche  durch  ihre  Anordnung  in  fünf  meri- 
dionalen  Streifen  die  Ambulacra  bezeichnen. 

Fig.  290.  Fig.  291. 


i 


Fig*  -*.k>.  Corlopleuru*  fUiritlaiius  (nach  Agassi/)  seiner  Stacheln  berauht,  vom 
al>oral«'n  Toi  betrachtet,  a  Ambulacra  mit  den  Oeellarplatten,  h  Interambulaera  mit. 
den  Genitalplatten  endend,  im  Centrum  das  aus  4  Platten  bestehende  Periproct. 

Fig.  201.  Körper  einer  Cidaridr  in  halb  seitlicher,  halb  oraler  Ansieht.  /  Peristom 
mit  Zähnen  nach  aufwärts  gewandt,  a  Ambulacra,  »'  Interambulaera:  darunter  einer 
der  von  den  Uelenkhikkern  entfernten  Stacheln  (nach  Ryiner  Jones). 

In  der  Beschaffenheit  der  Ambulacra  unterscheidet  man  zwei  syste- 
matisch wichtigo  Modificationen,  die  Bandform  und  die  p  e  t  a  1  o  i  d  e  (blumen- 
blattartige) Form.  Bei  ersterer  reichen  die  Füsschen  in  gleicher  Ausbildung  vom 
Periproct  bis  zum  Peristom  (Fig.  290,  291);  bei  letzterer  kann  man  einen 
dorsalen  oder  periproctalen  und  einen  ventralen  oder  peristomialen  Ab- 
schnitt unterscheiden  (Fig.  292).  Nur  im  ventralen  Bereich  sind  stets 
locomotorische  Füsschen  vorhanden,  aber  so  unregelmässig  gestellt,  dass 
keine  auffällige  Figur  entsteht.  Auf  dem  Rücken  sind  die  Füsschen  ge- 
wöhnlich zu  Tentakeln  modificirt.  Die  Ursprünge  derselben  sind  äusserst 
regelmässig  vertheilt  und  begrenzen  5  blumenblattartige  Figuren  um  das 
Periproct  herum,  welche  nach  Entfernung  der  Stacheln  besondere  deutlich 
werden. 

Die  fünf  Ambulacra  und  die  fünf  Interambulaera  enden  am  Peri- 
proct mit  jedesmal  einer  Platte ;  die  fünf  ambulacralen  Platten  nennt 
man  die  Oeellarplatten,  die  fünf  interambulacralen  die  Genital  - 
platten;  jene  tragen  kleine,  früher  als  Augen  gedeutete  Flecke, 
diese  die  Mündungen  der  Geschlechtsorgane.  Eine  der  Genitalplatten 
zeichnet  sich  durch  besondere  Structur  aus  und  ist  zugleich  die 
Madreporenplatte  (Fig.  290). 


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Stachelhäuter. 


von  einem  einzigen 


Das  Innere  des  [kapselartigen  Körpers  wird 
geräumigen  Hohlraum,  der  Leibeshöhle  (Fig.  293),  eingenommen.  An 
den  Wandungen  desselben  ist  der  sehr  dünnwandige  Darm  mittelst 
eines  Mesenteriums  befestigt.  Der  Darm  bildet  bei  den  Clypeastriden 
eine  einfache  Spirale,  sonst  bildet  er  eine  Doppelspirale :  er  steigt  in 


Flg.  292. 


Fig.  293. 


Fig.  ->1.»->.  Cttfpeaater  subdepressH*  vom  Kücken  gesehen,  um  die  petaloiden  Enden 
der  Amhulaera  zu  zeigen  (nach  Agassi/.). 

Fig.  ■_>!,3.  Horizontaler  Schnitt  durch  Stronyi/lortHtrottts  liridus  (aus  Sehmarda). 
i>  Amhulaera,  \>»  Anlu'inge  des  Blutgcfässrings  (früher  Poli'schc  Klagen  genannt),  m 
Muskeln  des  Kaugerüstes  (.s),  ur  Oesophagus,  /  Darm,  a  Atter  mit  ra  (iefiissring, 
C  „Herz-4,  ov  Ovar. 

der  unteren  Hälfte  der  Sehale  in  einer  Spiralwindung  auf,  kehrt  dann 
um  und  gelangt  mittelst  einer  rückläufig  gewundenen  Spirale  in  der 
oberen  Hälfte  zum  After.  Meist  wird  die  Mundöffnung  von  fünf 
scharf  zugespitzten  Kalkplatten  umstellt,  den  Zähnen,  welche  durch 
ein  äusserst  complicirtes  System  hebelartiger  Kalkstäbchcn  und  daran 
sich  inserirender  Muskeln  bewegt  werden.  Man  nennt  den  Apparat 
in  seiner  Gcsammtheit  die  „Laterne  des  Aristoteles",  da  er  in 
die  Leibeshöhle  hinein  einen  Aufbau  erzeugt,  der  einige  Aehnlichkeit 
mit  einer  Laterne  besitzt  (Fig.  2(J4). 

Auf  der  Laterne  des  Aristoteles  liegen  der 
Blutgefäss-  und  A  m  b  u 1 a  c  r  a 1 r  i  n  g :  von 
ihnen  steigen  in  der  Axe  des  Schalenraumes  zum 
Periproct  ovoide  Drüse  (Herz)  und  Steincanal  empor. 
Der  Blutgefässring  giebt  ferner  zwei  den  Darm  beglei- 
tende Gefässe  ab,  der  Ambulacralring  die  fünf  Ambu- 
lacralgefässe.  Letztere  verlaufen  auf  der  Innen- 
seite der  Amhulaera  gemeinsam  mit  den  Nerven, 
welche  im  Umkreis  der  Mundöffnung  unter  einan- 
der durch  «len  Nervenring  vereint  sind.  In  der 
dorsalen  Hälfte  der  Schalen  liegen  die  fünf  un- 
paaren  Geschlechtsdrüsen,  welche  auf  den 
Genitalplatten  wie  bei  Seesternen  interradial  mün- 


Fig. 


294.  Kau- 
apparat f Laterne  des 
Anstoteles)von  Stron- 
ijulovcntrotus  l ii  iilua. 
m  \  ügels  t  ücke  ,k  K  i  e  f  e  r , 
Zahne,  m  Inserti- 
onen der  Muskeln 
(nach  Sehmarda). 


den  (Fig.  25)3). 


Bei  der  Systematik  müssen  wir  zunächst  die 
ausschliesslich  fossilen,  dem  Silur,  Devon  und  der 
Steinkohle  angehörigen  Perisefiocchiniden  ausscheiden  ,  bei  denen  zwar 
5  Paar  ambulacrale  Plattenreihen  vorhanden  waren,  die  einzelnen  Inter- 


j 

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III.  Echinoideen. 


305 


nmbulacra  dagegen  von  mehr  als  2  Plattenreihen  gebildet  wurden.  Die 
übrig  bleibenden,  theils  fossilen,  theils  recenten  Seeigel  zerfallen  dann  in 
die  beiden  Gruppon  der  Reguläres  und  Irreguläres. 

I.  Ordnung.  Reguläres. 

Die  regulären  Seeigel  haben  bandförmige  Ambulacra,  eine  nahezu 
kugelige  Körpergestalt  und  polar  gelegene  Mund-  und  Afteröffnung.  Zu 
ihnen  gehören  vornehmlich  die  an  den  europäischen  Küsten  so  weit  ver- 
breiteten Echiniden:  Echinus  esetdcntus'L.,  E.  mierotuforculatus  Blainv.,  ferner 
die  Eehinometriden :  Sphaenchinus  granularis  A.  Ag.,  der  zu  entwick- 
lungsgeschichtlichen Untersuchungen  so  viel  benutzte  Strongylocentrotus 
liiidus  Brdt. 


II.  Ordnung.  Irreguläres. 

Bei  den  irregulären  Seeigeln  ist  der  Körper  abgeplattet,  entweder 
schwach  wie  bei  den  Spatangidcn,  oder  stark  scheibenförmig  bei  den 
Clypeastridcn.  Von  den  Ambulacren  sondern  sich  die  dorsalen  Hälften  und 
nehmen  die  petaloide  Gestalt  an.  Aus  dem  Periproct,  welches  dauernd 
inmitten  der  petaloiden  Rosette  liegt,  rückt  der  After  in  ein  Interambu- 
lacrum,  welches  nach  der  Bewegungsrichtung  der  Thiere  als  das  hintere 
bezeichnet  werden  kann;  bei  manchen  Thieren  ist  die  Verlagerung  so  be- 
deutend, dass  der  After  auf  dem  Rand  der  Körperscheibe,  ja  sogar  auf 
der  ventralen  Seite  liegen  kann  (Fig.  296).    Umgekehrt  kann  die  Mund- 

Fig.  295.  Fig.  296. 

Fig.  295.  Pedicellaricn.  a  geschlossen , 
1  geöffnet. 

Fig.  29(3.  Junger  Spatangus  pur- 
jmreus  nach  Entfernung  der  Stacheln 
von  der  Bauchseite  gesehen;  vorn  die 
Mundöffnung  in  Form  eines  Querspalt«, 
am  hinteren  Ende  der  After,  zwischen 
beiden  das  Bivium,  welches  keine 
Stachelhöcker  hat  (nach  Agassiz). 


Öffnung  auf  der  ventralen  Seite  nach  vorn  rücken;  da  sie  bei  dieser  Ver- 
schiebung nach  wie  vor  der  Ausstrahlungspunkt  der  funetionirenden  Füss- 
chenreihen  bleibt,  so  müssen  3  von  diesen,  die  nach  vorn  gewandt  sind, 
immer  kleiner  werden,  die  zwei  nach  rückwärts  gewandten,  welche  das 
After-Interambulacrum  begrenzen,  müssen  sich  dagegen  verlängern;  sie 
dienen  daher  hauptsächlich  zur  Fortbewegung:  man  sagt  daher,  dass  die 
irregulären  Seeigel  auf  dem  Bivium  kriechen. 

Bei  den  Clypca&tridm  (Fig.  292)  unterbleibt  die  Lageveränderung  des 
Mundes;  dieser  behält  daher  die  Gestalt  einer  runden  OefFnung  und  zugleich 
auch  den  Kauapparat  bei:  Gypeaster  suhdepressm  A.  Ag..  Echinocyamus 
pwrillm  Gray,  Encope  emarginata  L.  Ag.  Bei  den  Spatnngiden  (Fig.  296) 
dagegen :  Spatangm  purpureum  Leske,  Echinocardiutn  cordatum  Gray,  Brisnw 
unicolor  Klein,  rückt  die  Mundöffnung  nach  vorn,  wird  eine  von  queren 
Lippen  begrenzte  Spalte  und  besitzt  keine  Zähne  mehr.    Bei  den  Spatan- 

II  er tw lg,  Mirlwh  der  Zoologe.   3.  Auflage.  an 


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906 


Stachelhäuter. 


giden  ist  daher  die  ursprünglich  radial  symmetrische  Grundform  der  Echioo- 
dermen  vollkommen  zu  einer  bilateralen  geworden. 


IV.  Clas.se. 

Holothurlen,  Seewalzen. 

Die  Holothurlen  entfernen  sich  von  dem  typischen  Habitus  des 
Echinodermenstamines  am  meisten.  Auf  den  ersten  Blick  scheinen 
sie  vollkommen  nackt  zu  sein  und  des  sonst  so  auffallenden  Haut- 
skelets  zu  entbehren ;  nur  bei  genauer  Untersuchung  findet  man  in  der 
Haut  noch  Reste  von  Verkalkungen  in  Form  kleiner  Platten,  Rädchen  oder 
Anker.  Dafür  besitzen  sie  einen  stark  entwickelten,  mit  der  Haut 
fest  verwachsenen  Muskelschlauch,  gebildet  von  longitudinalen  und 
circulären  Faserzügen,  welche  den  Thieren  etwas  Derbes,  Lederartiges 
verleihen. 

Gewinnen  die  Thiere  schon  durch  den  Hautin uskelschlauch  eine 
grosse  Aehnlichkeit  mit  den  Würmern,  so  wird  dieselbe  noch  weiter 
dadurch  gesteigert,  dass  die  den  After  und  den  Mund  verbindende 

Hauptaxe  des  Körpers  stark  ver- 
längert ist  und  bei  der  Fortbewe- 
gung nicht  wie  bei  allen  übrigen 
Echinodermen  senkrecht,  sondern 
parallel  zum  Boden  gerichtet  ist. 
Damit  hängt  eine  hochgradige 
Störung  der  radialen  Sym- 
metrie zusammen.  Der  auf  dem 
Boden  aufliegende  Theil  der  Kör- 
perwand wird  zur  Bauchflächc;  er 
unterscheidet  sich  in  mehr  oder 
minder  auffälliger  Weise  vöm 
Rücken  durch  lichtere  Färbung  und 
ausgesprochene  Abplattung.  Von 
den  5  Ambulacren ,  welche  vom 
oralen  zum  aboralen  Pol  ziehen, 
sind  meist  nur  die  3  ventralen  (Tri- 
vium)  mit  locomotorischen  Füss- 
chen  ausgestattet  (Fig.  297) ,  die 
2  dorsalen  besitzen  gewöhnlich  nur 
tentakelartige  Füsschen. 

In  der  Leibeshöhle  (Fig.  298) 
liegt    ein    S-förmig  gewundener 
Darm,    welcher    mittelst  eines 
Mesenteriums     am  Hautmuskel- 
Fig.  297.     Oucumaria  ptanci  (aus  schlauch  befestigt  ist;    in  seinen 
Ludwig),  von  der  Baueliseitc  gönnen ,  b  Endabschnitt,  in  die  durch  radiale 
fakeln  "  ^  "  Muskeln  ausdehnbare  Cloake,  mün- 

den 1 — 2  Wasserlungen;  das  sind 
prall  mit  Flüssigkeit  gefüllte  Säcke,  welche  mit  kleinen  verästelten  blinden 
Ausläufern  bedeckt  sind.  Da  die  Wasserlungen  in  ihrer  Gestalt  etwas  an 
die  Excretionsorgane  der  Gephyreen  erinnern,  haben  sie  vorübergehend 
zu  der  irrigen  Auffassung  verleitet,  dass  die  Brücke  von  den  Würmern 


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IV.  Holothurien:  Pedaten.  Apodes. 


307 


zu  den  Echinodermen  einerseits  durch  die  Gephyreen,  andererseits 
durch  die  Holothurien  gebildet  würde.  Functionen  sind  die  Wasser- 
lungen als  Respirationsorgane  zu  deuten,  da  sie  sich  periodisch  mit 
frischem  Wasser  füllen  und  ausserdem  von  Blutgefässen  reichlich  um- 
sponnen werden,  welche  von  2  den  Darm  begleitenden  Hauptgefassen 
ausgehen.  Häufig  münden  neben  den  Lungen  noch  die  Cuvier'schen 
Organe,  welche  morphologisch  als  besonders  differenzirte  Theile  der 
Wasserlungen,  physiologisch  als  Vertheidigungsorgane  aufgefasst  werden, 
theils  wegen  ihrer  klebrigen  Beschaffenheit,  theils  weil  sie  durch  den 
After  ausgestülpt  werden  können. 


«  g 


Fig.  298.  Anatomie  und  Querschnitt 
von  Holuthuria  tttbulosa  (halbschematisch 
nach  Ludwig).  T  Tentakeln,  rm  Ring- 
munkeln ,  Im  Längstnuskcln ,  bei  *  eine 
Strecke  weit  entfernt,  um  die  Wasser- 
gefässe  zu  zeigen.  Ic  Kalkring,  trr  Wasser- 
gefässring,  /<  Puli'sche  Blas*',  st  Steincanal, 

f Geschlechtsorgan .  m  Mesenterien ,  d 
)ann,  rb,  dh  ventrales  und  dorsales  Blut- 
gefäss, nr,  lir  rechte  und  linke  Wasscr- 
hinge,  rl  Cloake,  b  Muskeln,  a  After,  cu 
( 'uvicr'sche  Organe,  mj  Ambulacralgefiis.se, 
/"  Fiisschencanäle ,  h  Haut,  r' — rs  die  5 
t'omplexe  von  Ambulacralorganen  (Am- 
bulacralgefäss ,  Ambulacralnerv). 


Der  Anfangsdarm  wird  von  5  radialen  und  5  interradialen  Kalk- 
platten gestützt,  welche  als  Angriffspunkte  für  die  longitudinalen 
Muskelstränge  dienen  und  ausserdem  den  Nervenring  und  den  Ambu- 
lacralring  bedecken.  Beide  Ringe  geben  wie  sonst  bei  Echinodermen 
5  radiale  Stämme  ab,  die  auf  der  Innenseite  des  Muskelsehlauchs  ver- 
laufen. Vom  Ambulacralring  oder  den  Anfangen  der  Radialcanäle  gehen 
Ausstülpungen  ans.  welche  im  Umkreis  des  Mundes  über  die  Körper- 
oberfläche als  äusserst  sensible,  zurückziehbare  Fühler  hervortreten  und 
bald  wie  krausenartig  gefaltete  Blätter  (Aspidochiroten)  (Fig.  20*),  bald 
wie  zierlich  verästelte  Bäumchen  (Dendrochiroten)  (Fig.  297)  aussehen. 
Endlich  sind  als  Anhänge  des  Ambulacralrings  noch  die  meist  unpaare 
Poli'sche  Blase  und  der  Steincanal  zu  nennen;  letzterer  ist  verästelt 
und  mündet  mit  mehreren  Oeffnungen  in  die  Leibeshöhle  und  nur  aus- 
nahmsweise auf  der   Körperobcrfläche.    —   Vom  Gesehlechtsapparat 

20* 


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Zusammenfassung. 


existirt  nur  eine  einzige  Drüse,  welche  sich  dorsal  und  interambulacral 
dicht  neben  dem  Mund  nach  aussen  öffnet. 

Von  besonderem  Interesse  ist  die  grosse  Regenerationsfähigkeit 
der  Holothurien.  Unter  ungünstigen  Verhältnissen  oder  auf  starke 
Reize  hin  (z.  B.  bei  Conservirung  in  Spiritus  ohne  vorangegangene  Be- 
täubung durch  Chloral)  spucken  die  Thiere  fast  sämmtliche  Eingeweide, 
namentlich  den  Darm  aus;  trotzdem  bleiben  sie  am  Leben  und  können 
sogar  unter  günstigen  Verhältnissen  das  Verlorene  wieder  ersetzen.  — 
Im  Innern  gewisser  Arten  leben  einige  Parasiten;  in  die  Cloake  und 
Wasserlungen  von  Stichopus  regalis  Cuv.  schlüpft  Schutz  suchend  ein 
kleiner  Fisch.  Fierasfer  acus;  in  den  Eingeweiden  von  Synapta  digitata 
lebt  die  Entoconcha  mirabilis,  lange  Zeit  über  die  einzige  bekannte 
parasitische  Schnecke.  Eine  parasitische  Muschel,  Entovalva  mirabilis, 
Völtzk.  lebt  im  Oesophagus  einer  Synapta. 

I.  Ordnung.  Pedaten. 

Die  Pedaten  sind  die  typischen  Holothurien,  indem  sie  mindestens  im 
Bereiche  des  Triviums  die  Saugfüsschen  bewahren.  Ihre  Tentakeln  sind 
verästelt:  Ikndrochiroten  (Oucumaria  Planet  v.  Marcnz.  Fig.  297)  oder 
schildförmig:  Aspidociiiroten  (Holothuria  tubulosa  Gm.  (Fig.  298)  und  IL  edulis, 
letztere  im  getrockneten  Zustand  bekannt  als  „Trepang",  der  von  den 
Chinesen  gegessen  wird  und  einen  wichtigen  Handelsartikel  des  indo- 
malayischen  Archipels  bildet).  Eine  besondere  Gruppe  bilden  die  Tiefsee- 
holothurien,  die  mit  Hörbläseben  und  mit  eigenthümlichen  dorsalen  Am- 
bulacralfortsätzen  versehenen  Elasipoden  (Deima  validum  Theel). 

II.  Ordnung.  Apodes. 

Am  fremdartigsten  nehmen  sich  unter  den  Eciiinodermen  die  fusslosen 
Holothurien  aus ;  sie  kriechen  im  Schlamm  wie  Würmer,  haben  vom  Wasser- 
gefasssystem  nur  die  Tentakeln  bewahrt  und  sind  meist  hermaphrodit.  Die 
}fulpadiden  besitzen  noch  die  Wasserlungen  (Molpadia  australis  Semp.),  die 
Synaptiden  (Synapta  digitata  J.  Muell.)  haben  auch  diese  verloren ;  sie  besitzen 
Hörblii.schen. 


Zusammenfassung  der  Resultate  Uber  Echinoderinen. 


1)  Die  Eehinodcrnien  theilcn  mit  den  Coeleuteraten  den  radial 
symmetrischen  Bau,  unterscheiden  sich  aber  von  ihnen 

a)  durch  den  Numerus  der  Radialsymmctrie  (5), 

b)  dadurch,  dass  sie,  wie  die  Larvenformen  lehren,  aus  bilateral 
symmetrischen  Formen  abgeleitet  werden  müssen. 

2)  Weitere  Unterschiede  sind  a)die  Anwesenheit  der  Leibes- 
höhle, b)  das  Ambulacralgefässsystem ,  c)  das  mesodermale 
stachelige  Hautskelet,  welches  den  Namen  Echinodermen  ver- 
anlasst hat 

3)  Das  Ambulacralgefässsystem  ist  eine  Einrichtung,  welche 
zur  Fortbewegung  dient  und  in  gleicher  Weise  nirgends  vorkommt: 


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Zusammenfassung. 


30!) 


man  unterscheidet  an  ihm  die  siebartig  durchbrochene,  zur  Wasser- 
aufnahme dienende  MadTeporenplatte,  den  das  Wasser  weiter 
leitenden  Steincanal,  von  dem  aus  der  Ringcanal  und  dieöAm- 
hulacralgefässe  mit  ihren  Ampullen  sich  füllen;  Seitenäste  der 
Ambulacralgefässe  versorgen  die  Tentakeln  und  Füsschen  und  ermög- 
lichen deren  Ausstülpung. 

4)  Ambulacral,  d.  h.  auf  gleichen  Radien  mit  den  Anibulacral- 
gefässen  liegen  die  Blutgefässe  und  die  Nervenstränge  interambulacral 
die  Madrcporenplatte,  der  Steincanal,  das  „Herz"  (ovoide  Drüse)  und 
die  Mündungen  der  Geschlechtsorgane. 

5)  Die  Echinodermen  zerfallen  in  4  Classen:  1.  Asteroideen. 
2.  Crinoldeen,  3.  Echlnoideen,  4.  flolothnrien. 

6)  Die  Asteroideen  bestehen  aus  der  Körperscheibe  und  den  5  von 
Ambulacralwirbcln  gestützten  Armen ;  je  nachdem  die  Arme  Darm- 
blindsäcke enthalten  oder  nicht,  zerfallen  sie  in  Stelleroideen  und 
Ophiuroideen. 

7)  Die  Crinoidecn  bestehen  aus  einem  kelchförmigen  Körper, 
davon  ausgehenden  meist  verästelten,  Pinnulae  tragenden  Armen  und 
einem  meist  Cirren  tragenden  Stiel;  mit  Hilfe  des  letzteren  sind  sie 
entweder  dauernd  festgewachsen  oder  nur  im  Laufe  der  Entwicklung, 
während  das  freibewegliche  Thier  nur  einen  Rest  des  Stiels  (Centro- 
dorsale)  bewahrt.  Man  unterscheidet  1)  echte  Crinoideen, 
2)  B lastoideen,  3)  Cystideen. 

8)  Die  Echhioidcen  haben  einen  meist  kugeligen  oder  ovalen 
Körper,  der  von  Kalkplatten  gepanzert  ist,  welche  meridionale,  vom 
Peristom  zum  Periproct  reichende  Reihen  bilden,  5  Paar  ambulacrale 
Plattenreihen  und  5  Paar  interambulacrale. 

9)  Am  Periproct  enden  die  ambulacralen  Plattenreihen  mit  den 
unpaaren  Ocellarplatten,  die  interambulacralen  mit  den  ebenfalls 
unpaaren  Genitalplatten;  eine  der  letzteren  ist  zugleich  Madre- 
porenplatte. 

10)  Reguläre  Seeigel  zeigen  den  After  im  Centrum  des  Periprocts 
und  die  Mundöffnung  im  Centrum  des  Peristoms;  sie  haben  bandförmige 
Ambulacra. 

11)  Bei  den  irregulRren  Seeigeln  rückt  stets  die  Afteröffnung  in 
einem  Interradius  nach  rückwärts  (C lypeast r id en),  häutig  auch  die 
Mundöffnung  nach  vorn  (Spatan  giden);  stets  sind  petaloide  Ambu- 
lacra vorhanden. 

12)  Die  Holothurien  sind  wurmförmig  verlängerte  Echinodermen 
mit  einer  bis  auf  kleine  Reste  rückgebildeten  Verkalkung;  sie  sind 
bilateral  symmetrisch  geworden,  indem  sie  zur  Fortbewegung  nur  3 
Füsschenreihen  benutzen,  indem  sie  ferner  meist  nur  eine  Geschlechts- 
drüse und  1 — 2  Wasserlungen  besitzen. 

13)  Man  unterscheidet  Pedata,  welche  ausser  Mundtentakeln  noch 
zum  Kriechen  dienende  Füsschen  haben  und  Apodes,  bei  denen  nur 
noch  die  Mundtentakeln  vorhanden  sind. 


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:uu 


Woichthiere. 


Kopf. 
Mantel, 
Kos». 


V.  Stamm. 

Mollusken,  Weichthiere. 


Fig.  299. 


Fig.  300. 


Wenn  wir  die  Gesammtheit  ihrer  Organisation  überblicken,  so 
machen  die  Mollusken  —  ähnlich  wie  die  Plathelminthen  und  Hirudineen 
unter  den  Würmern  auf  den  Beobachter  den  Eindruck  parenchyma- 
töser Thiere.  Eine  geräumige  Leibeshöhle  fehlt;  was  früher  als 
Leibeshöhle  gedeutet  wurde, 
hat  sich  als  ein  System 
sinuöser  Hohlräume  heraus- 
gestellt, welches  mit  dem 
Blutgefässsystem  zusam- 
menhängt und  sich  inner- 
halb eines  Grurulgewebes 
von  Bindesubstanz  und 
Muskeln  ausbreitet,  das  be- 
sonders deutlich  bei  den 
Muscheln  die  Eingeweide 
durchsetzt.  Gleichwohl  ge- 
winnt in  der  Neuzeit  die 
AutfasNiing  mehr  und  mehr 
an  Boden,  dass  die  Mollus- 
ken von  Leibeshöhlenthiereo 
abgeleitet  werden  müssen, 
und  zwar  von  Formen,  bei 
denen  durch  starke  Wuche- 
rung eines  bindegewebigen 
und  musculöseii  Paren- 
chyms  die  Leibeshöhle  bis 
auf  unbedeutende  Beste, 
die  Lumina  des  Herzbeu- 
tels und  der  Geschlechts- 
drüsen ,  eingeengt  wor- 
den ist. 

Wo  die  Molluskenorga-     y.  20a__901 
nisation    in   allen  Theilen  pj 

wohlentwickelt  ist,  wie   bei  Schnecke  UHix),  Fig.  301  einer  Muschel  (Atmtonta), 
den      meisten     Schnecken,  letztere  seitlich  und  auf  dem  Durehsehm«.  Einge- 
♦  -  „i,  am  U' /,.•    weideknäuel  punktirt,   Mantel    schrafhrt ,  Sehale 

unterscheidet  man  am  hui-  M.lnvarz    r  <Whralgaiudion ,  v  Pcdalganglion ,  r 
per  4  Abschnitte  (Hg.  299,   Visecralganglion.  a  Atter,  fit  Ftuw,  m  Mantelhöhle, 
300,301).     Die  Hauptmasse  seh  Sehale,  /  Trichter.  • 
des    Körpers    bildet  der 

Ein  ge  weide  sack,  in  welchem  die  Muskulatur  weniger  reichlich  ist, 
weil  sie  von  der  Leber,  dem  Darm,  der  Niere  und  dem  Geschlechts- 
apparat auf  eine  dünne  periphere  Lage  verdrängt  wird.  Nach  vorn 
verlängert  sich  der  Eingeweidesack  in  den  Kopf,  welcher  je  nach  den 
Arten  mehr  oder  minder  scharf  durch  eine  halsförmige  Einschnürung 


Fig.  301. 


Schemata  der  3  Molhwkenclaswen. 
halopmkn  (Sepia),    Fig.  300  einer 


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Weichthiere. 


311 


abgesondert  ist  und  ausser  dem  Mund  auch  die  Fühler  und  Augen, 
somit  die  wichtigsten  Sinnesorgane,  trägt  Nach  abwärts  schliesst 
sich  eine  unpaare  dicke  Muskelmasse  an,  der  gewöhnlich  zur  Fort- 
bewegung dienende  Fuss.  Vom  Rücken  endlich  erhebt  sich  der 
Mantel,  eine  Hautfalte,  welche  einen  grossen  Theii  des  Körpers  um- 
hüllt. Die  Muscheln  (Fig.  301)  haben  eine  doppelte  Mantelfalte,  eine 
rechte  und  linke,  welche  beide  von  der  dorsalen  Mittellinie  entspringen 
und  sich  nach  rechts  und  links  über  Fuss  und  Eingeweidesack  aus- 
breiten; die  Tintenfische  (Fig.  2t»9)  und  Schnecken  (Fig.  300)  dagegen 
haben  eine  unpaare  Falte,  welche  von  einer  nahezu  central  gelegenen 
Region  des  Rückens  ihren  Ursprung  nimmt  und  von  hier  aus  nach 
allen  Richtungen  hin  dachartig  vorspringt  oder  sich  wie  eine  Kapuze 
einseitig  nach  vorn  oder  nach  hinten  über  den  Körper  herüberlegt. 
Der  Mantel  der  Mollusken  ist  nach  zwei  Richtungen  hin  von  Bedeutung; 
seine  Aussenfläche  ist  mit  einem  Epithel  bedeckt,  welches  im  Zu- 
sammenhang mit  dem  Epithel  der  angrenzenden  Körperoberfläche  die 
Fähigkeit  hat,  eine  Schale  zu  bilden,  indem  es  cuticulaartige,  dicke 
Lagen  einer  reichlich  mit  kohlensaurem  Kalk  imprägnirten  organischen 
Substanz  (Conchiolin)  ausscheidet.  Die  Innenfläche  der  Mantelfalte  da- 
gegen begrenzt  mit  der  Körperoberfläche  gemeinsam  einen  Raum,  die 
Mantelhöhle,  welche  nach  ihrer  wichtigsten  Function  auch  die  Athem- 
höhle  heisst.  Da  die  meisten  Mollusken  Wasserbewohner  sind,  liegen 
in  ihr  besondere  blutgefässreiche  Erhebungen  der  Haut  von  ver- 
schiedener Gestalt,  die  Kiemen,  während  bei  den  Landbewohnern  die 
Wandung  der  mit  Luft  sich  füllenden  Athemhöhle  (Lunge)  zur 
Respiration  verwandt  wird. 

Unter  den  erörterten  Verhältnissen  ist  es  begreiflich,  dass  die 
Beschaffenheit  der  Mantelfalten  sowohl  auf  die  Beschaffenheit  der 
Schalen,  wie  auch  der  Athmungsorgane  einen  Einfluss  ausüben  muss. 
Paarige  Mantelduplicaturen  haben  zur  Folge,  dass  auch  die  Schale  eine 
doppelte  ist  und  aus  einer  linken  und  rechten  Hälfte  besteht,  dass  man 
eine  linke  und  rechte  Athemhöhle  und  demgemäss  eine  linke  und  rechte 
Kieme  unterscheiden  kann.  Bei  unpaarer  Mantelfalte  ist  die  Schale 
und  die  Mantelhöhle  stets  unpaar,  während  die  Kiemen  sehr  häufig  auch 
dann  noch  ihre  paarige  Anordnung  beibehalten. 

Die  Mantelhöhlenkiemen  der  Mollusken  nennt  man  Kammkiemen  oder 
Ktenidien,  weil  sie  in  ihrem  Bau  an  einen  Kamm  mit  zwei  Reihen  von 
Zinken  erinnern.  Jede  Kieme  besteht  nämlich  aus  einem  bindegewebigen, 
die  Hauptblutge lasse  enthaltenden  Axenstrang  und  zwei  Reihen  von  Kiemen- 
blättchen;  mit  dem  Axenstrang  ist  sie  an  der  Wand  der  Athemhöhle 
fcstgewachsen  (Fig.  339).  Bei  manchen  wasserathmenden  Mollusken 
fehlen  die  Ktenidien.  Dann  wird  dem  Athembedürfniss  anderweitig  ge- 
nügt, entweder  durch  die  diffuse  Hautathmung  oder  durch  accessorische 
Kiemen,  welche  von  den  Ktenidien  sich  durch  andere  Structur  und  ihre 
Lage  ausserhalb  der  Mantelhöhle  unterscheiden. 

An  den  Stellen,  an  welchen  der  Körper  der  Mollusken  nicht  von 
der  Schale  befleckt  ist,  besitzt  er  ein  Cylinderepithel,  das  häufig  Flim- 
mern trägt  und  mit  einzelligen  Schleimdrüsen  durchsetzt  ist.  Diese 
bedingen  die  weiche,  schlüpfrige  Beschaffenheit  der  Haut,  die  den  Namen 
„Mollusca",  Weichthiere,  veranlasst  hat ;  sie  sind  am  Mantelrand  be- 
sonders reichlich.  Auch  vielzellige  Drüsen  kommen  vor,  wie  die 
Purpurdrüsen,  Fussdrüsen  etc.  mancher  Schnecken,  die  ßyssusdrfisc 
der  Muscheln. 


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Weichthiere. 


So  wichtig  nun  auch  für  die  Charakteristik  der  Mollusken  die  An- 
wesenheit von  Kopf,  Fuss  und  Mantel  sein  mag,  so  sind  die  genannten 
Körperanhänge  doch  keineswegs  überall  vorhanden.  Bei  keiner  Muschel 
ist  ein  besonderer  Abschnitt  vom  übrigen  Körper  als  Kopf  unterscheid- 
bar; bei  vielen  Schnecken  vermisst  man  die  Mantelfalte  und  damit 
auch  die  Mantelhöhle  und  die  Schale.  Bei  den  Cephalopoden  fehlt  der 
Fuss  oder  er  ist  vielmehr  zu  anderweitigen  Anhängen  (Trichter  und 
Armen)  umgewandelt.    Wenn  mau  nun  auch  in  allen  diesen  Fällen 
mit  Sicherheit  behaupten  kann,  dass  der  Mangel  der  wichtigen  Mol- 
luskenorgane durch  Bück-  und  Umbildung  zu  erklären  ist,  so  bleibt 
die  Thatsache,  dass  die  Organe  beim   ausgebildeten  Thiere  fehlen, 
gleichwohl  bestehen.  Daher  ist  es  von  ganz  ausserordentlicher  Wichtig- 
keit, dass  die  Beschaffenheit  des  Nervensystems  uns  ein 
Merkmal  an  die  Hand  giebt,  welches  von  keinem  Mol- 
lusken  verleugnet   wird.     Dasselbe  besteht  aus  3  Knötchen- 
paaren,  von  denen   ein   jedes   zu   wichtigen   Sinnesorganen  in  Be- 
ziehung steht.    Ein  Paar  liegt  dorsal  vom  Schlundkopf  und  entspricht, 
den  oberen  Schlundganglien  der  Würmer;  es  sind  die  Hirn-  oder 
Cerebralganglien,  welche  die  Fühler  und  die  Augen  versorgen. 
Unterhalb  des  Darms  liegen  vorn  auf  der  Muskelmasse  des  Fusses 
die  Pedal  ga  n  gl ien  und  auf  ihnen  oder  in  ihrer  Nähe  die  Hör- 
bl äse hen.    Weiter  rückwärts  linden  sich,  ebenfalls  ventral,  die  Vis- 
ceralganglien  und  in  ihrem  Umkreis  ein  drittes,  bei  den  Mollusken 
weit  verbreitetes  Sinnesorgan,  welches  im  Epithel  der  Mantelhöhle  eine 
mit  Flimmern  bedeckte  Verdickung  darstellt  und  nach  Lage  und  Bau 
als  Geruchsorgan  (0  sp  h  ra  d  i  u  m)  gedeutet  werden  muss.    Die  Pedal- 
ganglien und  Visceralganglien  hängen  mit  den  Cerebralganglien  mittelst 
der  Cerebropedal-  und   Cerebrovisceralconiniissuren  zusammen.  Je 
nachdem  diese  Commissuren  lang  ausgezogen  oder  stark  verkürzt  sind, 
sind  die  Ganglienknötchen  in  dem  Molluskenkörper  weit  zerstreut 
oder  zu  einer  gedrungenen  Nervenmasse  im  Umkreis  des  Schlund- 
rohrs vereint. 

Genauere  Besprechung  verlangen  die  Verhältnisse  der  Cerebral-  und 
Visceralganglien.  In  den  Verlauf  der  Cerebrovisceralcomtuissuren  sind 
nämlich  bei  den  meisten  Schnecken  jederseits  zwei  Ganglien  eingeschaltet, 
ein  vorderes,  das  Pleuralganglion,  welches  mit  dem  Pedal  ga  n  g  1  i  o  n 
durch  die  Pleuropedalcommissur  verbunden  ist,  und  ein  hinteres,  das 
Parietalganglion  (Fig.  3(J2  A).    Das  Parietalganglion  ist  bei  Lungen- 

Fijr.  302.  Verschiedene 
Formen  des  Ncrvensv-tcins 
bei  Mollusken.  A  Mehrzahl 
der  ( 'ep/mluphorcH  ,  Ii 
La  null ihm  iah  /< ,  ('  Cr- 
phulnpiulm  und  l'nhtto- 
riatni;  r  Hirnjranirlion,  pf 
Pleural-,  pu  Parietal-,  v 
Visceral-,  pf  Pedaljranj:- 
lion. 

Schnaken,  ('vphalupwhn  und  Muscheln  mit  dem  Visceralganglion  verschmolzen 
(B,  Cj;  das  Pleuralganglion  zeigt  in  den  genannten  Gruppen  ein  wechselndes 
Verhalten ;  bei  den  Muscheln  (Ii)  ist  es  dem  Cerebralganglion  zugefügt  und 
verstärkt   mit    seiner  Pedalcommissur    die   Cerebropedalcommissur;  bei 


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Weichthiere. 


Lungenschnecken  und  Cephalopoden  (C)  verschmilzt  es  dagegen  ebenso  wie 
das  Parietalganglion  mit  dem  Visceralganglion ;  seine  Pedalcommissur  be- 
wirkt in  Folge  dessen  eine  bei  anderen  Mollusken  fehlende  Brücke  zwischen 
Pedal-  und  Visceralganglien.  —  Obwohl  Gehörorgan  und  Geruchsorgan 
ihre  Nerven  vom  Pedalganglion,  resp.  vom  Visceralganglion  (genauer  aus- 
gedrückt dem  Parietalganglion)  empfangen,  so  scheint  das  Centrum  ihrer 
Innervation  dennoch  im  Cerebralganglion  enthalten  zu  sein. 

Nächst  dem  Nervensystem  ist  für  die  Mollusken  die  Beschaffen-  H]y,t"£!*" 
heit  des  Herzens  am  meisten  charakteristisch;  dasselbe  ist  ein 
dorsales  arterielles  Herz  mit  Kammer  und  Vorkammer.  Die 
Kammer  ist  stets  unpaar,  die  Vorkammer  dagegen  paarig,  solange  die 
Kiemen,  von  denen  aus  das  Blut  dem  Herzen  zuströmt,  paarig  sind, 
während  bei  unpaarer  Beschaffenheit  der  Kiemen  nur  eine  einzige 
Vorkammer  vorhanden  zu  sein  pflegt.  Stets  finden  sich  besondere 
Arterien  und  Venen ;  Capillaren  kommen  dagegen  nur  den  Cephalopoden 
zu,  während  bei  den  niederen  Mollusken,  namentlich  den  Muscheln,  die 
feineren  Arterien  sich  in  lacnnäre  Bahnen  öffnen,  deren  Gesammtheit 
früher  Leibeshöhle  genannt  wurde.  Ein  vollkommen  geschlossenes 
Blutgefässsystem  scheint  selbst  bei  den  Cephalopoden  nicht  vorzu- 
kommen. 

Das  Molluskenherz  ist  in  einen  geräumigen  Herzbeutel  w«t. 
eingeschlossen,  welcher  fast  ausnahmslos  durch  einen  flimmernden ojÄSu 
Canal,  die  Nieren  spritze,  mit  der  Niere  in  Verbindung  steht  und  org*,w 
bei  manchen  Mollusken  {Cephalopoden  und  einigen  Muscheln)  ausser- 
dem auch  mit  der  Geschlechtsdrüse  zusammenhängt.  Auf  diese 
Thatsachen  gründet  sich  die  oben  schon  erwähnte  Ansicht,  dass 
bei  den  Mollusken  Beste  einer  Leibeshöhle  im  Herzbeutel  und  im 
Lumen  der  Geschlechtsdrüse  enthalten  sind.  Man  erklärt  nämlich  die 
Beziehungen,  welche  zwischen  Pericard  einerseits,  Geschlechtsorganen 
und  Nieren  andererseits  bestehen,  aus  den  Verhältnissen  der  Coelhel- 
minthert,  besonders  aus  denen  der  Anneliden,  bei  denen  die  Segmental- 
organe durch  Flimmertrichter  in  die  Leibeshöhle  münden  und  die  Ge- 
schlechtsproducte  aus  dem  Epithel  der  Leibeshöhle  oder  abgeschnürter 
Theile  derselben  entstehen.  Wichtig  für  die  Begründung  der  Ansicht 
ist  ferner  der  Nachweis  geworden,  dass  bei  Paludina  vivipara  sich  eine 
Leibeshöhle  (Enterocoel)  durch  Divertikelbildung  des  Darms  anlegt.  -  - 
Nieren  und  Geschlechtsorgane  sind  bei  einem  Theil  der  Mollusken  noch 
paarig,  bei  einem  anderen  sind  sie  durch  einseitige  Bückbildung  un- 
paar geworden.  Die  Geschlechtsorgane  sind  bald  hermaphrodit,  bald 
gonoehoristisch ,  stets  aber  ausserordentlich  umfangreich.  Noch  mehr 
Kaum  beansprucht  im  Eingeweideknäuel  der  Verdauungstractus,  welcher 
Oesophagus,  Magen,  einen  gewundenen  Enddarm  und  eine  gewaltige 
Leber,  meist  auch  Speicheldrüsen  erkennen  lässt. 

Die  F  ortpflanzung  der  Mollusken  ist  eine  a  u  s  -  Entwicklung 
schliesslich  geschlechtliche;  weder  Knospung,  noch  Theilung, 
noch  Parthenogenesis  sind  je  beobachtet  worden.  Die  Eier  werden 
meistens  in  grösseren  Mengen  vereinigt  in  Gallerten  abgelegt  und  sind 
entweder  selbst  dotterreich  oder  mit  nährenden  Eiweisshüllen  umgeben. 
Wenige  Mollusken  (z.  B.  Paludina  vivipara)  sind  lebendig  gebärend. 
Sehr  verbreitet  ist  die  Metamorphose:  bei  derselben  schlüpft  aus  dem 
Ei  die  „Veligerlarve"  (Fig.  303),  an  welcher  man  Kopf,  Fuss  und 
Mantel  auch  dann  unterscheiden  kann,  wenn  das  zugehörige  Thier  im 
ausgebildeten  Zustand   den  einen  oder  den  anderen  Abschnitt  ver- 


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314 


Weichthiere. 


missen  lässt.  Diese  Beobachtung  verdient  besondere  Beachtung,  da  sie 
lehrt,  dass  der  Mangel  des  Kopfes  oder  des  Mantels  oder  der  Schale, 
welchen  wir  bei  grossen  (i nippen  der  Mollusken  feststellen  können,  kein 
ursprünglicher  Zustand  ist,  sondern  nur  durch  Rückbildung  dieser  Theile 


Fig.  'Mi.  Veligerlarve  1T10- 
chophora)  von  Tcrtdo  natalit 
(ans  Hat.«ehck)  mit  schon  gel>il- 
dcter  /.weiklappiger  Schale  (&), 
Sehl  Schlossrand  rlcr  Schale, 
SMr  vorderer ,  SMh  hinterer 
Bchliewmnskcl ,  Mrs  Mesoderni, 
MP  Urzcllen  de*  Mcsodernifl, 
/.  lieber,  Wirr.  Wl{,  wirr  Wimper- 

tnit 


kränz,  Sp  Scheitel  platte 
Wimperschopf  ws,  O  Mund,  .1 
After.  Oc  Oesophagus,  •/'  Dann. 
Ii  Enddann,  Xr/,li  Xiere ,  LMd 
und  LMr  Längsnuiskeln. 


erklärt  werden  kann.  Der  Name  Veliger  bezieht  sich  auf  das  Velum, 
einen  kräftigen  Kranz  von  Wimpern,  welcher  ein  vor  der  Mundöffnung 
gelegenes  Feld,  das  Stirn-  oder  Velarfeld,  umgrenzt,  der  Larve  zur 
Fortbewegung  dient  und  bei  starker  Entwicklung  nicht  selten  ähnlich 

der  Radscheibe  eines 
-1  ,{  Räderthiers  gelappt  ist 

(Fig.  304).  Die  Ve- 
ligerlarve  erinnert 
sehr  an  die  Trocho- 
phora  der  Würmer, 
dient  zur  Verbreitung 
der  Mollusken  und  ist 
daher  für  festsitzende 
oder  wenig  bewegliche 
Formen  wie  die  Mu- 
scheln von  grosser  Be- 
deutung. Wenn  die 
Metamorphose  fehlt 
(Cephalopoden ,  Pul- 
monaten etc.),  ist  trotz- 
dem das  Veligerstadium  häutig  noch  während  der  Kmbryonalentwicklung 
an  einem  rudimentären,  ein  präorales  Feld  umgrenzenden  Zellenwulst 
zu  erkennen. 

Systematisch  .theilte  man  die  Mollusken  lange  Zeit  über  in  3  Olassen, 
1)  die  Muscheln,  LamcUihrancIticr  oder  Acrphalcn.  2)  die  Scimecken.  Gaslro- 
jtod&l  oder  O phalojihon  n,  3)  die  Tintenfische  oder  ('cphalojtodcn.    Von  den 
Schnecken  hat  man  in  der  Neuzeit  die  Käferschnecken  oder  Chitonen  ab- 
getrennt und  mit  einigen  höchst  eigentümlichen,  wurmartigen  Formen 


Fig.  304.  Veligerstadien :  A  einer  Srlnwrke .  Ii  eines 
Pteropodcn  (aus  Uegcnbaun.  o  Schale,  p  Fuss  mit  Oper- 
calum  (op),  r  Vclum,  t  Tentakeln. 


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I.  Amphineuren. 


315 


iOuwiofkmm,  Xeomenia)  unter  dem  Namen  Amphiueuren  vereint.  Da  die 
Thiere  in  vieler  Hinsicht  die  ursprünglichsten  Verhältnisse  unter  den 
Mollusken  bewahrt  haben,  mögen  sie  an  erster  Stelle  besprochen  werden. 


Die  den  Kern  der  Amphineuren  bildenden  Chitonidcn  oder  Käfer- 
schnecken (Fig.  305)  wurden  früher  zu  den  Cephalophoren  gestellt,  weil 
sie  wie  diese  auf  einein  breiten  sohligen  Fuss  kriechen  und  eine  Radula 
(vergl.  S.  329)  besitzen ;  sie  nahmen  aber  stets  innerhalb  der  Classe  eine  iso- 
lirte  Stellung  ein,  schon  in  ihrer  äusseren  Erscheinung  vermöge  der  höchst 
rudimentären  Beschaffenheit  des  Kopfes,  der  bilateral 
symmetrischen  Gestalt  ihres  Körpers  und  des  abweichenden 
Baues  der  Schale.  Letztere  besteht  aus  acht  dachziegelförmig  sich 
deckenden,  beweglich  mit  einander  verbundenen  Platten,  welche  über 
dem  Kücken  quere  Schienen  bilden  und  durch  ihre  scharfe  Abgrenzung 
an  die  Gliederung  der  Insecten  (daher  der  deutsche  Namen)  erinnern. 
Schalenstücke  und  Mantel  bilden  links  und  rechts  ein  vorspringendes 
Dach  über  den  zahlreichen  Kiemen,  welche  jederseits  in  einer  Reihe 
hinter  einander  liegen. 


Die  Symmetrie  des  Körpers  drückt  sich  auch  in  der  An- 
ordnung der  Eingeweide  aus.  Der  After  mündet  genau  terminal; 
links  und  rechts  von  ihm  liegen  die  paarigen  Mündungen  der  Nieren 
und  der  gonochoristischen  Geschlechtsorgane.  Den  paarigen 
Kiemen  entsprechen  endlich  paarige  Vorkammern  des  Herzens. 
Alles  dies  sind  primitive  Charakterzüge,  welche  die  Chitoniden  den 
hypothetischen  Urformen  des  Molluskenstammes  nähern,  freilich  sich 
in  ähnlicher  Weise  auch  bei  den  Muscheln  vorfinden.  Was  nun  aber 
den  Thieren  mehr  als  allen  übrigen  Mollusken  das  Gepräge  grosser 
Ursprünglichkeit  verleiht,  ist  der  äusserst  interessante  Bau  des  Nerven- 
systems. An  Stelle  von  Ganglienknötchen  finden  wir  lang  ausge- 
zogene Nervenstränge:  ein  Cerebralstrang  bildet  über  dem  Anfangs- 
<larm  einen  durch  eine  ventrale  Gommissur  geschlossenen  Bügel,  der 
nach  rückwärts  zwei  Paar  Nervenstränge  aus>cndet.  Das  eine  Paar 
repräsentirt  die  Pedalganglien,  das  andere  Paar  die  Visceralganglien 


I.  Classe. 
Amphineuren,  Urmollusken. 


Fig.  30.">.  Chittm  sqiiit- 
uiosus,  links  ganzes  Thier 
vom  Rücken  gesehen, 
rechts  ein  Thier  mit  prä- 
pari  rt  eni  N  e  rve  n  sy  s  t  e  1 1 1 
und  Kiemen.  V  Hirn.  P 
I'edalstrang,  /'/  Pleurovis- 
ci  ralstrang  des  Nerven- 
systems,  A*  Kiemen,  o 
•Mund  .  n  After  (nach 
Haller). 


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310 


Weichthiere. 


(sammt  den  Ganglien  der  Cerebrovisceralcommissuren,  den  Pleural- 
und  Parietalganglien).  Somit  fehlt  die  bei  allen  übrigen  Mollusken 
durchgeführte  Sonderuug  des  Centrainervensystems  in  Ganglienknötchen 
und  Commissurcn. 

Wegen  der  Beschaffenheit  der  Scliale  nennt  man  die  Chiton'ukn  (Chiton 
squamosus  L.)  Plaeophorcn ;  man  unterscheidet  von  ihnen  andere  Amphi- 
neuren  als  Aplaeophoren  oder  Sofeuogastres.  Bei  denselben  fehlt  die  Schale 
ganz,  die  Kiemen  und  die  Radula  können  ebenfalls  gänzlich  fehlen,  der  • 
Fuss,  der  Mantel  und  die  Kierueuhöhle  sind  rudimentär.  Im  Habitus 
gleichen  die  Thiere  eher  Würmern  als  Mollusken.  ('haetoderma  nitidulum 
Loven,  Xcomcnin  eurinata  Tullberg. 

II.  C lasse. 

Laniellibranehler,  Acephalen,  Muscheln. 

Unter  sämmtlichen  Mollusken  haben  die  Muscheln  das  geringste 
Maass  von  Ortsbewegung;  viele  sind  ganz  festgewachsen;  die  meisten 
kriechen ;  äusserst  wenige  vermögen  sich  springend  mit  Hilfe  ihres 
Fusses  oder  schwimmend  durch  Zusammenschlagen  der  Schalen  fort- 
zubewegen. Mit  dieser  Lebensweise  hängt  es  zusammen,  dass  die 
Thiere  ein  viel  grosseres  Schutzbedürfniss  haben  als  die  übrigen 
Mollusken  und  dem  entsprechend  auch  eine  viel  kräftigere  Schale  aus- 
scheiden, in  welcher  der  Körper  meist  vollkommen  geborgen  liegt 

Die  Schale  einer  Muschel  erinnert  an  die  eines  Brachiopoden, 
indem  sie  aus  2  Stücken  besteht ;  während  aber  die  Stücke  einer 
Brachiopodenschale  auf  der  dorsalen  und  ventralen  Seite  des  Körpers 
entstehen  und  als  obere  und  untere  unterschieden  werden,  sind  die 
Schalenhälften  einer  Muschel  symmetrisch  zur  Sagittalebene  des  Körpers 
links  und  rechts  angeordnet  und  besitzen  daher  für  gewöhnlich 
auch  einen  im  Wesentlichen  symmetrischen  Bau.  Nur  wenn  das  Thier 
mit  der  rechten  oder  linken  Schale  auf  felsigem  Grunde  dauernd  an- 
wächst, entwickelt  sich  die  betreflende  Schale  kräftiger  und  führt  zu 
einer  geringen  Asymmetrie,  an  welcher  auch  der  Weichkörper  An- 
theil  hat. 

Für  das  Verständniss  des  Baues  der  Schalen  sind  ihre  Be- 
ziehungen zum  Weichkörper,  vor  Allem  zu  den  Mantellappen  und  den 
Muskeln  von  entscheidender  Bedeutung,  so  dass  man  alle  drei  Theile 
nur  im  Zusammenhang  besprechen  kann.  Die  beiden  Mantel  1  appen. 
welche  auf  ihrer  Oberfläche  die  Schalen  ausscheiden  und  nur  aus- 
nahmsweise (Ephippodonla,  Chlamydoconcha)  sie  allseitig  umwachsen, 
nehmen  ihren  Ausgangspunkt  vom  Bücken  der  Muschel  (Fig.  313)  und 
erstrecken  sich  von  da  abwärts  nach  vorn  und  hinten,  so  dass  sie  das  Thier 
vollkommen  umhüllen.  In  der  Nachbarschaft  des  Rückens  findet  sich 
daher  auch  der  älteste  Theil  der  Schale,  zugleich  auch  der  am  stärksten 
gewölbte,  der  Schal  en  nahe  1  oder  Umbo  (Fig.  306);  um  denselben 
ordnen  sich  annähernd  concentrisch  die  Anwachsstreifen  an,  Linien, 
welche  zeigen,  wie  allmahlig  beim  Wachsthum  der  Mantellappen  auch 
die  Schale  eine  Vergrößerung  erfahren  hat.  Am  Rücken  sind  die 
beiden  Schalen  einander  am  meisten  genähert  und  bei  der  Mehrzahl  der 
Muscheln  durch  das  „Sc bloss4'  beweglich  verbunden.  Ein  Schloss 
entsteht,   indem  Vorragungen   der  einen   Schale,   die  Schlosszähne, 


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II.  Lamcllibranehier. 


317 


chariiierartig  in  Vertiefungen  der  anderen  Schale  eingreifen.  Bei  den 
Brachiopoden  war  Oeffnen  und  Schliessen  der  Schale  ein  activer, 
durch  Muskeln  vermittelter  Vorgang.  Bei  den  Lamellibranchiern  wird 
das  Oeffnen  der  Schale  passiv  durch  ein  dorsal  und  meist  hinter  dem 
Schloss  angebrachtes  elastisches  Band  besorgt;  der  Verschluss 
der  Schalen  wird  dagegen  durch  Muskeln,  die  Adductoren,  bewirkt, 
welche  quer  durch  den  Muschelkörper  von  Schale  zu  Schale  ziehen 
und  auf  diesen  durch  ihre  Insertionen  deutliche  Eindrücke  hinterlassen 
<Fig.  :306).  Gewöhnlich  findet  man  einen  gleich  starken  vorderen  und 
hinteren  Adductor  (Dimyaricr),  selten  ist  der  vordere  rudimentär 
( Heteromyarier)  oder  ganz  geschwunden  ( Mnnomyarier).  Wenn  die  Ad- 
ductoren erschlaffen  oder  gar  absterben,  müssen  die  Schalen  unter 
dem  Einfluss  des  elastischen  Bandes  klaffen,  was  dem gemäss  bei  todten 
Thieren  sets  zutrifft. 


Fig.  900.  Fig.  307. 


Fig.  30li.  Linke  Schale  von  Crassntclla  plumltea  von  innen  und  aussen  (auf  Zitlel). 
letztere  Ansieht  mit  Anwachsstreif en.    (Mantellinie  ohne  Ausbuchtung.) 

Fig.  307.  Rechte  Schale  von  Maetra  stnltorum  (aus  Leunis-Ludwig)  von  innen 
iMantelünie  mit  Ausbuchtung). 

Für  beide  Figuren  gelten  folgende  Bezeichnungen:  a'  vorderer,  a"  hinterer  Aduc- 
toreneindruck.  tu  Mantellinie,  .s  sinuöse  Ausbuchtung  derselben,  o  Schloss,  /  innere 
Bandgrulie. 

Die  typische  Form  des  Muschelschlosses  ist  das  hetcrodonte  Schloss 
(Fig.  307):  jede  Schalenhälfte  besitzt  in  der  Gegend  des  Umbo  eine  Gruppe 
von  Schlosszähnen,  wobei  die  Zähne  der  linken  Schale  mit  denen  der 
rechten  alterniren.  Ausser  diesen  „Cardinalzähnen"  findet  man  noch  vor- 
dere und  hintere,  oft  zu  Leisten  ausgezogene  „Lateralzähne".  Das  Ligament 
liegt  hinter  dem  Schloss,  gewöhnlich  äusserlich  sichtbar  (äusseres  L.), 
selten  offenbar  durch  Einfaltung  in  das  Innere  verlagert  (inneres  L.)  (Fig. 
306).  Das  sogenannte  sdiixodonte  und  desmodonte  Schloss  sind  wohl  nur 
als  Modifikationen  des  heterodonten  Schlosses  anzusehen.  —  Ausser  „hetero- 
donten"  Muscheln  giebt  es  nun  aber  noch  Muscheln  von  offenbar  primi- 
tivem Bau,  bei  denen  entweder  jegliches  Schloss  noch  fehlt  (dysodont)  oder 
das  Schloss  durch  zahlreiche,  in  einer  Reibe  symmetrisch  zum  Umbo  ge- 
stellte Höckerchen  {taxodont)  oder  durch  zwei  kräftige  ebenfalls  symmetrisch 
zum  Umbo  angeordnete  Vorsprunge  ersetzt  ist  (isodont).  In  diesen  Fallen 
ist  das  Ligament  gewöhnlich  auch  symmetrisch  zum  Umbo  ausgebildet,  so 
dass  ein  Theil  vor,  ein  Theil  hinter  dem  Umbo  äusserlich  sichtbar  lagert, 
wenn  es  nicht  durch  Einfaltung  zu  einem  inneren  Ligament  geworden  ist. 

Eine  besondere  Zeichnung  auf  der  Innenseite  der  Schale  wird 
noch  durch  die  Beziehungen  zur  Manteloberfläche  herbeigeführt.  Da 
am  Mantelrand   die  Ausscheidung  der  Schale   am  lebhaftesten  vor 


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318 


Weichthiere. 


sich  geht,  hängen  beide  Theile  hier  fester  zusammen ;  auch  dienen  hier 
kleine  Muskelchen  zu  einer  innigeren  Vereinigung.  So  entsteht  ein 
Randbezirk,  welcher  ein  anderes  Aussehen  als  der  Rest  der  Schale  hat 
und  gegen  diesen  durch  eine  dem  Schalenrand  parallele  Linie,  die 
Mantel  linie,  abgegrenzt  ist  (Fig.  306).  Bei  vielen  Muscheln,  den 
Simipalliaten,  zeigt  die  Mantellinie  eine  Einbuchtung  am  hinteren  Ende 
(Fig.  307  s),  indem  der  Bezirk  inniger  Verwachsung  sich  auf  Kosten 
des  übrigen  Theils  der  Schalenobertiäche  vergrössert.  Auch  dazu 
geben  gewisse  Structuren  des  Mantels  Veranlassung,  die  wir  daher  zu- 
nächst betrachten  müssen.  Ihrer  Entstehung  nach  müssen  die  beiden 
Mantelfalten  Membranen  mit  freien  Rändern  sein,  welche  bei  geschlos- 
sener Schale  fest  gegen  einander  gepresst  werden.  Damit  nun  das 
Wasser  auch  dann  noch  ungehindert  aus-  und  einströmen  kann,  besitzt 
jede  Mantelhälfte  am  hinteren  Ende  zwei  Ausbuchtungen,  eine  obere 
und  eine  untere,  welche  den  Ausbuchtungen  der  anderen  Seite  genau 
entsprechen,  so  dass  bei  geschlossener  Schale  zwei  Oetfnungen  ent- 
stehen (Fig.  306).  Die  obere  Oeffnung  ist  die  Cloakenöffnung. 
da  sie  zur  Entleerung  der  Fäcalien  und  des  gebrauchten  Athemwassers 
dient ;  die  untere,  welche  das  Einfliessen  des  frischen  Athemwassers 
vermittelt,  ist  die  B  r  a  nc  h  i  a  1  öf  f  n  u  ng. 

Bei  vielen  Muscheln  verwachsen  die  beiden  Mantellappen  mit  ihren 
freien  Rändern  in  der  ventralen  Mittellinie  unter  einander  bis  auf  drei 
Oetfnungen,  welche  ausgespart  bleiben:  einen  Schlitz  für  den  Durch- 
tritt des  Fusses  und  die  beiden  schon  erwähnten  Oetfnungen,  welche  man 
nunmehr  B  r  a  n  c  h  i  a  1  -  und  A  f  t  e  r  -  ( Kloakal-)  S  i  p  h  o  nennt  (Fig.  309). 
Eine  weitere  Vervollkommnung  dieser  Einrichtung  wird  dadurch  herbei- 
geführt, dass  die  Umrandung  beider  Siphonen  sich  zu  langen  Röhren,  den 
Siphonairöhren  verlängert,  welche  durch  besondere  Muskeln  zurückge- 
zogen und  wieder  in  die  Länge  gestreckt  werden  können  (Fig.  310).  Die 
Rückziehmuskeln  der  Siphonairöhren  sind  die  Ursache  der  Einbuchtung  der 
Mantellinie,  indem  sie  ihren  Ursprung  von  der  inneren  Schalenwand 
nehmen  und  so  Veranlassung  werden,  dass  der  Randbezirk  der 
engeren  Vereinigung  von  Mantel  und  Schale  sich  einwärts  vergrössert 
(Fig.  307). 


Fig.  3(16—310.  Sipkonier  und 
Asiphonier  von  rückwärts  ge- 
sehen. Fig.  308.  Anwhnta  cyy- 
ttea.  Fig.  309.  hocaniia  cor. 
Fig.  310.  Lvtrttria  clliptira.  a 
Afteraipho,  b  Branchiakipho,  kJ 
äussere»*,  k"  inneres  Kiemenblatt. 
m  Mantel,*«  Schale.  /  Fuss. 


Fig.  310.      Fig.  309.     Fig.  306. 


Dünnschliffe  durch  die  Schale  (Fig.  311)  lassen  an  derselben  drei 
Lagen  erkennen,  zu  äusserst  die  Cuticula,  eine -nur  aus  organischer 


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II.  Lainellibranchier. 


31!> 


Masse  bestehende  Schicht,  darunter  zwei  weitere  Lagen,  die  im  Wesent- 
lichen aus  kohlensaurem  Kalk  bestehen,  von  denen  die  äussere  die 
Prismen  Schicht,  die  innere  die  Perlmutterschicht  heisst  Die 
Prismenschicht  hat  ihren  Namen  von  kleinen,  zur  Oberfläche  senkrechten 

  viclkantigen  Prismen,  die  wie  die  Pflaster- 
steine dicht  zusammengefügt  sind;  die 
Perlmutterschicht  dagegen  zeigt  dflnne  La- 
mellen, welche  im  Grossen  und  Ganzen 
der  Oberfläche  parallel  geschichtet  sind 
und  um  so  schöner  irisiren,  je  feiner  sie 
beschaffen  sind.  Namentlich  bei  den  tech- 
nisch verwerthbaren  Perlmutterschalen, 
welche  von  zwei  Arten,  der  Melagrina  und 
der  Margaritana  margaritifera ,  stammen, 
sind  die  einzelnen  Lagen  von  ausserordent- 
licher Feinheit.  Wenn  zwischen  die  Schale 
und  die  mit  der  Schalenbildung  betraute 
Oberfläche  des  Mantels  Fremdkörper  ge- 
rathen,  so  reizen  sie  das  Epithel  zu  stär- 
kerer Ausscheidung  von  Perlinuttersubstanz 
und  werden  von  zahlreichen  Schichten  der- 
selben umhüllt  und  abgekapselt.  Auf  diese 
Weise  entsteht  eine  Perle;  Perlen  sind 
somit  krankhafte  Producte,  deren  Bildung 
künstlich  durch  Einführen  von  Fremdkör- 
pern veranlasst  werden  kann. 

Zwischen  dem  Mantellappen  und  der 
Körperoberfläche  liegen  die  Kiemen, 
deren  lamellöse  Gestalt  den  Namen  La- 
mellibranchier  veranlasst  hat  (Fig.  312,  313). 
Auf  jeder  Seite  des  Körpers  sind  zwei 
Kiemenblätter  vorhanden,  von  denen 
selten  das  äussere  durch  Rückbildung 
verloren  geht.  Indem  zumeist  die  Kiemen 
der  linken  und  rechten  Seite  hinter  dem 
Körper  der  Muschel  verwachsen,  erzeugen 
sie  eine  Scheidewand,  welche  den  Mantel- 
raum  in  eine  kleine  obere  und  eine  geräumige  untere  Etage  theilt 
(Fig.  312).  Erstere  ist  die  Cloake,  da  in  sie  der  After  mündet  und 
aus  ihr  der  Aftersipho  ableitet ;  letztere  ist  die  Athemhöhle,  sie  erhält 
durch  den  Branchialsipho  das  Athemwasser  zugeführt,  Einwärts 
und  nach  vorn  von  den  Kiemen  liegen  zwei  Paar  Lappen,  welche 
ebenfalls  stark  mit  Flimmerepithel  bedeckt  sind,  die  Mundöffnung 
umfassen  und  Mundsegel  heissen. 

Die  Kiemen  der  Lamellibranchier  besitzen  verschiedene  Grade  der  Aus- 
bildung. Die  Nuculiden  —  unter  den  lebenden  Formen  die  primitivsten  — 
haben  noch  ächte  Ktenidien  wie  die  meisten  Mollusken,  und  zwar  jederseits 
des  Fusses  eine  Kammkieme,  an  der  man  eine  dem  Körper  angewachsene 
Axe  und  eine  äussere  und  innere  Reihe  von  Kiemenblättern  unterscheiden 
kann.  Aus  der  Kammkieme  lässt  sich  ohne  Schwierigkeit  die  Faden- 
kieme ableiten.  Indem  jedes  Kiemenblättchen  in  einen  langen  Faden  aus- 
wächst, entstehen  sowohl  in  der  linken  wie  rechten  Mantelhöhle  2  Reihen 
von  Fädchen,  eine  innere  und  eine  äussere;  die  Fädchen  einer  Reihe  sind 


Fü 


311. 
von 


Schliff  durch  die 
Anoihmla.  I  Perl- 
iniitterschicht,  p  Prisnienschicht, 
c  Cuticula. 


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4 


320  Weichthiere. 

so  dicht  aneinander  gefügt,  dass  sie  den  Eindruck  eines  zusammenhängenden 
Blattes  hervorrufen.  Eine  ächte  Blattkieme  entsteht  jedoch  erst,  wenn  be- 


Fig.  312.  Bau  der  Ttichmutchel,  Hantel  und  Kiemen  dor  rechten  Seite  ab- 
getragen, I'cricani  geöffnet,  Leber  der  rechten  Seite  entfernt  gedacht;  Einpeweide 
hihI  Nervensystem  etwa*  Bchematüch  eingezeichnet.  /  vorderer,  2  hinterer  Auductor, 
/  Gerebral-,  //  Pedal-,  H/Visceralgangtt'on,  a  Afterupho,  Irr  Branchialsipho,  by  oberer, 
/-■'  unterer  Schenkel  de*  BojanusWhen  Orpans,  r  Mündunp  desselben  nach  aussen, 
daneben  Mümlunp  <!<•><  ;<'r.ehleehtsup]»arats.  sp  Niercnsnritze  (Communication  der  Niere 
mit  dem  Pcricard),  '/  Darm.  wo  er  das  Herz  durchbohrt,  //'Kammer,  //*  rechte  Vor- 
kammer «Ii  s  Herzens,  g  Geschlechtsdrüse,  /  linke  I^clicr.  /'  Mündunp  der  rechten  Ix?ber, 
tu  Mapen,  fu  Fuss,  ml  Mantellinie,  rx  vorderer,  r!  hinterer  Ketraetnr,  A'1  Insertionen 
der  beiden  Lamellen  des  inneren  rechten  Kiemenblatts.  K*  innere  linke,  A'*  äussere 
linke  Kieme,  r  Mundsegel. 

nachbarte  Fädchen  in  Zwischenräumen  mit  einander  verwachsen,  wobei 
zwischen  den  Verwachsungsstellen  Hoffnungen  oder  Kiemenspalten  übrig 
bleiben.  Zum  genaueren  Verständniss  der  Faden-  und  Blattkiomen  muss 
noch  hervorgehoben  werden,  dass  jedes  Kiemenfädchen  am  freien  Rand 
der  Kieme  umbiegt  und  nach  der  Basis  zurück  läuft,  so  dass  man  an  ihm 
einen  absteigenden  und  aufsteigenden  Schenkel  unterscheiden  kann.  So 
erklärt  sich,  dass  bei  den  Blattkiemen  jedes  Kiemenblatt  aus  2  einen 
Binnenraum  umschliessenden  Lamellen  besteht,  von  denen  die  eine  Lamelle 
aus  den  absteigenden,  die  andere  aus  den  aufsteigenden  Schenkeln  der 
Kiemenfäden  durch  Verwachsung  entstanden  ist.  Der  Binnenraum  der 
Kieme  dient  öfters  zur  Aufnahme  der  jungen  Brut, 
»u»!  and  Der  vollkommene  Einschluss  des  Körpers  in  Mantellappeu  und 
ttJmZ  Schalen  hat  bei  den  Muscheln  zu  einer  gänzlichen  Rückbildung  des 
Kopfes  und  seiner  Anhänge  geführt;  man  kann  daher  am  Körper  nur 
zwei  Abschnitte  unterscheiden,  dorsal  den  Eingeweideknäuel,  ventral 
den  Fuss.  Der  Fuss,  welcher  bei  manchen  Arten  ebenfalls  rfick- 
gebildet  wird,  ist  eine  beilförmige  Muskelmasse,  welche  enorm  an- 
schwellen und  dann  wieder  zusammenschrumpfen  kann.  Vielfach  er- 
klärte man  das  Anschwellen  des  Fusses  durch  Aufnahme  von  Wasser 
in  das  Blut:  jetzt  wird  allgemein  angenommen,  dass  das  Anschwellen 


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II.  Lamellibranchier. 


321 


des  Fusses  damit  zusammenhängt,  dass  Blut  aus  anderen  Körper- 
provinzen in  ihn  hineingepresst  wird.  Kann  der  Fuss  durch  seine  ver- 
schiedene Anfüllung  mit  Blut  zum  Kriechen  dienen,  so  besitzt  er  bei 
vielen  Muscheln  ausserdem  noch  die  besondere  Bedeutung  eines  Haft- 
organs ;  in  ihm  liegt  dann  eine  ansehnliche  Drüse,  welche  seidenartige 
Fäden,  den  Byssus,  zu  erzeugen  vermag  (Fig.  314);  ein  fingerförmiger 
Fortsatz  des  Fusses  dient  zum  Anheften  der  Fäden,  deren  anderes  Ende 
mit  dem  Fuss  in  Zusammenhang  bleibt.  Muscheln,  welche  eine  Byssus- 
drüse  besitzen,  findet  man  mittelst  eines  dicken  Bausches  von  Byssus- 
fäden  an  Steinen,  Pfählen  etc.  fest  verankert. 


Fig.  314.  Mytilu.«  ctlaHs  (aus  Blan- 
eharm.  a  Mantelrand ,  b  Spinnfinger 
des  Fusses,  r  Byssus,  d,  e  Retractoren 
den  Fusses,  f  Mund ,  y  Mundlappen, 
h  Mantel,  i  innere,  j  äussere  Kieme. 

Fig.  313.  Die  Figur  giebt  in  schematischcr  Weise  2  auf  eine  Ebene  projicirte 
Querschnitte  wieder,  deren  I^ige  durch  die  Pfeile  der  Figur  312  bezeichnet  wird. 
/  Schalenband,  ach  Schale,  tu  Mantel,  bl  ol>erer,  b1  unterer  Schenkel  des  Bojanus'schen 
Organs,  sp  Nierenspritze,  0  Mündung  der  Niere  nach  aussen,  daneben  die  Geschleehts- 
«"»ffnung,  y  Geschlechtsorgane.  //'  Herzkammer,  den  Enddarm  umschliessend,  h*  Vor- 
kammer, d  Darm,  klt innere,  k-  äussere  Kieme,  n  Cerebrovisceraleommissur,  /•  Venen- 
sinus, fit  Fuss. 


t\  Im  Eingeweideknäuel  liegt  am  meisten  dorsal  das  ansehnliche, 
vom  Pericard  umhüllte  Herz:  eine  Kammer  mit  einer  linken  und 
rechten  flügeiförmigen  Vorkammer  (Fig.  312  A1  u.  Ä*).  Die  Vorkammern 
empfangen  das  Blut  direct  von  den  Kiemen:  die  Kammer  leitet  es 
weiter  durch  eine  vordere  und  hintere  Aorta  an  die  Körperprovinz 
(Fig.  312). 

Dicht  unter  dem  Herzbeutel  stösst  man  bei  der  Präparation  auffloi*«"*»^« 
die  Nieren  oder  die  Bojanus'schen  Organe.  Die  Organe  der  0tf*a'' 
linken  und  rechten  Seite  tretfen  in  der  Mittellinie  zusammen  und  können 
mit  ihren  Ausführwegen  sogar  eine  Strecke  weit  verwachsen  sein.  Jede 
Niere  besteht  aus  einem  oberen  glattwandigen  und  einem  unteren,  von 
Balkenwerk  durchzogenen  Hohlraum,  welche  beide  am  hinteren  Ende 
in  einander  übergehen,  sonst  aber  durch  eine  dünne  Scheidewand  von 

Her t wir,  Uhrbuch  der  Zoolofte.   3.  Auflage.  0\ 


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322  (  Weichthiere. 

einander  getrennt  bleiben.  Der  untere  Hohlraum,  die  Bojanussche 
Höhle  im  engeren  Sinne,  hängt  an  seinem  vorderen,  sonst  blind  ge- 
schlossenen Ende  durch  einen  flimmernden  Canal,  die  Nierenspritze, 
mit  dem  Herzbeutel  zusammen;  der  obere  Hohlraum  dagegen,  die 
„Vorhöhle",  mündet  durch  einen  kurzen  Canal,  den  Ureter,  an  der  Seiten- 
wand des  Körpers  im  Bereich  des  Binnenraums  der  inneren  Kieme  nach 
aussen.  Eine  Communication  führt  somit  vom  Herzbeutel  in  die  Bo- 
janus'sche Höhle,  von  hier  in  die  Bojanus'sche  Vorhöhle  und  schliess- 
lich durch  den  Ureter  in  die  Mantelhöhle.  Diesen  Weg  benutzen 
öfters  die  Geschlcchtsproducte.  indem  Hoden  und  Ovarien,  sei  es  in 
den  Herzbeutel,  sei  es  in  die  Niere  münden.  Doch  gilt  im  Allgemeinen 
die  Regel,  dass  eine  selbständige  Geschlechtsöffnung  neben  dem  Nieren- 
porus  lagert.  Hoden  und  Ovarien  der  meist  gonochoristischen  Thiere 
sind  acinöse  Drüsen  mit  einfachem  Ausführweg  ohne  weitere  Hilfs- 
organe. —  Der  D  a  r  in  beginnt  mit  einem  kurzen  Oesophagus,  erweitert 
sich  zu  einem  ansehnlichen  Magen  und  behält  dann  nach  abermaliger 
Verengerung  bis  zum  After  den  gleichen  Durchmesser  bei;  er  bildet 
viele  in  einander  geschlungene  Windungen.  Der  Endabschnitt  tritt 
merkwürdiger  Weise  von  vorn  und  unten  in  den  Herzbeutel  ein  und 
durchbohrt  die  Herzkammer,  um  schliesslich  dorsal  und  rück- 
wärts aus  dem  Pericard  auszutreten  und  in  die  Cloake  zu  münden. 
In  seinem  Verlauf  ist  der  Darm,  abgesehen  von  den  Geschlechtsdrüsen, 
noch  von  den  Lappen  einer  ansehnlichen  Leber  umhüllt,  deren 
Seeret  durch  je  einen  Ausführweg  von  links  und  rechts  in  den  Magen 
entleert  wird. 

Die  drei  Molluskenganglien  sind  ungewöhnlich  weit  von  ein- 
ander entfernt.  Die  beiden  Hirnganglien  (Cerebro -Pleuralganglien) 
liegen  beiderseits  der  Mundötfnung  dicht  unter  dem  vorderen  Ende 
der  Mundlappen  und  ventral  von  den  vorderen  Adductoren:  sie  sind 
durch  eine  lange  Quercommissur,  die  dorsal  die  Mundhöhle  umgreift, 
verbunden  und  auffallend  klein,  da  Kopfaugen  und  Tentakeln  fehlen. 
In  geringer  Entfernung  vom  After  ventral  vom  hinteren  Adductor 
findet  man  die  Visceralganglien  (Parieto-Visceralganglien)  zu  einem 
einheitlichen  Körper  vereint.  Auch  die  Pedalganglien  der  beiden 
Seiten  sind  dicht  an  einander  gefügt;  sie  ruhen  ziemlich  weit  vorn 
auf  der  Muskelmasse  des  Fusses.  Von  höheren  Sinnesorganen 
sind  constant  nur  die  II örblä sehen,  welche  auf  den  Pedalganglien 
liegen  ;  als  Sinnesorgane  sind  dann  ferner  noch  die  nervenreichen 
Mundlappen  anzusehen  und  zwei  kleine  Epithelanschwellungen  an  der 
Basis  der  Kiemen  (Geruchsorgane,  Osphradien).  Wenn  Augen  vor- 
kommen, so  sind  sie,  wie  bei  den  Pectenarten,  in  grosser  Zahl  wie 
Perlen  am  Mantelrand  aufgereiht  und  somit  vollkommen  andere  Bil- 
dungen als  die  Kopfaugen  der  übrigen  Mollusken.  Kleine  Tentakel- 
chen, welche  ausser  den  Augen  am  Mantelrand  besonders  in  der 
Gegend  der  Siphonen  vorkommen,  zeigen,  dass  auch  sonst  der  Mantel- 
rand  als  Sinnesorgan  verwandt  wird. 

Während  der  Entwicklung  beobachtet  man  sehr  häufig  das  zur 
Ausbreitung  dienende  Veligerstadium  (Fig.  303);  aber  auch  wenn 
dasselbe  fehlt,  kann  die  Entwicklung  den  Charakter  der  Metamorphose 
nehmen,  wie  z.  B.  bei  unseren  Anodontcn.  Die  junge  Brut  unserer  Teich- 
muscheln, die  in  den  mütterlichen  Kiemen  aufwachsenden  Glochidien, 
unterscheidet  sich  vom  Mutterthier  durch  die  Anwesenheit  der  Byssus- 
faden ;  ferner  ist  anstatt  zweier  Adductoren  nur  einer  vorhanden ;  endlich  hat 


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II.  Lainellibranchier :  Protoconchen.  323 


der  freie  Schalenrand  jederseits  einen  Haken ,  mit  denen  sich  die  jungen 
Thiere  an  vorbeischwimmenden  Fischen   festhaken  (Fig.  315).    Sie  er- 
reichen die  Fische,  indem  sie,  wie  manche  andere  Muscheln  es  ebenfalls 
thun,  durch  Zusammenklappen  der  Schalen 
schwimmen;   in    der  Fischhaut  erzeugen 
sie  einen  Entzündungsherd,  in  dessen  Inne- 
rem sie  heranwachsen  und  unter  Erneue- 
rung der  Schale  und  der  Schliessmuskeln 
die   definitive   Gestalt   annehmen.  Nach 
beendigter  Metamorphose  fallen  die  jungen 
Muscheln  ab,  um  im  Schlamm  halb  ver- 
graben weiter  zu  leben. 

Für  die  Systematik  der  Lamellibran- 
ckier  sind  der  Bau  der  Kiemen,  des  Mantel-       Fig.  315.   Glochidium  von  Ano- 

randes  und  der  Adductoren  wichtig.    Ein     don*.a  (a™  Balfour).    *w  Byssus, 
A         .       .  .  i _      -j*  Bumeahaare ,  ad  Adductor,  sh 
jeder   dieser  Apparate  zeigt  höhere   und  Schale. 

niedere    Entwicklungsstufen.    Bisher  hat 

man  meist    einseitig    das  eine  oder  das 

andere  Merkmal  benutzt.  Zu  einem  natürlichen  System  wird  man 
jedoch  nur  gelangen,  wenn  man  die  verschiedenen  Apparate  möglichst 
gleichmässig  berücksichtigt,  wie  dies  im  Folgenden  geschehen  soll.  Es 
sollen  hier  die  Muscheln,  welche  besonders  in  der  Bildung  der  Kiemen  und 
des  Schlosses  auf  einer  niederen  Stufe  verharren,  als  Protoconchen  von  den 
höher  entwickelten  Heteroconchen  unterschieden  werden. 


I.  Ordnung.  Protoconchen. 

Der  primitive  Charakter  der  Protoconchen  giebt  sich  vor  Allem 
im  Bau  der  Kiemen  zu  erkennen,  welche  entweder  Kammkiemen  (Proto- 
branchier)  oder  Fadenkiemen  (Filibranchicr)  sind.  Doch  wird  hier 
und  da  schon  die  Verwachsung  der  Kiemenfäden  zu  Blättern  angebahnt 
(Pectiniden,  Ostreiden).  Schloss  und  Ligament  sind  symmetrisch  zum 
Umbo  entwickelt  oder  weichen  wenig  von  der  Symmetrie  ab.  Ersteres 
kann  fehlen,  letzteres  ist  öfters  ganz  oder  zum  Theil  in 's  Innere  ver- 
lagert Die  Mantelränder  sind  frei,  selten  finden  sich  die  ersten  Spuren 
von  Verwachsung. 

I.  Unterordnung.  Dimyarier  oder  Homomyaricr.  Mit  zwei  gleich  starken 
Adductoren  sind  ausgerüstet:  die  taxodonten  Nuculiden  {Nucula  rostrata  Lam.) 
und  Arciden  {Area  Noae  L.).  Die  Xuculiden  (auch  Protobranckier  genannt) 
sind  janter  den  lebenden  Muscheln  am  ursprünglichsten  gebaut,  indem  sie 
Kammkiemen  und  einen  zum  Kriechen  dienenden  sohlenförmigen  Fuss  be- 
sitzen. Auch  sind  Pleural-  und  Cerebralganglien  noch  von  einander  ge- 
trennt. — 

II.  Unterordnung.  Anisomyarier.  Vorderer  Adductor  rudimentär  (Hctero- 
myarier)  oder  gar  nicht  vorhanden  (Monomyarier).  Mit  Ausnahme  der 
iaodonten  Spondyliden  ($p.  yarderoptis  L.)  sind  alle  hierher  gehörigen  Familien 
ohne  Schloss  (dysodont).  Zu  den  Iletcromyaricm  gehören  die  MyliUden, 
Muscheln  mit  starkem  Byssus  und  herzförmiger,  nach  dem  vorderen  Ende 
zu  einer  Spitze  ausgezogener  Schale:  Pinna  nobüu  L.,  über  einen  Fuss 
gross,  Byssus  lang  und  seidenartig,  zu  Gespinnsten  verwerthbar.  Mytihts 
edulis  L.,  Miessmuschel  (Fig.  313),  eine  etwa  3-  -5  cm  lange,  schwarzblaue 
Muschel,  die  sich  in  Massen  im  Meer  an  Pfählen  und  Mauerwerk  der 
Hai'enbauten  ansiedelt;  wegen  ihres  Wohlgeschmacks  vielerorts  (besonders 

21* 


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Weichthiere. 


in  Tarent)  cultivirt;  zeitweilig  wie  die  Auster  giftig.  Drcyssena  polymorj>ha 
Pall.  (von  Mylihis  im  Bau  der  Kiemen,  des  Blutgefäss-  und  des  Nervensystems 
wesentlich  unterschieden),  leht  im  Brakwasser  und  dringt  in  das  Süsswasser 
vor;  aus  ihrer  Heimath  (caspisches  Meer,  schwarzes  Meer;  in  die  Flüsse 
Russlands  verschleppt,  langt  sie  seit  einiger  Zeit  an,  sich  vom  Norden  aus 
auch  in  Deutschland  zu  verbreiten.  JAthodomus  dactylus  L.,  essbar.  bohrt 
Steine  an;  am  bekanntesten  sind  die  Bohrlöcher  am  Serapistempel  in  der 
Neuzeit  als  Fischbehülter  gedeutet)  von  Pozzuoli.  —  Kine  zweite  Familie.  , 
die  Aviculiden,  hat  ihren  Namen  von  den  flügelartigen  Fortsätzen,  welche 
den  Schlossrand  einnehmen.  Am  bekanntesten  ist  Mekagrina  margaritifcra  L.. 
die  echte  Perlmuschel  des  indischen  und  stillen  Oceans,  auch  in  West- 
indien heimisch ;  die  Perlmutterschicht  besonders  fein  structurirt  und  an- 
sehnlich dick,  vielfach  zu  Schrauckgegeuständen  verwandt,  liefert  allein  die 
feinen  theuren  Perlen.  —  Monomyarier  sind  die  Ostrciden  oder  Austern. 

Muscheln,  welche  mit  der  linken,  seltener  mit  der 
rechten  Schalenklappe  am  Meeresgrund  festgewacbsen 
sind  (Austernbänke):  Östren  edulis  L.  zuweilen  giftig. 
Ferner  gehören  hierher  die  Peetinidm,  deren  kamrn- 
t  förmig  geriefte  Schalen  vielfach  an  Stelle  von  Tellern 

benutzt  werden .  deren  Mantelrand  reichlich  mit  Ten- 
takeln und  smaragdgrünen  Augen  besetzt  ist.  Pccftn 
Jivuharns  L. 


Fig.  31«.  Tnrdo 
(atalis.  A  das  Thier 
in  der  geöffneten 
Kalkröhre  mit  her- 
ausgezogenen Si- 
phoneu.  B  einige 
Zähne  der  Kopf- 
platte stark  vergrös- 
eert.  a  Aftcrsipho, 
l>  Branchiabipho,  k 
Kopfplatten  (beha- 
lt •),  r  Köhre. 


II.  Ordnung  Heteroconcben. 

Die  llcteroconchen  haben  stets  lamellöse  Kiemen, 
deren  Oberfläche  häufig  eingefaltet  ist  (Riff  kiemen). 
Das  Schloss  —  in  seltenen  Fällen  (Anodonia)  durch 
Rückbildung  verloren  gegangen  —  ist  heterodont 
oder  durch  Umbildung  aus  dem  heterodonten  Schloss 
entstanden.  Nur  selten  sind  die  Mantelränder  in 
ganzer  Ausdehnung  von  einander  getrennt,  meist 
sind  Siphonen  vorhanden,  bei  einem  Theil  der  Arten 
klein,  so  dass  sie  keinen  Einfluss  auf  die  Mantel- 
linie gewinnen  Integripalliata  — ,  in  anderen 
Fällen  gewaltig,  so  dass  eine  deutliche  Mantelbucht 
vorhanden  ist  —  Sinupalliata.  Vorderer  und  hinterer 
Adductor  sind  gleich  stark. 

L  Unterordnung.  InkijrijmUiaten.  Die  Siphonen 
fehlen  meist  gänzlich  bei  den  Najadcn,  welche  in  Hun- 
derten von  Arten  im  Süsswasser  verbreitet  sind.  Die 
europäischen  Formen  vertheilen  sich  auf  die  Gattungen 
Anodonta  und  TJnio.  Die  Anodonten  oder  Teichmuscheln 
haben  dünne  Schalen  ohne  Schlosszähne;  die  Unionen 
dagegen  besitzen  eine  dicke  Perlmutterlage  und  an- 
sehnlich entwickelte  Schlosszähne.  Am  schönsten  ist 
die  Perlmutterschicht  bei  Unio  {Margarüana)  margariti- 
fcra L.,  welche  zur  Perlmutterfabrikation  verwandt 
wird  und  die  minderwerthigen  deutschen  Perlen  liefert; 
das  Thier  lebt  besonders  häufig  in  Bächen  des  Fichtel- 
gebirges, des  bayrischen  und  Böhmerwaldes,  findet 
sich  aber  auch  in  Sachsen,  Hannover,  Schottland  etc. 


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II.  Lamellibranchier:  Heteroconchen. 


325 


i 


Fig.  317.  Röhrn 
von  Aspert/illum  ta- 


—  Mit  kleinen  Siphonen  sind  ausgerüstet  die  Tridacntden ,  zu  denen  die 
grösste  Muschel,  die  Trulacna  gigas  Lam.  gehört,  deren  Schalen  über 
4  Fuss  gross  und  3  Ctr.  schwer  werden  können.  Eine 
weitere  marine  Familie  sind  die  Carduten,  Herz- 
muscheln: Cardium  cduie  L.  Im  Süsswasser  sind  die 
Cycladiden  verbreitet,  kleine,  erbsen gross©  Muscheln,  die 
sich  von  jungen  Najaden  durch  ihre  dünnen  Schalen 
und  die  daraus  hervortretenden,  zarten  Siphonen  unter- 
scheiden. Cyclas  Cornea  L.  lHsidium  atnnicum  Müll. 
An  die  wahrscheinlich  ebenfalls  hierher  gehörigen  f.-ha- 
midcn  reihen  sich  an  die  ausgestorbenen,  der  Kreide 
angehörigen  Rudisien,  deren  rechte  Schale  festgewachsen 
und  zu  einem  thurmartigen  Kegel  verdickt  war,  trotz- 
dem aber  nur  einen  sehr  kleinen  Binnenraum  ent- 
hielt, welcher  von  der  linken  deckelartigen  Schale  ge- 
schlossen wurde. 

II.  Unterordnung.  SinupaUiaten.  Typische  Reprä- 
sentanten sind  die  von  der  schönen  Färbung  ihrer 
Schalen  den  Namen  führenden  Vener ülvn  und  die  Telli- 
niden  mit  ovaler,  flach  gewölbter  Schale:  Venus  paphiu 
L.  und  Teüina  baltica  L.  —  Bei  vielen  SinupaU taten 
werden  die  Siphonen  so  lang  und  kräftig,  dass  sie  in 
die  relativ  kleinen,  an  beiden  Enden  stets  klaffenden 
Schalen  nicht  zurückgezogen  werden  können:  Myidni,  gint forum,  «Schale 
Klaffmuscheln,  und  Soleniden  Messermuscheln  {Solen  (awLiidwigLeunto. 
cag'tna  L.).  —  Das  leitet  uns  Über  zu  Muscheln, 
deren  vereinigte  Siphonen  den  übrigen  Körper  bei  Weitem  an  Ausdeh- 
nung übertreffen,  so  dass  die  Thiere  die  Gestalt  eines  Wurmes  an- 
nehmen (Fig.  316).  Da  die  beiden  Schalenklappen  nicht  ausreichen,  den 
Körper  zu  bedecken,  so  werden  sie  in  verschiedenem  Grade  rudimentär 
und  können  durch  accessorische  Stücke  ergänzt  werden,  oder  der  wurm- 
förmige  Körpor  erzeugt  eine  Kalkröhre,  ähnlich  der  Röhre  eines  Röhren- 
wurmes, in  welcher  die  Schalenrudimente  noch  eingeschlossen  sind :  Pkola- 
diden,  Bohrmuscheln  genannt,  weil  sie  in  Holz  und  Stein  ihre  Gänge  bauen. 
Pholas  dactylus  L.  mit  ansehnlichen  Resten  der  Muschelschale  und  grossen 
accessorischen  Schalenstücken,  vermag  im  härtesten  Stein  zu  bohren,  ausge- 
zeichnet durch  starkes  Meerleuchten.  Tercdo  naralis  L.,  Schiffsbohrwurm  (Fig. 
31 G),  sieht  wie  ein  weichhäutiger  Wurm  aus,  da  sowohl  die  Muschelschale 
als  auch  die  accessorischen  Stücke  äusserst  klein  sind ;,  er  bohrt  im  Holz 
Gänge,  die  er  mit  Kalk  auskleidet;  dadurch  wird  er  Schiffen,  sofern  sie 
nicht  mit  Kupferplatten  bedeckt  sind,  und  hölzernen  Hafen-  und  Damm- 
bauten gefährlich;  er  war  Ursache  von  den  grossen  holländischen  Damm- 
brüchen, die  sich  in  vorigem  und  diesem  Jahrhundert  mehrfach  wiederholt 
und  grosse  Opfer  an  Menschenleben  gefordert  haben.  Bei  den  Gastro- 
cftaeniden,  Giesskannenmuscheln,  endlich  steckt  der  Weichkörper  in  einer 
nahe  dem  hinteren  Ende  verbreiterten  Röhre,  in  welcher  die  beiden  Schalen- 
klappen noch  deutlich  zu  erkennen  sind ;  das  schmale  Ende  der  Röhre  ist 
offen,  das  breitere  durch  eine  durchlöcherte,  an  eine  Giesskannenbrause 
erinnernde  Platte  geschlossen  (Fig.  316).    Asprgillnm  iivjinifWmn  Lam. 


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Weichthiere. 


III»  C  la.>se. 
(Vphalophorcn,  Gastropoden,  Schnecken. 

Die  Ccphalophoren  bilden  die  umfangreichste  Gruppe  unter  den 
Mollusken,  welche  daher  auch  einer  einheitlichen  Charakteristik  die 
meisten  Schwierigkeiten  bereitet.  Unsere  Landschnecken  nnd  die  vor- 
wiegend marinen  Prosobranchier  und  Opisthobranchier  zeigen  das  Wesen 
der  Classe  am  vollkommensten  ausgeprägt  und  müssen  daher  bei  der 
Schilderung  zu  Grunde  gelegt  werden;  bei  manchen  Formen  wie  den 
FissureUen  etc.  sind  die  Merkmale  gleichsam  in  Entwicklung  begriffen: 
bei  den  Hcteropoden  und  Pteropodcn  und,  wenn  man  die  Thiere  über- 
haupt zu  den  Ccphalophoren  rechnen  will,  den  Scnphopoden  dagegen 
sind  sie  schon  wieder  verwischt  und  inoditicirt. 

Bei  typischen  Schnecken  (cfr.  Fig.  3<)0)  finden  wir  einen  musculösen 
F  u  s  s ,  einen  E  i  n  g  e  w  e  i  d  e  s  a  c  k ,  einen  unpaaren  Mantel  mit 
Schale  und  einen  deutlich  abgesetzten  Kopf. 

Die  Muskelmasse  des  Fuss  es  ist  auf  der  ventralen  Seite  zu  einer 
Sohle  abgeplattet,  auf  welcher  die  Thiere  kriechen.  Man  unterscheidet 
an  ihm  zwei  nach  vorn  und  hinten  ausgehende  Fortsätze,  Propodium 
und  Metapodium :  auch  ist  in  ihm  öfters  eine  besondere  Drüse,  die 
Fussdrüse,  eingeschlossen. 

Der  Kopf  ist  mit  Ausnahme  weniger  Formen  durch  die  Anwesen- 
heit der  Fühler  ausgezeichnet;  dieselben  sind  musculöse  Fortsätze,  an 
deren  Basen  die  sehr  einfach  gehauten  Augen  liegen.  Bei  unseren 
Landschnecken  und  manchen  anderen  Formen  ist  dies  Verhältniss  in 
zwei  Punkten  modificirt:  erstens  werden  die  Fühler  rückziehbar, 
zweitens  erhebt  sich  die  Umgebung  der  Augen  und  wächst  zu  den 
Augenstielen  oder  den  hinteren  längeren  Fühlern  aus,  welche  bei  den 
marinen  Schnecken  nur  selten  vorkommen.  Die  Augenfühler  sind 
Schläuche,  in  deren  Innerem  ein  aus  dem  Fuss  abzweigender  Rück- 
ziehmuskel  bis  zur  Spitze  eindringt;  durch  die  Contractionen  des 
Muskels  werden  sie  wie  Handschuhfinger  umgestülpt  und  in  das 
Körperinnere  zurückgezogen,  so  dass  man  dann  ihr  äusserstes  Ende 
und  das  daselbsf  angebrachte  Auge  mitten  unter  den  Eingeweiden 
antrifft.  Eine  Ausstülpung  der  Fühler  wird  herbeigeführt,  indem 
ihr  Inneres  durch  Contraction  der  Körpermuskeln  mit  Blut  ausge- 
spritzt wird. 

Die  Munt  elfalte  beginnt  auf  dem  Rücken  der  Schnecke  und 
schlägt  sich  von  hier  nach  vorn  über  den  Rumpf  bis  in  die  Gegertd, 
wo  der  Kopf  beginnt.  Sie  überdeckt  die  Mantel-  oder  Athemhöhle, 
einen  ansehnlichen  Raum,  welcher  unter  dem  Mantelrand  durch  einen 
mehr  oder  minder  weiten  Spalt  nach  aussen  klafft  Der  Spalt  kann 
eingeengt  werden,  indem  die  Mantelfalte  in  einiger  Entfernuug  von 
ihrem  freien  Rande  mit  dem  Rückenintegument  verwächst,  bis  schliess- 
lich von  der  weiten  Connnunication  nur  ein  kleines,  durch  einen 
Muskel  vollkommen  verschliessbares  Athemloch,  das  Spi rac u  1  u  m , 


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III.  Cephalophoren.  327 

übrig  bleibt.  Eine  weitere  für  das  Verständniss  der  Schale  wichtige 
Bildung  ist  der  Sipho,  ein  lang  ausgezogener,  auf  seiner  unteren 
Seite  rinnenförinig  ausgehöhlter  Fortsatz  des  Mantelrandes,  der  zum 
Einleiten  des  Athemwassers  dient. 

Der  E  i  n  g  e  w  e  i  d  e  s  a  c  k  der  Schnecken  gewinnt  in  Folge  der 
starken  Ausbildung  der  Geschlechtsorgane  und  der  Leber  eine  be- 
deutende Ausdehnung.  Eine  Vergrösserung  nach  abwärts  wird  durch 
die  feste  Muskelmasse  des  Fusses  unmöglich  gemacht  und  so  drängen 
die  Organe  gegen  den  Rücken  und  buchten  die  Ursprungsstelle  der 
Mantelfalte,  den  Ort  des  geringsten  Widerstandes,  bruchsackartig  aus; 
manche  Organe  können  dabei  sogar  in  die  Decke  der  Mantelhöhle 
hineingerathen,  wie  Niere  und  Herz.  Ist  der  Eingeweidebruchsack, 
was  zumeist  zutrifft,  enorm  entwickelt,  so  bildet  er  keinen  gerade  auf- 
steigenden Höcker,  sondern  rollt  sich  von  links  nach  rechts  spiralig 
ein.  Je  älter  das  Thier  ist,  um  so  mehr  Spiralumgänge  müssen  ge- 
bildet werden  und  um  so  ausgedehnter  müssen  die  zuletzt  entstan- 
denen Umgänge  sein.  Der  Eingeweideknäuel  beginnt  daher  an  der 
Spitze  mit  engen  Windungen,  welche  nach  abwärts  immer  ansehnlicher 
werden. 

Nach  dem  Vorstehenden  ist  die  Beschaffenheit  der  Schnecken-  sch*ic 
sch  ale  leicht  verständlich;  als  ein  Ausscheidungsproduct  des  Mantels 
wird  sie  in  ihrer  Gestalt  von  der  Form,  die  der  Mantel  unter  dem 
Einfluss  des  Eingeweideknäuels  annimmt,  vollkommen  bestimmt.  Bei 
geringer  Ausbildung  des  Eingeweideknäuels  hat  die  Schale  die  Ge- 
stalt eines  chinesischen  Hütchens  (Pateila)  (Fig.  318),  oder  einer  nur 
an  der  Spitze  ein  wenig  spiral  eingerollten,  flachen  Mütze  (Haliotis) 
(Fig.  310).  Ist  der  Eingeweideknäuel  lang  gestreckt,  so  wird  auch  die 
umhüllende  Schale  im  Allgemeinen  eine  lange,  nach  dem  blinden  Ende 
zu  verjüngte  Röhre  sein.  Dieselbe  ist  selten  unregelmässig  gewunden, 
wie  die  an  Röhrenwürmer  erinnernden  Vcrmetiden  zeigen  (Fig.  320) ; 
raeist  ist  sie  nach  Art  einer  Uhrfeder  in  einer  Ebene  oder  wendel- 
treppenartig aufsteigend  eingerollt.  Im  letzteren  Falle  nimmt  die 
Schale  eine  mehr  oder  minder  ausgesprochene  Kcgelgestalt  an  (Fig. 
321),  und  man  kann  an  ihr  nun  eine  Spitze  (Apex)  und  eine  Basis 
unterscheiden;  inmitten  der  letzteren  findet  sich  zumeist  eine  Ver- 
tiefung, der  Nabel  (Urabo).  Wenn  die  einzelnen  Windungen  locker 
gefügt  sind  und  in  der  Umbo  und  Apex  verbindenden  Spindelaxe  nicht 
zusammenstossen,  so  ergiebt  sich  hier  (bei  den  Perspectivschnecken, 
Sealarien)  ein  Raum,  durch  den  man  hindurchsehen  kann :  meist 
schliesscn  jedoch  die  Windungen  fest  zusammen  und  verschmelzen 
zur  Bildung  einer  festen  Kalkspindel,  der  Columella  (Fig.  322  c), 
um  welche  die  Umgänge  herum  verlaufen. 

Die  Schneckenschale  wächst  bis  zu  einer  bestimmten  Grösse  am 
Mantelrand  weiter;  da  der  Mantelrand  die  untere  Schalenöffnung  be- 
zeichnet, müssen  notwendigerweise  die  Anwachsstreifen  der  Schalen- 
mündung parallel  gestellt  sein.  Am  Mantelrand  werden  auch  die  Pig- 
mente bereitet,  welche  bei  der  Bildung  der  Schale  in  diese  mit  über- 
gehen und  ihre  nicht  selten  prächtige  Färbung  bedingen.  Wenn  der 
Mantelrand  in  eine  lange  Rinne,  den  Sipho,  ausgezogen  ist,  so  erhält 
auch  die  Schale  einen  entsprechenden  Fortsatz :  man  unterscheidet  da- 
her holostome  Schalen  mit  glattrandiger  Mündung  (Fig.  321)  und 


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328  Weichthiere. 

siph'onostome  Schalen,  bei  denen  der  Mündungsrand  in  eine 
Siphonalrinne  verlängert  ist  (Fig.  322s). 


Fig.  3is.  Fifr.  32a 


Fig.  318—322.  Verschiedene  Schalcnfonnen.  Fig.  318.  Patrl/a  lottf/trosta.  Schale 
vom  Kücken  gesehen  (ans  Sehmarda).  Fig.  315».  Hai  tot  is  tuberculata.  Fig.  320  Schale 
von  Vermrtu«  deutiferus  (aus  Bronn).  Fig.  321.  Litltoglyphm  naticoiihs.  Schalen- 
eingang durch  Opercnlnin  geschlossen  (ans  Clessin).  Fig.  322.  Schale  eines  Mttrrr 
«öffnet  durch  Abschleifen  <lcr  unteren  Schalenumgänge.  C  Columella,  S  Sipho 
(nach  Schm arda). 

Im  Allgeineinen  ist  der  Contact  zwischen  Schale  und  Weichkörper 
leicht  zu  lösen  und  das  Thier  durch  geeignetes  Drehen  aus  der  Schale 
herauszunehmen ;  nur  in  der  Gegend  der  Mündung  ist  ein  engerer 
Zusammenhalt,  sowie  weiter  einwärts,  etwa  auf  halber  Höhe  der  Colu- 
meila, wo  sich  ein  besonderer  Muskel,  der  Musculus  columellaris 
inserirt  (Fig.  325  o.  Derselbe  zweigt  selten  unpaar,  meist  mit  einem 
linken  und  rechten  Strang  von  der  vorderen  Fussmuskulatur  ab  und 
steigt  in  der  Nachbarschaft  der  Schalenspindel  auf.  So  lange  seine 
Insertion  nicht  gelöst  ist,  kann  man  eine  Schnecke  nicht  aus  ihrem 
Gehäuse  unverletzt  herausbekommen.  Er  zieht  während  des  Lebens  die 
Schnecke  in  das  Haus  zurück,  zunächst  den  vorderen  Abschnitt  mit 
dem  Kopf,  dem  dann  weiter  das  hintere  Ende,  das  Metapodium,  folgt. 
Da  dabei  das  Metapodium  umgelegt  wird,  kommt  die  Sohle  desselben 
einwärts,  die  Rückenseite  nach  der  Mündung  zu  liegen.  Auf  dieser 
beim  retrahirten  Thier  allein  noch  nach  aussen  schauenden  Stelle  er- 
zeugen die  meisten  marinen  und  manche  Süsswasserschnecken  eine 
dicke  Kalkplatte,  das  Operculum,  welches  bei  eingeschlagenem 
Metapodium  den  Schaleneingang  vollkommen  schliesst.  Da  beim 
Wachsthuni  die  Schalenmündung  sich  vergrössert,  muss  auch  das  Oper- 
culum (Fig.  321)  sich  vergrössern;  um  vollkommen  der  Schalenöffnung 


III.  Cephalophoren. 


zu  correspondiren,  muss  es  ein  spirales  Waehsthuni  wie  die  gesammte 
Schale  einhalten,  weshalb  das  Operculum  auf  seiner  Oberfläche 
nicht  selten  eine  charakteristische  Spirallinie  zeigt  Unsere  ein- 
heimischen Schnecken  haben  meist  kein  Operculum,  wohl  aber  können 
sie,  wenn  sie  sich  zum  Winterschlaf  verkrochen  haben,  die  Schalen- 
mündung durch  eine  dicke  Kalkschicht,  das  Epiphragma,  absperren; 
im  Frühling  fällt  das  Epiphragma  ab,  indem  seine  Ränder  wieder  ge- 
löst werden. 

Die  meisten  Schnecken  haben  eine  dexiotrope  Schale,  d.  h. 
die  Schale  ist  derart  spiral  gewunden,  dass,  wenn  ein  Körper  sich  in 
ihren  Umgängen  von  der  Spitze  abwärts  nach  der  Basis,  also  in  der 
Richtung  des  Wachsthums  bewegen  würde,  er  die  Richtung  von  links 
nach  rechts,  wie  der  Zeiger  einer  Uhr,  einhalten  würde;  der  Körper 
würde  dabei  die  Spindelaxe  stets  zu  seiner  Rechten  haben.  Laeotrope, 
links  gewundene  Schalen  (Fig.  323)  sind  bei  wenigen  Arten  vorhanden 
und  finden  sich  als  seltene  Ausnahmen  auch  bei 
Thieren,  welche  sonst  dexiotrope  Schalen  besitzen. 
Auf  einem  Schliff  unterscheidet  man  an  der  Schale 
2  Schichten,  die  innere  lainellöse  Schicht,  die  zu- 
weilen schönen  Perlmutterglanz  hat  und  eine 
äussere  Lage,  welche  trüb  ist  und  auch  die  Pig- 
mente enthält,  die  Porcellanschicht  In  seltenen 
Fällen  fehlt  der  Mantel  und  dem  gemäss 
auch  die  Schale  gänzlich;  oder  der  Mantel  s«hiUV  von  ^aui?sU\s 
ist  vorhanden ,  die  Schale  aber  rudimentär  und  ran'nnfus  {am  I^unis- 
äusserlich  nicht  sichtbar,  weil  sie  von  Mantelfalten  Ludwig), 
ganz  umwachsen  ist.  In  solchen  Fällen  sind  die 
Eingeweide  nicht  zu  einem  Bruchsack  ausgestülpt.  Da  bei  schalen- 
losen Arten  die  Larven  einen  Mantel  und  eine  Schale  besitzen,  so  ist 
wohl  stets  der  Mangel  der  Schale  und  des  Mantels  durch  Rückbil- 
dung zu  erklären. 

Bei  der  inneren  Anatomie  der  Schnecken  muss  man  be- A,T°^",ic 
achten,  dass  nur  wenige  Formen  nach  Art  der  Amphineuren  und  Ha««weWc. 
Lamellibranchier  bilateral  symmetrisch  sind ;  gewöhnlich  hat  eine  der 
Drehung  des  Eingeweideknäuels  conforme  spirale  Drehung  der  Organe 
von  links  hinten  nach  rechts  vorn  stattgefunden  und  zu  einer  ver- 
schiedengradigen  Asymmetrie  des  Darms,  der  Niere,  der  Kiemen,  des 
Herzens  und  des  Nervensystems  geführt.  Beim  Darm  rückt  der  After 
nach  rechts  und  vorn  in  die  Athemhöhle  oder  in  die  Nähe  des  Kopfes: 
Nieren,  Herz,  Kiemen  und  das  mit  den  Kiemen  verbundene  Geruchs- 
organ (Osphradium)  wandern  mit  In  Folge  der  Drehung  kommen  die 
linken  Theile  rechts,  die  rechten  links  vom  After  zu  liegen ;  sie  zeigen  eine 
Tendenz  zur  asymmetrischen  Entwicklung,  indem  die  Organe  der  einen 
Seite  (zumeist  die  ursprünglich  links  gelegenen)  vollkommen  schwinden. 
Nimmt  auch  das  Nervensystem  an  der  Drehung  Theil,  so  entsteht  eine 
merkwürdige,  unter  dem  Namen  „C  h  i  a  s  t  o  n  e  u  r  i  e"  bekannte  Kreuzung 
der  Cerebro-Visceralcommissur. 

Der  Darm  beginnt  im  Kopf  mit  einem  musculösen,  nach  aussen 
vorstülpbaren  Schlund  köpf;  am  Grunde  desselben  erhebt  sich  die 
Zunge,  ein  dicker,  oft  von  einer  Art  Knorpel  gestützter  Muskelwulst, 
der  von  einem  euticularen  Blatt,  der  Radula,  überdeckt  ist.  Die 
Oberfläche  der  letzteren  ist  mit  spitzen,  nach  rückwärts  gekrümmten 


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330 


Wcichtbiere. 


Zähnen  bewaffnet  (Fig.  324  B  u.  (7).  welche  im  Allgemeinen  in  Quer- 
und  Längsreihen  gestellt  sind,  im  Uebrigen  aber  eine  so  grosse 
Mannichfältigkeit  der  Form,  Grösse  und  Anordnung  erkennen  lassen, 
dass  sie  mit  Vortheil  systematisch  verwerthet  worden  sind.  Obwohl 
die  Kadula  die  Zunge  bedeckt,  wird  sie  doch  nicht  vom  Zungenepithel 
gebildet,  sondern  vom  Epithel  des  Radulasacks  irs),  einer  ventralen, 
hinter  der  Zunge  liegenden  Ausstülpung  des  Schlundkopfs:  von  hier 
aus  wächst  sie  über  die  Zunge  hinüber  wie  der  Nagel  über  das  Nagel- 
bett, in  gleichem  Maasse.  als  sie  sich  beim  Gebrauch  am  vorderen 
Ende  abnutzt.  Beim  Fressen  dient  ferner  ein  unpaarer.  dorsaler  oder 
ein  Paar  lateraler  Überkiefer.  Der  auf  den  Schlundkopf  folgende 
Darm  bildet  eomplieirte  Windungen,  ehe  er  durch  den  After  meist 


»r»«n- 
»> stein. 


Flg.  3"24  A  ii.  Ii.  Schlundkopf  von  lMijr  uomatia, 
A  in  seitlicher  Ansicht,  öder  hänge  nach  aufge- 
schnitten, or  Oesophagus  .»;>  Speichelgantr.  rs  Hu- 
dttlasttck,  r  Hnduhi.  i  Zungcnknorpcl,  k  Kiefer,  m 
Muskeln,  <>  Mundöffnung. 

Fig.  V24  C.  Eine  Querroihe  der  Raduln  von  7ro- 
chw*  riwrarius  (nach  Sehmarda). 

rechts  vorn  neben  oder  in  der  Mantelhöhle,  selten  am  hinteren  Ende  in 
der  Mittellinie  nach  aussen  mündet  (Fig.  326).  In  ihm  sind  Magen, 
Oesophagus  und  Dünndarm  wenig  von  einander  gesondert,  da  der  Magen 
(m)  sich  ganz  allmählig  in  die  beiden  angrenzenden  Darmabschnitte  ver- 
jüngt. Die  Windungen  des  Darms  sind  umhüllt  von  der  Leber  (f), 
welche  vermöge  ihrer  starken  Ausbildung  den  Hauptbestandteil  des 
Eingeweidesacks  ausmacht.  In  den  Schlundkopf  mündet  ausserdem  noch 
ein  Paar  Speicheldrüsen  (sp)y  die  bei  den  Doliiden  die  physio- 
logische Merkwürdigkeit  zeigen ,  dass  sie  ein  freie  Schwefelsäure  ent- 
haltendes Secret  produciren. 

Das  N  e  r  v  e  n  syst  e  m  der  Ccphnlophoren  unterscheidet  sich  da- 
durch von  dem  der  übrigen  Mollusken,  dass  sich  meistens  in  der 
Visceralcommissur  gewisse,  sonst  mit  Visceral-  und  Cerebralganglien 
verschmolzene  Nervenknötchen,  die  Pleural-  und  Parietalganglien, 
gesondert  erhalten.  Sind  die  einzelnen  Conunissuren  kurz,  die  Ganglien- 
knötchen  in  Folge  dessen  im  Umkreis  des  Pharynx  vereinigt  und  da- 
durch dem  EinHuss  der  Spiraldrehung  entrückt,  so  erhält  sich  die 
symmetrische  Vertheilung  der  Ganglien,  die  Orthoneurie  (Fig.  325 II). 
Sind  dagegen  die  Cerebro -Visceralcominissuren  lang  ausgezogen,  so 
bildet  sich  fast  stets  die  C  h  i  a  s  t  o  n  e  u  r  i  e  heraus.  Pleural-  und 
Visceralganglien  bewahren  zwar  ihren  Ort,  dagegen  rückt  das  Parietal- 
ganglion  der  rechten  Seite  über  den  Darm  herüber  (daher  auch  G. 
supraintestinale  genannt)  nach  links,  das  linke  unter  dem  Darm  hindurch 
(G.  subintestinale)  nach  rechts  ;  die  gesammte  Cerebro-Visceralcommissur 
erfährt   hiermit   eine   Kreuzung    und   beschreibt    eine   Achter -Tour 


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III.  Ccphalophoren. 


331 


(Fig.  325  II).   Mit  der  starken  Entwicklung  des  Schlundkopfes  hängt 
die  Anwesenheit  besonderer  Bucealganglien  zusammen. 

Kiemen,  Niere  und  Herz  werden  am  besten  im  Zusammenhang*'**^1*'6« 
besprochen.  Gewisse  Schnecken  erinnern  noch  sehr  an  die  Lamclli- 
hranchier,  indem  das  Herz  vom  Mastdarm  durchbohrt  wird,  indem 
ferner  linke  und  rechte  Kiemen,  linke  und  rechte  Nieren  und  2  Vor- 
höfe des  Herzens  vorhanden  sind.  In  der  Regel 
findet  man  jedoch  nur  eine  einzige  kammförmige 
Kieme,  und  zwar  die  allerdings  meist  nach  links 
verschobene  rechte,  und  in  entsprechender  Weise 
auch  nur  1  Niere,  1  Geruchsorgan  und  1  Vor- 
kammer. Wie  in  anderen  Fällen,  so  wird  auch 
hier  die  Beschaffenheit  des  Herzens  von  der  Be- 
schaffenheit der  Kieme  bestimmt.  Die  hierin  sich 
äussernde  Corrclation  beider  Organe  wird  bei 
den  Schnecken  noch  nach  einer  anderen  Hinsicht 
bedeutungsvoll.  Man  unterscheidet  Opisthobran- 
chier  und  Prosobranchier ,  je  nachdem  die  Kie- 
men der  hinteren  oder  vorderen  Körperhälftc 
angehören.  Bei  den  Opisihobranchicrn  (Fig.  327) 
ist  das  Herz  annähernd  in  die  Körperaxe  ein- 
gestellt; da  es  von  rückwärts  die  Kiemenvene 
aufnimmt,  liegt  die  Vorkammer  nach  rückwärts 
und  vor  ihr  die  Herzkammer:  diese  giebt  in 
der  Richtung  des  Kopfes  die  Körperarterie  ab. 
Bei  der  Verlagerung  der  Kieme  nach  vorn  da- 
gegen (Fig.  32»))  hat  das  Herz  eine  Drehung  von 
mehr  als  90°  erfahren,  so  dass  nun  umgekehrt 
die  Vorkammer  am  meisten  nach  vorn  lagert,  die 
Herzkammer  und  die  Arterie  aber  nach  rückwärts 
schauen.  Was  die  sonstige  Beschaffenheit  des 
Blutgefässsystems  anlangt,  so  ist  dasselbe  zwar 
höher  als  bei  den  LamelUbranchicm  entwickelt, 
gleichwohl  kein  geschlossenes,  da  die  feineren 
Verästelungen  der  Arterien  mit  den  sinuösen 
Räumen  communiciren,  welche  die  Eingeweide 
umgeben  und  mit  Unrecht  Leibeshöhle  genannt 
werden. 

Der  wohl  entwickelte  Herzbeutel  zeigt  bei 
allen  ächten  Schnecken  die  als  Nierenspritze  be- 
kannte Verbindung  mit  der  Niere.  Letztere 
liegt  (mit  Ausnahme  der  Zygoltranchicr  und  Cyclo- 
branchier,  bei  denen  sie  paarig  ist)  als  ein  un- 
paarer,  drüsiger,  häufig  mit  Kalkeoncretionen 
gefüllter  Sack  neben  dem  Enddarm  und  mündet 
entweder  direct  in  den  Grund  der  Athemhöhh 

telst  eines  am  Enddarm  hinziehenden  Ureters  im  Spiraculum  neben 
dem  After  (Fig.  328).  Auch  kann  die  Niere  eine  reichlich  verästelte, 
baumartige  Anordnung  gewinnen. 

Der  bei  einigen  Formen  (Cyclobranchicm  und  manchen  Zygo- 
branchiem)  in  die  Niere  mündende  G  e  s  c  h  1  e  c  h  t  s  a  p  p  a  r  a  t  zeigt  zwei 
Extreme:  auf  der  einen  Seite  vollkommenen  Gonochorisnius.  auf  der 
anderen  Seite  den  höchsten  Grad  von  Hermaphroditismus  derart,  dass 


Fijr.  .m    I  Chiasto- 
neures  Nervennystem 
von     Pal  ml  hin  (nach 
lh<  riiiLr  au*  ( Jcgenbaur). 
II  Orthom-ures  Nerven- 
system  von  Limnaeus 
(iuu  li  Laeaze-Dut liiere). 
C  Orebralfianglion ,  P 
IVdaljianglion,  PI  Plen- 
ralgaiiL'lif  n  ,  sh  Subm- 
testinaljranglion,  ,s/>  Su- 
nraintrstinuliritii^lkm 
(Parietalganplim) ,  .4. 
Vi*ivrnljraiij:lion .  B 
Huceulganglien. 

(Fig.  320)  oder  mit- 


or»»ne. 


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332 


Weichthiere 


männliche  und  weibliche  Organe  fast  der  ganzen  Länge  nach  zu 
zwitterigen  Bildungen  vereint  sind.  Dazwischen  kommen  Uebergänge 
vor,  bei  denen  zwar  männliche  und  weibliche  Organe  in  demselben 


Fig.  iL'»!.  Anatomie  von  Cijorara  tiijrin  (nach  Qnoy  et  Gaimard).  oc  Auge, 
/>//  Pharynx  mit  herausgezogener  Hadula.  m  Hagen,  r  Enddarm,  h  Leber,  re  Niere, 
t  Hoden,  df  Vu  deferens,  Pennt,  br  Kieme,  e  I[<tz  (da«  neben  der  Kieme  ge- 
legene Organ  ist  wahrscheinlich  da»*  Geruehsorgan).    X  Olwres  Sehlumlpin^liiin. 

Thier  auftreten,  aber  nicht  die  enge  Vereinigung  zeigen,  welche  wir 
im  Folgenden  von  unseren  Lungenschnecken  beschreiben  wollen 
(Fig.  328). 

Die  Lungenschnecken,  ein  Beispiel  hochgradigsten  Hermaphrodi- 
tismus,  besitzen  eine  einzige  Zwitterdrüse,  die  in  einem  der  ersten 
Schalenumgänge  mitten  in  das  Lebergewebe  eingelassen  ist  (jr);  auf 
sie  folgt  ein  luannichfach  geschlängelter  Zwittergang.  Derselbe  erweitert 
sich  zum  sogenannten  Uterus  (u),  einem  dickwandigen  Canal,  an  welchem 
ein  besonderer  zweiter  Canal  für  den  Samen  herabzulaufen  scheint. 
Thatsächlich  ist  im  Innern  aber  nur  ein  einziges  Lumen  vorhanden 
und  das  verschiedene  Aussehen  nur  dadurch  bedingt,  dass  auf  der  einen 
Peripherie  die  Wandungen  des  Canals  durch  ansehnliche  eingelagerte 
Drüsen  verdickt  sind.  Eine  Trennung  der  beiden  Hauptcanäle  in  Vas 
deferens  und  Scheide  findet  erst  am  Ende  des  sogenannten  Uterus 
statt.  Das  Vas  deferens  (vd)  windet  sich  als  dünner  Canal  auf  Umwegen 
zum  Porus  genitalis;  hier  schwillt  es  zum  ausstülpbaren  Penis  (p)  an, 
mit  welchem  ein  merkwürdiger  Anhang,  das  Flagellum  (/?).  und  ein 
Musculus  retractor  verbunden  sind.  Die  Scheide  (v)  ist  breiter  und 
verläuft  geraden  Wegs  zum  Porus  genitalis,  wo  sie  mit  dem  Penis  zu- 
sammentrifft. Dem  weiblichen  Geschlechtsapparat  sind  noch  einige 
weitere  Anhänge  zuzurechnen,  zunächst  die  grosse  Eiweissdrüse  (ei), 
welche  am  Uterus  aufsitzt,  da  wo  dieser  aus  dem  Zwittergang  hervor- 
geht ;  ferner  ein  Iteccptaculum  seminis  (r).  ein  rundliches  Bläschen, 
welches  durch  einen  sehr  langen  Canal  mit  der  Scheide  in  Verbindung 


III.  Cephalophoreu. 


333 


steht  schliesslich  zwei  „fingerförmige  Drüsen",  welche  indessen  nicht 
überall  vorkommen  (/").  Ein  merkwürdiger  dickwandiger  Blindsack  der 
Scheide  ist  endlich  noch  der  Liebespfeilsack  (ps),  welcher  in  seinem 
Innern  ein  aus  Arragonit  bestehendes  Stilet,  den  Liebespfeil,  ausscheidet 
Dasselbe  wird  bei  der  Begattung  in  die  männlichen  Geschlechtstheile 
als  Reizmittel  eingestossen.  Trotz  des  Hermaphroditismus  findet  näm- 
lich bei  den  Pubnonaten  eine  mehrere  Tage  lang  dauernde  wechsel- 
seitige Begattung  statt 

Fig.  328,  Anatomie  von 
Helix  pomatia,  die  Decke 
der  Athemhöhle  ist  auf 
der  linken  Seite  abgetrennt 
und  nach  reehts  hinflber- 
geschlageu ;  darauf  das 
l'erieard  und  der  Einge- 
weidesack geöffnet  und 
die  Eingeweide  ausein- 
ander gelegt.  Darm: 
.*  Schlundkopf,  m  Magen, 
sp  Speicheldrüse,  /  Leber, 
'/  Dünndarm ,  a  After ; 
G e  s  c h 1 e  c  h  t » a p  parat : 
;  Zwitterdrüse  mit  Zwit- 
tergang, y  Uterus,  ei  Ei- 
weissdrüse ,  r  Recepta- 
euliun  seminis.  r  Vagina, 
jus  Pfeilsack  .  f  fingerför- 
mige Drüse,  nl  Vas  defc- 
rens,  p  Penis,  //  Flagellum. 
n  Niere  mit  n'  Nieren- 
mündung, lu  Lungenge- 
flecht,  h  Herzvorkammer, 
rückwärts  davon  die  Kam- 
mer, g  Orebralganglion ; 
rCohimellarinuskel./'«Fu8s. 

Die  Geschlechtsöffnung  liegt  fast  ausnahmslos  auf  der  rechten  Seite 
des  Thieres,  vielfach  vor  dem  After  dicht  am  Kopf;  ihre  Lage  kann 
sowohl  bei  Hermaphroditen,  wie  auch  bei  gonochoristischen  männlichen 
Schnecken  durch  einen  rinnenförmig  ausgehöhlten  ansehnlichen  Haut- 
lappen, der  als  Penis  benutzt  wird,  ausgezeichnet  sein  (Fig.  326  pe). 
Freilich  rückt  derselbe  nicht  selten  von  dem  Porus  genitalis  eine 
Strecke  abseits  und  bleibt  mit  ihm  dann  nur  durch  eine  flimmernde 
Rinne  verbunden. 

Bei  den  Landschnecken  werden  die  Eier  als  grosse  hartschalige 
Körper  in  die  feuchte  Erde  vergraben;  bei  allen  Wasserbewohnern 
finden  sich  dagegen  Laiche,  meist  durchsichtige  Gallerten,  in  denen 
viele  Einzeleier  liegen,  jedes  Ei  von  einer  Eiweissschicht  und  einer 
weiteren  festen  Hülle  umschlossen.  Selten  findet  eine  Art  Brutpflege 
statt  wie  bei  Janthina  nitens,  welche  ihre  Eierqualster,  in  Form  eines 
Flosses  am  Fuss  befestigt,  mit  sich  herumträgt. 

Entwicklungsgeschichtlich  ist  vor  Allem  die  grosse  Constanz,  miUatwickiunr. 


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334 


Weichthiere. 


welcher  das  Veli  gerstadi  um  auftritt,  wichtig  (Fig.  303  und  304). 
Die  meisten  Schneckenlarven  schwimmen  mit  dem  oft  zweigeteilten  Velum 
an  der  Wasseroberfläche,  ehe  sie  auf  dem  Boden  zu  kriechen  anfangen. 
Aber  auch  da,  wo  die  Schnecke  gleich  in  ihrer  definitiven  Gestalt  die 
Eischale  verlässt,  ist  das  Velum  während  des  Embryonallebens  ent- 
wickelt, häufig  so  kräftig,  dass  der  Embryo  mit  Hilfe  der  Flimmern 
lebhaft  in  der  umgebenden  Eiweissschicht  rotirt 

Bei  der  Systematik  verwerthet  man  in  erster  Linie  Bau  und  Lage 
der  Athmungsorgane,  sowie  die  damit  zusammenhängende  Anordnung  der 
einzelnen  Herzabschnitte ;  zur  weiteren  Charakteristik  der  grösseren  Gruppen 
wird  dann  noch  die  hermaphrodite  oder  gonochoristische  Beschaffenheit 
des  Geschlechtsapparats  und  die  Orthoneurie  oder  Chiastoncurie  des  Nerven- 
systems herangezogen.  Auf  diesem  Wege  kann  man  sehr  gut  3  Gruppen 
charakterisiren :  Prosobranchier,  Opiathobranchirr  und  Pitlmonatm.  Durch  be- 
sondere Gestaltung  des  Fusses  sind  dann  ferner  noch  die  Hetrropoden  und 
Pteropoden  ausgezeichnet,  von  denen  die  ersteren  mit  den  ProsobranchUrn 
sehr  nahe  verwandt  sind,  während  letztere  sich  den  Opiathobräncltiern  an- 
schliessen.  Eine  merkwürdige  Mittelstellung  zwischen  Lamrllibranchicrn  und 
Ophalophomt  nehmen  endlich  die  Smphopoden  ein. 

L  Or dnun  g.r  ^Opisthobranchier. 

Von  der  bei  den  Amphineuren  vorhandenen  bilateralen  Symmetrie 
weichen  die  Opisihobranchier  nur  wenig  oder  doch  nicht  in  so  erheb- 
licher Weise  wie  die  Prosobranchier,  Pulmonaten  und  Heteropoden  ab. 
Der  After  bleibt  in  der  Symmetrieebene  des  Körpers  liegen  oder  wird 
nur  unbedeutend  nach  rechts  verschoben,  wenn  er  auch  vom  hinteren 
Ende  des  Körpers  weit  nach  vorn  rücken  kann ;  das  Nervensystem  ist 
bilateral  symmetrisch,  indem  die  Kreuzung  der  Visceralcommissur  unter- 
bleibt (o  r  t  h  o  n  e  u  r  e  M  o  1 1  u  s  k  e  n).  Freilich  ist  es  zweifelhaft  geworden 
ob  es  sich  hier  nicht  um  eine  Pseudo-Orthoneurie  handelt,  die  sich  erst 
secundär  aus  der  —  bei  Actaeon  noch  erhaltenen  —  Chiastoneurie 
entwickelt  hat.  Auch  das  Herz,  obwohl  es  nur  eine  Vorkammer  hat. 
bewahrt  ursprüngliche  Verhältnisse,  indem  es  von  rückwärts  das  Blut 
empfängt  und  nach  vorn  durch  die  Aorta  an  den  Körper  abgiebt  (Fig. 
327).  Alles  dies,  namentlich  der  letzterwähnte  Punkt,  ist  für  die 
Charakteristik  der  Opisthobranchier  viel  wichtiger,  als  die  äusserst 
variable  und  inannichfaltige  Beschaffenheit  und  Lage  der  Kiemen,  wenn 
auch  letztere  den  Namen  veranlasst  hat.  Die  Kiemen  können  ganz 
fehlen  oder  sind  als  2  Längsreihen  von  Anhängen  symmetrisch  zur 
Mittellinie  gestellt  oder  bilden  eine  Rosette  um  den  After  oder  sind 
endlich  durch  eine  unpaare,  rechts  gelagerte  Kammkieme  vertreten. 
Nur  letztere  kann  als  ein  den  Kiemen  der  übrigen  Mollusken  ver- 
gleichbares Organ  angesehen  werden ;  die  Rücken-  und  Afterkiemen 
sind  dagegen  Neubildungen,  accessorische  Kiemen.  Daher  wird  auch 
nur  die  Kammkieme,  wenn  auch  in  unvollkommener  Weise,  von  einer 
Mantelfalte  bedeckt,  welche  eine  papierdünne,  rudimentäre,  meist  von 
Hautlappen  überwachsene  Schale  ausscheidet  Den  meisten  Opistho- 
branchiern  fehlt  mit  dem  Mantel  auch  die  Schale.  Von  grossem  In- 
teresse ist  es,  dass  dann  die  Larven  wenigstens  vorübergehend  Mantel 
und  Schale  besitzen.  Für  die  systematische  Charakteristik  der  Opistho- 
brnnchier  ist  noch  wichtig,  dass  ihre  auf  der  rechten  Seite 
mündenden  Geschlechtsorgane  z  w  i  1 1  e  r  i  g  sind. 


ogle 


III.  Cephalophor6n :  Opisthobranchier,  Prosobranchier.  335 


I.  Unterordnung.  Abranchier.  Mantel,  Schale  und  Kammkiemen  fehlen ; 
Elysia  viridis  Montg. 

II.  Unterordnung.  Xudibranchier.  Mantel  und  Schalen  fehlen,  die 
Kammkiemen  sind  durch  accessorische  Kiemen  ersetzt.  Dieselben  bilden 
bei  den  Dorididen  im  Umkreise  des  Afters  eine  Rosette  zurückziehbarer 
Bäumchen  (Fig.  327,  329) :  Doris  tuk  rculata  Cuv. ;  bei  den  Tritoniaden  stehen 


Fitr.  329  a.   Doris  Johnstoni  mit  ausge-  Fijr.  329  b.    Aeolülia  papulosa 

strecktem,  perianalem  Kiomcnbü^chel  und  (aus  Leuuis-Ludwig), 
2  Tentakeln  am  vorderen  Ende  (auw  (_'ar- 
penter). 


die  accessorischen  Kiemen  in  einer  linken  und  rechten  Längsreihe  auf  dem 
Rücken:  Tethys  fimbriata  L.,  bekannt  durch  merkwürdige  Anhänge,  die 
abgerissen  lange  Zeit  weiter  leben  und  wiederholt  als  besondere  Thiere 
( Veriutnnus)  beschrieben  wurden ;  bei  den  Aeolididen  sind  mehrere  Reihen 
Rückenanhänge  vorhanden,  in  welche  Darmblindsäcke  eintreten  (Phkben- 
teraten).    Aeolidia  papulosa  L.  (Fig.  329  b). 

III.  Unterordnung.  Tectibranchier.  Kammkieme,  Mantel  und  Schale 
sind  vorhanden ;  der  Fuss  zieht  sich  oft  links  und  rechts  in  Fortsätze  aus 
(Parapodiallappen).  Plcurobrandnts  Mcckeli  Cuv. ;  Aplysia  depilans  L. ;  Actae/m 
tontat  ilis  L. 


II.  Ordnung.  Prosobranchier. 

Bei  den  Prosobranchiern  ist  die  für  die  meisten  Schnecken  charak- 
teristische Drehung  des  Eingeweideknäuels  von  links  hinten 
nach  rechts  vorn  eingetreten  und  hat  dazu  geführt,  dass  der  After 
rechts  in  der  Nähe  des  Kopfes  mündet,  die  Visceralcommissur  die 
achterförmige  Kreuzung  erfahren  hat  (Chiasto  neurie)  und  die  Or- 
gane der  rechte  Seite,  Niere  und  Kieme,  auf  die  linke  übergewandert 
sind,  wo  sie  weit  nach  vorn  liegen.  Dabei  hat  auch  das  Herz  eine 
Drehung  erfahren ;  es  empfängt  von  vorn  das  Kiemenblut  und  giebt 
es  nach  rückwärts  durch  die  Aorta  ab.  Wie  bei  den  Opislhobrancniein 
ist  auf  die  Lagerung  des  Herzens  grösseres  Gewicht  zu  legen,  als  auf 
die  Lage  der  Kiemen.  Weitere  Unterschiede  zu  den  Opisthobranchiei  n 
ergeben  sich  daraus,  dass  die  Prosobranchier  getrennt  geschlecht- 
lich, und  dass  ihre  Mantelfalten  und  Schalen  kräftig  entwickelt  sind. 
Je  nachdem  der  Mantel  in  einen  häufig  äusserst  langen  Sipho  ausge- 
zogen ist  oder  nicht,  sind  die  Schalen  siphonostom  oder  holostom. 

Gewisse  Prosobranchier  schliessen  sich  den  Amphineuren,  diesen 
Unnollusken,  dadurch  an,  dass  sie  doppelte  Vorkammern  des  Herzens 
haben ;  in  diesen  Fällen  sind  gewöhnlich  2  Kiemenbüschel,  ein  linkes 
und  ein  rechtes,  manchmal  auch  symmetrische  Nieren  vorhanden.  Bei 
der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Prosobranchier  findet  man  aber  nur 


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336 


Weichthiere. 


1  Kieme,  und  zwar  die  nach  links  verschobene  rechte,  dann  ist  ge- 
wöhnlich auch  nur  die  entsprechende  Vorkammer  vorhanden  :  selten 
erhält  sich  noch  die  zweite  Vorkammer  als  rudimentärer  Anhang. 

I.  Unterorordnung.  Cyclobranchirr.  Kammkiemen  rückgebildet  und 
durch  eine  ringförmige  Mantelkieme  ersetzt.  2  Nieron  (1  rudimentär). 
Hierher  gehört  nur  die  artenreiche  Familie  der  Napfschnecken,  Patclliden. 
Die  Thiero  leben  mit  Vorliebe  an  der  Ebbegrenze,  festgesaugt  am  Fels, 
geschützt  durch  eine  Schale  von  der  Gestalt  eines  chinesischen  Hütchens. 
Patelbi  vulgata  L.  (Fig.  318). 

II.  Unterordnung.  Zygobranehier.  2  Kiemen,  2  Vorkammern,  Herz- 
kammer vom  Darm  durchbohrt.    Die  Fi.ssurelliden  (Fig.  330)  haben  ähnlich 

den  Patelliden  eine  napfförmige  Schale,  nur  dass 
sie  von  einer  Oeffnung  an  der  Spitze  durchbohrt 
ist;  eine  zweite  Niere  ist  entweder  gut  entwickelt 
(Ccmorin)  oder  rudimentär  (Fissuirlla  nodosa  JL.); 
bei  den  Haliotiden  oder  Meerohren  ist  dagegen  die 
Schale  schwach  spiral  eingewunden.  Hnliotis  tubcr- 
culata  L.  (Fig.  310). 

III.  Unterordnung.  A z yyobrancJiier.  Nur  eine 
Kieme  (die  nach  links  verschobene  rechte)  ist  vor- 
handen. Ein  Theil  der  Thiere  —  Diotoemdicr  — 
hat  noch  zwei  Vorkammern :  die  marinen  Troehiden 
oder  Kreisseischnecken  Trochus  rarius  L.  Gewöhn- 
lich ist  aber  nur  eine  Vorkammer  vorhanden. 
FV  am  Fismnlta  Zu  den  M,notocordictn  gehört  die  bei  Weitem 
Äri-  dfe ;>aa^n  Zahl   BämmUfcher   im    Wasser  lebender, 

Kiemen.  //  der  Fvim  namentlich  mariner  Schnecken ;  man  unterscheidet 
(aus  Bronn).  Tausende  von  Arten,  die  sich  auf  einige  hundert 

Gattungen  vertheilen;  um  die  Bestimmung  zu  er- 
leichtern, hat  man  ein  auf  die  Zahnstructur  der  Radula  gestütztes  System 
entworfen  und  die  Gruppen  der  Toxoglossen,  liiiaciiiglossen,  Taenioglossen, 
Hamiglusscn,  (Montoglossen  gebildet,  oder  man  hat  nach  der  Schalenmündung 
holostome  und  siphonostomc  Arten  gegenüber  gestellt.  Hier  sollen  nur 
wonige  besonders  interessante  Familien  Erwähnung  finden. 

Siphonostomc  Formen  sind  die  einander  nahe  verwandten  Muriciden 
und  Purpur  ide.n,  deren  Arten  durch  die  im  Alterthum  geübte  Purpur- 
färberei berühmt  geworden  sind :  sie  besitzen  die  Purpurdrüse,  eine  acinöse, 
im  Mantel  eingebettete  Drüse,  welche  ein  zunächst  farbloses,  an  der  Luft 
aber  purpurn  werdendes  Socret  liefert.  Murcx  brandaris  L.  und  M.  trun- 
cuhts  L.  Durch  schöngefärbte  porzellanartige  Schalen  sind  ausgezeichnet 
die  Cypracidcn;  die  Schale  von  Cyprnea  moneta  L.  wird  in  Afrika  unter 
dem  Namen  „Caori"  als  Geld  benutzt.  Ferner  gehören  hierher  die  Ampul- 
lariden, Schnecken,  welche  aufs  Land  gehen  und  die  Athemhöhle  als  Lunge 
benutzen  können,  dabei  aber  noch  Kiemon  besitzen.  Ampullaria  Cele- 
bmaia  Quoy. 

Zu  den  holostomen  Prosobranchiern  gehören  die  Paludiniden  und  Val- 
raiiden ,  Süsswasserschnecken  mit  Kiemenathmung.  Pahulina  vivipara  L. 
Valvata  piscinalis  Müll.,  letztere  hermaphrodit.  Ausschliesslich  Landbe- 
wohner sind  die  Cifclostotniden,  welche  wie  die  Pulmonaten  die  Athemhöhle 
nur  als  Lunge  benutzen,  im  übrigen  Bau  aber  sich  von  ihnen  unterscheiden 
und  den  Prosobranchiern  gleichen  -    Cgclostoma  clcgans  Drap. 


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III.  Cephalophoren :  Heteropoden. 


337 


III.  Ordnung.    Heteropoden,  Kielschnecken. 

In  der  Bildung  der  Kiemen,  des  Geschlechtsapparats,  des  Herzens 
und  des  Nervensystems  verhalten  sich  die  Heteropoden  (Fig.  331)  wie 
echte  Prosobranchier ;  sie  dürften  auch  von  denselben  systematisch  nicht 
getrennt  werden,  wenn  nicht  ihre  ausschliesslich  pelagische  Lebens- 


Fig.  331.  Carinaria  mediterranea  (nach  Gegenbaur).  Schale  entfernt.  A  Meta- 
podium, B  Eingeweideknäuel,  P  Propodium  mit  Saugnapf,  o  Mund,  ot  Oesophagus, 
oc  Auge  mit  Ten  takeln,  /  Cerebral-,  //Pedal-,  ///  V  isceralganglion ,  ps  Penis,  df 
Vas  deferene.  ar  Aorta,  br  Kiemen  (darüber  das  Herz),  a  After. 

weise  ihnen  ein  sehr  abweichendes  Gepräge  verliehen  hätte.  Wie  bei 
<len  meisten  pelagischen  Thieren  ist  ihre  Bindesubstanz  gallertig  weich 
und  der  Körper  mit  seinen  sämmtlichen  Organen  von  glasartiger  Durch- 
sichtigkeit. Durch  das  reichlich  entwickelte  Gallertgewebe  haben  Kopt 
und  Fuss  im  Vergleich  zum  Eingeweideknäuel  eine  bedeutende  Grösse 
gewonnen  und  können  daher  gewöhnlich  nicht  in  der  Schale  geborgen 
werden.  Der  Kopf  hat  grosse  Aehnlichkeit  mit  einem  Pferdekopf, 
in  Folge  der  schnauzenartigen  Verlängerung  des  Vorderkopfes;  im 
Hinterkopf  liegen  die  auffallend  grossen  Augen  und  benachbart  die 
Hörbläschen.  Am  charakteristischsten  ist  der  durch  eine  Einschnürung 
in  Pro-  und  Metapodium  abgetheilte  Fuss.  Das  Metapodium  bildet 
eine  schwanzartige  Verlängerung  des  Rumpfes,  die  ab  und  zu  in  einen 
dünnen  Faden  ausläuft.  Das  Propodiuni.  eine  senkrechte  Platte  ohne 
Sohle,  führt  undulirende  Bewegungen  aus  und  dient  zum  Schwimmen, 
wobei  es  durch  schlängelnde  Bewegungen  des  Gesammtkörpers  unter- 
stützt wird.  Die  Heteropoden  schwimmen  auf  dem  Rücken,  den  Ein- 
geweideknäuel nach  abwärts,  sie  sind  äusserst  gefrässige,  räuberische 
Thiere. 

Bei  den  HeterojHxlen  kann  man  Schritt  für  Schritt  die  Rückbildung 
der  Schale  verfolgen.  Die  Atalantiden  können  sich  vollkommen  in  ihr 
spirales  Gehäuse  zurückziehen  und  dasselbe  mit  einem  Deckel  schliessen: 
Atalanta  Peronii  Les.  Die  Carinariden  haben  eine  hütchenfbrmige,  kaum 
den  Eingeweideknäuel  deckende  Schale:  Carinaria  Mediterranea  Per.  und 
Les.  (Fig-  331).  Schalenlos  sind  die  Pterotracheiden:  IVcrotrachca  coronata 
Forsk. 

Hertwlg,  Lehrbuch  der  ZoologlA.    3.  Auflage.  22 


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338 


Weichthiere. 


IV.  Ordnung.    Pteropoden,  Flügalschneoken. 

Mit  den  Heteropoden  in  der  pelagischen  Thierwelt  vereint  findet 
man  die  Flügelschnecken  oder  Pteropoden  (Fig.  332),  die  sich  von 
sämmtlichcn  Schnecken  wesentlich  dadurch  unterscheiden,  dass 
ihnen  ein  besonderer  Kopfabschnitt  und  demgeinäss  zumeist  auch 
Fühler  und  Augen  fehlen  und  dass  die  Mantelhöhle  mit  den  Kiemen 
ähnlich  wie  bei  den  Cephalopoden  nach  rückwärts  vom  dorsalen  Mittel- 
punkt oder,  wie  man  sich  auch 
ausdrückt,  „ventral44  angebracht  ist : 
unter  den  Schnecken  sind  ihnen 
am  nächsten  verwandt  die  Opi- 
sthobranchier  vermöge  ihres  Her- 
maphroditismus,  der  Lage  der 
Herzvorkammer  und  des  ortho- 
neuren  Baues  des  Nervensystems. 
Das  wichtigste  Merkmal  der  Gruppe 
ist  in  den  ..Flügeln44  gegeben, 
zwei  von  der  ventralen  Seite  ent- 
springenden, breiten  Lappen,  welche 
in  der  That  wie  Flügel  auf  und 
ab  bewegt  werden  und  die  Orts- 
bewegung vermitteln.  Sie  reprä- 
sentiren  den  Fuss  und  sind  ab 
mächtig  entwickelte  Parapodial- 
fort sätze  zu  deuten,  wie  sie  schon 
bei  den  tectibranchiaten  Opistho- 
Fiir.  'J3J.  Hyahra  romptanata  von  oben  branchiern  vorkommen, 
jttwhfin.  //PwIalirftiiKlion  mit  Hörblä^heii,  Auch  bei  den  rtrropodcn  zeigt 
or  0. *opbagi«,  r  Mag«,  n  After,  h  Leber,  diß  s  h  ,  dj  verschiedensten  Grade 
hr  Kieme,  r  Herz,  rc  >iere,  G  Gt-Khlecht*-    ,  . ,    ,  " 

apparat,  .1/  Mantel  (naeli  G. yenbaur).        der  Rückbildung.     Bei  den  Wteco- 

sttmrn.  den  beschälten  Formen,  haben 
die  Lhnacimdm  und  Hifalcidrn  noch  verkalkte  Schalen,  die  ersteren  spiml 
gewundene,  die  letzteren  gerade  gestreckte  pyramidenförmige:  Limacina 
aretica  Cuv.  Ihjnhca  cwnplanata  Gegnb.  (Fig.  332).  Eine  crystallklare 
Schale  von  knorpeliger  Consistenz  findet  sich  bei  den  Ct/mbuliden:  Ct/mbtdht 
Prronii  Cuv.  —  fiyninosom,  d.  h.  schalenlos  und  am  vorderen  Ende  mit 
Tentakeln  bewaffnet,  die  durch  die  Anwesenheit  von  Saugnäpfen  an  die 
Cephalopoden  erinnern,  ist  Pimtmtttlermon  rioherum  d'Orb. 


V.  Ordnung.    Pulmonaten,  Lungenschnecken. 

Die  Lungenschnecken  oder  Pulmonaten  halten  in  mancher  Hinsicht 
zwischen  Prosobranchiem  und  Opisthobranchiern  die  Mitte.  Wie  diese 
sind  sie  orthoneur  und  hermaphrodit;  ihre  männlichen  und 
weiblichen  Geschlechtsorgane  zeigen  die  hochgradige  Verschmelzung, 
welche  oben  schon  genauer  geschildert  wurde.  Dagegen  ist  die  Lage 
der  Athmungsorgane  weit  vorn,  benachbart  dem  Kopf,  Ursache,  dass» 
wie  bei  den  Prosobranchiem,  am  Herzen  die  Vorkammer  nach 
vorn,  die  Aorta  nach  hinten  gewandt  ist.   Eine  Ausnahme 


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■ 


III.  Cephalophoren :  Pulmonaten. 


339 


machen  die  opisthopneumonen  Testacelliden  (Daudebardia  rufa  Hartm.), 
bei  denen  die  Lungenhöhle  an  das  hintere  Ende  des  Körpers  ver- 
lagert ist. 

Die  Lunge,  das  Hauptmerkmal  der  Gruppe,  ist  ein  durch  Rück- 
bildung der  Kieme  aus  der  Mantelhöhle  entstandener  geräumiger  Sackt 
welcher  auf  der  rechten  Seite  beginnt  und  halbmondförmig  weit  auf 
die  linke  Seite  übergreift  Auf  der  rechten  Seite  mündet  sie  im  Mantel- 
wulst mit  einer  verschliessbaren  Oeffnung,  dem  Spiraculum,  in  dessen 
Umrandung  auch  After  und  manchmal  auch  der  Ureter  mündet  Die 
Lungendeckc  ist  eingenommen  von  einem  zierlichen  Netz  von  Blut- 
gefässen, welche  ihr  Blut  aus  einem  Randsinus  beziehen  und  in  eine 
Hauptvene  sammeln,  die  nach  dem  Herzen  zurückleitet  (Fig.  328). 

Manche  Pulmonaten  leben  dauernd  im  Wasser;  da  sie  aber  keine 
Kiemen  haben,  müssen  sie  zeitweilig  an  die  Oberfläche  aufsteigen,  um 
ihre  Athemhöhle  mit  neuer  Luft  zu  füllen.  So  machen  es  die  meisten 
Arten  der  Gattung  Limnmus ,  welche  in  flachen  Tümpeln  und  Bächen 
leben;  nun  giebt  es  aber  auch  Limnaeen  am  Grunde  der  grossen  Binnen- 
seen (Bodensee,  Genfer  See),  von  wo  sie  nicht  schnell 
genug  an  die  Oberfläche  aufsteigen  können;  diese  be- 
nutzen ihre  Lungen  zur  Wasserathmung,  indem  sie 
durch  das  Spiraculum  Wasser  ein-  und  austreten  lassen. 

Nach  der  Zahl  der  Fühler  und  der  Lage  der 
Augen  theilt  man  die  Pulmonaten  ein  in  Stylommato- 
phorm  und  Basommatophurm.  Erstere  haben  4  zurück- 
ziehbare Fühler  und  tragen  die  Augen  an  den  Spitzen 
der  hinteren  längeren  Fühler.  Die  Augen  können  daher 
mit  den  Fühlern  eingestülpt  werden.  Dagegen  haben 
die  Bammmatopharm  nur  2  Fühler,  die  zwar  verkürzt, 
aber  nicht  eingestülpt  werden  können  ;  die  Augen  liegen 
an  der  Fühlerbasis  unbeweglich. 

I.  Unterordnung.  Stylotnmatophoren.  Die  Hrliciden 
haben  eine  vortrefflich  entwickelte  Schale,  welche  sie 
während  des  Winterschlafes  mit  dem  Epiphragma 
schliessen:  Helix  pomatia  L.,  Weinbergschnecke.  In 
den  Tropen  zahlreiche  Arten  der  Gattung  Achatina. 
Hie  Limacidcn  haben  eine  kleine,  vielfach  nur  aus 
Kalkkrümeln  bestehende,  im  Mantel  ganz  verborgene 
Schale.  Limas  cinereus  Lister  (Fig.  333).  Arion  nnpi-  Fig  333  Umax 
ricarum  Fer.,  Wegschnecke.  cinernts,  's  Spira- 

II.  Unterordnung,    liasommatophomi.    Hierher  ge-  culum  (aus  Leunie- 
hören  die  Sumpfschnecken  IJmnaehhn :   Limnaeus  xta-  Ludwig). 
fjnalis  L.,  Planorbis  carinatus  Müll. 


VI.  Ordnung.  Soaphopoden. 

Eine  Mittelstellung  zwischen  Muscheln  und  Schnecken  nehmen 
die  Scaphopoden  ein  mit  der  einzigen  Gattung  Dentalium,  dem  „Ele- 
phantenzahn".  Der  Name  erklärt  sich  aus  der  Gestalt  der  Schale, 
welche  eine  grosse  Aehnlichkeit  mit  dem  Stosszahn  eines  Elephanten 
hat,  nur  dass  sie  einen  beiderseits  geöffneten  Hohlraum  umschliesst 
(Fig.  334).  Man  findet  die  Schalen  häufig  an  sandigen  Meeresküsten, 
wo  die  Thiere  im  Boden  graben.    Beim  lebenden  Dentalium  kommt 

22* 


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340  Weichthiere. 

aus  der  weiteren  Schalenmündung  der  lange  dreilappige  Fuss  hervor; 
der  übrige  Körper  bleibt  vom  Mantel  umhüllt,  welcher,  links  und  rechts 
vom  Rücken  entspringend,  ventral  wie  der  Mantel  einer  siphoniaten  Muschel 
geschlossen  ist.  Die  Kiemen  fehlen  und  werden  vertreten  von  zahlreichen 
j  Tentakeln,  die  im  Umkreis  der  Mundöffnung  stehen. 

Nieren  und  Leber  sind  paarig  und  wie  Darm  und 
Nervensystem  symmetrisch ;  während  hierin  wie  in 
der  Bildung  des  Mantels  sich  Anklänge  an  die 
Muscheln  ergeben,  erinnert  die  Anwesenheit  von 
Kiefern  und  Radula  an  die  Schnecken.  Dentalium 
clephantinum  L. 


IV.  Classe. 

Ophalopoden,  Tintenfische. 

Im  Stamme  der  Mollusken  zeichnen  sich  die 
Fi  tu  Thnta-  Ctyhdopoden  sowohl  durch  ihre  Organisationshöhe, 
lium  dephantintim,  a^s  auch  durch  ihre  meist  ansehnliche  Körpergrösse 
linka  Thier,  rechte  aus.  Die  meisten  Tintenfische  haben,  wenn  man 
Schale,    f  Fu»*,  /  die  Länge  ihrer  Arme  mit  einrechnet,  eine  Grösse 

tw'fSfSun  °  ^cä  von  etwa  °'2"1  Meter;  seltener  sind  kleinere,  nur 
Mantelpack».  g    08  etwa  & — 20  cm  lange  Arten,  besonders  selten  die 

riesigen  Ungeheuer  von  etwa  15  Meter.  Letztere 
waren  lange  Zeit  nur  durch  die  Berichte  der  Seefahrer  bekannt,  welche 
erzählten,  dass  die  Thiere  mit  ihren  gewaltigen,  muskelstarken  Armen 
Schiffe  angegriffen  hätten,  um  sie  in's  Meer  herabzuziehen.  An  der 
Käste  von  Neufundland  sind  in  letzter  Zeit  in  Folge  von  Stürmen 
solche  Riesenpolypen,  der  Gattung  Architeuthis  angehörig,  gestrandet 
Ein  Exemplar  war  6  Meter  lang,  seine  Arme  hatten  den  Durchmesser 
eines  Männerarms  und  eine  Länge  von  11  Meter.  Da  jeder  Arm  nur 
aus  Muskelmasse  besteht,  wäre  es  wohl  denkbar,  dass  die  Thiere  ein 
kleineres  Schiff  bewältigen  könnten. 
Koi»r  und  Der  Körper  eines  Cephalopoden  zerfällt  durch  eine  deutliche  Ein- 
Trntmin.  schnörung  in  den  Kopf  und  den  RUmpf  (Fig.  335,  336).  Ersterer 

trägt  genau  terminal  die  Mundöffnung  und  in  einem  Kranz  um  dieselbe 
herum  die  Tentakeln.  Seiner  Gestalt  nach  kann  man  einen  Tentakel 
einer  Schlange  vergleichen;  nur  besteht  er  ausschliesslich  aus  glatter 
Muskelmasse  ohne  Skelet  und  ist  auf  der  oralen  Seite  mit  einigen 
Reihen  kräftiger  Saugnäpfe  bewaffnet  Die  Octopoden  (Fig.  335)  haben 
nur  8  unter  einander  gleiche  Tentakeln,  4  rechte  und  4  linke;  die 
Decapoden  (Fig.  330)  haben  ausser  diesen  8  noch  2  weitere  Arme,  die 
sich  durch  Gestalt  und  Anordnung  von  den  übrigen  unterscheiden ;  sie 
besitzen  Saugnäpfe  nur  an  dem  spatelartig  verbreiterten  Ende  und 
können  in  besondere  Tentakeltaschen  vollkommen  zurückgezogen  werden. 
Ihren  Platz  nehmen  die  accessorischen  Tentakeln,  wenn  wir  jederseits 
die  Haupttentakeln  von  der  dorsalen  nach  der  ventralen  Seite  zählen, 
zwischen  dem  3.  und  4.  Tentakel  ein  (Fig.  336). 

Unterhalb  des  Tentakelkranzes  liegen  links  und  rechts  die  beiden 
grossen  Augen,  welche  schon  äusserlich  an  das  Wirbelthierauge  er- 
innern, indem  sie  eine  durchsichtige  Cornea  und  eine  grosse,  von  einer 
Iris  umgebene  Pupille  besitzen.    Im  inneren  Bau  (Fig.  337)  ist  die 


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IV.  Cephalopoden. 


Ul 


Aehnlichkeit  nicht  minder  ausgesprochen.  Hinter  der  Iris  folgt  eine 
Linse  und  ein  Glaskörper;  an  den  Glaskörper  grenzt  die  Retina  und 


Fig.  335.  Ortopus  Tonganus 
(nach  Hoyle)  in  seitlicher  An- 
sicht, recht«  der  Trichter  und 
die  Mantelfalte,  links  der 
Rücken  mit  den  Augen. 


an  diese  eine  pigmen- 
tirte,  silberglänzende 
Haut,  welche  als  Argen  - 
tea  oder  Chorioidea  be- 
zeichnet wird  und  von 
knorpeligen,  die  Sclera 

ersetzenden  Stücken 
durchwachsen  ist.  Zwei 
auffällige  Eigentümlich- 
keiten unterscheiden  das 
Auge  der  Cephalopoden 
von  dem  der  Wirbel- 
thiere,  zum  Zeichen,  dass 
beide  Organe  unabhängig 
von  einander  entstanden 
sind  und  einen  ganz 
verschiedenen  Entwick- 
lungsgang genommen  ha- 
ben :  1)  die  Cornea  ist 
von  einer  Oeffnung  durch- 
bohrt, welche  Meerwasser 
in  die  vordere  Augen- 
kammer treten  lässt:  2) 
die  Retina  grenzt  mit  der 
Stäbchenschicht  direct  an 
den  Glaskörper,  während 


Fig.  330.  Loligo  Kobiensis 
von 
tet. 


(nach  Hoyle)  von  der  Buneh 
seite  betrach 


Fig.  337  Schematischer  Längsschnitt  durch  das 
Cephalopodenauge  (aus  Gegenlmurl.  €  Cornea,  ik 
Iris«,  ac  Argcntea  (Chorioidea),  L  Linse,  ei  Ciliarfort- 
satz ,  k  eingesprengte  Theile  des  Kopfknorpcls ,  KK 
Konfknorpel,  Ri  Sliibchenschicht  der  Retina,  Re 
ZcllenBchicht  der  Retina,  p  Pigmentschicht,  go  Gan- 
glion opticum,  o  Opticus,  ic  weisser  Ki'.qier. 

bei  den  Wirbelthieren  die  Stäbchenschicht  an 


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342 


Weichthiere. 


JVqp 

Fig.  Schematicher 
Längsschnitt  des  Nautilu*- 
augos  (aus  Ralfour).  -1 
Eindrang  in  den  Augcn- 
becher,  Ii  Hotina.  Int  iris- 
artige Hautfalte.  X.  op 
N»rv. 


die  Chorioidea  anschliesst  und  von  dem  Glaskörper  durch  die  übrigen 
Retinaschichten  getrennt  bleibt.  —  Die  gegebene  Schilderung  passt  nicht 
auf  die  auch  sonst  höchst  abweichend  gebauten  NautiHden.  Anstatt 
Tentakeln  mit  Saugnäpfen  besitzen  dieselben 
eine  grössere  Anzahl  lappiger  Anhänge  am 
Kopf.  Ihre  Augen  sind  tiefe,  nach  aussen 
mündende  (iruben,  deren  Grund  von  der  Retina 
eingenommen  wird,  während  Glaskörper,  Linse, 
Iris,  Cornea  etc.  fehlen  (Fig.  MH). 
•*  Am  Rumpf  der  Cephalopoden  kann  man 
eine  vordere  und  eine  hintere  Seite .  welche 
links  und  rechts  abgerundet  in  einander  über- 
gehen, unterscheiden.  Die  vordere  Seite,  welche 
nur  theilweise  der  ventralen  Seite  der  übrigen 
Mollusken  entspricht,  für  gewöhnlieh  aber 
kurzweg  Bauch  genannt  wird,  ist  ganz  vom 
Mantel  bedeckt,  einer  muskelstarken  Falte, 
welche  von  der  gesammten  Peripherie  des 
Rumpfes  ihren  Ursprung  nimmt,  manchmal 
auch  auf  den  Rücken  übergreift  und  stets  an 
der  hinteren  Grenze  des  Kopfes 
mit  freiem  Rande  aufhört  (Fig.  299 
u.  331);  in  letzterer  Figur  ist  die 
Mantelhöhlc  durch  einen  ventralen 
Längsschnitt  geöffnet,  und  sind 
die  Mantelhälften  nach  links  und 
rechts  zurückgeschlagen).  Am  Kopfe 
würde  die  Mantelhöhle  mit  einem 
queren  Spalt  nach  aussen  münden, 
wenn  nicht  der  Rand  der  Falte 
angepresst  und  durch  verschieden- 
artige Verschlussapparate  (bei  Sepia 
z.  B.  durch  einen  knopfartigen 
Vorsprung  (rf),  der  in  eine  Ver- 
tiefung des  Körpers  (//)  passt)  noch 
weiter  befestigt  wäre.  So  muss 
die  Communication  der  Mantel- 
höhle nach  aussen  durch  ein  be- 
sonderes Organ,  den  Trichter 
(7V>,  bewerkstelligt  werden,  eine 
musculöse  conische  Röhre,  welche 
auf  der  vorderen  Seite  des  Körpers 
festgewachsen  ist  und  mit  einer 
weiten  Oeffnung  in  die  Mantel- 
höhle mündet.  Indem  die  Cephalo- 
poden durch  Contraction  der  Man- 
telwand das  Wasser  mit  grosser 
Heftigkeit  aus  der  Atheinhöhle 
durch  den  Trichter  herauspressen, 
können  sie,  durch  Rückstoss  schwim- 
mend, sich  schnell  fortbewegen. 
Auch  hier  hat  Nautilus  seine  Be- 
sonderheit,   indem    der  Trichter 


Fig.  XVx 


Sepia  offirinnlin.  Mantel- 
cinen  Medianschnitt  geöff- 


köhli1  durch 

not .  um  die  Kiemen  (k) ,  Nieren  in), 
After  (a) ,  Mündung  des  Geschlechts- 
apnarats  (yl  zu  /eigen,  d  die  Vorsprünge, 
welche  in  die  Vertiefungen  b  eingeknöpft 
werden.  Trichter  i  Tr)  Hondirt.  Der  linke 
Nierensaek  geöffnet,  um  iu  ihm  die  zum 
Kiemenherz  leitende  Vena  eava  mit 
Yencnanhäiigcn  zu  zeigen.  Durch  die 
Wand  schimmert  die  Vorkammer  des 
Kör|>erherzeits  hindurch,«»  Nierenspritze, 
M  Mantel,  /  Tintenbeutel,  A"  Kopf. 


Jd  by  G 


IV.  Cephalopoden. 


343 


dauernd  aus  2  zusammengefügten  Hautfalten  besteht,  eine  Besonder- 
heit, welche  dadurch  an  Bedeutung  gewinnt,  dass  auch  bei  den 
übrigen  Cephalopoden  sich  der  Trichter  entwicklungsgeschichtlich  in 
Form  zweier  getrennter  und  erst  später  sich  zu  einer  Röhre  schlies- 
sender  Hautfalten  (Fig.  348/*)  anlegt.  Ein  typischer  Fuss  fehlt  den 
Cephalopoden ,  doch  weisen  vergleichend  anatomische  Erwägungen 
darauf  hin,  dass  die  Trichterfalten  aus  seitlichen  Fortsätzen  des  Fusses 
(Epipodialfortsätzen)  hervorgegangen  sind;  auch  werden  die  Arme  als 
Differenzirungen  des  Fusses  gedeutet. 

Rumpf  und  Kopf  der  Cephalopoden  sind  von  einer  dünnen  schlei-  JJJgj 
migen  Haut  bedeckt,  welche  in  hohem  Maasse  das  Phänomen  des 
Farben  wechseis  zeigt.  Ein  gereizter  Oetopus  schillert  in  allen 
Farben  wieder;  eine  Sepia  sieht  bald  schwärzlich,  bald  gelblich-weiss 
aus.  Ursache  der  Erscheinung  ist  die  Anwesenheit  von  verschieden- 
farbigen Chro  in  atop  hören,  pigmentreichen  Zellen,  an  deren  Peripherie 
sich  kleine  (musculöseV)  Fäden  inseriren.  Wenn  letztere  sich  zu- 
sammenziehen, so  wird  das  Pigment  weit  ausgebreitet  und  gewinnt  da- 
durch Einfluss  auf  die  Färbung  ;  umgekehrt  zieht  sich  die  Zelle  beim 
Erschlaffen  der  Muskelchcn  (?)  zu  einem  kleinen  Pigmentkörper 
zusammen.  Die  Hautfarbe  hängt  zum  Theil  von  der  Farbe  der  je- 
weilig ausgedehnten  Chromatophoren  ab ,  zum  Theil  wird  sie  von 
einer  irisirenden  Schicht  bedingt,  die  tiefer  als  die  Chromatophoren- 
schicht  liegt. 

Trotz  der  weichen  Körperbeschaffenheit  kommt  eine  wohlentwickelte  Sch*'°- 
Schale  unter  den  lebenden  Cephalopoden  nur  dem  Nautilus  (Fig.  .340) 


und  der  Argonauta  zu.  Aeusserlich  gleicht  die  Nautilusschale  den  in 
einer  Ebene  aufgewickelten  Schalen  mancher  Schnecken,  wie  z.  B.  der 
Planorben.  Legt  man  dagegen  die  einzelnen  Windungen  durch  einen 
Sagittalschnitt  frei,  so  sieht  man,  dass  das  Innere  kein  einheitlicher 
Raum  ist,  sondern  durch  regelmässig  gestellte  Scheidewände  in  zahl- 
reiche, in  der  Spiralaxe  hinter  einander  folgende  Kammern  abgetheilt 
wird.  Die  Kammern  nehmen  nach  der  Schalenmündung  rasch  an  Grösse 
zu.  Nur  die  letzte  beherbergt  den  Weichkörper  des  Thieres;  die  vor- 
hergehenden sind  verlassen  und  von  Luft  erfüllt.  Durch  sie  hindurch 
erstreckt  sich  ein  vom  Thier  ausgehender  und  in  der  Anfangskammer 


Fig.  340.  XautHwt  Pompilius, 
Weibchen  mit  Schale,  letztere 
der  Lange  naeh  aufgeschnitten. 
/  Mantel.  2  Rückculap|>cn ,  3 
Kopfluppcn,  (Tentakeln),  /  Kopf- 
kappe, J  Auge  mit  Pupille,  G 
Trichter,  7  Lage  der  Nidamen- 
taldrüsse ,  <S'  Schalenmuskel ,  .9 
Wohnkammer,  U>  Scheidewände 
zwischen  den  unbewohnten  Kam- 
mern ,  //  Sipho  (aus  Leunis- 
Ludwig). 


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Weichthiero. 


I-irm. 


endender  Gewebsstrang,  der  Sipho,  welcher  es  nöthig  macht,  dass  jede 
Scheidewand  von  einer  zu  einer  kleinen  Röhre  ausgezogenen  Oeffnung 
durchsetzt  wird. 

Unter  den  fossilen  Cephalopoden  hatten  viele  Arten,  die  Nautiliden 
und  Ammoniten,  ebenso  schön  entwickelte  Schalen  ;  bei  den  recenten 
Formen  und  auch  vielen  ausgestorbenen  ist  jedoch  die 
Schale  rückgebildet.    Bei  der  äusserst  seltenen  Spirula 
Peronii  (Fig.  341)  findet  man  zwar  noch  eine  gekammerte 
Schale ,  dieselbe  ist  aber  so  klein ,  dass  sie  ganz  im 
Mantel  des  Thieres  verborgen  liegt    Bei  den  Decapoden 
ist  ein  Aequivalent  der  Schale  der  sogenannte  Rücken  - 
scbulp,  ein  lamellös  geschichtetes,  bei  den  Sepien  noch 
verkalktes,  bei  den  Loligen  dagegen  rein  organisches  Blattr 
welches  im  Innern  des  Körpers,  im  Schalensack,  verborgen 
liegt,  so  dass  ein  Einschnitt  in  die  Rückenhaut  nöthig  ist, 
um  es  zu  Gesicht  zu  bekommen.   (Vergl.  Fig.  299.)  Wie 
echte  Schalen  entstehen  diese  Rückenschulpen  als  Aus- 
scheidungen der  äusseren  Haut;  nur  hat  sich  das  die  Bil- 
Fig.34i.  Spi-  dung  übernehmende  Epithel,  das  Schalenfeld,  während 
nila    Prronü  der  Embryonalentwicklung  eingesenkt  und  durch  Um- 
mit  Schill«  ^y.  wacj,sen  <|er  Ränder  zum  Schalensack  geschlossen  (Fig. 
348  mt). 

Mit  den  bisher  betrachteten  Schalen,  welche  den  Schalen  der  übrigen 
Mollusken  gleichwertig  sind,  hat  das  Gehäuse  der  weiblichen  Argonauta 
nichts  zu  thun.  Der  papierartig  dünne,  an  einem  Ende  spiralig  einge- 
wundene Kahn  ist  wahrscheinlich  nur  zum  Theil  Product  der  Rumpfober- 
fläche, zum  Theil  wird  er  von  2  Tentakeln  ausgeschieden,  welche  zu 
diesem  Zweck  blattartig  verbreitert  sind.  Der  Aryaruiuta  wie  den  ihr 
nahestehenden  Octopodcn  fehlt  die  typische  Cephalopodenschale  vollkommen 
(Fig.  349). 

Oeffnet  man  nun  durch  einen  ventralen  Einschnitt  die  Mantelhöhle 
(Fig.  339),  so  findet  man  im  Hintergrund  derselben  2  (bei  Nautilus  4) 
Kiemenbüschel,  weiter  vorn  davon  in  der  Medianlinie  die  Afteröffnung 
und  links  und  rechts  zu  dieser  gestellt  die  Nierenraündungen  (bei 
Nautilus  ebenfalls  4).  Am  weitesten  seitlich  liegen  ilie  bald  paarigen, 
bald  unpaaren  Geschlechtsöffnungen  (Fig.  342).  Durch  den  Einschnitt 
in  den  Mantel  ist  selbverständlich  der  Eingeweidesack  selbst  noch  nicht 
geöffnet;  man  muss  erst  noch  die  hintere  Wand  der  Athemhöhle 
spalten,  um  den  Darm  und  die  übrigen  inneren  Organe  zu  Gesicht  zu 
bekommen. 

Die  Mundöffnung  wird  bei  den  Cephalopoden  von  2  kräftigen 
Kiefern  eingefasst,  welche  die  Gestalt  von  den  Hornscheiden  eines 
Papageischnabels  haben  und  gefährliche  Angriffswaffen  bilden  (Fig.  344). 
Der  dann  folgende  musculösc  Schlundkopf  enthält  im  Inneren  eine 
Radula  und  setzt  sich  in  einen  langen,  öfters  mit  einer  kropfartigen 
Ausstülpung  versehenen  Oesophagus  fort:  am  Ende  des  letzteren  be- 
findet sich  eine  Ausweitung,  der  Magen,  und  dicht  daneben  ein  öfters 
spiralig  eingewundener  Blinddarm.  Das  Darmrohr  wendet  sich  von 
hier  bogenförmig  nach  vorn  und  beschreibt  in  seinem  Verlauf  zum 
After  einige  Windungen  (Fig.  342). 

Anhangsorgane  des  Darms  sind  1  oder  2  Paar  Speicheldrüsen 
(obere  und  untere)  und  2  häufig  zu  einem  einheitlichen  Körper  ver- 


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IV.  Cephalopoden. 


345 


schniolzene  Leberlappen.  Die  von  der  Leber  ausgehenden  paarigen 
Gallengänge  münden  in  den  Blinddarm  und  können  in  ihrem  Verlauf 
mit  accessorischen  Drüsenträubchen,  die  man  dann  Pancreas  nennt,  be- 
setzt sein.  Dicht  neben  dem  After  öffnet  sich  endlich  noch  der  Tinten- 
beutel, welcher  zu  dem  Namen  „Tintenfische"  geführt  hat;  derselbe 
ist  ein  mit  langem  Ausführweg  versehener  Sack,  der  im  Innern  eine 
schwärzliche  Masse  secernirt.  Wenn  der  Tintenfisch  verfolgt  wird,  so 
spritzt  er  das  Secret  seines  Tintenbeutels  aus  und  trübt  dadurch  weit- 
hin das  Wasser.    Am  stärksten  entwickelt  ist  das  Organ  bei  der  Sepia 


Fig.  342.  Anatomie  von  OetopuM 
rulyaritt.  T  Basis  des  Tentakel- 
kranzes  durch  einen  ventralen  Ein- 
schnitt auseinander  gebreitet.  A' 
Kopf,  -V  Mantel  (Kumpfregion) 
ventral  durch  einen  IJuigsschnitt 
gespalten,  s  Schlundkopf  mit  an- 
liegenden oberen  Speicheldrüsen,  * 
Kropf,  (Anhang  des  Oesophagus), 
»p  untere  Speicheldrüsen,  sy  Magen 
mit  sympathischen  Ganglien,  1  Spi- 
ralblindsack,  /  Lcl>er  und  /'  Gallen- 
gänge (die  J^age  der  Leber  ist  nur 
durch  eine  punktirte  Linie  ange- 
deutet, die  Gallcngängc  durch- 
schnitten), </  Darm,  a  After,  t  Tin- 
tenl>cutol  (in  der  Leber  eingelassen) ; 
h  Kürperherz,  rk  Vorkammern  des- 
selben, ao  Aorta,  kh  Kiemenherzen, 
rr  Vena  cava  mit  Nicrenanhfingcn, 
k  Kiemen;  o  Ovar,  od  üviduetc; 
p  Pedalganglion,  v  Visccralgan- 
glion.  ao  G.  opticiun,  «im  Auge  mit, 
Augenlid,  *t  G.  stellatum,  kn  Kopf- 
knorpel. 


officinalis,  bei  welcher  es  technisch  zur  Bereitung  der  unter  dem  Namen 
Sepia  bekannten  Farbe  verwerthet  wird. 

Dicht  hinter  dem  Schlundkopf  wird  der  Darm  von  den  eng  ver-  ffgy 
einigten  Hauptganglien  des  Nervensystems  umfasst  (Fig.  343) :  eine  *ytttaL 
dorsale  einheitliche  Masse  repräsentirt  die  Hirnganglien;  durch  breite 
Commissuren  mit  denselben  vereint  und  auch  von  einander  wenig  ge- 
sondert liegen  ventral  die  Pedal-  und  Visceralganglien  (Yiscero-pleuro- 
arietalganglien) ;  dazu  gesellen  sich  die  auch  bei  Schnecken  vorhan- 
enen  oberen  und  unteren  Buccalganglien.  Was  aber  das  Nervensystem 
der  Cephalopoden  ganz  besonders  auszeichnet,  sind  die  G.  optica,  welche, 
in  den  Verlauf  des  vom  Hirn  kommenden  Opticus  eingeschaltet,  die 
grössten  Nervenknoten  des  Körpers  darstellen  (Fig.  342).  Ebenfalls 
sehr  ansehnlich  sind  die  Ganglia  stellata  oder  Mantelganglien,  welche 
an  der  Basis  der  Mantelfalten  links  und  rechts  angebracht  sind  und 
ihren  Namen  den  in  die  Mantelmuskulatur  ausstrahlenden  Nerven  ver- 
danken.   Ein  unpaares  sympathisches  Ganglion  endlich  nimmt  die  Stelle 


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Weichthiere. 


ein,  wo  Magen  und  Spiraldarm  zusammentreffen.  Cerebral-,  Pedal-, 
Visceral-  und  Augenganglien  sind  vollkommen  von  Knorpel  umhüllt, 
der  einen  Ring  mit  Hügelartigen  Anhängen  darstellt.    In  der  ventralen 


Spange  des  Knorpelrings  liegen  die  ansehnlichen  Ilörbläschen.  Als 
Geruchsgrühchen  werden  zwei  Einsenkungen  gedeutet,  die  hinter  den 
Augen  münden. 

ftn-m*'  I,n  Blutgefässsy stein  der  Cephalopoden  ist  das  Merkwürdigste 
das  Vorkommen  von  zweierlei  Herzen  (Fig.  342);  das  Körperherz 
besteht  aus  zwei  (bei  Nautilus  vier)  von  den  Kiemen  das  arterielle 
Blut  beziehenden  Vorkammern  und  einer  medianen  unpaaren  Kammer, 
welche  vor-  und  rückwärts  Aorten  abgiebt.  Zum  Körperherzen  kommen 
weiterhin  die  paarigen  Kiemenherzen,  welche  an  der  Basis  der  Kienien- 
büschel  gelegen  das  venöse  Blut  in  diese  hineinpumpen.  Sie  erhalten 
das  Mut  vorwiegend  durch  ein  unpaares  grosses  Blutgefäss  zugeführt, 
welches  Vena  cava  heisst  und  sich  in  einen  linken  und  rechten,  die 
correspondirendcn  Herzen  versorgenden  Ast  gabelt.  Diese  von  vorn 
kommenden  Venen,  sowie  einige  von  rückwärts  ebenfalls  zu  den  Kiemen- 

siere.  herzen  verlaufenden  Gefässe  sind  für  die  Bildung  der  Niere  von  grosser 
Bedeutung.  Die  oben  schon  erwähnten  Nierenmündungen  führen  in 
zwei  geräumige  Säcke,  durch  deren  Inneres  die  Venen  schräg  hindurch 
ziehen  (Fig.  330).  Soweit  letztere  in  den  Nierensäcken  eingeschlossen 
sind,  sind  sie  mit  den  Venenanhängen  bedeckt,  Aussackungen  des 
Venenlumens,  deren  Oberfläche  von  einem  dicken  Belag  excretorischer 
Zellen  überzogen  ist.  Sie  sind  der  Lieblingsaufenthalt  höchst  merk- 
würdiger Parasiten,  die  unter  dem  Namen  Dicyemidcn  bekannt  sind 
und  ihrem  Bau  nach  zwischen  Protozoen  und  Coelenteraten  stehen. 
Nahe  seiner  Ausmündung  communicirt  jeder  Nierensack  durch  eine 
kurze  Röhre  (Nierenspritze)  mit  einem  Hohlraumsystem,  welches 
unzweifelhaft  als  echtes  Coelom  angesehen  werden  muss,  da  es  mit  dem 
Körperherz  und  Kiemenherz  umschliessenden  Pericard  zusammenhängt. 
Seine  Deutung  als  Rest  einer  echten  Leibeshöhle  gewinnt  an  Wahr- 
scheinlichkeit durch  die  Wahrnehmung,  dass  der  Hohlraum  ferner  mit 
der  Geschlechtskapsel  in  Verbindung  steht. 

SSST  r)ic  Geschlechtskapsel,  das  Ovar  oder  der  Hoden,  ist  bei 
allen  Tintenfischen  ein  unpaarer,  ansehnlicher  Körper,  der  am  meisten 


Fig.  '.\\'.\.  Nervensystem  von  Sepia  offirinnlin  in  seit- 
licher Ansicht;  ntb  öchlundkopf,  oe  Oesophagus,  yr  Gan- 
glion cerebrale,  yp  G.  pedale,  yr  G.  viscerale,  yhs  G.  bnc- 
cale  sujjerius,  fi'tu'O.  buccale  inferins,  <>p  Opticus. 


Fig.  .'{11.   Kiefer  von  Sepia  offieinalis. 


Fig.  344. 


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IV.  Cephalopoden. 


347 


rückwärts  am  hinteren  Ende  liegt.  Bei  männlichen  und  weiblichen 
Nautiliden,  sowie  bei  den  Weibchen  der 
Ociopoden  und  einiger  Decapodcn  (Oegopsiden) 
geht  von  ihm  ein  linker  und  ein  rechter  Aus- 
führweg  aus ;  sonst  findet  sich  nur  e  i  n  Aus- 
führgang auf  der  linken  Seite.  Beim  Weib- 
chen können  unabhängig  von  den  Geschlechts- 
wegen accessorische  Drüsen  ( N  i  d  a  m  e  n  t  a  1  - 
drüsen)  vorkommen.  Der  Oviduct  selbst 
ist  ein  einfacher  Canal  mit  drüsigen  Ein- 
lagerungen ;  das  Vas  deferens  des  Männchens 
dagegen  ist  complicirter  (Fig.  345)  und  zeigt 
Anschwellungen,  welche  als  Samenblase,  Pro- 
stata und  Spermatophorenbehälter  unterschie- 
den werden.  In  letzterem  werden  die 
Spermatophoren  oder  N  eeil  ha  m 'sehen 
Schläuche  gebildet,  welche  einen  so  ver- 
wickelten Bau  haben  und  im  Wasser  in 
Folge  von  Quellung  so  merkwürdige  Be- 
wegungen ausführen,  dass  sie  eine  Zeit  lang 
für  parasitische  Würmer  gehalten  wurden 
<Fig.  346). 

Die  Uebertragung  der  Spermatophoren 
auf  das  Weibchen  wird  durch  die  zu  diesem 
Zweck  mehr  oder  minder  umgestalteten  Ten- 
takeln des  Männchens  bewirkt.  Bei  einigen 
wenigen  Gattungen  wird  der  betreffende  Ten- 
takel zum  ,,H  e et  o c  o ty  1  u  s"  ;  er  schwillt  an 
seiner  Basis  zu  einem  Sack  an,  in  welchem  das 
periphere  Ende  geborgen  wird  (Fig.  347). 
Letzteres  erhält  einen  Canal  zur  Aufnahme  der  Spermatophoren,  löst 
sich  ab  und  kann  so  Tage  lang  in  der  Mantelhöhle  des  Weibchens 
herumkriechen.     Da  es   den   Eindruck  eines  selbständigen  Thieres 


b 


Fig.  341».  Spennatophoro  (Needhanv  scher  Schlauch)  eines*  Cephalopoden  (aus 
Hatsehek).    a  Austreihcapparat,  b  Sperniatozoenkapwl,  e  äussere  Hülle 


macht,  wurde  es  lange  Zeit  unter  dem  Namen  „H  ect  oc  o  t yl  u  s"  als 
ein  Parasit,  später  als  das  rudimentäre  Männchen  der  Cephalopoden 
beschrieben. 

Die  Eier  der  Cephalopoden  werden  einzeln  an  Wasserpflanzen  be-  Estottfaif. 
festigt  oder  in  grossen  Qualstern  abgesetzt;  sie  sind  sehr  dotterreich 
und  erleiden  in  Folge  dessen  nur  eine  partielle,  discoidale  Furchung  (Fig. 
99,  S.  125).  Die  Masse  der  Embryonalzellen  bildet  eine  Keimseheibe  an 
einem  Ende  des  ovalen  Eies,  in  welcher  lange  Zeit  die  Anlagen  der  ein- 
zelnen Organe  (Augen,  Tentakeln,  Trichter,  Schalensack)  flächenhaft  neben 


t 


Fig.  345.  Männliche  Ge- 
schlechtsorgane von  Sepia 
off) final V.s  (aus  IIiLxley).  t 
Huden  durch  Spalten  der 
Hodenkapsel  freigelegt,  rtl 
gewundenes  Vas  deferens. 
rs  Vesicula  seminalis  (der 
Länge  nach  aufgeschnitten), 
pr   Prostata  (geöffnet),  bsp 

Sperniatophorentasche 
(Ncedhain'scne    Tasche),  p 
Gesehlcehtsöffnung. 


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348 


Weichthiere. 


einander  ausgebreitet  sind  (Fig.  348).  Später  hebt  sich  der  Embryo- 
nalkörper  vom    Dotter   ab.   welcher    eingeschlossen  in   eine  Zellenhülle 

Fig.  347.  Männchen 
von  Argnuaufa  Argo.  Ir 
Trichter.  1—4  die  Arme 
d&r  rechten  Seite  ,  1, — 4, 
die  Arme  der  linken  Seite, 
3,  der  hectocotyliairte  Arm , 
links  noeh  in  der  Hülle 
eingeschlossen,  recht«  aus 
ihr  ausgestülpt  (aus  Hat- 
schek). 

als  Dottersack  nahe  der  Mundöftnung  mit  dem  Kopf  in  Verbindung 
bleibt,  bis  sein  Material  zum  Wachsthum  des  Embryo  gänzlich  aufge- 


Fig.  :t4s  A  und  B.  -  verschieden  alte  Kcinischeihcn  von  Sepia  offieiualis  (aus 
Balfour  nach  Köllikcr).  mt  Mantel  mit  Schalendrüse,  br  die  Kiemennnlagcn ,  f  die 
paarigen  Anlagen  des  Trichters,  oc  Auge,  p  Kopflappen,  an  After,  m  Mund,  /,  2,  3, 
4,  5  die  Anlagen  der  fünf  Arme  der  einen  Seite. 

braucht  und  das  Thier  zum  Ausschlüpfen  reif  ist  (Fig. 
348  C). 

Die  Cephalopoden  sind  ausschliesslich  •  Meerthiere; 
theils  bewohnen  sie  felsige  Küsten,  theils  suchen  sie  das 
freie  Meer  auf.  Ihre  systematische  Eintheiluug  basirt  auf 
der  Zahl  der  Kiemen  und  der  Zahl  und  Beschaffenheit  der 
Tentakeln. 

I.  Ordnung.  Tetrabranchiaterj. 

Cephalopoden  mit  4  Kiemen,  4  Nieren,  4  Vorkammern 
des  Herzens,  zahlreichen  Tentakellappen,  einer  wohl  ent- 
wickelten, gekammerten  Schale  (Fig.  340):  Trichter  aus 
Fig.  3480.  Em-  zwei  Klappen,  Auge  ein  einfacher  Retinabecher  (Fig.  338). 
bryo  von  Sepia  Von    lebenden  Cephalopoden    kennt  man  nur  4  der- 

onicinalts.  ■#■  se]})en  Gattung  Nautilus  angehörige,  tetrabranchiate  Arten, 
gen"''/  Dotter"  unter  denen  der  NautÜM  Fompilius  L.  am  verbreitesten 
sack.  ist.    Die  Schalen  der  Thiere   werden  an  den  malayi sehen 


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IV.  Cephalopoden:  Tetrabranchiaten. 


349 


Inseln  sehr  häufig  vom  Meer  ausgespült,  während  das  lebende  Thier 
schwer  zu  erhalten  ist.  In  früheren  Perioden  der  Erdgeschichte  waren 
die  Tetrabranchiaten  weit  verbreitet.  Die  Nautüiden  werden  am  meisten 
in  den  paläozoischen  Schichten  gefunden ,  während  die  Ammoniten  in 
dem  mesozoischen  Zeitalter  ihre  Blüthe  hatten;  da  von  letzteren  keine 
lebenden  Repräsentanten  mehr  existiren,  kann  man  nur  aus  der  Structur 
ihrer  Schale  ihre  Zugehörigkeit  zu  den  Tetrabranchiaten  erachliessen. 

II.  Ordnung.  Dibranchiaten 

Cephalopoden  mit  2  Nieren,  2  Kiemen,  2  Vorkammern,  mit  8 — 10 
kräftigen,  mit  Saugnäpfen  bewaffneten  Armen,  hochorganisirten  Augen, 
mit  rudimentärer  Schale  oder  schalenlos. 

I.  Unterordnung.  Decapoden 
mit  10  Armen,  Schale  rudimen- 
tär, aber  vorhanden.  Bei  den 
Spiruliden  ist  die  Schale  ein 
kleines,  posthornartig  gekrümm- 
tes, gekammertes  Gehäuse,  wel- 
ches im  Mantel  verborgen  liegt: 
Spinda  Peronii  Lam.  (Fig.  341); 
sonst  ist  sie  ein  bei  einem 
Theil  der  Arten  verkalkter,  bei 
einem  anderen  unverkalkter 
„R  ü  c  k  e  n  s  c  h  u  1  p" :  Myopsiden 
und  Oegopsiden.  Zu  letzteren 
gehören  die  Riesentintenfische 
der  Gattung  Arehiteuthis ,  zu 
ersterer  die  schlanken  Calamai 
der  Italiener  Loligo  ndgarLs 
Lam.  und  die  plumpen  Sepien 
N.  officinaiis  L.,  so  genannt, 
weil  früher  der  Rückenschulp 
als  Arzneimittel  diente;  der 
mächtige  Tintenbeutel  liefert  Fig.  349.  Weibchen  von  Argonaiäa  argo 
die  Sepia  (Fig.  299).  (nach  R>'mcr  J°uef0- 

II.  Unterordnung.  Octopoden,  ohne  Schalenrudiment,  mit  nur  8  an 
der  Basis  durch  eine  Schwimmhaut  verbundenen  Tentakeln  (Fig.  335). 
(tctopodiden :  Octoptis  vulgaris  Lam.,  PhUonexiden :  Argonauta  argo  L.  (Fig. 
349),  Papiernautilus.  Das  Weibchen  besitzt  eine  wie  ein  Kahn  auf  dem 
Wasser  treibende  Schale  (Fig.  349);  die  Männchen  sind  sehr  viel  kleiner 
und  haben  keine  Schale;  ein  Arm  löst  sich  als  Hectocotylus  ab  (Fig.  347). 


Zusammenfassung;  der  Resultate  über  Mollusken. 


1)  Die  Mollusken  oder  Welchthlere  sind  parenchymatöse 
Thiere  mit  rückgebildeter  Leibeshöhle;  ihr  Körper  besteht  aus  Fuss, 
Eingeweideknäuel,  Mantel  und  Kopf. 


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350 


Zusammenfassung. 


2)  Der  Fuss  ist  eine  zur  Fortbewegung  dienende  unpaare,  ven- 
trale Muskelmasse. 

3)  Der  Kopf  trägt  die  Augen  und  die  Tentakeln. 

4)  Der  Mantel  umschliesst  die  Mantelhöhle,  welche  stets  zur 
Athmung  in  Beziehung  steht,  entweder  indem  sie  selbst  als  Lunge 
funetionirt,  oder  indem  sie  die  Kiemen  beherbergt;  der  Mantel  bildet 
durch  Ausscheidung  auf  der  Oberfläche  die  Kalkschale. 

ö)  Der  Fuss,  der  Kopf,  der  Mantel  und  mit  ihm  die  Schale 
können  in  manchen  Gruppen  durch  Rückbildung  verloren  gehen. 

6)  Ausnahmslos  stimmen  die  Mollusken  in  der  Bildung  des 
Nervensystems  überein. 

7)  Constant  sind  drei  Ganglienpaare,  die  mit  drei  Sinnesorganen 
in  Verbindung  stehen:  a)  die  Cercbralganglien  mit  den  Augen, 
b)  die  Pedalganglien  mit  den  Hörbläschen,  c)  die  Visceral - 
ganglien  mit  den  Geruchsorganen. 

H)  Das  Herz  ist  dorsal  und  arteriell,  eingeschlossen  in  einen 
mit  der  Niere  durch  die  Nierenspritze  communicirenden  Herz- 
beutel (einen  Rest  der  Leibeshöhle). 

0)  Stets  ist  eine  Kammer  vorhanden  und  je  nach  der  Zahl  der 
Athmungsorgane  eine  p aarige  oder  unpaare  Vorkammer. 

10)  Der  Darm  ist  hoch  entwickelt,  mit  sehr  grosser  Leber,  meist 
auch  mit  Speicheldrüsen  versehen ;  der  Mehrzahl  der  Mollusken  kommt 
ein  Schlundkopf  mit  Kiefern  und  Radula  zu. 

11)  Während  der  Entwicklung  tritt  häufig  dieVeligerlarve  auf. 

12)  Nach  der  Bildung  der  Athmungsorgane  und  der  Körperanhänge 
theilt  man  die  Mollusken  in  4  Classen :  1 )  A  m  p  h  i  n  e  u  r  e  n ,  2)  A  c  e . 
phalen  oder  Lamellibranchier,    3)  C ephalophoren  oder 
Gastropoden,  4)  Cephalopoden. 

13)  Die  Amphineuren  haben  ein  äusserst  primitives  Nervensystem, 
indem  die  typischen  drei  Molluskenganglien  durch  Nervenstränge  er- 
setzt sind. 

14)  Die  Accphalen  oder  Lainelllbranchier  entbehren  des  Kopfs 
und  der  Kopfaugen. 

15)  Sie  sind  bilateral  symmetrisch  und  haben  demgemäss  paarige 
Organe:  linke  und  rechte  Mantelfalten,  Schalen,  Nieren  und 
Geschlechtsorgane. 

16)  Bei  manchen  Muscheln,  den  Asiphoniern,  sind  die  Mantelfalten 
ventral  in  ganzer  Ausdehnung  durch  einen  Schlitz  getrennt 

17)  Bei  den  Siphoniaten  ist  der  Mantelschlitz  durch  Verwachsen 
der  Ränder  bis  auf  3  OefTnungen  geschlossen,  1)  einen  vorderen 
Schlitz  für  den  Fuss,  2)  eine  obere,  hintere  Oeffnung  zur  Entleerung 
der  Fäcalien  und  des  Athemwassers,  Aftersipho,  3)  eine  untere, 
hintere  Oeffnung  zur  Einführung  der  Nahrung  und  des  Athemwassers. 
Branchialsip  h  o. 

18)  Jederseits  finden  sich  2  Paar  Kiemen,  selten  Kammkiemen. 
häufiger  Fadenkiemen,  am  häufigsten  Blattkiemen. 

10)  Demgemäss  hat  das  Herz  zwei  Vorkammern:  die  unpaare 
Kammer  wird  vom  Mastdarm  durchbohrt. 

20)  Der  Fuss  ist  eine  häutig  byssustragende,  beilförmige  Muskel- 
masse. 

21)  Die  Schale  besteht  aus  Perlmutterschicht,  Prismen- 
se  nicht  und  Cuticula;  sie  wird  durch  1—2  Adductoren  ge- 
schlossen, durch  ein  elastisches  Ligament  geöffnet. 


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\ 


Zusammenfassung.  351 

22)  Systematisch  wichtig  ist,  dass  viele  Muscheln  im  Bau  der 
Kiemen,  des  Schalenschlosses  primitive  Verhältnisse  bewahren :  Proto- 
eonchen,  andere  eine  höhere  Entwicklungsstufe  erreichen :  Heteroconchen. 

23)  Die  Cephalophoren  oder  Schnecken  haben  einen  besonderen, 
Augen  und  Tentakeln  tragenden  K opf,  einen  zum  Kriechen  dienenden 
sohlenförmi gen  Fuss,  einen  selten  fehlenden  u n p a a r e n  Mantel 
und  eine  unpaare  Schale. 

24)  Die  gewöhnlich  unpaare  M  a  n  t  e  1  h  ö  h  1  e  enthält  selten  2,  meist 

1  Kiemenbüschel  oder  ist  unter  Rückbildung  der  Kieme  zur 
Lunge  geworden. 

2f>)  Niere  und  Herz  Vorkammer  sind  nur  selten  (bei  doppelter 
Kieme)  paarig;  die  bald  hermaphroditen ,  bald  gonochoristischen  Ge- 
schlechtsorgane sind  stets  unpaar. 

215)  Unpaar  ist  stets  auch  die  Schale,  gewöhnlich  ein  Spiral  und 
zwar  dexiotrop  gewundenes,  durch  ein  Operculum  verschliessbares 
Gehäuse. 

27)  Nach  der  Beschaffenheit  des  Nervensystems,  des  Geschlechts- 
apparats, nach  Lage  und  Bau  des  Herzens  und  der  Respirationsorgane 
theilt  man  die  Cephalophoren  in  1)  Opisthobranchier,  2)  Proso- 
branchier,  3)  Heteropoden,  4)  Pteropoden,  5)  Pulmo- 
naten, 6)  Scaphopoden. 

28)  Die  Opisthobranchier  sind  hermaphrodit,  orthoneur  (vergl. 
Seite  330),  haben  gar  keine  oder  sehr  mannichfach  gestaltete  Kiemen, 
eine  stets  hinter  der  Herzkammer  gelagerte  Vorkammer; 
Schale  und  Mantel  sind  rudimentär  oder  fehlen. 

29)  Die  Prosobranchier  haben  ein  weit  nach  von  gelagertes  Kiemen- 
büschel (ausnahmsweise  2),  in  Folge  dessen  eine  vor  der  Herzkammer 
gelagerte  Vorkammer,  sind  chiastoneur  (vergl.  Seite  330)  und  ge- 
trennt geschlechtlich;  Schale  und  Mantel  sind  gut  entwickelt 

30)  Die  Heteropoden  sind  pelagische  Prosobranchier  mit  einem  in 
Schwanz  und  Flosse  gespaltenen  Fuss,  mit  rudimentärer  Schale 
oder  nackt. 

31)  Die  Pteropoden  sind  pelagische  Opisthobranchier,  deren  Fuss 
in  2  flügelartige  Fortsätze  umgewandelt  ist ;  Schale  rudimentär 
oder  fehlend. 

32)  Die  Pulmonaten  sind  in  einem  Theil  ihrer  Organisation 
op  i  st  hob  ran  chi  erahn  1  i  ch  (orthoneur  und  hermaphrodit),  im  an- 
deren Theil  prosobranchierähnlich  (Lage  der  Vorkammer,  Ent- 
wicklung von  Schale  und  Mantel);  sie  besitzen  eine  als  Lunge  func- 
tionirende  Mantelhöhle. 

33)  Die  Scaphopoden  sind  Mittelformen  zwischen  Lamellibranchiern 
und  Cephalophoren. 

34)  Die  Cephalopoden  haben  keinen  echten  Fuss,  dagegen 
als  homologe  Theile  den  -Trichter  und  die  an  den  Kopf  verlagerten, 
meist  mit  Saugnäpfen  besetzten  Tentakeln;  sie  haben  einen  un- 
paaren  Mantel  und  eine  unpaare  oder  gar  keine  Schale. 

35)  Die  unpaare  Mantelhöhle  enthält  1  oder  2  Paar 
Kiemenbüschel.  Aus  der  Mantelhöhle  wird  das  Wasser  durch 
den  Trichter,  eine  unpaare  Röhre,  entleert 

3<>)  Entsprechend  der  Duplicität  der  Kiemen  sind  2  Vorkammern 
und  2  Nierensäcke  vorhanden;  ausser  dem  Körperherz  finden  sich 

2  bei  Mollusken  sonst  nicht  vorkommende  Kiemenherzen 

37)  Der  Geschlechtsapparat  ist  gonochoristisch. 


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352 


Gliederfüssler. 


38)  Ein  den  Cephalopoden  eigenthümliches  Organ  ist  der  Tinten- 
beute 1. 

39)  Besonders  hoch  entwickelt  ist  das  Auge  (Retina,  Chorioidea, 
Iris,  Cornea,  Glaskörper,  Linse)  und  das  Nervensystem  (Ganglia  optica, 
G.  stellata,  G.  syinpathicum). 

40)  Die  Eier  zeichnen  sich  durch  discoidale  Furchung  aus. 

41)  Man  theilt  die  Cephalopoden  ein  in  Tetrabranchiaten 
und  Dibr anchiaten. 

42)  Die  Tetrabranchiaten  (mit  Ausnahme  des  Nautilus  ausgestorben) 
haben  4  Kiem en,  eine  gekam merte  Schale,  anstatt  der  Tentakeln 
zjahl reiche  Kopflappen. 

43)  Die  Dibranchiaten  haben  2  Kiemen,  eine  rudimentäre 
oder  gar  keine  Schale,  8—10  Tentakeln. 


VI.  Stamm. 

Arthropoden.  Gliederfüssler. 


Bei  der  Besprechung  der  Arthropoden  gehen  wir  davon  aus,  dass 
die  unter  diesem  Namen  zusammengefassten  Spinnen,  Krebse,  Tausend- 
füsse  und  Insecten  von  Cuvier  früher  mit  den  Anneliden  zum  Stamm 
der  Articulatcn  vereinigt  wurden  und  dass  es  jetzt  noch  viele  Zoologen 
giebt,  welche  an  dieser  Vereinigung  festhalten.  Da  sich  hieraus  ent- 
nehmen lässt,  dass  Arthropoden  und  Anneliden  in  vielen  Punkten  über- 
einstimmen, wollen  wir  die  gemeinsamen  Merkmale  voranstellen  und 
daran  erst  die  Besonderheiten  anreihen,  welche  für  uns  maassgebend 
sind,  beide  Thiergruppen  zu  trennen. 
«h7rt"iit  Anneliden  und  Arthropoden  sind  gegliederte  Thiere 
Äonen*»,  und  unterscheiden  sich  gemeinsam  von  den  ebenfalls  gegliederten  Wirbel- 
thieren  durch  die  Deutlichkeit  der  äusseren  Segmentirung  oder 
Kingelung  des  Körpers.  Die  Grenzen  zweier  auf  einander  folgen- 
der Segmente,  welche  in  der  Haut  eines  Fisches  oder  eines  anderen 
Wirbelthieresnicht  wahrnehmbar  sind,  markiren  sich  bei  den  „Articu- 
laten"  durch  Einkerbungen  der  Körperoberfläche,  worauf  die  alten 
Namen :  „tVro/ia",  „Inseeta",  „Kerbthiere"  Bezug  nehmen.  Ferner 
haben  sämmtliche  Articulatcn  ein  Strickleiternervensystem, 
indem  sich  zu  den  bei  den  meisten  wirbellosen  Thieren  vorhandenen 
Hirnganglien  noch  die  metamer  angeordnete  Ganglienkette  des  Bauch- 
marks hinzugesellt.  Was  nun  vornehmlich*  die  Arthropoden  von  den 
Anneliden  unterscheidet,  ist  zweierlei:  1)  die  besondere  Art  der 
Gliederung,  2)  die  Anwesenheit  gegliederter  Extremi- 
täten. 

tmet^hiedc       Schon  bei  äusserer  Betrachtung  der  Gliederung  eines  Arthropoden 
am«*»,  fallt  zumeist  auf,  dass  die  Segmentgrenzen  viel  tiefer  einge- 
») p.niening. s c h n i 1 1 e n  sind  als  bei  einem  Ringelwurm.    Die  Ursache  hierzu  ist 
in  der  Beschaffenheit  der  Haut  zu  suchen,  welche  zu  einem  äusserst 
festen  Panzer  erstarrt  und  2  Schichten  unterscheiden  lässt:  die  Epi- 
dermis (vielfach  auch  Hypodermis,  Chitinogenmembran  genannt)  und 


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Gliederfüssler.  353 


die  Chitinschicht  (vergl.  Fig.  24 f,  S.  59).  Die  Epidermis  ist  eine 
meist  unscheinbare  Lage  eines  einschichtigen  Platten-  oder  Pflaster- 
epithels. Die  Chitinschicht  ist  dagegen  von  ansehnlicher  Dicke  und, 
da  sie  als  eine  Cuticula  von  der  Epidermis  ausgeschieden  wird,  der 
Oberfläche  parallel  geschichtet;  ihre  grosse  Festigkeit  hängt  mit  der 
chemischen  Beschaffenheit  des  Chitins  zusammen,  welches  sich  von 
den  meisten  organischen  Verbindungen  durch  seine  Widerstandsfähig- 
keit gegen  Säuren  und  Alkalien  unterscheidet  und  nur  beim  Kochen 
mit  Schwefelsäure  in  Zucker  und  Ammoniak  zerlegt  wird. 

Der  harte .  derbe  Chitinpanzer  würde  dem 
Thiere  jede  Bewegung  des  Körpers  unmöglich  machen, 
wenn  er  nicht  aus  einzelnen  gelenkig  verbundenen 
Theilen  bestände  (Fig.  350),  deren  Grenzen  mit 
den  Segmentgrenzen  zusammenfallen.  Während  die 
Segmente  gepanzert  sind,  verdünnt  sich  das  Chitin 
an  den  Grenzen  zu  einem  zarten  Gelenkhäutchen ; 
dasselbe  ist  aber  verborgen,  damit  die  weichhäutige 
Stelle  dem  Thiere  nicht  zum  Verderben  gereiche, 
indem  jedes  hintere  Segment  mit  seinem  Anfang 
unter  das  Ende  des  vorderen  Segments  geschoben 
ist.  So  kommt  eine  an  ein  Fernrohr  erinnernde 
Verbindungsweise  der  Segmente  zu  Stande,  welche 
tiefe  Einkerbungen  der  Körperoberfläche  veranlasst. 

Da  die  Deutlichkeit  der  Ringel tmg  mit  der  Pan- 
zerung des  Körpers  zusammenhängt,  verwischt  sie  sich, 
sowie  das  Bedürfnis»  nach  Panzerung  des  Körpers  auf- 
hört. Ein  lehrreiches  Beispiel  sind  die  Payurm  oder 
Einsiedlerkrebse,  die  sich  mit  ihrem  Hinterleib  in  ein 
Schneckenhaus  einnisten :  nur  so  weit  als  der  Körper  aus  der  Schale  heraus- 
tritt, ist  er  gepanzert ;  der  Hinterleib  ist  weichhäutig  und  demgeinäss  auch 
ohne  jede  Spur  von  Ringelung  (Fig.  397). 

Der  Chitinpanzer  der  Arthropoden  bedingt  einige  weitere  Eigenthüm-b) 
lichkeiten,  welche  wir,  obwohl  sie  mit  der  Gliederung  nicht  im  Zusammen- 
hang stehen,  hier  gleich  anschliessen  Wullen ;  zunächst  die  periodischen 
Häutungen  der  Thiere.  Das  Chitinkleid,  einmal  fertig  gestellt  und  er- 
härtet, ist  keiner  weiteren  Ausdehnung  fähig  und  würde  ein  Wachsthum 
unmöglich  machen,  wenn  es  nicht  entfernt  werden  könnte.  Hat  daher  die 
Körpermasse  eines  Arthropoden  so  weit  zugenommen,  dass  sie  das  Chitin- 
kleid vollkommen  ausfüllt,  so  platzt  letzteres  an  bestimmten  Stellen,  den  Naht- 
linien: das  weichhäutige  Thier  zieht  sich  aus  demalten  Hemd,  der  „Exu  vie", 
heraus  und  kann  sich  nun  innerhalb  des  neuen  Kleides,  das  sofort  gebildet 
wird,  zunächst  aber  noch  weich  und  dehnbar  ist,  vergrössern.  —  Eine 
weitere  Folge  des  Panzers  ist  die  eigenthümliche  Beschaffenheit  der 
Haare,  sowohl  der  gewöhnlichen  Körperhaare,  als  auch  der  zu  Sinnes- 
empfindungen dienenden  Tast-  und  Hörhaare :  auch  sie  sind  cuticularo  Ge- 
bilde, die  häufig  nur  von  einer  einzigen  Epidermiszelle  ausgeschieden  und 
bei  der  Häutung  erneuert  werden.  Ein  Chitinhaar  sitzt  im  angrenzen- 
den Chitin  beweglich  mit  einem  Gelenkkopf  in  einer  Art  Gelenkpfanne 
eingelassen  und  enthält  im  Innern  einen  Canal,  in  den  ein  Ausläufer  der 
unterliegenden  Matrixzelle  eindringt:  soll  das  Haar  zu  Sinneswahrneh- 
mungen dienen,  so  steht  die  Matrixzelle  mit  einem  Nerv  in  Zusammenhang 
(Fig.  74,  S.  101). 


Fig.  350.  Schema 
der  Arthropoden- 
ringelung.  1—4  4 
Ringe  mit  ihren 
Gelenkhäuten.  A  im 
ausgedehnten,  B  im 
contrahirten  Zu- 
stand (nach  Graber). 


H er t  w ig.  Uhrbuch  der  Zoologie.   3.  AuHage. 


23 


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354 


Gliederfüssler. 


llr5K?:e'       ^in  weiteres  wichtiges  Merkmal  der  Arthropodengliederung  ist  die 
Heteronomie  der  Segmente,  welche  bei  den  niedersten  Formen 

(Peripatus  und  Myriapoden)  noch  wenig  auffällig 
ist,  bei  den  höher  organisirten  dagegen  zu  einer 
ausserordentlichen  Ungleichwerthigkeit  der  Körper- 
abschnitte und  demgemäss  auch  zu  einer  grösseren 
Centralisation  des  Baues  führt.  Man  kann  verschie- 
dene Körperregionen  unterscheiden.  Stets  sind 
einige  wenige  Segmente  am  vorderen  Ende  unter 
einander  verschmolzen  und  bilden  den  Kopf  (Fig. 
351  C)\  darauf  folgt  gewöhnlich  ein  weiterer  Seg- 
J^T^.  mentcomplex,  der  Thorax  oder  die  Brust  (jT),  und 

j/^a^-     em  dritter,  das  Abdomen  oder  Pleon  (A).  Eine 
"  scheinbare  Vereinfachung  der  Körperregionen  kann 

eintreten,  wenn  Kopf  und  Thorax  unter  einander  zu 
einem  einheitlichen  Stück,  dem  Kopfbrustschild 
oder  Cephalothorax  ( Fig.  352  Ct )  verschmel- 
zen ;  umgekehrt  kann  die  Zahl  der  Regionen  sich 
vermehren,  wenn  das  Abdomen  in  2  Unterregionen 
sich  gliedert,  eine  vordere,  das  Abdomen  im  enge- 
ren Sinne,  und  eine  hintere,  das  Postabdomen 
(Fig.  353  P).  Bei  manchen  Arthropoden  endlich, 
wie  den  Milben  (Fig.  354),  ist  es  ganz  unmög- 
lich, Körperregionen  oder  auch  nur  Ringelung  zu 
erkennen,  weil  hier  eine  innige  Verschmelzung 
der  Körpertheile  die  äusseren  Merkmale  der  Glie- 
derung vollkommen  verwischt  hat. 

Um  nun  die  Unterschiede  zu  verstehen,  welche 
E»irro.iu«a.  durch  die  Namen  Kopf,  Thorax,  Abdomen  etc.  ausgedrückt  werden  sollen, 
müssen  wir  zuvor  noch  das  an  zweiter  Stelle  genannte  Merkmal,  welches 
die  Arthropoden  vor  den  Anneliden  voraus  haben,  die  gegliederten 
Extremitäten,  besprechen.  Dieselben  sind  systematisch  von  so 
grosser  Bedeutung,  dass  auf  sie  sich  der  Name  „Arthropodes", 
„Gliederfü  ssler",  bezieht  der  an  die  Stelle  von,,  Arti  culata". 
,.G liederthier e", getreten  ist.  Die  Arthropodengliedmaassen  sind  höher 
entwickelte  Parapodien  der  Anneliden;  während  aber  die  letzteren 
Auswüchse  sind,  welche  in  den  Rumpf  noch  continuirlich  übergehen 
und  daher  die  Bewegungen  desselben  zwar  unterstützen,  aber  meist  keine 
Eigenbewegungen  ausführen  können,  sind  die  Extremitäten  der  Arthro- 
poden 1)  gegen  den  Körper  gelenkig  abgesetzt,  2)  selbst  wieder  aus 
einzelnen  gelenkig  verbundenen  Stücken  gebildet,  3)  endlich  mit  einer 
eigenen  Muskulatur  versehen,  so  dass  sie  einen  selbständig  beweglichen 
Hebelapparat  darstellen.  .Jedes  Körpersegment  besitzt  nur  1  Paar 
Extremitäten,  welches  der  ventralen  Seite  angehört;  wenn  an  einem 
ungegliederten  Stück  mehrere  Paare  vorhanden  sind,  so  kann  man  mit 
Bestimmtheit  daraus  schliessen,  dass  das  betreffende  Stück  auch  aus 
mehreren  Segmenten,  mindestens  aus  so  viel  Segmenten,  als  es  Glied- 
maassenpaare  trägt,  verschmolzen  ist.  Der  ungegliederte  Kopf  eines 
Insectes  enthält  z.  B.  4  Segmente,  der  Cephalothorax  unseres  Fluss- 
krebses 13  Segmente,  weil  jener  mit  4,  dieser  mit  13  Extremitätenpaaren 
ausgerüstet  ist.  Die  Entwicklungsgeschichte  liefert  hierfür  sichere  Be- 
weise, da  am  Embryo  die  Segmentgrenzen  noch  erhalten  sind.  —  Es 
ist  nun  keineswegs  iiöthig.  dass  jedes  Segment  sein  Extremitätenpaar 


Fiir.  3">1.  Camnoilca 
stfiphylinns.  CKojif, 
T  Thorax,  J  Abdomen 
(aus  Huxk'y). 


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Gliederfiissler. 


356 


besitzen  m  u  s  s ,  da  die  Gliedmaassen  vielfach  rückgebildet  werden,  ohne 
Spuren  zu  hinterlassen. 


Fig.  352. 


Fig.  353. 


Fig.  354. 


Fig. 


Palaemou  xerrafus  (au»  Leuais-Ludwig).  Ct  CVphalothorux,  -4  Abdomen. 


Fig.  353.    Amtrortnnus  aitxtralis  (aut>  Hlanchard).  Ct  Cephalothorax,  A  Abdomen. 
P  Poxtabdomen,  .st  Giftstachel ;  /  Kieferfühler,  2  Kiefertaster ,  3—6  vier  Beinpaare. 
Fig.  354.    (iammasus  Culeoptratontm  (aus  Taschenberg). 

Die  Extremitäten  dienen  bei  den  Arthropoden  sehr  m  a  n  n  i  c  h  -  f »nc«on  a& 
fachen  Functionen  (Fig.  355).  Ihre  primäre  Aufgabe  ist  die 
Ortsbewegung;  locomotorische  Gliedmaassen  oder  „Füsse"  sind 
lang  gestreckt  und  aus  einer  grossen  Zahl  gut  entwickelter  Glieder 
gebildet,  die  entweder  zu  Rudern  abgeplattet,  oder  zum  Zwecke  des 
Kriechens  mit  Krallen  am  Ende  ausgerüstet  sind  (<*).  Ausser  loco- 
motorischen  Extremitäten  giebt  es  aber  noch  tastende  oder  An- 
tennen (/),  kauende  oder  Kiefer  — 4),  Extremitäten  von 
variablen  Functionen,  Pedes  spurii  oder  Pleopoden  (9)  und 
endlich  Uebergangsformen  zwischen  Beinen  und  Kiefern,  die  Kiefer- 
füsse  oder  Pedes  m axillares  (S — 7). 

Die  Antennen  sind  abgesehen  von  ihrer  Tastfunction  vornehm- 
lich durch  ihre  Lage  und  Innervirung  charakterisirt;  sie  entspringen 
vor  der  Mundöffnung  von  der  Stirne  und  empfangen  ihre  Nerven  dem- 
gemäss  auch  vom  oberen  Schlundganglion,  während  alle  übrigen 
Gliedmaassen  vom  Bauchmark  aus  innervirt  werden.  In  ihrer  Gestalt, 
sind  die  Antennen  den  Beinen  nicht  unähnlich,  indem  sie  langgestreckt 
bleiben,  nur  haben  sie  keine  Endklauen,  obwohl  es  schon  als  Miss- 
bildung beobachtet  wurde,  dass  Antennen  wie  echte  Beine  Klauen 
tragen. 

•23* 


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Gliederfdssler. 


Auffälliger  ist  die  Gestalt  der  kauenden  Extremitäten  uiodi- 
hcirt.  Zur  Zerkleinerung  der  Nahrung  dient  stets  nur  die  aus  1  oder 
2  Gliedern  bestehende  Basis :  die  basalen  Glieder  werden  kräftige  Stücke 

und  bekommen  auf  der  der  Medianlinie  zu- 
f**>v  \\  gewandten  Seite  eine  derbe,  in  Zähne  und 

-  2  Höcker  erhobene  Chitinbekleidung  (Fig.  355 

361  III,  V,  423).  Die  übrigen  Glieder  können 
ganz  schwinden  oder  erhalten  sich  als  ein 
beinartiger  Anhang,  der  Taster  oder  Pal- 
pus.  Da  mehrere  Extremitäten  zu  Kiefern 
ausgebildet  sein  können,  nennt  man  die  erste 
in  der  Reihe  M and i bei,  die  zweite  Maxille. 
welcher  dann  noch  eine  zweite  Maxille  folgen 
kann.  Die  Pedes  maxillares  sind  Zwi- 
schenformen ,  welche  bald  mehr  an  Beine, 
bald  mehr  an  Kiefer  erinnern  (Fig.  355,  ö—7). 
Pedes  spurii  ( Pleopoden)  oder  Afterfüsse 
endlich  sind  kleine  unscheinbare  Extremitäten, 
die  zur  Aushilfe  für  die  verschiedensten  Leistun- 
gen herangezogen  werden ;  sie  können  als  Kie- 
men oder  Kiementräger  functioniren,  als  Träger 
der  Eier  oder  zum  Uebertagen  des  Sperma: 
sie  können  auch  das  Schwimmen  und  Kriechen 
unterstützen. 

Die  genannten  Extremitäten  haben  im 
Fig.  355.  Die  wichtigsten  Körper  der  Arthropoden  eine  constante  An- 
^Wtot/n  KT  Antenne  Ordnung,  welche  durch  die  Natur  der  Vcr- 
mit  dem  Eingang  in  da«  hältnisse  bestimmt  wird.  Zuvorderst  am  Kopf 
Hörbläwhen,  2  Mandibel ,  .?  stehen  die  Antennen,  dann  folgen  im  Umkreis 
und  -/  erste  und  zweite  Ma-  fies  Mundes  die  Kiefer  und,  sofern  sie  über- 
SfsÄÄK'Ä  h»upt  vorhanden  sind   die  Kieferfflsse;  eine 

dritte  Gruppe  bilden  die  eigentlichen  Beine, 
eine  vierte  die  Afterfüsse,  welche  indessen  sehr  häutig  fehlen.  Auf  diese 
regelmässige  Anordnung  gründet  sich  auch  die  Unterscheidung  der  ein- 
zelnen Körperregionen.  Zum  Kopf  rechnen  wir  alle  Seg- 
mente, welche  Antennen  und  Kiefer  tragen,  zum  Thorax 
die  mit  Beinen  ausgerüsteten  Segmente;  das  Abdomen 
endlich  ist  durch  die  Anwesenheit  der  Pedes  spurii  oder 
den  gänzlichen  Extremi  täten  mangel  ausgezeichnet. 
Demzufolge  würde  Cephalothorax  ein  Körperabschnitt  sein,  von  welchem 
ausser  den  Antennen  und  Kiefern  auch  noch  die  Beine  entspringen. 

Die  Extremitäten  der  Arthropoden  haben  verschiedene  Streitfragen  ver- 
anlasst. Viele  Zoologen  sprechen  von  einer  prae-antennalen  Extremität  und 
demgemäss  auch  von  einein  prae-antennalen  Segment.  Die  betreffende  Ex- 
tremität sei  nur  bei  einem  Theil  der  Orustaceen  als  gegliederter  Augenstiel 
erhalten,  sonst  rückgebildct  und  in  ihrer  Lage  durch  die  Facettenaugen 
markirt  Wer  diese  Auffassung  theilt,  muss  die  Segmentzahlen,  welche  in 
diesem  Lehrbuch  für  den  Kopf  und  den  gesammten  Körper  angegeben  sind, 
überall  um  Eins  erhöhen.  Eine  zweite  Theorie  behauptet,  dass  die  An- 
tennen ventrale,  vom  Bauchmark  innervirte  Extremitäten  seien,  welche 
erst  secundär  auf  die  Stirne  der  Arthropoden  verlagert  wurden.  Demgemäss 
sei  auch  das  Innervationscentrum  erst  secundär  vom  Bauchmark  auf  das 
Hirn  übertragen  worden.  Letztere  Anschauung  kann  besonders  für  die 
zweite  Antenno  der  Orustaceen  genauer  begründet  werden. 


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Gliederfüssler.  357 

Die  Verschmelzung  oder  engere  Vereinigung  gleichwertiger  Seg- 
mente  zu  Körperabschnitten  übt  ihren  Einfluss  auch  auf  die  innere 
Anatomie  aus,  vornehmlich  auf  die  Beschaffenheit  des  Nerven- 
systems (Fig.  356).  Ein  Strickleiternervensystem  besteht,  wie  in  der 
allgemeinen  Zoologie  (S.  99)  gezeigt  wurde,  aus  dorsalem  Hirn  und 
ventralem  Bauchmark,  welche  durch  die  links  und  rechts  den  Schlund 


.1  H  C  D 


Fig.  350.  Verschiedene  Grade  der  Concentration  des  Bauchmarks  von  Arthro- 
poden (ans  GegcnbaurV.  A  einer  Termite  (nach  Lespite),  D  eines  W^asserkäfera  (nach 
Blanchard),  C  einer  Fluqe  (nach  Blanehard),  D  einer  Spinne  (nach  Blanchard). 
</s  oberes,  gi  unteres  Schlundganglion ,  qr,  q1,  <j 3  Ganglien  de»  Bauchstranga ,  tl— t* 
Bnwtseginente,  a  Abdomen,  o  Augen,  tr  Tracheenlungen,  />i-/jiv  Beine,  /  Kieferfflhler, 
2  Kiefertaster. 

umfassenden  Commissuren  mit  einander  verbündten  sind.  Das  Bauch- 
mark sollte  nun  ebenso  viele  durch  Längscommissuren  verbundene 
Paare  von  Ganglienknötehen  zählen,  als  Segmente  vorhanden  sind. 
Indessen  ist  das  bei  keinem  Arthropoden,  ausser  zur  Zeit  des  Em- 
bryonallebens, der  Fall;  die  Regel  ist  vielmehr,  dass  mehrere  Ganglien- 
paare zusammenrücken  und  verschmelzen,  und  zwar  mit  Vorliebe 
Ganglienpaare,  deren  Segmente  ebenfalls  enger  vereinigt  oder  ganz 
verschmolzen  sind.  Man  findet  die  verschiedensten  Stufen  dieser  Ver- 
schmelzung bei  den  einzelnen  Arten ;  bei  Krabben  und  Spinnen  können 
sogar  sämmtliche  Ganglien  des  Bauchmarks  zu  einer  einzigen  Ganglien- 
masse vereinigt  sein.  Von  der  Verschmelzung  ausgeschlossen  ist  stets 
das  Hirn,  da  es  vermöge  seiner  dorsalen  Lage  von  dem  Bauchmark 
durch  den  Schlund  getrennt  bleibt  (Fig.  304,  S.  391). 

Von  den  Sinnesorganen  der  Arthropoden  kennen  wir  amsrnneiorgan* 
besten  die  Augen,  von  denen  man  zwei  Typen  unterscheidet,  das  ein- 
fache Auge  oder  Stemm a  (Ocellus)  und  das  zusammengesetzte 
Auge  oder  das  Facettenauge.  Das  einfache  Auge  (Fig.  357) 
ist  sehr  klein  und  betest  in  Folge  dessen  auch  Punktauge  ;  wo  es  den 
höchsten  Entwicklungsgrad  erreicht,  wie  bei  den  Spinnen,  besteht  es 
aus  Linse,  Glaskörper  und  Retina,  von  welchen  Theilen  die  Linse  aus 


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358 


Gliederfüssler. 


der  Chitinschicht  des  Körpers,  der  Rest  des  Auges  aus  dem  Epithel 
der  Epidermis  stammt.  Wo  sich  in  der  Epidermis  ein  Auge  entwickelt 
hat,  hat  die  Chitinschicht  ihre  bräunliche  Farbe  verloren,  ist  glashell 
durchsichtig  geworden  und  meist  zu  einem  biconvexen  Körper  (/)  ver- 
flickt, der  die  Lichtstrahlen  auf  die  Retina  sammelt.  Hinter  der  Linse 
liegt  eine  Schicht  ansehnlicher,  durchsichtiger  Zellen,  der  Glaskörper  (2), 
und  weiterhin  die  Retina  (■'>),  gebildet  von  Zellen,  welche  meist  an  ihren 
peripheren,  dem  Glaskörper  benachbarten  Enden  die  Stäbchen  tragen 
(4),  am  anderen  Ende  dagegen  in  Nervenfasern  übergehen.  Glaskörper 
und  Retina  erzeugen  gemeinsam  eine  scharf  umschriebene,  von  Pig- 
ment umhüllte,  kugelige  Verdickung  im  Epithel. 


Fijf.  357.  I>ureh>chnitt  durch  ein  vorderes  und  hinteres  Stenima  von  Kpfirn 
tlidiiima  (nach  Greulicher  au»  Carricre).  /  Linse,  2  (ilaskörper,  H  Epidermis,  4 
Stäbehensehieht .  Sehzellensehicht  der  Retina,  H  umhüllende  Basalmembran,  7  Stäbchen, 
die  sich  im  Inneren  der  Sehzellen  anstatt  am  vorderen  Ende  entwickelt  haben. 


Die  zusammengesetzten  Augen  (Fig.  :-J58)  sind  sehr  viel 
grösser  als  die  OceHen;  sie  verdanken  ihren  Namen  „Facetten- 
a ugen4'  dem  Umstand,  dass  die  Chitinschicht  im  Bereiche  des  Sinnes- 
organs eine  zierliche  hexagonale  Fclderung  oder  Facettirung  besitzt.  Jede 
Facette  entspricht  einer  kleinen  Chitinlinse:  die  Gesammtheit  aller 
Linsen,  deren  Zahl  je  nach  den  Arten  zwischen  einigen  Dutzend  und 
mehreren  Tausenden  schwankt,  bildet  die  Begrenzung  des  Auges  nach 
aussen  und  heisst  in  Folge  dessen  auch  Cornea.  Der  unter  der 
Cornea  gelegene,  aus  weichen  vergänglichen  Zellen  bestehende  Theil 
des  Auges  wird  an  der  von  der  Cornea  abgewandten  Basis  von  einer 
zarten  Haut  umschlossen,  welche  man  Sclera  nennt:  er  setzt  sich  aus 
radial  gestellten,  keilförmigen  Stücken  zusammen  (Fig.  359),  die  in  ihrer 
Zahl  und  Lagerung  genau  den  Facetten  entsprechen  und  mit  ihrem 
peripheren  breiten  Ende  sich  einer  Linse  anfügen,  während  das  schmalere, 
centrale  Ende  mit  dem  vom  Hirn  an  den  Augenhintergrund  heran- 
tretenden Nervus  opticus  in  Verbindung  steht.  Jeder  der  vielen  hundert 
Augenkeile  (Fig.  3t>0)  hat  denselben  Bau  wie  seine  Nachbarn,  nämlich 
den  Bau  des  Stemma's:  wir  unterscheiden  an  ihm  1)  Linse  (Facette, 
Theil  der  Cornea)  mit  zugehörigen  Epithelzellen  (l),  2)  Glaskörper 
(kz),  3)  Retin ula  (rz).  Der  Glaskörper  bestellt  fast  überall  aus 
4  Zellen,  welche  bei  den  sogenannten  eueonen  Augen  da,  wo  sie  zu- 


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Gliederi'üssler. 


3Ö9 


Fig.  353.  Kopf  der  Hinte  (Drohne) 
von  oben  gesehen  (nach  Swaramer- 
dam  aus  Uatsehek),  links  und  rechts 
die  grossen  Facettenaugett,  dazwi- 
schen 3  Stemmata  und  die  Fühler. 


i  \ 

rj.ti  5 

Fig.  35U.  Querschnitt  durch  das  Facetten- 
auge und  das  Hirn  eines  Ohrwurm*  (nach  Car- 
riere  aus  Hatschek).  1  Chilincuticula  ,  die  im 
Bereich  des  Auges  die  Cornea  (die  Summe  sümmt- 
licher  Linsen)  erzeugt,  2  Epidermis,  welche  sich 
an  der  Grenze  des  Auges  in  die  einzelnen  Augen- 
keile verwandelt  ,  H  Basalmembran,  /  ein- 
springende Chitin lamelle,  5  rudimentäres  Lar- 
venauge. 


saminenstossen,  gemeinsam  einen  völlig  durchsichtigen 
Körper,  den  Crystallkegel  (  k)  ausgeschieden  haben.  Eben- 
so ist  die  Zahl  der  Retinulazellen  meist  auf  7  normirt; 
ihre  7  Rhabdome  (r)  liegen  gleichfalls  mitten  inne. 
wo  die  Zellen  zusammenstossen,  und  sind  sogar  häufig 
unter  einander  verwachsen.  Jeder  Augenkeil  ist  schliess- 
lich noch  eingehüllt  in  eine  Pigmentscheide,  durch  welche 
er  optisch  isolirt  wird:  letztere  ist  an  zwei  Stellen  be- 
sonders stark  entwickelt  und  erzeugt  2  durch  das  ganze 
Auge  sich  erstreckende  Pigmentanhäufungen,  die  man 
Iris  und  C  h  o  r  i  o  i  d  e  a  nennt  (Fig.  359).  Einmal  ist 
der  Hintergrund  des  Augenkeils  dicht  pigmentirt  (Cho- 
rioidea),  zweitens  greifen  Pigmentaellen  an  der  hinteren 
Grenze  des  Crystallkegels  tief  zwischen  die  Zellen  ein 
und  lassen  nur  eine  kleine  OefTnung  zum  Durchtritt 
<ler  Lichtstrahlen  frei  (Iris). 

Aus  dem  Gesagten  erhellt,  dass  man  das  Facetten- 
auge aufTassen  kann  als  einen  dicht  zusammengedrängten 
Complex  von  keilförmig  gestalteten,  einfachen  Augen. 
Diese  anatomisch  berechtigte  Auffassung  lässt  sich  aber 
nicht  auf  die  Physiologie  des  Auges  übertragen.  Wie 
Joh.  Müller  zuerst  ausführlich  begründete,  entwirft 
das  Facettenauge  nur  ein  einziges  aufrechtes  Bild,  dessen 
einzelne  Bildpunkte  von  den  Augenkeilen  geliefert  wer- 
den. Man  nennt  die  Müller  sehe  Theorie  die  Theorie 
des  musivischen  Sehens  gegenüber  der  jetzt  verlasse- 
nen Bildchentheorie,  welche  annahm,  dass 


Fig.  3ü0.  the- 
matische Darstel- 
lung vom  einzelnen 
Keil  eines  Facetten - 
auges.  /  Linse  mit 
1 1  vpodennis.Ä-  Cr>>- 
tallkör 


»rper  mit  Glas- 
jeder  Augen-    körperzellen  //;  (da- 

keil  schon  für  sich  ein  kleines  umgekehrtes  Bild  erzeuge,  neben  auf  dcmQuer- 

Während   die  Zahl  der  Stemmata   wechselt,    ist  R^iS^mit 

die  Zahl  der  Facettenaugen   im   ganzen   Stamm  der  Khabdomen  /•  da- 

Arthropoden  auf  2  normirt.    Wo  scheinbar  nur  ein  neben  Querschnitt). 


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360 


Gliederfüssler. 


zusammengesetztes  Auge  vorkommt,  wie  bei  den  Daphniden,  ist  das- 
selbe durch  Verschmelzung  von  zwei  Augen  entstanden.  Für  das 
Facettenauge  ist  ferner  constant,  dass  der  Nervus  opticus  ausserhalb 
des  Auges  ein  sehr  grosses  Ganglion  opticum  bildet. 

Gleichartigkeit  des  Baues  zeichnet  abgesehen  von  den  Augen  nur 
noch  die  Tastorgane  aus,  welche  von  Tasthaaren  gebildet  werden.  Da- 
gegen scheinen  Gehör,  Geruch,  Geschmack  durch  sehr  verschiedenartige 
Einrichtungen  vermittelt  zu  werden.  Leider  wissen  wir  noch  immer 
wenig  von  diesen  Sinnesorganen,  selbst  bei  Arthropoden,  die  unzweifel- 
haft gut  riechen,  hören  und  vielleicht  auch  schmecken.  Der  Geruchs- 
sinn scheint  seinen  Sitz  hauptsächlich  an  den  Antennen  und  den  Tastern 
der  Kiefer  zu  besitzen, 
imm.  yom  Darm  der  Arthropoden  ist  nur  die  ganz  aussergewöhnliche 
Ausbildung  des  ectodermalen  Anfangs-  und  Enddarms  zu  erwähnen, 
denen  gegenüber  der  entodermale  Mitteldarm  klein  bleibt,  indem  er 
gewöhnlich  nur  etwa  '/s  der  Gesammtlänge  liefert.  Bei  den  periodi- 
schen Häutungen  wird  die  Chitinauskleidung  der  ectodermalen  Darm- 
abschnitte, so  namentlich  des  weit  verbreiteten  Kaumagens  mit  ab- 
geworfen. 

"St*'? ^ 01,1  Hlutgefässap parat  ist  am  constan testen  das  Herz, 
meistens  ein  dicht  unter  der  Rückenhaut  gelegener  Schlauch,  welcher 
in  einem  mehr  oder  minder  abgegrenzten  Abschnitt  der  Leibeshöhle 
(Herzbeutel)  eingeschlossen  ist  und  aus  ihm  das  Blut  durch  eine  linke 
und  rechte  Reihe  von  Spalten  aufnimmt.  Indem  die  Ränder  der  Spalten 
weit  ins  Hcrzlumen  vorspringen '  und  so  dünne,  als  Klappen  funetio- 
nirende  Falten  erzeugen,  wird  der  Hcrzschlauch  in  eine  Anzahl  auf- 
einanderfolgender Kammern  abgetheilt,  welche  sich  von  hinten  nach 
vorn  contrahiren.  Die  Kammerung  schwindet,  wenn  bei  Thieren  von 
gedrungener  Körpergestalt  der  Herzschlauch  zu  einem  Säckchen  ein- 
schrumpft. —  Bei  kleinen  Arthropoden  kann  das  Herz,  wie  das  übrige 
Gefässsystem  gänzlich  fehlen.  Dieser  Mangel  besonderer  Circulation.s- 
organe  kann,  da  schon  die  Anneliden  hoch  entwickelte  Blutgefässe 
haben,  nur  auf  Rückbildung  beruhen  und  erklärt  sich  daraus,  dass  sich 
im  Allgemeinen  bei  geringer  Körpergröße  die  Organisation  vereinfacht. 
Daher  finden  sich  Arten  ohne  Herz  sowohl  bei  kleinen  Crustacecn 
(vielen  Copepoden)  als  auch  bei  kleinen  Arachnoideen  (vielen  Milben), 
während  verwandte  Arten  noch  das  Herz  besitzen. 

Von  den  grossen  Körperarterien  kann  das  Blut  entweder  direct  in 
die  Leibeshöhle  gelangen,  oder  es  muss  erst  einen  mehr  oder  minder 
complicirten  Weg  durch  Körperarterien,  Capillaren  und  Venen,  sowie 
durch  die  Athmungsorgane  beschreiben.  Man  findet  hierbei  die  ver- 
schiedensten Abstufungen  in  der  Vollkommenheit  des  Blutgefässsystems. 
Indessen  auch  da,  wo  die  höchste  Stufe  erreicht  wird,  ist  kein  völlig 
geschlossener  Blutkreislauf  vorhanden,  da  stets  ein  als  Pericard  fune- 
tionirender  Theil  der  Leibeshöhle  eingeschaltet  ist,  aus  welchem  heraus 
das  Herz  das  Blut  aufsaugt.  Die  verschiedene  Ausbildungsweise  des 
Blutgefässsystems  hängt  vorwiegend  von  der  Beschaffenheit  der  Re- 
spiration sorga  n  e  ab,  welche  wir  genauer  erst  bei  den  einzelnen 
Abtheilungen  besprechen  werden,  liier  genüge  die  Bemerkung,  dass 
je  mehr  sich  die  Athmung  an  bestimmten  Orten  und  in  bestimmten 
Organen  localisirt,  um  so  besser  Arterien,  Venen  und  Capillaren  ent- 
wickelt sind,  dass  dagegen  bei  diffus  durch  den  ganzen  Körper  ver- 


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Gliederfüssler. 


361 


breiteter  Athmung  das  Gefässsystem  bis  auf  das  Herz  redurirt  sein 
kann. 

Vergleichend  anatomische  und  entwicklangsgeschichtliche  Gründe 
machen  es  wahrscheinlich,  dass  das  Coelom  der  Arthropoden  bis  auf  kleine 
Reste  rückgebildet  ist,  dass  die  sogenannte  Leibeshöhle  ein  Theil  der  sinuös 
erweiterten  Blutbahn  ist.  So  würde  es  sich  erklären,  dass  das  Herz  sein 
Blut  aus  dem  „Pericard"  bezieht,  welches  als  ein  Theil  der  aus  Blutsinus 
hervorgegangenen  „Leibeshöhle"  mit  dem  Pericard  der  Mollusken  und 
Wirbelthierc  nicht  verglichen  werden  dürfte. 

Der  Raum  der  Leibeshöhle  ist  bei  den  Arthropoden  abgesehen  J2kK- 
von  anderen  Eingeweiden  häufig  durch  den  Fettkörper  eingeengt;  uo!»argaM. 
derselbe  ist  eine  Art  Bindegewebe,  dessen  reichlich  mit  Fett  beladene 
Zellen  ein  Nahrungsreservoir  für  den  Körper  bilden.  Daneben  hat  man 
Harnbestandtheile  wie  Harnsäure  aufgefunden  und  vermuthet,  dass 
Excretstoffe  vorübergehend  hier  aufgehäuft  werden,  bevor  sie  durch 
die  Excretionsorgane  nach  aussen  gelangen.  Was  letztere  anlangt,  so 
sind  sie  in  den  einzelnen  Abtheilungen  verschieden:  echte  Segmental- 
organe beim  Peripatus,  Schalen-  und  Antennendrüsen  bei  Crustaceen, 
Malpighi'sche  Gefässe  bei  Spinnen  und  Insecten. 

Die  Geschlechtsorgane  sind  äusserst  selten  hermaphrodit.  ti«»ch,fcM»- 
Bei  den  getrennt  geschlechtlichen  Formen  kann  man  fast  stets  Mänri-  orc*ne 
chen  und  Weibchen  schon  äußerlich  von  einander  unterscheiden,  sei 
es  an  Grösse  oder  Färbung  oder  an  der  Beschaffenheit  bestimmter 
Extremitäten,  namentlich  der  bei  der  Begattung  in  Function  tretenden. 
Die  Eier  sind  durchgängig  gross  und  •  dotterreich  und  haben  in  der 
Regel  die  Fähigkeit  zur  totalen  Furchung  verloren.  Bei  den  meisten 
Arthropoden  finden  wir  die  specielle  Form  der  par- 
tiellen Furchung,  die  man  die  superficiale  nennt  (S.  120, 
Fig.  IC«)).  Während  die  oberflächliche  Schicht  des  Eies  in  die  Em- 
bryonalzellen zerlegt  wird,  welche  das  Blastoderm  erzeugen,  erhält 
sich  lange  Zeit  über  oder  sogar  dauernd  im  Inneren  eine  ungefurchte 
Dottcrkugcl.  Diese  Furchungsweise  der  Eier  hat  ein  systematisches 
Interesse,  da  sie  ausser  bei  den  Arthropoden  nirgends  mehr  im  Thier- 
reich  beobachtet  wird. 

Entsprechend  ihrer  Organisationshöhe  kommt  bei  den  Arthropoden^  fl- 
echte ungeschlechtliche  Fortpflanzung  durch  Theilung  oder  Knospung"" p  aB,lsn** 
gar  nicht  mehr  vor.  wohl  aber  Parthenogenese  und  Paedo- 
genese.  Bei  vielen  Arthropoden  facultativ,  hat  die  Parthenogenese 
bei  anderen  eine  den  Lebensverhältnissen  der  Art  besonders  angepasste 
Bedeutung  gewonnen.  Bei  niederen  Krebsen  und  Pflanz enläusen  tritt 
Parthenogenesis  ein,  wenn  es  gilt,  die  Art  rasch  in  grossen  Mengen 
über  ein  Nährgebiet  zu  verbreiten.  Bei  den  Bienen  bestimmt  Par- 
thenogenesis das  Geschlecht,  indem  unbefruchtete  Eier  nur  Männchen 
liefern.  Vielleicht  wird  ein  genaueres  Studium  uns  noch  mit  weiteren 
Aufgaben  der  Parthenogenesis  vertraut  inachen. 

Da  neben  der  Parthenogenesis  —  vielleicht  mit  äusserst  spärlichen 
Ausnahmen  —  die  Fortpflanzung  durch  Befruchtung  fortbesteht,  so 
stellt  sich  nicht  selten  der  regelmässige  Cyklus  parthenogenetischer 
und  streng  geschlechtlicher  Generationen  ein,  die  H  eterog  en  i  e,  wenn 
dieselbe  auch  nie  in  so  typischer  Weise  ausgeprägt  ist,  wie  wir  sie 
schon  bei  Würmern  (J)istonieen)  kennen  gelernt  haben. 

Systematik.  Einer  der  hervorragendsten  französischen  Entomo- 
logen, Latreille,  theilte  die  Arthropoden  in  4  Classen,  Cntat»u-mi,  Mipria- 


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Gliederfüssler. 


j>o(hn,  Araehnokkea  und  Iiisrctcn.  Diese  Eintheilung  wird  im  Wesentlichen 
auch  jetzt  noch  beibehalten,  nur  bedarf  sie  der  Vervollständigung  nach  2 
Richtungen  hin.  Durch  die  Zoologen  der  Challengerexpodition  wurde  er- 
mittelt, dass  die  bis  dahin  räthselhafte  Gattung  Prrijmttm  unzweifelhaft 
zu  den  Arthropoden  gehört  und  unter  denselben  als  Repräsentant  einer 
fünften  besonderen  Classe.  der  Profratheatcn .  angesehen  werden  muss. 
Ferner  hat  sich  immer  mehr  herausgestellt,  dass  J 'rotracheaten,  Mt/riajxxiev, 
Sjntmen  und  Insrrfcn  in  der  Bildung  ihrer  Extremitäten  und  Athmungs- 
organe  einander  viel  näher  stehen  als  den  Crustarca.  Man  thut  daher 
gut,  sie  als  Trachratrn  zusammenzufassen.  Da  der  Perijmfus  mit  Um- 
gehung der  Oiistarwn  direct  zu  den  Aanrli/lcn  überleitet,  ist  es  wahr- 
scheinlich geworden,  dass  die  Trachea! ru  einerseits,  die  Crustaceen  anderer- 
seits sich  unabhängig  von  einander  entwickelt  haben,  wenn  auch  aus 
Urformen,  die  beide  der  Classe  der  Anmlhlcn  zuzurechnen  wären.  Das  ist 
einer  der  wichtigsten  Gründe,  die  man  für  Einverleibung  der  Annclhleu  in 
den  Stamm  der  Art iculatm  geltend  machen  kann,  weil  nur  auf  diesem  Weg 
der  Stamm  zu  einer  phylogenetischen  Einheit  abgeschlossen  wird.  Schliess- 
lich sei  hier  noch  erwähnt,  dass  die  Stellung  der  Arachnohhcn  Gegenstand 
lebhafter  Discussion  geworden  ist.  Viele  Zoologen  wollen  sie  ganz  von 
den  Tracheaten  ausschliessen  und  mit  gewissen  Crustaceen  {Ghjantostraken, 
Xiphoaurm)  vereinen;  sie  fassen  ProtracheaJen,  Mijria jtoden  und  Insectrn  als 
AutaiitfUrn  zusammen.  Ich  werde  dieser  Eintheilung  nicht  folgen,  wenn 
auch  au  ihr  richtig  ist ,  dass  die  einzelneu  Classen  der  Antcnnatcn  unter 
einander  näher  verwandt  sind,  als  mit  den  Arachnohhcn. 


I.  Unterstamm  und  I.  Classe. 
(nistaccen,  Krebsthiere. 

pmter.  Ihren  lateinischen  Namen  „Crustaceen"  haben  die  Krebsthiere 
dem  Umstand  zu  verdanken,  dass  ihre  Chitinpanzerung  durch  Ein- 
lagerung von  kohlensaurem  Kalk  eine  bedeutende  Festigkeit  erhalten 
hat;  die  Chitinschicht  hat  dadurch  die  ihr  von  Natur  zukommende 
Elasticität  cingebüsst,  ist  spröde  geworden  und  splittert  leicht; 
sie  wird  wiederum  weich,  wenn  bei  Zusatz  von  Essigsäure  oder  Salz- 
säure der  kohlensaure  Kalk  unter  Aufbrausen  gelöst  wird. 

Kiemen.  Weitere  systematisch  wichtige  Merkmale  der  Crustaceen  hängen 
mit  ihrem  Aufenthaltsort  zusammen ;  die  Crustaceen  sind  typische 
Wasserbe w ohne r  und  athmen  demgemiiss  durch  Kiemen.  Diese 
Athmung  wird  auch  beibehalten,  wenn  die  Thiere,  wie  z.  B.  unsere 
Flusskrebse,  längere  Zeit  im  Trocknen  zu  leben  vermögen.  Die  Fluss- 
krebse behalten,  um  dies  zu  ermöglichen,  in  ihrer  Kiemenhöhle  stets 
Wasser  zurück,  so  dass  ihre  Athmungsorgane  dauernd  von  Wasser 
befeuchtet  bleiben.  Nur  wenige  Ausnahmen  giebt  es  von  der  Regel; 
Landkrabben,  Mauer-  und  Kellerasseln  athmen  trockene  Luft  entweder 
mit  denselben  Organen,  die  sonst  als  Kiemen  funetioniren,  oder  mit 
besonderen,  später  zu  besprechenden  Einrichtungen  an  den  Schutzorganen 
der  Kiemen.  Die  Kiemen  der  Krebse  finden  sich  stets  an  Stellen, 
wo  ein  rascher  Wasserwechsel  ermöglicht  ist.  Diesen  Bedingungen 
genügen  besonders  die  Extremitäten;  daher  findet  man  die  Kiemen 


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I.  Crustaceeu. 


363 


als  za  r  thäu  t  i  ge ,  blutreiche  Büschel  (Fig.  58,  S.  87)  oder  Platten  ent- 
weder an  den  Extremitäten  selbst  oder  in  ihrer  Nähe  am  Körper  an- 
geheftet, oder  ganze  Extremitäten  sind  zu  zarthäutigen  Platten  und 
somit  zu  Kiemen  geworden  (Seite  370,  Fig.  3(58,  Seite  3*5,  Fig.  384). 
Ausser  den  Kiemen  dient  die  übrige  Körperoberfläche  zur  Athmung; 
die  Hautathmung  kann  sogar  bei  kleinen  dünnhäutigen  Formen ,  bei 
denen  besondere  Kiemen  häufig  fehlen  oder  nur  als  Rudimente  auf- 
treten, die  allein  wichtige  werden,  so  dass  wir  dann  anstatt  localisirter 
Athmung  eine  diffuse  Athmung  mit  allen  ihren  Folgen  auf  die  Circu- 
lationsorgane  erhalten.  Während  bei  localisirter  Athmung  Herz,  Ar- 
terien, Venen  und  Capillaren  hoch  entwickelt  sind,  findet  sich  bei  den 
durch  die  Haut  athmenden  niederen  Formen  gewöhnlich  nur  das  Herz, 
und  auch  dieses  häufig  in  stark  reducirter  Gestalt  ;  oder  es  ist  mit 
dem  Herzen  der  letzte  Rest  eines  Circulationsapparats  verloren  ge- 
gangen. 

Da  vom  Aufenthalt  im  Wasser  ausser  der  Athmung  auch  dieE**«»«***. 
Fortbewegungsweise  bestimmt  wird,  so  besitzen  die  Crustaceen  auch 
eine  besondere  Extremitätenform,  den  Spalt-  oder  Schwimmfuss, 
durch  den  sie  sich  von  sämmtlichen  Tracheaten  unterscheiden.  Während 
bei  diesen,  wie  jedes  Insect  lehrt,  die  Glieder  eines  Beines  in  einer 
einzigen  Reihe  hinter  einander  liegen,  bilden  sie  bei  den  Krebsen 
zwei  Reihen  oder  zwei  Aeste,  einen  äusseren  Schwimmfussast 
und  einen  inneren  Gehfussast  (Fig.  3(11  I).  Zunächst  beginnt  aller- 
dings die  Extremität  mit  einer  einreihigen  aus  zwei  Gliedern  bestehen- 
den Basis  (1  u.  _),  dann  aber  gabelt  sie  sich  sofort  in  die  beiden 
Aeste  (a  u.  i),  deren  Namen  folgende  Betrachtung  verständlich  machen 
wird. 


Fijr.  'M>1.  Co|>epi>dcnextreinitäten  I—IY  von  Diaptnmus  Castnr.  I  ein  Paar 
Spalt tü •*!«.• ,  II  zweite  rechte  Antenne .  ///  rechte  Mandibel,  IV  rechte  Maxille:  I' 
rechte  Mandibel  von  Ct/rlops  ronmalus.  1  und  -  erstes  und  zweites;  (Mied  der  Basis. 
n  Aussenast,  /'  Innenast. 

Der  Spaltfuss  findet  sich  nur  so  lange,  als  die  Extremität  zum  Schwim- 
men verwandt  wird;  bei  Krebsen,  welche  vorwiegend  auf  dem  Boden  der 
Gewässer  kriechen  ,  wie  Flusskrebs  und  Wasserassel ,  fehlt  der  äussere,  zum 
Schwimmen  besonders  dienende  Ast  gänzlich  und  es  rindet  sich  nur  der 
innere  Gehrussast,  welcher  allein  die  Verlängerung  der  Basis  und  mit  ihr 
ein  Gangbein  nach  Art  der  Tracheatenextremität  bildet.    Auf  den  ersten 


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864 


Gliederfüssler. 


Blick  scheint  damit  die  Beschaffenheit  der  Extremität  die  ihr  beigemessene 
systematische  Bedeutung  zu  verlieren;  allein  eine  genauere  Betrachtung 
lehrt,  dass  diese  Umwandlung  sich  stets  nur  an  einem  Theil  der  Extre- 
mitäten äussert.  Die  Abdominalfüsse,  die  Pedes  spurii,  behalten  den  Spalt- 
fusscharakter bei ;  ebenso  kann  man  an  den  Tastern  der  Mandibeln,  Maxillen 
und  an  den  Maxillarfüssen  häutig  noch  Innen-  und  Aussenast  erkennen.  Endlich 
lässt  sich  vielfach  sogar  für  die  Gangbeine  die  Entstehung  aus  Schwimm- 
füssen mit  Sicherheit  nachweisen,  wie  z.  B.  die  meisten  marinen  Ver- 
wandten unseres  Flusskrebses  schwimmende  Larven  besitzen  (das  Mysis- 
stadium),  bei  welchen  der  Schwimmfussast  vorhanden  ist  und  erst  verloren 
geht,  wenn  bei  der  Metamorphose  die  schwimmende  Lebensweise  mit  der 
kriechenden  vertauscht  wird.  Man  kann  somit  mit  vollem  Recht  den  Satz 
aufstellen,  dass  die  Urform  der  Crustaceenextremität  der 
Bpaltfuas  ist. 

Die  Extremitäten  liefern  uns  noch  ein  weiteres,  zum  Erkennen  der 
Crustaceen  äusserst  werthvolles  Merkmal,  dass  nämlich  zwei  Paar 
Antennen  vorhanden  sind.  Man  muss  dabei  freilich  die  Charak- 
teristik der  Antennen  hauptsächlich  auf  morphologische  Merkmale 
stützen,  dass  sie  vor  der  Mundöffnung  liegen  und  vom  Hirn  oder  der 
Schlundcommissur  aus  innervirt  werden;  denn  die  zweiten  Antennen 
mancher  Entomostraken  dienen  keineswegs  zum  Tasten,  sondern  sind 
mächtige  Rüderorgane,  Ruderantennen,  geworden. 

Ueber  die  innere  Organisation  ist  wenig  Allgemeines  zu 
sagen.  Am  Darm  fällt  der  gänzliche  Mangel  der  Speicheldrüsen  auf: 
dagegen  ist  häutig  der  Vorderdarm  zum  Kaumagen  erweitert  und  der 
darauf  folgende  Theil  mit  einer  Leber  ausgerüstet.  Letztere  findet 
man  auf  den  verschiedensten  Stufen  der  Ausbildung,  von  den  zwei 
einfachen  Blindsäcken  oder  Leberhörnchen  der  Daphniden  (Fig.  3<>1») 

bis  zu  den  gewaltigen  Leberlappen  der  Deca- 
poden  (Fig.  31K)).  Als  Niere  werden  zwei 
Drüsen  gedeutet,  welche  Schalendrüse  und  An- 
tennendrüse heissen.  Die  Schal  endrüse 
—  fälschlich  so  genannt,  weil  man  glaubte, 
die  Bildung  der  Schale  ginge  von  ihr  aus  — 
mündet  jederseits  neben  der  vierten  Extremi- 
tät, der  Maxille,  die  Antennendrüse  an 
der  Basis  der  zweiten  Extremität,  der  grossen 
Antenne.  Beide  haben  denselben  Bau  (Fig. 
362)  und  sind  vielfach  gewundene  Canäle,  die 
mit  einer  Blase  beginnen  und  öfters  auch  mit 
einer  Art  Harnblase  enden.  Durch  das  Auf- 
treten von  schleifenförmigcn  Canälen  in  zwei 
Segmenten  erinnern  die  Drüsen  an  die  Seg- 
mentalorgane der  Anneliden ;  es  ist  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  sie  modificirte  Segmentalorgane 
Fig.302.  Äntennendrüsc    sind;  freilich  findet  man  Schalendrüse  und  An- 

r'ulfan-bl-re1  "Äit"  tenncn«,n,se  nur  bei  Crustaceenlarven  gleich- 
lacun.m  ffarum.'  rr  Nieren-    zeitig;  sonst  scheinen  sie  für  einander  zu  vi- 

canal,  //   Harnbla.«-    mit  earürcn. 

Mündung  >n.  j)as  Auge  der  Crustaceen  ist  entweder  ein 

dem  Hirn  aufgelagerter,  mit  drei  Linsen  aus- 
genisteter unpaarer  Piginentficck,  das  sogenannte  X au p Ii u sauge, 
oder  es  ist  ein  paariges  zusammengesetztes  Auge;  jenes  tritt  vor- 


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I.  Crustaceen. 


365 


wiegend  bei  niederen  Krebsen,  dieses  bei  den  höheren  Formen  auf; 
viele  Arten  haben  beiderlei  Augen  gleichzeitig.  Geruchs-  und 
Tastapparate  finden  sich  in  Form  von  chitinösen  Stiftchen  und 
Haaren,  besonders  an  den  ersten 
Antennen.  Ein  Gehörorgan 
(Fig.  363)  kommt  nur  den  höhe- 
ren Krebsen  zu:  dasselbe  ist  sel- 
ten ein  Bläschen,  häufiger  ein  von 
Chitin  ausgekleidetes  Grübchen 
in  der  Basis  der  ersten  Antenne. 
Am  Grunde  des  Grübchens  be- 
findet sich  die  Crista  acustica, 
eine  Reihe  beweglicher  Chitin- 
haare, die  mit  ihren  Spitzen  in 
einen  Haufen  von  Hörsteinchen 
hineinragen,  während  an  ihre  ba- 
salen Enden  der  Hörnerv  tritt. 
Stärkere  Haare  decken  den  Eingang  zum  Grübchen  zu. 

Bei  den  periodischen  Häutungen  wird  natürlich  auch  die  Chitinaus- 
kleidung des  Hörorgans  nebst  seinen  Schutzhaaren,  Hörhaaren  und  Hör- 
steinen erneuert.  Man  kann  jetzt  durch  ein  einfaches  Experiment  fest- 
stellen, dass  die  Hörsteine  kleine  Partikeln  sind,  die  von  aussen  in  das 
Hörgrübchen  gesammelt  werden.  Denn  wenn  man  einen  frisch  gehäuteten 
Krebs  in  einem  vollkommen  reinen  Glashafen  züchtet,  so  bleibt  das  Thier 
ohne  Otolithen,  zeigt  aber,  wenn  man  gekörnelte  Substanzen  von  einer 
leicht  erkennbaren  Beschaffenheit,  wie  Harnsäurekrystalle,  einstreut,  bald 
einen  Theil  der  betreffenden  Körper  im  Hörgrübchen. 

Im  Geschlechtsapparat,  der  nur  ausnahmsweise  hermaphrodit 
ist,  fällt  vor  Allem  die  merkwürdige  G rösse  der  Sperma to- 
zoen  auf,  welche  bei  manchen  Ostracodeif  fast  ebenso  lang  werden 
wie  das  ganze  Thier.  Stets  sind  die  Spermatozoon  ohne  Geissei  und 
daher  unbeweglich  ;  ihr  kugeliger  oder  langgestreckter  Körper  pflegt 
mit  starren  spitzen  Ausläufern  bedeckt  zu  sein,  welche  in  ihrer  Form 
an  die  Pseudopodien  eines  Actinosphaerium  erinnern  (Fig.  My  d, 
S.  65). 

Die  typische  Entwicklung  eines  Crustaceen  ist  die  Metamor-  g*jffi 
phose,  in  deren  Verlauf  mancherlei  Larvenformen  auftreten,  unter  gewehte, 
denen  der  Nauplius  und  die  Zoea  besonderes  Interesse  bieten. 
Der  Nauplius  (S.  30,  Fig.  8)  besitzt  einen  ovalen  Schild,  der  vom 
Rücken  die  drei  Segmente,  aus  denen  sein  Körper  besteht,  bedeckt; 
darunter  kommen  jederseits  drei  zum  Schwimmen  dienende  Extremitäten 
zum  Vorschein.  Die  erste  einreihige  Extremität  liefert  später  die  erste  An- 
tenne; die  beiden  folgenden  sind  Spaltffisse  und  wandeln  sich  bei  der 
Metamorphose  in  die  zweite  Antenne  und  in  die  Mandibel  um,  ein 
sprechender  Beweis,  dass  in  der  That  Antennen  und  Kiefer  nur  modi- 
ficirte  locomotorische  Gliedmaassen  sind.  Im  Innern  liegt  ein  dreithei- 
liger  Darm,  ein  oberes  Schlundganglion  und  darauf  das  unpaare  Nau- 
pliusauge,  ventral  das  Bauchmark.  Die  Zoea  (Fig.  364)  hat  einen 
viel  complicirteren  Bau,  indem  sie  schon  aus  Cephalothorax  und  Ab- 
domen besteht,  von  denen  der  erstere  mehrere  Schwimmfüsse  trägt, 
das  letztere  noch  extremitätenlos  ist.  F'erner  finden  sich  zwei  grosse 
zusammengesetzte  Augen  (o)  und  dorsal  vom  Darm  ein  Herz  (/»).  Viel- 
fach ist  der  Cephalothorax  mit  enorm  langen  Stacheln  versehen,  welche 


Fig.  '.Mi.  Hörgrübehen  de»  Flusskrebses 
aus  der  Antenne  herauspräparirt.  a  Ein- 
gang ,  r  Mündungsrand ,  as  Hörleiste ,  b 
Blindes  Ende  der  Grube,  n  Hörnerv,  n' 
Verästelungen  desselben  an  der  Hörleiste 
(aus  Huxley). 


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M6 


Gliederfüssler. 


vom  Rücken,  von  der  Seite  und  von  der  Spitze  desselben  wie  Balancir- 
stangen  in  das  Wasser  hineinragen  und  wohl  bestimmt  sind,  das  Thier 
gegen  seine  Feinde  zu  sehtttzen. 

Nauplius  und  Zoea  sind  von 
systematischer  Bedeutung  und  wer- 
den zur  Unterscheidung  der  Ento- 
mostraken   oder   niederen  Krebse 
und  der  Malakostraken  oder  höhe- 
ren Krebse  benutzt.    Bei  den  Ento- 
mostraken  findet  sich  der  Nauplius. 
dagegen  niemals  die  Zoea:  bei  den 
Malakostraken  dagegen  beginnt  die 
Metamorphose  gewöhnlich   mit  der 
Zoea  und  nur  ausnahmsweise  tritt 
als  niederes,  vorbereitendes  Stadiuni 
der  Nauplius  auf.    Die  systematische 
Vorwerfbarkeit  des  erläuterten  Un- 
,    terschieds   wird  erheblich  dadurch 
dt  ÄfilJ    beeinträchtigt   dass  es  sowohl  ft- 
dornen:»,  II'—  VIII  die  Bnistnepnent«-.    tonwstraken,  als  auch  Malakostraken 
/  und  2  die  Antennen,  /,  //,  ///  die   giebt,  welche  überhaupt  keine  Larven 
Kieferfüss«-.  besitzen,  sondern  sich  direct  ent- 

wickeln. Daher  ist  es  nothwendig. 
die  Unterscheidung  der  beiden  Unterlassen  auf  anatomische  Merk- 
male zu  begründen.  Bei  den  Entomostraken  herrscht  eine  grosse 
Variabilität  in  der  Zahl  der  Segmente  und  in  der  Vertheilung  der- 
selben auf  die  einzelnen  Körperabschnitte.  Bei  Branchiopoden  z.  B. 
schwankt  die  Segmentzahl  zwischen  ca.  10  bei  Daphniden  und  ca.  4f> 
bei  Apusiden.  Bei  den  Malakostraken  dagegen  ist  die  Segmentzahl 
im  Ganzen  auf  20  fixirt,*von  denen  stets  sieben  auf  das  Abdomen 
kommen,  während  in  der  Verwendung  der  13  vorderen  Segmente,  welche 
Kopf  und  Thorax  ausmachen,  Unterschiede  zwischen  den  einzelnen 
Ordnungen  vorhanden  sind.  Auch  die  Mündungen  der  Geschlechts- 
organe sind  bei  den  Malakostraken  an  bestimmte  Segmente  gebunden, 
die  weibliche  Geschlcchtsöffnung  an  das  11.,  die  männliche  an  das  V\ 
Segment.  Endlich  unterscheiden  sich  höhere  und  niedere  Krebse  noch 
durch  die  Niere ;  als  Niere  der  Entomostraken  funetionirt  die  Maxillar- 
drüse  (Schalendrüse),  als  Niere  der  Malakostraken  die  Anten nendrüse 
(grüne  Druse). 

Zum  Scbluss  noch  einige  Bemerkungen  zu  den  Namen  „Entomostraea- . 
-Gli&lerschakr"  und  „Malacostraca",  „Hcirlischaler" .  Wenn  wir  nämlich 
beide  Gruppen  auf  Härte  und  Deutlichkeit  der  Gliederung  des  Chitin- 
panzers prüfen,  so  kommen  wir  zu  dem  merkwürdigen  Resultat,  dass  die 
„Gliederschaler"  eine  viel  undeutlichere  Segmentirung  haben  als  die 
„Weichschaler",  dass  umgekehrt  die  „Weichschaler"  ausserordentlich  viel 
härter  gepanzert  sind  als  die  „Gliederschaler".  Hätte  man,  wie  es  auf  den 
ersten  Blick  den  Eindruck  macht,  mit  den  Namen  einen  Gegensatz  beider 
Gruppen  ausdrücken  wollen,  so  wären  die  Bezeichnungen  geradezu  ver- 
tauscht; es  müssten  die  niederen  Krebse  Malacostram,  die  höheren  Ento- 
mostraca  heissen.  Indessen  haben  sich  die  Namen  historisch  gar  nicht  im 
Gegensatz  zu  einander  entwickelt,  sondern  wurden  zu  ganz  verschiedene» 
Zeiten,  bei  des  mal  im  Gegensatz  zu  den  Ostr/tkodermcn,  in  die  Zoologie  ein- 
geführt.    Aristoteles  nannte   den  Flusskrebs  und  seine  Verwandten 


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I.  Entomostraken :  Copepoden. 


367 


mit  Recht  „Malacostraca" ,  da  ihr  Kalkpanzer  an  die  Festigkeit  des  Kalk- 
panzers einer  Muschel  oder  Schnecke  (Ostracodermata)  nicht  heranreicht; 
er  kannte  die  niederen  Krebse  noch  gar  nicht ;  diese  wurden  mit  Ausnahme 
der  CHirijmikn  erst  im  17.  und  18.  Jahrhundert  beschrieben,  darunter 
die  mit  zweiklappigen  Schalen  versehenen  Ostracoden  und  Dapknidcn,  welche 
O.  F.  Müller  „Entomostraca  seu  Insecta  testacea",  gegliederte  Schal- 
thiere,  nannte. 


I.  Unterclasse. 

Entomostraken. 

L  Ordnung.    Copepoden,  Ruderfüssler. 

Um  in  das  Studium  der  Crustaceen  einzuleiten,  sind  die  Copepoden 
am  geeignetsten,  da  sie  nicht  nur  einfacher,  sondern  auch  ursprüng- 
licher gebaut  sind  als  die  übrigen  Entomostraken  (Fig.  365).  Die  16 
Segmente  ihres  Körpers  sind  auffallend  gleichförmig  auf  die  einzelnen 
Körperabschnitte  vertheilt  (Kopf  6,  Thorax  5,  Abdomen  5),  nur  dass 
ab  und  zu  wie  bei  den  Cyclopiden  des  Süsswassers  das  erste  Thorax- 


Fig.  'Mi').  Diaptomus  Caxtor.  y  olieres  Schliimlganglioii  mit  Xaupliunaugc,  // 
Bauchraark,  h  Herz,  sp  Spormatophoren,  Dann  und  Ovar  nicht  bezeichnet.  /  erste 
Antenne,  2  zweite  Antenne,  .VMandibel,  /  Maxille,  ö  Pedca  maxillarew,  6— 10  Schwimin- 
fibse. 

segment  mit  dem  Kopf  und  die  ersten  2  Abdominalsegmente  unter 
einander  verschmolzen  sind  (Fig.  8  S.  30).  Sehr  charakteristisch  ist 
das  letzte  Abdominalsegment,  das  sich  zur  Furca  gabelt.  Während 
das  Abdomen  keine  Extremitäten  besitzt,  trägt  der  Thorax  5  Paar 
typische  Spaltfüsse  (das  letzte  Paar  meist  rudimentär),  wie  sie 
in  gleicher  Ursprünglichkeit  nur  noch  bei  Larven  von  Krebsen 
vorkommen  (Fig.  361).  Auch  die  Kopfextremitäten  lassen  vielfach 
noch  deutlich  erkennen,  dass  sie  aus  Umbildung  von  Spaltfüssen  ent- 
standen sind. 

Von  den  6  Paar  Kopfextremitäten  sind  die  beiden  vordersten,  die 
Antennen,  häufig  einander  sehr  ähnlich  und  stehen  über  den  vordersten 
Rand  des  Kopfschildes  wie  Hörner  hervor,  worauf  die  alte  Speciesbezeich- 


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Gliederfüssler. 


nung  „Oyclops  quadricornis"  Bezug  nimmt.  Die  erste  Antenne  ist  stets 
einreihig  und  kann  beim  Männchen  unweit  der  Basis  hakenartig  zum  Fest- 
halten des  Weibchens  während  der  Begattung  eingeschlagen  werden.  Die 
zweite  Antenne  kann  dagegen  den  Charakter  des  Spaltfusses  bewahren 
(Fig.  361  H).  Sehr  interessant  ist  die  Mandibel,  indem  sie  oft  noch 
einen  spaltfüssigen  Palpus  mandibularis  tragt  und  somit  von  Art  zu  Art 
verglichen  durch  zahlreiche  Uebergänge  (Fig.  361  III,  V)  lehrt  wie  sie 
aus  dem  Schwimmfuss  hervorgegangen  ist.  Auch  der  Palpus  der  Max  ille 
zeigt  noch  Reste  eines  Innen-  und  Aussenastes  (Fig.  361  IV).  Den  Ab- 
schluss  des  Kopfes  bilden  link*  und  rechts  2  zum  Ergreifen  der  Nahrung 
dienende  Pedes  maxillares;  früher  als  die  auseinandergerückten  Aeste 
e  i  n  e  8  Fusspaares  gedeutet,  gelten  sie  jetzt  für  die  Reste  von  2  Extre- 
mitätenpaaren. 

Aeusserst  einfach  ist  auch  die  innere  Anatomie  (Fig.  365), 
der  Darm  hat  noch  keine  Leber  und  verläuft  fast  gleichförmig  bis  zu 
dem  zwischen  den  beiden  Aesten  der  Furca  gelegenen  After.  Als 
Auge  functionirt  das  unpaare,  dem  Hirn  dicht  aufgelagerte  Nauplius- 
auge,  welches  der  bekanntesten  Copepodengattung  den  Namen  „Cyclopf 
verschafft  hat.  Kiemen  fehlen  stets,  Herz  und  Blutgefässe  meistens; 
nur  bei  wenigen  parasitischen  Gattungen  hat  man  ein  System  com- 
municirender  Röhren  gefunden,  die  man  als  Blutgefässe  deutet,  bei 
anderen  frei  lebenden  Gattungen  ein  kleines,  gedrungenes,  lebhaft  pul- 
sirendes  Herz.  Beim  Männchen  und  Weibchen  sind  die  G  eschl  e  chts- 
drüsen  unpaar.  ihre  Ausführwege  dagegen,  welche  am  Anfang  des 
Abdomen  meist  getrennt  links  und  rechts  münden,  sind  paarig.  Neben 
dem  Oviduct  besitzt  (las  Weibchen  ein  Receptaculum  seminis,  an  dem 
das  Männchen  seine  in  Spermatophoren  verpackte  Samonmasse  an- 
klebt. Wenn  die  Eier  den  Oviduct  verlassen,  werden  sie  durch  Sperma, 
welches  vom  Receptaculum  aus  an  sie  herantritt,  befruchtet  und  gewöhn- 
lich gleichzeitig  mit  anderen  Eiern  gemeinsam  in  eine  Gallerte  gehüllt 
So  entstehen  am  Abdomen  des  Weibchens  je  nach  den 
Arten  paarige  oder  unpaare  „Eiersäckchen",  an  denen  man 
die  Weibchen  leicht  erkennen  kann  (vergl.  Seite  30,  Fig.  8).  Aus  den 
Eiern  kommt  ein  Nauplius  heraus,  der  zum  ausgebildeten  Copepoden 
heranwächst,  indem  am  hinteren  Ende  die  fehlenden  Segmente  und 
Extremitäten  hervorsprossen  und  die  3  Paar  vorhandenen  Extremitäten 
sich  in  die  Antennen  und  die  Mandibeln  verwandeln. 

Die  hier  geschilderten  Copepoden  sind  in  vielen  Arten  und  in  ganz 
enormen  Mengen  von  Individuen  im  Süss-  und  Meerwasser  verbreitet  und 
bilden  hier  den  ansehnlichsten  Theil  des  „Plankton",  d.  i.  der  herum- 
treibenden Organismenwelt.  Im  Süsswasser  können  mit  ihnen  nur  die 
sogleich  zu  besprechenden  Brauch  iopoden  rivalisiren.  Gewisse  Arten  ( Ctto- 
chilus  septentrionalis)  entwickeln  sich  im  Eismeer  zu  solcher  Menge,  dass 
das  Meer  von  ihren  dichtgedrängten  Schaaren  röthlich  gefärbt  wird  (Wal- 
fischbänke der  Seefahrer).  Durch  diese  einzig  dastehende  Fruchtbarkeit 
bilden  die  niederen  Crustaceen  die  wichtigste  Nahrungsquelle  der  Fische, 
und  auch  der  Riesen  unter  den  Säugethieren,  der  Bartenwale. 

In  die  Ordnung  der  Copepoden  gehören  ferner  Thiere,  auf  welche  die 
bisherige  Schilderung  gar  nicht  passt  (Fig.  366,  vergl.  auch  S.  29,  Fig.  6 
u.  7),  Thiere  von  so  merkwürdigem  Aeusseren,  dass  sie  lange  Zeit  für 
.  Würmer  gehalten  worden  sind.  Sie  wohnen,  mit  den  zu  einem  Saug-  und 
Stecbrüssel  umgebildeten  Mundglied maassen  in  das  Gewebe  eingebohrt,  auf 
den  Kiemen  oder  der  Haut  der  Fische  und  habon  einen  unförmlichen  Körper, 


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I.  Entomostraken :  Copepoden. 


309 


an  welchem  man  vielfach  nichts  mehr  von  Gliederung  und  nur  Spuren  von 
Extremitäten  finden  kann.  Man  würde  die  Thiere  zunächst  nicht  einmal 
für  Arthropoden  halten  dürfen,  wenn  nicht  drei  Merkmale  die  systematische 
Stellung  klar  bewiesen.  1)  Die  meisten  Thiere  haben  am  hinteren  Ende 
die  2  Eiersäckchen  der  Copepoden;  nur  sind  sie  häufig  in  spiral  auf- 
gerollte Schnüre  verlängert.  2)  Im  Laufe  der  Jahre  hat  man  eine  voll- 
ständige Kette  von  Zwischenformen  aufgefunden,  die  Schritt  für  Schritt 
verfolgen  lassen,  wie  allmählig  die  zierliche  Gestalt  eines  frei  beweglichen 
Copepoden  in  den  plumpen  Körper  eines  Parasiten  übergeführt  wird. 
3)  Am  überzeugendsten  ist  die  Entwicklungsgeschichte;  jeder  parasitische 
Copepode  verlässt  das  Ei  als  Nauplius  und  durchläuft  das  T.Cyclopsstadiumt, 
ehe  er  sich  auf  den  Fischen  festsetzt  und  zum  hochgradig  rückgebildeten 
Parasiten  wird  (Fig.  6,  S.  29).  Die  angesaugten  Thiere  sind  stets  Weib- 
chen. Die  Männchen  haben  andere  Gestalt;  sie  überschreiten  vielfach  da3 
Cyclopsstadium  nicht,  sondern  vollziehen  auf  diesem  Stadium  die  Begattung 
und  sterben  ab  (Fig.  7) ;  oder  sie  machen  ebenfalls  eine  Metamorphose  durch, 
bleiben  aber  dabei  klein  und  von  ganz  absonderlicher  Form.  Man  findet  sie  in 
der  Nähe  der  Geschlechtsöffnung  am  Körper  des  Weibchens  festgeklammert, 

L  Unterordnung.  Eucojjcpoden.  Zu  den  frei  lebenden  Copepoden  ge- 
hören im  Süsswasser  vor  Allem  die  CycJopiden :  Oyclops  coronatus  Claus  (Fig.  8), 
ferner  die  mit  einem  Herz  versehenen,  theils  im  Meer,  theils  im  Süsswasser 
lebenden  Calaniden:  Cctochüns  septeiitrioncdis  Goods.;  Diaptomus  Castor  Jur. 
(Fig.  305).  Den  Uebergang  zu  den  Parasiten  vermitteln  die  Corycaeiden 
{auf  pelagischen  Thieren  lebt  die  durch  leuchtenden  Metallglanz  ausge- 
zeichnete Snpphirina  ftüyens  Thomps.)  und  die  im  Kiemenkorb  von  Ascidien 
schmarotzenden  Notodelphidcn  {Xotodelphys  agilis  Thor.). 

II.  Unterordnung.  Paramiica.  Hochgradige  parasitische  Degeneration 
findet  sich  bei  den  Lemaciden:  Lernaeti  branchialis  L.,  auf  Dorsch  und 
Flundern,  Leniacocera  esocina  Burm.  auf  dem  Hecht  (Fig.  366),  und  bei  den 
jAmaeopodiden :  Achtheres  percarum  Nordm.  (Fig.  6). 


Fig.  3*50. 


> 


Fig.  367. 


Fig.  366.  Lemaeocera  esocina. 
Weibchen  (aus  Lang  nach  Claus). 
ua  Stirnauge,  tl — t*  rudimentäre 
Thoraxextremitäten,  d  Dann,  od 
Oviduct,  es  Eiersäckchen,  A  arm- 
artige Fortsätze  am  vorderen 
Körperende. 


Fig.  367.  Argulus  foliaceus 
(aus  Leunis-Ludwig).  a  Stachel, 
ax  Antenne,  pml,  pur  erster  und 
zweiter  Pes  maxillaris,  b  Mund, 
e  Darm  mit  Leber,  d  Abdomen, 
p*—  p*  Spaltfüsse  des  Thorax. 


c 


Hertwjj,    I.-hrbuch  dw  Zoologie.    3.  Auflag* 


2i 


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370 


Gliedert'üsslor. 


III.  Unterordnung.  Branehiuren,  mit  der  kleinen  Familie  der  Argxdidm 
oder  Karpfenläuse  (Fig.  387),  Krebsen  von  etwa  1  cm  Länge,  die  sich  mit 
Hilfe  von  Saugnäpfen  und  Krallen,  welche  aus  umgewandelten  Pedes 
maxillares  hervorgegangen  sind,  an  der  Haut  von  Cyprinoiden  und  anderen 
Fischen  festhalten.  Sie  sind  zugleich  vermöge  der  4  Paar  wohl  ent- 
wickelten Ruderfüsse  vorzügliche  Schwimmer.  Der  Körper  hat  die  Gestalt 
eines  herzförmig  ausgeschnittenen  Schildes,  unter  dem  nur  die  letzten  Thorax- 
segmente und  das  Abdomon  horvorschauen.  In  vieler  Hinsicht  erheben 
sich  die  Aryulidcn  über  den  Bau  der  übrigen  Copepoden  und  nähern  sich 
den  Branchiopoden ,  indem  sie  ein  Paar  zusammengesetzte  Augen,  einen 
Darm  mit  verästelten  Leberblindschläuchen  und  ein  im  Bauchabschnitt  ge- 
legenes Herz  besitzen.    Argulm  foliaceus  L. 

II.  Ordnung.    Branchiopoden,  Kiemen füssler. 

Obwohl  die  Branchiopoden  eine  im  höchsten  Grade  einheitliche 
Gruppe  bilden,  ist  es  nicht  möglich,  auch  nur  einen  auf  die  Ordnung 

beschränkten,  systematisch  brauch- 
baren Charakter  ausfindig  zu 
machen,  welcher  unverändert  durch 
die  ganze  Gruppe  hindurch  sich 
erhielte.  Das  auffälligste  Merk- 
mal ist  die  eigenthümliche  Gestalt 
der  Beine;  dieselben  verlieren 
aber  ihre  charakteristische  Be- 
schaffenheit und  werden  zu  ge- 
wöhnlichen Spalt-  oder  Gehfüssen, 
je  mehr  in  der  Gruppe  ein  zwei- 
tes Merkmal,  die  mächtige  Rü- 
de ran  tenne,  an  Bedeutung  ge- 
winnt. Sehr  verbreitet  sind  paa- 
rige oder  unpaare  II  a  u  t  d  u  p  1  i  - 
caturen,  aber  sie  fehlen  am 
Anfang  der  Reihe  und  können 
andererseits  auch  am  Ende  der 
Reihe  wieder  verschwinden.  Trotz 
alledem  fügen  sich  die  einzelnen 
Familien  der  Branchiopoden  ver- 
wandtschaftlich zu  einer  so  fest 
geschlossenen  Ordnung  an  einan- 
der, dass  die  systematische  Zu- 
sammengehörigkeit auch  der  Emi- 
formen nicht  zweifelhaft  sein  kann. 

Der  Branchiopodenfus* 
(Fig.  368)  lässt  sich  aus  dem  Co- 
Fig.  3G8.  Brniuhioi)odenfü«se.  /und//   pepodenfuss  durch  2  Umformun- 
zweites  und  sechstes  ik-in  von  Brauchiims   gen  leicht  ableiten :  erstens  müssen 
Grubri  (nach  G<  r*täcker).    ///  viertes  Bein    wjr  uns  vorstellen,  dass   sich  an 

von  Duphua  *nna   (nach  Glau»),   b  BSMB,      ,       Ttncic  rlor  TTtromitSt  nin  k'Jf» 
a  Au^nast,  t  Innenast,  k  Kiemen.äckchen.    (,ei   ^af  1SU  (ler  Extremität  ein  hie- 

mensackchen  durch  Ausstülpung 
entwickelt  hat;  zweitens  müssen  wir  annehmen,  dass  der  Innen- 
und  Aussenast  zu  breiten  Platten  geworden  sind,  die  man  Ruder- 
platte und  Branchialplatte  nennt.    Die  Zahl  der  Beine  und  dem- 


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I.  Entomo8traken :  Branchiopoden. 


371 


gemäss  auch  die  Zahl  der  Thorax- 
segmente schwankt  ausserordent- 
lich zwischen  4— t;  bei  den  l)a- 
phniden  und  10—40  bei  den 
Esther i den  und  Apuaiden;  ebenso 
inconstant  ist  die  stets  geringe 
Zahl  der  extremitätenlosen  Ab- 
dominalsegmente; dagegen  haben 
alle  Branchiopoden  4  (selten  5) 
Kopfsegmente,  welche  die  2  Paar 
Antennen,  1  Paar  Mandibeln,  1 
(selten  2)  Paar  Maxillen  tragen. 
Unter  diesen  können  die  zweiten 
Antennen  zu  ganz  gewaltiger 
Grösse  heranwachsen  und  fast 
ausschliesslich  das  Schwimmen  be- 
sorgen ;  eine  kräftige,  zweigliedrige 
Basis  trägt  dann  wie  beim  Ruder- 
fuss einen  langen  und  reich  mit 
Borsten  ausgerüsteten  äusseren 
und  inneren  Ruderast ;  umgekehrt 
sind  die  ersten  Antennen  klein, 
häufig  nur  Höcker,  welche  durch 
reichlichen  Besatz  mit  Riechröhr- 
chen  sich  als  Sinnesorgane  zu 
erkennen  geben  (Fig.  369). 

Wo  Mantelfalten  vorhan- 
den sind,  bilden  sie  nur  selten 
ein  unpaares  Rückenschild  über 
den  in  dorso-ventraler  Richtung 
abgeplatteten  Körper  (Fig.  371); 
gewöhnlich  ist  der  Körper  in 
querer  Richtung  zusammenge- 
presst  und  in  einer  linken  und 
rechten  Schalenklappe  geborgen 
(Fig.  300). 

Die  innere  Organisa- 
tion ist  wesentlich  höher  als  die 
der  Copepoden.  Zum  unpaaren 
Naupliusauge  gesellt  sich  das 
paarige  Facettenauge;  der 
Darm  ist  mit  zwei  (selten  ver- 
ästelten) Leberblindschläuchen 
ausgerüstet,  den  „Leberhörn- 
chen";  dorsal  vom  Darm  liegt 
stets  das  Herz,  bei  den  segment- 
reichen Formen  ein  langer  geglie- 
derter Schlauch  mit  vielen  seit- 
lichen Spaltöffnungen,  bei  den  ge- 
drungenen Cladoceren  dagegen 
ein  Säckchen  mit  nur  einem  Paar 
Spalten.  Sehr  gross  ist  ferner 
die  Schalendrfis e. 


5.  yo  Ganglion  op- 
nu  zi 


Fig.  3< >9.  Dapknia  pulcx. 
ticum,  darüber  Opticus  und  zusammenge- 
setztes Auge,  g  olx-res  Schlundganglion  mit 
Naupliusauge,  s  Schalendrüse ,  h  Herz,  o 
Ovar,  e  Eiunlagen,  k  Keinistätte.  Die  Eian- 
lagen  lösen  sich  aus  der  Keinistätte  ab,  bil- 
den bei  e  Gruppen  von  4  Zellen,  aus  diesen 
entsteht  1  Ei  (o)  mit  3  abortiven  Eiern ;  das 
wachsende  Ei  mit  seinen  3  abortiven  Eizellen 
(I)otterzellen)  rückt  (wiederum  bei  c)  rück- 
wärts, um  in  den  Brutraum  zu  gelangen,  h 
Brutraum  mit  Embryonen.  1  vordere,  J?  hin- 
tere (Ruder-)  Antenne,  :t  Mandibel.  (Maxille 
/  ist  rudimentär  und  nicht  sichtbar),  ~>-H 
die  '}  Heinpaare. 

24* 


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Gliederfüssler. 


In  den  weiblichen  Geschlechtsorganen  liegen  die  Eikeime  zu 
Gruppen  von  4  zusammen ;  aus  jeder  solchen  Gruppe  oder  einem  Eifach 
entwickelt  sich  nur  ein  Ei  weiter,  die  anderen  gehen  zu  Grunde  und  dienen 
dem  bevorzugten  Ei  zur  Nahrung.  Noch  grössere  und  dotterreichere  Eier 
entstehen,  wenn  mehrere  (2 — 12)  Fächer  verschmelzen  und  von  den  somit 
vereinten  8 — 48  Zellen  nur  eine  sich  weiterentwickelt,  welche  die  übrigen 
7 — 47  als  Nährmaterial  aufverbraucht.  Die  nur  aus  einem  Eifach  ent- 
standenen Eier  sind  die  relativ  dotterannen  „Sommereier";  die  Eier,  zu 
deren  Aufbau  mehrere  Eifacher  dienten,  sind  die  grösseren  „Winter- 
eieru.  Die  Sommereier  bilden  nur  einen  Richtungskörper  und  ent- 
wickeln sich  parthenogenetisch ;  die  Winter  ei  er  dagegen,  welche  stets 
beide  Richtungskörperchen  erzeugen,  bedürfen  der  Befruchtung,  wenn  sie 
nicht  zu  Grunde  gehen  sollen.  Die  parthenogenetischen  Sommereier  sind 
dünnschalig  und  werden  meist  in  besonderen  Bruträumen  der  Mutter  ein- 
geschlossen; ihre  Embryonen  kriechen  nach  verhältnissmässig  kurzer  Zeit 
aus.  Die  Wintereier  dagegen  sind  mit  festen  Schalen  umgeben,  werden 
abgesetzt  und  bedürfen  lang  dauernder  Ruhe ;  sie  können  eintrocknen  und 
einfrieren,  ohne  die  Keimfähigkeit  zu  verlieren,  und  können  noch  nach 
Jahren,  unter  günstige  Bedingungen  gebracht,  junge  Thiere  liefern.  Für 
manche  Arten  ist  es  sogar  erwiesen,  dass  Eintrocknen  und  Einfrieren  zu 
den  für  die  Entwicklung  nöthigen  Vorbedingungen  gehört.  So  erklärt  sich, 
weshalb  in  Tümpeln  oder  Pfützen,  die  Jahre  lang  unbelebt  waren,  plötz- 
lich die  grossen  Ajms  und  Branchipus  in  überraschenden  Mengen  auftreten 
können.  Die  merkwürdige  F  o  r  t  p  f  1  a  n  z  un  g  s  w  e  ise  der  Branchio- 
poden  wird  verständlich,  wenn  wir  bedenken,  dass  dieselben  vorwiegend 
Süsswasserbewohner  sind ;  die  Wintereier  schützen  die  Existenz  der  Art 
während  der  ungünstigen  Zeiten  der  Dürre  und  des  Frostes;  die  Sommer- 
oier  haben  den  Zweck,  die  günstigen  Bedingungen  des  Frühjahrs  und  des 
Sommers  zu  rascher  Vermehrung  und  Ausbreitung  der  Art  zu  benutzen. 
Durch  diese  Regelung  der  Fortpflanzungsweise  ist  es  dahin  gekommen, 
dass  bei  allen  Branchiojxjden  die  Männchen  spärlich  und  nur  zu  Zeiten 
auftreten ;  sie  sind  bei  manchen  Arten  noch  unbekannt. 

I.  Unterordnung.  Die  Phyüopoikn,  Blatt fiissler,  sind  segmentreiche,  meist 
mehrere  Centimeter  grosse  Thiere  mit  langgestrecktem  Herz  und  deutlichen 
Kiemen-Blatt-Füssen,  welche  zu  einer  halb  schwimmenden,  halb  kriechenden 
Bewegung  dienen,  während  die  zweite  Antenne  zur  Fortbewegung  nicht 
benutzt  wird.  Die  Thiere  gewinnen  ein  ganz  verschiedenes  Aussehen  je 
nach  dem  Vorhandensein  und  der  Beschaffenheit  der  Mantelfalten.  1)  Die 
Jiravchijxxlühn  haben  einen  nackten  Körper  ohne  jegliche  Mantelduplicatur 
(Fig.  370),  Brandiijms  stagnalis  L.,  1 — 2  cm  gross,  in  Bächen  und  Tümpeln. 


Artemia  salitia  L.  in  Salzlaken.  Die  Unterschiede  beider  Thiere  sind 
wahrscheinlich  durch  den  verschiedenen  Aufenthaltsort  bestimmt.  Denn 
Artemia  wird  BrancJiipus  ähnlich  durch  allmählige  Versüssung  des  Salz- 


Fig.  370.  Brauch  iput 
stagnalis  (nach  LeuruV 
Ludwig).  ax  erste,  o!  zweite 
Antenne,  o  Facettenauge, 
d  Dann,  c  Herz. 


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I.  Entomostraken:  Branchiopoden. 


373 


wassers,  und  umgekehrt  nähert  sich  Branchipus  der  Artemia,  wenn  man 
ihn  in  leicht  salzigem  Wasser  züchtet.  —  2)  Die  Apitsiden  (Fig.  371)  haben 
eine  breite  Rückentalte,  welche  den  dorso-ventral  abgeplatteten  Körper 
zum  grössten  Theil  von  oben  zudeckt :  Apits  cancriformu  J.  C.  Schaff.,  der 
grösste  Phyllopode  des  Süsswassers,  3  cm 
lang  (ohne  die  Schwanzfäden).  —  3)  Die 
Estkervlen  besitzen  eine  linke  und  rechte 
Schale,  welche  den  in  querer  Richtung  zu- 
sammengepressten  Körper  vollkommen  um- 
hüllen.   Limnadia  Hermanni  Brongn. 

II.  Unterordnung.  Cladoceren.  Wie  bei 
den  Estheriden  ist  auch  der  Körper  der  sehr 
viel  kleineren  und  segmentärmeren  Cladoceren 
in  eine  Art  Muschelschale  eingeschlossen 
(Fig.  369).  Die  betreffende  vom  Kopf  ent- 
springende Mantelfalte  ist  bei  vielen  Clado- 
ceren sehr  klein  und  reicht  wie  eine  Kapuze 
nur  über  die  ersten  Segmente,  so  dass  man 
kaum  von  Schale  reden  kann;  bei  anderen 
ist  sie  rückwärts  über  den  ganzen  Körper 
ausgedehnt  und  durch  eine  scharfe,  in  einen 
Stachel  auslaufende  Knickung  in  der  media-  Fig.  371.  Apus  cancriformis 
nen  Rückenlinie  in  eine  linke  und  rechte  (nach  Leunia-Lmlwig);  der 
Schalenklappe  abgetheilt,  welche  vom  Kopf  größte  Thcil  «kr  Sepnente  von 
,      ,      .      TT    v       u  j  einer    impaarcn  Kuckenfalt<> 

durch  eine  Kerbe  abgegrenzt   werden;   aus  ZUgedeckt. 

dieser  Kerbe  treten  die  starken  Ruder- 
antennen hervor,  welche  ausschliesslich  das  Schwimmen  besorgen ;  neben 
ihnen  findet  man  auch  die  kleinen  ersten  Antennen,  die  nur  als  Träger 
von  Riechborsten  —  beim  Männchen  auch  eines  zum  Festhalten  des  Weib- 
chens bestimmten  Hakens  —  dienen. 

Auf  die  Anwesenheit  der  Schale  sind  wohl  die  meisten  übrigen  Merk- 
male der  Cladoceren  zurückzuführen:  die  gedrungene  Beschaffenheit  des 
segmentarmen  Körpers,  womit  wiederum  die  Säckchen  form 
des  lebhaft  pulsirenden  Herzens  zusammenhängt,  die  nnpaare 
Beschaffenheit  des  Face  tten  auge  s,  welches  aus  Verschmelzung 
einer  linken  und  rechten  Anlage  entsteht  und  demgomäss  dauernd  von 
einem  linken  und  rechten  Opticus  versorgt  wird. 

Bei  den  Cladoceren  dient  die  Schale,  auch  da,  wo  sie  rudimentär  ist, 
als  Brutraum  für  die  Sommereier.  Der  dicht  hinter  dem  Herzen  in  den 
Schalenraum  frei  herunterhängende  Körper  kann  den  obersten  Theil  dieses 
Raums  vollkommen  abscbliessen,  wenn  er  mit  einem  nahe  dem  hinteren 
Ende  vorhandenen  Vorsprung  gegen  das  Schalengewölbe  gepresst  wird. 
In  dem  so  geschaffenen  Brutraum  werden  die  Sommereier  häufig  von  der 
Mutter  ernährt,  indem  in  ihn  eine  eiweisshaltige  Flüssigkeit  ausgeschieden 
wird.  Die  grösseren  Wintereier  verweilen,  1  oder  2  an  Zahl,  bei  vielen 
Cladoceren  ebenfalls  wenn  auch  nur  kurze  Zeit  im  Schalenraum,  um  ausser 
der  eigenen  festen  Schale  noch  mit  einer  weiteren  Hülle,  dem  E  p  h  i  p  p  i  u  m, 
versehen  zu  werden.  Das  Ephippium  besteht  aus  2  länglichen,  uhrglas- 
artig gewölbten  Chitinplatten,  die  mit  ihren  Rändern  fest  aufeinander  ge- 
presst sind.  Der  Raum,  welchen  sie  umschliessen ,  wird  zum  grössten 
Theil  vom  Ei  erfüllt,  im  Uebrigen  von  zelligen  Räumen  mit  chitinösen 
Wandungen,  die  sich  mit  Luft  füllen  und  eine  Art  Schwimmgürtel  bilden. 
Eingetrockneter  Schlamm,  in  welchem  Ephippien  enthalten  sind,  ist  ge- 


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374 


Gliederfüssler. 


eignet,  um  Cladocerenculturen  anzusetzen.  Durch  den  Schwimmgürtel  ge- 
tragen gelangen  die  Eier  an  die  Wasseroberfläche  und  finden  so  die 
günstigsten  Entwicklungsbedingungen. 

Cladoesren  mit  gut  entwickelter  Schale  sind  die  Daphniilcn :  Daphnie 
pulex  Geer  (Fig.  309).  Bei  den  Poli/pheniiden  dagegen  ist  die  Schale  rudi- 
mentär und  nur  als  Brutraum  von  Bedeutung.  llythotrophes  lonyimanus 
Leyd.  Leptodora  hyalin«  Lillj.,  ein  lichtscheuer,  nur  Nachts  in  grossen 
Schwärmen  an  der  Oberfläche  erscheinender  Siisswasserbewohncr. 


III.  Ordnung.    Oatracoden,  Muschelkrebse. 

Die  Ostraeoden  (Fig.  ."»72 )  haben  mit  den  Estheriden  und  Clado- 
ceren  das  Gemeinsame,  dass  ihr  Körper    von  einer   linken  und 

rechten  Schale  umschlossen  ist;  dieselbe 
ist  in  ganz  überraschender  Weise  muschel- 
ähnlich; geschlossen  bedeckt  sie  nicht  nur 
den  Körper,  sondern  auch  den  Kopf  mit  den 
Antennen ;  beim  Schwimmen  treten  am 
deutlichsten  die  letzteren  zwischen  den 
Schalenrändern  hervor.  Der  Schalenschluss 
wird  durch  (juer  verlaufende  Adductoren 
vermittelt,  denen  ein  dorsales,  elastisches 
Ligament  entgegenwirkt.  Genügen  die  Scha- 
lenmerkmale schon  zur  Unterscheidung  von 
Estheriden  und  Daphniden,  so  wird  dieselbe 
noch  weiterhin  durch  die  Extremitäten  be- 
gründet. Die  vorderen  einästigen  und  hin- 
teren, häutig  zweiästigen  Antennen  dienen 
beide  zum  Schwimmen  oder  Kriechen  und 
sind  nach  abwärts  gebogene,  reich  geglie- 
derte und  reich  mit  Borsten  versehene  Fä- 
den. Die  nun  folgenden  Extremitäten  (Man- 
dibel,  Maxille  und  :\  Beine)  haben  fast  jede 
ihre  besondere  Structur  und  sind  auch  von 
Gattung  zu  Gattung  sehr  verschieden  ge- 
staltet; variabel  ist  auch  der  innere  Bau. 

Cypridiniden,  die  ersten  2  Beinpaare  ma- 
xillenartig,  das  letzte  zum  Putzfuss  entwickelt, 
Herz  vorhanden.  Cypridina  mediterranen  Costa. 
Oypridcn,  erstes  Beinpaar  maxillenartig,  Herz 
fehlt.    Cypris  fttsnita  Jur. 


Fig.  :'»72.  Junge  Cyjui.s 
(aus  Balfoor  nach  Claus).  / 
er.-te .  -  zweite  Antenne,  .7 
Mamliliel.  •/  Maxille,  .5 — 7 
Beine|(zum  Theil  aneh  ina- 
xillenurl  ig) .  .>■  di«  ■  zw«  'iklappigc 
Sehale,  </  Sehalendriise ,  / 
Leber,  f  Linea. 


IV.  Ordnung.    Cirripedien,  Rankenfüssler. 

Von  allen  Crustaceen  weichen  die  Cirripedien  dadurch  ab,  dass 
sie  die  freie  Ortsbewegung  aufgegeben  haben  und  nach 
Art  der  Brachiopoden  festgewachsen  sind.  Zur  Ansiedelung  benutzen 
die  Thiere  mit  Vorliebe  Felsen,  Holzpfähle  und  Tange,  welche  im  Be- 
reiche der  Ebbe-  und  Fluthbewegung  gelegen  sind,  oder  auch,  wenn 
sich  die  Gelegenheit  dazu  bietet,  die  Körper  anderer  Thiere,  die  Ge- 
häuse von  Schnecken  und  Muscheln  oder  die  Panzer  von  Krebsen ; 
wenige  Arten  sind  sogar  an  ein  ganz  bestimmtes  Thier  als  Aufent- 
haltsort gebunden,  wie  die  auf  Walfischen  lebenden  Coronulen  und 


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I.  Entomostraken :  Cirripedien. 


375 


Tubicinellen,  ein  Raumparasitismus,  der  bei  Anelasma  sguaUcola  und 
den  Rhizocephalen  zu  einem  ganz  ausgeprägten  Parasitismus  führt, 
indem  das  Wohnthier  zugleich  zum  Zweck  der  Ernährung  ausge- 
saugt wird. 

Die  Anlieft ung  erfolgt  mit  dem  Rücken  ganz  in  der  Nähe  des 
vorderen  Kopfendes;  die  ersten  Antennen  bedingen  die  erste  Be- 
festigung, die  eine  dauernde  wird,  indem  eine  Cementdrüse  einen  rasch 
erhärtenden  Kitt  liefert.  Die  Anheftungsstelle  liegt  bei  den  Balaniden 
(Fig.  374;  in  einer  Ebene  mit  dem  Kopf  :  bei  den  Lepadiden  (Fig.  373) 
wird  sie  zu  einem  langen  musculösen  Stiel  ausgezogen. 

Die  festsitzende  Lebensweise  ist  das  Punctum  saliens,  von  dem 
aus  alle  übrigen  Eigentümlichkeiten  der  Cirripedien  erklärt  werden 
müssen.  Es  ist  klar,  dass  festsitzende  Thiere  ein  viel  höheres  Be- 
dürfniss  nach  Schutz  haben  als  Thiere,  welche  sich  den  Feinden  durch 
die  Flucht  entziehen  können.  Daher  finden  wir  nicht  nur  wie  bei  den 
Ostracoden  linke  und  rechte  Schutzhüllen  (Mantel),  sondern  in  diesen 
noch  besonders  erhärtete  Kalkplatten,  die  man  Scuta  und  Terga 
nennt  (Fig.  373,  374  9  t),  erstere  dem  Kopf,  diese  dem  hinteren  Ende 


Fig. 


Fig.  ;i74. 


Fig.  'M'\.  L* i>as  anati- 
fera  i^naeh  Schmorda),  r 
Carina,  /  Tergum,  *  Sen- 
ium. 

Fig.  \u\.  Gehäuse  von 
Balamu  Homert  (was  I>ang 
nach  Darwin)  in  seitlicher 
Ansicht,  gebildet  von  Ro- 
struin, Lateral ia  und  Ca- 
rina, der  Deckel  besteht 
aus  Scuta  (s)  und  Tcrga 
(0- 


benachbart  beide  nur  durch  einen  schmalen  Zwischenraum  getrennt. 
Dazu  kommen  noch  weitere  Theile,  die  der  dorsalen  Nahtlinie  der 
Ostracodenschale  entsprechen.  Bei  den  gestielten  Lepadiden  findet 
sich  ein  unpaares,  kahnartiges  Stück,  die  Carina  (c),  selten  noch 
weitere  Stücke,  darunter  vor  dem  Stiel  das  ebenfalls  unpaare  Rostrum. 
Bei  den  ungestielten  Balaniden  sind  Rostrum  und  Carina  nicht  nur 
kräftiger  geworden,  sondern  es  sind  auch  im  Zwischenraum  zwischen 
ihnen  weitere  paarige  Stücke,  die  Lateralia,  eingeschaltet.  Late- 
ralia,  Rostruin  und  Carina  erheben  sich  von  einer  gemeinsamen  Kalk- 
basis, wie  Zinnen  einer  Mauerkrone,  und  bilden  eine  Kapsel,  deren 
oberer  Zugang  durch  einen  zweiklappigen  Deckel,  die  Scuta  und  Terga 
der  linken  und  rechten  Seite,  vollkommen  geschlossen  werden  kann. 
Werden  die  beiden  Klappen  des  Deckels  geöffnet,  so  klafft  zwischen 
ihnen  ein  weiter  Spalt,  durch  den  man  an  den  Körper  des  Thieres 
gelangt. 

Der  Körper  der  Lepadiden  und  Balaniden  hat  im  Wesentlichen 
denselben  Bau ;  ventralwärts  stark  zusammengekrümmt,  so  dass  die 
Mundöffnung  der  Afteröffnung  genähert  ist,  trägt  er  meist  0  Paar 
Rankenfüsse  (Fig.  373),  die  bei  geöffneter  Schale  sich  weit  aus- 


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376 


Glieder  füssler. 


einander  breiten  und,  indem  sie  zeitweilig  zusammenschlagen,  einen 
lebhaften,  Nahrung  zur  Mundöffnung  leitenden  Strudel  unterhalten.  Die 
Rankenfüsse  sind  Spaltfüsse  mit  geringeltem  und  dichtbehaartem 
Innen-  und  Aussenast ;  zwischen  ihnen  verlängert  sich  das  Abdomen 
in  einen  langen  Penis.  Von  anderweitigen  Extremitäten  sind  die  vor- 
deren Antennen,  die  Mandibeln  und  2  Paar  Maxillen  zu  nennen. 

In  der  inneren  Anatomie  fällt  vor  Allem  auf,  dass  mit  wenigen 
Ausnahmen  die  Cirripedien  im  Gegensatz  zu  allen  anderen  Oritstaccen  und 
den  meisten  übrigen  Arthropoden  hermaphrodit  sind,  was  wohl  damit 
im  Zusammenhang  steht,  dass  die  sitzende  Lebensweise  zuweilen  Selbst- 
befruchtung nöthig  macht;  indessen  sind  alle  Einrichtungen  so  getroffen, 
dass  eine  Selbstbefruchtung  möglichst  vermieden  wird.  Der  lange  Penis 
ermöglicht  es,  dass  die  fast  stets  in  Colonien  zusammenlebenden  Thiere 
sich  gegenseitig  befruchten.  Für  den  Fall,  dass  ein  getrenntes  Vorkommen 
den  Austausch  verhindert,  finden  sich  bei  manchen  hermaphroditen  Arten 
die  allen  gonochoristischen  Cirripedien  zukommenden  Zwergmännchen 
(Fig.  375).  Dieselben  sind  microscopisch  kleine,  rein  männliche  Thiere 
mit  äusserst  vereinfachter  Organisation,  welche  in  der  Mantelhöhle  der 
Cirripedien  nahe  der  Geschlechtsöffnung  leben.  Der  gänzlich  ungegliederte 
Körper  ist  in  einen  Sack  die  weichhäutig  gewordene  Schale,  eingeschlossen 
und  mit  den  Antennen  fest  verankert;  aus  der  Oeffhung  des  Schalensacks 
tritt  nur  der  lange  Penis  hervor. 


Fig.  375.  Männchen  von  Aleipttc  lampas  (aus  Schniarda  nach  Darwin),  an 
Antenne  /  Mantcllappcn ,  ni,  m  Muskeln,  oc  Oeellus,  p  Penis ,  t  Hoden,  es  Samen- 
blase. 

Fig.  376.  Entwicklungs^tadien  von  Rhizocephalen  (aus  ßalfour).  A  X  au  plins 
von  Succuliua  pur  puren,  Ii  Cyprisstadiuin  von  Lcrnarodiscus  pnrccllanae  C  auf- 
gewachsene Saeculina  purpunu.  II—  IV  die  2  Antennen  und  die  Mandibel ,  a 
Mantelöffnung,  b  und  v  Stiel  mit  den  Anfängen  der  wurzelförmigen  Augläufer,  ep 
Rückenschild. 

Da  die  äussere  Erscheinung  der  Cirripedien  mehr  an  die  Muscheln 
erinnert,  ist  es  begreiflich,  dass  früher  selbst  wissenschaftliche  Männer  die 
Thiere  thatsächlich  für  Mollusken  hielten.  Klarheit  verschaffte  auch  hier 
wieder  die  Entwicklungsgeschichte  (Fig.  376);  diese  lehrte,  dass  aus  den 
Eiern  ein  grosser  Nauplius  hervorkommt,  welcher  sich  nach  einiger  Zeit 
in  ein  Thier  mit  zweiklappiger  Schale  verwandelt.  Da  letzteres  den 
Ostracoden  ähnelt,  spricht  man  von  einem  C yp  riss  t  adium.    Die  mit 


Fig.  375. 


Fi 


ig.  370. 


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I.  Entomostraken :  Cirripedien. 


377 


2  Facettenaugen  ausgestattete  Cyprislarve  setzt  sich  fest,  verliert  die  Fa- 
cettenaugen und  behält  nur  das  Naupliusauge. 

I.  Unterordnung.  Lepadiden.  Cirripedien  mit  Stiel ;  Schale  haupt- 
sächlich von  Scuta,  Terga  und  Carina  gebildet,  zu  denen  noch  ein  Rostrum 
kommen  kann.  I^epas  anatifera  L.,  Entenmuschel.  Der  deutsche  Name 
nimmt  Bezug  auf  eine  Sage  des  Mittelalters.  Da  die  Thiere  sich  haupt- 
sächlich an  Pfählen  oder  an  Pflanzen  festsetzen,  hielt  man  sie  für  Aus- 
wüchse oder  Früchte  derselben ;  da  ferner  die  Schale  wegen  der  fiedrigcn 
Extremitäten  ihrer  Einwohner  mit  einem  Ei,  in  dem  ein  Vogelembryo  liegt, 
einige  Aehnlichkeit  hat,  deutete  man  die  vermeintlichen  Pflanzenfrüchte 
für  die  Eier  der  Bernikelgans,  Anser  tort/uatm,  und  zog  die  für  die  Fasten- 
vorschriften  wichtige  Consequenz,  dass  die  Bernikelgänse  keine  Thiere  seien, 
da  sie  aus  Eiern  stammen,  die  als  Früchte  an  Bäumen  reifen.  Anelasma 
squalicola  Lov.,  ein  weichhäutiger  Cirriped,  der  auf  Haien  schmarotzt  und 
zu  den  Rliixocephakn  überleitot. 

II.  Unterordnung.  Balaniden.  Cirripedien  ohne  Stiel ,  Skelet  eine 
Kapsel  aus  Rostruin,  Carina  und  Lateralia  gebildet,  über  die  Oeffnung 
legen  sich  Scuta  und  Terga  als  Deckel.  TSalanus  tintinnabtdum  L.  in  zahl- 
reichen Varietäten  in  allen  Meeren  vertreten.  Coronula  bafaenaris  L.  siedelt 
sich  auf  der  Walfischhaut  an,  welche  die  Gehäuse  der  Thiere  bis  zum 
Mündungsrand  umwächst. 

III.  Unterordnung.  ffliizocephalülen.  Die  Rhizocephalen  (Fig.  377) 
weichen  so  sehr  von  allen  Cirripedien  ab,  dass  sie  eine  gesonderte  Be- 
sprechung verlangen.  Man  kennt  nur  wenige  Gattungen,  unter  denen 
Saceidhia,  welche  auf  Krabben,  Pclloyastcr,  welcher  auf  Einsiedlerkrebsen 


Fij.-.  377.  Saccultua 
carciui  im  Zusammenhang 
mit  ihrem  Wirth,  dem 
Ta«chenkrel*t,  dessen  Ab- 
domen zurückgeschlagen 
ist  (aus  Lang  naeh  Dringe). 
ks  Körper  der  Saeculina, 
p  Stiel,  mh  Ausgangspunkt 
des  Wurzelgefleehtf,  wel- 
ches namentlich  den  Darm 
(d)  und  die  Leber  (l)  des 
Wirths  umspinnt  und 
durchsetzt ,  die  Kinnen- 
region  (f/r)  dagegen  frei 
hlsst. 


schmarotzt,  die  bekanntesten  sind.  Die  Smadinen  und  /V/foy^fcrarten 
sitzen  mit  ihrem  Stiel  auf  der  ventralen  Seite  des  Wirths  an  der  Grenze 
von  Cephalothorax  und  Abdomen ;  sie  dringen  mit  dem  Stiel  in  den 
Cephalothorax  ein  und  durchsetzen  mit  reichlichen,  an  Wurzeln  erinnernden 


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378 


Gliederfüssler. 


Verästelungen  besonders  die  Leber  des  Wirths,  welche  sie  aussaugen.  Da 
alle  Ernährung  durch  den  Stiel  vermittelt  wird,  fehlt  der  Darm  vollständig ; 
der  Körper,  ein  querovaler  Sack  ohne  Gliederung  und  ohne  Extremitäten, 
ist  im  Wesentlichen  von  den  voluminösen  Geschlechtsorganen  erfüllt  und 
wird  von  einem  weichhäutigen  Mantel  umschlossen,  welcher  das  Aequivalent 
der  Cirripedienschale  ist;  aus  der  Schaleuspalte  ist  eine  kleine  Oeffnung 
geworden,  die  man  leicht  irrthümlich  für  einen  Mund  halten  kann.  In  der 
Mantelhöhle  liegen  in  Gallertplatten  verpackt  die  Eier.  Da  keines  der  für 
die  Arthropoden  charakteristischen  Merkmale  sich  erhält,  kann  die  syste- 
matische Stellung  der  Rliixoccphalen  nur  durch  die  Entwicklungsgeschichte 
bewiesen  werden.  Die  aus  der  Mantelötfnung  ausschlüpfenden  Larven 
sind  Nauplien,  welche  sich  in  das  Innere  ihres  Wirths  einbohren  und  so- 
mit Entoparasiten  sind;  erst  später  kommen  sie  mit  dem  Eingeweidesack 
wieder  auf  der  Oberfläche  zum  Vorschein  (Fig.  376).  Pdtogaster  Patjuri 
Rathke  auf  Paynrus  Bernhardt,  Sacculina  carrini  Thomps.  auf  Carcinu* 
maenas. 

Von  den  typischen  Oirrip&lkn  weichen  erheblich  kleine,  im  Mantel 
und  den  Schalen  von  Oirripedien  und  Muscheln  parasitirende  Formen  ab, 
welche  man  in  den  weiteren  Ordnungen  der  Ablominalia  (Alcipjw  lampas 
Hanc.)  und  Apwfcs  (Prutokpas  hirhteta  Danv.)  zusammenfasse 


Anhang. 

^  Im  Anhang  zu  den  Entomostrakcn  wollen  wir  eine  Reihe  von 
Formen  besprechen,  deren  systematische  Stellung  sehr  zweifelhaft  ist. 
Sicher  ist  nur  ihre  Arthropodennatur,  dagegen  wird  darüber  gestritten, 
ob  sie  zu  den  Crustaccen  gehören,  wofür  ihr  Leben  im  Wasser 
spricht,  oder  ob  sie  Verwandte  der  Arachnoideen  sind,  mit  denen 
sie  in  autfälliger  Weise  in  der  K  örper gliedern ng  und  der  Zahl 
der  Extremitäten  übereinstimmen.  Recent  sind  davon  nur  die 
Xiphosuren,  ausgestorben  die  Trilobiten  und  Giganto- 
s  t  r  a  k  e  n. 


V.  Ordnung.    Xiphosuren,  Pfeilschwänze. 

Als  Xiphosuren  oder  Pfeilschwänze  bezeichnet  man  3  Thierarten, 
die  derselben  Gattung  Limulus  angehören.  Sie  leben  im  Meer  an 
sandigen  Küsten  und  zeichnen  sich  ebensowohl  durch  die  Eigentüm- 
lichkeit als  auch  durch  die  hohe  Stufe  ihrer  Organisation  aus  (  Fig.  ;378). 
Der  Körper  besteht  aus  einem  grossen  halbmondförmigen  Cephalo- 
thorax  und  einem  kleinen,  mit  seitlichen  Stacheln  besetzten  Ab- 
domen, welches  in  einen  kräftigen  Schwanzstachel  endet.  Jeder  Haupt- 
abschnitt des  Körpers  trägt  sechs  Extremitäten ;  die  0  Extremitäten 
des  C ephalothorax  sind  um  die  Mundötinung  herum  gruppirt,  be- 
ginnen mit  kräftigen,  zum  Kauen  geeigneten,  Geschmacksorgane  tragenden 
Basalgliedern  und  enden  zum  grössten  Theil  mit  Scheeren;  die  erste 
Extremität  ist  kleiuer  und  präoral,  empfängt  aber  ihre  Nerven  vom 
Bauchmark,  so  dass  Antennen  gänzlich  fehlen.  Die  Abdominal- 
gliedmaassen  sind  blattartig  und  aus  einzelnen  Stücken  zusammen- 
gesetzt, die  sich  bei  genauer  Prüfung  als  blattartig  umgestaltete  Theile 
(Basis,  Innen-  und  Äussenast)  eines  Spaltfusses  zu  erkennen  geben. 


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L  Entomostraken :  Xiphosuren.    Trilobiten  oder  Palaeaden.  379 


Die  erste  an  ihrer  Basis  mit  dem  Cephalothorax  verwachsene  Abdo- 
minalextremität  ist  ein  derber  Kiemen- 
deckel; die  darunter  liegenden  fünf 
folgenden  tragen  zahlreiche  feine  Kie- 
menblattchcn,  die  quer  und  senkrecht 
zur  Fläche  in  grossen  Mengen  wie 
Blätter  eines  Buches  stehen.  Während 
der  Spaltfusscharaktcr  und  die  Kiemen- 
function  der  Abdominalextremitäten  für 
die  Verwandtschaft  mit  Crustaceen 
sprechen,  ergeben  der  Mangel  der  An- 
tennen ,  die  Gruppirung  und  die  Zahl 
der  vorderen  Extremitäten  Merkmale, 
welche  auf  die  Arachnoideen  hinweisen. 
Auf  der  dorsalen  Seite  des  Cephalo- 
thorax findet  man  dicht  neben  der  Mit- 
tellinie 2  kleine  Punktaugen  (o1), 
viel  weiter  seitlich  2  grosse  Facet- 
tenaugen (o2).  Die  innere  Organi- 
sation steht  auf  gleicher  Höhe  mit  dem 
Bau  der  höchst  entwickelten  Malako- 
straken,  da  ein  gekammertes  Herz  mit 
schön  verästelten  Arterien  und  Venen 
und  eine  reich  gelappte  Leber  vorhan- 
den sind.  Die  am  5.  Beinpaar  bei  jungen 
Thieren  mündende  „Coxaldrüse''  wird 
als  ein  Nephridium  gedeutet. 

Die  Thiere  kriechen  und  wühlen  langsam 
mit  ihren  Beinen  im  Sand,  wobei  der  Schwanz- 
stachel als  ein  Hebelapparat  zur  Aushülfe 
dient.  Die  jungen  aus  dem  Ei  schlüpfenden 
Thiere  zeigen  das  sogenannte  Trilobiten- 
stadium:  ihr  Cephalothorax  ist  schon  ein- 
heitlich, ihr  Abdomen  zeigt  aber  noch  8  voll- 
kommen gut  gegen  einander  abgegrenzte 
Segmente:  durch  letzteres  Moment  gewinnen 
sie  eine  überraschende  Aehnlichkeit,  mit  den 
Repräsentanten  der  nächsten  Gruppe.  Limulus 
moluccanus  Latr. 


Fig.  378  A.  Limulus  molttr- 
0OIMM  vom  Rücken  betrachtet. 
a  Abdomen,  et  Cephalothorax, 
ox  einfache,  o*  zusammenge- 
setzte Augen 
.Jones). 


(nach  Rymer- 


VI.  Ordnung.    Trilobiten  oder  Palaeaden. 

Die  wichtigsten  Fossilien  aus  der  Gruppe 
der  Arthropoden  sind  die  Trilobiten  oder  Palac- 
eukn ,  Thiere,  welche  in  enormen  Mengen 
im  Silur  auftreten ,  um  schon  im  Carbon 
wieder  auszusterben;  sie  gleichen  den  Xipho- 
suren durch  die  Gliederung  des  Körpers  in 
einen  halbmondförmigen  Cephalothorax  und 


Fig.  378  K.  Limulus 
mohtceanuB,  ventrale  An- 
sicht nur  zum  Theil  dar- 
gestellt. 1 — <)  die  ICxtre- 
mitäten  des  Cephalothorax, 
6a  Anhang   am  sechsten 

Beinpaar,  <  Kiemendeokel, 

.S'  Kiemen ,  U  Basis  des 
Stachels  (aus  Liuhvig- 
Lcunis). 


ein   häufig  mit  Stacheln  besetztes  Abdomen 
(Fig.  379);  sie   unterscheiden  sich  von  ihnen  dadurch,   dass  die  Grenzen 


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380 


Gliederfüssler. 


der  Abdominalaegmente  erhalten  bleiben,  dass  ihre 
Zahl  wesentlich  grösser  ist  und  mit  dem  Alter  des 
Thiers  eine  Zunahme  erfährt,  dass  ferner  das  letzte 
Abdominalsegment  durch  besondere  Gestalt  ausge- 
zeichnet ist,  weshalb  es  Pygidium  heisst.  Links 
und  rechts  von  der  Mittellinie  verlaufen  zwei  Längs- 
furchen und  theilen  ein  Mittolstück  von  zwei  Seiten- 
stücken ab,  sowohl  am  Cephalothorax  (G lab  eil a 
und  die  beiden  Genae)  als  auch  am  Abdomen 
(Rhachis  und  die  beiden  Pleurae).  Nahe  der 
Grenze  von  Glabella  und  Genae  liegen  2  grosse 
zusammengesetzte  Augen. 

Obwohl  man  Hunderte  von  Arten  in  zahlreichen, 
auf  der  Rückenseite  vorzüglich  erhaltenen  Versteine- 
rungen kennt,  ist  man  doch  über  die  Beschaffenheit 
der  Bauchseite  und  der  Extremitäten  und  damit  auch 
Fig  379.  Ptirmlnn'i/e.i  ÜDer        Berechtigung,  mit  welcher  man  die  Bezeich- 
bohcmicuH  (aus  Zittel).  nungen  Abdomen  und  Cephalothorax  eingeführt  hat, 

vollkommen  im  Ungewissen.  Wahrscheinlich  waren 
die  ventralen  Theile  sehr  zart,  womit  auch  stimmt,  dass  man  viele  Trilo- 
biten  wie  Igel  eingekugelt  findet.  Eine  einzige  an  Querschliffen  angestellte 
Untersuchung  sucht  wahrscheinlich  zu  machen,  dass  die  Extremitäten  Spalt- 
füsse  waren,  an  deren  Basis  geringelte  Anhänge  (Kiemen?)  lagen.  Das 
würde  die  Trilobiten  in  die  Classe  der  Crustaceen  verweisen.  Paradoxides 
Bohemicua  Barr.  (Fig.  379). 


VII.  Ordnung.    Gigantostraken  oder  Eurystomen,  Riesenkrebse. 

Die  (iiijantostrakai,  welche  ebenfalls  auf  die  paläozoischen  Formationen 
beschränkt  sind,  glichen  dem  Limulus  noch  mehr  als  die  Trilobiten,  1)  in- 
dem sie  einen  Cephalothorax  („Kopf  der  Paläontologen)  mit  allerdings  nur 
5  Beinpaaren,  1  Paar  zusammengesetzten  und  1  Paar  einfachen  Augen  be- 
sassen,  2)  indem  weiterhin  6  Abdominalsegmente  (Thoraxsegmente  der 
Paläontologen)  folgten,  an  denen  blattförmige,  wahrscheinlich  als  Kiemen 
oder  Kiementräger  funetionironde  Anhänge  befestigt  waren.  Zum  Unter- 
schied von  XipUosurcn  und  Trilobiten  verlängerte  sich  ihr  Körper  zu  einem 
ebenfalls  6-gliedrigen  Postabdomen,  das  mit  einem  Schwanzstachel  bewaffnet 
war.    Pterygotus  aiußicus  Ag.  1  m  lang. 


II.  Unterlasse. 
Malakostraken. 

Wie  wir  gesehen  haben,  stimmen  alle  Malakostraken  darin  überein, 
dass  sie  als  ausgebildete  Thiere  anstatt  der  während  des  Larvenlebens 
häufig  noch  funetionirenden  Maxillardrüse  die  Antennendrüse  besitzen, 
d'a  s  s  die  Geschlechtsorgane  im  weiblichen  Geschlecht 
am  11.  Segment,  im  männlichen  Geschlecht  am  13.  Seg- 
ment münden,  dass  vor  Allem  die  Gesammtzahl  der  Seg- 
mente stets  20  beträgt,  von  denen  7  dem  Abdomen  zu- 
fallen.   Innerhalb  der  Gruppe  unterscheidet  man  2  Legionen,  die 


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IL  Malakostraken. 


381 


Arthrostraken  (Fig.  380)  und  die  Thoracostraken  (Fig.  381),  oder  wie 
man  sie  auch  nennt,  die  Edriophthalmen  und  die  Podophthalmen. 

Man  charakterisirt  die  beiden  Gruppen  am  besten,  wenn  man  sie  ein- 
ander gegenüberstellt  und  sich  dabei  von  der  gebräuchlichen  Doppel- 
benennung leiten  lässt 


Fig.  380.  AmphUov  (aus  Gerstücker).  a1  ernte,  a-  zweite  Antenne,  VU—XHl 
die  7  freien  Thoraxscgmento,       7  die  7  Abdotninalsegmente,  au  Auge. 

Die  Namen  Arthrostraken  und  Thoracostraken  beziehen  sich  auf 
die  Anordnung  der  13  ersten  Segmente.  Bei  den  Thoracostraken 
(Fig.  381)  ist  ein  Cephalothor  ax  vorhanden,  indem  entweder  sämint- 
liche  Brustsegmente  oder  doch  der  grössere  Theil  derselben  mit  dem 
Kopf  zu  einein  unbeweglichen,  festgepanzerten  Stück  verbunden  sind. 
Bei  den  Arthrostraken  dagegen  (Fig.  380)  sind  7  Thoraxsegmente  selb- 
ständig geblieben  und  verleihen  dem  Körper  ein  auffallend  deutlich 
geringeltes  Aussehen,  während  die  6  ersten  Segmente  des  Körpers  zu 
dem  kleinen  Kopfabschnitt  verschmolzen  sind. 


Die  mit  der  Bildung  des  Cephalothorax  im  Zusammenhang  stehende 
geringere  Beweglichkeit  des  vorderen  Körperabschnitts  hat  vielleicht 


Fig.  381.  Mysis  elowjata  (aua  Gcretäcker). 
a  erste,  p  zweite  Antenne,  au  Auge,  o  Hörbläschen, 
a  Auasenast,  i  Innenast  der  Schwinnuf üsse ;  I—XJIl 
die  13  Segmente  des  Cephalothorax,  1—7  die  7  At> 


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382 


Gliederfüssler, 


zu  dem  zweiten  systematisch  wichtigen  Merkmal  geführt:  bei  den 
ThoracostraJ:en  werden  die  beiden  zusammengesetzten  Augen 
von  langen  Stielen  getragen,  welche  wie  Extremitäten  in  einem 
Gelenk  beweglich  mit  dein  Kopf  verbunden  sind  und  daher  früher  all- 
gemein und  auch  neuerdings  wieder  von  vielen  Zoologen  für  präanten- 
nale  Extremitäten  gehalten  wurden.  Der  gestielten  Augen  wegen  heissen 
die  Thoracostraken  auch  Podophthalmen,  während  man  die  Arthrostraken 
Edriophthalmen  nennt,  weil  ihre  zusammengesetzten  Augen  in  gleichem 
Niveau  mit  der  Umgebung  liegen. 

Der  Gegensatz  zwischen  Thoracostrakm  und  Arthrostraken  verliert  an 
Schärfe  durch  die  Existenz  der  Cumaccrn,,  welche  eine  Uebergangsgruppe 
bilden,  indem  sie  den  Anfang  zur  Bildung  des  Cephalothorax,  aber  keine 
gestielten  Augen  besitzen.  Es  sind  nächtliche,  im  Sande  lebende  Thiers 
(Diastyl is  stygia  Sars).  —  Noch  wichtiger  für  die  phylogenetische  Be- 
urtheilung  der  Crustaceen  sind  die  Xcbalim  (Xcl>alia  Qeoffroyi  M.  E.),  welche 
auf  der  Grenze  von  Entontostrakcn  und  Malacostraken  stehen  und  in  der 
Neuzeit  als  Lcptostraken  zu  einer  den  Thoracostraken  und  Arthrostraken 
gleichwerthigen  Abtheilung  erhoben  werden.  Die  Gesammtzahl  (13)  der 
Segmente  des  Kopfes  (5)  und  des  Thorax  (8),  desgleichen  die  Ausmünduugs- 
stelle  der  Geschlechtsorgane  weisen  auf  eine  nähere  Verwandtschaft  mit 
den  Malacostraken  hin ;  dagegen  erinnern  die  lamellösen  Brustfusse  an  die 
Branchiopoden.  Beim  Studium  der  inneren  Anatomie  fällt  die  gleichzeitige 
Anwesenheit  der  Antennendrüse  und  der  allerdings  rudimentären  Schalen  - 
drüse  auf,  ferner  der  Bau  des  langgestreckten  Herzens,  welches  sich  durch 
Thorax  und  Abdomen  hinzieht  und  so  einen  indifferenten  Ausgangspunkt 
bietet  für  die  so  verschiedenartige  Lage  des  Herzens  bei  Amphipoden  und 
hopoden.  Eine  zweiklappige  Hautfalto  deckt  den  Thorax  und  den  Anfang 
des  Abdomens. 

I.  Legion. 

Edriophthalmen  oder  Arthrostraken. 

Trotzdem  der  Kopfabschnitt  der  Edriophthalmen  aus  6  Segmenten 
besteht,  ist  er  ein  auffallend  kurzes  Stück,  welches  1  Paar  sitzende 
Facettenaugen  und  6  Paar  Extremitäten  trägt,  nämlich :  2  Paar  faden- 
förmige Antennen,  1  Paar  Mandibeln,  2  Paar  Maxillen  und  1  Paar 
Pedes  maxillares.  Die  Kieferfüsse  decken  die  übrigen  Mundgliedmaassen 
und  bilden,  indem  sie  in  der  Mittellinie  dicht  zusammengerückt  sind, 
den  Abschluss  des  Kopfs.  Die  auf  den  Kopf  folgenden,  scharf  gegen 
einander  gesonderten  7  Thoraxsegmente  sind  mit  Extremitäten  aus- 
gerüstet, welche  durch  Verlust  des  Schwimmfussastes  zu  Gangbeinen 
geworden  sind  und  stets  mit  kräftigen  Klauen  oder  Scheeren  enden. 
Dagegen  sind  die  6  Paar  Pedes  spurii  des  Abdomen  Spaltfüsse.  Stets 
extremitätenlos  ist  am  ganzen  Körper  nur  das  letzte  Abdominalsegment. 

Was  die  innere  Anatomie  anlangt  (Fig.  382),  so  ist  das  Nerven- 
system interessant,  weil  es  in  auffallend  klarer  Weise  den  Bau  eines 
Strickleiternervensystems  veranschaulicht  (vergl.  auch  Seite  99,  Fig.  72). 
Der  Darm  ist  ein  gerade  gestrecktes  Rohr  mit  einer  als  Kaumagen 
dienenden  Anschwellung  nahe  dem  vorderen  Ende.  In  den  Darm 
münden  zweierlei  Drüsen,  einige  Leberschläuche  dicht  hinter  dem  Kau- 
magen.  in  den  Endabschnitt  2  exeretorische  Canäle,  die  man  wie  bei 
den  Insecten  Vasa  Malpighi  nennt.    Athmungs-  und  Circulationsorgane 


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II.  Malakostraken :  Amphipoden. 


383 


sind  verschieden  und  ermöglichen  2  Ordnungen  einander  gegenüber  zu 
stellen,  die  schon  nach  ihrer  Körpergestalt  leicht  zu  unterscheidenden 
Amphipoden  und  Ispooden. 


I.  Ordnung.    Amphipoden,  Flohkrebse. 

Die  Amphipoden  sind  ausschliesslich  Wasserbewohner,  die  im  Sflss- 
wasser  vor  Allem  durch  den  in  Bächen  an  Wasserpflanzen  und  unter 
Steinen  lebenden  Gammarus  pulex,  im  Meer  durch  die  Phronimen, 
Caprellen  etc.  vertreten  werden  (Fig.  380,  382).  Ihre  Bewegungen  sind 
lebhaft  hüpfend,  wobei  ihnen  die  Gestalt  ihres  Körpers  zu  Gute  kommt, 
welcher  von  links  nach  rechts  zusammengedrückt  und  über  den  Rücken 
stark  gewölbt  ist.  Beim  Schwimmen  wird  das  Abdomen  gegen  die  Brust 
eingeschlagen  und  kräftig  gestreckt. 


Fig.  '.\X'2.  Orehrslia  carimaiia  (nach  Nel>e«ki).  f-  Herz  mit  Ostien,  ao  vordere, 
aop  hintere  Aorta,  o  Ovar,  //  Hoden,  rd  Va*  deferens ,  d  Darm  ,  m  MaJpighi'sehes 
Gefäas,  /  Lebereehläuche ,  y  Himganglion  mit  Auge,  n  Bauchmark ,  k  Kiemen,  nx 
erste,  a*  zweite  Antenne,  vi  Mandriiel,  kf  KieferfUM,  I—  VII  Beine  des  Thorax,  1 — 3 
vordere,  1—6  hintere  AMominalfüfwe. 


Die  Thoracalf  üsse  sind  dadurch 
bemerkenswerth ,  dass  nach  innen  von 
ihrer  Basis  zarthäutige  Kiemenplatten 
oder  Kiemensäcke  (Fig.  383  br)  entsprin- 
gen, ein  Lieblingssitz  vieler  Infusorien 
und  Rotatorien,  da  sie  beständig  mit 
frischem  Wasser  umspült  werden.  Beim 
WTeibchen  treten  hierzu  noch  weiter  die 
Brutplatten  (ort),  feste  Chitinlamcllen, 
die  von  links  und  rechts  unter  dem 
Bauch  zusammenneigen  und  vermöge 
ihrer  Krümmung  einen  Raum  zur  Auf- 
nahme der  Eier  und  der  jungen  aus- 
schlüpfenden Brut  erzeugen.  Zur  Er- 
neuerung des  Athemwassers  dienen  die 
drei  ersten  Abdominalfüsse,  welche  leb- 
haft rudernd  einen  ständigen  Wasser- 


Fig.  383.  Schematicher  Quer- 
schnitt  durch   den  Thorax  eines 

lonyi- 
d 

Darm ,  //  Herz ,  bin  Bauehmark. 
/  Leber,  br  Kieme,  brl  Brutlamelle, 
ov  Eier  im  Brutraum,  bf  Brustfüs.-e. 


Amphipoden.  Corophiuiu 
corne  (aus  Lang  nach  Delage) 


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384 


GHederfüssler. 


Strudel  nach  den  Kiemen  unterhalten ;  sie  sind  Spaltfüsse  mit  schlanker 
Basis,  schlankem  Innen-  und  Aussenast;  die  3  hinteren  Abdominal- 
extremitäten sind  zwar  ebenfalls  Spaltfüsse,  aber  von  gedrungenem 
Bau,  sie  sind  kräftige  Springstangen,  mit  denen  die  Thiere  sich  auf- 
stützen und  durch  das  Wasser  schnellen. 

Die  Lage  der  Kiemen  am  Thorax  ist  Ursache,  dass  sich  von  dem 
langgestreckten  Crustaceenherz ,  wie  es  noch  bei  den  Phyllopoden  und 
Leptostraken  auftritt,  nur  der  vordere  thoracale  Theil  mit  meist  3  Ostien- 
paaren  erhält,  während  der  abdominale  Abschnitt  rflckgebildet  wird. 
Der  Geschlechtsapparat  ist  bei  wenigen  Arten  (Fig.  381)  hermaphrodit. 

Die  3  Unterabtheilungen  zeigen  eine  fortschreitende  Tendenz  zu  para- 
sitischer Lebensweise. 

I.  Unterordnung.  Die  Orevettinen  sind  vollkommen  frei  lebende, 
schlanke,  geschickte  Schwimmer  mit  kleinem  Kopf.  Cheluriden ,  marine, 
holznagende  Formen:  Chelura  terebrans  Phil.,  den  Pfahlbauten  gefährlich. 
Gammariden,  vorwiegend  Süsswasserformen :  Gammarus  pulex  L.  in  Bächen, 
Xiphargns  puteanus  Koch  blind,  in  Brunnen  und  Seen. 

II.  Unterordnung.  Die  llypcrinen  haken  sich  mit  ihren  kräftigen 
Klainmerbeinen  an  pelagische  Thiere,  welche  sie  ausfressen,  fest;  sie  haben 
einen  auffallend  grossen  Kupf  mit  autfallend  grossen  Augen.  PhronimUen: 
riironima  sedentaria  Forsk.  nistet  sich  mit  dem  Vorderkörper  in  dem  an- 
gefressenen und  zu  einem  Tünnchen  abgerundeten  Cellulosemantel  von 
Salpen  und  Pyrosoinen  ein,  während  das  hervortretende  Abdomen  zum 
Rudern  und  Steuern  dient. 

III.  Unterordnung.  Bei  den  parasitischen  Ijoemodipodcn  verwachsen 
die  ersten  Segmente  mit  dem  Kopf,  während  andere  die  Extremitäten  ver- 
lieren. Auf  Hydroidpolypen  schmarotzen  die  langgestreckten  Capreüiden: 
Caprclla  linearis  L.,  auf  Walfischen  die  gedrungenen  Oyamiden:  Oyamus 
ceti  L. 

II.  Ordnung.    Isopoden,  Aasein. 

Die  Asseln  oder  Isopoden  unterscheiden  sich  von  den  Amphipoden 
in  erster  Linie  dadurch,  dass  ihr  Körper  dorso-ventral  abgeplattet  ist; 
sie  sind  breit  und  flach,  bewegen  sich  demgemäss  auf  dem  Boden 
nur  langsam  kriechend  oder  im  freien  Wasser  gleichmässig  rudernd. 
Die  Beine  sind  Schreitbeine  und  wie  bei  den  Amphipoden  im  weib- 
lichen Geschlecht  mit  Brutplatten  ausgerüstet  (Fig.  3*4),  dagegen  fehlen 
an  ihnen  die  Kiemenanhänge,  da  zur  Athmung  ein  Theil  der  Afterfüsse 
des  Abdomens  dient.  Am  Abdomen  ist,  wie  bei  allen  Malacostraken, 
das  letzte  Abdominalsegment  extremitätenlos;  am  vorletzten  befindet 
sich  eine  Extremität  ,  die  je  nach  ihrer  Verwendung  verschieden  aus- 
sieht; bei  schreitenden  Asseln  (Fig.  384)  ist  sie  ein  griffei- 
förmiger Spaltfuss,  bei  schwimmenden  A s s e  1  n  dagegen  sind 
Innen-  und  Aussenast  zu  Ruder  platten  geworden  (Fig.  385),  welche 
gemeinsam  mit  dem  7.  Abdominalsegment  einen  breiten,  zum  Rudern 
geeigneten  Fächer  abgeben.  Die  5  vorderen  Beinpaare  sind  endlich  in 
den  Dienst  der  Respiration  getreten,  das  erste,  indem  es  den  Kiemen- 
deckel, die  folgenden,  indem  sie  die  Kiemen  liefern.  Bei  jeder  respi- 
ratorischen Extremität  ist  Innen-  und  Aussenast  des  Spaltfusses  eine 
breite  Athemplatte  geworden.  —  Infolge  der  abdominalen  Lage  der 
Kiemen  ist  das  mit  nur  2  Paar  Ostien  ausgerüstete  Herz 
ebenfalls  im  Abdomen  untergebracht. 


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II.  Malakostraken :  Isopoden.  385 
Fig.  3K4.  Fig.  385. 


Thoil  zu  Kiemen  (kl  modifizirt,  br  Rrutraum,  / — TT  die 
t>  verschmolzenen  Kopfsegmente,  VII— XIII  die  7  Thoraxsegmente,  XIV—  XX  dir 
7  zum  Theil  verschmolzenen  Abdominalsegmente. 

Fig.  385.  Cumothocca  emanjinata  vom  Rücken  gesehen  (nach  Gerstäcker).  pr 
die  sechsten  Pedcs  spurii,  welche  Schwimm  platten  darstellen. 


Die  Kiemenlamellen  der  Abdominalfüsse  dienen  auch  bei  den  land- 
bewohnenden Asseln  zur  Respiration  von  feuchter  Luft.  Nur  bei  den 
Gattungen  PoredUo  und  Armadillio  finden  sicli  besondere  Einrichtungen, 
indem  sich  im  Kiemendockel  ein  System  von  Luftröhren  entwickelt,  welches, 
wenn  auch  nicht  anatomisch,  so  doch  physiologisch  den  Tracheen  der  In- 
secten  vergleichbar  ist. 

Bei  den  Asseln  ist  die  Neigung  zu  parasitischer  Lebensweise  noch 
grösser  als  bei  den  Amphipoden:  viele  schwimmende  Formen  ernähren 
sich,  indem  sie  sich  mit  ihren  zu  Stechorganen  umgewandelten  Mundwerk- 
zeugen in  die  Haut  von  Fischen  einbohren,  wobei  sie  sich  mit  den  scharfen 
Krallen  ihrer  Beine  fest- 
halten. Bei  nicht  weni- 
gen Arten  kommt  es  zu 
einem  typischen  Parasi- 
tismus. Die  Bopyrvicn 
wohnen  in  der  Kiemen- 
höhle von  Garneelen,  die 
sie  ausdehnen,  und  er- 
halten, den  Raum  Verhält- 
nissen sich  anpassend,  eine 
ganz  asymmetrische  Ge- 
stalt. Cnjptonisem  ist  ein 
unförmlicher  Schlauch,  der 
sich  am  St  iel  von  Sarai  - 
lina  ansaugt  und,  nach- 
dem er  das  Abfallen 
dieses  Parasiten  veranlasst 
hat  ,  dessen  Stiel  und 
Wurzelgeflecht  zur  eigenen 
Ernährung  weiter  benutzt. 
Am  merkwürdigsten  sind  die  Entoniscuim  (Fig.  380),  welche,  die  Kurper- 
haut von  Decapoden  vor  sich  einstülpend,  in  das  Innere  eindringen.  Die 
abenteuerliche  Form,  welche  sie  hier  gewinnen,  wird  namentlich  durch  die 
in   viele  Lappen   entwickelten  Brutlamellen  bedingt.     Vielfach  sind  die 

Hartwig,  Uhrbuch  der  Zoologie.   3.  Aufl»gc.  25 


Fig.  380.  Entonisrus  porrrllatiae  (aus  Gerstäcker 
nach  Müller).  A  Männchen  ,  B  Weibchen ,  la  Brut- 
lamellen, c  Herz,  ot  Ovar,  he  lieber. 


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386 


Gliederfüssler. 


Tbiere  hermaphrodit,  haben  aber  ausserdem  supplementäre  Zwergmännchen 
(Fig.  386  .4). 

Mit  griffeiförmigen  sechsten  Afterfüssen  sind  ausgerüstet  die  Land- 
asseln Oniitcitlen:  Oniscits  murariu*  Cuv.,  Mauerassel,  und  Porceüio  scaber 
Leuck.,  Kellerassel,  und  die  Wasserasseln  Aselliden \:  Asellus  aquaitcits L. — 
Dagegen  sind  die  sechsten  Pedes  spurii  Ruderplatten  bei  den  Sphaero- 
miden,  Kugelasseln,  und  den  Oymothoiden,  Fischasseln.  Zu  den  ersteren 
gehört  ausser  typischen  Formen,  wie  Sphaeroma  scrratutn  Fabr..  die  früher 
den  AseU'ulm  zugerechnete  Limnoria  terdtrans  Leach,  welche  das  Holz  von 
Schiffen  und  Hafenbauten  zernagt  und  dadurch  grossen  Schaden  anrichtet. 
Die  Oymotlioidm  (Cymothocea  eniarginaia,  Fig.  385)  sind  Fischparasiten 
und  leiten  zu  den  parasitisch  hochgradig  degenerirten  Bopyridm  (Bopynts 
aquiüarum  Latr.)  und  Cnjptonisciden  über  (Ckyjttoniseus  pygmaeus  Fr.  Müll, 
und  Entoniscwt  porcdlanae  Fr.  Müll.,  Fig.  386).  —  Eine  Mittelstellung 
zwischen  Amphipoden  und  Isopoden  endlich  nehmen  die  Scheeren asseln 
Tanaiden  (Anisopodcn)  ein:  Tanais  dulnm  Kroy. 


IL  Legion. 

Thoracostraken,  Podophthaluien,  Panzerkrebse. 

Für  die  Thoracostraken  haben  wir  2  Merkmale  als  charakteristisch 
hingestellt:  1)  dass  sie  gestielte  Augen  besitzen,  2)  dass 
Kopf  und  Brust  zum  Cephalothorax  verschmolzen  sind. 
Der  Charakter  der  gestielten  Augen  lässt  sich  in  gleichmässiger  Aus- 
bildung durch  die  ganze  Ordnung  hindurch  verfolgen,  dagegen  ergeben 
sich  in  der  Ausbildung  des  Cephalothorax  Unterschiede,  je  nachdem 
alle  13  ersten  Segmente  verschmolzen  sind  oder  einige  frei  bleiben. 
Weitere  Unterschiede  betreffen  die  Extremitäten,  von  denen  nur  die 
5  ersten  bei  allen  Podophthalmen  im  Wesentlichen  gleich  sind,  nämlich 
2  Paar  Antennen,  1  Paar  Mandibeln,  2  Paar  Maxillen.  Was  dagegen 
die  8  folgenden  anlangt,  so  können  sie  sämmtlich  noch  ihre  ursprüng- 
liche locomotorische  Function  beibehalten  haben  oder  sie  sind  zum  Theil 
zu  Kieferfüssen  (Pedes  maxillares)  geworden.  Auf  die  Unterschiede  in 
der  Beschaffenheit  des  Cephalothorax  und  der  Extremitäten  gründet 
sich  die  Eintheilung  in  H  Ordnungen:  1)  Schizopoden,  2)  Stomatopoden, 
X)  Decapoden. 

I.  Ordnung.  Schizopoden. 

Die  Schizopoden  (Fig.  .*>S1)  besitzen  schon  den  vollentwickelten 
Cephalothorax  der  Thoracostraken,  indem  sich  vom  Kopf  aus  eine  Chitin- 
falte über  den  Rücken  legt,  welche  bis  zum  Abdomen  reicht  und  mit  allen 
oder  den  meisten  Thoraxsegmenten  verschmilzt;  dagegen  bewahren  sie 
in  der  Beschaffenheit  der  Extremitäten  primitive  Zustände.  Von  den 
l.">  Extremitäten  des  Cephalothorax  sind  die  8  letzten  Schwimm- 
füsse  und  de  in  gemäss  mit  Aussen-  und  Innenast  versehen. 
Beim  Weihchen  können  einige  derselben  mit  Brutplatten  versehen  sein. 
Zum  Schwimmen  tragen  ferner  die  Spaltfüsse  des  Abdomens  bei,  be- 
sonders die  des  Paares,  welche  mit  dem  extremitätenlosen  7.  Seg- 
ment gemeinsam  das  Telson  oder  den  Schwanzfächer  erzeugen,  wie  er 
bei  sämmtlichen  Podophthalmen  mit  Ausnahme  der  Krabben  vorkommt. 


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II.  Malakostraken.    Podophthalmen:  Schizopoden,  Stomatopoden.  387 


Das  Telson  ist  eine  kräftig  das  Wasser  vor  sich  hertreibende  Ruder- 
platte,  die  aus  5  Stücken  besteht;  die  Mitte  bildet  das  7.  Segment, 
links  und  rechts  davon  liegen  die  lamellös  umgestalteten  Innen-  und 
Aussenäste  der  sechsten  Abdominalextremitäten.  Merkwürdigerweise  ent- 
halten die  Innenäste  ein  fast  vollkommen  geschlossenes  Hörbläschen. 
Die  zarte  Beschaffenheit  des  Integuments  ermöglicht  eine  ausgedehnte 
Hautathmung;  daher  fehlen  Kiemen  ganz  oder  sind  unbedeutende  An- 
hänge der  Brust-  oder  Bauchextremitäten. 

Am  verbreitetsten  ist  die  Familie  der  Mysidecn,  in  Nord-  und  Ostsee 
sowie  auch  in  anderen  Meeren  durch  die  wenige  Centimeter  lange  Mysis 
flexuosa  Müll,  vertreten.  Weitere  Familien  sind  die  selteneren,  mit  Leucht- 
organen versehenen  Euphausiden  und  Lophogastriden. 

II.  Ordnung.  Stomatopoden. 

Die  Stomatopoden  mit  der  einzigen  Familie  der  Heuschreckenkrebse 
oder  Squilliden  sind  in  der  Bildung  des  Cephalothorax  nicht  so  weit 
vorgeschritten  wie  die  Schizopoden,  da  mindestens  die  3  letzten  Seg- 
mente des  Thorax  vollkommen  frei  bleiben.  Rücksichtlich  der  Extre- 
mitäten sind  sie  dagegen  höher  entwickelt,  da  nur  die  :i  letzten  freien 
Thoraxsegmente  Schwimrafüsse  tragen,  während  die  5  vorhergehenden 
mit  den  für  die  Abtheilung  äusserst  charakteristischen  Raubfüssen 
ausgerüstet  sind.  Beim  Raubfuss  sind  die  beiden  letzten  Glieder 
sehr  lang  und  kräftig;  das  letzte,  säbelartig  gekrümmt  und  mit 
scharfen  Spitzen  besetzt,  kann  in  eine  Rinne  des  vorletzten,  wie  die 
Klinge  eines  Taschenmessers  in  das  Heft,  eingeschlagen  werden  und 
dadurch  schwere  Schnittwunden  hervorrufen.  Der  zweite  Raubfuss  ist 
am  kräftigsten  und  dient  den  selbst  Fischen  gefährlichen  Thieren  zum 
Zerfetzen  ihrer  Beute  (Fig.  '587). 

Fig.  i{87.  Si/uilla  manti*. 
af,  af  erste  und  zweite  An- 
tenne, pr  und  pr'  Rnubfüsse. 
p  Spaltfüsse  des  Thorax ,  p# 
Fii^se  des  Abdomens  mit 
Kiemenbüscheln  ik),  sa  letztes 
Abdoniinnlscgment ,  welches 
mit  dem  sechsten  Fes  spurius 
(f)  das  Telson  bildet. 

Da  die  thoracalen  Extremitäten  für  die  Fortbeweguug  von  unter- 
geordneter Bedeutung  sind,  ist  das  Abdomen  sehr  lang  und  kräftig,  be- 
sonders der  Schwanzlacher.  Letzterer  wird  in  seiner  Wirkung  unterstützt 
von  den  5  ruderartig  abgeplatteten  vorderen  Afterfüssen,  die  zugleich  die 
ansehnlichen  Kiemenbüschel  tragen.  Mit  der  Verbreitung  der  Kiemen  am 
Abdomen  und  der  ganz  aussergewöhnlichen  Ausdehnung  des  letzteren 
hängt  es  zusammen,  dass  auch  das  Herz  sich  als  ein  langgestreckter 
Schlauch  mit  vielen  Ostien  bis  in  das  Abdomen  hinein  erstreckt. 

Die  Familie  der  Squilliden  ist  in  europäischen  Meeren  durch  die 
Stjuilla  mantis  Rond.  vertreten,  welche  ihren  Namen  der  Aehnlichkeit  mit 
Mantis  religiosa,  einer  ebenfalls  mit  Raubfüssen  ausgerüsteten  Heu- 
schrecke, verdankt.  Die  durchsichtigen  pelagischen  Larven  der  Squillen 
wurdeu  früher  unter  dem  Namen  Alima  und  Erichthus  als  besondere  Arten 
beschrieben. 

t>5* 


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Gliederfüssler. 


HL  Ordnung.  Decapoden. 

Ilirc  höchste  Organisationsstufe  erreicht  die  Gasse  der  Crustaceen 
in  den  Decapoden,  einer  Gruppe,  die  noch  weiteres  Interesse  dadurch 
gewinnt,  dass  die  bekanntesten  Krebse,  unser  Flusskrebs,  der  Hummer, 
die  Lanyustt :,  die  Cranialen  und  Krabben  hierher  gehören.  Mit  den 
Schizopoden  haben  die  Decapoden  den  vollkommen  entwickelten ,  aus 
13  verschmolzenen  Segmenten  bestehenden  Ccphalothorax  gemein;  sie 
unterscheiden  sich  von  ihnen  dagegen  durch  den  Bau  und  die  Ver- 
wendung der  Brn  s  t  ext  remi  täten.  Von  den  s  Paar  Spaltfüssen 
der  Schizopoden  sind  die  3  vordersten  Paare  zu  Pedes  maxillares  ge- 
worden. Nur  die  ;">  letzten  Paare  (daher  der  Name  Decapoden)  dienen 
zur  Fortbewegung;  sie  haben  den  während  der  Larvenstadien  (Mysis- 
stadium)  (Fig.  :»!>f>)  häutig  noch  vorhandenen  Schwimmfussast  ver- 
loren und  sind  kräftige  Gangbeine  geworden,  welche  entweder  mit 
Krallen  oder  mit  Srhccren  endigen.  Eine  Scheere  findet  sich  gewöhn- 
lich an  dem  durch  bedeutendere  (irösse  ausgezeichneten  ersten  Bein- 
paar; dasselbe  wird  dann  nicht  mehr  zur  Fortbewegung  benutzt,  son- 
dern erhoben  getragen  und  dient  sowohl  zur  Vertheidigung  wie  zum 
Krgreifen  der  Beute:  beim  Männchen  besonders  stark  entwickelt,  hilft 
es  auch,  das  Weibchen  bei  der  Begattung  festzuhalten. 

Zur  Bildung  einer  Scheere  kommt  es,  indem  das  vorletzte  Glied  des 
Beines  einen  Fortsatz  nach  vorn  treibt,  welcher  neben  und  nach  aussen 
von  dem  letzten  Glied  vorbei  wachst  und  ihm,  als  der  beweglichen  Branche, 
gegenüber  die  teststehende  Branche  der  Scheere  liefert.  Vor  der  Scheere 
» xtremit ,t« ii  liegen  dicht  gedrängt  hinter  einander  die  M  u  n  d  e  x  t  re  m  i  t  ä  t  e  n ,  im 
Ganzen  3  Paar  Kieferfüsse  und  3  Paar  Kiefer  (Fig.  355):  sie  können, 
wenn  man  in  der  Betrachtung  von  dem  dritten  Kieferfuss  nach  der  Man- 
dibel  fortschreitet,  vortreil'lich  erläutern,  in  welcher  Weise  ein  Spaltfuss 
zu  einem  Kieler  umgewandelt  wird.  Die  dritten  Kieferfüsse  (7),  welche 
alle  übrigen  Mundgliedmaassen  zudecken,  haben  noch  vollkommen  den 
Spaltfusscharakter,  indem  eine  zweigliedrige  Basis  einen  kräftigen  Aussen- 
und  Inneuast  trägt.  Dadurch,  dass  die  zweigliedrige  Basis  den  Charakter 
von  Kauladen  gewinnt  und  die  beiden  Acste  kleiner  werden,  leiten  die 
vorderen  Kieferfus.se  (5  u.  zu  den  Maxillen  über,  die  aus  '2  Kauladen 
mit  rudimentärem  Palpus  bestehen  (3  u.  4).  Bei  der  Mandibel  ist,  wie 
überall,  nur  das  unterste  Basalglied  zu  einem,  dafür  um  so  kräftigeren 
Kauorgan   umgebildet,  an  welchem   stets  ein  Palpus  mandibularis  ansitzt 

Hinter  der  Mandibel  folgen  ±  Schüppchen,  welche  unter  dem  Namen 
Paragnathon  früher  fälschlich  als  Rxtremitüten  beschrieben  worden  sind. 
Die  erst  en  d)  und  zweit  en  An  t  «innen  besitzen  eine  kräftige  Basis, 
welche  bei  der  vorderen  kleineren  Antenne  2 — 3,  bei  der  grösseren,  hin- 
teren nur  einen  geringelten  Faden  (Geissei)  trägt.  Das  Basalglied  der 
ersten  Antenne  hat  auf  seiner  oberen  Seit«-  eine  ovale,  von  starken  Haaren 
geschlossene  OefVnung,  welche  in  die  Hörgrubc  einleitet  ;  das  Basalglied 
der  zweiten  Antenne  ist  durch  einen  Höcker,  die  Mündungsstelle  der  grünen 
Drüse  (Niere)  ausgezeichnet  (Fig.  392 yd). 

So  lange  das  Abdomen  nicht  wie  bei  den  Krahlttn  rudimentär  ist, 
sind  die  Extremitäten  des  sechsten  Segments  als  äussere  Platten  des 
Schwanzfächers  Telson:  breite,  beim  Schwimmen  hauptsächlich  thätige 
Flossen  (Fig.  39<>i;  die  übrigen  Extremitäten  (Fig.  355,  9)  sind  kleine 
Spaltfüsse,  au  denen  das  Weibchen  seine  Eier  mit  sich  herumträgt.  Sie 


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II.  Malakostraken.    Podophthalmen :  Decapoden. 


389 


verkümmern  beim  Weibchen  am  ersten  Segment,  sind  dagegen  beim  Männ- 
chen hier  gut  entwickelt,  besitzen  wie  die  des  zweiten  Paares,  einen 
löffeiförmig  ausgehöhlten  Fortsatz  und  dienen  zur  Begattung.  Da  ausser- 
dem die  weibliche  Geschlechtsöffnung  in  der  Basis  des  8.  Gehfusses  (11. 
Segment),  die  männliche  im  Basalglied  des  5.  Gehfusses  (13.  Segment)  an- 
gebracht ist,  und  da  die  Scheeren  des  Männchens  viel  kräftiger  sind,  können 
bei  allen  Decapoden  die  Geschlechter  leicht  unterschieden  werden. 

Die  starke  Panzerung  der  Körperoberfläche  macht  bei  den  Decapoden  K,'^"- 
eine  ausgiebige  Hautathmung  unmöglich  und  bedingt  die  Anwesenheit  zahl- 
reicher schöner  Kiemenbüschel,  welche  zum  geringeren  Theil  an  der  Soiten- 
wand  des  Cephalothorax ,  zum  grösseren  Theil  an  der  Basis  der  Extremi- 
täten  (Pedes  maxillares  und  Gangbeine)  sitzen  (Fig.  388).  Aeusserlich 

Fig.  388.  Kiemen  der*  Fluss- 
kreb.ses  durch  Abschneiden  des 
Kiemendeckels  freigelegt.  1 
Augenstiel  mit  Auge,  2  und  .7 
Antennen,  4—G  Kiefern,  " — .9 
Kieferf üsse,  10  lt  die  basalen 
Enden  der  Thoraxbeine  mit  den 
Kiemenanhängen  (pdb) ,  pt/bH, 
p(lhl\  ptib**  die  Anhänge  der 
gleich  numerirten  Extremitäten, 
AT,  XVI erstes  und  zweites  Al>- 
dominalscgment ,  7.7  erster  Pes 
spurius,  r  Rostrum. 


gewahrt  man  von  ihnen  nichts,  weil  links  und  rechts  vom  Rücken  aus 
eine  Falte  entspringt,  welche  als  ein  hartschaliger  Kiemendeckel  sich  über 
die  Kiemen  herüberwölbt.  Da  der  Faltenrand  fest  an  die  Extremitäten- 
basis anschlies.st,  entsteht  eine  nahezu  vollkommen  geschlossene  Kiemen- 
hohle. Nur  am  vorderen  Rand  klafft  der  Spalt  und  bildet  eine  Oeffnung, 
welche  durch  einen  lamellösen  Anhang  der  zweiten  Maxille  geschlossen 
wird,  der  durch  seine  lebhaften  Bewegungen  Wasser  aus  der  Kiemenhöhle 
aus-  und  einpumpt.  Alle  Decapoden  können  lange  ausserhalb  des  Wassers, 
namentlich  in  feuchten  Pflanzen  verpackt,  leben.  Das  hängt  damit  zu- 
sammen, dass  die  Thiere  genügend  Wasser  in  ihrer  Kiemenhöhle  bewahren, 
um  die  Kiemen  feucht  und  funetionsfähig  zu  erhalten.  Bei  manchen 
Arten,  die  dauernd  auf  dem  festen  Lande  leben,  kommt  aber  auch  eine 
echte  Luftathmuug  vor,  indem  ähnlich  wie  bei  den  Lungenschnecken  die 
Kiemenhöhle  ,zu  einer  Art  Lunge  verwandelt  wird,  deren  Wandung  von 
einem  respiratorischen  Gefässnetz  überzogen  ist  (Fig.  380).     Ein  sicher 

Fig.  389.  Lunge  von  Birgits 
tatro,  auf  einem  sehematisenen 
(Querschnitt  durch  das  Thier  auf 
der  Höhe  des  Herzens  darge- 
stellt (aus  Lang  nach  Semper). 
/.</Kieinendeckel  mit  zuführenden 
Gefä,«sen  (<il — it*)  und  Lungen- 
büscheln (lb)  auf  seiner  Innenseite 
umgiebt  die  Athemhöhle  (ak);  cl 
Itlutgcfäs.-e.  die  zum  Herzbeutel 
lp)  und  Herzen  (Ii)  das  Lungen- 
blut leiten  ;  rudimentäre  Kiemen 
mit  zum  Herzen  führenden  Kie- 
mengefässen  (ekf;  cl'  Einmündung 
der  Lungen  und  Kiemengefä.-se 
in  den  Hcrzl>eutel. 


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390  Gliederfüsaler. 

constatirtes  Beispiel  ist  Birgits  lalro,  dessen  Athemhöhle  durch  eine  Ein- 
schnürung in  2  Etagen  getheilt  ist,  eine  obere,  welche  als  Lunge  func- 
tioniert,  eine  untere,  welche  die  Reste  von  Kiemen  beherbergt, 
uiutsef^  Der  hochgradig  localisirten  Athmung  entspricht  ein  nahezu  geschlos- 
►)»t>:n..  genes  Blutgelasssystem  (Fig.  390,  391).  Das  Herz  (h),  ein  gedrungener 
Körper  von  der  Gestalt  einer  Bischofsmütze,  empfängt  das  arterielle  Blut 


Fig.  31i0.  Fig.  391.  Fig.  392. 


Fig.  390-  392.  Anatomie  de.-*  F/usskrrhsrs  (nach  Huxley  und  (iegenbaur).  Fi  g.  390. 
Uückendecke  d«:s  Cephalothorax  und  Abdomens  cnlfenit;  /* Herz,  oa,  aa.  saa  davon  aus- 
gehende Arterien ;  «//,  py  vordere  und  hintere  Muskeln  de*  Magens,  amm  die  grossen 
Kaumuskeln  der  Mandibeln;  <  s  Kaumagen.  ////  Enddarm.  Lr  Leiter,  yd  grüne  Drüse,  t 
Hoden,  rd  Vasadeferentia.  -  F  i  g.  3  !t  1 .  Anordnung  des  Blutgefäss*  vstems;  rfleR  mit  Spalt- 
öffnungen, pc  Perieard,  an,  na,  u,  ap,  ac  Kürperarterien  ,  v  Venensinus,  weleher  das 
Blut  aus  dem  Capillarlx'/irk  de«  Körper«  sammelt  und  an  die  Kiemen  <br/  abgiebt;  rbr 
Kiemenvenen,  welche  das  arterielle  Blut  zum  Perieard  leiten,  von  wo  es  dureh  die  Spalt- 
öffnungen des  Herzens  aufgenommen  wird.  Die  Pfeile  deuten  die  Richtung  des  Blutstroms 
an.  quere  Sehraff  irung  den  venösen  Charakter  der  Blutbahn ;  ai  innere  oder  erste,  ar  äussere 
oder  zweite  Antenne,  </  Auge.  -Fig.  392.  Rüekendeeke  von  Cephalothorax  und  Abdomen 
entfernt,  alle  Eingeweide  mit  Ausnahme  des  Nervensystems  und  der  grünen  Drüse  heraus- 
genommen; yit'  oberes  Schlund-  oder  Hirnganglion"  yn,,yii9,yn'',gnl*  (Janglien paare  des 
Bauchmarks, du,  an  Nerven  der  ersten  und  zweiten  Antenne,  on  Sehnerv,  o  Eingang  in  die 
Hörgrube,  danel)cn  Augenstiel  mit  Auge,  r  Commissurcn  zum  Bauchmark,  *7h  Sympa- 
thien* (Nerven  zum  1  >arm),  OM  durchschnittener  <  Ösophagus,  a  After,  yd  grüne  Drüse,  links 
mit  Ansatzstelleder  abgeschnittenen  Harnblase,  rechts  von  der  Harnblase  (hl  bedeckt. 

durch  3  Paar  Ostien  aus  dem  Pericardialsinus  (y*1),  einem  besonders  ab- 
gegrenzten Theil  der  Leibeshöhle,  und  giebt  es  durch  zahlreiche  Arterien 
wieder  in  den  Capillarbezirk  des  Körpers  ab;  das  venös  gewordene  Blut 
gelangt  in  einen  grossen  Venensinus  an  der  Basis  der  Kiemen  und  nach 
Durchströmung  der  letzteren  mittelst  zahlreicher  Kiemen venen  nach  dem 
Herzbeutel. 


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IL  Malakostraken.    Podophtlialmen :  Decapoden. 


391 


Der  D  arm  der  Decapoden  (Fig.  390)  ist  gerade  gestreckt  und  be-  D»nu. 
sitzt  nur  eine  ansehnliche  Erweiterung  in  dem  Kaumagen  (es),  einem 
Sack,  der  auf  seiner  Innenseite  mit  spitzzackigen  Chitinleisten  und  Zähnen 
zur  Zerkleinerung  der  Nahrung  versehen  ist,  der  in  seiner  Wand  ferner 
die  sogenannten  Krebssteine  oder  Krebsaugen  umschliesst.  Letztere  sind 
Ablagerungen  von  kohlensaurem  Kalk,  welche  schwinden,  wenn  der  frisch 
gehäutete  Krebs,  der  sogenannte  Butterkrebs,  sich  seine  Schale  neubildet, 
weil  der  kohlensaure  Kalk  dann  zur  Erhärtung  des  Chitins  verbraucht 
wird.  Hinter  dem  Kaumagen  münden  die  beiden  Leberlappen  (Lr),  die 
aus  fein  verästelten  Drüsenschläuchen  bestehen  und  fast  die  ganze  Leibes- 
höhle füllen. 

Ebenfalls  sehr  ansehnlich  sind  die  beiden  spangrünen  Antennen^Jj™^ 
drösen  (Fig.  392  gd)t  die  mit  einer  grossen  Harnblase    //)  versehen  sind,  wwe! 
Vom  Geschlechtsapparat  ist  als  interessant  hervorzuheben,  dass  die 
dorsal  dicht  unter  dem  Herzen  gelegenen  paarigen  Geschlechtsdrüsen  (Fig. 
393>  in  ihrem  hinteren  Abschnitt  verschmelzen,  während  die  vorderen  Ab- 
schnitte und  die  Ausführwege  paarig  bleiben. 

Der  Bau  des  Nervensystems  hängt  von  der  Beschaffenheit  des  »rT«.- 
Abdomens  ab;  nach  letzterem  unterscheidet  man  systematisch  Macruren  ,T*,'m' 
und  Brachyuren.  Nur  bei  den  Langschwänzen,  wie  z.  B.  unseren  Fluss- 
krebsen, ist  das  Abdomen  (Schwanz)  wohlentwickelt,  bei  den  Kurzschwänzen 
dagegen,  den  Krabben,  ist  es  klein  und  in  eine  Rinne  des  Cephalothorax 
eingeschlagen,  so  dass  es  auf  den  ersten  Blick  zu  fehlen  scheint  und  nur 
mühsam  herausgeklappt  werden  kann  (Fig.  377).  Bei  den  Macruren 
(Fig.  392)  ist  das  Bauchmark  des  Nervensystems  eine  gegliederte  Ganglien- 
kette mit  G  Ganglien  des  Cephalothorax,  6  Ganglien  des  Abdomens;  bei 
den  Krabben  (Fig.  394)  dagegen  fliessen  alle  Ganglien  des  Bauchmarks  in 
einen  grossen  Brustknoten  zusammen,  der  mit  dem  Hirn  durch  2  lange 
Schlundcommissuren  zusammenhängt. 


Fig.  393 i 


Fig.  393  b. 


Fig.  393  a.  Weibliche  Geschlechtsorgane  de*  Flusskrrhsrs.  ov  Ovar,  od  Oviduet, 
od1  Mündung  de**ell>cn  an  der  Basis  der  11.  Extremität  (au*  Huxley). 

Fig.  393  b.  Männlicher  Gendüfichteapparat  des  Flusskrcbse*.  t  Hoden,  vd  Vas 
deferens.  rr/'  Mündung  denselben  an  «1er  Basis  der  13.  Extremität  (ans  Huxley). 

Fig.  394.  Nervensystem  einer  Krablte  (aus«  Gegenbaur).  ys  oberes  Schlund- 
ganglion, o  Opticus,  a'  Antennennerven,  e  Schlundcoininissurcn.  yi  Bauchmark  zu 
einem  einzigen  Ganglion  verschmolzen. 


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Gliederfüssler. 


Die  Entwicklungsgeschichte  der  meisten  Decapoden  ist  durch  die 
grosse  Zahl  der  Larvenformen  interessant.  Die  Regel  ist,  dass  aus  dem 
Ei  eine  Zoea  {Fig.  301)  ausschlüpft,  die  sich  in  das  Mysisstadium 
iFig.  395)  verwandelt:  auf  letzterem  ist  der  Thorax  \T)  sowohl  vom  Kopf 
{C)  wie  vom  Abdomen  (A)  abgesetzt  und  trügt  zarte,  an  die  Sdiizopotlm 
erinnernde  Spaltfüsso.  Bei  den  Krabben  wird  das  M\sisstadiuni  von  der 
Megalopalarve  ersetzt,  bei  welcher  das  Abdomen  noch  gut  entwickelt 
ist,  die  Fasse  aber  den  Spaltfusscharakter  schon  verloren  haben  (Fig.  31M>|. 


Fig. 30fi.  PhyUowmialarvc  (Mysisstadium)  taten,  a1 — die  Segmente  des 

von  Palhturus  (naeh  ( irrstäckor).    CK«»pf,  Abdomens  (ae  bezeichnet,  anstatt 

1  Thorax,  A  Abdomen,  a  Aussenast,   i  des  sechsten ,  das  siebente  Ab- 

Innenast  der  mnaxglioduiaassen.  dotninalsegment)  (aus  Lang  naeh 

Claus). 


Bei  manchen  Garurrkn  (Pcnacua)  wird  die  Metamorphose  vervollständigt, 
indem  sich  vor  die  Zoea  noch  der  dreibeinige  Nauplius  und 
der  mit  vielen  Beinen  versehene  Metanauplius  einschiebt.  Dieses  für 
Schiwpfxlen  (Enphausiri)  ebenfalls  geltende  Auftreten  des  Nauplius  ist  eine 
Thatsache  von  ganz  hervorragender  Bedeutung;  sie  zeigt,  dass  der  Nauplius 
als  die  ursprüngliche  Larvenform  aller  Crutfwccn  angesehen  werden  niuss. 
Unser  Flusskrebs  und  andere  Decapoden  haben  die  Metamorphose  verloren  ; 
sie  haben  aber  im  Enibryonalleben  ein  lang  anhaltendes  Stadium,  auf  dem 
nur  3  Extremitätenpaare  vorhanden  sind,  das  Nau  p  1  i  us  s  t  adi  u  m.  Der 
unserem  Flusskrebs  nahe  verwandte  Hummer  verlasst  das  Ei  auf  dem 
Mysisstadium. 

I.  Unterordnung.  Macrnrcn.  Abdomen  kräftig  entwickelt,  Bauchmark 
langgestreckt. 

1)  Caridi'lcn,  Gameckn.  Die  Thiere  sind  streng  genommen  keine 
echten  Dceapodm,  da  das  letzte  Kieferfusspaar  noch  vollkommen  beinartig 
ist  und  die  Zahl  der  Beine  auf  12  erhöht.  Dieser  ursprünglicheren  Be- 
schaffenheit entspricht  das  Auftreten  des  Nauplius  während  der  Entwick- 
lung bei  einigen  Arten,  z.  B.  bei  Pcnarus  mramok  Desm.  Die  bekanntesten 
Garneelen  sind  die  in  Schwärmen  auftretenden  Curnyon  vulgaris  Fabr.  der 
Nord-  und  Ostsee,  Palneuion  squilln  L.  des  Mittelmeers. 

2)  Astacülcn,  Krebse  im  engeren  Sinne,  haben  sehr  kräftig  entwickelte 
Scheeren.  Die  Gattung  Astacits  ist  in  vielen  Arten  durch  das  Süsswasser 
über  die  ganze  Erde  verbreitet:  bei  uns  einheimisch  Astaeus  flnviatUis  L. ; 
in  der  Mammuthhühle  in  Kentucky  der  kleine  Astacus  pcllucidus  Tellk., 


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II.  Malakostraken.    Podophthalmen :  Decapoden.  393 


der  als  Höhlenbewohner  die  Augen  verloren  hat.  Nahe  verwandt  der 
grösste  Malacostrake,  der  Hummer,  Homarus  vulgaris  M.  E.,  Xephrops  Nor- 
wegicus  L. 

3)  Palinuridcn,  auch  wegen  ihrer  besonders  starken  Panzerung  Lori- 
caten  genannt,  haben  keine  Scheeren ;  ihre  Mysislarven  sind  im  Gegensatz 
zum  ausgebildeten  Thier  äusserst  zart  und  wurden  unter  dem  Namen 
Phyllosoma  (Fig.  395)  früher  als  besondero  Krebse  beschrieben.  Palinurus 
qundricornis  Latr.,  Languste  des  Mittelmeers,  übertrifft  den  Hummer  an 
Wohlgeschmack.    Scyllurus  arctits  F.  Bärenkrebs. 

4)  Fayuriden,  Einsiedlerkrebse,   zeigen  die  ersten  Anfänge  von  Ver- 
kümmerung des  Abdomens,  welche  durch  ihre  Lebensweise  veranlasst  wird 
(Fig.  31»7).    Sie  fressen  Schnecken  aus  ihren  Gehäusen  heraus  und  nisten 
sich  selbst  in  dio  letzteren  ein.    Ihr  Ab- 
domen  wird  in   Folge   dessen   zu  einem 
weichen,  entsprechend  der  Asymmetrie  des 
Schneckenhauses     asymmetrischen     Sack ; 
nur  der   Cephalothorax    bleibt    hart  ge- 
panzert.   Payurus  Bernhardt  F.    Viele  Ein- 
siedlerkrebse   tragen    auf  ihren  Schalen 
Actinien  mit  sich  herum,  so  der  P.  Pri- 
deauxi  Leach ,  die  Adamsia  palliata  Boh. 
(vergl.  S.  139).    Nahe  verwandt  ist  Biryus 
latro   Herbst,   der   Cocosnussräuber ,  von 

dem  in  den  Tropen  behauptet  wird,   dass         FiS-  307-    Pwjurua  barbatus 
m         •      r  ....  i  ,         lT    ,  ,     mit    seinem    behjuekcnhauR  (aus 

er   Tags    m   Erdlochera  wohne,  Nachts  scmiiarda). 

Cocospalmen    erklettere    und    von  ihren 

Früchten  lebe.  Seine  Athenihöble  ist  in  ihrem  oberen  Abschnitt  zu  einer  Art 
Lunge  geworden ,  während  im  unteren  die  rudimentären  Kiemen  liegen 
(Fig.  389). 

II.  Unterordnung.  Brachyurrn,  Krabben.  Abdomen  rudimentär  und 
gegen  den  Cephalothorax  eingeschlagen;  Bauchmark  concentrirt. 

1)  Notopoden.  Letzte  Beinpaare  auf  den  Rücken  verschoben;  sie  dienen 
den  Dromiden  zum  Festhalten  von  Schwämmen  oder  zusammengesetzten 
Ascidien,  welche  sie  sich  wie  Masken  über  den  Cephalothorax  stülpen,  um 
sich  unkenntlich  zu  machen.    Droniia  vulgaris  M.-E. 

2)  Oxystomcn.  Das  Mundfeld  bildet  ein  Dreieck  mit  nach  vorn  ge- 
richteter Spitze.    Calappa  granulata  L. 

Die  übrigen  zahlreichen  Familien  der  Krabben  werden  nach  der  vor- 
deren Umgrenzung  des  Cephalothorax  in  folgenden  3  Gruppen  angeordnet. 

3)  Oxyrhynehen.  Cephalothorax  nach  vorn  in  eine  Spitze  ausgezogen. 
Maja  squinado  Rond.  sorgt,  dass  ihr  Cephalothorax  von  Algen  und  Hydro- 
iden  dicht  bewachsen  ist,  um  sich  im  Tang  leichter  zu  verstecken. 

4)  Oyclontdopcn.  Der  vordere  Rand  des  Cephalothorax  bogenförmig 
abgerundet.  Am  bekanntesten  sind  die  Taschenkrebse :  Cancer  payurus  L. 
und  der  kleine  Tascheukrebs  Carduus  niaenas  L. 

5)  Katotnctopcn.  Der  vordere  Cephalothoraxrand  bildet  eine  quere 
Linie,  welche  mit  den  Seitenkanten  in  rechtem  Winkel  zusammenstösst,  so 
dass  der  gesammte  Körper  viereckig  wird  (Quadrilatera).  Pinnothercs 
pisum  L.  in  der  Schale  von  Mytilus.  Manche  Viereckskrabben  verlassen 
das  Meer :  die  Gelasi  musarten  bewohnen  Süsswassersümpfe ;  die  (Jiearcinülen 
leben  mitten  in  Wäldern  der  Südseeinseln  ;  zur  Fortpilauzungszeit  wandern 
sie  zur  Eiablage  in  Schaaren  zum  Meer.     Uerarcinus  rurkola  L. 


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;;;m 


Gliederfüssler. 


II.  Unterstamm. 

Tracheaten. 

Wenn  man  den  Crustaccen  alle  übrigen  Arthropoden  unter  dem 
gemeinsamen  Namen  Tracheaten  gegenüberstellt,  so  geschieht  es  mit 
Rücksicht  auf  die  Beschaffenheit  ihrer  Extremitäten  und  ihrer  Respira- 
tionsorgane. Die  Extremitäten  besitzen  die  einreihige  Anordnung 
der  Glieder  und  sind  somit  niemals  Spaltfüsse;  ferner  findet  sich  nie- 
mals mehr  als  eine  präorale  Extremität,  eine  Antenne.  Die  Re- 
spirationsorgane sind  durchgängig  auf  die  Luftathmung  berechnet, 
da  die  Tracheaten  vorwiegend  das  feste  Land  bewohnen.  Allerdings 
siebt  es  unter  den  Spinnen  und  Insecten  manche  Arten,  welche,  wie 
die  Silberspinne,  die  Wasserkäfer  und  Wasserwanzen,  ausschliesslich 
oder  den  grössten  Theil  der  Zeit  über  im  Wasser  leben:  allein  diese 
hören  nicht  auf,  Luft  zu  athmcn  und  müssen  von  Zeit  zu  Zeit  an  die 
Oberfläche  kommen,  um  ihre  Athmungsorgane  mit  neuem  Sauerstoff 
zu  versorgen.  Eine  Ausnahme  bilden  gewisse  Insectenlarven  und 
einige  degenerirte  Spinnen  (Wassermilben  und  Tardigraden).  indem 
erstere  ihre  Luftathmungsorgane  in  höchst  eigenthümlicher  Weise  an 
die  Wasserathmung  anpassen,  letztere  ausschliesslich  durch  die  Haut 
respiriren. 

Die  besonderen  Athmungswerkzeuge  der  Tracheaten  sind  die 
Tracheen  (Fig.  398,  410).    Mit  der  Trachea  des  Menschen  haben 


Fig.  WS. 


Fig.  309. 


Fig.  .'M>\  Traeheenbüschol  oinor  ttaitjir  (ans 
Gegenbaur).  .1  Hauptstamm,  Ii,  C,  I)  Verästelun- 
gen ;  a  Epithel  mit  Kernen  (h),  rf  Luftinhalt  der 
Trachea. 

Fig.  - -J *  *i  *-  Tracheeiwvstem  der  rechten  Seite  von 
Macht  Ii»  maritima  (aus  Lang  nach  Oiulcmnns).  s 
Stigmen  und  Tnieheeiihüseheljfc  Kopf,  /—  ///Thorax  - 
wginente,  1—10  Ahdomiiialsegmentc. 


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Tracheaten. 


395 


dieselben  nur  gemein,  dass  sie  Röhren  sind,  deren  mit  Luft  gefülltes 
Lumen  von  festen  Wandungen  stets  klaffend  erhalten  wird ;  sonst  unter- 
scheiden sie  sich  in  jeder  Beziehung,  vor  Allem  dadurch,  dass  sie  auf 
der  Oberfläche  der  Haut  durch  Oennungen,  die  Stigmata,  münden. 
Sie  sind  Einstülpungen  der  Haut  und  haben  daher  auch  die 
Structur  derselben,  ein  Epithel  und  eine  von  demselben  ausgeschiedene 
Chitinschicht.  Letztere  heisst,  da  sie  das  Canallumen  auskleidet, 
„Tracheenintinia" ;  sie  bedingt  das  Klaffen  der  Wandung.  Ihre  Festig- 
keit wird  durch  eine  Chitinleiste,  den  Spiralfaden  verstärkt,  welcher 
in  so  flachen  Windungen  aufsteigt,  dass  man  zunächst  den  Eindruck 
der  Ringelung  erhält  und  erst  durch  Dehnen  der  Trachee  die  Spiral- 
touren nachweisen  kann.  Für  die  Anordnung  der  Tracheen  kann  man 
im  Allgemeinen  die  Regel  aufstellen,  dass  jedes  Segment  ein  linkes 
und  rechtes  Stigma  und  ein  linkes  und  rechtes  Tracheenbüschel  hat 
(Fig.  50).  Dieses  Grundschema  ist  indessen  bei  keinem  Tracheaten 
vollkommen  durchgeführt  ;  meist  haben  einige  Segmente  keine  eigenen 
Tracheen  und  werden  von  Nachbarsegmenten  versorgt  (Fig.  391)),  oder 
die  segmentalen  Büschel  verbinden  sich  durch  Längsstämme,  was  zur 
Folge  hat,  dass  sich  nur  an  einem  Theil  der  Segmente  die  Stigmen- 
paare erhalten,  welche  das  ganze  einheitlich  gewordene  Canalsystem 
mit  Luft  füllen.  —  Weit  verbreitet  sind  bei  den  Tracheaten  zweierlei 
Drüsen  am  Anfang  des  Darms;  die  einen  münden  in  die  Mundhöhle 
und  sind  die  Speicheldrüsen;  die  anderen  münden  neben  der 
Mundütfnung  auf  einer  der  Mundextremitäten  und  heissen  je  nach 
dem  Secret,  welches  sie  erzeugen,  Gift-,  Schleim-  oder  Spinn- 
drüsen.  Ausserdem  besitzen  fast  sämmtliche  Tracheaten  die  als 
Niere  funetionirenden  Vasa  Malpighi,  Anhänge  des  Enddarms. 
Wie  der  Enddarm  sind  die  Malpighi'schen  Gefässe,  wie  es  für  1m- 
secten  sicher  erwiesen  ist,  ectodermaler  Herkunft  und  durch  Einstülpung 
der  Haut  entstanden.  Ihre  Mündungsstelle  ist  daher  ein  sicherer  Be- 
weis, wie  ausserordentlich  weit  sich  das  ectodermale  Proctodaeum  (Fig. 
427,  428)  in  das  Körperinnere  hineinerstreckt.  Für  Arachnoideen  wird 
ein  entodermaler  Ursprung  der  Vasa  Malpighi  behauptet. 


II.  C lasse. 

Protracheatcn,  Onychophoren. 

Früher  beschrieb  man  im  Anhang  zu  den  Anneliden  einige  der 
Gattung  Peripatus  angehörige  Arten  unter  dem  Namen  Onychophoren, 
obwohl  schon  mehreren  Forschern  ihre  Verwandtschaft  mit  den  Arthro- 
poden aufgefallen  war.  Die  Sicherheit,  dass  die  Peripatiden  Tracheaten 
.-eien.  wurde  jedoch  erst  gewonnen,  als  Zoologen  auf  der  Challenger- 
expedition  zum  ersten  Mal  Gelegenheit  hatten,  lebende  Thiere  zu  be- 
obachten und  die  kleinen  silberweissen  Tracheenbüschel  aufzufinden, 
welche  im  Spiritus  luftleer,  farblos  und  daher  schwer  nachweisbar 
werden. 

Die  Peripatiden  (Fig.  400)  zeigen  in  ihrer  Organisation  ein  merk- 
würdiges Gemisch  von  Charakteren  der  Arthropoden  und  Anneliden 
mit  Merkmalen  einer  niedrigen  Organisationsstufe,  so  dass  man  sie 
als  Vorläufer  der  Tracheaten  bezeichnen  kann,  die  sich  von  den  Anne- 
liden sehr  frühzeitig  abgezweigt  haben.    An  die  Anneliden  werden 


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396 


Gliederfüssler. 


wir  erinnert  durch  die  Anwesenheit  typischer,  bei  Arthropoden  in  so  cha- 
rakteristischer Weise  sonst  nicht  vorkommender  Se gm  en  t  al or  ga n  e. 


in 


Stigma 


Fig.  400.   Feripntm  capensi«  («us  Ralfour  nach  Moseley). 

(Fig.  401  so),  die  mit  einer  geschlossenen  Isiase  beginnen  und  Dach 
kurzem  Verlauf  und  nach  Bildung  einer  Harnblase  nach  aussen 
münden.  Als  ein  unzweifelhafter  Traehcat  erweist  sich  der  Peripa- 
tus  durch  den  Besitz  von  Tracheen  (Fig.  401  fr),    Diese  sind  lange, 

unverästelte    Köhren ,  weicht 
grossen  Mengen  von  einem 
entspringen.   In  jedem  Segment  sind 
zahlreiche  solche  Büschel  vorhanden. 

Die  Mittelstellung  des  Peripatns 
drückt  sich  ferner  in  den  Ext  re- 
in i  t  ä  t  e  Ii  aus  ,  welche  beweglich 
wie  die  Beine  der  Arthropoden  an 
dem  weichhäutigen,  nicht  geringel- 
ten Körper  ansitzen  und  mit  Krallen 
versehen  sind,  dabei  aber  mit  den 
Parapodien  der  Anneliden  noch  eine 
gewisse  Aehnlichkeit  bewahren,  in- 
dem sie  weder  deutlich  geringelt, 
noch  scharf  gegen  den  Körper  ab- 
gesetzt sind.  Sämmtliehe  Rumpf- 
segmente  sind  mit  Beinen  ausge- 
rüstet, der  einheitlich  erscheinende 
Kopf  mit  drei  Glicdmaassen,  1  Paar 
geringelten  Antennen,  1  Paar  in  der 
Mundhöhle  verborgenen  Kiefer,  deren 
Endklauen  das  Kauen  besorgen.  1 
Paar  Mundpapillen,  auf  deren  Spitze 
Schleimdrüsen  münden,  deren  kle- 
briges Secret  weit  herausgespritzt 
wird  und  zum  Einfangen  von  In- 
secten  dient  (Fig.  401  sd). 

Als  Beweis  für  die  niedrige  Or- 
ganisation des  Peripntus  kann  das 
Nervensystem  dienen,  welches 
wie  bei  den  Plattwürmern  aus  einem 
Paar  Hirnganglien  (<hj)  und  davon 
ausgelienden  Längssträngen  (hm)  be- 
steht.   Erstere  innerviren  die  sehr 


Fig.  101.  Anatomie  eines  weiblichen, 
vom  Kücken  eröffneten  Peripaitu  (com- 
hinirt  ans  Zeichnungen  von  Haltour. 
und  Moselev  .  nt  Antennen,  og  Hirn. 
bm  Bauchmark,  ji  Pharynx,  </  Dann, 
sp  Speicheldrüsen ,  Bfl  Sehlcim<lrü>en. 
0   Ovar,   u   l'tcrii*.    f/o  Geschlechts- 


ÄÄIom.Ä;«.'r  Tr'H,,l"enbibÄd'    primitiven  Augen  und  die  Antennen ; 

diese  versorgen  die  übrigen  Extremi- 
täten und  sind  segmentweis  schwach 
angeschwollen,  die  Bildung  des  Strickleiternervensystems  vorbereitend: 
sie  hängen  hinter  dem  After  zusammen. 

Zur  Vervollständigung  der  Schilderung  sei  noch  hervorgehoben,  dass 


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III.  Myriapoden. 


397 


das  gerade  gestreckte  Darmrohr  (p  u.  d)  nur  mit  Speicheldrüsen  (sp)  ver- 
sehen ist,  dass  es  in  ganzer  Länge  von  einem  dorsalen  Herz  begleitet 
•wird,  dass  dicht  vor  dem  Atter  der  gonochoi  istische  Geschlechtsapparat 
mündet  (yo).  Die  Thiere  sind  zum  Theil  lebendig  gebärend,  leben  in 
faulendem  Holz  am  Tag  vorsteckt,  um  Nachts  ihre  Beute  zu  erjagen. 
Man  kennt  mehrere  Arten  aus  weit  entfernten  Gegenden,  z.  B.  aus  Südafrika 
PerijMtus  capens-is  Gr.,  aus  Neuseeland  P.  novae  Zealatvliae  Hütt.  etc. 


III.  Classc. 
Myriapodeii,  Tauscndfüssler. 

Unter  den  seit  Langem  schon  bekannten  Tracheatenclassen  stehen 
die  Myriapodeii  den  Protracheuien  am  nächsten,  da  ihre  Gliederung 
fast  ebenso  gleichförmig  ist  wie  bei  diesen.  Der  Kopf  besteht  aus 
drei  verschmolzenen  Segmenten,  zu  denen  sich  bei  den  Chilopoden  noch 
das  erste  Kumpfsegment  gesellt.  Alle  übrigen  Körpersegmente, 
höchstens  mit  Ausnahme  der  letzten,  tragen  Beine,  welche  demgemäss 
in  grosser  Zahl  vorhanden  sind  und  den  Namen  Myriapoden  veranlasst 
haben.  Ein  Fortschritt  giebt  sich  immerhin  schon  äusserlich  darin  zu 
erkennen,  dass  proportional  der  grösseren  Dicke  der  meist  verkalkten 
Chitinschicht  die  Gliederung  sowohl  des  Körpers  wie  der  Extremitäten 
deutlicher  ausgeprägt  ist.  Die  Beine  bestehen  aus  sechs  Gliedern, 
von  denen  das  letzte  als  Klaue  dient.  Der  Fortschritt  in  der  inneren 
Anatomie  ist  noch  viel  auffälliger.  Anstatt  der  beiden  longitudinalcn 
Nervenstränge  ist  ein  typisches  Strickleitern  er  vensy  stein  vor- 
banden, dessen  einzelne  Ganglienpaare  in  Zahl  und  Lage  noch  den 
Körpersegmenten  entsprechen.  Segmentale  Anordnung  beherrscht  auch 
die  Verthcilung  der  Tracheen  und  den  Bau  des  Herzens.  Jedes 
Rumpfsegment  —  oder  wie  bei  den  Scolopendren  wenigstens  jedes 
zweite  Segment  hat  ein  Paar  Tracheenbüschel ;  nur  die  Kopf- 
segmente  haben  keine  eigenen  Stigmen  und  werden  von  dem  an- 
grenzenden Rumpf  aus  mit  Luftröhren  versorgt.  Das  Herz  erstreckt  sich 
durch  den  grössten  Theil  des  Körpers  und  bildet  in  jedem  Segment 
eine  besondere  Kammer  mit  zugehörigen  Flügelniuskeln.  Der  Darm 
der  Myriapoden  besitzt  kleine  Leberschläuche  am  Mitteldarm  und  zwei 
lange  Vasa  Malpighi  am  Enddarm.  Die  Augen  sind  stets  Stemmuta, 
die  in  grösserer  Zahl  am  Kopf  stehen  und  nur  bei  Scutigera  zu  einer 
Art  Facettenauge  näher  zusammentreten. 

Im  Bau  der  Geschlechtsorgane  unterscheiden  sich  die  beiden  Ord- 
nungen der  Myriapoden,  die  Chilopoden  und  Diplopoden,  ebenso  in  der 
Gestalt  der  Segmente,  der  Länge  der  Extremitäten  und  der  Art  der 
Ernährung. 

I.  Ordnung    Diplopoden  oder  Chilognathen. 

Durch  die  grosse  Zahl  (oft  100)  ihrer  Segmente  und  Extremitäten 
rechtfertigen  die  Diplopoden  noch  am  meisten  den  Namen  der  ge- 
sammten  Classe  (Fig.  402).  Jedes  Segment  besteht  aus  einer  Rücken- 
und  einer  Bauchschiene,  die  durch  eine  feine,  das  Tracheenstigma 
tragende  Gelenkhaut  verbunden  sind.  Gewöhnlich  sind  nun  die  äusserst 
festen  Kückenschienen  hoch  gewölbt  und  so  gebogen,  dass  sie  fast 


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398 


Gliederfüasler. 


allein  schon  zu  einem  Ring  zusammensehliessen  und  nur  wenig  Raum 
ffir  die  kleinen,  die  Beine  tragenden  Bauehsehienen  übrig  lassen.  Dies 
hat  zur  Folge,  dass  der  Körper  der  Thiere  meist  drehrund  ist  und 
dass  die  Mündungen  der  Tracheen  ganz  auf  die  Bauchseite  rücken. 

In  der  Seitenlinie  des  Körpers  vor- 
handene, auf  den  Rückensehienen 
angebrachte  Punkte  sind  daher  nicht 
die  Stigmen,  sondern  die  Mündungen 
von  Vertheidigungsdrüsen  (Foramina 
repugnatoria). 

Ein  noch  auffallenderes  Merkmal 
der  Diplopoden  ist  die  Doppel- 
natur ihrer  Segmente,  welche, 
durch  Verschmelzung  zweier  Seg- 
mentanlagen entstanden,  je  zwei 
Herzkammern,  zwei  Paar  Tracheen- 
büschel, zwei  Paar  Bauchganglien 
und  vor  Allem  zwei  Paar  Extre- 
mitäten haben.  Nur  die  4— ."> 
ersten  Rumpfsegmente  raachen  eine 
Ausnahrae,  indem  sie  höchstens  e  i  n 
Beinpaar  tragen.  Die  Diplopoden 
fallen  ausserdem  noch  durch  die 
abnorme  Kürze  ihrer  Antennen  und 
Beine  auf,  welche  letztere  nur  wenig 
unter  dem  Bauch  seitlich  hervor- 
ragen. —  Da  die  Thiere  von  Pflanzen- 
kost leben,  sind  ihre  Kiefern  (Fig. 
4<>f>)  sehr  klein:  am  kräftigsten  sind 
noch  die  raehrgliedrigen  Mandi- 
beln  (2)\  die  Maxillen  (ß)  da- 
gegen sind  rudimentär  und  unter 
einander  zum  (1  n  a  t  h  o  c  h  i  1  a  r  i  u  m 
letzteres  auf  zwei  Extremitätenpaare 
zu  beziehen,  welche  den  Maxillen  und  der  Unterlippe  (zweiter  Maxillel 
der  Insekten  entsprächen :  allein  die  Thatsachen  der  Entwicklungs- 
geschichte widersprechen  dieser  Auffassung. 

Dk*  Geschlechtsorgane  sind  paarige,  in  einen  Sack  eingeschlossene 
Drüsen,  welche  weit  rückwärts  liegen  und  nach  vorn  zwei  getrennt  am 
2.  Segment  mündende  Ausführgänge  entsenden.  Dem  Männchen  dient  das 
Beinpaar  des  7.  Segments  zur  Begattung.  Die  aus  dem  Ei  ausschlüpfenden 
Thiere  haben  zunächst  nur  3  Beinpaare  wie  die  Insecten  ;  auch  auf  dieses 
Merkmal  hat  man  übertriebenen  Werth  gelegt,  um  eine  Verwandtschaft 
mit  den  Insecten  zu  beweisen. 

1)  Juliden,  mit  langgestrecktem,  drehrundem  Körper.  Juhts  foeti'bts 
C.  L.  Koch,  bei  uns  einheimisch.  (Sjnrobolns)  niaj-imns  Br.  (Fig.  40'2), 
12  cm  lang,  in  den  Tropen.  2)  (ilomcrklni  mit  gedrungenem  Körper,  der 
wie  bei  den  Kugelasseln  ventral  eingerollt  werden  kann.  Ghmcris  pnstn- 
Inta  Latr.    3)  Pohjjrsmitlrn,  Polyxnuts  lagtmts  L. 


Fig.  40i 

maxtmu». 


.Infus 


Fip.  403.  Srnlo- 
prnrfra  mnrsitttns. 


(Beide  Zeichnungen  nach  ^chrnarda.) 

verwachsen.    Man  hat  versucht. 


II.  Ordnung.  Chilopoden. 

Die  Chilopoden  (Fig.  404)  unterscheiden  sich  von  den  Diplopoden 
durch  ihre  einfachen,  dorso ventral  abgeplatteten  Segmente 


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III.  Myriapoden:  Chilopoden. 


399 


und  die  auffallend  langen  Antennen  und  Beine.  Da  letztere  ihnen 
einen  raschen  Lauf  ermöglichen,  überfallen  sie  als  gefährliche  Räuber 
andere,  selbst  an  Grösse  ihnen  überlegene  Thiere  und  tödten  sie  durch 
die  Giftigkeit  des  Bisses.   Zum  Verwunden  benutzen  sie  nicht  die 


Fig.  404.  Fig.  4435. 


Fig.  404.  MundlH'waffnung  eines  Julus 
(nach  Latzel).  2  Mandibeln  von  J.  molybdiuus. 
3  Gnathochilarium  (verschmolzene  Maxillen) 
von  J.  furidu«. 

Fig.  4<>").  Kopfgliedniaaswn  und  Kiefcrfüäsc 
von  Scolopeudra  morsitam.  1  Antennen ,  2 
Mandibeln,  3  Maxillen  (Onathochilarium),  4  erste 
Kieferfusw  (zweite  Maxillen) ,  5  zweite  Kicfer- 
fttme,  o  Oceüen,  /  Oberlippe. 

Kiefern,  Mandibeln  (Fig.  405,  2)  und  Gnathochilarium  (  V),  welche  an 
die  gleichnamigen  Theile  der  Diplopoden  erinnern,  sondern  die  zur 
Mundbewaffnung  neu  hinzugetretenen  Kieferfüsse.  Es  giebt  zwei  Paar 
Kieferfttsse :  die  ersten,  welche  vielfach  auch  zweite  Maxillen  heissen, 
da  das  zugehörige  Segment  mit  dem  Kopf  verschmolzen  ist,  sind  schwach 
und  beinartig  (4);  die  zweiten  stärkeren  (5)  sind  an  der  Basis  ange- 
schwollen und  tragen  eine  scharfe  Endklaue,  an  deren  Spitze  eine 
Giftdrüse  mündet  ;  sie  decken  den  Kopf  von  unten  wie  mit  einer 
Maske  zu  und  sind  gefährliche  AngrifTswaffen. 

Im  Gegensatz  zu  den  Diplopoden  liegen  die  Geschlechtsorgane  weit 
vorn,  die  unpaare  Geschlechtsmündung  im  vorletzten  Segment  vor  dem 
After. 

1)  Die  Ucfijihilulcn  sind  kleinere,  lichtbraune  Thiere,  welcho  in  Europa 
sehr  häufig  sind,  wie  der  im  Dunkeln  leuchtende  (kophihis  ehctricm  L. 
2)  Die  Scolopcmiriden  gehören  vornehmlich  den  Tropen  an;  die  in  Indien 
lebende  25  cm  lange  Scolopcndra  gigantea  L.  wird  selbst  von  den  Menschen 
wegen  ihrer  Giftigkeit  gefürchtet.  Sc.  morsitam  Gerv.  (Fig.  403)  in 
Brasilien.    3)  Scutigetiden  mit  auffallend  langen  Beinen   Sc.  eoleoptrata  L. 

Von  den  Diplopoden  und  Chilopoden  werden  neuerdings  als  zwei 
weitere  Ordnungen  die  Symphylm,  ScohjjendreUa  Immaculata  Newp.)  und 
Pattropotlrn  (Pauropus  Hyxleyi  Lubb  )  abgetrennt,  da  sie  wie  jene  keine 
Kieferfttsse,  wie  diese  keine  Doppelsegmente  haben.  Die  Geschlechtsmün- 
dung liegt  bei  den  Symphylen  vorn,  bei  den  Pauropoden  hinten. 


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400 


Gliederfüßler. 


IV.  Ciasso. 

Insecten,  Hcxapoden. 

Im  Stamme  der  Arthropoden  ist  die  Classe  der  Insecten  bei 
weitem  die  umfangreichste,  da  sie  mindestens  zehnmal  so  viel  bekannte 
Arten  enthält,  als  Crustaceen,  Arachnoideen  und  Myriapoden  zusammen 
genommen.  Die  Zahl  der  jetzt  schon  beschriebenen  Formen  ist  eine 
so  enorme,  dass  man  sie  nicht  einmal  genau  angeben  kann:  man 
schätzt  sie  auf  ungefähr  200  000.  vermuthet  aber,  dass  dabei  vielfach 
dieselben  Arten  unter  verschiedenen  Namen  aufgeführt  werden.  Da 
die  an  Insecten  besonders  reichen  Tropen  nur  oberflächlich  durchforscht 
sind,  ist  es  sehr  wohl  denkbar,  dass  die  Welt  etwa  von  einer  Million 
verschiedener  Insectenarten  bevölkert  ist. 

Mit  der  Artenzahl  steht  die  Einförmigkeit  der  Organisation  in 
autfallendem  Contrast.  Mit  grosser  Zähigkeit  behalten  die  Insecten 
die  Grundzüge  ihres  Baues,  die  Art  der  Körpergliederung  und  die 
Zahl  der  Extremitäten  unter  den  verschiedensten  Lebensbedingungen 
bei,  so  dass  der  Unterschied  zwischen  den  extremsten  Formen  bei  den 
Insecten  lange  nicht  so  bedeutend  ist  wie  bei  den  Arnr.hnoidr.cn  und 
ganz  ausserordentlich  geringer  als  bei  den  Crustaceen.  Wenn  dadurch 
das  vergleichend-anatomische  Interesse  der  Gruppe  in  mancher  Hin- 
sicht leidet,  so  verdienen  die  Insecten  auf  der  anderen  Seite  besondere 
Beachtung  durch  ihre  Lebensverhältnisse,  durch  die  Art,  wie  sie  nütz- 
lich und  schädlich  in  die  Existenzbedingungen  des  Menschen  eingreifen, 
durch  ihre  Brutpflege  und  die  mit  ihr  zusammenhängende  auffallende 
Intelligenzent Wicklung  und  Staatenbildung.  Für  die  Deseendenztheorie 
sind  die  Insecten  durch  ihre  ganz  vorzügliche  Anpassung  an  ihre 
Umgebung  von  Wichtigkeit  geworden.  Die  grosse  Artenzahl  ist  nur 
möglich,  wenn  jedes  Plätzchen  im  Naturhaushalt  ausgenutzt  wird,  was 
wiederum  voraussetzt,  dass  das  Insect  den  Bedingungen  desselben  in 
möglichst  vollkommener  Weise  entspricht. 
nrinmt^  IM  der  systematischen  Charakteristik  ist  besonders  zu  beachten: 
1)  die  Gliederung  des  Körpers,  2)  die  Zahl  und  Verwen- 
dung der  Extremitäten.  Am  Körper  unterscheidet  man  3  Re- 
gionen, die  nicht  selten  durch  besonders  tiefe  Einschnürungen  von 
einander  getrennt  werden:  Kopf  (Caput),  Brust  (Thorax)  und 
Hinterleib  (Abdomen).  Die  Segmente  des  Hinterleibs  sind 
variabel  an  Zahl,  je  nach  den  Ordnungen  oder  sogar  den  Familien 
und  schwanken  zwischen  1 1  bei  manchen  Orthopteren  und  i>  bei  manchen 
Fliegen',  sie  bestehen  aus  Rücken-  und  Bauchschienen,  Terga  und 
Scuta,  die  zum  Zweck  der  Athmung  längs  der  Seitenlinie  in  einer 
weichen,  das  Tracheenstignia  umsehliessenden  Verbindungshaut  gegen 
einander  verschiebbar  sind.  Die  Brust  und  der  Kopf  dagegen  ver- 
halten sich  bei  allen  Insecten  in  ihrer  Seginentzahl  gleich.  Die 
Brust  ist  deutlich  in  Ringe  gegliedert:  Pro-,  Meso-  und  Meta- 
thorax,  von  denen  ein  jeder  (Fig.  4<m>)  aus  dreierlei  unbeweglich 
verbundenen  Theilen  bestellt,  den  paarigen  Seitentheilen  {pl  Pleurae), 
dem  unpaaren  Rückentheil  (Not  um  t)  und  dem  unpaaren  Brusttheil 
(Steinum  st).  Zur  Abkürzung  der  Beschreibung  hat  man  die  Be- 
zeichnungen Pronotum.  Mesonotum,  Metanotum  etc.  eingeführt. 


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IV.  Insecten. 


401 


Der  Kopf  endlich  ist  eine  einheitliche  Chitinkapsel,  an  der  man 
Regionen  unterscheiden  kann,  die  aber  nicht  auf  Segmente  beziehbar 
sind:  (nach  vorn  und 
dorsal  Frons  [Stirne]  und 
Clipeus  [Kopfschild],  nach 
hinten  und  dorsal  Occi- 
put  [Hinterhaupt],  ven- 
tral Gula  [Kehle],  lateral 
die  beiden  Genae  [Wan- 
gen]. Dass  er  trotzdem 
aus  4  verschmolzenen 
Segmenten  besteht,  lehrt 
einestheils  die  Entwick- 
lungsgeschichte, da  der 
Embryo  noch  4  getrennte 
Kopfringe  hat,  andern- 
theils  die  Vierzahl  der 
vom  Kopf  entspringenden  Extremitäten. 

Die  Extremitäten  (Fig.  406)  sind  auf  Kopf  und  Brust  bc- **«■««•■. 
schränkt  und  im  Ganzen  zu  7  Paaren  vorhanden.  Die  3  Thoraxseg- 
raente  tragen  3  Beinpaare,  weshalb  die  Insecten  vielfach  auch  „Hexa- 
poderi*  genannt  werden.  Die  Beine  sind  am  Uebergang  des  Stern  um 
in  die  Pleurae  befestigt  und  beginnen  mit  dem  häufig  kurzen,  in  eine 
Art  Pfanne  eingelenkten  Hüftglied  (Coxa  c).  Auf  letzteres  folgt  ein 
zweites  ebenfalls  gewöhnlich  kurzes  Glied,  der  Schenkelring  (Tro- 
c hanter  fr).  Die  nun  kommenden  2  Stücke  sind  stets  langgestreckt; 
das  nächste,  das  dritte  der  Reihe  ist  stark  verdickt,  enthält  haupt- 
sächlich die  Muskulatur  und  hcisst  Femur  (fc) ;  das  vierte  ist  die 
schlanke,  aber  sehr  feste  Tibia  (ti).  Als  fünften  Abschnitt  fasst  man 
unter  dem  Namen  Tarsus  (ia)  eine  Reihe  kleiner  Glieder  zusammen, 
von  denen  das  letzte  die  beiden  Klauen  trägt;  nach  der  Zahl  der 
Tarsalglieder  spricht  man  von  einem  3-,  4-,  5-gliedrigen  Tarsus. 

Von  den  K  opf  extrem  i  täten  ist  die  erste,  die  Antenne,  den 
Beinen  am  ähnlichsten,  nur  dass  sie  normalerweise  keine  Klauen  trägt  ; 
sie  entspringt  von  der  Stirn  vor  der  Mundöffnung  und  wird  gemäss 
ihrer  dorsalen  Lage  vom  oberen  Schlundganglion  innervirt  Die 
Zahl  und  Gestalt  der  Glieder  wechselt  nach' den  Ordnungen  der  In- 
secten. Je  nachdem  einzelne  Glieder  verlängert  oder  verkürzt,  ver- 
dünnt oder  verdickt,  oder  mit  Anhängen  versehen  sind,  je  nachdem 
derartige  Besonderheiten  der  Form  an  der  Basis  oder  an  der  Spitze 
sich  bemerkbar  machen,  unterscheidet  man  verschiedene  Gestalten 
der  Antennen,  die  systematisch  sehr  gut  verwerthet  werden  können 
( gebrochene,  geknöpfte,  gekeulte,  gezähnte,  gekämmte  Antennen  etc.). 

Viel  interessanter  ist  die  Morphologie  der  3  Paar  Mundglied- 
inaassen  (Fig.  407—410),  der  Mandibeln  (wir/),  der  ersten 
Maxillen  (mx),  die  auch  kurzweg  Maxillen  heissen,  und  der  zweiten 
Maxillen,  welche  man  gewöhnlich  Unterlippe,  Labium  (la)  nennt, 
da  die  zweiten  Maxillen  von  links  und  rechts  zu  einem  unpaaren  Or- 
gan verwachsen.  Das  Labium  liegt  hinter  der  Mundöffnung  und  bildet 
einen  Abschluss  nach  rückwärts;  es  steht  dabei  dem  ebenfalls  un- 
paaren Labrum  (lr)  gegenüber,  welches  von  oben  sich  über  die  Mund- 
öffnung legt  und  wegen  dieser  Analogie  mit  der  Unterlippe  früher 
fälschlich  ebenfalls  für  ein  Extremitätenpaar  gehalten  »wurde.  Wie 

Hartwig,  Lehrbuch  d*r  Zoologie.    3.  Auflage.  v)|j 


Fig.  40fj.  Mesothnrox  eines  flirschkäfera  mit 
Elvtrcn  und  lleinon.  t  Notum,/>/  Pkuron,  st  Stcrnum, 
el  fclytn-n,  r  Coxa,  tr  Trochanter.  fv  Ffinur,  ti  Tibia, 
ta  Tarsus. 


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4ü2 


Gliederfüssler. 


die  Entwicklungsgeschichte  lehrt,  ist  das  Labrum  eine  von  Anfang 
an  unpaare  Bildung,  eine  gewöhnliche  Chitinfalte,  welche  nur  vom 
angrenzenden  Integument  abgegliedert  und  dadurch  beweglich  ge- 
macht worden  ist. 

Die  verschiedene  Art  der  f>nälirung  bedingt  einen  verschiedenen 
Charakter  der  Mundbewaft'nung :  man  unterscheidet  kauende,  leckende, 
saugende  und  stechende  Mundgliedmaassen,  die  sich  aber  auf  eine  ge- 
meinsame Grundform,  die  kauenden  Mundgliedmaassen,  zurückführen 
lassen,  welche  ihrerseits  moditieirte  Beine  sind.  Bei  der  Betrachtung 
der  kauenden  Mundtheile  (Fig.  4o7)  stellt  man  am  zweckmässigsten 
die  Maxillen  voran,  weil  sie  Anknüpfungspunkte  sowohl  an  die 
Brustextremitäten  als  auch  an  die  übrigen  Kiefer  bieten.  Dieselben 
beginnen  mit  dem  kurzen  dreieckigen  Angelglied,  Cardo  (c),  auf 
welches  das  ansehnliche  Haftglied,  Stipes  (st)  folgt.  Der  Stipes  trägt 
die  Kauladen.  Lnbus  internus  (Ii)  und  L.  externus  (/<?)  genannt,  welche 
abgegliederte  Fortsätze  des  Stipes  sind.  Bei  den  Orthopteren  und 
Küfern  ist  nur  die  innere  Lade  (Lacinia)  in  spitze  Kauzähne  verlängert: 
die  äussere  Lade  dient  entweder  als  Galea  zur  Umhüllung  der 
Lacinia  (Fig.  407)  oder  kann  bei  Käfern  zum  Tasten  verwandt  werden 
und  sich  gliedern  <Fig.  4:>1).  Am  Stipes  sitzt  ferner  der  aus  :i  4 
gleichförmigen  Gliedern  bestehende  Palpus  m  ax  i  1 1  a  ri  s  ipm),  der 
am  meisten  beinähnlich  gebliebene  Theil  der  Extremität. 

Die  Unterlippe  legt  sich  nach  Art  der  Maxillen  als  ein  Paar 
Höcker  an,  die  jedoch  frühzeitig  in  der  Mittellinie  zusammenrücken 
und  hinter  der  Mundöffnung  verwachsen.  Man  kann  daher  alle  Theile 
der  Maxille  erkennen,  nur  uiuss  man  berücksichtigen,  dass  die  Basal- 
stücke von  links  und  rechts  mit  einander  verschmolzen  sind.  Die  ver- 
schmolzenen Angelglieder  bilden  die  unpaare  Platte  des  Unterkinns, 
Su  Innen  tum  {sin),  die  verschmolzenen  Haftglieder  erzeugen  das 
Kinn,  Mentum  (m).  welches  an  seinem  Ende  noch  getheilt  sein  kann, 
wenn  die  Verschmelzung  (wie  z.  B.  bei  den  Orthopteren)  nicht  in  ganzer 
Länge  durchgeführt  ist.  Am  Mentum  sitzen  die  linken  und  rechten 
Innenladen  und  Aussenladcn,  die  Innenladen  Glossae  (r/0»  die  Aussen- 
laden  Para glossae  (pg)  genannt,  und  als  Hepräsentanten  des  peri- 
pheren Extremitätcnstamnies  die  Palpi  labiales  (pl). 

Für  die  Mandibeln  imd)  der  Insecten  ist  äusserst  charakte- 
ristisch, dass  nur  das  Basalglied  zu  einer  kräftigen  Beisszange  wird, 
dass  dagegen  der  periphere  Abschnitt  ganz  schwindet,  weshalb  im 
Gegensatz  zu  den  meisten  Crustaceen  kein  Palpus  mandibularis  vor- 
handen ist. 

Den  kauenden  Mundgliedmaassen  stehen  am  nächsten,  mit  ihnen 
durch  vielerlei  Uebergänge  verbunden,  die  leckenden  Mundgliedmaassen 
der  Bienen  und  Hummeln  (Fig.  408).  Oberlippe  (lr)  und  Mandibeln 
(md)  bleiben  von  den  Umformungen  ganz  ausgeschlossen,  dagegen 
strecken  sich  Maxillen  und  Unterlippe  sehr  in  die  Länge  und  verbinden 
sich  an  der  Basis  zu  einem  federnden  Apparat,  der  nach  Bedürfniss 
unter  den  Kopf  eingeschlagen  und  compendiös  verpackt  oder  in  die 
Länge  gestreckt  werden  kann.  Die  Unterlippe  beginnt  mit  einem 
kleinen  herzförmigen  Submentum  (sm)  und  einem  langgestreckten 
Mentum  (im);  daran  reiht  sich  der  fuiietionell  wichtigste  Theil,  die  un- 
paare Zunge,  (ilossa  (gl),  die  den  verschmolzenen  Glossen  der  kauen- 
den Insecten  entspricht,  zum  Saugen  von  Honig  dient  und  zu  diesem 
Zweck  die  Gestalt  einer  fast  zur  Röhre  geschlossenen  Halbrinne  an- 


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IV.  Insecten. 


403 


genominen  hat;  neben  ihr  liegen  noch  Rudimente  von  Paraglossen  (pg) 
und  gut  entwickelte  Palpi  labiales  (j>/).  In  entsprechender  Weise  sind 
bei  den  Maxillen  die  Card  in  es  (c)  klein  und  herzförmig,  die 
Stipites  (st)  und  Laden  (()  langgestreckt,  während  die  Taster  (pm) 
rudimentär  sind. 

An  die  Mundgliedmaassen  der  Bienen  lassen  sich  weiter  anreihen 
die  stechenden  Mundgliedmaassen  der  Dipteren  (Fig.  410)  und  Rhyn- 
choten,  Fliegen  und  Wanzen,  insofern  auch  hier  die  Unterlippe 
Grundlage  des  Ganzen  abgiebt.  Der  Rüssel  (la)  dieser  Thiere  (Ro- 
strum, Proboseis  oder  Haustellum)  entspricht  der  Unterlippe,  vielleicht 
mit  Einschluss  der  Palpen;  sie  ist  eine  Rinne  mit  fleischigen,  bieg- 
samen oder  mit  festen  und  dann  gegliederten  Wandungen;  die  Rinnen- 
ränder sind  zusammengebogen  und  einander  genähert  bis  auf  einen 


Fig.  KiN.    Leckende  Mundglied- 
Fig.  407.    Kauende  Mundglieiliuaassen  der        maa-ssen  der  Hummel  (Bambus  tcr- 
Sehabe  (Periplaneta  otirntnlis).  restrisß. 

Für  die  Figuren  -107 — llu  gelten  fnlgcnde  Bezeichnungen:  lr  01x;rlip|K*,  md 
Mnndibeln,  c  Card«»,  st  Stipes,  le  und  Ii  Lobas  extern  ug  und  internus,  pm  ip)  Palpua 
inaxillaris  der  Maxille  (ms)\  um  8ul»inentum,  m  Mentum,  <jl  Glossen,  py  Paraglossen, 
pl  Palpus  labialis  der  Fnterlippe  du).  Inj  Hypopharynx. 

schmalen  dorsalen  Spalt,  dessen  Verschluss  durch  Einfügung  der  Ober- 
lippe (lr)  bewirkt  wird.  Im  Innern  des  durch  Ober-  und  Unterlippe 
gebildeten  Rohres  liegen  4  Stilets,  welche  an  der  Spitze  gezähnt  oder 
mit  Widerhaken  bewaffnet  sind.  Dieselben  sind  aus  den  Mandibeln 
und  Maxillen  hervorgegangen,  zu  denen  noch  der  lang  ausgezogene 
Hypopharynx  (hy).  ein  Fortsatz  an  der  Innenseite  des  Labiums,  als 
fünftes  Stilet  kommen  kann.  Die  nur  bei  den  Dipteren  vorhandenen 
Palpen  (/>)  gehören  wahrscheinlich  zu  den  Maxillen,  werden  aber  von 

26* 


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404 


Gliederfüssler. 


manchen  Forschorn  der  Unterlippe  zugerechnet  Eine  Venninderuni: 
der  Zahl  der  Stilets  auf  4  und  3  tritt  ein,  wenn  Rückbildungen  oder 
Verwachsungen  zu  Stande  kommen.  Der  Rüssel  dient  in  allen  Fallen 
nur  als  Etui  für  das  eigentliche  Saugrohr;  letzteres  wird  bei  den 
Wanzen  von  den  fest  an  einander  Beimessenden  Mandibeln,  bei  den 
Dipteren  von  Mandibeln  und  Oberlippe  gebildet. 

Vom  Rüssel  der  Fliegen  und  Wanzen  ist  sehr  wohl  der  aus  den 
Maxillen  hervorgegangene  Rüssel  der  Schmetterlinge  (Fig.  400)  zu  unter- 
scheiden. Derselbe  ist  eine  lange  Röhre,  welche  wie  eine  Uhrfeder 
spiralig  gewunden  unter  dem  Kopf  getragen  wird,  und  besteht  aus 
2  Halbrinnen  mit  fest  aufeinander  gefügten  Rändern,  den  linken  und 
rechten  Maxillen,  vornehmlich  den  Maxillarladen,  welche  allein  unter 
den  Mundgliedmaassen  gut  entwickelt  sind.  Dagegen  spielt  die  Unter- 
lippe (In)  eine  ganz  untergeordnete  Rolle,  keine  wichtigere  als  die 
Oberlippe  (lr);  da  die  beiden  Maxillen  an  der  Basis  auseinander  weichen. 


Fit;.  400.  Mundgliedmaassen  eines  Schmetterling* 
(nach  Suvigny).  Anstatt  der  rechten  MaxiHe  ein  Stück 
des  Rüspels  dargestellt ,  um  zu  zeigen,  wie  die  linke 
inirt)  und  rechte  Maxille  (mxll)  sich  zu  einem  Kohr 
vereinen  (vergl.  auch  S.  40  !  . 

Fig.  41<».  Mundpliedmaasscn  einer  Mücke  (Cnlcr 
in'piens);  die  Rinne  der  l'nterlipjM-  durch  Zurück- 
klappen der  01>erlippc  geöffnet  und  die  Steehborsten 
herausgenommen  (nach  Muhr). 


Fig.  410. 


füllen  die  beiden  Lippen  den  Spalt  aus,  die  Oberlippe  von  oben,  die 
Unterlippe  von  unten  mit  einem  dreieckigen  Blatt.  Von  der  Unter- 
lippe sind  nur  die  Palpi  labiales  (pl)  gut  entwickelt,  welche  an  der 
Basis  des  Schmetterlingsrüssels  stehen.  Die  Palpi  maxillares  (pm) 
liegen  etwas  höher  als  kleine  Höcker,  die  bei  den  Motten  zu  ge- 
gliederten Anhängen  auswachsen.  Kaum  erkennbare  Höcker  links  und 
rechts  vor  dem  Rüssel  repräsentiren  die  Mandibeln  (wirf).  Alle  diese 
Einrichtungen  gewinnen  an  Interesse,  wenn  wir  bedenken,  dass  bei 
den  Raupen  umgekehrt  die  Mandibeln  kräftige  Beisszangen  sind,  die 


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IV.  Insecten. 


405 


Maxillen  nur  kleine  Höcker  darstellen  und  die  Unterlippe  nur  in  den 
mit  den  Spinndrüsen  verbundenen  Theilen  l  >esser  ausgebildet  ist;  ein 
schöner  Beweis,  wie  die  Lebensweise  des  Thieres  bestimmend  auf  den 
Bau  der  Theile  einwirkt. 

Im  Gegensatz  zu  den  beiden  vorderen  Körperabschnitten  ist  das  Ab- 
domen eines  ausgebildeten  Insects  extremitätenlos.  Nur  bei  manchen 
niederen  Formen,  den  Thysanuren,  sind  hinter  den  Brustbeinen  und  in 
gleicher  Linie  mit  ihnen  kleine  Höcker  vorhanden,  die  wohl  als  Reste  von 
Abdominalfüssen  angesehen  werden  dürfen.  Zweifelhaft  inuss  man  sich 
äussern  rücksichtlich  der  Anhänge  der  letzten  Abdominalsegmente,  welche 
als  Springstangen,  Schwanzborsten  und  Griffel  etc.  beschrieben  werden. 
Afterfüsse  oder  Pedes  spurii  kommen  bei  den  Raupen  der  Schmetterlinge 
und  Blattwcspcn  vor;  da  sie  aber  fleischige,  ungegliederte  Anhänge  sind, 
muss  es  auch  hier  zweifelhaft  sein,  ob  sie  mit  den  typischen  Bauchglied- 
maassen  der  übrigen  Arthropoden  verglichen  werden  dürfen  oder  nicht 
selbständig  erworbene  Gebilde  sind. 

Ausser  ventralen  Extremitäten  besitzen  die  Insecten  noch  2 
Paar  dorsale  Anhänge  am  Mesothorax  und  Metathorax,  die 
Flügel;  sie  entstehen  als  seitliche  Falten 
des  Chitinüberzugs  des  Notum  und  enthalten 
in  ihrem  Innern  Ausstülpungen  der  Leibes- 
höhle  und  Tracheenverästelungen,  welche  die 
netzförmige  Zeichnung  des  Flügelgeäders  her- 
vorrufen (Fig.  429, 430).  Beide  Flügel  können 
elastisch,  nachgiebig  und  zum  Flug  geeignet 
sein;  oder  die  Hinterflügel  allein  bewahren 
diese  Eigenschaften  der  echten  „Alaek-;  die 
Vorderflügel  dagegen  werden  zu  harten,  perga- 
mentartigen  Deckflügeln  oder  Elytren, 
unter  denen  die  eigentlichen  Flugorgane  ge- 
borgen werden  (Fig.  407).  Ist  nur  die 
Basis  erhärtet  so  spricht  man  von  Hemi- 
elytren.  Zwischen  den  Ursprungsstellen  der 
Vorderflügel  findet  sich  häutig  ein  Chitin- 
blatt, das  Schildchen  oder  „Sc  u  teil  um"; 
ein  ähnliches  Blättchen  zwischen  den  Hinter- 
flügeln heisst  .,Postscutellum4\  Bei  vielen 
Insecten  fehlt  ein  Flügelpaar,  gewöhnlich  ist 
dann  das  vordere  (Dipteren)  (Fig.  442,  44:i), 
nur  ausnahmsweise  einmal  das  hintere  Paar 
{StrepsijUeren)  (Fig.  431)  dasjenige,  welches 
erhalten  bleibt.  Ein  solcher  partieller  Mangel 
lässt  sich  nur  durch  Rückbildung  erklären. 
Der  gänzliche  Mangel  der  Flügel  dagegen 
kann  eine  doppelte  Ursache  haben  :  einerseits 
giebt  es  Insecten,  welche  wahrscheinlich  nie- 
mals Flügel  besessen  haben  (primärer  Flügel- 
mangel  der  Apterygoten) ;  andererseits  aber 
giebt  es  Formen,  bei  denen  man  eine  Rück- 
bildung früher  vorhandener  Flügel  annehmen 
muss  (secundärer  Flügelmangel),  weil  ent- 
weder nahe  verwandte  Arten  (  Wanzen^  Läuse,  Blattläuse)  Flügel  be- 
sitzen, oder  weil  ein  Theil  der  Individuen  (Männchen  der  Schaben, 


Fig.  411.  Darm  von  Cara- 
hus  anralu*  (aus  Lang  nach 
Dufour).  k  Kopf  mit  Man- 
dibcln,  Antennen  und  Augen, 
of  Oesophagus,  in  Ingluvies 
(Kropf) ,  pr  Provcntriculus 
(Kauinagen),  cd  Chylumlann 
mit  Hlindsäcken,  >'/  Enddarai, 
/•  Rectum,  rm  Vasa  Malpighi, 
ml  Analdrüsen,  ab  !*kentbla.*<'n. 


Kltt£«l. 


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4ÜÜ 


Gliederfüssler. 


Gesehlechtsthiere  der  Ameisen  und  Termiten)  noch  geflflgelt  ist  (Fig. 
42.'},  4:i<>,  440). 

hm.  In  Folge  der  schon  gelegentlich  der  Mundbewaffnung  besprochenen 

verschiedenen  Ernährungsweise  der  Insecten  zeigt  auch  der  Darm  ein 
sehr  mannigfaches  Aussehen:  bei  Fleischfressern  (Fig.  411)  meist  kurz, 
ist  er  bei  Pflanzenfressern  (Fig.  412)  ein  in  viele  Windungen  gelegtes 
Rohr.  Der  Oesophagus  gefrüssiger  Thiere  erweitert  sich  zu  einem 
Kropf  (kr)  oder  Ingluvies  (in),  dem  meist  ein  musculöser  Kaumagen 
(hm)  (Proventriculus  pv)  folgt:  bei  saugenden  Insecten  ist  der  Kropf 
(Saugmagen)  eine  mit  einem  feinen  Canal  in  den  Oesophagus  mündende 
Blase.  Kropf-,  Kau-  und  Saugmagen  gehören  dem  ectodermalen 
Vorderdarm  au,  welcher  eine  ansehnliche  Länge  erreicht,  während  der 
nun  folgende  entodennale  Mitteldarm  (Magen  m,  oder  Chylusdarm  cd) 
sehr  kurz  und  von  gleichförmigem  Aussehen  ist.  Abermals  sehr 
lang  ist  der  ectodermale  Enddarm  (cd),  in  welchem  eine  Anschwellung 
(r)  durch  drüsige  Beschaffenheit  des  Epithels  (Rectaldrüsen)  aus- 
gezeichnet  ist.  Die  Grenze  von  Mittel-  und  Enddarm  ist  gewöhnlich 
nur  durch  die  Einmündung  von  2  3  Paar  oder  einem  Büschel  zahl- 
reicher Vasa  Malpighi  (vm)  bezeichnet,  welche  dem  Enddann  an- 
gehören, ectodermaler  Abstammung  sind  und  die  Function  von  Nieren 
besitzen.  Mit  drüsigen,  zur  Verdauung  dienenden  Anhängen  ist  da- 
gegen der  Insectendarm  schlecht  versehen:  constant  sind  nur  die  in 
die  Mundhöhle  mündenden  Speicheldrüsen  (sp):  hie  und  da  finden  sich 
als  Ersatz  für  die  fehlende  Leber  Blindschläuche  am  Chylusdarm  (ap\. 
Sehr  verbleitet  sind  Analdrüsen  (ab),  welche  am  After  münden  und 
übelriechende,  zur  Verteidigung  dienende  Secrete  liefern. 


Fig.  412.  Eingeweide  einer  männlichen  Küehen*ehal>e  i /"<■ riplanrta  Orientalin) 
durch  seitliche  Oi'ffnung  der  Ix'ibeshöhle  priipnrirt  (unter  Zugrundelegung  einer 
Zeichnung  von  Huxlev  .  /— ///  Thoraxseginente,  / — /ö  AlMloniinalsegnientc,  at  An- 
tenne, n<  l'alniis  niaxillariä,  /  1'.  labialis.  /  ///  Heine,  <»j  olx-res,  wj  unteres  Schlund- 
gnngliou,  ig  Brustganglien,  ay  Iiauehgaiiglieii,  Oesophagus,  sp  Speicheldrüse  mit 
Speieliellilase  ihli,  kr  Kropf,  km  Kaumagen,  m  Mapn  (der  Pfeil  deutet  die  Ver- 
bindung von  km  und  m  an1,  np  Magonlilimlschlüuehe,  //  Herz,  r  Rectum,  a  After, 
ij  Gctfcnlechteöffnung,  rm  Vasa  Malpighi,  mg  männliche  ( JesehleehUorgane. 

Su,!  Was  ^as  Nervensystem  (Fig.  ilöO)  anlangt,  so  ist  das  Bauch- 
EtonworKtH.mark,  namentlich  bei  primitiven  Formen  (Fig.  412)  (wie  den  Aptery- 
yoten,  Archipteren,  Orthopteren)  sowie  bei  fast  allen  Larven  (Fig.  56) 
langgestreckt  und  aus  zahlreichen,  einzelnen  Ganglienpaaren  zusammen- 
gesetzt ;  bei  Käfern,  Schmetterlingen,  Bienen  und  Fliegen  dagegen  ver- 
kürzt sich  der  Strang  und  verschmelzen  die  Ganglien  theilweise  unter 


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IV.  Insecten. 


407 


einander.  Das  Hirn  (oberes  Schlundganglienpaar)  entwickelt  sich 
proportional  der  Intelligenz  und  zeigt  namentlich  bei  den  Staaten 
bildenden  Formen  einen  sehr  complicirten  Bau.  Ks  ist  jederseits  mit 
*  einem  grossen  Ganglion  opticum  verbunden,  dessen  Umfang  wiederum 
in  Correlation  zu  den  Augen  steht.  Die  Insecten  sind  die  einzigen 
Trachcaten,  welche  fast  ausnahmslos  als  geschlechtsreifc  Thiere  1  Paar 
vorzüglich  ausgebildete,  links  und  rechts  angebrachte  Facettenaugen 
tragen,  die  nicht  selten  den  grössten  Thcil  der  Oberflache  des  Kopfes 
für  sich  beanspruchen.  Im  Zwischenraum  zwischen  diesen  Seitenaugen 
finden  sich  häufig,  namentlich  bei  gut  fliegenden  Insecten  und  dann 
gewöhnlich  in  Dreizahl,  kleine  Ocellcn  von  einfachem  Bau,  die  Stirn- 
augen. Letztere  fehlen  bei  den  Larven  gänzlich  oder  sie  sind  unvoll- 
kommen entwickelt ;  dagegen  sind  hier  häufig  die  Facettenaugen  durch 
Ocellen  ersetzt,  welche,  zu  2— 6  zusammengedrängt,  ein  gehäuftes  Auge 
bilden  können.  Von  anderweitigen  Sinnesorganen  kennt  man  mit 
Sicherheit  nur  noch  die  Tasthaare  der  Haut;  man  deutet  ferner  mit 
sehr  grosser  Wahrscheinlichkeit  gewisse  Nervenendigungen  an  den 
Fühlern  als  Geruchsorgane  und  solche  in  der  Mundhöhle  als  Ge- 
schmacksorgane, da  unzweifelhaft  viele  Insecten  einen  ausgezeichneten 
Geruchs-  und  Geschmackssinn  haben.  Auf  Gehörorgane  kann  man 
zur  Zeit  mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  nur  die  tympanalen  Organe 
der  Heuschrecken  beziehen,  dünne  troinmelfellartige  Partien  im  Chitin, 
welche  in  einen  festen  Chitinring  eingespannt  sind  und  eine  Tracheen- 
blase auf  der  Innenseite  besitzen;  an  die  Trachcenblase  tritt  ein  Nerv 
heran,  um  hier  an  einer  Crista  acustica  zu  enden.  Auf  die  Anwesen- 
heit von  Gehörorganen  weist  die  bei  Insecten  weit  verbreitete  und 
vielfach  hoch  entwickelte  Fähigkeit,  Töne  zu  erzeugen.  Die  hier  in 
Betracht  kommenden  Einrichtungen  sind  sehr  mannichfacher  Natur. 
Reibegeräusche  werden  erzeugt  durch  Anstreichen  der  Flügel  und 
Beine  entweder  gegen  einander  oder  gegen  Reibleisten  des  Körpers; 
zum  Summen  und  Brummen  dienen  die  Schwingungen  der  Flügel  und 
die  durch  die  Tracheenstigmen  aus-  und  einstreichende  Atheinluft. 
Die  Stigmen  sind  zu  diesem  Zweck  mit  schwingenden  Membranen  aus- 
gestattet, die  auch  zum  Tracheenverschluss  verwendet  werden. 

Die  von  den  Stigmen  ausgehenden  Tracheen  (Fig.  41. 5,  .'iOO)  Tr»rh#*n. 
sind  durch  Längsstänmic  verbunden,  von  denen  feinere  Verästelungen 
ihren  Ursprung  nehmen,  um  alle  Organe  zu  umspinnen  und  mittelst 
zarter,  silberglänzender  Fäden  untereinander  zu  verbinden.  Die  Com- 
munication  aller  Theile  des  Tracheensystems  bringt  es  mit  sich,  dass 
die  Stigmen  in  vielen  Körpersegmenten  rückgebildet  werden.  Am 
eonstantesten  finden  sich  die  Stigmen  am  Abdomen  in  der  Ueber- 
gangshaut  der  Scuta  und  Terga ;  am  Thorax  sind  höchstens  2,  am 
Kopf  gar  keine  Stigmen  vorhanden.  Bei  gut  fliegenden  Insecten  sind 
manche  Tracheenstäinme  zu  grossen  Luftreservoirs,  den  Tracheenblasen, 
ausgedehnt,  deren  Zweck  wohl  darin  zu  suchen  ist,  dass  sie  durch  die 
in  ihnen  enthaltene  Reserveluft  den  Thieren  während  des  Fluges  die 
anstrengenden  Athembewegungen  ersparen. 

Eine  interessante  Anpassung  des  Tracheensystems  an  den  Wasser- 
aufenthalt  fiudet  sich  bei  den  Larven  vieler  Archi fiteren.  (Libellen  und  F.in- 
tagsfUcyrn)  (Fig.  114)  und  Xfuroptrrat.  Die  Stimmen  sind  hier  geschlossen  : 
die  Sauerstoflaufnahme  erfolgt  durch  die  so^en.  Tracheenkiemen,  büschel- 
förmige oder  blattartige,  von  Tracheenverästelungen  reichlich  durchsetzte 
Anhänge   der  Körperoberfläclic  oder  des  Enddarms.    Im  Tracheensystem 


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408 


Gliederfüssler. 


Fig.  413.  Anatomie  der  Honigbiene  (au*  I^ang  nach  Leuekart);  au  Facettenauge. 
a  Antenne,  b'—b*  Heine,  tb  Trachcenblasen  mit  ihren  Hauntverästelungen,  st  Stigmen, 
hm  Honiginagen.  cm  Chvlusmagen,  au  Vasn  Malpighi,  rd  Rertaldrüsen,  cd  Knddarm: 
ausserdem  ist  in  der  Zeichnung  das  Nervensystem  zu  sehen. 


ist  in  solchen  Fällen  eine  Sonderung  eingetreten  in  einen  aus  dem  Wasser 
Sauerstoff  aufnehmenden  und  ebendahin  Kohlensäure  abgebenden  Abschnitt 
(Tracheengeäder  der  Kiemen)  und  einen  an  die  Gewebe  und  Organe  heran- 
tretenden Abschnitt,  welcher  umgekehrt  vorwiegend  Kohlensäure  gegen 
Heri  SauerstotV  eintauscht.  —  Da  die  Tracheen  mit  ihren  feinen  Verzweigungen 
die  Gewebe  direct  mit  Sauerstoff  versorgen,  ist  das  Blutgefässs ystem 
rudimentär.  Das  gewöhnlich  aus  8 — 9  Kammern  bestehende,  dicht  unter 
den  Kuckenschienen  des  Abdomens  gelegene  Herz  giebt  das  Blut  durch 
eine  kurze  Aorta  an  die  Leibeshöhle  ab;  von  da  gelangt  es  durch  linke 
und  rechte  Ostien  in  die  Herzkammern  zurück.  Für  die  Rückleitung  des 
Blutes  spielen  die  dreieckigen  Flügelmuskeln,  die  von  links  und  rechts  an 
die  Herzkammern  herantreten,  eine  wichtige  Rolle. 

QmcUmM»       Die  Insecten  sind  getrennt  geschlechtlich;  Männchen  und  Weih- 
org*ue.  können  schon  an  der  Gestalt  der  Antennen,  an  Form  und  Farbe 

der  Flügel,  an  der  Genitalbewatthung  etc.  unterschieden  werden. 
Die  Genitalbrwatt'nung  besteht  aus  Chitinstücken,  welche  beim  Weib- 
chen als  Legebohrer  zur  Eiablage  benutzt  werden;  dieselben  sind  mit 
wenigen  Ausnahmen  (Legebohrer  der  Hymcnoptercn  und  Orthopteren) 
in  den  Anfang  der  Geschlechtswege  zurückgezogen  und  treten  nur 
während  des  Gebrauchs  hervor.  Die  Geschlechtsmündung  ist  unp&ar 
und  liegt  hinter  dein  letzten  Bauchganglion  dicht  vor  dem  After:  die 


IV.  Insecten. 


409 


Geschlechtsdrüsen  dagegen  sind  paarig.  Das  Männchen  (Fig.  415) 
hat  2  einzelne  oder  2  Gruppen  ovaler  Hoden  (t),  2  Vasa  deferentia 
iva),  die  zu  Samenblasen  (vs)  angeschwollen  sein  können  und  sich  zum 
unpaaren  Ductus  ejaculatorius  vereinen,  dazu  ausserdem  stark  ent- 
wickelte Anhangsdrüsen  {gl).  Beim  Weibchen  (Fig.  410)  besteht 
das  Ovar  auf  jeder  Seite  aus  zahlreichen  Röhren  (o),  welche  die  reifenden 
Eier  in  einen  linken  und  rechten  Oviduct  (ov)  entleeren.  Aus  den 
beiderseitigen  Oviducten  bildet  sich  die  Scheide  (yj,  neben  welcher 
eine  besondere  Begattungstasche  (6c)  liegen  kann.  Accessorische 
Drüsen  (<//)  sind  auch  hier  vorhanden,  ausserdem  noch  das  bei  der 
Begattung  mit  Sperma  sich  füllende,  für  die  Biologie  der  Insecten 
sehr  wichtige  Receptaculum  seminis  (rs).  Bei  vielen  Arten  wird  das 
Weibchen  im  Lauf  seines  Lebens  nur  einmal  begattet;  den  Inhalt 
seines  Receptaculum  seminis  benutzt  es  dann,  um  die  Eier,  welche 
bei  der  Ablage  an  der  Mündung  des  Receptaculum  vorbeigleiten,  mit 
Samen  zu  versorgen.  Da  das  Ei  schon  in  den  Eiröhren  mit  einer 
festen  Hülle,  dem  Chorion,  umgeben  worden  ist,  muss  letzteres,  um 
den  Durchtritt  der  Spermatozoon  zu  gestatten,  mit  dem  Micropyl- 
apparat  versehen  sein,  feinen  Canälchen,  welche  die  Dicke  des  Chorion 
durchbohren.  Je  nachdem  die  Micropyle  Spermatozoen  enthält  oder 
nicht,  lässt  sich  feststellen,  ob  ein  abgelegtes  Ei  befruchtet  wurde  oder 
unbefruchtet  geblieben  ist. 

Fig.  41").  Fig.  410. 


Fig.  415.    Männlicher  Ge.<chlechti*apparat  von  Meloloiüha  vulgaris,    t  Hoden,  rd 
Vas»  deferens,  rs  Venieula  seminah's,  gl  Anhangsdrü.Hcn  (aus  (Jegenbaur). 

Fig.  410.  Weiblicher  Grschlecht.-tanparat  von  Ilgrfrobius  fuseipes.  o  Eirohrcn, 
ov  Oviduct  mit  Druw'nanhüiigcn,  gl  schlauchförmige  Liriisen,  rs  Receptaculum  seminis 
mit  Anhangsdrüse,  r  Vagina,  bc  liursa  copulatrix  (aus  (Jcginbaur  nach  Stein). 

Unbefruchtete  Eier  besitzen  bei  den  Insecten  häutig  die  Fähigkeit. 
sich  auf  parthen  o  gen  et  i  schein  Wege  in  normaler  Weise i^oS«n«*. 
zu  entwickeln.  Blattläuse  und  Rindenläuse  pHanzen  sich  viele  Gene- 
rationeil hindurch  parthenogenetisrh  fort;  auch  bei  Schmetterlingen  und 
Netzflüglern  ist  Parthenogenesis  weit  verbreitet.  Am  interessantesten 
ist  ihr  Auftreten  bei  den  Bienen,  da  hier  das  Geschlecht  der  Thiere 
vom  Eintreten  oder  Ausbleiben  der  Befruchtung  bestimmt  wird  (vgl. 
Seite  424).  —  Viel  seltener  als  die  gewöhnliche  Parthenogenesis  ist 
die  besondere  Form  derselben,  die  Pädogenesis :  man  kennt  sie  nur 


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410 


Gliedorlüssler. 


■I 


■ 


von  gewissen  Dipteren,  wie  /.  B.  von  der  Gattung  Miastor.  In  den 
weibliehen  Miastorlarven  (Fig.  417)  entwickeln  sich  die  Eier  noch  vor 
Anlage  der  Ausführwege.  so  dass  die  junge  lirut  nur  durcli  Platzen 
der  Mutter  frei  werden  kann:  nachdem  mehrere  pädo- 
genetische  Generationen  sich  wiederholt  hahen ,  kommen 
die  zuletzt  gebildeten  Larven  zur  Verpuppung  und  liefern 
ausgebildete  männliche  und  weibliche  Mücken. 
Fmioouat.  Aus  obigen  Erörterungen  kann  man  entnehmen,  dass 
die  Insecten  —  eine  Ausnahme  macht  nur  die  kleine  Gruppe 
der  Pupiparen  und  einige  wenige  andere  Arten  —  ovipar 
sind  und  dass  die  E  m  b  r  y  o  n  a  1  e  n  t  w  i  c  k  I  u  n  g  erst  nach 
der  Eialdage  beginnt.  Während  derselben  kommt  es  zur 
Bildung  von  2  Embryonalanhängen,  des  Dottersacks 
und  des  Amnion.  Ersterer  ist  im  Gegensatz  zu  der 
gleichnamigen  Bildung  der  Wirbelthicre.  welche  der  Bauch- 
seite angehört,  rückenständig;  letzteres  dagegen  ist  bauch- 
ständig: es  ist  eine  dünne  Zellenschicht,  welche  den  Embryo 
ventral  bedeckt  und  ähnlich  dem  Wirbelthieranmion  ent- 
steht, indem  das  Blastodenn  links  und  rechts,  vorn  und 
hinten  von  der  Embryonalanlage  oder  dem  Keimstreif 
Falten  bildet,  welche  unter  einander  zu  einer  Hülle  ver- 
wachsen. 

Mit  dem  Sprengen  des  Amnion  und  der 
beginnt  die  postembryonale  Entwicklung,  die  in 
zelnen  Ordnungen  so  verschieden  ist,  dass  man 
hole,  hemimetabole  und  h  olom  et  a  hole 
d.  h.  Insecten  mit  directer   Entwicklung  ohne 


Mftimor- 


Eischale 
den  cin- 
a  m  e  t  a  - 
Insecten, 
M  e  t  a  - 


Fig.  417. 
Larve  einer 
( »albiiüeko 

t  O  /'/'>- 
iiitjiai  mit 
pädoticno- 
tiseh  erzeug- 
ten Tocht.  r- 
larven  tau« 
Hat  schock 
nach  Pagon- 
st<vher). 


m  o  r  p  h  o  s  e ,  solche  mit  u  n  v  o  1 1  k  o  m  m  e  n  er  M  e  t  a  m  o  r  - 
phose  (M.  incompleta)  und  solche  mit  vollkommener 
Metamorphose  (M.  eompleta)  unterscheidet.  Bei  der 
d  i  r  e  c  t  e  n  E  n  t  w  i  c  k  1  u  n  g  ist  das  junge  ausschlüpfende 
Insect  dem  geschlechtsreifen  Thier  im  Wesentlichen  gleich, 
sodass  es  nur  noch  unter  periodischen  Häutungen  zu  wachsen 
und  seine  Geschlechtsorgane  zur  Keife  zu  bringen  nöthig 
hat.  Da  kein  Insect  beim  Verlassen  des  Eies  Flügel  hat,  ist  eine 
solche  Entwicklungsweise  nur  bei  den  flügellosen  Formen  möglich,  z.  B. 
den  Apteryyotcn  und  den  Apteren. 

Alle  geflügelten  und  manche  ungeflügelten  Insecten  (Flöhe.  Ameisen 
u.  A.)  besitzen  dagegen  eine  mehr  oder  minder  ausgesprochene  Meta- 
morphose, deren  Ursache  in  letzter  Instanz  in  der  Notwendigkeit, 
Flügel  zu  entwickeln,  zu  suchen  ist.  Denn  auch  die  holometabolen,  un- 
geflügelten Insecten  (z.  B.  die  Flöhe)  stammen  unzweifelhaft  von  ge- 
flügelten Formen  ab  und  haben  die  Metamorphose  von  ihnen  als  eine 
fest  eingewurzelte  und  daher  auch  nach  dem  Flügelverlust  fortbe- 
stehende Entwicklungsweise  ererbt. 

Bei  der  M  et  a  in  o  r  ph  o  si  s  incompleta  wird  der  Unterschied 
zwischen  dem  frisch  ausgeschlüpften  Thier,  der  Larve,  und  dem  ge- 
schlechtsreifen Insect,  der  Imago,  alluiählig  ausgeglichen  (Fig.  41-S). 
Oft  treten  schon  bei  der  ersten  Häutung  die  Flügelanlagen  als  kleine 
Falten  im  Chitinkleid  des  Meso-  und  Metathorax  auf;  sie  wachsen 
mit  jeder  Häutung,  bis  sie  mit  der  letzten  die  Grösse,  Form  und 
Beweglichkeit  der  funetionsfähigen  Flügel  gewinnen.  Man  nennt  diese 
Anlagen  Flügelscheiden  (B  l  u.  :'),  weil  ihr  Chitinüberzug  eine  Hülle 


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IV.  Insecten. 


411 


bildet,  in  welcher  zusammengedrängt  und  gefaltet  die  Flügelanlage 
des  nächsten  Stadiums  und  bei  der  letzten  Häutung  der  definitive 
Flügel  eingeschlossen  liegt.  Da  die  Larven  durch  den  Mangel  von 
Flugorganen  unter  andere  Lebensbe- 
dingungen versetzt  werden,  als  die  flie- 
genden Insecten,  unter  Lebensbedingun- 
gen, welche  vielfach  besondere  Einrich- 
tungen im  Hau  verlangen,  so  kann  schon 
bei  der  hemimetabolen  Entwicklung  der 
Unterschied  zwischen  Larve  und  Imago 
durch  Ausbildung  specifischer  Larven- 
organe gesteigert  werden,  wie  die  Li- 
bellen und  Eintagsfliegen  lehren,  deren 
im  Wasser  wohnende  Larven  von  der 
Imago  nicht  nur  durch  den  Flügel- 
mangel unterschieden  sind,  sondern  auch 
durch  abweichende  (Jcstalt,  vor  Allem 
aber  durch  die  Anwesenheit  der  bei  der 
letzten  Häutung  meist  wieder  schwinden- 
den Tracheenkiemen  (Fig.  414). 

Steigerung  der  Unterschiede  in  den 
mit  Hand  in  Hand  gehende  Vermehrung 
zu  der  vollkommenen  Metamorphose  (holometabolen  Entwick- 
lung). Um  die  Vortheile  ihrer  besonderen  Anpassung  an  die  Um- 
gebung zu  gemessen,  behalten  die  Larven  möglichst  lange  ihre  speci- 
fische  Gestalt  bei;  die  allmählige  Annäherung  an  die  Imago  unter- 
bleibt und  die  zur  Metamorphose  nöthigen  Veränderungen  der  Gestalt 
und  des  Baues  werden  in  das  Endstadium  des  Larvenlebens,  in  den 
Zeitraum  zwischen  den  beiden  letzten  Häutungen,  zurückgedrängt.  In 
diesem  Zeitraum  vollzieht  sich  eine  so  energische  Umformung  des 
Organismus,  dass  die  Fortführung  der  gewöhnlichen  Lebensverrich- 
tungen, namentlich  der  Fortbewegung  und  Ernährung,  behindert  oder 
unmöglich  gemacht  wird.  Das  letzte  Stadium  des  La  r verl- 
ieben b  wird  somit  zu  einem  Stadium  der  Ruhe,  zum 
Puppenstadium,  auf  dessen  Existenz  daher  bei  der  Definition  der 
vollkommenen  Metamorphose  das  Hauptgewicht  gelegt  werden  muss. 
Je  vollkommener  der  Zustand  der  Ruhe  ist,  um  so  ausgesprochener 
ist  auch  der  Charakter  der  holometabolen  Entwicklung.  Von  diesem 
Gesichtspunkt  aus  unterscheidet  man  nun  verschiedene  Formen  der 


Fig.  4 IS.  Unvollkommene  Meta- 
morphose von  l'rrla  ui/fra  (an* 
Huxley).  A  Flügellose  Larve,  B 
I>arve  mit  Flügelseheiden  (/  u.  2\, 
C  ausgebildet**  Thier,  l-lll 
The  irax.-cpmonte. 

Lebensbedingungen  und  da- 
der  Larvencharaktere  führen 


Fig.  419.  Larve  (En- 
gerling) und  Puppe  (in 
ventraler  und  seitlicher 
Ansieht)  vom  Maikäfer; 
0  Augen,  at  Antennen,/»'— 
»"I  Beine,  aV  Vorder-  und 
Hinterflügel,  Stigmen, 
an  After. 


Puppen:  P.  liberae,  P.  obtectae  und  P.  coaretatae.  Rei  den 
freien  Puppen  (P.  liberae)  (Fig.  411»)  erheben  sich  die  Extremitäten 
weit  über  die  Körperoberfläche,  so  dass  man  nicht  nur  die  Körper- 


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412 


Gliederfüssler. 


gliederung,  sondern  auch  die  Antennen  {at),  Beine  tp'-p'"),  Flügel 
(«',  a"),  vielfach  auch  die  Mundwerkzeuge  der  Imago  deutlich  erkennen 
kann.  Solche  freie  Puppen  können  ein  gewisses  Maass  von  Orts- 
bewegung besitzen,  z.  B.  —  namentlich  bei  den  Neuropteren  und  vielen 
Dipteren  —  im  Wasser  auf  und  nieder  tauchen.  —  Die  gedeckten 
Puppen  (P.  obtectae)  haben  im  Moment  der  Verpuppung  noch  frei 
hervortretende  Extremitäten,  welche  aber  beim  Erhärten  der  Chitin- 
haut dem  Körper  dicht  angepresst  werden,  so  dass  man  selbst  bei 
genauem  Zuschauen  nur  undeutliche  Conturen  (Fig.  420)  wahr- 
nehmen kann.  Die  Bewegungen  beschränken  sich  auf  Zuckungen  des 
ganzen  Körpers,  wie  man  sie  z.  B.  bei  den  Schmetterlingspuppen  durch 
äussere  Reize  bewirken  kann.  Völlig  unbeweglich  endlich  erscheinen 
die  Tönnchenpuppen  (P.  coarctatae),  weil  hier  die  Puppe  (ihrem  Bau 
nach  eine  P.  libera)  noch  von  einer  weiteren  Hülle,  der  letzten  Larven- 
haut,  umschlossen  wird  ( Muscarien). 


1  2 


Fig.  1*3 1.  Pupjie  von  Sphinx 
ligustri  (nach  I/eunis  -  Ludwig). 

I  Auge,  2  Kopf,  \\  Fühler,  4—6 
Thoraxsegniente,  7  hinter«',  S  vor- 
dere Flügel,  !»  Heine,  10  Rüssel, 

II  AlMloniinaUeginente,  12  Stiir- 
uien. 


Fig.  421.  RaujH*  von 
Sphinx  lioustri,  p  Hrust- 
fü*<e,  ps  redt*  sjairii ,  n 
Nachschieher ,  st  Stigmen 
(aus  lVuni>-Lu(lwig). 


Fig.  122.  Lar- 
ven von  Mlt.ira 
com  itortti 

(nach  Leu- 
ckart). 


Noch  grösser  als  bei  den  Puppen  ist  die  Mannichfaltigkeit  der 
Gestalt  bei  den  früheren  Larvenstadien.  Hier  steht  Bau  und 
Körpergliederung  so  vollkommen  unter  dem  Einfluss  der  Existenz- 
bedingungen, dass  je  nach  der  Gleichartigkeit  oder  Verschiedenartig- 
keit  derselben  systematisch  fernstehende  Insecten  ähnliche,  verwandte 
Arten  dagegen  sehr  verschieden  gestaltete  Larven  haben  können.  Die 
.  Blätter  nagenden  Larven  der  Schmetterlinge  und  Blatticespen  sind  leb- 
haft gefärbte  Baupen  (Fig.  421),  d.  h.  Larven,  deren  Brustextremitäten 
klein  bleiben  und  durch  Bauchextremitäten,  die  fleischigen  Pedes  spurii 
{]>.  s.)  und  Nachschieber  unterstützt  werden.  Die  vom  Raub  lebenden 
Larven  vieler  Käfer  und  Netz/lügler  haben  lange  Brustheine  und 
kräftige  Mandibeln,  dagegen  keine  Afterfüsse.  Andere  Käferlarveu. 
welche  im  Hol/,  bohren  oder  in  der  Erde  leben  (Fig.  419),  halten 
einen  plumpen,  weissliehen  Körper  mit  rudimentären  oder  gänzlich 
fehlenden  Beinen:  sie  leiten  über  zu  den  madenartigen  Larven,  bei 
denen  auch  die  Mundgliedmaassen  undeutlich  werden  und  selbst  der 
Unterschied  von  Kopf  und  Thorax  schwinden  kann.    Solche  weisse 


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IV.  Insecten. 


413 


weiehhäutige,  geringelte  Säcke  finden  sieh  bei  Bienen  (Fig.  56)  und 
anderen  Hymenopteren,  ferner  bei  einem  Theil  der  Dipteren  (Fig.  422) ; 
das  sind  Thiere,  deren  Larven  in  einem  Ueberfluss  von  Nahrung  leben, 
weil  sie  entweder  Parasiten  sind  oder  durch  die  Brutpflege  der  Mutter  ■ 
mit  genügender  Nahrung  versehen  werden. 

Bei  einer  äusserlichen  Betrachtung  der  holometabolen  Entwick- 
lungsstadien gewinnt  man  den  Eindruck,  als  ob  alle  die  besprochenen 
Larvenformen  das  Gemeinsame  hätten,  dass  nicht  nur  die  Flügel, 
sondern  auch  die  Gliedmaassen  der  Imago  gänzlich  fehlen  oder  dass 
letztere  wenigstens  eine  völlig  andere  Gestalt  besitzen,  als  ob  ferner 
die  Flügel  und  vielfach  auch  die  Fühler,  Beine  und  Kiefer  erst  im 
Moment  der  Verpuppung  auftreten,  dann  aber  gleich  in  einer  auf- 
fallenden Grösse  und  Vollkommenheit.  Eine  genauere  Untersuchung 
lehrt  jedoch,  dass  die  Anlagen  zu  allen  diesen  Theilen  (den  Flügeln, 
Mundwerkzeugen  etc.)  schon  lange  vor  der  Verpuppung,  vielfach  schon 
bei  der  ersten  Häutung  gebildet  wurden.  Die  Flügel  eines  Schmetter- 
lings sind  schon  in  der  Raupe  vorhanden,  als  kleine,  mit  jeder  Häutung 
wachsende  Höcker  oder  Falten  der  Oberfläche,  die  nur  deswegen 
uusserlich  nicht  wahrgenommen  werden,  weil  sie  durch  Einstülpung 
in  die  Tiefe  verlagert  und  in  ein  auf  der  Haut  mündendes  Säckchen 
eingeschlossen  sind.  Solche  Anlagen  nennt  man  „Imaginal Schei- 
ben4'; durch  ihren  Nachweis  wird  der  Unterschied  zwischen  voll- 
kommener und  unvollkommener  Verwandlung  einigennaassen  ver- 
wischt, indem  auch  bei  ersterer  der  Bau  der  Imago,  wenn  auch  in 
verborgener  Weise,  von  langer  Hand  vorbereitet  wird.  Trotz  alledem 
bleibt  für  das  Insect  während  der  Puppenruhe  noch  ausserordentlich 
viel  umzugestalten;  die  Muskeln  müssen  den  neuen  Fortbewegungs- 
organen, der  Darm  der  neuen  Ernährungsweise  angepasst,  die  Körper- 
eintheilung  und  das  Nervensystem  vielfach  umgegliedert  werden.  Da 
demgeniäss  ein  grosser  Theil  der  bisherigen  Organisation  eingeschmolzen 
wird,  damit  das  so  gewonnene  Material  zum  Neuaufbau  der  Organe 
verwandt  werden  kann,  erklärt  sich  die  breiweiche  Beschaffenheit  des 
Puppeninhalts;  letzterer  kann  bei  rapidem  Verlauf  der  Umschmelzung 
zu  einem  so  gleichförmigen  Material  undeutlich  abgegrenzter  Zellen 
werden,  dass  man  eine  Zeit  lang  fälschlich  annahm,  die  Puppe  sei 
auf  den  indifferenten  Zustand  des  Eies  zurückgekehrt  (Histolyse  der 
Fliegen.) 

Bei  der  Systematik  der  Insecten  verlangen  4  Momente  besondere  Be- 
rücksichtigung: 1)  die  Körpergliederung,  bei  welcher  zu  beachten 
ist,  ob  die  Thorax-  und  Abdoniinalsegmento  gleichförmig  aufeinander  folgen, 
oder  ob  sich  der  Thorax  namentlich  vermöge  engerer  Vereinigung  seiner 
3  Ringe  vom  Kopf  und  Abdomen  scharf  abgegliedert  hat:  2)  dio  Be- 
schaffenheit der  Flügel,  welche  bei  niederen  Formen  fehlen  oder 
zarte,  mit  reichlichein  Flügelgeädcr  versehene,  an  beiden  Thoraxsegmenten 
gleichförmige  Chitinblätter  sind,  während  für  höhere  Formen  theil  weise 
Rückbildung  des  Flügelgeäders  oder  lederartigo  Erhärtung  des  Chitins, 
divergente  Entwicklung  oder  partielle  Rückbildung  der  Vorder-  und 
Hinterflügel  charakteristisch  sind:  3)  Bau  der  M  u  n  d  w  e  r  k  z  e  u  g  e  und 
4)  Art  der  Entwicklung,  2  Moniente,  über  welche  schon  oben  das 
Nähere  gesagt  wurde.  Unter  gleichmässiger  Berücksichtigung  der  ge- 
nannten Verhältnisse  fällt  es  leicht,  6  scharf  umschriebene,  auch  dem  Laien 
ohne  Weiteres  verständliche  Ordnungen  herauszuheben:  1)  LcpUlopUrm, 
2)  Dipteren,  3)  Apluiniptereii,  1)  lilnjin-hotcn.  f>)  Hywrnopt'mt .  C.)  n>lcoptrren. 


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414 


Gliederfüssler. 


Der  verbleibende  Rest  wurde  früher  auf  die  beiden  Ordnungen  der  Ortho- 
pteren und  Xeuropterm  vertheilt;  jetzt  hält  man  diese  (.Truppen  für  wenig 
natürlich  und  hat  versucht,  sie  in  mehr  oder  minder  zahlreiche  Orduungen 
aufzulösen.  Hier  soll  diesen  Bestrebungen  insofern  Rechnung  getragen 
werden,  als  wir  von  den  Neuropteren  die  Psntdnneuropteren  oder  Archipteren, 
von  den  Orthopteren  die  ungeflügelteu  Formen,  die  Apkryyoten ,  trennen 
werden. 

I.  Ordnung.    Apterygoten  i  Apterogenea),  Urin  Beeten. 

An  die  Spitze  der  Insecten  müssen  wir  Formen  stellen,  welche 
keine  Flügel  besitzen,  bei  denen  sich  feiner  keine  Hinweise  auf- 
finden lassen,  dass  je  Flügel  bestanden  hätten.  Man  hält  sie  daher 
für  Abkömmlinge  von  Urformen  der  Classe,  bei  denen  es  ebenso  wie  bei 
Myriapoden  und  Arachnoideen  noch  nicht  zur  Flügelbildung  gekommen 
war.  Man  hat  hierzu  um  so  mehr  Ursache,  als  die  Thiere  auch  sonst  einen 
sehr  primitiven  Charakter  zeigen :  die  Facettenaugen  fehlen  oder  sind 
unvollkommen  entwickelt;  das  Tracheensystem  (Fig.  30'.»)  bestellt  meist 
aus  isolirten,  selten  durch  Längscanäle  verbundenen  Fischeln;  die 
Mundgliedniaassen  sind  kauende,  ähnlich  denen  der  Orthopteren,  wenn 
sie  nicht  rückgebildet  sind :  die  Entwicklung  ist  stets  ametabol. 
Manche  Arten  (Campodea)  erinnern  noch  durch  die  Gleichförmigkeit 
ihrer  Gliederung  und  das  Auftreten  rudimentärer  Bauchgliedmaasscn 
an  die  Myriapoden. 

I.  Unterordnung.  Tlnjmnuren.  Korper  langgestreckt,  mit  laugen 
Borsten  am  hinteren  Ende  versehen.  Oimpudm  sUiphylinm  Westw.  mit 
Resten  abdominaler  Gliedtnaassen  (Fig.  351);  IsjnsitHi  mevharina  L.,  Zucker- 
gast, auch  Silhertischchen  genannt  wegen  seines  silberglänzenden  Schuppen- 
kleides; MuchiUs  maritim«  Latr.  (Fig.  395.»). 

II.  Unterordnung.  Collnnhohn.  Korper  gedrungen,  mit  langen  Borsten, 
die  als  Springstangen  benutzt  werden,  indem  sie  bauchwärts  eingeschlagen 
den  1  — -3  mm  langen  Körper  vorwärts  schleudern.  Auf  dem  Wasser  lebt 
Podura  nipmlini  L.,  auf  dem  Schnee  und  Eis  die  Deyeeria  nivalis  L.  (Schnee- 
lloh)  und  Iksnrin  t/hnalis  Nie.  (GletscherHoh). 

II.  Ordnung.    Archipteren  oder  Pseudoneuropteren.  Urflügler. 

Die  Archipteren  zeigen  uns  den  Urtypus  beflügelter  Insecten.  Ihr 
langgestreckter  Körper  besteht  aus  zahlreichen  Segmenten  und  trägt 
meist  noch  die  Schwanzborsten  der  Thysanuren.'  Die  Flügel  sind 
zart  häutig,  glasartig,  durchsichtig,  von  einem  «lichten 
Flügelgeäder  gestützt  und  vollkommen  gleich  oder  nahezu  gleich  an 
Mittel-  und  Hinterbrust  entwickelt.  Die  Kiefer  sind  rechte  Typen 
beissender  Mundgliedniaassen :  an  den  Maxillen  und  der  Unterlippe 
sind  Innen-  und  Aussenlade  (letztere  an  der  Maxille  als  Galea)  gut 
entwickelt:  an  der  Unterlippe  weist  ein  tiefer  Einschnitt  im  Mcntuni 
auf  die  Verwachsung  aus  zwei  Theilen  (Stipites  der  zweiten  Maxillen). 
Dem  ursprünglichen  Bau  entspricht  auch  die  ursprüngliche  Art  der 
Entwicklung,  welche  meist  eine  hemimetabole  ist.  Der  Unterschied 
der  Larve  von  der  Imago  beschränkt  sich  auf  den  Mangel  der  Flügel, 
wozu  sich  noch  die  Anwesenheit  wenig  auffallender  Larvenorgane 
(Kiemen  der  Amphibiotica)  gesellen  kann.    Oefters  wird  die  Eutwick- 


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IV.  Insectcn:  Apterygoten.  Arcbipteren. 


415 


lung  eine  directe,  wenn  nämlich  die  Imagines,  wie  das  bei  einem  Theil 
der  Termiten  zutrifft,  flügellos  sind. 

Die  Arcliipterrn  wurden  früher  wegen  der  Aehnlichkeit  ihrer  Flügel 
zu  den  holometabolen  Xeuropteren  gestellt,  später  auf  Grund  ihrer  Mund- 
gliedmaassen  und  hemimetabolen  Entwicklung  von  ihnen  getrennt  und  den 
ihnen  in  beider  Hinsicht  gleichenden  Orthopteren  zugerechnet.  Gegen  eine 
Vereinigung  mit  den  Orthopteren  spricht  jedoch  die  Beschaffenheit  der 
Flügel,  welche  zum  Namen  „Orthopteren"  gar  nicht  passt. 

I.  Unterordnung.  Corrwlenlien.  Die  Larven  unterscheiden  sich  von 
den  Imagines  bei  den  geflügelten  Formen,  abgesehen  von  der  Grösse,  durch 
den  Flügelmangel,  bei  den  ungezügelten  Formen  nur  durch  ihre  Kleinheit. 
—  Die  bekanntesten  Vertreter  sind  die  Termiten  oder  weissen  Ameisen, 
deren  deutscher  Name  leicht  über  die  systematische  Stellung  der  Thiere 
täuschen  kann.  Von  unseren  Ameisen  (Htjinenoptere.n)  unterscheiden  sich 
die  Termiten  durch  ihre  gleichförmige  Körpergliederung,  die  Beschaffenheit 
ihrer  Mundwerkzeuge  und  ihre  niemals  holometabole  Entwicklung:  sie 
gleichen  ihnen  in  der  Staatenbildung.  Ein  aus  vielen  tausend  Thieren 
bestehender  Termitenstaat  baut  sich  einen  aus  kunstvoll  angelegten  Gängen, 
Vorrathskammern,  Wochenstuben  etc. 
bestehenden  Bau.  Als  nächtliche 
Thiere  graben  sie  sich,  ohne  je  an 
die  Oberfläche  zu  kommen,  in  altes 
Holz  (Balkengerüst  der  Häuser,  Mö- 
bel, Bilderrahmen,  Baumstämme  des 
Waldes  etc.)  ein,  wobei  sie  den  Ein- 
sturz ihrer  Wohnstätte  veranlassen 
können;  sie  tapeziren  die  Räume  mit 
einer  festen,  cementartigen  Masse 
aus.  den  gefressenen  und  durch  den 
After  wieder  entleerten  Abraum.  Viele 
Arten  bedürfen  keiner  Grundlage, 
sondern  errichten  ihre  domartigen, 
3 — 5  m  hohen,  6 — 8  m  im  Durch- 
messer messenden  Wohnungen  aus 
gekauter  Erde  frei  auf  dein  Boden. 
Im  Termitenvolk  unterscheidet  man 
zunächst  flügellose  und  geflü- 
gelte Thiere,  jene  mit  directer, 
diese  mit  hemimetaboler  Entwicklung 
(Fig.  423).  Jene  sind  geschlechtslos 
oder,  richtiger  gesagt,  Thiere  mit  rudimentärem  (»eschlechtsapparat,  und  zwar 
im  Gegensatz  zu  den  Ameisen  und  Bionen  sowohl  rudimentäre  Männ- 
chen wie  Weibchen;  sie  sind  häutig  blind,  mit  kräftigen  Mandibeln 
ausgerüstet  und  zerfallen  in  2  Stände,  die  Arbeiter  (3)  und  die  gross- 
köpfigen  Soldaten  (4).  Die  geflügelten  Thiere  (1)  besitzen  funetionsfähige 
Geschlechtsorgane;  sie  schwärmen  nach  bestandener  Metamorphose  aus, 
vereinigen  sich  mit  den  Schwärmen  anderer  Colonien  und  paaren  sich. 
Hat  sich  ein  Paar  zusammengefunden,  so  kehrt  es  zum  Boden  zurück,  um 
als  „König"  und  „Königin"  in  einen  verwaisten  Staat  seinen  Einzug  zu 
halten.  Im  Stock  werden  die  Flügel  nahe  der  Basis  abgeknickt  und  tindet 
die  Begattung  statt,  in  Folge  deren  das  Weibchen  (2)  unter  enormer  Ei- 
produetion  zu  einem  unförmlichen  Sack  anschwillt.  Da  die  ausschwärmen- 
den Termiten  von  Vögeln  und  anderen  Thieren  verfolgt  werden,  kommt 


Fi<r.  Ti  t  inr.'i  Itiri/iif/us.  1 

flü<r«"tt*-s  < icsrhlr« htsthii-r ,  L'  \Wil>chcn 
nach  Yrrhist  der  Flügel  mit  Kesten  der- 
H-Ilwii,  ArlM-iter.  /  SoMitt  (uns  I^imi*- 
Ludwijr). 


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410 


Gliederfüssler. 


es  vor,  dass  in  manchen  Stock  kein  Königspärchen  zurückkehrt.  In  diesem 
Fall  wird  die  Fortpflanzung  durch  Reservemännchen  und  Weibchen  be- 
sorgt, Geschlechtsthiere,  welche  die  Metamorphose  nicht  beenden,  sondern 
auf  dem  Stadium  mit  Flügelscheiden  verharren.  —  Weiterhin  interessant 
sind  die  Termiten  durch  ihre  erbitterten  Kriege  gegen  die  echten  Ameisen. 
Tcrmes  lucifugus  Rossi  in  Südeuropa  hat  namentlich  in  La  Rochelle  und 
Rochefort  in  diesem  Jahrhundert  den  Einsturz  zahlreicher  Häuser  verur- 
sacht.   Termes  fatalis  L.  in  Afrika  baut  mehrere  Meter  hohe  Erdhügel. 

Den  Termiten  nahe  verwandt  sind  die  vielfach  flügellosen  Psociden, 
Staub-  und  Bücherläuse.  Troctes  dmnatorius  Müll.,  ein  weissliches,  im 
Staub  überall  häufiges  flügelloses  Thier  von  circa  1  mm  Länge.  Wahr- 
scheinlich reihen  sich  auch  die  Mallophagen  an,  flügellose,  wie  Läuse  auf 
der  Haut  von  Säugethieren  und  Vögeln  lebende  Thiere,  die  vielfach  auch 
zu  den  Läusen  gestellt  werden,  sich  aber  durch  kauende  Mundgliedmaassen 
von  ihnen  unterscheiden.  'Pricbodectcs  canis  Deg.,  Hundelaus:  Philttjrterus 
communis  Xitzsch.,  Federlaus,  auf  Finken. 

II.  Unterordnung.  Amphibioiica.  Drei  Familien  der  Archipteren,  die 
Pcrliden,  Ephemerülen  oder  Eintagsfliegen  und  die  Libellulidcn  oder  Wasser- 
jungfern haben  das  Gemeinsame,  dass  ihre  Larven  im  Wasser  leben  und 
hier  mit  Tracheenkiemen  athmen  (Fig.  414).  Letztere  sind  ventral 
gelagerte  Büschel  {Pcrliden)  oder  flügelartige  Anhänge  in  den  Seitenlinien 
des  Abdomens  (Epltcmcriden)  oder  3  blattartige  Anhänge  in  der  Gegend 
des  Afters,  wenn  nicht  Tracheenverästelungen  am  Enddarm  zur  Athmung 
dienen  {Libellulidcn).  Sämmtliche  hierher  gehörige  Larven  sind  gefährliche 
Räuber,  besonders  die  Larven  der  auch  als  Imaginos  äusserst  gefrässigen 
Libellen  (Fig.  424j.    Die  Libellenlarven  haben  zum  Einfangen  der  Beute 

ein  Labium   mit  stark 

Fig.  424.  Fig.  425.  verlängertem  Mentum 

und  Submentum,  wel- 
ches in  der  Ruhe  als 
„Maske"     unter  dem 

Kopf  zusammenge- 
klappt liegt,  zum  An- 
griff aber  blitzschnell 

hervorgescbleudert 
werden  kann.  —  Perto 

' ,s.  bicaudata  L.,  im  F rüh- 
rt1 .  ,         ,    '  . 

s(  jähr  sehr  verbreitet. 
Epbcmera  vuhjaui  L. 
(Fig.  425)  nebst  ande- 
rn,, reu  verwandten  Arten 
bis  zeitweilig  in  solchen 
Schwärmen  auftretend, 
dass  die  Leichen  der 
Thiere  zum  Dünger  be- 
nutzt werden  (Uferaas).  Die  Imagines  nehmen  keine  Nahrung  zu  sich, 
sondern  sterben  nach  der  Begattung  und  Eiablage  (wenige  Stunden  nach 
Beendigung  der  Metamorphoso)  ab.  Libcllula  drpratsa  L.,  AescJma  tjrandis 
L.,  Coloptcnjx  rinjo  L.  Männchen  und  Weibchen  aller  Libellen  sind  sowohl 
an  den  eigen thümlichen  Begattungswerkzeugen  sowie  an  ihren  verschie- 
denen Färbungen  leicht  zu  unterscheiden. 

III.  Unterordnung.  Pbijsoprxlcn  oder  Tbysanojttcrcn,  Thiere  mit  schmalen, 
beiderseits  bewimperten  Flügeln,  mit  Haftblasen  au  den  Füssen  und  rudi- 


Fig.  424. 
(nach  Rösel 
vordere,  a 
.Stimmen. 


Larve  von  Aetchna  <jmn 
v.  Rodenhof i.   tu  Maske, 
hinten'  Flügelseheiden , 


Fi^.   42.").      Ephcmern   ruli/nfa  (, 
Schmorda).    SchwiInzbor*teu  nicht 
zum  Ende  ausgezeichnet. 


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IV.  Insecten:  Orthopteren. 


mentärer,  zum  Saugen  eingerichteter  Mundbewaffnung.  Die  Stellung  der 
Gruppe  im  System  ist  sehr  zweifelhaft.  Thrips  cerealium  Halid.,  dem  Ce- 
treide  schädlich. 

IH.  Ordnung.    Orthopteren,  Gradflügler. 

Die  Orthopteren  theilen  mit  den  Archipteren  zwei  schon  bei  diesen 
besprochene  Merkmale :  1)  die  hemimetabolc  Entwicklung,  welche  beim 
Mangel  der  Flügel  zur  ametabolen  wird;  2)  die  kauenden  Mundglied- 
maassen,  an  denen  besonders  auffällt,  dass  die  Aussenlade  der  Maxillen 
die  Form  der  „Galea"  hat,  dass  an  der  Unterlippe  säinmtliche  Laden 
getrennt  bleiben  und  dass  das  Mcntuin  die  Verschmelzung  aus  zwei 
theilen  noch  erkennen  lässt  (Fig.  407,  S.  4(0).  Dagegen  hat  die  bei 
den  Archipteren  beschriebene  primitive,  zarte  Beschaffenheit  der  Flügel 
einer  pergam entartigen  Härte  Platz  gemacht,  welche  den  Namen 
„Orthopteren"  veranlasst  hat.  Indem  dieselbe  sich  an  den  schmalen 
Vorderflügeln,  welche  die  weicheren,  meist  einfaltbaren  und  zum  Flug 
besonders  dienenden  Hinterflügel  decken,  am  meisten  bemerkbar  macht, 
erhalten  viele  Orthopteren  eine  grosse  Aehnlichkeit  mit  Käfern.  Vor 
einer  Verwechslung  schützt  die  Untersuchung  der  bei  Käfern  stark  ver- 
einfachten Unterlippe  und  der  Entwicklung,  welche  bei  den  Käfern  stets 
holometabol  ist  In  der  inneren  Anatomie  (Fig.  412)  fällt  besonders 
die  grosse  Zahl  der  Vasa  Malpighi  auf. 

I.  Unterordnung.  Cursorien.  Orthopteren  mit  mässig  langen,  zum 
raschen  Lauf  geeigneten  Beinen.  —  Zu  den  Cursorien  gehört  nur  die  Fa- 
milie der  Blattidcn.  Die  Thiere  ähneln  den  Käfern,  einmal  durch  die  Ge- 
stalt des  Prothorax,  zweitens  durch  die  eigenartigen  Vorderflügel,  welche 
aber  ebenso  wie  die  Hinterflügel  bei  vielen  Arten  ganz  fehlen  oder  min- 
destens bei  den  Weibchen  schwach  entwickelt  sind.  Pcriplamta  Orientalin  L., 
Brotschabe,  schwarzbraun,  besonders  in  Bäckerhäusern ;  Blattei  germanica  L., 
Küchenschabe,  kleiner  und  lichter  gefärbt.    Blaltcra  gvjantea. 

II.  Unterordnung.  Dermatoptercn.  Vorderflügel  kurze  Elytren,  unter 
denen  die  zum  gewandten  Flug  dienenden  Hinterflügel  durch  vielfache 
Faltung  geborgen  werden.  —  Die  einzigen  Vertreter  der  Gruppe,  die  Ohr- 
würmer oder  Forficuliden,  erinnern  in  ihrem  Habitus  an  Käfer  mit  rudi- 
mentären Elytren  (Staphylincri),  von  denon  sie  aber  leicht  an  den  Zangen 
(den  „Cerci")  unterschieden  werden.  Im  Bau  der  Mundgliedmaassen  und 
in  ihrer  Entwicklung  den  übrigen  Orthopteren  ähnlich,  entfernen  sie  sich  vom 
durchschnittlichen  Habitus  der  Gruppe  durch  die  ganz  eigenthümliche  Be- 
schaffenheit der  Flügel  so  sehr,  dass  sie  öfters  zu  einer  besonderen  Ord- 
nung erhoben  werden.  Forftcula  aitricularia  L.,  mit  Unrecht  gefürchtet  nls 
dem  Trommelfell  des  Ohres  gefährlich.    Labidura  minor  L. 

III.  Unterordnung.  Ürcssoricn  mit  langen,  dünnen,  nur  einen  lang- 
samen Gang  gestattenden  Beinen.  —  Die  2  Familien  der  Gressorien,  die 
Maniiden  und  Phasmüien,  sind  von  einander  nicht  unerheblich  verschieden, 
Namentlich  erhalten  die  Mantidcn  ein  besonderes  Gepräge  durch  den  langen 
Prothorax  und  die  zum  Greifen  und  Zerschneiden  der  Beute  dienenden 
Raubfüsse,  welche  vor  dem  Prothorax  getragen  werden  und  den  Namen 
„Gottesanbeterinnen"  veranlasst  haben.  Mantis  religiosa  L.,  Empum  pauperata 
Rossi  in  Südeuropa.  Die  ausschliesslich  tropischen  Phasmiden  (Fig.  12) 
sind  durch  ihre  Mimicry  bekannt.  Die  Bacillen  {Acanthoderus  Wallacci, 
Bacillus  Rossi  Fabr.)  ahmen  Zweige,  die  Phyllirn  {Phyllinm  Seythe,  PL 
sieeifolium  L.)  Blätter  nach. 

Hertwlg,  Lehrbuch  der  Zoologie.    3.  Aufl.ige.  v>7 


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418 


Gliederfüssler. 


IV.  Unterordnung.  Saltatorien.  Hinter©  Extremitäten  lange  kräftige 
Springbeine.  —  In  der  Gnippe  herrscht  ein  aurfallendes  Missverhältniss  in 
der  Länge  der  2  ersten  und  des  dritten  Beinpaares  (Fig.  426) ;  an  letzterem 

ist  der  Femur  dick  und  mus- 
kelstark, die  Tibia  lang  und 
durch  ihre  Festigkeit  zum 
Stützen  geeignet.  Indem 
beide  spitzwinkelig  im  Ge- 
lenk  gegen  einander  gestellt, 
dann  mit  grosser  Energie 
plötzlich  gestreckt  werden, 
wird  der  Körper  weithin  ge- 
schnellt. Die  Flügel  unter- 
stützen die  Bewegung  und 
können  bei  vielen  Arten,  wie 
den  Wanderheuschrecken, 
das  Thier  zu  andauerndem 
Flug  hoch  in  die  Luft  tragen.  Sehr  verbreitet  ist  in  der  Gruppe  die 
Fähigkeit,  Töne  zu  erzeugen ,  indem  die  Flügel  gegen  einander  (Locu- 
stideti) oder  gegen  die  Beine  (Acrididen)  gerieben  werden.  Desgleichen 
linden  sich  tympanale  Gehörorgane:  bei  den  Locustideti  (Fig.  428)  und 
vielen  Orylliden  an  den  Tibien  der  Vorderbeine ,  bei  den  Acrididen 
(Fig.  427)  am  ersten  Bauchring.    Eine  ringförmige  Verdickung  im  Chitin 


Fig.  12«».  Lorten  cnitdata  (nach  Brunner  v. 
Watten  wyl).    /  I>gebohrer. 


st  st  st 
Fig.  127. 


Fig.  42S. 


von  Ati  idittm  nach  Kntfernung  der  Flügel,  st  Stigmen, 
ribia  <l«!s  Vorderbeins  einer  Locus!  ide   in  Seiten-  und 


Fig.  427.  Seiti-nansirht 
t  Tvmpanuin.     Fig.  128.  TiK. 

Vorderansicht  mit  Trommelfell  (t)  (uns  Hätschele  nach  Fischer). 


bildet  einen  Rahmen,  in  welchem  ein  dünnes  Chitinhäutchen  wie  ein 
Trommelfell  ausgespannt  ist.  Von  innen  tritt  eine  Trachee  an  das  Trommel- 
fell heran  und  schwillt  zu  einer  als  Resonanzapparat  fungirenden  Blase 
an.  Der  Hörnerv  bildet  eine  Crista  acustica,  die  stets  an  die  Tracheen- 
blase angrenzt,  bei  den  Acrididen  zwischen  sie  und  das  Trommelfell  ein- 
gelagert ist.  An  der  Fähigkeit  der  Tonproductiou  erkennt  man  die  Männ- 
chen :  die  Weibchen  sind  noch  leichter  zu  erkennen  an  dem  zur  Eiablage 
dienenden,  besonders  bei  Locustideti  entwickelten  Legebohrer  (Fig.  426) :  6  säbel- 
förmige Anhänge  der  letzten  Abdominalringo  sind  derart  vertheilt,  dass  4 
zu  einer  Scheide  zusammenscbliessen,  in  deren  Innerem  2  weitere  sägeartig 
gezähnte  Stücke  auf  und  ab  bewegt  werden  können.  Als  Vertreter  der 
3  hierher  gehörigen   Familien  sind  zu  nennen :    für  die  Locustideti  oder 


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IV.  Insecten:  Neuropteren. 


419 


Laubheuschrecken  Loeusta  viridissima  L.,  Ikcticus  vcrrucivorus  L.,  für 
die  Acrididen  oder  Feldheuschrecken  ausser  zahlreichen  einheimischen 
Formen  (Ocdipoda  caerulescens  L.,  Tettix  subulata  L.)  die  Felder  verheerende 
Wanderheuschrecke  Pachytylw  migratorius  L.,  für  die  Grylliden  oder  Grab- 
heuschrecken die  Feldgrille  Gryllus  campestris  L.  und  das  Heimchen 
Gr.  domesticus  L.,  Gryllotalpa  vulgaris  Latr.,  Maulwurfsgrille. 


IV.  Ordnung.    Neuropteren,  Netaflügler. 

Die  Archipte/en  besitzen  eine  Parallelgruppe  in  den  Neuropteren, 
mit  denen  sie  früher  sogar  vereinigt  wurden.  Die  Neuropteren  haben 
nicht  nur  die  jenen  zukommende  Flügelstructur,  sondern  zeigen  auch 
im  gesammten  Habitus  vielfach  mit  ihnen  eine  grosse  Achnlichkeit,  wie 
z.  B.  die  Ameisenlöwen  an  die  Lihellen,  die  Chrysopiden  an  die  Perliden 
erinnern.  Die  Neuropteren  sind  jedoch  holometabol  und  besitzen  ein 
Ruhestadium,  wenn  auch  ihre  freien  Puppen  kurz  vor  dem  Ausschlüpfen 
des  Insects  eine  nicht  unbedeutende  Fähigkeit  zur  Ortsveränderung 
entfalten.  Die  Mundglicdmaasscn  sind  zwar  noch  kauend,  zeigen 
aber  bei  den  Planipennien  eine  an  die  Käfer  erinnernde  Vereinfachung 
der  Unterlippe,  deren  Laden  verschmolzen  sind.  Bei  den  Trichopleren 
geht  die  Vereinfachung  der  Mundglicdmaasscn  noch  weiter,  indem 
Unterlippe  und  Kiefer  ähnlich  wie  bei  den  Schmetterlingen  eine 
Art  Rüssel  erzeugen;  man  hat  die  Trichopteren  daher  in  der  Neuzeit 
von  den  echten  Neuropteren  getrennt  und  zu  einer  selbständigen  Ord- 
nung erhoben. 

L  Unterordnung.  Planipennien.  Am  bekanntesten  sind  die  Myrmclcon- 
tiden,  welche  als  Imagines  den  Libellen  täuschend  ähneln,  als  Larven  auf 
Insecten,  besonders  Ameisen  Jagd  machen  und  so  den  Namen  „Ameisen- 
löwen" veranlasst  haben.  Die  mit  langen  zangenartigen  Maudibeln  ver- 
sehenen Larven  (Fig.  429  2)  bauen  im  Sand  einen  Trichter  und  vergraben 


Fig.  4L>9.  MyriHflro forinicariiis.  /Iinagn, 
2  Larve,  3  Puppe  in  ihrer  Wiege  (aus 
Sehmanla). 


Fig.  4:io. 
Schimmln). 


Phryyanea  grantlis  (aus 


sich  am  Grund  desselben,  so  dass  nur  die  Kiefer  hervorragen,  welche  In- 
secten, die  den  Abhang  der  Fallgrube  heruntergleiten,  packen  und  tödten. 
Myrmcleo  formiearius  L.,  Ascalaphus  italicus  Fabr.  Anderen  Familien  ge- 
hören an  Ckrysojxi  pcrla  L.,  Panorpa  communis  L.,  Scorpionflioge,  Sialis 
lutaria  L.,  Rfiaphidia  ophidiopsis  Schum.,  Kameelhalsfliege. 

II.  Unterordnung.  Trichopteren.  Die  nur  durch  die  Phryganiden  (Fig.  430) 

27* 


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420 


Gliederfüssler. 


vertretene  Gruppe  ähnelt  den  Schmetterlingen  erstens,  indem  die  Kiefer 
zu  einem,  wenn  auch  kurzen  Säugrüssel  vereint  sind,  zweitens,  indem  die 
Flügel  mit  Schuppen  bedeckt  und  daher  wie  Mottenflügel  gezeichnet  sind. 
Die  Larven  leben  im  Wasser,  athmen  durch  büschelförmige  Kiemen  und 
bauen  sich  durch  Zusammenkitten  von  allerhand  Fremdkörpern  ein  Ge- 
häuse, aus  dem  sie  zum  Zwecke  der  Furtbewegung  nur  mit  Kopf,  Thorax 
und  Beinen  herauskommen.  Die  Yerpuppung  vollzieht  sich  im  Gehäuse. 
Phtyganta  grandis  L.,  Hydropsyche,  rariabilis  Pictet. 

Anhangsweise  seien  hier  die  höchst  merkwürdig  gebauten  Strtpsipitrcn 
erwähnt,  Parasiten,  die  auf  Hymenopteren  wohnen  und  nur  eine  Familie 

bilden,  die  StyJopükn.  Die 
lebhaft  springenden  sechs- 
beinigen  Larven  (Fig.  431  3) 
dringen  zwischen  die  Bauch- 
schienen  von  Bienen  und 
Wespen  ein  und  verpuppen 
sich  hier.  Aus  der  Puppen  - 
haut  schlüpft  mir  das  ge- 
flügelte, äusserst  bewegliche 
Männchen  (2)  aus.  Dasselbe 
hat  Rudimente  von  Vorder- 
flügeln, dafür  um  so  kräf- 
tigere Hinterflügel  und  einen 
entsprechend  langen  Meta- 
thorax.  Das  flügel-  und  beinlose,  madenartige  Weibchen  (/)  verbleibt 
in  der  Puppenhülle  und  wird  hier  befruchtet.  Eine  mit  einer  Strepsiptere 
behaftete  Biene  heisst  stylopisirt.  Sfyhp$  mciittm  Kirby.  Xenos  Rossi 
K  irby. 


2  Mj 


Fig. 


131.  Xntos  /iW/Vuiiu  h  IloaM.  /  Weihehen. 
hon,  V  Larve,  1,  II.  III  die  3 Thoraxwg- 
mente,  <tl  rudimentärer  erster,  ir  wohlentw  iekelter 
/.weiter  Flügel. 


V.  Ordnung.    Coleopteren,  Käfer. 

Die  Käfer  besehliessen  den  Kreis  der  Insecten  mit  kauenden  Mund- 
gliedmaassen,  unter  denen  sie  den  Orthopteren  am  meisten  verwandt 
sind..  Wie  diese  besitzen  sie  kräftige  Mandibeln  und 
wohlentwickelte  Maxillen  mit  Innen-  und  Aussenlade 
(letztere  oft  zweigliedrig,  tasterartig,  Fig.  432):  dagegen 
ist  ihre  Unterlippe  vereinfacht,  ein  Mentum, 
an  dem  kurze  Palpi  labiales,  zur  Ligula  verwachsene 


Glossen,   ab  und  zu  auch  Paraglossen  sitzen. 


(Bei 


Fig.  432.  Ma- 
xille  von  Prorni- 
ste*  eoriaeeus. 
c 'Caplo,.s7Sti|N-s, 
le,  Ii  LoblU  ex- 
tern us  und  L. 
intern us, pm  Pal- 
puf    m  axillar  is. 


Lucamis  neurotjuatha  sind  ausnahmsweise  die  Kiefer 
[Lobi  niaxillares]  zu  Saugorganen  umgebildet).  Ein 
zweiter  die  Käfer  von  den  Orthopteren  trennender 
Charakter  ist  die  h  olom  et  a  hole  Entwicklung, 
in  deren  Verlauf  stets  typische  freie  Puppen  auftreten, 
während  die  Larven  je  nach  der  Lebensweise  eine 
grosse  Mannichfaltigkeit  der  Gestalt  zeigen  (Fig.  411»). 
Was  aber  am  meisten  den  Thieren  ein  leicht  kennt- 
liches Gepräge  verleiht,  ist  die  Beschaffenheit  der 
Flügel;  die  an  ihrer  Basis  durch  ein  Scutellum  ge- 
trennten Vonlerflügel  sind  harte,  zum  Flug  ungeeignete 
Elytren,  unter  deren  Schutz  die  zarten,  mehrfach  ge- 
falteten Hinterflügel,  die  eigentlichen  Flugorgane  (vergl. 
Ohrwürmer),  geborgen  werden.    Indem  nun  von  den 


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IV.  Insecten:  Coleopteren. 


421 


Elytren  zugleich  die  zwei  hinteren  Thoraxringe  und  fast  sämintliche 
Bauchringe  beschützt  werden,  erhalten  die  Ringe  auf  ihrer  Rückseite 
eine  gleichartige ,  weichhäutige  Beschaffenheit»  So  wird  äusserlich 
eine  Dreitheilung  des  Käferkörpers  vorgetäuscht 
(Fig.  433),  welche  mit  der  den  Insecten  charak- 
teristischen Sonderung  in  Kopf,  Thorax  und 
Abdomen  nicht  zusammenfällt,  eine  Sonderung 
in:  1)  Kopf,  2)  einen  ansehnlichen  Prothorax, 
3)  einen  dritten  Abschnitt,  welcher  vermöge  der 
Flfigelbedeckung  einheitlich  erseheint,  tatsäch- 
lich aber  aus  den  beiden  hinteren  Thoraxringen 
und  dem  Abdomen  besteht. 

Uni  die  zahlreichen,  etwa  80  000  verschiedene 
Arten    enthaltenden    Familien    in  übersichtlicher 
Weise  anzuordnen,  hat  mau  4  Unterordnungen  auf- 
gestellt und  nach  der  verschiedenen  Beschaffenheit 
des  Tarsus  charakterisirt     Derselbe  besteht  bei  ^XTUftÄ 
den  Pentameren  aus  :>  Gliedern,  einem  keulenlormi-  Ludwig), 
gen,  die  Klauen  tragenden  Endglied  und  4  herz- 
förmig ausgeschnittenen,  an  die  Tibia  anschliessenden  Stücken  (Fig.  434). 
Während  das  Klauenglied  überall  constant  bleibt,  erfahren  die  vorher- 
gehenden Glieder  bei  vielen  Küfern  eine  Rückbildung:  bei  den  Tetrameren 
wird  das  vorletzte  Glied  rudimentär,  bei  den  Trimeren  wird  von  den  zwei 
vorletzten  das  eine  rudimentär,  das  andere  schwindet 
ganz  (Fig.  434  b).    Da  man  früher  die  rudimentären,  bei 
gewöhnlicher  Lage  des  Tarsus  von  der  Umgebung  ver- 
deckten Stücke  ganz  übersah,   zählte  man   nur  4,  resp. 
3  Tarsalglieder  und  kam  so  zu  den  Namen  Tetrameren 
und    Trimeren ,    welche    besser    Oryptopentameren  oder 
Pseudoktrameren  und  Oryptoktramercn  oder  Pseudotrimeren 
heissen  sollten.    Die  Bezeichnung  „Hctcromcrcnu  für  dio 
vierte  Unterordnung  endlich  bedeutet,  dass  der  Tarsus 
des  dritten  Beinpaares    von  den  vorhergehenden  fünf-     Fig.  434.  Tarsus- 
gliedrigen  abweicht,  indem  er  pseudotetramer  ist.  men?0"«')  "du^cuI 

I.  Unterordnung.  Pentameren.  Diese  umfangreichste  marf/inatus.b  L'ryp- 
Gruppe  enthält  die  Lauf-  und  Sandkäfer  Carabiden  (Ca-  totetramerevonCV- 
losoma  sycophauta  L.  [Fig.  433],  Cicindela  campestris  L.),  cinella  septempunc- 
die  Wasserkäfer  Hydrapluliden  und  Dityscidcn,  die  La-  ^^Jt^*]^. 
meUicornier  {Lucanus  cervm  L,    Hirschkäfer,  Geotmpes 

sterevrarius  L.,  Mistkäfer,  Melolanlha  vidyaris  L.,  Maikäfer, 

Dynasks  hereuks  L  ),  Malacodermen  (Lampyris  noctiluca,  L.,  Leuohtwürmchen), 

Staphylinidcn,  Flötenden  (Pyrophorus  noctifueus  L.,  stark  leuchtend)  etc. 

II.  Unterordnung.  JIderomeren.  Von  den  wenigen  hierher  zu  rech- 
nenden Familien  ist  am  bekanntesten  die  Familien  der  Mehiden,  weil  ihre 
Vertreter  zwischen  den  Bauchschienen  ein  scharfes  Seeret  (Cantharidin) 
ausscheiden,  welches  Grund  ist,  dass  die  getrockneten  und  zerstampften 
Körper  der  Lytta  vesieataria  L.  (Cantharide  oder  spanische  Fliege)  zur 
Bereitung  von  Blasenpflastern  benutzt,  werden  können.  Mcloi'  proscara- 
baeus  L.    Tcnebrionukn  (Tcncbrio  tnolitor  L.,  Larve  als  Mehlwurm  bekannt). 

III.  Unterordnung.  Tetrameren  {Oryptopentameren).  Vier  sehr  arten- 
reiche Familien  macheu  die  dritte  Unterordnung  aus,  alle  4  als  PHanzen- 
feinde  von  grosser  Wichtigkeit.  Die  durch  lange  Fühler  ausgezeichneten 
Bockkäfer,   Cerambycidcn,  werden  durch  ihre  im  Holz  bohrenden  Larven 


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422 


Gliederfüßler. 


den  Waldungen  .schädlich  (Ccra/nbyx  herox  L,  Aromia  woschata  L).  Noch 
verheerender  wirken  die  Bißstrycliidcn,  da  Larven  und  geschlechtsreife  Thiere 
iro  Baste  bohren,  wo  sie  Figuren  erzeugen,  welche  an  Lettern  erinnern 
(liosfrychas  (ypographus  L.,  Uylurgius  pinijwda  L.).  Durch  das  Abfressen 
der  Blätter  schaden  den  Pflanzen  die  Clirymmrlincn  (Doryphora  dcc&n- 
linr/ita  Laq.,  der  Coloradokäfer  an  Kartoffeln,  Donacia  scriera  L.).  Die 
Früchte  endlich  leiden  durch  den  Stich  der  Curculionidcn,  Rüsselkäfer, 
welche  mit  ihrem  rüsselartig  ausgezogenen  vorderen  Körperende  Nüsse 
[Bdnninus  nueum  L),  Aepfel  (fUiynchilcs  Bacchus  L.)  etc.  anstechen  und 
in  die  Canäle  ihre  Eier  legen,  aus  denen  die  Larven  auskriechen,  um  die 
Frucht  auszufressen. 

IV.  Unterordnung.  Trimcrcn.  Aus  dieser  kleinsten  Hauptabtheilung 
der  Käfer  sind  am  bekanntesten  die  t.vccineUidcn  oder  Marienkäfercheo, 
CoccineUa  septempunetatn  L.,  deren  Larven  durch  die  Jagd  auf  Blattläuse 
nützlich  sind. 

VI.  Ordnung.  Hymenopteren. 

Diu  Hymenopteren,  zu  denen  als  bekannteste  Formen  die  Bienen, 
Wespen,  Ameisen  etc.  gehören,  haben  der  Mehrzahl  nach  kräftige,  zum 
Kauen  geeignete  Kiefer,  an  denen  sich  aber  vielfach  schon  Merkmale 
erkennen  lassen,  welche  zu  den  leckenden  Mundgliedmaassen  über- 
leiten :  Streckung  von  Maxillcn  und  Unterlippe,  Verschmelzung  der 
inneren  Lippenladen  zur  (Jlossa.  Eine  Minderheit  der  Hymenopteren 
ist  auch  mit  vollkommen  'ausgebildeten  Saugorganen  ausgerüstet. 
Bei  Bienen  und  Hummeln  (Fig.  40>>)  ist  die  Glossa  eine  lang  aus- 
gezogene Rinne,  deren  Ränder  umgebogen  und  fast  zu  einer  Röhre 
geschlossen  sind ;  sie  steckt  in  einem  Futteral,  welches  von  den  stark 
verlängerten  Labialtastern  und  den  Laden  der  Maxillen  gebildet  wird: 
nur  die  Mandibeln  sind  hier  noch  wie  bei  allen  Hymenopteren  kräftige 
Beisszangen. 

Da  die  Beschaffenheit  der  Mundgliedmaassen  wechselt,  ist  bei  der 
Systematik  grösserer  Werth  auf  Körpergliederung  und  Flügelstructur 
zu  legen.  Die  Flu  gel  sind  häutig,  d.  h.  sie  sind  zarte,  von  wenigen 
Adern  durchzogene  Membranen  (Fig.  4.'H>);  sie  wirken  beim  Flug 
durchaus  wie  ein  einziges  Paar,  indem  meist  die  Vorderflügel  mit  den 
Ilinterflügeln  durch  häkchenartige  Haftborsten  fest  verbunden  sind. 
Da  jene  wesentlich  grösser  sind  als  diese,  übertrifft  auch  der  zu- 
gehörige Mesothorax  an  Ausbildung  die  beiden  anderen  Thoraxringe, 
welche  besonders  der  Prothorax  —  als  kleine  Stücke  den  Anschluss 
au  den  kräftigen  Mesothorax  suchen  und  mit  ihm  sogar  theilweise  ver- 
schmelzen. So  wird  der  Thorax  ein  einheitliches  Stück, 
welches  durch  tiefe  Kerben  von  Kopf  und  Abdomen  getrennt  wird; 
speeiell  das  Abdomen  ist  häutig  nur  an  einer  schmalen  Stelle  (Wespen- 
taille!) mit  dem  Thorax  verbunden;  es  ist  „anhängend"  oder,  wenn 
das  erste  Bauchsegment  fein  ausgezogen  ist,  „gestielt". 

Die  Weibchen  sind  von  den  Männchen  durch  mancherlei  Merk- 
male unterschieden,  vor  Allem  durch  die  Bewaffnung  des  hinteren 
Körperendes,  welche  uns  in  zwei  Formen  entgegentritt,  als  Lege- 
bohrer oder  Terebra  und  als  Stachel  oder  Aculeus.  Die 
Terebra  dient  zur  Eiablage  und  gleicht,  noch  vollkommen  dem  Lege- 
bohrer der  Orthopteren,  nur  dass  von  den  dort  vorhandenen  vier 
Scheidenstttcken   zwei  an   Grösse  zurückbleiben,  während  die  zwei 


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IV.  Insecten:  Hymen  opteren. 


423 


anderen  allein  das  Etui  für  die  als  Bohrer  functionirenden  Stücke 
bilden.  Der  A  c  u  1  e  u  s  ist  eine  modificirtc  Terebra ;  von  den  sechs  zur 
Verwendung  kommenden  Stücken  bleiben  zwei,  die  „Stachelscheiden", 
klein,  zwei  andere  verwachsen  unter  einander  zur  „Stachelrinne",  welche 
den  zwei  „Stechborsten"  zur  Führung  dient.  Der  Apparat  wird  nicht 
mehr  zur  Eiablage  verwandt,  sondern  zum  Stechen  und  ist  daher  mit 
einer  an  der  Basis  mündenden  Giftdrüse  versehen,  deren  ätzendes  Secret 
(Ameisensäure)  die  Schmerzhaftigkeit  des  Stichs  verursacht;  er  wird  im 
Ruhezustand  in  den  Hinterleib  zurückgezogen ;  er  fehlt  gemäss  seiner 
Entstehung  aus  einem  Ovipositor  den  männlichen  Hymeuopteren. 

Die  Unterschiede  von  Terebra  und  Aculeus  liefern  systematisch 
gut  verwerthbare  Merkmale;  von  weiterer  systematischer  Bedeutung 
ist  die  Entwicklung,  welche  eine  holometabole  ist.  Zwar  sind  die 
Puppen  überall  im  Wesentlichen  gleich  (P.  liberae),  dagegen  kennt 
man  zweierlei  Larvenformen.  Einige  Hymenopteron  haben  Larven  mit 
wohlcntwickelten  Beinen,  vielfach  sogar  Raupen  von  lebhaft  grüner 
Färbung,  die  sich  von  Schmetterlingsraupen  nur  durch  die  grosse  Zahl 
der  Afterfüsse  unterscheiden;  andere  Hymcnopteren  besitzen  fusslose 
Maden  (Fig.  50).  Raupen  finden  sich,  wo  sich  die  Larve  selbst  ihr 
Futter  suchen  muss,  Maden  dagegen,  wo  die  Larve  im  Uebermaass 
von  Nahrung  aufwächst,  sei  es,  dass  sie  dieselbe  von  den  Imagines 
zugetragen  bekommt,  sei  es,  dass  sie  parasitisch  lebt.  Auf  Grund  der 
Unterschiede,  welche  die  Larven  und  die  Anhänge  des  weiblichen  Ab- 
domens bieten,  kann  man  drei  Unterordnungen  aufstellen: 

I.  Unterordnung.  Terebranticn.  Weib- 
chen mit  Legeröhre.  Larven  raupenartig 
oder  doch  wenigstens  mit  Thoracalfüssen 
versehen.  Die  Eier  werden  in  Blätter 
oder  Holz  abgelegt,  wobei  es  gewöhnlich 
nicht  zur  Gallenbildung  kommt.  Die  Larve 
bedarf  daher,  um  sich  zu  ernähren,  der 
Ortsbewegung.  Die  Tenthrcdiniden-LMven 
fressen  wie  Schmetterlingsraupen  Blätter 
und  sehen  ihnen  daher  auch  ähnlich 
(Lophyrus  pini  L.  auf  Fichten);  die 
Uroceriden-h&rven  bohren  im  Holz  und 
haben  wie  alle  im  Dunkeln  lebenden 
Larven  weissliche  Farbe.  Sirex  yigax  L. 
(Fig.  435).  Fi„.   m     Sinx  ,,,>,„,  (nach 

II.  Unterordnung.  Entophagm.  Weib-  Taschenborg). 
chen  ebenfalls  noch  mit  einer  Lege- 
röhre versehen,  Larven  dagegen  madenartig,  ohne  Beine,  parasitisch  in 
Gallen  oder  in  Thieren.  Die  Entophagen  benutzen  zum  Theil  ihre  Lege- 
röhre, um  durch  ihren  Stich  krankhafte  Auswüchse,  „Gallen",  an  Pflanzen 
zu  erzeugen,  damit  die  im  Centrum  derselben  sich  aus  dem  Ei  entwickeln- 
den Larven  hier  ihre  Nahrung  finden ;  zum  Theil  stechen  sie  mit  der  Lege- 
röhre andere  Insecten  und  Insecteularven  an  und  versenken  in  sie  die  Eier. 
Die  ausschlüpfenden  jungen  Thiere  fressen  das  Innere  ihres  WTirthes  aus 
und  verursachen  dessen  Tod,  der  bei  vielen  Insectenlarven  schon  vor  Be- 
endigung der  Metamorphose  eintritt.  Gallen  erzeugende  Hymeuopteren 
sind  die  Cynipiden  (Cyttips  Oallae  tinetoriae  Oliv,  ist  die  Ursache  zur  Bil- 
dung der  zur  Tintenfabrication  dienenden  Galläpfel.  IUtoditcs  Itosac  L..  Ur- 
sache des  Rosenkönigs).    Als  Insectenfeinde  sind  von  grosser  Bedeutung 


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Gliederfüssler. 


die  Ichneumonulen  (Pimpla  instigator  Fabr.)  und  Braconiden  {Microgaster 
glomeratus  L.),  indem  sie  oft  der  Ausbreitung  der  verheerenden  Insecten 
(wie  der  Nonnen,  der  Kohlweisslingo)  ein  Ziel  setzen. 

III.  Unterordnung.  Acukatrn.  Weibchen  mit  Stachel,  Larven  moden- 
artig. —  Der  Stachel  dient  zum  Angriff  und  zur  Verteidigung,  beides  im 
Interesse  der  jungen  Brut,  welche  hilflos  ohne  Extremitäten  auf  das  ihnen 
zugetragene  Futter  angewiesen  ist.  Die  Grabwespen,  Fossorien  {Sphtx 
maxiüosa  Fabr.)  bauen  in  der  Erde  tönnchenartigo  Behälter,  in  welche  sie 
die  Eier  legen.  In  die  Behälter  tragen  sie  zur  Nahrung  andere  Insecten 
hinein,  welche  sie  durch  einen  Stich  in  das  Bauchmark  lähmen  oder  tödten. 
Bei  Wespen  und  Bienen,  Vcsparien  und  Apiarien,  werden  kunstvollere 
Bauten  errichtet  aus  gekautem  Holz  (Wespen),  oder  aus  zurecht  geschnittenen 
Blättern,  Erde  etc..  oder  aus  Wachsblättehen,  welche  die  Thiere  zwischen 
den  Abdominalschienen  solbst  ausscheiden  (Bienen).  Die  Behälter,  welche 
die  junge  Brut  mit  ihrer  Nahrung  beherbergen  sollen,  sind  auch  hier  ent- 
weder einzelne  Tönnchen  oder  hexagonale  Zellen,  welche  kunstvoll  zu 
horizontal  oder  senkrecht  stehenden  Waben  vereint  sind.  Da  zur  Nahrung 
vegetabilische  Substanzen,  wie  Honig,  Blüthenstaub,  gekaute  Früchte  dienen, 
ist  nunmehr  die  einzige  Aufgabe  des  Stachels  die  Abwehr  der  Feinde. 
Der  Umstand,  dass  die  Nachkommenschaft  besser  geschützt  ist,  wenn  zahl- 
reiche Individuen  sich  zu  gemeinsamem  Kampf  vereinigen,  hat  wahrschein- 
lich die  bei  Hummeln, 
c  A  o  Wespen    und  Bienen  zu 

verschiedengradiger  Voll- 
kommenheit gediehene 
Staatenbildung  veranlasst. 
Das  Bienenvolk  (Apis 
mellifica  L),  welches  in 
einem  gemeinsamen  Stock 
lebt,  besteht  aus  dreierlei, 
durch  verschiedenen  Bau 
des  Kopfs  und  anderweitige 
Merkmale  unterschiedenen 
Individuen  (Fig.  43<>  ;•: 
er  Königin,  einigen  Hundert  Drohnen,  den  männlichen  Bienen,  und  etwa 
10,000  Arbeitsbienen.  Letztere  sind  Weibchen  und  als  solche  mit  dem 
Stachel  versehen;  sie  haben  aber  funetionsunfähige,  rudimentäre  Geschlechst- 
organe  und  nur  die  Aufgabe,  den  Stock  zu  bauen,  zu  vertheidigen  und  in 
ihm  Futter  für  den  Winter  und  zur  Aufzucht  der  Brut  zu  sammeln. 
Das  Geschäft  des  Eieilegens  bleibt  der  Königin  vorbehalten,  welche  nur 
einmal  beim  Beginne  ihres  Regiments  begattet  wird,  wenn  sie  sich  mit  den 
Drohnen  auf  den  Hochzeitsflug  begeben  hat;  für  ihre  vierjährige  Lebens- 
dauer bewahrt  sie  das  Sperma  im  Receptaculum  seminis.  Je  nachdem  aus 
demselben  die  Eier  bei  der  Ablage  mit  Sperma  versehen  werden  oder 
nicht,  entwickeln  sie  sich  zu  weiblichen  oder  männlichen  Bienen.  Eine 
Königin,  die  nicht  befruchtet  wurde  oder  ihr  Receptaculum  völlig  entleert 
hat,  ist  drohnenbrütig;  sie  kann  nur  Drohneneier  produciren.  Das  weitere 
Schicksal  der  befruchteten  Eier  hängt  von  der  Ernährung  der  Larven  ab. 
Die  befruchteten  Eier  werden  zu  Arbeiterinnen  bei  spärlicher  Kost,  zu 
Königinnen,  weun  sie  in  besonders  grossen  Zellen  (Weiselwiegen)  abgelegt  und 
demgemäss  auch  mit  reichlicherem  oder  besserem  Futter  versehen  werden. 
Schlüpft  aus  einer  Weisel  wiege  eine  junge  Königin  aus,  so  verlässt  die 
vorhandene  Königin  mit  einem  Theil  des  Volkes  (Vorschwarm)  den  Stock, 


Fig.  4'J'5.  Köpfe  von  Apis  mtUifint.  a  Königin. 
b  Arbeiterin,  e  Drohne,  mit  3  Steminata  und  "J  median 
zusammenstoßenden  Faeettenaugen  (nach  Boa.«*). 


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IV.  Insecten:  Dipteren. 


425 


um  einen  neuen  Staat  zu  gründen.  Das  kann  sich  noch  ein-,  auch  noch 
zweimal  wiederholen  (Nachschwärme),  solange  noch  genug  Bienenvolk  vor- 
handen ist;  andernfalls  wird  eine  übermässige  Verkleinerung  des  Arbeiter- 
bestandes durch  Tödten  der  noch  nicht  ausgeschlüpften  Königinnen  ver- 
hindert. 

Noch  vorgeschrittener  in  der  Staatenbildung  als  die  Bienen  und 
Wespen  sind  die  Ameisen,  Formkarien,  welche  sich  von  den  übrigen 
Hyroenopteren  am  meisten  entfernen,  indem  dio  Flügel  bei  einem  Thcil, 
den  Arbeitern,  verloren  gehen  und  der  Stachel  rudimentär  wird  oder  ganz 
schwindet.  Nur  wenige  Ameisen  stechen  wie  Bienen  und  Wespen;  die 
meisten  beisson  und  spritzen  das  Secret  (Ameisensäure)  der  Giftdrüse, 
welche  trotz  Rückbildung  des  Stachels  erhalten  bleibt,  in  die  Wunde. 
Die  Bauten  der  Ameisen  sind  weniger  kunstvoll  als  die  der  Bienen,  ihre 
staatlichen  Einrichtungen  häufig  complicirter.  Man  unterscheidet  unge- 
flügelte Arbeiter  (rudimentäre  Weibchen),  häufig  sogar  verschiedene 
Formen  (grossköpfige  Soldaten  und  kleinköplige  Arbeiter),  und  geflügelte 
Geschlechtsthiere,  die  sich  auf  dem  Hochzeitsflug  begatten.  Die  begatteten 
Weibchen  (Königinnen)  kehren  nach  Verlust  der  Flügel  in  den  Stock 
zurück.  Meist  stehen  mit  den  Ameisenstaaten  anderweitige  Insecten 
(Myrmecophilen)  in  Verbindung,  wie  die  Aphiden,  welche  wegen  des  von 
ihnen  bereiteten  Honigs  gepflegt  werden.  Viele  Ameisen  ziehen  die  ge- 
raubten Puppen  anderer  Arten  auf  und  benutzen  die  auskriechenden  Ima- 
gines  als  Sklaven.  Polycrrjus  rufcsccns  Latr.  ist  sogar  auf  diese  Sklaverei 
angewiesen,  da  sie  von  den  Sklaven  gefüttert  wird  und  ohne  sie  verhungert. 
Sehr  interessant  sind  die  Ameisen  durch  ihre  planmässig  unternommenen 
Kriegszüge  {Ecitom:  E.  kgionis  Bates),  durch  ihre  Beziehungen  zu  Pflanzen, 
denen  einige  Arten  {Atta  ccphaiotcs  Fab.,  „ Blattschneiderameisen ")  die 
Blätter  rauben,  während  andere  {Azteca  instabilis  Smith)  sie  wieder  gegen 
die  Angreifer  vertheidigen.  Den  vortheidigenden  Ameisen  bietet  dio  schutz- 
bedürftige Pflanze  meist  Zufluchtsstätten  in  Hohlräumen  der  Internodien 
oder  der  Stacheln,  welche  sich  durch  besondere  Mündungen,  die  Ausfall- 
thore  der  Vertheidiger  nach  aussen  öffnen. 

Vn.  Ordnung.    Rhynchoten,  Sohnabelkerfe. 

Die  Rhynchoten  sind  in  ihrem  äusseren  Habitus  am  ähnlichsten 
den  Orthopteren  und  Archipteren.  Aehnlich  ist  die  Art,  wie  Kopf, 
Thorax  und  Abdomen  aneinandergefügt  sind,  ähnlich  die  hemimetabole 
Entwicklung,  die  bei  Rückbildung  der  Flügel  zur  ametabolen  wird. 
Rhynchoten  mit  starren,  lederartigen  Flügeln,  wie  die  Cicaden,  können 
daher  von  unerfahrenen  Beobachtern  leicht  mit  Heuschrecken  ver- 
wechselt werden,  während  andere  Arten,  wie  die  Aphiden,  durch  die 
zarte  Structur  und  die  Gleichartigkeit  ihrer  Flügel  an  Archipteren 
erinnern.  Unterscheidend  sind  in  allen  Fällen  die  zu  einem  Stech- 
rüssel umgewandelten  Mundgliedmaassen.  Die  Unterlage  des  Rüssels 
ist  eine  viergliedrige,  von  der  Unterlippe  gebildete  Rinne,  deren  Spalt 
durch  die  Oberlippe  geschlossen  wird,  während  im  Innern  Mandibeln 
und  Maxillen  —  erstere  noch  zu  einem  besonderen  Saugrohr  vereint 
—  als  vier  Stechborsten  liegen.  Nach  der  Ausbildung  der  Flügel  sind 
leicht  drei  Unterordnungen  zu  unterscheiden. 

I.  Unterordnung.  Hemiptercn  (Heterojderen\  Wanzen.  Dio  Wanzen 
(Fig.  437)  besitzen  eine  nur  ihnen  zukommende  Beschaffenheit  der  Vorder- 
flügel;  dieselben  sind  Hemielytren,  d.  h.  sio  sind  lederartig  an  der 


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Gliederfüssler. 


Basis,  weich  und  elastisch  an  der  Spitze.  Zwischen  den  Hemielytren  liegt 
ein  ansehnliches  Scutcllum  (s  ,  ein  dreieckiges  Stück,  welches  bei  Schild- 
wanzen den  Rücken  mehr  oder  minder  vollkommen  deckt.    Da  nun  Scu- 

tellum  wie  Hemielytren.  wenn  auch 
selten ,    rückgebildet   sein  können, 
muss  als    weiteres  allgemein  vor- 
kommendes Merkmal  der  Stink- 
a  p  p  a  r  a  t    erwähnt   werden  ,  ein 
paariger   Drüsenapparat ,  welcher 
den  Wanzen  ihren  meist  widerlichen 
Geruch    verleiht    und    ventral  am 
Metathorax    mündet.      Nach  dem 
Fig.  437.  Pintatoma  rufipcs.  u  mit  au-    Aufenthaltsort    gruppirt    man  die 
gebreiteten,  h  mit  geschlossenen  Flügeln,    zahlreichen  Familien  in  die  Wasser- 
s  Bcutellum  ums  Hayek).  und    Landwanzen,   Hydro>wcs  und 

Gem-ures.  Zu  den  erstcren  ge 
hören  die  äusserst  schmerzhaft  stechenden,  grossen  Seorpiouwanzen  Xepiden 
(Xepa  cinerea  L.,  Itanatra  linearis  L.,  Xotone/ta  glauca  L.),  zu  letzteren  die 
Schild-  oder  Baumwanzen  Prntnlomidrn  (P.  rufipes  L.  [Fig.  437j)  und  die 
Hautwanzen  Mnnbranacem.  Die  bekannteste  Hautwanze  (der  Name  bezieht 
sich  auf  die  Abplattung  des  Körpers)  ist  die  Bettwanze  Acanihia  (Cimex) 
leetularia  L.  Auf  der  Oberiläche  von  Teichen  etc.  leben  die  Ilydrodromiei 
(Ilydroinclra  lacustris  L.). 

II.  Unterordnung.  Homoptrren.  Die  Vorder-  und  Hinterflügel  der 
Homopteren  sind,  sofern  nicht  ein  oder  beide  Paare  rückgebildet  sind,  von 
gleichartiger  Structur,  wenn  auch  nicht  immer  von  gleicher  Grösse;  entweder 
sind  sie  ähnlich  den  Flügeln  der  Heuschrecken  pergamentartig :  Cieadarien, 
oder  sie  sind  äusserst  zart  wie  bei  manchen  Xeuroptcren :  Phytophthiren.  — 
Zu  den  Ciradarkn  gehört  vor  Allem  die  Familie  der  Xtridnlantien,  welche 
im  männlichen  Geschlecht  laut  schallende  Tonapparate  besitzen  i  Trommel- 
felle am  Abdomen,  die  durch  Muskeln  in  Schwingungen  versetzt  werden\ 
Cieada  plebcja  Scop.,  die  Singcicade  Südeuropas ;  Cicatla  orni  L.  (Fig.  438  . 
bewirkt  durch  ihren  Stich  an  Eschen  den  Ausrluss  von  Manna.  Eine  weitere 
Familie  hat  einen  an  eine  Laterne  erinnernden,  jedoch  nicht  leuchtenden 
Aufsatz:  Fulgorinen  (Fnlgora  laternaria  L.).  —  Die  Phytophthiren  (Fig.  440) 
sind  den  Pflanzen  schädlich,  deren  Blätter,  Stämme  und  Wurzeln  sie  an- 
stechen, wobei  häufig  Gallen  entstehen.  Die  vorwiegend  parthenogenetische 
Fortpflanzung  ist  Ursache  zu  einer  enormen  Vermehrung,  die  lange  Zeit 
localisirt  bleibt,  da  die  meisten  (häufig  viviparen)  Weibchen  flügellos  sind. 
Zeitweilig  auftretende  geringelte  Weibchen  führen  dann  zur  weiten  Aus- 
breitung (Fig.  440/).  Im  Herbst  erscheinen  Männchen;  die  von  ihnen 
befruchteten  Eier  überwintern.  Man  kennt  zwei  Familien,  Ooreiden  und 
Apkidnt.  Bei  den  (<«'cidcn  oder  Schildläusen  sterben  die  flügellosen 
Weibchen  nach  der  Eiablage  ab  und  decken  die  Eier  mit  ihrem  Körper, 
der  zuvor  auf  seiner  Oberfläche  eine  zu  einem  Schild  erhärtende  Wachs- 
masse ausgeschieden  hat;  sie  produciren  vielfach  Farbstoffe  von  grosser 
Beständigkeit.  f-o»x'its  ceati  L.,  die  Cochenillelaus  (Carmin),  Coccus  laeea 
Fabr.  lebt  auf  Ficus  religiosa  und  liefert  das  Kohproduct  für  den  Schellack. 
Die  Aphidrn  oder  Blattläuse  sind  weichhäutig,  verursachen  durch  ihre 
klebrigen  Honig  enthaltenden  Excremente  bei  Pflanzen  den  schädlichen 
Mehlthau:  Apliis  rome  L.  Die  besondere  Unterfamilie  der  Chernietiden  oder 
Rindenläuse,   an   Wurzeln   und   Stengeln  saugend,  ist  berüchtigt  durch 


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IV.  Insecten:  Rhynchoten.  427 


die  dem  Weinstock  so  verderbliche  Reblaus,  Phyllorera  mMatrix  PI. 
;Fig.  440). 


mit  Xodosi  taten  (a)  von  einem  von  Püyllo- 
Fijr.  4/59.    Phlhirius  inqui-  xern  befallenen  Weinstock,  .7  un^eflügclte 

natü  (nach  Lcuekart).  Wurzelgeneration  (aus  Uuinis-Ludwig), 

III.  Unterordnung.  Aptcrcn,  Läuse,  flügellose  Thiere  mit  directer 
Entwicklung,  bekannt  durch  die  auf  dem  Menschen  schmarotzenden  Pcdicu- 
lidcn,  welche  mit  ihrem  Rüssel  Blut  saugen.  Die  auffallend  grossen  Eier 
(Nissen)  werden  an  die  Haare  angeklebt.  Pcdk-ulius  capitis  de  Geer  und 
P.  rcstimentorum  Burm.  mit  langgestrecktem  Abdomen,  letzterer  bei  enormer 
Vermehrung  Ursache  der  Phthiriasis  oder  Läusesucht.  Phthirius  iwjui- 
nalis  L.  (pubis  Redi)  mit  gedrungenem  Abdomen  (Fig.  439). 

VIII.  Ordnung.    Dipteren,  Zweiflügler. 

Mit  den  Rhynchoten  werden  die  Dipteren  von  manchen  Zoologen 
als  Pun  gentien,  d.  h.  Insecten  mit  stechenden  Mundtheilen  vereinigt. 
In  der  That  ist  eine  Aehnlichkeit  der  Mundgliedmaassen  nicht  zu  ver- 
kennen, da  die  Unterlippe  gemeinsam  mit  der  Oberlippe  einen  Rüssel 
(Haustelluni)  bildet,  in  welchem  Mandibeln,  Maxillen  Und  ein  Fortsatz 
der  Unterlippe,  der  Hypopharynx,  als  Stilets  eingeschlossen  liegen.  Im 
Einzelnen  sind  jedoch  manche  Unterschiede  vorhanden,  wie  z.  B.  dass 
die  Maxillen  wohl  entwickelte  Taster  tragen  (Fig.  410),  dass  ferner  an 
der  Bildung  des  Saugrohrs  ausser  den  Mandibeln  auch  die  Oberlippe 
betheiligt  ist.  Zu  diesen  untergeordneten  Differenzen  kommen  noch 
3  sehr  wichtige  weitere  Merkmale,  die  eine  völlige  Sonderung  der 
Dipteren  nöthig  machen  (Fig.  442,  443):  1)  Von  den  Flügeln  ist  nur 
das  vordere  Paar  gut  entwickelt,  d  a  s  z  w  e  i  t  e  ist  von  den  H  a  1 1 e  r  e  n 
ersetzt,  kleinen,  wie  Paukenschlägel  mit  einer  Anschwellung  endenden 
Fortsätzen,  welche  durch  ihren  Reichthum  an  Nerven  sich  als  Sinnes- 
organe zu  erkennen  geben  und  für  die  Erhaltung  des  Gleichgewichts 
beim  Flug  von  Wichtigkeit  sind.   2)  Aehnlich  wie  bei  Ilymenopteren 


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42S 


Gliederfüssler. 


ist  der  Thorax  ein  gegen  Kopf  und  Abdomen  scharf  abgesetztes 
einheitliches  Stück,  in  welchem  der  Mesothorax  in  auffallender  Weise 
überwiegt.  .'])  Die  Entwicklung  ist  eine  holometabole,  in  deren 
Verlauf  zweierlei  Larven  und  zweierlei  Puppen  auftreten  Die  Larven 
sind  stets  fusslos ,  haben  aber  entweder  einen  besonderen  Kopf- 
abschnitt mit  beissenden  Mundgliedmaassen,  oder  sind  kopflos  und 
haben  einen  rudimentären  Saugapparat  (Fig.  441).  Die  Puppen  sind 
entweder  freie  Puppen  mit  grosser  Beweglichkeit  oder  sie  sind 
Tönnehcnpuppen.  Giebt  uns  somit  die  Entwicklungsgeschichte  auffal- 
lende, systematisch  gut  verwerthbare  Merkmale  an  die  Hand,  so  werden 
dieselben  wesentlich  ergänzt  durch  Unterschiede  in  der  Länge  oder  Kürze 
der  Beine,  der  Fühler,  des  Rüssels  und  durch  Unterschiede  in  der 
Körpergestalt. 


Fig.  441.    Larve  Fig.  442.      Ceenhmtyia-        Fig.   443.     da  atroph  Uns 

von  Anlhomi/ia  ra-  Weibchen    (nach    Nitsche).    cqiti,  h  Haitoren  (ans  Hayck). 

nicularis{mw\\  Leu-  F/'Vordcrflügel,  FlH  Hinter- 

ckart).  flügel  oder  Halteren. 

I.  Unterordnung.  Xi  innreren ,  Mücken.  Die  Thiere  sind  langge- 
streckt, mit  langen,  vielgliedrigen  Fühlern,  langem  Rüssel,  langen  Beinen. 
Die  Larven  leben  im  Wasser,  wo  sie  beim  Mangel  der  Füsse  mittelst 
zuckender  Körperbewegungen  schwimmen  und  mit  kräftigen  Fresswerk- 
zeugen Beute  erjagen.  Die  freie  Puppe  kann  ebenfalls  noch  ziemlich 
energisch  im  Wasser  schwimmen.  Die  bekanntesten  Mücken  sind  die  un- 
schädlichen Tfofdidcn  {Tipida  gigantca  Sehr.)  und  die  empfindlich  stechenden 
Schnaken  oder  Stechmücken,  Culiciden {Culex  pipiens  L.).  Durch  ihre  Pädo- 
genese  haben  einige  Ovidonn/idrn  (Fig.  442)  der  Gattung  Miastor  das 
Interesse  auf  sich  gelenkt  (Fig.  417). 

II.  Unterordnung.  Tanystomcn.  In  der  gedrungenen  Körpergestalt 
und  den  meist  kurzen  Fühlern  und  Beinen  gleichen  die  Tanystomen  den 
Musearien,  mit  denen  sie  früher  vereinigt  wurden ;  sie  unterscheiden  sich 
von  ihnen  und  nähern  sich  den  Xemoeercn  durch  den  langen  Rüssel  und 
durch  ihre  Entwicklung.  Larven  und  Puppen  leben  beweglich  in  der  Erde ; 
erstere  haben  beissendo  Mundgliedmaassen.  Tabaniden,  Bremsen,  Tabamut 
bwinus  L.  Die  weiblichen  Thiere  verfolgen  mit  ihren  schmerzhaften  Stichen 
Rinder,  Pferde  und  Menschen. 

III.  Unterordnung.  Musenrien  (Braehyceren  nach  Ausschluss  der  Tany- 
stomon).  Die  „Fliegen"  haben  einen  gedrungenen  Körper,  kurze  drei- 
gliedrige Fühler  mit  einer  Borste  (AristaJ,  kurze  Beine,  die  mit  Haftlappen 
(Pulvillen)  enden.    Ihre   kopflosen  Larven  leben  in  faulenden  Substanzen 


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IV.  Insecten:  Aphanipteren,  Lepidopteren.  429 

oder  parasitisch  in  anderen  Thieren ;  die  Puppen  sind  Tönnchenpuppen. 
Museiden :  Mu-sca  domestiea  L.  Musea  vomitoria  L.  Schmeissfliege,  legt  die 
Eier  an  Leichen  oder  rohein  Fleisch  ab,  Tachina  fera  L.  Larven  leben  in 
Schnietterlingsraupen.  Anthomyia  canicuhris  L.:  die  gewöhnlich  auf  faulen- 
den pflanzlichen  Stoffen  lebende  Larve  (Fig.  441)  kann  im  menschlichen 
Darm  schmarotzen.  Oestridcn:  die  Larven  leben  stets  parasitisch,  z.  B. 
in  den  Dasselbeulen  des  Rindes  (Hypoderma  bovis  L.)  oder  in  Geschwüren 
des  Pferdemagens  (Gastrophilm  cqui  Fab.)  (Fig.  443).  Syrphiden :  Eristalis 
tenax  L.,  Larven  mit  langer  Athemröhre  in  Cloaken. 

IV.  Unterordnung.  Pupiparcn.  Die  sehr  beweglichen  Thiere  leben 
parasitisch  auf  dem  Körper  von  Säugethieren  und  Insecten  und  haben 
häufig  ihre  Flügel  gänzlich  eingebüsst.  Die  Larvenentwicklung  verläuft 
im  Uterus  der  Mutter,  so  dass  die  Larven  kurz  nach  der  Geburt  sich  ver- 
puppen können.  Braula  coeca  Nitzsche,  Bienenlaus,  ein  sehr  verbreiteter 
Parasit  der  Honigbiene. 


IX.  Ordnung.    Aphanipteren,  Flöhe. 

Mit  den  Dipteren  wurden  trotz  des  Mangels  der  Flügel  die  Aphatii- 
ptercn  {Siphonapteren)  oder  Flöht*  vereinigt,  weil  man  mit  Recht  an- 
nahm, dass  die  Thiere  von  beflügelten  Formen  abstammen.  Letzteres 
lässt  sich  ans  der  holometabolen  Entwicklung 
sehliessen,  im  Laufe  deren  lange,  fusslose.  in 
faulendem    Holz    lebende   Larven    und  freie 
Puppen  auftreten.    Wichtige   Einwände  gegen 
die  Vereinigung  mit  den  Dipteren  ergeben  sich 
jedoch  aus  der  gleichförmigen  Körpergliederung 
(Fig.  444)  und  dem  Umstand,  dass  das  Hau- 
stellum    fehlt.    Das   Saugrohr  wird  von  den 
Oberkiefern  und  Oberlippe  gemeinsam  gebildet,       R  /w,,x  lVri-_ 

während  die  messerartigen  Maxillen  zum  Ein-  (aus  Blamhard). 

schneiden  der  Haut  dienen.  Ausser  dem  Men- 
schenfloh Pulex  irritans  L.  kennt  man  viele  auf  anderen  Thieren 
schmarotzende  Puliciden.  Ein  auch  den  Menschen  befallender  Parasit 
der  Tropen  ist  der  Sandfloh,  die  Sarcopsylla  penetrans  L.,  die 
sich  mit  dem  vorderen  Ende  in  die  Finger-  und  Zehenhaut  unter  den 
Nägeln  einbohrt  und  hier  die  Eier  ablegt. 


X.  Ordnung.    Lepidopteren,  Schmetterlinge. 

Unter  sämmtlichen  Insecten  ist  die  Ordnung  der  Lepidopteren 
oder  Schmetterlinge  am  schärfsten  umschrieben.  Die  Flügel,  welche 
in  beiden  Paaren  gut  entwickelt  sind  und  nur  selten,  z.  B.  bei  den 
Weibehen  vieler  Psychiden  fehlen,  haben  mehr  oder  minder  lebhafte  und 
prächtige  Farben,  indem  sie  mit  Schuppen,  welche  nichts  Anderes 
sind  als  blattartig  umgewandelte  Haare,  bedeckt  sind.  Da  der  Meso- 
thorax  entsprechend  der  grossen  Entfaltung  der  Vorderflügel  sehr 
ansehnlich  ist,  fügen  sich  der  kleine  Pro-  und  Metathorax  ihm  an  und 
bilden  mit  ihm  ähnlich  wie  bei  den  Hymenopteren  einen  besonders 
gegen  den  Kopf  scharf  gesonderten  Körperabschnitt.  Die  Mundglied- 
maassen  (Fig.  400)  haben  eine  höchst  eigentümliche,  allerdings  bei 
Phryganiden  schon  vorbereitete  Beschaffenheit,  indem  die  Mandibeln 


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430 


Gliederfüssler. 


rudimentär  sind,  die  .stark  verlängerten  Maxillen  dagegen  den  einroll- 
baren Rüssel  erzeugen.  Kiefer-  und  Lippentaster  sind  vorhanden, 
erstere  aber  sehr  viel  kleiner  als  diese  und  oft  kaum  noch  zu  er- 
kennen. Die  Entwicklung  ist  holoinetabol ;  die  Larven  der  Schmetter- 
linge, die  Raupen  (Fig.  421),  haben  kauende  Mundgliedmaassen, 
besonders  kräftige  Mandibeln,  2— f>  Paar  Pedes  spurii,  endlich  im 
Innern  die  Serictericn,  ein  Paar  Drüsen,  die  gemeinsam  an  der  Unter- 
lippe münden  und  ein  zu  Seidenfäden  erhärtendes  Secret  liefern.  Aus 
einem  einzigen  Seidenfaden  weben  sich  viele  Schmetterlingsraupen  (so 
die  industriell  verwendbaren  Seidenspinner)  einen  Coccon,  innerhalb 
dessen  sie  sich  zu  einer  gedeckten  Puppe  verwandeln.  Will  man  den 
Coeon  zur  Seidengewinnung  benutzen,  so  müssen  die  Puppen  durch 
Hitze  getödtet  werden,  damit  der  Schmetterling  nicht  beim  Aus- 
schlüpfen den  Coeon  durchbohrt  und  dadurch  den  Zusammenhang 
des  Seidenfadens  zerstört. 

I.  Unterordnung.  Murokphhptcreii,  Motten.  Kleine,  moist  unschein- 
bare Schmetterlinge,  welche  beim  Sitzen  die  Flügel  horizontal  zusammen- 
schlagen, die  vorderen  über  die  hinteren ;  Maxillartaster  auffallend  gross. 
Rüssel  klein.  TincUkn,  Schaben ;  die  Raupen  bauen  sich  aus  ihrem  Futter- 
material eine  Röhre,  welche  sie  mit  sich  herumtragen.  Tinea  pclliomUa  L., 
Kleider-  und  Pelzmotte;  Twfricithn,  Wickler;  die  Raupen  wickeln  Blätter 
zu  einer  Röhre  zusammen.  Tortrix  viridana  L.  Die  Larven  mancher  Tor- 
triciden  veranlassen  die  Wurmstichigkeit  der  Früchte  (Carj)acapsa  pomonclla 
L.  in  Aepfeln,  GraptolUho  funcbrana  L.  in  Zwetschen). 

II.  Unterordnung,  (komr-triucn,  Spanner.  Schmetterlinge  schlank, 
mit  Flügeln,  die  durch  Schnitt  und  Farbe  an  die  Flügel  der  Tagschmet- 
terlinge erinnern,  aber  horizontal  zusammengeschlagen  werden ;  weitere 
Unterschiede  sind  die  kleine  Rollzunge  und  die  borstenförmigen  Fühler. 
Raupen  mit  nur  2,  selten  3  Paar  Afterfiisseu,  durch  eigenthümliche  Fort- 
bewegung ausgezeichnet,   Gcomrtra  papiliotiaria  L.    Abraxas  yrossubiriata  L. 

III.  Unterordnung.  Xoctuincn,  Eulen.  Schmetterlinge  von  ge- 
drungenem Körporbau  mit  meist  grauen,  durch  2  Makeln  und  zickzack- 
förmige  Linien  ausgezeichneten  Vorderflügeln,  welche  in  der  Ruhe  die 
manchmal  lebhaft  gefärbten  Hintorflügel  (Ordensbänder:  Cotocala  fraxiui, 
C.  nupta  L.  etc.)  decken.    XoHna  prottuha  L. 

IV.  Unterordnung.  Lhwbycincn,  Spinner.  Körper  plump,  wollig 
behaart,  mit  nieist  trübgetarbten,  breiten,  ab  und  zu  im  weiblichen  Ge- 
schlecht [Psych?,  Oryyin^  fehlenden  Flügeln ,  Rüssel  häufig  rudimentär, 
Fühler  lang,  gekämmt  ;  Raupen  haarig,  durch  stark  entwickeltes  Spinnver- 
mögen  ausgezeichnet.  Technisch  verwerthet  werden  die  Cocons  von 
Bombyx  ntori  L.  (vorwiegend  in  Europa).  Attacus  pnlyphcmus  (Nordamerika), 
Saturnia  Cynthin  (Japan  und  China).  Grosse  Verheerungen  in  Wäldern 
verursachen  Gastrojwha  p'nii  L.,  Kiefernspinner,  Ontcria  monacha  L.,  Nonne, 
Onethacmtipa  proa  ssionca  L.,  Processionsspinner.  Die  Larven  der  oft  par- 
thenogenetisch  sich  fortpflanzenden  Psych  iden  bauen  sich  sackförmige,  bei 
Ps.  hclix  L.  Spiral  gewundene  Gehäuse. 

V.  Unterordnung.  Sphinyiden,  Schwärmer.  Der  dicke,  lange  Kör- 
per trägt  lang  gestreckte,  schlanke  Vorderflügel  und  kürzere  Hinterflügel, 
Rüssel  sehr  lang,  Fühler  kurz:  Raupen  glatt  mit  Afterhorn.  Sphinx  con- 
volmli  L.,  Windig,  DcilephUa  cuphorbiac  L.,  Acherontia  airopos  L.,  Todten- 
kopf.    Die  Sexten  ahmen  Bienen,  W:espen  und  Hornissen  nach. 

VI.  Unterordnung.  Ithopalocrrcn,  Tagfalter  (Fig.  11,  1 3).  Körper 
schlank,  Flügel   beim  Sitzen   aufwärts  geschlagen,  damit  die  gewöhnlich 


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V.  Arachnoideen. 


43t 


dunklen  Unterseiten  die  bunt  gefärbten  Oberseiten  verdecken;  Rüssel  gut 
entwickelt,  Fühler  mit  keulenförmigen  Enden,  Raupen  meist  dornig, 
Puppen  mit  nur  einem  Faden  aufgehängt.  Nicht  selten  überwintern  die 
Imagines  Vanessa  urticae  L.,  Fuchs,  Pieris  brassicae  L.,  Kohlweissling, 
Doritis  apollo  L.,  Papilio  machaon  L.,  Schwalbenschwanz. 


V.  C lasse. 


Arachnoideen,  Splnncnthlere. 


grosserer 


Unter  dem  Namen  Arachnoideen  fasst  man  ein  Anzahl 
und  kleinerer  Ordnungen  zusammen,  die  sich  um  die  Hauptabtheilung 
der  Weberspinnen  oder  Amneen  herum  gruppiren.  Letztere  zeigen  die 
Merkmale  der  Classe  am  schönsten  entwickelt,  während  bei  anderen 
Ordnungen,  so  namentlich  den  Solpugen,  das  Charakteristische  erst  in 
Entwicklung  begriffen  ist,  bei  dritten  For- 
men wie  den  Milben  und  Zungenwürmern 
dagegen  sich  schon  wieder  verwischt  bat 
Bei  der  allgemeinen  Besprechung  werden  wir 
uns  daher  an  die  Araneen  und  verwandte 
Formen  zu  halten  haben  (Fig.  44;")). 

Der  Spinnenkörper  ist  durch  eine  deut- 
liche, häutig  sogar  tief  eingeschnittene  Kerbe 
in  den  vorderen  Cephalothorax  und  das 
hintere  Abdomen  abgetheilt.  Da  das  Ab- 
domen keine  Extremitäten  trägt,  kann  die 
Zahl  seiner  Segmente  nur  dann,  wenn  die 
Grenzen  noch  erhalten  sind,  sicher  bestimmt 
werden.  In  diesen  Fällen,  die  im  Allge-  Fig.  4 iö.  Epeira  diadma 
meinen    selten    sind ,    schwankt    die    Zahl  TasehenWg).    «  das 

zwischen  6  bei  den  Phalangicn  und  13  bei  'lW/>  die  Augen,  vergrö^rt. 
den  echten  Scorpionen. 

Der  Cephalothorax  ist  ein  zusammenhängendes  Stück,  das* 
mindestens  aus  (>  Segmenten  besteht,  da  es  H  Paar  Extremitäten  be- 
sitzt. 4  Paar  Extremitäten  werden  zur  Fortbewegung  verwandt;  sie 
sind  sehr  lang  und  aus  6  Gliedern  zusam- 
mengesetzt, von  denen  das  letzte  2  Klauen 
trägt.  Wie  für  die  Insecten  die 
Sechszahl  der  Beine,  so  ist  für  die 
A  r  a  c  h  n  o  i  d  e  e  n  d  i  e  A  c  h  t  z  a  h  1  c  h  a  r  a  k- 
ter istisch.  —  Vor  den  Beinen  liegen  2 
weitere  Extremitätenpaare  in  der  Umgebung 
des  Mundes  (  Fig.  44(5) :  1 )  die  Kieferfühler 
(Cheliceren)  und  2)  die  Kiefertaster 
(P  ed  ipalpcn).  Die  Kiefertaster  sind 
langgestreckt  und  beinähnlich;  ihr  Basal- 
glied (7)  ist  zum  Kauen  umgewandelt,  die 
übrigen  (>  Glieder  bilden  den  Palpus  (/>),  der 
entweder  ein  Klauen-  oder  ein  Scheerentaster 
ist.  Beim  Klauentaster  ist  das  letzte  Glied 
eine    scharfe,    einschlagbare   Klaue;  beim 

Scheerentaster  ist  es  die  bewegliche  (im  Gegensatz  zu  dem  Fluss- 


Kflrp«- 


Fig.  44(5.  Mundglied- 
niaaswn  von  Epcira  diadema, 
1  Kieferfühler,  2  Kiefertaster, 
/  Kaulade,  p  Palpus. 


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432 


Gliederfüssler. 


krebs  äussere)  Branche  der  Seheere.  während  die  innere  unbe- 
wegliche Branche  durch  einen  Fortsatz  des  vorletzten  Gliedes  ge- 
liefert wird  (Fig.  .*>;").'>).  —  Der  kurze  Kieferfühler  besteht  nur  aus 
2  Theilen,  der  Basis  und  der  einschlagbaren  Endklaue  (Klauenfühler) ; 
bei  manchen  Arten  wird  er  zum  Seheerenfühler,  wenn  die  Basis  zu 
einer  feststehenden  Scheerenbranche  auswächst.  Die  Endklauc  der 
Kieferfühler  wird  beim  Angriff  dem  Gegner  in  den  Körper  einge- 
schlagen und  verursacht  eine  gefährliche  Wunde,  da  in  dem  Klauen- 
glied eine  ansehnliche  Giftdrüse  mündet. 

In  der  morphologischen  Bourtheilung  der  Cheliceren  gehen  die  An- 
schauungen der  Zoologen  auseinander,  ob  sie  den  Antennen  oder  den 
Mandibcln  der  Insccten  und  Myriapoden  vergleichbar  sind,  mit  anderen 
Worten,  ob  die  Antenne  gänzlich  verloren  gegangen  ist  oder  ob  sie  als 
Chelicere  nur  eine  vom  Gewöhnlichen  abweichende  Function  und  Gestalt 
angenommen  hat.  Für  die  letztere  Ansicht  spricht,  dass  die  Chelicere 
praeoral  liegt,  vom  oberen  Schluudganglion  innervirt  wird  und  dass  ent- 
wicltluugsjjeschichtlich  sich  weder  eine  Antenne  noch  ein  Antennensegment 
anlogt.  Dagegen  hat  man  wieder  gehend  gemacht,  dass  der  Abschnitt  des 
oberen  Schlundganglions,  welcher  den  Nerven  an  die  Chelicere  abgiebt, 
selbständig  hinter  dem  Mund  entsteht  und  somit  dem  Bauchmark  angehört, 
um  erst  später  mit  dem  Hirn  zu  verschmelzen. 

Der  Darm  der  Arachnoideen  (Fig.  447) 
zeichnet  sich  vor  Allem  dadurch  aus,  dass  auf 
den  Oesophagus  ein  Magen  folgt,  der  bei  den 
ineisten  Arten  mit  4  5  Paar  nach  den  Extre- 
mitäten gewandten  oder  in  dieselben  sogar  ein- 
dringenden Blindsäcken  idt)  ausgerüstet  ist. 
Der  Dünndarm  nimmt  die  Ausführgänge  (da) 
einer  sehr  ansehnlichen,  das  Abdomen  füllenden 
Leber  auf  Der  Enddarm  steht  mit  2  Vasa 
Malpighii  ivm)  in  Verbindung  und  ist  häufig  in 
einiger  Entfernung  vom  After  blasenartig  (rb) 
erweitert. 

Der  Oesophagus  ist  stets  von  einem  sehr 
engen  Sehl  u  n  d  r  i  n  g  umfasst,  der  dorsal  aus 
dem  Hirn  besteht,  ventral  aus  einer  grossen 
Ganglienmasse,  in  welcher  mindestens  alle  Gan- 
glienpaare des  Cephalothorax.  meist  auch  die 
des  Abdomens  enthalten  sind  ( Fig.  3f>(»  D).  Nur 
bei  gutgegliederten  Thieren,  w  ie  den  Scorpionm, 
können  sich  die  Ganglien  des  Abdomens  in 
grösserer  Zahl  getrennt  erhalten. 
sionMorg.nc       Von   den  Sinnesorganen   sind  ausser 

den  Tasthaaren  nur  noch  die  Augen  gut  bekannt,  J^TdJSLÄ, 
2—12  mit  grosser  Linse,  zeitigem  Glaskörper  (/n  i^Wjränjrc  rb  Iteetal- 
und  einer  ansehnlichen  Retina  ausgerüstete  blase  mit  Vasa  Malpighii 
Stcmmata  (Fig.  .x>7).  Die  grosse  Zahl  der  Stäb-  (*»0.  an  After,  a  Ah- 
chen  in  der  Retina  macht  es  wahrscheinlich,  dass  do,m>n- 
die  Augen  sehr  gut    funetioniren.     Auch  das 

Gehör  scheint  gut  entwickelt  zu  sein;  wenigstens  ist  es  bekannt, 
dass  man  Spinnen  abrichten  kann,  auf  bestimmte  Melodien  hin  ihre 
Schlupfwinkel  zu  verlassen.  Ob  aber  gewisse  mit  Nerven  in  Verbin- 
dung stehende  Haare,  die  an  verschiedenen  Stellen  der  Taster  und 


NcM-IMl- 


n 

Dann  von 
Ctcttixa  Cfteinntfaria  (aiu 


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V.  Arachnoideen. 


4.J3 


Fig.  4 18.  Anfänge  des 
linken  und  rechten  Tra- 
cheenbüschels  von  Any- 


Fig.  440.  Lunge  von 
Zilla  calopht/la,  st  btigtua, 
b  Blatter  der  Lunge,  a 


der  Beine  stehen,  Sitz  der  Tonempfindung  sind,  wie  man  vermuthet 
hat,  muss  zweifelhaft  erscheinen. 

Die  Respirationsorgane  zeigen  eine  auffallende  Lage  und 
geringe  Zahl  der  Stigmen ;  man  findet  sie  ventral  im  vorderen  Abschnitt 
des  Abdomens,  selten  am  Cephalothorax,  höchstens  4  Paar,  häufig  sogar 
nur  2  oder  1  Paar.  Man  unterscheidet  ausser  den  schon  besprochenen  Tra- 
cheenbüscheln, wie  sie  sonst  bei  Tracheaten  vorkommen  (Fig.  448),  noch 
die  für  die  Arachnoideen  eigentümlichen  Fächertracheen  oder  Tracheen- 
lungen. Eine  Tracheenlunge  (Fig.  440)  sitzt  dem  weiten  Spalt  des  Stigma 
als  ein  rundlicher  Körper  auf 
und  besteht  aus  zahlreichen 
Blättern,  welche  am  Stigma 
zusammengehalten  werden 
wie  die  Blätter  eines  Buches 
am  Rücken  des  Einbandes. 
Jedes  Blatt  enthält  einen 
von  Chitin  ausgekleideten, 
spaltförmigen  nach  dem 
Stigma  zu  sich  öffnenden 
Luftraum  und  lässt  sich  als 
eine  platt  ausgewalzte  Tra- 
cheenröhre auffassen,  so 
dass  es  leicht  ist,  die  Tra- 
cheenlunge auf  ein  gewöhn- 
liches Tracheenbüschel  zu- 
rückzuführen. 

Wir  kennen  nun  Arach- 
noideen, welche  nur  Tra- 
cheenbüschel, und  andere,  welche  nur  Tracheenlungen  haben,  dazu  end- 
lich Formen,  bei  denen  Tracheenlungen  und  Trachcenbüschel  nebeneinan- 
der vorkommen.  Dieses  Vicariiren  von  Tracheenbüscheln  und  Tracheen- 
lungen ist  ein  weiteres  Zeichen,  dass  beides  dieselben  morphologischen 
Gebilde  sind ;  es  ist  ferner  für  die  Beschaffenheit  der  Circulationsorgane 
wichtig.,  Je  mehr  die  Athmung  durch  Umbildung  der  Trachcenbüschel  zu 
Lungen  auf  engbegrenzte  Partieen  des  Abdomens  localisirt  wird,  um  so 
vollkommener  ist  das  System  von  Blutgefässen,  welches  sich  zum  Herzen 
gesellt,  am  vollständigsten  bei  den  ausschliesslich  durch  Lungen  athm en- 
den Scorpionen.  —  Das  im  Abdomen  liegende  Herz  empfängt  durch 
seitliche  Spaltöffnungen  das  Blut  aus  der  Leibeshöhle  und  giebt  es 
durch  eine  hintere  und  vordere  verästelte  Hauptarterie  an  den  Körper 
ab.  Bei  kleineren  Formen,  wie  vielen  Milben  und  sämmtlichen  Tardi- 
graden,  oder  bei  Parasiten,  wie  den  Linguatuliden,  fehlt  das  Gefäss- 
system  gänzlich;  ebenso  pflegt  dann  auch  die  Tracheenathmung  durch 
Hautathmung  ersetzt  zu  sein. 

In  Kürze  sei  hier  einer  Auffassung  gedacht,  welche  eine  Zeit  lang 
viel  Beifall  gefunden  hat:  es  sollen  die  Tracheenlungen  der  Arachnoideen 
nicht  den  Tracheen  der  Inaeden  entsprechen,  sondern  den  Kiemenblättern 
des  Limulus,  welche  durch  Einstülpung  in  das  Innere  des  Körpers  ver- 
lagert worden  seien.  Die  Tracheenbüschel  der  Spinnen  seien  durch  Modi- 
fication  der  Tracheenlungen  entstanden  und  hätten  daher  mit  den  Tracheen 
der  Jnsectcn  nichts  zu  thun.  Ueberhaupt  sollen  die  Arachnoideen  mit  den 
Insecten  in  keiner  näheren  Verwandtschaft  stehen,  sondern  unabhängig  von 
ihnen  aus  Xiphosuren  ähnlichen  Urformen  entstanden  sein.  Zu  Gunsten  der 

Herl  h  ig,  Lehrbuch  der  Zoologie.    3.  Aufl»«e.  28 


phac.ua  aceeiituata  mit    da«  zuletzt  gebildete  Blatt 
unpaarem   Stigma    (st)    (nach  Bertkau), 
(naeh  Bertkau). 


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434 


Gliederfüssler. 


letzteren  Annahme  wird  noch  geltend  gemacht:  dass  die  Arachnoideen  mit 
den  Xiphosuren  gemeinsam  haben  1)  die  Zahl  und  Anordnung  der  Ex- 
tremitäten am  Cephalothorax,  2)  das  Vorkommen  von  Coxaldrüsen.  Letztere 
Organe  verlieren  jedoch  dadurch  wesentlich  an  systematischer  Beweiskraft, 
dass  sie'  wie  die  Schalen-  und  Antennendrüseu  der  Crustaceen  und  die 
Segmentalorgane  des  Peripatus  auf  eine  gemeinsame  Grundform,  die  Seg- 
mentalorgane der  Anneliden,  zurückführbar  sind. 

Die  Geschlechtsorgane  der  nur  ausnahmsweise  hermaphro- 
diten  Arachnoideen  sind  sehr  verschiedenartig,  haben  aber  folgende 
Grundzüge  gemein :  paarige,  im  Abdomen  eingeschlossene  Geschlechts- 
drüsen geben  nach  vorn  paarige  Ausführgänge  ab,  die  sich  an  der 
Basis  des  Abdomens  zu  einer  unpaaren  Mündung  vereinen.  Wenn  die 
Geschlechtsdrüsen  an  ihrem  hinleren  Ende  verschmelzen,  so  wird  der 
ganze  Geschlechtsapparat  zu  einem  King  geschlossen. 

Die  Arachnoideen  sind  eierlegend,  selten  lebendig  gebärend  {Scorj>ione 
und  manche  Milben);  sie  sorgen  vielfach  für  ihre  Eier  und  vertheidigeu 
sie  gegen  Angriffe.  Die  Scorpionc  dehnen  diese  Fürsorge  sogar  auf  die 
ausgekrochenen  Jungen  aus,  welche  die  Mutter  auf  ihrem  Körper  mit  sich 
herumträgt.  Selten,  und  auch  dann  nur  bei  den  weniger  charakteristischen 
Formen  der  Classe,  wie  den  Lingual ulidcn  und  Acarinen,  findet  sich  eine 
Art  Metamorphose:  dieselbe  beschränkt  sich  darauf,  dass  zunächst  nur 
2  oder  3  Extremitäten  augelegt  werden  und  dass  die  fehlenden  erst  später 
nachwachsen. 

Systematik.  Nach  der  Beschaffenheit  der  Extremitäten  und  der 
Respiratiousorgane,  sowie  nach  der  Gliederung  des  Körpers  unterscheidet 
man  9  Ordnungen.  Es  ist  zweckmässig  und  erleichtert  die  Uebersicht, 
diese  9  Ordnungen  auf  die  2  Unterclassen  der  Arthronaiitres  und  Sphaerogastres 
zu  vertheilon,  je  nachdem  die  Segmente  des  Abdomens  noch  gegen  einander 
abgegrenzt  oder  zu  einem  weichhäutigen  Sack  verschmolzen  sind. 


Fijr.  l.")0.  Soipuya  (Galeode 
arant oi'/es  tau*  Sehninrdn).  /  Kie- 
felffthler,  2  KiefertaMer,  .7  tit-tor- 
artiges  »-rstea  Bein,  4—6  Beine. 


I.  Unterclasse. 
Arthrogastres,  Gliederspinnen. 
I.  Ordnung.     Solpugen,  Walzenspinnen. 

Den  Solpugen  fehlt  noch  der  Ce- 
phalothorax. da  nur  die  3  ersten  Seg- 
mente verschmolzen  sind,  die  3  folgen- 
den Thoraxsegmente  dagegen  sich  ge- 
trennt erhalten.  Die  in  dieser  Körper- 
gliederung zu  Tage  tretende  Aehnlichkeit 
mit  Insecten  wird  noch  weiter  dadurch 
gesteigert,  dass  nur  die  3  thoracalen 
Extremitäten  (Fig.  450,  4 — 6')  Klauen 
tragen  und  zum  Laufen  dienen,  während 
das  erste  Paar  Spinnenbeine  (•'/)  den 
Kiefertastern  {'->)  ähnlich  ist  und  zum 
Tasten  verwandt  wird.  Die  Cheliceren  (I) 
sind  kräftige,  weit  über  den  Kopf  hinaus 
ragende  Scheerenfühler.  Die  Thiere 
athmen  mit  4  Paar  Tracheenbüscheln, 
von  denen  das  erste  am  Thorax  mündet. 


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V.  Arachnoideen:  Phrynoideen,  Scorpionideen. 


435 


Wie  der  Name  sagt,  sind  die  Solpugen  (Solifugen)  nächtliche  Thiere, 
welche  Tags  über  in  ihren  im  Sand  gebauten  Nestern  leben  und  nach 
Sonnenuntergang  auf  Raub  herumschweifen.  Sie  bewohnen  die  Steppen 
namentlich  Südrusslands  und  besitzen  daher  das  schmutzig  gelbe  Colorit 
des  Sandes.  Lange  Haare  geben  ihnen  ein  widriges  Aussehen;  ihr  Biss 
wird  wegen  seiner  Giftigkeit  (?)  bei  den  Eingeborenen  gefürchtet.  Gahodes 
araneoides  Pall.,  Südrussland  (Fig.  450). 

H.  Ordnung.    Phrynoideen,  Pedipalpen,  Geisseispinnen. 

Die  Phrynoideen  haben  in  der  Ausbildung  der  typischen  Arach- 
noideenmerkmale  im  Vergleich  zu  den  Solpugen  einen  Fortschritt  er- 
zielt, indem  alle  (i  vorderen  Segmente  zum  Cephalothorax  verschmolzen 
sind ;  sie  gleichen  aber  noch  den  Solpugen  und  unterscheiden  sich  von 
den  übrigen  Arachnoideen,  indem  nur  die  drei  hintersten  Extremitäten- 
paare (4 — 6)  zur  Fortbewe- 
gung dienen,  das  dritte  Paar 
der  Reihe  (ß)  dagegen  noch 
nicht  Dasselbe  trägt  einen 
langen ,  geringelten  Anhang, 
die  für  die  Ordnung  charak- 
teristische Geissei.  An  die 
Scorpione  erinnern  die  Phry- 
noideen durch  die  kräftige 
Ausbildung  der  zum  Ergreifen 
der  Beute  dienenden  Kiefer- 
taster (!'),  nur  dass  dieselben 
ebenso  wie  die  Kieferfühler  (1) 
nicht  mit  Scheeren,  sondern 
mit  Klauen  enden.    Zur  Ath-      Fig. 451.  Phrynusreiiiforvns (nach fc?chmarda\ 

mung  dienen  2  Paar  Lungen. 

Die  Phrynoideen  finden  sich  nur  in  den  Tropen,  vortreten  durch  die 
gleich  giftigen  Gattungen  Phrynua  und  Tdyplionus,  von  denen  Telyphonus 
loicht  daran  zu  erkennen  ist,  dass  vom  Abdomeu  sich  ein  besonderes,  kurzes 
Postabdomen  abgesondert  hat,  welches  in  einen  langen  Faden  ausläuft. 
Phrymis  reniformis  Pall.  (Fig.  451). 

III.  Ordnung.    Scorpionideen,  Soorpione 

Die  Scorpione  (Fig.  452)  haben  eine  grosse  äusserliche  Aehnlich- 
keit  mit  dem  Flusskrebs  und  wurden  auch  lange  irrthümlich  für  Ver- 
wandte desselben  gehalten,  weil  sie  wie  dieser  mit  4  Beinpaaren  (3—6) 
sich  fortbewegen  und  davor  zum  Ergreifen  der  Beute  kräftige  Scheeren 
(2)  tragen,  welche  den  Kiefertastern  der  übrigen  Arachnoideen  ent- 
sprechen ;  schecrenförmig  sind  auch  die  kleinen  Kieferffihler  (/).  Was 
nun  den  Scorpionen  eine  besondere  Ausnahmestellung  unter  den  Arach- 
noideen verleiht,  ist  die  eigentümliche  Beschaffenheit  des  Abdomen. 
An  demselben  kann  man  7  breitere,  vordere,  dem  Cephalothorax  dicht 
angefügte  Segmente  (Fig.  353  A)  und  6  hintere,  schmälere,  den  Schwanz 
oder  das  Postabdomen  (P)  unterscheiden.  Das  letzte  Segment  des 
Postabdomens  ist  ventralwärts  in  einen  spitzen  Haken  (st)  umge- 
bogen und  enthält  eine  grosse  Giftdrüse ;  es  ist  der  Giftstachel,  welcher 
selbst  bei  kleineren  Arten  dem  Menschen    äusserst  schmerzhafte 

28* 


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4M 


Gliederfüssler. 


Wunden  verursachen  und  ihm  hei  den  grossen  tropischen  Arten  mög- 
licherweise sogar  todbringend  werden  kann.    Für  gewöhnlich  ernähren 

sich  die  Scorpione  von  Inseeten ;  sie  fassen  die- 
selben mit  den  Scheeren,  halten  sie  über  den 
Kopf  und  stossen  die  Spitze  des  über  den  Rücken 
eingekrümmten  Postabdomens  in  ihr  Opfer; 
dabei  visiren  sie  mit  2  grossen,  weit  vorn  und 
dicht  neben  einander  stehenden  Punktaugen, 
neben  denen  noch  einige  kleinere,  seitliche 
Augen  angebracht  sind.  —  Auf  der  Bauchseite 
der  Scorpione  liegt  ein  Paar  Anhänge  (Fig.  452a), 
die  möglicherweise  Reste  abdominaler  Glied- 
maassen  sind :  da  sie  einen  Stab  mit  einseitig 
ansitzenden  Zinken  bilden .  nennt  man  sie 
Kämme  und  vermuthet  in  ihnen  wegen  der 
Nähe  der  Geschleehtsmündung  (c)  und  wegen 
ihres  Reichthums  an  Nerven  Reizorgane  bei  der 
Begattung.  Dicht  dahinter  folgen  4  Paar  grosse 
Stigmen  (/>).  Da  die  Scorpione  nur  durch 
Tracheenlungen  athmen,  ist  ihr  langgestrecktes, 
mit  vielen  Ostien  versehenes  Herz  mit  einein 
complicirten  Blutgefässapparat  verbunden.  Am 
Darm  fehlen  die  Blindsäcke,  dagegen  ist  die 
Leber  sehr  gut  ausgebildet.  Für  das  Nerven- 
system ist  die  grosse  Zahl  abdominaler  Ganglien 
charakteristisch,  welche  sich  vom  einheitlichen 
Ganglion  des  Cephalothorax  getrennt  erhalten. 
In  Europa  (Süddeutschland  und  Italien)  findet  sich  der  Scorjrio  furo- 
pacu.s  Latr. ;  in  heissen  Gegenden,  namentlich  den  Tropen,  leben  die  bis  zu 
10  cm  langen  Arten  der  Gattungen  Atulrot-tonm  und  Bulbus:  A.  austraJÜ*  L. 
in  Afrika,  Ii.  oerifanus  Amor,  in  den  Mittelmeerländern. 


Fijr.  4Ö2.  liuthus  or- 
citanu*  von  unten  <:<'- 
riehen:  von  den  Extre- 
mitäten und  dem  Poet- 
abdotuen  nur  der  Anfang 
dargestellt  /  Kiefer- 
fühler,  //  Kiefertaster, 
1—1  Heine,  '/  Kämme, 
h  Lungenstigmen,  Ge- 
schlcelit.«'»ftiuuig. 


IV.  Ordnung.    Pseudoscorpionideen,  Afterscorpione. 

Die  kleinen  Aftei scorpione  (Fig.  45:5)  gleichen  den  echten  Scor- 
pionen  in  ganz  auffälliger  Weise,  da  sie  wie  diese  Scheerenfühler  (h 

und  vor  Allem  sehr  grosse  Scheerentaster 
(!')  haben;  ferner  ist  das  geringelte  Abdomen 
dem  Cephalothorax  breit  angewachsen.  Da- 
gegen fehlt  das  Postabdomen  und  mit  ihm  der 
Giftstachel  vollkommen;  auch  athmen  die 
Thiere  durch  Tracheen  anstatt  durch  Lungen. 

Der  deutsche  Name  Bücherscorpionc  be- 
zieht sich  darauf,  dass  man  die  höchstens  2  mm 
langen  Thiere  mit  Vorliebe  in  alten,  einge- 
staubten Büchern  oder  auch  in  Herbarien  findet. 
Dem  Aufenthaltsort  ist  Gestalt  tind  Bewegung 
vortrefflich  angepasst ;  die  Thiere  sind  dorso- 
ventral  abgeplattet  und  laufen  nach  Art  der 
Krabben  mit  grosser  Behendigkeit  in  seitlicher 
Richtung  nach  links  und  rechts.  Sie  machen 
dabei  Jagd  auf  die  den  Büchern  und  Herba- 
rien so  schädlichen  Milben  und  sind  somit  selbst 
Cht) V/er  civwroidr.s  L. 


Fig.  453.  Chclifrr  Braraisi. 
1  Kieferffihl<r,  'J  Kiefertastcr, 
.V—  6"  Keine  (aus  Sehmarda). 


nützliche  Thiere. 


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V.  Arachnoideen:  Phalangioideen,  Araneen. 


437 


V.  Ordnung.    Phalangioideen,  Afterspinnen. 

Bei  den  Afterspinnen  ist  das  Abdomen  weniger  deutlich  als  bei 
den  bisher  betrachteten  Formen  gegliedert  und  auch  vom  Cephalothorax, 
an  dem  es  breit  angewachsen  ist,  nicht  scharf  abgesetzt  Der  kleine 
Körper  wird  von  4  auflallend  langen  Beinen  getragen.  Die  zweiten 
Extremitäten  sind  Taster  wie  bei  den  echten  Spinnen,  die  ersten  Ex- 
tremitäten sind  in  lange  hornartige  Fortsätze  ausgezogen.  Die  Männ- 
chen besitzen  einen  auffallend  langen  Penis,  die  Weibchen  eine  lange 
Legeröhre.  Die  Thiere  unterscheiden  sich  von  den  ächten  Spinnen 
besonders  dadurch,  dass  sie  durch  Tracheen  athmen  und  keine  Spinn- 
warzen besitzen. 

Am  bekanntesten  sind  die  Weberknechte,  nächtliche  Thiere,  deren 
lange  Beine  lange  Zeit,  nachdem  sie  vom  Körper  abgetrennt  worden  sind, 
noch  zuckende  Bewegungen  ausführen.    Fhakmgium  upilio  L. 


II.  Unterclasse. 

Sphacrogastres,  Rundspinnen. 

VI.  Ordnung.    Araneen,  Weberspinnen. 

In  keiner  Abtheilung  der  Arachnoideen  ist  die  Sonderung  des 
Körpers  in  Cephalothorax  und  Abdomen  so  deutlich  wie  bei  den 
Weberspinnen,  da  beide  Abschnitte  weichhäutige,  ungegliederte,  von 
einander  durch  eine  tiefe  Kerbe  getrennte  Stücke  sind  (Fig.  445).  Die 
4  hinteren  Extremitätenpaare  dienen  zur  Fortbewegung,  zu  raschem 
Sprung  oder  zu  gewandtem  Lauf:  nur  das  letzte  Beinpaar  hat  dabei 
noch  die  Kebenfunction  des  Spinnens.  Seine  2  Klauen  sind  mit  Kamm- 
zinken  versehen,  welche  aus  zahlreichen  Seidenfäden  einen  stärkeren 
Faden  zusammendrehen.  Um  diese  Klauen  nicht  abzunutzen,  haben 
Spinnen  mit  besonders  gutem  Webevermögen  Hilfsklauen,  auf  denen 
die  Hinterbeine  während  des  Laufens  aufliegen.  —  Von  den  beiden 
Mundextremitäten  (Fig.  44(1)  trägt  der  Kieferfühler  eine  spitze  Klaue, 
welche,  ausgerüstet  mit  dem  Ausführgang  einer  Giftdrüse,  die  Spinnen 
in  den  berechtigten  Ruf  der  Giftigkeit  gebracht  hat,  wenn  auch  nur 
wenige  wie  die  Malnügnatte  (Latrodectes  j'ormidabilis  L.,  L.  tredeeimgut- 
tatus  Fabr.)  dem  Menschen  unbequem,  oder,  wie  die  Taranteln  und  die 
Vogelspinnen,  schädlich  werden  können.  Die  Kiefertaster  dienen  zum 
Betasten  und  Zerkleinern  der  Speise;  letzteres  geschieht  mit  dem 
Basalglied. 

Beim  Männchen  ist  das  Endglied  des  Tasters  angeschwollen,  indem  es 
einen  birnförmigen  Behälter  trägt,  an  welchem  man  es  leicht  vom  Weib- 
chen unterscheiden  kann.  Bevor  das  Männchen  sich  dem  Weibchen  zur 
Begattung  nähert,  wird  der  Behälter  an  der  am  Abdomen  befindlichen  Ge- 
schlechtsöttnung  mit  Spermatozoen  gefüllt.  Ist  der  Inhalt  von  Sperma  in 
die  gleichgelagerte  Geschlechtsöftnung  des  Weibchens  entleert,  so  zieht 
sich  das  Männchen  schleunigst  zurück,  da  es  sonst  befürchten  muss,  vom 
stärkereu  Wreibchen  getödtet  zu  werden. 

•Am  hinteren  Ende  des  Abdomens  kurz  vor  dem  After  liegen  die 
systematisch  wichtigen  Spinn  w  a  r  z  e  n  der  Araneen,  in  denen  man 
vielleicht  rudimentäre  Bauchextremitäten   zu  erblicken  hat,  da  sie 


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438 


Gliederfüsslcr. 


Fig.  I.">4.  Spinnapparat 
von  Kpcira  iliadema 
(nach  \VarburU>iil.  / 
vordere,  2  mittlere,  Ii 
hintere  Spimnvarzen ,  / 
Fäden. 


paarig  angeordnete  und  meistens  auch  gegliederte  Stummeln  sind 
(Fig.  4r>4).    Sie  enden  schräg  abgestutzt  mit  dem  Spinnfeld,  auf  dem 

sich  zahlreiche ,  an  Haare  erinnernde  Spinn- 
röhrchen  erheben.  Aus  jedem  Spinnröhrchen 
ragt  eine  kurze  Spinnspule  hervor,  das  modi- 
ticirte  Ende  vom  Ausführgang  einer  Spinn- 
drüse.  Man  unterscheidet  verschiedene  Arten 
von  Spinndrüsen,  die  je  nach  der  Bestimmung 
des  Fadens  in  Thätigkeit  gesetzt  werden.  Die 
Zahl  der  Spinnwarzen  wechselt  zwischen  2  und 
3  Paar:  dazu  kommt  noch  das  Cribrelluin,  ein 
vor  den  Warzen  gelegenes  Feld,  auf  dem  eben- 
falls Spinndrüsen  münden,  so  dass  dem  Ab- 
domen einer  Spinne  im  Ganzen  über  Hundert, 
bei  Epeiren  sogar  mehrere  Hundert  von  Drüsen 
zukommen. 

Die  einzelnen  aus  den  Spinnspulen  heraus- 
tretenden und  an  der  Luft  erhärtenden  Secretfäden 
werden  von  den  Webeklauen  der  Hinterbeine  zu 
einem  einzigen  Faden  verarbeitet;  je  nach  Bedürfniss  kann  die  Spinne 
denselben  starker  oder  feiner  machen,  indem  sie  eine  grössere  oder  ge- 
ringere Zahl  Spinndrüsen  in  Thätigkeit  setzt.  Aber  auch  der  stärkste 
Spinnfaden  ist  trotz  seiner  complicirten  Structur  noch  feiner  als  der  ein- 
heitliche Faden  eines  Seidenspinners,  weshalb  er  demselben  bei  der  Ver- 
fertigung des  Fadenkreuzes  im  astronomischen  Fernrohr  vorgezogen  wird. 
Die  Spinnenfaden  dienen  sehr  mannichfachen  Zwecken:  zum  Austapeziren 
des  Nestes,  zum  Einhüllen  der  Eier  in  Cocons  und  vielfach  auch  zu  Ge- 
spinnsten,  in  denen  Insecten  aufgehalten  werden  sollen,  damit  sie  die 
Spinne  tödten  und  dann  weiter  noch  fest  umspinnen  kann.  Auch  beim 
Abstürzen  verhütet  die  Spinne  die  Gefahr  des  Falles,  indem  sie  sich 
rasch  mit  einem  Faden  verankert,  den  sie  so  weit  verlängert,  bis  sie  am 
Boden  ankommt.  Da  nun  die  Spinufäden  aus  Seide  bestehen  und  den 
Seidenfäden  der  Seidenraupen  an  Feinheit  und  Festigkeit  überlogen  sind, 
lag  es  nahe,  au  ihre  technische  Verwerthbarkeit  zu  denken.  Leider  erzeugt 
die  Spinne  im  gewöhnlichen  Leben  nur  kurze  Fäden,  nicht  die  viele 
Meter  langen  Stücke,  aus  denen  der  unverletzte  Cocon  von  Bombyx  mori 
besteht. 

Der  Charakteristik  der  Spinnen  sind  nur  noch  wenige  Punkte  nach- 
zutragen :  der  Darm  (Fig.  447)  hat  5  Paar  im  Cephalothorax  liegende 
Blindsäcke  und  eine  gemeinsam  mit  dem  Geschlechtsapparat  das  Abdomen 
füllende  Leber;  in  den  blasenartig  aufgetriebenen  End  dann  münden  2 
Vasa  Malpighi.  Das  Nervensystem  besteht  aus  dem  Hirn  und  einer  grossen 
Ganglienmasse  des  Cephalothorax,  zu  der  nur  noch  ein  kleines  Bauch- 
ganglion  kommt.  Systematisch  wichtig  sind  durch  ihre  Anordnung  die 
6 — H  Punktaugen,  die  in  2 — 3  Querreihen  nahe  bei  einander  auf  dem 
Cephalothorax  (Fig.  44oj  stehen.  Als  Kespirationsorgane  endlich  dienen 
1 — 2  Paar  Lungensäcke  (Fig.  449).  Wo  nur  ein  Paar  Lungensäcke  wie 
bei  den  meisten  Spinnen  vorhanden  ist,  ist  das  zweite  fehlende  durch  ver- 
ästelte Tracheeubüschol  ersetzt,  welche  entweder  durch  ein  paariges  oder 
durch  ein  unpaares  Stigma  gewöhnlich  weit  hinten  am  Abdomen  münden 
(Fig.  44M;.  Je  nachdem  die  zweiten  Athmungsorgane  Lungen  oder  «ver- 
ästelte Tracheen  sind,  erreicht  das  Blutgefässsystem  eine  grössere  oder 
geringere  Ausbildung. 


uigi 


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V.  Arachnoideen :  Araneen. 


439 


I.  Unterordnung.  Tctrapneumones.  Spinnen  mit  4  Lungen,  4  Spinn- 
warzen und  8  in  2  Reihen  hinter  einander  gestellten  Augen.  —  Die 
Mygaliden  oder  Vogelspinnen  bilden  die  wichtigste  Familie  der  Tetra- 
pneumones;  sie  haben  ihren  deutschen  Namen  von  der  Lebensweise  der 
Mygale  avicularia  L.  Die  nach  Ausschluss  der  Beine  4 — 5  cm  lange 
dichtbehaarte  Spinne  wohnt  in  Wäldern  des  tropischen  Südamerika  und 
tapeziert  sich  Erdlöcher  oder  andere  Schlupfwinkel  mit  dichtem  Gespinnst 
zu  einem  Neste  aus.  Sie  schleicht  sich  an  andere  Thiere  heran,  überfällt 
sie  im  Sprung  und  kann  auf  diese  Weise  selbst  Wirbelthiere,  wie  kleine 
Vögel  und  Mäuse  tödten,  die  sie  dann  verzehrt.  In  Südeuropa  ist  die 
Familie  durch  die  kleinere  und  nur  den  Insecten  gefährliche  Minirspinne, 
Ctenixa  caementaria  Latr.  (Fig.  455)  vertreten.    Sie  treibt  in  Mauern  hori- 


Fig.  45").  Ctenixa  cartiientaria  in  ihrer  Röhre  den  Deckel  zuziehend,  a  Augen 
stärker  vergrößert,  b  Deckel  von  innen  mit  den  Griffpunkten  für  die  Klauen,  c  ein- 
gesammelte Nahrung. 

zontale,  röhrige  Stollen  und  schliesst  die  kunstvolle,  kreisförmige  Oeffnung 
mit  einem  Deckel  von  Seidengespinnst,  der  genau  auf  die  Oeffnung  passt 
und  auf  seiner  äusseren  Seite,  um  den  Schlupfwinkel  unkenntlich  zu  machen, 
mit  dem  Material  der  Maueroberfläche  bedeckt  ist.  Der  Deckel  ist  mittelst 
Seidenfäden  am  oberen  Rand  des  Lochs  befestigt  und  fällt  daher  zum 
Schliessen  herab ;  er  wird  bei  drohender  Gefahr  von  der  Spinne  noch  weiter 
von  innen  fest  angepresst,  indem  sie  mit  den  Vorderklauen  in  kleine  Henkel 
des  Gespinnstes  greift  und  fest  anzieht.    In  Deutschland  Atypus  piceus  Sulz. 

II.  Unterordnung.  Dipneumones.  1  Paar  Lungen,  neben  denen  noch  Tra- 
cheen bestehen  können,  0  Spinnwarzen.  —  Hierher  gehören  fast  alle  unsere 
einheimischen  Spinnen  und  zahlreiche  tropische  Formen.  Zum  Theil  haben 
dieselben  noch  die  Lebensweise  der  Mygaliden  und  benutzen  ihre  Webe- 
fertigkeit nur  zum  Einspinnen  der  Eier  in  Eiersäckchen,  welche  am  eigenen 
Körper  oder  an  sicheren  Orten  untergebracht  werden,  und  zur  behaglichen 
Auskleidung  der  Schlupfwinkel,  während  sie  die  Beute  durch  raschen  Lauf 
erreichen  oder  katzenartig  beschrieben  und  im  Sprung  erbeuten.  Zum 
anderen  Theil  bauen  sie  aus  den  Seiden fäden  noch  weitere  mehr  oder 
minder  kunstfertige  Netze  zum  Einfangen  fliegender  Insecten.  Man  kann 
auf  Grund  dieser  Unterschiede  in  der  Lebensweise  mit  um  so  grösserem 
Recht  2  Gruppen,  Vagabunden  und  Sedentarien,  unterscheiden,  als  in  beiden 
Gruppen  auch  eine  verschiedene  Augenstellung  herrscht. 

Zu  den  Vagabunden  gehören  die  Saltigraden,  welche  ihr  Opfer  im 
Sprung  erreichen  :  Attus  falcaius  L.  und  die  Oitigraden  oder  Laufspinnen, 
welche  wie  die  Lycosiden  oder  Wolfspinnen  ihre  Beute  durch  schnellen 
Lauf  einholen :  Tarantula  Apuliac  L.  die  Tarantel,  deren  Biss  eine  schmerz- 
hafte Entzündung  verursacht.  Früher  glaubte  man  irrthümlich,  dass  der 
Biss  Ursache  sei  von  Tobsuchtsanfällen,  zu  deren  Besänftigung  man  die 
rTarantellau  spielte. 


410 


Gliedorfüssler. 


Die  Sedentarien  unterscheiden  sich  von  einander  durch  die  Art  ihres 
Nestbaues.  Die  Tiibitelcn  spinnen  eine  Röhre  und  davor  ein  horizontales 
Gewebe  zum  Insectenfang :  Tegcneria  dvtnestica  L.  Hausspinne ,  Segestria 
senwulata  L.  Kellerspinne,  Argyroneta  aqnatica  L.,  Silberspinne  genannt, 
weil  sie,  im  Wasser  lebend,  mit  Hilfe  einer  silberglänzenden  Luftblase 
athmet,  die  sie  mit  sich  am  Abdomen  herumschleppt.  —  Die  kunstvollsten 
Gespinnste  bilden  die  Orbitelen,  namentlich  die  Kreuzspinnen  Ejmriden: 
Eprira  diadcma  L.,  welche  ihren  deutschen  Namen  der  Zeichnung  des  Ab- 
domens verdankt,  einer  weissen,  undeutlich  kreuzförmigen  Figur  auf  dunklem 
Grund  (Fig.  445).  —  Inaequiteku :  Jjatrodertes  trcdecimguttatus  Fabr. 

VII.  Ordnung.    Acarinen,  Milben. 

An  die  Aranccn  haben  wir  drei  Ordnungen,  die  Acarinen,  Lingua- 
tuliden  und  Tardigraden  anzuschliessen,  deren  Bau  zum  Theil  durch 
Parasitismus,  zum  Theil  durch  anderweitige  Lebensverhältnisse  so  sehr 
abgeändert  worden  ist,  dass  man  am  ausgebildeten  Thiere  die  Merk- 
male der  Classe  nur  mühsam  oder  sogar  überhaupt  nicht  herausfinden 
kann.  Für  das  Verständniss  dieser  aberranten  und  degcnerirten  Arach- 
noideen  liefern  uns  die  Milben  oder  Acarinen  den  Schlüssel.  Die- 
selben (Fig.  354)  haben  durch  Verschmelzung  von  Abdomen  und  Cephalo- 
thorax  die  letzte  Andeutung  von  Gliederung  verloren.  Gleichwohl  ist 
ihre  nahe  Verwandtschaft  mit  den  Spinnen  unzweifelhaft;  vor  Allem 
wird  sie  bewiesen  durch  die  Anwesenheit  von  sechs  Extremitätenpaaren, 
vier  Paar  Beinen,  durch  welche  sich  parasitische  Milben  sofort  von 
parasitischen  sechsbeinigen  Insecten  unterscheiden ,  und  zwei  Paar 
Mundgliedmaassen,  welche  gemeinsam  einen  allen  Milben  zukommenden, 
zum  Saugen  von  Thier-  und  Prlanzensäften  dienenden  Stechrüssel  bilden. 
Die  Scheide  des  Stechrüssels  besteht  aus  den  basalen  Gliedern  der 
Kiefertaster,  welche  sich  rinnenartig  einbiegen  und  zu  einer  Röhre 
zusammenlegen,  während  die  übrigen  Glieder  den  frei  hervorstehenden 
Palpus  darstellen ;  in  der  Röhre  sind  die  Kieferfühler  als  feine,  oft  mit 
Widerhaken  versehene  Stilets  eingeschlossen. 

Da  die  Milben  sehr  klein  sind  und  vielfach  auch  eine  halb  parasitische 
oder  ganz  parasitische  Lebensweise  führen,  ist  ihr  innerer  Bau  vereinfacht; 
häufig  fehlen  Herz  und  Athmungsorgane  (Tracheen)  gänzlich  ;  am  Darm  finden 
sieh  zwar  Magenblindsäcke  und  MalpighTsche  Gefässe,  dagegen  keine  Leber. 
—  Aus  der  Entwicklungsgeschichte  der  Milben  verdient  besondere  Beach- 
tung, dass  den  aus  dem  Ei  schlüpfenden  jungen  Thieren  das  letzte  Bein- 
paar noch  fehlt:  sie  ähneln  dadurch  gewissen  parasitischen  Insecten,  deren 
Körper  ebenfalls  undeutlich  gegliedert  ist,  wie  den  Läusen;  man  muss 
sich  daher  hüten,  Milbenlarven  mit  Insecteu  zu  verwechseln. 

Im  ausgebildeten  Zustand  freilebend  sind  die  meist  lebhaft  roth  ge- 
färbten Laufmilben,  Trombididen  (Trombidium  holoscriceum  L.)  und  die 
Wassermilben,  Hydrachniden  (Hydrachna  crucnta  Müll.).  Die  dreibeinigen 
Larven  dieser  Thiere  aber  sind  Schmarotzer;  die  Larven  der  Trombididen, 
als  Jjcpfus  autumnalis  bekannt,  befallen  auch  den  Menschen  und  erzeugen 
namentlich  bei  Erntearbeitern  heftig  juckende  Ausschläge.  —  Halb  para- 
sitisch sind  die  Ixodiden.  Zecken;  sie  leben  gewöhnlich  versteckt,  Ixodes 
ricinus  L.  in  Wäldern,  Argas  persicus  Fisch.,  ähnlich  den  Bettwanzen,  in 
Wohnungen.  Wenn  ihnen  Gelegenheit  geboten  wird,  saugen  sich  die 
Weibchen  in  der  Haut  des  Menschen  und  anderer  Säugethiere  fest  und 
schwellen  durch  Blutaufnahme  zu  Bohnengrösse  an,  um  dann  abzufallen. 


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V.  Arachnoideen :  Acarinen,  Linguatuliden. 


441 


Die  viel  kleineren  Männchen  sitzen  am  Weibchen  fest  und  nehmen  keine 
Nahrung  auf.  Argas  persicus  soll  giftig  sein  (in  Persicn  und  Aegypten). 
Nahe  verwandt  ist  der  in  Tau- 
benschlägen wohnende  Argas 
reflerns  Latr.,  der  auch  öfters 
den  Menschen  befällt.  —  Dau- 
ernde Parasiten  sind  folgende 
Familien :  Die  Gammasidm 
leben  ähnlich  den  Läusen,  der 
Qammasus  coleoptratorum  L. 
auf  Käfern,  der  Dermanyssus 
avium  Dug.  auf  Singvögeln.  — 
Die  Sarcoptidcn,  die  fast  mikro- 
skopisch kleinen  Krätzmilben 
graben  Gänge  in  die  Epider- 
mis von  Säugethieren  und 
Vögeln :  Sarcoptes  scabiei  Latr., 
0,3 — 0,5  mm  gross,  Ursache 
der  Krätze  des  Menschen  (Fig. 
456) ;  nahe  verwandt  die  Käse- 
milbe Tyroglyj>hus  siro  Latr.  — 
In  degenerirten  Talgdrüsen  („Mitessern")  schmarotzen  die  auffallend  lang 
gestreckten  Balgmilben  oder  Demodicidm:  Dcrnodcx  folliculorum  Henle  des 
Menschen  (Fig.  457). 


Für.  -i 56.  Sa rcoptes  grab M I 
Weibchen  (nach  Leuckart). 


Fig.  457.  Dcmo- 
dex  folliculorum 
(nach  Leonis -Lad- 
wig\ 


VIII.  Ordnung.    Linguatuliden,  Zungenwürmer. 

Lang  gestreckte  Acarinen  wie  der  Demodex  folliculorum  leiten  uns 
über  zu  den  Linyuatuhdtn  oder  Zungen wQrmern,  Parasiten,  welche  in 
unserer  Gegend  als  geschlcchtsreife  Thiere  die  Stirnhöhle  von  Carni- 
voren,  namentlich  von  Fuchs,  Hund  und  Wolf  bewohnen,  als  einge- 
kapselte Jugendformen  dagegen  in  der  Leber  und  Lunge  des  Hasen, 
Kaninchens,  seltener  des  Menschen  angetroffen  werden.  Aus  den 
Tropen  kennen  wir  die  geschlechtsreifen  Linguatuliden  auch  als  Para- 
siten von  Löwe,  Tiger,  Schlangen  etc.  Wie  ihr  deutscher  Name  er- 
kennen lässt,  hat  man  die  mehrere  cm  langen  Thiere  früher  für  Würmer 
gehalten  und  in  die  Nähe  der  Bandwürmer  gestellt,  weil  einige  abge- 
plattet sind  und  eine  an  die  Proglottiden  echter  Bandwürmer  erinnernde 
Ringelung  zeigen.  (Fig.  108  S.  138),  Erst  die  genauere  Anatomie  und 
Entwicklungsgeschichte  haben  die  Verwandtschaft  mit  den  Arachnoideen 
aufgehellt. 

Am  vorderen  Ende  der  geschlechtsreifen  Linguatuliden  findet  man 
die  Mundöffnung  am  Grunde  einer  Chitinkapsel,  welche  man  früher  dem 
Saugrüssel  der  Milben  verglichen  hat  ;  zu  Seiten  derselben  stehen  zwei 
Haken  jederseits  auf  einem  complicirten  Chitingerüst  ;  man  deutet  sie 
als  die  Klauen  des  ersten  und  zweiten  Spinnenbeins.  Im  Innern  des 
Körpers  ist  eine  geräumige  Leibeshöhle,  welche  einen  gerade  gestreck- 
ten Darm  ohne  Anhänge  beherbergt.  Um  den  Anfangsdarm  bildet  das 
Nervensystem  einen  ventral  zum  Bauchmark  verdickten  Ring,  während 
das  Hirn  bei  dem  gänzlichen  Mangel  von  Sinnesorganen  so  rudimentär 
ist,  dass  es  nicht  einmal  als  eine  Anschwellung  im  Schlundring  ange- 
deutet ist.  Sehr  complicirt  ist  der  Geschlechtsapparat,  dessen  unpaarer 
Ausführgang  beim  Männchen  weit  vorn  mündet,  während  er  beim  Weib- 


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442 


Gliederfüssler. 


chen  umbiegt  und  in  vielen  mit  Eiern  prall  gefüllten,  durch  die  Körper- 
wand durchschimmernden  Windungen  zur  Genitalöffnung  am  hinteren 
Körperende  verläuft. 

Die  an  Linguatulidcn  erkrankten  Hunde  und  Wölfe  leiden  an  einem 
heftigen  Katarrh  der  Nasenhöhle  und  entleeren  mit  dem  Schleim  auch  in 

Menge  die  emhryonen haltigen  Eier.  Werden  von 
Kaninchen,  Hasen  oder  auch  von  Menschen 
Pflanzen ,  die  mit  dem  iufectiösen  Schleim  be- 
sudelt sind,  verzehrt  (Gras,  Salat  etc.),  so  schlüpfen 
die  Larven  aus,  um  in  Lunge  und  Leber  einzu- 
wandern und  sich  einzukapseln ,  bis  sie  durch 
Verfüttern  wieder  in  den  Körper  eines  Hundes 
zurückgelangen.  Die  Larven  (Fig.  458)  besitzen 
am  vorderen  Ende  einen  Bohrapparat  [st  u.  y 
und  ausserdem  2  Beinpaare  (1  u.  2),  welche 
wahrscheinlich  den  hinteren  Beinpaaren  der 
Spinnen  entsprechen,  während  der  Metamorphose 
wieder  verloren  gehen  und  durch  die  zwei  Haken 
Fig.  4*>n.  Larve  von  Pen-  des  ausgebildeten  Thieres  ersetzt  worden. 
tastomum  probt»»:  ideum.    st  Aus  der  Familie  der  Linguatuliden  interessirt 

haken  J  imdtTrBei?rTO«  uns  am  meisten  das  Pmtmtomum  tarnhides  Rud., 
Mund,  d  Dann*  r  Drüsen-  welches  «eschlechtsreif  die  Sinus  frontales  von 
zellen  (naeh  Stiles).  Hundearten,  als  Larve    Leber  und  Lunge  von 

Nagethiereu  und  Menschen  bewohnt.  Weitere 
Arten  sind  Pcnl.  constricium  v.  Sieb,  in  der  Leber  von  Negern,  Pcnin- 
stomum  m<miUforme  Dies,  in  der  Lunge  von  Schlangen. 

IX.  Ordnung.    Tardigraden,  Bärthierchen. 

Im  Süsswasser  und  in  feuchter  Erde 
oder  Moos  findet  man  zwischen  Protozoen 
und  Rotatorien  kleine,  sackförmige  Thiere, 
welche  wegen  ihrer  langsamen,  täppischen 
Bewegungen  Tardigraden  oder  Bärthier- 
chen genannt  werden.  Bei  ihren  Wande- 
rungen strecken  sie  (Fig.  459  I— -IV)  vier 
Paar  mit  Krallen  bewaffnete  Extremitäten- 
stummel  aus.  Diese  acht  Beine  sind  das 
Einzige,  was  die  Thiere  unzweifelhaft  mit 
den  Spinnen  gemein  haben;  sonst  unter- 
scheiden sie  sich  durch  die  Einmündung 
des  Geschlechtsapparats  in  den  Darm,  durch 
das  aus  vier  Ganglienpaaren  bestehende 
Bauchmark  und  durch  den  Mangel  von 
Herz  und  Tracheen.  Am  vorderen  Ende 
des  Darms  liegt  eine  Chitinkapsel  und  in 
derselben  zwei  Stilets ;  man  kann  darin 
Fig.  4;,o.  Manohiotus  Huf,-  vielleicht  den  ins  Innere  zurückgezogenen 
fortdi  (nach  ZeichmuMOT  von  Säugrüssel  der  Acarmcn  erblicken. 
Greeff  und  Plate).  /— /1'4  Bein-  In  weiteren  Kreisen  sind  die  Tardi- 
paare,  Mundkapsel^  st  Stileta,  graden  durch  Zweierlei  bekannt  geworden. 
ifÄÄÄ  Ö»  Durchsichtigkeit  eine  genaue  Verfol- 
Anhanp^lrüse.  n»  VasaMalnighi,  gung  der  «  erven  bis  an  die  quergestreiften  Mus- 
in der  Leibeshöhle  Blutzellen.     kelfaden  leicht  gestattet,  entdeckte  Doyere 


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V.  Arachnoideen :  Tardigraden. 


443 


an  den  günstigen  Beobachtungsobjecten  die  Endigungsweise  der  Nerven 
am  Muskel,  den  Doyere'schen  Nervenhügel.  Die  zweite  Eigenthümlichkeit 
theilen  die  Tardigraden  mit  manchen  anderen  Wasserbewohnern.  Wenn 
das  Wasser  austrocknet,  bleiben  die  Thiere,  geschützt  von  ihrer  festen,  das 
Eintrocknen  verhindernden  Chitinhaut  am  Leben;  sie  stellen  ihre  Lebens- 
functionen  ein  und  erwachen  erst  wieder,  wenn  Wasser  aufgegossen  wird. 
Da  die  Thiere  durch  Eintrocknen  lange  am  Leben  erhalten  werden  können, 
heisst  eine  Art  Macrobiotus  Hufclandi  Sieg.  Schultze,  zu  Ehren  des  be- 
rühmten Arztes  Hufeland,  der  eine  Macrobiotik,  eine  Anweisung  zur 
Verlängerung  des  Lebens,  geschrieben  hat. 


Anhang. 

Pycnogoniden,  Pantopoden. 

Wie  die  Tardigraden  unter  den  Süsswasserthiercn,  so  nehmen  in  der 
Meeresfauna  die  Pycnogoniden  eine  merkwürdige  Stellung  ein.  Die  Thiere, 
im  Mittel  etwa  so  gross  wie  eine  Schneiderspinne,  haben  einen  rundlichen 
Körper,  der  vorn  in  einen  rüsselförmigen  Fortsatz,  hinten  in  einen  abdomen- 
artigen Anhang  ausgeht  und  4  Paar  sehr  lange  Beine  trägt.  Vor  den 
4  Beinpaaren  findet  sich  constant  eine  Art  Scheerenfiihler;  vielfach  können 
aber  noch  2  weitere  Extremitäten  folgen,  was  dann  die  für  Arachnoideen 
nicht  passende  Gesanimtzahl  7  ergeben  würde.  Dagegen  würde  gut  passen, 
dass  vom  Darm  Blindsäcke  ausgehen ,  welche  weit  in  die  Extremitäten 
hineindringen.  Respirationsorgane  fehlen,  ein  Herz  ist  vorhanden.  Bei 
der  systematischen  Beurtheilung  stehen  sich  2  Anschauungen  gegenüber; 
die  eine  verweist  die  Pycnogoniden  zu  den  Crustaceen,  die  andere  zu  den 
Arachnoideen.    Pycnogonam  littorale  Müll. 


Zusammenfassung  der  Resultate  über  Arthropoden. 


1)  Die  Arthropoden  sind  Thiere  mit  deutlicher  innerer  und 
äusserer  Gliederung. 

2)  Die  innere  Gliederung  spricht  sich  aus  im  Bau  des  Nerven- 
systems (Stricklciternervensystem)  und  des  Herzens  und  in  der  An- 
Ordnung  der  Segmentalorgane  und  der  Tracheen,  sofern  solche  vor- 
handen sind. 

3)  Die  äussere  Gliederung  spricht  sich  aus  in  der  vermöge 
der  Chitinpanzerung  besonders  deutlichen  Ringelung  des  Körpers  und 
in  der  metameren  Anordnung  der  Extremitäten. 

4)  Von  den  ebenfalls  gegliederten  Anneliden  unterscheiden  sich  die 
Arthropoden  durch  den  Besitz  der  gegliederten  Extremitäten, 
von  denen  höchstens  ein  Paar  auf  ein  Segment  kommt;  nach  ihrer 
Function  werden  die  Extremitäten  als  Antennen,  Kiefer,  Kieferfüsse, 
Füsse  und  Afterfüsse  unterschieden. 

5)  Ein  weiterer  Unterschied  ist  die  nur  bei  den  Myriapoden  un- 
vollkommen ausgebildete  Heteronomie  des  Körpers,  die  Sonderung 
in  Kopf,  Brust  und  Hinterleib. 


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444  Zusammenfassung. 

6)  Der  Kopf  (Cephalon)  trägt  die  tastenden  und  kauenden,  die 
Brust  (Thorax)  die  loeomotorischen  Extremitäten,  der  Hinterleib 
(Abdomen)  die  Pedes  spurii  oder  er  ist  extremitätenlos. 

7)  Durch  Verschmelzung  von  Kopf  und  Brust  entsteht  der  Ce- 
phalothorax.  durch  Abgliederung  der  Endsegmente  des  Hinterleibes 
das  Postabdo  inen. 

8)  Die  Augen  der  Arthropoden  sind  entweder  Stemm  ata  oder 
Facettenaugen. 

IM  Die  Geschlechtsorgane  sind  nur  ausnahmsweise  herma- 
phrodit;  die  Fortpflanzung  erfolgt  nur  durch  Eier,  die  sich  häufig 
parthenogenetisch,  seltener  pädogenetisch  entwickeln;  die  Furchung  der 
Eier  ist  gewöhnlich  eine  snpertieielle. 

10)  Nach  der  Athmung  theilt  man  die  Arthropoden  in  die  wasser- 
athmenden  C  r ust  ace e  n  und  die  luftathmenden  T  r  a  c  h  c  a  t  e  n. 

11)  Die  Ci'ostacecn  haben  ausser  der  Kiemenathmung  noch  folgende 
Merkmale : 

1»  ihre  Extremitäten  sind  Spaltfüsse  oder  Moditicationen  von 
Spaltfüssen ; 

2)  sie  haben  zwei  Paar  Antennen; 

3)  ihr  Chitinskelet  ist  verkalkt. 

12)  Man  theilt  die  Crustaceen  in  niedere,  Entomost  raken, 
und  höhere,  Mala  kost  raken. 

13)  Die  Entomostraken  haben  variable  Segmentzahlen,  als  Ex- 
eretionsorgan  die  Schalendrüse,  als  Larve  den  Nauplius. 

14)  Die  .Walakostraken  haben  20  Segmente  (davon  7  abdominale); 
die  männliche  (ieschlechtsmündung  liegt  am  13.,  die  weibliche  am  11. 
Körpersegment :  als  Excretionsorgan  fungirt  die  Anteunendrüse,  als 
Larve  äusserst  selten  der  Nauplius.  meist  die  Zoea. 

lf>)  Die  wichtigsten  Ordnungen  der  Entomostraken  sind  die  spalt- 
füssigen  Copcpoden,  die  kiemcnfüssigcn  Branchiopoden,  die  muschel- 
schaligen Ostracodcn,  die  festsitzenden,  meist  hermaphroditen  Ctrri- 
pedien. 

Iii)  Gruppen  von  zweifelhafter  Stellung  sind  die  Xiphosuren  und 
die  fossilen  Trilobiten  und  Criyantostrakcn. 

17)  Die  Malakostraken  zerfallen  in  Edriophthalmen  seu  Ar- 
throst raken  und  die  P o d  o p h  t  h a  1  m  e n  seu  Thor  aco  str  aken. 

18)  Die  Edriophthalmen  {hopodcn  und  Amphipoden)  haben  sitzende 
Facettenaugen  und  heissen  Arthrostraken,  weil  sieben  freie  Thorax- 
segmente vorhanden  sind. 

11»)  Die  Podophthalmen  ißtomatopoden,  Schizopoden,  Decapoden) 
haben  gestielte  Augen  und  heissen  Thoracostrakcn,  weil  ein  Theil 
oder  sümmtliche  Thoraxsegmente  mit  dem  Kopf  zum  Cephalothorax 
verschmolzen  sind. 

20)  Die  Tracheatcn  athmen  durch  Tracheen  (Luftröhren,  die  auf 
der  Kör  per  ober  fläche  mit  Stigmen  münden),  haben  ein  Paar  An- 
tennen und  einreihige  Extremitäten. 

21 )  Sie  zerfallen  in  P  rotracheat  e  n  ,  M  v  r  i  a  p  o  d  e  n ,  Insectcn 
und  Ar a  c  h  n  o  i d  ee n. 

22)  Die  Protraeheaten  (Peripatus)  sind  Mittelformen  zwischen 
Anneliden  und  Tausendfüssen,  indem  sie  undeutlich  gegliederte,  para- 
podienartige  Extremitäten  haben  und  gleichzeitig  mit  den  Segmental- 
organen der  Anneliden  und  mit  den  Tracheen  der  Insecten  ausge- 
rüstet sind. 


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Zusammenfassung.  44f) 

23)  Die  Myriapoden  haben  zahlreiche  mit  Beinen  versehene  Seg- 
mente (Tausendfüsse),  davor  einen  Kopfabschnitt,  an  dem  ein  Paar 
Antennen  und  zwei  Paar  Kiefer  sitzen. 

24)  Von  den  beiden  hierher  gehörigen  wichtigsten  Gruppen  sind 
die  Diplopoden  durch  Doppelsegmente,  Kürze  der  Beine  und  Antennen 
und  nach  vorn  gelagerte  Gesehlechtsmündung  ausgezeichnet. 

25)  Die  Chilopoden  haben  einfache  Segmente,  lange  Beine  und  An- 
tennen, rückwärts  mündende  Geschlechtsorgane;  dem  Kopf  dicht  ange- 
schlossen liegen  zwei  Paar  Raubfüsse  (davon  das  zweite  giftig). 

26)  Die  Jnsecten  haben  3  Hauptabschnitte  des  Körpers:  Kopf, 
Thorax,  Abdomen. 

27)  Das  Abdomen  hat  eine  wechselnde  Zahl  meist  gut  getrennter 
Segmente,  an  denen  keine  Extremitäten  sitzen. 

28)  Der  Thorax  besteht  aus  drei  meist  gut  getrennten  Ringen 
(Pro-,  Meso-,  Metathorax)  und  hat  daher  drei  Beinpaare  (Hexa- 
poden),  meist  ausserdem  2  Flügelpaare,  ein  vorderes  am  Mesothorax, 
ein  hinteres  am  Metathorax. 

21»  Der  Kopf  besteht  aus  vier  verschmolzenen  Segmenten,  an 
denen  vier  Extremitätenpaare  sitzen;  Antennen,  Mandibeln, 
erste  Maxillen,  zweite  zur  Unterlippe  (Labium)  verschmolzene 
Maxi  1  len. 

3n)  Der  Unterlippe  gegenüber  liegt  die  nicht  als  Extremität  zu 
deutende  Oberlippe  (Labium). 

31)  Die  Mundgliedmaassen  haben  je  nach  der  Ernährung  ver- 
schiedenen Bau  und  sind  entweder  kauende,  leckende,  saugende  oder 
stechende  Mundgliedmaassen. 

32)  Am  Kopf  finden  sich  2  grosse  Facetten  au  gen,  zu  denen 
noch  einige  Stemmata  kommen  können. 

33)  Da  die  Insecten  durch  reichlich  verästelte  Tracheen  athmen, 
ist  das  Blutgefässs)stem  bis  auf  das  dorsale,  gekammerte  Herz  rück- 
gebildet. 

34)  Flügellose  Insecten  haben  meist  eine  directe,  unter  periodischen 
Häutungen  verlaufende  Entwicklung  (a  m  e  t  a  b  o  1  e  I  n  s  e  c  t  e  n). 

35)  Geflügelte  Insecten  und  manche  flügellose  Formen  haben 
eine  Metamorphose,  bei  welcher  sich  die  Larven  von  der  Imago 
in  mehr  oder  minder  autfallender  Weise  unterscheiden  (metabole 
Insecten);  niemals  sind  die  Larven  geflügelt. 

36)  Eine  unvollständige  Metamorphose  (M.  incompleta, 
hemimetabole  Entwicklung)  tritt  ein,  wenn  die  Larven  mit  jeder  Häu- 
tung der  Imago  ähnlicher  werden,  indem  sie  frühzeitig  Flügelanlagen 
erhalten,  welche  mit  jeder  Häutung  grösser  werden. 

37)  Bei  der  vollständigen  Metamorphose  (M.  completa, 
holometabolen  Entwicklung)  wird  die  Umbildung  in  das  letzte  Häutungs- 
stadium  verlegt,  welches  ein  Ruhe-  oder  Puppenstadium  ist. 

38)  Die  Systematik  der  Insecten  gründet  sich  auf  die  Beschaffen- 
heit der  Mundgliedmaassen  und  der  Flügel,  ferner  auf  die  Art  der 
Körpergliederung  und  der  Entwicklung. 

39)  Die  Apierygoten  sind  flügellose  Insecten  mit  kauenden  Mund- 
gliedmaassen ohne  Metamorphose. 

40)  Die  Archiptercn  haben  kauende  Mundgliedmaassen  mit  unvoll- 
kommen verwachsener  Unterlippe,  netzförmige  Flügel,  eine  unvoll- 
kommene Metamorphose. 


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44G 


Zusammenfassung. 


41)  Die  Orthopteren  stimmen  mit  den  Archipteren  im  Bau  der 
Mundgliedmaassen  und  der  Art  der  Entwicklung  überein,  haben  aber 
lederartige  Flügel. 

42)  Die  Neuropteren  haben  wie  die  Archipteren  Netzflügel,  sind 
aber  holometabol;  die  Mundgliedmaassen  verlieren  vielfach  den  Cha- 
rakter kauender  Organe. 

43)  Die  Coleopteren  sind  kauende  Insecten  und  haben  die  vorderen 
Flügeldecken  zu  Elytren  umgewandelt;  von  den  ihnen  häufig  ähnlichen 
Orthopteren  sind  sie  durch  die  völlige  Verschmelzung  der  Unterlippe 
und  die  vollkommene  Verwandlung  unterschieden. 

44)  Stechende  Mundgliedmaassen  haben  Khynchoten,  Dipteren  uud 
Aphampteren.  Sie  unterscheiden  sich  aber  von  einander  durch  die 
Entwicklung,  indem  die  zum  Theil  geflügelten,  zum  Theil  flügellosen 
llhynehoten  hemimetabol  oder  ametabol,  die  Dipteren  und  Aphampteren 
holometabol  sind.  Von  letzteren  beiden  Ordnungen  sind  die  Apham- 
pteren flügellos,  die  Dipteren  haben  nur  Vorderflügel,  während  die 
Hinterflügel  zu  Halteren  umgewandelt  sind. 

45)  Parasitische  Rhvnchoten  sind  Acanthia  lectularia  und  die 
Pediculiden  (Läuse),  parasitische  Dipteren  die  Larven  der  Oestriden 
und  anderer  Fliegen;  die  Aphanipteren  (Puliciden  oder  Flohe)  sind 
ausschliesslich  parasitisch. 

40)  Die  Hymenopteren  haben  theils  kauende,  theils  leckende  Mund- 
gliedmaassen;  stets  besitzen  sie  häutige,  mit  spärlichem  Geäder  ver- 
sehene Flügel;  ihre  Entwicklung  ist  holometabol. 

47)  Die  weiblichen  Thiere  haben  einen  Abdominalanhang,  der  bei 
den  Terebrantien  und  Entophagen  als  Legeröhre,  bei  den  Aculeaten 
(Bienen  und  Wespen)  als  Giftstachel  benutzt  wird. 

48)  Die  Lepidopteren  haben  beschuppte  Vorder-  und  Hinter- 
flügel, rudimentäre  Ober-  und  Unterlippe,  rudimentäre  Mandibeln  und 
zu  einem  Rüssel  umgewandelte  Maxillen;  ihre  Entwicklung  ist  holo- 
metabol. 

49;  Der  Körper  der  Arachnoldcen  besteht  aus  Cephalothorax  und 
Abdomen. 

50)  Der  Cephalothorax  trägt  sechs  Extrem i täten ,  von  rück- 
wärts nach  vorn  gezählt:  vier  Beinpaare,  ein  Paar  Kiefer- 
taster, ein  Paar  Kieferfühler  (Antennen?);  er  hat  ferner 
mehrere  Paar  hoch  entwickelter  Eiuzelaugen. 

51)  Am  Abdomen  —  selten  am  Cephalothorax  —  liegen  ein  bis 
vier  Paar  Stigmen,  welche  entweder  in  verästelte  Tracheen  oder 
in  Tracheen lun gen,  oder  zum  Theil  in  Tracheen,  zum  Theil  in 
Lungen  führen. 

52)  Das  Abdomen  ist  deutlich  gegliedert  bei  den  Gliederspinnen 
oder  Arthrogastres,  einheitlich  bei  den  Rundspinnen  oder  Sphae- 
rogastres. 

53)  Unter  den  Artlirogastres  sind  zwei  Gruppen  dadurch  ausge- 
zeichnet, dass  das  erste  Paar  Spinnenbeine  noch  nicht  zur  Fortbe- 
wegung, sondern  zum  Tasten  benutzt  wird:  Solpugen  (mit  drei  freien 
Thoraxsegmenten),  Pedipalpen  (mit  Cephalothorax). 

54)  Durch  grosse  Schecren  an  den  Tastern  und  ein  mit  einem 
Giftstachel  versehenes  Postabdomen  sind  die  Scorpione  charakterisirt, 
durch  Scheeren  ohne  Postabdomen  die  Pseudoscorpione,  durch  spinnen- 
artigen Habitus  die  Phalangioideen. 

55)  Unter  den  Sphaerogastres  sind  die  Weberspinnen  oder  Araneen 


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Wirbelthiere. 


447 


die  wichtigsten ;  sie  besitzen  am  hinteren  Ende  des  Abdomens  vier  bis 
sechs  Spinnwarzen,  welche  zahlreiche  mit  Drüsen  versehene  Spinn- 
röhrchen  tragen. 

56)  Nach  der  Zahl  der  Spinnwarzen  und  der  Lungen  unterscheidet 
man  Tetrapneumones  (zwei  Paar  Lungen,  zwei  Paar  Spinnwarzen),  Di- 
pneumones  (ein  Paar  Lungen,  ein  Paar  Tracheenbüschel,  drei  Paar 
Spinnwarzen). 

57)  Sphaerogastres  mit  verschmolzenem  Cephalothorax  und  Ab- 
domen und  mit  zu  einem  Rüssel  umgewandelten  Mundgliedmaassen 
sind  die  Acarinen  oder  Milben. 

58)  Menschliche  Parasiten  unter  den  Milben  sind  Ixodes  rici- 
nus, Argas  persicus,  Sarcoptes  scabiei,  Demodex  folli- 
culorum,  ferner  die  Larven  von  Trombidien  (Leptus  autumnalis). 

59)  Vollkommen  parasitische  Sphaerogastres  sind  die  bandwurm- 
artigen, extremitätenlosen  Linguatuliden,  deren  Jugendformen  ab  und 
zu  eingekapselt  in  Lunge  und  Leber  des  Menschen  leben. 

60)  In  der  Zahl  der  Beine  stimmen  mit  den  Arachnoideen  überein 
die  sonst  sehr  abweichend  gebauten  Tardiyraden  und  Pycnogoniden. 


VII.  Stamm. 

Vertebraten  oder  Wirbelthiere. 


Die  Wirbelthiere  gehören  wie  die  Arthropoden  und  Anneliden  zu 
den  gegliederten  Thieren,  unterscheiden  sich  aber  von  ihnen  durch 
den  gänzlichen  Mangel  der  äusseren  Gliederung,  der  Ringelung  der 
Körperoberfläche.  Nur  die  segmentale  Anordnung  d  erinneren 
Organe:  der  Muskeln  (Myotome,  Myomcre,  Myocommata,  Muskel- 
segmente, beim  Embryo  Urwirbel),  der  Nerven  (Neurotome),  des 
Skelets  (Sklerotome)  und  der  Blutgefässe  lässt  die  Metamerie  des 
Körpers  erkennen ,  am  deutlichsten  bei  den  niederen  Formen ,  den 
Fischen,  weniger  deutlich  und  für  die  meisten  Organe  nur  in  der 
Embryonalanlage  nachweisbar  bei  Vögeln  und  Säugethieren.  Zum  Theil 
hat  der  Mangel  der  äusseren  Gliederung  seinen  Grund  in  der  ausge- 
sprochenen Hcteronomie  des  Wirbelthierkörpcrs  und  in  der  hiermit 
zusammenhängenden,  die  Grenzcontouren  verwischenden  Vereinigung 
der  Segmente  zu  Segmentcomplexen  oder  Körperregionen,  deren  man 
mindestens  3  (Kopf,  Rumpf  und  Schwanz),  meist  sogar  6  (Kopf, 
Hals,  Brust,  Lenden-  oder  Bauch -Region,  Becken-  oder 
Sacral-Region  und  Schwanz)  unterscheidet.  Noch  wichtiger 
jedoch  ist  für  die  äussere  Erscheinung  die  Beschaffenheit  des  Skelets. 
Das  Cuticularskelet,  welches  bei  den  Arthropoden  Veranlassung  für  die 
deutliche  Ringelung  ist,  fehlt  den  Wirbelthieren  gänzlich;  die  Haut 
bleibt  weich  oder  ist  nur  in  untergeordnetem  Maasse,  mehr  zum 
Schützen  als  zum  Stützen,  an  der  Skelctbildung  betheiligt  (Hautskelet 
der  Fische,  Crocodile,  Schildkröten  etc.).  Dafür  bildet  sich  in  der 
Axe  des  Körpers  festes  Gewebe  aus,  welches  uns  bei  den 
allerniedersten  Wirbelthieren   und  auf  frühen  Embryonalstadien  als 


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44* 


Wirbelthiere. 


Rückensaite  oder  Chorda  dorsalis  entgegentritt,  sonst  aber  sich 
zu  der  Wirbelsäule  und  dem  Schädel  höher  entwickelt.  Es  war 
ein  Zeichen   grossen   systematischen  und  vergleichend  anatomischen 
Scharfblicks,  als  La  mar  ck  den  Namen  „Wirbelthiere"  einführte.  Noch 
heute  wird  mit  Recht  die  durch  Cuvier's  Typentheorie  zur  allge- 
meinen Geltung  gelangte  Bezeichnung  beibehalteil,  wenn  wir  auch  mit 
Rücksicht  auf  die  wenigen  Formen,  welche  an  Stelle  der  Wirbelsäule 
nur  die  Chorda  dorsalis  besitzen,  gezwungen  sind,  die  Definition  weiter 
zu  fassen  als  Lamarck,  und  anstatt  von  Thieren  mit  Wirbelsäule 
von  Thieren  mit  Axenskelet  zu  sprechen, 
integemen».       Wenn  wir  den  Amphioxus  ausnehmen,  welcher  noch  von  einem 
einschichtigen  Cylinderepithel  bedeckt  ist,  unterscheidet  sich  die  Haut 
der  Wirbelthiere  (Fig.  2h  a  u.b)  von  dem  Iutegument  aller  wirbellosen 
Thiere  durch  2  Merkmale:  1)  die  Vielschichtigkeit  der  Epidermis  (Ep), 
2)  die  bedeutende  Dicke  der  Lederhaut  (Co).    Erstere  ist  nur  bei 
einem  Theil  der  Wirbelthiere  noch  von  einer  zarten  Cuticula  nach 
aussen  begrenzt  :  meist  ist  eine  solche  Abgrenzung  überflüssig,  indem 
—  besonders  bei  Landbewohnern       die  oberflächlichen  Zellenlagen 
der  Verhornung  unterliegen  und  dadurch  auch  ohne  Cuticula  die  ge- 
nügende Widerstandsfähigkeit  erhalten.    Man  unterscheidet  dann  am 
Epithel  zwei  Schichten,  das  tiefere  Stratum  Malpighi  (s  M)  und  das 
oberflächliche  Stratum  corneum  (sc)  (vergl.  S.  (51).  —  Der  zweite 
Bestandteil  des  Integuments,  die  Led erbaut,  gehört  ihrer  Ent- 
stehung nach  dem  Mesoderm  an.    Sie  besteht  aus  vielen,  oft  sehr 
regelmässig  über  einander  geschichteten  Lagen  strafffaserigen  Binde- 
gewebes und  ist  meist  von  den  tiefer  gelegenen  Organen,  namentlich 
den  Muskeln,  durch  lockeres,  lymphgefässreiches  Gewebe,  das  subcutane 
Bindegewebe,  getrennt.   -    Beide  Hauptabschnitte  des  Integuments 
können  dem  Wirbelthierkörper,  abgesehen  von  der  ihnen  selbst  inne- 
wohnenden Festigkeit,  noch  besondere  S  c  h  u  t  z  a  p  p  a  r  a  t  e  liefern.  Die 
Hör uschi cht  der  Epidermis  erreicht  stellenweise  eine  besondere 
Mächtigkeit  und  bildet  so  das  Schildpatt  der  Schildkröten,  die  Horn- 
schuppen und  Schilder  der  Schlangen  und  Eideclisen,  die  Federn  der 
Vögel,  die  Haare  und  Hörner  der  Säugethierc.  Endlich  sind  Epider- 
moidalproducte  auch  die  Krallen,  Hufe  und  Nägel,  die  bei  Reptilien. 
Vögeln  und  Säugethieren  vorkommen.   Die  Lederhaut  kann  Sitz  von 
Verknöcherungen  werden,  welche  man  im  Gegensatz  zu  den  Verknöche- 
rungen der  Wirbelsäule  und  des  übrigen  Axenskelets  das  Hautskelet 
nennt. 

tuutskeiet.  Zum  Hautskelet  gehören  vor  Allem  die  Schuppen  der  Fische, 
welche  trotz  der  Gleichartigkeit  des  Namens  als  Knochcngebildc  etwas 
ganz  anderes  sind  als  die  oben  schon  erwähnten  Hornschuppen  der 
Schlangen  und  Eidechsen ;  sie  lassen  sich  sämmtlich  auf  eine  gemein- 
same Ausgangsfonn  zurückführen,  die  Placoid  sc  huppen  der 
Selnchier.  Letztere  sind  rhombische  Plättchen,  welche  in  ihrer  Mitte 
spitze  Höcker  tragen,  die  man  Hautzähne  nennt,  weil  sie  im  Bau  und 
in  der  Entwicklung  den  echten  Zähnen  der  Mundhöhle  sehr  ähnlich 
sind  (Fig.  4<U  >).  Wie  diese  bestehen  sie  aus  Elfenbein  (d)  und  einer 
Kappe  von  Schnielzsubstanz  (seh)  und  enthalten  im  Innern  eine  von 
blutgefässreichem  Gewebe  erfüllte  Pulpahöhle  (p).  Ilautzähnc  und 
echte  Zähne  sind  somit  dieselben  Gebilde,  welche  nur  in  Folge  ihrer 
verschiedenen  Lagerung  und  der  dadurch  bedingten  Verschiedeo- 
artigkeit  der  Function  eine  verschiedene  Entwicklung  genommen  haben. 


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Wirbelthiere. 


449 


Die  Schuppen  der  Fische  sind  noch  von  weiterem  anatomischem 
Interesse,  da  sich  auf  sie  ausser  den  Knochenplatten,  welche  den 

Schildkröten  ,  Crocodilcn  und  manchen 
Säugcthieren  (GürteUhicrcn)  einen  wider- 
standsfähigen Panzer  liefern,  noch  wich- 
tige Theile  des  Axenskelets,  die  secun- 
dären  oder  Belegknochen,  zurückführen 
lassen.  Unter  Bclcgknochen  versteht 
man  Knochenplatten,  welche,  durch  Ver- 
schmelzung von  Hautverknöcherungen 
entstanden,  in  tiefere  Schichten  verlagert 
werden  und  zur  Ergänzung  des  Axen- 
skelets beitragen.  Nach  dem,  was  oben 
über  das  Verhältniss  von  Hautzähnen 
und  echten  Zähnen  gesagt  wurde,  ist  es 
begreiflich,  dass  eine  weitere  Quelle  für 
die  Bildung  von  Belegknochen  die  eben- 
falls mit  Zähnen  ausgerüstete  Schleim- 
haut der  Mundhöhle  sein  muss. 


Bei  der  Betrachtung  des  Axenskelets  Ai«»keiet: 


Fie.  400.  Sapttalschliff  durch 
die  Schlimm  von  Sctjllium  stel- 
lare ( nach  einer  Zeiclinung  von 
Hofer),  a  Dentin,  seh  Schmelz, 
p  Pulpa,  b  Hasalplatte. 


beginnen  wir  mit  der  Chorda  dor- 
salis,  jenem  wichtigen  Zellenstrang, 
dem  wir  schon  bei  den  Tunicatcn  begeg- 
net sind,  der  ungeschmälert  beim  A>n- 
phioxus  und  den  Üyclostomen  fortbesteht, 
von  da  an  aber  allmählig  durch  die  in 
seinem  Unikreis  entstehende  Wirbelsüule  ver- 
drängt wird.  Der  Zellstrang  ist  entodermalcr 
Abkunft  (Fig.  0,  S.  31).  Anfanglich  ein  Längs- 
streifen im  Epithel  des  Urdarms  (I.  cä),  scheidet 
er  aus  der  Begrenzung  desselben  aus  und  kommt 
dabei  zwischen  Darm  [dh)  und  Nervensystem  (V) 
in  die  Längsaxe  des  Körpers  zu  liegen  (II.  III.); 
hier  bildet  er  einen  runden  Stab,  welcher  aus 
der  früher  schon  beschriebenen,  durch  den  bla- 
sigen Charakter  ihrer  Zellen  an  Pflanzengewebe 
erinnernden  Bindesubstanz  besteht  (Fig.  3<I,  S.  U8  . 
Auf  einem  Querschnitt  (Fig.  4«>1)  sieht  man  den 
Stab  von  3  Hüllen  umgeben,  zu  innerst  von  der 
meist  faserigen,  selten  knorpeligen  Chorda- 
scheide {  Ca),  dann  einer  elastischen  M  e  m- 
bran  (Ee),  die  Elastica  externa  heisst,  da  eine 
zweite  Elastica  innerhalb  der  Chordascheide  vor- 
kommen kann  ,  endlich  der  s  k  e  1  c  t  o  ge  n  e  n 
Schicht  (SS),  welche  auch  äussere  Chorda- 
scheide genannt  wird.  Letztere  ist  ein  dem 
Mesoderm  entstammendes  Bindegewebe,  setzt 
sich  daher  in  die  übrigen  bindegewebigen  Schei- 
den, wie  sie  die  Muskeln,  das  Nervensystem  eU*. 
umgeben,  fort  und  verdient  besondere  Beachtung, 
weil  in  ihr  der  Knorpel  und  der  Knochen  für 
Wirbelsüule  und  Schädel  entstehen. 
Da  die  Chorda  und  ihre  Hüllen  elastisch  und  nachgiebig  sind  und 

Hertwie,  l.ehrtmeli  der  Zoologie.    S.  Aufl«ge.  29 


CboriU  dor- 


Fie.  401.  Querschnitt 
durch  das  Axenskclet  von 
PtfrnniyxoH.  F  Fettge- 
webe. SS  ekelet«  >in«ne 
Schicht,  Oh,  l'b  obere 
und  untere  Fortsätze  der- 
selben .  M  Rückenmark, 
P  Umhüllung  det*ell>cn, 
C  Chonla,  d  Chorda- 
Scheide,  Ee  Elastica  ex- 
terna (aus  Wicdersheim). 


uiyinzeo 


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450 


Wirbelthiere. 


ohne  grossen  Widerstand  sich  unter  dem  Zug  der  Muskeln  biegen, 
sind  sie  v  o  1 1  k  o  m  m  e  n  ungegliedert  Die  Gliederung  des  Axen- 
skelets  beginnt  erst,  wenn  derbere  Gewebe  wie  Knorpel  und  Knochen 
auftreten.  Dann  kommt  es  zur  Sonderung  einzelner  in  der  Längs- 
axe  aufeinander  folgender  Stücke  und  damit  zur  allmähligen  Aus- 
bildung von  Wirbelsäule  und  Schädel.  Für  beide  Theile  des  Axen- 
skelets  kann  man  eine  zusammenhängende  Entwicklungsreihe  aufstellen, 
wenn  man  von  den  niederen  Classen  zu  den  höheren  aufsteigt  und 
zugleich  auch  die  (Mitogenetischen  Thatsachen  berücksichtigt. 
\Virbets.iulr.  Die  in  der  Wirbelthierreihe  zuerst  auftretenden  Stücke  der 
Wirbelsäule  sind  die  oberen  (Cyclostomen)  und  unteren  Bögen 
(Störe)  (Fig.  462),  feste  Spangen,  welche  symmetrisch  zur  Sagittal- 
ebene  der  Chorda  aufsitzen  und  in  der  skeletogenen  Schicht  jedes 
Segmentes  gewöhnlich  zu  1  Paar,  selten  zu  2  Paaren  (eigentliche 
Bögen  und  Schaltstücke,  Intercalarien)  vorhanden  sind.  Die  oberen 
Bögen  (die  arcus  vertebrae  der  menschlichen  Anatomie)  umgreifen 
das  dorsal  von  der  Chorda  gelegene  Rückenmark  und  bilden  für  das- 
selbe den  Rückgratscanal,  indem  sie  über  dem  Rückenmark  sich  zum 


Fig.  4<»J.  Ein  Stück  Wirbelsäule  des  Störs 
in  seitlicher  Ansicht  und  bei  Betrachtung 
auf  dem  Querschnitte,  sp  Processus  spinosi, 
ob  obere  Bögen,  n  Ncuralcanal ,  *■  Chorda- 
seheide,  e/i  Chorda,  ub  untere  Bögen,  /•  Kippen, 
i  dorsale  und  ventrale  Intcrcalaria,  f  Dureh- 
trittsstcllen  der  Nerven.  Knorpel  punktirt. 
Knochen  weiss. 


Fig.  li»3.  Sehwanzwirbel  eines 
Karpfen.  A  der  Länge  nach  in  na- 
gittaler  Richtung  durchschnitten, 
Ii  ein  ein/einer  Wirbel  in  halb 
seitlicher  Ansieht,  ob  obere  i Neural)- 
Bögen,  ub  untere  (Haemal)-  Bögen, 
n  Ncuralcanal,  h  Ilaernalcanal ,  r/t 
Hohlräume,  die  von  der  Chorda 
gefüllt  werden. 


oberen  Dornfortsatz  oder  Processus  spinosus  (häufig  einem  selbständig: 
sich  anlegenden  Stück  des  Axenskelets)  vereinen;  sie  werden  daher 
auch  Neu  rapophyse  n  genannt.  Ebenso  können  die  untcrcn'Bögen 
in  der  Schwanzgegend  den  die  Schwanzblutgefässe  bergenden  Caudal- 
canal  erzeugen  und  sich  ebenfalls  in  Processus  spinosi  (die  unteren 
Dornfortsätze)  verlängern  (Fig.  4iVM  In  der  Rumpfregion  verhalten 
sich  jedoch  die  unteren  Bögen  anders.  Da  hier  die  viel  geräumigere 
Leibeshöhle  mit  ihren  an  Umfang  sehr  wechselnden  Organen  (Darm. 
Geschlechtsapparat)  lagert,  erstrecken  sich  die  unteren  Bögen  weit 
nach  abwärts  und  zerfallen  in  zwei  Stücke,  ein  oberes  Tragestück,  die 
Apophyse,  und  ein  unteres  bewegliches  Stück,  die  Rippe.  Auch 
unterbleibt  die  Vereinigung  zu  den  unteren  Processus  spinosi;  die 


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Wirbelthiere.  451 

Rippen  enden  entweder  frei  (Fische),  oder  sie  hängen,  zum  Theil 
wenigstens,  ventral  durch  ein  besonderes  Verbindungsstück,  das  Brust- 
bein oder  Stern  um  (Amnioten)  zusammen 
(Fig.  464  St). 

Man  unterscheidet  nach  ihren  Lagebeziehun- 
gen zur  Rumpftnuskulatur  zweierlei  untere  Bögen 
und  demgemäss  auch  zweierlei  Fortsätze  (Apo- 
physen)  und  zweierlei  Rippen.  Wir  wollen  für 
die  verschiedenerlei  Bildungen  verschiedene 
Namen  einführen  und  in  dem  einen  Fall  von 
Haemalbögen,  Haemapophysen  und 
Haemalrippen  sprechen,  im  anderen  Fall  von 
Pleuralbögen,  Pleurapophysen  und 
Pleuralrippen.  Haemalbögen  etc.  finden 
sich  bei  den  Knochenfischen ;  sie  liegen  nach  ein- 
wärts von  den  lon^itudinalen  Rumpfmuskeln  und 
entspringen  selbständig  vom  Umkreis  der  Chorda. 
Die  Pleuralbögen  etc.  finden  sich  bei  den  Sc- 
lachiern,  Amphibien  und  allen  Amnioten;  sie  ent- 
springen von  den  oberen  Bögen  und  liegen  in  einer 
Bindegewebsschicht,  welche  als  eine  horizontale 
Scheidewand  zwischen  Haut  und  Axenskelet  aus- 
gespannt ist  und  die  Muskulatur  in  eine  dorsale 
und  ventrale  Masse  abtheilt.  In  der  Schwanzregion  vieler  Amphibien, 
Reptilien  und  mancher  Säugethiere  finden  sich  beiderlei  Bogensystemo  neben 
einander.  Die  Haemalbögen  erzeugen  hier  einen  Caudalcanal,  die 
Pleuralbögen  dringen  als  Querfortsätze  in  die  Rumpfmuskulatur  hinein. 

Indem  die  basalen  Enden  von  oberen  uud  unteren  Bögen  sich  um 
die  Chorda  herum  ausbreiten  und  mit  einander  verschmelzen,  entsteht 
ein  fester  Stützpunkt,  für  beide  in  dem  Wirbelkörper.  Derselbe 
vergrössert  sich  auf  Kosten  der  in  seinem  Innern  verlaufenden  Chorda 
dorsalis;  er  kann  dieselbe  bis  auf  äusserst  geringe  Spuren  vollkommen 
verdrängen,  wie  die  Wirbelsäule  der  Säugethiere  zeigt,  oder  die  Ver- 
drängung der  Chorda  ist  unvollkommen,  wie  bei  den  Fischen.  Die 
Fische  haben  amphicoele  Wirbelkörper  (Fig.  403),  d.  h.  Wirbelkörper, 
deren  vordere  und  hintere  Enden  nach  Art  von  Doppelbeehern  tief 
ausgehöhlt  sind.  In  den  Aushöhlungen  erhält  sich  selbst  beim  er- 
wachsenen Thier  die  Chorda  fort,  sie  kann  sogar  als  feiner  Verbin- 
dungsstrang die  Wirbelmitte  durchsetzen  und  so,  abwechselnd  sich 
verdünnend  und  verdickend,  die  Form  eines  Rosenkranzes  annehmen. 

Histologisch  besteht  die  Wirbelsäule  entweder  aus  Knorpel  oder 
aus  Knochen ;  das  gewöhnliche  Verhalten  ist,  dass  sich  zuerst  Knorpel 
bildet,  welcher  dann  von  Knochen  ersetzt  wird.  Unterbleibt  die  Ver- 
knöcherung, so  ist  die  Wirbelsäule  dauernd  knorpelig;  ist  die  Ver- 
knöcherung unvollständig,  so  findet  man  Knochen  und  Knorpel  neben 
einander.  Indem  sieh  diese  Unterschiede  der  histologischen  Structur 
mit  den  Unterschieden  combiniren,  wie  sie  sich  aus  der  verschiedenen 
Persistenz  der  Chorda  und  der  verschiedenen  Beschaffenheit  der  Wirbel- 
körper und  ihrer  Anhänge  ergeben,  resultirt  eine  ausserordentliche 
Mannichfaltigkeit  im  Aussehen  der  Wirbelsäule. 

Noch  früher  als  die  Wirbelsäule,  nämlich  schon  bei  den  keine  :SchM*i. 
Wirbelkörper  besitzenden  Ct/closfomen,  tritt  in  der  Reihe  der  Verte- 
braten  der  Kopfabschnitt  des  Axenskelets,  der  nur  dem  Amphioxus 

29* 


Psre 


Kn 

Fig.  464.  Brustwirbel 
und  Ki|*|ie  in  ihrem  Ver- 
hiiltiiiäs  zum  Itr*UbÜ>ein  von 
einem  Säuget  hier.  Wk 
Wir1>elkörper,  Ps  Processus 
spinnsus,  Pt  Pr.  transversus. 
Ca  Köpfchen,  Co  Hals,  Tb 
Höcker  der  Rippe.  Cp  knö- 
cherne, Kn  knorj»eli^e  Kippe, 
St  Stcrnum  (n 
heim). 


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452 


Wirbelthiere. 


fehlende  Schädel  auf.  Derselbe  umhüllt  das  Hirn,  wie  die  Wirbel- 
säule das  Rückenmark;  auch  tritt  seine  erste  Anlage  in  der  skeleto- 
gcnen  Schicht  im  Umkreis  dos  vorderen  Chordaendes  auf.  Der 
Schädel  theilt  daher  mit  der  Wirbelsäule  die  Lagebeziehungen  zu  den 
wichtigsten  Nachbarorganen,  so  dass  man  beide  Abschnitte  des  Axen- 
skelets  im  Allgemeinen  einander  gleichwcrthig  oder  homodynam  setzen 
kann,  wenn  es  auch  unrichtig  ist,  mit  Goethe  und  Oken,  den  Be- 
gründern der  Wirbelt  heorie  des  Schädels,  zu  sagen,  dass  der 
Schädel  durch  Verschmelzung  einer  Anzahl  Wirbel  entstanden  sei. 
Vielmehr  sind  die  Wirbel  einerseits,  «1er  Schädel  andererseits  Theile 
des  Axenskelets.  welche  sich  aus  einer  gemeinsamen  Anlage,  wie  sie 
durch  die  Chorda  dorsalis  und  die  skeletogene  Schicht  gegeben 
ist,  selbständig  und  unabhängig  von  einander  entwickelt  haben.  — 
Man  unterscheidet  drei  Eutwicklungszustände  des  Schädels:  1)  das 
häutige.,  2)  das  knorpelige  P  r  i  m  o  r  d  ia  ler  a  n  i  u  m ,  3)  das 
k  n  ö  eherne  C  r  a  n  i  u  m.  Das  häutige  Primordialcranium,  welches  aus 
Bindegewebe  besteht,  ist  in  seinem  Vorkommen  auf  frühe  Embryonal- 
stadien beschränkt  oder  wird  höchstens  in  unbedeutenden  Kesten  in 
den  Schädel  des  ausgebildeten  Wirbelthieres  übernommen;  es  wird 
von  der  höheren  Entwicklungsstufe,  dem  knorpeligen  Primordialcranium, 
verdrängt,  welches  sich  bei  niederen  Eischen  (Unten)  dauernd  und 
unverändert  erhalten  kann.  Bei  den  meisten  Wirbelthiercn  tritt  jedoch 
Verknöcherung  ein,  welche  das  Primordialcranium  entweder  zum  Theil 
(Fische,  Amphibien)  oder  in  ganzer  Ausdehnung  (Reptilien,  Vögrl. 
Säugethicre)  ergreift  und  es  im  letzten  Falle  in  eine  ringsum  knöcherne 
Kapsel  verwandelt.  Im  knöchernen  Cranium  muss  man  nach  ihrer 
Entwicklung  zwei  Arten  von  Knochen  unterscheiden:  primäre  und 
secundäre  Knochen.  Die  primären  Knochen  entstehen  im  Anschluss 
an  das  Knorpelcranium  selbst,  entweder  im  Inneren  des  Knorpels 
(Enchondrostosen)  oder  in  seiner  Hüllhaut,  dem  Perichondrium  (Ekchon- 
drostosen).  Die  secundären  Knochen,  die  Belegknochen,  sind  dagegen 
ihrer  ursprünglichen  Anlage  nach  dem  Axenskelet  vollkommen  fremd 
und  bilden  sich  uns  den  beim  Hautskelet  besprochenen  Verknöche- 
rnngen  der  Haut  (Schuppen)  und  der  Mundschleimhaut  (Zähne);  sie 
rücken  in  die  Tiefe,  lagern  sich  von  aussen  auf  das  Axenskelet  und 
ergänzen  dasselbe  besonders  an  Stellen,  wo  aus  Mangel  von  Knorpel 
keine  primären  Knochen  entstehen  können. 

Das  knorpelige  Cranium  ist  stets  am  vollkommensten  unter- 
halb des  Hirns  ausgebildet.  Dieser  Abschnitt,  die  Schädelbasis,  liegt 
in  der  Verlängerung  der  Wirbelkörper  und  umhüllt  zum  Theil  noch 
das  vordere  Ende  der  Chorda  dorsalis.  zum  Theil  ragt  er  nach  vorn 
weit  über  die  Chorda  hinaus  (praechordaler  Theil  «ler  Schädelbasis). 
Der  Schädel  steigt  mit  seinen  Seitenwandungen  am  Hirn  vorbei  und 
kommt  über  demselben  als  Schädeldach  zum  Verschluss.  Dabei  werden 
seine  Seitenwände  durch  die  knorpeligen  Umhüllungen  zweier  Sinnes- 
organe, der  Nase  und  des  Gehörorgans,  verstärkt,  durch  die  Nasen- 
kapseln am  vorderen,  durch  die  G  eh  ö  r  k  a  pse  1  n  am  hinteren  Ab- 
schnitte; die  dazwischen  gelegene  Begion  ist  eingebuchtet  zur  Auf- 
nahme der  Augen,  welche  keinen  besonderen  Skelettheil  dem  Schädel 
zuführen.  -  Nur  bei  wenigen  Thieren  ist  das  Knorpelcranium  voll- 
kommen geschlossen ;  meist  linden  sich  in  ihm  dorsale,  zuweilen  auch 
ventrale,  nur  von  Bindegewebe  geschlossene  Lücken.  Namentlich  wird 
in  der  Gegend  des  Schädeldaches  das  Bindegewebe  (häutiges  Primor- 


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Wirbolthiere.  •  4515 

dialeranium)  um  so  ausgiebiger  zum  Verschluss  herangezogen,  je  mehr 
sieh  das  Hirn  bei  Zunahme  der  Intelligenz  vcrgrössert  und  den  Binnen- 
raum der  Schädelkapsel  ausdehnt  Relativ  am  kleinsten  ist  daher  das 
allerdings  nur  im  Embryonalleben  vorhandene  Knorpelcranium  bei 
Reptilien,  Vögeln  und  Säugethieren.  Da  es  hier  nur  in  der  Hinter- 
hauptsgegend sich  dorsal  schliesst.  weiter  nach  vorn  dagegen  klafft, 
müssen  bei  der  Verknöcherung  die  Belegknochen  zur  Vervollständigung 
der  Schädelkapsel  ganz  bedeutend  herangezogen  werden. 

Der  knöcherne  Schädel  der  Wirbelthiere  bietet  dem  ver- 
gleichend anatomischen  Verständnis«  grosse  Schwierigkeiten,  einestheils 
wegen  seines  verschiedenen  Aussehens  in  den  einzelnen  Thierab- 
theilungen, anderntheils  wegen  der  grossen  Zahl  und  complicirten 
Anordnung  der  ihn  zusammensetzenden  Knochen.  Um  so  mehr  muss 
von  Anfang  an  betont  werden,  dass  im  Grossen  und  Ganzen  die  gleichen 
Knochenstücke  in  den  verschiedensten  Wirbelthierclassen  wiederkehren, 
und  dass  die  Schwierigkeiten  vorwiegend  damit  zusammenhängen,  dass 
je  nach  den  einzelnen  Gassen  manche  Knochen  nicht  zur  Ausbildung 
gelangen  oder  mit  anderen  zur  Bildung  grösserer  Knochenstücke  ver- 
schmelzen. Eine  weitere  Complication  wird  dadurch  herbeigeführt, 
dass  sich  vielfach  mit  der  Schädelkapsel  Theile,  die  streng  genommen 
ihr  nicht  zugehören,  innig  verbinden,  die  sogenannten  V  isce rai- 
böge n.  Man  thut  daher  gut,  bei  einer  Beschreibung  des  Schädels 
von  dem  Visceralskelet  zunächst  ganz  abzusehen  und  sich  ferner  die 
Aufgabe  zu  erleichtern,  indem  man  die  Knochen  gruppenweise,  wie  sie 
zusammengehören,  betrachtet. 

Die  primären  Knochen  lassen  sich  nach  den  Schädelregionen 
in  vier  Gruppen  eintheilen:  1)  Hinterhauptsknochen.  Occipitalia, 


Fig.  4<;.">.  Schädel  des  Karpfen  nach  Abnahme  dos  Visceralskcletf.  A.  primäre 
Knochen:  oe.  h,  or.l,  oe.s  ■=*  Bomoccipitalc ,  Exoccipitale ,  .Supraoceipitale ;  rpn  Kpio- 
ticiun,  pta  Pterotieum,  spho  Sphenoticum,  pro  Prooticum;  as  Alisphenoid ,  08  OrbltO- 
sphenoid;  mr  Mesethmoid,  ce  Lxcthmoid.  15.  ventrale  lielegknoehen ;  ps  Parn.*phcnoid, 
ro  Vomer  (dem  Viseeralskelct  zuzurechnen).  C.  dorsale  Belegkmxhen :  p  Parietale, 
fr  Frontale,  /— /  Durchtritts!,tellen  für  die  Kupfnerven. 

2)  Gehörkapselknochen,  Otica,  3)  Knochen  der  Augengegend,  Sphe- 
noidalia,  4)  Knochen  der  Geruchskapsel,  Ethmoidalia.  Die 
Hinterhauptsknochen  (Fig.  4(55,  466,  467),  welche  bei  den  Säuye- 


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454 


Wirbelthiere. 


thieren  zu  dem  einheitlichen  Hinterhauptsbein  (Os  occipitis)  frühzeitig 
verwachsen,  umgeben  vier  an  der  Zahl  das  Foramen  magnum,  die 
Oeffnung,  durch  welche  das  Rückenmark  eintritt,  um  sich  in  das  Hirn 
fortzusetzen:  zwei  liegen  links  und  rechts  (Exoceipitalia),  ein  unpaarer 
ventral  (Basioccipitale),  ein  weiterer  unpaarer  dorsal  von  der  Oeff- 
nung (Supraoccipitale).  Die  der  Seitenwand  des  Schädels  angehörigen 
Gehörkapselknochen  (Otica)  hängen  in  ihrer  Ausbildung  ganz 
von  der  Ausdehnung  des  Gehörorgans  ab.  Wo  die  Thcile  des  letzteren 
gross  und  weit  ausgebreitet  sind,  ist  die  Region  der  Otica  und  dein- 
gemäss  auch  ihre  Zahl  sehr  gross  (bei  den  Fischen  [Fig.  4b'5]  vier  bis 
fünf:  Prooticum,  Opisthoticum,  Sphenoticum,  Pteroticum,  Epioticum): 
umgekehrt  verbinden  sich  die  einzelnen  Knochenanlagen  bei  den  Stiuge- 
thieren  (Fig.  4GG)  zu  einem  einheitlichen  Knochenstück  ( Petrosum ),  das  in 


Fi>r.  Mi'i.  Schädel  einer  Ziege  von  aussen  betrachtet,  Hirnsehädel  +  Gesiehts- 
schndcl  (Thcil  de»«  Vimvralukelets).   I.  Hirnschädel :  A.  primäre  Knochen :  Ol  Exoeci- 

Pitale  mit  t'ondylus  C  und  Processus  naramastoideus  Pm ,    Ott  Supraoccipitale ;  Pc 
'etrosum  (=-  Otica) ;  Bs  Basisphenoid  ( Alisphenoid,  OrbitoHphenoid  mit  dem  Foramen 
optieum  Fo  zum  Theil  durch  den  .Tochbogen  verdeckt,  Praesphenoid  und  Kthmoidea 

El  verdeckt).    B.  sekuniläre  Knochen;  Pa  Parietale,  Fr  Frontale,  Xa  Nasale,  Sq 
aniosum.  Ty  Tympanicum,  La  Laerymale.    II.  Gesichtsschädel:  A.  Oberkiefer- 
e:         Interinaxillare,  Ms  Maxillare,  Ju  Jugale.     B.  Gaumenreihe:  Pal  Pala- 
tinum.  Pt  Pterygoid  (aus  Claus). 

Folge  der  compendiösen  Beschaffenheit  des  Gehörorgans  nicht  viel  Platz 
einnimmt.  Da  die  Otica  die  Mittellinie  nicht  erreichen,  grenzen  an 
der  Schädelbasis  an  das  Basioccipitale  direct  die  Sphenoidalia  an. 
zunächst  das  unpaare  Basisphenoid.  auf  welches  dann  weiter  nach  vorn 
das  ebenfalls  unpaare  Praesphenoid  folgt.  Beide  Knochen  haben  links 
und  rechts  ihre  paarigen  Begleiter:  das  Basisphenoid  die  paarigen 
Alisphenoide,  das  Praesphenoid  die  paarigen  Orbitosphenoide,  ganz 
wie  das  Basioccipitale  von  den  zwei  Exoceipitalia  flankirt  wird.  Da 
nun  auch  in  der  Gegend  der  Gerucbskapsel  ein  unpaarer  mittlerer 
Knochen  (Mesethmoiih  zwischen  paarigen  Seitenknochen  (Exethmoidea) 
liegt,  so  hätten  wir  uns  das  verknöcherte  Cranium  der  Wirbelthiere 
vorzustellen  als  eine  mediane  Längsreihe  von  vier  unpaaren,  basalen 
Knochen,  die  von   hinten  nach  vorn  sich  folgen  als  Basioccipitale, 


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Wirbelthiere. 


455 


Basisphenoid,  Praesphenoid,  Mesethmoid ;  daneben  je  eine  linke  und 
rechte  Reihe:  Exoccipitale,  Alisphenoid,  Orbitosphenoid,  Exethmoid. 
Die  Ausbildung  der  Gehörkapsel 
bringt  es  mit  sich,  dass  zwischen 
die  Exoccipitalia  und  die  Alisphe- 
noidea  die  Summe  der  Otica,  das 
Petrosum  eingekeilt  ist.  Nur  in 
der  Hinterhauptsgegend  findet 
sich  ein  dorsaler  Schlussstein, 
das  Occipitale  superius.  Sonst 
müssen  Belegknochcn  zur 
Aushilfe  eintreten,  und  zwar  drei 
Paar,  welche  bei  den  Wirbel- 
thieren  nahezu  constant  sind  und 
von  hinten  nach  vorn  auf  ein- 
ander folgen:  ein  Paar  Parie- 
ta lia,  ein  Paar  Frontalia, 
ein  Paar  Nasalia  (letztere  als 
Deckknochen  der  Nasenkapsel). 
Auf  die  niederen  Wirbelthiere 
beschränkt  ist  ein  unpaarer  mäch- 
tiger Belegknochen  an  der  Schä- 
delbasis, das  vom  Hinterhaupts- 
bein bis  zum  Mesethmoid  rei- 
chende Parasphenoid. 

Das  hier  entwickelte  Grund- 
schema eines  "Wirbelthierschädels 
wird  in  der  Natur  am  meisten  modificirt  in  der  Sphenoidalgegend.  Parasphe- 
noid einerseits  und  Basisphenoid  und  Praesphenoid  andererseits  vicariiren  für 
einander,  so  dass  bei  Anwesenheit  des  ersteren  die  letzteren  klein  bleiben 
oder  fehlen  (Fische,  Amphibien)  und  umgekehrt  (Säugcthiere).  Bei  den 
Säugethieren  verwachsen  ausserdem  die  unpaaren  Sphenoidstücke  mit  ihren 
paarigen  Begleitern,  die  Basisphenoidea  mit  den  Alisphenoidea  (Alae  tempo- 
rales), die  Praesphenoidea  mit  den  Orbitosphenoidea  (Alae  orbitales) ;  so  ent- 
stehen das  vordere  und  hintere  Keilbein  (beim  Menschen  und  anderen  Säuge- 
thieren zu  dem  einzigen  Keilbein  verschmolzen).  Aus  der  Vereinigung  von 
Mesethmoid  und  Exethmoidea  entsteht  bei  den  Säugethieren  das  Os  ethmoideum. 

Die  Schädelkapsel  wird  zum  Kopfskelet  ergänzt  durch  das  Hin-  JjjgJJ» 
zutreten  des  Visceral skelets,  eines  Systems  von  Bogenstücken, 
welche  nach  Art  der  Rippen  den  Anfangsdarm  von  links  und  rechts 
umgreifen,  sich  zum  Schädel  verhalten  wie  die  Rippen  zur  Wirbel- 
säule und  zum  Kopfskelet  gerechnet  werden  müssen,  obwohl  sie  zum 
Theil  nach  rückwärts  verschoben  sind  und  unter  den  Anfang  der 
Wirbelsäule  zu  liegen  kommen.  Analog  dem  Schädel  hat  das  Visceral- 
skelet  einen  knorpeligen  und  einen  knöchernen  Zustand.  Das  nur 
bei  den  Haien  vorkommende  knorpelige  Visceralskelet  zeigt  uns  den 
Apparat  in  seinen  leicht  verständlichen  Grundzügen;  es  ist  hier  so 
locker  mit  dem  Schädel  verbunden,  dass  man  es  leicht  von  ihm  im 
Zusammenhang  ablösen  kann.  Man  zählt  an  ihm  (Fig.  404)  gewöhn- 
lich acht  (selten  elf  )  Bögen  und  zwar  von  vorn  nach  hinten  zunächst 
zwei  rudimentäre  Bögen,  die  Lipp enknorpel,  dann  den  mächtigen 
K  i  e  f  e  r  b  o  g  e  n ,  den  Zungen  b  einbog  e  n  und  fünf  (selten  sieben) 
Kie menböge  n.  Der  Kieferbogen  besteht  jederseits  aus  zwei  Stücken, 


Fig.  4M7.  Sagittalsehnitt  durch  den  hin- 
teren Abschnitt  eines  Ziegenschiidels.  A. 
primäre  Knochen  des  Hirnschädels:  Ob  Basi- 
occipitale ,  \Pm  Processus  parama.stoideus\ 
Ol  Exoccipitale,  Os  Supraoccipitalc;  Spb 
Basisphenoid ,  AU  Alisphenoid,  Ps  Prae- 
sphenoid, Ors  Orbitosphenoid  i  Eth  Meseth- 
moid (das  Exethmoid  verdeckend»;  Pe  Pe- 
trosum. B.  Belegknochen :  Pa  Parietale,  fp 
das  nur  hei  Säuget liieren  vorkommende  lu- 
terparictalc.  Fr  Frontale  mit  »f  Sinus  fron- 
tales. Na  Nasale.  C.  Belegknochcn  des  Vis- 
ccralskelets :  Vn  Vomer,  Pal  Palatinum, 
Pf  Ptcrygoid  (Gaumenreihe),  M.r  Maxillare 
(Oberkieferreihe)  (aus  (Jegenbaur). 


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450 


Wirbelthiere. 


welche  Zähne  tragen  und  beim  Kauen  gegen  einander  wirken:  das 
obere,  dem  Schädel  vorn  und  hinten  angefügte  Stück  ist  dasPalato- 
qu  ad  rat  um  (nicht  Oberkiefer),  das  untere,  welches  am  Palatoqua- 
dratum eingelenkt  ist,  heisst  das  Mandibulare.  Ganz  analog  theilt 
sich  der  Zungenbeinbogen  in  das  obere  an  der  Gehörkapsel  des 
Schädels  befestigte  II  y  o m  an  d  i  b  u  1  ar  e  und  das  untere  Hyoid, 
nur  dass  hierzu  noch  ein  am  Kieferbogen  fehlendes  unpaares  Stück 
kommt,  welches  als  ventrale  C  o  p  u  1  a  den  linken  und  rechten  Bogen 
unter  einander  verbindet.  Eine  Copula  existirt  auch  bei  den  Kieuicn- 
bögen,  welche  jederseits  aus  vier  Stücken  bestehen.  Zungenbeinbogen 
und  Kieinenbögcn  tragen  Kiemen;  gewisse  Merkmale  (Existenz  rudi- 
mentärer Kiemen  und  einer  rudimentären  Kiemenspalte,  des  „Spritz- 
lochs") weisen  darauf  hin,  dass  auch  der  Kieferbogen  einmal  ein  Trage- 
apparat für  Kiemen  gewesen  ist  und  dieser  ursprünglichen  Function 
entfremdet  wurde,  als  er  zum  Kauen  Verwendung  fand. 

Durch  die  Verknöcherung  hat  das  Visceralskelet  bei  den  höheren 
Fischen  und  allen  übrigen  Wirbelthieren  eine  erhebliche  Umgestaltung 
erfahren.  Diese  Umgestaltung  wird  noch  gesteigert  durch  einen  fort- 
schreitenden Functiouswechsel  der  Bögen,  indem  immer  mehr  derselben 
ihrer  ursprünglichen  respiratorischen  Function  entzogen  werden.  Man 
muss  dabei  am  Visceralskelet  einen  vorderen  und  hinteren  Ab- 
schnitt unterscheiden:  der  vordere  besteht  aus  den  Labialknorpeln, 
dem  gesammten  Kieferbogen  und  der  oberen  Hälfte  des  Zungenbein- 
bogens, dem  Hyomandibulare,  der  hintere  aus  dem  Hyoid,  den 
Kieinenbögcn  und  den  Copulae.  Der  hintere  Abschnitt  ist  nur 
so  lange  gut  entwickelt,  als  die  Kiemenathmung  beibehalten  wird. 
Mit  dem  Uebergang  zur  Lungenathmung  schwindet  er  zum  grössten 
Theil ;  was  erhalten  bleibt,  liefert  das  Zungenbein,  dessen  Körper 
aus  einer  Copula  hervorgeht,  dessen  Vorderhorn  dem  Hyoid.  dessen 
Hinterhoru  einem  Kest  von  Kiemenbögen  entspricht. 

Der  vordere  Abschnitt  des  Visceralskelets  (Labialknorpel,  Pala- 
toquadratum,  Mandibulare,  Hyomandibulare)  erfährt  zwar  eine  Weiter- 
bildung, giebt  aber  mehr  und  mehr  seine  Selbständigkeit  auf,  um  mit 
dem  Schädel  zu  verwachsen.  Hei  den  Säugethieren  schliesst  er  sich  als 
„Gesichtsschädel"  dem  „H  i rn sc  h ä d  e  1"  an.  Dabei  wird  er 
Ausgangspunkt  für  complicirte  Knochcnbildungen,  die  vergleichend 
anatomisch  sehr  schwer  zu  verstehen  sind,  da  sie,  von  Classe  zu 
Classe  verglichen,  wiederholt  ihre  Function  und  damit  auch  ihre  Be- 
schaffenheit und  relative  Grösse  verändern. 

Allen  Wirbelthieren  mit  knöchernem  Visceralskelet  (Fig.  4(>(>.  495) 
ist  gemeinsam,  dass  vor  dem  Palatoquadratum  in  der  bei  Haien  durch 
die  Lippenknorpel  eingenommenen  Gegend  links  und  rechts  zwei  Be- 
legknochen entstehen,  der  Zw  isch  en  kiefer  (Os  praemaxillare  s. 
intermaxillare)  und  der  Oberkiefer  (Os  maxillare).  Sie  tragen  die 
nur  hie  und  da  rückgebildete  Ob  er  kiefer  reihe  der  Zähne,  welche 
die  Zähne  des  Palatoquadratum  ablösen,  indem  sie  die  Antagonisten 
der  Unterkieferzähne  werden.  Das  Palatoquadratum  rückt  in 
gleichem  Maasse  nach  rückwärts  und  erzeugt  eine  zweite,  der  Ober- 
kieferlinie häutig  genau  parallele  Reihe  von  Knochen,  welche  ebenfalls 
Zähne  tragen  können,  die  Gaumenreihe.  Man  muss  hierbei  aber 
am  Palatoquadratum  zwei  Abschnitte  unterscheiden,  nach  vorn  die 
Palatinspange,  nach  hinten  den  Quadrattheil.  Die  knorpelige  Palatin- 
spange  schwindet  und  es  erhalten  sich  nur  die  auf  ihr  entstandenen 


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Wirbelthiere. 


457 


Belegknochen,  zuvorderst  der  Vomer,  dann  das  Palatinum,  am  meisten 
rückwärts  das  Pterygoid.  Der  Quadratknorpel  verknöchert  dagegen 
selbst  und  wird  zum  Quadratbein,  welches  die  Gelenkflache  für  das 
Mandibulare  trägt.  Die  Verknöcherung  des  Mandibulare  erfolgt  in 
analoger  Weise,  vorn  durch  Bclegknochen,  unter  denen  das  zahn- 
tragende Stück,  das  Dentale,  am  wichtigsten  ist,  hinten  durch  einen 
primären  Knochen,  welcher,  weil  er  mit  dem  Quadratbein  das  Man- 
dibulargelenk  bildet,  Articulare  heisst.  —  Aus  dem  Hyomandibulare 
geht  nur  ein  constanter  Knochen  hervor,  welchem  daher  der  Name 
des  Knorpels  belassen  wird. 

Wenn  soweit  aJle  Wirbelthiere  mit  knöchernem  Skelet  einander 
gleichen,  so  kommen  wir  jetzt  zu  den  Unterschieden,  welche  da- 
durch veranlasst  sind,  dass  das  Hörorgan  beim  U eber- 
gang zum  Landaufenthalt  schallleitender  Apparate  be- 
darf. Diese  werden  durch  Knochen  geliefert,  welche  schon  bei  den 
Fmchen  in  der  Gegend  der  Gehörkapsel  liegen,  das  Hyomandibulare 
(Zungenbeinbogen),  Quadratum  und  Articulare  (die  zwei'  Gelenkstücke 
des  Kieferbogens j.  Das  Hyomandibulare  wird  wahrscheinlich  schon 
bei  Amphibien,  Reptilien  und  Vögeln  zu  einem  Gehörknochen,  der 
Columella,  und  erhält  sich  auch  als  solcher  bei  den  Säugethieren 
in  dem  Steigbügel  (Stapes).  Bei  den  Säugethieren  folgen  im  Func- 
tionswechsel  Quadratum  und  Articulare  nach,  jenes,  indem  es  zum 
Ambos,  dieses,  indem  es  zum  Hammer  (Fig.  438,  480)  wird.  Da 
das  Mandibulare  durch  diese  Umwandlung  seines  Gelenkstücks  beraubt 
wird,  entsteht  bei  den  Säugethieren  an  einem  Fortsatz  des  Dentale  ein 
neues  Unterkiefergelenk.  Der  Unterkiefer  der  Fische  bis  Vögel  ist 
somit  nur  zum  Theil  dem  Unterkiefer  der  Säugethiere  gleichwerthig, 
da  er  ausser  dem  Dentale  auch  das  Articulare  (den  Hammer  der 
Säugethiere)  enthält. 

Zum  Schluss  müssen  noch  i\  bei  den  Wirbelthieren  weit  verbreitete 
Knochen  besprochen  weiden:  1)  das  Squamosum,  '2)  das  Tympanicum, 
3)  das  Jugale  oder  Zygomaticum.  Von  diesen  drei  ist  das  Squamo- 
sum,  indem  es  auf  dem  Quadratknorpel  als  Belegknochen  entsteht,  ein 
Begleiter  des  Quadratbeins  und  wie  dieses  an  die  Gegend  der  Otica 
oder  das  Petrosum  gebunden.  Es  wird  in  gleichem  Maasse  grösser, 
als  das  Quadratbein  bei  der  Umwandlung  zum  Ambos  einschrumpft, 
und  liefert  die  Squama  tcmporum,  welche  bei  allen  Säugethieren  mit  dem 
Felsenbein  zum  Schläfenbein  verschmilzt.  Gemeinsam  mit  dem  Tym- 
panicum, welches  bei  Säugethieren  ebenfalls  mit  dem  Petrosum  ver- 
wächst, bildet  es  den  Rahmen,  in  welchen  das  Trommelfell  eingespannt 
ist.  Das  Jugale  oder  Jochbein  gehört  zur  Maxillarreihe.  Diese  ist 
bei  vielen  Wirbelthieren  nur  an  ihrem  vorderen  Ende  am  Schädel  be- 
festigt, während  das  hintere  Ende  frei  in  den  Weichtheilen  des  Kopfes 
endet.  Um  nun  auch  dieses  Ende  mit  dem  Schädel  enger  zu  ver- 
binden, entsteht  bei  sehr  vielen  Wirbelthieren  das  Jugale,  welches 
bogenförmig  (Jochbogen)  den  Zwischenraum  zwischen  dem  Maxillare 
und  dem  am  Schädel  angefügten  Quadratum  überbrückt.  Wenn  das 
Quadratum  sich  in  ein  Hörknöchelchen  verwandelt  und  dadurch  zu 
klein  wird,  um  als  Stützapparat  zu  dienen,  wird  der  Jochbogen  von 
dem  Begleiter  des  Quadratum.  dem  Squamosum,  aufgenommen,  welches 
den  Processus  zygomaticus  dem  Os  zygomaticum  (jugale)  entgegen 
sendet. 

Wie  der  Stamm   des  Wirbelthierkörpers  eine  feste  Axe  durch  txtfenutatcn. 


- 


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458 


Wirbelthiere. 


Schädel  und  Wirbelsäule  erhält,  so  gewinnen  auch  die  von  ihm  aus- 
gehenden Extremitäten  ihre  Stütze  durch  axiale  Skeletbildungen. 
Man  unterscheidet  zweierlei  Extremitäten,  paarige  und  unpaare,  die 
allerdings  nur  bei  den  Fischen  neben  einander  vorkommen  (Fig.  502  bis 
507).  Die  unpaare n  Extremitäten  entstehen  hier  als  eine  Haut- 
falte in  der  Sagit talebene  des  Körpers,  die  hinter  dem  Kopf  beginnt, 
als  ein  Rückenkamm  bis  zum  Schwanz  verläuft,  diesen  umgreift  und 
ventral  bis  zur  Aftergegend  reicht.  Die  einheitliche  Anlage  sondert 
sich  später  in  3  Stücke:  1)  die  öfters  in  mehrere  kleinere  Flossen 
zerfallende  Rückenflosse,  2)  die  Schwanzriosse  und  3)  die  ventrale 
Afterflosse  (Finna  dorsalis,  P.  caudalis,  P.  analis).  In  ähnlicher  Weise 
sind  wahrscheinlich  auch  die  paarigen  E  x  t  r  e  m  i  t  ä  t  e  n  ,  die  vor- 
deren Brustflossen  (P.  thoracicae)  und  die  hinteren  Rauchflossen  (P. 
abdominales),  auf  eine  einheitliche  Anlage  zurückzuführen  und  als  die 
selbständig  gewordenen  vorderen  und  hinteren  Enden  zweier  Seiten- 
falten zu  deuten.  —  Von  den  beiden  Extremitätenformen  sind  die  un- 
paaren  die  älteren,  da  sie  schon  beim  Amphioxus  und  den  Cyclostomm 
auftreten,  wo  die  paarigen  noch  fehlen;  sie  verschwinden  dagegen 
früher  in  der  Wirbelthierreihe.  Da  sie  nur  für  den  Aufenthalt  im 
Wasser  dienlich  sind,  gehen  sie  schon  bei  den  Amphibien  verloren,  bei 
denen  ein  einheitlicher,  von  Sklelettheilen  nicht  mehr  gestützter  Flossen- 
kamm meist  nur  noch  während  des  Larvenlebens  vorkommt.  Umge- 
kehrt gewinnen  die  paarigen  Extremitäten  (Anne  und  Reine)  mit  dem 
Uebergang  zum  Landleben  eine  erhöhte  Bedeutung. 

In  den  Flossen  der  Fische  findet  man  zweierlei  Skelettheile  vor, 
die  bei  den  Haien  auch  durch  ihre  histologische  Beschaffenheit  scharf 
unterschieden  sind,  indem  die  einen,  die  Flossenstützen,  aus 

Knorpel  bestehen,  die  an- 
deren, die  Flossen- 
strahlen,  Hornfäden  sind 
(Fig.  468).  Da  bei  den 
Teleosticrn  beule  Theile  ver- 
knöchern, wird  der  Unter- 
schied weniger  auffällig, 
lässt  sich  aber  noch  daran 
erkennen,  dass  die  Flossen- 
stützen knorpelig  vorge- 
bildet werden,  die  Flossen- 
strahlen nicht,  dass  jene 
die  basalen  Theile ,  diese 
den  Randsaum  der  Flosse 
einnehmen.  Die  Unter- 
scheidung der  beiden  Skelet- 
elemente  ist  von  grosser 
Wichtigkeit.  Die  Flossen- 
strahlen haben  ein  unter- 
geordnetes Interesse ,  da 
sie  bei  den  höheren  Wir- 
belthieren  in  den  Aufbau 
der  Extremität  nicht  mit 
hinübergenommen  werden.  Was  sich  bei  diesen  erhält,  ist'  aus- 
schliesslich das  System  der  Flossenstützen  von  Brust-  und 


Fig.  !<>S.  Linker  Hrustgiirtel  mit  Flosse  von 
Heptanchtis  (unter  Benutzung  einer  Zeichnung 
von  Wiedershcini).  s  Senpuhi  der  linken ,  s'  der 
rechten  Seite,  it  unterer  Tlnil  des  (iiirtels,  nl 
Nervenloch,  /,  '2,  H  Pro-,  Meso-,  Metaptcrvgium, 
n  ßtannureihe ,  r  Nclwnreihen  der  knor|>eliLren 
Flossenstiilzen,  h  Homfüden  oder  Flossenstrahlcn, 
bei  //'  durchschnitten,  da  sie  sonst  die  Enden  der 
FloKscuätützen  zudecken  würden. 


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Wirbel  thiere. 


459 


Bauch  flössen,  die  daher  auch  allein  eine  besondere  Besprechung 
verlangen. 

Das  knorpelig  präformirte  Stützskelet  jeder  paarigen  ExtreraitätKx,™£ft01- 
besteht  aus  zwei  Theilen,  dem  in  die  Seitenwandung  des  Körpers  ein- 
gelassenen Extrenütätengürtel  und  den  Stücken,  die  der  frei  vorstehen- 
den Extremität  zu  Grunde  liegen,  dem  Extremitätenskelet  im  engeren 
Sinne.  Der  Extremität engttrtel  (der  Schultergürtel  der  vorderen, 
der  Beckengürtel  der  hinteren  Extremität)  ist  im  einfachsten  Falle 
eine  Spange  mit  einer  Gelenkfläche  für  die  Extremität  und  wird  durch 
diese  Gelenktläche  in  einen  dorsalen  und  einen  ventralen  Abschnitt 
zerlegt.  Der  dorsale  Abschnitt  heisst  Schulterblatt  oder  Scapula  für 
die  vordere,  Darmbein  oder  Ileum  für  die  hintere  Extremität.  Der 
vom  Gelenk  aus  sich  abwärts  hinziehende  Theil  gabelt  sich  bei  den 
meisten  Wirbelthieren  in  einen  vorderen  und  hinteren  Ast  (Fig.  469). 
Der  vordere  Ast  ist  die  Clavicula  des  Schul- 
tergürtels, das  Os  pubis  des  Beckengürtcls, 
der  hintere  das  Coracoid,  resp.  das  Os  ischii. 
Am  constantesten  ist  der  Unterschied  der 
drei  Theile  am  Beckengürtel;  am  Schulter- 
gürtel dagegen  kann  bald  die  Clavicula,  bald 
das  Coracoid,  bald  auch  können  beide  Theile 
fehlen,  während  die  Scapula  bei  keinem 
Wirbelthier  mit  Extremitäten  vermisst  wird. 

In  ihrer  Lage  werden  die  Extremitäten- 
gürtel der  wasserbewohnenden  Fische  vorwie- 
gend oder  ausschliesslich  durch  Muskeln  er- 
halten; bei  der  Mehrzahl  der  Landbewohner 
ist  dagegen  ein  inniger  Anschluss  an  das 
Axenskelet,  speciell  an  die  Wirbelsäule  durch- 
geführt. Dieser  Anschluss  ist  für  den  Becken- 
gürtel ein  unmittelbarer,  da  der  dorsale  Fort- 
satz, das  Ileum,  sich  mit  ein  oder  mehreren 
Wirbeln  verbindet,  welche  Sacralwirbel 
heissen  (streng  genommen  nicht  mit  den  Wir- 
belkörpern selbst,  wohl  aber  mit  den  davon 
ausgehenden  Querfortsätzen  und  Rippen). 
Die  Verbindung  des  Schultergürtels  ist  da- 
gegen mehr  vermittelt  und  deshalb  auch 
lockerer ;  sie  wird  durch  die  ventralen  Span- 
gen, die  Clavicula  und  das  Coracoid,  bewirkt. 
Letzteres  tritt  an  das  Brustbein  (Sternum) 
heran,  welches  ja  selbst  wieder  durch  Rippen 
der  Wirbelsäule  angefügt  ist,  erstcre  an 
einen  besonderen,  dem  Brustbein  aufgelager- 
ten Knochen,  das  Episternum.  Die  directe 
Verbindung  des  Schlüsselbeins  mit  dem  Sternum  bei  den  Säugethieren 
ist  nur  eine  scheinbare,  da  sich  zwischen  beide  noch  Knorpelstücke 
eindrängen,  die  Reste  des  Epistcrnulapparats. 

Da  nur  die  frei  hervorstehende   Extremität   bei  der  Arc^ery 
Fortbewegung  unmittelbar  verwandt  wird  und  da  die  verschiedenen 
Bewegungsweisen   der   Wirbelthiere ,   Schwimmen,   Fliegen,  Laufen, 
Springen,  Klettern,  eine  jede  ihre  besondere  Ausbildungsweise  der 
Extremität  erfordern,  zeigt  auch  das  Skelet  eine  ganz  ausserordentliche 


■ 


Fig.  UW.  Rechtsseitiger 
Sehultergürtel :  A  vom 
Frosch.  Ii  einer  Schildkröte, 
C  einer  Kitlvfh.se.  s  Scapula, 
s'  Siipruscapulure,  vi  Clavi- 
cula ,  co  Coracoid ,  c  Epi- 
sternum,  »t  Sternum  bei  C 
mit  Ri Planansätzen)  (nach 
Gejjenbaur,  einige  Figuren- 
bezeiehnungen  viTiinilert). 


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4G0 


Wirbelthiere. 


Mannichfaltigkeit  der  Formen.  Gleichwohl  ist  es  geglückt,  alle  diese 
Formen  auf  eine  gemeinsame  Urform,  das  Archipterygium,  zurück- 
zuführen, eine  Urform,  welche  in  der  Flosse  gewisser  niedrig  stehen- 
der Fische  vorkommt.  Im  Arehipterygiumskelet  (Fig.  4<J8)  sind  zahl- 
reiche Skeletstücke  enthalten,  die  sich  nur  wenig  in  Grösse  und  Form 
unterscheiden  und  in  vielen  dicht  an  einander  schliessenden  Reihen 
angeordnet  sind.  Unter  den  Reihen  der  Skeletstücke  hat  eine  da* 
Uebergewicht  über  die  anderen  und  heisst  die  Stammreihe:  sie  beginnt 
mit  einem  ansehnlichen  Skeletstück  direct  am  Extremitätengürtel  (dem 
Metapterygium  l  und  trägt  entweder  auf  beiden  Seiten  (Archipterygium 
biseriale)  oder  nur  auf  einer  Seite  (Arch.  uniseriale), 
ähnlich  einem  doppelt  oder  einfach  gefiederten  Watt, 
die  Seitenreihen  der  Skeletstücke.  Gewöhnlich  be- 
festigen sich  nicht  alle  Scitenreihen  an  der  Stammreihe, 
vielmehr  entspringt  eine  grössere  Anzahl  auch  von 
dem  Schultergürtel  direct;  sie  können  hier  ebenfalls 
mit  grossen  Stücken  beginnen,  dem  Meso-  und  Pro- 
pterygium. 

^'Atn'mHjf  s  ('om  l>(isPro<>l,enen  Archipterygium  lässt  sicli 

'  eine  Grundform  ableiten,  welche  für  alle  höheren,  vor- 
nehmlich landbewohnenden  Wirbelthiere  von  den 
Amphibien  an  aufwärts  gilt;  es  ist  das  die  penta- 
d  a  c  t  y  1  e  oder  iQnf  fingerige  Extremität  (Fig. 
470).  Will  man  dieselbe  aus  dem  Archipterygium 
erklären  —  wobei  es  von  keiner  grossen  Bedeutung 
ist,  ob  man  die  uniseriale  oder  biseriale  Form  zum 
Ausgangspunkt  wählt  — ,  so  muss  man  annehmen,  dass 
folgende  drei  Abänderungen  sich  vollzogen  haben.  Zu- 
nächst muss  man  sich  eine  Reduction  der  Gesammtzahl 
der  Strahlen  vorstellen,  und  zwar  eine  Reduction  auf 
fünf:  einen  Hauptstrahl  und  vier  Nebenstrahlen.  Die 
terminalen  Stücke  des  Ilauptstrahls  liefern  die  Knochen 
des  fünften,  diejenigen  der  Nebenstrahlen  die  Knochen 
der  übrigen  Finger.  Eine  zweite  Veränderung  be- 
steht in  dem  ungleichen  Wachsthum  der  Theile;  das 
Metapterygium.  schon  bei  den  Fischen  ein  ansehn- 
liches Stück,  vergrössert  sich  noch  mehr  und  heisst 
Humerus  bei  der  vorderen,  Femur  bei  der  hin- 
teren Extremität.  Ebenfalls  sehr  ansehnlich  wird 
das  zweite  Stück  des  Hauptstrahls  und  das  erste 
Stück  des  ersten  Nebenstrahls,  es  sind  Ulna  und 
Radius,  beziehentlich  Fibula  und  Tibia;  nun 
folgen  Knöchelchen,  welche  klein  bleiben,  meist  von 
der  Gestalt  würfelförmiger  Stücke,  die  Carpalia  der  vorderen,  die 
Tarsalia  der  hinteren  Extremität:  sie  tragen  wiederum  schlankere 
Knochen,  die  Metacarpalia  oder  Metatarsalia ,  und  diese  endlich  die 
Phalangen.  (Rücksichtlich  der  genaueren  Bezeichnungen  der  Carpalia 
vergl.  die  Figurenerklärung  470.) 

Die  dritte  Veränderung,  zugleich  eine  der  wichtigsten,  wird  durch 
die  Ausbildung  von  Gelenken  herbeigeführt.  So  lange  die  Extremität 
als  Ruder  funetionirt,  muss  sie  eine  einheitlich  wirkende  Platte  sein, 
deren  einzelne  Theile  festgefügt  sind.  Wenn  die  Extremität  dagegen, 
wie  es  bei  Landthieren  nöthig  ist,  als  ein  Hebelapparat  den  Körper 


Fijr.470.  Sche- 
ma einer  penta- 
dactylon  Extre- 
mität, die  punk- 
tirten  Linien  jje- 
ben  die  Seiton- 
strahlen an.  H 
Humerus,  /'l'lua. 
Ii  Radin*.  Carpu* 
Stellend  aus  2 
Reihen  und  2 
centralen  Stücken: 
I.  Reiher  Radiale, 
i  Intermcdium.  w 
Ulnare.  II.  Reih- 
Carpalia  1—  .">.  r 
Centralia,  <lie  Me- 
tacarpalia und 
Phalangen  s>ind 
nicht  bezeichnet 
(nachGciienlmur). 


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Wirbelthiere. 


401 


tragen  und  bewegen  soll,  so  muss  sie  in  einzelne  Abschnitte  zerlegt 
werden,  welche  mit  einander  gelenkig  verbunden  sind.  Hei  dieser 
Quergliederung  bilden  sich  an  vorderen  und  hinteren  Extremitäten 
namentlich  2  Gelenke  aus,  das  Ellbogengelenk  (Kniegelenk)  zwischen 
Humerus  (Femur)  einerseits,  Radius  und  Ulna  (Tibia  und  Fibula)  an- 
dererseits, das  Handgelenk  (Sprunggelenk)  zwischen  den  Unterarm- 
knochen  (  Unterschenkelknochen)  und  den  Carpalia  (Tarsalia) ;  dazu 
kommen  die  minder  wichtigen  Gelenke  der  Finger-  und  Zehenglieder. 

Wenn  wir  nun  die  Extremitäten  der  Landwirbelthiere  mit  der  ge- 
schilderten Grundform  vergleichen,  so  ergeben  sich  Abweichungen  nach 
2  Richtungen  hin.  Selten  sind  mehr  Stücke  vorhanden,  als  das  erläuterte 
Schema  sie  verlangt ;  dann  sind  noch  die  Reste  eines  sechsten  oder  gar 
eines  siebenten  Strahls  oder  Fingers  entwickelt.  Viel  häutiger  ist  eine 
Reduction  der  Skcletstücke  eingetreten,  entweder  durch  Verschmelzung 
oder  durch  gänzliche  Rückbildung.  Verschmelzung  ist  Ursache,  dass 
bei  der  vollkommensten  Pentadactylie  die  Zahl  der  Carpalia  meist  ge- 
ringer ist  als  10,  wie  man  nach  dem  Schema  erwarten  sollte:  Rück- 
bildung bringt  es  dagegen  mit  sich,  dass  viele  Thiere  nur  4,  H,  2  oder 
sogar  nur  1  Zehe  haben.  Man  kann  dann  mit  Sicherheit  annehmen,  dass 
die  fehlenden  Zehen  verloren  gegangen  sind.  Die  Paläontologie  z.  B. 
lehrt  uns  in  ganz  überzeugender  Weise,  dass  die  jetzt  lebenden  ein- 
zelligen Pferde  aus  fünfzehigen  Urformen  durch  gesetzmässige  Rück- 
bildung der  Zehenzahl  hervorgegangen  sind. 

Die  hohe  Vervollkommnung  und  eigenthümliche  Beschaffenheit  des  Mu.uutur. 
in  seinen  Grundzügen  geschilderten  Wirbelthierskelets  hat  einen  tief- 
greifenden Eintluss  auf  die  übrige  Organisation.  Wir  haben  schon  her- 
vorgehoben, dass  die  äussere  Erscheinungsweise  unter  diesem  Eintluss 
steht,  dass  die  Haut  nicht  wie  bei  den  Arthropoden  zum  Stützapparat 
wird,  und  dass  damit  die  Bedingungen  für  die  äussere  Segmentirung 
in  Wegfall  kommen.  Noch  unmittelbarer  ist  der  Eintluss  auf  die  An- 
ordnung der  Muskulatur.  Die  Entwicklung  eines  Axenskelets  bringt 
es  mit  sich,  dass  die  Angriffs- 
punkte der  Muskulatur  von  der 
Haut,  an  welcher  die  Muskeln  bei 
Mollusken.  Arthropoden  und  Wör- 
nern endigen,  auf  das  Innere  über- 
tragen werden.  Eine  Ilautmusku- 
latur  besteht  bei  den  Wirbelthie- 
ren  nur  in  unwesentlichen  Resten 
fort;  sie  ist  ersetzt  durch  die 
R  u  in  p  f  m  u  s  k  u  1  a  t  u  r.  Letztere 
ist  ihrer  ersten  Anlage  na"h  ein 
auf  jeder  Seite  der  Wirbelsäule 
hinziehender  Längsstrang  von  Mus- 
kelfasern (Fig.  471),  welcher  durch 
bindewebige  Scheidewände  ,  die 
Ligamenta  intermuscula- 
ria,  in  viele  hinter  einander  ge- 
lagerte Segmente,  die  M  y  o  t  o  m  e 
oder  M  y  o  c  o  m  m  ata,  zerlegt  wird. 

Wenn  man  daher  bei  einem  Fisch  durch  Kochen  das  Bindegewebe  löst,  so 
zerfällt  die  Muskulatur  in  lauter  scheibenförmige  Stücke.  Die  Ligamenta 
intermuscularia  spannen  sich  zwischen  Haut  und  Axenskelet  aus;  sie 


Fig.  471.  Horizontalschnitt  durch  die 
Vordere  Rumpfgegeud  eines  jungen  h'lnnleus 
ftinrirns,  auf  der  Höhe  der  rrsprüiige  der 
unteren  Bogen;  r  Chorda,  r  knöcherne 
WirbelkörjMT ,  r  Kip]>cucudc  der  knorpe- 
ligen unteren  Bogen,  //  Ligamenta  inter- 
inuscularia,  m  Liingamuskeln,  U  Haut. 


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41)2 


Wirbelthiere. 


»jrstrin. 


übertragen  vermöge  ihrer  Verlaufsrichtung  die  Wirkung  der  Muskeln 
auf  das  Axenskelet,  indem  sie  jedesmal  rückwärts  an  der  Haut  beginnen 
und  etwas  vorwärts  am  Axenskelet  enden. 

Eine  gegliederte  Rumpfmuskulatur  findet  sich  schon  beim  Amphioxus 
und  den  Myxinoiden,  deren  Axenskelet.  die  Chorda,  noch  ungegliedert 
ist  Die  Muskelgliederung  ist  somit  älter  als  die  Skeletgliederunji 
und,  wie  wir  noch  weiter  hinzufügen  können,  Ursache  der  letzteren. 
Die  Bewegungen  der  Muskeln  verhindern,  dass  die  knorpelige  oder 
knöcherne  Wirbelsäule  ein  Continuum  bildet,  wie  es  die  Chorda  und 
die  bindegewebige  skeletogene  Schicht  sind;  sie  bewirken,  dass  in 
kleinen  Intervallen  biegsame,  die  Knorpel-  oder  Knochensäule  in  die 
Wirbelkörper  abtheilende  Gewebspartieen  erhalten  bleiben.  Naturgemäss 
dürfen  diese  biegsamen  Trennungslinien  nicht  mit  den  Muskelgrenzen 
zusammenfallen,  sondern  müssen  zwischen  ihnen  liegen;  mit  anderen 


Worten 


Muskelgliederung 


und  Skeletgliederung.  Myotonie  und  Sklero- 


tome,  müssen  mit  einander  alterniren. 

Wenn  nun  bei  den  Säugeihieren,  z.  B.  dem  Menschen,  von  der  hier 
geschilderten  Muskelanordnung  nur  noch  sehr  wenig  zu  erkennen  ist, 
so  hat  das  seinen  Grund  in  der  Ausbildung  der  Extremitäten ;  je  mehr 
diese  an  Bedeutung  gewinnen  und  die  wichtigsten  Bewegungsapparate 

des  Körpers  werden,  um  so  mehr  werden  Theile 
der  Stammesmuskulatur  abgezweigt,  umgruppirt 
und  in  den  Dienst  der  Extremitäten  gestellt. 
Segmentale  Muskeln  sind  nur  noch  die  Inter- 
costales  und  die  einzelnen  Theile  der  Muskel- 
masse, welche  links  und  rechts  von  der  Wirbel- 
säule am  Rücken  hinzieht.  Embryonal  legt  sich 
jedoch  bei  allen  Wirbelthicren  die  Muskulatur 
segmental  in  Form  der  Ursegmente  (früher  Ur- 
Fi<r.472.  FrontalBchnitr  wirbel  genannt)  an  (Fig.  472). 
durch 


den  Embryo  von 
Triton,  ch  Chorda,  us  I  r- 
»«•pinMit»'       ( Miihkcliinla- 

f n),    uh  Höhlungen  <i«>r 
.  reegraente  (aus  ö.  Hart- 
wig- 


Ein  weiterer  wichtiger  Grundzug  der  Wir- 
belthiermuskulatur  ist  darin  gegeben,  dass  sie 
bei  ihrer  Entstehung  fast  rein  dorsal  ist  und 
daher  auch  dauernd  bei  den  Fischen  vorwiegend 
dorsal  angebracht  ist.  Die  Muskeln,  die  sich 
ventral  vorfinden,  sind  zum  grössten  Theil  erst 
vom  Rücken  dahin  verlagert,  wobei  abermals  als  wesentlichste  Ursache 
die  fortschreitende  Ausbildung  der  paarigen  Extremitäten  anzusehen 
ist.  Der  dorsale  Charakter  der  Wirbelthiermuskulatur  ist  nur  Theil 
einer  Allgemeinerscheinung,  dass  n  ä  in  lieh  durch  die  S  k  e  1  e  t  a  x e 
im  Wirbelthierkörper  eine  Scheidung  zwischen  einer 
dorsalen  a  n  i  m  a  1  e  n ,  d.  h.  u  u  r  a  n  i  m  a  l  e  0  r  g  a  n  e  enthaltenden 
Sphäre  und  einer  ventralen,  vorwiegend  vegetativen 
Sphäre  herbeigeführt  wird.  Ausser  den  Muskeln  gehören  der 
Rückenseitc  noch  an:  1)  das  Nervensystem,  2)  die  wichtigsten  Sinnes- 
organe: Auge,  Nase  und  Gehörorgan. 

Das  C  e  n  t  r  a  1  n  e  r  v  c  n  syst  e  m  der  Wirbelthiere  unterscheidet  sich 
von  den  zum  Theil  dorsal  (Hirn),  zum  Theil  ventral  (Bauchmark)  an- 
gebrachten Centraiorganen  der  übrigen  gegliederten  Thierc  (Anneliden 
und  Arthropoden)  durch  seine  rein  dorsale  Lage  (Hirn  und  Rücken- 
mark); ferner  unterscheidet  es  sich  von  den  Ganglienknötchen  und 
Nervensträngen  aller  wirbellosen  Thiere  durch  die  sonst  nur  noch  bei 
Ascidienlarven  vorkommende  Röhrenform,  d.  h.  durch  die  Anwesen- 


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Wirbelthiere. 


403 


heit  eines  Canals,  der  in  der  Axe  des  langgestreckten  Centraiorgans 
verläuft,  eine  Flüssigkeit,  den  Liquor  cerebrospinalis,  enthält  und  von 
einem  besonderen  Epithel  ausgekleidet  ist.  Dieser  Centralcanal  er- 
klärt sich  entwicklungsgeschichtlich  daraus,  dass  das  Nervensystem  aus 
dem  Ectoblast  stammt  und  sich  von  demselben  nicht  durch  Abspaltung, 
sondern  durch  Entfaltung  ablöst  (Fig.  9,  S.  31).  In  der  Rückenhaut 
des  Embryo  macht  sich  frühzeitig  eine  mediane  Längsrinne,  die  Me- 
dullarfurche,  bemerkbar;  der  Boden  derselben,  die  Medullarplatte, 
krümmt  sich  mit  fortschreitender  Entwicklung  immer  energischer  von 
links  nach  rechts,  bis  sich  die  Rinne  durch  Zusaminenneigen  der  Rän- 
der zum  Rohr  geschlossen  hat.  Wichtig  ist,  dass  fast  bei  allen  Wirbel- 
thieren  das  hintere  Ende  dieses  Rohres  hinter  dem  Ende  des  Axen- 
skelets  herum  durch  den  Canalis  neurentericus  mit  dem  ventral  ge- 
legenen Darmrohr  in  offener  Communication  steht,  eine  Communication, 
welche  sonst  nur  noch  bei  den  Larven  der  Asculten  beobachtet  wird 
(Fig.  200,  S.  278). 

Es  giebt  nur  ein  Wirbelthier,  den  höchst  primitiv  gebauten  Am- 
phioxus,  bei  welchem  das  Centrainervensystem  in  ganzer  Ausdehnung 
im  Wesentlichen  die  gleiche  Beschaffenheit,  die  Beschaffenheit  des 
Rückenmarks  zeigt.  Ein  Hirn  fehlt  hier  noch,  oder  ist,  richtiger  ge- 
sagt, nur  als  eine  kleine  Verdickung  am  vorderen  Ende  des  Nerven- 
systems angedeutet.  Ein  solch  niedriger  Zustand  kommt  selbst  wäh- 
rend der  Entwicklung  der  Wirbelthiere  gar  nicht  mehr  oder  nur  ganz 
vorübergehend  vor.  Die  Regel  ist,  dass  das  Centrainervensystem  schon 
zur  Zeit,  wo  es  sich  von  der  Haut  abschnürt  und  schliesst,  in  ein 
Rückenmark  und  ein  aus  mehreren  Abschnitten  bestehendes  Hirn  ge- 
gliedert ist. 

Das  Rückenmark  (Medulla  spinalis)  ist  ein  cylindrischer,  nur  Ruh«»™*, 
bei  den  Cyclostomen  (Fig.  401)  bandförmig  abgeplatteter  Strang,  welcher 
in  der  ventralen  und  dorsalen  Mittellinie  von  zwei  Längsfurchen  ein- 
gekerbt ist  (Sulcus  anterior  (Sa)  und  S.  posterior  (Sp),  Fig.  73, 
S.  9i|).  Der  Centralcanal  (Cc)  ist  aus  der  Axe  ventral  verschoben,  sein 
Lumen  ausserordentlich  eingeengt  durch  das  Nervengewebe  des  Rücken- 
marks. An  letzterem  kann  man,  wie  an  den  Ganglienknötchcn  der 
wirbellosen  Thiere.  zwei  Schichten  unterscheiden,  von  denen  die  eine 
nur  Nervenfasern,  die  andere  ausser  Nervenfasern  zahlreiche  Ganglien- 
zellen enthält.  Die  Anordnung  der  Schichten  ist  aber  genau  entgegen- 
gesetzt der  Anordnung  der  Ganglienknötchen ,  indem  die  Ganglien- 
zellenschicht, „die  graue  Substanz",  im  Centruin  liegt,  die  Nerven- 
faserschicht, „weisse  Substanz4'  (VF),  dagegen  peripher,  eine  umge- 
kehrte Schichtenfolge,  die  eine  nothwendige  Folge  der  Entwicklung 
durch  Entfaltung  ist.  Der  durch  die  Namen  ausgedrückte  Farben- 
unterschied hat  seinen  Grund  darin,  dass  in  der  Rinde  des  Rücken- 
marks die  weissen,  markhaltigen  Nervenfasern  verlaufen,  während  die 
in  der  grauen  Substanz  zwischen  den  Ganglienzellen  vorkommenden 
Nervenfasern  fast  ausschliesslich  grau  und  marklos  sind.  Der  Farben- 
unterschied beider  Substanzen  fehlt  daher  beim  Amphioxus  und  den 
Cyclostomen,  welche  noch  keine  markhaltigen  Nervenfasern  haben,  ohne 
dass  die  Architectonik  des  Rückenmarks  im  Princip  eine  andere  wäre. 
—  Die  graue  Substanz  umgiebt  zunächst  den  Centralcanal,  ragt 
dann  aber  noch  weiter  auf  jeder  Seite  mit.  abgerundeten  Vorsprüngen 
dorsal  und  ventral  in  die  weisse  Substanz  hinein ;  sie  erhält  so  die 
Gestalt  eines  H,  dessen  dorsale  Schenkel  die  Hinterhörner  (////),  die 


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404 


Wirbelthiere. 


ventralen  die  Vorderhörner  (  VII)  heissen.  Durcli  Vorder-  und  Hinter- 
hörner  und  die  von  ihnen  entspringenden  vorderen  und  hinteren  Nerven- 
wurzeln wird  die  tongitudinaJ  gefaserte,  weisse  Substanz  (TP)  jeder- 
seits  wieder  in  drei  Längsstränge  zerlegt,  die  Seiteustränge  (Sl  und 
die  Vorder-  und  Hinterstränge  (  V  u.  11 ). 

Eine  segnientale  Anordnung,  wie  sie  am  Bauchmark  der  Anneliden 
und  Arthropoden  so  deutlich  ist.  kommt  am  Rückenmark  selbst  nicht 
zum  Ausdruck,  wohl  aber  in  der  Art,  in  welcher  die  Nerven  aus 
ihm  entspringen.  Jedem  Muskelsegment  und  somit  den  Grenzen  von 
zwei  aufeinander  folgenden  Rückenwirbeln  entspricht  ein  ,.gemischter 
Nerv",  welcher  kurz  nach  seinem  Austritt  aus  dem  Rückgratskanal 
sich  in  einen  dorsalen  und  ventralen  Ast  gabelt.  Man  nennt  ihn  einen 
gemischten  Nerven,  weil  er  aus  der  Vereinigung  und  Yermengung 
zweier  Wurzeln  entsteht,  einer  dorsalen  oder  hinteren  (HYV),  die  nur 
sensible  Nervenfasern  enthält,  und  einer  ventralen  oder  vorderen  i  ril'i, 
die  nur  motorische  Nervenfasern  führt.  Die  sensible,  dorsale  Wurzel 
empfängt  ihre  Nerven  aus  dem  Hinterhorn  der  grauen  Substanz,  die 
motorische,  ventrale  Wurzel  dagegen  aus  dem  Vorderhorn.  Da,  wo 
beide  Wurzeln  sich  vereinigen ,  findet  sich  eine 
ovale,  Ganglienzellen  enthaltende  Anschwellung, 
das  Spinalganglion,  welches  aber  ausschliesslich 
der  dorsalen  Wurzel  angehört. 
Gehirn.  Der  zweite  Abschnitt  des  Nervensystems,  das 
Gehirn,  ist  viel  eomplicirter  gebaut  als  das 
Rückenmark  und  kann  nur  auf  entwicklungsge- 
schichtlichem  Wege  verständlich  gemacht  werden, 
weshalb  man  auch  die  Eintheilung  desselben  auf 
entwicklungsgeschichtliche  Thatsachcn  basirt.  Ehe 
noch  die  Medullarplatte  sich  vollkommen  ge- 
schlossen hat,  zeigt  sie  in  der  Kopfregion  ;J 
Ausbuchtungen,  welche  beim  Verschluss  '.\  Blasen 
bilden,  die  Vorderhirn-,  Mittelhirn-  und  Hinter- 
hirnblase.   Auf  das  Stadium  mit  drei  Hirnblasen 

folgt  noch  ein  weiteres,  allen  cranioten  Wirbelthieren 
gemeinsames  Stadium  mit  fünf  Hirnblasen,  indem 
d;is  Hinterhirn  sich  in  das  Kleinhirn  und  Nachhirn 
sondert,  das  Mittelhirn  unverändert  bleibt,  das 
Vorderhirn  wiederum  das  Grosshirn  und  das 
Zwischenhirn  liefert  (Fig.  473,  474).  Das  Gross- 
liirn  ist  von  Anfang  an  kein  einheitliches  Gebilde, 
sondern  besteht  aus  einer  linken  und  rechten 
Hälfte,  deren  Trennung  schon  auf  «lein  Stadium 
der  drei  H iniblasen  durch  eine  Einbuchtung  am 
vorderen  Ende  angedeutet  ist. 

Führen  wir  jetzt  die  Ausdrücke  der  mensch- 
lichen Anatomie  für  die  einzelnen  II  iniabschnitte 
ein,  so  besteht  die  erste  Himblase  (  VII)  aus  den 
beiden  Grosshirnhemisphären,  deren  dorsale  und 
seitliche  Wandungen  sich  meist  stark  verdicken 
und  das  Pallium  heissen,  während  zwei  Anschwel- 
lungen an  der  Basis  links  und  rechts  die  Corpora" 
striata  (Fig.  474  Cs)  genannt  werden.  Vom  vorderen  Abschnitte 
jeder  Grosshirnhemisphäre  sondert  sich  stets  noch  ein  besonderer  Theil 


Fig.  41.'.  Schema 
des  Wirl»elt  hierhin)« 
(aus  Wictlcrshcine. 
FZ7 Vorderhirn  i(in**8- 
hirni.  X//Z\vi»<brnhirn 


(Thalami  optici).  MB. 
Mittelhirn  (Corpora 
quadrigemina) ,  Ulf 
Hinterhin)  i  KFinhirn), 
.V//  Naehhirn  i  Medulla 
ohlongata),  iS'  I'  Seitan- 
ventrikel, ///,/F  dritter 
uml  vierter  Ventrikel, 
FM  Foramen  Monroi 
( Verbindung  di-rSeiten- 
vcntrikcl  mit  dem  drit- 
ten Ventrikel).  Aq 
Aquaeductus  Sylvi,  Ii 
Rückenmark  mit  On- 

tralcanal  (Ce). 


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I 


Wirbelthiere. 


465 


Fig.  474.  Schemacines  Sagittalsehnitts durch 
das  Wirbelthierhirn  und  seine  Umgebung  (aus 
Wicdersheim).  VII,  ZU,  MH,  Hit,  NH—  Vor- 
der-, Zwischen-,  Mittel-,  Hinter-,  Nachhirn, 
Olf  Lobus  olfactorius,  Z  ZirMdrüse,  HC  hin- 
tere Couimissuren  der  Thalami  optici  (Tim/,  I 
Infundibulum,  II  Hypophvsis,  ('s  Corpus  M.ri- 
atum.  (h)t  Opticus,  Nil*  Nasenhöhle,  Ch 
Chorda,  Bc  Basis  cranii,  Sd  Sehädeldecke,  Ce 
Centralcanal  lies  Rückenmarks. 


ab,  der  Lobus  olfactorius  (Fig.  474  Olf),  welcher  den  Nervus  olfac- 
torius zum  Geruchsorgan  abgiebt.    Da  nun  das  Geruchsorgan  häufig 

durch  einen  weiten  Zwischen-  m  zz-ejp[S9ja:  XM 

räum  vom  vorderen  Hirnende  r      f    i   rr  JT  i    ■  y 

getrennt  ist,  muss  entweder 
der  Nervus  olfactorius  lang 
ausgezogen  sein  wie  bei  den 
Amphibien  (Fig.  512),  oder  der 
Lobus  olfactorius  muss  sich 
strecken,  wie  z.  B.  bei  vielen 
Haien  (Fig.  490).  Im  letzteren 
Falle  liegt  das  angeschwollene 
Ende  des  Lobus  der  (ieruchs- 
schleimhaut  dicht  an  und 
bleibt  mit  dem  Hirn  durch 
einen  Stiel  in  Verbindung. 
Man  nennt  dann  den  Stiel 
Tractus ,  die  Anschwellung 
Bulbus  olfactorius ;  beide 
müssen  als  Hirntheile  sehr 
wohl  vom  Nervus  olfactorius  unterschieden  werden. 

Im  Bereich  der  zweiten  Hirnblase  (ZH)  verdicken  sich  nur  die 
Seitenwandungen  und  liefern  die  unmittelbar  an  die  Corpora  striata 
anschliessenden  Thalami  optici;  die  Decke  dagegen  entwickelt  keine 
Nervensubstanz  und  bleibt  eine  dünne  Epithelschicht,  die  man  früher 
ganz  unberücksichtigt  Hess,  so  dass  man  von  einer  in  das  Lumen  des 
Hirns  einleitenden  Oeffnung,  einem  „vorderen  Hirnschlitz4'  sprechen 
konnte.  Dünnwandig  ist  auch  die  Basis  zwischen  den  Thalami  optici; 
sie  ist  zugleich  zu  einem  Trichter  nach  abwärts  ausgestülpt,  dem  In- 
fundibulum. —  Die  dritte  Hirnblase  zeigt  ein  allseitiges  Wachs- 
thum, durch  welches  ihr  Lumen  auf  einen  engen  Canal,  den  Aquae- 
ductus Sylvii,  reducirt  wird.  Eine  Längskerbe  sondert  die  Decke 
meist  in  eine  linke  und  rechte  Wölbung ;  sie  wird  bei  den  Säugethteren 
noch  von  einer  queren  Furche  gekreuzt,  woraus  sich  der  Name  „Vier- 
hügel", „Corpora  quadrigemina",  der  menschlichen  Anatomie 
erklärt.  —  Die  Besprechung  der  vierten  Hirnblase  setzt  die  Kennt- 
niss  der  fünften,  des  Nachhirns,  voraus.  Das  Nachhirn  heisst 
verlängertes  Mark,  weil  es  aus  der  Verlängerung  des  Rücken- 
marks hervorgeht  und  in  vieler  Hinsicht  die  Structurverhältnisse 
desselben  fortführt.  Es  unterscheidet  sich  äusserlich  von  ihm,  indem 
es  nach  vorn  allmählig  sich  verbreitert  und  unter  Bildung  des  hinteren 
Hirnschlitzes  zugleich  seine  Decke  verliert.  Auch  hier  würde  man 
richtiger  sagen,  dass  die  Decke  des  Medullarrohrs  auf  ein  dünnes 
Epithelhäutchen  reducirt  ist.  Vor  dem  Hirnschlitz  liegt  das  Klein- 
hirn, vielfach  nur  eine  dünne,  quer  ausgespannte  Marklamelle.  Meist 
jedoch  ist  es  ein  ansehnlicher  Hirnthcil  und  bildet  einen  medianen 
Wulst  (den  Wurm),  an  dem  noch  zwei  seitliche  Hervorwölbungen,  die 
Kleinhirnhemisphären,  ansitzen  können. 

Bei  dem  wechselvollen  Schicksal,  welches  in  der  Hirngegend  die 
Wandung  des  Neurairohrs  erfährt,  muss  auch  das  Lumen  desselben, 
der  Neuralcanal,  ein  verschiedenes  Aussehen  bieten.  Ausdehnung  der 
Hirnabschnitte  führt  zu  Ausweitungen  des  Lumens,  zur  Bildung  der 
Hirnv  entrikel,  deren  man  im  ganzen  vier  unterscheidet.  Der 

Kettwig.  Lehrbuch  der  Zoologie.    S.  AnlUg».  3Q 


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460 


Wirbelthiere. 


erste  und  zweite  Hirnventrikel  sind  symmetrische  Bildungen,  die 
Hohlräume,  welche  sich  in  den  beiden  Grosshirnhemisphären  befinden ; 
sie  sind  somit  aus  dem  Lumen  der  ersten  Hirnblase  hervorgegangen. 
Der  dritte  Ventrikel  liegt  zwischen  den  Thalami  optici  und  entspricht 
«lern  zweiten  Hirnbläschen.  Da  das  Lumen  des  dritten  Hirnbläschens 
zum  Aquaeductus  Sylvii  eingeschrumpft  ist-,  kommt  der  vierte  Ventrikel 
in  die  Region  der  vierten  Hirnblase  zu  liegen  und  erstreckt  sich  ohne 
Abgrenzung  in  das  Bereich  der  fünften  Hirnblase  hinein  fort;  nach 
seiner  Gestalt  heisst  er  Sinus  rhomboidalis  oder  Rautengrube. 

Obwohl  die  besprochenen  5  Abschnitte  bei  allen  Wirbelthieren 
mit  Ausnahme  des  Amphoxus  vorkommen,  so  ist  doch  das  Aussehen 
des  Hirns  in  den  einzelnen  Classen  ein  wesentlich  verschiedenes,  weil 
das  Grössenverhältniss  und  damit  auch  die  Gestalt  der  Theile  ganz 
ausserordentlichen  Schwankungen  unterworfen  ist.  Bei  den  niederen 
Wirbelthieren  sind  Mittelhirn  und  Nachhirn  unverhältnissmässig  um- 
fangreich, während  das  Grosshirn,  manchmal  auch  das  Kleinhirn  an 
Masse  unbedeutend  ist.  Am  Grosshirn  wiederum  bleiben  die  Hemi- 
sphären im  Wachsthum  hinter  den  Corpora  striata  und  den  Lobi 
olfactorii  zurück.  Umgekehrt  überflügeln  bei  den  höheren  Wlrbelthier- 
classen  das  Grosshirn  und  das  Kleinhirn  die  übrigen  Abschnitte. 
Ganz  besonders  vergrössern  sich  proportional  der  Intelligenzzunahme 
die  Grosshirnhemisphären;  sie  wachsen  nach  rückwärts  und  decken 
schliesslich  beim  Menschen  und  bei  den  Affen  die  übrigen  Hirnab- 
schnitte  zu  ;  sie  dehnen  sich  auch  nach  vorn  aus  und  verdrängen  die 
bei  Fischen  das  vordere  Hirnende  bezeichnenden  Bulbi  olfactorii 
nach  der  Basis.  Um  bei  dem  engbegrenzten  Raum  der  Schädclhöhle 
eine  möglichst  ausgedehnte  Entwicklung  der  Hirnrinde,  welche  der  Sitz 
der  Intelligenz  ist,  zu  ermöglichen,  faltet  sich  die  Oberfläche  zu  Berg 
und  Thal,  den  Gyn  und  Sulci,  ein.  Etwas  Aehnlichcs  vollzieht  sich 
auch  beim  Kleinhirn,  welches  bei  Vögeln  und  Säugcthiercn  nächst  dem 
Grosshirn  der  umfangreichste  Hirnabschnitt  ist. 
F.piphyii».  Mit  dem  Zwischenhirn  der  Wirbelthiere  hängen  2  räthselhafte  Organe 
"^«uT*  ZUSfUnmcn,  von  denen  das  eine  dorsal  an  der  Grenze  der  Vierhügel  und 
ortan.  Thalami  optici,  das  andere  ventral  am  Infundibulum  lagert  (Fig.  474), 
weshalb  das  erstere  Epiphvsis,  das  zweite  Hypophysis  heisst.  Die 
Hypophysis  entsteht  nach  Art  einer  Drüse  als  eine  Ausstülpung  der  em- 
bryonalen Mundhöhle,  der  Mundbucht.  Die  so  gebildete  Hypophysentasche 
schnürt  sich  ab,  vergrössert  sjcn  durch  Knospung  und  verwächst  mit 
nervösen  Theilen,  welche  vom  Ende  des  Infundibulum  stammen,  zu  einem 
einheitlichen  Körper.  Vielleicht  ist  es  dieselbe  Drüse,  welche  man  bei 
den  Ascidien  (S.  278)  unter  dem  Ganglion  findet,  nur  in  rudimentärem  Zu- 
stande. Die  Epiphvsis  ist  eine  Ausstülpung  der  Hirndecke.  Im  engsten  Zu- 
sammenhang mit  ihr,  so  dass  es  lange  Zeit  mit  ihr  identificirt  wurde,  ent- 
wickelt sich  bei  vielen  Wirbelthieren  das  Parietalorgan.  Dasselbe  hat 
bei  manchen  Reptilien  (Hntteria,  Anguis ,  Laccrta  etc.)  die  Structur  eines 
Auges  (Parietalauge)  und  liegt  hier  abgerückt  vom  Hirn  und  mit  ihm 
durch  einen  Nerven  verbunden  in  einem  besonderen  Loch  der  Scheitelbeine, 
welches  nicht  nur  bei  lebenden,  sondern  auch  bei  ausgestorbenen  Reptilien 
nachweisbar  ist.  Ueber  dem  „Parietalauge"  kann  die  Haut  glasartig  durch- 
sichtig sein. 

HimnerTfn  Die  Nerven,  welche  vom  Hirn  ausgehen,  entspringen  fast  sämmt- 
lich  von  der  Hirnbasis,  und  zwar  aus  dem  Bereich  zwischen  Mittel- 
hirn und  Rückenmark,  namentlich  von  der  Medulla  oblongata.  Von 


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Wirbelthiere. 


KIT 


letzterer  Regel  machen  der  N.  olfactorius  und  N.  opticus  eine*  Aus- 
nahme, von  denen  der  eine  vom  Grosshirn,  der  andere  vom  Zwischen- 
hirn kommt.  Beide  Nerven  unterscheiden  sich  aber  auch  sonst  von 
den  peripheren  Nerven,  der  N.  opticus  so  sehr,  dass  er  überhaupt 
nicht  als  ein  peripherer  Nerv  angesehen  werden  darf.  Wie  seine  Ent- 
wicklungsgeschichte lehrt,  ist  er  ein  Hirntheil.  Indem  wir,  dem 
Gebrauche  folgend,  hier  den  Opticus  und  Olfactorius  zu  den  Hirn- 
nerven rechnen,  haben  wir  für  fast  sämmtliche  Wirbelthiere  die  12 
aus  der  menschlichen  Anatomie  bekannten  Nerven  aufzuzählen: 
1)  N.  olfactorius;  2)  N.  opticus;  i5)  N.  oculomotorius;  4)  N.  trochlearis; 
ö)  N.  trigeminus;  (})  N.  abducens;  7)  N.  facialis;  8)  N.  acusticus; 
9)  N.  glossopharyngaeus ;  10)  N.  vagus ;  11)  N.  hypoglossus;  12)  N.  ac- 
cessorius.  Nur  bei  Fischen  und  Amphibien  entspringen  die  Fasern 
des  Hypoglossus  noch  nicht  aus  dem  Hirn,  wie  hier  auch  der  N.  ac- 
cessorius  noch  nicht  so  deutlich  individualisirt  ist  wie  bei  den  Säuge- 
Ihieren. 

Da  unzweifelhaft  im  Kopf  der  Wirbelthiere  zahlreiche,  verwachsene 
Körpersegmente  enthalten  sind,  mindestens  so  viele  als  Visceral  bögen, 
wahrscheinlich  aber  noch  mehr,  so  entsteht  die  Frage,  ob  man  auch  an 
den  Hirnnerven  die  für  die  Rückenmarksnerven  so  deutliche  segmentale 
Anordnung  nachweisen  kann.  Hieran  reiht  sich  die  weitere  Frage,  ob  der 
Bell'sche  Satz,  dass  ein  gemischter  Nerv  sich  aus  einer  dorsalen,  sensiblen 
und  einer  ventralen,  motorischen  Wurzel  bildet,  auf  die  Hirnnervon  über- 
tragbar ist.  Beide  Probleme  sind  in  der  Neuzeit  viel  erörtert  worden, 
sind  jedoch  von  einer  endgiltigen  Entscheidung  weit  entfernt.  Als  fest- 
stehend kann  nur  angesehen  werden,  dass  die  jetzigen  Hirnnerven  mit  Aus- 
nahme von  Opticus  und  Olfactorius  aus  vielfältiger  Umgruppirung  segmen- 
taler Nerven  hervorgegangen  sind.  Dagegen  ist  es  immer  zweifelhafter 
geworden,  ob  für  die  segmentalen  Urnerven  des  Kopfes  das  Princip  des 
doppelten  Ursprungs  aus  dorsalen  rein  sensibeln  und  ventralen  rein  moto- 
rischen Wurzeln  Geltung  besessen  hat. 

Ausser  dem  Körpernervensystem  haben  die  Wirbelthiere  noch  ein  be-  Sympathien* 
sonderes,  die  Eingeweide  versorgendes  Nervensystem,  den  Sympathicus. 
und  in  demselben  ein  besonderes  Centraiorgan,  den  „Grenzstrang".  Letz- 
terer besteht  aus  einem  linken  und  rechten,  unter  der  Wirbelsaule  hin- 
ziehenden Längsstrang,  in  welchem  Ganglienknötchen  eingebettet  sind.  Das 
letzte  Ganglion  liegt  an  der  Basis  der  Schwanzwirbelsäule,  das  erste  am 
vordersten  Halsende;  von  letzterem  dringen  sympathische  Fädchen  an  die 
Basis  des  Kopfes  vor,  auch  dort  mit  Knötchen  (Ganglion  oticum, 
G.  sphenopalatinum)  in  Verbindung  tretend.  Der  Grenzstrang  entsendet 
Nerven  in  Form  zierlicher,  mit  Vorliebe  die  Blutgefässe  begleitender  Ge- 
flechte (Plexus  sympathici)  an  die  vegetativen  Organe  (Darm,  Geschlechts- 
apparat etc.) ;  er  steht  ferner  mit  den  Spinalnerven  in  Verbindung. 

Bei  der  Deutung  der  Sinnesorgane  der  Wirbelthiere  be-  sinn«, 
wegen  wir  uns  auf  viel  sicherer  Grundlage,  als  bei  den  übrigen  Thier-  °"i*a*' 
stammen,  da  die  grosse  Aehnlichkeit  mit  den  Sinnesorganen  des 
Menschen  im  Allgemeinen  gestattet,  die  eigenen  Erfahrungen  bei  der 
Deutung  zu  verwerthen.  Die  Tastorgane  machen  hiervon  freilich 
eine  Ausnahme,  da  dieselben  nur  bei  den  Landbewohnern,  dagegen 
nicht  bei  den  Fischen  den  betreffenden  menschlichen  Einrichtungen 
gleichen.  Die  Tastorgane  des  Metischen,  der  übrigen  Säugethiere,  Vögel, 
Reptilien  und  Amphibien  haben  das  Eigentümliche ,  dass  die  Nerven 
nicht  in  Epithelzellen  enden,  sondern  an  besonderen  Tastzellen  der 


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4f,H 


Wirbelthiere. 


Lederhaut,  welche  entweder  isolirt  im  Bindegewebe  liegen  (Amphibien, 
Reptilien)  oder  zu  Gruppen  vereint  die  Tastkörperchen  erzeugen  ( Vögel. 
Säugethiere)  (Fig.  47f>).  Die  Tastkörperchen  haben  die  (1  estalt  ovaler 
ff/f  Kolben  und  sind  in  besondere  Papillen  der  Leder- 
haut eingebettet.  Ihnen  gleichen  in  ihrer  Form  und 
Lagerung  die  Vater- Pacini'schen  Körperchen,  welche 
sich  in  ihrer  feineren  Structur  allerdings  wesentlich 
unterscheiden  (Fig.  7f>,  S.  101)  und.  da  sie  auch  in 
inneren  Organen  (Mesenterium  der  Katze)  vorkommen, 
in  ihrer  Function  noch  gänzlich  räthselhaft  sind, 
ü'  Neben  diesen  mesodermalen  Nervenendigungen  rinden 
Fig.  47").  \oxt-  s'cn  h°i  «allen  Wirbelthieren  intraepitheliale  Nerven- 
k&rperchen  aus  der  Verästelungen,  wie  sie  am  schönsten  an  der  Hornhaut 
Vogelzug.  X  m-  des  Auges  und  bei  Thieren  mit  empfindlicher  Schnauze, 
tretender  Nerv  7/    wje  Schwein  un(i  Maulwurf,  an  dieser  zu  beobachten 

äussere  Hülle,  KU      .    ,       .      ,    .  .  ,  i-      r  •  -v*  i-  e 

Kerne  «leiwlben,  s,,u*-  ^U('n  mor  Ke"en  die  feinsten  N ervenauslaufer 
n  Seheidewände.  '    nicht  in  Epithelzellen  über,  sondern  enden  zwischen 

ihnen  mit  kleinen  Knöpfchen. 
Den  Fischen  fehlen  Tastzellen,  Tastkörperchen  und  Kolbenkörper- 
chen ;  dafür  ist  ihre  Haut  mit  Sinnesorganen  ausgerüstet,  in  denen 
ein  typisches  Sinnesepithel  nachweisbar  ist.  Die  Hautnerven  treten 
aus  der  Lederhaut  in  die  Epidermis  über  und  enden  an  ovalen  Körper- 
chen, die  zwar  in  ein  vielschichtiges  Epithel  eingebettet  sind,  selbst 
aber  aus  einer  einzigen  Lage  von  Sinneszellen  bestehen.  Nach  der 
Structur  der  letzteren  unterscheidet  man  Nervenendhügel  und 
Nervenendknospen.  Die  Nervenhügel  sind  die  speeifischen  Ele- 
mente der  später  zu  besprechenden  Seitenorgane  der  Fische  und  der 
durch  Kiemen  athmenden  Amphibien  und  Amphibicnlarven  und  scheinen 
somit  besondere,  für  den  Wasseraufenthalt  wichtige  Empfindungen  zu 
vermitteln,  weshalb  man  auch  von  Organen  eines  sechsten  (dem 
Menschen  fehlenden)  Sinnes  gesprochen  hat.  Die  Nervenendknospen 
drängen  sich  namentlich  in  der  Umgegend  der  Mundöffnung  zusammen, 
an  den  Lippen  und  Barteln.  Indem  sie  auch  in  der  Mundschleim- 
haut der  Fische,  speciell  in  dem  den  Gaumen  überziehenden  Theil  vor- 
kommen, leiten  sie  uns  zu  den  Geschmacksorganen  über.  Voll- 
kommen gleichen  Bau  wie  die  Nervenendknospen  der  Fischhaut  zeigen 
die  Geschmacksknospen  (Schineckbecher),  welche  zuerst  bei  Säuge- 
thieren  entdeckt  wurden.  Sie  haben  ihren  Lieblingssitz  am  Grund  der 
Zunge  in  den  Wandungen  der  Papillac  circumvallatae  des  Menschen, 
der  grossen  Papillae  foliatae  der  Nmiethiere  etc.;  sie  sind  in  allen 
Gassen  der  Wirbelthiere  wiedergefunden  worden. 
*»»e.  Die  Nervenendknospen  der  Haut  leiten  ferner  über  zu  den  Ge- 

ruchsorganen. Die  Riechschleimhaut  vieler  Fische,  mancher  Am- 
phibien und  Reptilien  ist  noch  ein  vielschichtiges  Epithel  mit  dicht 
neben  einander  gelagerten  Nervenendknospen  (Fig.  476).  Durch 
Schwund  der  trennenden  Brücken  gewöhnlichen  Epithels  schliessen  die 
Nervenendknospen  zu  einem  continuirlichen  Sinnesepithel  zusammen, 
wie  es  den  Wirbelthieren  von  den  Amphibien  an  aufwärts  zukommt. 
—  Das  von  Riechepithel  ausgekleidete  Geruchsorgan,  die  Nase,  hat 
nun  ebenso  wie  Auge  und  Gehör  durch  den  Grad  der  Vervollkomm- 
nung, den  es  erreicht,  sowie  durch  die  dabei  zu  Tage  tretenden,  syste- 
matisch wichtigen  Unterschiede  ein  besonderes  Interesse.  Mit  Aus- 
nahme der  Cyclostomen  und  des  Amphioaus,  welche  einen  un paaren 


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Wirbelthiere. 


409 


Nasensack  haben,  haben  alle  Wirbelthiere  eine  paarige  Nase. 
Bei  ausgebildeten  Fischen  und  bei  den  Embryonen  von  Reptilien,  Vö- 
gtin und  Säugethieren  liegen  vor  der 
Mundöffnung  zwei  Grübchen,  entweder 
vollkommen  isolirt  für  sich  oder  nur 
durch  eine  Rinne  der  Haut  mit  der 
Mundhöhle  verbunden.  (Fig.  503, 
504.)  Wenn  die  Wirbelthiere  auf  das 
Land  übergehen  und  die  Kiemenath- 
inung  mit  der  Lungenathmung  ver- 
tauschen, erhält  die  Nase  die  weitere 
Bedeutung  eines  Luft  zuleitenden 
Kanals;  sie  wandelt  sich  zu  diesem 
Zweck  in  eine  Röhre  um,  welche  mit 
der  einen  Oeffnung  auf  der  Haut 
beginnt,  mit  der  zweiten  Oeffnung, 
der  Choane,  in  die  Mundhöhle 
führt.  In  der  dorsalen  Wand  der 
Röhre  ist  das  eigentliche  Riechsäckchen 
eingebettet  (Fig.  477.)  Die  innere  Oeffnung  liegt  bei  Amphibien, 
Eidechsen,  Schlangen  und  Vögeln  weit  vorn  hinter  dem  Oberkiefer; 
bei  Crocodilen,  Cheloniern  und  Säugethieren  ist  dagegen  die  Choane 
an  der  Schädelbasis  rückwärts  verlagert,  bei 
den  Crocodilen  und  manchen  Säugethieren 
( Edentaten)  bis  in  die  Nähe  der  Wirbelsäule. 
Diese  Verlagerung  wird  durch  die  Entwicklung 
des  harten  Gaumens  herbeigeführt,  einer  Scheide- 
wand, welche  die  primitive  Mundhöhle  in 
zwei  Etagen  tlieilt,  eine  untere,  die  bleibende 
oder  secundäre  Mundhöhle,  und  eine  obere, 
welche  als  secundäre  Nasenhöhle  zum  Nasen- 
canal  hinzugeschlagen  wird  und  denselben  nach 
rückwärts  verlängert.  Am  harten  Gaumen 
betheiligen  sich  die  anliegenden  Knochen  der 
Maxillar-  und  Palatinreihe,  indem  Intermaxillare, 
Maxillare.  Palatinum,  selten  auch  die  Pterv- 
goidea  horizontale  Gaumenfortsätze  aussenden, 
die  von  rechts  und  links  ausgehen  und  in  der 
Mittellinie  zusammenstossen.  Bei  Säugethieren 
wird  die  knöcherne  Scheidewand  des  harten  Gaumens  noch  eine  Strecke 
weit  als  die  muskulöse  Scheidewand  des  weichen  Gaumens  fort- 
gesetzt.   Ein  fibröser  weicher  Gaumen  findet  sich  auch  bei  Crocodilen. 

Eine  weitere  Vergrosserung  der  Nasenhöhle  wird  h  er  bei  geführt  erstens 
durch  complicirte  Faltungen  der  Wand,  die  von  besonderen  Skeletstücken, 
den  Nasenmuscheln,  gestützt  werden,  zweitens  durch  Ausstülpung  luft- 
haltiger, mit  Schleimhaut  ausgekleideter  Räume,  welche  in  die  benachbarten 
Knochen  eindringen  :  so  bilden  sich  nach  oben  die  Sinus  frontales  im  Stirn- 
bein, nach  rückwärts  die  Sinus  sphenoidales  im  Keilbein,  nach  aussen  das 
Antrum  Highmori  im  Oberkiefer.  Umgekehrt  kann  von  der  primitiven 
Nase  ein  Theil  des  Hohlraums  mit  einem  Theil  der  Geruehsschlcimhaut 
abgeschnürt  werden  und  eine  vollkommen  selbständige  Nebennase  bilden, 
welche  hinter  dem  Zwischenkiefer  in  die  Mundhöhle  mittelst  der  „Stenson- 
schen  Gänge"  mündet.  Diese  Nebennase,  das  J  a  c  o  b  s  o  n'sche  Organ 
(Fig.  477  Pj,  ist  am   schönsten  entwickelt  bei  Eideeham,  Monotremen  und 


Fig.  47*1.  Querschnitt  durch  die 
( icrucksBchleimhaut  eines  Fi#rhrjg  /Be- 
tone). <■  Epithel ,  k  Geruchsknospen, 
//  zutretende  Serven  (aus  O.  Hertwig 
nach  Illaue). 


Flg.  477.  Schema  der 
Nase  einer  Evkchse  (Sa- 
git  talschnitt  k  .LY  äussere, 
/.V  innere  Nasenhöhle,  t 
Verbindung  heider.  C  Na- 
■cnmuschel,  CII  Choane, 
MS  Mundschleimhaut.  \P 
Jäe(il)w»n'sches  Organ.  Ca 
<  anal  desselben  zur  Mund- 
höhle mach  Wietersheim). 


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470 


Wirbelthiere. 


Wiederkäuern,  aber  auch  bei  anderen  Wirbelthieren  vielfach  noch  als  Rudi- 
ment zu  finden. 

au««.  Das  Auge  der  Wirbelthiere  zeigt  nur  beim  Amphioxits  eine 
auffallend  niedrige  und  in  Folge  dessen  doppelt  bedeutsame  Ent- 
wicklungsstufe; es  ist  ein  unpaarer  Pigmentfleck  ohne  Linse,  welcher 
wie  das  Auge  der  Ascidienlarven  in  der  Wandung  des  Hirns  selbst 
liegt.  Bei  allen  übrigen  Wirbelthieren  dagegen  —  mit  Ausnahme  von 
My.vinc  und  wenigen  im  Dunkeln  lebenden  Formen  mit  degenerirten 
Augen  —  finden  wir  dieselben  Hauptbestandteile,  welche  dem  Seh- 
organ des  Menschen  zukommen  und  in  der  allgemeinen  Zoologie  schon 
eine  kurze  Darstellung  gefunden  haben  (Fig.  80,  S.  104).  Daselbst 
haben  wir  das  Auge  kennen  gelernt  als  einen  bei  den  meisten  Wirbel- 
thieren nahezu  kugeligen  Körper,  der  an  seinem  hinteren  Ende  am 
Sehnerven  wie  an  einem  Stiele  festsitzt,  dessen  Centrum  von  durch- 
sichtigen, lichtbrechenden  Substanzen,  Linse,  Glaskörper  (Corpus 
vit reu m)  und  Flüssigkeit  (Humor  aqueus)  eingenommen  wird, 
dessen  Peripherie  aus  )S  concentrisch  wie  Zwiebelschalen  angeordneten 
Membranen  besteht.  Die  äusserste  Membran  ist  die  derbe,  schützende 
Sclera,  welche  im  vorderen  Abschnitt  durchsichtig  wird,  eine  stärkere 
Krümmung  bekommt  und  so  die  Cornea  liefert.  Die  zweite  Mem- 
bran ist  die  blutgefäss-  und  pigmentreiche  Chorioidea,  die  an  der 
Grenze  von  Sclera  und  Cornea  sich  zur  Iris  umwandelt.  Die  innerste 
Membran  ist  die  Netzhaut  oder  Retina,  deren  Bau  und  Lagerung 
für  das  Wirbelthierauge  besonders  charakteristisch  ist. 

Entwicklungsgeschichtlich  besteht  die  Retina  (Fig.  79,  S.  10S> 
aus  2  Abschnitten,  der  Retina  im  engeren  Sinne  und  dem  früher  zur 
Chorioidea   gerechneten  Tapetum    nigrum:    erstere  lässt  weiterhin 
folgende  Schichten  erkennen:  1)  Limitans  interna;  2)  Nervenfaserschicht; 
3)  Ganglienzellenschicht;  4)  innere  granulirte  oder  reticulirte  Schicht: 
5)  innere  Kömcrschicht:  6)  äussere  granulirte  oder  reticulirte  Schicht: 
7)  Süssere  Körnerschicht;  8)  Limitans  externa  und  9)  Stäbchen-  und 
Zapfenschicht.    Die  Limitans  externa  ist  die  Grenzmembran  der  em- 
bryonalen Retina ;  die  durch  sie  gebildete  Grenze  wird  später  über- 
schritten, indem  die  dem  Embryo  bei  der  Geburt  öfters  noch  fehlenden 
Stäbchen  und  Zapfen  hervortreten.    Zwischen  beiden  Grenzmembranen 
spannen  sich  die  Müller'sehcn  Fasern  (im)  aus,  lange  Stützzellen,  wie 
sie  auch  in  anderen  Sinnesepithelien  vorkommen,  dereu  Kerne  im  Be- 
reich der  inneren  Körner  liegen,  deren  Stützfunction  noch  verstärkt 
wird  von  dem  feinen  Horngerüst  der  beiden  reticulirten  Schichten.  In 
diesen  Stützapparat  sind  die  nervösen  Elemente  eingebettet,  welche 
man  am  besten  versteht,  wenn  man  vom  Nervus  opticus  ausgeht. 
Derselbe  strahlt  in  die  Nervenfaserschicht  aus  und  tritt  auf  dem  Weg 
nach  seinen  Endapparaten,  den  Sehzellen,  zweimal  mit  Ganglienzellen 
in  Verbindung,  von  denen  die  einen  der  Ganglienzellenschicht  an- 
gehören, die  anderen  der  Schicht  der  sogenannten  inneren  Körner: 
denn  letztere  sind  ebenfalls  Ganglienzellen,  soweit  sie  nicht  als  Kerne 
dem  stützenden  Gerüst  zuzurechnen  sind.    Ein  grosser  Theil  der 
Retinaschichten  (die  Schichten  1  —  6)  ist  somit  als  Ganglion  opti- 
cum  aufzufassen,  wie  es  auch  bei  Mollusken  und  Arthropoden  vor- 
kommt, hier  aber  stets  ausserhalb  des  Auges  liegt.    Das  Seh  epithel 
selbst  (die  Retina  in  dem  Sinne,  wie  wir  den  Ausdruck  bei  Arthro- 
poden, Mollusken  und    Würmern  gebrauchen)  besteht  nur  aus  zwei 
Schichten,  der  Schicht  der  äusseren  Körner  und  der  Stäbchen-  und 
Zapfenschicht.    Die  äusseren  Körner  sind  die  Kerne  ausserordentlich 


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Wirbelthiere. 


471 


dünner,  fadenförmiger  Epithelzellen  (Stäbchen-  und  Zapfenfasern),  die 
an  ihrem  peripheren  Ende  die  Ilhabdome  tragen.  Bezeichnend  für 
den  vollkommenen  Bau  des  Wirbelthierauges  ist  es,  dass  zweierlei 
Rhabdome  vorkommen  (Stäbchen  und  Zapfen)  und  dass  jedes  derselben 
wieder  aus  2  Stücken  besteht,  dem  Aussen-  und  Innenglied.  —  In 
und  zwischen  den  Sehzellen  fehlt  jegliches  Pigment,  da  dieses  für  den 
Sehact  so  wichtige  Material  der  Retina  der  Wirbelthiere  durch  eine 
besondere  Schicht,  das  oben  genannte  Tapet  um  nigrum,  geliefert 
wird.  Das  Tapetum  ist  eine  Lage  grosser  sechseckiger  Epithelzellen, 
welche  auf  den  Spitzen  der  Stäbchen  und  Zapfen  aufliegen  und  letztere 
mit  feinen  pseudopodienartigen  Ausläufern  umstricken.  Da  Zellkörper 
und  Ausläufer  an  schwarzen  Pigmentkörnern  überaus  reich  sind, 
werden  die  Rhabdome  in  einen  dichten  Pigmentmantel  eingehüllt 

Haben  wir  schon  in  dem  gesonderten  Auftreten  einer  Pigment- 
schicht und  weiterhin  in  der  Verschmelzung  des  Ganglion  opticum  mit 
dem  Sehepithel  wichtige  Unterschiede  des  Wirbelthierauges  von  den 
Augen  der  Evertebraten,  namentlich  von  dem  sonst  so  ähnlichen  Auge 
der  Cephalopoden  kennen  gelernt,  so  haben  wir  nunmehr  noch  die  auf- 
fälligste Differenz  nachzutragen,  indem  wir  die  Art  betrachten,  in 
welcher  die  Retina  in  das  Wirbelthierauge  eingefügt  ist.  Die  Retina 
grenzt  mit  ihrer  Limitans  interna  und  Opticusfaserschicht  an  den 
Glaskörper,  mit  der  Stäbchen-  und  Zapfenschicht,  sowie  mit  dem  Ta- 
petum nigrum  an  die  Chorioidea.  Der  durch  die  lichtbrechenden 
Medien  einfallende  Lichtstrahl  tritt  somit  vom  Glaskörper  zunächst 
an  das  Ganglion  opticum  heran  und  gelangt  erst,  nachdem  er  dasselbe 
passirt  hat,  an  die  Schicht  der  Sehzeilen ;  hier  trifft  er  zuletzt  auf  die 
Rhabdome,  welche  er  von  der  Basis  nach  der  Spitze  durchläuft.  Bei 
fast  allen  Wirbellosen,  namentlich  bei  den  Cephalopoden,  gelangt  der  Licht- 
strahl umgekehrt  direct  an  die  peripheren  Enden  der  Rhabdome,  Die 
Rhabdome  der  Cephalopoden  sind  dem  Lichte  zugewandt,  die  der 
Wirbelthiere  dem  Lichte  abgewandt. 

Diese  vom  Gewöhnlichen  abwei- 
chende, functionell  unzweckmäßige  und 
unnatürliche  Lagerung  der  Retina  er- 
klärt sich  aus  der  Eutwicklungsweise 
des  Wirbelthierauges.  Dasselbe  kann 
nach  seiner  Entstehung  in  2  Theile 
zerlegt  werden,  einen  cerebralen  Theil 
(Opticus,  Retina,  Tapetum  nigrum) 
und  einen  peripheren  (alles  Uebrige). 
Wie  das  Auge  des  Atnphioxus  und 
der  Ascidien  dauernd  einen  Theil  des 
Hirns  ausmacht ,  so  ist  die  Retina 
bei  allen  übrigen  Wirbelthieren  wenig- 
stens genetisch  ein  Theil  des  Ilims 
und  zwar  der  ersten  primitiven  Hirn- 
blase.  Zwei  Ausstülpungen  derselben, 
die  man  später  im  Zusammenhang 
mit  dem  Zwischenhirn  trifft,  schnüren 
sich  ab  zu  Hohlkugeln,  den  primi- 
tiven Augenblasen,  welche  durch  einen 
Stiel,  die  Anlage  des  Opticus,  mit  dem  Hirn  verbunden  bleiben  (Fig.  478). 
Die  primitiven  Augenblasen  werden  bis  unter  die  Haut  vorgeschoben  und 
hier  in  die  secundären  Augenblasen,  die  Augenbecher,  verwandelt,  indem 


A  Ii 


Fig.  478.  Entwicklung  des  Auge« 
(Schema  nach  O.  Hertwig).  A.  Pri- 
märe Augenblase  (b)  steht  durch  den 
Opticus  (o)  mit  dem  Hirn  (c)  in  Ver- 
bindung und  wird  durch  die  Linse  (<i) 
zum  sceundären  Augen  beehcr  einge- 
stülpt. B  Seeundäre  Augenblase  (Au- 
genbecher),  r  Retina  (vordere,  innere 
Wand),  n  Ta]tetum  nigrum  (hintere, 
äussere  Wand  des  Bechers),  r  Corpus 
vitreum.  a  Linsensäckehen ,  s  Stiel, 
welcher  es  mit  der  Haut  noch  ver- 
bindet. 


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472 


Wirbel  thiere. 


unter  gleichzeitiger  Bildung  der  Linse  und  des  Glaskörpers  die  vordere 
und  untere  Wand  so  tief  eingestülpt  wird,  dass  sie  die  Hinterwaud  be- 
rührt. Letztere,  die  Aussenwand  des  so  geschaffenen  doppelwandigeu  Bechers 
ist  das  Tapetuni  nigrum,  erstere,  die  Innenwand,  ist  die  Netzhaut  selbst. 
Achtet  man  genau  auf  die  Lage  der  Epithelzellen  in  der  embryonalen 
Netzhaut,  so  müssen  die  peripheren  Enden  derselben,  welche  früher  das 
Lumen  des  Hirns  begrenzen  halfen,  jetzt  die  Anlage  des  Tapetum  berühren 
ui;d,  wenn  sie  Rhabdoine  ausscheiden,  mit  diesen  in  die  Tapetalschicht 
hineinwachsen.  —  Im  Gegensatz  zur  Retina  bildet  sich  die  Linse  durch 
Einstülpung  aus  dem  Körperepithel,  Sclera,  Cornea  und  Glaskörper  aus 
dem  an  das  Integument  angrenzenden  Bindegewebe.  So  sehen  wir,  dass 
das  Auge  der  Wirbelthiere  in  seinem  wichtigsten  Abschnitt  aus  dem  Hirn 
stammt  und  erst  später  mit  Hilfsapparaten,  die  an  der  Oberfläche  des 
Körpers  entwickelt  werden,  in  Verbindung  getreten  ist.  Dagegen  entsteht 
das  Auge  bei  allen  wirbellosen  Thieren  mit  allen  seinen,  gleich  von  Anfang 
an  harmonisch  in  einander  gefügten  Theilen  in  der  Haut. 

Das  Auge  der  Wirbelthiere  ist  noch  weiter  mit  Hilfsapparaten 
ausgestattet,  mit  Muskeln,  welche  e.s  bewegen,  mit  Augenlidern,  welche  die 
leicht  verletzliche  und  namentlich  an  der  Luft  durch  Trockenheit  leidende 
Cornea  beschützen.  Die  Augenlider  sind  Hautfalten,  die  sich  von  oben 
oder  von  unten  über  den  Augapfel  herüberlegen  (oberes  und  unteres  Augen- 
lid). Dazu  kann  noch  eine  dritte  Hautfalte  kommen,  die  Nickhaut  oder 
Membrana  nictitans;  sie  entspringt,  bedeckt  von  dem  oberen  und 
unteren  Augenlid,  am  inneren  Augenwinkel  und  kann  von  hier  aus  nach 
aussen  und  oben  über  den  Bulbus  ausgebreitet  werden.  Eine  besondere 
Drüse  am  äusseren  Augenwinkel',  die  Thränendrüse,  liefert  der  Oberfläche 
des  Auge»  die  nöthige  Feuchtigkeit;  eine  zweite  Drüse,  die  Harder'sche 
Drüse,  gehört  dein  inneren  Augenwinkel  an  und  ist  in  ihrem  Vorkommen 
an  die  Anwesenheit  der  Nickhaut  gebunden. 
Gehdrorg«.  Mit  dem  Auge  wetteifert  an  Leistungsfähigkeit  und  an  Voll- 
koninienkeit  des  Baues  das  weiter  rückwärts  auf  der  Höhe  der  Medulla 
oblongata  gelagerte  Gehörorgan.  Dasselbe  bietet  nur  in  seiner 
ersten  Anlage  Anknüpfungspunkte  an  die  Hörorgane  der  wirbellosen 
Thiere,  indem  es  als  eine  grubenförmige  Einsenkung  der  Haut  ent- 
steht, welche  sich  meist  zu  einem  vollkommen  geschlossenen  Bläschen 
abschnürt  und  nur  selten  dauernd  auf  der  Körperobertläche  durch 
einen  engen  Gang  (Ductus  endolymphaticus)  ausmündet.  Frühzeitig 
nimmt  das  Bläschen  eine  sehr  complicirte  Gestalt,  an,  so  dass  man  es 
häutiges  Labyrinth  nennt  ;  es  zerfällt  durch  eine  Einschnürung  in  einen 
vorderen  unteren  und  einen  hinteren  oberen  Abschnitt,  den  Sacculus 
und  den  Utriculus,  welche  bei  den  Säugethieren  (Fig.  77)  nur  durch 
den  engen  Ductus  utriculo-saccularis  in  Verbindung  bleiben.  An 
jedem  dieser  Abschnitte  bilden  sich  Anhänge  aus,  am  Utticulus  die 
halbkreisförmigen  Canäle,  am  Sacculus  die  Schnecke  (Fig.  471)).  Die 
h  a  1  b  k  r  e  i  s  f  ö  r  m  igen  C  a  n  ä  1  e  sind  Röhren,  welche  mit  dem  einen 
Ende  vom  Utriculus  ausgehen  und  nach  Beschreibung  eines  Halb- 
kreises mit  dem  anderen  Ende  wieder  in  ihn  zurückführen ;  an  einem 
Ende  haben  sie  eine  Anschwellung,  die  Ampulle,  in  welcher  sich  eine 
besondere  Endigung  des  llörnerven,  eine  Crista  acustica,  findet.  Man 
unterscheidet  nach  ihrer  Lage  .'i  Canäle:  einen  äusseren  horizontalen, 
einen  vorderen  verticalen  (sagittalen)  und  einen  hinteren  verticalen 
(frontalen),  von  denen  die  beiden  verticalen  am  ampullaren  Ende  ge- 
trennt, am  anderen  Ende  verschmolzen  sind.    Im  Gegensatz  zu  den 


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Wirbelthiere. 


473 


halbkreisförmigen  Canälen  hat  die  Schnecke  die  Gestalt  eines  Blind- 
sackes, welcher,  so  lange  er  kurz  ist,  wegen  seiner  flaschenartigen 
Form  Lagcna  heisst,  wenn  er  aber  in 
die  Länge  wächst,  sich  in  3—5  Spiral- 
touren aufwickelt  und  dadurch  eine 
grosse  Aehnlichkeit  mit  einem  Schne- 
ckengehäuse erhält.  In  ganzer  Länge 
ist  ein  Streifen  des  den  Blindsack  aus- 
kleidenden Epithels  in  ein  Sinnes- 
epithel,  das  Cortrsche  Organ,  verwan- 
delt. 

Das  häutige  Labyrinth  ist  ganz 
oder  theilweise  in  die  Seitenwand  des 
Schädels,  in  die  gewöhnlich  zum  Pe- 
trosum  oder  zu  den  Otica  verknöcherte 
Gehörkapsel  eingebettet.  Bei  Säuge- 
thieren  und  Vögeln  ist  seine  Einbettung 
eine  so  vollkommene,  dass  seine  Ge- 
stillt von  den  Hohlräumen  im  Knochen 
genau  wiederholt  wird.  Indessen  wer- 
den die  Lumina  des  sogenannten  knö- 
chernen Labyrinths  von  dem  häutigen 
nicht  gänzlich  ausgefüllt,  da  zwischen 
beiden  Wandungen  ein  System  von 
Lymphspalten  erhalten  bleibt.  Beson- 
ders regelmässig  ordnen  sich  die  lym- 
phatischen Räume  bei  der  Schnecke 
an,  indem  sie  zwei  nur  an  der  Spitze 
der  Schnecke  zusammenhängende  Ca- 
näle  bilden,  die  zu  beiden  Seiten  der 
häutigen  Schnecke  (Ductus  cochlearis) 
hinziehen  und  Scala  tympani  und  Scala 
vestibuli  heissen.  Im  knöchernen  Labyrinth  sind  somit  zweierlei 
Hohlräume  und  dcmgeinäss  auch  zweierlei  Flüssigkeiten  vorhanden: 
das  Innere  des  häutigen  Labyrinths  wird  von  der  Endolymphe  gefüllt, 
die  umgebenden  Lymphspalten  von  der  Perilymphe. 

Kein  Sinnesapparat  zeigt  so  mannichfaltige  Stufen  der  Vervoll- 
kommnung, wie  das  Gehörorgan.  Zahlreiche  Uebcrgangsformcn  exis- 
tiren  zwischen  dem  ungetheilten  Hörbläschen  mit  einem  halbkreis- 
förmigen Canal,  wie  es  bei  Myxine  vorkommt,  und  «lern  complicirten 
Labyrinth  der  Säugeihiere.  Zu  diesen  Vervollkommnungen,  die  sich 
am  Hörbläschen  selbst  abspielen,  gesellen  sieh  noch  weiter  die  Ver- 
besserungen der  llilfsapparate.  welche  mindestens  das  gleiche  Interesse 
wie  jene  beanspruchen  können. 

Hilfsapparate  sind  bei  den  Fischen  vermöge  ihres  Aufenthalts  im 
Wasser  überflüssig  und  nur  ausnahmsweise  vorhanden,  da  die  Schallwellen 
aus  dem  Wasser  leicht  in  die  tiewebe  des  Körpers  übertreten  und  daher 
unmittelbar  zu  den  Endorganen  des  Hörnerven  tortgcleitet  werden  können. 
Dagegen  werden  Hilfsapparate  beim  Uebergang  der  Wirbelthiere  zum 
Landleben  nöthig.  Der  grosse  Dichtigkeitsunterschied  zwischen  der 
Luft  und  den  Wirbelthiergeweben  bringt  es  mit  sich,  dass  die  Schall- 
wellen nur  in  ganz  unbedeutendem  Maasse  aus  jener  in  diese  fortge- 
leitet werden.    Da  somit  die  bei  den  Fischen  vorhandene  Schallleitung 


Fig.  470.  Schema  des  häutigen 
Labyrinths  eines  Fischt  *,  u  T_  tri- 
culus  mit  den  halbkreisförmigen 
( 'nnälen :  ca  vorderein,  r/>  hinterem, 
cc  äusserem;  an,  ap,  ae  die  zuge- 
hörigen Ampullen  ;  ss  u.  ass  oberer, 
*»  hinterer  Sinus  Ctriculi ,  ree 
Keeessus  utrieuli ;  a  Saeculus.  /  La- 
gcna Sc  hnecke),  cim  Canal  zwischen 
Sacetdus  und  I'triculu»,  f  Abgangs- 
stelle de«  Ductus  endolymphaticus 
fh,  .sc  dessen  Kndansehwellung  (aus 
Wiedersheim). 


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474 


Wirbelthiore. 


durch  die  Gewebe  für  die  praktische  Verwerthung  in  Wegfall 
kommt,  müssen  besondere  Schall  leitende  Apparate  geschaffen 
werden,  sofern  nicht  das  Gehörorgan  functionsunfähig  werden  soll; 
und  so  rinden  wir  denn  von  Amphibien  an  aufwärts  einen  Luftcanal, 
den  Gehörgang,  ferner  ein  Trommelfell,  welches  die  Schallschwingungen 
auffängt  und  mit  demselben  in  Verbindung  eine  Reihe  von  Gehör- 
knöchelchen, welche  die  Schwingungen  auf  das  Labyrinth  übertragen. 

Um  diese  Bildungen  morphologisch  zu  verstehen,  müssen  wir  uns 
vergegenwärtigen,  dass  das  Gehörorgan  zwischen  Kiefer-  und  Zungen- 
beinbogen lagert,  in  der  Wandung  eines  oben  schon  kurz  er- 
wähnten Canals,  welcher  von  der  Oberfläche  des  Körpers  in  den  Rachen 


Fig.  480.  Schema  de«  Gehörorgan.«  dei  Hauchen.  I.  Schnlllcitender  Apparat: 
M  Ohrmuschel,  .V«/1  Meatus  auditorius  cxti-ruus,  .V/  Membrana  tynipani,  Ct  Cavum 
tyinpnni,  TU  Tulta  KiMachii,  7V-'  Mündung  in  d«n  Pharynx.  S.\j>  Reihe  der  Gehör- 
knöchelchen (als  ».-in  Stück  gezeichnet),  f  Einfügung  derselben  in  die  Fcneatra  ovalis, 
M  die  dir  Fnioira  r< >( uiuiu  srhlicssendc  Membran.  II.  Knöchernes  Labyrinth  (KL, 
Kl'l  mit  eingelagertem  häutigen  Labyrinth,  dazwischen  schwarz  die  Perilymphe  fd), 
S  Sacculus,  Con  Ductus  COChlaaria,  zwischen  beiden  Cr  Canalis  rcuniens,  Con1  knö- 
cherne Sehnecke,  Ct  Cupula  terminalis,  Ende  der  Schnecke,  Sv,  St  Scala  vestibuli 
und  Sc.  tynipani,  '  Uel>ergane  beider,  Dp'  Ductus  perüymphaticna,  2  Utriculu»  nut 
dem  horizontalen  Canalis  seuiicircularis,  a  und  b  tue  beiden  vertiealen  C.  »emicircu- 
lares,  c  Verbindung  derselben,  Co  die  gleiche  Verbindung  im  knöchernen  I>abyrinth, 
De  Ductus  endolymphaticus  mit  Endblase  Sc. 

führt.  Der  Canal  heisst  bei  den  Fischen  das  Spritzloch  und  ist  das 
Rudiment  einer  Kiemenspalte;  aus  ihm  entsteht  bei  Amphibien  und 
Amnioten  ein  Luftraum ,  der  auf  der  Körperoberfläche  durch  eine 
elastische  Membran,  das  in  den  Annulus  tympanieus  eingespannte 
Trommelfell,  geschlossen  wird,  während  er  seine  Mündung  in  den 
Rachen  beibehält.  Dicht  hinter  dem  Trommelfell  erweitert  sich  der 
Luftraum  zur  Trommelhöhle  (Cavum  tympani);  der  in  den  Rachen 
mündende  Theil  verengt  sich  dagegen  zur  Tuba  Eustaehii.  Das  häutige 
Labyrinth  liegt  in  der  Wand  der  Trommelhöhle  und  grenzt  an  das 
Lumen  derselben  an  zwei  Stellen  unmittelbar  an,  indem  die  knöcherne 


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Wirbelthiere.  475 

Hörkapsel  hier  durch  Oeffnungen  durchbrochen  ist,  die  stets  vor- 
handene Fenestra  ovalis  und  die  den  Amphibien  noch  fehlende  Fenestra 
rotunda. 

Wenn  wir  nun  weiter  bedenken,  dass  dicht  vor  dem  Spritzloch 
der  Kieferbogen,  dicht  hinter  ihm  der  Zungen- 
beinbogen liegt,  so  wird  es  begreiflich,  dass 
Theile  derselben  in  die  Trommelhöhle  hinein 
verlagert  werden  und  Hörknöchelchen  liefern 
können.  Bei  Amphibien,  Reptilien  und  Vögeln 
pflanzt  sich  das  Hyomandibulare  oder  die  Colu- 
mella  mit  einem  Ende  in  die  Fenestra  ovalis, 
mit  dem  andern  Ende  in  das  Trommelfell  ein 
und  überträgt  die  Schwingungen  des  letzteren 
auf  das  dicht  anschliessende  Labyrinth.  Bei 
den  Säuqcthieren  wird  diese  Uebertragung  noch     ,  j  ^''llor*110- 

in        "  .    .  .    .        TT        ^    i-.    i  «■ndrhen  dos  .W  tischen. 

vollkommener,  indem  zwischen  Hyomandibulare    77  Hammer   A  Ambra 
(Stapes)  und  Trommelfell  weiter  (las  Quadratum    .s  Stdgbüfn'l  (aus  Wic- 
(Tncus)  und  das  Articulare  (Malleus)  eingeschoben  derehehu). 
werden   und   so   eine   federnde  Knochenreihe 
herstellen  (Fig.  481). 

Das  Trommelfell  liegt  bei  den  meisten  Wirbelthieren  in  einer 
Ebene  mit  der  übrigen  Haut  oder  nur  schwach  eingesenkt;  bei  den 
Säugethieren  wird  es  besser  geschützt,  indem  es  in  die  Tiefe  sinkt  und 
an  den  Grund  eines  Blindkanals  zu  liegen  kommt,  des  Meatus  audi- 
torius  externus.  Ebenso  ist  im  Wesentlichen  auf  die  Classe  der 
Säugcthiere  die  Ohrmuschel  beschränkt,  eine  von  Knorpeln  gestützte 
Hautfalte,  welche  die  Schallschwingungen  auffängt. 

Unterhalb  der  Wirbelsäule  in  der  ventralen,  die  dorsale 
an  Umfang  weit  übertreffenden  Sphäre  des  Körpers  findet  man  fast 
sämmtliche  wichtigen  vegetativen  Organe  des  Wirbelthierkörpers  in 
einem  geräumigen  Hohlraum  vereinigt,  in  dem  Coelom  oder  der 
Leibeshöhle.  Dieselbe  ist,  wie  die  Entwicklungsgeschichte  besonders 
klar  beim  niedersten  Wirbelthiere,  dem  Amphioxus,  lehrt,  ein  Ab- 
kömmling des  Darms,  eki  echtes,  von  einem  Epithel  (Endothel)  aus- 
gekleidetes Enterocoel  (vergl.  S.  12i»)-  Da  sie,  wie  auch  sonst  bei 
bilateralen  Leibeshöhlenthieren ,  durch  paarige  Ausstülpungen  des 
Darms  gebildet  wird,  muss  sie  durch  eine  Scheidewand,  in  welcher 
der  Darm  liegt,  anfänglich  in  eine  linke  und  rechte  Hälfte  (linken 
und  rechten  Coelomsaek)  geschieden  sein.  Diese  Scheidewand  ist  das 
Gekröse  oder  das  Mesenterium  des  Darms,  welches  mit  seinem  dor- 
salen Abschnitt  in  ganzer  Länge  von  der  Wirbelsäule  entspringt,  ven- 
tral vom  Darm  aber  (als  vorderes  Mediastinum,  Omentum  minus  und 
Ligamentum  Suspensorium  hepatis  der  menschlichen  Anatomie)  nur 
bis  zur  Lebergegend  reicht,  während  es  weiter  nach  hinten  fehlt,  so 
dass  dann  linker  und  rechter  Leibessack  unter  dem  Darm  zusammen- 
fliessen.  Auch  die  meisten  übrigen  Organe  sind  in  der  Leibeshöhle 
durch  Aufliängebändcr  befestigt,  so  der  Hoden  durch  das  Mesorchium, 
das  Ovar  durch  das  Mesovar. 

Die  Leibeshöhle  der  Wirbelthiere  nennt  man  vielfach  Pleuroperi- 
tonealhöhle,  weil  sie  bei  den  Säugethieren  durch  eine  Scheidewand,  das 
Zwerchfell,  in  einen  vorderen  Abschnitt,  die  Brust-  oder  Pleurahöhle, 
und  einen  hinteren  Abschnitt,  die  Leibeshöhlc  im  engeren  Sinne, 
Bauch-  oder  Peritonealhöhle,  gesondert  ist.    Die  auskleidenden  Mem- 


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476 


Wirbelt  hiere. 


branen  dieser  Räume  nennt  man  Brustfell  oder  Pleura,  Bauchfell  oder 
Peritoneum.  Auch  die  Pericardialhöhle  der  Wirbelthiere  ist  ein  Derivat 
der  Leibeshöhle  und  das  Pericard  ein  abgeschnürter  Theil  der  Pleuro- 
peritonealmembran ;  man  findet  daher  bei  manchen  Fischen  (Stör) 
dauernd  eine  Verbindung  zwischen  dem  Herzbeutel  und  der  allge- 
meinen Leibeshöhle.  Bei  den  meisten  Fischen  und  manchen  llepttlien 
besteht  vielfach  auch  eine  directe  Communication  der  Leibeshöhle  nach 
aussen,  wdehe  durch  1-  2  hinter  oder  neben  dem  After  angebrachte 
Oeffnungen,  die  Pori  abdominales,  bewirkt  wird. 

Unter  den  vegetativen  Organen  besitzt  der  Darm  für  die  syste- 
matische Charakteristik  der  Wirbelthiere  das  allergrösste  Interesse, 
weil  er  nicht  nur  die  Verdauung  vermittelt,  sondern  auch  für  alle 
Wirbelthiere,  für  die  wasser-  und  landbewohneuden,  die  Athmungs- 
organe  (Kiemen  und  Lungen)  liefert,  während  diese  Theile 
bei  den  Wirbellosen  mit  Ausnahme  der  Tunicaten  und  Enteropneusten 
von  der  Haut  aus  entstehen.  Der  Darm  beginnt  in  einiger  Entfernung 
vom  vorderen  Ende  auf  der  ventralen  Seite  mit  der  MundötTnung  und 
endet  ebenfalls  ventral,  aber  ziemlich  weit  entfernt  von  dem  hinteren 
Ende  der  Wirbelsäule,  der  Schwanzspitze,  mit  dem  After.  Seiner  Ab- 
stammung nach  ist  er  vorwiegend  entodermal ;  die  Haut  betheiligt 
sich  an  seiner  Bildung  im  Embryo  nur  durch  ganz  flache  Einsenkungcn 
vorn  und  hinten,  die  Mund-  und  Afterbueht. 

Der  Anfangsabschnitt  des  Darms  ist  geräumig;  es  ist  die  ecto- 
dermale  Mundhöhle  und  der  entodermale  Pharynx  oder  die  Rachen- 
höhle, zwei  Räume,  die  bei  den  meisten  Wirbelthieren  ohne  Grenze  in 
einander  übergehen,  bei  Säuqethiemn  und  Crocodilen  aber  durch  den 
weichen  Gaumen  getrennt  werden.  Nun  folgt  der  engere  Oesophagus, 
der  sich  an  seinem  unteren  Ende  zum  Magen  erweitert  Vom  hinteren 
Magenende,  dem  Pylorus,  beginnt  der  Dünndarm,  der  in  den 
Dickdarm,  den  zum  dritten  Mal  erweiterten  Endabschnitt  des  Darms, 
bei  den  niederen  Wirbelthieren  ganz  allmählig  übergeht,  bei  den  höheren 
Wirbelthieren  dagegen  durch  eine  besondere  Klappe  gegen  ihn  abge- 
grenzt wird.  Von  Änhangsdrüsen  «los  Darms  ist  nur  die  Leber  con- 
stant,  welche  schon  beim  Amphtoxus,  allerdings  nur  als  einfacher  Blind- 
sack, angelegt  ist,  von  den  Cyclostomen  an  aufwärts  dagegen  das  be- 
kannte compacte,  braune,  gewöhnlich  mit  einer  Gallenblase  versehene 
Organ  bildet.  Neben  der  Leber  ist  meist  noch  eine  kleinere  Drüse,  das 
Pancreas,  vorhanden;  die  Ausführgänge  beider  Drüsen,  der  Ductus 
choledochus,  Gallengang,  und  der  Ductus  pancreaticus,  münden  in  den 
Dünndarm  kurz  hinter  dein  Pylorusende  des  Magens.  Ausserdem 
kann  noch  die  Mundhöhle  mit  Drüsen,  den  Speicheldrüsen,  ver- 
sehen sein  und  andererseits  der  Enddarm  mit  Blindsäcken  und  Drüsen, 
die  jedoch  keine  weitere  Verbreitung  besitzen  (Eig.  517). 
Rwpiratjonf-  Der  die  A  t  h  m  u  n  g  s  o  r  g  a  n  e  liefernde  Theil  des  Darmtractus  ist 
ore*n«.  aj|en  Wirbelthieren  der  Pharynx.  Derselbe  wird  bei  den  Fischen 
zum  Kiemendarm,  indem  seine  linke  und  rechte  Wand  von  Kiemen- 
spalten durchbrochen  wird,  welche  auch  bei  den  ausschliesslich  luft- 
athmenden  Wirbelthieren  im  Embryonalleben  angelegt  werden,  ohne  hier 
je  in  Function  zu  treten.  Die  Kiemenspalten  liegen  jedesmal  zwischen  2 
aufeinander  folgenden  Kiemenbögen  (Eig.  400)  und  sind  Canäle,  welche 
auf  der  Darmobertläche  mit  der  inneren,  auf  der  Hautoberfläche  mit 
der  äusseren  Kiemeiiötf'nung  münden,  so  dass  man  eine  Sonde  von 
aussen  durch  die  Kiemenspalten  in  den  Pharynx  und  von  da  durch 


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Wirbelthiere. 


477 


die  Mundöffnung  wieder  herausführen  kann.  Zwischen  beiden  Oeff- 
nungen  ziehen  in  der  vorderen  und  hinteren  Wand  der  Canäle  zarte, 
blutgefässreiche  Schleimhautfalten,  die  Kiemenblättchen.  Man  nennt 
dieselben  innere  Kiemen  im  Gegensatz  zu  den  äusseren  Kiemen  der 
Amphibien  und  Amphibicnlarvcn,  welche  am  oberen  Rand  einer  Kiemen- 
spalte als  baumartige  Verästelungen  der  Körperoberfläche  aufsitzen 
(S.  28,  21»,  Fig.  4,  5). 

Aus  dem  Epithel  der  Kiemenspalten  entwickeln  sich  zwei  räthselhafte 
Organe,  die  Thymus  und  die  seitlichen  Lappen  der  Schilddrüse  oder 
Thyreoidea.  Obwohl  beide  Organe  bei  allen  Wirbelthieren  vorkommen, 
weiss  man  nichts  über  ihro  Function.  Den  mittleren,  unpaaren  ebenfalls 
vom  Rachenepithel  abstammenden  Theil  der  Thyreoidea  hat  man  versucht 
als  den  modificirten  Endostyl  der  Timimten  (Hypobranchialrinne)  zu  deuten 
und  als  einen  weiteren  Beweis  für  die  Verwandtschaft  von  Tunicaten  und 
Wirbelthieren  zu  verwerthen  (cfr.  S.  27f>,  270). 

Auch  die  Organe  der  Luftathmung,  die  Lungen,  stehen  bei  den 
Wirbelthieren  mit  dem  Darm  in  Verbin- 
dung, indem  sie  am  Uebergang  von  Pharynx 
und  Oesophagus  als  2  sackartige  Ausstül- 
pungen —  von  denen  ab  und  zu  eine 
rudimentär  bleibt  —  gebildet  werden ;  sie 
münden  dauernd  in  den  Pharynx,  entweder 
unmittelbar  oder  durch  Vermittelung  eines 
von  Knorpel  gestützten  Luftrohrs,  der  Tra- 
chea, welche  kurz  vor  dem  Uebergang  in 
die  Lungen  sich  in  die  2  Bronchien  ga- 
belt. (Fig.  482,  517.)  An  der  Mündungs- 
stelle in  den  Pharynx  sind  die  Stützknorpel 
besonders  kräftig  und  bilden  den  häutig 
zur  Stimmerzeugung  dienenden  Larynx 
oder  Kehlkopf,  der  durch  eine  Klappe 
(Kehldeckel,  Epiglottis)  gegen  den  Pharynx 
abgeschlossen  werden  kann.  Der  Lunge 
und  der  Trachea  entsprechen  bei  den  Fischen 
die  Schwimmblase  und  der  Schwimmblasen- 

gang,  Organe,  die  meist  als  hydrostatischer  t  ^  d<*  Herzens,  7V  Trachea, 
Apparat  verwandt  werden  und  einen  ein-  ^  8,ch  m  *■  Bronchial 
fächeren  Bau  haben. 

Der  Blutgefäßsapparat  der  Wirbelthiere  lässt  sich  unschwer 
aus  den  bei  Anneliden  bestehenden  Verhältnissen  erklären  und  ist  wie 
bei  diesen  ein  vollkommen  in  sich  geschlossenes  Röhrensystem.  Bei 
den  Anneliden  (S.  2(52,  Fig.  241,  242)  läuft  ein  grosser  longitudinaler 
Blutstamm  über  dem  Darm  von  hinten  nach  vorn,  ein  zweiter  in  ent- 
gegengesetzter Richtung  unter  dem  Dann  von  vorn  nach  hinten ;  beide 
hängen  in  jedem  Segment  unter  einander  durch  Gefässschlingen  zu- 
sammen, welche  von  links  und  rechts  den  Darm  umgreifen.  Geht  man 
von  diesem  Schema  aus,  so  ist  für  die  Wirbelthiere  charakteristisch, 
dass  sich  im  ventralen  Längsstamm  ein  Herz  ausgebildet  hat.  Bei 
den  niederen  Wirbelthieren,  den  Fischen  (S.  90,  Fig.  (52,  S.  502,  Fig.  602) 
liegt  dasselbe  dicht  hinter  der  Kiemenregion  und  giebt  das  Blut,  welches 
es  vom  Körper  empfängt,  an  die  Kiemen  ab;  es  führt  somit  venöses 
Blut,  wie  der  ganze  ventrale  Blutgefässstamm.  Da  die  vorderen  Ge- 
fässschlingen sich  an  der  Kiemenregion  des  Darms  verbreiten,  muss 


*         i  r 

Fig.  4N2.  Lungen  den  Men- 
sr/trn  in  ventraler  Ansieht  (aus 
Wiedereheim).  /,  2,  .7,  2a,  .7a 
die  linken  und  rechten  Lungen- 
lappen, Z  Lage  des  Zwerchfells, 


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478 


Wirbelthiere. 


der  aus  ihnen  sieh  sammelnde  dorsale  Längsstamm  sauerstoffreiches 
Blut  führen,  welches  mittelst  der  Carotiden  den  Kopf,  auf  dem  Weg 
der  hinteren  Blutgefässsehlingen  den  Körper  versorgt,  hierbei  venös 
wird  und  in  den  ventralen  Längsstamm  zurückfliesst 

Das  hier  kurz  skizzirte  Schema  des  Blutkreislaufs  der  Fische  bedarf 
der  näheren  Durchführung.  Das  Herz,  ein  muskelstarkes,  in  einen  be- 
sonderen Herzbeutel  eingeschlossenes  Organ,  besteht  aus  2  durch 
Klappen  getrennten  Theilen  (Fig.  501):  Vorkammer  und  Kammer.  Der 
von  der  Kammer  ausgehende  Hauptstamm  ist  die  Aorta  asccndens:  die 
von  derselben  an  den  Kiemendarm  tretenden  Gefässe  sind  die  Arterien- 
bögen.  welche  nur  bei  jungen  Fischen  (Fig.  502)  direct  zum  dorsalen 
Blutgefäss  emporsteigen,  später  den  aus  Kiemenarterien,  Kiemen- 
capillaren  und  Kiemenvenen  (Fig.  02)  bestehenden  Kiemenkreislauf 
bilden.  Der  dorsale  Blutgefässstamm  ist  die  Aorta  descendens,  der  zum 
Herzen  rückleitende  ventrale  Stamm  die  nur  dem  Amjihioxus  und 
jugendlichen  Fischen  zukommende  Vena  subintestinalis,  aus  der  vor 
Allem  die  Vena  portarum  hervorgeht.  Zu  ihr  kommt  noch  ein  paariges 
Vcnensysteni,  welches  aus  den  Venae  cardinaJes  und  jugulares  besteht 
und  immer  mehr  Terrain  der  Subintestinalvene  abgewinnt. 

Der  Blutkreislauf  der  Fische  erfährt  bei  den  höheren  Wirbei- 
th i  e  r  e  n    eine    vollkommene    Umgestaltung    durch  das 

Aufhören  der  K  i  e  - 
nienathmung  und  das 
Auftreten   der  Lun- 

genathmung.  Es 
schwinden  die  Kiemen  und 
die  Kiemencapillaren ;  der 
gesammte  Kiemenkreislauf 
wird  auf  die  von  A.  ascen- 
dens  zu  A.  descendenz 
direct  übertretenden  Ar- 
terienbögen  reducirt;  vor 


Fig.  4S3. 


Allem  aber  geräth  das  Ge- 
fässsystem  der  Lunge, 
welches  bei  den  Fischen 
als  Gefässsystem  der 
Schwimmblase  ein  Theil 
des  Körperkreislaufs  warT 
zu  letzterem  in  einen 
functionellen  Gegensatz, 
der  auch  zu  einer  mor- 


Fig.  m. 

Fig.  1K.'?.  Schema  der  Arterienbögen  eines 
Reptil tetymbrijn .  im  Wesentlichen  mit  den  Arte- 
rienbögen der  Lurehfische  übereinstimmend.  1 — 5 
die  fünf  Arterienbögon ;  ci,  cc  die  Carotiden,  rVerte- 
bral-Arterie ,  p  Pulmonadia ,  s  Subclavia  (ans  O. 
Hcrtwig). 

Fig.  4S4.  Schematiche  Darstellung  der  Meta- 
morphose der  Arterienbögen  bei  Vöfjiln  (nach  Rathko). 
a,  b  »He  äussere  und  innere  Carotis  (Kopfarterien), 

c  gemeinsame  Carotis,  »/Aorta  asccndens,  c  Aorten-    phologischen  Sonderung 
bogen,  f  rechte  Subclavia,  '/  Aorta  descendens,  Ii    rnw    ».,.  j„„„„„ 
link  Subclavia,    i  Pulmonal» .  k  und  /   die  als    ""lrt,  zur   Sonderung  be- 
Ductus liothalli  bekannten  embryonalen  Verbin-  sonderer  Lungenarterien 
düngen  von  Aorta  und  Pulmonal!«.  und  Lungenvenen.  Dabei 

werden  die  Arterienbögen 
zum  Theil  rückgebildet,  zum  Theil  auf  den  Lungen-  und  Körperkreis- 
lauf vertheilt.  Von  den  6  sich  gewöhnlich  im  Embryo  anlegenden 
Bögen  geht  der  fünfte  (in  den  Figuren  483  und  484  gar  nicht  darge- 
gestellt)  am  frühzeitigsten  verloren,  weiterhin  der  erste  und  zweite. 
Der  schon  bei  den  Lurchfischen  die  Schwimmblase  versorgende  letzte? 
Bogen  (Fig.  483)  wird  zur  Lungenarterie  (Arteria  pulmonalis);  der 
Rest  liefert  die  Arterien  des  Körperkreislaufs,  Aorta  descendens  und 


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Wirbelthiere. 


479 


die  den  Kopf  versorgenden  Carotiden  (Fig.  484).  Da  in  gleicher  Weise 
besondere  Lungenvenen  unabhängig  von  den  Körpervenen  zum  Herzen 
zurückführen,  kommt  es  auch  im  Herzen  zu  einer  Sonderung,  zur 
Bildung  einer  Scheidewand,  welche  das  Herz  der  Länge  nach  in  eine 
linke  und  rechte  Hälfte  trennt.  Die  rechte  Hälfte  bewahrt  den  venösen 
Charakter  des  Fischherzens,  indem  die  rechte  Vorkammer  die  Körper- 
venen aufnimmt,  die  rechte  Kammer  die  Pulmonarterie  abgiebt.  Die 
linke  von  den  Lungenvenen  versorgte  Hälfte  wird  dagegen  arteriell, 
da  die  Lungenvenen  dem  linken  Vorhof  nur  arterielles  Blut  zuführen, 
welches  von  da  in  die  linke  Kammer  tritt  und  durch  die  aufsteigende 
Aorta  das  Herz  wieder  verlässt.  Eine  vollkommene  Scheidung  von 
Körper-  und  Lungenkreislauf  und  dementsprechend  eine  vollkommene 
Trennung  des  Herzens  in  eine  linke  und  rechte  Hälfte  ist  nur  bei  den 
Säugethieren  und  Vögeln  erreicht.  Reptilien  und  Amphibien  erläutern 
uns,  wie  die  Umwandlung  des  Gefässsystems  sich  bei  den  Wirbel- 
thieren vollzogen  hat.  Dabei  ergiebt  sich,  dass  die  Trennung  im  Venen- 
system beginnt  und  auf  die  Vorhöfe  übergreift.  Erst  innerhalb  der 
Classe  der  Reptilien  entsteht  eine  Scheidewand  in  der  Herzkammer. 

Bei  lungenathmenden  Wirbelthieren  strömt  das  venöse  Körpervenen- 
blut in  die  rechte  Vorkammer,  durch  die  rechte  Herzkammer  und  die 
Pulmonalarterien  in  die  Lungen ;  hier  arteriell  geworden  gelangt  das  Blut 
durch  die  Pulmonalvenen  in  die  linke  Vorkammer  und  weiter  in  die  linke 
Kammer,  von  welcher  aus  es  durch  die  Aorta  dem  Körperkreislauf  mit- 
getheilt  wird.  —  Ausser  Blutgefässen  finden  sich  bei  den  Wirbelthieren 
noch  die  Lymphgefässe  vor  als  eine  Ergänzung  des  Venensystems.  Der 
in  den  Spalten  des  Bindegewebes  sich  sammelnde  Ueberschuss  von  Ge- 
webssaft  wird  von  ihnen  aufgenommen  und  in  die  grossen  Venenstämme 
eingeleitet.  Meist  genügt  die  Herzthätigkeit,  um  auch  hier  eine  genügende 
Bowegung  zu  unterhalten,  doch  können  daneben  besondere  Lymphherzen 
vorkommen.  Unter  don  Lympbgefässen  spielen  diejenigen,  welche  sich  am 
Darm  verbreiten,  eine  hervorragende  Rolle,  indem  sie  zur  Resorption  der 
verdauten  Nahrung  dienen;  sie  heissen  Chylusgefässe,  weil  ihr  Inhalt,  der 
Chylus,  sich  zur  Zeit  der  Verdauung  von  der  gewöhnlichen  Lymphe 
durch  intensive  weisse  Färbung  unterscheidet,  welche  durch  frei  suspen- 
dirte  Fetttröpfchen  veranlasst  wird.  Ueber  die  Beschaffenheit  der  ge- 
wöhnlichen Lymphe  und  des  Blutes  wurde  schon  im  allgemeinen  Theil 
das  Wichtigste  gesagt  (S.  71,  Fig.  43,  44).  An  besonderen  Stellen  sind 
in  den  Verlauf  der  Lymphgefässe  die  Lymphdrüsen  eingeschaltet,  kleine 
Knötchen,  in  denen  die  Lymphkörperchen  gebildet  werden.  Ihnen 
scbliesst  sich  in  ihrem  Bau  am  nächsten  die  ausserordentlich  blutgefäss- 
reiche  Milz  an. 

Die  Anatomie  der  Wirbelthiere  haben  wir  mit  den  Geschlechts-  ^JfJ^1*1" 
Organen  und  den  Excretionsorganen  zu  beschliessen,  welche  beide  meist 
so  innig  verbunden  sind,  dass  man  sie  als  Urogenitalsystem  zu 
gemeinsamer  Besprechung  zusammenfasst. 

Die  Geschlechtsproducte  der  Wirbelthiere  bilden  sich  beim 
Embryo  aus  einem  bestimmten  Bezirk  des  Peritonealepithels,  dem 
Keimepithel,  welches  links  und  rechts  von  der  Wirbelsäule  gelegen  ist. 
Frühzeitig  wird  diese  primitive  Lagerung  von  den  Urzellen  des  Ge- 
schlechtsapparates verlassen,  indem  sie  in  das  darunter  gelegene 
Bindegewebe  hineinwachsen  (Fig.  81,  S.  63).  Hier  erzeugen  sie  bei 
männlichen  Thieren  drüsige  Röhren ;  beim  Weibchen  bilden  sie  zu- 
nächst ebenfalls  Stränge,  die  aber  nach  der  Zahl  der  aus  ihnen  her- 


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480 


Wirbelthiere. 


vorgehenden  Eier  in  rundliche  Follikel  zerfallen.  Im  ersteren  Falle 
entsteht  ein  compacter  Körper  von  meist  ovaler  Gestalt  (Fig.  485  B), 
der  Hoden;  im  letzteren  Fall  gewöhnlich  eine  lockere,  traubige  Ge- 
schlechtsdrüse, das  Ovar  (Fig.  48o  A).  —  Das  Keimepithel,  aus  welchem 
sich  Hoden  und  Ovarien  entwickeln,  hat  lange  Zeit  für  beide  Ge- 
schlechtsdrüsen dasselbe  Aussehen.  Gleichwohl  sind  die  Wir- 
belthiere getrennt  geschlechtlich,  eine  Regel,  von  welcher 
es  nur  äusserst  wenige  Ausnahmen  giebt  Unter  den  Fischen  ist 
Seiranus  scriba,  der  Seebarsch,  (auch  die  Gattung  Chrysophrys)  stets, 
andere  Serranusarten  häufig  hermaphrodit;  die  Myxinen  scheinen 
zuerst  männliche,  dann  weibliche  Zeugungsproducte  auszubilden.  Auch 
andere  Fische  können,  wenn  auch  nur  abnormer  Weise,  hermaphrodit 

sein.  Dagegen  ist  bei  Säugethieren 
echter  Hermaphroditismus  auch  als  Ab- 
normität äusserst  selten ;  was  speciell 
beim  Menschen  vielfach  dafür  gehalten 
wurde,  beruhte  mit  sehr  wenigen  Aus- 
nahmen auf  einer  abnormen  Entwicklung 
der  äusseren  Geschlechtscharaktere,  in- 
dem Individuen  mit  rein  männlichen  Ge- 
schlechtsdrüsen in  ihrer  Erscheinungs- 
weise und  im  Bau  der  äusseren  Ge- 
schlechtswerkzeuge weiblichen  Indivi- 
duen glichen  und  umgekehrt 

Die  Entleerung  der  Geschlechts- 
zellen erfolgt  bei  vielen  Fischen  durch 
die  Leibeshöhlc  und  deren  Pori  ab- 
dominales ,  wobei  ein  Abschnitt  der 
Leibeshöhle  sich  zu  einem  besonderen 
Vas  deferens  oder  Oviduct  abschnüren 
kann.  Bei  den  meisten  Wirbelthieren 
aber  werden  Theile  der  Nieren  benutzt, 
deren  Betrachtung  wir  daher  hier  vor- 
ausschicken müssen.  Die  vergleichende 
Anatomie  unterscheidet  dreierlei  Nieren, 
die  K  o  p  f  -  oder  V  o  r  n  i  e  r  e  ,  die  U  r  - 
n  i  e  r  e  oder  den  Wolf  f  sehen  Kör- 
per und  die  bleibende  Niere, 
dementsprechend  auch  drei  Ausführwege, 
den  Vornieren  gang,  den  U r  n i e  r e n- 
g  a  n  g  oder  W  o  1  f  f '  s  c  h  e  n  Gang,  den 
Harnleiter  oder  Ureter.  Vornieren- 
gang und  Urnierengang  hängen  gene- 
tisch zusammen,  in  welcher  Weise?  ist 
allerdings  noch  strittig.  Am  wahrschein- 
lichsten ist  dass  der  Vornierengang,  wie 
die  Entwicklung  der  Selachier  lehrt  sich 
der  Länge  nach  in  zwei  Canäle  gespalten 
hat,  den  Urnierengang  und  den  die  Beziehung  zur  Vorniere  beibehal- 
tenden Müller' sehen  Gang.  Die  Vomiere  funetionirt  als  Ex- 
cretionsapparat  gewöhnlich  nur  im  Embryonalleben  und  auch  da  nur 
in  frühen  Stadien,  vielleicht  in  manchen  Fällen  überhaupt  nicht  mehr; 
ihr  Verhältniss  zum  übrigen  Nierensystem  ist  noch  nicht  aufgeklärt. 


B  ~  A 

Fig.  -IS").  Urogenitalsystem  von 
Triton  (aus  Gejr<>nbaur).  .1  Weib- 
chen, B  Mfinnchcn.  ot  Ovar,  t 
H<><lon,  r  Niere,  ro  Verbindungs- 
gänge von  Hoden  und  Niere,  w 
MäßerVher  Gang,  beim  Weibelien 
Oviduct  od,  swj  l  rnieren^angibehn 
Männchen  zugleich  Säulengang), 
up  Mündung  des  l  rogenitalsystem». 


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Wirbelthiere. 


4SI 


Dagegen  ist  es  wahrscheinlich,  dass  Urniore  und  bleibende  Niere  der 
vordere  und  hintere  Abschnitt  eines  einheitlichen  Organs  sind,  welches 
wir  im  Folgenden  kurzweg  Niere  (ihren  Ausführweg  Nierengang) 
nennen  wollen,  während  die  Umiere  mit  Rücksicht  auf  ihre  Lage  hinter 
der  Vorniere  Mesonephros.  die  bleibende  Niere  Metancphros 
heissen  möge.  Eine  einheitliche  Niere  mit  einheitlichem  Ausführgang 
findet  sich  bei  den  Tcleosttern  als  ein  breiter  Drüsenstreifen  in  ganzer 
Länge  des  Rumpfes  links  und  rechts  von  der  Wirbelsäule;  ähnlich 
haben  auch  die  Amphibien  (Fig.  485)  eine  einheitliche  Niere.  Bei  den 
Selachiern  ist  dagegen  der  vordere  Abschnitt  (Mesonephros)  öfters  gegen 
den  hinteren  (Metancphros)  abgesetzt  und  jeder  Theil  hat  seinen  eigenen 
Ausführgang  (Urnicrengang  und  Ureter).  Mit  der  räumlichen  Trennung 
verbindet  sich  von  den  Reptilien  an  aufwärts  ein  Unterschied  in  der 
Zeit  der  Entwicklung.  Der  Mesonephros  entsteht  viel  früher  und 
funetiouirt  während  der  Hauptzeit  des  Embryonallebens;  er  wird  in 
seiner  exeretorischen  Function  abgelöst  durch  den  später  entstehenden 
Metanephros,  welcher  die  bleibende  Niere  darstellt. 

Der  Gegensatz  zwischen  Mesonephros  und  Metanephros  ist  nun 
wahrscheinlich  durch  die  Beziehungen  zum  männlichen  Geschlechts- 
apparat veranlasst.  Bei  sämmtlichen  Wirbelthieren,  bei  denen  die 
Entleerung  des  Samens  nicht  durch  eigene  Ausführwege  erfolgt,  wird 
hierzu  der  vordere  Abschnitt  der  Niere  (Mesonephros)  benutzt.  Bei  den 
Amphibien  (Fig.  48ö  B)  verbinden  sich  die  Hodencanälchen  mit  einem 
Theil  der  Nierencanälchen;  Harn  und  Samen  werden  durch  denselben 
Nierenausführgang  abgeleitet.  Bei  den  Selachiern  ist  dagegen  der  vor- 
dere Theil  der  Niere,  welcher  diese  Doppelfunction  hat,  öfters  von  dem 
rein  exeretorischen  geschieden  und  so  der  Unterschied  zwischen  Meso-  und 
Metanephros,  Woltfschem  Gang  (Harnsamenleiter)  und  Ureter  (Harn- 
leiter), hervorgerufen.  Bei  licptilien,  Vögeln  und  Säugethieren  ist  dieser 
Lierschied  noch  gesteigert,  indem  der  Mesonephros  zwar  im  Embryo 
noch  seine  Nierenfunction  beibehält,  dann  aber  ausschliesslich  in  den 
Dienst  des  Geschlechtsapparats  tritt.  Es  erhält  sich  von  ihm  nur,  was 
zum  Ableiten  des  Samens  nöthig  ist,  einige  Nierencanälchen,  welche 
zur  Epididymis,  dem  Nebenhoden,  werden,  und  der  WolrFschc  Gang, 
das  Vas  deferens.  Von  dem  functionslos  gewordenen  Abschnitt  des 
Mesonephros  können  allerdings  auch  noch  kümmerliche  Reste  fort- 
bestehen, sie  bilden  aber  ein  rudimentäres  Organ,  die  Paradidymis. 

Im  weiblichen  Geschlecht  ist  die  Anlage  der  Niere  (Meso- 
und  Metanephros)  die  gleiche  wie  beim  Männchen.  Da  aber  die  Ver- 
bindung mit  der  Geschlechtsdrüse  unterbleibt,  ist  die  Existenz  der  ein- 
zelnen Theile  des  Apparats  ausschliesslich  von  der  Dauer  ihrer  exere- 
torischen Function  abhängig;  daher  bleibt  unter  allen  Umständen  der 
Metanephros  erhalten,  auch  der  Mesonephros  bei  Selachiern  und  das 
dem  Mesonephros  vergleichbare  vordere  Ende  der  Amphibienniere,  da- 
gegen nicht  der  sogenannte  WolfTsche  Körper  der  höheren  Wirbel- 
thiere. Dieser  ist  zwar  auch  im  weiblichen  Geschlecht  eine  Embryo- 
nalniere, geht  aber  dann  verloren  und  hinterlässt  nur  rudimentäre 
Organe,  welche  der  Epididymis  (Epoophoron)  und  der  Paradidymis 
(Paroophoron )  entsprechen.  Das  ganz  abweichende  Verhalten  der 
Niere  im  weiblichen  Geschlecht  hat  darin  seinen  Grund,  dass  die 
M  Aller' schenGänge  zu  den  Eileitern  werden,  welche  umgekehrt  beim 
Männchen  frühzeitig  sich  gänzlich  oder  bis  auf  wenige  Spuren  rück- 
bilden.   Das  vordere  Ende  des  Müller'schen  Ganges  öffnet  sich  mit 

Ii  «  r  t  w  1  g ,  Lehrbuch  der  Zoologie.   S.  Auflagr.  31 


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482 


Wirbelthiere. 


weiter  Ocffnung  (Ostium  abdominale  tubae)  in  die  Leibeshöhle  und 
nimmt  die  durch  Platzen  der  Follikel  frei  werdenden  Eier  auf. 

Die  Verbindung  der  Geschlechtsorgane  und  der  Nieren  zu  einem  ein- 
heitlichen Apparat,  dem  Urogenitalsystem,  erklärt  sich  aus  denselben  Ver- 
hältnissen wie  bei  den  Auneliden:  dass  nämlich  beide  Organe  aus  dem 
Epithel  der  Leibeshöhle  stammen  und  dauernd  oder  vorübergehend  Ver- 
bindungen mit  der  Leibeshöhle  unterhalten.  Für  die  Geschlechtsorgane 
ist  dieser  Nachweis  oben  schon  geführt  worden;  für  die  Urniere  wurde 
durch  die  Untersuchungen  der  Neuzeit  festgestellt,  dass  die  Harncanälchen 
Abkömmlinge  des  Coelomepithels  sind  und  vorübergehend  eine  vollkommen 
an  die  Segmentalorgane  der  Anneliden  erinnernde  Anordnung  besitzen. 
Wie  das  für  die  Embryonen  von  Sclachkrn  geltende  Schema  der  Figur  67 
(S.  !)4)  lehrt ,  besteht  die  Niere  anfänglich  aus  zahlreichen  ,  segmental 
angeordneten  Canälen ,  welche  durch  Wimpertrichter  mit  der  Leibes- 
höhle zusammenhängen  und  sich  von  den  Segmentalorganen  der  Anneliden 
nur  dadurch  unterscheiden,  dass  sie  nicht  einzeln,  sondern  mit  einem  ge- 
meinsamen Sammelcanal  nach  aussen  münden,  dass  sie  ferner  im  Verlauf 
ihrer  weiteren  Entwicklung  durch  Vervielfältigung  ein  compactes  Organ 
liefern,  dass  endlich  an  einer  bestimmten  Stelle  in  ihr  Lumen  der  Glome- 
rulus,  ein  Knäuel  von  Blutgelassen,  hineinragt.  Auch  die  Vorniere  steht 
unzweifelhaft  anatomisch  und  entwicklungsgeschichtlich  in  Beziehung  zur 
Loibesböhlo :  das  Ostium  abdominale  des  Eileiters  ist  wahrscheinlich  ein 
dauerndes  Ueberbleibsel  dieser  Verbindung. 

Die  besprochenen  Ausführwege  des  Urogenitalsysteins  —  gleich- 
giltig,  ob  sie  Harnwege,  oder  Vasa  deferentia,  oder  Oviducte,  oder 
Harn-  und  Geschlechtswege  zugleich  sind  —  öffnen  sich  bei  den  Fischen 
zumeist  auf  einer  Papilla  urogenitalis  hinter  dem  Darm  selbständig  auf 
der  Haut  oder  schon  in  der  Rückwand  des  Enddarms  selbst  Bei  den 
Amphibien,  Vögeln  und  den  meisten  Reptilien  münden  sie  stets  von 
rückwärts  in  den  Enddarm,  welcher  dadurch  zur  Cloake  wird.  Bei  den 
Schildkröten  und  Säugethieren  werden  die  Mündungen  der  Urogenital- 
canäle  auf  die  Harnblase  übertragen,  eine  Ausstülpung  der  ventralen 
Darmwand,  welche  bei  den  Amphibien  zum  ersten  Mal  auftritt.  Die 
Hamcanäle  münden  in  den  Grund  der  Harnblase,  die  Genitalcanäle  in 
eine  Verlängerung  derselben,  den  Sinus  urogenitalis.  Der  Sinus  uro- 
genitalis bleibt  bei  Schildkröten  und  den  niedersten  Säugethieren,  den 
Monotremen,  dauernd  mit  dem  Darm  in  Verbindung;  bei  den  übrigen 
Säugethieren  ist  dagegen  die  Cloakenbildung  nur  im  Embryonalleben 
vorhanden;  später  wird  die  Cloake  durch  Ausbildung  des  Damms  in 
zwei  Canäle  zerlegt,  einen  hinteren,  den  Darm,  einen  vorderen,  den 
Sinus  urogenitalis.  Bei  den  Wirbelthieren  lässt  sich  somit  Schritt  für 
Schritt  verfolgen,  wie  die  ursprünglich  hinter  dem  Darm  befindliche 
Mündung  des  Urogcnitalsystems  vor  denselben  zu  liegen  kommt. 

Die  Wirbelthiere  pflanzen  sich  weder  ungeschlechtlich  noch  par- 
thenogenetisch  fort,  sondern  ausschliesslich  durch  Eier,  welche  der  Be- 
fruchtung bedürfen.  Die  Befruchtung  ist  bei  niederen  Wirbelthieren 
meist  eine  äussere  und  erfolgt  während  der  Eiablage :  bei  höheren 
Wirbelthieren  ist  sie  eine  innere,  indem  das  Männchen  zum  Zweck 
der  Samenübertragung  die  eigene  Genitalöffnung  gegen  die  Genital- 
öffnung des  Weibchens  presst  oder  in  letztere  ein  besonderes  Be- 
gattungsorgan, den  Penis,  einführt.  Die  im  Innern  der  weiblichen 
Geschlechtswege  befruchteten  Eier  können  dann  einen  Theil  ihrer  Ent- 
wicklung oder  die  gesammte  Entwicklung  in  den  weiblichen  Geschlechta- 


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Wirbelthiere. 


483 


wegen  durchmachen,  von  denen  besondere  Abschnitte  (Uterus)  zur 
Aufnahme  der  Eier  ausgerüstet  sind.  Wir  unterscheiden  demnach 
vivipare  und  ovipare  Wirbelthiere  und  zwischen  diesen  Extremen  ver- 
mittelnd die  ovo-viviparen  Formen  (vergl.  S.  131).  Die  meisten  Hai- 
fische sind  lebendig  gebärend,  ziemlich  viele  unter  ihnen  eierlegend; 
umgekehrt  sind  die  Knochenfische  ovipar,  doch  giebt  es  unter  ihnen 
einige  vivipare  Ausnahmen.  Ebenso  mischen  sich  bei  Amphibien  und 
Reptilien  vivipare  Formen  (Salamander,  Blindschleichen)  unter  die  eier- 
legende Mehrzahl.  Am  meisten  Stetigkeit  herrscht  bei  Vögeln  und 
Säugethieren.  Während  jene  ausnahmslos  ovo-vivipar  sind,  sind  diese 
lebendig  gebärend;  unter  den  Säugethieren  giebt  es  jedoch  2  Aus- 
nahmen, Echidna  und  Ornithorhynchus,  welche  beide  nach  Art  der 
Vögel  Eier  mit  begonnener  Entwicklung  legen  und  somit  ovo-vivi- 
par sind. 

Im  Lauf  der  Embryonalentwicklung  können  bei  den  Wirbelthieren 
dreierlei  Embryonalanhänge  auftreten:  1)  der  Dotter- 
sack, %2)  das  Amnion,  3)  die  All  an  toi  s. 

Der  Dottersack  fehlt  vollkommen  nur  bei  dem  Amphioxus, 
dessen  kleine  Eier  sehr  dotterarm  sind;  er  ist  schwach  angedeutet 
bei  denjenigen  Wirbelthieren,  deren  Eier  zwar  dotterreich  sind,  aber 
doch  nicht  so  dotterreich,  dass  nicht  eine  totale,  inäquale  Furchung 
möglich  wäre  (Amphibien);  sonst  ist  er  überall  vorhanden,  und  zwar 
am  stärksten  entwickelt  bei  allen  Wirbelthieren  mit  discoidaler  Fur- 
chung, den  Fischen  (Fig.  486),  Reptilien  und  Vögeln.  Sein  Vorkommen 
ist  bedingt  durch  die  Anhäufung  von  Nährmaterial  im  Darm  des  Em- 
bryo, dessen  ventrale  Wand  bruchsackartig  vorgetrieben  wird.  Der 
Embryo  liegt  dabei  entweder  direct  auf  dem  dotterhaltigen  Bruchsack 
oder  hängt  mit  ihm  durch  einen  Verbindungsstiel  zusammen. 


Dottenack. 

Amnion. 


Fig.  48ö\  Embryo  eines  Haies. 
/:  äussere  Kiemenfaden  oberhalb 
«ler  Brustflossen,  d  der  zur  Hälfte 
dargestellte  Dottersaek  (aus  Boas). 


"3  TS 


Fig.  487.  Enibryonulanhünge  eines  Sä'iujr- 
tfiicris  (Schema  nach  KölUker).  e  Embryo, 
am  Amnion,  alt  Amnionhöhle,  hk  Bauchwand 
des  Embryo,  dy  Dottergang,  ds  Dottersaek,  al 
Allan  tois,  sh  Serosa,  sx  Zotten  derselben,  r 
extra-cmbryonale  Leibeshöhle. 


Während  der  Dottersack  weit  verbrcitot  ist,  finden  sich  Amnion 
und  Allan  tois  nur  bei  Reptilien,  Vögeln  und  Säugethieren,  welche 
Amnioten  oder  Allantoidica  heissen  im  Gegensatz  zu  den  Fischen  und 

31* 


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484 


Wirbelthiere. 


Amphibien,  welche  beide  Enibryonalanhänge  nocli  nicht  besitzen  und  daher 
ate  Anamnif.n  oder  Annllantoidica  systematisch  zusatumengefasst  werden. 
Das  Amnion  (Fig.  487)  oder  die  Sehafhaut  ist  ein  Sack,  welcher  den 
Embryo  ganz  umhüllt  und  nur  am  Nabel,  d.  h.  au  der  Stelle,  wo  der 
Dottersack  durch  die  Hauchdecken  ausgestülpt  ist,  mit  dem  Embryo 
zusammenhängt.  Im  Sack  befindet  sicli  eine  eiweisshaltige  Flüssigkeit, 
das  Fruchtwasser,  Genetisch  ist  das  Amnion  ein  Theil  der  Hauchhaut ; 
es  entwickelt  sich  ventral  als  eine  Falte  links  und  rechts,  vorn  und 
hinten  vom  Embryo,  wächst  um  denselben  nach  dem  Rücken  empor, 
bis  die  einander  entgegenwachsenden  Faltenränder  dorsal  zum  Ver- 
schluss kommen.  Die  Allan tois  endlich  ist  eine  Verlängerung  der 
Harnblase;  diese  wächst  am  Nabel  aus  der  Leibeshöhle  heraus  und 
schiebt  sich  zwischen  Dottersack  und  Amnion  ein.  In  den  in  die  Em- 
bryonalanhänge  cingewucherten  Abschnitt  hinein  kann  sich  das  mit 
Harn  erfüllte  Lumen  der  Blase  verlängern  oder  nicht:  im  letzteren 
Falle  besteht  die  Allantois  nur  aus  dem  Bindegewebe  und  den  Blut- 
gefässen der  Harnblase.  Die  Blutgefässe  sind  für  die  Function  der 
Allantois  die  wichtigsten  Theile,  sie  führen  dem  Embryo  Sauerstoff 
zu,  bei  den  Säugethteren  ausserdem  noch  Nährmaterial,  welches  der 
Placcnta  entstammt.  —  Dottersack,  Amnion  und  Allantois  werden  nach 
aussen  noch  durch  eine  gemeinsame  Hülle  zusammengehalten,  die  Serosa. 

Systematik.  Schon  von  Aris  totolos  und  seinen  Nachfolgern 
wurden  4  Hauptgruppen  der  Wirbelthiere  unterschieden,  welche  von  Linne 
und  sogar  noch  von  Cuvier  beibehalten  wurden:  Säwjethierc  oder  Mam- 
malm,  Vij'jel  oder  Airs,  Reptilien  oder  Amphibien,  und  Fixclie  oder  Pisces. 
Erst  Blainvillc  (1818)  trennte  die  dritte  Classe  in  2  Classen,  indem  er 
für  die  eine  den  Namen  Amphibien,  für  die  andere  den  Namen  Reptilien 
beibehielt.  M.  Edwards  zeigte  weiter,  dass  diese  bis  dahin  nicht  ge- 
nügend unterschiedenen  Formen  durch  eine  grosse  Kluft  getrennt  werden, 
indem  die  Amphibien  zu  den  niederen  Wirbelthieren,  den  Anamnkn,  ge- 
hören, die  Reptilien  dagegen  zu  den  höheren,  den  Amniotcn.  Ferner  wurde 
die  Begrenzung  der  Fischciasso  im  Laufe  dieses  Jahrhunderts  und  zwar 
hauptsächlich  in  der  zweiten  Hälfte  desselben  einer  Revision  unterworfen. 
Haeckel  schlug  vor,  von  den  echten  Fischen  die  so  sehr  viel  niedriger 
orgauisirten  Formeu  wie  den  Amphioxus  und  die  Oychstomen  als  zwei  be- 
sondere Classen  abzuzweigen. 


I.  Unterstamra. 

Anamnien. 

Wirbelthiere,  welche  dauernd  oder  vorübergehend  durch  Kiemen 
athmen,  deren  Embryonen  weder  ein  Amnion  noch  eine  Allantois  haben. 

I.  Classe. 

Leptocardler,  Acranier. 

Aus  der  Classe  der  Acranier  kannte  man  bis  in  die  Neuzeit  nur  die 
einzige  Gattung  Amphioxus,  deren  bekanntester  Vertreter  A.  lanceolatus 


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I.  Leptocardier,  Acranier. 


485 


(Fig.  4*8)  schon  im  vorigen  .Jahrhundert  vom  Reisenden  Pallas  entdeckt, 
aber  für  eine  Schnecke  (Limax  lanceolatus)  gehalten  wurde.  Erst  die  clas- 
sischen  Untersuchungen  von  J.Müller  bewiesen  die  Wirbelthiernatur 
des«  inzwischen  in  England  und  Neapel  aufs  Neue  aufgefundenen 
Thieres.  Durch  K  o  w  a  1  c  v  s  k  y  wurde  dann  auf  entwicklungsgeschicht- 
lichem  Wege  die  überraschend  nahe  Verwandtschaft  mit  den  Tunicaten 
aufgedeckt.  Der  Grund,  warum  so  lange  Zeit  die  systematische  Stellung 
des  Amphioxus  so  sehr  verkannt  wurde,  liegt  in  der  grossen  Einfach- 
heit seines  Baues.  Der  fischförmig  gestaltete,  an  beiden  Enden  zuge- 
spitzte Körper  (daher  der  Name)  hat  noch  keine  paarigen  Flossen 
und  wird  nur  am  hinteren  Ende  von  einem  schwachen,  unpaaren  Flossen- 
saum umfasst.  Das  Epithel  der  Haut  ist,  wie  man  es  sonst  nur  bei  Wirbel- 
losen findet,  einschichtig  und  lässt  deutlich  die  Grenzen  der  Muskel- 
segmente durchschimmern.  Es  fehlen  noch  Schädel  (Acranier) 
u  n  d  W  i  r  b  e  1  s  ä  u  1  e ,  Hirn,  Herz  (Leptocardier)  und  die  grossen 
Drüsen  der  Leibeshöhle,  die  Leber  und  die  Niere,  wenn 
sich  auch  für  einige  dieser  Organe  (Hirn,  Leber,  Niere)  die  ersten  An- 
fange nachweisen  lassen.  Der  Mangel  von  Schädel  und  Wirbelsäule 
hängt  mit  dem  gänzlichen  Mangel  d  e  r  B  i  n  d  es  u  b  s  tanzen  zu- 
sammen. Der  Amphioxus  besteht  fast  nur  aus  vielfach  gefalteten,  von 
Stützlamellen  getragenen  Epithelhäuten.  Bei  alledem  sind  die  in  fast 
schematischer  Weise  auf  das  Allerwesentlichste  reducirten  Grundzüge 
der  Wirbelthierorganisation  unverkennbar. 


Fijr.  488.  Ampftütxus  lanrcolafus,  sehetnatiairt  (nach  einer  Zeichnung  von  Th. 
Boveri).  au  Auge,  c  Chorda,  r  Rüekenmnrk,  ///  Muskeln,  o  Mundöffnung,  sp  Kiemen- 
spalten, (j  Geschlechtsorgane,  »  Nierencanüle,  b  Peribranchialrauin,  p  Mündung  des- 
selben, /  Leber,  a  After. 

Als  Axenskelet,  zugleich  auch  als  einzige  Stütze  des  Körpers 
dient  eine  vom  vorderen  bis  zum  hinteren  Ende  ziehende  Chorda 
dorsal is  (c),  welche  ausnahmsweise  nicht  aus  blasigen  Zellen,  son- 
dern aus  zahlreichen,  hinter  einander  geordneten,  fibrösen  Platten  be- 
steht. Ueber  ihr  liegt  das  Rückenmark  (r),  dessen  Centralcanal  als 
erster  Ansatz  zur  Entwicklung  des  Hirns  sich  am  vorderen  Ende  ein 
wenig  erweitert  Ein  Pigmentfleck  (au)  in  der  Wand  dieser  An- 
schwellung ist  das  primitive  Auge  des  Amphioxus,  während  Hörbläs- 
chen fehlen  und  Geschmacksorgane  noch  nicht  nachgewiesen  sind.  Als 
Geruchsorgan  wird  eine  Einsenkung  am  vorderen  Ende  des  Thieres 
gedeutet.  Am  Grund  derselben  findet  sich  bei  jungen  Thieren  eine 
Oeffnung,  die  in  den  Rückenmarkscanal  führt  und  sich  aus  unvollstän- 
digem Verschluss  der  embryonalen  Medullarfalten  erklärt. 

Vom  Darm  entfällt  mehr  als  '/3  auf  die  sehr  geräumige  Pars 
respiratoria  oder  die  Kieme.  Dieselbe  beginnt  mit  einer  längsovalen, 
von  Girren  eingefassten  MundöfTnung  (o)  und  ist  links  und  rechts  von 


0 


r 


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486 


Wirbelthiere. 


zahlreichen  Kiemenspalten  (Fig.  489  sp)  durchbohrt,  zwischen  denen 
elastische  Stäbe  (kb)  ein  festes  Gerüst  bilden.  Die  Kiemenspalten  öffnen 
sich  beim  jungen  Thier  direct  nach  aussen,  später  aber,  wie  bei  den 

Ascidien,  in  einen  umhüllenden 
Raum,  Peribranchial-  oder  Peri- 
thoracalraum  (b),  welcher  durch 
eine  merkwürdige  Einfaltung  der 
Haut  entsteht  und  durch  den 
Porus  branchialis  (Fig.  488  p) 
hinter  der  Mitte  des  Körpers 
das  Athemwasser  austreten  lässt. 
Eine  ventrale  flimmernde  „Hypo- 
branchialrinne"  (Fig.  480  c),  in 
welcher  man  das  Homologon  so- 
wohl des  Ascidienendostyls  als 
auch  der  Thyrioidea  erblickt, 
führt  in  das  gerade  gestreckte, 
kurz  vor  dem  hinteren  Ende 
linksseitig  mündende  Darmrohr, 
von  dem  als  erste  Anlage  einer 
Leber  ein  Blindsack  ausgeht,  der 
weit  nach  vorn  in  die  Kiemen- 
region  reicht  (Fig.  488,  481)/). 

Das  von  farblosem  Blut  ge- 
füllte G  e  f  ä  s  s  sy  s  t  e  m  besteht  aus 
einem  dorsalen  arteriellen  (a)  und 
einem  ventralen  venösen  Stamm, 
welche  durch  laterale  Schlingen 
zusammenhängen.  Der  ventrale 
Stamm  beginnt  als  Vena  sub- 
intestinalis  unter  dem  Darm,  ver- 
ästelt sich  als  Pfortader  am 
Lebcrblindsack  und  verläuft 
wieder  in  einen  Stamm  vereint 
als  Aorta  ascendens  unter  der 
Kieme.  Die  von  letzterer  aus- 
Kiemenarterien,  die  gemeinsam 


Fig.  189.  Querschnitt  durch  die  Kiemen- 
region des  Amjihinxus.  r  Kückentnark  ,  s>i 
abtretende  Nerven,  Muskeln,  r  Chorda, 
a  Aorta  deeeendens,  cii  Coelora  (bronchiale 
Leibeshöhle)  n  Niere  (links  durch  Pfeile  be- 
zeichnet), ha  Kieinendann,  kb  Kiemcnbogen, 
sp  Kieinenspaltcn, //  Geschlechtsorgane,  /  Le- 
berbUndsack,  b  Peribranchialraum,  c  Hypo- 
branchialrinne ,  darunter  Aorta  aseendens 
(nach  einer  Zeichnung  von  Kay  Lankester, 
verändert  von  Th.  Boveri). 


gehenden  Gefässsrhlingen  sind  die 
dorsal  die  im  Bereich  der  Kieme  paarige  Aorta  descendens  erzeugen. 
Ein  echtes  Herz  fehlt  gänzlich;  wohl  aber  sind  verschiedene  Theile  der 
Blutbahn,  ein  Theil  des  ventralen  Gefässes  und  die  basalen  Stücke 
der  Kiemenarterien  contractu,  weshalb  man  auch  den  Namen  „Lepto- 
cardicr",  „Zart-  oder  Röhrenherzen",  gewählt  hat 

Wie  der  Kiemen  dann  im  Peribranchialraum.  so  ist  der  verdauende 
Darm  in  der  sehr  wohl  vom  Peribranchialraum  zu  unterscheidenden 
Leibeshöhle  untergebracht.  Die  Leibeshöhle  setzt  sich  auch  in  die 
Kiemengegend  (Fig.  48*)  cö)  fort,  sowohl  in  die  Kiemenwand  selbst 
(branchiale  L.),  als  in  die  äusseren  Wände  des  Peribranchialraums 
(peribranchiale  L.).  Im  peribranchialen  Abschnitt  der  Leibeshöhle 
bilden  sich  die  Geschlechtsorgane  (g),  eine  Anzahl  beuteiförmiger, 
in  einer  Reihe  hinter  einander  gelagerter  Zellenfollikel ,  die  durch 
Platzen  ihren  Inhalt,  die  reifen  Geschlechtsproducte,  in  den  Peri- 
branchialraum entleeren.  In  letzteren  münden  die  lange  Zeit  vergeb- 
lich gesuchten  E x c re t i on so r ga ne  (n),  eine  linke  und  eine  rechte 


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IL  Cyelostomen. 


487 


Reihe  flimmernder  Canäle,  welche  wahrscheinlich  der  Vorniere  der 
übrigen  Wirbelthiere  entsprechen.  Jeder  Canal  beginnt  mit  min- 
destens einem  Flimmertrichter  in  der  branchialen  Leibeshöhle  und 
mündet  getrennt  für  sich,  wie  ein  Anneliden-Segmentalorgan ,  in  den 
Peribranchialraum. 

Die  gleiche  Einfachheit,  welche  den  Bau  des  Amphioxus  kennzeichnet, 
beherrscht  auch  seine  Entwicklungsgeschichte.  In  dieser  Hinsicht 
seien  besonders  folgende  Punkte  hervorgehoben.  1)  Die  Eier  besitzen  eine 
nahezu  äquale  Furchung  (S.  123  Fig.  93).  2)  Es  bildet  sich  eine  typische 
Gastrula  durch  Einstülpung  (Fig.  101).  3)  Das  Mesoderm  legt  sich  an, 
indem  der  Darm  links  und  rechts  zur  Mittellinie  zahlreiche,  metamer  auf- 
einander folgende  Ausstülpungen  bildet,  welche  sich  später  abschnüren 
und  die  Ursegmente  darstellen.  Das  mittlere  Keimblatt  ist  somit 
ein  abgeschnürter  Theil  des  Darmdrüsenblatts,  d.  h.  ein  Mesepithel.  Aus 
den  Hohlräumen  der  Ursegmente  geht  die  Leibeshöhle  des  Amphioxus 
hervor,  welche  somit  vom  Darmlumen  abstammt  und  ein  echtes  Enterocoel 
ist.  4)  Zwischen  den  Ursegmenten  wandelt  sich  die  Decke  des  Darms  in 
die  Chordaanlage  um,  welche  sich  durch  Einfaltung  vom  Darm  abschnürt 
und  sich  zwischen  Darm  und  Nervensystem  einschiebt.  5)  Das  Nerven- 
system entsteht  aus  einer  zum  Rohr  sich  schlieasenden  Längsrinne,  welche 
vorübergehend  durch  den  Canalis  neurentericus  mit  dem  Darm  communicirt. 

Man  hat  den  Amphioxus  in  wenigen  einander  sehr  nahestehenden 
Arten  in  den  verschiedensten  Meeren  (Nordsee,  atlantischem  und  indischem 
Ocean,  Mittelmeer,  Südsee)  gefunden ;  in  der  Neuzeit  hat  man  auch  einen 
Repräsentanten  einer  neuen  Gattung  in  Amerika  entdeckt,  Asymmetron 
lucayanum  Andrews.  Die  Thiere  leben  in  ruhigen  Buchten  des  Meeres 
im  Sand  vergraben,  so  dass  nur  die  Mundöffuung  hervorschaut.  Wie  die 
meisten  Thiere  mit  rudimentären  Augen  sind  sie  äusserst  lichtscheu  und 
gorathen  bei  greller  Beleuchtung  in  die  grösste  Aufregung. 


II.  C lasse. 

Cyelostomen,  Marsipobranchler,  Monorhlnen. 

Die  Gasse  der  Cyelostomen  enthält  ebenfalls  nur  wenige  Gat- 
tungen und  Arten,  unter  denen  die  Neunaugen  des  süssen  Wassers 
und  die  Myxinen  der  nordischen  Meere  die  bekanntesten  sind.  Die 
Thiere  haben  schon  vollkommen  das  Aussehen  und  die  Bewegungs- 
weise der  Fische,  besonders  der  aalartigen ;  auch  in  ihrer  inneren 
Anatomie  stehen  sie  den  Fischen  viel  näher  als  der  Amphioxus,  da  sie 
die  grossen  Unterleibsdrüsen,  Niere  und  Leber,  schon  besitzen,  dazu 
ein  muskulöses  dickwandiges  Herz,  welches  aus  Kammer  und  Vor- 
kammer besteht  und  in  einem  eigenen  Herzbeutel  liegt.  Am  Hirn 
kann  man  schon  die  fünf  Hirnblasen  mit  ihren  Anhängen,  dem  Lobus 
olfactorius,  Epiphysis  und  Hypophysis  unterscheiden ;  die  höheren  Sinnes- 
organe, Auge,  Hörbläschen  und  Nase,  sind  ebenfalls  vorhanden;  die 
Augen  sind  paarig  und  (mit  Ausnahme  der  Myxinoiden)  im  Wesent- 
lichen von  demselben  Bau  wie  bei  den  anderen  Wirbelthieren.  Das 
Hörbläschen  ist  einfach  und  nicht  in  Sacculus  und  Utriculus  geschieden, 
auch  hat  es  nur  einen  oder  zwei  halbkreisförmige  Canäle.  Die  Haut 
(Fig.  25  a)  besteht  aus  Lederhaut  und  einer  vielschichtigen  Epidermis. 


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Wirbelthiere. 


Bei  alledem  unterscheiden  sich  die  Cyclostomen  sehr  wesentlich  selbst 
von  den  niedrigst  stellenden  Fischen.  Ihnen  fehlt  noch  die  Wirbel- 
säule; das  Axenskelet  des  Rumpfes  besteht  entweder  nur  aus  der 
Chorda  oder  ausserdem  nur  noch  aus  ganz  kleinen,  die  oberen  Bögen 
repräsentirenden  Knorpelspangen.  Ein  knorpeliger  Schädel  mit  einem 
korbartigen  Gerüst  von  Kiemenstützen  ist  zwar  vorhanden,  aber  so 
ganz  abweichend  vom  Schädel  der  übrigen  Wirbelthiere,  dass  es 
schwer  ist  festzustellen,  in  wie  weit  er  mit  demselben  verglichen 
werden  darf.  Sehr  wichtig  ist  der  gänzliche  Mangel  von  Brust-  und 
Bauchtiossen.  Da  auch  die  unpaaren  Flossen  nur  von  Ilornfäden  ge- 
stützt werden,  fehlt  das  morphologisch  allein  wichtige,  knorpelig  prä- 
formirte  Extremitätenskelet.  Desgleichen  entbehrt  die  Haut  der 
Schuppen,  die  Mundhöhle  der  echten  Dentinzähne.    Denn   die  in 

mehreren  Kreisen  gestellten  spitzen,  brau- 
nen Höcker  in  der  Mundhöhle  der  Petro- 
myzonten  (Fig.  4!K>),  sowie  die  spärlichen 
„Zähne"  der  Myxinouhn  sind  rein  epitheliale 
Ilorngebilde  und  dürfen  mit  den  Zähnen 
der  übrigen  Wirbelthiere  nicht  verglichen 
werden. 

Weitere  Unterschiede  zu  den  Fischen 


Fig.  490.  Mund  von  Pe- 
tromyxon  marimis  mit  Horn- 
zähnen ,  im  Hintergrund  die 
Zunge  (aus  Gi'jrenlmuri. 


ergeben  sich  aus  den  .">  in  der  systematischen 
Zoologie  eingebürgerten  Namen. 

Der  Name  Cyclostomen  bezieht  sich 
zunächst  zwar  nur  auf  ein  äusserliches  Merk- 
mal, die  ringförmige  Gestalt  der  Mundöff- 
nung,  allein  diese  Gestalt  ist  durch  einen 
wichtigen  anatomischen  Charakter  begründet, 
durch  den  Mangel  der  Kiefer,  welche  bei 
den  übrigen  Wirbelthieren,  indem  sie  gegen 
einander  wirken,  die  quere  Gestalt  des  Mun- 
des bedingen.  Die  Form  der  Mundöffnung 
ist  für  die  Cyclostomen  von  grosser  Bedeu- 
tung, da  sie  vermöge  derselben  sich  an  Fischen  festsaugen  können. 
Am  Grunde  der  gewölbten  Mundbucht  liegt  die  sogenannte  Zunge, 
welche  die  ansaugende  Wirkung  erzielt,  indem  sie  spritzenstempel- 
artig  zurückgezogen  wird. 

Der  Name  MarsipobrancJiier  (Fig.  4iH)  bezieht  sich  auf  die  Gestalt 
der  Kiemen.  Jeder  der  G — 7  Paar  Kiemengänge  dift'erenzirt  sich  in 
3  Abschnitte:  1)  eine  sackartige  Erweiterung  (/»•),  welche  allein  die 
Kiemenblättchen  enthält  und  den  Kiemengefässen  zur  Verästelung 
dient,  den  Kiemenbeutel,  und  2)  und  8)  zwei  enge  das  Athemwasser 
zu-  und  ableitende  Canäle,  von  denen  der  eine  (br')  auf  der  Haut, 
der  andere  (i)  in  den  Darm  mündet.  Der  Anlage  nach  und  bei 
wenigen  Arten  (Bdellostoma)  auch  dauernd  sind  7  innere  und  7 
äussere  Kiemenmündungen  jederseits  vorhanden;  allein  die  7  inneren 
Canäle  von  links  und  rechts  können  sich  in  einen  unpaaren  Sammel- 
canal  vereinigen,  der  mit  einer  ventralen  üerl'nung  in  den  Darm 
mündet  (Petromyzon),  oder  umgekehrt  die  äusseren  Canäle  vereinigen 
sich  jederseits  in  einem  einzigen  Kiemenloch  (s)  (Myxine). 

Monorhinen  (Fig.  492)  endlich  heissen  die  Thiere,  weil  bei  ihnen 
die  Nase  im  Gegensatz  zu  den  Fischen  und  allen  höheren  Wirbel- 
thieren unpaar  ist.    Genau  in  der  Mittellinie  des  Kopfes  befindet  sich 


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III.  Fische.  489 


dorsal  eine  einzige  Nasenöffnung,  welche  in  einen  flaschenfönnig  er- 
weiterten Nasensack  überleitet  Vom  Grunde  des  Sackes  geht  ein 
Canal  rückwärts  bis  an  die  Decke  der  Mund- 
höhle, den  „Gaumen",  hier  entweder  blind  endi- 
gend (Hpperoartien)  oder  den  Gaumen  durchboh- 
rend (Hyperotreten),  so  dass  eine  innere  Nasen- 
öffnung, eine  Choane ,  entsteht.  An  die  un- 
paare  Nase  tritt  ein  paariger  N.  olfactorius. 

I.  Ordnung.  Hyperotreten  ,  Cyclostomeu  mit 
innerer,  den  Gaumen  durchbohrender  Nasenöftnung, 
jederseits  am  Bauch  eine  Reihe  machtig  ent- 
wickelter Schleimsäcke.  —  Ausser  der  Gattung 
Bdellostoma  kennt  man  nur  die  an  den  Küsten 
Skandinaviens  besonders  häufigen  Myxinen.  Myrinc 
glutinosa  L.  Inger  lebt  in  grosser  Tiefe,  mit  Vorliebe 
in  der  Bauchhöhle  todter  Fische  (Dorsche),  von 
denen  sie  sich  ernährt.  In  Folge  dieser  Lebens- 
weise sind  die  Augen  sehr  rudimentär  und  einfach 
gebaut.  Die  Thiere  sind  hermaphrodit,  und  zwar 
scheinen  zuerst  die  Spermatozoon,  dann  die  Eier 
zu  reifen  ;  letztere  sind  sehr  gross  und  mit  einem 
merkwürdigen  Hakenapparat  versehen;  die  Entwick- 
hing ist  leider  noch  unbekannt. 

II.  Ordnung.  Hypcroarticn ,  Cyclostomen  mit 
blind  geschlossenem  Nasensack.  —  Aus  Europa 
kennt  man  3  Arten,  die  sämmtlich  der  Gattung 
Petromyxon  angehören  und  sich  nur  durch  Grösse 
und   geringfügige    Merkmale    unterscheiden.  Das 


Fig.  4M.  Kiemenap- 
parat w»n  Myrhu  ghttu 
nnsa  mach  J.  Müller). 
o  ( >o*ophagus,  hr  Kiemen- 
säekehen  (die  Strich«1  ge- 
ben dir.  Luge  der  Kiemen- 
blättchen  an).  /  zufüh- 
render ,  ///•'  abführender 
Kiemeneanal.  nt>  Kiemen- 
arterie  mit  Kienienbögen, 
(I  abpriiparirtc  Haut  ,  s 
Mündung  der  Kiomonca- 
nale    und     eines  Haut 


kleine  Neunauge,  P.  Planen  Bloch,  lebt  in  Bächen    und  Oesophagus  verbin- 


und  in  kleineren  Flüssen,  das  grössere,  P.  flnvia- 
tilis  L.,  in  Strömen,  das  fast  1  Meter  lange  P. 
marinus  L.,  im  Meere ;  letzteres  gelangt  aber  auch  in 
die  grösseren  Flüsse  häufig,  indem  es 
sich  an  die  zur  Laichzeit  aufsteigen- 
den Lachse  und  Haifische  ansaugt. 
Früher  unterschied  man  ausser  der 
Gattung  Petrotnyxon  noch  die  Gattung 
Ammocoetcs  (Querder),  bis  in  diesem 
Jahrhundert  A.  Müller  von  Neuem 
auffand ,  was  schon  der  Fischer 
Baldner  im  vorigen  Jahrhundert 
erkannt  hatte,   dass  die  Ammocoetes 


denden  Canäu  der  Un- 
ken Seite  (e),  a  Atrium, 
r  Ventriculus  enrdis. 


Fig.  4(»2.  Kopf  des  Flussneunauges  mit 
Mund  Im),  unpaarrr  Nase  (tt),  Auge  und 
7  Kiemenspalten  (ks). 


nur 


lie 


Larven  der  Petromyzonten 
seien.  Die  Querder  unterscheiden  sich  von  den  Neunaugen  einmal  dadurch, 
dass  die  Augen  von  dicker  Haut  bedeckt  sind  und  daher  noch  nicht 
funetioniren,  dass  ferner  die  Mundöffnung  noch  eine  Längsspalte  ist  und 
nicht  zum  Ansaugen  benutzt  werden  kann.  Die  Umwandlung  des 
Querders  in  das  Neunauge  erfolgt  kurz  vor  der  Geschlechtsreife,  daher 
denn  auch  kaum  ein  Grössenunterschied  zwischen  beiden  existirt. 

Der  deutsche  Name  Neuipiuge  kann  den  Anfänger  irre  leiten;  da  nur 
1  Paar  Augen  vorhanden  ist,  muss  man,  um  die  Zahl  9  zu  erhalten,  nicht 
nur  die  7  Kiemenspalteu,  sondern  auch  die  unpaare  Nasenöffnung  mit- 
rechnen und  letztere  sogar  zweimal  zählen,  das  eine  Mal  für  rechts,  das 
andere  Mal  für  links.  —  Samen  und  Eier  werden  durch  den  Porus  ab- 


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490 


Wirbelthiere. 


doniinalis  entleert;  die  Eier  sind  ziemlich  klein  und  erleiden  eine  totale, 
wenn  auch  inäquale  Furchung  (Fig.  97).  —  Südamerikanische  Gattungen: 
Mordacia  und  Qeotria. 


III.  C lasse. 
Pisces,  Fische. 

Die  Bezeichnung  „Fische'1  kann  man  im  engeren  und  weiteren 
Sinne  anwenden.  Bei  der  weiteren  Umgrenzung  nennt  man  Fische 
alle  Wirbelthiere,  welche  in  Athmung  und  Fortbewegungsweise  voll- 
kommen dem  Wasserleben  angepasst  sind,  in  der  Athmung,  insofern 
sie  durch  Kiemen  erfolgt,  in  der  Fortbewegungsweise,  insofern  dieselbe 
durch  Flossen  vermittelt  wird.  Man  kann  aber  auch,  wie  es  in  diesem 
Buch  geschehen  soll,  den  Namen  im  engeren  Sinne  verwenden  und 
unter  den  kiemenathmenden,  mit  Flossen  schwimmenden  Wirbelthieren 
verschiedene  Stufen  der  Organisation  unterscheiden,  wie  wir  das  bei 
den  uns  näher  stehenden  landbewohnenden  und  luftathmenden  Wirbel- 
thieren schon  längst  zu  thun  gewohnt  sind.  Ausser  Kiemenathmung 
und  Fortbewegung  durch  Flossen  halten  wir  zur  Charakteristik  der 
Fische  noch  für  nöthig,  dass  eine  gewisse  Organisationsstufe  erreicht 
ist,  dass  eine  Wirbelsäule  und  ein  Schädel  mit  gut  ausgebildetem 
Visceralskelet  vorhanden  sind,  dass  zu  den  unpaaren  Flossen  sich  die 
paarigen  gesellen,  zum  Skelet  der  Hornfäden  noch  ein  besonderes 
knorpeliges  oder  knöchernes  Extremitätenskelet,  dass  die  Nase  ein 
doppeltes  Grübchen  ist,  dass  die  Haut  der  Körperoberfläche  und  die 
Schleimhaut  des  Mundes  Sitz  von  Verknöcherungen,  von  Schuppen 
und  echten  Zähnen,  sind.  Führt  man  diese  Auffassung  durch,  so 
müssen  die  Cydostomen  und  der  Amphioxus  von  den  Fischen  ausge- 
schlossen werden. 

Unzweifelhaft  sind  die  Fische  im  engeren  Sinne  die  dem  Wasser- 
leben am  besten  angepaßten  Wirbelthiere;  ihre  ganze  Organisation 
muss  daher  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  beurtheilt  werden.  Die 
Epidermis  ist  noch  nicht  verhornt  und  besteht  aus  zahlreichen  über 
einander  gelagerten  Schichten  protoplasmatiseher  Zellen,  die  nach 
aussen  nur  von  einer  verschwindend  dünnen  Cuticula  zusammenge- 
halten werden  und  in  Folge  dessen  nach  dem  Tode  leicht  abfallen. 
Enorme  Mengen  grosser  Schleimzellen  verleihen  den  Thieren  ihre  auf- 
fällige Schlüpfrigkeit.  Da  das  Epithel  nichts  zur  Festigung  der  Körper- 
oberfläche beiträgt,  gehen  alle  Schutzorgane  von  der  Lederhaut  aus, 
welche  aus  vielen  Schichten  straff  faserigen  Bindegewebes  besteht 
und  ausserdem  den  Fischen  das  charakteristische  Hautskelet ,  die 
Schuppen,  liefert.  Die  Schuppen  liegen  auf  der  Grenze  von  Epidermis 
und  Lederhaut,  jedoch  noch  in  letzterer  gewöhnlich  in  das  Bindegewebe 
der  Schuppentaschen  eingebettet  ;  sie  sind  vermöge  ihres  verschiedenen 
Baues  in  den  einzelnen  Abtheilungen  auch  jetzt  noch  von  hervorragen- 
dem, systematischem  Werth,  wenn  man  auch  darauf  verzichtet  hat,  auf 
die  Unterschiede  der  Placoid-,  G  anoid-,  Cycloid-  und  Ctenoid- 
Schuppen  die  grossen  Ordnungen  der  Fischclasse  zu  begründen. 

1)  Die  Placoid  schuppen  (Fig.  49.%  4,  Fig.  460)  oder  Haut- 
zähnchen  haben  wir  bei  der  allgemeinen  Besprechung  der  Wirbel- 
thiere kennen  gelernt,  weil  sie  den  Ausgangspunkt  für  die  Hautver- 


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III.  Fische. 


491 


Fig.  493.  Schuppen  formen  der  Fische ; 
1  Cvcloiduchuppc ,  2  Ctcnoidschuppe, 

von 
laien. 


knöcherungen  sämmtlicher  Wirbelthiere  bilden  und  ausserdem  auch 
den  Zähnen  der  Mundhöhle  im  Bau  ähnlich  sind ;  sie  sind  rhombische 
Knochenplatten ,  welche  mosaikartig 
dicht  zusammengefügt  sind,  ohne  aber 
sich  zu  decken ;  sie  tragen  im  Centrum 
einen  caudalwärts  zurückgebogenen, 
zugespitzten  und  mannichfach  gestal- 
teten Höcker,  welcher  aus  einer  blut- 
gefässreichen  Papille,  einem  Mantel 
von  Zahnsubstanz  (Dentin)  und  einem 
die  Spitze  überziehenden  Käppchen 
von  Schmelzsubstanz  besteht 

2)  Die  Ganoidschuppen  (3) 
haben  meist  noch  rhombische  Gestalt 
und  parketartige  Anordnung;  doch 
kommen  auch  schon  kreisrunde  Formen 
vor,  welche  sich  nach  Art  der  Cycloid- 
schuppen  dachziegelartig  decken.  Sie 
können  in  der  Jugend  noch  Hautzähn- 
chen  tragen,  welche  beim  ausgebilde- 
ten Thiere  verloren  gehen ;  stets  sind  TT  Tdcosticrn ,  3  Ganoidschuppc 

i .  i       »     '  .tt  Ganoiden,  4  Plaooidschuppe  von  Hi 

sie  von  einer  dicken  Lage  „Ganoin  11 

überzogen,  welche  der  Oberfläche  einen 

auch  bei  fossilen  Fischen  noch  zu  erkennenden  Perlmutterglanz  verleiht 
und  das  wichtigste  Merkmal  der  Schuppe  ausmacht  Das  Ganoin  wird 
in  der  Neuzeit  nicht  mehr  wie  früher  als  Schmelz,  sondern  als  eine 
homogene  oberflächlichste  Schicht  von  Elfenbein  gedeutet 

3)  Cyclo id-  und  Ctenoidschuppen  sind  einander  sehr  nahe 
verwandte  Formen ;  sie  liegen  stets  locker  in  den  Schuppentaschen,  aus 
denen  sie  leicht  herausgezogen  werden  können  (Entschuppen  der  Fische); 
sie  ordnen  sich  derart  in  Schräg-,  Quer-  und  Längsreihen  an,  dass 
die  vorderen  Schuppen  die  hinteren  dachziegelartig  decken.  Die 
Cycloidsch uppen  (1)  haben  annähernd  kreisförmige  Gestalt  und 
eine  zweifache  Structur ;  das  Centrum  der  Schuppe  ist  einerseits  Mittel- 
punkt einer  concentrischen  Streifung,  andererseits  Ausgangspunkt  zahl- 
reicher, nach  der  Peripherie  ausstrahlender  Radiallinien.  Die  con- 
centrische  Streifung  hat  ihren  Sitz  in  einer  oberflächlichen,  stärker  ver- 
kalkten Lage  der  Schuppe  (der  Dentinschicht)  und  ist  durch  riffartige 
Erhebungen  derselben  bedingt  ;  die  Radiallinien  sind  zum  Theil  durch 
Unterbrechungen  der  Dentinschicht  hervorgerufen,  vor  Allem  aber  da- 
durch, dass  in  ihrem  Bereich  die  Verkalkung  der  Basalschicht  unter- 
blieben ist.  Die  Ctenoid  sc  huppe  (2)  theilt  mit  der  Cycloidschuppe 
die  concentrische  und  radiale  Streifung,  unterscheidet  sich  aber  von 
ihr  dadurch,  dass  das  hintere  Schuppenende  quer  abgestutzt  ist  und 
dass  der  bei  der  dachziegelartigen  Deckung  freibleibende  Theil  der 
Oberfläche  kleine,  an  Zähnchen  oder  Kammzinken  erinnernde  Höcker 
trägt;  diese  Zinken  sind  nichts  Anderes  als  Fortsätze  der  concentrischen 
Riffe  der  Schuppen. 

4)  Ausser  den  besprochenen  Schuppenformen  kommen  in  der  Haut 
mancher  Fische  ansehnliche  Stacheln  (stark  entwickelte  Einzelzähne) 
und  ausgedehnte  Knochenplatten  vor.  für  welche  sich  meist  noch  der 
Nachweis  führen  lässt,  dass  sie  aus  Verwachsung  zahlreicher  Schuppen 
hervorgegangen  sind. 


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492 


Wirbelthiere. 


Die  Färbung  clor  Fische  ist  durch  zweierlei  Structuren  bedingt. 
Der  Silberglanz,  welcher  nicht  nur  die  Haut,  sondern  auch  Herzbeutel  und 
Bauchfell  auszeichnet,  wird  durch  Guanincrystalle  verursacht.  Sie 
werden  bei  manchen  Fischen  {Alburnus  hteidus)  durch  ihren  besonders 
schönen  Glanz  technisch  werthvoll:  durch  Kochen  mit  Ammoniak  werden 
sie  aus  der  Fischhaut  befreit  und  liefern  in  dieser  Flüssigkeit  suspendirt 
den  wichtigen  Theil  der  Perlenes.senz  (Essence  d'Orient),  welche  zur  Fa- 
brication  künstlicher  Perlen  benutzt  wird,  indem  sie  äusserlich  auf  Ala- 
basterkügelchen  aufgetragen  wird  (römische  Perlen)  oder  zu  einem  Ueber- 
zug  auf  der  Innenseite  von  Glaskügelchen  dient,  welche  dann  noch  mit 
Wachs  ausgegossen  werden  (Pariser  Perlen).  —  Die  ausser  dem  Silber- 
glanz noch  vorkommenden  Farben  und  Zeichnungen  lassen  sich  aal 
Chromatophoren  der  Lederhaut  zurückführen,  weiche  unter  dem  Ein- 
fluss  des  Nervensystems  ihre  Gestalt  und  Ausdehnung  und  damit  auch 
ihren  Antheil  an  der  Gesaninitfärbung  verändern  können.  Daher  rührt  die 
Anpassungsfähigkeit  vieler  Fische  an  ihre  Umgebung.  Die  SdioUen  und 
Flundern  {Pl&troncäidcri)  z.  13.  nehmen  die  Farbe  des  Untergrundes  an  und 
besitzen  hierin  ein  wichtiges  Mittel,  sich  vor  ihren  Feinden  zu  verbergen. 
Geblendete  Thiere  verlieren  diese  Fähigkeit,  weil  sie  beim  Mangel  der 
Aug'«n  über  die  Farbe  der  Umgebung  nicht  mehr  orientirt  sind, 
wirbeimme.  Das  Axenskelet  der  Fische  zeigt  viele  nur  in  dieser  Gasse  vor- 
kommende (irundzüge,  gewinnt  aber  gleichwohl  in  den  einzelnen  Ord- 
nungen ein  sehr  verschiedenes  Aussehen,  welches  vor  Allem  davon  ab- 
hängt, ob  das  Skelet  knorplig  oder  verknöchert  ist  Die  Wirbelsäule 
besteht  fast  stets  aus  amphicoclen  Wirbelkörpern  mit  oberen 
und  unteren  Bögen.  In  den  vorderen  und  hinteren  Aushöhlungen  der 
Wirbelkörper  besteht  die  Chorria  fort,  welche  demnach  ein  intervertebral 
anschwellender,  rosenkranzförmiger  Strang  ist.  Die  Bögen  schliessen 
sich  mittelst  unpaarer  Dornibrtsätze  zusammen,  die  oberen  —  den 
Rückenmarkscanal  erzeugend  —  überall,  die  unteren  nur  in  der  Schwanz- 
gegend (Caudalcanal)  (Fig.  4<>2,  4(>.'J),  während  in  der  Rumpfregion  die 
unteren  Bögen  aus  2  Theilen,  Rippe  und  Querfortsatz,  bestehen  und 
ventral  nicht  zur  Vereinigung  kommen.  Auch  fehlt  die  Vereinigung 
der  unteren  Rippenenden  durch  das  Dazwischentreten  eines  Sternuni. 
~  da  dieses  bei  keinem  Fisch  vorhanden  ist.  So  lange  die  Verknöcherung 
ausbleibt  oder  unvollkommen  ist  sind  die  oberen  und  unteren  Bögen  in 
jedem  Segment  mindestens  zu  zwei  Paaren  vorhanden ;  das  dem  Kopf 
zugewandte  vordere  Rogenpaar  ist  das  stärkere  und  bleibt  bei  Fischen 
mit  knöcherner  Wirbelsäule  allein  erhalten ;  das  zweite  ist  sehr  viel 
kleiner,  so  riass  man  es  gar  nicht  zu  den  oberen  resp.  unteren  Bögen 
rechnet,  sondern  von  oberen  und  unteren  Intercalarstücken  spricht 
(Fig.  494). 

Schadd.  Für  den  Fischschädel  ist  besonders  charakteristisch  die  gute 
Ausbildung  und  grosse  Zahl  der  Visceralbögen  sowie  ihre  Unabhängig- 
keit von  der  Schädelkapsel,  von  welcher  sie  ohne  Mühe  abgelöst  werden 
können.  Die  nach  Entfernung  der  Visceralbögen  für  sich  dargestellte 
Schädelkapsel  hat  bei  allen  Knorpelfischen  (Fig.  494)  einen  sehr  ein- 
fachen Bau,  wird  aber  bei  Knochenfischen  durch  Auftreten  von  Ver- 
knöcherungen um  so  complicirter,  da  die  Knochen  sehr  zahlreich  sind 
und  nicht,  wie  bei  den  Säugethieren,  zum  Theil  unter  einander  zu 
grösseren  Knochen  verschmelzen ;  auch  sind  zwischen  den  einzelnen 
Fischfamilien  grosse  Unterschiede  wahrnehmbar,  indem  bei  einigen 
Knochen  auftreten,  welche  den  anderen  fehlen  (Fig.  465,  495).  Durch 


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III.  Fische.  493 


Fig.  494.  Anfang  der  Wirbelsäule  und  Schädel  mit  Visceralskelet  von  Mustclus 
rultfan«.  ick  Wirbelkörper,  r  Rippen,  ob  obere  Bögen,  ic  Interealaria,  ps  Processus 
spinoei.  Schädel :  r  Vagusloch,  ijp  Gloesopharyngaeusloch,  po  Po9torbitalfortaatz, 
an  Antorbitalfortsatz,  tr  Trigeminusloch,  o  Opticiisloeh,  II  Hörkapsel,  A*  Nasenkapsel, 
Ii  linst  nun,  / — 8  Visceralbögen,  1  Lippenbogen,  2  Kieferbogen,  Pq  Palatoquadratum, 
Md  Mandibulare,  3  Zungenbein  bogen,  Bm  Hyomandibulare,  H  Hyoid,  H—  8  Kiemen- 
bögen,  co  Copula. 


Fig.  405.     Schädel  mit  erstem  Wirbel  und  mit  vorderem  VisceraJskelet  vom 
Schellfisch.    D  ie  Knochenconturen  der  Opercula  und  des  Infraorbitalrings  roth  ein- 
gezeichnet.   Schädel:  oeb,  od,  ocs  Basioccipitale,  Exoccipitale,  Siipraoccipitale,  epo,  pto, 
spho,  oo,  pro  Epioticum,  Pteroticum,  Sphcnoticum,  Opisthoticum,  Prooticum,/)  Parietale, 
fr  Frontale,  na  Nasale,  tue  Mesethmoid,  ce  Exethmoid.  as  Alisnhenoid,  ps  Parasphenoid, 
ro  Vomer.    Visceraltkelet:  1.  Maxillarreihe,  prm  Prämax  illare  (Intennaxülarel,  ma 
Maxillare;  2.  Kieferbogen:  Palatoquadratum:  pa  Palatinuro,  ent  Entopterygoid ,  cht 
Ectopterygoid.  wt  Metapterygoid ,  <ju  Quadratuni :  Mandibulare:  ar  Articulare,  a 
Angulare,  de  Dentale;  3.  Zungenheinbogen :  hm  Hyomandibulare,  sy  Symplecticum, 
ih  Tnterhvale,  /*' — h*  Knochen  des  Hyoids,  ent  OsEntoglossum,  rbr  Kadü  branihio- 
stegi,  w  Wirbel.    Rothgedruekte  Knoehen :  ÖOperculum.  lo  Interonerculum,  So  Sub- 
opcrculum ,  Pr  Praeopereulum,  inf  Infraorbitalring.   1,  2.  3  Axenlinien  des  Lippen- 
1>ogens,  Kieferbogens  und  Zungenbeinbogens. 


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494  Wirbelthier«-. 

besondere  (Konstanz  zeichnen  sieh  die  grossen  Bclegknochen  der  Sehädel- 
deeke  (Parietalia  \p]>  Frontalia  [fr],  Nasalia  (n«J)  und  der  Schädelbasis 
aus.  Letztere  ist  fast  in  ganzer  Länge  von  einein  unpaaren  mächtigen 
Belegknochen  zugedeckt,  der  sonst  nur  noch  bei  den  Amphibien 
(Fig.  f>10)  vorkommt  und  daher  besondere  Beachtung  verlangt,  von  dem 
Parasphenoid  (ps).  Der  am  vorderen  Ende  des  Parasphenoid 
sitzende  Vomer  (vo)  isr  ebenfalls  unpaar,  während  bei  allen  übrigen 
Wirbelthieren  der  Vomer  paarig  an  der  Spitze  des  Kieferbogens 
angelegt  wird.  Unter  den  primären  Knochen  sind  in  ihrer  Ausbildung 
am  constantesten  die  ersten,  die  drei  Ethmoidea  (ein  öfters  paariges  Mes- 
ethmoid,  zwei  Exethmoidea  [me  und  ee\\  und  die  letzten,  die  vier  Occi- 
pitalia  (Basioccipitale  \oc.  s.],  Exoccipitale  [oc.  /.),  Supraoccipitale  [oc.  b.\). 
Dagegen  ergeben  sich  Verschiedenheiten  in  der  Gehör-  und  Augen- 
gegend. Bei  der  ganz  ausserordentlichen  Grösse  des  Labyrinths  sind 
zahlreiche  Otica  vorhanden,  meist  (Fig.  495)  fünf  (drei  obere :  Spheno- 
ticum  spho,  Pterotieum  pto,  Epioticum  epo  und  zwei  untere :  Prooticum 
pro  und  Opisthoticum  oo),  seltener  vier  (Fig.  4Gö)  in  Folge  Mangels  des 
Opisthoticum.  In  der  Augengegend  sind  die  Knochen  des  Keilbein- 
körpers (Praesphenoid  und  Basisphenoid)  selten  gut  entwickelt;  meist 
sind  sie  rudimentär  oder  fehlen  ganz :  sie  sind  nicht  so  wichtig  wie 
bei  den  Amnioien.  da  das  grosse  Parasphenoid  der  Schädelbasis  ge- 
nügende Festigkeit  verleiht.  Aehnliches  gilt  für  die  Ali-  und  Orbito- 
sphenoidea  (Fig.  465  as  und  os):  je  nachdem  dieselben  gut  oder  un- 
vollkommen oder  gar  nicht  ausgebildet  sind,  befindet  sich  am  macerirten 
Schädel  zwischen  den  beiden  Augen  eine  vollkommen  knöcherne 
Scheidewand  (Fig.  405)  oder  eine  mehr  oder  minder  weit  klaffende 
Lücke,  die  Fenestra  interorbitaiis  (Fig.  495). 

Die  Beschaffenheit  des  Visceral. skelets  steht  mit  dem  Auf- 
enthalt im  Wasser  im  unmittelbarsten  Zusammenhang.  Alle  Fische 
haben  zahlreiche  Kiemenbögen  (5 — 7,  meistenteils  5),  welche  in  allen 
Abtheilungen  im  Wesentlichen  gleichen  Bau  haben,  da  ihre  Function 
Kiemen  zu  tragen  —  die  gleiche  ist.  Sofern  sie  nicht  durch  Rückbildung 
eine  Vereinfachung  erfahren  haben,  bestehen  sie  jederseits  aus  4  Stücken 
und  sind  durch  unpaare  Copulae  mit  denen  der  anderen  Seite  verbunden. 
Ihre  oberen  Enden  sind  häutig  bezahnt  und  stehen  dem  rudimentären  letz- 
ten Bogen  beim  Kauen  gegenüber,  weshalb  man  diese  ungleichwerthigen 
Stücke  als  Ossa  pharyngaea  superiora  und  inferiora  in  Vergleich  stellt. 
—  Die  vorderen  Visceralbögen  ergeben  bei  den  Knorpelfischen  und 
Knochenfischen  grosse  Unterschiede.  Nach  der  Art,  wie  sie  beim 
Kauen  verwendet  werden,  kann  man  Gaumen-  und  Kieferkauer 
unterscheiden.  Gaumenkauer  sind  die  Knorpeltische  (Fig.  494),  weil 
hier  die  Zähne  des  Palatoquadratum  (Pq)  (der  Gaumenanlage)  und 
des  Mandibulare  iMd),  also  die  Zähne  des  oberen  und  unteren  Ab- 
schnitts des  Kieferbogens  gegen  einander  wirken.  Kieferkauer  (Fig.  495) 
sind  alle  Fische  mit  verknöchertem  Skelet,  weil  mit  der  Verknöcherung 
die  Elemente  der  Maxillarreihe  (Zwischenkiefer  prm  und  Oberkiefer 
nta)  auftreten  und  die  Knochen  des  Palatoquadratum,  der  Gaumen- 
reihe (Pterygoidea  mt,  ekt,  ent  und  Palatina  pa)  zurückdrängen.  Dabei 
werden  die  Maxiilaria  und  die  Praemaxillaria  die  Antagonisten  des 
Unterkiefers  (Mandibulare),  wahrend  die  Knochen  der  Gaumenreihe 
dem  unteren  Abschnitt  des  Zungenbeins  entgegenwirken. 

Ein  zweiter  hervorstechender  Charakter  der  Knochenfische  wird 
schon  hei  den  Knorpelfischen  vorbereitet :   die  U  in  w  a  n  d  1  u  n  g  des 


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HL  Fische. 


495 


Hyo mandibulare  zum  Kieferstiel.  Schon  bei  den  Haien 
(speciell  den  Rochen)  wird  die  gleichmässige  parallele  Anordnung  des 
Zungenbeinbogens  und  des  Kieferbogens  aufgegeben,  indem  dasHyoman- 
dibularc  sich  vom  Hyoid  lockert  und  am  Kiefergelenk  enger  befestigt 
Bei  den  Knochenfischen  führt  das  dahin,  dass  das  Hyomandibulare 
das  hintere  Ende  des  Palatoquadratum,  das  Os  quadratum  vom  Schädel 
abdrängt  und  sich  selbst  zwischen  beide Theile  einschiebt,  so  das  Kiefer- 
gelenk indirect  mit  dem  Schädel  verbindend.  Durch  einen  nur  bei 
den  Fischen  vorkommenden  Knochen,  das  Symplecticuin  (sy),  wird 
diese  Beziehung  zum  Quadratbein  vermittelt,  während  ein  schwächeres 
Stück,  das  Interhyale  (ih),  die  Verbindung  mit  dem  unteren  Abschnitt 
des  Zungenbeinbogens,  dem  Hyoid,  bewahrt 

Ein  letztes,  nur  bei  einem  Theil  der  Fische  vorkommendes  Merk- 
mal des  Visceralskelets  ist  die  Ausbildung  des  Opercularapparats, 
einer  Anzahl  knöcherner  Platten  und  Stacheln,  welche  vom  Zungen- 
beinbogen ausgehen  und  sich  schützend  über  die  Kiemenbögen  herüber- 
legen; der  Opercularapparat  entsteht  zum  Theil  im  Anschluss  an  das 
Hyomandibulare,  die  ansehnlichen  Knochenplatten  der  Opercula  (Fig. 
495  O,  Pro,  So,  16),  zum  Theil  im  Anschluss  an  das  Hyoid  die  Radii 
branchiostegi.  Die  grosse  Bedeutung  dieser  Einrichtung  werden  wir 
erst  bei  der  Besprechung  der  Kiemen  kennen  lernen.  Sie  verleihen 
den  Fischschädeln,  bei  denen  sie  vorkommen,  ein  ganz  bestimmtes  Ge- 
präge, verdecken  aber  zugleich  ihre  Architectonik,  weshalb  sie 
ebenso  wie  ein  unter  dem  Auge  hinziehender  Knochenring,  die  Infra- 
orbitalia  (inf),  in  der  Zeichnung  (Fig.  495)  mit  rother  Farbe  einge- 
tragen sind. 

Nicht  minder  als  das  Visceralskelet  wird  das  Skelet  der  Extre-Extr«au»tea. 
mi täten  vom  Wasseraufenthalt  in  seiner  Beschaffenheit  beeinflusst 
Die  Fische  besitzen  Flossen;  zum  Unterschied  von  den  Cyclostomen 
haben  sie  die  zwei  paarigen,  die  Brust-  und  Bauchflossen  (P.  thoracicae 
und  abdominales),  zum  Unterschied  von  wasserbewohnenden  Amphibien, 
Reptilien  und  Säugethieren,  bei  denen  die  paarigen  Extremitäten  nicht 
selten  auch  ttossenartig  gestaltet  sind,  die  drei  unpaaren  Flossen,  die 
Rücken-,  Schwanz-  und  Afterflosse  (/\  dorsalis,  caudalis,  analis).  Nur 
selten  werden  die  Bauchflossen,  wie  bei  den  Aalen,  noch  seltener  auch 
die  Brustflossen  (Muraenen)  rückgebildet,  was  dann  irrthihnlich  als 
Verwandtschaft  mit  den  Cyclostomen  gedeutet  werden  könnte.  —  Die 
Function  der  Flossen  als  Organe  zum  Rudern  und  Steuern  des  Fisch- 
körpers und  zur  Erhaltung  der  Gleichgewichtslage  bringt  es  mit  sich, 
dass  sie  breite,  überall  gut  gestützte  Platten  sein  müssen.  Daher  er- 
klärt es  sich,  dass  zahlreiche  Skelettheile  vorhanden  sind,  ausser  den 
knorpelig  präformirteu  Flossenstützen  noch  die  bald  hornigen,  bald 
knöcliernen  Flossenstrahlen,  dass  ferner  alle  Theile  ziemlich  gleich- 
förmig gestaltet  und  fest,  wenn  auch  elastisch  mit  einander  verbunden 
sind.  In  der  Flosse  selbst  fehlen  die  Gelenke,  sie  sind  nur  an  der 
Basis  nöthig  und  auch  hier  allein  ausgebildet,  da  wo  die  Flosse  gegen 
die  Körperoberfläche  bewegt  werden  soll  und  an  den  Trageapparaten 
der  Flosse  befestigt  ist.  Die  Trageapparate  der  paarigen  Flossen, 
der  Schultcrgürtel  und  der  Beckengürtel,  sind  bogenförmige  Skcletstücke, 
welche  mit  der  Wirbelsäule  gewöhnlich  in  keinem  directen  Zusammen- 
hang stehen;  dagegen  ist  der  Schultergürtel,  in  welchen  niemals  ein 
Sternum  eingeschaltet  ist,  bei  den  meisten  Ganoiden  und  Teleostiern 
durch  eine  Reihe  complicirter  Knochen  mit  dem  Schädel  in  der  Gegend 


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49<I 


Wirbelthiere. 


der  Epiotica  verbunden  und  nur  bei  den  Haien  frei  in  die  Muskeln  ein- 
gelassen. Letzteres  fjrilt  für  sämmtliche  Fische  rücksichtlich  der  Bauch- 
flossen, welche  daher  ein  im  Fischkörper  leicht  verschiebbares  Element 
darstellen.  Ihre  ursprüngliche  Lage  ist  am  hinteren  Ende  der  Leibes- 
höhle (Bauchflosser,  J'isces  abdominale*  [Fig.  ">0H,  f>Oö|);  von  hier  aus 
sind  sie  bei  den  P.  thoracica  ( Brustflosser)  nach  vorn  bis  unter  die 
Brustflossen  verschoben  (Fig.  50li):  bei  den  J*.  jugularcs  (Kehlflosser) 
rücken  sie  sogar  über  diese  Linie  hinaus  vor  die  Brustflossen  in  die 
Kehlgegend. 

Zur  Befestigung  der  un paaren  Rücken-  und  Afterflossen 
dienen  die  knorpelig  prüformirten  Skelettheile  der  Flosse,  die  Flossen- 
stützen, welche  Fl  osse  nt  räger  genannt  werden,  weil  sie  mit  einem 
Ende  auf  den  Dornfortsätzen  der  Wirbelsäule  sitzen,  mit  dem  anderen 
Ende  sich  an  die  Flossenstrahlen  befestigen.  Für  die  Bückenflosse 
dienen  die  Processus  spinosi  der  Ncurapophysen  als  Stützpunkte,  für 
die  Analflosse  die  Processus  spinosi  der  Hämapophysen ;  bei  der 
Schwanzflosse  sind  die  Flossenstrahlen  ohne  Vermittlung  be- 
sonderer Träger  unmittelbar  den  dorsalen  und  ventralen  Dornfortsätzen 
aufgesetzt.  In  der  Ausbildung  der  Schwanzflosse  unterscheidet  man  ver- 
schiedenerlei Zustände,  welche  als  Di p Ii ycerkic,  Heterocerkie 
und  Homoeerkie  bezeichnet  werden  und  systematisch  sehr  wichtig 
sind  (Fig.  10,  S.  i>2).  Der  ursprüngliche  Zustand  ist  die  Diphycer- 
kic: die  Wirbelsäule  dringt  hier  gerade  gestreckt  in  die  Mitte  der 
Flosse  ein  und  halbirt  sie  in  symmetrische  dorsale  und  ventrale  Theile, 
so  dass  ein  gleich  grosser  Abschnitt  der  Flosse  von  ventralen  und  von 
dorsalen  Dornfortsätzen  getragen  wird.  —  Bei  der  Heterocerkie  (B) 
ist  die  Axe  der  Wirbelsäule  von  der  Flossenbasis  an  ein  wenig 
stumpfwinklig  nach  aufwärts  gebogen,  so  dass  die  dorsale  Partie  der 
Flosse  eingeengt  wird,  während  die  ventrale  sich  kräftiger  entwickelt 
und  viel  zahlreichere  Flossenstrahlen  erhält.  Eine  solche  Flosse 
macht  äusserlich  und  innerlich  den  Eindruck  grosser  Asymmetrie,  — 
Die  homocerke  Flosse  (//)  endlich  erscheint  auf  den  ersten  Blick 
vollkommen  symmetrisch ;  sie  ist  aber  thatsächlich  im  höchsten  Maass 
asymmetrisch.  Da  das  Wirbelsäulenende,  die  unverknöcherte  Chorda 
(clt),  fast  rechtwinklig  aufgebogen  ist,  kommt  der  dorsale  Abschnitt 
der  Flosse  kaum  noch  zur  P^ntwicklung,  und  wird  die  Schwanzflosse 
fast  ausschliesslich  vom  ventralen  Abschnitt  gebildet,  der  nun  meist 
durch  eine  Einbuchtung  in  einen  oberen  und  unteren  Lappen  abgetheilt 
wird  (D).  Entwicklungsgeschichtlich  wird  übrigens  auch  die  homocerke 
Flosse  diphycerk  angelegt:  durch  Aufkrümmen  des  Wirbelsäulenendes 
wird  sie  aber  bald  heterocerk  und  schliesslich  homocerk. 
Mu«kni«tor.  Da  der  Aufenthalt  im  Wasser  einfache  Bedingungen  der  Fortbewegung 
bietet,  ist  auch  die  F  i  s  c  h  ni  u  s  k  u  1  a  t  u  r  sehr  einfach  und  besteht  vor- 
vorwiegend aus  Längsmuskeln,  welche  durch  die  Lig.  iutermuscularia  in 
Myocommata  zerlegt  werden.  Die  Myocommata  haben  die  Gestalt  von 
Kegelmänteln ,  welche  ihre  Spitzen  nach  vorn  wenden  und  tütenartig  in 
einander  gesteckt  sind,  so  dass  ein  Querschnitt  mehrere  solcher  Tuten 
trifft  und  das  Bild  concentrischer  Ringe  liefert.  Man  findet  ferner  auf 
einem  Querschnitt  jeder  Seite  zwei  solcher  coucentrischen  Systeme,  ein 
dorsales  und  ein  ventrales,  da  die  gesammte  Längsmuskulatur  durch  eine 
laterale  Einschnürung  in  einen  dorsalen  und  ventralen  Abschnitt  zerlegt 
wird.  Ausser  den  Stammmuskeln  existiren  noch  kleinere  Muskelgruppen, 
die  sich  an  die  Flossen,  die  Kiemenbügen,  die  Kiefer,  Augen  u.  s.  w.  be- 


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III.  Fische. 


407 


geben,  welche  aber  im  Verhältnis«  zu  jener  Hauptmasse  einen  unbedeuten- 
den Abschnitt  der  Muskulatur  ausmachen  und  genetisch  nur  abgelöste 
Theile  derselben  sind.  —  Auf  Umbildung  von  Muskeln  sind  auch  die 
elektrischen  und  pseudoelektrischen  Organe  zurückzuführen, 
welche  bei  den  verschiedensten  Fischen  vorkommen  und  bald  am  Rumpf, 
bald  am  Schwanz  angebracht  sind.  Jedes  Organ  besteht  aus  zahlreichen 
vertical  oder  horizontal  dicht  neben  einander  gestellten  Säulchen,  jedes 
Säulchen  aus  vielen  nach  Art  der  Volta'schen  Säule  über  einander  ge- 
schichteten Gallertplatten  (Aequivalenten  der  Muskelbündel) ,  an  welche 
Nerven  unter  Bildung  besonderer  Endplatten  herantreten.  Bei  den  Schlägen, 
die  selbst  grosse  Säugethiere  lähmen  können,  wirkt  das  Nervenende  elektro- 
negativ. 

Das  Fischhirn  (Fig.  490,  497)  bekundet  die  niedere  Organisation  Hjr».  und 
der  Classe  vornehmlich  durch  die  geringe  Entwicklung  der  Grosshirnrinde. 
Namentlich  gilt  dies  für  die 
KnochenfiscJie  (Fig.  496  YH),  bei 
denen  man  an  Stelle  der  Grosshirn- 
rinde eine  dünne  Epithelschicht 
vorfindet  (Palt):  was  man  früher 
kurzweg  hier  Grosshirn  nannte, 
sind  nur  die  basalen  Abschnitte, 
die  Corpora  striata  der 
menschlichen  Anatomie  (HO).  Sehr 
ansehnlich  sind  die  zu  selbständi- 
gen Abschnitten  gewordenen  L  o  b  i 
olfactorii  (Lol i  die  entweder 
dem  Grosshirn  dicht  anliegen 
(die  meisten  TcUostier)  oder  durch 
einen  Zwischenraum  getrennt  und 
mit  ihm  in  Folge  dessen  durch 
einen  Tractus  olfaclorius  verbun- 
den sind  (Fig.  497  h).  Die  Tha- 
lami optici  des  Zwischenhirns 
sind  klein  (Fig.  497  <*),  da- 
gegen finden  sich  an  seiner  Basis 
2  lür  die  Fische  charakteristische 
Anschwellungen,  die  Lobi  infe- 
riores, und  dazwischen  der  Sac- 
culus    vasculosus.      Sehr  stark 

entwickelt  ist  auch  das  zweige-        Fig.  41)7.    iura  von  ocy 
theilte  Mittelhim  (MH)  und  der     <>»  Gerud,ska.>scln  (o) ;  h  Btdbtu  und  Trac- 
r\am  vv          onf.n,„nu.,ia  TUii     tu*  olfactonus,  «  Gl 


Fig.  4t>»>. 


Fig.  497. 


Fig.  490.  Hirn  der  Forrfle.  I  Nervus 
olfactorius,  Lot  Lobas  olfactorius,  F//Vnrder- 
hirn  (Grosshirn),  HO  ('orj>ora  striata,  Poll 
Pallium  dos  Grosshirns,  zum  jrrössten  Theil 
abgetragen  ,  ÖP  Kpiphysis  ,  .1///  Mittelhirn 
(Cor|Kira  quadrigeminn),  ////Hinterhirn  (Cere- 
beUom),  Ml  Nachhirn  (Mednlla  oblongata), 
1—XII  die  Hirnnorven  (nach  Wiedereheim). 

Hirn  von  Sct/Ilium  catulu*  mit 

ac- 
dem  Wurm  entsprechende  Theil     SS  0,,ll"0"u"'  \', ^S^^  t  Zwi<*hcnl?irn 
i      ttV  •  i  •         l  '  _~  (1h.  optici),  r  Mittelhirn  |<  onmra  quadnge- 

des  Kleinhirns  (HH).  miimi,  h  Hinterhirn  (Cerebellum),  «  Xarhhirn 

Die  Nase  besteht  aus  2  prae-  (Mednlla  oblongata)  (aus  Gegenbaur). 
oralen  Grübchen,  die  zur  Mund- 
höhle meist  in  keinerlei  Beziehungen  stehen;  dagegen  wird  durch  eino 
Hautbrücke  die  Mündung  des  Grübchens  in  einen  äusseren  und  inneren 
Theil  zerlegt.  Eine  Ausnahme  machen  nur  viele  Selachier  und  die  Di- 
jmeusten\  bei  ersteren  erstreckt  sich  jederseits  eine  von  Falten  überdeckte 
Furche  durch  die  Lippen  hindurch  (Fig.  504) ;  bei  letzteren  findet  sich  ein 
Nasengaumengang.  —  Das  Auge  der  Fische  hat  mehrere  Eigentüm- 
lichkeiten; die  Linse  ist  auffallend  stark  gewölbt  und  besitzt  fast  die 
Gestalt  einer  Kugel,  eine  Einrichtung,  welche  dadurch  nöthig  wird,  das« 

H  e  r  t  w  I  g  ,  Lehrbuch  der  Zoologie,   3.  Aull»»*.  32 


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498 


Wirbelthiere. 


der  optische  Effect  der  Cornea  bei  der  zwischen  Wasser  und  Gewebe  be- 
stehenden geringen  Brechungsdifferenz  viel  kleiner  ausfallt  als  bei  land- 
bewohnenden Wirbelthieren.  Zweitens  findet  sich  häufig  der  Processus 
falciformis,  ein  sichelförmiger  Fortsatz  der  Chorioidea,  welcher  durch 
die  Retina  hindurch  in  den  Glaskörper  eindringt  und  vom  Opticuseintritt 
bis  zur  Linse  reicht,  wo  er  zur  Campanula  Halleri  anschwillt.  Bei  den 
KnocJienßschen  liegt  neben  der  Eiotrittsstelle  des  N.  opticus  ein  rätsel- 
haftes Organ ,  die  Chorioidealdrüse,  welche  vornehmlich  aus  Blut- 
gefässen (Wundernetz)  besteht.  Weit  verbreitete,  aber  nicht  constante 
Vorkommnisse  sind  Verknöcherungen  und  Verknorpelungen  der  Sclera. 
Bewegliche  Augenlider  sind  gar  nicht  vorhanden  oder  ganz  schwach  an- 
gedeutet ;  nur  bei  gewissen  Selachicrn  findet  sich  eine  Nickhaut.  —  Ent- 
sprechend der  grossen  Ausdehnung  der  Gohörkapsel  und  der  in  ihr 
sich  entwickelnden  und  früher  schon  erwähnten  Knochen,  der  Otica,  ist 
auch  das  Gehörorgan  der  Fische,  das  Labyrinth,  von  einer  Grösse  wie 
bei  keinem  anderen  Wirbelthiere:  Sacculus  und  Utricnlus  (Fig.  487  S  u.  V) 
beginnen  sich  von  einander  durch  eine  Einschnürung  zu  trennen ;  am  Sac- 
culus bereitet  eine  Aussackung,  die  Lagena,  schon  die  Anlage  der  Schnecke 
vor;  am  Utriculus  hat  sich  zu  den  zwei  schon  bei  Pelromyxon  vorhan- 
denen halbkreisförmigen  Canälen  noch  ein  dritter  hinzugesellt.  Im  Laby- 
rinth finden  sich  zwei  Hörsteine,  Asteriscus  und  Sagitta  genannt,  von  denen 
namentlich  ersterer  auffallend  gross  ist. 

Von  allen  Sinnesorganen  am  merkwürdigsten  sind  die  Sinnesorgane 
der  Haut;  speciell  sind  die  Organe  der  Seitenlinien  Gebilde,  welche 
nirgends  so  gut  entwickelt  sind  wie  bei  den  Fischen  und  überhaupt  sonst 
nur  noch  bei  Cyclostomen  und  wasserbewohnenden  Amphibien  oder  im- 
phibkn- Larven  vorkommen.  Bei  allen  Fischen  erstreckt  sich  auf  jeder 
Seite  des  Körpers  eine  deutliche  Längslinie  (Fig.  506  <SZ),  die  an  der 
Schwanzspitze  beginnt  und  am  Kopf  in  mehrere  gewundene  Linien  aus- 
geht. Veranlasst  ist  die  Zeichnung  durch  eine  Längsrinne  oder  einen  in 
den  Schuppen  verlaufenden  Längscanal ,  der  sich  durch  zahlreiche  die 
Schuppen  durchbohrende  ('anale  nach  aussen  öffnet.  An  dem  Röhren- 
system verästelt  sich  ausser  Zweigen  des  Trigeminus,  Facialis  und  Glosso- 
pharyngaeus  vor  Allem  ein  starker  Ast  des  Nervus  vagus,  der  N. 
lateralis,  welcher  vom  Kopf  bis  an  die  Basis  der  Schwanzflosse  reicht  und 
mit  seinen  feinsten  Endzweigen  besondere  Sinnesorgane,  die  Nervenhügel, 
versorgt,  Dieselben  Nervenhügel  können  sich  auch  an  anderen  Stellen 
in  Vertiefungen  der  Haut,  den  Ampullen,  vorfinden.  Ihre  Function  ist 
vollkommen  räthselhaft,  da  bei  Siiugcthicren  und  Menschen  nichts  Aehnliches 
vorkommt.  Die  Beschränkung  der  Sinnesorgane  auf  Wasserbewobner  macht 
es  wahrscheinlich,  dass  sie  in  irgend  welcher  Weise  das  Thier  über  die 
Beschaffenheit  des  Wassers  orientiren  sollen.  —  Ueber  die  Nervenend- 
knospen, welche  ausserdem  in  der  Fischhaut,  speciell  an  den  Barteln  und 
Lippen  vorkommen,  wurde  schon  früher  bemerkt,  dass  sie  zu  den  Geruchs- 
und Geschmacksorganen  überleiten  (Fig.  452). 
n.nn.  Viel  wichtiger  als  die  bisher  besprochenen  animalen  Organe  sind 

für  die  Systematik  der  Fische  die  vegetativen  Organe,  vor  Allem 
Darm,  Kiemen  und  Herz.  Der  Darm  ist  nur  im  Bereich  der  zu  einem 
einheitlichen  Raum  vereinten  Mund-  und  Rachenhöhle  geräumig;  von 
da  verjüngt  er  sich  zu  einem  verhiiltnissmüssig  wenig  in  Windungen 
gelegten  Rohr,  an  welchem  Oesophagus,  Magen,  Dünn-  und  Dickdarm 
nicht  sehr  scharf  gegen  einander  abgesetzt  und  auch  durch  Dicke  nur 
unbedeutend  unterschieden  sind.    Mund-  und  Rachenhöhle  sind  in  ganz 


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III.  Fische. 


45)9 


auffallender  Weise  bezahnt.  Bei  den  Knochenfischen  können  fast  alle 
Knochen  der  Schädelbasis  und  des  Visceralskelets  bei  manchen 
Arten  diese,  bei  andern  jene  —  mit  gewöhnlich  hechelförmigen,  an- 
gewachsenen Zähnen  bedeckt  sein.  Bei  den  Haien  sind  die  der  Schleim- 
haut eingepflanzten  Zähne  meist  auf  Palatoquadratum  und  Mandibulare 
beschränkt,  aber  in  vielen  Reihen  hinter  einander  gestellt.  In  beiden 
Fällen  besteht  ein  unbegrenzter  Zahnersatz,  da  namentlich  die  nur  in  der 
Schleimhaut  befestigten  Zähne  leicht  ausfallen.  Leber  und  Milz  sind 
stets  vorhanden,  eine  Gallenblase  und  ein  Pancreas  meistens. 

Systematisch  wichtige  Unterschiede  treten  in  der  Beschaffenheit 
des  Dünndarms  und  des  Pharynx  hervor.  Bei  vielen  Fischen  (Fig.  498  ß) 

sind  am  Pylorus  (  ;>),  am  Uebergang  von 
Magen  (v)  und  Dünndarm  (i),  dickwan- 
dige Blindsäcke,  die  Appen  die  es  py- 
loricae(ap)  vorhanden;  andere  Fische 
haben  dagegen  die  Spiral  klappe  (Fig. 
4!>S  A  vs),  eine  Schleimhautfalte,  welche 
wendeltreppenartig  auf  der  Innenseite 
des  Dünndarms  herabsteigt.  Selten  kom- 
men beide  Einrichtungen  gleichzeitig 
neben  einander  vor. 

Die  Unterschiede  in  der  Pharyngeal- 
region  werden  durch  das  Verhalten  der  Kiemen. 
Kiemen  veranlasst  (Fig.  400),  deren  man 
2  Arten:  Bedeckte  Kiemen  (A)  und 
Fig.  498.  Dann  A  von  Sqitatiua  K  a  m  in  k  i  e  in  e  n  (B)  unterscheidet.  Bei 
vulgaris,  Ii  von  Trachinu*  radiatm  beiden  beginnen  die  zwischen  zwei  Kie- 

KÄ^Äfr  »7»,ftgen  W  .plegenf  Kiemengänge 
ledochn*;  Spiralklappe,  -  End-  auf  der  Darmseite  mit  den  inneren  Spal- 
darm,  r  Anhang  desselben,  dp  Ende  ten  iis)\  ihre  Mündungen  nach  aussen 
dos  Schwimmblasengangs,  ap  Appen-  /eigen  jedoch  verschiedenes  Verhalten, 
die«  pyloricae,  »  Dünndarm.         ßei  (len  bedeckten  Kiemen  (A)  sind  die 

jederseits  in  einer  Reihe  hinter  einander 
liegenden  äusseren  Kiemenspalten  (as)  durch  breite  Hautbrücken 
getrennt,  welche  keinen  Einblick  in  die  Kiemengänge  gestatten  und 
die  Kiemenblättchen  ganz  verdecken  (Fig.  ;V)3).  Letztere  sind  blut- 
gefässreiche,  rothe,  lanzettförmige  Schleimhautfalten,  welche  in  der 
Richtung  des  Kiemenganges  in  dessen  vorderer  und  hinterer  Wand 
verlaufen.  Mit  Ausnahme  des  letzten  trägt  jeder  Kiemenbogen,  wie 
der  Querschnitt  (Fig.  409  A  u.  ö(X))  zeigt,  2  Reihen  Kiemenblättchen, 
welche  verschiedenen  Kiemenspalten  angehören  und  abgesehen  von 
den  Hautbrücken  noch  weiterhin  durch  Gewebe  (die  knorpeligen 
Kiemenradien)  von  einander  getrennt  werden.  Bei  den  Kamm- 
kiemen (B)  fehlen  die  Hautbrücken,  und  auch  das  trennende  Zwischen- 
gewebe ist  je  nach  den  Arten  mehr  oder  minder  vollständig  geschwunden  : 
die  Kiemenblättchen,  die  auf  einem  gemeinsamen  Kiemenbogen  sitzen, 
rücken  daher  zusammen :  ihre  Enden  ragen  wie  Zinken  eines  zwei- 
reihigen Kammes  (daher  der  Name)  frei  in  das  Wasser  und  würden 
hei  dem  Mangel  schützender  Hautbrücken  und  bei  ihrer  ausserordent- 
lichen Weichheit  der  Gefahr  folgenschwerer  Verletzungen  ausgesetzt 
sein,  wenn  sie  nicht  durch  eine  neue  Schutzvorrichtung,  den  Oper- 
c  u  1  a  r  a p  p  a  r  a  t ,  gesichert  würden.  Der  Opercularapparat  ist  eine 
Hautfalte,  die  vom  Zungenbeinbogen  ausgeht  und  sich  über  die  Kiemen* 

32* 


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Fig.  499.  Der  Kiemcndanu  eine«  Haie«  (A)  und  einet»  Teleoptiers  (Bf  durch 
Entfernen  de*  Schädels  fn-ip  N-tri.  jedesmal  auf  der  linken  Seite  die  Kienienregion 
horizontal  durchschnitten  ,  A  Zyjraena  malleus.  BGadus  aeglefinus.  Pq  Palatoqua- 
dratum.  a  vorder«'  IJefcstiguntr  am  Schädel,  »k  Unterkiefer,  m  Mund,  prm  Präniaxil- 
lare.  tna  Maxillare,  pa  Palatinum  ,  hm  llyoinandihularc ,  is  innere  Kiemensnalten. 
us  :iu>-«  re  Kienieiispalten,  ups  Kictneiulcckclspalt ,  //  Hautbrücken .  h  KieineiiDogen 
W1  vordere,  6i*  hintere  Kienienblättchen  derselben,  op  (,)j»ercula,  *  Schultergürtel,  * 
Zunge,  phi  0*»a  pharyngaea  inferiora,  <>  (  h'xnphagxi*. 


Schwimm  - 
blaue. 


region  ausbreitet:  sie  wird  von  zweierlei 
Skeletstücken  gestützt,  den  Opercula  iTig. 
41»o  0,  So,  Io,  Pro),  die  am  Hyomandibulare 
ansitzen,  und  den  Radii  branchiostegi  (Fig. 
49ö  rhr\  die  vom  Hyoid  entspringen  und  die 
Membrana  branchiostega  ausspannen.  Zwi- 
schen dem  freien  Rand  des  Kiemendeckels 
und  der  Membrana  branchiostega  einerseits 
und  der  Hautoberfläche  andererseits  findet  sich 
der  Kiemendeckelspalt  (Fig.  500  B.  ops),  der 
mit  den  äusseren  Kiemenspalten  selbstver- 
ständlich nicht  identisch  ist,  sondern  in  einen 
Vorraum  fährt,  in  den  die  Kiemenspalten 
münden.  Dem  Gesagten  zufolge  sind  Oper- 
cularapparat  und  Kammkiemen  Bildungen,  die 
in  ursächlichem  Zusammenhang  stehen  und 
stets  gleichzeitig  vorkommen. 

Neben  den  Kiemen  findet  sieh  im  Körper 
der  Fische  auch  noch  das  Homologon  der 
Lunge,  die  nur  den  Haien  und  einigen 
Knochenfischen  constant  fehlende  Schwitntn- 


Fig.  500.  Querschnitte 
durch  Kiemen  bögen  und 
Kiemen  von  Zyjraena  (recht*) 
und  Gadus  (links)  etwas  ver- 
grössert.  b  Kiemenbögen,  * 
/ahne,  a  Arterie,  r  Vene,  W 
vonlere.  /</'  hinten'  Kiemen- 
blättchen,  r  Knorpelradius, 
h  Hautbrücke. 


III.  Fische. 


501 


blase.  Sie  ist  ein  öfters  sanduhrförmig  eingeschnürter,  von  Gasen 
prall  gefüllter  Sack  mit  einem  Ausführweg ,  dem  Ductus  pneu- 
maticus,  der  zum  Oesophagus  führt  (Physostomen),  bei  vielen  aus- 
gebildeten Fischen  freilich  {Physoclisten)  durch  Rückbildung  verloren 
gegangen  ist.  Die  Schwimmblase  dient  selten(bei  den  Dipneusten 
und  einigen  Ganoiden:  Lepidosteus  und  Amin)  zur  Athmung,  meist 
ist  sie  ein  hydrostatischer  Apparat:  wird  ihr  Luftinhalt  zusammen- 
gedrückt, so  wird  der  Fisch  specifisch  schwerer  und  sinkt  in  die 
Tiefe;  umgekehrt  steigt  er  beim  Nachlassen  des  Drucks  in  die 
Höhe.  Wird  die  Schwimmblase  hierdurch  dem  Fische  von  Nutzen,  so 
kann  sie  ihm  auf  der  anderen  Seite  auch  verderblich  werden,  wenn  er 
aus  grossen  Tiefen  plötzlich  gewaltsam  in  die  Höhe  gezogen  wird. 
Dann  kann  das  sich  ausdehnende  Gas  nicht  nur  die  Schwimmblase 
sprengen,  sondern  auch  die  Bauchdecken  trommelartig  auftreiben  und 
sogar  die  Eingeweide  zur  Mundhöhle  hervorpressen  (Trommelsucht). 
Fische  ohne  Schwimmblasengang  werden  der  Gefahr  der  Trommelsucht 
mehr  ausgesetzt  sein  als  Fische,  bei  denen  der  Schwimmblasengang 
wenigstens  ein  allmähliges  Ausströmen  der  Luft  gestattet. 

Unmittelbar  hinter  der  Kiemenregion  liegt  das  Herz  (Fig. 501 Ä), 
eingebettet  in  das  Pericard  und  gegen  Verletzung  von  aussen  geschützt 
durch  den  von  links  und  rechts  zusammenschliessenden  Schultergürtel. 
Ueberall  besteht  es  aus 
"Kammer  (v)  und  Vorkammer 
(«),  welche  durch  zwei,  das 
Rückstauen  des  Blutes  ver- 
hindernde Klappen  von  ein- 
ander getrennt  werden ; 
ferner  giebt  es  überall 
durch  den  Truncus  aortae 
das  Blut  an  die  Kiemen  ab 
und  empfängt  dasselbe  aus 
einem  dünnwandigen  Sack, 
dem  Venensinus  (s),  in  den 
die  durch  Vereinigung  der 
Cardinal-  und  Jugularvenen 
entstandenen  Ductus  Cu- 
vieri  münden.  (Vergl.  auch 
Seite  90  Fig.  62).  Dagegen 
ergeben  sich  Unterschiede 
in  der  Ausbildung  zweier, 
für  die  Systematik  der 
Fische  sehr  wichtiger  Ab- 
schnitte, des  Conus  arteriosus  und  des  Bulbus  arteriosus.  Conusund 
Bulbus  arteriosus  schliessen  sich  im  Allgemeinen  in  ihrem  Vor- 
kommen aus;  beide  sind  muskulöse  Hilfsorgane,  von  denen  das  erste 
aus  dem  Herzen,  das  zweite  aus  der  Aorta  hervorgeht';  demgemäss 
besteht  der  Conus  aus  quergestreiften,  der  Bulbus  aus  glatten  Muskel- 
fasern. Das  Ende  des  Herzens  gegen  die  Arterie  wird  durch  die 
Region  der  Semilunarklappen  bezeichnet,  welche  ebenso  wie  die  Atrio- 
ventricularklappen  das  Zurückstauen  des  Blutes  verhindern.  Hat  sich 
diese  Region  unter  grosser  Vermehrung  der  Klappenreihen  verlängert 
und  mit  Muskeln  bedeckt,  so  entsteht  der  Conus  arteriosus  (Fig. 
501  Ak),  während  der  Bulbus  arteriosus  (Fig.  501  Cb)  eine  mus- 


Fig.  501.  Verschiedene  Herzfornien  der  Fische 
im  Sagittalschnitt  halbschematiseh  dargestellt.  A 
Herzform  der  Haie  und  der  meisten  Ganoiden, 
B  von  Amia,  0  eines  Knochenfisches,  s  Venen- 
sinus, o  Vorhof,  v  Kammer,  c  Conus  arteriosus,  k 
Klappen  desselben,  t  Truncus  aortae,  b  Bulbus  arte- 
riosus (nach  Boas). 


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Wirbelthiere. 


culöse  Anschwellung  jenseits  dieser 
Stelle  im  Verlauf  der  Aorta  ascen- 
dens  ist  —  Die  Verbindung  von 
Aorta  ascendens  und  descendens 
wird  bei  jungen  Fischen  durch 
direct  aufsteigende  Kiemenarterien 
vermittelt  (Fig.  502),  später  durch 
die  complicirten  Nebenschliessungen 
des  Kiemenkreislaufs.  Man  kann 
dann  zuführende  Arterien,  respira- 
torische Kiemencapillaren  und 
rückführende  Venen  unterscheiden, 
welch  letztere  sich  zur  Aorta  de- 
scendens vereinen  (Fig.  62)  und 
auch  die  grossen  Kopfarterien 
(Carotiden)  abgeben. 

Von  allen  vegetativen  Organen 
liegen  nur  die  Nieren  ausser- 
^y**'1,  halb  der  Leibeshöhle  als  zwei  blutgefässreiche,  rothbraune  Organe, 
welche  links  und  rechts  von  der  Wirbelsäule  von  der  Herzgegend  bis 
zum  After  reichen.  Die  Nierengänge  münden  hinter  dem  Darm  oder 
in  dessen  Rückwand  und  sind  öfters  mit  Ausweitungen  versehen, 
die  nach  ihrer  Function  Harnblasen  genannt  werden,  morphologisch 
sich  aber  durchaus  von  der  vor  dem  I>#mu  angebrachten  Harnblase 
der  höheren  Wirbelthiere  unterscheiden.  In  der  Leibeshöhle  liegen 
an  besonderen  Aufhängebändern  (Mesorchien,  Mesovarien)  befestigt 
die  grossen  Geschlechtsdrüsen,  welche  bei  der  Mehrzahl  paarig,  bei 
einer  Minderzahl  unpaar  sind.  Ihre  Producte  werden  nur  bei  einem 
Theil  der  Fische  (Ganoiden  und  Selachier)  durch  Abschnitte  des  Uro- 
genitalsystems entleert,  sonst  durch  Pori  abdominales  oder  eigene 
Ausführwege. 

Systematik.  Cuvier  thoilte  die  Fische  nach  der  Structur  des 
Skelets  in  Knorpel-  und  KnochenfiscJie.  Indessen  hat  es  sich  herausgestellt, 
dass  durch  diese  Namen  genügend  nur  2  Extreme,  die  Selachier  und  Tele- 
ostier,  unterschieden  werden,  dass  zwischen  diesen  eine  Gruppe  besteht, 
die  wie  im  Skelet  so  auch  im  Bau  der  übrigen  Organe  die  Mitte  hält 
A  gassiz  nannte  die  Mittelgruppe  Ganoiden  nach  dem  Bau  ihrer  Schuppen. 
Weitere  Untersuchungen  ergaben,  dass  dieses  allerdings  wichtige  Merkmal 
nicht  bei  allen  „Ganoiden"  zutrifft,  und  so  blieb  es  Job.  Müller  vor- 
behalten, die  Gruppe  auf  breiter,  anatomischer  Basis  neu  zu  charak- 
terisiren  und  neu  zu  umgrenzen;  er  fügte  auch  die  Dipneusten  der  Fisch- 
classe  ein. 

L  Ordnung.  Elaamobranchier,  Plagioatomen,  Selachier. 

Die  Selachier  —  die  haiartigen  Fische  genannt,  da  zu  ihnen  die 
gefürchteten  Menschenhaie  gehören  —  bilden  eine  fast  ausschliesslich 
marine  Gruppe  von  ca.  0,5 — 20  m  langen  Fischen,  die  vorwiegend  von 
anderen  Wirbelthieren  leben  und  sich  durch  grosse  Gefrässigkeit  und 
Raubgier  auszeichnen.  Bald  schlank  gebaut  wie  die  Haie  im  engeren 
Sinne  (Fig.  503),  bald  dorsoventral  abgeplattet  wie  die  Rochen  (Fig. 
504),  stimmen  sie  in  der  allgemeinen  Körperform  insofern  unter  ein- 
ander überein,  als  der  Kopf  sich  nach  vorn  in  einen  schnabelartigen 


ff   


Fig.  502.  Kopf  eines  Knochenfisch- 
embryoe  mit  der  Anlage  de«  Gefässavstems 
(Schema  aus  Gegenbaur).  de  Ductus 
Cuvieri  (aus  Vereinigungen  von  vorderen 
Jugular-  und  hinteren  Cardinalvenen  ent- 
standen), sv  Sinus  venosus ,  o  Vorhof,  v 
Kammer  des  Herzens ,  abr  aufsteigende 
Aorta  mit  davon  abgehenden  Arterien- 
bögen,  ad  absteigende  Aorta,  c'  Carotis 
(Kopfarterie),  *  Kiemenspalten,  n  Nasen- 
grube. 


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III.  Fische:  Selachier. 


503 


Fortsatz  verlängert,  der  wie  ein  Wellenbrecher  wirkt  und  von  einem 
Knorpelvorsprung  des  Schädels,  dem  Rostrum,  gestützt  wird  (Fig. 
494  Ii).  Der  Mund  liegt  unterhalb  des  Rostrum  ziemlich  weit  vom 
vorderen  Ende  entfernt  auf  der  ventralen  Seite  und  ist  eine  quere 
Spalte,  welche  den  Namen  „Vlagiostomen"  (Quermäuler)  veranlasst  hat 
Seine  Lage  bringt  es  mit  sich,  dass  die  Haie  von  unten  an  ihre  Beute 
heranschwimmen  und  sich  auf  den  Rücken  werfen  müssen,  um  mit 
den  Zähnen  fassen  zu  können.  Der  Schwanz  trägt  eine  h  ete  r  oc er ke 
Flosse  oder  ist  in  einen  langen  Faden  ausgezogen.  Die  Haut 
ist  meist  festgepanzert  von  den  dicht  aneinander  gefügten ,  rhom- 
bischen Placoidschuppen  (Fig.  493 4 ),  die  vielfach  so  fein  sind, 
dass  man  die  „chagrinartige"  Haut  zum  Poliren  benutzen  kann.  Sel- 
tener sind  grössere  Schuppen,  die  dann  mit  ihren  Stacheln  über  die 
Körperoberfläche  hervorragen  und  schon  durch  ihre  Gestalt  den 
Namen  „Hautzähne"  rechtfertigen.  Das  innereSkelet  ist  knor- 
pelig, oft  aber  von  einer  dünnen,  verkalkten  Kruste  tiberzogen,  welche 
sich  auch  in  das  Innere  der  Wirbelkörper  hinein  erstrecken  kann.  Da 
echte  Knochen  fehlen,  haben  die  Selachier  keine  Oberkiefer,  sondern 
kauen  mit  dem  Palatoquadratum  (Gauraenkauer,  vergl.S.  494);  die 
amphicoelen,  den  Holocephalen  noch  fehlenden  Wirbelkörper  tragen 
ausser  den  oberen  Bögen  und  den  sehr  kleinen  Rippen  noch  die  Inter- 
calaria  (Fig.  494  ic). 

Die  Zahl  der  Kiemenbögen  und  Kiemen  spalten  schwankt 
zwischen  5  und  7,  wobei  als  erste  Kiemenspalte  die  Spalte  zwischen 
Zungenbeinbogen  und  erstem  Kiemenbögen  angesehen  wird.  Ausser- 
dem führt  bei  vielen  Selachiern  noch  ein  Canal  zwischen  Kieferbogen 
und  Zungenbeinbogen  von  der  Haut  in  den  Rachen,  das  Spritz  loch, 
welches  im  Innern  blutgefässreiches  Gewebe,  eine  Pseudobranchie, 
enthält  und  jedenfalls  der  Rest  einer  ehemaligen  Kiemenspalte  ist 
(Fig.  503  Spl).  Da  zwischen  den  äusseren  Kiemenspalten  die  Haut- 
brücken erhalten  sind  (bedeckt  e  Ki  einen,  Elasm  o  branchier 
[Fig.  499,  5001),  trägt  der  Zungenbeinbogen  keinen  Opercular- 
apparat,  wohl  aber  eine  Reihe  von  Kiemenblättchen. 

Aus  der  Anatomie  der  Eingeweide  sind  folgende  Punkte  zum 
Unterschied  von  anderen  Fischen  (Teleostiern)  wichtig:  1)  Das  Herz 
(Fig.  501 A)  hat  einen  langen  Conus  arteriosus  mit  vielen  Klappen- 
reihen übereinander,  dagegen  fehlt  der  Bulbus.  2>  Der  Darm  (Fig.  4984) 
besitzt  eine  Spiralklappe,  dagegen  weder  Appendices  pyloricaet 
noch  Schwimmblase.  3)  Die  Entleerung  der  Geschlechts- 
organe erfolgt  durch  das  Nierensystem.  Die  Eier  gelangen 
durch  Platzen  der  Follikel  aus  dem  ab  und  zu  nur  einseitig  entwickel- 
ten Ovarium  in  die  Leibeshöhle  und  von  da  durch  die  un paare  Tube 
und  die  stets  paarigen  Müller'schen  Gänge  nach  aussen.  Die  Sperma- 
tozoon dagegen  benutzen  den  oberen  Theil  der  Niere. 

Die  männlichen  Selachier  unterscheiden  sich  äusserlich  von  den  Weib- 
chen dadurch,  dass  Theile  der  Bauchflossen  besonders  kräftig  entwickelt 
sind  und  zur  Begattung  benutzt  werden  (Fig.  504  c).  Die  grossen,  dotter- 
reichen Eier  werden  daher  schon  in  den  Eileitern  befruchtet  und  entwickeln 
sich  meist  in  uterusartigen  Erweiterungen  derselben.  Die  Embryonen, 
deren  Kiemenblättchen  sich  zu  langen,  aus  den  Spalten  vorragenden  Büscheln 
verlängern  (Fig.  486  k),  ernähren  sich  von  der  im  Dottersack  enthaltenen 
Masse;  nur  bei  Mustelus  und  CarcJiarias  kommt  es,  was  schon  Aristoteles 
wusste,  aber  erst  in  diesem  Jahrhundert  J.  Müller  neu  bestätigt  hat,  zur 


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504 


Wirbelthiere. 


Bildung  einer  Placenta,  welche  sich  von  der  Placenta  der  Säugeihkre  (vergl. 
8.  560)  dadurch  unterscheidet,  dass  die  Gefässe,  welche  in  die  reichlich 
vascularisirte  Wund  des  Uterus  eindringen  und  Nahrung  aus  dem  Blut 
der  Mutter  saugen,  vom  Dottersack,  nicht  wie  bei  den  Säugethieren 
von  der  Allantois  geliefert  werden.  Ausser  lebendig  gebärenden  Selachiern 
giebt  es  auch  eierlegende;  bei  diesen  werden  die  Eidotter  ähnlich  wie  bei 
Vögeln  von  einer  Eiweisshülle  und  einer  Schale  umgeben,  nur  dass 
letztere  eine  hornige  Beschaffenheit  hat,  meist  in  4  Ecken  ausgezogen  und 
oft  mit  Fäden  zur  Befestigung  des  Eies  an  Wasserpflanzen,  Steinen  etc. 
versehen  ist. 

I.  Unterordnung.  Squaliden.  Die  Squaliden  (Fig.  503)  haben  einen 
drehrunden  schlanken  Körper  mit  freibeweglichen  Brustflossen  und  deutlich 
heterocerker  Schwanzflosse  und  sind  dementsprechend  gewandte  Schwimmer, 
die  ihre  grosse  Schnelligkeit  und  Körperkraft  benutzen,  um  andere  Wirbel- 
thiere, vor  Allem  Knochenfische  und  Walfische  zu  erjagen.  Palatoquadrat 
und  Mandibulare  sind  zu  diesem  Zweck  mit  vielen  grossen,  zugespitzten 
Zähnen  mit  messerscharfen  oder  gesägten  Kanten  ausgerüstet.  Auf  der 
Kante  des  Kieferbogens  stehen  die  grössten  Zähne;  dahinter  folgen  revolver- 
artig viele  Reihen,  allmählig  heranwachsender  Ersatzzähne.  Selten  sind 
die  Zähne  stumpf  und  nur  geeignet,  Molluskenschalen  zu  zertrümmern.  Die 
Kiemenspalton  liegen  seitlich. 


Fig.  503.  Acanthias  vulgaris  (naeh  Claus),  .V  Nase,  Spl  Spritzloch,  Ii  vordere 
Rückenflosse  mit  Stachel,  Br  hintere  Rückenflosse,  6'  heterocerke  Schwanzflosse,  Ks 
Kiemenspaltcn.  Br  Brustflosse,  Ii  Bauchflosse. 

Je  nachdem  sich  1  oder  2  Rückenflossen  vorfinden,  am  Auge  eine 
Nickhaut  und  hinter  dem  Kieferbogen  ein  Spritzloch  vorhanden  ist,  werden 
zahlreiche  Familien  unterschieden.  Besondere  Erwähnung  verdienen:  1)  Gar- 
chariden  (wegen  der  Nickhaut  auch  die  Xictitantes  genannt),  die  berüch- 
tigten 4 — 5  m  langen  Menschenhaie,  deren  verbreitetste  Art  der  Car- 
charias  glaueus  Rond.  ist;  naho  verwandt  der  Hammerhai,  Zygama  malkws 
Risso.  2)  Lamnülen}  Riesenhaie,  welche  in  der  nordischen  Seladie  maxima 
Cuv.  die  Länge  von  10  m,  in  dem  tropischen  Carcliarodon  Ronddeti  M.  H. 
die  Länge  von  13  m  erreichen.  3)  lÜiinodontiden,  wahrscheinlich  pflanzen- 
fressend, Rli.  tgpicus  Smith  15—20  m  lang.  4)  Notidaniden  mit  6 — 7  Kiemen- 
spalten, Hcjrnnchus  griseus  Cuv.,  Hrptanciius  cinereius  Cuv.  5)  Spinaciden, 
Dornhaie,  Acanthias  vulgaris  Risso  (Fig.  503),  der  verbreitetste  Hai. 
6)  Squatiniden,  welche  durch  Verlängerung  der  Vorderflossen  nach  dem 
Rostrum  hin  den  Uebergang  zu  den  Rochen  bilden.    Stpiaiina  angelus  L. 

II.  Unterordnung.  Rujidcn,  Rocfien.  Bei  den  Rochen  (.Fig.  504)  ist 
der  Körper  selbst  schon  dorsoventral  abgeplattet  und  daher  blattartig, 
ausserdem  aber  noch  dadurch  seitlich  verbreitert,  dass  die  Brustflossen  sich 
halbmondförmig  nach  vorn  und  hinten  ausgedehnt  haben  und  mit  dem 
Körper  verschmolzen  sind.  Die  vorderen  Reihen  der  knorpeligen  Flossen- 
stützun  reichen  meist  bis  an  oder  vor  das  Rostrum,  mit  welchem  sie  dann 
verbunden  sind,  die  hinteren  häufig  bis  an  den  Beckengürtel.    Da  somit 


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III.  Fische:  Ganoiden. 


im 


die  gewaltigen  Brustflossen  (Br)  ganz  wie  Seitentheile  der  rhombischen 
Körperscheibe  aussehen,  scheinen  sie  bei  oberflächlicher  Untersuchung  zu 
fehlen.   Die  Thiere  schwimmen  durch 
undulirende  Bewegungen  der  Brust- 
flossen, liegen  aber  meist  ruhig  mit 
der    Bauchseite    auf    dem  Boden 
Bauch  und  Rücken  sind  daher  durch 
Farbe  unterschieden,  ausserdem  da- 
durch, dass  auf  dem  Rücken  Augen 
und  Spritzlöcher    liegen ,    auf  der 
Bauchseite   dagegen  Mund, 
Nasenöffnungen  und  Kiemen- 
spalten.   Dio  Zähne    sind  meist 
Mahlzähne    zum   Zertrümmern  von 
Molluskenschalen. 

1)  Pristiden  (Sqtiatinorajidcn) 
haben  zwar  ventral  gelagerte  Kie- 
menspalten ,  sonst  aber  noch  die 
Körpergestalt,  Lebensweise  und  die 
freien  Brustflossen  der  Haie.  Die 
z.  Th.  viele  Meter  langen  Thiere 
haben  ihren  deutschen  Namen  „Säge- 
fische" von  der  bis  zu  2  Meter 
langen  Säge,  dem  verlängerten,  mit 
eingekeilten  Zähnen  versehenen  Ro- 
strum, mit  dem  sie  Walfische  har- 
puniren.  iVisfis  antiquorum  Lath. 
2)  Bajiden,  Rochen  im  engeren  Sinne, 
sind  die  typischen  Vertreter  der  Ab- 
theilung. Ifaja  clavata  L.,  Nagelrochen, 
Schwanz  mit  zahlreichen  stark  ent- 
wickelten Hautzähnen.    Eaja  batis  L. 


Fig.  ">fU.  Männchen  von  Kaja  batis 
von  der  Bauchseite  inaeh  Möbius  und 
Heinckc).  Ii  Rostrun),  it  Niueugruhe  durch 
eine  Rinne  mit  dein  Mund  (m)  verbunden, 
kx  KienieiiKpalten,  a  After,  Iir  Brustflosse, 
R  Bauchf losse,  c  abgelöster  Theil  derselben 
zur  Begattung  dienend. 


(Fig.  504).  3)  Torpediniden,  Zitter- 
rochen, Rochen  mit  nackter  Haut,  ausgerüstet  mit  einem  electrischen  Organ. 
Dasselbe  liegt  jederseits  zwischen  den  Visceralbögen  und  dem  Extrem i- 
tätenskelet  als  ein  nierenförmiger  Körper,  gebildet  von  zahlreichen  dorso- 
ventral  aufsteigenden  Säulchen.    Torpedo  marmoraia  Risso. 

III.  Unterordnung.  Holocephalcn.  Von  den  typischen  Selachiern  weichen 
die  Holocephalen  oder  Meerkatzen  nach  drei  Richtungen  ab.  Das  Palato- 
quadratum,  welches  wenige  meisselartige  Zähne  trägt,  ist  in  der  bei  Am- 
phibien vorkommenden  Weise  mit  dem  Schädel  untrennbar  verwachsen  und 
dient  an  Stelle  des  Hyomandibulare  als  Kieferstiel.  Zweitens  hat  sich  als 
erste  Anlage  eines  Opercularapparats  eine  zarte  Hautfalte  vom  Zungenbein- 
bogen aus  entwickelt  und  über  die  Kiemenspalten  hinübergelegt;  in  Folge 
dessen  sind  die  Kiemenspalten  verdeckt  und  äusserlich  nur  ein  Kiemen- 
deckelspalt  sichtbar;  ferner  sind  die  Kiemen  zu  Kammkicmen  geworden. 
Drittens  fehlen  noch  die  Wirbelkörper.  Placoidschuppen  sind  nur  in 
spärlicher  Zahl  besonders  bei  jungen  Thiereu  vorhanden.  Der  bekannteste 
Repräsentant,  Chimaera  monstrom  L.,  verdient  den  Speciesnamen  vermöge 
des  auffallend  grossen  Kopfes,  von  dem  aus  der  Körper  sich  allmählig  in 
einen  feinen  Schwanzfaden  verjüngt. 


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506 


Wirbelthiere. 


II.  Ordnung.  Ganoiden. 

Die  Ganoiden  bilden  eine  Uebergangsgruppe,  in  welcher  Charak- 
tere der  Selachier  und  Tchostier  in  merkwürdiger  Weise  gemischt  sind. 
Der  Darm  besitzt  die  Spiralklappe  der  Haie,  ausserdem  aber  eine 
Schwimmblase  mit  Schwimmblasengang  und  die  Appendices 
pyloricae  der  Teleostkr.  Selachierähnlich  ist  das  Herz,  insofern  es 
einen  mit  vielen  Klappenreihen  ausgerüsteten  Conus  arteriosus 
hat  (Fig.  501  A  u.  B),  während  die  Beschaffenheit  der  Respirations- 
organe wieder  an  die  Teleostier  erinnert.  Die  fünf  Kiemenbogen  tragen 
mit  Ausnahme  des  letzten  Kiemen,  welche  echte,  von  dem  Oper- 
cularapparat  des  Zungenbeins  geschützte  Kammkiemen 
sind.  Mit  der  Bildung  des  Opercularapparats  hat  der  Zungenbein- 
bogen seine  respiratorische  Function  noch  nicht  überall  verloren,  in- 
dem er  bei  Stören  und  Lepidosteus  eine  „Kiemen decke Ikieme" 
trägt ;  vielfach  findet  sich  auch  noch  ein  Spritzloch.  —  Das  Skelet  ist  in 
gewissen  Theilen  stets  verknöchert:  grosse  Belegknochen  liegen  auf 
dem  Schultergürtel,  auf  der  Decke  und  an  der  Basis  des  Schädels 
(Parasphenoid !) ;  auch  die  Hornfäden  der  Flossen  sind  in  knöcherne 
Flossenstrahlen  verwandelt  Im  Uebrigen  schwankt  das  Skelet  zwischen 
zwei  Extremen,  einerseits  äusserst  primitiver,  knorpeliger  Beschaffen- 
heit, andererseits  ganz  aussergewöhnlichen  Graden  der  Verknöcherung. 
Für  den  Systematiker  wäre  es  wichtig,  Merkmale  ausfindig  zu  machen, 
welche  nur  den  Ganoiden  zukommen  und  zugleich  für  sämmtliche 
Arten  gelten.  Für  die  von  Agassiz  betonten  Ganoidschuppen 
(Fig.  493,  3)  trifft  diese  Voraussetzung  nicht  zu,  da  die  Störe  voll- 
kommen ganoinfreie  Knochenplatten,  die  Löffelstöre  überhaupt  kein 
Hautskelet  oder  nur  minimale  Verknöcherungen  haben.  Viele  lebende 
Ganoiden  und  auch  die  meisten  fossilen  besitzen  Fulcra,  Knochen- 
plättchen  mit  gegabelten  Enden,  die  dachziegelartig  in  einer  Reihe 
hinter  einander  den  Vorderrand  der  Flossen  decken  und  ihm  grössere 
Festigkeit  verleihen  (Fig.  10  B) ;  dieselben  sind  aber  ebenfalls  nicht  allge- 
mein verbreitet  und  fehlen  z.  B.  bei  Polypterus  und  Amin  (Fig.  10  A  u.  C). 

Die  wenigen  recenten  Ganoiden  zerfallen  in  zwei  scharf  unterschiedene 
Gruppen,  von  denen  die  eine  den  SelacJiiern,  die  andere  den  Teleostiern 
näher  steht.  Nach  der  Beschaffenheit  des  Skelets  hat  sie  J.  Müller  als 
Knorpelganoiden  und  Knochcnganoidm  gegenüber  gestellt.  Da  unter  den 
fossilen  Formen  Verwandte  der  Knochenganoiden  mit  gänzlich  unver- 
knöcherter  Wirbelsäule  vorkommen,  hat  sich  die  Wahl  der  Namen  als  un- 
zweckmässig herausgestellt;  der  Gegensatz  beider  Gruppen  muss  jedoch 
nach  wie  vor  aufrecht  erhalten  werden. 

I.  Unterordnung.  Cliondrostei,  Knorpelganoiden.  Die  Knorpelganoiden 
gleichen  äusserlich  den  Haien  durch  die  heterocerke  Schwanzflosse,  die 
Verlängerung  des  Schädels  zum  Rostrum  und  die  dadurch  bedingte  ven- 
trale Lage  des  Mundes  (Fig.  505) ;  in  der  inneren  Anatomie  sind  sie  ihnen 
ähnlich  durch  die  starke  Entwicklung  des  Knorpelcraniums  und  —  mit 
Ausnahme  der  Löffelstöre  —  durch  den  Mangel  der  Oberkiefer- 
reihe; sie  sind  Gaumenkauer  wie  die  Selachier.  In  der  Beschaffen- 
heit der  Wirbelsäule  sind  sie  sogar  noch  ursprünglicher  als  die  meisten 
Selachier,  da  die  Wirbelkörper  fehlen  und  die  allerdings  oft  verknöchern- 
den oberen  und  unteren  Bögen ,  ebenso  wie  die  reichlich  entwickelten 
Intercalaria  der  mit  einer  dicken  Scheide  versehenen  Chorda  direct  aufsitzen 
(Fig.  462). 


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III.  Fische:  Ganoiden. 


507 


1)  Adpenseriden ,  Störe,  mit  starker  Panzerung  der  Haut.  Acipenser 
Sturio  L.,  Stör,  A.  huso  L..  Hausen  (Schwimmblase  liefert  den  Hausenleim), 
A.  ruthenus  L.,  Sterlet  (Eier  liefern  den  besten  Astrachancaviar).  2)  Spatulariden, 
Löffelstöre,  mit  nackter  Haut  oder  winzigen  sternförmigen  Verknöche- 
rungen, spateiförmigem,  langem  Rostrum,  mit  bezahntem  Oberkiefer, 
Polyodon  folium  Lacep.  —  Die  früher  den  Stören  angeschlossenen  silu- 
rischen und  devonischen  Pteraspiden  und  Cephalaspiden  werden  als  Piacodermen 
neuerdings  zu  einer  besonderen  Ordnung  zusammengefasst. 


Fig.  505.  Acipenser  ruthenus  (nach  Heckel  und  Kner).  N  Nase ,  M  Mund,  0 
Opcrculum  mit  Kiemendeckspalt ,  Br  Brust- ,  B  Bauch- ,  R  Rücken- ,  A  After- ,  5 
Schwanzflosse. 

IL  Unterordnung.  Euganoiden  (Holostei).  Bei  den  an  die  Teleostier 
erinnernden  Ganoiden  ist  der  Schädel  ähnlich  wie  bei  den  Knochenfischen 
verknöchert;  es  sind  namentlich  Oberkiefer  und  Zwischenkiefer  vorhanden 
(Kieferkaue r),  das  Palatoquadratum  ist  zurückgedrängt,  die  Mund- 
öffnung bei  mangelndem  Rostrum  an  die  Körperspitze  gerückt.  Der  Körper 
ist  bedeckt  von  Cycloidschuppen  oder  typischen,  rhombischen  Ganoid- 
schuppen,  deren  schön  irisirende  Ganoinschicht  sehr  gut  auch  an  den  Ver- 
steinerungen zu  erkennen  ist.  Die  lebenden  Formen  haben  sämmtlich  eine 
stark  verknöcherte  Wirbelsäule  und  eine  diphycerke  (Fig.  10  A)  oder  ho- 
mocerke  (Fig.  10  C)  Schwanzflosse,  während  bei  den  fossilen  Euganoiden 
ausgedehnte  Persistenz  der  Chorda  und  Heterocerkie  sehr  häufig  sind. 

1.  Tribus.  Polypteridcn,  Flösselhechte,  Schuppen  rhombisch.  Anstatt 
der  Radii  branchiostegi  breite  Kehlplatten;  die  paarigen  Flossen  bestehen 
aus  einer  beschuppten  Axe  und  fiedrig  ansitzenden  Flossenstrahlen.  Poly- 
pterus  biciiir  Geoffr.  im  Nil,  diphycerk.  Nahe  verwandt  die  paläozoischen 
und  mesozoischen,  theils  diphycerken,  theils  heterocerken  Orossopterygier. 
2.  Tribus.  Lepidosteiden ,  Schuppen  ebenfalls  rhombisch,  Radii  bran- 
chiostegi vorhanden,  ebenso  Spritzlöcher.  Lepidosteus  osseus  L.  (Nord- 
amerika). Nahe  verwandt  sind  zahlreiche  mesozoische  Formen.  3.  Tribus. 
Amiaden,  leiten  zu  Teleostiern  über,  indem  die  Schuppen  echte  Cycloid- 
schuppen sind,  der  Conus  arteriosus  des  Herzens  rudimentär,  der  Bulbus 
in  Entwicklung  begriffen  ist  (Fig.  501 E).  Amia  calva  Bonap.  Amerika. 
Nahe  verwandt  sind  viele  fossile,  besonders  jurassische  Fische  mit  zum 
Theil  unvollkommen  verknöcherten  Wirbelsäulen.  —  Zu  den  Euganoiden 
sind  ferner  noch  zahlreiche,  fossile  Formen  zu  rechnen,  die  den  Lepido- 
steiden und  Polypteriden  näher  stehen  als  den  Amiaden,  wie  z.  B.  die  meist 
paläozoischen  Heterocerken, 

III.  Ordnung.   Teleostier,  Knochenfische. 

Die  Teleostier  verdanken  ihren  Namen  der  starken  Verknöche- 
rung des  Skelets,  welche  in  der  Rumpfregion  zur  Bildung 
knöcherner  amphicoeler,  mit  kräftigen  Rippen  ausge- 
statteter Wirbel  führt  und  dem  Schädel  sammt  seinem  Visceral- 


Wirbelthiere. 


skelet  die  früher  schon  besprochene,  complicirte  Zusammensetzung 
aus  zahlreichen,  primären  und  secundären  Knochen  verleiht  (Fig.  495. 
S.  403).  Die  Teleostier  haben  wie  die  Knochenganoiden  Ober-  und 
Zwischenkiefer  (Kieferkauer),  neben  welchen  auch  die  meisten  Knochen 
der  Palatinreihe,  des  Zungenbeinbogens,  der  Kiemenbögen  und  der 
Vomer  Zähne  tragen  können.  Es  kommt  sogar  vor,  dass  ein  Theil 
der  Kiemenbögen  (Ossa  pharyngaea  infcriora  der  Cyprinoiden)  allein 
bezahnt,  die  Kiefer  dagegen  zahnlos  sind.  —  Die  Verknöcherung 
führt  ferner  häufig  zur  Bildung  von  Gräten,  meist  gegabelter,  ober- 
halb der  Rippen  in  den  Lig.  intermuscularia  liegender,  knöcherner 
Fäden,  welche  sich  durch  ihre  Gestalt  sowie  dadurch,  dass  sie  nie 
knorpelig  präformirt  sind,  von  Rippen  unterscheiden.  Endlich  ver- 
knöchern auch  beide  Theile  des  Flossenskelets,  wobei  die  knorpelig 
präformirten  Flossenstützen,  „die  Carpalia  bezw.  Tarsalia",  sehr  klein 
bleiben,  während  die  den  Hornfäden  entsprechenden  „Strahlen"  fast 
die  ganze  Breite  der  Flosse  einnehmen.  Die  Strahlen  sind  —  das  ist 
systematisch  wichtig  —  entweder  weich  und  biegsam  (Weich- 
strahler, Mnlacoptcrtn),  oder  hart  und  stachclartig  (Acan- 
thopteren);  im  ersteren  Fall  (Fig.  506  Br,  A,  B,  Rt)  bestehen  sie  aus 


Fig.  50<».  Ferra  fluriatilis  (aus  Leunis-Ludwig).  .V  vordere  und  hintere  Nasen- 
öffnung, A'  Kieinendcckel,  Br  Brust  flössen,  B  Bauehflosscn,  A  After-,  .s*  Schwanz-, 
/J,  zweite  Rückenflosse  (vorwiegend  mit  weichen  Flossenstriddeni ,  Itt  erste  ^Rücken- 
flosse (Slaehelflohse).  .SV  Seitenlinie. 

zahlreichen,  hintereinander  gereihten  Knochenstückchen ;  im  letzteren 
Fall  sind  die  Knochenstückchen  eines  Strahls  zu  einem  einzigen,  festen 
Stachel  verwachsen  (/?,)  welcher  —  ab  und  zu  durch  giftige  Drüsen 
unterstützt  (Scorpaenay  Amphacanthe  etc.)  —  ein  wichtiges  Vertheidi- 
gungsmittel  ist.  —  Die  Schwanzflosse  ist  homocerk;  das  Haut- 
skelet  besteht  aus  Cycloid-  oder  Ctenoid schuppen  (Fig.  493, 
1  u.  2),  seltener  aus  Stacheln  oder  ausgedehnten  Knochenplatten ;  aus- 
nahmsweise (Conger  vulgaris)  fehlt  jegliches  Hautskelet 

Der  Zungenbeinbogen  trägt  stets  die  Membrana  branchiostega  und 
den  Kiemendeckel,  dagegen  keine  Kiemendeckelkieme  oder  nur  Rudi- 
mente derselben.  Die  funetionirenden  Kiemen,  echte  Kamm- 
kiemen, sind  auf  die  vier  ersten  Kiemenbögen  beschränkt  und  sind 
demnach  jederseits  vier  Doppelreihen,  wenn  nicht  eine  weitere  Re- 
duetion  auf  31/ä,  3  oder  2*/j  Doppelreihen  eingetreten  ist.  Anstatt 
des  Conus  arteriosus  des  Herzens  findet  sich  der  Bulbus  arteri- 
ös us  der  Aorta;  eine  Spiralklappe  ist  im  Darm  nicht  nachweisbar. 


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III.  Fische:  Teleostier. 


dagegen  häutig  App.  pyloricae.  Bei  den  meisten  Teleostiern  existirt 
eine  Schwimmblase,  während  der  Schwimmblasengang  sehr  häufig 
fehlt 

Von  allen  Wirbelthieren  —  mit  Ausnahme  des  Ämphhuns,  der  Cyclo- 
stomen  und  vielleicht  auch  einiger  (ianoidcn  —  unterscheiden  sich  die 
Teleostier  dadurch,  dass  die  Geschlechtsproducte  keinen  Theil  der  Niere 
benutzen,  um  nach  aussen  zu  gelangen.  Entweder  werden  sie  durch  den 
Porus  abdominalis  entleert  oder  durch  besondere,  sackartige  Canäle,  die 
nichts  Anderes  als  abgekapselte  Theile  der  Leibeshöhle  sind.  Eine  Be- 
gattung findet  nur  bei  einigen  wenigen,  lebendig  gebärenden  Arten  (Zoarces 
viriparus)  statt.  Die  Regel  ist  vielmehr,  dass  Männchen  und  Weibchen 
zur  Laichzeit,  während  deren  sie  oft  besonders  lebhafte  Farben,  manche 
auch  merkwürdige  Hautauswüchse  erhalten,  zusammen  schwimmen  und  es 
dadurch  ermöglichen,  dass  die  Geschlechtsproducte  gleich  nach  der  Ent- 
leerung im  Wasser  zusammentreffen.  80  erklären  sich  die  colossalen 
Schwärme,  in  denen  manche  Fische,  wie  Härintje.  und  Thunfische,  alljährlich 
zu  bestimmten  Zeiten  ihre  Laichplätze  aufsuchen.  Diese  Verhältnisse  sind 
ferner  der  Grund,  weshalb  bei  fast  allen  Knochenfischen  die  künstliche 
Befruchtung  so  leicht  gelingt.  Durch  vorsichtiges  Drücken  und  Streichen 
der  Bauchdecken  von  vorn  nach  hinten  entleert  man  in  eine  Schüssel 
aus  dem  Weibchen  die  Eier,  in  eine  zweite  Schüssel  aus  dem  Männchen 
den  Samen  und  mischt  beide  durch  schonendes  Umrühren.  Die  befruchteten 
Eier  werden  in  besondere  Brutkästen  in  durchfliessendes  Wasser  gebracht 
und  täglich  die  etwa  sterbenden  ausgesucht  und  entfernt.  Wenn  die 
jungen  Fischchen  aus  den  Eihüllen  ausschlüpfen,  haben  sie  einen  ansehn- 
lichen Dottersack ;  bevor  die  letzten  Reste  des  eingeschlossenen  Dotters 
resorbirt  worden  sind,  müssen  sie  in  das  freie  Wasser  ausgesetzt  oder  ge- 
füttert werden.  Für  die  Fischzucht  hat  das  geschilderte  Verfahren 
grosse  Vortheile;  einmal  werden  die  Fischchen  zu  einer  Zeit,  wo  sie  ihren 
Feinden,  wie  z.  B.  den  laichfressenden  Fischen,  Enten  etc.  hilflos  preis- 
gegeben sind,  vollkommen  geschützt,  zweitens  können  die  Eier  zur  Zeit, 
wo  die  Augen  als  dunkle  Flocke  sichtbar  werden,  leicht  versandt  und 
benutzt  werden,  um  dem  Fischbestand  entvölkerter  Fischwässer  wieder 
aufzuhelfen. 

Die  Sorge  für  die  junge  Brut,  wie  sie  bei  der  künstlichen  Fischzucht 
vom  Menschen  ausgeübt  wird,  übernehmen  in  seltenen  Fällen  die  Fische 
selbst,  und  zwar  merkwürdiger  Weise  meistens  die  Männchen.  Die  männ- 
lichen Stichlinge  uud  Macropodcn  z.  B.  bauen  Nester,  in  welche  die  Weib- 
chen die  Eier  ablegen,  und  vertheidigen  die  Eier  gegen  alle  Angriffe;  die 
Männchen  der  Lopltobrancliier  (Fig.  508,  Seepferdchen  und  Seenadeln)  haben 
zur  Aufnahme  der  Eier  eine  Tasche  auf  der  Bauchseite,  aus  der  die  junge 
Brut  nach  beendeter  Embryonalentwicklung  ausschlüpft. 

Systematik.  Da  ungefähr  dreissigmal  so  viel  Arten  von  Knochen- 
fischen existiren,  als  Selachier  und  Ganoiden  zusammengenommen,  ist  ihre 
Eintheilung  verwickelter.  Die  Gruppirung  nach  dem  Bau  der  Schuppen 
hat  sich  als  unausführbar  erwiesen,  da  Cycloid-  und  Ctenoidschuppen  bei 
nahe  verwandten  Fischen  vorkommen.  Man  muss  überhaupt  mehrere 
Merkmale  zugleich  berücksichtigen  :  ob  ein  Schwimmblasengang  vorhanden 
ist  (Physosiomcri)  oder  fehlt  (Physoclistcn),  ob  die  Flossen  weiche  oder 
harte  Strahlen  haben  (Malacoptcren  und  Acantkcpteren),  ob  die  Bauchflossen 
abdominal  (P.  abdominales)  oder  thoracal  (P.  thoracic})  oder  jugular  (P.  jugu- 
lares)  liegen.    Dazu  kommen  Besonderheiten  der  Kiefer,  der  Kiemen  und 


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510 


Wirbelthiere. 


der  Ossa  pharyngaea  inferiore,  um  einige  kleinere  Gruppen  zu  um- 
schreiben. 

I.  Unterordnung.  Physostomen.  Das  wichtigste,  im  Namen  ausgedrückte 
Merkmal  der  Gruppe,  die  Anwesenheit  des  Schwimmblasengangs,  ist  nur 
durch  Präparation  festzustellen;  vielfach  lässt  es  im  Stich,  wenn  die 
Schwimmblase  wie  beim  Symbranckus,  einem  aalartigeu  Fisch,  durch  Rück- 
bildung verloren  gegangen  ist.  Daher  ist  es  für  die  Systematik  von  Werth, 
dass  sich  zwei  äussorlich  leicht  wahrnehmbare  Charaktere  hinzugesellen : 
abdominale  Lage  der  Bauch  flössen  und  weiche,  gegliederte 
Beschaffenheit  der  Flossenstrahlen.  Die  Physostomen  verdienen 
besondere  Beachtung,  weil  mehr  als  zwei  Drittel  aller  essbaren  Fische, 
namentlich  fast  alle  Süsswasserfische  hierher  gehören. 

Die  bekanntesten  Süsswasserfamilien  sind:  1)  die  Oyprinoiden,  C.  carpio 
L.,  Karpfen,  Barbus  fluviatilis  Ag.,  Barbe,  Carassius  vulgaris  Nilss.,  Karausche, 
C.  auraius  L.,  Goldfisch.  Tinea  vulgaris  Cuv.,  Schleie,  Abramis  brama  L., 
Brachsen,  ferner  zahlreiche  Weissfische.  2)  Esociden  ;  Esox  lucius  L.,  Hecht. 
3)  Salmoniden  oder  Edelfische,  leicht  kenntlich  an  der  Fettflosse,  einem 
dorsalen,  von  Fett  erfüllten  Hautlappen  ohne  Knochenstrahlen :  Salmo 
saivdinus  L.,  Saibling,  S.  hucho  L.,  Huchen,  Trutta  salar  L.,  Lachs  (zur 
Fortpflanzung  in  die  Flüsse  aufsteigend,  sonst  im  Meer),  Trutta  fan'o  L., 
Forelle,  Coregonus  Waritnanni  Bl.,  Renke,  C.  hicmalis  Jnr.,  Kilch,  C.  ma~ 
raena  Bl.,  Tliymallus  vulgaris  Nils.,  Aesche.  4)  Siluroiden,  Welse :  SHurus 
glanis  L.,  der  grösste  Süsswasserteleostier  Europas,  Wels  oder  Waller. 
Malapterurus  elcctricus  L..  Zitterwels  im  Nil,  mit  mächtigem  electrischem 
Organ;  tropische  Formen  sind  die  mit  Knochenplatten  bedeckten  Panzer- 
welse. 5)  Clupeiden,  grätenreiche,  marine  Fische:  Clupea  harengus  L., 
Häring.  Clupea  spratius  L.,  Sprotte.  Alosa  vulgaris  C.  V.,  Maifisch,  in  die 
Flüsse  zur  Fortpflanzung  aufsteigend.  Alosa  pilcJiardus  BL,  Sardine.  Durch 
Rückbildung  der  Bauchflossen  und  schlangouartige  Gestalt  zeichnen  sich 
aus  die  Apodes:  Angutlla  vtdgaris  L.,  Aal,  zur  Fortpflanzung  in's  Meer 
gehend;  die  junge  weibliche  Brut  kehrt  in  Schwärmen  (Montee)  zurück; 
die  Männchen  steigen  nicht  weit  in  die  Flüsse  aufwärts,  Gymnotus  electri- 
cm  L.,  Zitteraal  in  Südamerika,  mit  grossem  electrischem  Organ  im  Schwanz. 
Die  Larven  der  Meerale  (Conger)  leben  pelagisch  und  wurden  früher  als 
Leptovephalidcn  beschrieben. 

II.  Unterordnung.  Anacanthinen.  Die  Anacanthinen  sind  ebenfalls 
Weichflosser,  habou  aber  keinen  Schwimmblasengang  (Pkysoclisten) ;  ihre 
Bauchflossen  liegen  vor  den  Brustflossen  an  den  Kehlen  (P.  jugulares). 
Mit  wenigen  Ausnahmen  (Lota  tmlgarvt  L.,  Quappe)  sind  die  Anacanthinen 
marin  Volkswirtschaftlich  sind  am  wichtigsten  1)  die  Gadiden:  Gadus  mar- 
rhua  L.,  Dorsch  oder  Kabeljau,  gesalzen  Laberdan,  getrocknet  Stockfisch: 
diu  Leber  liefert  den  Leberthran.  G.  aeglefinus  L.,  Schellfisch.  2)  Von 
links  nach  rechts  stark  abgeplattet  sind  die  Pleuronectiden.  Die  in  der 
Jugend  symmetrischen  Fische  werden  asymmetrisch,  weil  sie  entweder  mit 
der  linken  oder  rechten  Seite  des  blattförmigen  Körpers  auf  dem  Boden 
liegen.  Die  aufwärts  gewandte  Seite  wird  dunkler  gefärbt;  auf  sie  rückt 
auch  das  Auge  der  unteren  helleren  Seite  hinüber.  Pleuronectes  platessa  L., 
Scholle.  PI.  flesus  L.,  Flunder.  Iütombus  maximus  L.,  Steinbutte.  Hippo- 
glossus  vtdgaris  Flem.,  Heilbutt.  Solea  vulgaris  Quensel,  Seezunge.  Rück- 
gebildete Bauchflossen  haben  die  Ophididen:  Fierasfer  acus  Kaup.,  parasi- 
tisch in  Holothurien. 

III.  Unterordnung.  Pharyngognathen.  Bei  vielen  Fischen,  sowohl  bei 
Weichflossern  wie  Hartflossern,  verwachsen  die  Ossa  pharyngaea  inferiora, 
d.  h.  die  letzten  rudimentären  Kiemenbögen  zu  einem  unpaaren  Stück.  — 


III.  Fische:  Dipneusten. 


511 


Weichflosser  mit  baucbständigen  Bauchflossen  sind  die  Scomberesociden,  zu 
denen  ein  Theil  der  fliegenden  Fische  gehört.  Exocoetus  exiliens  L.  Die 
Thiere  fliegen  nicht,  sondern  steigen  wahrscheinlich  gegen  den  Wind  mit 
ihren  mächtigen,  ausgebreiteten  Brustflossen  wie  Papierdrachen  auf.  —  Hart- 
flosser  mit  kehlständigen  Bauchflossen  sind  die  mit  den  Papageien  an  Bunt- 
heit der  Farben  rivalisirenden  Lippfische,  Labriden.    Orenilabrus  pavo  Brünn. 

IV.  Unterordnung.  Acanthopteren.  Die  an  Artenzahl  umfangreichste 
Gruppe  der  Fische,  die  Unterordnung  der  Acanthopteren,  gehört  zu  den 
Fischen  ohne  Schwimmblasengang ;  sie  haben  meist  brustständige  Bauch- 
flossen. Das  wichtigste  Merkmal,  der  Stachelcharakter  der  Flossenstrahlen, 
betrifft  nie  sämmliche  Flossenstrahlen  ;  es  genügt,  dass  einige  Strahlen  der 
Rücken-,  After-  und  Bauchflosse  stachelartig  sind. 

Unter  den  wenigen  Süsswasser-Acanthopteren  sind  am  bekanntesten 
die  Perciden:  Perca  fluviatilis  L.  (Fig.  506),  der  Barsch;  Lucioperca  Sandra 
Cuv.,  Zander,  Amaul;  Gasterostcus  aculeatus  L.,  der  durch  den  Nestbau  des 
Männchens  bekannte  Stichling.  Den  Perciden  stehen  sehr  nahe  die  See- 
barsche. Serraniden:  Serranus  scriba  L.,  als  Zwitter  schon  oben  genannt. 
Die  Scomberiden  sind  die  wichtigsten  Essfische  der  Gruppe  Scomber  scombrus 
L.,  die  Makreele,  Thynnus  vulgaris  Cuv.  Val.,  der  Thunfisch,  der  zur  Laich- 
zeit ähnlich  den  Häringen  in  mächtigen  Schaaren  an  die  Küste  zu  seinen 
Laichplätzen  wandert,  verfolgt  von  dem  nalfe  verwandten  Xiphias  gladius  L., 
dem  Schwertfisch.  Zu  den  Blenniidcn  ghört  der  lebendig  gebärende  Zoarces 
viviparus  Cuv.  Weitere  Familien  sind:  Irigliden ,  Panzerwangen:  Trigla 
gunardus  L.,  Dactylopterus  volUans  L.,  ebenfalls  ein  fliegender  Fisch,  Pedicu- 
laten:  Lophius  piscatorius  L. ;  die  schon  gefärbten  Squamij>enncs  etc. 

V.  Unterordnung.  Pledognathcn.  Eine  kleine  Gruppe  höchst  eigen- 
tümlicher, gedrungener  Fische  ist  daran  zu  erkennen,  dass  die  Oberkiefer 
mit  dem  Schädel  verwachsen.  Einige  derselben 
sind  mit  parketartig  zusammengefügten  Knochen- 
platten gepanzert,  Sclerodermm :  Ostracion  quadri- 
cornis  L.,  KorTerfisch,  Batistes  capriscus  Gmel, 
andere  sind  mit  langen  Stacheln  bewehrt,  Gy?n- 
nodonten :  Diodon  histrix  L.,  Igelfisch,  mit  einem 
weiten  Kehlsack ,  der  mit  Luft  gefüllt  den 
Fischen  zum  Schwimmen  dient.  Das  Fleisch 
der  Thiere  soll  giftig  sein. 

VI.  Unterordnung.  LophobrancJiier.  Der 
gemeinsame  Charakter  dieser  kleinen  Gruppe 
mariner,  in  Bau  und  Lebensweise  sehr  über- 
einstimmender Thiere  ist  in  der  Beschaffen- 
heit der  Kiemen  gegeben,  deren  Blättchen  zu 
blumenkohlartigen  Knöpfen  eingeschrumpft 
sind.  Die  Männchen  besitzen  die  Eigentüm- 
lichkeit, dass  sie  die  Eier  in  einem  aus  den 
Bauchdecken  sich  bildonden  Brutsack  bewahren 
(Fig.  507  b).  Durch  den  wie  ein  Pferdekopf  Fig.  507.  Hippocampus 
aussehenden  Kopf  und  einen  langen  beweg-  antiquorum,  Männchen  i aus 
liehen  Sehwans,  mit  dem  sie  sieh  um  Wasser-  l^Z^Yr 
pflanzen  festranken,  sind  ausgezeichnet  die  Brustflosse,  /?  Rückenflosse. 
Hippocampiden :     Hippocampus    antiquorum  L., 

Seepferdchen  (Fig.  507),  durch  langgestreckten  Körper  die  Sgngnathiden : 
Syngnathus  actis  L.,  die  Seenadel. 


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512 


Wirbelthiere. 


IV.  Ordnung.  Dipneusten. 

Die  Dipneusten  haben  noch  die  Gestalt  echter  Fische  (Fig.  508), 
sie  sind  wie  Fische  beschuppt  und  besitzen  paarige  Flossen, 
welche  von  einem  einfach  oder  doppelt  gefiederten  Archipterygium  ge- 
stützt werden.  Ein  einheitlicher,  nicht  in  Rücken-,  Schwanz-  und  After- 
flosse gesonderter  diphycerker  Kamm  umgiebt  das  hintere  Ende 
der  Wirbelsäule.    Das  Skelet  ist  sehr  primitiv,  indem  es  vorwiegend 


Fig.  506.    Protoftterwi  antwtens  (aus  Boa*). 


aus  Knorpel  bestellt,  indem  ferner  die  Chorda  dorsalis  sich  in  grosser 
Ausdehnung  erhält.  Auch  leben  die  Thiere  gewöhnlich  im  Wasser  und 
athmen  mit  Kiemen,  die  von  einer  Kiemendeckelfalte  geborgen  werden. 
Indessen  schon  im  Bau  der  Kiemen  treten  Besonderheiten  hervor, 
welche  an  Amphibien  erinnern,  insofern  wenigstens  Protopterus  ausser 
inneren  Kiemen  drei  äussere  Kiemenbüschel  besitzt,  wie  sie 
keinem  Fisch,  wohl  aber  vielen  Amphibien  zukommen.  Die  Aehnlich- 
keit  wird  erhöht  durch  das  periodische  Auftreten  von  Lungenath- 
m  u  n  g.  Die  Dipneusten  leben  in  den  Tropen  in  Flüssen  und  Sümpfen, 
welche  während  der  heissen  Zeit  ganz  oder  theilweise  austrocknen. 
Wird  dabei  das  Wasser  zu  trüb,  um  die  Kiemenathmung  zu  gestatten, 
so  benutzen  sie  zur  Athmung  die  Schwimmblasen  oder,  wenn  man  will, 
die  Lungen,  weite  unpaare  oder  paarige  Säcke,  die  mit  einem  kurzen 
häutigen  (lang  in  den  Oesophagus  münden,  deren  Innenwand  zur  Ver- 
grösserung  der  respiratorischen  Oberfläche  einen  fächerigen  Bau  be- 
sitzt Protopterus  hat  sogar  die  Fähigkeit,  ganz  ausserhalb  des  Wassers 
zu  leben;  er  vergräbt  sich  im  Schlamm,  baut  sich  daselbst  ein  Nest, 
das  er  mit  Schleim  austapezirt  und  verfällt  in  einen  schlafartigen  Zu- 
stand. —  Zum  Zweck  der  Luftzufuhr  ist  die  Nase  mit  einer  Choane, 
einer  inneren,  in  die  Mundhöhle  führenden  Oeffnung  versehen.  Ein 
besonderer  Arterienast  geht  bei  den  Dipneumones  vom  letzten  Aorten- 
bogen an  die  Lunge  und  ebenso  führen  besondere  Venen  zum  Herzen 
zurück,  so  dass  im  peripheren  Abschnitt  sich  schon  eine  Sonderung 
von  Lungen-  und  Körperkreislauf  entwickelt  hat  Auch  beginnt  die 
Trennung  des  Herzens  in  eine  linke  arterielle  und  rechte  venöse 
Hälfte  sich  auszubilden,  besonders  im  Bereich  des  Conus  arteriosus 
und  des  Vorhofes. 

Die  wenigen  Arten,  welche  noch  existiren,  sind  wahrscheinlich  die 
Reste  einer  früher  reicher  entwickelten  Gruppe  und  leben  demgemäss  über 
die  Welt  zerstreut.  Monopncumones,  mit  einem  Lungensack,  in  den 
Flüssen  Australiens  vertreten  durch  den  Ceraiodus  Forsteri  Krefft.  —  Di- 
pneumones mit  paariger  Lunge,  in  Südamerika:  Lcpuiosiren  paradoxa  Fitz., 
in  Afrika:  Protopterus  anneetens  Ow.  (Fig.  008). 


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IV.  Amphibien. 


513 


IV.  Classe. 


Amphibien,  Lurche. 

Der  bei  den  Dipneusten  angebahnte  Uebergang  zum  Landleben 
wird  bei  den  Amphibien  vollkommen  durchgeführt.  Während  er  aber 
dort  nur  unter  dem  Zwange  äusserer  Verhältnisse  erfolgt,  ist  er  hier 
das  nothwendige  Endresultat  einer  im  Wesen  des  Organismus  selbst 
begründeten  Entwicklung.  Daher  werden  bei  den  Amphibien  fast 
sämmtliche  Organe  von  der  veränderten  Lebensweise  betroffen,  die 
Organe  der  Athmung  und  der  Cirkulation  in  viel  intensiverer  Weise 
als  bei  den  Dipneusten,  ausserdem  aber  auch  die  übrigen  Organe, 
die  Sinneswerkzeuge,  die  Extremitäten  und  im  Zusammenhang  mit 
diesen  das  Skelet  und  die  Körpergestalt 

Die  Amphibien  unterscheiden  sich  auf  den  ersten  Blick  von  den  Extrem«««». 
Fischen  durch  den  Mangel  der.  Flossen. 
Der  unpaare  Flossensaum  erhält  sich  zwar  noch 
während  des  Larvenlebens  und  in  einigen  Fällen 
(Perennibranchiafen,  Tritoncn)  auch  noch  beim 
erwachsenen  Thier  als  eine  den  Schwanz  um- 
säumende Hautfalte,  aber  er  ist  nicht  in 
Rücken-,  Schwanz-  und  Afterflosse  abgetheilt 
und  auch  von  keinem  eigenen  Skelet  gestützt 
(Fig.  4,  5).  Die  paarigen  Flossen  haben 
„pent  ada  ctylen  Extremitäten"  Platz 
gemacht  (vergl.  S.  4(J0):  diese  dienen  oft  noch 
zum  Schwimmen,  indem  die  Zehen  untereinander 
durch  Schwimmhäute  verbunden  sind,  daneben 
aber  werden  sie  auch  zum  Kriechen  und  Sprin- 
gen verwandt  und  besitzen  demgemäss  eine 
grosse  Gelenkigkeit  in  der  Verbindung  der  ein- 
zelnen Skeletstücke  (Fig.  509).  Zu  den  bei 
Fischen  allein  vorhandenen  Schulter-  und  Hüft- 
gelenken gesellen  sich  Ellbogen-  und  Knie- 
gelenke zwischen  Humerus  (bez.  Femur  Fe) 
einerseits,  Radius  und  Ulna  (bez.  Tibia  T  und 
Fibula  F)  andererseits,  Hand-  und  Sprung- 
gelenke zwischen  den  letztgenannten  Stücken 
und  den  Carpalien  (bez.  den  Tarsalien  /,  i, 
/*),  endlich  gelenkige  Verbindungen  der  End- 
stücke der  5  Skeletstrahlen,  der  Phalangen 
unter  einander  und  mit  den  Metacarpalien 
(bez.  Metatarsalien).  Die  Fünfzahl  der  Zehen 
wird  nicht  immer  beibehalten,  da  häufig  eine 
Reduction  auf  4,  3,  selbst  2  eintritt 

Für  die  Extrem  itätengürtel  ist  die 
bei  den  Fischen  noch  fehlende,  bei  den  höheren 
Wirbelthieren  vorhandene  Verbindung  mit  be- 
stimmten Theilen  des  Axenskelets  von  Wich- 
tigkeit.   Der  Beckengürtel  verbindet  sich  mit 

der  Wirbelsäule,  indem  sein  dorsal  vom  Hüftgelenk  liegender  Ab- 
schnitt,  das   Ileum  oder  Darmbein,  sich  an  eine  Rippe  oder 


Fig.  500.  Skelet  der 
hinteren  Extremität  von 
Salamandra  ma^ulom(Lar- 
vc).  Fe  Foniur,  7  Tibia,  F 
Fibula,  t  Tibiale,  i  Interme- 
pium,  /  Fibulare,  c  Centrale, 
/ — 5  Carpalia  der  zweiten 
Reihe ,  / — 5  Mctacarpalia 
und  Phalangen  der  5  Zehen 
(ans  Gegenbaur). 


HertwiK,  Lehrbuch  der  Zoologie    3  Auflage. 


33 


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514 


Wirbelthiere. 


beim  Mangel  derselben  an  einen  Querfortsatz  anlegt,  während  der 
ventrale  Abschnitt,  das  noch  einheitliche  Schamsitzbein  (Os  ischio- 
pubicum),  mit  dem  der  anderen  Seite  die  Symphyse  erzeugt 
In  den  so  zu  Stande  kommenden  Knochenring  des  Beckens  ist  bei 
den  Amphibien  nur  ein  Wirbel,  der  Sacralwirbel,  eingeschlossen. 
Der  durch  den  Landaufenthalt  bedingte ,  festere  Anschluss  der 
Extremität  an  die  Wirbelsäule  tritt  uns  somit  noch  auf  einer  nie- 
deren Entwicklungsstufe  entgegen.  —  Noch  unvollständiger  ist  die 
Befestigung  der  vorderen  Extremität.  —  Der  dorsale  Abschnitt,  die 
Scapula,  endet  frei  in  Muskeln;  der  ventrale  in  Coracoid  (cu)  und 
Clavicula  (at)  differenzirte  Abschnitt  verbindet  sich  zwar  oft  mit  einem 
Sternum,  dieses  aber  hat  keine  Beziehungen  zur  Wirbelsäule,  da  die 
sonst  den  Anschluss  vermittelnden  Rippen  zu  kurz  sind,  um  das 
Sternum  zu  erreichen  oder  gänzlich  fehlen  (Fig.  460  A).  Häufig  ist 
die  Clavicula  mit  einem  Episternum  (Omosternum)  verbunden  (epi). 

schnei.  Der  Schädel  der  Amphibien  ist  ausgezeichnet  durch  die  ausge- 
dehnte Erhaltung  des  Chondrocraniums  und  die  damit  zusammen- 
hängende geringe  Zahl  primärer  Knochen  (Fig.  510).  Die  Knochen 
der  Augen-  und  Nasengegend  sind  bei  den  Anuren  durch  einen  einzigen 
unpaaren  Knochenring,  das  Sphenethmoid  (sph)  (os  en  ceinture)  ver- 
treten, während  bei  den  Snlamnndrinen  Orbito-  und  Ali-Sphenoidca 
vorkommen  können ;  in  der  Gehörgegend  sind  meist  nur  die  Prootica, 
in  der  Hinterhauptsgegend  stets  nur  die  Exoccipitalia  vorhanden. 
Der  Mangel  des  Basioccipitale  und  Supraoccipitale  ist 
für  die  Unterscheidung  der  Amphibien  von  den  oft  ähnlich  aussehenden 
Reptilien  von  der  grössten  Bedeutung,  zumal  da  mit  dem  Mangel  des 
Basioccipitale  der  weitere  wichtige  Unterschied  zusammenhängt,  dass 
die  Gelenkverbindung  mit  dem  ersten  Wrirbel  durch  einen  dop- 
pelten C  o  n  d  y  1  u  s  o  c  c  i  p  i  t  a  1  i  s  (co)  vermittelt  wird.  —  Von  Bc- 
legknochen  sind  zu  nennen:  dorsal  die  Nasalia  {na),  Frontalia  - 
Öfters  von  Post-  und  Praefrontalia  begleitet  —  und  Parietalia,  letztere 
beiden  bei  Anuren  zu  Frontoparietalia  (/)>)  verwachsen,  ventral  das  bei 
den  Amphibien  zum  letzten  Mal  auftretende  Parasphenoid  {ps). 
Eine  wesentliche  Vergrößerung  erfährt  der  Schädel,  indem  der 

»n.M.    uintere  Abschnitt  des  Pahitoquadratum,  der  ansehnliche  Quadrat- 
knorpel (Qu),  sich  an  die  Gehörkapsel  anlegt  und  meist 
mit  ihr  verschmilzt,  während  der  vordere  Abschnitt 
als  dünne  Palati n  Spange  (P)   bis  zur  Geruchskapsel  reicht. 
Der  Quadratknorpel  (  Kieferstiel)  trägt  den  gut  verknöcherten  Unter- 
kiefer und  ist  auf  seiner  Aussenseite  vom  Squamosum  (sg)  be- 
deckt; auf  der  Palatinspange  entsteht  die  Palatinreihe  der  Beleg- 
knochen:  Vomer  (vo),    Palatinum   (pal),  Pterygoid  (/>/);  davor  die 
Maxillarreihe:  Zwischenkiefer  (pmx)  und  Oberkiefer  (w).  Zwischen 
dem  hinteren  Ende  des  Maxillare  und  dem  Quadratum  besteht  eine  Lücke 
oder  dieselbe  ist  durch  den  vom  Maxillare  bis  zum  Quadratum  und 
Squamosum  reichenden  Jochbogen  (os  jugale,  jg)   überbrückt.  Da 
durch  die  Verwendung  des  Quadratum  als  Kieferstiel  das  Hyonian- 
dibulare  functionslos  geworden  ist,  wird  dasselbe  rudimentär ;  vielleicht 
ist  es  in  einer  Reihe  von  Skeletstücken  erhalten,  die  als  Hilfsapparate 
des  Gehörorgans  funetioniren  und  die  wir  in  ihrer  Gesammtheit 
Columella  (col)  nennen  wollen.  —  Die  Beschaffenheit  des  übrigen  Vis- 
ceralskelets  hängt  von  der  Art  der  Athmung  ab  (Fig.  511  A).  So 
lange  die  Kiemenathmung  anhält,  finden  sich  ausser  unpaaren  das 


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IV.  Amphibien.  515 

Corpus  hyoideum  repräsentirenden  Copulae  noch  paarige  Hyoidea,  die 
vorderen  Zungenbeinhörner  und  4  Paar  Kiemenbögen.    Beim  Ueber- 

h  os 


Fig.  510.  Frosehschädel  A  von  hinten,  B 
von  der  Seite  (im  Anschluss  an  Parker). 


Fig.  510.    Froschschädel  von  unten 
linke  nach  Entfernung  der  Belegknochen 
(aus  Wiedcrsheiiu). 


Ohondroeranium:  Gk  Gchörkapsel,  N.N1  Nasenkapscl ,  PP  (p)  Palatinspango, 
As  Alisphenoidknorpel ,  Qu  (qu)  Quadratknorpel,  ob,  os  Knorpel,  aus  dem  sonst 
Basioccipatale  und  Supraoccinitale  hervorgehen.  Primäre  Knochen :  O  lai  fol)  Exoc- 
cipitale  mit  Condylus  occipitalis  (Cocc,  r.o),  Pro  (pro)  Prooticum,  E  (c)  Sphenethmoid ; 
Belegknochen:  Pmx  (pmx)  Prämaxillare,  M  (m)  Maxillare,  jg  (Qjq)  .lugale,  Vo  Vomer, 
Pal  Palatinum,  Pt  (pt)  Ptervgoid,  Fp  (pf)  Parietofrontale,  na  Nasale,  Ps  (ps)  Para- 
sphenoid,  sq  Squamosuni ;  t'nterkiefer :  mk  Meckel'scher  Knorpel  mit  seinem  ver- 
knöcherten, vorderen  Ende  im,  d  Dentale,  an  Angulare.  Zungenbeinbogen :  col  Colu- 
mella,  h'  h"  Hyoid  und  Copula;  Nervenlocher:  //Opticus,  Vi  Abducena,  V  Trige- 
minus,  fo  Foramen  magnum.    Der  Knorpel  durch  Punktirung  deutlieh  gemacht. 

gang  zur  Luftathmung  schwinden  die  Kiemenbögen  mehr  oder  minder 
vollkommen;  bei  den  Anurm,  bei  denen  die  Hyoide  bis  zum  Schädel 
aufsteigen,  wurden  lange  Zeit,  doch  wie  es  scheint,  irrthümlich  die 
Hinterhörner  als  Reste  von  Kiemenbögen  gedeutet.- 

Die  durch  den  Landaufenthalt  bedingte  Umgestaltung  der 
Sinnesorgane  ist  fast  für  jedes  derselben  nachweisbar.    Die  Organe 
der  Seitenlinie,  welche  bei  den  im  Wasser 
lebenden  Perennibranchiaten  und 
allen  Larven  noch  erhalten  sind,  schwin- 
den :  die  Augen  werden  gegen  den  ein- 
trocknenden Einfluss  der  Luft  durch  ein 
Augenlid,  die  Nickhaut,  geschützt;  die 
Nase    wird  zugleich  Respirationsorgan 
und  demgemäss  mit  einer  inneren,  in 
die  Mundhöhle  leitenden  Oeffnung,  der 
Choane,  versehen.    Vor  Allen  ver- 
vollkommnet Sich   das  ( i  e  h  Ö  r  bei  ^  einer   kiemenathmenden  Larve 
a  i-  .i  ;  0   a  ii  c  h ;  l  ,1  ii  n  it  vo,n  Landsalamander,  B  einer  Kröte 

den  Anurc.n  durch  die  Ausbildung  |au8  C!  buur)  Zungenhcin. 
schallleitender  Apparate;  aus  dem  korper  t  b  Vonlerhorn  (liyoid) ,  e 
Spritzloch  der  Selachier  entsteht  ein  Luft-  Rote  der  Kiemenbögen. 

33* 


Hnt«d- 
»jHeia  und 

StDOM- 


Fig.  511.    Hinteres  Viseeralskelet 


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516  Wirbelthiere. 

canal,  dessen  eines  Ende  als  Tuba  Eustachii  in  den  Rachen  mündet  dessen 
anderes  Ende,  die  Trommelhöhle,  durch  das  in  den  knorpeligen  Annulus 
tympanicus  eingespannte  Trommelfell  geschlossen  wird.  Die  Beziehung 
des  Labyrinths  zum  Luftcanal  wird  eine  innigere,  durch  das  Auftreten 
der  Fenestra  ovalis,  einer  Oeffhung  in  dem  das  häutige  Labyrinth  sonst 
vollkommen  bergenden  Petrosum.  In  der  Fenestra  ovalis  ist  die  Colu- 
mella  (Hyomandibulare)  eingepflanzt,  welche  sich  am  anderen  Ende  mit 
dem  Trommelfell  verbindet  und  die  Schwingungen  desselben  auf  das 
häutige  Labyrinth  überträgt.  —  Das  Hirn  der  Amphibien  übertrifft 
das  der  Fische  durch  die  stärkere  Entwicklung  des  Grosshirns  (Fig. 
öl 2  V Ii),  steht  ihm  aber  nach,  indem  das  Kleinhirn  nur  eine  dünne 
Marklamelle  bildet. 

Am  wichtigsten  für  die  systematische  Charakteristik  der  Amphibien 
sind  die  A  t  h  m  u  n  gsor  ga  n  e.  Alle  Lurche  haben  sowohl  Kiemen  als 

Lungen.    Die  Kiemen  sind  im  Gegensatz  zu 
den   inneren   Kiemen  der  Fische  äussere 
K  i  e  m  e  n  .   drei   blutgefässreiche ,  verästelt«* 
Büschel,  welche  am  oberen  Ende  der  Kiemen- 
spalten aus  der  Haut  emporgewachsen  sind. 
Die   Lungen   sind   dünnwandige  Luftsäcke 
mit  fächeriger   Innenseite:    sie  münden  in 
das    hintere  Ende   des   Pharynx,  entweder 
direct  vermöge  einer  Spalte,  der  Stimmritze, 
oder  vermittelst  der  Luftröhre,   der  Trachea. 
Knorpelige    Stücke    können   Luftröhre  und 
Stimmritze   stützen   und   an    letzterer  zum 
Spannen  der  Stimmbänder  bei  der  Tonerzeu- 
gung benutzt  werden.  —  Selten  findet  man 
gleichzeitig  und  dauernd  Kiemen  und  Lungen 
nebeneinander  (Percnnibranchiaten) :  gewöhn- 
lich ist  eine   zeitliche  Vertheilung  der  Art 
eingetreten,  dass   die  jungen  Thiere  durch 
Kiemen,  die  älteren  durch  Lungen  athmen. 
was  Ausgangspunkt  für  die  später  zu  be- 
sprechende Metamorphose  ist.  —  Ausser  den 
Kiemen  und  Lungen  besitzt  auch  die  Haut 
der  Amphibien  eine    grosse  respiratorische 
Bedeutung;  sie  kann  sogar  die  Athmung  allein 
besorgen,  wie  bei  einigen  Salumandrinen  der 
Gattung  Dcsmognathus,  Plethodon  und  Gyrino- 
philus,  welche  an  feuchten  Orten  leben  und 
weder  Kiemen  noch  Lungen  besitzen.  Die  Haut 
ist  demgemäss  dünn,  blutgefässreich  und  von 
zahlreichen ,  vielzelligen   Drüsen  schlüpfrig. 
Das  Epithel  ist  nach  aussen  durch  eine  sehr  dünne  Hornschicht  ab- 
geschlossen, die  zeitweilig  in  Zusammenhang  abgeworfen  wird  (Häu- 
tung); die  Lederhaut  ist  von  grossen  Lymphräumen  unterminirt,  deren 
Anwesenheit  es  mit  sich  bringt,  dass  man  namentlich  bei  Fröschen 
das  ganze  Integument  leicht  im  Zusammenhang  abziehen  kann.  Ver- 
knöcherungen der  Haut  kommen  bei  den  recenten  Amphibien  selten 
vor  {Gymnophioncn);    dagegen    ist   bemerkenswerth   der  Reichthum 
an  Chromatophoren,  die  unter  dem  Einfluss  von  Nerven  ihre  Gestalt 


Fip. ."»12.  Hirn  vom  Frosch. 
/  Kieehnerven ,  L,of  Lohns 
olfuctorius ,  f  Trennungs- 
furchc  iregen  17/ ( i r< »sshirn- 
hoinisphiiivii,  ZU  Zwischen- 
hirn ,  Z  Zirbeldrüse,  MH 
Mittelhirn ,  ////  Kleinhirn, 
Sil  Medulla  oblunpitn,  Frh 
Rautengrube. 


IV.  Amphibien. 


517 


verändern  und  dadurch  den  Farbenwechsel  vieler  Amphibien  be- 
dingen. 

Das  Herz  der  Amphibien  (Fig.  513,  514)  hat  zwei  scharf  ge- 
trennte Vorkammern,  eine  rechte  mit  venösem  Blut  («•),  eine  linke, 
welche  zur  Zeit  der  Lungenathmung  arterielles  Blut  (a*)  führt;  dagegen 
rindet  sich  nur  eine  Kammer  (w)  und  eine  äusserlich  wenigstens  noch 
einheitlich  erscheinende  aufsteigende  Aorta  (an).  Die  3 — 4  von  der  Ao. 
ascendens  entspringenden  Arterienbögen  verhalten  sich  verschieden, 
je  nachdem  die  Athmung  durch  Kiemen  erfolgt  oder  nicht  Im  ersteren 
Fall  (Fig.  513)  ist  an  den  drei  vorderen  Arterienbögen  (1 — 3)  eine 
doppelte  Schliessung  vorhanden;  der  eine  Weg  (/>)  führt  direct  zur 
Aorta  descendens,  der  andere  durch  die  Kiemenarterien  (l1 — 3')  in 
die  Kiemenbüschel  und  aus  dem  Capillarnetz  derselben  durch  die 
Kiemen venen  ebenfalls  zur  Ao.  descendens.  Nur  der  vierte  Bogen 
giebt  keine  Gefässe  an  die  Kiemen  ab,  dagegen  die  Arteriae  pulmo- 
nales (p)  zu  den  Lungen. 


Fig.  513.  Blutkreislauf  einer  Salamanderlarve  mach  Boa*»),  a*  rechte,  a-  linke 
Vorkammer,  r  Kammer,  aa  Aorta  ascendens,  ad  Aorta  descendens,  o.s  linker  Aorten- 
bogen,  i  Arterienbögen ,  b  directe  Schliessung  derselben  ,  /  Kiemenschlicssung, 
r — Kiemenkreislauf,  p  Art.  pulmonal»,  0  Carotis,  k  Kiemen. 

Fig.  514.  Kreislauf  des  Frosches  (etwas  schematisirt).  a'  rechte,  a"  linke  Vor- 
kammer, r  Ventrikel,  aa  Aorta  aacendens,  ad,  as  rechter  und  linker  Bogen  der  Aorta 
descendens,  e  Carotiden,  /  Lingualis,  re  Vertebralis,  Subclavia,  cu  Cutanea,  p  Pul- 
monal», 1,  2,  4,  die  drei  erhaltenen  Arterienbögen. 

Wenn  die  Kiemen  verloren  gehen  (Fig.  514),  schwindet  der  dritte 
Arterienbögen  bei  vielen  Amphibien  (namentlich  den  Anurcn)  gänz- 
lich, von  den  übrigen  drei  wenigstens  die  zu  den  Kiemen  tretenden 
(iefässe,  während  die  direeten  Verbindungen  erhalten  bleiben  und 
neue  Verwendung  finden.  Der  erste  Bogen  (1)  liefert  die  den  Kopf  ver- 
sorgenden Carotiden  (c),  der  zweite  vereinigt  sich  mit  dem  der  anderen 
Seite  zur  Aorta  descendens  (ad),  der  vierte  Arterienbögen  (4)  versorgt 
mit  einem  Ast,  A.  pulmonalis  (/>).  die  Lunge,  mit  einem  zweiten  Ast, 
A.  cutanea  (cm),  die  Haut.  Die  Stärke  des  letzteren  ist  ein  weiterer 
Beweis,  welche  grosse  Bedeutung  der  Hautathmung  bei  den  Amphi- 


Fig.  513. 


Fig.  514. 


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518 


Wirbelthiere. 


bien  zukommt.  Eine  Klappen  Vorrichtung  in  der  Ao.  ascendens  bringt 
es  mit  sich,  dass  das  dem  Körper  entstammende  venöse  Blut  des 
rechten  Vorhofs  der  Hauptmasse  nach  durch  den  respiratorischen 
vierten  Gefässbogen  in  die  A.  pulmonales  und  cutaneae  geleitet  wird, 
während  das  aus  der  Lunge  durch  besondere  Venen  dem  linken  Vor- 
hof zuströmende  arterielle  Blut  den  Weg  zum  ersten  und  zweiten 
Bogen  (Carotiden  und  Aortenbogen)  einschlägt.  So  wird  eine  leidliche 
Sonderung  des  Lungen-  und  Körperkreislaufs  bewerkstelligt,  obwohl 
beiderlei  Blutströme  noch  ein  gemeinsames  Bett  (Herzkammer  und 
aufsteigende  Aorta)  zu  passiren  haben. 
üKigwiiui-  Für  den  Geschlechtsapparat  (Fig.  485)  gilt  Aehnliches  wie 
•y»t«ra.  jen  Haien.  Die  Eier  gelangen  aus  dem  traubigen  Eierstock  in 
die  weiten  Mündungen  der  Müller'schen  Gänge  (Oviduct)  und  werden 
in  Ausweitungen  derselben  (Uterus)  mit  Gallerthüllen  umgeben.  Die 
Spermatozoon  dagegen  passiren  den  oberen  Abschnitt  der  Nieren  und 
werden  durch  die  Harnleiter  entleert.  Die  Unterschiede  zu  den  Sela- 
chiern  bestehen  vornehmlich  darin,  dass  die  Nieren  als  compacte, 
häutig  bohnenförmige  Körper  innerhalb  der  Leibeshöhle  liegen  und 
dass  eine  Harnblase  vorhanden  ist,  welche  vor  dem  Darm  angebracht 
ist  und  entfernt  von  den  in  die  Rückwand  einmündenden  Urogenital- 
canälen  sich  in  die  Vorder  wand  der  Cloake  öffnet 

Bei  den  Amphibien  kommt,  eine  Art  Begattung  vor.  Die  Tritonen 
schwimmen  spielend  mit  einander,  bis  das  Männchen  eine  Samenkapsel 
entleert,  welche  das  Weibchen  in  die  Mündung  der  Cloake  aufnimmt. 
Bei  den  froschartigen  Amphibien  klammert  sich  das  oft  kleinere,  auf  dem 
Weibchen  hockende  Mänuchen  mit  seinen  vorderen  Extremitäten  hinter  den 
Vorderextremitäten  des  Weibchens  fest  und  wartet  tagelang,  bis  die  Ei- 
ablage erfolgt,  worauf  das  Männchen  seineu  Samen  über  die  Eier  aus- 
spritzt, welche  bald  darauf  die  bei  allen  Amphibien  herrschende  totale, 
aber  inäquale  Furchung  beginnen.  Alle  Batrachier  müssen  somit  ovipar 
sein;  ovipar  sind  auch  die  meisten  geschwänzten  Amphibien,  doch  ermög- 
licht die  Aufnahme  des  Sperma  in  die  weiblichen  Geschlechtswege,  dass 
einige  unter  ihnen,  wie  Salamandra  maculosa  und  8.  atra,  lebendig  ge- 
bären. Brutpflege  findet  sich  hie  und  da  und  wird  bald  vom  Männ- 
chen, bald  vom  Weibchen  ausgeübt.  Das  Männchen  der  Geburtshelferkröte 
(Alytcs  obstetricans)  wickelt  nach  der  Befruchtung  die  Eischnüre  um  seine 
Beine  und  verkriecht  sich  in  Erdlöcher,  bis  die  jungen  Thiere  zum 
Ausschlüpfen  reif  sind.  Das  Männchen  von  Tüiinodama  Darunni  hat  einen 
weiten,  von  dem  Pharynx  ausgestülpten  Kehlsack,  in  welchem  es  die  jungen 
Thiere  bis  zur  Beendigung  der  Metamorphose  beherbergt.  Bei  Pipa  ameri- 
cana  werden  die  befruchteten  Eier  vom  Männchen  dem  Weibchen  auf  den 
Röcken  gestrichen,  wo  sie  durch  Wucherung  der  Haut  in  dicht  an  einander 
grenzende  Zellen,  die  in  ihrer  Gesammtheit  an  eine  Bienenwabe  erinnern, 
eingeschlossen  werden.  Auch  bei  den  Gattungen  Nototrcma  und  Nolodelpkys 
besorgen  die  Weibchen  das  Brutgeschäft,  indem  sie  die  Eier  in  einen  auf 
dem  Rücken  gelagerten  Sack  aufnehmen. 
Entwickle«.  Die  Entwicklung  der  Amphibien  hat  von  jeher  in  den  weitesten 
Kreisen  Interesse  erweckt  als  das  einzige  leicht  zu  beobachtende  Bei- 
spiel von  Metamorphose  bei  den  Wirbelthieren.  Die  Metamorphose 
ist  um  so  deutlicher  ausgeprägt,  je  mehr  sich  der  Bau  des  ausgebildeten 
Thieres  vom  Bau  der  Fische  und  damit  auch  vom  Bau  der  fischähn- 
lichen Larven  entfernt.  Dies  gilt  für  die  Frösche  und  deren  Verwandte. 
Aus  dem  Ei  schlüpft  bei  den  Fröschen  die  Kaulquappe  (Fig.  4),  welche 


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IV.  Amphibien. 


519 


keine  Lunge,  dafür  aber  3  Kiemenbüsehel,  keine  paarigen  Extremitäten 
dafür  aber  einen  dem  Frosch  fehlenden  Ruderschwanz,  d.  h.  einen  mit 
einem  unpaaren  Flossensaura  eingefassten  Schwanz  besitzt  Bei  der 
Metamorphose  gehen  die  Kiemen  und  der  Ruderschwanz  als  Larven- 
organe verloren,  während  dafür  die  Lungen  und  die  paarigen  Extre- 
mitäten hervorsprossen.  Eine  Complication  der  Metamorphose  wird 
weiter  noch  durch  das  Auftreten  von  zweierlei  Kieinenathmung  herbei- 
geführt. Die  beim  Verlassen  des  Eies  vorhandenen  äusseren  Kiemen- 
büschel haben  kurzen  Bestand  und  werden  bald  durch  innere,  in  den 
Kiemenspalten  selbst  liegende  Kiemen  ersetzt;  diese  sind  äusserlich 
nicht  sichtbar,  weil  sie  von  einer  Hautfalte  überdeckt  werden,  welche 
über  den  Kiemen  einen  geschlossenen  Sack,  die  Kiemenhöhle,  erzeugt. 
In  die  Kiemenhöhle  führt  von  aussen  entweder  jederseits  eine  be- 
sondere Oeffnung,  oder  eine  unpaare  Oeffnung  dient  für  beide  Seiten. 
—  Bei  allen  geschwänzten  Amphibien  vereinfacht  sich  die  Metamorphose, 
indem  gewöhnlich  nur  die  3  Kiemenbüschel  schwinden  und  in  ihrer 
Function  durch  Lungen  ersetzt  werden.  Manchmal  kommen  dazu  noch 
Gestaltveränderungen ,  Veränderungen  der  Bezahnung  und  Umwand- 
lung des  Ruderschwanzes  in  einen  drehrunden  Schwanz.  Umgekehrt 
kann  auch  der  letzte  Rest  einer  Metamorphose  verloren  gehen,  wenn 
die  Kiemen  neben  den  Lungen  dauernd  beibehalten  werden  (Pcrenni- 
branchiaten). 

* 

I.  Ordnung.    Urodelen,  Schwanzlurche. 

Die  Urodelen  sind  vermöge  ihres  langgestreckten,  von  niedrigen 
Beinen  getragenen  Körpers  unter  den  Amphibien  den  Fischen  noch 
am  ähnlichsten.  Ihre  Wirbelsäule  besteht  aus  zahlreichen  Wirbeln, 
von  denen  ein  ansehnlicher  Theil  hinter  dem  Kreuzbeinwirbel  liegt 
und  somit  dem  Schwanzabschnitt  angehört.  Rippen  sind  zwar  vor- 
handen, aber  so  klein,  dass  sie  das  Sternum  nicht  erreichen.  Trommel- 
fell, Trommelhöhle  und  Ohrtrompete  (Tuba  Eustachii)  fehlen ;  ebenso 
fehlt  mit  den  Stimmritzknorpeln  die  Fähigkeit  der  Tonbildung. 

I.  Unterordnung.  Perennibranehiatcn.  Dauernd  sind  2 — 4  Kicmen- 
spalten,  3  äussere  Kiemenbüsehel  und  ein  Ruderschwanz  vor- 
handen. Mmobranchus  lateralis  Say,  4  Kiemeuspalten.  Siren  lacertina  L., 
3  Kiemenspalten,  Nordamerika.  Proteus  anguineus  Laur.,  der  Olm  der 
Adelsberger  Grotte  und  anderer  Höhlen  des  Karsts,  2  Kiemenspalten,  Lungen 
rudimentär;  als  Höhlonbewohner  ist  das  Thier  blind,  indem  es  rückge- 
bildete Augen  hat,  welche  ausserdem  von  Muskeln  bedeckt  und  daher 
funetionsunfähig  sind.  Auffallend  gross  sind  die  Zellen  der  Gewebe,  ganz 
besondere  die  Blutkörperchen. 

II.  Unterordnung.  Derotrenun.  Die  Kiemen  schwinden,  es  erhält  sich 
aber  noch  eine  Kiemenspalte.  Menopoma  Alleghanense  Harl.  Durch  Ver- 
lust des  Kiemenlochs  leitet  zu  den  Salamandrinen  über  der  1 — 2  Meter 
lange  Oryptobranchus  japonicus  Hoev.,  die  grösste  lebende  Amphibie. 

III.  Unterordnung.  Salamandrinen.  Nach  Verlust  der  Kiemen  schliessen 
sich  die  Kicmenspaltcn.  Der  Ruderschwanz  erhält  sich  bei  der  Gattung 
Triton,  Triton  cristatiis  Laur.,  T.  alpestris  Laur.,  T.  taeniatus  Sehn.,  während 
bei  der  Gattung  Salamandra  die  geschlechtsreifen  Thiere  drebrunde  Schwänze 
haben.  Salamandra  macidosa  Laur.  und  &  atra  Laur.  sind  beide  lebendig 
gebärend.    5.  atra  führt  sogar  im  Mutterleibe  seine  Metamorphose  zu  Ende, 


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b'JO 


Wirbelthiore. 


da  die  jungen  Thiere  genügend  Nahrung  finden,  weil  von  zahlreichen  Eiern 
immer  nur  2 — 3  sich  entwickeln  und  von  dem  Speisebrei  leben,  zu  dein 
die  übrigen  Eier  zerfallen. 

Bei  den  Tritonen  kommt  es  vor,  dass  die  Larven,  durch  äussere  Um- 
stände an  der  Metamorphose  verhindert,  die  Kiemen  behalten  und  ge- 
schlechtsreif werden.  Noch  mehr  trifft  das  Gesagte  für  manche  Arten  der 
Gattung  Amblystoma  zu.  Das  Amblystoma  mexicanum  behält  im  Natur- 
zustand unter  normalen  Verhältnissen  die  Kiemen  dauernd  bei  und  heisst 
dann  Sir edon  pisciformis  Shaw,  Axolotl;  wenn  es  durch  ungünstige  Wasser - 
Verhältnisse  gezwungen  wird,  sich  zum  Amblystoma  zu  verwandeln,  wird 
es  nicht  geschlechtsreif,  ein  Zeichen,  dass  das  Verharren  auf  dem  Siredon- 
Zustand  die  Norm  ist,  während  für  andere  Arten  wie  A.  fasciaium  und 
A.  punctatum  umgekehrt  die  Beendigung  der  Metamorphose  die  natürliche 
Entwicklungsweise  darstellt.  Nahe  verwandte  Arten  würden,  wenn  man 
sich  scharf  an  die  systematischen  Begriffe  halten  wollte,  weit  zu  trennen 
und  verschiedeneu  Unterordnungen  einzureihen  sein,  das  A.  mexicanum  als 
&  pisciformis  den  Perennibranchiaten,  die  beiden  anderen  Amblystomen  den 
Salamandrinen. 

liier  schliessen  sich  ausser  ausgestorbenen  grossen  Salamandrinen  (dem 
früher  als  Menschenskelet  „homo  diluvii  testis"  beschriebenen  tertiären 
Andrias  Sclieuchzeri)  die  im  Carbon  auftretenden  und  in  der  Trias  schon 
wieder  verschwindenden,  z.  Th.  riesigen  Steyoccplialen  an,  die  sich  durch 
starke  Beschuppung  des  Körpers  und  Knochenpanzerung  des  Kopfes  von 
den  Urodelen  unterschieden,  manche  auch  durch  die  labyrinthisch  einge- 
faltete  Schmelzoberfläche  der  Zähne  (Labyrinthodonten). 

TL.  Ordnung.    Amiren.  Batrachier,  Froschlurche. 

Die  Anuren  haben  sämmtlich  den  gedrungenen  Körperbau  unserer 
Kröten  und  Frösche.  Derselbe  ist  durch  die  geringe  Zahl  (9)  der 
Rumpfwirbel  und  das  gänzliche  Fehlen  des  Schwanzes  bedingt.  Hinter 
dem  Sacralwirbel  folgt  als  Repräsentant  einer  Schwanzwirbelsäule  nur 
ein  langer,  säbelförmiger  Knochen,  das  Os  coccygis.  Rippen  fehlen, 
da  ihre  Anlagen  mit  den  Proc.  transversi  verschmelzen  und  die  auf- 
fällige Grösse  derselben  bedingen.  Um  so  stattlicher  sind  die  vielfach 
zum  Klettern  und  Springen  dienenden  Extremitäten.  —  Trommelfell 
und  Trommelhöhle  sind  vorhanden  und  verleihen  dem  Gehör  im  Ver- 
gleich zu  den  Urodelen  eine  grössere  Vollkommenheit,  die  wohl  damit 
zusammenhängt,  dass  die  Anuren  eine  Stimme  besitzen.  Da  die  aus 
den  Eiern  ausschlüpfenden  Larven  ausser  dem  Ruderschwanz  noch 
Kiemen,  Kicmenspaltcn  und  Kiemenbögen  haben,  welche  dem  er- 
wachsenen Thier  fehlen,  erreicht  die  Metamorphose  bei  den  Anuren 
ihren  Höhepunkt. 

I.  Unterordnung.  Aylossen.  Krötenartige  Batrachier  mit  rückgebildeter 
Zunge  und  verschmolzenen  Eileitertuben.  Pipa  americana  Laur.,  Waben- 
kröte. Das  grössero  Weibchen  tragt  die  Eier  und  Jungen  während  der 
Entwicklung  in  wabenartigen  Räumen  der  Rückenhaut  mit  sich  herum. 
Dactykthra  capensis  Cuv. 

II.  Unterordnung.  Discodnctylcn..  Zehen  enden  mit  kleinen  Hatt- 
scheiben,  welche  es  den  Thieren  ermöglichen,  an  senkrechten  Wänden 
einporzuklettern.  Eine  einheimische  Form  ist  der  durch  besonders  schönen 
Farbenwechsel  ausgezeichnete  Laubfrosch,  Hyla  arborea  L.,  westindisch  der 
llylodcs  martiniccnsis  Tsch.,  bei  welchem  in  Folge  der  Trockenheit  des 


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IV.  Amphibien:  Urodelen,  Anuren,  Batrachier.  521 

Aufenthaltsorts  die  ganze  Metamorphose  in  den  festen  Eischalen  abläuft. 
Nototrema  pygmaeum  Böttg.,  mit  dorsalem  Brutsack. 

III.  Unterordnung.  Oxydaclylen.  Zehen  enden  spitz.  Hierher  gehören 
die  meisten  unserer  einheimischen  Batrachier,  welche  nach  der  Bezahnung 
ihres  Oberkiefers,  sowie  je  nachdem  die  Beine  zum  Springen  oder  Kriechen 
dienen,  in  3  Familien  abgetheilt  werden.  —  1)  Raniden,  Frösche.  Ober- 
kiefer und  Zwischenkiefer  bezahnt;  hintere  Extremitäten  lang,  zum  Sprung 
geeignet.  Rana  esculcnta  L.,  grüner  Wasserfrosch,  laicht  im  Mai  und  Juni. 
Männchen  mit  Scballblasen  ausgerüstet ;  Rana  temporaria  L.,  brauner  Gras- 
frosch, laicht  im  März;  letzterem  ähnlich  die  selteneren  R.  arvalis  Nils,  und 
R.  agilis  Tbom.,  in  Amerika  R.  mugiens  Daud.,  Ochsenfrosch.  2)  Pdobatiden, 
Knoblauchskröten,  ähneln  in  der  Bezahnung  des  Oberkiefers  den  Fröschen, 
in  der  Fortbewegungsweise  den  Kröten:  Pclobates  fuscus  Laur.,  mit  be- 
sonders grossen  Kaulquappen;  Bombinaior  igneus  Rös.  Unke;  Alytes  obste- 
trieans  Laur.,  wegen  der  Brutpflege  des  Männchens  so  benannt.  —  3)  Bufo- 
niden,  Kröten,  mit  zahnlosem  Oberkiefer,  ohne  Sprungvermögen ;  reichliche 
Hautdrüsen,  besonders  hinter  dem  Ohr  zu  einem  Packet  vereint,  liefern 
ein  giftiges,  die  Schleimhäute  (der  Augen !)  reizendes  Secret.  Bxifo  vulgaris 
Laur.,  B.  viridis  Laur.,  B.  calamita  Laur. 


III.  Ordnung.    Gymnophionen,  Blindwühlen. 

Die  ausschliesslich  tropischen  Blindwühlen 
bohren  sich  Gänge  in  feuchter  Erde,  um  auf 
kleinere  wirbellose  Thiere  Jagd  zu  machen. 
In  Folge  dieser  unterirdischen  Lebensweise 
sind  die  Augen  klein  und  unter  der  Haut 
verborgen,  die  Extremitäten  gänzlich  rückge- 
bildet ,  was  den  Thieren  Aehnlichkeit  mit 
Schlangen  und  Regenwürmern  giebt.  In  der 
Haut  sind  kleine  Knochenschuppen  eingelagert; 
ein  Trommelfell  fehlt  In  der  Jugend  ist  ein 
später  schwindendes  Kiemenloch  vorhanden ; 
innerhalb  der  Eischalen  haben  manche  Arten 
3  Paar  wundervolle  Kiemenbüschel  (Fig.  515), 
ein  Beweis  der  Zugehörigkeit  zu  den  Am- 
phibien. —  Coeciliden:  Epicrium  glutinosum 
Fitz ,  Ceylon ,  Coecilia  lumbricoides  Daud. 
Amerika.  ' 


Fig.  31.3.  Embryo  von 
Epicrium  gltitinostim  (aus 
Boas  nach  Sara»in>. 


II.  Unterstamm. 

Amnioten. 

Wirbelthiere ,  welche  im  Embryonalleben  ein  Amnion  und  eine 
Allantois  haben,  deren  embryonales  Nierensystem  (Urniere,  Urnieren- 
gang,  Müller'scher  Gang)  in  seiner  Function  durch  die  bleibende  Niere 
abgelöst  wird  und  dann  nur  so  weit,  als  es  zur  Ausleitung  der  Ge- 
schlechtsproducte  dient,  erhalten  bleibt,  bei  denen  endlich  zwar  Kiemen- 


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522 


Wirbelthiere. 


spalten  als  vorübergehende  Bildungen  zur  Entwicklung  kommen,  Kiemen 
und  Kiemenathmung  dagegen  gar  nicht  mehr  auftreten. 

V.  C lasse. 
Reptilien  oder  Kriechthiere. 

Die  Reptilien  wurden  wegen  der  grossen  Aehnlichkeit  der  Körper- 
gestalt lange  Zeit  systematisch  mit  den  Amphibien  vereinigt,  zu  denen 
sie  in  der  That  ihrer  Erscheinungsweise  nach  eine  vollkommene 
Parallelgruppe  bilden.  Der  schlanke  Habitus  der  Salamandrinen  wiederholt 
sich  unter  den  Reptilien  bei  den  Eidechsen,  die  gedrungene  Körper- 
form der  Batrachier  bei  den  Schildkröten  und  manchen  Erdagamm, 
die  Wurmähnlichkeit  der  Coetilien  bei  Blindschleichen,  Ringelechsen  und 
Schlangen.  Um  so  mehr  müssen  die  unterscheidenden  Merkmale  be- 
tont werden,  bei  deren  Besprechung  wir  2  Gesichtspuncte  im  Auge 
behalten  müssen:  1)  dass  die  Reptilien  zu  den  Amnioten 
gehören  und  daher  im  P^mbrvonalleben  die  Merkmale 
derselben  (Urniere,  Allantois  und*  Amnion)  besitzen,  2)  dass  sie, 
wenn  auch  vielfach  im  Wasser  lebend,  in  ihrem  ganzen  Bau,  im 
gänzlichen  Mangel  der  Kiemenathmung,  in  der  Beschaffenheit  der  Haut 
und  des  Skelets  sich  wie  echte  Landthiere  verhalten. 

Die  Haut  der  Reptilien  ist,  um  der  Troekenhejt  der  Luft  besser 
Widerstand  zu  leisten,  stark  verhornt,  so  dass  man  an  der  Epidermis 
ein  vielschichtiges  Stratum  Malpighi  und  ein  vielschichtiges  Stratum 
corneum  unterscheiden  kann.  Das  Stratum  corneum  ist  an  den  Zehen- 
spitzen zu  kräftigen  Krallen  entwickelt.  Ein  weiterer  Schutz  erwächst 
dem  Thiere  durch  die  dicke,  vielfach  zu  Leder  gerbbare  Cutis,  in 
welcher  gar  nicht  selten  Knochenplatten  eingelagert  sind.  Selten  finden 
sich  in  ihr  Drüsen,  unter  denen  die  Schenkeldrüsen  der  Saurier  wegen 
ihrer  systematischen  Bedeutung  hier  erwähnt  werden  mögen  (Fig.  519  6). 
--  Das  A  xc  n  ske  1  e  t ,  Schädel  wie  Wirbelsäule,  besteht  fast  ganzaus 
Knochen ;  nur  ausnahmsweise  erhält  sich  —  bei  den  mit  amphicoelen 
Wirbeln  ausgerüsteten  Ascalaboten  und  Halterien  —  die  Chorda  in 
ansehnlichen  Resten. 

In  der  allgemeinen  Anordnung  der  Theile  wiederholt  der  Rep- 
tilien s chädel  viele  der  für  die  Amphibien  beschriebenen  Grund- 
züge (Fig.  510).  Der  vollkommen  verknöcherte  Quadratknorpel  {Qu) 
(hinteres  Ende  des  Palatoquadratuni)  fügt  sich  der  Gehörregion  der 
Schädelkapsel  an  und  trägt  den  Unterkiefer,  während  das  Hyomandi- 
bulare  ein  stabfönniges  Hörknöchelchen,  die  Columella,  liefert.  Auf 
dem  Quadratum  —  vielfach  auch  zwischen  dasselbe  und  die  Schädel- 
kapsel eingeschaltet  —  liegt  das  Squamosum  (Sgu) ;  von  ihm  vorwärts 
erstreckt  sich  die  häufig  bezahnte  Palatinreihe :  Pterygoid  (Pt),  Pala- 
tinum  (Pf),  Vomcr  (Vo).  Vor  der  Palatinreihe  wiederum  und  parallel 
zu  ihr  liegt  die  Maxillarreihe,  Prämaxillare  (Ptu)  und  Maxillare  (31). 
Die  Befestigung  des  hinteren  Maxillarendes  ist  für  die  Reptilien  in 
hohem  Maasse  charakteristisch,  in  dem  sich  ein  Knochen,  welcher 
bei  den  Amphibien  und  übrigen  Wirbelthieren,  freilich 
auch  bei  den  Schildkröten,  fehlt,  das  üs  transve  rsum 
( Ts),  als  eine  quere  Brücke  zwischen  Kiefer-  und  Gaumen- 
reihe vom  hinteren  Ende  des  Maxillare  an  das  Ptery- 


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V.  Reptilien. 


523 


goid  erstreckt  Ausserdem  kann  das  Maxillare  noch  durch  den 
Jochbogen  an  das  Quadratbein  befestigt  sein  (Fig.  520,  524);  doch  ist 
der  Jochbogen  nicht  constant  vorhanden, 
auch  nicht  immer  in  derselben  Weise  ge- 
bildet (meist  durch  2  Knochen :  Jugale  und 
Quadratojugale).  Vom  hinteren  Visceral- 
skelet  erhält  sich  beim  Mangel  der  Kie- 
men nur  der  Zungenbeinkörper  mit  Vorder- 
und  Hinterhorn  (Hyoid  und  erstem  Kiemen- 
bogen). 

Bei  der  Schädelkapsel  im  engeren 
Sinne  ist  die  Zahl  der  Belegknochen  der 
Decke  um  die  Prä-  und  Postfrontalia, 
sowie  die  Lacrymalia  vermehrt;  dagegen 
fehlt  der  Belegknochen  der  Basis, 
das  Parasphenoid,  weil  von  den  Rep- 
tilien an  primäre  Knochen  genügend  für 
Festigkeit  sorgen,  zuvorderst  das  Präsphe- 
noid,  —  von  vielen  Forschern  als  Para- 
sphenoid gedeutet  —  .dahinter  das  Basi- 
sphenoid  (beide  gemeinsam  Bs),  zuletzt  das 
Basioccipitale  (Bp).  Jederseits  dieser  3 
Knochen  finden  sich  Begleitknochen,  die 
Orbitosphenoidea.  Alisphenoidea  und  Exocci- 
pitalia  {Ol) ,  letztere  dorsal  durch  das 
Supraoccipitale  verbunden.  Als  letztes  Ele- 
ment kommt  dazu  die  knöcherne  Gehör- 
kapsel, das  Petrosum.  Nächst  dem  Fehlen 
des  Parasphenoids  ist  hierbei  am  bedeut- 
samsten das  erneute  Auftreten  von 
Supraoccipitale  und  Basioccipi- 
tale. Indem  letzteres  sich  zwischen  die 
Exoccipitalia  und  die  von  denselben  getra- 
genen Condyli  oceipitales  einschaltet,  ver- 
bindet es  dieselben  zu  dem  systema- 
tisch äusserst  wichtigen,  die  Rep- 
til i e n  v o n  den  Amphibien  unter- 
scheidenden, unpaaren  Condylns  o c c i p i t a  1  i s. 

Der  convexe  Condylus  occipitalis  bildet  mit  einer  concaven  Ge- 
lenkfläche  des  ersten  Halswirbels  ein  Gelenk  für  die  Nickbewegungen 
des  Kopfes.  Die  Drehbewegungen  dagegen  (die  Drehungen  um  die 
Längsaxe)  werden  durch  eine  Verschiebung  der  beiden  ersten  Hals- 
wirbel gegen  einander  bewirkt,  wobei  dieselben  zum  Atlas  und 
Epistropheus  werden.  Der  erste  Halswirbel,  der  Atlas,  ist  ein 
ziemlich  glcichmässig  dicker  Knochenring.  Der  Körper  des  Wirbels, 
welcher  in  dem  Ring  eine  Anschwellung  bilden  sollte,  ist  selbständig 
geworden  und  beginnt  bei  den  Reptilien  mit  dem  Körper  des 
zweiten  Halswirbels,  des  Epistropheus,  zu  verwachsen; 
er  bildet  den  Zahnfortsatz  desselben,  um  welchen  sich  der  Atlasring 
sammt  dem  aufruhenden  Schädel  bei  den  Drehungen  des  Kopfes  bewegt. 
—  Auch  sonst  wird  die  Wirbelsäule  reicher  gegliedert.  Da  2  Sacral- 
wirbel  sich  mit  dem  Beekengürtel  verbinden,  werden  Lenden-,  Kreuz- 
bein- und  Schwanzwirbel  noch  schärfer  als  bei  den  Amphibien  ge- 


Fig.516.  Schädel  der  Natter 
von  unten  (aus  AViederaheini). 
C  r  a  n  i  u  in :  FAh  Ethinoidal- 
knorpel,  F  und  P  die  von  der 
Schädeldecke  abwärts  gewu- 
cherton Frontalis  und  Paric- 
talia,  Bs  Basisphenoid  (im  vor- 
deren Abschnitt  auch  Präsphc- 
noidi,  Bp  Bas ioccipitale ,  Ol 
Exoocipitale,  Corc  Condylus 
occipitalis,  II  Optiousloch,  Fov 
Fenestra  <  »valis ,  Visceral- 
s  k  e  1  e  t :  Pmx  Präinaxillare, 
M  Maxillare.  Ts  Transversum, 
Vo  Vomer,  Vi  Palatinura,  Pt 
Ptcrygoid,  Qu  (Quadrat um,  Squ 
Squatnosum,  Ch  Choane. 


Wirbel- 


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524 


Wirbelthiere. 


schieden.  Ferner  kommt  es  zur  Sonderung  von  Hals-  und  Brustwirbeln, 
weil  die  langen  Rippen  der  Brustwirbel  den  Anschluss  an  das  Sternum 
erreichen  (Fig.  409  C).  Da  die  reichere  Gliederung  der  Wirbelsäule 
durch  die  Verbindung  mit  den  Extremitäten  veranlasst  wird,  schwindet 
sie,  wenn  die  letzteren  durch  Rückbildung  verloren  gehen,  wie  Schlangen, 
Blindschleichen  und  Iiinyelechsen  lehren. 

Wenn  Extremitäten  vorhanden  sind,  schwankt  die  Zahl  der  Zehen 
zwischen  drei  bis  fünf  (meist  vier  oder  fünf).  Am  Beckengürtel  sind 
Scham-  und  Sitzbeine  durch  das  Foramen  obturatum  geschieden  und 
mit  den  entsprechenden  Knochen  der  anderen  Seite  in  einer  doppelten 
Symphyse  verbunden.  Am  Schultergürtel  sind  nur  Scapula  und  Coracoid 
constant;  eine  Clavicula  findet  sich  bei  Schildkröten  und  Sauriern,  bei 
letzteren  auch  ein  Episternum  (Fig.  4G9).  Systematisch  am  wichtigsten 
ist  an  der  hinteren  Extremität  die  Verlegung  des  Sprunggelenks 
mitten  in  den  Tarsus  hinein,  so  dass  bei  der  Bewegung  die  Tar- 
salien der  ersten  Reihe  mit  Tibia  und  Fibula,  die  der  zweiten  Reihe 
mit  den  Metatarsen  fest  verbunden  bleiben  (Intertarsalgelenk,  Fig. 
531  O). 

^r'gaür*-  Da  bei  keinem  Reptil  auch  nur  vorübergehend 
Kiemen  vorhanden  sind,  werden  die  embryonal  sich  an- 
legenden Kiemenspalten  noch  vor  dem  Verlassen  der 
Eihüllen  vollkommen  rück  gebildet.  Auch  die  Hautathmung 
spielt  nicht  mehr  die  wichtige  Rolle  wie  bei  den  Amphibien,  und  so 
werden  die  Lungen  die  Träger  der  Athmung,  wie  sie  es  bei 
Vögeln  und  Säugethieren  sind ;  sie  erhalten  einen  fächerigen  Bau  und 
gut  entwickelte  Luftwege,  einen  Kehlkopf  und  eine  lange  von  Knorpeln 
gestützte  Trachea,  die  sich  meist  am  unteren  Ende  in  zwei  kurze 
Bronchien  gabelt  (Fig.  517).  Die  ausschliessliche  Lungenathmung  führt 
zu  wichtigen  Fortschritten  in  der  Th eilung  des  Herzens  in  eine 

Biutcoun-  1  i n k e  arterielle  und  eine  rechte  venöse  Hälfte  und  in 
m***.  der  Sonderung  der  Gefässe  in  Körper-  und  Lung en- 
ge fasse  (Fig.  518).  Die  beiden  Vorkammern  (ax  n*)  lassen  schon 
durch  die  tiefe  Einschnürung  der  Oberfläche  die  vollkommene  Trennung 
erkennen;  in  der  Kammer  ivl  v1)  bildet  sich  ebenfalls  eine  Scheide- 
wand aus;  dieselbe  ist  aber  bei  Schildkröten,  Eidechsen  und  Schlangen 
unvollständig;  auch  bei  den  Crocodilen,  bei  denen  die  Trennung  inner- 
lich vollkommen  durchgeführt  ist,  sieht  die  Kammer  äusserlich  wie 
ein  einheitlicher  Abschnitt  aus.  Auch  kommt  es  bei  den  Crocodden 
noch  zu  einer  Mischung  von  arteriellem  und  venösem  Blut,  indem 
zwischen  den  grossen,  von  den  beiden  Kammern  aufsteigenden  Ge- 
fässen  eine  Communication,  das  Foramen  Panizzae,  bestehen  bleibt 
Eine  weitere  Mischung  der  Blutsorten  wird  durch  die  Art  und  Weise, 
in  welcher  sich  die  Arterienbögen  auf  die  Herzkammern  vcrtheilen. 
herbeigeführt.  Der  bei  Fischen  und  Amphibien  noch  einheitliche  auf- 
steigende A  rteri  en  stamm  ist  durch  innere  Scheidewände, 
die  sich  aber  nur  selten  oberflächlich  bemerkbar  machen,  in  3  Ge- 
fässe zerlegt  Eines  derselben  entspringt  aus  dem  rechten  Kammer- 
abschnitt, führt  somit  venöses  Blut  und  übernimmt  den  letzten  die 
Lungengefässe  abgebenden  Arterienbögen:  es  ist  die  A.  pulmonalis 
(p).  Ein  zweites  Gefäss  entspringt  aus  dem  linken  Herzen,  ist  daher 
rein  arteriell  und  übernimmt  den  grössten  Theil  der  übrigen  Arterien- 
bögen, den  Theil,  der  zu  den  Carotiden  (c)  (I.  Bogen)  und  zum 
rechten  Aortenbogen  (ad)  (rechte  Seite  des  II.  Bogens)  wird.  So 


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V.  Reptilien. 


f>25 


bleibt  für  das  .-J.  Gefäss  nur  der  linke  Aortenbogen  (as)  übrig  (linke 
Seite  des  II.  Bogens),  der  mit  dem  correspondirenden  rechten  zur 
Aorta  descendens  verschmilzt.    Dieser  linke  Arterienbogen  entspringt 

merkwürdigerweise  aus  dem  rechten 
Herzen  und  mischt  daher  venöses  Blut 
dem  arteriellen  Hauptstrom  der  Aorta 
descendens  bei.  Zwischen  ihm  und 
dem  rechten  Aortenbogen  findet  sich 
das  Foramen  Panizzae. 

Der  venöse  Charakter  des  linken 
Arterienbogens  und  die  Unvollständig- 


Fig.  .r>17.  Eingeweide  eines  Alligators. 
ZB  Zungenl>ein-Körper  (bei  f  perforirt), 
ZU  Zungenbeinhörner,  Oe  Om>phagus, 
Tr  Trachea,  La  Lg*  Lungen,  H  Herz, 
L  L*  Leber,  3/ Magen,  Sp  Sehnige  Stelle 
desselben,  P  Pylorus,  .Vrf,  Mittel- 
und  Enddann  (aus  Wietersheim). 


Fig.  518.  Herz  des  Crocodils  mit 
abgehenden  Arterien  schematisirt ;  al 
rechte,  n*  linke  Vorkammer,  r'  rechte, 
r*  linke  Kammer,  o1  reehtes,  o*  linkes 
Ostium  atrioventrieulare.  Die  aufstei- 
gende Arterie  ist  in  3  Aeste  gespalten, 
von  denen  zwei ,  Arteria  pukuonalis  p 
und  linker  Aortenliogen  as ,  aus  der 
rechten,  einer  aus  der  linken  Kammer 
entspringt.  Letzterer  Stamm  hängt 
mit  dein  linken  Aortenlsigen  durch  das 
Foramen  Panizzae  zusammen  und  giebt 
ab :  ad  den  rechten  arteriellen  Aorten- 
bogen, s  die  Subclavien,  e  dieCarotiden. 
1,  2,  4  die  Zahlen  der  mit  den  Am- 
phibien Vergleichharen  Arterien  bögen; 
die  Pfeile  geben  die  Richtungen  des 
arteriellen  und  venösen  Blutstromes  an. 


keit  des  Septum  ventriculorum  (resp.  die  Anwesenheit  des  Foramen 
Panizzae)  verhindern,  dass  schon  bei  den  Reptilien  eine  völlige  Schei- 


526 


Wirbelthiere. 


dung  eines  Lungen-  und  Körperkreislaufs  erzielt  wird.  Bei  den  Schild- 
kröten kommt  dazu  ein  drittes  Moment  :  dass  die  Pulmonalarterien  wie 
bei  den  Perennibranchiaten  (Fig.  513)  durch  linke  und  rechte  Anasto- 
mosen (Ductus  Botalli)  mit  den  Aortenbögen  in  Verbindung  bleiben. 

•yltoä'         Zu  den  durch  den  Landaufenthalt  bedingten,  die  Reptilien  von  den 
sinn«^  Amphibien  trennenden  Merkmalen  der  Athmung  und  der  Circulation 
org*!«.  gesellen  sich  weitere  Unterschiede,  die  der  Ausdruck  höherer  Organi- 
sation sind.    Während  die  Sinnesorgane  sich  nur  in  wenigen  Punkten 

—  Auftreten  der  Fenestra  rotunda  des  Gehörorgans,  eines  Ringes  von 
Knochenplättchen  in  der  Sclera  des  Auges  bei  Sauriern  und  Cheloniern 

—  über  die  schon  bei  Batrachiern  erreichte  Stufe  erheben,  zeigt  das 
Hirn  zwei  Fortschritte:  das  Kleinhirn  wird  —  besonders  bei  Schild- 
kröten  und  Crocoddcn —  wieder  ansehnlicher:  das  Grosshirn  umwächst 
nach  rückwärts  und  abwärts  das  Zwischenhirn  und  bildet  den  Schläfen- 
lappen der  Grosshirnhemisphären.  Wohl  entwickelt  wie  bei  keinem 
anderen  Wirbelthier  ist  auch  das  Parietalorgan,  welches  bei 
manchen  Sauriern  als  ein  unpaares,  dorsales  Auge  unter  der  Haut  in 
einer  Oeffnung  der  Parictalia  (Foramen  parietale)  lagert 

iro«eniui-  Im  N i e r e n s v s t e m  finden  wir  die  bei  Vögeln  und 
■r»trm.  gäuget liieren  herrschenden  Verhältnisse.  Im  Embryo 
funetionirt  zunächst  nur  die  Urniere  (Wolffscher  Körper)  mit  dem 
Urnierengang;  caudalwärts  von  ihr  entsteht  erst  später  die  bleibende  Niere 
mit  dem  Ureter,  während  der  embryonale  Nierenapparat  zu  Grunde 
geht  mit  Ausnahme  der  Theile,  welche  vermöge  ihrer  Beziehung  zum 
Hoden  beim  Männchen  erhalten  bleiben  und  zum  Nebenhoden  und 
Vas  deferens  werden.  Beim  Weibchen  wird  der  Müller'sche  Gang, 
welcher  beim  Männchen  auch  angelegt,  aber  rückgebildet  wird,  zum 
Eileiter.  Meist  münden  die  Urogenitalcanäle  in  die  Rückwand  des 
Darms  (Cloake),  selten  in  die  Harnblase  (Chelomer). 

Entwiekiuiu.  Fast  s  ä  m  m  1 1  i  c  h  e  R  e  p  t  i  1  i  e  n  legen  Eier;  nur  unter  den 
Lepidosauriem  giebt  es  wenige  Formen,  welche  normalerweise  wie  z.  B. 
die  Blindschleichen  und  einige  Euhchsen  lebendig  gebären  oder  unter  un- 
günstigen Verhältnissen,  wie  manche  Schlangen,  die  P^ier  fast  bis  zu  Ende 
der  Embryonalentwicklung  bei  sich  behalten.  Die  Eier  sind  den  Vogeleiern 
ähnlich,  indem  die  grosse  dotterreiche  Eizelle  von  einer  Eiweissschicht  und 
nach  aussen  davon  von  einer  fibrösen,  häufig  verkalkenden  Schale  umhüllt 
wird.  Zum  Oeffnen  der  Schale  besitzen  die  Embryonen  einen  Eizahn, 
welcher  bei  Lepidosauriern  aus  Dentin,  sonst  wie  bei  den  Vögeln  aus 
Horn  besteht.  Auch  darin  herrscht  Uebereinsthnmung,  dass  die  Eier, 
bevor  sie  abgesetzt  werden,  im  Innern  der  mütterlichen  Ausführgänge 
schon  befruchtet  worden  sind  und  die  discoidale  Furchung  begonnen 
haben.  Um  die  innere  Befruchtung  zu  ermöglichen,  finden  sich  Be- 
ga t tun g s o rg a n e ,  welche  systematisch  von  Interesse  sind,  da  sie 
in  ihrem  Bau  bei  den  Schlangen  und  Sauriern  einerseits,  bei  den  Schild- 
Itröten  und  Ürocodilen  andererseits  einen  besonderen  Charakter  tragen. 
Die  Unterschiede  treffen  mit  Unterschieden  in  der  Gestalt  der  Cloaken- 
spalte  und  in  dem  Bau  des  Schädels  und  der  Haut  zusammen,  so  dass 
man  nach  allen  diesen  Merkmalen  die  Reptilien  in  2  Unterlassen  trennen 
kann,  in  Lepidosaurier  und  Hydrosaurier,  von  denen  die  eine  Unter- 
classe  von  den  Eidechsen  und  Schlangen,  die  andere  von  den  SchUd- 
kröten  und  Crocodilen  gebildet  wird. 


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V.  Reptilien.    Lepidosaurier,  Plagiotremen. 


527 


I.  Unterclasse. 
Lepidosaurier,  Plagiotremen. 

Das  gemeinsame  Merkmal  der  Saurier  und  Ophidier,  welches  den 
Namen  Plagiotremen  veranlasst  hat,  ist  die  quere  Form  der  Cloaken- 
spalte  (Fig.  519«),  hinter  welcher  beim  Männchen  paarige  Copulations- 
organe  liegen.  Jeder  Penis  ist  ein  Schlauch,  der  für  gewöhnlich  in 
einem  Sack  eingeschlossen  liegt,  bei  der  Begat- 
tung aber  wie  ein  Handschuhfinger  umgestülpt 
wird  und  dann  auf  seiner  Oberfläche  mit  Wider- 
haken bewaffnet  ist  —  Der  Name  Lepido- 
saurier bezieht  sich  auf  die  ßeschuppung  der 
Haut.  Was  man  bei  Reptilien  Schuppen  nennt, 
sind  Horngebilde  und  somit  etwas  ganz 
Anderes  als  die  knöchernen  Schuppen 
der  Fische.  Die  bindegewebige  Lederhaut 
bildet  abgeplattete  Papillen  und  zwingt  dadurch 
die  Oberhaut  zu  einer  ähnlichen  Anordnung. 
Indem  die  Hornschicht  ferner  auf  der  Höhe 
der  Papillen  besonders  dick  ist  und  an  den 
Grenzen  derselben  sich  verdünnt ,  entstehen 
rhombische  und  ovale  Hornblätter,  die  entweder 
parketartig  neben  einander  liegen :  Schilder, 
oder  sich  dachziegelförmig  von  vorn  nach  hinten 
decken:  Schuppen.  Die  Regel  ist,  dass  der 
Kopf  mit  regelmässig  angeordneten  und  daher  auch  besonders  be- 
nannten Schildern  bedeckt  ist,  der  Rumpf  dagegen  mit  Schuppen, 
die  in  Quer-,  Schräg-  und  Längsreihen  stehen.  Die  gesammte 
Hornschicht  der  Lepidosaurier  ist  nach  aussen  durch  eine  Lage 
fest  an  einander  schliessender ,  verhornter  Zellen  zusammengehalten, 
die  Pseudocuticula,  welche,  obwohl  sie  nicht  ein  Ausscheidungs- 
product  von  Epithelzellen  ist,  sondern  selbst  aus  Zellen  besteht,  viel- 
fach Cuticula  genannt  wird.  Sie  ist  nach  aussen  noch  von  einer  echten, 
aber  sehr  unscheinbaren  Cuticula  überzogen.  Da  nun  alle  verhornten 
Zellen  abgestorben  sind  und  einer  periodischen  Erneuerung  bedürfen, 
wird  die  Hornschicht  im  Zusammenhang  (Natternhemd)  alljährlich  ab- 
geworfen und  durch  eine  neue  ersetzt.  Während  der  Dauer  dieser  perio- 
dischen Häutungen,  welche  denen  der  Arthropoden  sehr  ähnlich  sind, 
kränkeln  die  Thiere  und  sterben  namentlich  in  der  Gefangenschaft 
leicht  ab.  —  Neben  den  Hornschuppen  kommen  bei  manchen  Sauriern 
(Anguis,  Pseudopus  Pallasii)  noch  kleine ,  an  die  Fischschuppen  er- 
innernde und  in  die  Papillen  der  Lederhaut  eingeschlossene  Knochen- 
plättchen  vor. 

Alle  Lepidosaurier  sind  im  Skelet  an  der  schlanken  Beschaffenheit  der 
Schädelknochen  (Fig.  5 IG,  5'20,  521)  zu  erkennen,  welche  namentlich  bei 
den  Sauriern  einen  nur  unvollkommenen  Abschluss  der  Schädelkapsel  be- 
wirken. Das  Quadratbein  ist  beweglich  am  Schädel  befestigt  und  ausser- 
dem durch  Einschiebung  des  Squamosum  von  der  Gehörkapsel  abgerückt. 
Ein  harter  Gaumen  fehlt,  weshalb  die  innere  Choane  wie  bei  Amphibien 
weit  vorn  an  der  Schädelbasis  liegt  (Fig.  51<>  Ch).  In  der  Scheidewand 
der  Herzkammer  ist  eine  weite  Communication  zwischen  linkem  und  rechtem 


Fig.  519.  Hinteres 
Rumpfende  mit  hinteren 

Extremitäten  und 
Sehwanzbasis  einer  Ei- 
dechse ^aus  Leuniu-Lud- 
wigt.  a  Cloakenspalte, 
b  Sohenkelporcn  (Mün- 
dungen von  Drüsen),  sca 
Analschild. 


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528 


Wirbelthiere. 


Abschnitt  vorhanden.  —  Die  beiden  Ordnungen  der  Lejndosaurier  sind  ein- 
ander nahe  verwandt  und  durch  so  viele  Uebergangsformen  verbunden, 
dass  eine  scharfe  Scheidung  kaum  möglich  ist. 

I.  Ordnung.    Saurier«  Eohsen. 

Die  Saurier  oder  eidechsenartigen  Reptilien  unterscheidet  man 
von  den  Schlangen  meist  leicht  an  den  4  gut  entwickelten  Extremi- 
täten :  allein  es  giebt  einige  wenige  Formen,  welche,  obwohl  unzweifel- 
hafte Saurier,  wie  die  Blindschleichen,  vollkommen  extremitätenlos  und 
daher  schlangenähnlich  sind.  Zum  Erkennen  dieser  rückgebildeten 
Saurier  kann  dann  dienen,  dass  Reste  des  Extremitätenskelets,  das 
Schulterblatt  und  das  an  der  Wirbelsäule  festsitzende  Darmbein,  vor 
Allem  aber  das  bei  Schlangen  nie  auftretende  Stern  um  er- 
halten sind.  Im  Schädel  treffen  wir  einen  eigen  th  ti  in  liehen 
Knochen,  der  nur  bei  Sauriern  vorkommt,  hier  aber  allge- 
mein mit  Ausnahme  der  Amphisbaenen  und  Chamäleons  verbreitet  ist 
(Fig.  520  co).    Er  steigt  senkrecht  vom  Pterygoid  zum  Parietale  des 

Schädeldachs  auf  und  heisst  wegen 
seiner  schlanken  Gestalt  „Colu- 
mella",  obwohl  dieser  Name  in 
der  Reptilienanatomie  schon  für  das 
gleichfalls  schlanke  Hyomandibulare 
vergeben  ist.  -—  Die  Knochen  der 
Kieferreihe  sind  fest  unter  einander 
verbunden,  so  dass  die  von  ihnen 
umschlossene  Mundspalte  keiner 
besonderen  Erweiterung  fähig  ist; 
sie  werden  durch  einen  oberen 
.lochbogen  —  der  aus  Jugale  und 
Quadrat oj u gale  besteht  und  in  den 
das  P  o  s t  f  r o n  t  al  e  e  i  n  g e s c h al- 
te t  i  s  t  -  an  das  Quadratbein  ange- 
schlossen. In  der  äusseren  Er- 
scheinung der  Saurier  ist  be 
merkenswerth  die  Anwesenheit  von 
Augenlidern,  besonders  der 
Nickhaut  und  das  Vorkommen  des 
Trommelfells,  welches  die  durch  die  Ohrtrompete  in  den  Pharynx  mün- 
dende Trommelhöhle  nach  aussen  abschliesst.  Nur  die  Schlangen  ähn- 
lichen Amphisbaenen  machen  hier  eine  Ausnahme,  indem  Augenlider, 
Trommelfell  und  Trommelhöhle  fehlen ;  Verwachsung  der  Augenlider 
nach  Art  der  Schlangen  findet  sich  bei  den  Ascaloboten. 

L  Unterordnung.  Orassilingiticn.  Die  Zunge  ist  fleischig,  am  vorderen 
Ende  abgerundet  und  so  kurz,  dass  sie  aus  der  Mundöffnung  nicht  heraus- 
gestreckt werden  kann.  Je  nachdem  die  Zähne  auf  der  Schneide  der 
Kiefer  oder  auf  der  Innenseite  derselben  angewachsen  sind,  unterscheidet 
man  acrodonte  und  pleunAonte  Arten,  von  denen  die  ersteren  auf  die  alte 
Welt,  die  letzteren  auf  Amerika  beschränkt  sind.  Pleurodont  sind  die  aben- 
teuerlich mit  Halssäcken  und  Rückenkämmen  ausgezeichneten  Iguaniden: 
liasiliscus  americanus  Laur. ;  acrodont  die  Agamiden:  Draco  volans  L.,  ein 
kleiner  Saurier  mit  seitlichen,  von  beweglichen  Rippen  gestützten  Haut- 
falten,   welche   gewöhnlich   zusammengeklappt  sind,  durch  Spreizen  der 


Fig.  iVJO.  Schädel  von  Amrira  vulgaris. 
]>r  l'rämaxillare.  nn  Natale, pf  Priifrontale, 
fr  Frontale,  Port  frontale  darüber  und 
darunter  da«  Parietale),  sq  Sqiuunosum, 
</jOuadrntojugnle,  7  Quadrat  um,  /*/  Piery- 
goid.  fO  Coluinella  .  Tran<ver*um  ,  j 
Jugale-,  In  Lnerymule,  tu  Maxillare .  nr 
Artieulare ,  an  Angulnie .  il  Dentale ,  er 
( 'oronohleiim. 


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V.  Reptilien:  Saurier,  Schlangen.  529 

• 

Hippen  aber  zn  einem  Fallschirm  ausgebreitet  werden  können.  Die  zum 
Theil  auch  in  Südeuropa  einheimischen  Geckotiden  (Ascalaboten)  haben 
amphicoele  Wirbel,  ferner  an  den  Zehen  rauhe  Haftlappen,  die  es  den 
Thieren  ermöglichen,  an  senkrechten  Wänden  und  an  der  Unterseite  von 
Decken  gewandt  zu  laufen.    Ascalabotes  fascieuiaris  Daud. 

IL  Unterordnung.  Brevilinguien.  Die  kurze  Zunge  ist  am  Ende  ein- 
gekerbt, wodurch  die  bei  den  Fissilinguien  herrschende  Zweitheilung  vor- 
bereitet wird.  Die  Extremitäten  sind  vielfach  unvollkommen  entwickelt 
oder  ganz  rückgebildet.  Der  bekannteste  Vertreter  ist  die  lebendig  ge- 
bärende Blindschleiche,  Anguis  fragilis  L.,  ein  sich  von  Insecten  nährendes 
hannloses  Thier;  nahe  verwandt  ist  der  durch  besonders  grosse  Knocben- 
schuppen  ausgezeichnete  Scheltopusik,  Pseudopus  Pallasi  Cuv. 

III.  Unterordnung.  Fissilinguien,  Die  sehr  dünne,  lange  und  ausser- 
ordentlich bewegliche  Zunge  ist  am  freien  Ende  in  zwei  feine  Spitzen  ge- 
spalten und  kann  durch  eine  Kerbe  des  Oberkiefers  hervorgeschnellt  und 
ebenso  rasch  in  eine  Scheide  zurückgezogen  werden.  —  Amerikanisch  sind 
die  meist  grossen  Ameividen:  Ameiia  vulgaris  Lcht  (Fig.  520);  Bewohner  der 
alten  Welt  sind  die  Laccrtidcn  (die  in  Deutschland  einheimischen  Eidechsen 
Lacerta  agilis  L.  und  L.  vivipara  L.  [lebendig  gebärend!],  die  am  Süd- 
abhang der  Alpen  häufige,  viel  grössere,  smaragdgrüne  L.  viridis  L.)  und 
die  Varaniden  { Varanus  [Monitor]  niloticus  D.,  der  grösste  lebende,  sich  mit 
Vorliebe  von  Crocodileiern  ernährende  Saurier). 

IV.  Unterordnung.  Vcrmilmguicn.  Die  Clurmaeleonliden,  die  einzige 
Familie  der  Gruppe,  haben  eine  lange,  fleischige  Zunge,  welche  am  Boden 
der  Mundhöhle  zusammengerollt  liegt,  zeitweilig  aber  bervorgeschleudert 
wird,  um  mit  dem  äussersten,  verbreiterten,  schleimbedeckten  Ende  Insecten 
zu  fangen.  Weitere  Merkmale  sind  das  irisartig  funetionirende,  ringförmige 
Augenlid,  die  Kletterfüsse ,  an  denen  2  Zehen  rückwärts,  3  nach  vor- 
wärts gedreht  werden  können,  der  Mangel  der  Saurier-Columella,  der 
Clavicula,  des  Episternum,  des  Tympanum.  Am  bekanntesten  sind  aber 
die  Chamäleons  wegen  des  lebhaften  Spieles  ihrer  Chromatophoren,  deren 
wechselnde  Contractionszustände  den  sprichwörtlich  gewordenen  Farben- 
wechsel verursachen.  Chamaekon  vulgaris  Daud.  in  Südspanien  und 
Nordafrika. 

V.  Unterordnung.  Annulaten.  Die  Ringelechsen  oder  Amphisbaenidcn 
nähern  sich  durch  den  Mangel  beweglicher  Augenlider,  des  Trommelfells 
und  der  Extremitäten  (Sternum  und  Becken  bleiben  erhalten)  den  Schlangen; 
sie  sind  leicht  zu  erkennen  an  der  durch  Längs-  und  Querfurchen  in  oblonge 
Schilder  abgetheilten  Hornschicht  der  Haut.  Da  sie  vergraben  im  Boden, 
namentlich  in  Ameisenhaufen  leben,  sind  ihre  Augen  rudimentär.  Amphis- 
baena  cinerea  WagL  Südeuropa. 

II.  Ordnung.    Ophidier,  Schlangen. 

Die  Schlangen  unterscheiden  sich  von  der  Mehrzahl  der  Saurier 
durch  den  Mangel  der  Extremitäten  und  die  damit  zusammenhängende 
gleichförmige  Beschaffenheit  der  langgestreckten  Wirbelsäule,  an 
welcher  man  nur  noch  Rumpf-  und  Schwanzwirbel  auseinanderhalten 
kann.  Den  Schwanzwirbeln  fehlen  die  Rippen,  dagegen  sind  die  Rippen 
der  Ruinpfwirbel  sehr  lang  und  beweglich  und  dienen  zur  Fortbe- 
wegung, indem  sie  den  Körper  auf  ihren  distalen,  durch  ein  Ligament 
verbundenen  Enden  balanciren.  Da  es  nun  Saurier  ohne  Gliedmaassen 
giebt,  so  ist  weiter  zu  beachten,  dass  bei  den  Schlangen  auch  Extrc- 

H«rtwl£,  Uhrblich  der  Zwlotfe.   3.  Auflage.  34 


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530  Wirbel  thiere. 

mitätengürtel :  Scapula,  Ileum  und  namentlich  Sternum,  verloren 
gegangen  sind;  nur  die  Riesenschlangen  haben  noch  Reste  des  Beckens, 
welche  sich  aber  an  der  Wirbelsäule  nicht  mehr  befestigen. 

Zur  weiteren  Unterscheidung  fussloser  Saurier  und  echter  Schlangen 
kann  die  Beschaffenheit  der  Sinnesorgane  und  der  Kiefer  benutzt 
werden.  Von  den  Hilfsapparaten  des  Gehörs  ist  die  Columella  zwar 
vorhanden,  dagegen  fehlen  Trommelfell.  Paukenhöhle  und  Ohrtrompete. 
Auch  die  Augenlider  scheinen  zu  fehlen  ;  eine  genauere  Untersuchung 
lehrt  jedoch,  dass  sie  vor  der  Cornea,  von  ihr  durch  den  Thränen- 
sack  getrennt,  zu  einer  uhrglasartigen,  durchsichtigen  Membran  ver- 
wachsen sind,  welche  dem  Auge  der  Schlangen  den  starren,  gläsernen 
Blick  verleiht. 

Der  Kieferapparat  (Fig.  510,  521)  zeichnet  sich  durch 
seine  enorme  Dehnbarkeit  aus,  welche  es  den  Schlangen  ge- 
stattet, ganze  Thiere,  die  einen  grösseren  Durchmesser  haben  als  sie 
selbst,  zu  verschlucken,  nachdem  sie  dieselben  —  Riesenschlangen, 
z.  B.  kleine  Wiederkäuer,  wie  junge  Rehe      umringelt  und  zermalmt 

haben.  Die  Dehnbarkeit 
hat  zum  Theil  ihre  Ur- 
sache darin ,  dass  die 
Unterkiefer  in  der  Sym- 
physe nur  durch  ela- 
stische Bänder verbunden 
und  dass  die  Kiefer-  und 

Gaumenknochen  (mit 
Ausnahme  des  kleinen 

Zwischenkiefers)  am 
Schädel  beweglich  an- 
gebracht sind.  Ferner 
sind  fast  alle  in  Betracht 
kommenden  Knochen, 
dieSquamosa  (Sq),  Qua- 
drata($)  und  Transversa 
(7V),  lang  gestreckt  und 
schlank.  Ganz  besonders 
aber  wird  die  freie  Be- 
weglichkeit des  Kieferapparats  gewährleistet  für  den  Oberkiefer  durch 
den  gänzlichen  Mangel  des  Jochbogens,  für  den  Unterkiefer  dadurch, 
dass  sein  Träger,  das  Quadratum,  durch  Einschalten  des  Squamosum 
vom  Schädel  weit  abgerückt  ist.  Um  den  Bissen  durch  die  Mund- 
spalte in  den  Schlund  und  die  Speiseröhre  hinunterzuschieben,  sind 
die  Knochen  der  Gaumenreihe  mit  hakenförmigen,  sich  in  das  Opfer 
einschlagenden  Zähnen  bewaffnet  Eine  weite  Ausdehnung  des  Darms 
endlich  wird  ermöglicht  durch  die  Nachgiebigkeit  seiner  Wand  und 
die  grosse  Beweglichkeit  der  ventral  durch  kein  Sternum  zusammen- 
gehaltenen Rippen. 

Die  Bczahnung  ist  bei  den  nicht  giftigen  Schlangen  eine  gleich- 
förmige auf  Kiemen-  und  Gaumenknochen  (Fig.  5  Hl) ;  Vomer  und  meist 
auch  Prämaxillare  sind  von  der  Bezahnung  ausgeschlossen.  Bei  den 
giftigen  Arten  (Fig.  521)  dagegen  treten  im  Oberkiefer  die  Giftzähne 
auf,  die  sich  von  den  übrigen  Zähnen  durch  ihre  besondere  Grösse 
und  ihre  Verbindung  mit  einer  umfangreichen  Giftdrüse  unterscheiden. 
Der  Ausführgang  der  Drüse  mündet  an  der  Basis  des  Zahns;  das  Gift, 


Fig.  521.  Schädel  der  Grubenottcr  (aus  Iloas). 
Ps  Praemaxillare ,  .V  Nasale,  Prf  Prnofrontale .  Fr 
Frontair,  Pf  Post  frontale ,  Pn  Parietale.  >V/  S<iua- 
tnoHUii)  .  Os  Oreipitale  superius  .  <J  Quadratum  ,  // 
Hyomandibulare(Columellai,  Pf  l'tervgoid,  '/>•  Trans- 
versuin,  Pal  Palatinuiu ,  Ms  Maxiiiare  ,  /  Dentale, 
.i  Artieulare. 


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V.  Reptilien:  Ophidier. 


531 


Fig.  522.  Giftzähne.  .1  Furchen- 
znhn  einer  Brillenschlange.  R  Röhren- 
zalin  einer  Klapperschlange,  Ax  Ii1  die 
zugehörigen  Querschnitte,  g  Giftcanal, 
p  Pulpahöhle  (nach  Boas). 


welches  aus  ihm  beim  Biss  in  Folge  des  durch  die  Kaumuskeln  auf 
die  Drüse  ausgeübten  Drucks  hervorquillt,  wird  auf  der  vorderen  Seite 
des  Zahns  entweder  durch  eine  Rinne  (Furchenzähne)  bis  zur  Spitze 
fortgeleitet  (Fig.  522.4.)  oder,  wenn 
die  Ränder  der  Rinne  mit  einander 
verwachsen  (Fig.  522  B),  durch  einen 
an  Basis  und  Spitze  geöffneten  Canal 
(Ttöhrenzähne).  Bei  Schlangen  mit 
Furchenzähnen  finden  sich  vor  oder 
hinter  denselben  noch  gewöhnliche 
Zähne ;  hat  sich  der  Giftzahn  dagegen 
zum  Röhrenzahn  vervollkommnet,  so 
ist  er  der  einzige  functionirende  Zahn 
des  kleinen,  ihm  als  Sockel  dienenden 
Oberkiefers  (Fig.  521),  während  eine 
Reihe  an  Grösse  abnehmender  Zähne, 
welche  meist  hinter  ihm  stehen,  nur 
zum  Ersatz  bestimmt  ist. 

Aus  der  inneren  Anatomie  der 
Schlangen  ist  hervorzuheben ,  dass  die 
linke  Lunge  rudimentär,  die  rechte  ein  langgestreckter  Sack  ist.  Eine 
Harnblase  fehlt;  die  Excrete,  vorwiegend  Harnsäure,  gelangen  als  feste 
Massen  in  die  Cloake  und  bilden  einen  Hauptbestandteil  der  Scblangen- 
exeremente,  da  bei  der  ausserordentlichen  verdauenden  Kraft  des  Schlangen- 
magens nur  spärliche  Fäcalien  entleert  werden. 

I.  Unterordnung.  Angiostornen.  Bei  einer  Reihe  kleiner,  in  der  Erde 
wühlender,  blinder  Schlangen,  Typhlopiden,  ist  die  Dehnbarkeit  der  Mund- 
spalte noch  nicht  vorhanden,  da  die  Thiere  von  kleinen  Insecten  leben; 
Transversum  fehlt,  Reste  vom  Becken  sind  vorhanden.  Typhlops  ■vermicularis  L. 

IL  Unterordnung.  Innocuen  {Colubriformien).  Die  Mundspalte  ist  er- 
weiterbar, der  Biss  aber  noch  nicht  giftig,  da  Giftzähne  ganz  fehlen 
(Aylyphodontcn)  oder  einige  nicht  giftige  Furchenzähno  am  hintersten  Ende 
des  Oberkiefers  (Opisthoglyphen)  stehen.  Die  Thiere  sind  daher  dem  Men- 
schen meist  nicht  gefährlich  wie  die  Colubriden,  Nattern:  Tropidonotus  tiairix 
Boie,  Ringelnatter,  Coronclla  austriaca  Laur.  glatte  Natter:  Colttber  Aescu- 
lapii  Sturm,  oder  die  Dcndrophidcn,  die  schlanken  tropischen  Baumschlangen: 
Dcmlrophis  picta  Schleg.  Eine  Ausnahme  machen  die  durch 
Stummelreste  hinterer  Extremitäten  ausgezeichneten  Riesen- 
schlangen oder  Pyihonidcn,  die  durch  ihre  enorme  Muskel- 
kraft andere  Thiere  erwürgen.  Python  reliculatus  Gray, 
6—9  Meter  lang,  Boa  constrictor  L.,  6  Meter  lang. 

III.  Unterordnung.  Proteroglyphen.  Der  Biss  ist  giftig, 
da  Furchenzähne  vorhanden  sind,  welche  im  vordereu  Ab- 
schnitt des  Oberkiefers  an  der  Mündung  der  Giftdrüse 
stehen.  Zu  don  landbewohnenden  Elapiden  gehören  Naja 
haje  Merr.,  die  Cleopatraschlange,  und  N.  tripiidians  Merr., 
Brillenschlange  mit  einer  Zeichnung  von  der  Form  eines 
Pince-nez's  auf  dem  Nacken ;  ferner  die  grösste  Giftschlange 
(4  m)  Ophiophagus  elaps.  Ausschliessliche  Wasserbewohner 
mit  ruderartig  abgeplattetem  Schwanz  sind  die  Hydropkiden : 
Pelamys  bicoUrr  Daud.  v„5  _  - 

IV.  Unterordnung.  Solenoglyphen.  Die  giftigsten  far  Krmxotter 
Schlangen  haben  nur  einen  funetionirenden  Röhrenzahn    (n.  Blanehard). 

34* 


532 


Wirbeltkiere. 


jederseits  im  kleinen  Oberkiefer  (Fig.  521).  Viperiden,  Ottern:  Pelias  berus 
Merr.,  Kreuzotter  (Fig.  623).  Vipera  ammodytes  D.  B.  Sandviper.  Orota- 
liden,  Grubenottern:  Orotalus  dunxsus  Daud.  von  einer  Anzahl  raschelnder 
Hornanhänge  am  Schwänzende  Klapperschlange  genannt. 


II.  Unterclasse. 
Hydrosaurier. 

Die  mit  Vorliebe  das  Wasser  aufsuchenden  oder  ausschliesslich 
daselbst  lebenden  Crocodile  und  Schildkröten  werden  unter  dein  Namen 

„Hydrosaurier"  vereint,  weil  sie  in  vielen 
wichtigen  anatomischen  Merkmalen  überein- 
stimmen. Sie  besitzen  eine  längsovale 
Cloakenspalte,  an  deren  vorderem  Ende 
ein  unpaarer,  erectiler,  zur  Begattung  die- 
nender Höcker  liegt  Der  Hautpanzer 
ist  von  ganz  aussergewöhnlicher  Festigkeit 
und  sowohl  aus  Knochenplatten  wie  dicken 
Hornschildcrn  gebildet.  Auch  der  Schädel 
hat  einen  massiven  Charakter ,  da  die 
Knochen  zu  breiten  Lamellen  geworden 
und  fest  zusammengefügt  sind,  was  beson- 
ders für  das  vollkommen  unbewegliche 
Quadratbein  gilt  (Fig.  524).  Weitere  ge- 
meinsame Merkmale  des  Schädels  sind  end- 
lich der  Jochbogen  und  der  harte  Gau- 
men, letzterer  eine  knöcherne  Scheidewand, 
durch  welche  eine  die  Nasenhöhle  ver- 
grössernde  obere  Etage  von  der  primitiven 
Mundhöhle  abgetrennt  wird.  Die  Scheide- 
wand entsteht,  indem  die  Praemaxillaria 
und  Maxillaria  von  links  und  rechts  hori- 
zontale ,  in  der  Mittellinie  zusammen- 
stossende  Fortsätze  (Gaumenfortsätze)  aus- 
senden. Bei  den  Schildkröten  ist  zwischen 
die  Maxillaria  der  Vomcr  in  das  Gaumen- 
dach  eingefügt.  Bei  den  Crocodilen  wird 
die  Scheidewand  durch  Fortsätze  der  Pala- 
tina  und  Pterygoidea  nach  rückwärts  ver- 
längert, so  dass  die  Choanen  weit  hinten 
an  der  Schädelbasis  münden. 

Iii.  Ordnung.    Chelonier,  Schildkröten. 

Die  Schildkröten  bilden  eine  schon  durch  ihre  äussere  Erscheinuni: 
scharf  umschriebene  Gruppe,  da  ihr  auffallend  gedrungener  Körper  in 
eine  feste  Skeletkapsel  (Fig.  525,  52G)  eingeschlossen  ist,  aus  welcher 
nur  der  Kopf,  der  Schwanz  und  die  vier  Beine  hervorschauen. 
Die  Kapsel  besteht  aus  einer  dorsalen,  stark  gewölbten  und  einer 
flacheren,  ventralen  Platte,  die  meist  seitlich  fest  verbunden  sind  und 
Carapax  (.4)  und  Plastron  (B)  heissen.    Die  Grundlage  beider 


f'orr 


Fig. -V.M.  SchürlrIHn.-s  Croro- 
dils  von  unten  gesehen.  Pmx 
Praernaxillare ,  .V  Maxillare. 
PI  l'alatinnm,  Ts  Trnnsversum, 
Pt  Pterygoid,  Jg  Jugale,  Qj 
Quadrat«»- jugale,  Qu  Quadra- 
tiun,  Ob  Baooccipitale ,  Cocc 
( kmdylua  ocripitalis,  Orb  Orbita, 
Ch  Choane  (aus  Wiedershcim). 


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V.  Reptilien.    Hydrosaurier :  Chelonier. 


533 


Fig 


i.    Carapax  iA )  und  l'Iastmn  | B)  von  Icstitdo 
S  NVuralplatten,  C  Costalplatten,  .V  Mar- 
giualplatten,  Sp  Nuchalplatte,  I'y  Pvgalplatten ,  Ep 
Einplant ron  ,  A'  Entoj>la»tron ,   lUj  lfvi>pta>tron ,  llp 
Hypoplastron.     A7  Xiphoplastron ,  Ii  Kipjiciiangätze, 
V  Vom,  //  hinten  laus  Wiederaheim). 


Platten  sind  Knochentafeln,  die  in  Längsreihen  hinter  einander  stehen. 
Am  Carapax  unterscheidet  man  5  Längsreihen,  die  medianen  unpaaren 
Neuralplatten(iV),  so  ge- 
nannt,  weil  mit  ihnen      A  ^ 
die   Dornfortsätze  ver- 
bunden sind,  links  und 
rechts  die  mit  den  Rip- 
pen verschmolzenen 
Costalplatten    (C),  zu 
äusserst   die  Marginal- 
platten  {M ).  Am  Plastron 
sind  nur  2  Knochenreihen 
vorhanden,  die  gewöhn- 
lich  mit    dem  inneren 
Skelet   in   keinem  Zu- 
sammenhang stehen,  da 
ein  Sternum  fehlt,  die 
Extremitätengürtel  aber 
nur    selten     mit  dem 

Plastron  verwachsen. 
Ueberzogen  werden  die 

Knochenreihen  von 
Längsreihen  von  H or li- 
sch ildern,  deren  Zahl  und  Anordnung  im  Allgemeinen  mit  der 
Zahl  und  Anordnung  der  Knochentafeln  übereinstimmt,  ohne  dass 
jedoch  die  Grenzconturen  beider  zusammenfielen.  Am  knöchernen 
Panzer  gewahrt  man  vielmehr  zweierlei  Linien,  die  Nahtlinien  der 
Knochentafcln  und  dieselben  schneidend  andere  Linien,  welche  durch 
den  Abdruck  der  Contouren  der  Hornplatten,  „des  Schildpatts",  her- 
vorgerufen sind.  —  Nächst  der  Panzerung  ist  für  die  Schildkröten  am 
charakteristischsten  die  Rückbildung  der  Zähne;  wie  bei  den  Vögeln 
sind  Oberkiefer  und  Unterkiefer  von  scharfen  Hornscheiden  um- 
schlossen, welche  bei  manchen  Formen  selbst  grösseren  Wirbelthieren 
gefährlich  werden  können. 

Nach  der  Beschaffenheit  des  Hautpanzers  und  der  Beine  stehen 
sich  zwei  Extreme  gegenüber,  Land-  und  Seeschildkröten;  erstere  haben 
plumpe  Füsse  mit  vorn  5,  hinten  4  Krallen  tragenden  Zoben,  letztere  haben 
Ruderplatten ,  an  denen  meist  die  Krallen  fehlen ;  erstere  zeigen  Cara- 
pax und  Plastron  zu  einer  hochgowölbten  Kapsel  vereint,  in  welche 
Kopf,  Schwanz  und  Beine 
zurückgezogen  werden 
können;  bei  letzteren  sind 
Carapax  und  Plastron  ge- 
trennt, flach  gewölbt  und 
unzureichend,  um  Kopf 
und  Beine  zu  bergen. 
Zwischen  beiden  Extre- 
men vermitteln  die  Sumpf- 
schildkröten. Die  Fluss- 
schildkröten endlich  schei- 
nen sehr  primitive  Formen  zu  sein. 

I.  Unterordnung.    Pntntnitcn  od«-r  Tnuni/ciden.    Die  Flussschildkröten 
haben  noch  keine  Hornscheiden  an  den  Kiefern  und  anstatt  des  Schildpatts 


Fig.  f>2<i.    Chelonc  imhrfcnln  (aus  Hayok). 


534 


Wirbelthiere. 


einen  lederartigen  Ueberzug  des  Carapax.  Ihre  Füsse  sind  Ruderplatten 
mit  nur  3  Krallen.    Trionyx  ferox  Schweigg. 

II.  Unterordnung.  Thalassüen ,  Seeschildkröten.  Knochenkapsel  un- 
vollkommen, zu  flach,  um  Kopf,  Schwanz  und  Beine  zu  bergen;  Extremi- 
täten sind  Ruderplatten  meist  ganz  ohne  Krallen.  Chelone  imbricata  D.  B. 
liefert  allein  das  technisch  verwerthbare  Schildpatt  (Fig.  526).  Ch.  escu- 
lenta  Merr.  wegen  der  wohlschmeckenden  Eier  und  des  Fleisches  ge- 
schätzt. 

III.  Ordnung.  Emydcn,  Sumpfschildkröten.  Zehen  durch  Schwimm- 
häute verbunden,  Knochen-  und  Schildpattkapsel  flach  gewölbt.  Emys 
lutaria  (ettmjMiea)  Bp.  in  Deutschland. 

IV.  Ordnung.  Cliersiten,  Landschildkröten  mit  plumpen  Füssen,  die 
sammt  Kopf  und  Schwanz  vollkommen  in  den  hochgewölbten  Panzer  zurück- 
gezogen werden  können.    Testudo  graeca  L.;  T.  elephantina  D.  B.,  1  m. 

IV.  Ordnung.  Crooodilier. 

Die  Crocodilier  stehen  vermöge  ihres  langgestreckten  Körpers  zu 
den  gedrungenen  Schildkröten  in  einein  ausgesprochenen  Gegensatz. 
Ihre  Haut  ist  ebenfalls  stellenweise  von  Knochentafeln  fest  gepanzert, 
welche  aber  nicht  untereinander  verschmelzen  und  von  Hornschildern, 
die  ihnen  in  der  Abgrenzung  entsprechen,  überzogen  werden.  Ein 
mit  Rippen  verbundenes  Sternum  ist  vorhanden;  an  dasselbe  schliesst 
sich  nach  rückwärts  ein  mit  Abdominalrippen  verbundenes  Abdominal- 
sternum  an.  Die  zu  einer  langen  Schnauze  ausgezogenen  Kiefer  tragen 
zahlreiche  kegelförmige  Zähne,  welche  im  Gegensatz  zu  den  übrigen 
Reptilien  den  Knochen  nicht  aufgewachsen,  sondern  in  besonderen 
Alveolen  eingekeilt  sind.  —  Ueber  die  Beschaffenheit  des  Gaumens 
(Fig.  524)  und  des  Herzens  (Fig.  518)  wurde  schon  oben  das  Nöthige 
gesagt  — 

Die  Crocodile  bewegen  sich  langsam  auf  dem  Land,  sind  dagegen 
vermöge  ihrer  durch  Schwimmhäute  verbundenen  Hinterzehen  und  eines 
kräftigen  Ruderschwauzes  vortreffliche  Schwimmer.  Die  drei  recenten  Fa- 
milien Orocodihden  (Orocodilm  rulyaris  Cuv.),  AUigatoridcn  {Alligator  lucius 
Cuv.)  und  Oarialülcn  (Garialis  gangetieus  Geoflfr.)  bilden  nur  ein  Ueberbleibsel 
einer  in  früheren  Perioden  der  Erdgeschichte  formenreichen  Gruppe. 


Anhang. 

Eine  wesentliche  Bereicherung  hat  die  Kenntniss  der  Reptilien  durch 
paläontologische  Funde  erfahren,  welche  uns  zum  Theil  mit  ganz  neuen, 
nicht  mehr  existirenden  Ordnungen,  zum  Theil  mit  Bindegliedern  zwischen 
den  recenten  Ordnungen  bekannt  gemacht  haben.  Den  gemeinsamen  Aus- 
gangsformen der  Reptilien  stehen  die  zum  Theil  noch  paläozoischen,  vor- 
wiegend aber  mesozoischen  RhynehocAiphalidm  nahe,  von  denen  eine  Art, 
die  neuseeländische,  eidechseuartige  llattcria  punctata  Gray  —  ausgezeichnet 
durch  Eidechsengestalt^  amphicoele  Wirbel,  Crocodil-ähnliches  Bauchsternum 
und  unbewegliches  Quadratum  —  sich  bis  in  die  Neuzeit  erhalten  hat. 
Mittelformen  zwischen  Sfturkrn  und  Ophidiem  sollen  die  auf  die  Kreide 
beschränkten  Pythonovwrjßhcn  sein.  Den  Sauriern  schliessen  sich  ferner 
noch  an  die  in  Jura  und  Kreide  häufigen  Pterosaurier  oder  Flugsaurier 
(Pterodactyhts  eleyam  A.  Wagn.).  welche  an  die  Vögel  durch  ihr  Flugvermögen, 


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VI.  Vögel.  535 

die  pneumatische  Beschaffenheit  der  Knochen  und  die  Gestalt  ihres 
Schädels  erinnerten,*  sich  aber  von  ihnen  dadurch  wesentlich  unterschieden, 
dass  sie  keine  Federn  hatten  und  nach  Art  der  Fledermäuse  mit  einer 
Flughaut  flogen,  welche  sich  zwischen  dem  Rumpf  und  den  vorderen  und 
hinteren  Extremitäten  ausdehnte  und  durch  den  enorm  langen,  äussersten 
Finger  der  Hand  gespannt  wurde. 

Durch  schnauzenartig  ausgezogene  Kiefer,  in  denen  die  Zähne  in  Al- 
veolen oder  Rinnen  eingekeilt  waren,  feste  Verbindung  des  Quadratbeins 
mit  dem  Schädel,  massiven  Charakter  der  Schädelknochen  erinnerten  die 
häufig  riesigen  PUsiosaurier  und  Ichthyosaurier  an  die  Crocodile;  beide  in 
Trias,  Lias  und  Jura  besonders  ausgebildeten  Gruppen  bestanden  aus 
räuberischen  Meeresbewohnern  mit  flossenartig  gestalteten  Extremitäten ; 
die  PUsiosaurier  waren  schlank  mit  langer  Halswirbelsäule,  die  Ichthyo- 
saurier von  gedrungener  Körperform.  (PUsiosaurus  macroeephalus  0\v\, 
Ichthyosaurus  communis  Conyb.)  Einen  besonders  massiven  Charakter  end- 
lich erreichte  das  Reptilienskelet  bei  den  theils  paläozoischen,  theils  meso- 
zoischen Theromorphen  und  den  ausschliesslich  mesozoischen  Dinosauriern. 
In  beiden  Gruppen  war  die  Zahl  der  Sacralwirbel  gewöhnlich  auf  3 — 6 
vermehrt.  Die  Dinosaurier  waren  die  riesigsten  Landthiere,  welche  je 
gelebt  haben;  manche  von  ihnen  waren  12— 30  m  lang  und  4— 6  m  hoch 
(Bronlosaurus  eorcelsus  Marsh,  Triceratops  flabeUatus  Marsh,  Iguanodon  Ber- 
nissartensis  Boul.);  gewisse  Dinosaurier  {Titeropoden,  Ornititopoden)  gelten 
vielfach  für  Vorläufer  der  Vögel  nicht  nur  wegen  der  Pneumaticität  der 
Knochen,  sondern  auch  wegen  des  nach  rückwärts  gerichteten,  dem  Os 
ischii  parallelen  0.  pubis  und  der  beginnenden  Verschmelzung  der  Tarsali a 
mit  der  Tibia  und  den  Motatarsen  (Intertarsalgelenk  von  Cotnpsoynathus 
longipes  A.  Wagn.). 

VI.  Classe. 
Atcs,  Vögel. 

Die  Vögel  stehen  den  Reptilien  besonders  im  Bau  ihres  Skelets 
so  nahe  und  sind  mit  ihnen  durch  so  manche  ausgestorbene  Zwischen- 
formen verbunden,  dass  von  vielen  Seiten  eine  Vereinigung  beider 
Classen  unter  dem  Namen  „Sauropsidcn"  befürwortet  worden  ist  Bei 
aller  Anerkennung  dieser  nahen  Verwandtschaft  müssen  wir  jedoch 
daran  festhalten,  dass  die  Classe  vermöge  der  eigenthümlichen  Aus- 
bildung ihrer  Flugorgane  und  der  Befiederung  der  Haut  einen  scharf 
umschriebenen,  einheitlichen  Charakter  gewonnen  hat,  welcher  eine  ge- 
sonderte Behandlung  nöthig  macht 

Die  Haut  der  Vögel  ist  an  manchen  Stellen,  wie  z.  B.  am  i»t*»»i. 
unteren  Abschnitt  der  hinteren  Extremitäten,  noch  nach  Art  der  Rep- 
tilien mit  Hornschuppen  und  Schildern,  an  den  Spitzen  der  Zehen 
auch  mit  Krallen  bewehrt ;  an  den  meisten  Stellen  der  Körperoberfläche 
ist  sie  aber  zart  und  dünn,  da  die  Lederhaut  und  das  Stratum  corneum 
schwach  entwickelt  sind.  Periodische  Häutungen  finden  nicht  mehr 
statt  weil  der  Mangel  des  festen  Zellenhäutchens,  der  Pseudocuticula, 
eine  allmählige  Abschilferung  der  oberflächlichsten  Hornzellen  ge- 
stattet. Diese  Beschaffenheit  der  Haut  steht  in  Zusammenhang  mit 
dem  Auftreten  des  schützenden  Federkleids. 

Die  Vogelfeder  ist  wie  das  Haar  der  Säugethiere  ein  aus-  Federn, 
schliessliches  Horngebilde,  nur  von  viel  complicirterem  Bau.  Die  Horn- 


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53(5 


Wirbelthiere. 


Substanz  bildet  eine;  feste  Axe,  den  Federkiel  oder  Scapus,  von 
welchem  links  und  rechts  seitliche  Fortsätze,  die  Aeste  oder  Rami, 
ausgehen.  Der  Federkiel  ist  solid,  soweit  er  die  Aeste  tragt  (Rh ach i s 
oder  Schaft),  am  unteren  Abschnitt  dagegen  ist  er  hohl  (Calamus 
oder  Spule).  Der  Calamus  ist  tief  in  die  Lederhaut  eingelassen,  in 
den  Federbalg,  und  mit  Muskelchen  versehen,  die  die  Bewegungen  der 
Feder  (Sträuben  des  Gefieders,  Ausbreiten  der  Schwung-  und  Steuer- 
federn an  Flügel  und  Schwanz)  veranlassen.  Sein  Hohlraum  ist  bei 
vielen  ausgebildeten  Federn  bis  auf  trockene  Gewebsüberreste  (die 
„Federseele")  leer;  bei  jungen  noch  wachsenden  Federn  ist  er  ausge- 
füllt von  einem  blutgefässreichen  Bindegewebe,  der  Federpapille, 
welche  zum  Zwecke  der  Ernährung  von  der  Lederhaut  aus  in  das 
basale  Ende  des  Scapus  eindringt.  Man  kann  daher  die  Feder  auf- 
fassen als  einen  eomplicirt  gebauten,  langen  Hornauswuchs  der  Haut, 
welcher  auf  einer  Papille  der  Lederhaut  sich  entwickelt  hat  und  von 
der  Oberfläche  aus  eine  Strecke  weit  in  die  Lederhaut  eingesenkt 
worden  ist,  eine  Auffassung,  die  vollkommen  der  Entwicklung  der 
Federn  entspricht  und  die  Gleichartigkeit  derselben  mit  den  Schuppen 
und  den  später  zu  besprechenden  Haaren  darthut.  —  Bei  manchen 
Vögeln  (Casuar)  kommen  aus  demselben  Federbalg  zwei  gleich  gut 
entwickelte  Federn.  Rückbildung  der  einen  macht  es  verständlich,  dass 
bei  vielen  Vögeln  das  Rudiment  einer  zweiten  Feder,  der  Afterschaft 
oder  die  Hyporhachis,  der  Federaxe  von  unten  angefügt  ist. 

Bei  den  Conto urfedern  (Pennac)  schliessen  die  Aeste  (Rami) 
grösstenteils  zur  Federfahne  (Vexillum)  dicht  zusammen;  sie  liegen 
links  und  rechts  vom  Schaft  einander  genau  parallel  und  wiederholen 
—  ein  jeder  einzelne  für  sich  —  im  Kleinen  das  Bild,  welches  die  ge- 
sammte  Feder  im  Grossen  ergiebt  ;  wie  diese  mit  den  Aesten,  sind  die 
Aeste  in  fiederiger  Anordnung  links  und  rechts  mit  den  Radien  aus- 
gerüstet. Die  Radien  bedingen  den  festen  Zusammenschluss  des  Vexil- 
lum, da  bei  der  grossen  Nähe  benachbarter  Aeste  die  zugewandten 
Radien  sich  in  ihrem  Verlauf  kreuzen  und  decken;  dabei  greifen 
die  hinteren  mit  gebogenen  Zähnchen  (Radioli)  oder  Häkchen  von 
oben  zwischen  die  vorderen  ein.  —  Von  den  Contourfedern  unter- 
scheiden sich  die  Dunen  (Plumae)  durch  den  Mangel  der  Radioli  und 
die  lockere  Anordnung  der  Aeste.  —  Da  die  Federn  aus  Hornsubstanz 
bestehen,  deren  Zellen  fest  zusammenhalten  und  sich  nur  bei  den  Puder- 
dunen  allmählig  abschilfern,  unterliegen  sie  denselben  Bedingungen 
wie  das  Schuppenkleid  der  Lepidosaurier ;  alljährlich  müssen  die  Federn 
abgeworfen  und  durch  neu  entstehende  ersetzt  werden  (Mauser). 

Junge  Vögel  oder  Vogelembryonen  besitzen  zunächst  nur  Dunen  ;  erst 
später  entstehen  die  Contourfedern  in  regelmässiger  Anordnung  in  den 
Federfluren  oder  Pterylen,  zwischen  denen  die  Raine  oder  Ap- 
terien  übrig  bleiben,  in  welchen  keine  Contourfedern  auftreten  (Fig.  527). 
Die  meisten  Contourfedern  bilden,  indem  sie  sich  dachziegelartig  über  ein- 
ander legen,  die  feste  Decke  des  Gefieders,  unter  welcher  die  Dunen  als 
ein  wärmendes  Futter  liegen  (Fig.  528).  Ausser  diesen  Deckfedern  oder 
Tectricos  (DD)  unterscheidet  man  noch  die  grossen  zum  Flug  dienenden 
Contourfedern  des  Flügels,  die  R,  einiges  oder  Schwungfedern,  und  die 
den  Flug  steuernden  Schwanzfedern,  Rectrices  oder  Steuerfedern  (Sz). 
Die  grossen  Schwungfedern  bilden  die  Grundlage  des  Flügels  und  ent- 
springen von  dem  der  Hand  correspoudirenden  Abschnitt  der  vorderen  Ex- 


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VI.  Vögel. 


537 


tremität  (Carpus,  Metacarpus,  Phalangen)  —  Handschwingen  (HS)  —  und 
vom  Unterarm  —  Armschwingen  {Ab).  —  Sie  sind  an  ihrer  Basis  von 
Deckfedern  {D  D'  D  ')  und  den  vom  Oberarm  entspringenden  Contourfedern, 
dem  Parapterum  oder  Schulterfittig  (SF)  zugedeckt.  Ein  kleiner  Schopf 
von  Federn,  welcher  am  ersten  Finger  ansitzt,  bleibt  von  den  Hand- 
schwingen getrennt  als  Eckflügel  (EF)  oder  Alula.  Alle  Federn  erhalten 
besonders  bei  Wasservögeln  eine  grosse  Geschmeidigkeit,  indem  sie  mit 
dem  öligen  Seeret  einer  besonderen,  am  Grund  des  Schwanzes  über  dem 
Steissbein  liegenden  paarigen  Drüse,  der  B  ü r  z  el d  r  ü  s e,  eingeölt  werden. 


Fig.  527.    Federfluren  und  Raine  der  Taube  vom  Kücken  (aus  Leunis-Ludwig). 

Fig.  Ö2K.  Dos  Gefieder  von  Faha  laniarius  (aus  Sehumnla).  HS  Handschwingen, 
AS  Armschwingen,  FF  Eekflügel  (Alula),  SF  Schultorfittich  (Parapterum),  D&,tY\ 
Dockfedern,  Ä'i  Steuerfedern  (Rcetriees),  Bx  Bürzel,  L  Lauf,  Zh  Zehen,  N  Nacken, 
Br  Brust,  ßa  Bauch,  K  Kehle,  W  Wange,  II  Hinterhaupt,  Seh  Scheitel,  St  Stirn, 
WH  Wachshaut  mit  Nasenlöchern,  F  Fir*to  des  Oborsohnal>els,  Di  Dillenkanto  des 
Untcrschnabols. 

Indem  die  Federn  nicht  nur  Schutzorgane  sind,  sondern  auch  ge- 
wöhnlich den  Vogel  zu  andauerndem  Flug  befähigen,  vermitteln  sie 
eine  ganz  besondere  Lebensweise,  unter  deren  Einfluss  fast  sümmtliche 
übrigen  Organe  stehen.  Mit  dem  Flugvermögen  ist  die  Beschaffenheit 
des  Skelets,  der  Athmungsorgane,  ja  zum  Theil  selbst  der  Sinnesorgane 
und  des  Hirns  in  Zusammenhang  zu  bringen. 

Da  die  Federn  der  Flügel  ähnlich  den  Flossen  ein  einheitlich  Eitremttiua. 
wirkendes  Huder  darstellen,  vereinfacht  sich  das  Skelet  der  vorderen 
Extremität  (Fig.  529):  1)  durch  Rückbildung  der  Finger,  von  denen 
nur  drei  mit  äusserst  reducirter  Phalangenzahl  {p,  />',  p")  übrig  bleiben; 
2)  durch  Verschmelzung  der  zugehörigen  Metacarpen  (m)  unter  einander 
und  mit  den  anschliessenden  H.mdwurzelknochen.  Dagegen  wird,  um  die 
nöthige  Energie  der  Bewegungen  und  die  möglichst  vollkommene  Ueber- 


r 


Fig.  527. 


Fig.  .728. 


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538 


Wirbelthiere. 


tragung  derselben  auf  den  Körper  herbeizuführen,  die  Befestigung  an  die 
Skeletaxe  erhöht  durch  besondere  Ausbildung  aller  hierbei  in  Betracht 

kommenden  Theile. 
Im  Schultergürtel 
(Fig.  530)  sind  alle 
drei  Knochen  von 
grosser  Festigkeit, 
eine  säbelförmige 
Scapula  (s) ,  ein 
Storche»  (nach  Gcgcnbaor.   säulenförmiges  Co- 


Fit 


20. 


h  Humerus , 


Fliigolskf 
r  Radius, 


u  l'lna  ,  c  c'  Carpalia  der  ersten    raeoid  (c)  und  end- 
Keihe,  m  verschmolzene  Carpalia  der  zweiten  Reihe  und    \\nu  pjnn  plovi^ula 
Metac«p«,  p,  ,  f  Phalangen  ,1er  3  er»te„  Finger.  ^hT  gewöhnlSS 

mit  der  der  anderen 

Seite  am  sternalen  Ende  verschmilzt  und  den  für  die  meisten  Vögel 
so  charakteristischen  Gabelknochen,  die  F  u  r  c  u  1  a  (/),  liefert.  Clavicula 
und  Coracoid  verbinden  sich  mittelst  Bänder  oder  direct  mit  dem  breiten 
Sternum  (si),  dessen  Vorderfläche  sich  zu  einem  longitudinalen  Knochen- 
kamme ,  der  Carina  oder  Crista 
stern i  (ers),  erhebt,  um  den  Flug- 
muskeln ,  namentlich  dem  grossen 
Brustmuskel  möglichst  viel  Ursprungs- 
punkte zu  liefern.  Je  entwickelter  das 
Flugvermögen,  desto  ansehnlicher  ist 
daher  das  Sternum,  vor  Allem  die 
Crista  sterni.  Schliesslich  ist  der  die 
Verbindung  mit  der  Wirbelsäule  her- 
stellende Brustkorb  ebenfalls  von 
besonderer  Festigkeit.  Die  Brustrippen, 
welche  aus  2  Stücken,  einem  sternalen 
(os)  und  einem  vertebralen  (co),  be- 
stehen, stützen  sich  auf  einander,  in- 
dem die  vorderen  einen  vom  verte- 
bralen Stück  ausgehenden  Fortsatz, 
den  Processus  uncinatus  (u),  über  die 
hinteren  hinüber  schieben. 

Da  die  vorderen  Extremitäten 
nur  noch  zum  Fliegen  dienen,  fällt  das 
Tragen  der  Körperlast  beim  Gehen 
ausschliesslich  den  hinteren  Extremi- 
täten zu.  Dadurch  werden  abermals 
zwei  auffällige  Charaktere  des  Vogel- 
skelets  veranlasst,  die  breite  Ver- 
bindung des  Beckens  mit  der 
Wirbelsäule  und  die  Bildung 
des  Intertarsalgelenks.  Das 
Darmbein  (i/)  steht  bei  den  Embryonen 
der  Vögel  nur  mit  den  zwei  schon  bei 
den  Reptilien  vorhandenen  Sacral wir- 
beln in  Verbindung,  dehnt  sich  aber  später  nach  vorn  in  die  Lenden-,  selbst 
in  die  Brustregion,  nach  hinten  in  die  Caudalregion  aus,  mit  immer  neuen 
Wirbeln  verwachsend,  so  dass  insgesammt  9-22  Wirbel  in  die  Ver- 


Fig.  .">30.  Brustkorb,  Sehultcr- 
gürtcl  und  Beeken  vom  Storch  (nach 
Gegenbaur).  st  Brustbein ,  #('  Ab- 
doininalfortsützc  demselben,  ers  Crista 
Sterni,  /  Furcula  (verschmolzene 
Schlüsselbeine) ,  c  Coracoid  ,  s  Sca- 
pula, os  sternale.  co  vertebrale  Theile 
der  Rippen,  n  Processus  uncinati  der 
vertebralen  Theile,  sp  Dornfortsatz 
des  ersten  Brustwirbels,/";/  verschmol- 
zene Dornfortsiitze  clor  uhrigen  Brust- 
wirbel, il  Darmbein  ,  f>  Sitzbein,  p 
Schambein,  x  Hüftgelenk. 


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VI.  Vögel. 


f)39 


bindung  eintreten  können;  linke  und  rechte  Darmbeine  treffen  weiter 
dorsal  von  der  Wirbelsäule  noch  zusammen.  Diese  ausgedehnte  Ver- 
wachsung des  Beckens  mit  dem  Axenskelet  wird  verständlich,  wenn 
wir  bedenken,  dass  die  Wirbelsäule  der  Vögel,  trotzdem  sie  beim 
Gehen  ausschliesslich  auf  den  Beinen  ruht,  nicht  wie  beim  Menschen 
zur  senkrechten  Haltung  aufgerichtet  wird,  sondern  stets  zum  Boden 
geneigt  bleibt;  sie  trägt  sich  daher  nicht  in  sich,  sondern  kann  nur 
durch  starke  Befestigung  an  dem  Beckengürtel  ihre  Stellung  beibe- 
halten Die  unteren  Theile  des  Beckens,  Scham  -  und  Sitzbein  (/> 
und  is),  sind  dadurch  ausgezeichnet,  dass  beide  von  der  Gelenkpfanne 
aus  rückwärts  und  einander  parallel  stehen,  und  dass  linke  und  rechte 
Stücke  nur  ausnahmsweise  (Strauss)  ventral  in  einer  Symphyse  ver- 
wachsen. 

Das  Intertarsalgelenk  der  Vögel  ist  eine  —  allerdings  syste- 
matisch die  wichtigste  —  Theilerscheinung  der  Umbildung,  welche  das 
Skelet  der  freien  Extremität  unter  dem  Einfluss  seiner  starken  Belastung 
erfahrt.  Wie  in  ähnlichen  Fällen  (vergl.  Unyulaten)  begünstigt  es  der 
Druck  der  Körperlast,  dass  der 

einheitliche  Charakter,  welcher  A  B  c 

dem  Skelet  des  Oberschenkels 
zukommt,  sich  auch  auf  Unter- 
schenkel und  Fuss  überträgt  und 
dass  die  in  diesen  Abschnitten 
herrschende  Vielzahl  der  Knochen 
durch  einen  einzigen,  den  Druck 
einheitlich  fortleitenden  Knochen 
ersetzt  wird  (Fig.  531).  Daher 
bildet  sich  die  im  Embryo  (B) 
vorhandene  Fibula  bis  auf  un- 
bedeutende Reste  zurück ;  es 
verschmelzen  die  im  Embryo  {B) 
getrennten  Metatarsen  unter  ein- 
ander zum  Laufknochen  (A,  c), 
der  so  viel  Gelenkflächen  hat, 
als  er  Zehen  trägt  (d—  d  "),  end- 
lich verschwinden  die  Tarsalien 
und  zwar  ebenfalls  durch  Ver- 
schmelzung mit  benachbarten 
Skelettheilen.  Da  schon  bei  den 
Reptilien  (Fig.  531  C)  ein  Theil 
der  Tarsalien  (ts)  bei  der  Be- 
wegung dem  Unterschenkel,  ein 
anderer  Theil  (Ii)  dem  Fuss 
folgt,  vollzieht  sich  die  Ver- 
schmelzung bei  den  von  den  rulgari* ;  a  Femur,  b  Tibiotarsus  b'  Rest  der 
P/»,/;/;*»  .Thctanntion/Jon  VJWln  Fibula,  c  Tarsometatarsus,  d  d'd"d"'  die  Zehen, 
MejMten  abstammenden  V  ögeln  t,  lr£nnte  DargtoIi„„g  de«  Tar*>-,uetatar*us. 
in  der  Weise,  dass  von  den  beiden  Jt  un(\  rvntemhonkelund  Fuss  eines  Vogel- 
embryonalen TarsalstÜcken  das  cmbn-o  (tf)  und  einer  Eidechse  (C),  um  die 
proximale         ts)    mit  der  Tibia  EiiUtehungdosliitertawaljicleiik*  zu  erklären: 

zum  Tibiotarsus,  das  distale  («)  /  vtclnu£  i  T,,!?Y,  f  ,  t  ~  .iu  ?iT™,  i,™ 
,       in»  rr       ersten  Keine  (lalus).    ti  laixaha  der  zweiten 

mit  dem  Laufknochen  zum  lar-  Reihe,  m  Metatareus,  /—  r  die  einzelnen 
sometatarsus  verwächst.  Stücke  desselben  (aus  Gepenbaur). 


Fig.  531.    A  Hintere  Extremität  von  Bttteo 


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:>4o 


Wirbelthieie. 


schudei und       Rücksichtlich  der  Wirbelsäule  ist  noch  nachzutragen,  dass  die 

wirbeuiioie.  Wirbel  injt  einander  sogenannte  Sattelgelenke  bilden,  dass  hinter  dein 
Becken  nur  wenige  Caudalwirbel  übrig  bleiben,  welche  theilweise  zu 
dem  die  Stcuerfedcrn  tragenden  Pygostyl  verschmelzen,  dass  sich 
entsprechend  der  gut  entwickelten  Halsregion  viele  Halswirbel  (darunter 
Atlas  und  Epistropheus)  tinden,  an  denen  Rippen  zu  fehlen  scheinen, 
weil  sie  mit  den  Wirbeln  verschmolzen  sind.  —  Der  Schädel  ähnelt 
sehr  dem  Eidechsenschädel  in  der  Anwesenheit  eines  unpaaren  Condylus 
oecipitalis,  in  der  beweglichen  Anfügung  des  Quadratum  an  die  Schädel- 
kapscl  und  der  Umbildung  des  Ilyoniandibulare  zu  einem  schlanken 
Hörknochen  (Columella).  Dagegen  fehlt  das  Transversum ;  die  Schädel- 
kapsel ist  dem  Wachsthum  des  Hirnes  folgend  geräumiger  geworden, 
vollkommener  durch  frühzeitig  verschmelzende  Knochen  abgeschlossen 
und  durch  Verlagerung  des  (ielenkhöckers  auf  die  untere  Seite  fast 
rechtwinkelig  zur  Axe  der  Wirbelsäule  gestellt.  Zähne  fehlen  bei  den 
lebenden  Vögeln,  finden  sich  aber  bei  den  fossilen  Odontornithes  und 
Saururen;  für  den  Zahnmangel  sind  Ober-  und  Unterkiefer  durch 
harte,  schneidende  Hornscheiden  entschädigt.  Die  Hornscheide  des 
Oberkiefers  verlängert  sich  häufig  auf  der  Aussenseite  in  einen  weichen 
Hornüberzug,  die  Wachshaut  oder  das  Ceroma  (Fig.  Ö2S  WH). 

pneum»ti.  Ein  wichtiger  G  esa  mint  Charakter  d  es  Vogel  skelets 
clut  ist  die  pneumatische  Beschaffenheit  desselb e n.  An  Stelle 
von  Knochenmark  und  Knochengewebe  füllen  Lufträume  das  Innere 
der  Knochen  mehr  oder  minder  aus ;  bei  den  gut  fliegenden  Formen 
wie  dem  Albatros  sind  sämmtliche  Knochen  mit  Ausnahme  der  Sca- 
pula,  des  Jochbeins  und  der  Phalangen ,  bei  den  gar  nicht  fliegenden 
Strassen  wenigstens  einige  Schädelknochcn  pneumatisch.  Der  Zweck 
der  Einrichtung  ist  jedenfalls  ein  doppelter:  1)  vor  Allem  soll  das 
Skelet,  indem  die  axialen,  zum  Tragen  und  Stützen  unwichtigen  Theile 
durch  Luft  ersetzt  werden,  grösstmöglichc  Leichtigkeit  und  Festigkeit 
mit  einander  verbinden ;  2)  soll  der  Körper  zur  Ersparniss  der  an- 
strengenden Athembewegungen  beim  Flug  reichlich  mit  Luft  versorgt 
werden.  Letzterer  Zweck  wird  noch  viel  vollkommener  durch  die 
grossen  Luftsäcke  des  Körpers  erreicht  ,  welche  meist  zu  drei  Paaren 
am  Hals  und  in  der  Leiheshöhle  angebracht  sind.  Die  Lufträume  der 
Knochen  stehen  zum  kleineren  Theil  mit  Nase  und  Gehörgang,  zum 
grösseren  Theil  mit  den  genannten  Luftsäcken  in  Verbindung;  letztere 
wiederum  sind  Ausstülpungen  der  beiden  schwammigen  Lungen,  die 
links  und  rechts  an  der  Wirbelsäule  herabziehen. 

Einfevreid».  Ausser  Lungen  und  Luftsäcken  besteht  der  Athemapparat  der 
Vögel  aus  einer  langen  Trachea  und  zwei  kurzen  Bronchien  nebst 
oberem  und  unterem  Kehlkopf.  Der  obere  Kehlkopf,  der  dem  Kehl- 
kopf der  übrigen  Wirbelthiere  allein  vergleichbar  ist  und  daher  Larynx 
heisst,  wird  bei  den  Vögeln  zur  Stimmbildung  nicht  benutzt;  letztere 
hat  ihren  Sitz  im  unteren,  nur  den  Vögeln  zukommenden 
Kehlkopf,  dem  Syrinx,  welcher  an  der  Gabelung  der  Trachea  in 
die  beiden  Bronchien  liegt  und  bald  nur  von  ersterer,  bald  nur  von 
letzteren,  gewöhnlich  aber  von  allen  drei  Theilen  gemeinsam  gebildet 
wird.  Die  Stimmbänder  werden  von  Muskeln  gespannt,  welche  bei 
Singvögeln  eine  besonders  complicirte  Anordnung  haben. 

Das  Herz  der  Vögel,  aus  dem  Reptilienherzen  durch  voll- 
kommene Sonderung  des  Lungen-  und  Körperkreislaufs  hervorgegangen. 


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VI.  Vögel. 


541 


hat  die  Pulmonalis  und  den  rechten  arteriellen  Aortenbogen  der 
Reptilien  beibehalten,  dagegen  den  linken  Aortenbogen  verloren  und 
unterscheidet  sich  dadurch  wesentlich  vom  Herzen  der  Säugethiere. 
Im  Uebrigen  ist  linke  und  rechte  Kammer  durch  eine  Scheidewand 
vollkommen  getrennt.  Am  Darm  (Fig.  57)  fällt  die  Anwesenheit  eines 
Kropfes  (6),  drüsigen  Vormagens  (c)  und  eines  muskulösen  Kaumagens 
[d),  sowie  zweier  langer  Blindschläuche  am  Uebergang  von  Dünn-  und 
Dickdarm  (k)  auf.  Leber  (c)  mit  Gallenblase  (/*),  Pankreas  (q)  und 
Milz  sind  vorhanden.  In  den  Enddarm  (Cloake)  münden  von  hinten 
ein  Blindsack,  die  Bursa  Fabricii,  die  paarigen  Ureteren  (m)  und  die 
Geschlechtswege  (n).  Letztere  zeigen  im  weiblichen  Geschlecht  das 
Eigenthümliche,  dass  der  rechte  Oviduct  sammt  dem  zugehörigen  Ovar 
rückgebildet  wird,  während  die  entsprechenden  linken  Theile  sich  um 
so  kräftiger  entwickeln. 

Da  bei  den  Vögeln  eine  Begattung  stattfindet,  werden  die  grossen 
dotterreichen  Eier  (das  „Gelbei"  des  „Vogeleies")  schon  in  den  Ei- 
leitern befruchtet  (Fig.  00).  Indem  sie  langsam  die  letzteren  passiren, 
werden  sie  durch  Drüsen  der  ausgeweiteten  Eileiterwand  mit  Um- 
hüllungen versehen,  zunächst  mit  einer  dicken  Lage  von  Eiweiss  (w), 
dann  mit  der  Schalenhaut  (fem  und  sni),  welche  aus  zwei  auf  einander 
schliessenden  und  nur  am  abgerundeten  Eipol  durch  die  Luftkammer 
(ach)  getrennten  Blättern  besteht.  Dazu  kommt  schliesslich  im  Uterus 
noch  die  den  Abschluss  bildende  Kalkschale  («).  Während  der  Wan- 
derung durch  die  Ausführwege  spielen  sich  die  ersten  Entwicklungs- 
vorgänge, Furchung  und  Gastrulation,  ab,  welche  bei  der  Eiablage  in 
Stillstand  gerathen  und  erst  wieder  von  Neuem  beginnen,  wenn  die 
Eier  der  zur  Entwicklung  nöthigen  Wärme,  meist  durch  Bebrütung, 
ausgesetzt  werden. 

Die  Sorge  für  die  junge  Brut,  das  mit  der  Begattung  im  Zu-s£'n'£o,,nd 
sammenhang  stehende  Geschlechtsleben  und  die  durch  das  Flugver- 
mögen  bedingte  coniplicirtere  Lebensweise  haben 
bei  den  Vögeln  zu  einer  den  Reptilien  weit 
überlegenen  Intelligenz  geführt,  die  in 
der  besseren  Ausbildung  des  Hirnes  und  der 
Sinnesorgane  ihren  Ausdruck  findet.  Am  Hirn 
(Fig.  532)  ist  das  Kleinhirn  (////)  als  das  Centrai- 
organ für  die  Coordination ,  das  harmonische  In- 
einandergreifen der  Körperbewegungen,  in  seinem 
medianen  Abschnitt  („Wurm")  ganz  auffallend  stark 
ausgebildet.  Entsprechend  gross  sind  auch  die 
Grosshirnhemisphären  (  F//),  deren  Stirnlappen  den 
Lobus  olfactorius  (LoC),  deren  Schläfenlappen  ausser 
dem  Zwischenhirn  auch  das  Mittelhirn  zu  bedecken 
beginnen.  Dem  complicirten  Stimniapparat  ent- 
spricht ein  ausgezeichnetes  Gehör,  weil  am  Laby- 
rinth die  Schnecke  eine  bedeutende  Vergrösserung 
erfahren  hat  und  weil  der  schallleitende  Apparat 
(Trommelhöhle,  Ohrtrompete,  Columella  und  Trom- 
melfell) vorzüglich  ausgebildet  ist;  auch  die  ersten 
Andeutungen  einer  Ohrmuschel  und  eines  äusseren 
Gehörganges  durch  Versenken  des  Trommelfells 
in  die  Tiefe  sind  schon  gegeben.  Um  den  durch  das  Flugvermögen 
bedingten  weiten  Entfernungen  gewachsen  zu  sein,  ist  die  Sehschärfe 


Für.:>32.  Hirn  der 
Taubr  (aus  Wieders- 
heinil.  /  Riechnerv, 
hol  I  a  ilms  i  »IfuctoriiiH, 
17/  Vorderhirn  ,  Z 
Zirbeldrüse.  J///MU- 
tclhirn,//// Kleinhirn, 
(Wurm),  ////'  Klein- 
hirnhcnii*phärcn,  NJl 
Nachhirn,  /.'  Rücken- 
mark. 


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Wirbelthiere. 


<ler  meisten  Vogel  eine  ganz  aussergewöhnliche  und  das  Auge  (Fig.  533) 
im  Allgemeinen  ttir  die  Ferne  eingestellt,  Eigentümlichkeiten  des 
Vogelauges ,  welche  schon  bei  den 
meisten  Reptilien  schwach  entwickelt 
sind,  sind  der  Kamm  oder  Pecten  (P), 
eine  mit  kammzinkenartigen  Falten 
bedeckte  Wucherung  der  Chorioida 
in  den  Glaskörper  hinein ,  und  der 
Scleraring,  ein  Knochenring,  welcher 
im  vorderen  Abschnitt  des  Auges  die 
Sclera  (Sc)  stutzt. 

Warum  die  geschlechtlichen  Vor- 
gänge und  die  Brutpflege  für  die  In- 
telligenzentwicklung eine  so  wichtige 
Rolle  spielen ,  lehrt  ein  genaueres 
Eingehen  auf  die  einschlägigen  Ver- 
hältnisse. Bei  den  Vögeln  herrscht 
ein  lebhafter  Wettbewerb  um  die 
Weibchen ,  besonders  bei  den  poly- 
gamen Arten.  Zur  Zeit  der  Fort- 
pflanzung suchen  die  Männchen  die 
Gunst  der  Weibchen  zu  gewinnen, 
sei  es  durch  auffallende  Bewegungen 
(Balzen  des  Auerhahns),  sei  es  durch 
Gesang  (Singvögel),  sei  es  endlich  durch 
Pracht  des  Gefieders  {Paradiesvogel) 
(Fig.  15a).  Alle  diese  Eigentümlich- 
keiten sind  daher  auf  das  männliche  Ge- 
schlecht beschränkt  und  führen  meist  zu  einem  auffallenden  Dimorphismus 
von  Männchen  und  Weibchen  (Fig.  15).  Die  Unterschiede  der  Befiederung 
steigern  sich  gewöhnlich  beim  Eintritt  der  Geschlechtsthätigkeit,  indem 
das  Männchen  das  brillanter  gefärbte  Hochzeitskleid  erhält.  Man 
spricht  dann  von  einer  Frühjahrsmauser,  obwohl  nur  eine  Ver- 
färbung und  nur  ausnahmsweise  eine  Erneuerung  des  Gefieders  vor- 
liegt Nur  die  Rückkehr  zum  Alltagskieid  wird  durch  einen  Wechsel 
der  Federn,  durch  die  allen  Vögeln  nach  Beendigung  der  Fortpflanzung 
zukommende  II  erbst  maus  er  bewirkt. 

Wenn  im  Allgemeinen  beim  Weibchen  die  Färbungen  des  Ge- 
fieders schlicht  und  unscheinbar  sind,  so  hat  das  seinen  besonderen 
Grund  noch  in  der  vom  Weibchen  geübten  Brutpflege,  während  deren 
die  Thicre  durch  unauffällige  Färbungen  vor  Störungen  durch  Feinde 
möglichst  geschützt  sein  müssen.  Nur  selten  wird  die  Erwärmung, 
welche  die  abgelegten  Eier  zur  Weiterentwicklung  bedürfen,  äusseren 
Einflüssen  überlassen,  den  Sonnenstrahlen,  welche  den  Sand,  in  dem 
die  Eier  vergraben  sind,  erwärmen,  oder  der  Temperatursteigerung, 
welche  in  faulenden  Misthaufen  durch  Gährung  entsteht  (Scharrhühner). 
Regel  ist,  dass  beide  Geschlechter  gemeinsam  ein  Nest  bauen,  das  bei 
den  Webervögeln  mit  besonderer  Kunstfertigkeit  —  ab  und  zu  bei 
socialen  Formen  unter  einem  gemeinsam  erbauten  Dach  —  errichtet 
wird.  Wenn  genügend  Eier  zusammen  sind,  bebrütet  das  Weibchen, 
seltener  auch  das  Männchen,  dieselben,  zu  welchem  Zweck  sich  oft 
durch  Ausfallen  der  Federn  nackte,  zur  Erwärmung  geeignete  Hatit- 


Fi>?.  .">33.  Auge  einer  Etile  uiih 
Wiedcreheim).  Co  Cornea,  VK  vor- 
dere Augenkatniuer.  Cm  Oiliannuskel. 
Ir  Iris.  .SV  Sclera  t  Scleralknoehen, 
L  Linsr .  Ch  Chorioidea .  Cr  Glas- 
körper, P  Peeten,  Hl  Rotina,  Oy  Op- 
ticus, 0»  Seheide  demselben. 


IV.  Vögel. 


543 


stellen,  die  Brutflecken,  ausbilden.  Beim  Verlassen  der  Eischalen  sind 
viele  Vögel,  wie  Hühner  und  Enten,  so  weit  entwickelt,  dass  sie  frei 
herumlaufen  und  unter  Leitung  der  Mutter  sich  ihr  Futter  selbst  suchen 
können.  Man  nennt  dieselben  Nestflüchter  (Autophagen)  im  Gegensatz 
zu  den  Nesthockern  {Insessores),  welche  fast  nackt  mit  unvollkommenem 
Federkleid  aus  dem  Ei  auskriechen  und  daher  auf  die  Warnle  des 
Nestes,  auf  Schutz  und  Fütterung  durch  die  Eltern  angewiesen  sind. 

Von  grossem  Interesse  in  den  Lebensverhältnissen  der  Vögel 
sind  schliesslich  ihre  periodischen  Wanderungen.  Man  unterscheidet 
Standvögel,  welche  dauernd  auf  die  engste  Umgebung  sich  be- 
schränken, Strichvögel,  welche,  um  sich  zu  ernähren,  ausgedehnte 
Beutezüge  unternehmen,  W an  der-  oder  Zugvögel,  welche  beim 
Herannahen  des  Winters  in  Schaaren  meist  auf  bestimmten  Zugstrassen 
weite  Wanderungen  nach  Süden  antreten  und  ein  wärmeres  Klima 
aufsuchen.  Die  bei  uns  einheimischen  Arten  ziehen  dann  nach  den 
Mittelmeerländern,  vielfach  sogar  in  das  Innere  von  Afrika,  dafür 
können  ihren  Platz  bei  uns  nordische  Formen  einnehmen.  Auch  zu 
diesen  Massenwanderungen  ist  die  Nahrungssuche  Veranlassung.  Die 
Vögel  können  sich  dein  während  des  Winters  herrschenden  Mangel 
an  Nahrung  (namentlich  an  Insecten  und  Früchten)  nicht  so  leicht 
wie  Reptilien  und  Amphibien  durch  den  Winterschlaf  entziehen,  weil 
ihre  gesteigerte  Intelligenz  und  ihre  energischeren  Lebensprocesse 
einen  lebhafteren  Stoffwechsel  und  fortlaufende  Ernährung  nöthig 
machen.  Daher  sind  die  Vögel  wie  die  Säugeihierc  im  Gegensatz  zu 
den  „kaltblütigen"  Reptilien,  Amphibien  und  Tischen  ausschliesslich 
Warmblüter;  sie  bewahren  unter  dem  mannigfachsten  Wechsel  des 
Klimas  ihre  38  —40  (44  V) 0  C  betragende  Körpertemperatur. 

Die  Systematik  der  Vögel,  soweit  es  sich  um  die  Abgrenzung  der 
grösseren  Gruppen  handelt,  liegt  noch  immer  sehr  darnieder.  Nach  der 
äusseren  Erscheinung  wurden  von  den  Ornithologen  grössere  Gruppen  als 
Ordnungen  aufgestellt,  die  sich  aber,  wie  die  umfassenden  Untersuchungen 
Fürbringer's  und  Huxley's  gezeigt  haben,  bei  einer  genaueren  ana- 
tomischen Prüfung  in  der  bisherigen  Weise  nicht  aufrecht  erhalten  lassen. 
Besonders  hat  sich  die  Vereinigung  der  Eulen  mit  den  Tagraubrögcln,  der 
Pinguine  mit  den  Sclnoimmvögeln,  der  verschiedenen  Formen  der  Klcttcr- 
vögel  als  unhaltbar  herausgestellt.  Aus  praktischen  Gesichtspunkten  soll 
das  alte  System  im  Folgenden  gleichwohl  beibehalten  werden. 


I.  Unterclasse. 
L  Ordnung.    Batiten,  Cursores,  Laufvögel. 

• 

Unter  dem  Namen  „Ratiten"  fas.st  man  mehrere,  anatomisch  sehr 
verschiedenartige  Familien  zusammen,  welche  darin  übereinstimmen,  dass 
die  Federn  noch  nicht  die  gesetzmässige  Anordnung  der  Federfluren 
besitzen  und  dass  mit  dem  Mangel  des  Flugvermögens  auch  viele, 
durch  dasselbe  bedingte  Einrichtungen  fehlen.  Die  Knochen  sind  nur 
wenig  pneumatisch;  die  Thiere  haben  keine  Crista  sterni  und  keine 
Furcula,  da  die  Schlüsselbeine  rudimentär  (Dromneus)  oder  gar  nicht 
mehr  als  selbständige  Knochen  vorhanden  sind  (die  übrigen  RatitenW 
die  vorderen  Extremitäten  sind  klein  und  tragen  keine  zum  Fluge 


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544 


Wirbelthiere. 


brauchbaren  Schwungfedern,  wie  denn  überhaupt  typische  Contourfedern 
mit  geschlossenem  Vexillum  vollkommen  fehlen.  Um  so  kräftiger  sind 
die  Laufbeine  (Fig.  f>.'54/"),  welche  eine  rasche  und  ausdauernde  Fort- 
bewegung auf  der  Erde  ermöglichen.  —  Da  sich  immerhin  noch  manche 
durch  das  Flugvermögen  bedingte  Einrichtungen  (Verwachsung  der 
Handknochen  und  öfters  auch  der  Schwanzwirbel,  Anordnung  der 
Flügelmuskeln)  erhalten  haben,  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  die 
Ratiten  aus  den  Carinaten  durch  Rückbildung  des  Flugvermögens  her- 
vorgegangen sind.  Die  anatomischen  Unterschiede  der  einzelnen  Fami- 
lien lassen  sogar  vermuthen,  dass  dieselben  sich  an  verschiedenen 
Stellen  vom  Grundstock  der  Carinaten  abgezweigt  haben  und  somit 
keineswegs  eine  einheitliche  Gruppe  darstellen. 

I.  Gruppe.  Straussartige  Vögel  (mit  langem  Humerus):  Struthioniden, 
zweizeilige  Strausse,  Slruihio  camelus  L.,  afrikanischer  Strauss;  Inheiden, 
dreizehige  Strausse,  Wtca  americana  Lm.,  Nandu.  —  II.  Gruppe.  Casuar- 
artige,  dreizehige  Vögel  (mit  kurzem  Humerus):  Dromaevkn  ohne  helm- 
artigen Knochenaufsatz  des  Schädels,  Drumaeus  novac  Hollandiae  Gray. 
Neuholländischer  Strauss.  Casuariden  mit  Helmaufsatz,  Casuarius  galeatux 
Vieill .,  Helmcasuar  Neuguineas.  —  III.  Gruppe.  Apteryxartige  Vögel: 
Aptcrygiden  mit  langem  Schnepfenschnabel,  rudimentärem  Armskelet,  mit 
4  Zehen.  Apteryx  Ouerri  Gould,  Kiwi,  Neuseeland.  Dinornithidcn,  drei- 
zehig,  ohne  Armskelet :  riesige,  3  Meter  hohe,  schwerfällige  Vögel  Neu- 
seelands, die  jetzt  ausgestorben  zu  sein  scheinen,  jedenfalls  aber  noch  mit 
dem  Menschen  gleichzeitig  gelebt  haben.  Dinomis  giganteus  Ow.,  Moa. 
Vielleicht  reihen  sich  hier  auch  die  Riesenvögel  von  Madagascar,  die 
Aepyornithidcn,  an  (Knochenreste  und  8  Liter  fassende  Eier  wurden  im 
Schwemmland  gefunden). 


II.  Unterclasse. 
Carinaten. 

Der  Name  der  zweiten  Unterclasse  bezieht  sich  auf  die  Anwesen- 
heit der  Carina  oder  Crista  sterni,  deren  Ausbildung  mit  dem  die 
meisten  Vögel  auszeichnenden  Flugvermögen  zusammenhängt.  Dazn 
kommen  als  weitere  Merkmale  der  Unterclasse  die  kräftigen  Schwung- 
und  Steuerfedern  im  Flügel  und  im  Schwanz  und  die  Verwachsung 
der  Schlüsselbeine  zur  Furcula.  Indessen  giebt  es  schon  vorzügliche 
Flieger,  deren  Crista  nur  wenig  hervorragt,  wie  grössere  Raubvögel 
und  Sturmvögel  erkennen  lassen ;  bei  manchen  schlecht  fliegenden 
„Carinaten"  sehwindet  die  Carina  fast  ganz  (Strigops).  Ebenso  ist  die 
Furcula  nicht  immer  ausgebildet,  sei  es  dass  die  Schlüsselbeine  nicht 
verwachsen  (viele  Pajmgcie  und  Tukane),  sei  es  dass  sie  ganz  fehlen 
(Alesites).  Die  Schwungfedern  der  Flügel  können  endlich  bei  manchen 
Carinaten  ebenfalls  rückgebildet  sein,  wie  sie  z.  B.  bei  den  nicht 
fliegenden  Pinguinen  die  Gestalt  kleiner  Schuppen  angenommen  haben, 
so  dass  sich  die  Grenzen  von  Ratiten  und  Carinaten  stellenweise 
verwischen. 

n.  Ordnung.    Galllnaceen,  Hübner. 

Die  hühnerartigen  Vögel  sind  Nestflüchter  von  gedrungenem  Körper 
und  mit  gut,  aber  nicht  in  einseitiger  Weise  ausgebildeten  vorderen 


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VI.  Vögel:  Ratiten.    Carinaten:  Columbinen,  Natatores.  545 


und  hinteren  Extremitäten,  so  dass  die  Thiere  gut  laufen  und  leidlich 
fliegen  können,  ohne  aber  nach  der  einen  oder  anderen  Richtung  Ausser- 
gewöhnlichcs  zu  leisten.  An  den  Füssen  sind  3  Zehen  nach  vorn  ge- 
wandt und  an  der  Basis  meist  durch  eine  Bindehaut  verbunden  (Sitz- 
und  Wandelfüsse.  Fig.  534  c) ;  die  nach  rückwärts  stehende,  erste  Zehe 
ist  etwas  höher  eingelenkt.  Ueber  ihr  findet  sich  beim  Männchen 
häufig  der  Sporn,  ein  hornbedeckter  Fortsatz  des  Laufknochens.  Der 
Oberschnabel  greift  mit  seinen  Rändern  über  den  Unterschnabel  über, 
ist  an  seiner  Spitze  nach  abwärts  gebogen  und  ungefähr  gleich  lang 
wie  der  Kopf.  Nackte,  blutgefässreichc  Stellen  sind  meist  am  Kopf 
vorhanden  und  zu  Lappen  ausgewachsen,  die  bei  dem  durch  statt- 
licheres Gefieder  ausgezeichneten  Männchen  besonders  gross  sind. 

Polygam  sind  diu  Pliasinniden :  Phasianus  roldticus  L.,  Fasan,  Pavo 
cristatus  L.,  Pfau,  Gallus  bnnkim  Temm,  von  den  Sunda-Inscln  stammend, 
*  Stammform  des  Hnushuhns.  Craciden,  Hokkos :  Melcogris  gallopavo  L.,  Trut- 
huhn. Theils  poly-,  theils  monogam  sind  die  Tetraonidm  oder  Feldhuhner: 
Tetrao  urogallus  L.,  Auerhuhn,  T.  tetrix  L.(  Birkhuhn,  Perdix  cinerea  Briss., 
Rebhuhn,  Lagopus  olpinus  Nilss.,  Alpenschneehuhn.  In  zusammengescharr- 
ten Misthaufen  verbergen  ihre  Eier  die  Megapodidm:  Mcgapodius  Ihij>eneg% 
Less.,  Neuguinea. 

III.  Ordnung.    Columbinen,  Tauben. 

Von  den  Hühnern  unterscheiden  sich  die  Tauben  leicht  durch 
schlankeren  Körperbau,  kürzere  Beine,  deren  Zehen  der  Bindehaut  ent- 
behren (Spaltfüsse),  und  längere,  einen  vorzüglichen  Flug  ermöglichende 
Flügel.  Vor  Allem  aber  sind  sie  Nesthocker.  Ihr  Schnabel  besitzt 
ein  auffallendes  Merkmal  in  zwei  basalen,  die  Nase  bergenden  Auf- 
treibungen. Der  an  der  Speiseröhre  vorhandene  meist  paarige  Kropf 
liefert  ein  milchiges  Secret,  welches  zum  Atzen  der  Jungen  dient 

Am  verbreitetsten  sind  die  Columliden,  welche  besonders  in  den  Tropen 
durch  zahlreiche,  prächtig  gefärbte  Arten  vertreten  sind.  Die  Rassen 
unserer  Haustaube  stammen  nach  Darwin  von  der  Columba  livia  L.,  der 
blaugrauen  Felstaube.  Verwandte  der  Tauben  sind  die  Zahntauben 
(Didunculus  strigirostris  Gould).  In  die  Nähe  der  Tauben  werden  ge- 
wöhnlich die  Drontcn  gestellt,  Vögel,  die  gegen  Ende  des  17.  und  18.  Jahr- 
hunderts ausgerottet  worden  sind.  Didus  inej)tus  L.  auf  St.  Mauritius  und 
D.  solilarius  Strickl.  auf  Rodriguez. 

IV.  Ordnung    Natatores,  Schwimmvogel. 

Durch  ihre  Neigung  zum  Wasseraufenthalt  stimmen  zahlreiche, 
im  Bau  sehr  erheblich  unterschiedene  Familien  überein.  Man  nennt 
sie  Schwimmvögel,  weil  sie  mit  Hilfe  ihrer  durch  Schwimmhäute  ver- 
bundenen Zehen  geschickt  schwimmen  und  tauchen.  Entweder  sind  alle 
vier  Zehen  durch  Schwimmhäute  verbunden  —  Ruderfuss  (Fig.  534  0 
—  oder  nur  die  drei  vorderen  —  Schwimmfuss  (Fig.  534  k)  —  oder 
die  drei  vorderen  Zehen  sind  einzeln  für  sich  von  Schwimmhäuten 
eingefasst  —  Spaltschwimmfuss  (Fig.  534  h).  Ergeben  sich  somit 
schon  im  Bau  der  Füsse  Unterschiede,  welche  einer  näheren  Ver- 
wandtschaft der  Familien  widersprechen,  so  wird  letztere  weiterhin 
zweifelhaft  gemacht  durch  die  verschiedene  Beschaffenheit  von  Flügel 
und  Schnabel. 

Hrrtwlf.  Uhrlwch  der  7xK>!oid«.   8.  Auflage.  ox 


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546 


Wirbelthiere. 


1)  Laimiii rust res.  Die  3  Vorderzehen  durch  eine  Schwimmhaut  ver- 
bunden (Schwimmfuss) ;  Schnabel  bis  auf  die  harte  Spitze  („Nagel")  weich- 


Fig.  534.  Versehiedene  Filiformen  der  Vögel  (aus  Sehmarda).  a  Watbein 
mit  doppelt  geheftetein  Fuss  eines  .Storehos,  />  Spaltfuss  der  Drossel ,  o  Wimdclfuss 
eines  Fasans,  d  Sit/fuss  eines  Falken,  r  Klaininerfuss  der  Mauersehwalbe.  f  Lauffuss 
des  Strausses.  <j  Kletterfuss  eines  Spechts,  Ii  Spaltsehwiininfuss  vom  Steissfuss,  /  Wat- 
bein und  Lappenfuss  eines  Wasserhuhns,  /;  Sehwinunfuss  der  Ente,  /  RunVrfuss  des 
Tropikvogels. 


häutig,  seine  Ränder  mit  queren,  hinter  einander  gestellten  Hornplättchen 
bedockt;  die  Thiere  ..grundein  '  und  nähren  sich  von  Pflanzen  und  kleineren 

Thieren.  Anas  bosehas  L.,  Wildente, 
Stammform  der  Hausente  A.  doniestica 
L. ;  A.  mollissima  L.,  Eiderente ;  Anser 
fcrws  Kaum.,  Wildgans,  Stammform  von 
Anser  dornest  ims  L. ;  Cygnus  olor  L., 
Höckerschwan;  Phoenicopterus  ruber  L., 
Flamingo, 

2)  Lonißpcnnes,  räuberische  Vögel 
mit  kräftigem  Schnabel,  Schwimmfüssen 
und  langen,  einen  schnellen  Flug  er- 
möglichenden Flügeln.  ProceUariden, 
Sturmvögel:  Diomcdea  exulens  L.,  Alba- 
tros. Lnriden,  Möven:  Larus  ridibundus 
L.,  Lachmöve,  L.  canis  L.,  Sturmmöve, 
Sterna  hirundo  L.,  Seeschwalbe. 

9)  Urinntorcs.    Vögel  mit  kleinen, 
zum  Theil   zu   Rudern  rückgebildeten 
Flügeln  und  aufrechter  Körperhaltung, 
Fig.  535.   Aptenodytes  paiagonica   welche  durch  die  Verlagerung  der  Beine 
(aus  Brehm).  nach  rückwärts  bedingt  ist.  Mit  Schwimm- 


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VI.  Vögel:  Natatores,  Grallatores,  Scansores. 


54? 


füssen  ausgerüstet,  im  inneren  Bau  aber  von  einander  sehr  verschieden  sind 
die  ausschlieslich  arktischen  Alciden  (Alca  impennis  L.,  im  Laufe  dieses 
Jahrhunderts  auf  Island  ausgerottet),  und  die  ebenso  ausschliesslich  antark- 
tischen Impennes  (Aptenodytes  patagonka  Forst.,  Pinguin.  Fig.  635).  Die 
Colymbidcn  haben  zum  Theil  Schwimmfüsse  (Colymbus  arcticus  L.),  zum 
Theil  Spaltschwimmfüsse  {Podiccps  cristatus  L.). 

4)  Steganopodes,  alle  4  Zehen  nach  vorn  go wandt  und  durch  Schwimm- 
häute verbunden  (Ruderfüsse) :  Pclecanus  onocratiäus  L.,  Phalarocorax  carbo 
Dumont,  Cormoran,  Tachypetes  aqitila  L.,  Fregattvogel. 

■ 

V.  Ordnung.    Grallatores,  Watvögel. 

Die  Watvögel  sind  ihrem  Aufenthaltsort ,  sumpfigen  Gegenden 
und  Ufern  von  Seen,  Teichen  und  Flüssen,  vortrefflich  angepasst,  indem 
die  Laufknochen  an  ihren  Beinen  stark  verlängert  und  die  Federn  weit 
bis  auf  die  Unterschenkel  aufwärts  durch  Hornschienen  ersetzt  sind. 
(Stelzbeine  Fig.  534«).  In  Correlation  damit  steht  die  auffallende  Ver- 
längerung von  Hals  und  Schnabel. 

Derselbe  Habitus  scheint  sich  bei  zwei  anatomisch  sehr  verschiedenen 
Gruppen  ausgebildet  zu  haben.  Die  eine  Gruppe  (Oicotiiae),  ausgezeichnet 
durch  Schnäbel  mit  starker  Hornbekleidung,  wird  gebildet  von  den  Ar- 
deiden, Reihern :  Ardea  cinerea  L.,  Fischreiher,  A.  stellaris  L.  Rohrdommel 
Ibis  religiosa  Cuv.,  und  Oiconiiden,  Oiconia  alba  L.,  Storch.  Leptoptüus  argala 
Temm.  Marabu.  Die  andere  Gruppe  (Grallae)  —  Schnabel  mehr  oder 
minder  weit,  stets  an  der  Basis  von  weicher  Haut  überzogen  —  besteht 
aus  den:  1)  Charadriiden,  Strandläufern  und  Schnepfen:  Vanellus  cristatus 
Meyer,  Kiebitz,  Scolopax  rusticola  L.,  Waldschnepfe  Gallinago  media  Gray 
Bekassine,  O.  gallinula  L.  Moorschnepfe.  2)  Gruiden,  Kranichen:  Grus 
cinereus  L.  3)  Raüiden,  Wasserhühnern:  Orex  pratensis  L.,  Wachtelkönig. 
4)  Allecioriden,  Hühnerstelzen :  Otis  tarda  L.,  Trappe. 


VI.  Ordnung.    Soanaores,  Klettervögel. 

Alle  Klettervögel  sind  leicht  an  ihren  Kletterfüssen  zu  erkennen, 
an  denen  zwei  Zehen  (2  und  3)  nach  vorn,  zwei  Zehen  (1  und  4)  nach 
rückwärts  gewandt  sind  (Fig.  534  Trotzdem  weisen  der  verschie- 
dene Bau  und  Habitus  der  unter  gemeinsamem  Namen  zusammenge- 
fassten  Formen  darauf  hin,  dass  die  Zusammenfassung  nicht  auf  Bluts- 
verwandtschaft beruht 

I.  Psittaci,  Papageien.  Buntgefärbte,  meist  tropische  Vögel  mit  kurzem, 
aber  hohem,  gedrungenem,  stark  gekrümmtem  Schnabel,  mit  fleischiger 
Zunge.  Ausser  den  Cacadus  (Plictolophus  lewolophus  Less.),  den  Sittichen 
(Mclopsittacus  undulalus  Gould)  und  den  kuizschwänzigen  Papageien  (Psit- 
tacus  erühacus  L.)  sind  als  abweichende  Formen  die  Nachtpapageien  zu 
nennen  (Strigops  habroptilus  Gray).  —  II.  Coceygomorphen ,  Kukuksvögel. 
Schnabel  leicht  gebogen  oder  gerade,  äussere  Zehe  meist  eine  Wendezehe. 
öuculus  eanorus  L.,  Kukuk.  —  III.  Puarien,  Spechte.  Mit  geradem  coni- 
schem,  langem  Schnabel  und  langer,  vorstreckbarer  Zunge.  Pirus  viridis 
L.,  Grünspecht,  P.  major,  medius  und  minor  Buntspechte  P.  martins  L. 
Schwarzspecht.  Den  Spechten  sind  nahe  verwandt  die  Ramphastiden,  die 
Tukane  der  Tropen. 

35* 


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548 


Wirbel  thiere. 


VII.  Ordnung.  Passeres. 

Die  Ordnung  der  Passeres  ist  die  umfangreichste  Gruppe  des 
Vogelsystems;  sie  enthält  ausschliesslich  Nesthocker,  meist  von  geringer 
Körpergrösse ,  mit  zierlichen,  bis  auf  die  Fersen  hinab  befiederten 
Beinen,  mit  stark  verhorntem  Schnabel  ohne  Wachshaut  Von  den 
drei  nach  vorn  gewandten  Zehen  sind  die  beiden  äussern  mit  einander 
verwachsen  (Wandelfüsse),  oder  sie  sind  bis  an  den  Grund  getrennt 
(Spaltfüsse,  Fig.  534  &).  Bei  einem  Theil  der  Arten,  welche  dann  meist, 
wenn  auch  nicht  immer,  durch  grosse  Sangeskunst  im  männlichen  Ge- 
schlecht ausgezeichnet  sind,  rinden  sich  besondere  Muskeln  des  Syrinx, 
welche  sonst  bei  Vögeln  nicht  vorkommen.  Man  nennt  sie  daher  Sing- 
vögel oder  Oschles,  im  Gegensatz  zu  den  übrigen  Passeres,  den  Schrei- 
vögeln oder  Clamatores.  Beide  Gruppen  unterscheiden  sich  ferner  da- 
durch, dass  die  Singvögel  eine  grosse,  freibewegliche  Hinterzehe 
haben,  während  bei  den  Schreivögeln  die  Hinterzehe  nicht  frei  bewefit 
werden  kann. 

I.  Unterordnung.  Oscincs.  Alle  unsere  Singvögel  gehören  hierher: 
die  Fririgittiden,  Finken :  Fringitta  coelebs  L.,  Buchfink,  F.  carduelis  L.  Stieg- 
litz, F.  mnnabina  L.  Hänfling,  Passer  domestuns  L.,  Sperling;  Alavdideti, 
Lerchen:  Alauda  arvensis  L. ;  Sylmden,  Sänger:  Syh*ia  atrunpilla  Lath.,  Mönch: 
'litrdiden,  Drosseln:  Luacinia  philomelalj.,  Nachtigall,  L.  major  Brehm  Sprosser; 
Hirundiniden,  Schwalben:  üirundo  rustica  L. ;  Paridcn  Meisen,  Motai^üidai 
Bachstelzen,  ausserdem  aber  auch  die  rabenartigen  Vögel,  Corviden:  Corvus 
corone  Kaup,  Krähe,  denen  die  durch  Geschlechtsdimorphismus  ausgezeich- 
neten Paradiesvögel,  Paradheiden,  sehr  nahe  stehen,  Paradisca  apoda  L. 
(Fig.  15). 

II.  Unterordnung.  Clamatores,  Schreivögel.  Vielfach  werden  hierher 
nur  einige  vorwiegend  in  Südamerika  entwickelte  Gruppen  gestellt,  die 
Cotingiden  imdTgrannidcn,  ferner  die  Menuriden  oder  Leierschwänze  Australiens. 
Früher  dagegen  fandon  unter  den  Clamatores  noch  zahlreiche  einheimische 
Formen  Platz,  welche  jetzt  abgelöst  werden  und  zum  Teil  als  Cyjtsch- 
morphen  zusamincngefasst  und  zum  Teil  zu  den  Kukuken  gestellt  werden: 
Oypsclukn,  Mauerschwalben,  mit  Klammerfüssen  (Fig.  634c):  Cypselux  apus 
L.,  (nahe  verwandt  die  Trochilidcn  oder  Kolibris) ;  Caprimulgiden,  Nacht- 
schwalben, Ziegenmelker;  Alccdinidcn,  Eisvögel:  Alwdo  isjrida  L.,  der  Fisch- 
brut schädlich  (ihnen  nahe  verwandt  sind  die  tropischen  Durcroniidfn,  Nas- 
hornvögel). 

VIII.  Ordnung.    Baptatores,  Raubvogel. 

Die  Kaubvögel  sind  muskelstarke  Vögel  von  meist  ansehnlicher 
Körpergrösse.  Ihre  bis  an  das  untere  Ende  der  Laufknochen  be- 
fiederten Füsse  haben  vier  kräftige,  mit  starken  Krallen  bewehrte 
Zehen,  von  denen  drei  nach  vorn  gewandt  und  an  der  Basis  durch 
eine  kurze  Bindehaut  verbunden  sind  (Sitzfüsse  Fig.  534 d).  Am 
kräftigen  Schnabel  springt  der  Oberschnabel  mit  hakenartig  gekrümmter 
Spitze  über  den  Unterschnabel  hervor. 

I.  Unterordnung.  Diurni,  Tagraubvögel,  schlanke  Thiere  mit  dicht  an- 
liegendem Gefieder,  von  außergewöhnlicher  Sehschärfe-  Vulturiden  mit 
kahlen  Stellen  an  Hals  und  Kopf  und  langem  Schnabel:  Sarcoramphus  gry- 
phas  Geoflr.,  Condor,  Vnltur  n'tureus  L.,  Mönchsgeier,  Keophron  perenopterus 


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VI.  Vögel :  Raptatores.    Saururen,  Odontornithen.    Mammalien.  549 


8av.,  egypt.  Aasgeier,  Gypaetes  barbatun  Cuv.,  Lämmergeier,  durch  Mangel 
der  kahlen  Stellen  zu  den  Adlern  überleitend.  Fakoniden  mit  kurzem 
Schnabel :  Aquila  chrysaetus  Bp.,  Steinadler,  A.  imperialis  Bchst.,  Königs- 
adler, Buteo  vulgaris  Bchst.,  Bussard,  balco  gyrf&ho  L.,  Edelfalk,  Astur 
jialumbarius  Bchst.,  Habicht. 

II.  Unterordnung.  Noclurni,  NachtraubvögeL  Gedrungene  Thiere  mit 
weichem,  locker  abstehendem  Gefieder,  grossen,  von  einem  Kreis  von  Federn 
(Schleier)  umstellten  Augen;  sollen  anatomisch  den  Caprinndgiden  näher 
stehen  als  den  Tagraubvögeln.  Bubo  waximus  Sibb.,  Uhu;  Syrnium  aliico 
L.,  Käuzchen,  Athene  noctua.  Gray,  Steinkauz,  Strix  flmnmea  L.,  Schleiereule. 


III.  und  IV.  Unterclasse. 

Saururen  und  Odontornithen. 

Die  Beziehungen  der  Vögel  zu  den  Reptilien  haben  durch  paläonto- 
logische Funde  wesentliche  Klärung  erfahren,  indem  durch  sie  zwei 
jetzt  nicht  mehr  existirende  Gruppen,  die  zahntragenden  Vögel  oder 
Odontornithes  und  die  Saururen,  aufgedeckt  wurden.  Die  aus  der  Kreide- 
formation stammenden  Odontornithes  haben  im  Ober-  und  Unterkiefer 
Zähne,  welche  in  einer  gemeinsamen  Rinne  oder  in  Alveolen  eingepflanzt 
sind ;  sie  müssen  in  zwei  Gruppen  aufgelöst  werden ;  die  Hesperorni- 
thiden  oder  Odontolcen  {Hesperornis  regalis  Marsh),  welche  sich  den 
Ratiten  einfügen,  und  die  mit  einer  Carina  ausgerüsteten  Ichthyorniihiden 
oder  Odontotormen  (lchthyornis  dispar  Marsh).  Noch  wichtiger  als  die 
zahntragenden  Vögel  ist  die  in  zwei  Exemplaren  aus  dem  Solcnhofener 
Schiefer  (Jura)  bekannte,  ebenfalls  bezahnte  Archaeopteryx  Uthographica 
v.  Meyer,  bei  welcher  die  Carpalien  und  Metacarpalien  der  Flügel  noch 
nicht  verwachsen,  die  drei  Finger  wohl  entwickelt  und  mit  Krallen  be- 
waffnet sind  und  die  Schwanzwirbelsäule,  trotzdem  sie  Federn  trägt, 
wie  bei  einer  Eidechse  aus  zahlreichen  Wirbeln  besteht  (Fig.  2). 


VII.  (Masse. 

Mammalicn,  Säuge  thiere. 

Unter  den  Wirbelthieren  und  dem  gemäss  im  gesammten  Thierreich 
nehmen  die  Säugetniere  die  höchste  Stufe  der  Entwicklung  ein ;  sie 
verdienen  weiterhin  unser  besonderes  Interesse,  weil  zu  ihnen  nach  Bau 
und  Entwicklung  der  Mensch  gehört,  wenn  er  auch  seiner  Intelligenz 
nach  von  den  höchst  organisirten  Arten  durch  eine  weite  Kluft  ge- 
trennt wird. 

Die  auffälligsten  Merkmale  zur  Charakteristik  der  Classe  liefert 
auch  hier  wieder  die  Beschaffenheit  der  Haut.  Man  kann  mit  Oken  H*M0' 
die  Säugethiere  Haar  thiere  nennen,  weil  für  sie  die  Haare  ebenso 
charakteristisch  sind  wie  für  die  Vögel  die  Federn.  Die  Haare 
(Fig.  ö'M't  II)  sind  Horngebilde,  welche  auf  Papillen  der  Lederhaut  sitzen 
und  von  den  Blutgefässen  derselben  ernährt  werden ;  sie  sind  mit  ihrem 
unteren  Ende,  der  Haarwurzel,  in  eine  Einsenkung  der  Haut,  den  Haar- 
balg, eingelassen  und  sind  hier  von  einer  doppelten  Umhüllung  umgeben, 
der  epithelialen  Wurzelscheide,  einer  Einsenkung  der  Epidermis,  und 


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550 


Wirbelthiere. 


Milch- 


einer  bindegewebigen  Lage,  der  Balgscheide.  Kleine  Muskelchen  können 
sich  an  die  Basis  der  grösseren  Haare  befestigen  und  dieselben  auf- 
richten. Da  Seitenäste  fehlen,  ist  der  Aufbau  des  Haares  einfacher  als 
der  der  Feder  und  ebenso  die  Verschiedenartigkeit  der  Formen  ge- 
ringer.   Durch  spirale  Einrollung  ausgezeichnet  sind  die  dünneren 

Wollhaare,  gerade  gestreckt  die 
Stichelhaare ;  letztere  werden 
bei  zunehmender  Dicke  Schnurr- 
haare (an  der  Oberlippe  vieler 
Säugethiere),  Borsten  ( Schweine  i 
und  Stacheln  (Igel  und  Stachel- 
schweine) genannt  Histologisch 
bestehen  die  Haare  aus  verhorn- 
ten Zellen,  welche  öfters  in  die 
Zellen  der  Mark-  und  Rinden- 
substanz geschieden  sind ;  nach 
aussen  werden  sie  von  einem 
Oberhäutchen,  der  uns  von  den 
Reptilien  her  schon  bekannten 
Pseudoeuticula,  überzogen.  Die 
Anwesenheit  des  Oberhäutchens 
bedingt  bei  den  meisten  Säuge- 
thieren  eine  periodische  Erneue- 
rung des  Haares,  bei  welcher  das 
alte  Haar  ausfällt  und  durch  ein 
von  der  Haarwurzel  aus  sich  an- 
legendes, neues  Haar  ersetzt  wird. 
Da  an  den  übrigen  Stellen  der 
Haut  die  Pseudoeuticula  fehlt, 
werden  die  Hornschüppchen  hier 
allmählig  abgestossen  in  demselben  Maasse,  als  sie  durch  den  Gebrauch 
abgenutzt  werden.  —  Ausser  den  Haaren  finden  sich  bei  den  Säuge- 
thieren  constante  Horngebilde  nur  an  den  Zehenspitzen ;  sie  werden 
hier  nach  ihrer  Gestalt  als  Krallen  (Ungues),  Hufe  (Ungulae)  und  Nägel 
(Plattnägel,  Lamuae)  unterschieden. 

Ein  weiteres  Merkmal  der  Säugethierhaut  ist  ihr  D  r  ü  s  e  n  r  e  i  c  h  - 
thum.  Mit  seltenen  Ausnahmen  finden  sich  zweierlei  Drüsen,  Talg- 
und  Schwei ssdrüsen.  Erstere  sind  acinöse  Drüsen,  welche  mit 
Vorliebe  in  den  Haarbalg  münden  und  dem  Haar  die  nöthige  Ge- 
schmeidigkeit verleihen  (Fig.  530  D)\  letztere  erhalten  sich  mit  Aus- 
nahme der  Monotremcn  vom  Haar  unabhängig  und  sind  einfache, 
tubulöse  Drüsen  mit  aufgeknäultcm,  hinterem  Ende,  welche  ein  flüssiges 
Seeret,  den  Schweiss.  erzeugen  (SD).  Unter  dem  Einfluss  des  Geschlechts- 
lebens entwickeln  sich  diese  Drüsen,  speciell  die  Talgdrüsen,  an  gewissen 
Stellen  zu  besonders  energischer  Thätigkeit  und  bilden  ansehnliche 
Drüsenpackete  und  Drüsenbeutel:  Violdrüsen  am  Schwanz  mancher 
Camivoren,  Klauendrüsen  der  Wiederkäuer,  Brunstfeige  am  Kopf  der 
Hemsen,  Mosehusdrüscn  und  Bibergeildrüsen  an  der  Vorhaut  von  Moschus- 
thier und  Biber  (Fig.  545).  Die  wichtigsten  Modificationen  der  Haut- 
drüsen sind  jedoch  vermöge  ihrer  allgemeinen  Verbreitung  und  ihrer 
grossen  physiologischen  Bedeutung  die  Milchdrüsen,  welche  das  am 
meisten  charakteristische  Merkmal  der  Säugethiere  bilden  und  daher  auch 
den  deutschen  und  den  wissenschaftlichen  Namen  der  Classe  veranlasst 


Fig.  58(5.  Schnitt  durch  die  Haut  des 
Menschen  (aus  Wiedersheimi.  Sr  Stratum 
corncuni.  SM  Strntum  Malpighi,  CV/Corhnn, 
/"subcutanes  Fett,  NP  Xervenpapülen,  <iP 
( icfü-ssnapillen,  .V  und  0  Nerven  und  Ge- 
fassc  efes  (  orium,  SO  Schweißdrüsen,  SD1 
Ausführgünge  derselben.  //  Haar  mit  Talg- 
drüsen D. 


XJ  UV 


oogle 


VII.  Säugetbiere. 


551 


haben.  Gewöhnlich  sind  es  stark  vergrösserte  Talgdrüsen,  seltener  Schweiss- 
drüsen  (Monotremen),  welche  in  grösserer  Zahl  auf  einem  eng  umgrenzten 
Feld  der  Haut  münden,  dem  Mammarfeld.    Dieses  mit  Drüsenmündun- 
gen bedeckte  Feld  (  Areola  mammae)  kann  sich  entweder  direct  zu  einer 
Papille  erheben ,  der  echten  Zitze 
oder  Brustwarze  (Fig.  537  A)\  dann 
fehlt  ein   einheitlicher  Ausführweg 
für  die  Milchdrüsen;  —  oder  das 
Mammarfeld  kann  sich  zur  Mam.nar- 
tasche  einsenken ,    welche  als  ge- 
meinsamer Behälter  das  Secret  der 

Drüsen      sammelt      (Monotremcn).      Fip  -:{7#   A  walm,  B  fll|sche  Zit7C 
Wenn  nun   weiter   die  Umgebung   (nus  Wittersheim  nach  Gegmlmur). 
der  Mammartasche  ebenfalls  zu  einer 

Papille  ausgezogen  wird,  so  entsteht  die  Pseudozitze  (Z?),  in  deren  In- 
nerem die  Mammartasche  als  Ausführgang  der  vereint  mündenden 
Milchdrüsen  (Strichcanal  der  Kühe)  liegt.  Stets  sind  die  Brustwarzen 
auf  der  ventralen  Seite  symmetrisch  zur  Mittellinie  angebracht,  in  der 
Brust-  oder  Achselgegend,  oder,  was  häutiger  ist,  in  der  Bauch-  oder 
Inguinalregion.  Ihre  Zahl  ist  mindestens  zwei,  steigt  aber  bei  manchen 
Thieren  (Centetcs)  auf  22;  im  Allgemeinen  entspricht  sie  der  Maximal- 
zahl von  jungen  Thieren,  welche  das  Weibchen  erzeugt  Obwohl  in 
beiden  Geschlechtern  vorhanden,  treten  die  Milchdrüsen  doch  nur  im 
weiblichen  Geschlecht  in  Thätigkeit,  und  auch  hier  nur  nach  der  Geburt 
der  Nachkommenschaft,  wenn  zur  Ernährung  derselben  das  Drtiscn- 
secret,  die  Milch,  nöthig  ist. 

Ein  Hautskelct  ist  nur  ausnahmsweise  in  Form  festgefügter  £j^L 
Knochenplatten  bei  den  Gürtellhieren  vorhanden:  dagegen  zeigt  das 
Axenskelet  zahlreiche,  nur  bei  Säugethieren  vorkommende  Merkmale- 
Arn  Schädel  treten  die  bisher  besprochenen  Knochen  vielfach  nur 
noch  als  Knochenkerne  auf,  welche  frühzeitig  mit  benachbarten  Kernen 
zu  grösseren  Knochen  verschmelzen.  Wie  das  Schläfenbein  lehrt, 
können  hierbei  sogar  Theile  von  ganz  verschiedener  Herkunft,  Theilc 
des  Visceralskelets  und  der  Schädelkapsel,  vereinigt  werden,  so  dass 
eine  scharfe  Trennung  von  Schädel  und  Visceralskelet  nicht  mehr 
durchführbar  ist,  wenn  auch  im  Allgemeinen  die  Unterscheidung  von 
Hirn-  und  Gesichtsschädel  dieser  Trennung  entspricht.  Wir  sind  daher 
gezwungen,  um  nicht  eng  Verbundenes  auseinander  zu  reissen,  bei 
der  Schilderung  des  Schädels  eine  andere  Eintheilung  als  bisher  zu 
Grunde  zu  legen,  die  Eintheilung,  welche  uns  die  menschliche  Ana- 
tomie an  die  Hand  giebt. 

Im  hinteren  Abschnitt  des  Säugethierschädels  (Fig.  4GG,  4G7)  be- 
gegnen wir  einem  grossen  Knochen,  dem  Os  oeeipitis,  welcher  durch 
einen  doppelten  Condylus  occipitalis  mit  dem  Atlas  gelenkig  ver- 
bunden ist  und  die  vier  uns  von  früher  her  bekannten,  verschmolzenen, 
primären  Knochen,  die  Oeeipitalia,  ausserdem  aber  gewöhnlich  noch 
einen  bei  Säugethieren  allein  auftretenden  Belegknochen,  das  Inter- 
parietale, enthält.  Das  In ter parietale  (//»),  streng  genommen  ein 
Knochenpaar,  entsteht  im  Winkel  zwischen  den  Parietalia  und  dem 
Supraoccipitale  und  liefert  den  obersten  Theil  der  Hinterhauptschuppe. 
Nach  vorn  von  ihm  liegen  in  der  Schädeldecke  wie  bei  den  übrigen  Wir- 
belthieren :  die  Parietalia  (bei  manchen  Wiederkäuern  mit  «lein  Interparie- 
tale verwachsen),  die  Frontalia  und  die  Kasalia,  wozu  sich  stets  noch 


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552 


Wirbelthiere. 


die  Lacrymalia  gesellen  (Fig.  460,  4«>7,  538  pa,  fr,  na,  la).  An  der 
Schädelbasis  setzt  sich  vorn  an  die  ßasis  des  Hinterhauptsbeins  das 
Keilbein,  Os  sphenoideuni,  an,  welches  bei  vielen  Säugethieren  dauernd 
(Fig.  467),  beim  Menschen  wenigstens  embryonal  in  zwei  Stücke  ge- 
trennt ist,  das  vordere  und  das  hintere  Keilbein.  Jedes  dieser  Stücke 
lässt  sich  entwicklungsgeschichtlich  wieder  in  drei  Theile  zerlegen. 


Fig.  Ö3S.  Knpfskelet  eines  Embryo  von  Tatitsin  hybrid«  (nach  Parker  und  Wie- 
•lemheiin);  knorpeliges  Priraonlialcranium  punktirt,  hantiges  schraffirt  (h).  1  Beleg- 
knochen: na  Nasale  (davor  Nawnkapscl  mit  Nasenoffnung).  la  Lacrymaie,  fr  Fron- 
tale, pa  Parietale,  im  Intermaxillare,  mx  Maxillare .  ju  .Tugale ,  sq  S<|uamosum ,  <fr 
Dentale.  2.  Knorpel  und  primäre  Knochen:  u#  Oeeipitale  su|>erius,  o  OeeipitalknoriK'l. 
pr  Pctrneum  (Gchorka]ksel).  a  Ambos  (Quadratnm),  n  Hammer  (Artieulare),  mk  Meekel- 
seher  Knorpel,  st  Steigbügel  (llyomandibulare) ,  h  Zungenbeinbogen,  kb  Rest  der 
Kiemenbögen,  ty  Tympanieuni. 

Das  hintere  besteht  aus  dem  unpaaren  Basisphenoid  (Spb)  (Körper) 
und  den  paarigen  Alisphenoidea  (Als-)  (den  grossen  Keilbeinrlügeln, 
Alae  temporales),  das  vordere  aus  dem  Praesphenoid  (Ps)  (Körper) 
und  den  Orbitosphenoidea  (Ors)  (Alae  orbitales,  den  kleinen  Keilbein- 
Hügeln).  Vor  dem  vorderen  Keilbein  liegt  ebenfalls  dreitheilig  das 
Ethmoid  (Eth)\  das  unpaare  Mesethmoid  bildet  zwischen  den  beiden 
tief  in  den  Knochen  eindringenden  Nasenhöhlen  eine  knöcherne  Scheide- 
wand; die  paarigen  Exethmoidea  liefern  die  Seitenwand  der  Nasen- 
kapsel und  durch  complicirte  Faltungen  ihrer  Innenseite  als  Grund- 
lage für  eine  reichliche  Vergrösserung  der  Geruchsschleimhaut  die 
Muscheln  oder  Conchae,  zu  denen  sich  als  ein  selbständiger  Knochen 
das  Os  turbinale,  die  „untere  Muschel",  gesellt. 

Das  zwischen  die  Knochen  der  Schädcldcckc  und  der  Schädel- 
basis seitlich  eingekeilte  Schläfenbein  kann  nur  verstanden  werden, 
wenn  man  es  im  Zusammenhang  mit  dem  ersten  und  zweiten  Visceral- 
bogen  betrachtet  und  zugleich  von  embryonalen  Verhältnissen  ausgeht 
(Fig.  588).  Man  findet  dann  als  Grundlage  des  Knochens  die  knor- 
pelige Gehörkapsel,  die  Anlage  des  Petrosum  (Schläfenbeinpyramide 
pe),  und  wie  bei  den  übrigen  Wirbelthieren  an  derselben  befestigt  1)  den 
knorpeligen  Kieferbogen:  das  Quadratum  (a)  und  das  Mandibulare 
(n  -f-  mk),  2)   den  knorpeligen   Zungenbeinbogen:  Hyomandibulare 


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VII.  Säugethiere. 


553 


(st)  und  Hyoid  (h)  (vgl.  damit  das  Visceralskelet  der  Selachier,  Fig.  494). 
Hierzu  kommt  der  Belegknochen  des  Quadratum,  das  Squamosum  (sq), 
welches  sich  proportional  der  Reduction  des  Quadratum  vergrössert  hat, 
und  schliesslich  unterhalb  des  Squamosum  die  Anlage  des  Annulus  tympa- 
nicus  (ty).  Wenn  nun  Verknöcherung  der  knorpeligen  Theile  eintritt, 
so  entsteht  aus  vielen  Knockenkernen  ein  einheitliches  Petrosum;  das- 
selbe verschmilzt  mit  dem  Squamosum  und  häufig  auch  mit  dem  in 
manchen  Ordnungen  zu  einer  ansehnlichen  Knochenkapsel  anwachsenden 
Tympanicum.  Petrosum  und  Squamosum  einerseits,  Tympanicum 
andererseits  erzeugen  einen  Raum,  die  Trommelhöhle,  in  welchen  die 
oberen  Stücke  der  beiden  Visceralbögen  hineingerathen,  um  durch 
Verknöcherung  zu  den  Hörknöchelchen  zu  werden,  das  Hyomandibulare 
zum  Stapes,  das  Quadratum  zum  Ambos  (Fig.  480).  Die  Art,  wie  nun 
der  vordere  Rand  des  Annulus  tympanicus  bei  der  Vereinigung  mit 
dem  Squamosum  (die  Glaser'sche  Spalte  bildend)  auf  den  Kieferbogen 
trifft,  bringt  es  mit  sich,  dass  auch  das  obere  Ende  des  Mandibulare 
(w),  welches  dem  Articulare  der  übrigen  Wirbelthiere  entspricht,  in 
die  Trommelhöhle  eingeschlossen  wird  und  bei  der  Verknöcherung  den 
Hammer  liefert,  während  der  untere  Abschnitt,  der  „Meckelschc 
Knorpel'4  \mk\  gleichsam  abgequetscht  wird.  Der  MeckePsche  Knorpel 
schwindet  später,  dagegen  wächst  sein  Belegknochen,  das  Dentale  \de\, 
so  sehr  heran,  dass  es  allein  den  Unterkiefer  darstellt,  welcher  nun 
mit  dem  Squamosum  ein  neues  Kiefergelenk  bildet.  Dieses  neue  Kiefer- 
gelenk der  Säugethiere  liegt  zwischen  den  Belegknochen  des  Quadratum 
und  des  Mandibulare  —  zwischen  Squamosum  und  Dentale  —  wie 
das  alte  jetzt  zum  Hammer-Ambosgelenk  gewordene  Gelenk  zwischen 
den  beiden  corrcsporidirenden  primären  Stücken:  Quadratknochen  und 
Articulare  lag.  Auch  sonst  tritt  das  Squamosum  vicariirend  für  das 
Quadratbein  ein,  indem  es  sich  mit  dem  vom  Maxillare  herkommenden 
Jochbogen  Os  zygomaticum  s.  jugale,  ju)  verbindet. 

Der  untere  Theil  des  Zungenbeinbogens  (h)  oder  das  Hyoid  bleibt 
ausserhalb  der  Trommelhöhle  und  verschmilzt  an  seinem  oberen  Ende 
öfters  mit  dem  Petrosum.  Das  obere  Ende  (Processus  styloideus)  kann 
dann  von  dem  unteren,  an  der  Copula  (Corpus  hyoideum)  ansitzenden 
Stück  (vorderem  Zungenbeinhorn)  ganz  getrennt  werden ,  indem  die 
verbindende  Knorpelstrecke  zu  einem  Ligament  (L.  stylohyoideum) 
atrophirt.  Im  Zungenbein  der  Säugethiere  erhält  sich  schliesslich  noch 
ein  Rest  der  Kiemenbögen  in  den  Hinterhörnern  (Cornua  majora  des 
Menschen). 

Wie  das  Quadratum  (Ambos)  im  Vergleich  zum  gleichnamigen 
Knochen  der  übrigen  Wirbelthiere  an  Grösse  ganz  auffallend  reducirt 
ist,  so  ist  auch  der  vordere  Abschnitt  des  Palatoquadratum ,  welcher 
die  Knochen  der  Gaumenreihe,  Vomer,  Palatinum,  Pterygoid,  umfasst, 
schwach  entwickelt,  besonders  im  Vergleich  zu  den  davor  liegenden, 
mächtigen  Maxillarknochen.  Zwischenkiefer  (Praemaxillare  oder  Inter- 
maxillare,  im)  und  Oberkiefer  (Maxillare,  nix)  —  beide  beim  Menschen 
zu  einem  einheitlichen  Oberkiefer  verwachsen  —  bilden  vermöge  ihrer 
Ausdehnung  fast  allein  die  Grundlage  des  Gesichts  und  schicken  nach 
rückwärts  und  einwärts  die  Gaumenfortsätze  aus.  Durch  letztere  werden 
die  Knochen  der  Gaumenreihe  eingeengt  ;  die  Vomer  der  beiden  Seiten 
werden  zu  einem  unpaaren,  die  Nasenscheidewand  vervollständigenden, 
senkrecht  gestellten  Knochen  zusammengepresst,  Palatina  und  Ptery- 
goidea  werden   rückwärts  verlagert.    Das  Palatiuum   betheiligt  sich 


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554 


Wirbelthiere. 


WlrMtlule 
und  Kutre- 
mlUten 


Gehfm. 


noch  am  harten  Gaumen,  das  Pterygoid  nur  ausnahmsweise  (Cetaceen, 
Edentaten);  letzteres  verliert  sogar  gewöhnlich  seine  Selbständigkeit 
und  schliesst  sich  dem  ihm  am  meisten  benachbarten  Knochen  der 
Schädelbasis,  dem  Basisphenoid,  an;  genauer  gesagt:  es  verschmilzt 
mit  einem  Fortsatz  desselben  (Lamina  externa  des  Processus  ptery- 
goideus)  als  die  Lamina  interna.  Im  hinteren  Keilbein  sind  somit 
ganz  wie  im  Schläfenbein,  craniale  und  viscerale  Theile  vereint. 

In  der  Wirbelsäule  sind  die  Halswirbel  und  die  Rippen  tragenden 
Brustwirbel  stets  von  einander  unterschieden,  meist  auch  —  mit  Aus- 
nahme der  Cetnccen      Lendenwirbel,  Sacralwirbel  (2—5,  selten  bis 
und  Schwanzwirbel.   Auch  ist  die  Variabilität  in  den  für  die  einzelnen 

Regionen  giltigen  Zahlen  eine  beschränk- 
tere. Namentlich  haben  alle 
Säugethiere  sieben  Halswirbel 
(darunter  Atlas  und  Epistropheus) ;  nur 
ganz  ausnahmsweise  kommen  9  {Bra- 
dypus  tridncty/us)  oder  fi  {(,'hoioepus 
lloffmnnni,  alle  Manatu&aricn)  vor.  — 
Vom  Gliedmaassenskelet  interessiren 
uns  am  meisten  Schulter-  und  Becken- 
gürtel. Das  Coracoid ,  welches  bei 
Monotremen  noch  das  Sternum  erreicht, 
ist  sonst  zu  einem  Fortsatz  der  Sca- 
pula,  dem  Processus  coracoideus,  einge- 
schrumpft. Seltener  (bei  schnell  laufen- 
den und  springenden  Thieren)  fehlt  die 
Clavieula ;  dieselbe  tritt  bei  den  Mono- 
tremen (Fig.  530  Ct)  noch  an  ein  gut 
entwickeltes  Episternum  (Ep) ,  sonst 
scheint  sie  mit  dem  Sternum  zu  arti- 
culiren;  thatsächlich  ist  sie  aber  von 
ihm  stets  durch  die  Cartilagines  inter- 
articulares,  die  Reste  des  Episternum, 
sind  Darm-,  Sitz-  und  Schambeine  vorhanden; 

Seite  sind  ventral   unter  einander 


Fig.  y.VX  StiTiiuin  und  Schultor- 
gürtvl  von  < htiithorhijHrhu.«  para- 
i/oths,  linke  Haiti«;  nur  zum  Thoil 
«largrstellt  (aii!*  \\'ie<l<Thhciml.  St 
Manubrium  Storni  (mImto  Kn<k«  des 
Hrustbeins).  Ep  F|ii»*t«.'nium,  r/('la- 
Vapula.  <l  ( ««  Icnkfläilu», 
Co  ( V  Otracoi«!. 


viculu, 
für  ilen  (Murann. 


getrennt.  Am  Becken 
Sitz-  und  Schambeine  derselben 
vereinigt  und  umschliessen  gemeinsam  das  Foramen  obturatum.  Die 
Schambeine  der  linken  und  rechten  Seite  treffen  in  einer  Symphyse 
zusammen,  welche  sich  selten  auch  auf  die  Sitzbeine  ausdehnt  (Fig.  54!*). 

Da  sich  die  Säugethiere  im  Allgemeinen  durch  ihre  Intelligenz 
von  den.  übrigen  Wirbelthieren  unterscheiden,  ist  auch  ihr  Hirn  durch 
die  Grösse  von  Grosshirn  und  Kleinhirn  ausgezeichnet  (Fig.  540  bis 
54.'$).  Für  das  Kleinhirn  ist  im  Gegensatz  zu  den  Vögeln  und  Fischen 
zu  betonen,  dass  die  Seitentheile,  die  Kleinhirnhemisphären  {IV),  mehr 
als  der  dazwischen  gelegene  „Wurm"  sich  an  der  fortschreitenden  Ent- 
wicklung betheiligen.  Beim  Grosshirn  kommt  in  erster  Linie  der 
Manteltheil  der  Hemisphären  in  Betracht  Die  Stirnlappen  desselben 
wächsern  nach  vorn  über  die  Lobi  olfactorii  herüber,  welche  von  dein 
vorderen  Ende  des  Hirns  mehr  und  mehr  auf  die  Unterseite  rücken.  Die 
Schläfenlappen  dehnen  sich  links  und  rechts  über  die  Sehhügel  bis  an 
die  Schädelbasis  aus.  Die  Hinterhauptslappen  endlich  decken  nach 
rückwärts  successive  Mittelhirn,  Kleinhirn  und  Medulla  oblongata  zu. 
Da  nun  die  Hauptzunahme  der  geistigen  Fähigkeiten  sich  innerhalb  der 
Classe  selbst  vollzieht,  so  ergiebt  uns  das  Grosshirn  eine  aufsteigende 
Reihe,  welche  folgende  Zusammenstellung  erläutern  möge.    Bei  Mono- 


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VII.  Säugethiere. 


irernen,  Beuletthieren,  Inscctenfresscm  und  Nagern  (Fig.  540)  kommt 
vorn  der  Lobus  olfactorius  (lo),  hinten  vielfach  noch  das  Mittelhirn 
(III)  zum  Vorschein;  bei  Halbaffen,  Carnivoren  (Fig.  541)  und  TJngu- 
laten  ist  vorn  der  Lobus  olfactorius,  hinten  das  Kleinhirn  (IV)  zum 
grösseren  Theil  zugedeckt;  bei  Menschen  und  Affen  (Fig.  f>42)  endlich 


Fig.  .V10.    Gehirn  de»        Fig.  Ml.    Gehirn  »Irr        Fig.  .VI 2.    Gehirn  des 
Kaninchens  (nach  Gegen-      Fischotter.  Paritnt. 
1  »nur).  (Fig.  541,  542  nach  Leuret  und  Gratiolet.» 

/  Grosahirn,  ///  Mittelhirn  |Vor»>orn  (jundrigemina),  IV  Kleinhirn,  I'  Nachhirn 
(Med ulla  ohlongata),  lo  Lobus  olfactorius. 

sieht  man  beim  Abtragen  des  Schädeldachs  nur  die  beiden  Grosshirn- 
hemisphaeren,  welche  alle  übrigen  Hirntheile  mehr  oder  minder  voll- 
kommen von  oben  verdecken.  Weiter  ist  zu  beachten,  dass  bei  den 
Wirbelthieren  der  ersten  Gruppe  die  Oberfläche  des  Hirns  meist  glatt 
ist,  dass  bei  den  übrigen  das  Wachsthum  der  Hirnrinde  zur  Einfaltung 
und  Bildung  von  Gyn  und  Sulei  (Hirnwindungen)  führt,  welche  bei 
den  menschenähnlichen  Affen,  besonders  aber  beim  Menschen,  die 
grösste  Complication  erreichen.  Eine  nothwendige  Folge  der  Massen- 
zunahme des  Hirnmantels  ist  die  Vergrösserung  der  die  einzelnen 
Regionen  verbindenden  Nervenstränge,  der  Commissuren,  die  sich  mehr 
und  mehr  als  besondere  Hirntheile  hervorheben.  So  werden  innerhalb 
der  Säugethierclasse  zwei  quere  ('ommissuren  zwischen  linker  und  rechter 
Grosshirnhemisphäre  ( H  i  r  n  b  a  1  k  e  n  und  Hirn  g  e  w  ö  1  b  e ,  Corpus 
callosum  und  Fornix)  deutlich,  ferner  zwei  derbe  Stränge  vom  Gross- 
hirn nach  den  rückwärts  gelegenen  Hirntheilen,  die  Crura  Cerebri, 
endlich  ein  queres  Commissurensystcm  unter  dem  Kleinhirn,  der  Pons 
Varoli,  Verbindungen,  welche  in  anderen  Wirbelthierclassen  noch 
nicht  mächtig  genug  sind,  um  besonders  benannt  zu  werden  und  auch 
bei  niederen  Säugethieren  wie  Monotremen  und  Beutclthurtn  noch  wenig 
zur  Geltung  kommen. 

Das  Anwachsen  des  Grosshirns  und  Kleinhirns  und  zwar  vorwiegend 
in  ihren  dorsalen  Abschnitten  führt  zu  einer  mehrfachen  Knickung  der  Hirn- 
axe,  die  sich  schon  bei  Reptilien  bemerkbar  macht,  bei  den  Vögeln  fort- 
schreitet und  bei  den  Säwjcthieirn  ihr  Maximum  erreicht  (Hirnbeuge).  An- 
statt in  der  Richtung  des  Rückenmarks  zu  verlaufen,  biegt  sich  in  der 
Gegend  der  Medulla  oblongata  die  Hirnaxe  ventralwärts  (Nackenbeug e \ 
dann  in   der  Gegend    der  Varolsbrücke    wieder  nach  dem  Rücken  zu 


556 


Wirbelthiere. 


(Brfickenbeu  ge),  um  auf  der  Höhe  der  Corpora  quadrigemina  zum 
zweiten  Mal  ventralwärts  eingeknickt  zu  werden  (Sch  eite  lbouge).  — 
Durch  sein  Wachsthum  übt  ferner  das  Hirn  einen  äusserst  interessanten 
Einfluss  auf  die  Beschaffenheit  des  Schädels  aus,  indem  es  —  bei  den 
Vögeln  meist  noch  auf  die  Gegend  hinter  den  Augen  beschränkt  —  bei 
den  höheren  Säugethieren  bis  in  die  Geruchsgegend  vordringt.  So  kommt 
es  zu  einem  Anwachsen  des  Hirnschädels  auf  Kosten  des  Gesichtsschädels. 
Das  Grössenverhältniss  beider  hat  schon  Camper  als  Maassstab  der  In- 
telligenz angesehen  und  durch  den  „Camper'schen  Gesichtswinkel"  zu  be- 
stimmen gesucht,  eine  Bestimmungsmethode,  welche  in  der  Neuzeit  wesent- 
liche Verbesserungen  erfahren  hat. 

Unter  den  Sinnesorganen  ist  die  Nase  durch  drei  Merkmale  ausge- 
zeichnet; es  bildet  sieh  die  äussere  Nase  als  ein  von  Knorpeln  ge- 
stütztes, in  das  Gesicht  vorragendes  Organ;  ferner  ist  ein  harter  Gaumen 
vorhanden ;  drittens  gewinnt  der  Binnenraum  eine  labyrinthische  Ge- 
stalt durch  Vermehrung  und  Einrollung  der  Knochen-  und  Knorpel- 
falten, die  schon  bei  den  Reptilien  und  Vögeln  von  der  Seiten  wand 
der  Nasenkapseln,  besonders  von  den  Exethmoidca  aus,  in  den  Binnen- 
raum hineinragen  und  Nasenmuscheln  heissen.  Zur  Vergrösserung  der 
Schleimhautflächen  dienen  weiterhin  sinuöse  Ausstülpungen  in  die  be- 
nachbarten Knochen,  in  die  Stirnbeine,  Keilbeine  und  Oberkiefer  (Sinus 
frontales,  S.  sphenoidales,  S.  maxillares).  —  Bei  Auge  und  Ohr  sind 
die  äusseren  Httlfsapparate  für  die  Erscheinungsweise  der  Säugethiere 
wichtig,  am  Auge  die  oberen  und  unteren  Augenlider,  neben  denen 
die  Nickhaut  in  mehr  oder  minder  rudimentärem  Zustand  fortbesteht, 
am  Ohr  die  von  Knorpel  gestützte  Ohrmuschel  und  der  äussere  Ge- 
hörgang. Das  Gehörorgan  ist  zugleich  in  seinen  inneren  Theilen  wesent- 
lich umgestaltet  ;  die  Säugethiere  sind  die  einzigen  Wirbelthiere,  bei 
denen  die  drei  Gehörknöchelchen.  Hammer,  Ambos  und  Steigbügel, 
vorhanden  sind  (Fig.  4*0)  und  der  Schneckenblindsack  des  Labyrinths, 
der  Ductus  cochlearis.  in  2—4  Spiralwindungen  nach  Art  eines  Schnecken- 
hauses eingewunden  ist  (Fig.  77,  47i>). 

Bei  der  Besprechung  des  Säugcthicrdarms  verdient  vor  Allem  die 

auf  Unterkiefer,  Zwischen-  und 
Oberkiefer  beschränkte  B  e  z  a  h  - 
nung  Beachtung,  weil  sie  sowohl  zur 
Unterscheidung  der  gesammten  Classe  von 
anderen  Wirbelthierclassen  als  auch  inner- 
halb der  Classe  zur  Charakteristik  der  ein- 
zelnen Ordnungen  benutzt  wird.  Wenn  wir 
Monotrenien,  Ellentaten  und  Cetaceen,  bei 
welchen  die  Bezahnung  in  offenkundiger 
Rückbildung  begriffen  ist,  ausser  Acht  lassen, 
so  sind  vier  Merkmale  hervorzuheben,  welche 
sämmtlich  darauf  hinweisen,  dass  das  Gebiss 
der  Säugethiere  höher  entwickelt  und  daher 
einer  grösseren  Gesetzmässigkeit  unterwor- 
fen ist  als  das  Gebiss  der  übrigen  Wirbel- 
thiere (Fig.  f>43).  1)  Die  Zahl  der  Zähne 
ist  mindestens  für  jede  Art,  meist  sogar  für 
die  Gattung,  vielfach  auch  für  die  Familie 
constant.  Wie  die  Menschen  normalerweise  32  Zähne  haben,  so  die 
Hunde  42,  die  anthropoiden  Affen  32,  die  plattnasigen  Affen  30  u.  s.  w. 


Fig.  518.  Ohhs  und  Milrh- 
gebitt  der  Katxe.  r  Eckzähne, 
l>* — p*  Praemolare,  Molare. 
Schneidezähne  ohne  Nummern, 
tl  bedeutet  das  Milchgebiß 
(aus  Boas). 


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VII.  Säugethiere. 


2)  Die  Zähne  sind  besser  befestigt.  Ihr  Dentinkörper  wird  durch 
eine  leichte  Einschnürung  in  die  mit  Schmelz  bedeckte  Krone  und  die 
von  Cement  (Knochengewebe)  umhüllte  Wurzel  abgetheilt.  Die  Wurzeln 
sind  in  besondere  Höhlungen  der  Kiefer,  die  Zahnalveolen ,  eingekeilt 
und  entstehen  zuletzt,  wenn  das  Wachsthum  des  Zahns  seinem  Ende 
entgegengeht,  so  dass  bei  Zähnen,  welche  wie  die  Schneidezähne  der 
Nager,  die  Stosszähne  der  Elephanten,  oder  die  Eckzähne  der  Schweine 
etc.  ein  dauerndes  Wachsthum  haben,  es  niemals  zur  Bildung  einer  ab- 
geschlossenen Wurzel  kommt.  3)  Infolge  dieser  besseren  Befestigung 
nutzen  sich  die  Zähne  nicht  so  schnell  ab  und  bedürfen  nicht  des 
raschen  Ersatzes;  es  finde  t.  nur  ein  ein  maliger  Wechsel  statt, 
indem  das  bei  der  Geburt  vorhandene  oder  bald  darauf  sich  ent- 
wickelnde „Milchgebiss4'  —  besser  Zähne  der  „ersten  Dentition*'  ge- 
nannt —  nach  einiger  Zeit  vom  bleibenden  Gebiss  —  Zähnen  der 
zweiten  Dentition  —  ersetzt  wird  (diphy o.don  te  Säugethiere); 
in  einigen  Fällen  unterbleibt  der  Zahnwechsel  ganz,  sei  es,  dass  die 
zuerst  angelegten  Zähne  sich  dauernd  erhalten  (Beutelthicre.  Zahnwnlc, 
theilweis  auch  lnsecten fresset),  sei  es,  dass  die  erste  Dentition  mehr 
oder  minder  rudimentär  wird  (Edentaten,  manche  Nager,  Fledermäuse, 
Pinnipedier)  (m  o  n  o  p  h  y  o  d  o  n  t  e  S.).  Als  Seltenheit  wurden  Reste  von  1, 
vielleicht  sogar  2  weiteren  Dentitionen  beobachtet.  4)  Innerhalb  der  Zahn- 
reihe hat  sich  eine  Arbeitstheilung  vollzogen  und  hat  zu  Unterschieden  in 
der  Gestalt  und  der  Bewurzelung  der  Zähne  geführt  (Anisodontie  oder 
H  c tero  d  o n t i e) ;  die  Zähne  de*  Zwischenkiefers  und  ihre  Antagonisten 
im  Unterkiefer  sind  einwurzelig,  haben 'meist  Meisselgestalt  und  heissen 
daher  Schneidezähne,  Dentes  incisivi,  ein  Namen,  den  sie  bei- 
behalten, auch  wenn  ihre  Kronen  wie  bei  Insectivoren  (Fig.  f>0">)  nadel- 
artig zugespitzt  sind.  An  die  Dentes  incisivi  schliesst  jederseits  oben 
und  unten  der  Dens  caninus,  der  Eckzahn  (c)  an,  ein  ebenfalls  ein- 
wurzeliger, gewöhnlich  conisch  zugespitzter  Zahn  (wahrscheinlich  ein 
modificirter  Praemolar).  Nach  aussen  von  ihm  folgen  die  Backzähne, 
breite,  mchrwurzelige  Zähne  mit  höckeriger  Mahlfläche;  sie  sind  stets 
nur  zum  Theil  — ■  die  vordem  —  im  Milchgebiss  angelegt,  während  die 
hintern  erst  im  bleibenden  Gebiss  auftreten  und  daher  gar  nicht  ge- 
wechselt werden.  Auf  Grund  dieser  Entwicklungsweise  unterscheidet 
man  zweierlei  Backzähne,  die  im  Milchgebiss  vorgebildeten  Prae- 
molar es  oder  Lückzähne  (falsche  Backzähne)  und  die  nicht  vorge- 
bildeten Molares  oder  echten  Backzähne.  —  Aus  dem  Gesagten  folgt 
mit  Notwendigkeit,  dass  man  eine  jede  Säugethierart  nach  der  Be- 
schatfenheit  ihres  Gebisses  wird  charakterisiren  und  diese  Charakte- 
ristik in  eine  kurze  Zahlenformel  wird  zusammenfassen  können.  Man 
hat  nur  nöthig,  die  Zahlen  der  vier  oben  genannten  Zahnformen  — 
die  des  Oberkiefers  und  Unterkiefers  durch  einen  horizontalen  Strich 
getrennt  —  in  ihrer  natürlichen  Reihenfolge  aufzuführen.  Bei  der 
Syirtmetrie  beider  Körperseiten  bedarf  es  nur  der  Angabe  für  eine 
Seite,  wobei  man  mit  den  Schneidezähnen  beginnt  und  im  Fall,  dass 
eine  Zahnsorte  fehlen  sollte,  den  Defect  mit  einer  0  bezeichnet.  Die 
Zahnformel  des  Menschen  würde  demnach  lauten:  |}f-y,  die  der  Rinder, 
denen  im  Oberkiefer  die  Schneide  und  Eckzähne  fehlen:  — 
verschiedenen  Zahnformeln  der  Säugethiere  (mit  Ausnahme  der  Mono- 
tremeri)  lassen  sich  auf  eine  Gruncfrormel,  aus  der  sie  der  Hauptsache 
nach  durch  Rückbildung  entstanden  sind,  zurückführen.  Dieselbe  lautete 
wahrscheinlich:  fHi- 


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558 


Wirbelthiere. 


Die  Backzähne  unterliegen  je  nach  der  Nahrung  am  meisten  einem 
Wechsel  der  Form.  Als  Ausgangsform  können  wir  das  Gebiss  omnivorer 
Thiere  betrachten ,  bei  denen  die  Krone  mehrere  stumpfe  Höcker  besitzt 
(punodontes  Gebiss).  Bei  animalischer  Nahrung  (Fig.  543,  551)  sind  die 
Höcker  der  Krone  zugespitzt  und  schneidend  (secodontes  G.  der  Inseiiivoren 
und  Camivoren)  ;  ist  die  schneidende  Kante  aussergewöhnlich  scharf  und 
auf  ihrer  Innenseite  noch  ein  besonderer  Höcker  vorhanden,  so  spricht 
man  von  einem  Reisszahn  (D.  1  a  c  e  r  a  n  s  der  Carnivoren).  Bei  pflanz- 
licher Kost  werden  die  Höcker  unter  einander  durch  quere  Kämme  (Joche) 
verbunden  (lophodonfcs  und  seknodontes  G.).  Indem  die  Höcker  und  Joche 
theilweise  abgeschliffen  und  die  Furchen  zwischen  ihnen  mit  Cement  aus- 
gefüllt werden,  entstehen  breite  Mahlfläehen,  deren  Festigkeit,  hauptsäch- 
lich durch  die  der  Abnutzung  am  meisten  Widerstand  leistenden  Schmelz- 
Überzüge  der  Höcker  und  Joche  bedingt  wird.  Diese  dringen  von  der 
äusseren  Schmelzmauer  des  Zahns  als  Falten  nach  innen  vor;  indem  die 
Falten  sich  abschnüren,  können  auf  der  Mahlfläche  Schmelzinseln  ent- 
stehen (Dentes  complicati  der  üufthierc).  Wenn  die  Schmelzfalten  in  regel- 
mässigen Abständen  von  innen  und  aussen  in  den  Zahn  vordringen  und 
in  der  Mitte  zusammentreffen,  so  zerlegen  sie  ihn  in  zahlreiche  aufeinander 
folgende,  durch  Cement  verbundene  Blätter  (zusammengesetzte  Zähne  der 
Elephanten  [Fig.  608]  und  mancher  Nager). 

Palaeontologische  Untersuchungen,  mit  denen  auch  neuere  entwick- 
lungsgeschichtlichc  Erfahrungen  übereinstimmen,  haben  zu  dem  Resultat 
geführt,  dass  in  der  Bildung  der  Heekes  bei  den  Backzähnen  eine  grosse 
Gesetzmässigkeit  herrscht.  Man  unterscheidet  triconodonte  und  trituber- 
culare  Zähne,  je  nachdem  drei  Höcker  in  einer  Reihe  oder  in  Form  eines 
Dreiecks  gestellt  sind ,  endlich  multituberculare  Zähne  mit  zahlreichen 
regellosen  Höckern.  Sicher  ist,  dass  die  tritubercularen  Zähne  von  tri- 
conodonten  abgeleitet  werden  müssen  und  dass  sie  selbst  wieder  zum  Aus- 
gangspunkt für  die  Zahnformen  der  reeenten  Säugethiere  wurden,  indem 
secundäre  Höcker  entstanden ;  dagegen  wird  darüber  gestritten,  ob  die 
multitubercularen  Zähne  Vorläufer  oder  Abkömmlinge  des  tritubercularen 
Typus  sind.  Ferner  ist  strittig,  ob  die  Mehr-  und  Vielhöckerigkeit  aus  Ver- 
schmelzung kleinerer  kegelförmiger  Zähne  entstanden  ist,  oder  dadurch, 
dass  ein  Kegelzahn  secundäre  Spitzen  entwickelte.  Die  Bildung  der  Höcker 
erfolgt  bei  den  Prämolaren  in  anderer  Weise,  als  bei  den  Molaren.  Da 
erstere  meist  auch  einfacher  gebaut  sind,  gründet  sich  die  Unterscheidung  der 
beiden  Formen  der  Backzähne  nicht  ausschliesslich  auf  ihre  Entwicklungs- 
geschichte, sondern  auch  auf  ihren  Bau.  Dies  ist  wichtig,  weil  es  vor- 
kommt, dass  Prämolaren  nicht  gewechselt  werden  (Deuidthierey  manche 
InscHiroren  und  Nwjer)  und  dass  andererseits  hinter  den  Molaren  Anlagen 
von  Ersatzzähnen  auftreten.  Letzteres  beweist,  dass  die  Molaren  streng 
genommen  nicht  der  zweiten,  sondern  gemeinsam  mit  dem  Milchgebiss  der 
ersten  Dentition  angehören.  Sie  sind  verspätet  angelegte  und  daher  bleibend 
gewordene  Theile  der  ersten  Dentition. 
)to>uon»-  im  Athmungsapparat  ist  am  wichtigsten  die  Anwesenheit  eines 
HenJ  kräftigen,  bei  anderen  Wirbelthieren  nur  in  seinen  Anfängen  erkenn- 
baren Zwerchfells  oder  Diaphragma,  welches  die  Leibeshöhle 
in  eine  Brust-  und  Bauchhöhle  sondert.  In  der  Brusthöhle  liegen 
Oesophagus,  Herz  mit  Herzbeutel,  vor  Allem  Trachea,  Bronchien  und 
Lungen,  in  der  Leibeshöhle  alle  übrigen,  vegetativen  Organe.  Die 
Scheidewand  ist  musculös  und  in  die  Brusthöhle  hinein  kuppelformig 
gewölbt;  bei  der  Contraction  des  Zwerchfells  muss  sich  seine  Wölbung 


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VII.  Säugethiere. 


559 


abflachen  und  der  Raum  der  Brusthöhle  sich  erweitern.  Das  führt  zur 
Ausdehnung  der  an  der  Brustwand  luftdicht  anschliessenden  Lunge 
und  damit  zur  „Inspiration",  während  beim  Erschlaffen  des  Zwerch- 
fells die  Lungen,  ihrer  Elasticität  folgend,  sich  zusammenziehen  und 
einen  Theil  der  Luft  austreiben  (Exspiration).  Ausserdem  kann  Heben 
des  Brustkorbs  die  Inspiration,  Senken  die  Exspiration  unterstutzen. 

—  Die  Athmungswege  (Fig.  481)  beginnen  mit  dem  zur  Stimmbildung 
dienenden  Kehlkopf;  auf  ihn  folgt  die  Trachea,  welche  sich  in  einen 
linken  und  rechten  Bronchus  gabelt;  jeder  Bronchus  verästelt  sich 
fortgesetzt,  bis  die  kleinsten  Bronchien  entstehen,  welche  mit  Aus- 
sackungen, den  zur  Athmung  dienenden  Lungenbläschen,  bedeckt  sind. 

—  Das  Herz  der  Säugethiere  (Kammer  und  Vorkammer)  ist  in  eine 
linke  und  eine  rechte  Hälfte  getrennt;  ebenso  wird  frühzeitig  im  Era- 
bryonalleben  die  anfänglich  einfache  Aorta  ascendens  in  eine  venöse, 
dem  rechten  Herzen  entspringende  A.  pulmonalis  und  in  eine  arterielle 
Aorta  ascendens  zerlegt,  welche  aus  der  linken  Herzkammer  entspringt. 
Zum  Unterschiede  von  Reptilien  und  Vögeln  wird  der  linke  Ar- 
terien bogen  zum  arteriellen  Aortenbogen,  während  der  rechte  ver- 
loren geht. 

Für  die  systematische  Eintheilung  der  Säugethiere  hat  das  U  r  o  -  ^JJjJjJJ1* 
genitalsystem  die  allergrösste  Bedeutung  gewonnen  (Fig.  544). 
Dasselbe  besteht  auf  frühen  Stadien  des  Embryonallebens  in  beiden 
Geschlechtern  überall  im  Wesentlichen  aus  denselben  Theilen:  aus 
der  zuerst  sich  anlegenden  Urniere  (Wolffschem  Körper  W.)  und  der 
später  auftretenden,  bleibenden  Niere  (im  Schema  auf  der  folgenden  Seite 
nicht  eingezeichnet),  aus  der  als  Allantois  sich  in  die  Embryonalhäute 
erstreckenden  Harnblase  (4  und  5)  und  aus  drei  Ausführgängen,  Müller- 
schen  oder  Vornierengängen  (ml,  WolfTschen  oder  Urnierengängen  (w) ; 
und  den  Gängen  der  bleibenden  Nieren  oder  den  Ureteren  (3).  Die 
Ausführgänge  münden  sämmtlich  nicht  mehr  in  den  Darm,  sondern  in 
die  Harnblase  (im  weiteren  Sinne),  der  Ureter  in  den  Grund  (Fundus) 
der  Harnblase,  WolfFsche  und  Müllersehe  Gänge  in  ihre  Sinus  uro 
genitalis  genannte  untere  Verlängerung  (u<t).  Auf  dem  Wölfl" sehen 
Körper  lagert  in  der  Leibeshöhle  die  Geschlechtsdrüse  (ot).  In  der 
vorderen  Wand  des  Sinus  urogenitalis  liegt  ein  Körper  aus  schweli- 
barem  Gewebe,  der  Geschlechtshöcker  icp),  welcher  beim  weiblichen 
Geschlecht  klein  bleibt  (Clitoris),  beim  männlichen  Geschlecht  sich  ver- 
grössert  und  die  Grundlage  des  Penis  liefert.  Da  der  Sinus  urogeni- 
talis von  vorn  in  den  Enddarm  (i)  mündet,  ist  embryonal  stets  eine 
Cloake  (cl)  vorhanden ,  welche  sich  bei  den  Monolremen  auch  dauernd 
erhält,  sonst  aber  durch  Ausbildung  einer  Scheidewand,  des  Damms, 
in  den  vorderen  Sinus  urogenitalis  und  den  hinteren  Afterdarm  zer- 
legt wird. 

Aus  dieser  indifferenten  Anlage  lässt  sich  leicht  der  männliche  0^SXtl 
Apparat  ableiten,  der  sich  ziemlich  gleichförmig  bei  den  meisten  owe. 
Säugethieren  verhält  (Fig.  545).  Geschlechtshöcker  und  Sinus  urogeni- 
talis wachsen  gemeinsam  aus  und  erzeugen  den  von  der  Harnröhre 
durchsetzten  Penis.  Die  Müller'schen  Gange  schwinden  und  aus  Wolff- 
schem Gang  und  Wolffschem  Körper  entstellt  der  Ausführweg  des 
Hodens:  Vas  deferens  und  Nebenhoden.  Mit  Ausnahme  der  ftfonotremen 
tritt  eine  Verlagerung  der  Hoden  von  ihrer  der  Lendengegend  an- 
gehörigen  Ursprungsstätte  ein :  sie  erfolgt  nach  abwärts  längs  eines  zur 
Haut  der  Leistengegend  ziehenden  Bandes  (Gubernaculum  Hunteri)  und 


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5GÜ 


Wirbelthiere. 


ist  unbedeutend  bei  den  Cctaceen,  Elephantcn  und  manchen  Edentafen: 
vielfach  aber  erreicht  sie  einen  solchen  Grad,  dass  die  Hoden  die  Bauch- 
höhle verlassen  und  in  peritoneale  Bruchsäcke  zu  liegen  kommen, 
welche  in  die  Umgebung  des  Penis,  in  die  Genitahvülste  (Fig.  544  Is) 
oder  den  Hodensack  ausgestülpt  werden.  So  lange  der  Bruchsack 
(Scheidencanal)  sich  nicht  abgeschnürt  hat,  kann  der  Hoden  zur  Zeit 
der  Gesehleehtsthütigkeit,  der  Brunst,  in  die  Leibeshöhle  zurückgleiten, 
(bei  Bcutelthieren,  Nagern,  Insedenfressern  etc.),  was  durch  Verwachsung 


der  Wände  des  Scheidencanals  bei  sehr  vielen  Säugethieren  wie  dem 
Menschen  unmöglich  gemacht  wird.  Anhänge  des  männlichen  Ge- 
schlechtsapparats sind  die  Samenbläschen  (an  den  Samengängen),  ein 
Best  des  Müller'schen  Ganges  (Uterus  masculinus)  und  die  Prostata,  ein 
reichlicher  Drüsenbesatz  am  Sinus  urogenitalis. 

■52Srt         *ni  w  e '  k ' ' c  n  e  11  ( * e  8  c  n  1  c  c  n  *  bilden  sich  allgemein  der  Wolff- 
«pm^BChe  Körper  und  Gang  zurück;  der  Geschlechtshöcker  und  der  Sinus 
urogenitalis  bleiben  klein ;  die  Ovarien  erfahren  eine  geringe  Verlage- 
rung und  treten  nicht  aus  der  Leibeshöhle  heraus,  die  Müller'schen 
Gänge  endlich  werden  zu  den  Ausführwegen.    In  der  Art,  wie  letzteres 


Fig.  ."»14.  Schema  des  Urogenitalsystems 
eines  Singethiers  auf  frühem  Stadium  (aus 
Half« >ur  nach  Thomson).  Ventrale  Ansieht, 
nur  Harnblase,  Cloake  und  Genitalhöcker  in 
Profilstellung  gebracht.  .9  Ureter,  4  Harnblase, 
.7  Verlängerung  der  letzteren  zur  Allantois 
(U  melius),  ng  Sinus  urogenitalis,  rt  Cloake,  * 
Enddarm,  rp  Genitalhöeker ,  fs  Anlage  des 
Hodensieks  (der  «rossen  Schamlippen»,  ot 
Geschlechtsdrüse.  II'  Wolff  scher  Körper,  x 
dessen  oberes  Ende,  ic  Wolffsehe  Gänge,  m 
Müller  sehe  Gänge,  gn  Vereinigung  beider 
zum  Genitaist  rang. 


Fig.  54">.  UrogenitAlsystcm 
des  männlichen  Bitters  (au*  Hlan- 
ehard).  o  Harnblase  mit  l're- 
teren,  «  Hoden,  m  Samenleiter, 
/  Samenbläsehen ,  A-  Cowpersche 
Drüsen,  i  Corpora  envernosa  des 
Penis,  c  Eichel  des  Penis,  a  Biber- 
geilsäeke ,  b  deren  Mündung  in 
den  aufgeschnittenen  Vorhau t- 
canal,  </  Mündung  des  Vorhaut- 
canals,  e  Analdrüsen ,  f  deren 
Mündung,  g  After,  h  Schwani- 
wurzeL 


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VII.  Säugethiere. 


geschieht,  ergeben  sich  grosse,  systematisch  wichtige  Unterschiede.  Bei 
den  Monotremen  münden  beide  Gänge  völlig  von  einander  getrennt  in 
den  Sinus  urogenitalis ;  sie  sind  nur  in  zwei  Theile  differenzirt  (Fig.  546), 
in  die  durch  weite  Ocffnungen  (o)  mit  der  Leibeshöhle  in  Verbindung 
stehenden  Eileiter  (0  und  die  Uteri  («).    Bei  den  Beutelthieren  (Fig.  547) 


nie ,  «'  Mündung  desselben  in  den 
Sinus  urogenitalis ,  dazwischen  die 
Harnblasenmündung  ,  vu  Harn- 
blase, sug  Sinus  urogenitalis,  cl 
Cloake. 


Fig.  547.  Urogenitalsystem  eines  weib- 
lichen Kängurus  ^aus  Gegenbau r).  or  Ovar, 
od  Üviduct,  u  Iterus,  ou  Mündung  dem- 
selben in  die  Vagina,  f  verschmolzenes 
oberes  Ende  der  linken  und  rechten  Va- 
ginen, et  getrennte  untere  Abschnitte  der- 
selben ,  et/g  Sinus  urogenitalis ,  ni  Harn- 
blase, *  Mündung  derselben  in  den  Sinus 
urogenitalis,  ur  Creteren. 


unterscheidet  man  drei  Abschnitte,  ausser  Eileiter  (od)  und  Uterus  (u) 
noch  die  Scheide  (cv) ;  ferner  bahnt  sich  bei  ihnen  eine  Verschmelzung 
der  MüllerVhen  Gänge  der  linken  und  rechten  Seite  an.  Die  oberen, 
an  den  Uterus  angrenzenden  Enden  der  beiden  Scheiden  nähern  sich 
und  verwachsen  bei  einem  Theil  der  Arten  zu  einem  unpaaren  Blind- 
sack (/);   von  da  aus 

trennen  sich  die  henkel-  a  B  c 

artig  gestalteten  unteren 
Enden  (cv)  von  Neuem, 
um  jedes  für  sich  in  den 
Sinus  urogenitalis  zu 
münden.  Die  bei  den 
Beutelthieren  vorberei- 
tete Verschmelzung  bei- 
der Scheiden  ist  bei  allen 
placentalen  Säugethieren 
zu    Ende  durchgeführt 

und  sind  dadurch  Scheide  und  Sinus  urogenitalis  ein  einheitlicher  Canal 
geworden  (Fig.  548).  Dagegen  kann  der  Uterinabschnitt  der  Müller- 
schen  Gänge  noch  getrennt  sein  (A.  Uterus  duplex  vieler  Nagethiere) 
oder  er  ist  theilweise  verschmolzen  (B.  Uterus  bicornis  der  Insecien- 

HertwU,  Lehrbuch  der  Zoolotfo.   3.  Auflage.  3(J 


Fig.  518.  Ä  Uterus  duplex,  B  Uterus  bicornis, 
C  Uterus  siniplex  (aus  Gegenbaur).  od  Üviduct,  « 
Uterus,  v  oberes  Ende  der  Vagina, 


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Wirbelthiere. 


/Vesser,  Wale,  Huf-  und  Raubthiere)  oder  vollkommen  einheitlich  (C. 
Uterus  simplex  bei  Affen  und  Menschen). 

Wir  haben  soeben  drei  verschiedene  Grundformen  des  weiblichen 
Geschlechtsapparats  kennen  gelernt,  insofern  die  Scheide  entweder 
noch  nicht  differenzirt  ist  (Omithodelphier)  oder  doppelt  (Didelphie>  i 
oder  einfach  und  unpaar  ist  (Monodelphier).  Diesen  drei  Typen  ent- 
sprechen drei  verschiedene  Arten  der  Fortpflanzung.  Die  Ornitho- 
dclphier  sind  eierlegend,  die  DideJphier  und  Monotlelphier  sind  zwar 
beide  lebendig  gebärend,  unterscheiden  sich  aber  durch  die  Dauer  der 
Tragzeit.  Die  Eier  aller  lebendig  gebärenden  Säugethiere  sind  so 
klein  (ca.  0,2  mm  ,  dass  sie  eine  totale,  nahezu  äquale  Furchung  er- 
leiden. Derartige  Eier  bedürfen  der  Ernährung  durch  die  Mutter,  um 
einen  Organismus  von  dem  complicirten  Hau  eines  Säugethieres  zu 
liefern.  Da  nun  bei  den  Didelphiern  die  Ernährung  im  Uterus  eine 
sehr  unvollkommene  ist,  ist  auch  die  Tragezeit  eine  sehr  kurze;  sie 
beträgt,  wenn  wir  Thiere  von  gleichem  Körpergewicht  in  Vergleich 
stellen,  nicht  einmal  so  viele  Wochen,  wie  Monate  bei  den  Monodelphiem, 
weil  bei  letzteren  sich  die  Ernährungsbedingungen  für  den  Embryo  durch 
Bildung  der  Placenta  wesentlich  vervollkommnet  haben.  Dement- 
sprechend werden  bei  den  Didelphiern  den  „Aplacentalien",  die  Em- 
bryonen in  einem  ausserordentlich  viel  unvollkommneren,  hilfsbedürf- 
tigeren Zustand  geboren  und  sind  von  viel  geringerer  Körpergrösse 
als  bei  den  Monodelphiem,  den  " Placcntalien" . 

Die  Sorge  für  die  Nachkommenschaft  ist  allen  Säugcthieren  gemein 
und  wird  vorwiegend  oder  ausschliesslich  vom  Wreibchen  ausgeübt,  welches 
seine  Jungen  nicht  nur  mit  dem  Seeret  der  Milchdrüsen  säugt,  sondern 
auch  gegen  Angriffe  vertheidigt  und  in  warmen,  wenn  auch  meist  wenig 
kunstvollen  Nestern  unterbringt.  Dio  meisten  Säugethiere  sind  monogam, 
andere  sind  polygam,  bei  dritten  kommt  es  überhaupt  nicht  zum  dauernden 
Zusammenleben  der  Geschlechter.  —  Die  Körpertemperatur  ist  eine  con- 
stante  (Homoeothermu».  Warmblüter)  und  beträgt  circa  3<j — 41°  C  [bei 
Echtdna  nur  23°).  Um  sie  aufrecht  zu  erhalten,  bedürfen  die  meisten 
Säugethiere  einer  andauernden  Ernährung.  Von  dieser  Regel  machen  nur 
wenige  eine  Ausnahme,  wie  Bären,  Dachse,  Siebenschläfer,  Murmelthterc  etc.. 
die  in  der  kalten  Jahreszeit  einen  Winterschlaf  unterhalten  und  dann  keine 
Nahrung  mehr  zu  sich  nehmen.  In  diesem  Falle  tritt  stets  in  Folge  des 
herabgesetzten  Stoffwechsels  eine  Abnahme  der  Körpertemperatur  ein. 


I.  Unterciasse  und  Ordnung. 
Monotrcmen,  Cloakenthlere,  Orntthodelphler,  Oromammalien. 

Beschränkt  auf  Australien  und  Neuguinea  leben  wenige  eigen- 
thümliche  Säugethierarten,  die  sich  auf  die  drei  Gattungen  Echxdnn, 
Proechidna  und  Omithorhynchus  vertheilen  und  sich  schon  dadurch 
von  allen  übrigen  Säugethieren  unterscheiden,  dass  sie  dotterreiche, 
etwa  1  cm  lange,  weichschalige  Eier  legen.  Letztere  erfahren  schon 
im  Uterus  des  Weibchens  die  discoidale  Furchung,  werden  dann  aber 
weiter  ausgebrütet,  von  Omithorhynchus  in  einem  Nest,  von  Echidna 
in  einem  zur  Zeit  der  Fortpflanzung  sich  bildenden  Brutbeutel  am 
Bauch.  Die  jungen  Thiere  werden  beim  Verlassen  der  Eischalen  von 
der  Mutter  gesäugt  und  zwar  mit  dem  Secret  von  Schweissdrüsen,  die 


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VII.  Säugethiere:  Monotremen. 


5(53 


auf  einem  vertieften,  einen  Theil  des  Brutbeutels  bildenden  Feld  der 
Bauchhaut,  der  Mammartasche,  münden  und  zum  Unterschied  von  den 
Milchdrüsen  der  übrigen  Säugethiere  Mammardrüsen  heissen,  weil  sie 
nicht  wie  jene  modificirte  Talgdrüsen  sind.  Weitere  Unterschiede  zu 
den  übrigen  Säugcthieren,  welche  zugleich  Aehnlichkeiten  zum  Theil 
mit  den  Reptilien,  zum  Theil  mit  den  Vögeln  darstellen,  sind  die  starke 
Ausbildung  des  Episternum  und  der  das  Sternum  erreichenden  Cora- 
coidea  (Fig.  539),  die  Cloakenbildung  in  beiden  Geschlechtern  und  die 
specifisch  vogelähnliche  Beschaffenheit  der  weiblichen  Geschlechts- 
organe {Ornilhodelphia) ,  an  denen  das 
linke  Ovar  kräftiger  ausgebildet  ist  und 
ein  Unterschied  von  Uterus  und  Scheide 
noch  fehlt.  Alles  das  darf  uns  nicht 
vergessen  lassen,  dass  die  Monotremen 
das  Haarkleid,  die  Schädelbeschaffenheit 
und  den  Sinus  urogenitalis  echter  Säuge- 
thiere haben  und  in  der  Anwesenheit 
der  Beutelknochen  auf  dem  Becken  (Fig. 
549)  sogar  eine  nähere  Verwandtschaft 
mit  den  Beutelthieren  bekunden.  — 
Dentinzähne  fehlen  bei  ausgebildeten 
Thieren;  doch  finden  sich  bei  jungen 
Ornithorhynchen  im  Ganzen  noch  IG  kleine 
vielhöckerige  Backzähne,  welche  später 
von  breiten  Hornplatten  ersetzt  werden. 
—  Die  Männchen  besitzen  einen  Sporen 
mit  einer  Drüse  an  den  Hinterfüssen, 
der  in  eine  correspondirende  Vertiefung 
am  Schenkel  des  Weibchens  passt  und 
wahrscheinlich  bei  der  Begattung  eine  Rolle  spielt. 

1)  Echidniden,  Ameisenigel;  Körper  mit  Stacheln  bedeckt,  Schnauze 
verlängert,  zahnlos,  mit  wurmformiger  Zunge,  die  zum  Insectenfang  dient  ; 
die  meist  fünfzehigen  Füsse  mit  starken  Scharrkrallen.  Echidna  histrix 
Cuv.,  Australien,  E.  setosa 

Cuv.,     Vandiemensland.  mmtvn 
Procchidna    bntijni  Pet. 
u.   Dor.,  Neuguinea.  — 

2)  OrnUhorhynctüden, 
Schnabelthiere ;  zahnlose, 
im  Wasser  „grundelndo", 
dicht    behaarte  Thiere 
mit  Hornscheiden  an  den  „Ä    Ä    M        ,  ,  _  , 

Kiefern,  welche  an  einen       Fl£'  55°-    Ormthorynchus  paradoxus  (aus  Schmarda). 

Entenschnabel  erinnern, 

und  mit  4  Paar  zahnartigen  Hornplatten ;  die  fünfzehigen  Füsse  mit  breiter, 
besonders  an  den  Vorderfüssen  gut  entwickelter  Schwimmhaut.  Ornitho- 
rhynchus  paradoxus  Blbch.,  in  Südaustralien  (Fig.  550). 


des 


Fig.  .">49.    Linksseitige  Ansicht 
Beckens  von  Ornithorhunchus 


paradoxus  (aus  Wietersheim).  // 
Ileum,  Is  Os  ischü ,  P  Ob  pubis, 
Om  Os  marsupialc. 


II.  Unterclasse. 

Marsupialier,  Didelpbier,  Beutelthlerc. 

Die  Beutelthiere  sind  wie  die  übrigen  Säugethiere  lebendig  ge- 
bärend.   Ihre  Eier  sind  klein,  haben  eine  totale  Furchung  und  ent- 

36* 


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5<J4 


Wirbel  thiere. 


wickeln  sieb  im  Uterus  der  Mutter,  indem  sie  durch  Ausscheidungen 
von  der  Wand  desselben  ernährt  werden.  Da  aber  noch  keine  innigere 
Vereinigung  mit  der  Uterusschleimhaut  zu  Stande  kommt,  fällt  die  Er- 
nährung ungenügend  aus,  und  werden  die  jungen  Thiere  in  völlig  hilf- 
losem Zustand  geboren.  Sie  werden  daher  von  der  Mutter  noch  längere 
Zeit  im  Marsupium  getragen,  einem  durch  eine  Hautfalte  gebildeten 
Beutel  in  der  unteren  Bauchgegend,  an  dessen  Grund  die  Zitzen  der 
Milchdrüsen  münden.  Zur  Stütze  der  Bauchdecken  dienen  die  Beutel- 
knochen, schlanke  Knochenstäbe,  welche  links  und  rechts  von  der 
Symphyse  auf  dem  Schambein  aufsitzen.  Weitere  sehr  charakteristische 
Merkmale  des  Beutelthierskelets  sind  der  Winkel  des  Unterkiefers, 
welcher  hakenartig  nach  innen  eingebogen  ist  (Fig.  551  «),  und  der 

rudimentäre  Zahnwechsel.  Bei 
den  Beutelthieren  bleiben  die 
Zähne  der  ersten  Dentition 
(Milchgebiss  und  Molares)  im 
Wesentlichen  erhalten.  Nur 
Praemolar  3  wird  gewechselt 
und  durch  einen  Zahn  der 
„,    T.  .  , .  ,         „..  ,  zweiten  Dentition  ersetzt.  Doch 

J-iir.  ;>ol.    I  nterkiefor  von  Ihylacinus  ryno-         .       .  .        ,  ,  . 

crp/Jus  von  innen,  a  der  für  die  UeuMtlm-n'  hnden  slch  a,uch  hinter  anderen 
charakteristische  Untcrkioferfortsatz ;  <•</ lielenk-  Zähnen  (selbst  hinter  Molar- 
fläche  mach  Flower).  Zähnen)  rudimentäre  Anlagen 

der  zweiten  Dentition.  Ferner 
ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  ein  Schneidezahn  der  zweiten  Dentition 
sich  vollkommen  entwickelt  und  in  die  Reihe  der  Milchzähne  rückt,  ohne 
einen  derselben  zu  verdrängen,  wodurch  die  Zahl  der  Schneidezähne  bei 
vielen  Beutlern  auf  5  in  jeder  Kieferhälfte  erhöht  wird.  —  In  Folge  mangel- 
hafter Ausbildung  des  Damms  ist  die  Cloake  durch  eine  grubenförmige 
Vertiefung,  in  welcher  Urogenitalapparat  und  Darm  münden,  noch 
schwach  angedeutet.  Oviducte  und  Uterus  der  linken  und  rechten 
Seite  sind  vollkommen  getrennt,  die  Scheiden  dagegen  können  eine 
Strecke  verschmolzen  sein,  um  sich  von  Neuem  zu  trennen  (Fig.  547». 
so  dass  sie  stets  unabhängig  von  einander  in  den  Sinus  urogenitalis 
münden  (Didelphier).  Mit  der  paarigen  Beschaffenheit  der  Scheide 
hängt  es  zusammen,  dass  auch  der  Penis  des  Männchens  am  Ende 
zweigeteilt  ist. 

In  der  Secundär-  und  Tertiärzeit  waren  die  Bentelthiere  über  den 
ganzen  Erdball  verbreitet,  wurden  aber  immer  mehr  von  den  placentahn 
Säugethieren  verdrängt  und  erhielten  sich  nur  in  Resten  (Familie  der 
Beutehnttcn)  in  Amerika  und  in  reichlicher  Entfaltung  in  Australien.  In 
Australien  konnten  sie  fortexistiren,  weil  in  diesem  frühzeitig  von  den 
übrigen  Continenten  abgelösten  Erdtheil  die  Ausbildung  placentaler  Säuge- 
thiere  unterblieb.  Letztere  fehlen  in  Australien  mit  Ausnahme  der  von  dem 
Menschen  eingeführten  Formen  und  von  solchen  Arten,  welche,  wie  3fäuse, 
Fledermäuse,  Robben  leicht  von  Insel  auf  Insel  überwandern.  In  ihrem 
jetzigen  Verbreitungsgebiet  haben  die  Beutelthiere  in  Anpassung  an  ähn- 
liche Existenzbedingungen  eine  völlig  analoge  Entwicklung  genommen  wie 
die  placentalen  Siiugethiere  auf  dem  übrigen  Erdball,  so  dass  man  zu  den 
Ordnungen  der  letzteren  (Raubthieren,  Nagethieren,  Insectenfressern,  Huf- 
thieren)  vollkommene  Parallelgruppen  aufstellen  kann. 


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VII.  Säugetbiere:  Zoophagen,  Phytophagen,  Placentalier.  565 


II.  Ordnung.    Zoophagen,  Fleisch  beutler. 

Zahlreiche  Beutelthiere  —  darunter  die  ältesten  Formen  —  haben 
ein  auf  thierische  Nahrung  eingerichtetes  Gebiss:  stark  entwickelte 
Eckzähne  und  spitzhöckerige  Backzähne  (Fig.  551).  Genauer  betrachtet 
erinnern  die  Zähne  und  so  auch  das  ganze  Aeussere  der  Thiere  bald 
mehr  an  Raubthiere,  bald  mehr  an  Insectenfresser. 

1)  Raubbeutler  sind  die  Dasyuridcn:  Dasyurus  vivarinus  Geoffr.,  der 
Beutelmarder,  und  die  selbst  grösseren  Säugethieren  gefahrlichen  Beutel- 
bären, Sarcopkilus  ursinus  GeoÜr.,  und  Beutelwölfe,  'lhylacimis  cynwepliahis 
A.  Wagn.  —  2)  Insectivorcnähnlich  sind  die  Permncliden :  Peramelcs  nasutus 
Geoffr.  —  3)  Dem  Gebiss  nach  den  Raub  beutlern  ähnlicher  als  den  In- 
sectivoren  sind  die  atif  Amerika  (vorwiegend  Südamerika)  beschränkten 
Didelphyiden  oder  Beutelratten,  charakterisirt  durch  den  Greiffus,  welcher 
mit  seinem  opponirbaren  Daumen  an  den  Greiffuss  der  Affen  erinnert. 
Didelphys  virginiatm  Shaw.,  Opossum,  über  Nord-  und  Südamerika  verbreitet. 

III.  Ordnung.    Phytophagen,  Pflanzenbeutler. 

Die  herbivore  Ernährungsweise  spricht  sich  bei  den  Pflanzen- 
beutlern  vor  Allem  in  der  Rückbildung  der  Eckzähne  aus,  welche  im 
Unterkiefer  gewöhnlich  fehlen  und  im  Oberkiefer  mindestens  sehr  klein 
bleiben.  Ferner  trägt  der  Unterkiefer  nur  zwei  Schneidezähne  von  ganz 
auffallender  Grösse. 

1)  Die  Stelle  unserer  Nagethiere  nehmen  die  Phascolomyiden  ein: 
Pfiascolomys  Wvnibat  Per.  et  Les.,  keine  Eckzähne,  jederseits  im  Ober-  und 
Unterkiefer  nur  1  langer  Schneidezahn  (vergl.  Rodentien).  —  An  die 
Hufthiere  erinnern  die  heerdcnweise  auf  Wiesen  weidenden  Macropodideti, 
Springbeutler,  bei  denen  jederseits  3  Schneidezähne  und  1  kleiner  Eckzahn 
im  Oberkiefer  stehen.  Bei  der  Kleinheit  der  Vorderextremitäten  sind  die 
Thiere  gezwungen,  mit  Hilfe  ihres  kräftigen  Schwauzes  und  der  starken 
Hinterbeine  zu  springen.  Maeropus  gigantcus  Shaw.,  Riesenkänguruh.  —  Am 
wenigsten  ausgesprochen  ist  das  herbivore  Gebiss  bei  den  Phalangisfiden, 
welche  nach  Art  der  Eichhörnchen  vorwiegend  von  Früchten  leben.  Petaurvs 
sc-iureus  Desm.,  Beuteleichhorn,  mit  einer  Flughaut,  welche  vordere  und 
hintere  Extremität  verbindet. 

III.  Unterclasse. 
Placentalier. 

Der  Grund,  weshalb  wir  die  Säugethiere  der  alten  Welt  und  die 
überwiegende  Mehrzahl  der  in  Amerika  lebenden  Formen  als  „Placen- 
talier" zusammenfassen,  ist  zunächst  ein  entwicklungsgeschichtlicher, 
die  Anwesenheit  derPlacenta.  Wenn  sich  beim  Embryo  Serosa. 
Amnion  und  Allantois  entwickelt  haben,  breiten  sich  die  Gefässe  der 
letzteren  in  der  äusseren  Hülle  unter  der  Serosa  aus  und  bilden  mit 
dieser  das  Chorion,  welches  in  die  ausserordentlich  blutgefässreich 
gewordene  Uterusschleimhaut  der  Mutter  verästelte  Zotten  eintreibt, 
um  aus  ihr  Nahrung  zu  saugen,  wie  ein  Baum  mit  seinen  Wurzeln 
Nahrung  aus  der  Erde  saugt.    So  entsteht  das  Chorion  frondosum,  die 


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566 


Wirbelthiere. 


diffuse  Placenta  (Fig.  552),  welche  bei  den  Celomorphen,  Perisso- 
dactylen  und  manchen  Artiodadylen  bis  zum  Ende  des  Embryonal' 

lebens  beibehalten  wird ,  bei  den 
übrigen  Säugethieren  aber  den  ver- 
besserten Einrichtungen  der  PI.  co- 
tyledonaria,  PI.  discoidalis  und  zo- 
naria  Platz  macht.  Den  letzteren 
ist  gemeinsam,  dass  das  Chorion  an 
den  meisten  Stellen  seine  Zotten  ver- 
liert (Chorion  laeve).  an  bestimmten 
Stellen  aber  sie  dafür  um  so  kräftiger 
entwickelt.  Diesen  zotten reichen  Stellen 
(PI.  foetalis)  entsprechen  Stellen  der 
Uterinsc.hleinihaut ,  die  durch  ihren 
enormen  Blutgefässreichthum  von  der 
Umgebung  abstechen  (PI.  uterina. 
Die  Placenta  cotyledonaria  (die  meisten 
Wiederkäuer)  besteht  aus  vielen  klei- 
nen derartigen  Placentarstellen,  den 
Cotyledonen  (Fig.  5f>.'J),  die  PI.  zonaria 
und  discoidalis  jedesmal  aus  einem 
einzigen  Herd,  welcher  im  ersteren 
Fall  ( ltaubthiere)  wie  ein  breiter  Gür- 
tel die  tonnenförmige  Frucht  umgicht, 
Rest  der  Säugethiere)  eine  Scheibenform  hat.  Durch 


Fig.  552.  Schema  einer  jungen 
Saugethierfrucht  mit  Chorion  fron- 
doeum ;  am  Amnion,  ah  Amnionhöhlc, 
as  Nabelschnur,  r  Raum  zwischen 
Clu »rinn  und  Amnion,  ch  Chorion, 
sh  Senxsü,  chx  Chorionzotten,  al  Al- 
lantois,  ds  Dottcraaek,  dy  Dottergang. 


im  zweiten  Fall 
diese  Beschränkung 


diese  Verletzung  in  eine 
Verschluss  durch  die 
wird  (Dcciduaten). 


der  Nährvorrichtungen  auf  einen  eng  begrenzten 

Bezirk  wird  die  corre- 
spondirende  Partie  des 
Uterus ,  die  ebenfalls 
ring-  oder  scheibenför- 
mige Placenta  uterina, 
viel  intensiver  umgeän- 
dert, als  bei  der  PL  diffusa 
oder  selbst  der  PI.  coty- 
ledonaria. Während  bei 
letzteren  beiden  zum 
Schluss  desGebäracts  sich 
die  Placentarzotten  aus 
der  Uterinschleimhaut 
herausziehen  lassen,  ohne 
dass  diese  dabei  verletzt 
wird  (Imlcciduatcn),  wird 
bei  der  Ring-  und  Schei- 
benplacenta  gewöhnlich 
der  oberflächlichste  Theii 
der  Schleimhaut,  die  hin- 
fällige Haut  oder  Deeidua. 
mit  abgelöst  und  die 
Placenta  uterina  durch 
blutende  Wunde  verwandelt,  deren 
Contraction  des  Uterus  angebahnt 


Fig.  .">."»:$.  Trächtige  Ciebännuttcr  einer  Kuh  geöffnet 
(aus  Bulfuur  nach  Colin).  V  Vagina,  U  Uterus,  Ch 
Chorion,  C  Cotyledonen  iler  Utennplaccnta,  Coty- 
ledonen der  Fötalphieeuto. 


grosse 
energische 


Da  der  Säugethierembryo 


bei  der  Geburt  mit  der  Placonta  foetalis 


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VII.  Säugethiere:  Edentaten,  Cetomorphen. 


567 


und  den  übrigen  Abschnitten  der  Eihäute  durch  die  Nabelschnur  (Funi- 
culus  umbilicalis)  zusammenhängt,  rauss  er  von  ihr  gelöst  werden, 
was  bei  den  Thieren  durch  Abbeissen  von  Seiten  der  Mutter  geschieht. 
Ein  dabei  am  jungen  Thier  verbleibender  Rest  der  Nabelschnur  wird 
durch  Wundheilung,  die  zur  Bildung  des  Nabels  führt,  abgestossen.  — 
Die  besprochenen  Unterschiede  in  der  Bildung  der  Placenta  hat  man  ver- 
sucht, systematisch  zu  verwerthen,  indem  man  Indeciduatm  und  Deciduaten 
und  unter  letzteren  wieder  Zono-  uud  Discoplacentalien  einander  gegenüber- 
stellte; man  ist  davon  mehr  und  mehr  wieder  zurückgekommen. 

Neben  den  Placcntaleinrichtungen  verdienen  bei  der  Charakteristik 
der  höheren  Säugethiere  noch  einige  anatomische  Merkmale  Beachtung: 
völliger  Schwund  der  Cloakenbucht,  unpaare  Beschaffenheit  der  Scheide 
und  demgemäss  auch  der  Penisspitze,  Mangel  der  Beutelknochen  und 
des  Forsatzes  am  Unterkieferwinkel.  Das  Gebiss  ist  Gegenstand  einer 
fortschreitenden,  divergenten  Entwicklung  geworden,  so  dass  die  Unter- 
schiede in  den  Arten  der  Bezahnung  viel  ausgesprochener  sind  als  bei 
den  Beutelthieren  und  daher  auch  in  erster  Linie  zur  Abgrenzung  der 
Ordnungen  verwandt  werden. 

IV.  Ordnung.    Edentaten,  Zahnlücker. 

Einige  wenige,  artenarine  Familien  werden  unter  dem  Namen 
Edentaten,  Zahnlücker,  zusammen gefasst,  weil  die  Bezahnung  fehlt 
oder  —  was  viel  häufiger  zutrifft  —  in  offenkundiger  Rückbildung 
begriffen  ist  Nie  treten  dauernd  funetionirende  Schneidezähne, 
selten  (Bradypus)  Eckzähne  auf;  Backzähne  können  zwar  in  grosser 
Zahl  vorhanden  sein  —  Dasypus  (Priodon)  gigns  besitzt  nahe  an  100 
Backzähne  — ,  aber  sie  sind  schlecht  bewurzelt,  gleichförmig,  schmelz- 
los und  entbehren  meist  des  Zahnwechsels  (monoph)rodont).  Da  das 
Capschwein  (Orycteropus)  und  ein  Gürtelthier  (Tatusia)  im  Erabryonal- 
leben  noch  ein  heterodontes  Milchgebiss,  in  welchem  sogar  Schneide- 
zähne vertreten  sind,  besitzen,  kann  der  Mangel  des  Zahnwechsels 
nur  durch  Rückbildung  erklärt  werden,  wie  denn  überhaupt  Rück- 
bildung vielfach  wohl  Ursache  der  niederen  Organisation  ist,  was  die 
Beurtheilung  der  systematischen  Stellung  der  Thiere  erschwert.  — 
Auffällig  ist  die  grosse  Zahl  der  Sacralwirbel,  5—8  bei  Faulthieren, 
8 — Iii  bei  Gürtelthieren,  3 — (J  bei  Scharrthieren. 

I.  Unterordnung.  Effodientim ;  Thiere  mit  kräftigen  Scharrkrallen, 
langem  Schwanz  und  langer,  wurmformiger,  klebriger  Zunge,  mit  welcher 
sie  Ameisen  und  Termiten  aus  ihren  zerstörten  Bauten  fangen.  Manis 
laticaudata  Shaw.,  Schuppenthier,  Indien,  vollkommen  zahnlos,  wenn  auch 
eine  Zahnleiste  vorhanden  ist,  mit  dachziegelartigen  Hornschuppen.  Oryc- 
teropus mpensis  Geoff.,  Capschwein  mit  langer  Schnauze,  borstigem,  spär- 
lichem Haar,  mit  kleinen  Backzähnen  und  rudimentärem  Milchgebiss, 
Afrika.  Die  wegen  ihrer  langen  Zunge  und  zahnlosen  Kiefer  früher 
hierher  gerechneten  Ameisenbären  Brasiliens  (Mymiccophaga  jubata  L.) 
sind  thiergeographisch  und  nach  ihrem  Bau  viel  näher  mit  den  Faulthieren 
verwandt. 

IL  Unterordnung.  Oingulalen,  Gürtelthiere,  ausschliesslich  südameri- 
kanisch, insectenfressend ;  Rücken  mit  fest  gefügten  Knochenplatten  ge- 
panzert ;  zahlreiche  Backzähne.  Dasypus  gigas  Cuv.,  latusia  hybrida  Desm. 
Nahe  verwandt  die  riesigen,  diluvialen  Glyptodonten. 


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Wirbelthiere. 


III.  Unterordnung.  Bradypoden,  Faulthiere,  mit  spärlichen  Zähnen, 
rauhem,  langhaarigem  Fell,  kleinem,  runden  Kopf,  rudimentärem  Schwanz, 
in  der  Gestalt  an  Affen  erinnernd.  Die  Thiere  hängen  sich  mit  ihren 
langen  sichelförmigen  Krallen  an  Baumäste,  das  Laub  fressend ;  sie  sind 
wie  die  diluvialen  Riesenfaulthiere  (Megatherium  Cucieri  Desm.)  auf  Süd- 
amerika beschränkt.  Bradypus  tridaetylm  Cuv.,  mit  9  Halswirbeln,  Gholoepus 
didaciytus  III.,  mit  6  Halswirbeln. 

V.  Ordnung.    Cetomorphen,  Walthiere,  Meersäugethiere. 

Zwei  in  ihrem  Bau  sich  wesentlich  von  einander  unterscheidende 
Gruppen  der  Säugethiere,  die  Seekühe  und  die  Waffische,  haben  sich 
dem  Aufenthalt  im  Wasser  so  vollkommen  angepasst,  dass  sie  auf  dem 
Land  nur  vorübergehend  oder  überhaupt  nicht  mehr  zu  leben  vermögen. 
Dabei  sind  die  Thiere  so  fischähnlich  geworden,  dass  die  Walfische  von 
Laien  vielfach  noch  jetzt,  wie  früher  von  den  Fachzoologen,  für  echte 
Fische  gehalten  werden.  Kopf  und  Rumpf  sind  gegen  einander  kaum 
abgesetzt,  da  sich  die  Halsregion  in  Folge  von  Verkürzung  und  oft 
auch  Verschmelzung  der  Halswirbel  ausserlich  nicht  mehr  bemerkbar 
macht.  Die  hinteren  Extremitäten  und  das  Becken  mit  Ausnahme 
kleiner  Darmbeinrudimente  fehlen,  weshalb  auch  Sacral-  und  Lumbai- 
wirbel nicht  mehr  unterschieden  sind.  Die  vorderen  Extremitäten  sind 
flossenförmig  und  dienen  vorwiegend  zum  Rudern  ebenso  wie  die 
Schwanzflosse,  welche  horizontal  gestellt  und  nur  von  fibrösem  Ge- 
webe gestützt  ist  und  daher  anatomisch  mit  der  Schwanzflosse  der 
Fische  nicht  verglichen  werden  darf.  Die  Haut  enthält,  nur  spärliche 
Haare,  ja  bei  manchen  Walfischen  kommt  es  sogar  vor,  dass  die  beim 
jungen  Thier  nur  in  der  Nachbarschaft  des  Mundes  vorhandenen  Haare 
gänzlich  verloren  gehen. 

I.  Unterordnung.  Sirenen,  Seekühe.  Die  Sirenen  bewohnen  das  flache 
Wasser  des  Meeres  —  seltener  der  Flussufer  —  und  grasen  hier  die  Tang- 
wälder mit  ihren  gewaltigen,  von  Hornplatten  bedeckten  Kiefern  ab.  Die 
Bezahnung  kann  ganz  fehlen  oder  ist  mangelhaft.  Am  häufigsten  erhalten 
sich  die  schmelzfaltigen,  an  das  Gebiss  der  Ungulaten  erinnernden  Back- 
zähne, während  die  Schneidezähne  fehlen  oder  wenigstens  funetionsuntahig 
sind  und  nur  beim  männlichen  Dngong  sich  als  ein  Paar  kräftiger,  beim 
Weibchen  rudimentärer  Hauer  im  Zwischenkiefer  entwickeln.  Die  Flossen 
haben  öfters  noch  Nagel rudimente  und  stets  ein  bewegliches  Ellenbogen- 
gelenk. Die  Zweizahl  der  Milchdrüsen  und  ihre  Lage  an  der  Brust  er- 
klärt es,  wie  man  die  ungeschlachten  Thiere  für  Mischwesen  zwischen 
Mensch  und  Fisch  hat  halten  können.  Manatus  americanus  Desm.  mit  nur 
6  Halswirbeln.  Hallore  Dugong  Q.uoy  et  Gaim.,  Männchen  hat  zwei  grosse 
Stosszähne  im  Zwischenkiefor.  liiiyiina  Stellen  Cuv.,  zahnlos,  ganz  aus- 
gerottet. 

II.  Unterordnung.  Cetaeeen ,  Walfische.  Die  Fischähnlichkeit  der  meist 
riesigen  Thiere  wird  dadurch  gesteigert,  dass  dieselben  das  freie  Meer  be- 
wohnen —  Inia  bolieiensis  d'Orb.  und  Plntnnista  gangetiea  Cuv.  die  Flüsse 
— ,  dass  ihre  von  vielen  nahezu  gleichförmigen  Stücken  gestützten  Flossen 
nur  noch  im  Schultergelenk  bewegt  werden  können  und  dass  zur  Schwanz- 
flosse meist  noch  eine  Rückenflosse  tritt.  Für  den  gänzlichen  Mangel  der 
Haare  bieten  die  dicken,  subcutanen  Fettschichten  (Thran)  einen  Ersatz: 
sie  erleichtern  zugleich  das  speeifische  Gewicht  des  Körpers  ebenso  wie 


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VII.  Säugethiere:  Ungulaten. 


569 


die  Fettmassen,  welche  die  lockeren  Knochen  durchsetzen.  Um  den  Thieren, 
während  sie  Nahrung  aufnehmen,  das  Luftathmen  zu  ermöglichen,  erhebt 
sich  der  Kehlkopf  thurmartig  in  den  Rachen  und  legt  sich,  umschlossen 
vom  muskulösen  Gaumensegel,  an  die  Choanen  an,  von  denen  die  Nasen- 
gänge fast  senkrecht  zur  paarigen  oder  unpaaren  äusseren  Nasenöffnung 
aufsteigen.  Indem  die  wasserreiche,  mit  Gewalt  herausgepresste  Athemluft 
beim  Ausathmen  („Blasen")  sich  abkühlt,  entsteht  eine  Fontaine  kleinster 
Wasserthcilchen ,  die  früher  für  einen  Wasserstrahl  gehalten  wurde.  — 
Die  Augen  sind  klein,  Ohrmuscheln 
fehlen,  die  Milchdrüsen  liegen  dicht 
an  der  Geschlechtsöffnung.  Die 
Zähne  sind  entweder  in  sehr  grosser 
Zahl  vorhanden,  gleichartig,  kegel- 
förmig und,  da  die  zweite  Dentition 
vollkommen  rudimentär  bleibt,  mo- 
nophyodont  (D  e  n  t  i  c  e  t  e),  oder  sie 
werden  zwar  angelegt ,  frühzeitig 
aber  wieder  resorbirt  und  durch 
die  das  Fischbein  liefernden  Barteln 
ersetzt  (Mysticete).  Diese  sind 
mächtige,  bei  grossen  Thieren  bis 
zu  4  m    lange  Hornplatten   (Fig.  ,  ,,,,,, 

554/^),  die  mehrere  hundert  an  L  *»  454.  Quersclmitt  durch  den  Vorder- 
„  .  .  /I  .       .      .      .       ...         köpf  eines  Bartcmcais  (Schema  naeh  De- 

Zahl hinter  einander  in  einer  linken    iage).   b  Knorpeliges  Senium  narium  mit 

und  rechten  Reihe  vom  Gaumen  ent-    Voiner ,  i  hinteres  Ende  des  Zwischen- 
springen und  bis  zur  dicken  Zunge    kiefers,  m  ( )l>erki<*fcr ,  u  Unterkiefer,  ba 
(tu)  herunterreichen.  Sie  entsprechen    Bart<?ln'  /,,n^- 
den   queren  Gaumenfalten,  wie  sie 

auch  sonst  bei  Säugethieren  vorkommen.  Am  Innen rand  ausgefranst,  bilden 
sie  eine  Reuse  zum  Zurückhalten  kleiner  Meeresthiere  (Clio  borealis,  Pteropode, 
und  Cctochilus  scptentrionalis,  Copepode).  Der  Schlund  ist  zu  eng,  als  dass 
eine  Ernährung  durch  grössere  Thiere  möglich  wäre. 

1)  Deut  treten,  Zahnwale:  Dclphinus  deiphis  L.,  Delphin,  Monodon  mo- 
norents  L.,  Narwal  mit  einem  ca.  2  Meter  langen  Stosszabn  (Veranlassung 
zur  Sage  vom  Einhorn),  Pltyseter  inacroerphalus  Lac,  Pottwal,  20  m  lang,  liefert 
das  Walrat,  eine  ölartige  Masse,  die  besonders  iu  einem  Hohlraum  oberhalb 
des  Schädels  lagert,  ferner  das  Ambra,  welches  sich  im  Darm  bildet. 
2)  Mystieeten,  Bartenwale,  wogen  des  Fischbeins  und  des  Thrans  gejagt: 
JBalaena  mysticetus  15  m  lang,  Babicnoptera  museuhu  20  m  lang.  3)  Zcuylo- 
donten  tertiäre  ausgestorbene  Thiere  mit  heterodonter  Bezahnung. 


VI.  Ordnung.    Ungulaten,  Hufthiere. 

Unter  dem  Namen  „Ungulaten"  oder  „Hufthiere44  sollen  hier  zwei 
Gruppen  von  Säugethieren  vereint  werden,  welche  viele  Zoologen  als 
selbständige  Ordnungen  neben  einander  aufführen,  die  Perissodactylen 
und  die  Artiodactylen.  Sie  stammen  von  gemeinsamen  Urformen,  den 
Condylarthren,  ab  und  besitzen  eine  grössere  Summe  gemeinsamer 
Merkmale.  Perissodactylen  wie  Artiodactylen  sind  vorwiegend  Pflanzen- 
fresser; ihre  Eckzähne  sind  selten  gut  entwickelt,  ihre  Backzähne  zahl- 
reich, zum  Zermahlen  der  Nahrung  eingerichtet,  mehr  oder  minder  ab- 
geflacht und  vielfach  schmelzfaltig.  Die  Milchdrüsen  sind  inquinal ;  der 
Uterus  ist  zweihörnig,  die  Placenta  eine  diffuse,  die  sich  nur  bei 
manchen  Artiodactylen  (den  meisten  Wiederkäuern)  zur  Cotyledonen- 


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57i » 


Wirbelthiere. 


placenta  höher  entwickelt.  Die  Extremitäten  dienen  fast  ausschliesslich 
zum  meist  schnellen  Lauf,  weshalb  das  Schlüsselbein  im  Interesse  einer 
freieren  Beweglichkeit  der  vorderen  Extremität  rudimentär  ist  oder 
fehlt  und  die  Füsse  vorwiegend  nur  mit  den  in  Hufen  steckenden 
Zehenspitzen  den  Boden  berühren  (Zehengänger) ;  die  Extremi- 
täten sind  ferner  vorzüglich  eingerichtete  Trageapparate  des  Körpers 
und  zeigen  als  solche  im  Vorderarm  und  Unterschenkel  dieselbe  Ten- 
denz zu  einheitlicher  Gestaltung  der  Knochen,  welche  wir  schon  oben 
(S.  530)  für  die  hintere  Extremität  der  Vögel  besprochen  haben.  Immer 
mehr  werden  sowohl  bei  Artiodactylen,  als  bei  Perissodactylen  Radius 
und  Tibia  die  Hauptstützen  der  Extremität,  die  Fibula  dagegen  rudi- 
mentär; die  Ulna  erhält  sich  zwar  leidlich  gut,  bald  in  ganzer  Aus- 
dehnung, bald  nur  in  ihrem  oberen,  dem  Muskelansatz  dienenden  Ende, 
verschmilzt  aber  mehr  oder  minder  mit  dem  Radius.  Dieselbe  Ten- 
denz zur  Vereinfachung  beherrscht  auch  das  Hand-  und  Fussskelet, 
äussert  sich  aber  in  ganz  anderer  Weise  bei  den  Perissodaclylen,  den 
Unpaarhufern,  als  bei  den  Artiodactylen,  den  Paarhufern.  Bei  den 
Perissodaclylen  fällt  die  Drucklinie  des  Körpers  genau  auf  die  Mittel- 
zche  und  veranlasst  diese  zu  kräftigem  Wachsthum,  während  die  übrigen 
Zehen  symmetrisch  zu  dieser  Mittellinie  verschwinden.    Da  schon  früh- 


A.  Perissodactylen. 


Ii.  Artiodactylen. 


Fig.  555. 
Tapir. 


Fig.  "mO. 
Xashorn. 


Fiur.  557. 
Pferd, 


Fig.  558. 
Schwein. 


Fig.  559. 
Hirsch. 


Fig.  :»#). 

Katneel. 


Funkelet  der  vorderen  Extremität.  T  T'lna.  V?  Radius,  s  Scaphoid  (Kadiale), 
/  Lunatum  (Intermedium),  '*  Triquetrum  (Ulnare),  p  Pisisfornic;  tm  Trapcziuin,  td  Tra- 
pezoid,  tu  Capitatuin,  u  Haniatiim,  Rudimente  des  Metacarjms  //  und  V; 

II—  V  die  zweiten  bis  fünften  Finger  (naeh  Flower). 


zeitig  die  erste  Zehe  verloren  gegangen  ist  (Fig.  555),  wird  zunächst 
Zehe  V  (Fig.  556),  dann  Zehe  II  und  ZU  rückgebildet,  so  dass  schliess- 
lich nur  das  Skelet  und  der  Huf  der  Mittelzehe  (Pferd.  Flg.  567)  er- 
halten bleibt,  vom  Skelet  der  übrigen  Zehen  nur  Reste  (die  GrifTel- 
beine  i/und  IV).  —  Bei  den  Artiodactylen  fällt  die  Drucklinie  zwischen 
die  Zehen  III  und  IV  (Fig.  558),  welche  gemeinsam  den  Körper 
tragen,  daher  gleich  stark  werden  und  zum  Zeichen  ihrer  einheitlichen 
Function  verschmelzen,  wenn  auch  nicht  die  Zehen  selbst,  so  doch  die 
zugehörigen  Metacarpen  und  Metatarsen  (Fig.  559  und  560).  Die 


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VII.  Säugethiere:  Ungulaten. 


571 


Figuren  558—560  zeigen,  wie  die  Zehen  II  und  V  (Zehe  I  ist  auch 
liier  schon  früher  verloren  gegangen)  successive  schwinden.  —  Indem 
man  nun  unter  Benutzung  eines  reichlichen  paläontologischen  Materials 
im  Einzelnen  genauer  verfolgte,  in  welcher  Weise  sich  die  Artiodactylen 
und  Perissodactylen  phylogenetisch  entwickelt  haben,  ist  man  zu  dem 
Resultat  gelangt,  dass  beide  Gruppen  divergente  Reihen  bilden,  welche 
sich  schon  an  der  Wurzel  von  einander  getrennt^  haben.  In  jeder 
Reihe  sind  die  meisten  der  oben  erläuterten  gemeinsamen  Merkmale 
selbständig  entstanden,  so  dass  man  sagen  kann,  dass  der  so  einheit- 
lich erscheinende  Habitus  der  Ungulaten  von  Perissodactylen  wie  Artio- 
dactylen unabhängig  erworben  wurde  und  somit  zum  grössten  Theil 
nur  eine  Folge  convergenter  Züchtung  ist. 

I.  Unterordnung.  Perissodactylen,  Unpaarhufer.  Das  Gebiss  zeichnet 
sich  dadurch  aus,  dass  die  mehr  oder  minder  stark  schmelzfaltigen  Prae- 
molaren  und  Molaren  von  gleicher  Grösse  sind.  Das  zweite  wichtigere 
Merkmal  der  Gruppe  ist  die  dominirende  Entwicklung  der  Mittelzehe  unter 
Rückbildung  der  beim  Tragen  minder  betheiligten  übrigen  Zehen,  ein 
Process,  der  bei  den  drei  hierher  gehörigen  Familien  verschieden  weit  ge- 
diehen ist.  —  1)  Tapiriden:  4  Zehen  am  Vorderfuss,  3  am  Hinterfuss; 
Zähne  $|xt,  Nase  rüsselartig  verlängert.  Tapirus  americanus  L.,  7.  indicus 
Desm.  —  2)  lihinocervntidm :  3  Zehen  an  Vorder-  und  Hinterfüssen,  Zähne 
iüTy;  auf  den  Nasenbeinen  sitzen  1—2  mächtige,  nur  aus  Horn  bestehende 
Aufsätze;  Haut  haarlos,  gewaltig  verdickt.  —  Daher  wurden  die  Thiere 
früher  als  Pachydcrmcn  mit  Elephant  und  Nilpferd  vereint.  RJiinoceros 
bkomis  L.  (afriennus),  72.  unicornis  L.  (indicus) ;  R  tirhorhinus  Cuv.,  behaart, 
diluvial.  —  3)  Equ  iden :  vorn  und  hinten  nur  1  Zehe,  Reste  von  Zehe  2 
und  4  als  Griffel beine,  Zähne  fj-ff.  Equus  tahaUus  L,  Pferd;  E.  asinua 
L.,  Esel,  letzterem  verwandt  E.  qjiayga  Gmel.,  E.  xebra  L.;  Bastarde  von 
Pferd  und  Esel  sind  E.  mulus ,  Maulthier  (Stute  und  Eselhengst),  und  E. 
hinnus,  Maulesel  (Hengst  und  Eselin). 

II.  Unterordnung.  Artiodactylen,  Paarhufer.  Abgesehen  von  der 
paarigen  Beschaffenheit  der  Zehen  stimmen  alle  Artiodactylen  darin  über- 
ein, dass  die  3 — 4  Praemolaren  kleiner  sind  als  die  3  Molaren  und  auch 
nicht  mehr  überall  vollzählig  ausgebildet  werden.  Die  Unterordnung  ist 
viel  mannichfaltiger  als  die  der  Unpaarhufer ,  so  dass  man  in  ihr  zwei 
Gruppen  unterscheiden  mnss:  die  ursprünglicher  gebauten  schweineartigen 
Thiere  (Non  -  Ruminanticn)  und  die  mehr  specialisirten  Wiederkäuer  (Rur- 
minantien). 

I.  Non  Ruminantien.  Die  Thiere  sind  omnivor  und  haben  daher  ein 
vollkommen  entwickeltes  Gebiss  JlJJ-J-J;  besonders  sind  die  Eckzähne 
oft  zu  Hauern  entwickelt;  der  Magen  ist  meist  einfach,  seltener  ist  er 
schon  {THcotyks ,  Hippopotamus)  in  3  Abtheilungen  zerlegt,  obwohl  kein 
Wiederkäuen  stattfindet.  Das  Extremitätenskelet  ist  noch  wenig  modificirt, 
4  Zehen  vorhanden,  Ulna  und  Fibula  nicht  rückgebildet,  Metacarpen  und 
Metatarsen  nicht  verwachsen.  1)  Hippopotamiden .  alle  4  Zehen  berühren 
den  Boden,  „paehyderme  Haut",  schwerfalliger  Körperbau:  Hippojwtamus 
amphibimh.  2)  Saiden,  2  tragende  Zehen,  2  Afterzehen,  Haut  mit  Borsten, 
Schnauze  rüsselartig  verlängert:  Sus  scrofa  L.,  Schwein,  z.  Th.  noch  in 
wildem,  z.  Th.  in  domesticirtem  Zustand  (S.  domestkus)  lebend. 

II.  Ruminantien.  Der  ausschliesslich  pflanzlichen  Nahrung  ist  Magen 
und  Gebiss  vorzüglich  angepasst.  Der  Magen  (Fig.  561)  zerfallt  in  zwei 
Abschnitte,  von  denen  ein  jeder  wieder  zweigetheilt  ist.    Der  erste  Ab- 


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572 


Wirbelthiere. 


Fig.  ."><!!.  Magen  des  Schafes  laus  Leunis-Ludwig).  a 
Speiseröhrt!,  b  Dünndarm,  e  Klappe,  welche  die  Speise  aus 
der  Speiseröhre  «lirect  in  den  /weiten  Hauptabschnitt  des 
Magens  überleitet.  /  Pansen,  Ruinen.  2  Netzinagen,  Reti- 
culum,  .7  Blättermagen,  Omasus.  Rsulteriuin,  /  Labmagen, 
Abomasus. 


schnitt  nimmt  das  mit  den  Schneidezähnen  des  Unterkiefers  und  der  Zunge 
abgerissene  Gras  in  Empfang :  es  ist  der  Rumen  oder  Pansen  (1)  mit  dem  an- 
sitzenden Reticulum  oder  Netzmagen  (2).  Während  der  Ruhe  desThieres  steigt 
die  eingeweichte  Kost  in  die  Mundhöhle  zurück,  um  „wiedergekäut"  zu 
werden.  So  zerkleinert,  gelangt  die  Speise  durch  eine  Rinne,  die  durch 
eine  Falte  zur  Röhre  abgeschlossen  wird  (c),  in  den  zweiten  Hauptabschnitt, 

zunächst  in  eine  Art 
Filter ,    in   den  mit 

hohen  Längsfalten 
ausgerüsteten  Omasus, 
Blättermagen  oder 
Psalterium  (3),  dann 
erst  in  den  die  Lab- 
drüsen enthaltenden 
Labmagen,  Abomasus 
(4).  Im  Gebiss  sind 
meistens  nicht  nur  die 
oberen  Eckzähne,  son- 
dern auch  die  oberen 
Schneidezähne  rückge- 
bildet, während  im  Un- 
terkiefer die  Schneide- 
zähne sehr  kräftig  sind 

und  die  Eckzähne  die  Form  und  Stellung  von  Sehneidezähnen  augeuommen 
haben.  —  Mit  wenigen  Ausnahmen  haben  die  Wiederkäuer  auffallend  grosse, 
mit  Aufsätzen  bewehrte  Stirnbeine.  Die  Aufsätze  -  ausschliesslich  oder 
doch  am  kräftigsten  im  männlichen  Geschlecht  entwickelt  —  sind  im  ein- 
fachsten Fall  {Giraffen)  mit  Fell  bedeckte  Knochenauswüchse  —  oder  es 
sind  Knochenzapfen,  die  umhüllt  und  verlängert  werden  durch  feste  Horn- 
scheideu  (Horner  der  Car'uomirr)  —  oder  endlich  es  sind  Knochenzapfeu, 
welche  Geweihe  tragen  (f\rriden).  Geweihe  sind  verästelte  Knochenwuche- 
rungeu,  die  sich  gegen  den  tragenden  Knochenzapfen  (Rosenstock)  mittelst 
einer  Verbreiterung  (^Rose)  absetzen*  anfänglich  von  Haut  überzogen,  streifen 
sie  die  schützende  Hülle  (den  trocken  gewordenen  „Bast")  ab,  trocknen  in 
Folge  dessen  selbst  aus  und  müssen  daher  alljährlich  erneuert  werden, 
wobei  sich  meist  die  Zahl  der  Endäste  um  eine  Spitze  vermehrt,  1)  Tylo- 
poilen,  Kameele,  ohne  Blättermagen,  ohne  Stirnaufsätze,  Zähne  -Jifif- 
(Jamelns  Imctriamis  Erxl.,  zweihöckriges  Kameel;  C.  Dromcdarius  Erxl., 
Dromedar,  einhöckerig:  Auchenia  lama  Desm.,  Lama.  —  2)  Camehpardaliden 
mit  hautbedeckten  Stirnhöckern,  "13^:  Camelopardalis  giraffa  Schreb.,  Giraffe. 
—  3)  Cavicormer  mit  Hörnern,  a)  Bovinen:  Dos  tauriis  L.,  Rind 

(Urformen:  B.  jrrimvjcnius ,  Auerochs,  B.  longifrons ,  B.  frontosus);  Bison 
europaens  Ow.,  Wisent  (fälschlich  auch  Auerochs  genannt):  B.  amerieanw 
Gm.,  der  im  Aussterben  begriffene  Büffel  Nordamerika^;  Bnbalus  buffclns 
L,  asiatischer  Büffel,  auch  in  Italien,  B.  caft'er,  Kaffernbüffel:  h\  (innen: 
Oeis  aries  L.,  Widder;  Capra  hirens  L.,  Hausziege;  C.  ibex  L.,  Steinbock: 
Ovibo$  moscJtatns  Blainv..  Moschusochse ;  c)  Antilopinen :  Antilope  ntpieapra 
Sund.,  Gemse;  A.  dorcas  Licht..  Gazelle:  Antilocapra  americana  Ow.,  Gabel- 
gemse.  —  4)  Cerriden  mit  Geweihen  im  männlichen  Geschlecht ,  wel- 
ches meist  auch  den  oberen  Eckzahn  bewahrt:  Gcruus  elaphus  L,  Edel- 
hirsch: C.  capreolus  L.,  Reh;  C  alces  L.,  Elch;  liangifer  tarandus  H.  Sm., 
Renthier,  Geweih  in  beiden  Geschlechtern.  —  5)  Moschiden,  den  Hirschen 
verwandt,  ohne  Geweih:  Moschus  mosehiferus  L.,  rehartig,  Männchen  mit 


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VII.  Säugethiere:  Ungulaten. 


573 


grossen  Eckzähnen  des  Oberkiefers  und  mit  Moschusbeutel  zwischen 
Nabel  und  Praeputium.  —  6)  TYayuliden,  Zwergmoschusthiere  (kein  Moschus- 
beutel !) :  Tragulus  javanicus  Pall. 

Paläontologie  der  Ungulaten. 

Reiche  paläontologische  Funde  aus  dem  Tertiär,  besonders  in  Amerika, 
haben  die  Stammosgeschichte  der  Hufthiere  aufgehellt  und  es  sehr  wahr- 
scheinlich gemacht,  dass  die  fünfzehigen,  mit  gut  ausgebildeter  Ulna  und 
Fibula  und  einem  Omnivoren  Gebiss  versehenen  CondylarÜirm  des  älteren 
Tertiärs  (Eocän)  die  gemeinsamen  Ausgangsformen  für  die  Artiodactylen 
und  Perissodactylen  gewesen  sind.  Speciell  von  den  Ausgangsformen  der 
Perissodactylen ,  den  Phenacodonten ,  lassen  sich  die  Nashörner  und  Tapir* 
herleiten,  vor  Allem  aber  in  fast  lückenloser  Reihenfolge  die  Et/uiden. 
Vierzehige  Vorderfüsso  beBassen  die  Jlyracotherien  des  Eocän  (Eohippus 
und  Orohippus,  Fig.  562  1);  dreizehig,  zum  Theil  aber  mit  Rudimenten 


Fig.  ")IJ2.  Vorderfuss  der  Stammformen  dos  Pferdes.  /  Orohinpus  (Eocän), 
2  McHohippue  (untere«  Miocan),  -i  Miohippu*  (Mioeani.  -/  Protohippiw  (olx-res  Pliocän), 
ö  Pliohippu»  (Plei»tocän),  6  Equus.  // —  V zweiter  bin  fünfter  Finger  (aus  Wiedershcim). 


der  fünften  Zehe,  waren  die  PalaeoOierkn  (Ancltithericn)  der  Miocänschichten 
(Meso-  und  Mwhippus ,  2,  3)  und  die  im  Gebiss  dem  Pferde  sehr  nahe- 
stehenden Merychippus  und  Hipparion  des  Pliocän  (frotohippus ,  4).  Im 
Pleistocän  beginnen  dann  die  einzeiligen  Pferdearten,  zunächst  die  noch 
mit  grossen  GrifTelbeinen  ausgerüstete  Gattung  Pliohippus,  dann  die  Re- 
präsentanten der  Gattung  Equus  selbst.  Auffallend  ist,  dass  die  Pferde 
in  Amerika  in  historischer  Zeit  fehlten  und  erst  durch  die  spanischen  Er- 
oberer wieder  eingeführt  wurden,  obwohl  der  Hauptabschnitt  ihrer  Stammes- 
geschichte sich  dort  abgespielt  hat.  Die  europäischen  Formen  (Anchiihe- 
rium  und  Hipparion)  werden  in  der  Neuzeit  als  Seitenzweige  der  Stamm- 
reihe aufgefasst. 


VII   Ordnung.  Proboscidier. 

Den  Ungulaten  schliessen  sich  die  ebenfalls  mit  herbivorem  Ge- 
biss und  mit  Hufen  versehenen  EUphantcn  oder  Proboscidier  an.  Die 
Thiere  sind  charakterisirt  durch  die  „Pachyderiuie",  durch  die  schwer- 
fälligen, massiven,  fünfzehigen  Extremitäten  und  vor  Allem  durch  die 
zu  einem  langen  Rüssel  verlängerte,  mit  einem  fingerartigen  Fortsatz 
endende  Nase,  endlich  durch  die  Bezahnung.  Eckzähne  fehlen 
vollkommen,  dagegen  sind  die  durch  kleine  Milchzähne  vorbereiteten 
Schneidezähne  zu  gewaltigen,  unbewurzelten  und  daher  das  ganze 
Leben  hindurch  fortwachsenden  Stosszähnen  geworden.    Bei  den 


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574 


Wirbelthiere. 


lebenden  Elephanten- Arten  findet  sich  1  Paar  Stosszähne  im  Zwischen- 
kiefer; bei  manchen  Arten  der  ausgestorbenen  Gattung  Mastodon  war 

ausserdem  noch  ein  kleineres  Paar 
Stosszähne  im  Unterkiefer  vorhanden. 
Bei  den  ebenfalls  fossilen  Dinotherien 
waren  nur  die  Stosszähne  des  Unter- 
kiefers entwickelt  Die  Backzähne 
—  bei  Mastodonten  und  Dinotherien 
noch  Höckerzähne  mit  normalem  Zahn- 
wechsel —  sind  bei  den  Elephanten 
zusammengesetzt  und  unterliegen  einem 
horizontalen  Ersatz:  von  den  drei 
grossen  Molaren  und  drei  Praemo- 
laren  ist  immer  nur  einer  in  Thätig- 
keit  (Fig.  «">6.'i  2);  hat  er  sich  abge- 
nutzt, so  wird  er  von  dem  nächst 
hinteren  (2/  ersetzt.  Den  Elephanten  kommt  ferner  zu  ein  Uterus  bi- 
cornis,  eine  Gürtelplacenta  ohne  Decidua,  2  brustständige  Milchdrüsen. 

1)  ElephantUlen :  Elephas  indicu*  Cuv.,  kleine  Ohren:  E.  afrtcanus 
Blum.;  K  primvjenim  Blum.,  Mammuth,  behaart,  diluvial,  im  Eis  von 
Sibirien  gefunden ;  Mastodon  giganteum  Cuv.,  diluvial.  2)  Dinotheridcn : 
Dinotherium  gigankum  Kaup.,  Miocän.  —  Im  Auschluss  an  die  Probos- 
cidier  seien  hier  noch  die  sehr  eigenthümlich  gebauten  Subungulaten  oder 
Hyracoiden  {Hgrcuc  ftyriatns  Schrebl.,  Klippschiefer)  genannt. 


Fig.  303.  Linker  Unterkiefer  von 
Elcpha.s  indicus  mit  aufgemeißelten 
Zahnalveolrn  von  innen  gesehen.  / 
functionirender  Zahn,  2 nachrückender 
nächster  Zalin  (aus  Owen). 


VUI.  Ordnung.    Rodentien,  Glires,  Nagethiere. 

■  Bei  den  Nagethieren  vereint  sich  grosse  Uebereinstimmung  in  der 
äusseren  Erscheinung  mit  einer  äusserst  charakteristischen  Be- 


schaffenheit 


des 


einer  äusserst 
Gebisses.  Da  Eckzähne  nicht  mehr  angelegt 
werden,  sind  die  Backzähne  und 
Schneidezähne  durch  eine  weite  Lücke 
getrennt  (Fig.  564).  Die  sehr  kräfti- 
gen ,  meisselartigen  Schneidezähne 
entwickeln  keine  Wurzeln  und  wachsen 
daher  in  gleichem  Maasse  fort,  als 
sie  beim  Nagen  abgenutzt  werden; 
sie  erhalten  scharf  schneidende  Kan- 
ten, weil  sie  nur  auf  der  vorderen 
Seite  mit  Schmelz  bedeckt  sind  und 
hier  der  Abnutzung  besser  widerstehen. 
Gewöhnlich  findet  sich  je  ein  Paar 
Schneidezähne  im  Zwischenkiefer  und 
Unterkiefer;  nur  bei  wenigen  Arten 
(Duplicidentaten)  ist  noch  ein  weiteres 
Paar  kleinerer  Schneidezähne  im 
Zwischenkiefer  vorhanden.  Auch  die 
schmelzfaltigen  Backzähne  sind  häutig 
in  ihrem  Wachsthum  nicht  beschränkt, 
da  es  nicht  zur  Wurzelbildung  kommt. 
Ihre  Zahl  ist  in  verschiedenem  Maasse  reducirt,  so  dass  die  gesaramte 
Zahnformel  zwischen  zwei  Extremen  schwankt:  f£t|  und  H^rf- 


Fig.  5f>4.  Schädel  des  Stachcisrhtreins 
(aus  r*ehraardai.  f  Stirnl>ein ,  im  Zwi- 
schenkiefer, o  Foramen  infraorbitale, 
welche«  durch  eine  in  ihm  verlaufende 
Portion  des  Kaumuskeln Masseter)cnorm 
ausgedehnt  ist,  k  Sehlüfengrube,  welche 
nach  vorn  continuirlich  in  die  Ürbita 
übergeht. 


VII.  Säugethiere:  RodcntieD,  Insectivoren. 


575 


Von  den  Ungulaten,  mit  denen  sie  in  ihrer  herbivoren  Ernährung 
übereinstimmen,  unterscheiden  sich  die  Nager  ausserdem  noch  durch 
ihre  durschnittlich  geringe  Körpergrösse,  den  Besitz  von  Krallen, 
die  selten  auf  drei  reducirte  Fünfzahl  der  Zehen,  das  Vorkommen 
einer  Clavicula  und  die  discoidale  Placenta;  sie  theilen  mit  ihnen  den 
Uterus  bicornis  (häufig  sogar  U.  duplex)  und  die  inquinale  Lage  der 
Milchdrüsen,  deren  Zahl  entsprechend  der  grossen  Fruchtbarkeit  der 
Thiere  eine  sehr  grosse  ist  Sehr  verbreitet  sind  starkriechende 
Drüsensäcke,  die  in  das  Praeputium  oder  in  der  Nähe  des  Afters 
münden  (Fig.  545). 

Die  etwa  900  Arten  der  Nager  unterscheiden  sich  meist  durch  unter- 
geordnete Merkmale.  Mit  Stacheln  bewaffnet  sind  die  Hystricidcn:  Hystrix 
cristata  L.,  Stachelschwein.  Durch  weichen  Pelz  und  buschigen  Schwanz 
zeichnen  sich  aus  die  Sciuriden:  Sciurus  vulgaris  L.,  Eichhörnchen;  Pte- 
romys  volans  L.,  Flugeichhörnchen,  durch  weichen  Pelz  und  beschuppten 
Ruderschwanz  die  Castoridcn:  Castor  fiber  L.,  der  wegen  des  Bibergeils 
und  seines  Felles  viel  gejagte,  in  Deutschland  bis  auf  das  Gebiet  der  Elbe 
zwischen  Magdeburg  und  Wittenberg  ausgerottete  Biber.  —  Muriden :  Mus 
musculus  L.,  Maus ;  Mus  rattus  L.,  Hausratte,  bei  uns  nahezu  vollkommen 
durch  die  Wanderratte  Mus  decumanus  Pall.  verdrängt.  Hufe  anstatt  Krallen 
kommen  den  Subunguluten  zu:  Cavia  cobaya  Schreb.,  Meerschweinchen. 
Duplicidentat  endlich  sind  die  Leporiden :  Lepus  timidus  L.,  Hase;  L.  cuni- 
culuSy  Kaninchen ;  L.  mriabilis,  L ,  der  im  Winter  sich  weiss  verfärbende 
Alpenhase.  —  Im  Gebiss  ähnelten  den  Nagern  die  zum  Theil  ansehnlich 
grossen  Tiüodoniicn  (Eocän)  und  loxodontien  (Diluvium);  letztere  werden 
zu  den  Hufthieren  gerechnet,  erstere  bilden  wahrscheinlich  eine  frühzeitig 
abgezweigte  Ordnung  der  Säugethiere. 


IX.  Ordnung.    InBeotivoren,  Insektenfresser. 

Im  Gegensatz  zum  Gebiss  der  Nagethiere  zeigen  die  Zähne  der 
Insectenfresser  einen  auffallend  gleichartigen  Charakter.  Alle  Arten 
der  Zähne  sind  vorhanden,  wenn  auch  in  variabler  Zahl;  sie  sind 
frühzeitig  bewurzelt  und  bleiben  demgemäss  klein.  Indem  sie  mit 
scharfen  Spitzen  enden,  welche  sich  zum  Zerfetzen  von  Insecten  eignen, 
gewinnt  das  Gebiss  eine  grosse  Aehnlichkcit  mit  dem  Gebiss  der 
Raubthiere,  von  dem  es  sich  jedoch  durch  die  rudimentäre  Beschaffen- 
heit des  manchmal  ganz  fehlenden  Eckzahns  unterscheidet  (manche 
Maulwürfe  manche  Spitzmäuse  4^H)-    I111  Zahnwechsel  herrscht 

grosse  Variabilität,  bei  der  Spitzmaus  z.  B.  bleibt  das  Milchgebiss 
bestehen  und  die  zweite  Dentition  kommt  nicht  zur  Entwicklung, 
während  beim  Igel  1  Schneidezahn,  1  Prämolarzahn  und  der  Eckzahn 
des  Unterkiefers  nicht  gewechselt  werden,  welche  somit  aus  dem  Milch- 
gebiss in  das  bleibende  Gebiss  hinüber  genommen  werden.  —  In 
manchen  anatomischen  Merkmalen  und  in  der  Entwicklungsweise 
stehen  die  Insectivoren  den  Nagern  nahe:  eine  Clavicula  ist  vor- 
handen, die  Zehen  finden  sich  meist  in  Fünfzahl  und  sind  mit  Krallen 
versehen,  der  Uterus  ist  bald  doppelt,  bald  zweihörnig,  die  Placenta 
scheibenförmig. 

Abgesehen  von  ihrer  rüsselartig  verlängerten  Schnauze  gleichen  die 
Insectivoren  auch  im  äusseren  Habitus  den  Nagern,  zu  denen  sie  eine 
vollkommene   Parallelgruppe   bilden.     Den    Hystriciden    entsprechen  die 


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576 


Wirbelthiore. 


Erinacciden:  Erinaceus  curojMms  L.,  der  Igel,  den  echten  Mäusen  die  Spitz- 
mäuse, Soridden :  Sorex  vulgaris  L. ;  letzteren  sind  nahe  verwandt  die 

Talpidcn,  Maulwürfe:  Tcdpa  europaea  L.,  in 
der  Erde  wühlend,  daher  mit  rudimentären, 
functionslos  gewordenen  Augen.  An  die 
fliegenden  Eichhörnchen  erinnert  der  früher 
zu  den  Prosimien  gerechnete  Galeojnthecus 
vokms  Pall. ,  dessen  vordere  und  hintere 
Flg.  r-fi.  Schädel  der  Spitz-  Extremität  jederseits  durch  eine  als  Fall- 
maus  (aus  Leunfe-Ludwig).  schirm  dienende  Hautfalte  verbunden  sind. 


X.  Ordnung.    Chiropteren,  Fledermäuse. 

Die  Fledermäuse  sind  als  die  einzigen  Säugethiere,  welche  wirk- 
lich fliegen  und  sich  nicht  nur  mit  einein  ausgespannten  Fallschirm 
durch  die  Luft  fallen  lassen,  zur  Genüge  charakterisirt  (Fig.  566).  Die 
Flughaut  (Patagium),  eine  dünne,  nervenreiche  Hautfalte,  beginnt  am 
Schwanz,  fasst  die  hintere  Extremität  bis  an  die  Fusswurzel  und  die 
vordere  Extremität  in  ganzer  Ausdehnung  bis  an  die  Fingerspitzen  ein, 

indem  sie  nur  den  Daumen 
frei  lässt.  Die  Finger  2—5 
sind  enorm  verlängert  und 
dienen  zum  Spannen  der  Flug- 
haut. Da  das  Fliegen  einen 
kräftigen  Flugmuskel  nöthig 
macht,  erhebt"  sich  das  Ster- 
num  ähnlich  wie  bei  den  Vö- 
geln zu  einer  dem  Musculus 
pectoralis  neue  Ursprungs- 
punkte liefernden,  allerdings 
viel  kleineren  Crista  sterni. 
Mit  dem  Flugvermögen  hängt 
auch  die  kräftige  Ausbildung 
der  Schlüsselbeine  zusammen. 
Die  Flughaut  ist  Sitz  eines 
Fi^  5<>g.  skelet  und  Flughaut  eines  fliegenden  äusserst  feinen  Tastvermögens, 
Hundes  (nach  Huxley).  weshalb    geblendete  Fleder- 

mäuse durch  gespannte  Netze 
fliegen  können,  ohne  sie  zu  berühren.  Beim  Tasten  werden  auch  die 
häufig  enormen  Ohrmuscheln  und  ein  merkwürdiger,  blattartiger  Nasen- 
aufsatz mitwirken,  der  bei  Fledermäusen  sehr  verbreitet  ist.  Auffallend 
ist  die  Lage  der  Milchdrüsen  an  der  Brust ;  diese  sowie  der  einheit- 
liche Uterus  und  die  discoidale  Placenta  erinnern  an  die  Primaten. 
In  Gegenden  mit  gemässigtem  Klima  verbringen  die  Fledermäuse  die 
kalte  Jahreszeit,  verkrochen  in  Höhlen,  im  Winterschlaf.  Das  Gebiss 
ist  variabel,  öfters  $fS$. 

1.  Unterordnung.  MicrocJiiropteren  mit  Insectivorengebiss ,  nur  der 
Daumen  der  vorderen  Extremität  mit  einer  Kralle  versehen.  Hierher  ge- 
hören alle  unsere  einheimischen  Arten.     Gymnorhincn,  ohne  Nasenaufsatz: 

Vesperlilio  murinus  Schreb.  —  Phyllorhinen,  mit  blattartigem  Nasenaufsatz: 
Mitwhphus  femtm  equinuvt  Schreb.;  ferner  der  amerikanische  Vampyr, 

Vamjjyris  spectrum  L.,  mit  Unrecht  als  Blutsauger  gefürchtet. 


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VII.  Säugethiere:  Camivoren. 


577 


II.  Unterordnung.  Macrochiropteren  (Frngivoren),  fliegende  Hunde, 
haben  stumpfhöckerige  Backzahne  und  an  den  zwei  ersten  Fingern  Krallen 
(Fig.  56G):  Pteropus  edulis  Gcotfr. 

XI.  Ordnung.    Carn Ivoren,  Raubtbiere. 

Die  Raubthiere  leben  vorwiegend  vom  Fleisch  und  vom  Blut 
anderer  Wirbelthicre,  die  sie  durch  List,  schnellen  Lauf  oder  kräftigen 
Sprung  erreichen  und  mit  ihren  muskelstarken,  scharfkralligen  Extre- 
mitäten und  ihren  schneidenden  Zähnen  überwältigen.  Aus  dieser 
Lebensweise  erklärt  sich  die  hohe  Entwicklungsstufe  ihres  Hirns 
(Fig.  541)  und  ihrer  Sinnesorgane,  sowie  der  Bau  ihrer  Extremitäten 
und  ihrer  Zähne.  Da  der  Raubthiercharakter  innerhalb  der  Gruppe 
von  den  Bären  bis  zu  den  Katzenarten  aufsteigend  eine  Fortbildung 
erfährt  und  bei  den  Wasserraubthiercn  sich  wieder  verwischt,  können 
wir  auch  in  der  Bildung  der  genannten  anatomischen  Merkmale  keine 
Constanz  erwarten,  sondern  müssen  von  vornherein  auf  eine  grosse 
Variationsbreite  gefasst  sein.  —  Im  Interesse  der  grösseren  Beweg- 
lichkeit der  zum  Lauf  und  Angriff  dienenden  Vorderextremität  ist  wie 
bei  den  Ungulaten  das  Schlüsselbein  ganz  verloren  gegangen  oder  un- 
vollkommen entwickelt  (Ulna  und  Fibula  sind  dagegen  gut  ausgebildet). 
Ein  allmähliger  Uebergang  vollzieht  sich  vom  Sohlengang  der  Bären,  bei 
denen  Hand  und  Fuss  in  ganzer  Länge  den  Boden  berühren,  zum 
Zehengang  der  Katzenarten.  Bei  letzteren  werden  die  allen  Raubthieren 
zukommenden  Krallen  vor  der  Gefahr,  beim  Gang  abgenutzt  zu  werden, 
geschützt,  indem  sie  vermöge  eines  elastischen  Bandes  sammt  der 
tragenden  Endphalange  in  Taschen  auf  dem  Rücken  der  vorletzten 
Zehenglieder  zurückfedern,  aus  welchen  sie  beim  Schlagen  mit  den 
Tatzen  durch  die  starke  Thätigkeit  der  Beugemuskeln  hervorgezogen 
werden.  Im  Gebiss  (Fig.  543)  ist  nahezu  constant  die  Dreizahl  der 
Schneidezähne  und  die  auffallende  Grösse  der  gut  bewurzelten  Eck- 
zähne: die  Backzähne  dagegen,  deren  Höcker  mehr  und  mehr  scharf 
schneidende  Kanten  (secodonte  Zähne)  erhalten,  variiren  nach  den  ein- 
zelnen Familien.  Der  letzte  Praemolare  des  Oberkiefers  und  der  erste 
Molare  des  Unterkiefers  werden  zu  Reisszähnen,  D.  lacerantes  od.  D. 
sectorii  (S.  558),  und  gewinnen  zunehmend  eine  dominirende  Stellung, 
während  zu  ihren  Gunsten  die  übrigen  Backzähne  kleiner  werden  und 
am  vorderen  und  hinteren  Ende  der  Reihe  schwinden.    (Formeln  der 

Backzähne,  Bär:  KKKK^-"^  Löwe:  h     .  Der  Dens 

P  PPPm  (•)■«" '«  »  P  I»  ,     m  (1) 

lacerans  ist  durch  ein  zugefügtes  1,  die  relative  Grösse  durch  Abstufung 

der  Schrift  ausgedrückt,  die  fehlenden  Zähne  weggelassen).  —  Weitere 
Merkmale  der  Carnivoren  sind  beim  Männchen  der  Penisknochen,  im 
weiblichen  Geschlecht  die  abdominale  Lage  der  Milchdrüsen  und  der 
Uterus  bicornis;  dazu  kommt  die  Placenta  zonaria.  Sehr  verbreitet 
sind  Analdrüsen,  welche  ein  stinkiges  Secret  bereiten. 

I.  Unterordnung.  Fimdpedier,  Landraubthier e.  —  Sie  sind  die 
typischen  Vertreter  der  Raubthiere  und  als  vorwiegend  Land  bewohnende 
Thiere  mit  wohl  entwickelten,  meist  bis  zum  Grund  getrennten  Zehen  aus- 
gerüstet; die  Zahl  der  letzteren  ist  vielfach  noch  an  beiden  Extremitäten 
5,  erfahrt  häufig  an  den  Hinterfüssen  (Fclidcn,  Canidcn),  selten  auch  an 
den  Vorderfüssen  \Uyaenidcn\  eine  Reduction  auf  4.  1)  Ursiden,  fünfzehige 
Sohlengänger:   Ursus  aretos  L.,  brauner  Bär;   U.  maritimus  Desm.,  Eisbär, 

Hartwig.  Jahrbuch  der  Za  ologle.   S.  Auflage.  37 


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578 


Wirbelthiere. 


frocyon  lotor  Dcsm.,  Waschbär.  2)  Mustcliden:  Mustela  martes  L.,  Edel- 
marder; Putorius  vulgaris  L.,  Wiesel;  P,  crmineus  L.,  Hermelin:  Lutra 
vulgaris  Erxl.,  Fischotter  mit  Schwimmhäuten  an  den  Zehen;  Meies  taxus 
Pall.  Dachs;  Grulo  borealis  Briss.  Vielfrass;  Meph itis  mcsomelas  Lcht.,  Stink- 
thier. 3)  Caniden,  Zehen  vorn  5,  hinten  4.  Krallen  nicht  retractil:  Canis 
familiaris  L.,  Hund;  C.  lupus  L.,  Wolf;  C.  vulpcs  L.,  Fuchs.  4)  Feliden, 
Zehen  vorn  5,  hinten  4.  Krallen  retractil :  Felis  domestica  Briss.,  Katze  ; 
F.  catus,  Wildkatze,  F  leo  L.,  Löwe;  F.  tigris  L.,  Tiger;  F.  lynx  L.,  Luchs. 
5)  Hyaeniden,  Zehen  vorn  und  hinten  4 :  Hyacna  striata  L. 

II.  Unterordnung.  Pinnipedier,  Flossenraubthiere.  Alle  4  Ex- 
tremitäten zu  kurzen,  breiten  Flossen  abgeplattet ;  die  5  Zehen  und  Finger 
durch  Schwimmhäute  verbunden,  Nägel  häufig  rudimentär;  das  Gebiss 
unterscheidet  sich  vom  echten  Carnivorengebiss  durch  die  gleichartige  Be- 
schaffenheit der  Praemolaren  und  Molaren  (kein  Reisszahn);  indem  das 
höher  differenzirte  Milchgebiss  sich  frühzeitig,  ohne  in  Function  zu  treten, 
rückbildet,  wird  Monophyodontie  angebahnt,  —  1)  Phociden,  Robben  ohne 
Ohrmuscheln:  Phoca  vitulina  L.,  Seehund.  —  2)  Otaridcn,  Ohrenrobben: 
Otaria  Stellen  Less.,  Seelöwe.  —  3)  Trichechiden,  Walrosse,  Schneidezähne 
verkümmert,  Eckzähne  des  Oberkiefers  zu  langen  Hauern  umgewandelt: 
Tricliechus  rosinarus  L. 

Im  E  o  c  ä  n  wurden  die  Carnivoren  vorbereitet  durch  die  Urraubthiere 
oder  Creodotüen,  Sohlengänger  mit  weuig  differenzirtem  Fleischfresser- 
gebiss;  sie  leiten  sowohl  zu  den  liaubthieren  als  auch  zu  der  Insestivoren 
über  und  wahrscheinlich  auch  zu  den  Condylarthren,  den  Stammformen  der 
Hufthiere.  Echte  Raubthiere  treten  im  oberen  Eocän,  häufiger  im  Miocän 
auf ;  dem  Diluvium  gehörten  die  grossen  Höhlenthiere :  Felis  spelaea  Goldf., 
Hölilentiger  und  Ursus  spclaeus  L.,  Höhlenbär,  an. 

XH.  Ordnung.    Prosimien,  Halbaffen. 

Mit  den  echten  Affen  wurde 
von  Linne  eine  kleine  Gruppe, 
auf  Indien  und  die  benachbarten 
Inselgruppen,  Südafrika  und  vor 
Allem  Madagascar  beschrankter 
Thiere  vereinigt,  weil  sie  ihnen 
in  der  Körperform  und  der  Ge- 
wandheit  des  Kletterns  gleichen, 
weil  sie  Greifhände  und  Greif- 
füsse  haben  und  häufig  wenig- 
stens Plattnägel  an  Zellen  und 
Fingern  tragen.  Heutzutage 
werden  die  Thiere,  wenn  man 
auch  nach  wie  vor  an  der  Ver- 
wandtschaft mit  Affen  festhält,  als 
Prosimien  oder  Lemuroi- 
deen  in  einer  besonderen  Ord- 
nung vereint,  und  zwar  mit 
Rücksicht  auf  ihre  niedere  Or- 
Fig.  W7.  Stenopa  gracili*  (aus  Brehm).  ganisation,  die  sich  in  der  ge- 
ringen Entwicklung  des  Gross- 
hirns, dem  Uterus  bicornis  und  der  Placenta  diffusa  ausspricht. 
Weitere  Unterschiede  sind  die  abweichende  iund  variable  Beschaffen- 


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VII.  Säugethiere:  Prosimien,  Primaten. 


579 


heit  des  Gebisses  (Chiromys  tfH»  Lemur  ffjHI)  und  das  Vorkommen 
von  Krallen,  welche  stets  an  der  zweiten,  häufig  auch  an  der  dritten 
Hinterzehe,  bei  Chiromys  sogar  an  allen  Zehen  mit  Ausnahme  der 
Grosszehe  die  Nägel  ersetzen.  Ein  sehr  auffälliges  Gepräge  erhalten 
die  Nachts  auf  Raub  (Insecten,  kleine  Wirbehhiere)  ausgehenden 
Thiere  durch  die  besonders  grossen  Augen  (Fig.  507);  im  Unterschied 
zu  den  Primaten  hängen  Orbital-  und  Temporalhöhlen  unterhalb  des 
Postorbitalfortsatzes  zusammen.  —  Die  Milchdrüsen  sind  bald  bauch-, 
bald  brustständig. 

1)  Chiromyiden,  die  langen  Zehen  beider  Extremitätenpaare  tragen  mit 
Ausnahme  der  Grosszehe  sämmtlich  Krallen :  Cltiromys  madagascariensis 
Desm.,  Fingerthier.  2)  Tarsiden,  nur  die  zweite  und  dritte  Hinterzehe  mit 
Krallen  :  Tarsius  spectrum  Geoffr.  3)  Lemuriden,  nur  die  zweite  Hinterzehe 
trägt  eine  Kralle:  Lemur  makako  L.,  Maki;  Stenops  gracilis,  Hoev.  Lori 
(Fig.  507). 

XIII.  Ordnung.    Primaten,  Herrenthiere. 

Die  höchst  organisirten  Säugethiere,  die  Affen  und  die  Menschen, 
werden  unter  dem  Namen  Primaten  oder  Herrenthiere  in  einer  ge- 
meinsamen Ordnung  zusammengefasst,  weil  zwischen  beiden  eine  grosse 
Uebereinstimmung  in  den  systematisch  wichtigen  Merkmalen  besteht 
Wenn  wir,  wie  sonst  in  der  systematischen  Zoologie,  die  verschiedenen 
Grade  der  Intelligenz  unberücksichtigt  lassen  und  allein  die  grössere 
oder  geringere  anatomische  Verwandtschaft  als  maassgebend  betrachten, 
kommen  wir  sogar  zu  dem  Resultat,  dass  die  anthropoiden  Affen  dem 
Menschen  näher  stehen  als  den  sehr  primitiven  Krallenaffen. 

Den  Primaten  ist  gemeinsam,  dass  die  Zehen  und  Finger  sämmt- 
lich —  mit  Ausnahme  der  Krallenaffen  —  Plattnägel  tragen,  dass 
die  Augenhöhlen  von  der  Schläfengrube  durch  eine  knöcherne  Scheide- 
wand getrennt  werden,  dass  das  reich  gewundene  Grosshirn  die  übrigen 
Hirntheile  bedeckt  (Fig.  542),  dass  nur  ein  Paar  brustständiger  Milch- 
drüsen vorkommt,  dass  der  Uterus  einfach  ist,  die  Placenta  discoidal, 
und  dass  die  Schleimhaut  des  Uterus  als  Decidua  abgestossen  wird. 
Vor  Allem  hat  das  Gebiss  im  Wesentlichen  denselben  Bau.  Bei  den 
Platyrhinen  hat  es  die  Formel  |H$;  daraus  lässt  sich  durch  Rück- 
bildung eines  Molaren  das  Gebiss  der  Krallenaffen  ||||,  durch  Rück- 
bildung eines  Praemolaren  das  Gebiss  der  Katarhinen  und  des 
Menschen  Ijf$  ableiten.  Ueberall  tragen  die  Backzähne  auf  der 
Mahlfläche  stumpfe  Höcker.  —  Bei  der  Charakteristik  der  Primaten 
hat  schliesslich  die  Beschaffenheit  des  Hand-  und  Fussskeletes  eine 
wichtige  Rolle  gespielt.  Wie  bei  den  Halbaffen  und  den  Beutelratten 
können  Daumen  und  grosse  Zehe  den  übrigen  Fingern  und  Zehen  op- 
ponirt  werden,  wodurch  es  den  Affen  ermöglicht  wird,  Gegenstände 
zu  umgreifen.  Beim  Menschen  ist  die  Opponirbarkeit  des  Daumens 
noch  weiter  entwickelt,  die  Opponirbarkeit  der  grossen  Zehe  dagegen 
selbst  bei  Kindern  und  wilden  Völkerschaften  nur  sehr  mangelhaft 
erhalten.  Daher  rührt  die  selbst  jetzt  noch  vielfach  beibehaltene  Be- 
zeichnnng  Quadrumanen  für  die  Affen,  Bimanen  für  die  Menschen. 
Dem  gegenüber  muss  betont  werden,  dass  die  hintere  Extremität  der 
Affen  nicht  mit  einer  Hand,  sondern  mit  einem  Greiffuss  endet.  Im 
Greiffuss  (Fig.  568  B)  finden  wir  dieselben  Knochen  wie  im  Fuss  des 
Menschen,  sogar  in  derselben  Anordnung  und  in  sehr  ähnlicher  Ge- 

37* 


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580 


Wirbelthiere. 


stalt;  auch  herrscht  im  Allgemeinen  Übereinstimmung  in  der  An- 
ordnung der  Muskulatur.    Dagegen  sind  dieselben  Unterschiede,  welche 

wir    zwischen  Hand 
und  Fuss  des  Men- 
*  ,    j ±y  sehen  nachweisen  kön- 

n     i       f   /S     ffH  Tr/Y  nen'  zwischen  Hand 

\ivUB.J=b/7     &(  llnh,    IfJ       M)  und  Greiffuss  (A) 

der  Affen  vorhanden. 
Der  Unterscheidung 
von  Quadrumanen  und 
Bimanen  fehlt  somit 
die  anatomische  Basis : 
sie  stützt  sich  nur  auf 
functionellc  Eigen- 
tümlichkeiten. 

I.  Unterordnung. 
Platyrhinen ,  Affen 
der  neuen  W  e  1 1 : 
beideNasenlöcher  durch 
eine  breite  Scheide- 
wand getrennt,  so  dass 

sie  nach  aussen 
schauen,  Gebiss  irfir* 
das  Tympanum  verlän- 
gert sich  nicht  in  einen 

äusseren  knöchernen 
Gehörgang.  Cebiden, 
Rollarten ,  mit  langem, 
meist  einrollbarem  Schwanz:  Myceies  niycr  Wagn.,  Brüllaffe.  Cebus  Capti- 
cinus  L.  —  Eine  sehr  abweichende  Gruppe  bilden  die  Hapaliden  oder 
Krallenarten    mit    der   Zahnformel  mit  Krallen   an   allen  Fingern 

und  Zehen,  nur  die  relativ  kleine  Grossezehe  mit  Plattnagel;  Daumen 
nicht  opponirbar.    Ilapale  prtiirillata  Kühl.,  Seidenäflchen. 

II.  Unterordnung.  Katarhincn,  Allen  der  alten  Welt:  schmales  Septum 
interuasale,  so  dass  die  Nasenötfnungen  nach  vorn  und  unten  gewandt  sind, 
Zähne  ?j£3?  ^a  grossen  Eckzähne  in  die  gegenüberstehende  Zahn- 
reihe  eingreifen,  entstehen  mehr  oder  minder  ansehnliche  Lücken  (Diastemma) 
in  den  Zahnreihen :  das  Tympanum  wie  beim  Menschen  zu  einem  knöcher- 
nen Gehörgang  verlängert.  1)  Cynomorphen ,  Thiere  mit  nackten  Stellen 
am  Gesäss  (Gesässschwielen),  meist  mit  langem  Schwanz  und  behaartem 
Gesicht,  gewöhnlich  nur  mit  2  Sacralwirbeln.  Cytioeephalus  hamadryas  L., 
Pavian ,  Ccrcopithecus  sabarus  Cuv.,  Meerkatze ,  lmtus  ccaudatus  Geoffr.,  der 
einzige  in  Europa  (Gibraltar)  vorkommende  Alle,  mit  kurzem  Stummel- 
schwanz. -  -  2)  Anthropoiden,  menschenähnliche  Arten,  meist  ohne  Gesäss- 
schwielen, mit  unbehaartem  Gesicht,  unbehaarten  Fingern  und  Zehen, 
ohne  Schwanz,  4 — 5  Wirbel  zum  Os  sacrum  verschmolzen.  Simia  satyrus 
L.,  Orang  Utang,  Troglodytes  niyer  Geoffr.,  Schimpause,  Gorilla  engena  Geoffr., 
Gorilla.    Hylobatrs  syndnctylus  Wagn.,  Gibbon. 

III.  Unterordnung.  Anlhropincn,  Menschen.  Rückbildung  der  Be- 
haarung an  den  meisten  Körperstellen,  aufrechter  Gang  und  in  Folge  dessen 
gering«;  Beweglichkeit  und  Kürze  der  Grosszehe  (kein  Greiffuss),  Entwick- 
lung einer  articulirten  Sprache,  hohe  Intelligenz,  starke  Ausbildung  des 
Grosshirns  und  demgemiiss  Vergrösserung  des  Hirnschädels  auf  Kosten 


Fig.  508.  Hand-  (A)  und  Greiffu»  (Ii)  des  Corilla. 
I —  1  die  ö  Finger  und  Zehen ;  ph  die  Phalangen  ,  irr 
Metacarj>en,  mt  Metatarsen,  Carpus:  tr  Trape/ium,  td 
Trapezoid,  c  Capitatum,  //  Hainatum,  .*  Scaphoid,  /  Lu- 
natum, /  Triquetrum,  p  Pisi forme.  Tarsus:  ta  Talus, 
ra  Caleancus,  ra'  Oalx  desselben,  n  Navicularve,  cu  Cu- 
boid,  1—3  die  drei  Cuneifonnia. 


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Zusammenfassung. 


581 


des  Gesichtsschädels  sind  die  hervorstechendsten  Merkmale  des  Menschen- 
geschlechts. Das  Gebiss  ist  dasselbe  wie  bei  den  Katarhinen,  nur  dass 
die  Eckzähne  kleiner  und  daher  die  Zahnreihen  nicht  unterbrochen 
sind  (kein  Diastemma).  —  Ein  seit  Langem  sich  hinziehender  Streit  ist  es, 
ob  die  Menschen  als  eine  Art  {Homo  sapiens  L.)  mit  vielen  Rassen  auf- 
gefasst  oder  in  mehrere  Arten  abgetheilt  werden  müssen.  Die  bei  Kreu- 
zungen der  Menschenrassen  vorhandene  Fruchtbarkeit  spricht  für  die  erste, 
die  thatsächlich  vorhandenen  Unterschiede  und  die  Constanz  derselben  für 
die  zweite  Auffassung.  Die  Erörterung  dieser  Frage  und  die  Aufstellung 
bestimmter  Menschenrassen,  resp.  Arten  bildet  den  Gegenstand  einer  be- 
sonderen Wissenschaft,  der  Anthropologie.  Hier  sei  kurz  hervorgehoben, 
dass  man  3  grosse  Gruppen  (jede  mit  mehreren  Untergruppen)  unterscheidet: 
1)  WolUiaarige  oder  Neger  mit  meist  schwärzlicher  Hautfarbe  und  stark 
gekräuselten  Haaren,  deren  Querschnitte  oval  sind  —  hierher  die  Unter- 
gruppen der  Paimas,  Hottentotten,  Kaffern  und  Sttdanncger.  —  2)  SchliclU- 
haarige  oder  Mongolen  mit  braungeblicher  Hautfarbe  und  schlichten  Haaren 
(Querschnitt  kreisrund)  —  hierher  die  Untergruppen  der  Eskimos,  Matoyen, 
Mongolen  s.  str.  und  Indianer.  —  3)  Die  mit  lockigen  Haaren  (Quer- 
schnitt kreisrund)  ausgerüsteten  K&ukasier  mit  heller  Hautfarbe  —  hierher 
die  Gruppen  der  Hamosemiten,  Indogemianen,  Nubier,  Dravidas  (Ureinwohner 
von  Indien). 


Zusammenfassung  der  Resultate  über  Wirbelthiere. 


1)  Die  Wirbelthiere  sind  gegliederte  Thiere  ohne  Ringelung  des 
Körpers,  aber  mit  metamerer  Anordnung  der  inneren  Organe  (Myo- 
tonie, Neurotome,  Sclcrotom  e). 

2)  Ein  cuticulares  Hautskelet  fehlt,  dagegen  können  Verhornungen 
des  Epithels  oder  Verknöcherungen  der  Lederhaut  (Schuppen  der 
Fische  etc.)  vorhanden  sein. 

3)  Stets  ist  ein  Axenskelet  vorhanden,  bestehend  entweder  nur 
aus  Chorda  dorsalis,  oder  aus  Schädel  und  Wi rbel säule, 
welche  die  Chorda  mehr  oder  minder  vollständig  verdrangen. 

4)  Es  finden  sich  zweierlei,  von  axialen  Skeletbildungen  gestützte 
Extremitäten,  die  nur  bei  Fischen  und  Amphibien  vorkommenden 
unpaaren  und  die  nahezu  allgemein  verbreiteten  paarigen  (vordere 
und  hintere  Extremitäten). 

5)  Das  Nervensystem  (Hirn  und  Rückenmark)  hat  Röhren- 
form  und  eine  rein  dorsale  Lage. 

6)  Von  den  Sinnesorganen  sind  Auge  und  Ohr  besonders  hoch 
entwickelt. 

7)  Die  Athm  ungs organe  entstehen  aus  dem  Darm,  die 
Kiemen  in  den  vom  Pharynx  nach  aussen  führenden  Kiemenspalten, 
die  Lungen  als  Ausstülpungen  am  hinteren  Pharynxende. 

8)  Das  Herz,  bestehend  aus  Kammer  und  Vorkammer,  liegt 
ventral  eingeschlossen  in  dem  Herzbeutel,  enthält  bei  allen  kiemen- 
athmenden  Wirbelthieren  venöses  Blut,  theilt  sich  aber  beim  Auf- 


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582  Zusammenfassung. 

treten  der  Lungenathmung  in  eine  linke  arterielle  und  rechte 
venöse  Hälfte.    Das  Blutgefässsystem  ist  geschlossen. 

9)  Die  Geschlechtsorgane  sind  mit  wenigen  Ausnahmen 
gonochoristisch;  ihre  Producte  benutzen  meist  einen  Theil  des 
Nieren  Systems,  um  nach  aussen  zu  gelangen  (Urogenitalsystera). 

10)  Die  Fortpflanzung  ist  streng  geschlechtlich. 

11)  Die  niedrigsten  Wirbelthiere,  die  Acrartler  (Amphioxus),  haben 
keinen  Schädel,  keine  Wirbelsäule,  kein  Herz,  kein  Gehörorgan  und 
nur  Rudimente  von  Hirn  und  Auge,  dagegen  Chorda,  Rückenmark, 
contractile  Blutgefässe;  sie  athmen  durch  Kiemen. 

12)  Bei  den  Cyelostomen  rindet  sich  ein  primitiver  Schädel,  da- 
gegen keine  Wirbelsäule  und  keine  paarigen  Flossen,  ein  fünftheiliges 
Hirn  mit  Auge  und  Gehörorgan,  ein  Herz  mit  Kammer  und  Vorkammer, 
beuteiförmige  Kiemen,  eine  unpaare  Nase. 

13)  Die  echten  Fische  unterscheiden  sich  von  den  Cyelostomen 
durch  die  Wirbelsäule  (amphicoele  Wirbel),  durch  die  neben  den 
unpaaren  Extremitäten  vorkommenden  paarigen  Brust-  und  Bauch- 
flossen, die  Beschupp ung  der  Haut  und  die  paarige  Nase;  sie 
athmen  ebenfalls  durch  Kiemen  und  haben  ein  aus  Kammer  und  Vor- 
kammer bestehendes  Herz. 

14)  Die  Fische  werden  in  Selachier,  Ganoiden,  Teleosticr, 
Dipneusten  eingetheilt 

15)  Die  Selachier  haben  ein  knorpeliges  Skelet,  eine  hetero- 
cerke  Schwanzflosse,  Placoidschuppen  der  Haut,  bedeckte 
Kiemen,  den  Conus  arteriosus  des  Herzens,  Spiralklappe 
des  Darms,  keine  Schwimmblase. 

16)  Sie  zerfallen  in  Squali  (Haie),  Rajae  (Rochen)  und  Holoke- 
phalen (Meerkatzen). 

17)  Teleosticr  haben  ein  knöchernes  Skelet,  eine  homo- 
cerke  Schwanzflosse,  meist  Cycloid-  oder  Ctenoid- 
sch uppen,  Kammkiemen  mit  Kiemendeckel,  den  Bulbus 
arteriosus,  meist  Appendices  pyloricae  und  Schwimm- 
blase, keine  Spiralklappe. 

18)  Sie  werden  eingetheilt  in  Physostomcn,  Anacanthinen,  Acan- 
thopteren,  Paryngognathen,  Plectogonatheti,  Lophobranchier. 

19)  Die  Ganoiden  bilden  eine  Uebergangsgruppe;  sie  gleichen  den 
Selachiern  in  der  Anwesenheit  des  Conus  arteriosus  und  der 
Spiral  klappe  des  Darms,  den  Teleostiern  vermöge  der  Kamni- 
ki einen,  des  Kiemen  d  eck  eis,  der  Schwimmblase  und  der 
Appendices  pyloricae.  Sie  haben  meist  F  u  1  cren  und  G  an  oi  li- 
sch u  p  p  e  n. 

20)  Die  Ganoiden  zerfallen  in  Chondrostei  mit  knorpeligem  Skelet 
und  Euganoides  mit  meist  knöchernem  Skelet. 

21)  Die  Dipneusten  sind  Kiemenathmer,  bei  denen  die  Schwimm- 
blase zeitweilig  als  Lunge  in  Function  tritt ;  Herz  mit  beginnender 
Zweitheilung,  Nase  mit  Choane. 

22)  Die  Amphibien  haben  im  Gegensatz  zu  den  Fischen  anstatt 
Flossen  p  e  n  t  a  d  a  c  t  y  1  e  E  x  t  r  e  m  i  t  ä  t  e  n ,  im  Gegensatz  zu  den  Repti- 
lien am  Schädel  einen  doppelten  Condylus  occipitalis;  sie  be- 
sitzen büschelförmige  Kiemen  und  Lungen,  entweder  dauernd 
neben  einander  oder  zeitlich  derart  vertheilt,  dass  die  jungen  Thiere 
(Larven)  durch  Kiemen,  die  ausgebildeten  durch  Lungen  athmen  (Meta- 


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Zusammenfassung. 


:>83 


raorphose!)   Das  Herz  besteht  aus  einer  Kammer  und  zwei  Vor- 
kammern. 

23)  Die  Amphibien  werden  eingetheilt  in  Urodelen,  Anuren 
(Batrachier)  und  Gymnophionen;  dazu  kommen  die  fossilen  S t e g o- 
cephalen  (Labyrinthodonten). 

24)  Die  Urodelcn  haben  viele  Wirbel  und  daher  auch  einen  wohl- 
entwickelten Schwanzabschnitt;  entweder  behalten  sie  dauernd 
die  Kiemen  (Perennibranchiaten)  oder  wenigstens  eine  Kiemenspalte 
(Derotremen)  oder  sie  verlieren  den  Kieraenapparat  im  Lauf  der  Ent- 
wicklung vollkommen  (Salamandrinen) ;  die  Metamorphose  ist  wenig 
ausgeprägt. 

25)  Die  Anuren  haben  wenige  Wirbel,  daher  keinen  Schwanz, 
nie  Kiemenreste  im  ausgebildeten  Zustand,  eine  ausge- 
prägte Metamorphose  (die  Kaulquappen  sind  mit  Kiemen  und 
Ruderschwanz  ausgerüstet,  aber  anfangs  ohne  Lunge  und  ohne  Extre- 
mitäten). 

26)  Die  Gymnophionen  haben  die  Extremitäten  verloren  und 
sind  blind. 

27)  Acranier  bis  Amphibien  werden  als  Anamnicn  zusammen- 
gefaßt, weil  ihre  Embryonen  kein  Amnion  und  keine  Allantois  haben ; 
sie  sind  poikilotherm  (Kaltblüter). 

28)  Anmieten  heissen  die  Reptilien,  Vögel  und  Säuge- 
thiere  wegen  ihrer  Embryonalorgane:  Amnion  und  Allantois;  sie  be- 
sitzen nie  mehr  Kiemenathmung  und  haben  stets  als  Grundform  die 
pentadaetyle  Extremität 

29)  Die  Reptilien  sind  noch  poikilotherm,  haben  ein  stark  ver- 
knöchertes Skelet  mit  unpaarem  Condylus  occipitalis  und  mit 
einem  Os  transversum  am  Schädel,  eine  stark  verhornte  Haut; 
das  Herz  hat  eine  doppelte  Vorkammer  und  eine  meist  unvoll- 
kommen zweigeteilte  Kammer. 

30)  Die  recenten  Reptilien  werden  eingetheilt  in  die  Lepido- 
saurier  oder  Plagiotremen  mit  den  Ordnungen:  Saurier  und 
Ophidier  und  in  die  Hydrosaurier  mit  den  Ordnungen:  Che- 
lonier  und  Crocodilier;  fossile  Formen  sind  1)  Rhyncho- 
cephaliden  (einzig  lebende  Form  Hatteria),  2)  Pythonomorphen, 
3)  Pterosau  rier,  4)  Ichthyopterygier  (Ichthyosaurier  und 
Plesiosaurier),  5)  Dinosaurier,  6)  Therom orphe n. 

31)  Die  Lcpldosaurier  haben  ein  durch  Häutung  sich  erneuerndes 
Kleid  von  Hornschuppen,  eine  quere  Cloakenspalte  und  hinter 
derselben  paarige  Begattungsorgane. 

32)  Die  Saurier  mit  den  Ordnungen :  Crassilinguieny  lirevilinguien, 
Fissilinguien,  Vermilinguien,  Annulaten  haben  meist  bewegliche  Augen- 
lider, ein  Trommelfell,  vier  Extremitäten  oder  Reste  derselben,  vor 
Allem  stets  ein  Sternum.    DieMundspalteistnicht  dehnbar. 

33)  Die  Ophidier  mit  den  Ordnungen :  Angiostomen,  Innocuen,  Pro- 
teroglyphen,  Solen oglyphen  haben  keine  Extremitäten,  niemals 
ein  Sternum,  kein  Trommelfell,  Augenlider  zu  einer  Art 
Cornea  verschmolzen,  fast  stets  eine  dehnbare. Mund- 
spalte, häufig  Giftzähne. 

34)  Die  Hydrosaurier  haben  einen  Knochen-  und  Hornpanzer 
der  Haut,  ein  feststehendes  Quadratum  und  einen  harten  Gaumen;  die 
Cloake  ist  eine  Längsspalte  mit  unpaarem  Penis  am  vorderen 
Ende. 


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581 


Zusammenfassung. 


35)  Die  Chelonler  sind  von  gedrungenem  Körperbau,  haben  eine 
aus  Knochen  und  Schildpatt  bestehende  Skeletkapsel  (Plastron-hCara- 
pax),  keine  Zähne,  dafür  Hornscheiden  an  den  Kiefern. 

36)  Die  Crocodilier  sind  langgestreckt,  mit  langem  Ruderschwanz 
und  kegelförmigen,  in  besonderen  Alveolen  steckenden  Zähnen. 

37)  Die  Vögel  sind  den  Reptilien  sehr  nahe  verwandt  (Saurop- 
sideu)  und  theilen  mit  ihnen  den  un paaren  Condylus  oeeipita- 
lis;  sie  unterscheiden  sich  von  ihnen  durch  die  Befiederung  der 
Haut  und  die  vollkommene  Sonderung  des  Herzens  in  eine  linke  und 
rechte  Hälfte. 

38)  Weitere  Merkmale  der  Vögel  sind :  H  o  m  o  i  o  t  h  e  r  m  i  e  (Warm- 
blüter), P  n  e  u  m  a  t  i  c  i  t  ä  t  der  Knochen,  Verwachsung  der  Handknochen, 
Bildung  von  Tibiotarsus  und  Ta r s o m e ta tar s u s  (Intertarsal- 
gelenk). 

31>)  Die  Vögel  werden  eingetheilt  in  Cur  so  res,  welche  keine 
Furcu  la  (verwachsene  Schlüsselbeine)  und  keine  Carina  haben, 
und  in  Carinaten  mit  Furcula  und  Carina. 

40)  Zu  den  Cursores  gehören  die  Strausse,  Casuare,  Kiwis  etc., 
zu  den  Carinaten  die  Gallinuccae,  Columbinae,  Natatores,  Grallaiores, 
Scansores,  Passeres,  Raptatores. 

41)  Die  Säugethiere  haben  einen  doppelten  Cond)'lus  oc- 
cipitalis,  eine  behaarte  Haut  und  Milchdrüsen,  die  beim 
Weibchen  zum  Säugen  dienen. 

42)  Weitere  Merkmale  der  Säugethiere  sind  die  Homoiother- 
m i e ,  die  vollkommene  Scheidung  des  Herzens  in  eine 
linke  und  rechte  Hälfte,  die  Umbildung  von  Theilen  des  Vis- 
ceralskelets  zu  Hörknöchelchen  (Quadratum  =  Ambos,  Articulare  = 
Hammer,  Hyomandibulare  =  Stapes),  h  o  h  e  E  n  t  w  i  c  k  1  u  n  g  der  B  e  - 
zahnung  (Bewurzelung ,  meist  heterodonte  und  diphyodonte  Be- 
schaffenheit). 

43)  Die  Säugethiere  werden  eingetheilt  in  Monotremen, 
Marsupi  alien  und  Piacentalien. 

44)  Die  Monotremen  (Echidna,  Ornithorhynchus)  sind  eier- 
legende  Säugethiere,  mit  persistenter  Cloake,  völliger  Trennung 
der  Müller'schen  Gänge  beim  Weibchen ;  sie  besitzen  ein  Coracoid  und 
ein  Episternum. 

45)  Die  Marsupialien  sind  lebendig  gebärend,  doch  werden  die 
Embryonen  in  Folge  unvollkommener  Ernährung  (keine  Placenta) 
früh  geboren  und  in  einem  M  ar  s  u  p  i  u  m  (Ossa  marsupialia)  getragen. 

46)  Im  Skelet  ist  ausser  den  Ossa  marsupialia  der  Winkel  des 
Unterkiefers  charakteristisch.  Der  Urogenitalapparat  ist  durch  den 
Damm  vom  After  getrennt,  Uterus  und  Scheide  sind  doppelt: 
Didelphier. 

47)  Die  Placentallen  erzeugen  gut  ausgetragene  Junge,  die  im 
Uterus  mittelst  der  Placenta  ernährt  werden;  sie  haben  kein  Mar- 
supium  und  keine  Ossa  marsupialia.  Die  Vagina  ist  unpaar  (Mouo- 
delphier),  der  Uterus  paarig  oder  unpaar. 

48)  Eine  rückgebildete  Bezahnung  (fehlendes  oder  monophyodontes 
Gebiss)  haben  die  Krallen  tragenden  Edentaten  und  die  mit  Flossen 
ausgerüsteten  Cetomorphen  (Sirenen      denticete  und  mystieeie  Cetaceen). 

41>)  Vorwiegend  herbivor  sind  die  huftragenden  grossen  Ungulaten 
(Perissodactylen  und  Artiodactylcn)  und  Proboscidier,die  krallentragenden, 
meist  kleinen  Rodcnüen. 


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Zusammenfassung. 


585 


50)  Thcils  herbivor,  theils  inscctivor  sind  die  mit  Flughäuten 
(Patagium)  ausgerüsteten  Chiropteren. 

51)  Vorwiegend  fleischfressend  sind  die  kleinen  Insectivoren  (mit 
kleinem  Eckzahn)  und  Carnivoren  (mit  starkem  Eckzahn  und  starkem 
Reisszahn) ;  letztere  werden  eingetheilt  in  die  landbewohnenden  Fissi- 
pedier  und  die  wasserbewohnenden,  Flossen  tragenden  Pinnipedier. 

52)  Ein  mehr  oder  minder  indifferentes  Gebiss  haben  die  vor- 
wiegend oder  ganz  mit  Nägeln  anstatt  Krallen  und  mit  Greifhänden, 
meist  auch  Greiffüssen  versehenen  Prosimien  und  Primaten  ;  erstere 
sind  niedrig,  diese  sehr  hoch  organisirt. 

53)  Nach  der  Stellung  der  Nasenlöcher,  der  Ausbildung  des 
Schwanzes  und  der  Behaarung,  ferner  nach  der  Beschaffenheit  des 
Gebisses  und  des  Fusses  werden  die  Primaten  eingetheilt  in  Alien  der 
neuen  Welt  (Platyrhineri),  Affen  der  alten  Welt  (Katarhinen)  und 
Menschen  (Anthropinen). 


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Register 


Aale  älD. 
Aasgeier  54S. 
Abdominal ia  37S. 
Abramis  510. 
Abranchier  335. 
Abraxas  430. 
Acant  harten  I  »>0. 
Acanthia  42t  i. 
Acanthias  504. 
Acanthocephalen  259. 
Acanthoeystie  1  50. 
Acanthodcrns  4 1 7. 
Acanthometra  100. 
Aeanthophraeten  1  <»0. 
Acanthopteren  511. 
Acarincn  440. 
Acephalcn  3 1  (>. 
Acephaloeysten  247. 
Achatina  339. 
Aclierontia  480. 
Aehthere«  309. 
Acinetinen  1 75. 
Acipenser  7)07 . 
Aconticn  208. 
Acranier  484. 
Acraspedcn  202. 
Acrididen  4 IS. 
Aerodonten  528. 
Actäon  337). 
Actiniarien  213. 
Actinophry.«  1  50. 
Actinosphacrium  150. 
Aculeaten  424. 
Aeuleus  422. 
Adamsia  213. 
Adler  TjJiL 
Aeginiden  T.*9. 
Aeolidia  335. 
Aepyornis  "»44. 
Aeo/uorea  199. 
Aesche  510. 
Aesehna  410. 
Aethalium  104. 
Aethiopi.iche  Kegion 
Affen  ML 


I  Afterseorpione  430. 

Afterspinnen  437. 

Agamiden  "»27. 

Agassiz  1 7. 

Aglossen  7)20. 

Aglyphodonten  531. 

Alaiida  7»4St. 

AlbatroK  540. 

Alca  7)47. 

Alcedo  7>4S. 
1  Alciopiden  2f>f>. 

AleipjH?  378. 

Aleyonarien  212» 

Alcyonella  284. 

Alcyoninni  212. 

Aldrovandi  LL 

Aleetoriden  7)47. 

Aliina  :187. 

Allgemeine  Zoologie  4JL 
Allan tois 
Alligator  7>34. 
Alosa  7i  1 1 ). 
Alytes  7)21. 
Amaul  51  l 
Amhlystoma  7)20. 
Ambulacralgefässsystem 

2ÜL 
Ameisen  427». 
Ameisen  igel  503. 
Ameisenlöwe  419. 
Ameiva  529. 

Ametabnle  lnsectcn  410. 

Amia  7>07. 

Ainmoeoetes  4S9. 
!  Ammoniten  349. 

Amnion  410,  183. 

AnmiotoinSl,  521. 

Amoeba  154. 

Amoebinen  17>4. 

Amphaoanthe  7)08. 

Amphibien  513. 

Amphibiotica  410. 

Amphigonie  1 14. 

Ampbinelia  214. 
i  Amphilina  214. 


!  Amphineuren  315. 

Amphioxus  4Ä4. 

Amphipodcn  383- 

Amphisbaena  529. 

Ainphistomum  235. 

Ampullaria  33H. 

Anacanthinen  510. 

Analog  LL 

Anamnien  484. 

Anas  7>46. 

Anaxon  107. 

Anchitherinm  5J3 

Andrias  520. 

Androetonus  43(5. 
i  Anelasma  377. 
1  Anemonia  213* 
j   Angiostomen  7>32. 
|  Anguilla  510. 
j  Anguiüula  254. 

Anguis  ">2li. 

Animale  Organe  9_L 

Anisorayarier  323. 

Anisoiwden  380. 

Ankylogtoma  250. 

Anneliden  200. 

Annnlaten  529. 
i  Anodonta  324. 

Anopla  249. 

Anoploeephalus  24JL 

Anser  544>. 

Antarktische  Region  Iii 

Antedon  301. 

Antennaten  362. 

Antennendrüse  304. 

Antheomorphe  207. 

Anthomedusen  199. 
J  Anthomyiden  429. 
>  Anthozoen  21Ml 
•  Anthropinen  7>sQ. 

Anthropoiden  5^"), 

Antiloeapra  572. 

Antilope  572. 

Antimeren  110. 

Antipathes  213. 

Anuren  520. 


Register. 


587 


Aphanipteren  422. 
Aphis  42Ü. 
Aphrodite  2filL 
Apiarien  424. 
Aplacophoren  ältL 
Aplvsia  33."». 
Aplysilla  m 
Aplysinn  188. 

Apodea  (Holothurie)  308.  i 
Apodes  (RhizcK»phale)3IS. 
Apodes  (Fische)  .r»10. 
Apolemia  201. 
Appeiidicularien  275. 
AptenodytcB  ">47. 
Apteren  427. 

Apterogenen,  Apterygoten 

4LL 
Apteryx  ">4 1. 
Apus  373. 
Aqnila  ■"> V.K 
Arachnoideen  431. 
Araneen  437. 
Area  323. 
Aredia  HÜ 
Areliaeopteryx  ölfl,  2L 
Archen  temn  &L 
Arehianneliden  2li0,  21ÜL 
Archigetes  '244. 
Arehigonie  III. 
Arehipteren  411. 
Arehiteuthis  310,  349. 
Arcyria  1 
Ardea  r>47. 
Arenieola  26t). 
Argas  441. 
Argonnut a  341). 
Argulm*  370. 
Argyroneta  440. 
Arion  331). 
Aristoteles  iL 
Arktisehe  Region  145. 
Armadillio  3sh. 
Aromia  422. 
Art  2_L 
Artemia  312. 
Arterien  SIL 
Arthrogastn*  434. 
Arthropoden  3V2. 
Arthrostraca  3Ü2. 
Artieiüaten  (Crinoideeii)30l. 
Artieulaten  (Arthropoden) 

Artiodactylen  .r>7 1 . 
A>*calaboten  ~»2'.'. 
Ascalaphu*  t V.K 
Ascaris  2.~i.->. 
Ascidiaeformes  27 1>. 
Af»conen  18<i. 
Asevssa  18(1. 
Ascllus  3SU. 
A«i  phonier  318. 
Aspergillum  325. 
Aspidochirotcn  3(lft. 
Assebi  3ÜL 
Astacus  3112. 
Asteria-*  '21  >S. 


Asteroideen  2D4. 
Astraea  21Ü. 
Aßtroides  210. 
Astropocten  2i& 
Astur  541). 
Asymmetmn  487. 
Atalanta  337. 
Athene  541). 
Atta  42Ü. 
Attacus  43Ü, 
Attus  431L 
Atypus  431). 
Auenenia  572. 
Auerhahn  545. 
Aueroehs  572. 
Auge  103,  'ML 
Aufacanthcn  BSQ. 
Aulosphaeren  Itf  >. 
Aulostomum  272. 
AureUa  20t>. 
Aurieularien  2113. 
Auster  324. 

Australische  Region  144. 
Autoflagcllatcn  lt>4. 
Autolytos  2l>4. 
Autophagen  '»43. 
Aves  ,">3.~). 
Aviculidcn  3'24. 
Avicularien  2s4. 
Axolotl  ü2U. 
Azteca  42Ö. 
Azygobranehier  33Ü. 


Bachstelzen  584. 
Bacillus  417. 
Badesch  wämme  188. 
Baer,  C'arl  Kraut  von  13. 
Bär  577. 

Bärthierehen  442. 
Balacnn  5>il). 
Balaenoptera  501). 
Balaninus  422. 
Balanoglossus  273. 
ßalantidium  173. 
Baianus  377. 
Balistes  r>  1 1 . 
Bandwurmer  '235. 
Barbus  510. 
Barsche  511. 
BasiÜscus  Q2H. 
Ba*oniniat<>phoren  331). 
Bastarde  2a. 
Bat  räch  ier  520. 
ßaumschlaiigen  ä3L 

Bdellostoma  480. 
Befruchtung  1  l'.K 
Brr«x-  2JÜ. 
Bentelratlen  5<  »5. 
Beutelt hiere  503. 
Biber  ."»7r>. 
Bienen  4'M 
Bienenlaus  421 1. 
Bilateral  symmetrische 

Thiere 
Bilharzia  23.~>. 


Bindesubßtanzen  ÜL 

Biogenet.  Grundgesetz  30. 

Biologie  3. 

Bipali um  221). 

Bipinnarien  21)3. 

ßirgus  303. 

Birkhuhn  M5. 

Bison  .r>72. 

Blabera  417. 

Blasen  wünner  23ü 

Blastoideen  3Ü2. 

Blastula  12Ü. 

Blatta  ilL 

Blattfflssler  312. 

Blattläuse  420. 

Blatt  wespen  423. 

Blendb'nge  23. 

Blennius  ■">  1 1 . 

Blindschleiche  521  >. 

Blind  wühlen  -Vi  1 . 

Blut  Tl.  arter.  venös.  ÜQ. 

Blutegel  2I£L 

Blutgefässsvstem  88. 

Boa  ä3L 

Bockkäfer  12L 

Bojanus'sehcs  Organ  32L 

Bombinator  5'>1. 

Bombvx  431  >. 

Bonellia  2lüL 

Bopyriflen  385,  :Ni. 
;  Borsten  Würmer  2t X  >. 
f   Bos  572. 

Bostrychus  422. 

BothriiK'ephalus  244. 

Bothryllu*  271». 

Brachiolarien  2Ü3. 
|  Brachionun  251. 

Brachio|KKlen  2K4. 

Brachse  510. 

Brachycera  42S. 

Brachyuren  31  »3. 
!  Braconiden  4  M 

Brarlyi>us  f><  >S. 

Brancnio|joden  3Ii». 
1   Branchijms  372. 

Branchinren  37t). 

Braida  421). 

Bremsen  42S. 

Brevilingtüen  ")2l>. 

Brillenschlange  aliL 

Brissus  :ti 

Bnmtnsaurus  .r>3"). 

Brüllaffe  jÜÜ. 

Bryozoen  2S1- 

Bubalus  ">72. 

Bu1m>  5JiL 
,   Bucerontiden  f>48. 

Büeherscorj>i<»ne  4:t(i. 
I  Buh»  "»21. 
I   Büffel  ÜI2. 

Buffon  LL 
|   Bugula  '2M. 

Bulbus  arteriosus  .»l. 
!   Bussard  ">4H. 
■   Buteo  .'i  Iii. 

Bulbus  i3Ji 


Ö8-S 


Register. 


Byssus  321. 
Bythotrephcs  374. 

C'acadu  r>-!7. 
Cacospongicn  l^S. 
Calappa  3'.>3. 
Calaspongien  1H»>. 
Caloptcryx  41<>. 
Calosoma  421. 
Calyeonwten  2«Y>. 
Calycophon'ii  200. 
Camelopanlali«  üIÜ. 
Camelus  572. 

Carapanularia  192,  197, JUi». 
Campt xlea  414. 
Catialis  wurentericus  279. 
Cancer  3'.>3. 
Canis  .r)7K. 
Canin^tomcn  2(Xi. 
Cantliari«!»'  LiL 
Capillaren  hlL 
Capilliliinii  l«i3. 
Capra  572. 
Caprella  3S4. 
Caprimul^Mo»  54S. 
Carabidon  421. 
Carapax  '>:■{•.?. 
Carassiu*  510" 
Carvharias  5<>4. 
Carchanxlon  5«  4. 
Carehesiimi  1 7.'). 
Carduus  H'. K-t. 
Cardiuni  Li^L. 
Carididen  3'.i2. 
Carinaria  337. 
Carinatcn  .">44. 
Carutarina  1 W. 
Carnivoren  577. 
Carpwapsa  430. 
Carpom  1«>3. 
Caryophyllaeus  24.3,  24  1. 
Caryophvllia  -'14. 
Castnr  r>7.'> 
Casuarius  .">  14. 
Catoeuln  43( ). 
Catoinoto|>eti  3'. »3. 
Ca  via  575. 
Cavicornia  572. 
Obus  5SO. 
Ceeidouiyidrn  42s. 
Cellulose  27.r). 
Ceuiohn  33t». 
( Y'ntpKlorsal«1  2'.'!'>. 
Cephalasoidin  5«  )7. 
Cephalopnoron  32* i. 
Ccphalo|Mxlen  340. 
Cephalothorax  35  I. 
C/eraosiMinjri«'»  1^7. 
(k-rarnbyx  421. 
(Jcratium  l«»t>. 
Ceratodus  5  1 2. 
Orearia  2:  »2. 
(Jercomonas  !«'><>. 
Ccrcopithinis  ">7S. 
Cerobralgan^lion  'ALI . 
CVn-brat uliis  24'. 


Cereus  207. 

Cerianthrt'n  2 1 3, 

Cervus  572. 

Cestoden  ii35_» 

Cestus  2 IS. 

Cetaceen  r><»S. 
|  (Vtoclülus  3<i!>. 

Crtoniorphen  5t  »S. 

Chaetodornia  31«i. 

Chaetognathcn  151. 

Chart«  »[xxlen  2«  V  >. 

Chania«;lcon  Ü21L 

Charadriidcn  547. 
I  CharybiJaea  '2LML 

Carvophvllia  214. 

Chelifer  '43t  >. 
I  Chelicercn  431. 

Chelonier  533. 

Chelura  3>iL 

Chemien  42H. 

Cher*it<ii  5_iL 

Chiastoneurvn  32'.). 

Cliilotrnatheu  3'.»7. 

ChiJoinnnas  llu. 

Chili »poden  3'.»s. 

Chilostoiuen  2S3. 

Chimaera  5Q5. 

Chiromys  57!«. 
•  Chiropteren  57t». 
|  Chitiiisclik'ht  353. 

Chiton  3ÜL 

Chlainyd<»eoiicha  31t». 
.  Chnaiioflapellatcn  Miti. 

ChnlocpUK  5«  jS. 

Chondrilla  lüä. 
I  Chmidri»  »derma  H>3. 

Chondros  tri  .VW». 

( 'hcnia  dorsalis  31^  278,  448. 

Chord»  »iiier  274. 

Chorioidca  1 t  >■"». 

Chormidraldriise  4H8. 

Chririoii  1  '_?<>.  5«  »5. 

( 'hroiuat«  »ph<  >ron  343. 

Chrnmomniiailium  lt>5 

Chrysomelincn  A^L 

Chrysomitreu  2(  X ). 

Chrysomonadiiteri  H»t>. 

Chrysopa  41i>. 

Cliylusfrt'füsse  SÜ 

Ciradarien  42(i. 

Ci  dudeln  421. 

Ciconia  547. 

Ciliat«'ii  lüS. 

Ciliofhurdlaten  Mi. 

Ciinex  4->ii. 

Cingulatcn  ">ti7. 

Ciona  2I1L 

('irrus  2J0, 

Cirripcdien  374. 

Ciiiyrnukn  13i*. 

Clacltx-eivn  '^73. 
.  Claihx-ora  214. 

Clamatorcs  ,")4S. 

Clatlirulina  l"*>i- 

Clavt'lhna  211^ 

Clcpsi«  Irina  177. 


Clepsine  '273. 
Clitellum  2JÜL 
Cloakc  h*L 
Cloakenthiort'  ,"><  i'-'. 
Clu|H-a  hl£L 
Clyi>eastri<li'n  30">. 
Ciiothücainna  4!3<  >. 
Cnidarirn  lss. 
(Vxxäden  42t i. 
Ccx!cidituii  177. 
Coccim'lla 
Coccut*  42«'». 
Oxvypjiriorphen  r>17. 
CodontH'lwIiuiii  !«»>>. 
CoeciUa  -"»2 1 . 
Coeh-nteratcn 
Ccx'lrntt-ron  1 S2. 
Coelhehninthcti  2^22,  2AL 
CVtekxiendruin  1'1«>. 
CxxJom  tüs. 
C<x>lopIaiia  2 IS. 
Codoria  214. 
Coenenchvin  211. 
Coonwark"  \_U\_,  2J_L 
C<M^iium«  247. 
Coloopterr:n  J2a 
Ciliare  1«^  IM. 
(>>ll«Miilxden  414, 
CV>llozüuin  1«>0. 
C4»l.»radnkäfi  r  422. 
(Jolul>cr  7)31. 
Colubrilonnia  .rt31. 
(Jolumlia  "»45. 
Cohunbinae  5-15. 
Colyuibus*  Ö47. 
Coniatuhdcn  301 . 
Compsofmathus  .*»3'>. 
«Jonuor  54s. 
(Vmdylarthren  all 
Congrr  .V>S. 
Conjueation  171. 
Conoohiluä  2,">  1 . 
CVmtraetilo  Vaonulf  14H. 
Conus  artfrriDKU;*  .r>01. 
Cojx'podon  3' »7. 
CoraDenthiVro  2o<i,  2LL 
(.'oralliuin  213. 
Cordylnphora  l'«S. 
(.'orepinu."*  510. 
Connoran  ">47. 
Cornaou^pi»ngi(  n  1H7. 
Cornea  UM, 
Corouolla  531. 
Corouula  377. 
Corpus  oalhfcitun  555. 
Corn-lation  LL 
Corrodontion  415. 
Conus  54s. 
Coryeaeid«-!!  3<»!>. 
Cor\*niorpha  1'.'^. 
Cotingidcn  54^. 
Cotvhxlonrn  *»<-H>. 
Cotylorhiza  'ML 
Craeidcn  545. 
Crani^on  31«2. 

Cras|x-<loto  Milium-  l^L  li^ 


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Register. 


589 


Crassatella  317. 
CrassUinguien  528. 
Crenilabrus  51 1. 
Creodonten  578. 
Crevettinen  384. 
Crex  547. 
Crinoidecu  299. 
Crocodilier  534. 
Crocodilus  ."AI. 
Crossoptervgier  507. 
Crotalus  :/3l». 
Crustaceen  3ii2. 
Cryptobranehus  519. 
Cryptoniscus  386. 
Cryptopentaniera  42L 
Crvptotetramern  422. 
Ctcniza  4JÜL 
Ctenoidschuppeu  401. 
Ctciiophoren  '21"). 
Ctenoplana  2  IS. 
CulHitncduscn  200. 
Cuculus  547. 
Cucumaria  üik 
Culcita  2Ü8. 
Culex  12s. 
Cumaceen  382. 
Cunina  1Ü1L 
Cupressoerinus  301. 
Curculionidae  422. 
Cursores  543. 
Cursoria  417. 
Cutieula  ü£L 
Cuvier  12. 
Cvamus  384. 
Cycla-  A±k 
Cyclobranehier  336. 
Cycloidschuppen  491. 
Cycioincto|>en  393. 
Cyclopti  3<  gi 
Cyeh»stoiua  330. 
Cyclostomen  487. 
Cydippe  2 IS. 
Cvgnus  546. 
Cymbulia  338. 
Cymothoeca  386. 
Cynips  423. 
Cynoccphalus  580. 
Cynotuorphen  580. 
Cynthia  2IiL 
Cypraca  336. 
Cypridina  374 
Cyprinus  510. 
Cypris  374. 
Cypselomorphcn  548. 
CvpMcliw  548. 
Cyrtidcn  ML 
Cvstiecreoiden  242. 
Cysticercus  236,  21L 
Cystid  282.  " 
Cystideen  3D2. 
Cystoflagellaten  164. 
Cvstonecten  201. 
Cytopharyx  148,  1£8. 
Cytopyge  14& 
Cytostom  148. 


Dactylopterus  511. 
Daetylcthra  ä2il 
Daphnia  374. 
Darm  83» 

Danufascrblatt  122. 
Darwin  (Erasmus)  18. 
Darwin  (Charles)  12, 
Dasselbeulen  42« >. 
Dasypus  507. 
Dasyurus  505. 
Daudebardia  331L 
Davainea  246. 
Dccapodeu  34!».  3bS_. 
Deeidua  566. 
Dccif  uateu  ."i'iT. 
Deetieus  4 1 '.  i. 
Dmirä  414. 
Dedephila  LlL 
Deima  3üü. 
Delamination  127. 
Delphinus  561  >. 
Den»  «lex   14 1 . 
Dendroehirotcn  308. 
Dendrocoelcn  229. 
Dendrocoelum  220. 
Dendrophi«  531. 
Dendrophyllia  21."). 
Dens  lacerans  577. 
Deiitalituu  340. 
Denticete  509. 
Dermnnyssus  441. 
Dermatopteren  417. 
Derotremon  519. 
Dcseendenztheorie  16. 
Desnmgnathus  516. 
Desmodont  317. 
Desoria  III. 
Desor'sehe  Larve  248. 
Deuteroiuerit  176. 
Diaptonius  360. 
Diastvlia  382. 
Diblasterien  189. 
Dibrauchiaten  3-11». 
Dicotyles  571. 
Dicvemidcn  180. 
Didelphier  503. 
Didelphys  565. 
Diduncuhis  545. 
Didus  545. 
Difflugia  1Ü2. 
Dimyarier  317,  323. 
Dingo  144. 
Dinubryon  166. 
Dinoflagellaten  166. 
Dinornis  5-14. 
Dinosaurier  535. 
Dinothcrium  574. 
Diodon  511. 
Dioniedea  54t  i. 
Diotocardier  :'..'".'>. 
Diphvodont  557. 
Diphyccrk  32,  496, 
Diplopoden  397. 
Diplozoon  232. 
Dipneumones  439,  512. 
Dipneusten  512. 


Diporj>a  232 
Dipteren  12L 
Dipylidium  2JiL 
Disciden  160. 
Diseodaetylen  Ü2Q. 
Discodermia  187. 
Discomedusen  206. 
Discoplaeentalicu  567. 
Distomum  232. 
Diurni  548. 
Doehmiue  256. 
Doliolum  281. 
Domestication  3JL 
Donacia  422. 
Doris  335. 
Doritis  431. 
Dorsch  510. 
Dorvphora  422. 
Dot'tcrstock  22fi. 
Draco  528. 
Dracunculus  258. 
Drevssena  324. 
Drobnen  424. 
Dromneus  544. 
Dromedar  512. 
Droinia  393. 
Dronten  545. 
Drosseln  54s. 
Drüsenepithel  üL 
Drüsenmagen  85. 
Dugong  508.' 
1  »ujanlin  1Ü. 
Dynastes  421. 
Dysodont  317. 
Dytisciden  i2L 

Ecardines  287. 
Echidnn  5'  i3. 
Echinocardiiun  305. 
Echinococcus  240. 
Echinocyamus  305. 
Echinodenucn  291. 
Echinoideen  3*  »2. 
Echinometriden  305. 
Echinorhvnchus  259 
Eclunosphaeritcs  302. 
Echinus  3(  »5. 
Eehiurus  269. 
Echsen  528. 
Ecitons  425. 
Ectoprocten  282. 
Edeloralle  2UL 
Edelfalke  54iL 
Edentaten  567. 
Edrinphthahncn  3s2. 
Edwardsien  2<t8. 
Eff(KÜentien  5(>7. 
Egelwürmer  270. 
Eichhorn  JLL 
Eichhörnchen  575. 
Eidechsen  529. 
Eiderente  545 
Eigenwarme  Thiere  9JL 
Eimeria  178. 
Einsiedlerkrebse  393. 
Eisbär  577. 


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590 


Register. 


502. 


Eintagsfliege  41H. 
Eisvogel  54s. 
Eizelle  IM» 
Ektoderra  84^  127. 
Ektoparasiten  1:>S. 
Ektosark  l.">4. 
Elaj»s  531. 
Elasipoden  3ÜS. 
Elateren  113. 
Elatcriden  i2L 
Elasmohranchier 
Elch  012. 

Elektrisehe  Organe  407. 
Elephas  574. 
Elysia  aiü 
Elyiren  ML 
Empusa  417. 
Emys  534. 
Encope  3(  >5. 
Eneystirung 
Endostyl  2T 
Enopla*  249. 
Ente  54<i. 
Entcnmusehel  377. 
Enteropneusten  273. 
Entoconeha  3im. 
Entoderm  S4j  127. 
Entomostraken  3B7. 
Entoniscus  38<i. 
Entoparasiten  13&. 
Entophagcn  423. 
Entoprokten  2S2. 
Entosark  154. 
Entovalva  308. 
Eohippus  573. 
Eozoon  l'i'{. 
Epeira  44<  >, 
Ephemera  41(i. 
Ephippinni  373. 
Eplüppodonta  316. 
Ephyra  205. 
Epihlast  12L 
Epicrium  521. 
Epigenesis  KL 
Epiphragnia  329. 
Epistylis  175. 
Epithelgewebc  58. 
Epithelmuskelzellen  TA. 
Eporosen  214. 
Enuiis  57 1 . 
Erbliehkeit  35, 
Erichthus  3SL 
Erinaeeus  5 '  \  >. 
Eristalis  12!i. 

Ernährimg,   Organe  der- 
selben Ü2. 
Errantim  2W, 
Esel  BZL 
Esox  510. 
Eatheriden  323. 
EueopcjMtden  3>i9. 
Euermoideen  301. 
Eueyrtidiura  100. 
Eudrndrium  198. 
Eudoxia  200. 
Euganoiden  507. 


Euglena  104^  16JL 
Kuglypha  liÜ 
Eulen  (Schmetterlinge)  430. 
Eiden  (Vögel)  54'.». 
Eunice  2<><>. 
Euphausia  387. 
Euplectella  18L 
Euryale  298. 
Eurystomen  3SO. 
Euspongia  1HS. 
Eustachius  ID.. 
Exeretionsorgane  92. 
Existenzbedingungen  43. 
Exocoetus  51 1. 
Exuvie  303, 

Facettenauge  35S. 
Fadenwünner  253. 
Falco  VW- 
Fasan  545. 
Faulthiere  5<iS. 
Favia  2LL 
Feder  030. 
Federling  4M 
Felis  578. 
Fierawfer  5 1 1  >. 
Filaria  25s. 
Filibranchier  323. 
Fingerthier  o<9.~ 
Finken  548. 
Finnen  23^  21L 
Fisehasseln  3K0. 
Fischbein  5«>S. 
Fische  iÜQ. 
Fisehotter  57K. 
Fisch reiJier  547. 
Fissiliuguien  022. 
Fisjqpedicr  577. 
Fissurella  33>i. 
FlabeUimi  214. 
Flagellaten  HU. 
Flamingo  546. 
Fledermäuse  576. 
Fleischbeutler  565. 
Fliegen  428. 
Fliegende  Fische  5 1 1 . 
Fliegende  Hunde  57_L 
Flöhe  42Ü. 
Flohkrebse  37J,  383. 
Flögelschnecken  338. 
Flunder  510. 
Flusskrebs  3H2, 
Flustra  2K4. 
Foraniiniferen  1'K 
Forelle  510. 
Forfieula  Iii. 
Forinica  425. 
Fornix  555. 
Fossorien  424. 
Fringilla  548. 
Frosehlurche  520. 
Frösche  02L 
Frugivoren  577. 
Fuchs  (Vanessa)  430. 
Fuchs  (vulpes)  578. 
Fulgora  426. 


Functionsweehsel  SIL, 
Fungia  2 1 1. 

Fumculus  umbilicalis  5J1L 
Furca  3üL 

Furchungsproeess  122- 
Furcula  ;>3S. 

Gabelgemse  572. 
Gadus  510- 
Galen  iL 
Galeodes  435. 
Galeopithecus  576. 
Gallen  (Galläpfel)  423. 
Gallinacei  544. 
Gallinago  547. 
Gallus  ">}"'. 
Gamasus  441. 
Gammarus  384. 
Ganglienknötchen  Ü8. 
Ganglienzellen  ZiL 
Ganoiden  OOü. 
Ganoidschuppen  491. 
Ganoin  491. 
Gans  545. 
Gameelen  392. 
Gasterosteus  511. 
Gastroehaeniden  325. 
Gastropacha  430. 
Gastrophilus  429. 
Gastropoden  32»). 
Gawtrovascularsvstcni  88. 

182. 
Gastrula  126. 
Gaumcnkaiicr  4!'4. 
Gavialis  534. 
Gazelle  572. 
Geeareinus  393. 
Gcekonen  5-_H,'. 
de  Geer  10. 
Gehör  1ÜL 
(iri  er  048. 

GeisHclinfusorien  164. 
Geissei  kammern  184. 
Gcisselspinnen  435. 
Gelasimus  303. 
Gemmulae  187. 
Gemse  012. 

Generatio  spontanea  LLL 
Generationswechsel  11*3. 

189,  281. 
Geocarciniden  393. 
Geoftroy  St.  Hilaire,  11,18 
Geocores  42b. 
Geodia  187. 
Geornetra  430. 
Geonemertes  249. 
Geophilus  399. 
Geotria  490. 
Geotrupes  42L 
Gephyreen  2öS. 
Geruchsorgane  100. 
Geryoniden  199. 
Geschlechtsorgane  94. 
Geschmacksorgane  WO. 
(»essner  & 
Gewebe  OL 


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Register. 


591 


Geweih  572. 
Gibbon  5hü. 
Gigantorhynchus  252. 
Gigantost  raca  380. 
Giraffe  572. 
Glandicep*  273. 
Glassschwäminc  187. 
v.  Gleichen-Russwurm 
Gletscherfloh  414. 
Güoderfüssler  352. 
Gliederspinnen  434. 
Gliedert  niere  352. 
G  Ii  res  574. 
Giobigerina  1(>2. 
Glochidien  liiLL 
Glomeris  398. 
Glyptodonten  5ßL 
Gnathobdelleen  212, 
Goethe  IL  IL 
Goeze  LL 
Goldfisch  51Ü. 
Gonochorismus  24. 
Gonopbore  190. 
Gonotheca  197. 
Gordius  259. 
Gorgonia  212. 
Gorilla  580, 
Gradflögler  HL 
Grallatores  547. 
Graptolitha  L£L 
Gregarinarien  17(i. 
Gressorien  417. 
Grew,  Nehemia  IL 
Gromia  HfcL 
Grus  547. 
Grvllus  412. 
Gryllotalpa  HU 
Gürtel thiore  5H7. 
Gulo  578. 
Gunda  222. 
Gymn«>dontcn  51 1. 
Gymnophionen  521. 
Gymnorhinen  57K. 
Gymnowomata  338. 
Gymnotua  510. 
Gypaetus  548. 
Gyrinophilus  510. 
Gyrodactylus  23L 

Haarsterne  222. 
Habicht  542. 
Haeckel  2il 
Haemalbögen  451. 
Haemamoeba  154. 
Hacmentaria  27.'». 
Haem<Mlipsa  273. 
Haemoglobin  72. 
Haemopis  272. 
Hänfling  ÖJN, 
Ha  ringe  510. 
Häutung  353,  527. 
Haifische  502. 
Halbaffen  518, 
Halicore  5H8. 
Hahomineu  K50. 
Haliotis  33lL 


11. 


Halisarea  1S8. 
Halla  2ütL 
Halmonises  197. 
Halteren  427. 
Hamiglosscn  33Ö. 
Hapale  SB  »■ 
Hase  575. 
Hatteria  534. 
Hauptkern  1Ü2. 
Hausen  507. 
Haushuhn  545. 
Haustcllum  427. 
Hautfaserblatt  121L 
Hautflögler  122. 
Hechte  510. 
Hectocotvlus  347. 
Heilbutt 'hlÜ. 
Heimchen  419. 
Helioporaceen  213. 
Heliozoen  154. 
Helix  332, 

Heminietal>ole  Insecten 

410. 

Hemielytren  425. 
Hemipteren  425» 
Heptanchus  504. 
Hermaphroditismus  24. 
Herrent liiere  579. 
Herz  H2. 
Hcsperornis  549. 
Heteroeerk  33.  42Ü. 
Heteroeonchen  324. 
Heterodera  255. 
Hcterodont  317. 
Heterogonie  HL  234. 
Heteronicra  421. 
Heteroiuyarior  317.  323. 
Hetcronom  11". 
Heteronomie  354.  447. 
Heteropoden  337. 
Heteropteren  425. 
Heterot  riehen  122. 
Heuschrecken  418. 
Hexactim'IIidon  Is7. 
Hexaeorallien  213. 
Hexanchus  5<)4. 
Hexapodcn  4"0. 
Hipparion  513. 
Hippocatnpus  511. 
nippoglnssus  510. 
Hipjxikrates  2»  • 
Hippopotamus  571. 
Hi|)pos|M)iigia  188. 
Hirn  iiü. 
Hirsche  572. 
Hirudincen  270. 
Hirudo  272. 
Hirundo  548. 
Hokko  545. 
Hörner  572. 

Hol«  »blastische  Eier  123. 
Holocephalen  505. 
Holoiuetal>ole  Insecten  410. 
Holostoriium  232. 
Holostei  507. 
Holothuria  3Q6. 


Holotrichen  122, 
Holzboek  440 
Homarus  323. 
Homaxon  107. 
Homo  5s  l . 
Homocerkie  33,  49(>. 
Homoiotherme  Thiere  4i2» 
Homolog  LL 
Homomyarier  323. 
Homonom  110. 
Homoptercn  42ü. 
Hornuphora  218. 
Hornschwärame  187. 
Huchen  510. 
Hufthicre  509. 
Hühner  5 15. 
Hummer  323, 
Hund  578. 
Hundelaus  416. 
Hvaena  57S. 
Hyalaea  338. 
Hyalonema  187. 
Hvalospongien  187. 
Hydra  12Ö. 
Hvdrachna  440. 
Hvdraetinia  12& 
Hvdranth  12L. 
Hydrarien  UJS. 
Hydrocaulus  191. 
Hydrocorallinen  198. 
Hydrocore»  420. 
Hydrodroniici  42(i. 
Hydroidpolyp  lh!>. 
Hydromcdusen  189. 
Hydrometra  42Ü. 
Hydrophiden  531. 
HydroplüUden  421 . 
Hydroj>syehe  420, 
Hydrorhiza  191. 
Hydrosauria  532i 
Hydrothoca  191. 
Hvdrozoen  189. 
Hyla  520, 
Hylobates  5S0. 
Hylodes  520. 
HylurgiiB  422. 
Hymenolepis  245. 
Hymenoptcrcn  422. 
Hyocrinus  3<  * X 
Hyperinen  384. 
Hyperoartien  489. 
Hyperot  retcn  is1.*. 
HyjHjblast  127. 
HyjxihraQchiolrinne  277. 
HyjXKlenna  422. 
Hypophysis  278,  4<ifl. 
Hypot  riehen  175. 
Hyracothcriiun  573. 
Hyrax  574. 
Hystrix  515. 

Ibis  517. 

Ichneumoniden  424. 
Ichtlivornis  549. 
Ichthyi»saurier  535» 
Igi-1  57<>. 


5<<2 


Register. 


Iguaniden  52K. 
Iguanodon  535. 
Iinpcnncs  517. 
Imperforaten  102. 
Inae<juitelen  444). 
Indeciduatcn  507. 
Ligluvies  8iL 
Ima  5<  >S. 
Innocuen  531. 
IiiiHt'tvn  1ÜQ. 
Insectivoren  575. 
Jnsessores  543. 
hitegripalliaten  32L 
Interiarsalgclenk  535,  530. 
Imius  5s< ). 
Invagination  127. 
Irene  III!». 
Irreguläres  305. 
Iris  lilL 
Isis  2LL 
Isodont  '{17. 

Isolirung,  geographische  12»  | 
Isopoden  3S4. 
I ulus  3JK 
Ixodes  HD. 


Kabeljau  5_HL 
Käfer  420. 
Kalt  est  arrc  52. 
Küscmillvon  411. 
Kalkschwämme  186. 
Kaineel  572. 
Kaltblüter  22. 
Kampf  imiV  Dasein  3fi. 
Kaninchen  575. 
Karausehe  510. 
Karpfen  510. 
Karpfenlause  370. 
Kataklysmentheorie  12. 
Katallakten  ls(). 
Katarhinen  .r>s0. 
Katze  57K. 
Kaukasier  5S  1 . 
Kaulquap|K*  5  1  .S. 
Kaumagen  S5. 
Keimblätter  126. 
Keimepithel  OL 
Keimst« M'k  '-30. 
Kellerasseln  3S(i. 
Kiebitz  .">  17. 
Kieferbogen  455. 
Kieferegel  272. 
Kieferkaucr  4'.»4. 
Kiclschnecken  337. 
Kiemen  üü, 
Kiemen  bogen  1."). 
Kirmenfüssler  370. 
Kieselsehwämme  186. 
Kileh  aiil 
Kiwi  514. 

Klap|R'rsehlange  532. 
Klettervögel  54 7. 
Knochen  LüL 
Knochenfische  507. 
Knorpel  ÜLL 


Knorpelfische  492. 
KnorjMilganoiden  506. 
Knospung  1 13. 
Kolibris  5lS. 
Kohlweißling  430. 
Kometenform  205,  297. 
Krabben  3!)3. 
Krähe  54S. 
Krallenaffen  5.SQ. 
Kranich  547. 
Kratzer  350. 
Krätzmilben  441. 
Krebse  322. 
Krebsllüere  3Ü2, 
Kreuzotter  ä32. 
Kreuzspinne  440. 
Kriecht  liiere  522-1 
Kröten  52 1 . 
Kropf  sä, 
Kugelasseln  3S0. 
KiiKuke  547. 


Laberdan  5 1 0. 
Lahidura  417. 
Labrideu  511. 
Labyrinth«  Klonten  520. 
Laeerta  529. 
Lachse  510. 
Lämmergeier  54S. 
Lacmodijioden  384. 
Läuse  427. 
Lagopus  515. 
Liuna  572. 
Lamarek  LL 
Lamellibranehiatcn  316. 
Lainellieornier  421. 
I^aniclhrostris  546. 
Lamnideu  504. 
Lampyris  42 1 . 
Laiii1|>lananen  229. 
Languste  3i>3. 
Lanis  546. 
Laterne  des  Aristoteles  301. 
Latrodectes  440. 
Laubfrösche  520. 
Laufkäfer  J2L 
Laufspinucn  439. 
Laufvögel  543. 
Laverania  154. 
Leber  SU 
Leberthrau  510. 
Lcberegel  234. 
L«ruwenhoek  lü 
Lein u r  *»7'.i. 
Lepas  377. 
Lepidopfercn  429. 
Ix-pidosaurier  527. 
Lcpidosiren  5 1 2. 
Lepidosteus  507. 
I^episma  414. 
Leptoeardier  4K4. 
Leptocephaliden  510. 
Leptodiscus  108. 
Leptodora  374. 
Lcptomeduwm  199. 


[  Leptoplana  229. 
Leptoptilus  547. 
Leptostraea  382. 
Leptus  4-10. 
Lepus  575. 
Lerchen  54R 
i  Lernaea  309. 
Lernaeoeera  369. 
Lernaeopodiden  309. 
Leucetta  lSfi. 
Leuchtwürmchen  421. 
Leuckart  liL 
Leu  Conen  186. 
Leucortis*  1H6. 
Libellula  Hü. 
Ligula  244. 
Limaeina  338. 
Limax  339. 
Limieolen  267. 
Luunadia  373. 
Limnaeus  331  332. 
Limnoenida  197. 
Limnocodium  197. 
Limnoria  380. 
Limulus  ;»T:i. 
Li neus  249. 
Linguatulidco  441. 
Lingula  2S7. 
Linne  7,  HL 
Iippfische  5 1 1 . 
Lithistiden  187. 
Lithodomus  324. 
Lizzia  198. 
Locus  ta  419. 
Löffelstöre  507. 
Löwe  578. 
Lohblüthe  16-1. 
Loligo  312. 
Longipeimes  546. 
Lopnhifl  511. 
Lophobranchier  511. 
Lophogastriden  387. 
Lophophor  2S4. 
Lophopoden  2üL 
Lophvrus  423. 
;  Lori  *5_71L 
Loricaten  393. 
Lota  5J±L 

Luven  "sehe  Larve  525.  263. 

Loxosoma  282. 

Lueanus  420.  12L 

Lucernaria  liOjj. 
1  Luchs  578. 
,  Lucio perea  511. 
I  Lumbricus  267. 
I  Lungen  S7_. 

Lungenschnecken  33S. 

Lurche  513. 

Luscinia  548. 

Lutra  älS. 

Lycosiden  439. 
I  Lyell  1K 

Lymphe  IL 

Lymphgefässe  Ö_L 

Lyonet  IL 

Lytta  12L 


Register. 


503 


Machiiis  414. 
Maerobiotus  443. 
Macrochiropteren  577. 
Macropus  565. 
Macrojxxlen  509. 
Macruren  382. 
Mactra  317. 
Madrepora  215. 
Madreporcnplatte  2ÜL 
Macandrina  211» 
Maifische  510. 
Maja  3J& 
Maki  .")■'■>■ 
Makrelen  511. 
Malacoderraen  (Anthozoen) 
213. 

Malacodennen  (Käfer)  42L 
Malacopteren  508. 
Malac«  Mitraken  380. 
Malaien  5H1. 
Malaptcrurus  510. 
Mallophagen  416. 
Malmignattc  437. 
Malpighi  lp_,  4£ 
Maiumalia  519. 
Matnmuth  574. 
Man  at  Iis  5« SS. 
Mani.s  567. 
Mantelthiere  274. 
Ma litis  417. 
Marabu  547. 
Marder  578 
Margaritana  324. 
Mancnkäferchen  422. 
Marsipobranchier  48J, 
Marsupialier  5jj3. 
Mastigophoren  KU. 
Mastodon  574. 
Mauerasseln  386. 
Mauerschwalben  .')  l.s. 
Maulesel  57 1 . 
Maulthicrc  571. 
Maulwurf  576. 
Maulwurfsgrille  419. 
Maus  575. 
Meckel  18. 
Medinawurm  258. 
Medusa  18Ü. 
Meerkatze  580. 
Meerschweinchen  575. 
Megalnpalarvc  392. 
Mcgapodius  545. 
Megascolides  267. 
Megastotna  166. 
Megatherium  568. 
Mehlwurm  121. 
Meisen  54S. 
Meleagris  545. 
Meleagrina  321. 
Meies  578 
Meloiden  42L 
Meloe  42L 
Melolontha  4  '1. 
Melopsittacus  547. 
Membranacecn  126. 
Mcuobranchus  519. 


Menopoma  519. 
Menuriden  548. 
Menschenhaie  504. 
Mephitis  578 
Mermithiden  258. 
Meroblastische  Eier  1 23. 
Mcryhippus  513. 
Meaenchym  128. 
Mesenterialfilamente  2t >>. 
Mesepithel  128. 
Mcsoblast  12h. 
Mesodenn  181. 
Mesohippus  573. 
Mcsostomuin  22ä, 
Metabolc  Insecten  410. 
Metagenesis  1 16. 
Metameren  1 10. 
Metamorphose  131,  410. 
Metanauplius  3112. 
Metazoen  181. 
Miastor  428. 
Mieroehiroptcren  576. 
Microlepidopteren  4MP. 
Mierogaster  121, 
Microstomum  227,  22iL 
Mieseheria  178. 
Miesmuschel  323. 
Migrationstheorie  42. 
Millen  440. 
Miliola  lÜ2x 
Millej)ora  li£L 
Milz  iüL 
Mimicry  38. 
Miohippus  573. 
Moa  ->44. 
Möven  546. 
Mönch  548. 
Mohl  4ü. 
Mollusca  310. 
Molluscoideen  221—274. 
Molpadia  3<R 
Monactinelliden  187. 
Monadinen  166. 
Mona  seidien  270. 
Monaxonie  107. 
Moneren  153. 
Moniezia  2lä> 
Monitor  52iL 
Monocystis  177. 
Monodelphier  562. 
Monodon  5ÜL 
Mongolen  581. 
Monogonie  113. 
Monom  varicr  31^  323. 
Monopneuraones  512. 
Monopyleen  ItiO. 
Monorfiinen  487. 
Monnspcrmie  120. 
Monostoimun  2. ■!.">. 
Monothalaraien  1Ü2. 
Monotoeardier  33li. 
Mono t  reinen  562. 
Montee  510. 
Moosthierchen  2S1. 
Mordaeia  490. 
Morphologie  2. 


Moschus  572. 
Moschusochse  572. 
Motacilhden  5J8. 
Motten  430. 
Mücken  428. 
Müller  iL 
Muriciden  33Ü. 
Mus  575. 
Musca  42!). 
Muscarien  428, 
Muschelkrebse  374. 
Musehclthiere  316. 
Musivisches  Sehen  359. 
Muskelgewebe  13, 
Mustcla  578. 
Mustclus  .'KU. 
Mussa  2_LL 
Mycetes  580. 
Mvcetozoen  lü3. 
Mygale  431L 
Myiden  325. 

Mvocommata  (Mvotome) 

"441. 
Myopsiden  349. 
Mynauida  2'i:-;. 
.  Myriapodcn  397. 
MyriiKH-ophaga  567. 
Myrmecophilen  425. 
Myrrueleontiden  419. 
Mysis  387. 
Mysisstadium  3112. 
Mysticete  569. 
Mytilus  323. 
Mvxidiurn  178. 
Myxine  48Ü. 
Mvxo1m>Ius  178. 
Myxomyceten  163. 
Myxosj>oridien  178. 
Myxospongien  1SÜ. 

Nachtigall  548. 

Nacht  rau  b vögel  549. 

Nacht  schwalben  548. 

NaegeU  44. 

Nagcthiere  574. 

Naja  Ü3L 

Najaden  324. 
i  Nais  267. 

Narcomeduscn  19JL 

Narwal  569. 

Nashorn  57 1 . 

Nashornvogel  548. 

Nassellarien  160. 
(  Natatorea  545. 

Nattern  531. 

Naupliusstadium  392,  3üa. 
Nausithoe  2QÜ. 
Nautilus  34K. 
Neark tische  Region  145. 
Nebalia  382. 
Nebenkern  169. 
Needham'sche  Schläuche 

347. 
Neger  581. 

Nemathchninthen  252. 
Nematoden  253. 

38 


liertwif,  Lehrbuch  der  Zoologie.  S. 


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Register. 


Nematophoren  1*8. 
Nemertcs  24!  t. 
Nemertinen  '247. 
Nemocera  428. 
Ncomcnia  310. 
Neocrinoiden  301 . 
Neophron  548. 
Ncotroi  wische  Region  LtL 
Nepa  420. 
Nephelis  272. 
Nephridien  112. 
Nephrops  3!>3. 
Nereis  205. 
Nervenfasern  IL 
Nervengewehe  7JL 
Nervensystem  HL 
Nessel  kat  wein  188. 
Nestflüchter  5J3. 
Nesthocker  543. 
Netzflügler  JÜL 
Neunauge  4S!>. 
Neuralhögen  450. 
Neuropteren  4  HL 
Nidatnentaldrüsen  347. 
Nierenspritze  313. 
Niere  112, 
Nilpferd  571. 
Niphargus  3K4. 
Nnetiluea  107. 

Noctua  430. 
Nocturni  541«. 
Non-Kuminantien  .r>71. 
Notidaniden  504. 
Nonne  430. 

Notodelphys  (Anure)  51s. 
Notodclphvs  (Oopepodo) 

ML 
Notonecta  420. 
Notopodcn  393. 
Nototroma  520. 
Nuclcus  32. 
Nnculidcn  319,  323. 
Nudihranchia  335. 
Numniuliten  103. 


Oonoria  430. 
Octoeorallien  212. 

(X'topoden  3  t'.t. 

Octoptu  3J1L 
Odontolcon  54!  >. 
Odontornithes  540. 
Odontotonnen  54t». 
Oedipoda  4JAL. 
Oegoi>sidcn  340. 
Oekologie  3. 
Oesophagus  85, 
Oostriden  42!>. 
Ohren  roh  he  57H. 
Ohrwürmer  417. 
Oikopleura  270. 
Oken  LL 
Oligochaeten  2>k>. 
Olnie  5_liL 
Onisous  3Sß. 
Ontogenie  3. 


Onychophoren  3115. 
Opaliua  172. 
Opereulum  32Ü. 
Ophididen  510. 
Ophidior  52*.). 
Ophiactis  2!  »7. 
<  )phiocnida  2t>7. 
Ophi(K'oma  2!)7. 
Ophioglypha  2!>8. 
Ophiophagus  531. 
Ophiothola  2t)7. 
Ophiothrix  21ÄL 
Ophiuroidoen  2t  K 
Opisthobranchicr  334. 
Opisthoglyphen  531. 
Opossum  afiü 
Orang  Ptang  58J1 
Orbitelen  ilLL 
Orchestia  383. 
Ordensbänder  4.30. 
Orgyia  130, 
Orgelcorallc  213, 
Orientalische  Region  1 4  "i. 
Ornithodelnhier  5ii2. 
Ornitho|MHien  535. 
Ornithorhynchus  503. 
Orohippus  573. 
Orthoneuren  330. 
Orthoneetiden  ISO. 
Orthopteren  417. 
Oryeteropus  507. 
Osearella  1S7. 
Oschles  5  l>. 
Osphradium  312,  322. 
Ostraeion  511. 
Ostracoden  3LL 
Ostrea  324. 
Otaria  578. 
Otis  547. 
Ovieellen  2S-1. 
Ovipare  Thiere  11LL 
Ovomammalien  5ti2. 
Ovovivipare  Thiere  13L 
Ovis  5<2. 
Oxy<laetylen  521. 
Oxyrhynchen  3t >3. 
Oxystoinala  3t  >3. 
Oxyuris  255. 

Paarhufer  57 1 . 
Pachydcrmen  57 1 . 
Paehytylus  41t>. 
Pacdogcnesis  1 14. 
Pagurus  3ü3. 
Palm -»den  37t). 
Palaemon  3H2. 
Palaearetische  Region  145. 
Paläocrinoidoen  3(  >1 . 
Palaoothericn  ">73. 
Paläontologie  A. 
Palinurus  3!  »3. 
Pnludina  330. 
Pancreas  8iL 
Panorpa  tili. 
PantojMKlen  443. 
Panzerkrehse  3St>. 


Panzerwolse  510. 
Papageien  547. 
Papiernaiitilus  34t >. 
PapUio  431. 
Paraetis  2Q7. 
Paradiesvögel  548. 
Paradoxides  :{n  >. 
Paramaeeium  172. 
Parasitica  3iii». 
Parasitismus  137. 
Pariden  548. 
Parietalganglion  312. 
Parietalorgan  4*i0. 
Parthenogenivis  114. 
Passer  548. 
Passeres  5 18. 
Patella  327,  33H. 
PaumpoTJen  3üiL 
Pavian  580.  • 
I  Pavo  545. 
Pecten  321. 
Pcdalgnnglion  312. 
Pedaten  3Üfi. 
Pedieellarien  2tU.  305. 
Pedicellina  282. 
Podiculaten  5J1. 
Pedioulus  427. 
PiHli|>al|N>n  431.  435. 
Pelagia  200. 
Pelagisehe  Thiere  140. 
Polamis  531. 
Poleeanus  517. 
Pelias  531. 
Pellicula  10S. 
Pelmatozoen  2t  M. 
Pelobates  521. 
Pelomyxa  1.54. 
Peltogaster  377. 
Penaeus  3t  r>. 
Pennatula  2_UL 
Pentaeerontiden  298. 
Pentnerinus  301. 
Pentamera  421. 
Pentastomum  442. 
Pentatomidcn  420. 
Pentremites  302. 
Peraineles  505. 
Perca  511. 
Perdix  545. 

Perennibranehiatcn  519. 
Perforaten  102,  215. 
Periderm  IM. 
Peridinium  100. 
Peripatus  28,  Mi. 
P<Tiphvlla"20o. 
Periplaneta  117. 
Periproet  3(  »2. 
Peripyleen  100. 
Perisehoeehiniden  304. 
PerisKodactvlen  571. 
Peristom  172,  302. 
Perithoraealraum  277. 
Perit  riehen  173. 
Perla  Uli 
Perlen  313. 
Perhnutterschicht  3JiL 


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Perotnedusen  '2i£L 
Petaurua  5115. 
Petromvzon  48». 
Pfau  5ii 
Pfeilschwänze  .-{TS. 
Pfcilwünner  251. 
Pferd  57 1 .  573. 
Pfeixleegel  2ü 
Pflanzenbeutler  ."><;.">. 
Pflanzenläuse  i2±L 
Pflanzen»  hiere  1ÜL 
Phaooditricn  PK). 
Phalaroeorax  ilL 
Phalangoidccn  437. 
PI uü angin  in  437. 
Phalangista  5U5. 
Phallusia  2UL 
Pharyngognathcn  510. 
Pharynx  tiü» 
Phaseolomys  ")!>.")■ 
Phascolottoiua  2u'.i. 
Phasianus  545. 
Phalli»  ii  Ion  117. 
Pheuae«»douten  573. 
Phialidimu  ÜJiL 
Philonexiden  54<). 
Philopterus  41(i. 
Philosophie  zoologiquo  lh. 
Phlel>enteraten  335. 
PIUK'U  ">7S. 

Phoenicopterus  54<i. 
Pholas  l-'"'. 
Phoronis  22Ü 
Phronima  3K4. 
Pliryganea  420. 
Phnrniu  435. 
Phthiriasis  427. 
Phthirius  427. 
Phyllium  4_LL_ 
Phyllo|»oden  Ü7_ 
Phyllorhinen  ~>7»>. 
Phylloxera  427. 
Phylogenio  4^  2J>, 
PhvsaTia  21 H. 
PhyscUr  ijliÜ, 
Physiologie  Ü. 
Physiolngus  L 
Physnelisten  501. 
Physonecteu  2<  X  )■ 
Physophora  21)1. 
Physophoriden  200. 
Physoj»oden  4  Ui. 
»       Physostonien  .')()1.  "»10- 
Phytophagen  5>i5. 
Phytophthiren  42<i. 
Picaricn  "»4  7. 
Pieris  m* 
Pilidiuni  2J& 
Pimpla  LLL 
Pinguin  ill. 
Pinna  323. 
Pinnipedier  578. 
Pinnot  heres  ilDü. 
Pinnulac  3ul. 
]'i|»a  Ü2U. 
Pisce*  jm 


Register. 

Piscieola  273. 
Pisidiuiu  32ü, 
Placeuta  diffuse  ,">(>'>. 

„       cotyledonaria  .">!>»  i. 

„       discoidalis  ■*>(><>. 

,,       zonaria     i'  i. 

„       uterina  "Mi. 

„       foetalis  "Mi. 
Placentalien  äua. 
Plaeodennen  ■">(  )7. 
Placoi<l*chup|>on  448.  401. 
Placophorcn  3  PL 
Plagiostomen  5<  )2. 
Plagiotreinen  527. 
Plakiua  lsL 
Planaria  "  .". '. 
Plauipcnnien  41*». 
Plankton  UJi, 
Planorbis  alill 
Plasmodien  Hi3. 
Plastron  jüli 
Platanista  ~>Us. 
Plathclminthen  22ä. 
Platt  würincr  225. 
Platyrhinon  -"»so. 
Pleetognathen  51 1. 
Plesiosaurus  535. 

Plethodon  ">n>. 
Pleuralhögen  451. 
Pleurulganglion  ;  I .'. 
Plcurobraohia  1UL 
Pleurobranehu*  335. 
Pleurodonten  ä2ü. 
Pleuronectos  "»10- 
Plictolophus  547. 
Plinius  Ü. 
Pliohippus  573. 
Plumatclla  2  vi. 
Plumularia  lifiL 
Pltiteus  '£LL 
Pneumaticität  iül 
Pueumatophor  11ÜL 
Pneumodermon  338. 
Podiceju«  577. 
Podophrva  17.">. 
Podophthalmen  38<i. 
Podura  414. 

Poikilothenne  Thierc  U2. 
Polyeclis  £*L 
Polvchaeten  21iL 
Polyeladen 
Polyelonia  2o*j. 
Polyd(>suius  ÜilfcL 
Polyergu.s  42.">. 
Polygordius  20<i. 
l'olyiuorphisniUH  13ä.  200. 
l'olynoe  2r>fi. 
Polyodon  ">()7. 
Pftlvphemidrn  .'{"4. 
Polypen  U£L 
Potypid  'Jüi, 
Poly|M>diuin  l-»s. 
Polypteru*  -'M>7. 
PolysiMTinie  L2iL 
PofyfttomeUa  üü 
Polyi'tomuin  '^2. 


595 


Polythalamien  liiL 
PolvxeilUH  'VM. 

Pom>lü(»  :{st>. 
Poriferen  K-t. 
P«»rpita  2ÜL 

Porto-Santo-Kaninchen  LL 

Postabdoinen  .r>4. 

Potamiten  ~M. 

Pottwal  ÜL 

Praya  ML 

Priapulus  270. 

Primaten  ">7<t. 

Prifinensehieht  :^1!). 
i   Pristi*  505. 

Pn>bo*ieidier  üIIL 

Proeellanden  ."»4ti. 

Prrtetoflaeum  iü 

Proyeon  57K. 

PnKH'hidna  5<>M. 

Proglut tis  2:i'i. 

Proinorphologie  1CNL 

Prosimien  57s. 

Profobranehier  !^5. 

Prosopygier  270,  2S2. 

Prosloma  I2<). 

ProtauKK'bp  154. 

Proteroglyj»hen  5^1. 

Proteus  5.ÜL 

Protisten  151. 

Pn»tobranehier  ;Y2'.i. 

Protoeonehen 

Protohipiais  573. 

Protohydra  l'.is. 

l'rotolepas  M7K. 

l'rotonierit  I7<L 

l*n»tonephridien  iü 

Proto])lariuia  Hl 

Protopterus  512. 

Protozoen  14K. 

ProtnieheaU-n  :ll>5. 

Protrochula  2^j. 

Psauinionyx  1  o2. 
"  Pseudonavieellen  17Ji 

lVudoneuropteren  414. 

PseiulojMidien  152. 

Pseudopus  52*.  >. 

Ps<'iid<>seorpic>ni(leen  4:t<i. 
j   Psittaei  547. 

Pöociden  4H». 

PsorosiKTinii'U  ISO. 

Psyche  im 

Pteraspiden  ■"><  >7. 

I'terodaetylus  5.U 
I   PttToiny«  575. 

PterojMKlen  :i.'lS. 

l'k'ropux  577. 
i   Pterosnurier  5M4 

I'terotrachea 

Pterj'gotus  Ilso. 

Ptvehodera  2JÜL 

Piilex 

Pulinotiaten  :ns. 
Pupiparen  429. 
Pupj»enformen  411. 
Purpursehneeken  -<*t<>- 
Putorius  578. 

38* 


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596 

Pycnogonum  443. 
Pygostyl  544. 
Pyrophorus  42L 
Pyrosoma  280. 
Python  53L 
Pythonomorphen  534 

Quadrilatera  3j& 
Quadrula  162. 
Quagga  5  ■  1 . 
Quappe  510. 
Querder  ML 

Raben  548. 
Radialsymmetrie  107. 
Radiatcn  182,  2ÜL 
Radiolaricn  1 5ti. 
Radula  32Ü. 
Räderthiere  24& 
Rainey -Micacher'sohc 

Schläuche  17s. 
Kaja  505. 
Ralliden  547. 
Ramphastiden  547. 
Kana  52L 
Banatra  4211 
Rangifer  572. 
Ranfcenfüssler  374. 
Raphidia  4JiL 
Raptatores  548 
Rasse  20. 
Ratiten  54JL 
Ratte  äli 
Raubthiere  578. 
Raubvögel  548. 
Raupen  A12., 
Ray  7,  Iii 
Reaumur  10. 
Rebhuhn  545. 
Reblaus  42L 
Redia  232, 
Regen  wümier  2ÜL 
Reguläres  305. 
Reh  512. 
Reiher  547. 
Renken  5  1 0. 
Renthier  ÖI2. 
Reptilien  522. 
Retina  105. 
Rhabditis  25». 
Rhalxbx'oelen  220. 
Rhabdonema  259 
Rhaphidia  419. 
Rbea  544. 

Rhinoeerontiden  571. 
Rhinocenw  571. 
Rhinodnntidcn  504. 
Rbinolopbus  57*>. 
Rhizoccphaliden  377. 
Rhizocnnus  301. 
Rhizopodcn  151. 
Rhizoctonia  20<). 
Rhizostomeen  2<  Hj. 
Rhodites  123. 
Rhombus  510. 


Register. 

\  Rhopal(»eeren  430, 
Rhopalonema  IM. 
Rosenkönig  423. 
Rhynchites  422. 
Rhynchobdelleen  273. 
Rhynchoeephaliden  534. 
Rhynehoten  425. 
RhVtina  5t 88. 

Rieht ungskörperehen  *1  Ift. 
Riesenschlangen  53J 
Riesen  kängu  ruh  5t  »5 
Riesenkrebse  :N  i. 
Rind  572. 
Rindenläuse  42<i. 
Ringehiatter  53 1 . 
Ri  ngel  wü  rn  i  er  2<)0. 
Rippenquallen  215. 
'  Robbe  :>78. 
Rochen  505. 
Rodentien  574. 
Rösel  von  Rodenhof  11. 
Rostellutn  23L 
Rotalia  1H2. 
Rotatorien  240. 
Ruderfiissler  307. 
Rudiston  325. 
Rugosen  215. 
Rückenmark  00. 
Rüssclcfrel  273. 
Rüsselkäfer  122. 
Ruminantien  571. 
Rundspinnen  132 
Rundwürmer  252. 

Sabella  2m. 

Saceonereis  284. 
Sacculina  377. 
Saenuris  207. 
Sägefische  505- 
Säugethiere  541>. 
Sagitta  252. 
Saibling  510. 
Salamandra  üJiL 
Sahno  510. 
Salpa  280. 
Salpaeformes  280. 
Saltatorien  Iis. 
Saltigraden  13Ü. 
8andvij>er  532. 
Sapphlrina  3t  10. 
Sareocvstis  178. 
Sarcoffc  liL 
Sarcodinen  151 
Sareophilus  5<  >5. 
Sarcopsylla  420. 
Sarcoptes  441. 
Sareorhamnhus  548. 
Sarcosporidien  178. 
Sardine  5111 
Saturnia  431L 
Saugnäpfc  220.  23L 
Sangwürmer  220. 
Saurier  528 
Saum  reu  540. 
Savigny  IL 
Scalaricn  327. 


Scansores  547. 
Scaphopoden  '.WU. 
Schaeffer  11. 
Schabe  417. 
Schaf  572. 
Schalendrüse  3H4. 
Schellfische  510. 
Scheltopusik  520 
Schiffsbohrwurm  325. 
Schildkröten  534. 
Schildläuse  i2fi. 
Schildpatt  533. 
Schimpanse  580 
Schizocardium  273. 
Schizodont  317. 
Schizogonie  207. 
Schizopoden  3S8. 
Schlangen  529 
Schleiden  IS. 
Schleie  510. 
Scldeiereule  540. 
Schleimpilze,  Schleim thiere 

Sclmietterlinge  420. 
Schnal)elkprfe  425. 
Schnabelthiere  5K3. 
Schnaken  42£L 
Schnecken  32ü 
Schneehuhn  545. 
Schncpfenvögel  ">47 
;  Schnurwürmer  247. 
Scholle  510. 
Schreivögel  548. 
Schiütze,  Max  14,  41L 
Schwämme  183. 
Sohwärmer  430. 
Schwalben  548 
Schwalbenschwanz  43  1 . 
Schwan  54fi. 
Schwann  JfL 
Schwanzlurche  519. 
Schwein  571. 
Schwertfisch  51 1. 
Schwimmfuss  3*i3. 
Schwimmvögel  545. 
Scincoideen  529. 
Sciurus  515. 
Sclera  1 1  >5 

Sclerodermen  (Corallen )  2LL 
Sclerodermen  (Fische)  511). 
Sclerophyllia  214. 
Sclerostoma  250. 
Sclcrotome  447. 
Scolex  23JL 
Scolcciden  225. 
Scolopax  547. 
Scolopendra  309. 
Scolopendrella  3iüL 
Seomber  51 1. 
Scombcresociden  51 1. 
Scorpaena  508. 
Scorpio  43t). 
Scorpionideen  435. 
Scutigera  300. 
Scyllaruß  303. 
Scyphomeduaen  201. 


Register. 


597 


Scyphopolyp  201. 
Scvphostonia  2QL 
Sedentaria  260,  440, 
Seebarsche  511. 
Seehund  578. 
Seeigel  302. 
Seekühe  568. 
Seenadel  511. 
Seepferdchen  511. 
Seerosen  213. 
Seeschwalbe  546. 
Seeaterne  2S)4. 
Seewaken  306. 
Seezunge  510. 
Segestria  44LL 
Segmentalorgane  93,  223. 
Segmentirung  110. 
Seitenlinie  der  Fische  498. 
Selache  0Q4, 
Selachicr  502. 
Selaginella  180. 
Semaeostomen  206. 
Sepia  349, 
Serosa  483. 
Serpula  2ßSL 
Scrranus  51 1. 
Sertularia  199. 
Sesien  430. 
Sialie  419, 

v.  Siebold,  Carl  Theodor 

HL 

Silicispongien  18<i. 
Silurus  510. 
Simia  080. 
Singcicaden  426. 
Singvögel  548 
Sinnescpithel  66. 
Sinnesorgane  100. 
Sinupalliaten  320. 
Siphoncn  318. 
Siphon apteren  4_*t. 
Siphonophoren  199. 
Sipunculus  270. 
Siredon  520. 
Sircn  013» 
Sirenia  5<i8. 
Sirex  423. 
Sittiche  547. 
Solea  010, 
Solen  325, 
Solenogastres  3  in. 
Solenoglyphen  531. 
Solpuga  434. 
Somniereier  372. 
Sonneiithicrchen  154. 
Sorex  576. 
Spaltfuss  365. 
Spanische  Fliege  421. 
Spanner  430. 
Spatangu*  305. 
Spatulariden  507. 
Spechte  547, 
Sperling  548. 
Spermatozoen  öö, 
Sphaerechinus  305. 
Sphaeridicn  29_L 


Sphaerogastres  437. 
Sphaeroma  386. 
Sphaerophrya  HO. 
Sphaerozoum  160. 
Sphex  424, 
Sphinx  430. 
Spinaciden  504. 
Spinnen  437. 
Spinnenthiere  431. 
Spinner  430. 
Spinnwarzen  137, 
Spirobolus  39S. 
Spirobranchier  2S6. 
Spirographis  2Ü6, 
Spirorbis  2ßJL 
Spirula  349. 
Spitzmaus  576. 
Spondvlus  323. 
Spongiae  183. 
Spongilla  187. 
Sporenblasc  163. 
Sporoeystis  Zil 
Sporosäcs  196. 
Sporozoen  17b. 
Springwurra  205, 
Sprosser  548. 
Sprotten  510. 
Spulwurm  200, 
Spumellarien  lüD, 
Squalidcs  504. 
Squamipennes  511. 
Squatinorajiden  OOJL 
Squatina  504. 
Squilla  3*7. 
Staatcnbildung  136. 
Stachelschwein  575. 
Stachelhäuter  2JJL 
Staphyliniden  42L 
Statoblastcn  284, 
Staublaus  416. 
Stauromedusen  205. 
Steganopodes  547. 
Stegocephalen  520. 
Steinadler  549, 
Steinbock  572. 


Steinbutt  510. 
Steincanal  2ÜL 
Stelleroideen  298, 
Stelmatopoden  284. 
Stemma  357. 
Stenops  579. 
Stcnostomuni  222. 
Stentor  113, 
Stephalia  201. 
Stcphanoscyphus  206. 
Stephoideen  160. 
Sterlet  507. 
Sterna  Olli 
Stichling  512, 
Stichopus  308. 
Stieglitz  548, 
Stinkthier  028, 
Stockbildung  135. 
Stockfisch  510. 
Störe  507. 
Stoloprolifer  28L 


ML 


Stoiuatopoden  387. 
Stomodaeum  85. 
Storch  547. 
Strandläufcr  54L 
Strausse  544. 
Strepsipteren  420. 
Strick  leiternervensystem  99. 
Stridulantien  426. 
Strigops  547. 
Strix  54JL 
Strobila  205,  243, 
Strongylocentrotus  305. 
Strongvlua  25H. 
Strudelwürmer  227. 
Struthio  044. 
Stützlamelle  190. 
Stvlaster  198. 
Stylochus  228, 
Stylommatophorcn  339. 
Stvlonvchia  1 75. 
Stylops  420, 
Subungulaten  574,  575. 
Suctonen  175. 
Sus  571. 
Swammerdam 
Sycandra  186. 
Svcon  18»). 
Sylvia  54& 
Symbiose  138. 
Symbranchus  510. 
Sympathische  Färbung  37. 
Svmphvlen  3iüL 
Synapta  308, 
Synascidien  279. 
Syncorync  !'.<*. 
Syncytien  56,  141>. 
Syngamus  250. 
Syngnathus  511. 
Syrinx  540. 
Svrnium  549. 
Syrphiden  i^L 

Tabanus  42H. 
Tachina  4 29. 
Tacnia  245. 
Tagfalter  430, 
Tagraubvögel  548. 
Talpa  576. 
Tanais  386. 
Tannystomen  42s. 
Tapirus  57 1 . 
Tarantula  439. 
Tardigradcn  442. 
Tarsius  579. 
Taschenkrebse  393, 
Tastorgane  KW). 
Tatusia  567. 
Tauben  545. 
Tausendfüssler  397. 
Taxodont  317. 
Tectibranchien  335. 
Tegeneria  440. 
Teichmuscheln  324. 
Teleostier  507. 
Tellina  325, 
TelyphomiH  435. 


Register. 


Tenebrio  421. 
Tenthrodiniden  123. 
Tercbella  >W. 
Tonibra  422, 
Terobrantioii  LLL 
Torobratula  :iÜL 
Teredo  32."i. 
Termiten  -1 1*>. 
Terricolen  'Mi7. 
Tesselalen  3iiL 
Testncclliden  33!». 
Test  icardinos  287. 
Toslurlo  .~>3  I. 
Tethvodoen  27ti. 
Tethys  XLL 
Tetrabranehiaten  'MS. 
Tetractinellidon  KL 
Tetracorallien  21."». 
Tetraxonicr  IST. 
Totnunoron  421. 

Toirao  :>»:>. 

Tctrapneunioncs  431 1. 
Tetrarhynchus  2 1 1. 
Tetrastouiuin  24!  >. 
Tot t  ix  HÜ 
Thalami  »phorcn  l'i<). 
Thalassieolla  UÜ1 
Thalami  tcn 
Thaliaovn  2SLL 
Thoeosomata  338. 
Theilung  112,. 
Therotunrpheii  7ül7>. 
TherojM«lcn  .~>3.">. 
Thiergf i  »gruphio  33^ 
Thorafn--traro  3stj. 
Thrips  HL 
Thunfisch  Z»J_L 
Thylaeinus  ■">(>.">. 
Thymallus  TAH 
Thynnus  .*)  1 1 , 
Thysanoptoron  4Ui. 
Thysannz«»on  22'. ). 
Thysanuivn  414. 
Tiära  Iii*. 
Tiefseefnunu  I4'>. 
Tiger  .")7S. 
Tillodnnticn  7ü7). 
Tinoa  .'»Hl. 
Tinea  JIM 
Tintenfische  LLJJA 
Tipula  42S. 
Tooognnie  1  \'.\. 
Todteukopf  4JÜL 
Toniaria  274. 
Toqnido  7i<  K"). 
Tortrix  IM 
Toxodontion  ">7.">. 


Traohoatca  liiiL 
Traohoon  31M,  U>7. 
Tracheenkiemen  )■  '< . 


Tnichcenlungeu  WA. 
TraohyiufHiuM-ii  1 !)'.». 
Trnchvneiuidcn  !'.>!>. 
Trag«! us  .~>73. 
Trapjx-  HL 
Trcmatodcn  221). 


Trepang  308. 
Trinxonier  1S7. 
Triccratops  r>3r>. 
Trichechur*  '»78. 
Triehina  2.">7. 
Trichocophalus  250. 
Trichocystcn  !<>'.). 
Trichodtvtcf*  4H>. 
Trichomonas  lt>t>. 
Trirhoplax  ISO. 
Trtehopteren  Iii». 
Triehotracholidcn  2")<i. 
Triebtor  343. 
Tricladen  22li 
Tridacna  32.">. 
Trigla 


Trilnbitou  m 
Tri  nif -ron  422. 
Trionyx  ~>34. 
Triton 


Tritoniadcn  AA7>. 
Trochilidon  ."US. 
Tntohophora  22  fi. 
Trochus  33<i. 
Troctes  4 Iii. 
Troglodvtes  .~)S0. 
Tmmbidium  440. 
Tnipidonolus  .">: i I . 
Truthubn  ">4.Y 
Trutta  Uli 
Tubin  »lao  2'i<». 
Tubifieidcn  2o7. 
Tubitelae  Mi 
Tubularia  l!»s. 
Tubularion  Ii». 
Tid)i|M»nu'Cou  213. 
Tukane  ö 1 7 , 


Tunieaton  2. 
Turbcllaricn 
Turdidcn  .Vis 
Tylenchus 
Tvinpodon 
Tvmpanale     <  iehörorgane 
Iis. 

Typenthmrio  Li. 
Typhlops  ,~>3I. 
Tyranneien  .Y4S, 
Tyroglyphus  44  t. 

Hebung  VA. 
Uforaa»  4  Iti. 
Uhu  fjjli 
Ulmaris  20fi. 
Unpaarhufer 
Uugulaten  ">'>!>■ 
L'nio 
Unke 

I'raimcliden  2>iO. 
Urdartn  s:{,  1  ;, 
Urflügler  ALL 
Urinsecten  II  1 . 
Urinatores  fi  tii. 
Unnund  I2ii 
l  rnutella  2s2. 
Uroecriden  428. 
Urodelen  äht. 


I'n)gonital«yf»tem  ÜiL 
L'rsus  r>77. 
t'rtbioro  148. 
Urwirbel  447. 
Urzeugung  2^  III. 

Vagabunden  VAU. 
Valvata  'A'Ail 
Vanipyrus  ")7G. 

Vanessa  431. 

Varanus  52t». 

Variabilität  3iL 

Varietät  2L 

Vasa  Malpighi  Aift. 

Vegetative  Organe  82. 

Velella  2UL 

Veligerlarve  'A\A. 

Velum  1LCL 

Venen  SIL 

Vouum  Ii2.">. 

Vererbung  1 22. 

Vennes  221  >. 

Vennetiden  321. 

Verinilinguien  ">2<.). 

Vertebraten  447. 

Vertuinnus  33*>. 

Verv<  >1  Ik  onimn  u  ngs  ]  >ri  nei  p 

4A 
Vesal  ML 
Vesparien  424. 
Vos|>ertilio  ")7<>. 
Vibrwularien  284. 
Vi<ilfrass  ">7s 
Viporidon  ~>32. 
Viseeralganglion  3_LL 
Viseeralskelet  4.'>'). 
Vivipan-  Thiere  131. 
Vögel  7VA7t. 
Vogelspinnen  IM'.'. 
Volvox  HH>. 
Vortex  22'.'. 
Vortieella 
Vultur  .j4K 


LLL 


WalM-nkröto  a 
Walfische  ')<>!>. 
Walrat  ÜÜIL 
Widmss  .*i78. 
Walzenspiunen 
Wannblütor  Iii, 
Wärniestarre  ä2» 
Wagner,  Moritz  42 
WaLlbeiinia  2KL 
Wallaee  2li 
Walzenspinnen  Ü4 
Wanzen  42ö. 
Wasseratjseln  .48h'. 
\Vjisserfrösebe  .">21 . 


Wassergi'fässe  1Ü 
Wasserjungfern  41f>. 
Wasserlungon  3(M>. 
Watvögel  *>47. 
Wobspinnen  437. 
Wechsel  warme  Thiere  Iii. 
Weichthiere  :{!<>- 


Register. 


599 


Weisel  i2L 
Weisse  Ameisen  -1 1  .">. 
Weissfische  .r>10. 
Weise  LÜH 
Wespen  Iii. 
Widder  ÖLZ. 
Wiederkäuer  571. 
Wiesel  57H. 
Wildente  54<>. 
Wildgans  546. 
Winiperinfusorieii  Utf». 
Windig  430. 
Wintereier  37:?. 
Wirbelthierc  JJL 
Wisent  5LL 
Wolf  57S, 

Wolff,  Caspar  Friedrich 
Wotton  L 
Wrisbcrg  1_L 


i  Würmer  Ü2J1 
Wurzelfüssler  151. 

Xenos  4^0. 
I  Xiphias  511. 
Xiphoeurcu  37S. 

! 

|  Zahnlücker  5()7. 

Zander  51 1. 
,  Zebra  571. 

Zecken  ±Ü1 
I  Zelle  4L 

Zellentheorie,  Geschichte 
derselben  4L 
I  Zellkern  Ü2, 
'  Zeuglodontcn  ~><>0. 

Ziege  572. 
1  Zitteraal  510, 
i  Zitterrochen  505. 


Zitterwels  5_11L 
Zoantharicn  213. 
Zoarees  511. 
j  Zoea  305. 

I  Zonoplacentalicr  5o*7. 
.  Zoopnagen  5«j."). 
[  Zoophyleu  1S1. 

Zooxanthcllen  151». 

Zuchtwald  35. 

Zuckergast  514. 

Zunge  32fl. 

Zungenbeinbogen  45<i. 
Zungenwürmer  441. 
Zweiflügler  427. 
Zwergmännchen  250,  370. 
Zwischenkirfer  45(5. 
Zwitterdrüse  1*5,  33JL 
:  Zygaena  504. 
Zygobranchicr  33<>. 


< 


Fromroauncche  BurhdruckrrH  (Hrnnann  Pohle)  in  Jena.  —  133'. 


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